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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
98d21e9a-89cf-4491-b218-863571fcf632 | Urteilskopf
93 I 609
78. Urteil vom 13. Dezember 1967 i.S. Schweiz. National Versicherungs-Gesellschaft AG gegen Gemeinde Reinach und Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Landschaft. | Regeste
Gemeindesteuern. Willkür.
Verhältnis des im basellandschaftlichen Gemeindegesetz vom 14. März 1881 auch für Aktiengesellschaften vorgesehenen Systems der Einkommens- und Vermögensbesteuerung zum System der Gewinnund Kapitalbesteuerung gemäss kantonalem Steuergesetz vom 7. Juli 1952. Auslegung von § 141 Abs. 6 des kantonalen Steuergesetzes, wonach die Gemeinden "berechtigt sind, die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären". Änderung der Rechtsprechung von
BGE 91 I 249
ff. | Sachverhalt
ab Seite 609
BGE 93 I 609 S. 609
A.-
Das basel-landschaftliche Gesetz vom 14. März 1881 betreffend die Organisation und Verwaltung der Gemeinden
BGE 93 I 609 S. 610
(Gemeindegesetz, GG) ermächtigt die politischen Gemeinden, unter bestimmten Voraussetzungen Steuern zu erheben (§ 137), und präzisiert in § 138:
1 Die Gemeindesteuern können verlegt werden:
a) auf die Haushaltungen und einzeln stehende Personen, seien letztere Niedergelassene oder Aufenthalter (Haushaltungssteuer, Personalsteuer, Vorausleistung);
b) auf Gebäude und Grundstücke (Kataster);
c) auf das Vermögen, soweit es in Fahrhabe (hausrätliche Gegenstände, die zum eigenen häuslichen Gebrauche dienen, ausgenommen) und in Kapitalien besteht;
d) auf Einkommen und Erwerb.
2 Statt der Steuer auf die unter b) und c) erwähnten Objekte kann auch eine Steuer vom gesamten Reinvermögen erhoben werden.
Im Gesetz vom 7. Juli 1952 über die kantonalen Steuern (StG) wurde die Besteuerung der juristischen Personen neu geordnet. Kapitalgesellschaften, wozu in erster Linie die Aktiengesellschaften gehören, entrichten eine Gewinn- und eine Kapitalsteuer (
§ 41 StG
). Der Kapitalsteuer "unterliegen das einbezahlte Aktien- bzw. Stammkapital, die offenen und die stillen Reserven", wobei die Vermögensbestandteile "nach den für die natürlichen Personen geltenden Bestimmungen (§§ 30-37) bewertet" werden (
§ 44 StG
in der bis 31. Dezember 1964 geltenden Fassung). Nach § 32 wird der Wert von Grundstücken unter billiger Berücksichtigung des Verkehrs- und des Ertragswertes berechnet und ist die Katasterschätzung (§ 92) massgebend.
Für die Gemeindesteuer gelten gemäss § 141 bis zum Inkrafttreten eines neuen Gemeindegesetzes u.a. folgende Übergangsbestimmungen:
2 Die durch den Staat festgesetzte Katasterschätzung der Grundstücke ist auch für die von der Gemeinde erhobenen Steuern massgebend.
3 Die in § 46 dieses Gesetzes genannten Gesellschaften und juristischen Personen haben an die Gemeinde die gleiche Kapitalsteuer zu entrichten wie an den Staat.
4 Für die juristischen Personen gilt der gleiche Steuerfuss wie für die natürlichen Personen.
5 Die in den §§ 13 und 14 dieses Gesetzes bezeichneten Institutionen sind im gleichen Umfange wie bei der Staatssteuer auch von der Gemeindesteuer befreit ...
6 Die Gemeinden sind berechtigt. die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären.
Ein neues Gemeindegesetz ist bis anhin nicht erlassen worden.
BGE 93 I 609 S. 611
Nach § 46 KV soll die (kantonale) Steuer vom Vermögen, Einkommen und Erwerb mit einer Progression erhoben werden (Abs. 1); für die Gemeindesteuer ist die Progression ausgeschlossen (Abs. 2).
B.-
Am 14. März 1963 erliess die Gemeinde Reinach ein neues Steuerreglement (GStR). Es sieht die Erhebung einer Einkommens- und einer Vermögenssteuer vor und bestimmt über deren Objekte in
§ 7. 1 Der Einkommenssteuer unterliegen, sofern dieses Reglement keine abweichenden Bestimmungen enthält:
1. das steuerbare Einkommen der natürlichen Personen gemäss Staatssteuer-Veranlagung;
2. der nach kantonalem Steuergesetz steuerbare Reingewinn juristischer Personen, unter Hinzurechnung der dem Berechnungsjahr belasteten direkten Steuern;
§ 10.1 Der Vermögenssteuer unterliegt, sofern dieses Reglement keine abweichenden Bestimmungen enthält, das gesamte Reinvermögen der natürlichen und der juristischen Personen gemäss Staatssteuer-Veranlagung.
2 Juristische Personen entrichten die Vermögenssteuer mindestens von dem in der Bilanz ausgewiesenen Grundkapital mit Einschluss der Reserven.
C.-
Die Schweiz. National-Versicherungs-Gesellschaft in Basel, die heutige Beschwerdeführerin, ist Eigentümerin mehrerer Liegenschaften im Kanton Basel-Landschaft. Aufeinem 1959 erworbenen Grundstück in Reinach begann sie im Jahre 1962 einen Wohnblock zu erstellen. Die Katasterschätzung vom 29. Januar 1963, die nur den Grund und Boden umfasste, betrug Fr. 171 700.--, während sich der Buchwert des Landes und des im Bau befindlichen Gebäudes am 1. Januar 1963 auf zusammen Fr. 1 414 000.-- belief.
In der am 20. April 1963 abgegebenen Gemeindesteuererklärung für 1963 deklarierte die Beschwerdeführerin ein in Reinach steuerbares Vermögen von Fr. 47 179.--, nämlich 0'0903% ihres auf Grund der Steuerwerte berechneten Reinvermögens von Fr. 52 247 343.--, was dem Verhältnis der Katasterschätzung ihrer Liegenschaft in Reinach (Fr. 171 700.--) zum Steuerwert ihrer Gesamtaktiven (Fr. 190 096 194.--) entspricht.
Die Gemeindeverwaltung Reinach ging indes bei der Einschätzung gestützt auf § 10 GStR von der Staatssteuerveranlagung für 1963 aus, gemäss welcher, der Steuererklärung der Beschwerdeführerin
BGE 93 I 609 S. 612
entsprechend, deren steuerbares Kapital (Gesamtaktiven gemäss Buchwert+als Gewinn versteuerte Reserven) auf Fr. 76 869 128.-- und der auf die Liegenschaften im Kanton Baselland entfallende Anteil an diesem Kapital auf Fr. 4 564 489.-- berechnet worden war. Von diesem Betrag betrachtete die Gemeindeverwaltung 11'095%=Fr. 506 430.-- als in Reinach steuerbar entsprechend dem Verhältnis des Buchwertes der Liegenschaft in Reinach (Fr. 1 414 000.--) zum Gesamtbuchwert aller Liegenschaften im Kanton Baselland (Fr. 12 744 000.--).
Die Beschwerdeführerin erhob gegen diese Veranlagung Einsprache, wurde aber von der Gemeindesteuerrekurskommission Reinach mit Entscheid vom 24. Februar 1966 abgewiesen.
Hiegegen führte die Beschwerdeführerin bei der kantonalen Steuerrekurskommission (StRK) Beschwerde mit dem Antrag, ihr in Reinach steuerbares Vermögen auf Fr. 47 179.-- festzusetzen. Zur Begründung machte sie unter Berufung auf
BGE 91 I 249
ff. geltend, § 10 Abs. 2 GStR sei gesetzwidrig, da
§ 141 Abs. 6 StG
nur eine vollständige, umfassende, sich auf alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte erstreckende Übernahme der Staatssteuereinschätzung gestatte; von einer solchen Übernahme habe die Gemeinde Reinach abgesehen, weshalb sie von der Beschwerdeführerin nicht eine Steuer vom Kapital, sondern nur eine Vermögenssteuer auf Grund der nach
§ 141 Abs. 2 StG
massgebenden Katasterschätzung erheben dürfe.
Die StRK wies die Beschwerde mit Entscheid vom 10. Mai 1967 ab. In den Erwägungen wird ausgeführt, dass und weshalb eine Gemeinde entgegen
BGE 91 I 256
Erw. 5 befugt sei, die Staatssteuereinschätzung für alle natürlichen bzw. für alle juristischen Personen nur für die Veranlagung des Einkommens oder nur für diejenige des Vermögens zu übernehmen. Auf die nähere Begründung dieser Auffassung wird in den nachstehenden Erwägungen zurückgekommen.
D.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt die Schweiz. National-Versicherungs-Gesellschaft AG den Antrag, der Entscheid der StRK vom 10. Mai 1967 sei aufzuheben. Als Beschwerdegrund wird Verletzung des
Art. 4 BV
(Willkür) geltend gemacht. Die Begründung besteht aus einer (abgesehen von einigen kleinen Auslassungen) wörtlichen Wiedergabe der in
BGE 91 I 253
Erw. 1-5 enthaltenen Ausführungen gefolgt von einer kurzen Auseinandersetzung mit der davon abweichenden Betrachtungsweise der StRK. Auf die nähere Begründung der
BGE 93 I 609 S. 613
Beschwerde wird, soweit notwendig, ebenfalls in den nachstehenden Erwägungen zurückgekommen.
E.-
Die Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Landschaft und die Gemeinde Reinach beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Entscheid der StRK vom 10. Mai 1967 ist ein Endentscheid, mit welchem die Gemeindesteuerrechnung vom 12. Dezember 1963 von der letzten kantonalen Instanz geschützt und damit das Veranlagungsverfahren abgeschlossen wurde (§ 20 Abs. 4 GStR in Verbindung mit
§ 141 Abs. 7 und
§ 103 StG
). Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nach
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
zulässig.
2.
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Verfassungs- und Gesetzmässigkeit von § 10 GStR, auf den sich der angefochtene Entscheid stützt. Diese Rüge ist zulässig. Die Bestimmung selber kann zwar, da die Frist zu ihrer Anfechtung abgelaufen ist (
Art. 89 OG
), vom Bundesgericht nicht mehr aufgehoben werden. Dagegen kann die Beschwerdeführerin die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung noch im Anschluss an die gestützt darauf ergangene Veranlagungsverfügung vorfrageweise geltend machen (
BGE 86 I 274
Erw. 1 und
BGE 92 I 364
Erw. 1 je mit Verweisungen auf frühere Urteile).
3.
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf
BGE 91 I 249
ff. und behauptet, dass der vorliegende Fall sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von dem dort beurteilten in keiner Weise unterscheide. Die StRK nimmt demgegenüber den Standpunkt ein, dass jenes Urteil des Bundesgerichts unrichtig und eine Praxisänderung unumgänglich sei, während die Gemeinde Reinach vor allem darauf hinweist, dass ihr GStR im Gegensatz zu demjenigen von Binningen nicht nur in § 10 ausdrücklich die Staatssteuer-Einschätzung als massgebend erkläre, sondern durch zahlreiche weitere Bestimmungen erkennen lasse, dass die Gemeinde Reinach das Steuersystem des kantonalen StG vollumfänglich übernommen habe. Die Beschwerde ist daher unter diesem doppelten Gesichtspunkt zu prüfen.
4.
Im Kanton Baselland sind die Gemeinden befugt, Gemeindesteuern nach Massgabe des (durch § 141 Abs. 1-5 und 7-10 StG ergänzten) § 138 GG zu erheben, d.h. natürliche und juristische Personen für Einkommen und Erwerb sowie für das
BGE 93 I 609 S. 614
gesamte Reinvermögen (oder für Gebäude, Grundstücke, Fahrhabe- und Kapitalvermögen) zu besteuern. Sie sind ferner gemäss
§ 141 Abs. 6 StG
berechtigt, statt dessen "die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären". Bei der Bestimmung der Tragweite dieser letzteren Ermächtigung ist das Bundesgericht im Urteil
BGE 91 I 249
ff. davon ausgegangen, dass das nach dem StG für juristische Personen geltende System der Gewinn- und Kapitalbesteuerung grundsätzlich verschieden sei von der im GG vorgesehenen Einkommens- und Vermögensbesteuerung (S. 255). Im Hinblick hierauf hat es angenommen, mit
§ 141 Abs. 6 StG
könne nichts anderes gemeint sein als eine vollständige, umfassende und sich auf alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte erstreckende Übernahme der Staatssteuereinschätzung; denn ein Besteuerungssystem, wie es im StG geregelt sei, stelle in der Regel ein einheitliches Gebilde dar, dessen einzelne Teile aufeinander abgestimmt seien und so eng zusammenhängen, dass sie sich vernünftigerweise nicht trennen lassen (S. 258/9). Die in Frage stehende Bestimmung des GStR habe die Staatssteuereinschätzung indes nur in ganz beschränktem Umfange (nur für juristische, nicht auch für natürliche Personen und nur für die Vermögens-, nicht auch für die Einkommensbesteuerung) auf das Gemeindesteuerrecht übertragen, so dass diese Bestimmung sich nicht auf
§ 141 Abs. 6 StG
stützen könne und damit einer gesetzlichen Grundlage entbehre.
Da die Richtigkeit dieser grundsätzlichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid bestritten wird, ist vor allem zu prüfen, ob das System der Gewinn- und Kapitalbesteuerung sich wirklich so sehr von demjenigen der Einkommens- und Vermögensbesteuerung unterscheidet, dass schon deshalb angenommen werden muss,
§ 141 Abs. 6 StG
gestatte den Gemeinden nur die sich auf alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte erstreckende Übernahme der Staatssteuereinschätzungen und schliesse jede beschränkte Übernahme und insbesondere eine Vermischung beider Systeme schlechthin aus.
5.
Im Jahre 1881, zur Zeit des Erlasses des GG, wurden die juristischen Personen in der Schweiz allgemein nach den gleichen Grundsätzen wie die natürlichen Personen, d.h. für ihr Einkommen und Vermögen besteuert. Seither sind die meisten Kantone dazu übergegangen, bei den Kapitalgesellschaften statt des Einkommens und Vermögens den Gewinn und das Kapital
BGE 93 I 609 S. 615
zu besteuern. Dieses moderne Besteuerungssystem unterscheidet sich indes vom früheren weniger durch das Steuerobjekt, nach dem es bezeichnet ist, als durch den Steuersatz.
a) Das einbezahlte Kapital wird zwar ohne Rücksicht darauf besteuert, ob es durch die Aktiven gedeckt, also wirtschaftlich noch vorhanden ist. Indessen werden neben dem eigentlichen Grundkapital regelmässig auch die (offenen und stillen) Reserven als Kapital besteuert. Da diese Reserven im tatsächlich vorhandenen, über das Grundkapital hinausgehenden Reinvermögen bestehen (
BGE 73 I 64
, 66; BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 2. Auflage S. 120), hat die Kapitalsteuer immer dann, wenn das Grundkapital durch die Aktiven gedeckt ist, praktisch das gleiche Objekt wie die Vermögenssteuer, nämlich das Reinvermögen, das in der Differenz zwischen Aktiven und Passiven besteht. Ein wesentlicher Unterschied besteht dagegen beim Steuersatz. Dieser ist bei der Vermögenssteuer stets progressiv, während er bei der Kapitalsteuer proportional oder nur schwach progressiv ist (vgl. zum Verhältnis zwischen Vermögens- und Kapitalsteuer auch BOSSHARD, Die Besteuerung der Kapitalgesellschaften, Diss. Zürich 1953 S. 47; RÜTTIMANN, Das steuerpflichtige Kapital der Aktiengesellschaften, Basel 1963 S. 12/13).
Der steuerbare Gewinn der Kapitalgesellschaften bemisst sich im allgemeinen nach den gleichen Grundsätzen wie das Geschäftseinkommen der natürlichen Personen; insbesondere dürfen die Gewinnungskosten sowie die geschäftsmässig begründeten Abschreibungen und Rückstellungen abgezogen werden (BLUMENSTEIN a.a. O. S. 182). Der Hauptunterschied zwischen Einkommens- und Gewinnsteuer besteht wiederum beim Steuersatz. Dieser ist zwar sowohl bei der Einkommens- als auch bei der Gewinnsteuer regelmässig progressiv. Während sich jedoch die Progression beim Einkommen nach dessen absoluter Höhe richtet, ist beim Gewinn die sog. Ertragsintensität, d.h. das Verhältnis des Ertrags zum Kapital massgebend (BLUMENSTEIN a.a.O. S. 206).
b) Diese allgemeinen Ausführungen über das Verhältnis der beiden Besteuerungssysteme treffen auch für die Staatssteuer des Kantons Baselland zu. Dass mit der Kapitalsteuer praktisch das Reinvermögen erfasst wird, geht daraus hervor, dass ihr nach
§ 44 Abs. 1 StG
neben dem einbezahlten Grundkapital auch die offenen und stillen Reserven unterliegen, und vor allem daraus, dass Abs. 2 ausdrücklich von "Vermögensbestandteilen"
BGE 93 I 609 S. 616
spricht und für deren Bewertung die für die natürlichen Personen geltenden Bestimmungen (
§
§ 33-37 StG
) als anwendbar erklärt. Der Steuersatz ist, wie allgemein üblich, bei der Vermögenssteuer stark progressiv (0,5-4‰), bei der Kapitalsteuer dagegen nur schwach (2-3‰) (
§
§ 40 und 45 StG
). Ferner ist der Steuersatz sowohl bei der Einkommens- als auch bei der Gewinnsteuer stark progressiv (0,5-13 bzw. 5-20%), wobei aber für die Progression beim Einkommen dessen absolute Höhe und beim Gewinn die Ertragsintensität massgebend ist (
§
§ 28 und 43 StG
). Auch für die Staatssteuer des Kantons Baselland gilt somit, dass sich das System der Gewinn- und Kapitalbesteuerung weniger durch das Steuerobjekt als durch den Steuersatz vom System der Einkommens- und Vermögensbesteuerung unterscheidet.
c) Gerade diese wesentlichen Unterschiede der beiden Besteuerungssysteme können nun aber die Gemeinden, welche nach § 141 Abs. 6 die Staatssteuereinschätzung auch für die Gemeindesteuer als gültig erklären, nicht übernehmen, da § 46 Abs. 1 KV für die Gemeindesteuer die Progression ausschliesst und
§ 141 Abs. 4 StG
überdies vorschreibt, dass für die juristischen Personen der gleiche Steuerfuss gilt wie für die natürlichen Personen. Unter diesen Umständen kann an der dem Urteil
BGE 91 I 249
ff. zugrunde liegenden Auffassung, dass schon die Verschiedenheit der Besteuerungssysteme des § 138 GG einerseits und des StG anderseits eine nur teilweise Übernahme der Staatssteuereinschätzungen durch die Gemeinden verbiete, nicht festgehalten werden, hat doch auch die vollständige Übernahme wegen des Wegfalls der Progressionen und wegen der Anwendbarkeit des gleichen Steuerfusses für natürliche und juristische Personen zur Folge, dass die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Besteuerungssystemen fast gänzlich verwischt werden. Als unzutreffend erweist sich vorab die in
BGE 91 I 268
angestellte, bei der Wiedergabe des Urteils in der Beschwerdebegründung allerdings weggelassene Erwägung, zur Übernahme der Kapitalsteuer "gehörte auch die Übernahme des verhältnismässig starren Steuersatzes gemäss
§ 45 StG
, der mit dem progressiven Steuersatz bei der Vermögenssteuer nichts gemein hat"; denn bei der Gemeindesteuer wird jede Progression ausgeschlossen durch § 46 Abs. 2 KV, der damals von keiner Seite angerufen und daher vom Bundesgericht nicht beachtet worden war. Sieht man aber von der Progression und deren Ausgestaltung im StG ab, so sind die Unterschiede zwischen den beiden Besteuerungssystemen
BGE 93 I 609 S. 617
keineswegs so gross, dass im Hinblick darauf eine nur teilweise Übernahme der Staatssteuereinschätzungen durch die Gemeinde als ausgeschlossen erschiene. Die Kapitalbesteuerung gemäss StG kommt im Regelfall, wo das Kapital durch die Aktiven gedeckt ist, praktisch einer Reinvermögensbesteuerung nach § 138 Abs. 2 GG (oder
§
§ 30 ff. StG
) gleich, wenn die im StG vorgesehenen Progressionen dahinfallen. Ebenso besteht beim Wegfall der Progressionen kein grundsätzlicher Unterschied mehr zwischen der Gewinnbesteuerung nach
§ 41 StG
und der Einkommens- oder Erwerbsbesteuerung nach § 138 Abs. 1 lit. d GG (oder
§
§ 20 ff. StG
); eine von den Kapitalgesellschaften ohne die Progression nach der Ertragsintensität erhobene "Gewinnsteuer" läuft aufeine proportionale Einkommenssteuer hinaus.
6.
Die StRK vertritt im angefochtenen Entscheid die Auffassung,
§ 141 Abs. 6 StG
hindere die Gemeinden nicht, entweder für alle natürlichen Personen oder aber für alle juristischen Personen die Staatssteuereinschätzung nur teilweise, sei es lediglich für die Veranlagung des Einkommens bzw. des Gewinns, sei es bloss für die Veranlagung des Vermögens bzw. des Kapitals zu übernehmen. Insbesondere sei eine von den Kapitalgesellschaften gestützt auf § 138 GG erhobene Einkommenssteuer nicht so verschieden von der Gewinnsteuer des StG, dass die Verbindung der Einkommens- mit der Kapitalsteuer, wie sie das GStR von Reinach vorsehe, als unstatthaft bezeichnet werden müsste. Diese Betrachtungsweise erscheint nach dem in Erw. 5 Gesagten als zutreffend und ist keinesfalls unhaltbar, geradezu willkürlich. Zu prüfen bleibt, ob sie aus andern Gründen mit
§ 141 Abs. 6 StG
unvereinbar ist.
Diese Bestimmung ermächtigt die Gemeinden, die Staatssteuereinschätzung "allgemein" auch für die Gemeindesteuer zu übernehmen. In
BGE 91 I 258
/9 hat das Bundesgericht angenommen, dass damit nur eine "vollständige, umfassende, sich auf alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte erstreckende Übernahme der Staatssteuereinschätzung" gemeint sein könne und eine andere Auslegung mit dem klaren Wortlaut und Sinn der Bestimmung sich nicht vereinbaren lasse. Soweit diese Annahme auf den Sinn der Bestimmung verweist, beruht sie indessen, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, im wesentlichen auf der Überlegung, dass das Besteuerungsystem des StG ein einheitliches Ganzes bilde, dessen Bestandteile so aufeinander abgestimmt
BGE 93 I 609 S. 618
seien und so eng miteinander zusammenhängen, dass es nicht angehe, sie zu trennen. Da diese Überlegung, wie in Erw. 5 dargelegt wurde, nicht stichhaltig ist, kann sich nur noch fragen, ob eine bloss teilweise Übernahme mit dem Wortlaut von
§ 141 Abs. 6 StG
unvereinbar ist, also im Hinblick auf den Ausdruck "allgemein" als ausgeschlossen erscheint.
Dieser Ausdruck war in der entsprechenden Bestimmung von § 54 Abs. 2 des StG vom 20. August 1928 noch nicht enthalten. Er findet sich erstmals in § 141 Abs. 6 des StG vom 7. Juli 1952, ohne dass ersichtlich wäre, welchen Zweck der Gesetzgeber mit dieser Änderung des Wortlauts verfolgt hat. In
BGE 91 I 258
wurde angenommen, dass der Ausdruck klar sei und dass mit der "allgemeinen" Übernahme nichts anderes als eine sich auf alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte erstreckende Übernahme gemeint sei. Es ist zuzugeben, dass diese Auslegung am nächsten liegt. Dagegen kann sie nicht als die einzig richtige und mögliche bezeichnet werden. Als noch vertretbar und daher nicht willkürlich erscheint vielmehr auch die Auffassung, dass
§ 141 Abs. 6 StG
die Gemeinden zwar ermächtige, die Staatssteuereinschätzung für alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte zu übernehmen, dass er sie jedoch zu solch umfassender Übernahme nicht verpflichte, sondern ihnen - nach dem Grundsatz in maiore minus - auch die Befugnis einräume, weniger weit zu gehen und die Staatssteuereinschätzungen nur für bestimmte Kategorien von Steuerpflichtigen und für bestimmte Steuerobjekte zu übernehmen. Auch diese Auslegung hat einen vernünftigen Sinn und lässt sich mit dem Wortlaut vereinbaren.
Ist aber auch eine bloss teilweise Übernahme der Staatssteuereinschätzung grundsätzlich zulässig, so ist eine solche aus dem Gesichtspunkt des
Art. 4 BV
nur zu beanstanden, wenn die Kategorie der Steuerpflichtigen, für welche die Gemeinde sie vornimmt, nach unsachlichen Gesichtspunkten bestimmt wird oder wenn die nur teilweise Übernahme sonst als stossend und willkürlich erscheint. So mag es fraglich sein, ob es einer Gemeinde gestattet wäre, die Staatssteuereinschätzung nur für diejenigen (natürlichen oder juristischen) Personen zu übernehmen, die ihren Wohn- oder Geschäftssitz ausserhalb des Kantons oder der Gemeinde haben, während die Einheimischen nach andern, von der Gemeinde gestützt auf § 138 GG erlassenen und für den Steuerpflichtigen günstigeren Grundsätzen eingeschätzt werden. Ebenso fragwürdig wäre eine Ordnung, durch welche die Gemeinde
BGE 93 I 609 S. 619
die Übernahme der Staatssteuereinschätzung auf Immobiliengesellschaften oder andere, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmte Kategorien juristischer Personen beschränken würde. Etwas derartiges liegt hier aber nicht vor. Nach § 10 Abs. 1 des GStR von Reinach unterliegen vielmehr alle juristischen Personen ohne Ausnahme der Vermögenssteuer für das "gesamte Reinvermögen gemäss Staatssteuer-Veranlagung", d.h. für das nach diesem steuerbare Kapital. Wenn § 10 Abs. 2 ausserdem bestimmt, dass die Vermögenssteuer "mindestens von dem in der Bilanz ausgewiesenen Grundkapital mit Einschluss der Reserven" zu entrichten ist, so liegt hierin keine Abweichung von der Staatssteuereinschätzung, da schon nach
§ 44 Abs. 1 StG
das einbezahlte Kapital nebst den offenen und stillen Reserven der Kapitalsteuer unterliegt. Ob das Kapital von der Gemeinde auch dann noch als "Reinvermögen" im Sinne von § 10 GStR besteuert werden darf, wenn es durch die Aktiven nicht mehr gedeckt ist, kann dahingestellt bleiben, da dies bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall ist.
7.
Ist demnach davon auszugehen, dass § 10 GStR nicht verfassungswidrig ist und die Gemeinde Reinach die Beschwerdeführerin für ihre dortige Liegenschaft auf Grund der Staatssteuereinschätzung besteuern darf, so erweist sich die Beschwerde ohne weiteres als unbegründet. Zwar erklärt
§ 141 Abs. 2 StG
die Katasterschätzung auch für die von den Gemeinden erhobenen Steuern als massgebend und gilt diese Schätzung nach § 32 in Verbindung mit
§ 44 Abs. 2 StG
auch für die Bewertung der Vermögensbestandteile der Kapitalgesellschaften. Dass die Beschwerdeführerin trotz dieser Bestimmungen für ihre Liegenschaften im Kanton Baselland auf Grund der höheren Buchwerte zur Staatssteuer veranlagt werden durfte, wird in der Beschwerde mit Recht nicht bestritten, da dies der Praxis der Steuerrekurskommission (Basellandschaftliche Steuerpraxis Bd. II S. 265 ff.) entspricht und die Beschwerdeführerin denn auch selber in ihrer Staatssteuererklärung auf die Buch- und nicht auf die Katasterwerte ihrer Liegenschaften abgestellt hat. (Die am 1. Januar 1965 in Kraft getretene neue Fassung von
§ 44 Abs. 2 StG
bestimmt nun übrigens ausdrücklich, als Steuerwert der Aktiven gelte "mindestens der Buchwert, vermehrt um die als Gewinn versteuerten stillen Reserven".)
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
98d3b186-0f3f-460b-bc2e-4f28c83b21ed | Urteilskopf
125 III 353
61. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. September 1999 i.S. W. AG gegen M.D. (Berufung) | Regeste
Drohung. Art. 29/30 OR.
Voraussetzungen, unter denen die Drohung mit einer Strafanzeige einen unter ihrem Eindruck geschlossenen Vertrag einseitig unverbindlich werden lässt (E. 2). Auf blosse Teilunverbindlichkeit kann sich nur die bedrohte Partei berufen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 353
BGE 125 III 353 S. 353
A.-
M. D. war während mehrerer Jahre in leitender Stellung für die Firma W. AG tätig, deren Verwaltungsratspräsident und Hauptaktionär F. war. Am 26. Juni 1989 kündigte er das Arbeitsverhältnis auf Ende August 1989. Im Rahmen einer Verwaltungsratssitzung vom 4. Juli 1989 wurde ihm seitens der Arbeitgeberin unter dem Vorwurf von Vertragsverletzungen und strafbaren Handlungen fristlos gekündigt, wobei M. D. eine Erklärung unterzeichnete, in welcher er die Gründe für seine fristlose Entlassung als sachlich und rechtlich richtig anerkannte und sich mit der Zahlung des Salärs Mai 1989 als per Saldo aller Ansprüche befriedigt erklärte. Am Abend des 4. Juli 1989 unterschrieb er ein weiteres ihm vorgelegtes, von F. handschriftlich aufgesetztes Schriftstück, worin er Fehler eingestand und sich bereit erklärte, für den Ersatz der entstandenen Schäden aufzukommen. Tags darauf leisteten M. D. und
BGE 125 III 353 S. 354
- nach einem Telefonat von F. - auch sein Vater F. D. Zahlungen von insgesamt Fr. 70'000.--. Am 13. und am 14. Juli 1989 unterschrieb M. D. nochmals zwei Erklärungen, mit denen er wiederum mehrfache Verfehlungen zugestand und eine Schuldanerkennung in der Höhe von wenigstens Fr. 420'000.-- abgab.
Am 25. Januar 1990 erstattete die Firma W. AG Strafanzeige gegen M. D. Daraufhin erklärte dieser mit Schreiben vom 27. und vom 28. März 1990 seine am 4., am 13. und am 14. Juli 1989 abgegebenen Erklärungen als unverbindlich, mit der Begründung, er sei dazu gezwungen worden. Am 6. November 1991 erhob er überdies seinerseits Strafklage gegen F. wegen Nötigung, Erpressung, Urkundenfälschung und falscher Anschuldigung. Das Strafverfahren gegen M. D. wurde mit Verfügung vom 23. Dezember 1992 eingestellt, jenes gegen F. endete nach einer erstinstanzlichen Verurteilung wegen Nötigung und Erpressung durch freisprechende Urteile der Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen vom 3. Oktober 1995 und vom 4. Juli 1997.
B.-
Mit Klage vom 27. August 1990 forderte die Firma W. AG von M. D. die Bezahlung von Fr. 317'400.-- nebst Zins, wobei sie ihre Forderung namentlich auf die in den Erklärungen vom 13. und vom 14. Juli 1989 enthaltene Schuldanerkennung über wenigstens Fr. 420'000.-- stützte. Das Bezirksgericht Werdenberg wies die Klage am 15. September 1994 ab. Auf Berufung der Klägerin bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen dieses Urteil am 19. Juni 1998.
C.-
Das Bundesgericht weist die von der Klägerin eingelegte eidgenössische Berufung ab, soweit es darauf eintritt, und bestätigt das kantonsgerichtliche Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach den verbindlichen Feststellungen des Kantonsgerichts hat der Beklagte die Erklärungen vom 4. Juli 1989 unter dem Eindruck der Ankündigung unterschrieben, andernfalls der Polizei ausgeliefert zu werden. Entsprechendes gilt für die Erklärungen vom 13. und vom 14. Juli 1989. Diese hat der Beklagte in Zürich im Büro von Dr. L., der Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin war, unterzeichnet. Am 13. Juli 1989 hat sich Dr. L. gegenüber dem Beklagten dahin geäussert, die Gefängnisse seien voll von Leuten seines Schlages. F. hat damals dem Beklagten gesagt, wenn er die ihm vorgelegte Erklärung unterschreibe, sei er ein «freier Mann». Am
BGE 125 III 353 S. 355
14. Juli 1989 hat Dr. L. dem Beklagten für den Fall der Unterschrift in Aussicht gestellt, es werde dann «von der Einreichung einer Strafklage abgesehen».
Das Kantonsgericht hat die erwähnten Äusserungen der Organpersonen der Klägerin mit Recht als Drohungen im Sinne der
Art. 29 und 30 OR
qualifiziert. Beizupflichten ist der Vorinstanz auch darin, dass die Androhung strafrechtlichen Vorgehens im vorliegenden Fall grundsätzlich als zulässig gelten muss, weshalb die dadurch veranlasste Schuldanerkennung des Beklagten nur dann als unverbindlich anzusehen ist, wenn sich die Klägerin mit ihr übermässige Vorteile hat einräumen lassen (vgl.
Art. 30 Abs. 2 OR
). Widerrechtlich ist die Drohung mit einer Strafanzeige dann, wenn ein innerer Zusammenhang zum angestrebten Zweck fehlt, beispielsweise wenn mit einer Anzeige wegen Steuerhinterziehung gedroht wird, um den Bedrohten zum Abschluss eines Kaufvertrags zu bewegen. Betrifft die angedrohte Anzeige jedoch Delikte, durch die der Drohende oder eine ihm nahestehende Person geschädigt worden ist, so ist die Drohung erlaubt, solange der Drohende nicht mehr erlangen will, als ihm als Schadenersatz zusteht (SCHWENZER, Basler Kommentar, 2. Aufl. 1996, N. 9 zu
Art. 30 OR
; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, S. 327 f.; ALFRED KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, S. 291 Rz. 1252 f.; im gleichen Sinne bereits BGE 15, 854 E. 4 S. 860 sowie 76 II 346 E. 4b S. 268 f.; anders BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 226). Vorliegend diente die Androhung strafrechtlichen Vorgehens der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen, welche die Klägerin aus denjenigen Handlungen des Beklagten ableitete, die sie als strafbar erachtete. Der innere Zusammenhang zum angestrebten Zweck ist somit gegeben. Die Zulässigkeit der ausgesprochenen Drohungen hängt folglich davon ab, ob die erzwungenen Schuldanerkennungen sich in ihrem Betrag im Rahmen der Ersatzansprüche halten, die der Klägerin tatsächlich zustehen.
Das ist jedoch, wie das Kantonsgericht - für das Bundesgericht wiederum verbindlich (
Art. 63 Abs. 2 OG
) - feststellt, nicht der Fall. Im angefochtenen Urteil geht die Vorinstanz in diesem Zusammenhang zwar zunächst grundsätzlich davon aus, dass der Klägerin tatsächlich Schadenersatzforderungen gegen den Beklagten zustehen; dies aus der Überlegung heraus, dass es der Lebenserfahrung widersprechen würde, wenn ein urteils- und handlungsfähiger Entlassener Erklärungen, wie sie dem Beklagten vorgelegt worden
BGE 125 III 353 S. 356
waren, unterschreiben würde, ohne seiner Arbeitgeberin unter dem Titel Schadenersatz irgend etwas schuldig zu sein. In Bezug auf die Höhe der klägerischen Schadenersatzansprüche hält die Vorinstanz indessen fest, dass jedenfalls die Fr. 100.'000.--, die der Beklagte in den von ihm unterschriebenen Erklärungen unter dem Titel «Schädigung des geschäftlichen Rufes und Entgang zukünftigen Gewinns durch Vereitelung einer seriösen Geschäftspolitik» anerkannt hatte, das Mass des noch Nachvollziehbaren übersteigen; ob und wieweit auch die übrigen in den Erklärungen aufgeführten Forderungen von insgesamt Fr. 320'000.-- übersetzt sind, wird im angefochtenen Urteil offen gelassen.
Gestützt auf diese Feststellungen gelangt das Kantonsgericht zum Ergebnis, dass die Klägerin dem Beklagten mit den auf Fr. 420'000.-- lautenden Schuldanerkennungen einen übermässigen Vorteil abgenötigt hatte, weshalb der Beklagte befugt war, sich auf die Unverbindlichkeit der Erklärungen vom 13. und vom 14. Juli 1989 zu berufen. Dass er den Willensmangel mit Schreiben vom 27. und vom 28. März 1990 rechtzeitig geltend gemacht hat (vgl.
Art. 31 OR
), ist unbestritten.
3.
Die Klägerin wendet allerdings unter Hinweis auf
Art. 20 Abs. 2 OR
ein, die Schuldanerkennung des Beklagten könne nur insoweit ungültig sein, als die versprochene Leistung übermässig sei, was nach den Feststellungen der Vorinstanz nur im Umfang von Fr. 100'000.-- zutreffe. Daraus will die Klägerin ableiten, dass die Schuldanerkennung jedenfalls im Umfang von Fr. 320'000.- ihre Gültigkeit behalten müsse.
Art. 20 Abs. 2 OR
sieht für den Fall, dass nur einzelne Teile eines Vertrages an einem Nichtigkeitsgrund leiden, die blosse Teilnichtigkeit vor. Die Vorschrift ist nach herrschender Auffassung auf Verträge, die mit Willensmängeln behaftet sind, sinngemäss anwendbar (
BGE 96 II 101
E. 3a S. 106 f., mit Hinweisen, bestätigt in
BGE 99 II 308
E. 4c S. 309;
BGE 107 II 144
E. 3 S. 148, 419 E. 3 S. 423 ff.). Bei Verträgen, die aufgrund einer Drohung geschlossen worden sind, steht die Geltendmachung der Teilunverbindlichkeit jedoch grundsätzlich nur dem Bedrohten zu. Die Gegenpartei, die gedroht hat, verdient keinen Schutz, hat sie die einseitige Unverbindlichkeit des Vertrages doch durch ihr eigenes Verhalten verursacht. Es bleibt ihr deshalb grundsätzlich verwehrt, den Einwand bloss teilweiser Unverbindlichkeit zu erheben; sie muss vielmehr die vollständige Unverbindlichkeit des Vertrages akzeptieren, falls der Bedrohte sich darauf beruft (HÜRLIMANN, Teilnichtigkeit von Schuldverträgen
BGE 125 III 353 S. 357
nach
Art. 20 Abs. 2 OR
, Diss. Freiburg 1984, S. 100 Rz. 328; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1998, Rz. 869 und 884; a.M. SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 34 zu Art. 29/30 OR). Das gilt auch, wenn sich die Widerrechtlichkeit der ausgesprochenen Drohung - wie im vorliegenden Fall - erst daraus ergibt, dass sich der Drohende übermässige Vorteile hat einräumen lassen (
Art. 30 Abs. 2 OR
). Wer die Angst des Bedrohten dazu ausnützt, ihm die Einräumung übermässiger Vorteile abzunötigen, verdient den Schutz der Teilnichtigkeitsregeln nicht (so für den verwandten Tatbestand der Übervorteilung HÜRLIMANN, a.a.O., S. 101 f. Rz. 332; KRAMER, Berner Kommentar, N. 51 zu
Art. 21 OR
; vgl. auch
BGE 84 II 107
E. 4 S. 112 f. sowie
BGE 92 II 168
E. 6c S. 179; a.M. BUCHER, a.a.O., S. 237; PIOTET, Note sur les conséquences de la lésion, JdT 106/1958, S. 539). Das Kantonsgericht hat demnach eine Anwendung von
Art. 20 Abs. 2 OR
zu Recht nicht in Betracht gezogen. Die Klägerin ist nicht befugt, blosse Teilunverbindlichkeit des Schuldanerkennungs-Vertrages geltend zu machen, der unter dem Einfluss ihrer Drohungen zustande gekommen ist und durch den sie sich einen übermässigen Vorteil verschafft hat (zum Vertragscharakter der Schuldanerkennung: SCHMIDLIN, a.a.O., N. 35 zu
Art. 17 OR
; SCHWENZER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 17 OR
). Das angefochtene Urteil erweist sich auch in dieser Hinsicht als bundesrechtskonform.
Es bleibt somit dabei, dass die Klägerin aufgrund der Schuldanerkennung über Fr. 420'000.--, die in den Erklärungen vom 13. und vom 14. Juli 1989 enthalten ist, nichts vom Beklagten fordern kann. Sie hätte ihre Schadenersatzforderungen direkt auf das dem Beklagten vorgeworfene Fehlverhalten stützen und im Einzelnen nachweisen müssen, aus welchen Verfehlungen des Beklagten ihr welcher Schaden entstanden ist. Diesbezüglich hat sie jedoch im kantonalen Verfahren offenbar eine hinreichende Substanzierung ihrer Klage unterlassen. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
98d75683-20ba-4079-a756-5b03d969a7fe | Urteilskopf
121 III 81
21. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 28. März 1995 i.S. M. (Rekurs) | Regeste
Löschung einer auf Irrtum des Gläubigers beruhenden Betreibung im Betreibungsregister.
Die Löschung einer auf Irrtum des Gläubigers beruhenden Betreibung hat analog zur nichtigen Betreibung (
BGE 115 III 24
ff.) zu geschehen. Der Registereintrag ist mit dem Vermerk zu versehen, dass die Betreibung vom Gläubiger irrtümlicherweise angehoben worden ist. Die so gekennzeichnete Betreibung darf fortan in den Registerauszügen nicht mehr erwähnt werden (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 121 III 81 S. 81
Am 19. Oktober 1994 erhob M. beim Bezirksgericht Uster als untere Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde gegen den Auszug aus dem Betreibungsregister des Betreibungsamtes Y. und beantragte, den die Betreibung Nr. ... betreffenden Eintrag im Betreibungsregister zu löschen, so dass er auf dem Auszug nicht mehr erscheine; zur Begründung
BGE 121 III 81 S. 82
brachte er vor, diese Betreibung sei von der Gläubigerin irrtümlich angehoben worden, was diese denn auch bestätigte. Das Bezirksgericht Uster wies die Beschwerde mit Beschluss vom 6. Dezember 1994 ab.
Einen dagegen eingereichten Rekurs wies das Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs seinerseits am 5. Januar 1995 ab.
Mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt M., den Beschluss vom 5. Januar 1995 aufzuheben und die fragliche Betreibung für die amtsexterne Öffentlichkeit zu löschen.
In ihrer Vernehmlassung bestätigt die Gläubigerin die irrtümliche Einleitung der Betreibung und weist darauf hin, dass sie deswegen beim Betreibungsamt Y. um deren Löschung ersucht habe.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer heisst den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde (
Art. 81 OG
i.V.m.
Art. 63 Abs. 2 OG
) wurde die strittige Betreibung durch den Gläubiger irrtümlicherweise angehoben. Ob in einem solchen Fall mit dem Eintrag im Betreibungsregister gleich wie bei nichtigen Betreibungen verfahren werden kann, hat das Bundesgericht bisher, soweit ersichtlich, noch nicht dargelegt. Insbesondere ging es in
BGE 119 III 97
ff. nicht um diese Problematik. Dieser Entscheid betraf vielmehr den Fall, in dem der Gläubiger parallel zur an sich berechtigten Betreibung Verhandlungen mit dem Schuldner geführt und im Anschluss an die Einigung unter den Parteien die Betreibung zurückgezogen hat (
BGE 119 III 97
E. 3a S. 99). Zudem hatte der Schuldner dort um Löschung des Eintrags ersucht.
b) Während von einem vereinzelten Autor die Ansicht vertreten wird, dass es sich auch bei einer vom Gläubiger irrtümlicherweise eingeleiteten Betreibung rechtfertige, diese der amtsexternen Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich zu machen (vgl. SUTER/VONDERMÜHLL, Die Löschung von Betreibungen unter besonderer Berücksichtigung der Praxis beim Betreibungsamt Basel-Stadt, BlSchK 52/1988 S. 217 ff., insbesondere S. 218/219), erachtet die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons
BGE 121 III 81 S. 83
Basel-Stadt dieses Vorgehen selbst dann für unzulässig, wenn der Gläubiger den Irrtum schriftlich bestätigt (BlSchK 58/1994, Nr. 39 S. 127 ff.). Zur Begründung wird dabei angeführt, da objektive Kriterien zur Feststellung des Irrtums weitgehend fehlten, frage es sich, wie ein Betreibungsbeamter entscheiden könne, ob sich der Gläubiger vor Anhebung der Betreibung geirrt habe. Die Anerkennung der Möglichkeit zur Unterdrückung eines Registereintrages eröffne insbesondere auch die Gefahr des Missbrauchs, könne sich doch ein Gläubiger nach Erhebung des Rechtsvorschlages durch den Schuldner etwa veranlasst sehen, dessen nun zügige Zahlung mit dem Versprechen zu erkaufen, er werde die Löschung der Betreibung wegen Irrtums beantragen. Es sei nicht Sache des Betreibungsamtes, sich in dieser Frage zum Richter zu machen. Der Betreibungsbeamte könne nicht auf einfache Weise überprüfen, ob dem Antrag auf Löschung stattzugeben sei oder nicht. Hinzu komme, dass die Zulassung der Unterdrückung von Registereinträgen sich für einen Schuldner, der sich zum Beispiel aus Unkenntnis um diese Möglichkeit nicht um die an sich berechtigte Löschung bemüht habe, noch nachteiliger auswirken werde; im übrigen verzerre sie das Bild für den das Register einsehenden Dritten (BlSchK 58/1994 S. 131).
4.
a) Im Geschäfts- und Sozialleben wird der Tatsache Bedeutung beigemessen, dass jemand betrieben worden ist (
BGE 119 III 97
E. 1 S. 98;
BGE 115 III 81
E. 3b S. 87). Das Betreibungsregister wird konsultiert, um die Kreditwürdigkeit eines Bewerbers zu beurteilen, für die Behandlung von Zulassungsgesuchen bei bewilligungsbedürftigen Berufen oder auch vor Abschluss einer Wohnungsmiete. Selbstverständlich kann der Betroffene allenfalls gegenüber dem Auskunft Suchenden nachweisen, dass bestimmte Betreibungen ungerechtfertigt waren. Dies erweist sich allerdings als umständlich, besonders wenn der Nachweis mehrmals erbracht werden muss; sodann bleibt fraglich, ob Ruf und Kreditwürdigkeit nicht dennoch Schaden nehmen (SUTER/VONDERMÜHLL, a.a.O. S. 215). Der Betroffene hat damit ein gewichtiges, persönliches Interesse daran, dass eine ungerechtfertigte Betreibung Dritten nicht zugänglich gemacht wird, weshalb denn auch nichts dagegen spricht, eine auf Irrtum des Gläubigers beruhende und damit ungerechtfertigte Betreibung der amtsexternen Öffentlichkeit vorzuenthalten. Das amtliche Interesse am Registereintrag wird dadurch gewahrt, dass die Eintragung, wie im Fall der Nichtigkeit der Betreibung aufgezeigt (
BGE 115 III 24
E. b S. 27 unten), nicht schlechtweg zum Verschwinden gebracht, sondern mit einem entsprechenden Vermerk
BGE 121 III 81 S. 84
gekennzeichnet wird und so für das Betreibungsamt und die Aufsichtsbehörden sichtbar bleibt. Damit wird namentlich auch der erhöhten Beweiskraft, die dem Register gestützt auf
Art. 8 Abs. 3 SchKG
bzw.
Art. 9 ZGB
zuteil wird (
BGE 119 III 97
E. 2 S. 98), Rechnung getragen. Im weiteren ist nicht ersichtlich, welches Interesse der Dritte an der Mitteilung einer irrtümlich eingeleiteten und damit ungerechtfertigten Betreibung haben könnte, zumal dieser Eintrag keinen Aufschluss über Liquidität und Zahlungsmoral des Betriebenen geben kann (vgl. SUTER/VONDERMÜHLL, a.a.O. S. 219 oben).
b) Ferner vermögen auch die Bedenken der kantonalen Rechtsprechung (BlSchK 58/1994 S. 131) eine andere Behandlung der auf Irrtum des Gläubigers beruhenden Betreibung nicht zu rechtfertigen: Um dem Betreibungsamt die Überprüfung des Irrtums des Gläubigers zu ermöglichen, genügt es, wenn der Betriebene dazu angehalten wird, zusammen mit seinem Gesuch eine vom Gläubiger unterschriebene Erklärung beizubringen, in der dieser kurz den Irrtum und die Gründe, welche dazu geführt haben, darlegt. Damit dürfte das Amt durchaus in der Lage sein, rasch und problemlos berechtigte Gesuche von rechtsmissbräuchlichen zu unterscheiden. Bedenken gegen diese Lösung sind um so weniger angebracht, als es dem Amt in unklaren bzw. mangelhaft begründeten Fällen unbenommen bleibt, dem Begehren nicht zu entsprechen und den Betriebenen an die Aufsichtsbehörde zu verweisen. Im konkreten Fall sind die Einwände der kantonalen Rechtsprechung hinsichtlich der Überprüfungsmöglichkeit des Betreibungsamtes ohnehin nicht von Belang, zumal der Rekurrent die obere kantonale Aufsichtsbehörde davon überzeugt hat, dass die Betreibung auf einem Irrtum der Gläubigerin beruht. Diese Feststellung wurde von der Gläubigerin denn auch vor Bundesgericht bestätigt. Angesichts der Bedeutung des Registereintrages für den Schuldner und des damit verbundenen, gewichtigen privaten Interesses an der Vorenthaltung einer nicht gerechtfertigten Betreibung gegenüber dem Auskunft ersuchenden Dritten ist dem Begehren des Rekurrenten stattzugeben. Dass nicht jeder Schuldner ein an sich berechtigtes Gesuch um Vorenthaltung einer nicht gerechtfertigten Betreibung stellen wird, muss wegen des im Spiele stehenden Interesses ebenso in Kauf genommen werden wie der Umstand, dass allenfalls für den Dritten, der das Register einsieht, ein verzerrtes Bild resultieren kann, weil mangels Gesuchs der Betroffenen wohl nie alle Betreibungen, welche auf einem Irrtum des Gläubigers beruhen, durch entsprechende Vorkehren der Öffentlichkeit vorenthalten werden dürften. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
98dbc4af-6a63-49b4-8a3f-9e8f9b1ad7eb | Urteilskopf
84 II 338
46. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Juli 1958 i.S. Bassin gegen Saner und Mitbeteiligte. | Regeste
Ausgleichungspflicht der gesetzlichen Erben (
Art. 626 ZGB
).
Gemischte Schenkung? Bewertung der beidseitigen Leistungen nach den Verhältnissen zur Zeit des Vertragsabschlusses. Einfluss eines limitierten Vorkaufsrechts, einer Nutzniessung, entgeltlicher Wohnrechte und weiterer Belastungen des Käufers auf den Verkehrswert einer Liegenschaft. Muss das Bestehen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung den Beteiligten bewusst gewesen sein? Anordnung des Ausgleichungspflicht im Sinne von
Art. 626 Abs. 1 ZGB
? Vermögensabtretung im Sinne von
Art. 626 Abs. 2 ZGB
. Ausdrückliche Befreiung von der Ausgleichungspflicht? | Sachverhalt
ab Seite 339
BGE 84 II 338 S. 339
A.-
Frau Lina Schluep verwitwete Herrmann, geb. 1884, schloss mit ihrer jüngsten Tochter Helene BassinHerrmann am 8. Oktober 1949 einen öffentlich beurkundeten Vertrag, wonach sie dieser ihre Besitzung in Frittenbach, Gemeinde Lauperswil, ein für Fr. 22'400.-- brandversichertes Wohn- und Geschäftshaus mit 8,35 a Hausplatz, Hofraum, Garten und Acker, zum Preise von Fr. 25'000.-- auf Rechnung künftiger Erbschaft zu Eigentum abtrat. Der Vertrag bestimmte u.a.:
"2. Der Abtretungspreis von Fr. 25'000.-- bleibt während der Dauer der Nutzniessung unzinsbar und zum grössern Teil mit Fr. 15'000.-- bis zum Absterben der Abtreterin gegenseitig unkündbar stehen, während der übrige Teil auf gegenseitig freistehende Kündigung von drei Monaten zahlfällig gestellt werden kann.
Er ist vom Nutzen- und Schadensanfang hinweg zu 1/4 % unter dem Hypothekarzinsfuss der Ersparniskasse in Langnau ... zu verzinsen. Nach dem Absterben der Mutter ist das Kapital in deren Nachlass zur Ausgleichung zu bringen.
3. Nutzniessungsvorbehalt.
Die Abtreterin behält sich das Recht vor, die beschriebene Liegenschaft, so lange es ihr beliebt, auf naturgemässe Art und Weise zu nutzen.
Nutzen und Schaden beginnen der Übernehmerin somit mit dem Absterben der Mutter oder auf den von dieser frei zu bestimmenden Zeitpunkt.
. . . . .
BGE 84 II 338 S. 340
5. Als Zugaben, deren Gegenwert im Liegenschaftsabtretungspreis inbegriffen ist, werden der Übernehmerin mit Wirkung auf Nutzen- und Schadensanfang zu Eigentum übertragen das gesamte Ladenmobiliar, die zur Ausübung des Gewerbes dienenden übrigen Gerätschaften und Beweglichkeiten, sowie der Waschherd, das Waschgeschirr und das Gartenwerkzeug.
6. Vorkaufrechtserrichtung.
Zu Gunsten des Sohnes der Abtreterin, Hans Max Herrmann, Schneider, im Vertragsobjekt wohnhaft, wird ein auf die Dauer unbeschränktes Vorkaufsrecht auf das Vertragsobjekt vorbehalten ... zum gleichen Preis, wie ihn heute die Übernehmerin schuldig wird. ..
7. Wohnrechtsvorbehalte.
a) Zugunsten des obgenannten ... Hans Max Herrmann wird das Recht vereinbart, auf unbeschränkte Zeit die Wohnung im I. Stock des beschriebenen Gebäudes zu einem angemessenen Zins in Miete zu nehmen. Gegenwärtig beträgt dieser Zins Fr. 420.-- per Jahr und es ist der Wunsch der Abtreterin, dass er in Zukunft ungefähr gleich hoch bleibt. ..
b) Die Abtreterin behält sich ferner für sich und ihren Ehemann im beschriebenen Hause ein allgemeines und lebenslängliches Wohnrecht vor gegen angemessene Zinsvergütung.
Die Übernehmerin verpflichtet sich dazu, ihrer Mutter und deren Ehegatten bei Altersbeschwerden und im Krankheitsfalle die einem Familiengliede geziemenden Dienste und Handreichungen unentgeltlich zu erweisen. .."
Der Eigentumsübergang, die Nutzniessung, das Vorkaufsrecht und die Wohnrechte waren nach dem Vertrag im Grundbuch einzutragen. Hans Max Herrmann unterzeichnete den Vertrag mit.
B.-
Am 1. März 1952 verzichtete Frau Schluep auf die Nutzniessung. Sie beanspruchte nur noch das Wohnrecht an einem einzigen Zimmer. Auf Gesuch von Helene Bassin setzte der Regierungsstatthalter von Signau am 22. Januar 1954 auf Grund einer im Abtretungsvertrag enthaltenen Schiedsklausel den jährlichen Mietzins für dieses Zimmer auf Fr. 144.-- fest und erhöhte denjenigen für die Wohnung des Hans Max Herrmann auf jährlich Fr. 520.--. Auf den 1. Januar 1955 vermietete Helene Bassin den seit 1. März 1952 von ihr betriebenen Laden samt der Parterrewohnung an Familie Schneeberger.
C.-
Am 27. November 1956 starb Frau Schluep, die im Februar 1956 zum zweiten Mal Witwe geworden war. Als gesetzliche Erben hinterliess sie ihren Sohn und ihre fünf Töchter. Das öffentliche Inventar über ihren Nachlass
BGE 84 II 338 S. 341
zeigt ein Reinvermögen von rund Fr. 42'000.--. Unter den Aktiven steht mit Fr. 25'000.-- die Forderung der Erblasserin an Helene Bassin gemäss Abtretungsvertrag vom 8. Oktober 1949.
D.-
Am 28. Mai 1957 leiteten die fünf Miterben von Helene Bassin gegen diese Klage ein mit den Begehren, sie sei zu verurteilen, den wirklichen Verkehrswert der an sie abgetretenen Liegenschaft auf richterliche Bestimmung hin in die Teilung der mütterlichen Erbschaft einzuwerfen; eventuell habe sie den Klägern in Wiederherstellung ihrer Pflichtteile gerichtlich zu bestimmende Beträge zu bezahlen. Sie machten geltend, der Wert der Liegenschaft übersteige den Abtretungspreis erheblich. Die Abtretung bedeute daher eine Zuwendung, die gemäss
Art. 626 Abs. 1 und 2 ZGB
auszugleichen oder eventuell gemäss
Art. 527 ZGB
herabzusetzen sei. Hans Max Herrmann legte mit der Klage eine Erklärung des Inhalts vor, dass der im gegenwärtigen Prozess festzusetzende höhere Preis, nämlich der wirkliche Wert der Liegenschaft, auch für sein Vorkaufsrecht massgebend sein solle.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage mit der Begründung, angesichts der Belastungen der Liegenschaft entspreche der realisierbare Wert dem Abtretungspreis; einen allfälligen Mehrwert hätte sie im übrigen gemäss ausdrücklicher Verfügung der Erblasserin nicht auszugleichen.
Der Appellationshof des Kantons Bern (I. Zivilkammer) nahm an, der Verkehrswert der streitigen Liegenschaft habe im Jahre 1949, wenn man den von Hans Max Herrmann damals bezahlten Mietzins berücksichtige, gemäss Expertise Fr. 35'500.-- betragen. Da Hans Max Herrmann mit Erklärung vom 4. April 1957 den wirklichen Wert der Liegenschaft als für sein Vorkaufsrecht massgebend anerkannt habe, stelle dieses für die Beklagte keine Last dar, die den Wert der erhaltenen Leistung herabzusetzen vermöchte. Auch in den Wohnrechten und in der Nutzniessung sei keine solche Last zu erblicken. Es handle sich
BGE 84 II 338 S. 342
um entgeltliche Wohnrechte, und während der Dauer der Nutzniessung habe die Beklagte den Abtretungspreis nicht verzinsen müssen. Der Tatsache, dass Hans Max Herrmann nicht den ortsüblichen Zins zahlen müsse, sei schon dadurch Rechnung getragen worden, dass der Ertragswert auf Grund des wirklichen Mietzinses berechnet worden sei. Richtig sei allerdings, dass das Wohnrecht an und für sich eine gewisse Belastung darstelle, weil dem Berechtigten nicht gekündigt werden könne. Die Beklagte behaupte denn auch, ihr Bruder sei ein unangenehmer Hausbewohner. Um einen allfälligen Minderwert der Liegenschaft darzutun, hätte sie indes beweisen müssen, dass sie wegen ihres Bruders die andere Wohnung im Haus nicht habe vermieten können und deshalb Mietzinsausfälle erlitten habe. Dieser Beweis fehle. Daher sei von einem Verkehrswert der Liegenschaft von Fr. 35'500.-- auszugehen. Daneben habe die Beklagte Zugaben erhalten, die von den Parteien vergleichsweise auf Fr. 1300.-- bewertet worden seien. Zwischen dem Abtretungspreis und dem Wert der Gegenleistung habe demnach ein erhebliches Missverhältnis bestanden, dessen die Erblasserin sich bewusst gewesen sei. Die unentgeltliche Zuwendung an die Beklagte, die unter
Art. 626 Abs. 2 ZGB
falle, mache (Fr. 35'500.-- + Fr. 1300.-- - Fr. 25'000.-- =) Fr. 11'800.-- aus. Eine ausdrückliche Befreiung von der Ausgleichungspflicht sei nicht nachgewiesen, wohl aber die Absicht der Begünstigung im Sinne von
Art. 629 ZGB
, so dass die Beklagte für ihren Vorempfang nur im Rahmen ihres Erbteils von 1/6 des um den Vorempfang vermehrten Nettonachlasses ausgleichungspflichtig sei. Der Pflichtteil der Kläger werde durch diese Beschränkung der Ausgleichungspflicht nicht verletzt. Demgemäss hat der Appellationshof am 30. Dezember 1957 erkannt:
"1. Es wird Akt genommen und gegeben von der Erklärung des Klägers Max Herrmann, dass für sein Vorkaufsrecht bezüglich der Liegenschaft Grundbuch Nr. 1050, Frittenbach, Lauperswil, der wirkliche Wert der Liegenschaft massgebend sein soll.
BGE 84 II 338 S. 343
2. Es wird festgestellt, dass der teilbare Nachlass der Frau Lina Schluep-Herrmann beträgt:
a) Reiner Nachlass Fr. 42'000.--
b) Wert des Vorempfanges der Beklagten " 11'800.--
Total Fr. 53'800.--
3. Die Beklagte wird für ihren Vorempfang für einen Betrag von Fr. 8966.-- [= 1/6 von Fr. 53'800.--] ausgleichungspflichtig erklärt."
E.-
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage. Die Kläger schliessen auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die von den Klägern heute aufgeworfene Frage, ob der Vertrag vom 8. Oktober 1949 zu seiner Gültigkeit der Form des Erbvertrags bedurft hätte, ist ohne jeden Zweifel zu verneinen. Der Vertrag sollte seine Wirkungen keineswegs erst beim Tode der Erblasserin entfalten. Das Gegenteil ergibt sich schon daraus, dass der Übergang des Eigentums auf die Beklagte nach dem Vertrag sofort im Grundbuch einzutragen war. Für einen Vertrag auf Übertragung des Eigentums an einer Liegenschaft unter Lebenden genügt gemäss
Art. 657 ZGB
die Form der öffentlichen Beurkundung, die beobachtet wurde.
2.
Die Ausgleichungspflicht im Sinne von
Art. 626 ZGB
kann nur Platz greifen, wenn ein gesetzlicher Erbe vom Erblasser zu dessen Lebzeiten eine unentgeltliche Zuwendung (libéralité) empfangen hat. Eine solche kann nicht nur im Falle reiner Unentgeltlichkeit der Leistung des Erblassers, sondern auch dann vorliegen, wenn der Erbe dem Erblasser für den erhaltenen Vermögensvorteil zwar ein Entgelt zu leisten hat, dieses aber von erheblich geringerm Wert ist als jener Vorteil, so dass zwischen den beiden Leistungen ein Missverhältnis besteht. In diesem Falle kommt der Wertunterschied zwischen den beiden Leistungen als Gegenstand der Augleichungspflicht in Frage. Bei Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung
BGE 84 II 338 S. 344
ist die Anwendung des
Art. 626 ZGB
dagegen von vornherein ausgeschlossen; ebenso, wenn nur ein unbedeutender Wertunterschied festzustellen ist (
BGE 77 II 38
/39 und dortige Hinweise).
Bei Beurteilung der Frage, ob und allenfalls um wieviel der Wert der Leistung an den Erben den Wert des von diesem zu erbringenden Entgeltes übersteigt, ist auf die Verhältnisse zur Zeit des Geschäftsabschlusses abzustellen. Nimmt der Wert des dem Erben überlassenen Gegenstandes zwischen diesem Zeitpunkt und demjenigen des Erbgangs zu, so wird dadurch ein Geschäft, das bei seinem Abschluss ein rein entgeltliches war, selbstverständlich nicht zu einem teilweise unentgeltlichen. Ebensowenig kann die unentgeltliche Zuwendung, die beim Geschäftsabschluss mit der Festsetzung eines unter dem damaligen Wert des Gegenstandes liegenden Preises erfolgt ist, bei späterer Zunahme des Sachwertes anwachsen. Als Wert der unentgeltlichen Zuwendung zur Zeit des Erbganges, der nach
Art. 630 ZGB
für die Ausgleichung massgebend ist, hat vielmehr in solchen Fällen stets der beim Geschäftsabschluss vorhanden gewesene Wertunterschied zu gelten, der eben den Gegenstand der unentgeltlichen Zuwendung bildete. Eine spätere Steigerung des Wertes des dem Erben überlassenen Gegenstandes kommt beim gemischten wie beim rein entgeltlichen Geschäft allein dem Erwerber zu, wie dieser umgekehrt auch die Folgen einer allfälligen Wertverminderung allein zu tragen hat (
BGE 55 II 163
f.).
Der Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bleibt für die Bewertung der beidseitigen Leistungen grundsätzlich auch massgebend, wenn der Erbe nicht sofort in den vollen Genuss des ihm zugewendeten Vermögensvorteils kommt und (bzw. oder) seine Gegenleistung nicht sofort zu erbringen hat, sondern gegenüber dem Erblasser eine Schuld eingeht, die er erst später, allenfalls erst bei der Erbteilung, zu tilgen hat.
Als Wert einer dem Erben übereigneten Liegenschaft
BGE 84 II 338 S. 345
ist, wenn man es nicht mit einer landwirtschaftlichen Liegenschaft zu tun hat (vgl. zu diesem FalleBGE 54 II 95, 104, 108), ihr Verkehrswert anzusehen.
Im vorliegenden Falle kommt es daher in erster Linie darauf an, welchen Verkehrswert die der Beklagten übereignete Liegenschaft zur Zeit des Vertragsabschlusses angesichts der damals gegebenen Verhältnisse hatte.
3.
Mit diesen von ihr richtig erkannten Grundsätzen hat sich die Vorinstanz in Widerspruch gesetzt, indem sie annahm, das im Vertrag vom 8. Oktober 1949 zugunsten von Hans Max Herrmann vereinbarte limitierte Vorkaufsrecht vermindere den Wert der Leistung, welche die Beklagte damals empfing, deswegen nicht, weil Herrmann am 4. April 1957 auf sein Recht verzichtet habe, das Vorkaufsrecht zum limitierten Preis von Fr. 25'000.-- geltend zu machen, und den wirklichen Wert der Liegenschaft als für sein Vorkaufsrecht massgebend anerkannt habe. Diese lange nach dem Vertragsabschluss, ja sogar erst nach dem Erbfall abgegebene Erklärung kann bei der Bemessung des Verkehrswertes der Liegenschaft zur Zeit des Vertragsabschlusses keine Rolle spielen. Die Beklagte erwarb die Liegenschaft belastet mit dem auf Fr. 25'000.-- limitierten Vorkaufsrecht. Dieses muss daher bei der Ermittlung des damaligen Verkehrswertes der Liegenschaft so gut wie die andern damals vorhanden gewesenen Belastungen berücksichtigt werden. Anders wäre es nur, wenn ein derartiges Vorkaufsrecht den Verkehrswert einer Liegenschaft überhaupt nicht beeinflussen könnte. Das nimmt jedoch die Vorinstanz mit Recht nicht an. Vielmehr hat sie selber ausgeführt, wenn Herrmann auf die Geltendmachung seines Vorkaufsrechts zum Preise von Fr. 25'000.-- nicht verzichtet hätte, hätte man sich fragen können, ob die Beklagte eine Leistung erhalten habe, die den Betrag von Fr. 25'000.-- übersteige. Nach der Lebenserfahrung ist denn auch zum mindesten soviel sicher, dass ein im Grundbuch vorgemerktes limitiertes Vorkaufsrecht die Kauflust und die Preisangebote dritter Interessenten und
BGE 84 II 338 S. 346
damit eben auch den Verkehrswert einer Liegenschaft sehr wohl beeinträchtigen kann.
Ob mehr oder weniger wahrscheinlich sei, dass der Vorkaufsberechtigte gewillt und in der Lage gewesen wäre, sein Recht auszuüben, und ob die Beklagte je versucht habe, die streitige Liegenschaft zu verkaufen, ist entgegen der Auffassung der Kläger unerheblich. Wesentlich ist nur, dass das limitierte Vorkaufsrecht zugunsten Herrmanns bestand und geeignet war, den Wert der Liegenschaft in den Augen allfälliger Kaufsinteressenten zu schmälern.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie den Verkehrswert der an die Beklagte veräusserten Liegenschaft zur Zeit des Vertragsabschlusses unter Berücksichtigung des darauf lastenden limitierten Vorkaufsrechtes feststelle.
4.
Weitere Belastungen, welche die Beklagte mit der Liegenschaft zu übernehmen hatte, sind das zeitlich unbeschränkte Wohnrecht Herrmanns sowie die Nutzniessung und das beim Verzicht darauf aktuell werdende "allgemeine" und lebenslängliche Wohnrecht zugunsten der Erblasserin. Obwohl die Wohnrechte entgeltlich waren und die Beklagte während der Dauer der Nutzniessung den "Abtretungspreis" nicht zu verzinsen hatte, waren auch diese Lasten dazu angetan, den damaligen Verkehrswert der Liegenschaft ungünstig zu beeinflussen. Wenn bei der Ertragswertberechnung, die ein Element der vom vorinstanzlichen Experten vorgenommenen Verkehrswertschätzung bildete, auf den von Herrmann tatsächlich bezahlten, unter dem normalen Ansatz liegenden "Mietzins" abgestellt wurde, so ist damit der in diesem Wohnrecht bestehenden Belastung nicht voll Rechnung getragen worden. Es liegt auf der Hand, dass bei einer Liegenschaft wie der streitigen, die ein Dritter kaum als Renditenobjekt, sondern höchst wahrscheinlich nur für den Eigengebrauch erwerben wird, das Bestehen von langfristigen Wohnrechten, die nach dem massgebenden Vertrag sozusagen alle Räumlichkeiten erfassen, auf den Verkehrswert drückt,
BGE 84 II 338 S. 347
selbst wenn die Wohnberechtigten für die Benützung ihrer Räume ein angemessenes Entgelt zu entrichten haben. Die Vorinstanz hat denn auch selber erkannt, dass unkündbare Wohnrechte schon "an und für sich eine gewisse Belastung darstellen", aus dieser Erkenntnis aber praktisch keine Konsequenzen gezogen. Sie hat daher in ihrem neuen Urteil bei der Ermittlung des Verkehrswerts der Liegenschaft im Jahre 1949 nicht nur dem limitierten Vorkaufsrecht Rechnung zu tragen, sondern darüber hinaus die erwähnten weitern Lasten voll zu berücksichtigen. Indem sie dies unterliess, hat sie die für die Schätzung massgebenden G rundsätze verletzt, deren Einhaltung das Bundesgericht zu überprüfen hat (vgl.
BGE 82 II 399
Erw. 4).
Ob Herrmann ein unangenehmer Hausgenosse sei und dies die Vermietung der andern Wohnung im Hause der Beklagten oder dessen Verkauf erschwere, ist nicht zu untersuchen, weil die Vorfälle, aus denen die Beklagte diesen Schluss ziehen will, sich nach ihrer eigenen Darstellung erst nach Abschluss des Vertrags vom 8. Oktober 1949 zugetragen haben, so dass darauf bei der Ermittlung des damaligen Wertes der Liegenschaft nicht Rücksicht genommen werden darf. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Bestehen unkündbarer Wohnrechte, die sich auf alle oder fast alle Räume im Haus erstrecken, den Verkehrswert der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen kann.
5.
Bei Vergleichung des Wertes, der den beidseitigen Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zukam, ist schliesslich auch die von der Vorinstanz mit Stillschweigen übergangene Verpflichtung der Beklagten, der Erblasserin und ihrem Ehemann bei Altersbeschwerden und im Krankheitsfall unentgeltlich gewisse Dienste zu leisten, angemessen zu berücksichtigen. Mag diese Verpflichtung später auch nicht praktisch geworden sein, so durfte sie bei der Festsetzung des "Abtretungspreises" doch in Betracht gezogen werden.
6.
Sollte sich ergeben, dass die Leistungen der Erblasserin diejenigen der Beklagten auch dann erheblich
BGE 84 II 338 S. 348
übersteigen, wenn die von der Beklagten übernommenen Lasten gehörig berücksichtigt werden, so wäre nach der Rechtsprechung das Vorliegen einer unentgeltlichen Zuwendung im Sinne von
Art. 626 ZGB
dann zu bejahen, wenn die Vertragsparteien sich des bestehenden Missverhältnisses bewusst waren und den Preis absichtlich unter dem Wert der Leistungen der Erblasserin ansetzten, um die Differenz der Beklagten unentgeltlich zukommen zu lassen; nur unter dieser weitern Voraussetzung kann nach der Praxis von einem sog. negotium mixtum cum donatione gesprochen werden (
BGE 77 II 39
und dortige Hinweise; vgl. auch
BGE 82 II 433
Erw. 5 und
BGE 84 II 252
Erw. 7). InBGE 77 II 40oben hat das Bundesgericht freilich die Frage aufgeworfen, ob bei einem Geschäft mit einem Nachkommen ein grobes Missverhältnis der Leistungen zugunsten dieses letztern allenfalls für die Annahme einer unentgeltlichen Zuwendung im Sinne von
Art. 626 ZGB
genügen könnte, auch wenn es beim Geschäftsabschluss nicht erkannt wurde. Diese damals offen gelassene Frage braucht indes auch im vorliegenden Falle kaum entschieden zu werden; denn wenn sich schon herausstellen würde, dass zwischen den Leistungen der Erblasserin einerseits und der Beklagten anderseits wirklich ein grobes Missverhältnis bestanden habe, so dürfte auf Grund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz über die vor, bei und nach dem Vertragsabschluss gefallenen Äusserungen auch angenommen werden, dass das Bestehen eines Missverhältnisses den Beteiligten bewusst gewesen sei. Ob ihnen der allenfalls bestehende Wertunterschied der Höhe nach bekannt gewesen sei, kann entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rolle spielen.
7.
Zu den Fragen, die sich stellen, wenn eine unentgeltliche Zuwendung der Erblasserin an die Beklagte vorliegen sollte, genügen wenige Bemerkungen.
a) Es kann keine Rede davon sein, dass die Erblasserin im Sinne von
Art. 626 Abs. 1 ZGB
die Ausgleichung angeordnet habe. Die Bestimmung in Ziffer 2 des Vertrages vom 8. Oktober 1949, wonach der Kapitalbetrag des
BGE 84 II 338 S. 349
Abtretungspreises nach dem Ableben der Mutter "in deren Nachlass zur Ausgleichung zu bringen ist", bedeutet nur, dass die Preisforderung der Erblasserin an die Beklagte bei der Erbteilung im Sinne von
Art. 614 ZGB
dieser anzurechnen sei. Mit Ausgleichung im Sinne von
Art. 626 ZGB
hat dies nichts zu tun.
b) Die Ausgleichungspflicht der Beklagten ergäbe sich dagegen aus
Art. 626 Abs. 2 ZGB
, wonach die Nachkommen des Erblassers ausser Zuwendungen als Heiratsgut oder Ausstattung u.a. auch solche "durch Vermögensabtretung" auszugleichen haben. Eine solche lag, wenn man es überhaupt mit einer unentgeltlichen Zuwendung zu tun hat, zweifellos vor, da der Begriff der Vermögensabtretung nicht nur die Abtretung des ganzen Vermögens, sondern auch diejenige einzelner bedeutender Vermögenswerte umfasst (vgl. TUOR N. 39, ESCHER, 2. Aufl., N. 37 zu
Art. 626 ZGB
).
c) Dass die Erblasserin die Beklagte im Sinne von
Art. 626 Abs. 2 ZGB
ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht befreit habe, könnte nicht angenommen werden. Insbesondere liesse sich ein solcher Dispens nicht aus der unter a) erwähnten Bestimmung des Vertrages vom 8. Oktober 1949 ableiten, da jene Bestimmung, wie schon gesagt, mit der Ausgleichung im Rechtssinne überhaupt nichts zu tun hat. Mit der Vorinstanz wäre dagegen die Begünstigungsabsicht im Sinne von
Art. 629 ZGB
zu bejahen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil der I. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern vom 30. Dezember 1957 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
98e35280-4c1f-4177-92cf-8066cadfa2db | Urteilskopf
138 II 557
39. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause Fondation de prévoyance X. contre Administration cantonale des impôts du canton de Vaud (recours en matière de droit public)
2C_199/2012 du 23 novembre 2012 | Regeste
Art. 103 FusG
,
Art. 24 Abs. 3 und 3
quater
StHG
; Handänderungssteuer bei Umstrukturierungen.
Art. 103 FusG
ist eine direkt anwendbare Norm des Bundesrechts; sie bedarf keiner Konkretisierung durch das kantonale Recht und dieses kann nicht von ihr abweichen (E. 4.2).
Lediglich der Begriff der "Umstrukturierung" ist im Handänderungssteuerrecht zu verwenden, unter Ausschluss der übrigen Kriterien, welche das StHG für die Befreiung von den direkten Steuern aufstellt (E. 5.2).
Der Begriff der Umstrukturierung im Sinn von
Art. 24 Abs. 3 StHG
umfasst die Fusion, die Spaltung und die Umwandlung, nicht aber die Vermögensübertragung; diese ist in
Art. 24 Abs. 3
quater
StHG
geregelt (E. 6.1 und 7.3).
Die im Wortlaut von
Art. 24 Abs. 3quater StHG
enthaltene Beschränkung auf gewisse Gesellschaftsformen (E. 7.2) steht dem grundlegenden Ziel des FusG entgegen, die Flexibilität der Unternehmen bei der Wahl ihrer Rechtsform zu erhöhen (E. 7.5).
Der Begriff des Konzerns gemäss
Art. 663
e
OR
gebietet nicht,
Art. 24 Abs. 3
quater
StHG
einzig auf Konzerne anzuwenden, die aus Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften bestehen (E. 7.4). Eine Vermögensübertragung zwischen zwei Gesellschaften des gleichen Konzerns ist auch von der Handänderungssteuer befreit, wenn die übernehmende Gesellschaft eine Vorsorgestiftung ist (E. 7.5). | Sachverhalt
ab Seite 558
BGE 138 II 557 S. 558
A.
La fondation de prévoyance X. (ci-après: la Fondation) détenait l'ensemble des actions de la société immobilière B. SA (ci-après: la Société immobilière), propriétaire de cinq parcelles sises à C. Par acte notarié du 6 mai 2010, la Société immobilière a transféré à la Fondation des actifs comprenant les cinq parcelles précitées pour 17'451'842 fr. et des passifs, à savoir une dette hypothécaire de 16'091'354 fr. 60, soit un transfert net d'actifs de 1'360'487 fr. 40. Il ressort du registre du commerce que la Société immobilière a fusionné avec effet au 31 décembre 2011 avec la société D. SA et lui a transféré ses actifs et passifs restants.
B.
Par décision de taxation du 15 juillet 2010, l'Administration cantonale des impôts du canton de Vaud (ci-après: l'Administration cantonale) a fixé le montant du droit de mutation en matière cantonale
BGE 138 II 557 S. 559
et communale découlant du transfert du 6 mai 2010 à 574'000 fr., sur la base d'éléments imposables arrêtés à 17'400'000 fr.
Par arrêt du 27 janvier 2012, le Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: le Tribunal cantonal) a rejeté le recours déposé par la Fondation contre cette taxation.
C.
Par acte du 28 février 2012, la Fondation dépose un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral à l'encontre de l'arrêt du 27 janvier 2012. Elle conclut, principalement, à l'annulation de cet arrêt et à ce qu'il soit déclaré qu'elle est exonérée du droit de mutation fixé par décision de l'Administration cantonale du 15 juillet 2010, le tout sous suite de frais et dépens. Subsidiairement, elle requiert le renvoi de l'affaire à l'autorité de taxation pour qu'elle procède au dégrèvement des droits de mutation fixés dans la décision de taxation du 15 juillet 2010.
Le Tribunal fédéral admet le recours, annule l'arrêt attaqué et exonère la recourante du droit de mutation litigieux.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.1
Les droits de mutation sont des impôts perçus par les cantons sur les transferts de propriété immobilière. Il s'agit d'impôts indirects qui n'entrent pas dans le mandat d'harmonisation fiscale de la Confédération de l'
art. 129 Cst.
et qui relèvent exclusivement du droit cantonal (cf.
ATF 127 II 1
consid. 2b/aa p. 4; arrêts 2C_713/2010 du 11 février 2011 consid. 1.3; 2C_753/2010 du 23 mars 2011 consid. 1.2). Le Parlement a adopté l'art. 103 de la loi du 3 octobre 2003 sur la fusion, la scission, la transformation et le transfert de patrimoine (loi sur la fusion, LFus; RS 221.301) en se fondant sur l'
art. 122 Cst.
, qui donne à la Confédération la compétence de légiférer en matière de droit civil et qui l'autorise à opérer sur cette base lorsque l'application du droit civil devient impossible ou excessivement compliquée (cf. BO 2003 CN 248 ss).
4.2
L'
art. 103 LFus
se distingue des normes de la législation sur l'harmonisation fiscale, qui ne sont directement applicables que si les dispositions du droit fiscal cantonal s'en écartent (cf. art. 72 al. 2 de la loi du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes [LHID; RS 642.14]; STEFAN OESTERHELT, in Basler Kommentar, Fusionsgesetz, Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [éd.], 2005 [ci-après: BK], n° 32 ad
art. 103 LFus
). L'
art. 103 LFus
BGE 138 II 557 S. 560
est en effet une norme fédérale d'application directe, qui ne nécessite aucune concrétisation par le droit cantonal (cf. STEFAN OESTERHELT, Umsetzung von Art. 103 FusG durch die kantonalen Gesetzgeber, RF 65/2010 p. 522; ERWIN R. GRIESSHAMMER, in Zürcher Kommentar zum Fusionsgesetz, Frank Vischer [éd.], 2
e
éd. 2012, n° 12 ad
art. 103 LFus
). Les cantons restent cependant libres de prévoir un allégement supplémentaire dès lors que les droits de mutation reposent en principe sur le droit cantonal. Lorsque les normes cantonales vont au-delà de l'
art. 103 LFus
, le contribuable peut ainsi se prévaloir tant du droit fédéral que du droit cantonal (cf. OESTERHELT, in BK, n° 32 ad
art. 103 LFus
).
En revanche, tant que les dispositions cantonales se contentent de reprendre la teneur de l'
art. 103 LFus
, cela n'en fait pas du droit cantonal distinct. En effet, lorsqu'un canton, en dehors de sa compétence, reproduit dans sa législation, en termes identiques, une règle qui figure dans la législation fédérale, la règle cantonale n'a pas d'effet juridique propre, puisque cet effet est produit par la règle fédérale (cf. AUBERT/MAHON, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse, 2003, n° 6 ad
art. 49 Cst.
).
4.3
L'
art. 103 LFus
est entré en vigueur le 1
er
juillet 2009 et, depuis cette date, il fait obstacle à l'application de règles cantonales plus restrictives. Selon l'art. 3 al. 1 let. i de la loi vaudoise du 27 février 1963 concernant le droit de mutation sur les transferts immobiliers et l'impôt sur les successions et donations (LMSD/VD; RSV 648.11), le droit de mutation n'est pas perçu sur les transferts d'immeubles lors de restructurations au sens des art. 22 al. 1 et 3 et 97 al. 1 et 3 de la loi vaudoise du 4 juillet 2000 sur les impôts directs cantonaux (LI/VD; RSV 642.11). Cette dernière disposition, ainsi que le Tribunal cantonal l'a relevé à juste titre, reprend textuellement la teneur de l'art. 24 al. 3 et 3
quater
LHID. De son côté, l'
art. 103 LFus
prévoit que la perception de droits de mutation cantonaux ou communaux est exclue en cas de restructuration au sens des art. 8 al. 3 et 24 al. 3 et 3
quater
LHID. La teneur de l'art. 3 al. 1 let. i LMSD/VD est par conséquent identique à celle de l'
art. 103 LFus
. Dans ces conditions, la présente affaire doit être examinée exclusivement sous l'angle de l'
art. 103 LFus
et des dispositions de la LHID auxquelles il renvoie. Les art. 3 al. 1 let. i LMSD/VD et 97 al. 1 et 3 LI/VD, qui reprennent la teneur des dispositions fédérales, n'ont, dans ce contexte, aucune portée propre.
BGE 138 II 557 S. 561
5.
5.1
Aux termes de l'
art. 103 LFus
, la perception de droits de mutation cantonaux ou communaux est exclue en cas de restructuration au sens, notamment, de l'art. 24 al. 3 et 3
quater
LHID. Celui-ci a la teneur suivante:
3
Les réserves latentes d'une personne morale ne sont pas imposées lors de restructurations, notamment lors d'une fusion, d'une scission ou d'une transformation, pour autant que la personne morale reste assujettie à l'impôt en Suisse et que les éléments commerciaux soient repris à leur dernière valeur déterminante pour l'impôt sur le bénéfice:
a. en cas de transformation en une société de personnes ou en une autre personne morale;
b. en cas de division ou séparation d'une personne morale à condition que ce transfert ait pour objet une ou plusieurs exploitations ou parties distinctes d'exploitation et pour autant que les personnes morales existantes après la scission poursuivent une exploitation ou partie distincte d'exploitation;
c. en cas d'échange de droits de participation ou de droits de sociétariat suite à une restructuration ou à une concentration équivalant économiquement à une fusion;
d. en cas de transfert à une société fille suisse d'exploitations ou de parties distinctes d'exploitations ainsi que d'éléments qui font partie des biens immobilisés de l'exploitation; on entend par société fille une société de capitaux ou une société coopérative dont la société de capitaux ou la société coopérative qui la transfère possède au moins 20 % du capital-actions ou du capital social.
3quater
Des participations directes ou indirectes de 20 % au moins du capital-actions ou du capital social d'une autre société de capitaux ou d'une société coopérative, mais aussi des exploitations ou des parties distinctes d'exploitation ainsi que des éléments qui font partie des biens immobilisés de l'exploitation, peuvent être transférées, à leur dernière valeur déterminante pour l'impôt sur le bénéfice, entre des sociétés de capitaux ou des sociétés coopératives suisses qui, à la lumière des circonstances et du cas d'espèce et grâce à la détention de la majorité des voix ou d'une autre manière, sont réunies sous la direction unique d'une société de capitaux ou d'une société coopérative. Sont réservés:
a. le transfert à une société fille selon l'art. 24, al. 3, let. d;
b. le transfert d'éléments qui font partie des biens immobilisés de l'exploitation à une société qui est imposée selon l'art. 28, al. 2 à 4.
5.2
L'application de l'
art. 103 LFus
suppose que l'on soit en présence d'une restructuration. Le Tribunal cantonal a laissé ouverte la question de savoir si tel était le cas en l'espèce au motif que les autres conditions posées par l'art. 24 al. 3 et 3
quater
LHID, en particulier
BGE 138 II 557 S. 562
le maintien de l'assujettissement en Suisse et la forme juridique des sociétés concernées, n'étaient de toute manière pas remplies. La recourante conteste cette appréciation.
L'
art. 103 LFus
renvoie à la notion de restructuration au sens de l'art. 24 al. 3 et 3
quater
LHID - qui a par ailleurs la même teneur que l'
art. 61 al. 1 et 3 LIFD
(RS 642.11). Ce renvoi vise à réaliser un parallélisme des conséquences fiscales des restructurations (cf. OESTERHELT, in BK, n° 16 ad
art. 103 LFus
) et à harmoniser les concepts de restructuration en droit fiscal avec ceux de la LFus (cf. AMSTUTZ/MABILLARD, Fusionsgesetz, 2008, n° 3 ad
art. 103 LFus
). Ainsi que la doctrine le relève avec pertinence, en ce qui concerne le droit de mutation, ce renvoi est cependant maladroit (cf. OESTERHELT, in BK, n
os
16 ss ad
art. 103 LFus
; AMSTUTZ/MABILLARD, loc. cit.). En effet, le droit de mutation est un impôt indirect qui frappe les transactions juridiques et non un impôt sur le revenu ou le bénéfice. En outre, la base de calcul du droit de mutation est en règle générale le prix de vente intégral et non la plus-value réalisée comme en matière d'impôts directs. La condition de la reprise des éléments commerciaux à leur dernière valeur déterminante pour l'impôt sur le bénéfice, telle que prévue à l'
art. 24 al. 3 LHID
, ne saurait ainsi constituer une condition pour l'exonération du droit de mutation (cf. OESTERHELT, in BK, n° 17 ad
art. 103 LFus
). De même, l'exonération du droit de mutation ne saurait dépendre du maintien de l'assujettissement de la société concernée à l'impôt en Suisse, comme le précise l'
art. 24 al. 3 LHID
. En ce qui concerne le droit de mutation, impôt sur les transactions juridiques perçu sur le prix de vente d'un immeuble, le substrat fiscal dépend en effet de l'immeuble et reste par conséquent toujours lié à celui-ci (cf. OESTERHELT, in BK, n° 18 ad
art. 103 LFus
), situé en Suisse. Enfin, la question de savoir si la personne morale qui se prévaut de l'exonération du droit de mutation est assujettie à l'impôt sur le bénéfice ne saurait, pour les mêmes raisons, être déterminante non plus, quand bien même l'
art. 24 LHID
se trouve dans le chapitre consacré à cet impôt. Une institution exonérée des impôts directs peut donc également se prévaloir de l'exonération du droit de mutation (cf. OESTERHELT, in BK, n° 19 ad
art. 103 LFus
). Le renvoi à l'art. 24 al. 3 et 3
quater
LHID contenu à l'
art. 103 LFus
doit par conséquent être interprété de telle manière à ce que seul le concept de "restructuration" doit être utilisé en matière de droit de mutation, à l'exclusion des autres conditions établies par la LHID pour permettre l'exonération des impôts directs (cf. AMSTUTZ/MABILLARD, loc. cit.), en particulier celle du maintien de l'assujettissement de la société concernée à l'impôt en Suisse.
BGE 138 II 557 S. 563
5.3
Le Tribunal cantonal a retenu que les immeubles ayant été transférés à une fondation qui bénéficie de l'exonération fiscale, la condition du maintien de l'assujettissement en Suisse n'était pas réalisée, de sorte que le transfert de patrimoine ne pouvait bénéficier de l'exonération du droit de mutation. A la lumière de ce qui vient d'être exposé, cette opinion ne saurait être suivie. Cela ne signifie pas encore que le recours doive forcément être admis, si d'autres motifs permettent de justifier la solution retenue dans l'arrêt attaqué.
6.
Au vu de ce qui précède, il s'avère nécessaire d'examiner si l'opération intervenue entre la Fondation et la Société immobilière constitue une restructuration au sens de l'
art. 103 LFus
en relation avec l'
art. 24 al. 3 LHID
.
6.1
Au regard de l'
art. 24 al. 3 LHID
, la notion de restructuration recouvre en principe la fusion, la scission et la transformation (cf. OESTERHELT, in BK, n° 15 ad
art. 103 LFus
). La notion de restructuration selon l'
art. 24 al. 3 LHID
ne comprend en revanche pas le transfert de patrimoine, raison pour laquelle un tel transfert ne peut être effectué en neutralité fiscale en application de cette disposition (cf. RIEDWEG/GRÜNBLATT, in Basler Kommentar, Fusionsgesetz, Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [éd.], 2005,n
os
158 et 71 ad Teil 1 vor
art. 69 LFus
), à moins qu'il ne réalise simultanément l'état de fait de la fusion, de la transformation ou de la scission (cf. OESTERHELT, in BK, n° 21 ad
art. 103 LFus
). Il convient d'examiner ces notions.
6.2
Le terme de fusion de la clause générale de l'
art. 24 al. 3 LHID
comprend les fusions proprement dites effectuées selon les modalités des
art. 3 ss LFus
ainsi que les fusions improprement dites, à savoir les opérations économiquement équivalentes à des fusions, réalisées par le biais de l'institution du transfert de patrimoine. Elles impliquent en tous les cas le transfert de l'intégralité des actifs et passifs et la dissolution de l'entité transférante (cf. GLAUSER/OBERSON, in Commentaire romand, Impôt fédéral direct, Yersin/Noël [éd.], 2008, n° 18 adart. 61 LIFD; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 2
e
éd. 2009, n° 42 ad
art. 61 LIFD
; MARKUS REICH, in Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG],in Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Zweifel/Athanas [éd.], 2
e
éd. 2008, n° 23 ad
art. 61 LIFD
; LUDWIG/TAROLLI SCHMIDT, in Zürcher Kommentar zum Fusionsgesetz, Frank Vischer [éd.], 2
e
éd. 2012, n° 2 ad Steuern [Fusion]).
En l'espèce, par acte notarié du 6 mai 2010, la Fondation a repris une partie du patrimoine de la Société immobilière, à savoir des actifs
BGE 138 II 557 S. 564
pour 17'451'842 fr. et des passifs pour 16'091'354 fr. Selon les indications figurant au registre du commerce, accessibles par internet - qui sont des faits notoires que le Tribunal fédéral peut librement prendre en compte (cf.
ATF 135 III 88
consid. 4.1 p. 89 s.; arrêt 4A_645/2011 du 27 janvier 2012 consid. 3.4.2) -, les actifs et passifs restants ont été repris ultérieurement par une autre société, ce qui a entraîné la radiation de la Société immobilière au 31 décembre 2011 par suite de fusion avec cette dernière. Dès lors que l'opération de transfert de patrimoine à l'origine de la présente affaire ne portait pas sur l'intégralité des actifs et passifs de la Société immobilière et qu'elle n'a pas entraîné la dissolution de celle-ci, elle ne saurait être assimilée à une fusion au sens de l'
art. 24 al. 3 LHID
.
6.3
Lors de la transformation envisagée par l'
art. 24 al. 3 let. a LHID
, qui se réfère aux
art. 53 ss LFus
, l'élément caractéristique réside dans le fait qu'une personne morale change de forme juridique tout en maintenant son activité (cf. GLAUSER/OBERSON, op. cit., n° 35 ad
art. 61 LIFD
; REICH, op. cit., n° 72 ad
art. 61 LIFD
; SAUPPER/MÜLLER, in Basler Kommentar, Fusionsgesetz, Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [éd.],2005, n° 1 ad vor
art. 53 LFus
; LUDWIG/NIEDERER, in Zürcher Kommentar zum Fusionsgesetz, Frank Vischer [éd.], 2
e
éd. 2012, n° 2 ad Steuern [Umwandlung]).
Ce n'est pas une opération de ce type qui a eu lieu en l'espèce puisque le transfert de patrimoine concernait deux personnes morales qui ont conservé leur forme juridique respective. Dans ces conditions, on n'est pas en présence d'une restructuration au sens de l'
art. 24 al. 3 let. a LHID
.
6.4
En ce qui concerne la scission, elle est régie par l'
art. 24 al. 3 let. b LHID
en relation avec les
art. 29 ss LFus
. Une scission peut ainsi s'effectuer en neutralité fiscale pour autant qu'après l'opération les deux parties issues de la scission poursuivent une exploitation ou une partie d'exploitation (cf. arrêt 2C_784/2008 du 7 juillet 2009 consid. 3.5; GLAUSER/OBERSON, op. cit., n° 41 ad
art. 61 LIFD
; REICH, op. cit., n° 101 ad
art. 61 LIFD
; RIEDWEG/GRÜNBLATT, op. cit., n° 41 ad vor
art. 29 LFus
; GRIESSHAMMER, op. cit., n° 3 ad Steuern [Spaltung]). Cettecondition du maintien d'une double exploitation s'explique en particulier par le souci d'éviter des abus, notamment le transfert de toute une exploitation avec, chez le sujet transférant, seuls quelques actifs isolés qui resteraient et pourraient ensuite être vendus avec la société scindée (cf. GLAUSER/OBERSON, loc. cit.; RIEDWEG/GRÜNBLATT, op. cit., n° 44 ad vor
art. 29 LFus
). L'exploitation se caractérise par un
BGE 138 II 557 S. 565
degré élevé d'autonomie et constitue une organisation capable de subsister par elle-même (cf. OLIVER KÜNZLER, Konzernübertragung im Privat- und Steuerrecht, 2006, p. 155; REICH, op. cit., n
os
103 ad art. 61 et 60 ad
art. 19 LIFD
; RIEDWEG/GRÜNBLATT, op. cit., n° 48 ad vor
art. 29 LFus
). La partie d'exploitation représente quant à elle la plus petite entité capable de subsister de manière autonome (cf. RIEDWEG/GRÜNBLATT, op. cit., n° 49 ad vor
art. 29 LFus
; KÜNZLER, op. cit., p. 156).
En l'espèce, après la cession des immeubles et des dettes hypothécaires qui y étaient liées, la Société immobilière ne disposait plus que de quelques actifs circulants ainsi que de ses fonds propres. En effet, ainsi que cela ressort de l'extrait du registre du commerce relatif à la société qui a ultérieurement repris ses actifs et passifs restants, ceux-ci se montaient à respectivement 519'921 fr. 84 et 0 fr. 00. Dans ces conditions, on ne saurait admettre qu'elle représentait encore une exploitation ou partie d'exploitation au sens précité. On n'est par conséquent pas en présence d'une scission au sens de l'
art. 24 al. 3 let. b LHID
.
6.5
Le transfert de patrimoine intervenu entre la Fondation et la Société immobilière ne constitue par conséquent ni une fusion, ni une transformation, ni une scission, de sorte qu'on n'a pas affaire à une restructuration au sens de l'
art. 24 al. 3 LHID
. La recourante ne peut ainsi prétendre à être exonérée du droit de mutation conformément à l'
art. 103 LFus
en relation avec l'
art. 24 al. 3 LHID
.
7.
La recourante estime qu'en dépit de son statut juridique de fondation, elle peut néanmoins se prévaloir de l'art. 24 al. 3
quater
LHID bien que le texte de cette disposition restreigne la neutralité fiscale du transfert de patrimoine entre des sociétés d'un même groupe aux transferts intervenant entre sociétés de capitaux et sociétés coopératives. Il convient d'examiner si tel est le cas.
7.1
Selon la jurisprudence, la loi s'interprète en premier lieu d'après sa lettre. Si le texte légal n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il faut rechercher la véritable portée de la norme, en la dégageant de sa relation avec d'autres dispositions légales, de son contexte, du but poursuivi, de son esprit ainsi que de la volonté du législateur, telle qu'elle résulte notamment des travaux préparatoires (cf.
ATF 137 II 164
consid. 4.1 p. 170 s.). Lorsque le texte légal est clair, l'autorité qui applique le droit ne peut s'en écarter que s'il existe des motifs sérieux de penser que ce texte ne correspond pas en tous points au sens véritable de la disposition visée et
BGE 138 II 557 S. 566
conduit à des résultats que le législateur ne peut avoir voulus et qui heurtent le sentiment de la justice ou le principe de l'égalité de traitement. De tels motifs peuvent résulter des travaux préparatoires, du fondement et du but de la prescription en cause, ainsi que de sa relation avec d'autres dispositions (cf.
ATF 137 II 246
consid. 6 p. 250 s.;
ATF 131 I 394
consid. 3.2 p. 396). L'
art. 190 Cst.
, qui contraint le Tribunal fédéral à appliquer les lois fédérales, ne fait pas obstacle à une interprétation qui irait à l'encontre du texte de la disposition légale. S'il existe de bonnes raisons d'admettre que le texte de la disposition ne reproduit pas son vrai sens - la
ratio legis
- il est possible de s'en écarter afin d'interpréter la disposition selon son sens véritable, surtout si celui-ci apparaît plus conforme à la Constitution que son texte (cf.
ATF 131 II 217
consid. 2.3 p. 221).
7.2
L'application de l'
art. 24 al. 3 LHID
n'est pas limitée aux seules sociétés de capitaux et sociétés coopératives, de sorte que toutes les personnes morales peuvent en bénéficier (cf. OBERSON/GLAUSER, in Commentaire LFus, Peter/Trigo Trindade [éd.], 2005, n° 4 ad art. 61LIFD). Le texte de l'art. 24 al. 3
quater
LHID prévoit en revanche que des éléments de patrimoine ne peuvent être transférés - en neutralité fiscale - qu'entre des sociétés de capitaux ou des sociétés coopératives qui sont réunies sous la direction unique d'une société de capitaux ou d'une société coopérative. Selon une interprétation littérale, le transfert d'éléments patrimoniaux au sein d'un groupe en faveur d'une fondation n'est par conséquent pas possible en neutralité fiscale puisqu'il ne s'agit pas d'une société de capitaux ou d'une société coopérative (cf. RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, op. cit., n° 297 ad
art. 61 LIFD
; REICH, op. cit., n° 181 ad
art. 61 LIFD
). De même, le transfert de patrimoine au sein d'un groupe dominé par une fondation n'est pas possible pour les mêmes raisons (cf. RIEDWEG/HEUBERGER, in Basler Kommentar, Fusionsgesetz, Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [éd.], 2005, n° 20 ad Teil 2 vor
art. 69 LFus
; REICH, loc. cit.; GRÜNINGER/HEUBERGER, in Basler Kommentar, Fusionsgesetz, Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [éd.], 2005, n° 22 ad vor
art. 78 LFus
). Le texte de ladisposition étant clair, il convient d'examiner si, comme l'allègue la recourante, il existe des motifs sérieux de penser que ce texte ne correspond pas en tous points au sens véritable de la disposition visée.
7.3
Le transfert de patrimoine constitue un institut juridique complémentaire aux états de fait spécifiques de la fusion, de la scission et de la transformation (cf. RALPH MALACRIDA, in Basler Kommentar, Fusionsgesetz, Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [éd.], 2005, n° 3 ad
art. 69
BGE 138 II 557 S. 567
LFus
). Il représente un succédané pour les opérations de fusion et de transformation qui ne sont pas prévues par la LFus; il permet de réaliser de manière adéquate des opérations de modification des structures juridiques, notamment de transférer l'ensemble du patrimoine d'une société de capitaux à une société de personnes ou à une fondation, opérations qui ne sont pas prévues par la LFus en raison de l'incompatibilité des formes juridiques en cause (cf. Message du 13 juin 2000 concernant la loi fédérale sur la fusion, la scission, la transformation et le transfert de patrimoine, FF 2000 3995, spéc. 4018 ch. 1.3.2.4.4). S'agissant d'un simple instrument de transfert des droits qui peut être utilisé pour atteindre différents objectifs économiques, le transfert de patrimoine ne peut être assimilé d'une manière générale à une fusion, une scission ou encore une transformation. Les restructurations qui s'appuient sur un transfert de patrimoine peuvent cependant être effectuées sans conséquences fiscales, pour autant que le procédé soit analogue, au plan économique, à une fusion, une scission ou une transformation (cf. Message précité, 4016 s. ch. 1.3.2.4.2; RIEDWEG/GRÜNBLATT, op. cit., n° 6 ad Teil 1 vor
art. 69 LFus
; LUDWIG/NIEDERER, op. cit., n° 3 ad Steuern [Vemögensübertragung]). L'utilisation dutransfert de patrimoine n'est ainsi pas nécessaire pour opérer une restructuration en neutralité fiscale et, inversement, il n'entraîne pas
ipso facto
la neutralité fiscale (cf. GLAUSER/OBERSON, op. cit., n° 16 ad
art. 61 LIFD
). Il convient par conséquent d'examiner dans chaque cas de transfert de patrimoine si on est en présence d'une restructuration qui peut s'effectuer de manière neutre au plan fiscal (cf. LUDWIG/NIEDERER, op. cit., n° 4 ad Steuern [Vemögensübertragung]; LOCHER/AMONN, Vermögensübertragungen im Recht der direkten Steuern, ASA 71 p. 763 ss, spéc. 768 s.). Lorsqu'une restructuration s'effectue par le biais d'un transfert de patrimoine, et qu'elle n'est pas analogue à une fusion, une scission ou une transformation, l'
art. 24 al. 3 LHID
n'est pas applicable et il est donc nécessaire d'examiner si on est en présence d'un groupe au sens de l'art. 24 al. 3
quater
LHID.
7.4
Selon le Message du Conseil fédéral, il convient de se fonder sur l'art. 663
e
al. 1 CO pour la notion de groupe (cf. Message précité, 4161 ch. 2.2.7). Selon cette disposition, l'obligation d'établir des états financiers consolidés concerne en premier lieu les groupes qui sont dominés par une société anonyme, mais également ceux dominés par une société ayant une autre forme juridique, dans la mesure où les règles comptables qui lui sont applicables sont celles de la société anonyme, soit la société en commandite par actions, la société à
BGE 138 II 557 S. 568
responsabilité limitée, les sociétés de crédit et les sociétés d'assurance concessionnaires (cf. HENRI TORRIONE, in Commentaire romand du Code des obligations, vol. II, Tercier/Amstutz [éd.], 2008, n° 10 adart. 663
e
CO; NEUHAUS/BLÄTTLER, in Basler Kommentar, Obligationenrecht, vol. II, Honsell/Vogt/Watter [éd.], 4
e
éd. 2012, n° 5 ad art. 663
e
CO). Il n'y a en revanche pas d'exigences particulières concernant la forme juridique des filiales (cf. TORRIONE, op. cit., n° 12 ad art. 663
e
CO; NEUHAUS/BLÄTTLER, op. cit., n° 6 ad art. 663
e
CO). La notion de groupe selon l'art. 663
e
CO n'impose par conséquent pas l'application de l'art. 24 al. 3
quater
LHID aux seuls groupes composés de sociétés de capitaux ou de sociétés coopératives.
Différents auteurs critiquent la restriction de l'art. 24 al. 3
quater
LHID aux groupes dominés par une société de capitaux ou une société coopérative (cf. OBERSON/GLAUSER, op. cit., n° 42 ad
art. 61 LIFD
; GLAUSER/OBERSON, op. cit., n° 82 ad
art. 61 LIFD
; KÜNZLER, op. cit., p. 141 s.; RIEDWEG/HEUBERGER, loc. cit.; LUDWIG/NIEDERER, op. cit., n° 3 ad Steuern[Vemögensübertragung]). Selon ces auteurs, la référence à l'art. 663
e
CO renvoie en effet à la notion de groupe, soit à la définition de la direction unique, et non à l'obligation comptable contenue dans cette disposition. On saisit mal par conséquent pour quelle raison le groupe au sens de l'art. 24 al. 3
quater
LHID dépendrait de l'obligation de tenir des comptes consolidés (cf. GLAUSER/OBERSON, loc. cit.).
7.5
Des groupes qui sont dominés par une personne physique ou une personne morale d'un type autre qu'une société de capitaux ou une société coopérative peuvent avoir les mêmes raisons pertinentes d'effectuer une restructuration par le biais d'un transfert de patrimoine au sein du groupe. Le Message du Conseil fédéral ne précise pas pour quelle raison cette limitation à certaines formes juridiques a été introduite (cf. Message précité, 4161 ch. 2.2.7; KÜNZLER, loc. cit.). Cette restriction favorise les sociétés de capitaux et les sociétés coopératives et contrevient ainsi à un objectif fondamental de la LFus, à savoir l'augmentation de la flexibilité des entreprises dans le choix de leur forme juridique (cf. KÜNZLER, loc. cit.). Cette situation s'avère particulièrement problématique en lien avec l'
art. 103 LFus
. Ainsi, on ne voit pas pour quelle raison objective un droit de mutation serait dû lorsque, dans le contexte d'une restructuration au sein d'un groupe de sociétés, la société reprenante est une fondation, mais sa perception serait interdite lorsque les biens sont repris par une société de capitaux ou une société coopérative. Cette distinction apparaît difficile à saisir si on la met en lien avec la loi fédérale du 25 juin
BGE 138 II 557 S. 569
1982 sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité (LPP; RS 831.40), qui prévoit que les institutions de prévoyance de droit privé doivent revêtir la forme d'une fondation ou d'une société coopérative (cf.
art. 48 al. 2 LPP
). Par le jeu de l'
art. 103 LFus
en relation avec l'art. 24 al. 3
quater
LHID, l'institution de prévoyance sous la forme de la société coopérative se verrait privilégiée sans raison par rapport à celle constituée en fondation, alors qu'elles poursuivent le même but, la prévoyance professionnelle. Le Conseil fédéral a par ailleurs souhaité que, de manière générale, la possibilité de transférer des réserves latentes en franchise d'impôt, suite à une restructuration, ne soit pas seulement accordée aux sociétés de capitaux et aux sociétés coopératives, mais à toute personne morale, et donc aussi aux fondations (cf. Message précité, 4025 ch. 1.3.9.3). En outre, l'
art. 103 LFus
a été adopté par le Parlement après une discussion nourrie (cf. BO 2003 CN 248 ss, interventions Baumann, Maître, Leuthard, Pelli et Baader, d'un côté, et Leutenegger Oberholzer et Gross, de l'autre) et contre l'avis du Conseil fédéral qui doutait de la compétence de la Confédération pour légiférer dans ce domaine (cf. Message précité, 4035 s. ch. 1.3.9.7), et les conséquences pratiques de la formulation choisie n'ont pas fait l'objet d'un examen approfondi. Enfin, le texte de l'
art. 103 LFus
lui-même laisse une certaine marge d'interprétation lorsqu'il interdit la perception de droits de mutation en cas de restructuration
au sens des
art. 8 al. 3 et 24 al. 3 et 3
quater
LHID, sans limiter l'injonction aux restructurations telles que précisément définies par ces dispositions.
En lien avec l'
art. 103 LFus
, le texte de l'art. 24 al. 3
quater
LHID conduit ainsi à un résultat que le législateur ne peut avoir voulu et qui heurte le principe de l'égalité de traitement. Dès lors que, d'une manière générale, le système mis en place par la LFus est conçu de manière à éviter que les possibilités offertes par le droit civil ne soient contrecarrées par le droit fiscal (cf. Message précité, 4024 ch. 1.3.9.2), force est de constater qu'il est nécessaire de s'écarter du texte de l'art. 24 al. 3
quater
LHID en ce qui concerne l'interdiction de la perception de droits de mutation prévue à l'
art. 103 LFus
. Dans ces conditions, un transfert de patrimoine qui intervient entre deux entreprises d'un même groupe doit également être exempté de droits de mutation lorsque la partie reprenante revêt la forme d'une fondation. | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
98e657b8-5bb9-46cf-914b-df7bd41c9533 | Urteilskopf
114 IV 8
3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Januar 1988 i.S. S. und J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 139 Ziff. 3 StGB
; Lebensgefahr des Opfers.
Wird das Opfer in einer Art und Weise mit einer Waffe bedroht, die geeignet ist, lebensgefährliche Verletzungen zu bewirken, und steht einer unmittelbaren Verwirklichung der Drohung objektiv nichts im Wege, so ist eine konkrete Lebensgefahr im Sinne von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
zu bejahen.
In casu Raub unter Einsatz einer Stichwaffe, die während kurzer Zeit mit der scharfen Spitze in einem Abstand von 10-20 cm gegen den Hals gerichtet war. | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 114 IV 8 S. 8
Die Kriminalkammer des Obergerichts des Kantons Bern sprach S. und J. am 11. Dezember 1986 unter anderem des Raubes gemäss
Art. 139 Ziff. 3 StGB
schuldig und verurteilte S. zu neun Jahren und J. zu sieben Jahren Zuchthaus, jeweils abzüglich Untersuchungshaft. Sie hatten gemeinsam eine Geldbotin überfallen; S. hatte diese von hinten umklammert, indem er sie mit seiner linken Hand im Kinnbereich an sich drückte. In der rechten hielt er einen Dolch mit scharfer Spitze, der in einem Abstand von 10-20 cm während kurzer Zeit gegen den Hals des Opfers zeigte und alsdann quer dazu gehalten wurde. Unterdessen entriss J. dem Opfer den Plastiksack, in welchem die Täter das Geld vermuteten.
S. und J. führen Nichtigkeitsbeschwerde und beantragen Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
BGE 114 IV 8 S. 9
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, das Opfer sei nach den Umständen nicht einer Lebensgefahr ausgesetzt gewesen.
Der qualifizierte Raubtatbestand des
Art. 139 Ziff. 3 StGB
, bei dem das Opfer in Lebensgefahr gebracht werden muss, und der gemäss der bisherigen Rechtsprechung zur Todesdrohung (alter
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
) auszulegen ist (
BGE 111 IV 128
E. 2 mit Hinweisen), erfordert eine echte, konkrete, eine unmittelbare, akute, eine hochgradige Lebensgefahr (
BGE 111 IV 128
E. 2 und
BGE 109 IV 109
E. a mit Hinweisen). Eine derartige Lebensgefahr war vorliegend unter einem zweifachen Gesichtspunkt gegeben.
Wird das Opfer auf kurze Distanz mit einer geladenen Schusswaffe bedroht, so ist Lebensgefahr im Sinne von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
unabhängig davon zu bejahen, ob die Waffe gesichert und nicht durchgeladen ist oder der Abzughebel bis zur Schussabgabe mehrmals betätigt werden muss (
BGE 112 IV 14
E. 4 und 17 E. 2 mit Hinweisen); entscheidend bleibt, ob sie objektiv innert kürzester Zeit schussbereit gemacht werden kann, wobei es keine Rolle spielt, ob die allenfalls nachfolgende Schussabgabe auf einem Willensentschluss oder einer Fehlreaktion beruht (
BGE 112 IV 18
E. b;
BGE 111 IV 129
E. b mit Hinweisen). Inwiefern diese Rechtsprechung bezüglich Schusswaffen nicht auch für andere Waffen, beispielsweise Stichwaffen gelten sollte, mit denen in ähnlicher Weise lebensgefährliche Verletzungen zugefügt werden können, ist nicht einzusehen. Wenn das Gefährdungspotential einer solchen anderen, zur Bedrohung eingesetzten Waffe sogleich und ohne weiteres aktiviert werden kann, so ist auch hier eine konkrete, unmittelbare Lebensgefahr zu bejahen. Das deckt sich mit der früheren Rechtsprechung zum alten
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
, wonach es genügte, wenn der Täter die Todesdrohung objektiv unmittelbar verwirklichen konnte, das Opfer nach den Umständen, insbesondere nach der Art der Drohung tatsächlich einer grossen Todesgefahr ausgesetzt war, und es auf die subjektive Bereitschaft oder Absicht des Täters, die Todesdrohung zu verwirklichen, nicht ankam (
BGE 109 IV 108
E. a und
BGE 107 IV 111
E. 2b mit Hinweisen). Vorliegend ist das Opfer mit einem Dolch bedroht worden, der während kurzer Zeit mit der Spitze in einem Abstand von 10-20 cm gegen den Hals gerichtet war und alsdann im gleichen Abstand quer dazu gehalten wurde. Der Dolch war wegen seiner scharfen Spitze ohne weiteres geeignet, lebensgefährliche Verletzungen zu
BGE 114 IV 8 S. 10
bewirken, falls das Opfer im Halsbereich getroffen worden wäre. Einer unmittelbaren Verwirklichung der Drohung stand objektiv nichts im Wege. Ob der Wille dazu fehlte, ist unerheblich, zumal die Frage nach dem Vorhandensein der konkreten Lebensgefahr sich ausschliesslich nach objektiven Kriterien beurteilt (
BGE 112 IV 18
E. b;
BGE 111 IV 129
E. b;
BGE 109 IV 109
E. a;
BGE 107 IV 111
E. 2b). Sie muss demnach vorliegend bejaht werden.
Lebensgefahr im Sinne von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
ist auch unabhängig von der objektiven Möglichkeit unmittelbarer Verwirklichung der Drohung als gegeben anzunehmen; denn bereits eine unbedachte Bewegung des Opfers hätte jedenfalls während der Zeitspanne, als die Spitze des Dolches gegen dessen Hals gerichtet war, eine lebensgefährliche Verletzung hervorrufen können. Zwar setzte S. im Unterschied zu dem in
BGE 102 IV 20
beurteilten Fall die Spitze der Waffe nicht direkt am Hals der Geldbotin auf, hielt sie aber 10-20 cm entfernt gegen diesen. Wohl hätte nicht jede kleinste, immerhin aber bereits eine relativ geringfügige Bewegung des Opfers genügt, um den Dolch in den Hals eindringen zu lassen und lebensgefährliche Verletzungen zu verursachen. Es lag unter den herrschenden Umständen nicht ausserhalb normalen Geschehens, dass die überfallene Geldbotin eine derartige Bewegung nach der Seite hin gemacht hätte, wo der Dolch gehalten wurde. S. hatte das Opfer von hinten mit dem linken Arm umfasst und an sich gedrückt; es konnte daher nur nach rechts ausweichen. Zufolge des von der Kriminalkammer festgestellten engen Körperkontakts zwischen S. und dem Opfer sowie der Tatsache, dass er nicht nur auf dieses, sondern auch auf seinen Komplizen, J., achtete, war die Kontrollmöglichkeit über Lage und Stellung des Dolches herabgesetzt und namentlich dessen unveränderter Abstand vom Hals in keiner Weise gewährleistet. Das Opfer befand sich gemäss Feststellung der Kriminalkammer in einem Ausnahmezustand; insbesondere Schreckbewegungen waren nicht auszuschliessen. Diese konnten, weil die Geldbotin den Dolch in der Stellung mit der Spitze gegen den Hals nicht wahrnahm, sondern die Waffe erst in einem späteren Zeitpunkt quer zum Hals erblickte, durchaus in Richtung Dolch erfolgen, um so mehr als wegen der linksseitigen Umfassung ein Ausweichen dorthin zumindest erschwert wurde. Demnach war in jener Phase, als die Spitze des Dolches gegen den Hals der Geldbotin zeigte, eine akute Lebensgefahr geschaffen. Dass sie höchstgradig hätte sein müssen wie im Falle, wo die Spitze eines Küchenmessers dem
BGE 114 IV 8 S. 11
Opfer direkt an die Kehle gesetzt wurde (
BGE 102 IV 20
), hat die Rechtsprechung auch im Anwendungsbereich von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
nie gefordert; eine hochgradige Lebensgefahr, wie sie hier vorlag, genügt. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
98e6dd3f-f2cc-401d-8155-eb973fa50e66 | Urteilskopf
121 III 28
9. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 24 février 1995 dans la cause W. (recours LP) | Regeste
Art. 206 SchKG
. Ausnahmen vom Verbot neuer Betreibungen während der Dauer des Konkursverfahrens.
Eine Betreibung auf Pfandverwertung kann gegen den Schuldner während der Dauer seines Konkursverfahrens angehoben werden, wenn das Pfand einem Dritten gehört. Betriebener ist der Gemeinschuldner persönlich und nicht die Konkursmasse. Auch der Dritteigentümer wird als Betriebener betrachtet (E. 2).
Die Betreibungsurkunden sind der Konkursverwaltung zuzustellen, wo die Betreibung aufgrund einer der Ausnahmen von
Art. 206 SchKG
gegen den Schuldner während der Dauer seines Konkursverfahrens angehoben worden ist und zur Konkursmasse gehörendes Vermögen betrifft (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 29
BGE 121 III 28 S. 29
W. a été déclaré en faillite en mai 1990. En septembre 1991, l'administration de sa faillite a admis et porté à l'état de collocation une créance de X., garantie par deux cédules hypothécaires grevant un immeuble appartenant à dame M.
Durant la liquidation de la faillite, le créancier a requis l'ouverture d'une procédure en réalisation de gage immobilier contre le failli, portant sur l'immeuble précité. L'office des poursuites a dressé le commandement de payer à l'encontre de la masse en faillite et l'a notifié à l'administrateur de la faillite. Un double du commandement de payer a également été notifié à dame M., tiers propriétaire du gage, qui a fait opposition. Cette dernière ayant été levée, le créancier a requis la vente du gage.
Ayant appris, "inofficiellement", l'existence de la poursuite en réalisation de gage, le failli en a demandé l'annulation par la voie d'une plainte à l'autorité cantonale de surveillance. Cette poursuite était radicalement nulle, selon lui, dès lors qu'elle se rapportait à une créance née antérieurement à sa faillite, que le commandement de payer ne lui avait jamais été notifié et que la masse en faillite ne pouvait le représenter.
L'autorité cantonale de surveillance a rejeté la plainte, en invitant cependant l'office à rectifier la désignation du débiteur de la poursuite, qui devait être le failli lui-même et non sa masse en faillite.
W. a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral en lui demandant d'annuler la décision de l'autorité cantonale de surveillance et de constater la nullité de la poursuite en cause. La Chambre des poursuites a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En vertu de l'
art. 206 LP
, les poursuites dirigées contre le failli tombent de plein droit et aucune poursuite nouvelle ne peut être engagée durant la liquidation de la faillite en ce qui concerne les créances antérieures à la déclaration de faillite.
a) Ce principe souffre toutefois des exceptions. Ainsi, une poursuite en réalisation de gage peut être exercée durant la liquidation de la faillite lorsque le gage objet de cette poursuite, constitué pour garantir une dette du failli, appartient à un tiers: le gage en question n'est en effet pas tombé dans la masse; il est simplement mentionné à l'état de collocation (art. 61 al. 1 OOF; RS 281.32). S'agissant d'un immeuble, l'exception est formulée expressément à l'art. 89 al. 1 ORI [RS 281.42] (
ATF 100 III 51
BGE 121 III 28 S. 30
consid. 1 52/53;
93 III 55
consid. 1 p. 57; cf. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 284 let. A. et 294 let. c; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, vol. II, 3e éd., Zurich 1993, § 40 n. 16; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5e éd., Berne 1993, § 41 n. 21 ss).
b) La poursuite en réalisation de gage fondée sur l'art. 89 al. 1 ORI est, aux termes mêmes de cette disposition, exercée contre le failli et contre le tiers propriétaire.
Le poursuivi est le failli personnellement, non sa masse en faillite (
ATF 100 III 51
consid. 1 p. 52/53). C'est dès lors à bon droit que l'autorité cantonale a invité l'office à rectifier l'indication du débiteur de la poursuite dans le sens précité. Les conditions posées par la jurisprudence pour une telle rectification - en lieu et place d'une annulation pure et simple - étaient incontestablement remplies dans le cas particulier (
ATF 120 III 11
consid. 1b et c p. 13/14 et arrêt cité;
ATF 102 III 63
consid. 2 p. 65).
Considéré aussi comme poursuivi (C. Jäger, Commentaire de la LP, n. 2 ad 153; ZOBL, Berner Kommentar, Das Fahrnispfand, Systematischer Teil, n. 737), le tiers propriétaire reçoit notification du commandement de payer pour lui permettre de faire également opposition s'il entend contester l'existence ou l'exigibilité de la dette ou l'existence du droit de gage (art. 88 al. 1 ORI). Il est établi en l'espèce que la propriétaire du gage a reçu notification d'un double du commandement de payer, qu'elle a fait opposition à la poursuite et que la mainlevée de son opposition a été prononcée par un jugement qui est demeuré inattaqué.
3.
Le fait que le failli soit le débiteur de la poursuite en cause ne signifie pas encore que les actes relatifs à celle-ci lui soient personnellement notifiés.
L'ouverture de la faillite fait perdre au failli - en faveur de l'administration de la faillite (GILLIÉRON, op.cit., p. 290, ch. II § 1) - le droit de disposer des biens appartenant à la masse (
art. 204 al. 1 LP
;
ATF 114 III 60
consid. 2b p. 61 et les références). Par biens appartenant à la masse, il faut entendre l'ensemble des éléments actifs et passifs, de sorte que le dessaisissement prive également le failli du droit de passer des actes juridiques se rapportant à des créances contre lui (JÄGER, op.cit., n. 4 ad
art. 204 LP
).
Le failli ne perd pas le droit de procéder comme tel; il n'a simplement pas la qualité pour agir dans les procès concernant les biens de la masse (JÄGER, op.cit., n. 5 ad art. 204; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., p.
BGE 121 III 28 S. 31
297 ch. I). La capacité d'ester en justice de l'administration de la faillite (
art. 240 LP
) comporte pour sa part le droit de faire toutes les démarches juridiques requises par la liquidation, notamment le droit de reconnaître des prétentions ou de renoncer à celles-ci au nom de la masse (GILLIÉRON, op.cit., p. 330 ch. II; FRITZSCHE/WALDER, op.cit., § 48 n. 3). C'est par conséquent à l'administration de la faillite que doivent être notifiés les actes d'une poursuite exercée contre le débiteur durant la liquidation de sa faillite en vertu de l'une des exceptions à l'
art. 206 LP
et concernant des biens appartenant à la masse. En l'occurrence, il s'agit d'un élément passif de celle-ci dans la mesure où la poursuite en cause se fonde sur une créance contre le failli et tend au recouvrement de celle-ci (
art. 157 LP
).
Comme le relève à juste titre l'autorité cantonale de surveillance, une notification au failli lui-même aurait pour résultat de permettre à celui-ci de faire opposition à la poursuite et de contraindre le créancier poursuivant à introduire une procédure de mainlevée, voire une action en paiement. Or cela serait contraire au fait que le failli ne peut mener un procès susceptible d'influer sur la composition de la masse en faillite ou sur la distribution des deniers; ce serait aussi contraire au fait que le créancier qui entend se faire payer par le failli ne peut pas ouvrir action contre lui, mais doit produire sa créance auprès de l'administration de la faillite (art. 231 al. 3 et 232 al. 2 ch. 2 LP) et agir éventuellement contre la masse ou un autre créancier en contestation de l'état de collocation (
art. 250 al. 2 LP
). Le failli, qui a seulement le droit d'être consulté sur les productions (
art. 244 LP
), ne saurait remettre indirectement en cause l'état de collocation, alors que seuls les créanciers ont ce droit (
art. 252 al. 2 LP
; GILLIÉRON, op.cit., p. 339 let. f) et qu'il appartient à l'administration de la faillite de statuer sur l'admission des productions au passif, sans être en cela liée par les déclarations du failli (
art. 245 LP
). | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
98ef87bb-6d3c-44e2-8351-c4df6c90dc83 | Urteilskopf
101 IV 87
23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. April 1975 i.S. Markstahler gegen Stadtgemeinde Ilanz. | Regeste
Art. 55 Abs. 1 SSV
.
Auf einer geraden Strasse ohne Unterbrüche durch Kreuzungen etc., wo dem Trottoir entlang Parkfelder markiert sind, dürfen daran anschliessend mindestens auf eine Länge von 5-6 Personenwagen keine Fahrzeuge aufgestellt werden; im Zweifel ist ein Verbot zu signalisieren. | Erwägungen
ab Seite 87
BGE 101 IV 87 S. 87
Aus den Erwägungen:
b) Hinsichtlich der Auslegung von
Art. 55 Abs. 1 SSV
vertreten die kantonalen Instanzen die Auffassung, das Gebot, ein Fahrzeug innerhalb der Parkfelder abzustellen, beziehe sich auf die ganze Strasse, sofern auf einem Teil derselben Parkfelder markiert sind. Demgegenüber behauptet Markstahler unter Berufung auf eine angeblich von der Eidgenössischen Polizeiabteilung mündlich erteilte Auskunft, die erwähnte Vorschrift betreffe nur den unmittelbar an die bezeichneten Felder anschliessenden Teil der Strasse; es solle damit verhindert werden, dass ein Auto teils innerhalb und teils ausserhalb der Parkfelder oder dicht daneben abgestellt werde.
Beide Auffassungen sind unzutreffend und verkennen die Tragweite des
Art. 55 Abs. 1 SSV
. Werden auf einer Strasse Parkfelder markiert, so dürfen ausserhalb dieser Felder im angrenzenden Raum (
BGE 98 IV 228
) keine Fahrzeuge abgestellt werden. Die Wendung "im angrenzendem Raum" bedeutet nun nicht, dass das Verbot nur diejenigen Autos betreffe, welche unmittelbar neben oder zum Teil noch auf dem Parkfeld stehen. Vielmehr ist das Parkieren auch in einem gewissen Abstande ausserhalb der markierten Felder unzulässig. Diese Distanz ist je nach den örtlichen Verhältnissen verschieden.
BGE 101 IV 87 S. 88
Auf einer geraden Strasse ohne Unterbrüche durch Kreuzungen, Einfahrten und dergleichen, wo dem Trottoir entlang Parkfelder markiert sind, dürfen daran anschliessend mindestens auf eine Länge von ca. 5-6 Personenwagen keine Fahrzeuge aufgestellt werden. Darüber hinaus ist ein Verbot in der Regel nur anzunehmen, wenn es signalisiert ist.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass das Auto des Beschwerdeführers etwa 50 m vom nächsten Parkfeld entfernt stand und dass sich dazwischen die Einmündung der Versamerstrasse befindet, das Trottoir also nicht durchgehend ist. Das Verbot gemäss
Art. 55 Abs. 1 SSV
kann vernünftigerweise nicht auf eine so grosse Distanz und über eine Strasseneinmündung hinaus wirken. Wollte die Behörde auch vor dem Pfarrhaus das Parkieren verbieten, so hätte sie ein entsprechendes Verbot erlassen und angemessen signalisieren müssen. Der Vorinstanz kann umso weniger gefolgt werden, als sie selbst nicht geltend macht, der von ihr vertretene Standpunkt ergebe sich aus besonderen örtlichen Umständen, z.B. aus dem Verlauf der Strasse. Das Verwaltungsgericht wie auch die Beschwerdegegnerin weisen im Gegenteil selber darauf hin, dass das ganze Strassenstück gerade und übersichtlich ist. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
98efbcd9-588a-4b19-ac38-2d9dd2022445 | Urteilskopf
139 III 252
36. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre Hôpital intercantonal Y. (recours en matière civile)
4A_655/2012 du 25 février 2013 | Regeste
Art. 72 Abs. 2 lit. b und
Art. 75 Abs. 2 BGG
; Haftung des Staates für die Tätigkeit von Spitalärzten; Rechtsweg, Erfordernis des doppelten kantonalen Instanzenzugs.
Die Beschwerde in Zivilsachen steht offen gegen in Anwendung von kantonalem öffentlichem Recht ergangene Entscheide über die Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen von in öffentlichen Spitälern angestellten Ärzten (E. 1.1-1.5; Bestätigung der Rechtsprechung).
In diesen Fällen hat das kantonale Recht, wenn sie ab dem 1. Januar 2011 entschieden wurden, ein Rechtsmittel an ein oberes Gericht zuzulassen. Die Kantone bleiben jedoch frei in der Bestimmung der ersten Instanz (E. 1.6). | Erwägungen
ab Seite 252
BGE 139 III 252 S. 252
Extrait des considérants:
1.
1.1
Le Tribunal fédéral examine librement et d'office la recevabilité des recours dont il est saisi (
ATF 138 I 367
consid. 1 p. 369;
ATF 138 III 41
consid. 1 p. 42,
ATF 138 III 46
consid. 1). Peu importe donc que les parties n'aient pas soulevé le problème qui va être maintenant traité.
BGE 139 III 252 S. 253
1.2
Par arrêt du 28 mai 2009, la cour cantonale a retenu que le Réseau hospitalier C., soit actuellement l'Hôpital Z., était responsable des actes médicaux accomplis à l'Hôpital intercantonal Y. Il s'agit là d'une pure question de droit cantonal. Le recours en matière civile ne peut pas être formé pour violation du droit cantonal, hormis les exceptions prévues par l'
art. 95 let
. c-e LTF, qui n'entrent pas en considération ici (
ATF 134 III 379
consid. 1.2 p. 382;
ATF 133 I 201
consid. 1 p. 203;
ATF 133 III 462
consid. 2.3 p. 466). Le Tribunal fédéral n'applique d'office, en vertu de l'
art. 106 al. 1 LTF
, que le droit dont il peut contrôler le respect sur la base des
art. 95 et 96 LTF
. Il ne peut examiner la violation de dispositions de droit cantonal ou intercantonal que si le grief a été invoqué et motivé par la partie recourante (
art. 106 al. 2 LTF
). Il est donc hors de question de revenir sur cette décision.
Selon l'
art. 4 de la loi fribourgeoise du 27 juin 2006 sur l'hôpital fribourgeois (LHFR; RSF 822.0.1)
, l'Hôpital Z. est un établissement de droit public doté de la personnalité juridique; il englobe notamment l'Hôpital intercantonal Y., sous réserve des dispositions spéciales de la convention intercantonale conclue entre les cantons de Fribourg et de Vaud (art. 2 LHFR). Il n'y a aucune raison de penser que la situation juridique était différente précédemment. On se trouve donc en présence d'un cas de responsabilité pour un hôpital public.
1.3
Selon la jurisprudence, les soins dispensés aux malades dans les hôpitaux publics ne se rattachent pas à l'exercice d'une industrie (cf.
art. 61 al. 2 CO
), mais relèvent de l'exécution d'une tâche publique; en vertu de la réserve facultative prévue à l'
art. 61 al. 1 CO
, les cantons sont donc libres de soumettre au droit public cantonal la responsabilité des médecins engagés dans un hôpital public pour le dommage ou le tort moral qu'ils causent dans l'exercice de leur charge (
ATF 133 III 462
consid. 2.1 p. 465;
ATF 122 III 101
consid. 2a/aa et bb p. 104 s.).
1.4
Le canton de Fribourg a fait usage de cette faculté. L'actuel art. 41 LHFR prévoit expressément que la responsabilité de cet hôpital pour le préjudice que ses employés causent d'une manière illicite à autrui dans l'exercice de leurs fonctions, ainsi que la responsabilité de l'employé pour le dommage causé à son employeur en violant ses devoirs professionnels sont régies par la loi sur la responsabilité civile des collectivités publiques et de leurs agents.
L'
art. 6 de la loi fribourgeoise du 16 septembre 1986 sur la responsabilité civile des collectivités publiques et de leurs agents (RSF 16.1)
BGE 139 III 252 S. 254
prévoit, à son alinéa 1
er
, que les collectivités publiques répondent du préjudice que leurs agents causent d'une manière illicite à autrui dans l'exercice de leurs fonctions. L'alinéa 2 de cette disposition précise que le lésé ne peut faire valoir aucune prétention contre l'agent personnellement. L'art. 7 al. 1 de cette loi permet l'octroi d'une réparation morale en cas de lésions corporelles ou de mort d'homme.
Ainsi, le droit fribourgeois a institué une responsabilité causale qui suppose la réunion de trois conditions, un acte illicite, un dommage (ou un tort moral) et un rapport de causalité (naturelle et adéquate) entre l'acte illicite et le dommage (ou le tort moral) (
ATF 133 III 462
consid. 4.1 p. 467 s.).
La demande relève donc exclusivement du droit public cantonal. Dès lors que l'on ne se trouve pas dans l'une des hypothèses prévues par l'
art. 95 let
. c-e LTF, le recours n'est ouvert que pour autant qu'il y ait violation du droit fédéral, en particulier une violation de l'interdiction de l'arbitraire découlant de l'
art. 9 Cst.
(
ATF 137 V 57
consid. 1.3 p. 60,
ATF 137 V 143
consid. 1.2 p. 145).
1.5
Même s'il est vrai que le droit public cantonal peut renoncer à l'exigence d'une faute, il n'en demeure pas moins que les conditions de la responsabilité médicale, que celle-ci repose sur le droit privé ou sur le droit public, sont par ailleurs les mêmes et posent des problèmes spécifiques. De surcroît, la frontière entre le droit public et le droit privé, dans cette matière, n'est pas toujours très perceptible pour le justiciable: des médecins privés envoient leurs patients faire des examens dans un hôpital public tout en poursuivant leur traitement, tandis que des médecins d'hôpitaux publics sont autorisés à avoir une clientèle privée. Il paraît donc opportun, au moins au niveau du Tribunal fédéral, de soumettre toutes ces causes à la même voie de recours et de charger une seule et même cour de dégager une jurisprudence assurant l'application uniforme du droit.
L'
art. 72 al. 2 LTF
soumet désormais au recours en matière civile des causes qui relèvent du droit public. La liste figurant à l'
art. 72 al. 2 let. b LTF
est précédée de l'adverbe "notamment", ce qui montre qu'elle n'est pas exhaustive. Dans un arrêt de principe rendu le 13 juin 2007 - que les autorités fribourgeoises peuvent d'autant moins ignorer qu'il concernait une cause provenant de ce canton -, le Tribunal fédéral a jugé que la responsabilité médicale, lorsqu'elle est soumise au droit public cantonal, donne lieu à des décisions qui sont certes prises en application du droit public, mais qui se rapportent à une
BGE 139 III 252 S. 255
matière qui doit être considérée comme connexe au droit civil au sens de l'
art. 72 al. 2 let. b LTF
(
ATF 133 III 462
consid. 2.1 p. 465).
Il en résulte qu'une décision rendue dans ce domaine, même fondée sur le droit public cantonal, ne peut être attaquée devant le Tribunal fédéral que par la voie du recours en matière civile ou, si la valeur litigieuse est insuffisante, du recours constitutionnel, adressé à la première Cour de droit civil de cette juridiction (
art. 31 al. 1 let
. d du règlement du 20 novembre 2006 du Tribunal fédéral [RTF]; RS 173. 110.131).
La valeur litigieuse étant manifestement suffisante en l'espèce (
art. 74 al. 1 let. b LTF
), seul le recours en matière civile entre en considération.
1.6
Les conditions de recevabilité d'un recours en matière civile, outre les exigences générales des
art. 90-101 LTF
, sont régies par les
art. 72-76 LTF
.
L'
art. 75 al. 2 LTF
prévoit - sauf les exceptions qu'il mentionne - que les cantons instituent des tribunaux supérieurs comme autorités cantonales de dernière instance, statuant sur recours. Le droit fédéral a ainsi imposé aux cantons l'exigence d'une double instance, puisque le tribunal supérieur doit statuer sur recours.
Cette disposition (
art. 75 al. 2 LTF
) n'est pas entrée en vigueur en même temps que la LTF le 1
er
janvier 2007. L'
art. 130 al. 2 LTF
, à titre de disposition transitoire, a accordé aux cantons un délai d'adaptation courant en principe jusqu'à l'entrée en vigueur du Code de procédure civile suisse (CPC; RS 272). Depuis l'entrée en vigueur du CPC le 1
er
janvier 2011, l'
art. 75 al. 2 LTF
est entré en force et le recours en matière civile au Tribunal fédéral - comme d'ailleurs le recours constitutionnel subsidiaire (
art. 114 LTF
) - n'est recevable que contre une décision cantonale de dernière instance (
art. 75 al. 1 LTF
) prise par un tribunal supérieur (
art. 75 al. 2, 1
re
phrase, LTF) et, sauf exception expresse, rendue sur recours (art. 75 al. 2, 2
e
phrase, LTF) (
ATF 138 III 41
consid. 1.1 p. 42;
ATF 137 III 424
consid. 2.1 p. 426). L'exigence de la double instance vaut pleinement pour les décisions communiquées après le 1
er
janvier 2011 (arrêt 5A_266/2011 du 24 octobre 2011 consid. 1). Sauf à violer le principe de la primauté du droit fédéral (
art. 49 Cst.
), les cantons doivent permettre de recourir auprès d'un tribunal supérieur dans les causes pendantes au 1
er
janvier 2011 mais jugées après cette date (
ATF 137 III 238
consid. 2.2 p. 240). Toutefois, les cantons demeurent libres de désigner l'autorité de
BGE 139 III 252 S. 256
première instance; il peut s'agir par exemple d'un juge unique, d'un tribunal ou d'une autorité administrative (cf. Message du 28 février 2001 concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 4109 s. ch. 4.1.3.1), laquelle devra alors rendre une décision formelle susceptible de recours.
Dans le cas présent, le canton de Fribourg devait donc faire en sorte que la décision rendue par la Cour administrative le 28 septembre 2012, statuant en première instance, puisse faire l'objet d'un recours auprès d'un tribunal supérieur, fût-ce une autre chambre du même tribunal composée d'autres juges. Il est en effet évident que l'on ne se trouve pas dans un cas où le droit fédéral impose une instance cantonale unique ou autorise les cantons à prévoir une instance cantonale unique; la Cour administrative n'est pas un tribunal de commerce et elle n'a pas fondé sa compétence sur un accord des parties, de sorte que l'on ne se trouve dans aucun des cas d'exception prévus par l'art. 75 al. 2 let. a-c LTF.
Il appartiendra au canton de Fribourg d'organiser l'administration judiciaire selon l'exigence de la double instance instaurée par l'
art. 75 al. 2 LTF
. L'autorité judiciaire de rang supérieur qui précède immédiatement le Tribunal fédéral devra au moins pouvoir examiner les griefs visés aux art. 95 à 98 LTF (
art. 111 al. 3 LTF
).
Ainsi, le recours est irrecevable, parce qu'il est dirigé contre une décision rendue par une autorité statuant en première instance, et non pas sur recours comme l'exige l'
art. 75 al. 2 LTF
(cf.
ATF 138 III 41
consid. 1.3 p. 44;
ATF 137 III 424
consid. 2.4 p. 428 s.). La cause doit être transmise pour nouvel examen au Tribunal cantonal du canton de Fribourg. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
98f53264-f782-4061-b0c3-9af8c4d18822 | Urteilskopf
133 III 350
40. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_16/2007 vom 11. April 2007 | Regeste
Art. 72 ff. BGG
; Beschwerde in Zivilsachen gegen Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen.
Zulässigkeit der Beschwerde; Endentscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden (E. 1.2).
Beschwerdegründe und Begründungsanforderungen (E. 1.3). | Erwägungen
ab Seite 351
BGE 133 III 350 S. 351
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Der angefochtene Beschluss ist nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) ergangen, weshalb das neue Recht anzuwenden ist (
Art. 132 Abs. 1 BGG
).
1.2
Entscheide in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen der Beschwerde in Zivilsachen, welche in diesem Bereich an die Stelle der Beschwerde in Betreibungssachen tritt (
Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG
i.V.m.
Art. 19 SchKG
). Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen (
Art. 75 Abs. 1 BGG
). Beschwerdeentscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden über Verfügungen des Betreibungs- und Konkursamtes gemäss
Art. 17 SchKG
sind Endentscheide im Sinne von
Art. 90 BGG
, zumal diese Verfügungen im laufenden Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt werden können. Der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde ist unabhängig von einer gesetzlichen Streitwertgrenze anfechtbar (
Art. 74 Abs. 2 lit. c BGG
). Der fristgerecht erhobene "Rekurs" ist demnach als Beschwerde in Zivilsachen entgegen zu nehmen (
Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG
).
1.3
Mit der Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonaler verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (
Art. 95 BGG
). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG
).
Auf die Vorbringen des Beschwerdeführers ist nur soweit einzutreten, als sie den Begründungsanforderungen genügen. Die
BGE 133 III 350 S. 352
Beschwerde nach
Art. 72 ff. BGG
hat nebst einem Antrag eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (
Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG
). Auch Verfassungsrügen sind in der Beschwerdeschrift vorzubringen und zu begründen (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
98f66442-7014-4de2-90ec-87345a3b5a1b | Urteilskopf
92 IV 191
48. Sentenza 5 luglio 1966 della Corte di cassazione penale nella causa Procuratore pubblico sottocenerino contro Brochetta | Regeste
Gültigkeit des Zollverschlusses als amtliches Siegel.
Art. 41 ZG
, 290 StGB.
1. Die Gültigkeit des Zollverschlusses ist an diejenige des zugehörigen Geleitscheins gebunden. Mit der Löschung des Geleitscheins bei der Ausfuhr oder dem Ablauf der darin für die Ausfuhr der Ware festgesetzten Frist verliert der Zollverschluss seine Kennzeichnungsfunktion und ermangelt deshalb eines der objektiven Merkmale des amtlichen Siegels im Sinne von
Art. 290 StGB
.
2. Durch Beamtenbestechung erwirkte betrügerische Löschung eines Geleitscheins. Ein solcher Verwaltungsakt ist nur dann nichtig, wenn er mit grundlegenden Fehlern behaftet ist, die aus dem Akt selbst ohne weiteres ersichtlich sind. Im vorliegenden Fall blosse Ungültigkeit. | Sachverhalt
ab Seite 192
BGE 92 IV 191 S. 192
A.-
Secondo la LD, lo sdoganamento all'importazione è definitivo quando l'obbligo di pagare il dazio è stato definitivamente determinato e la merce ammessa al libero traffico entro il territorio doganale nazionale. Lo sdoganamento ha luogo alle stesse condizioni anche per la denuncia delle merci all'esportazione (art. 38 cpv. 1 LD).
La legge prevede però anche delle operazioni intermedie per le merci che non possono essere subito sdoganate (art. 40 LD). In questo caso si procede ad uno sdoganamento provvisorio. Se, ad esempio, trattasi di merci importate destinate ad essere riesportate, lo sdoganamento avviene mediante bolletta di cauzione: l'interessato effettua un deposito o produce una garanzia del dazio e, eventualmente, delle altre tasse che avrebbe dovuto pagare e riceve una bolletta di cauzione che vien scaricata dall'ufficio competente per lo sdoganamento all'esportazione. Effettuata questa operazione, l'obbligo di pagamento diventa caduco. Se, invece, la bolletta di cauzione non vien presentata, nel termine prescritto, con la merce da riesportare, l'obbligo di pagamento diventa definitivo. Alla merce sdoganata mediante bolletta di cauzione può essere applicata la chiusura doganale (art. 41 LD, 74 RD). La stessa si effettua, di regola, mediante applicazione di piombi ai colli importati. In questo caso, la designazione della merce da parte del vettore può essere fatta in modo sommario (art. 69 cpv. 3, 70 cpv. 2 RD). Il vettore può far scaricare la sua bolletta presentando i colli per la riesportazione con il chiudimento intatto (art. 41 cpv. 2 LD).
Lo stesso procedimento è adottato quando della merce, depositata in un distretto franco (in Svizzera dal profilo doganale considerato all'estero: art. 2 cpv. 2 LD), deve essere avviata per l'esportazione ad un altro posto doganale.
B.-
Nel IV circondario doganale, e probabilmente anche in un altro, si adotta un procedimento analogo anche per lo sdoganamento all'esportazione di merce svizzera (orologi o casse di orologi in oro o placcate in oro, preziosi) per la quale è prescritta la dichiarazione stesa sul modulo ufficiale 19 HO previsto dall'ordinanza 17 giugno 1954, N. 8, del Dipartimento
BGE 92 IV 191 S. 193
federale delle finanze e dogane. La dichiarazione deve essere presentata all'Ufficio di controllo dei metalli preziosi (CMP) di Chiasso, che è l'unico per tutto il circondario. La merce può poi essere fatta proseguire direttamente per l'Italia sotto controllo della dogana di Chiasso Stazione. Invece, se l'esportazione vien effettuata attraverso un altro valico doganale, il CMP, terminato il controllo, sigilla i colli e rilascia all'interessato una bolletta di cauzione. L'esportatore presenta questa bolletta con la merce all'ufficio doganale scelto per l'esportazione. Il funzionario controlla l'imballaggio, lo libera dalla chiusura doganale, si assicura che la merce varchi il confine e scarica la bolletta di cauzione: così che, per il tramite dell'Ufficio di Chiasso Stazione, il fabbricante svizzero può beneficiare dell'esonero, rispettivamente del rimborso, della ICA.
Questo cosiddetto procedimento di "esportazione indiretta" non è previsto dalla LD, nè dalle relative disposizioni regolamentari. È preferito all'esportazione diretta particolarmente dai contrabbandieri, i quali possono così scegliere il valico ove il posto doganale italiano si trovi a sufficiente distanza da quello svizzero, per avere la possibilità di occultare la merce prima di presentarsi alla dogana italiana.
C.-
Alcuni contrabbandieri della zona di Chiasso ritennero tuttavia che il procedimento di "esportazione indiretta" non procurasse loro sufficienti vantaggi, per cui predisposero e conseguirono, mediante la corruzione di funzionari svizzeri, che le bollette di cauzione fossero scaricate a Chiasso, come se la merce fosse già stata esportata. L'elusione del controllo sull'esportazione doveva servire, secondo quanto affermano i contrabbandieri, a render loro possibile l'occultamento della merce, con ogni comodità, nell'interno del territorio doganale svizzero, senza presentare la merce al controllo del posto di dogana svizzero di esportazione. Secondo quanto risulta dalla sentenza di prima istanza cantonale, sarebbero stati così falsificati oltre 1000 documenti per merce di un valore complessivo di 60 milioni di franchi, costituita in gran parte da prodotti svizzeri (orologi o parti d'orologeria) e in minor parte da merce estera proveniente da magazzini del Punto franco di Chiasso. Sempre secondo la sentenza di prima istanza cantonale, qualora i contrabbandieri avessero approfittato delle suddette falsificazioni per immettere la merce nel mercato svizzero,
BGE 92 IV 191 S. 194
avrebbero conseguito un illecito profitto ai danni della Confederazione di oltre Fr. 3 500 000.--. Gli accertamenti delle autorità doganali non raggiungono complessivamente tale cifra, ma dai medesimi risulta che le operazioni effettuate dal contrabbandiere più attivo, Giovanni Brochetta, comportano un dazio (per la merce estera proveniente dal Punto franco) di Fr. 178 114.80 e l'ICA (per la merce di fabbricazione svizzera) per Fr. 692 454.--.
Questa merce fu tuttavia in gran parte effettivamente esportata; tanto che la scoperta delle falsificazioni avvenne grazie ad un controllo effettuato su un autoveicolo in uscita: ne risultò che degli orologi nascosti nell'autovettura erano già stati dichiarati per l'esportazione e che i relativi documenti erano già scaricati.
D.-
Con atto di accusa 30 settembre 1964, il Procuratore pubblico sottocenerino rinviò a giudizio tre funzionari doganali, Beretta, Reber e Domenighetti, come autori colpevoli di continuata falsità e continuata corruzione passiva aggravata, Reber inoltre di rottura di sigilli. 17 altre persone vennero rinviate a giudizio per imputazioni diverse.
La Corte delle assise criminali in Mendrisio riconobbe i funzionari colpevoli della due prime imputazioni suindicate, condannando Beretta ad un anno e mezzo, Reber a tre anni di reclusione, e Domenighetti ad un anno di detenzione; i primi due inoltre alla privazione dei diritti civici per 5 anni. La Corte pronunciò inoltre diverse condanne a carico di 14 altri accusati. Giovanni Brochetta venne riconosciuto autore colpevole:
a) di continuata complicità in falsità, per aver fornito a Chiasso, nell'interesse della sua ditta di spedizioni, ai fini di illecito scarico, bollette di cauzione relative a merci del valore complessivo di Fr. 36 000 000.-- circa, non accompagnate dalla merce corrispondente; b) di continuata corruzione attiva, promettendo e versando compensi in denaro di Fr. 3000.-- almeno a Beretta e di Fr. 12 000.-- a Reber; c) di continuata rottura dei sigilli (piombi) apposti ai pacchi, a cui erano riferite le bollette di cauzione illecitamente scaricate. Egli venne condannato alla pena di tredici mesi di detenzione.
Di continuata rottura di sigilli vennero riconosciuti colpevoli anche sei altri accusati, e cioè Gigi Giannini, Jeanne Balabanoglou, Maria Mattiello, Lauro Tessari, Giuseppe Molina e Bruno Cavadini.
E.-
La Corte cantonale di cassazione e di revisione penale ha parzialmente accolto un ricorso di Brochetta, assolvendolo
BGE 92 IV 191 S. 195
dall'imputazione di continuata rottura di sigilli, riducendo la condanna a 12 mesi di detenzione e sospendendone l'esecuzione per un periodo di prova di 2 anni.
In ossequio all'art. 238 del codice di procedura cantonale, la Corte di cassazione ha poi esteso la cassazione della condanna per rottura di sigilli anche agli altri accusati per tale titolo ma non ricorrenti, senza tuttavia ridurre la pena inflitta ai medesimi.
F.-
Il Procuratore pubblico sottocenerino ha tempestivamente interposto al Tribunale federale un ricorso per cassazione fondato sugli
art. 290 e 41
CP. Esso chiede che i sette accusati anzidetti siano riconosciuti colpevoli anche di rottura continuata di sigilli e che Brochetta sia condannato alla pena pronunciata dalla prima istanza cantonale, esclusa per il medesimo la sospensione condizionale della pena.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
La Corte cantonale di cassazione, pur assolvendo Giannini, Balabanoglou, Mattiello, Tessari, Molina e Cavadini dall'imputazione di rottura di sigilli, non ha modificato la pena inflitta ai medesimi dalla Corte delle assise criminali, ritenendo che tale pena doveva considerarsi adeguata anche a prescindere dalla anzidetta imputazione. Essa ha ridotto, da 13 a 12 mesi, solo la pena inflitta a Brochetta, al quale ha inoltre accordato la sospensione condizionale.
Il Procuratore pubblico ha nondimeno impugnato la sentenza cantonale anche a riguardo dei sei coaccusati suddetti. A tale proposito, il ricorso è irricevibile perchè, come sancito dalla giurisprudenza, il ricorso per cassazione non è dato contro i motivi della condanna, ma soltanto contro quest'ultima (RU 91 IV 172 e citazioni). Peraltro, il ricorrente non ha impugnato davanti alla corte di seconda istanza cantonale la pena che la corte di prima istanza, tenendo conto pure dell'imputazione di rottura di sigilli, aveva inflitto ai 6 coaccusati. Infine, anche in questa sede, il ricorrente chiede la conferma di detta condanna.
Il ricorso deve perciò essere esaminato solo per quanto si riferisce a Brochetta.
2.
Secondo l'art. 290 CP, chi rompe, rimuove o rende inefficace un segno ufficiale, in modo particolare un sigillo ufficiale apposto dall'autorità per rinchiudere od identificare una cosa, è punito con la detenzione o con la multa.
La chiusura doganale, effettuata di regola mediante piombi, ha lo scopo di impedire che, durante il tragitto fra il posto di
BGE 92 IV 191 S. 196
controllo, il quale ha stabilito la condizionata imposizione fiscale, e quello di uscita, l'interessato sostituisca o comunque modifichi il contenuto del collo, allo scopo di immetterlo nel territorio doganale svizzero, conseguendo un indebito esonero dai tributi fiscali. Ciò stante, la chiusura doganale, fin tanto che è intesa a identificare ufficialmente la merce in transito, costituisce un sigillo ufficiale a'sensi dell'art. 290 CP. Essa conserva però questo suo carattere solo durante il periodo di validità della bolletta di cauzione che documenta i controlli di entrata e di uscita. Dal momento che la stessa è scaricata in uscita o è decorso il termine stabilito per l'esportazione della merce, la chiusura doganale perde la sua funzione identificatrice e difetta perciò di uno degli elementi oggettivi del sigillo ufficiale nel senso dell'art. 290 CP. Nel primo caso, il vettore, presentando la bolletta scaricata, può senz'altro esigere il rimborso dei tributi anticipati o la liberazione della relativa garanzia; nel secondo, l'imposizione fiscale diventa definitiva, per cui l'interessato può liberamente immettere la merce nel territorio doganale svizzero; a questa bisogna esso può evidentemente provvedere soltanto eliminando il sigillo divenuto inutile e può agire personalmente senza controllo delle autorità doganali, la sua bolletta di cauzione essendo divenuta priva di oggetto.
Nel caso particolare è accertato che i piombi vennero rimossi da Brochetta o da persone che agivano alle dipendenze del medesimo, i due funzionari Reber e Beretta essendosi limitati a procedere allo indebito scarico delle bollette di cauzione. La data precisa della rimozione dei sigilli non è però stata accertata.
a) La Corte cantonale ha ritenuto di non poter escludere che la rottura dei sigilli sia stata effettuata dopo il decorso del periodo di validità della bolletta di cauzione e ne ha conseguito che, ciò stante, applicando il principio "in dubio pro reo", si doveva concludere per l'insussistenza del reato.
Le critiche rivolte dal ricorrente alla suesposta costatazione di fatto non sono ricevibili in sede di ricorso per cassazione (art. 273 cpv. 1 lett. b PPF). D'altronde, non si può ammettere che detta conclusione della Corte cantonale violi il diritto federale perchè, indipendentemente dalla validità o invalidità dello scarico della bolletta di cauzione, se, come devesi ritenere, i piombi sono stati rimossi dopo la decadenza della bolletta di cauzione e quindi quando avevano perso la loro funzione di identificare la merce, uno degli essenziali presupposti oggettivi dell'art. 290 CP non è adempiuto. Ne consegue che Brochetta,
BGE 92 IV 191 S. 197
il quale, a tale riguardo, nulla ha aggiunto al suo precedente comportamento delittuoso, non può essere punito in base all'art. 290 CP.
b) Comunque, anche se avesse rimosso o fatto rimuovere i piombi prima della suddetta scadenza, Brochetta potrebbe essere punito solo qualora lo scarico della bolletta di cauzione, indebitamente effettuato dai funzionari Reber e Beretta, potesse essere considerato nullo e di nessun effetto. Se tale non fosse il caso, lo scarico della bolletta di cauzione non essendo stato comunque revocato dall'autorità doganale prima della rimozione dei piombi, a questo momento i sigilli non avrebbero più avuto alcuna funzione identificatrice. Peraltro, indipendentemente dalla rimozione dei medesimi, nulla impediva a Brochetta di immediatamente esigere il rimborso dei tributi pagati o la liberazione della garanzia, producendo la bolletta di cauzione scaricata.
L'amministrazione può normalmente funzionare solo se è riconosciuta ai suoi atti una speciale presunzione di validità; onde un atto amministrativo può essere considerato assolutamente nullo ed inefficace, solo in quanto irrito da difetti fondamentali, ravvisabili prima facie dall'atto stesso (RU 44 I 59/60 e citazioni; IMBODEN, Der nichtige Staatsakt, spec. p. 7, 84). Se tale non è il caso, l'atto amministrativo può essere annullabile ma non è assolutamente nullo, vale a dire inesistente.
Questa regola si applica anche all'atto amministrativo surrettizio ("erschlichener Staatsakt") (W. JELLINECK: Der fehlerhafte Staatsakt p. 112; IMBODEN o.c. p. 129/30). La tesi esposta nel giudizio di prima istanza e sostenuta dal ricorrente, secondo cui chi - come in concreto Brochetta - ha collaborato alla formazione dell'atto difettoso non ha diritto di invocarne l'efficacia, non può essere condivisa: ad un determinato momento, l'atto amministrativo può essere soltanto o valido o annullabile o assolutamente nullo. Altre soluzioni non sono logicamente ammissibili. Lo scarico delle bollette di cauzione di cui si tratta era stato effettuato da funzionari doganali che dovevano, almeno dall'esterno, essere considerati competenti a effettuarli. I difetti inerenti al documento di scarico, specie quello di essere stato certificato da funzionari che non avevano controllato l'esportazione della merce, non erano evidentemente ravvisabili nella relativa dichiarazione. Questa, pur essendo chiaramente annullabile, non era pertanto priva di ogni effetto giuridico.
BGE 92 IV 191 S. 198
Ne consegue che Brochetta, rimovendo dei sigilli privi di funzione identificatrice e quindi privi di oggetto, non può aver violato l'art. 290 CP. Egli ha portato a termine la sua azione delittuosa perfezionando i delitti di corruzione attiva e di complicità in falsità di cui agli
art. 251 e 288
CP. | null | nan | it | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
98f82e25-7bd8-4448-916b-d86e8569bbe0 | Urteilskopf
122 V 412
62. Auszug aus dem Urteil vom 24. Dezember 1996 i.S. A. gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste | Regeste
Art. 90 Abs. 2 KVG
,
Art. 1 ff. VwVG
.
Entgegen dem Wortlaut des
Art. 90 Abs. 2 KVG
ist auf das Verfahren vor der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste das VwVG im Rahmen der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen anwendbar. | Erwägungen
ab Seite 413
BGE 122 V 412 S. 413
Aus den Erwägungen:
3.
a) Gemäss
Art. 90 Abs. 2 KVG
richtet sich das Beschwerdeverfahren vor der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste nach dem Bundesrechtspflegegesetz (OG). Nach Auffassung der Vorinstanz sind entgegen dem Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG) anwendbar. Zur Begründung führt sie im wesentlichen an, gemäss
Art. 71a Abs. 1 und 2 VwVG
sowie Art. 1 der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen richte sich das Verfahren vor der Rekurskommission für die Spezialitätenliste generell nach dem VwVG. Aus den Botschaften zu den OG-Revisionen von 1985 und 1991 gehe sodann hervor, dass das Verfahren der eidg. Rekurskommissionen ausdrücklich dem VwVG unterstellt sei. Im weitern werde in keinem Gesetz, das eine solche Kommission vorsehe, wie im neuen KVG für das Beschwerdeverfahren auf das OG verwiesen. Aus all dem ergebe sich, dass es sich bei der Regelung des
Art. 90 Abs. 2 KVG
um einen Irrtum handle, weshalb sich das Verfahren vor der Rekurskommission für die Spezialitätenliste wie bisher nach dem VwVG richte.
b) (Auslegung des Gesetzes; vgl.
BGE 121 V 24
Erw. 4a,
BGE 115 V 349
Erw. 1c, je mit Hinweisen)
c) aa) Der Wortlaut von
Art. 90 Abs. 2 KVG
ist - in allen drei Amtssprachen - eindeutig. Durchwegs ist vom Bundesrechtspflegegesetz und nicht etwa nur von Vorschriften der Bundesrechtspflege die Rede, worunter auch das VwVG und die Verordnung über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen verstanden werden könnte.
bb) Im Entwurf des Bundesrates (Botschaft vom 6. November 1991 [BBl 1992 I 257]) fehlte eine
Art. 90 KVG
entsprechende Bestimmung. Auf Vorschlag des Bundesamtes für Sozialversicherung nahm die vorberatende Kommission des Ständerates in seiner 2. Lesung einen gleich wie
Art. 90 Abs. 2 KVG
lautenden Art. 81bis in den Entwurf auf. Der Vertreter des Bundesamtes hatte dazu erklärt, im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege seien anstelle der Departemente die speziellen Rekurskommissionen als Beschwerdeinstanzen eingeführt worden. Diese Neuerung müsse auch in dieses Gesetz aufgenommen werden (Protokoll vom 5. November 1992 mit Anhang 10). Auf Antrag seiner vorberatenden Kommission fügte der Ständerat dem bundesrätlichen Entwurf einen neuen
BGE 122 V 412 S. 414
Art. 81a ein, der dem geltenden
Art. 90 KVG
entspricht (zum alten Recht vgl.
Art. 12 Abs. 7 KUVG
). In den parlamentarischen Beratungen wurde diese Bestimmung diskussionslos angenommen (Amtl.Bull. 1992 S 1338, 1993 N 1895).
cc) Aufgrund der Entstehungsgeschichte ist für die Ermittlung von Bedeutung und Tragweite des
Art. 90 Abs. 2 KVG
die OG-Revision vom 4. Oktober 1991 von entscheidender Bedeutung. Nach zutreffender Feststellung der Vorinstanz erachtete es der Bundesrat in seiner Botschaft zu dieser Gesetzesnovelle als notwendig, Zuständigkeit, Organisation, Verfahren und Stellung der eidg. Rekurskommissionen einheitlich im VwVG zu regeln (BBl 1991 II 480, 538). Dementsprechend wurden, ebenfalls mit Änderung vom 4. Oktober 1991, neu die Art. 71a-d ins VwVG eingefügt und wurde gestützt darauf die Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen erlassen. Aufgrund dieser Bestimmungen richtet sich das Beschwerdeverfahren vor den eidg. Rekurskommissionen, zu welchen gemäss Anhang 1 der Verordnung auch die Rekurskommission für die Spezialitätenliste gehört, grundsätzlich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Eine Ausnahme macht lediglich die Asylrekurskommission, für deren Verfahren neben dem VwVG auch das OG gilt (
Art. 12 AsylG
). Die Urteile dieser Kommission haben indessen endgültigen Charakter (
Art. 11 Abs. 2 AsylG
), und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ist ausgeschlossen (
Art. 52 Ziff. 2 AsylG
und
Art. 100 lit. b Ziff. 2 OG
). Bei den Rekurskommissionen im Bereich der Sozialversicherung gelten dagegen ausnahmslos die Vorschriften des VwVG.
dd) In Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln hat daher die Vorinstanz richtig erkannt, dass es sich beim Verweis auf das Bundesrechtspflegegesetz in
Art. 90 Abs. 2 KVG
um ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers handelt und triftige Gründe bestehen, entgegen dem klaren Wortlaut auf das Beschwerdeverfahren vor der Rekurskommission für die Spezialitätenliste das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verordnung über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen anzuwenden (zum Ganzen vgl. auch Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 175 f.). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
98fa6a22-551a-423d-9ecb-a15c26f61bc7 | Urteilskopf
104 IV 149
36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. Juni 1978 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Z. | Regeste
Art. 58 StGB
. Einziehung von Gegenständen.
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist auch auf die Massnahme der Einziehung gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
anwendbar. | Erwägungen
ab Seite 149
BGE 104 IV 149 S. 149
Aus den Erwägungen:
1.
Die Einziehung und das Unbrauchbarmachen der beiden Sprechfunkgeräte des Typs Tokai TC 500 G ist von keiner Seite angefochten und daher nicht Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof.
Die Einziehung erfolgte, weil der Gebrauch dieser Geräte die öffentliche Ordnung (den geregelten und störungsfreien Funkverkehr) und mittelbar (durch Störung des Polizei-, Feuerwehr- oder Sanitätsfunks) unter Umständen sogar die Sicherheit von Menschen gefährdet, also auf Grund von
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
. Der Beschwerdegegner beruft sich daher umsonst auf die repressive Massnahme zur Beseitigung eines unrechtmässigen Zustandes gemäss lit. a dieser Gesetzesvorschrift. Wieweit diese Art der Einziehung im vorliegenden Fall zu andern Schlüssen führen würde, ist somit nicht zu prüfen.
2.
Die Einziehung kann, je nach dem Gegenstand oder Wert, der einzuziehen ist, ein schwerer Eingriff in die Eigentumsrechte sein. Er muss daher verhältnismässig sein (Amtl. Bull., NR 1973 I S. 498, Votum Bundesrat Furgler). Deshalb kann gemäss ausdrücklicher Vorschrift die Einziehung unter gewissen Voraussetzungen auf einzelne Teile eines Gegenstandes beschränkt werden (
Art. 58 Abs. 2 StGB
). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit kann aber auch sonst dazu führen, statt der Einziehung eine weniger weitgehende Massnahme anzuordnen, wenn auch sie den Zweck der Massnahme erreicht. Analog wurde beispielsweise schon in
BGE 89 IV 135
E. 6 entschieden, bei unzüchtigen Gegenständen von wissenschaftlichem oder künstlerischem Interesse seien an Stelle der gesetzlich
BGE 104 IV 149 S. 150
vorgesehenen Vernichtung (
Art. 204 Ziff. 3 StGB
) Massnahmen anzuordnen, die den Zugang zu ihnen auf Fachleute beschränke. Den Vorinstanzen ist daher insoweit zuzustimmen, als sie selbst hinsichtlich der vorbeugenden Einziehung im Sinne von
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
die Anordnung einer weniger in die Eigentumsrechte eingreifenden Ersatzmassnahme nicht zum vornherein ausschliessen, sofern auch sie die Sicherheit von Menschen und den Schutz von Sittlichkeit und öffentlicher Ordnung gewährleistet.
Anderseits darf nicht ausser acht gelassen werden, dass
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
den Richter ausdrücklich anweist, gefährliche Gegenstände einzuziehen. Die Einziehung bildet also nach dem Gesetz die Regel. Von ihr darf daher nur abgewichen werden, wenn der Grundsatz der Verhältnismässigkeit die Anordnung einer weniger weit gehenden Massnahme gebietet, die dem Zweck der Massnahme genügt. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
98fa6a43-3492-4e6b-b71b-00ee96b9fb58 | Urteilskopf
96 V 72
17. Urteil vom 30. Juni 1970 i.S. Ausgleichskasse der Stickereiindustrie gegen Erben des Züst und Rekurskommission für Sozialversicherung des Kantons Appenzell AR | Regeste
Art. 47 Abs. 1 AHVG
und
Art. 79 Abs. 1 AHVV
: Rückerstattung unrechtmässig bezogener Renten.
- Mit dem Tod des Rückerstattungspflichtigen geht die Rückerstattungsschuld - falls die Erbschaft nicht ausgeschlagen wurde - auf die Erben über, doch ist den Erben der Erlass zu gewähren, wenn sie selbst gutgläubig waren und die Rückerstattung eine grosse Härte für sie bedeuten würde.
- Frage offen gelassen, ob der von den Erben nachgesuchte Erlass gewährt werden könne, wenn einzelne von ihnen die Voraussetzungen nicht erfüllen. | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 96 V 72 S. 72
A.-
Züst bezog bis 30. Juni 1969 eine ordentliche Ehepaar-Altersrente, obschon seine Ehefrau am 2. Mai 1966 gestorben war. Mit Verfügung vom 23. Juni 1969 forderte die Ausgleichskasse den zu Unrecht bezogenen Betrag von Fr. 4216.-- zurück und wies gleichzeitig ein Erlassgesuch des Versicherten ab. Am 24. Juni 1969 verfügte die Ausgleichskasse, dass von der am 18. Juni 1969 zugesprochenen einfachen Altersrente von Fr. 246.-- ein Betrag von monatlich Fr. 70.- verrechnet werde. Sie stellte indessen die Zahlungen vollständig ein, weil der Sohn des Versicherten, X. Züst, ihr die Rückzahlung des
BGE 96 V 72 S. 73
Betrages von Fr. 4216.-- versprochen, sich aber nicht daran gehalten habe.
B.-
Der Versicherte liess durch seinen Sohn X. Züst gegen die Verfügung vom 23. Juni 1969 Beschwerde erheben mit dem Antrag auf Erlass des zurückgeforderten Betrages von Fr. 4216.--. Die Rekurskommission für Sozialversicherung des Kantons Appenzell AR hiess mit Entscheid vom 18. Dezember 1969 (zugestellt am 2. Februar 1970) die Beschwerde gut und erliess die Rückerstattung der zuviel bezogenen Altersrenten.
Der Versicherte verstarb am 17. Januar 1970.
C.-
Die Ausgleichskasse hat am 6. Februar 1970 Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag auf Aufhebung des Entscheides der Rekurskommission vom 18. Dezember 1969 und Bestätigung der von ihr erlassenen Verfügung. Nach Angaben der Ausgleichskasse beläuft sich der Rückforderungsbetrag noch auf Fr. 2494.--, nachdem von Juli 1969 bis Januar 1970 die ganze einfache Altersrente von monatlich Fr. 246.-- zurückbehalten worden war. Gemäss einer Mitteilung der Gemeindeverwaltung vom 19. März 1970, die vom Vertreter der Erbengemeinschaft, X. Züst, bestätigt wird, hat der Versicherte keine Vermögenswerte hinterlassen; die Erben haben die Erbschaft nicht ausgeschlagen.
Während die Rekurskommission auf eine Vernehmlassung verzichtet, beantragt der Vertreter der Erbengemeinschaft Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Auszahlung der von der Ausgleichskasse unrechtmässig zurückbehaltenen einfachen Altersrente. Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Aufhebung des Entscheides der Rekurskommission, weil wegen des Todes des Versicherten das Erlassgesuch nur von den Erben gestellt werden könne. Wenn die Erbschaft nicht ausgeschlagen werde und die Erben ein Erlassgesuch stellten, sei zu prüfen, ob diese die Voraussetzungen von
Art. 79 Abs. 1 AHVV
erfüllten.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt entschieden hat (vgl. EVGE 1957 S. 144; EVGE 1959 S. 144), gehen die auf öffentlichem Recht beruhenden Geldforderungen und Geldschulden des Erblassers mit seinem übrigen Vermögen
BGE 96 V 72 S. 74
auf die Erben über. Der für zivilrechtliche Forderungen in
Art. 560 Abs. 2 ZGB
aufgestellte Grundsatz der Schuldnachfolge gilt auch für öffentlichrechtliche Schulden, sofern sie vermögensrechtlicher Natur sind. Nachdem das AHVG keine abweichende Regelung getroffen hat, muss dieser im Verwaltungsrecht allgemein geltende Grundsatz auch im Gebiete der AHV Anwendung finden. Zum gleichen Schluss führt
Art. 43 AHVV
, der mit der Verweisung auf die
Art. 566, 589 und 593 ZGB
die erbrechtliche Schuldnachfolge voraussetzt. Die Rückerstattungsschuld des Erblassers wird daher eine persönliche Schuld der Erben. Vorbehalten bleibt aber eine allfällige Ausschlagung der Erbschaft gemäss
Art. 566 ZGB
.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der verstorbene Versicherte seit dem Tod seiner Ehefrau von Juni 1966 bis 30. Juni 1969 die ordentliche Ehepaar-Altersrente weiter erhalten hatte. Die Ausgleichskasse hat demnach zu Recht den zu viel bezogenen Betrag von Fr. 4216.-- zurückgefordert. Dass die Beschwerdegegner die Erbschaft ausgeschlagen haben, wird nicht behauptet und ergibt sich auch nicht aus den Akten. Ebenfalls finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausschlagung in Anwendung von
Art. 566 Abs. 2 ZGB
zu vermuten wäre. Wohl soll der Versicherte vermögenslos gewesen sein, aber es fehlt eine amtliche Feststellung der Zahlungsunfähigkeit. Diese war auch nicht offenkundig, denn der Versicherte kam im Altersheim seinen finanziellen Verpflichtungen regelmässig nach. Die Schulden des Versicherten sind somit auf die Erben übergegangen...
2.
Gemäss
Art. 47 AHVG
und
Art. 79 AHVV
kann von der Rückforderung unrechtmässig bezogener Renten abgesehen werden, wenn der Pflichtige die Renten in gutem Glauben entgegengenommen hat und wenn die Rückerstattung für ihn eine grosse Härte bedeuten würde. Obliegt die Rückerstattungspflicht den Erben des verstorbenen Rentenbezügers, so haben diese die Möglichkeit, auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse um Erlass zu ersuchen. Er wird ihnen gewährt, wenn und soweit sie persönlich die Erlassvoraussetzungen erfüllen. So hat das Eidgenössische Versicherungsgericht schon wiederholt entschieden (EVGE 1957 S. 145; ZAK 1958 S. 107), wobei es die Frage noch offen liess, ob der von den Erben nachgesuchte Erlass gewährt werden könne, wenn einzelne von ihnen die Voraussetzungen nicht erfüllen.
BGE 96 V 72 S. 75
Die Vorinstanz hat das Erlassgesuch des Versicherten nach seinen Verhältnissen beurteilt. Wie das Bundesamt für Sozialversicherung zutreffend festhält, ist dieser Entscheid nach dem Tod des Versicherten überholt und aufzuheben. Es ist jedoch nicht zweckmässig, die Erben ein Erlassgesuch bei der Ausgleichskasse einreichen zu lassen, wie dies das Bundesamt für Sozialversicherung vorschlägt. Vielmehr sind die Akten an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit sie prüfe, wie weit die Voraussetzungen für den Rückforderungserlass bei den Erben gegeben sind. Die Rückweisung an die Ausgleichskasse rechtfertigt sich um so eher, als die Erben in der durch ihren Vertreter eingereichten Antwort auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erkennen lassen, dass sie auf dem Erlassgesuch bestehen.
3.
Trotzdem die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 24. Juni 1969 nur monatlich Fr. 70.- als Tilgung der Schuld von Fr. 4216.-- zur Verrechnung stellte, sistierte sie die einfache Altersrente ganz. Dieses Vorgehen war unzulässig, so dass die Ausgleichskasse dem Begehren der Beschwerdegegner auf Auszahlung der zurückbehaltenen Rentenleistungen zu entsprechen hat. Im Falle der Ablehnung des Erlassgesuches ist allerdings der Antrag insofern gegenstandslos, als der zurückbehaltene Betrag denjenigen der Rückforderung nicht erreicht. Anders könnte es sich dagegen bei einer Gutheissung verhalten, denn der Erbe X. Züst will während der Zeit der Rentensistierung für die Pensionskosten des Vaters im Altersheim aufgekommen sein. In diesem Fall wären - sofern die Erlassvoraussetzungen gegeben sind - die vom Sohn für den Vater geleisteten Zahlungen im Ausmass des zu Unrecht von der Ausgleichskasse zurückbehaltenen Rentenbetrages zurückzuerstatten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid der Rekurskommission des Kantons Appenzell AR vom 18. Dezember 1969 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
98fad07d-f240-49f5-bb86-f6812b7e65bd | Urteilskopf
136 I 279
26. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen IV-Stelle des Kantons Freiburg (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_870/2009 vom 8. Juni 2010 | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung im erstinstanzlichen Sozialversicherungsprozess.
Überblick über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichts zur Frage der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung in erstinstanzlichen sozialversicherungsrechtlichen Verfahren (E. 1 und 2).
Von einer öffentlichen Verhandlung kann nicht deswegen abgesehen werden, weil es sich um ein Verfahren mit hauptsächlich medizinischer Fragestellung handelt. Insbesondere begründet der Streit um den Arbeitsunfähigkeitsgrad der versicherten Person im Verfahren der Invalidenversicherung keine Ausnahme von der Pflicht, eine öffentliche Verhandlung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
durchzuführen. Bildet Gegenstand einer Verhandlung einzig die Auseinandersetzung mit fachärztlichen Stellungnahmen zu Gesundheitszustand und Arbeitsunfähigkeit, kann deren Durchführung nicht verweigert werden mit dem Argument, das schriftliche Verfahren sei besser geeignet, medizinische Fragen zu erörtern (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 280
BGE 136 I 279 S. 280
A.
Mit Verfügung vom 4. Mai 2007 lehnte die IV-Stelle des Kantons Freiburg (nachfolgend: IV-Stelle) das Gesuch der 1951 geborenen, an einer Lungenkrankheit leidenden B. um Zusprechung einer Invalidenrente ab, weil sie mit einer angepassten Tätigkeit Erwerbseinkünfte etwa in gleicher Höhe wie bis Dezember 2004 bei der Firma A. AG in der Elektronik-Montage verdienen könnte.
B.
B. liess Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragte sie u.a., es sei eine öffentliche Verhandlung durchzuführen. Mit Entscheid vom 21. August 2009 wies das Kantonsgericht Freiburg die Beschwerde ab, ohne eine öffentliche Verhandlung durchgeführt zu haben.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B. die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides verlangen und den Antrag auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente erneuern; ferner ersucht sie um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Sie rügt insbesondere, dass das kantonale Gericht entgegen ihrem klaren Antrag auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet habe.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet, begründet das Kantonsgericht in seiner Stellungnahme den Verzicht auf die öffentliche Verhandlung.
Am 21. Dezember 2009 lässt die Versicherte eine zusätzliche Eingabe einreichen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche
BGE 136 I 279 S. 281
Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat (Satz 1).
Nach der Rechtsprechung stehen im vorliegenden Verfahren zivilrechtliche Ansprüche in Frage, auf welche
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
anwendbar ist (
BGE 122 V 47
E. 2a S. 50 mit Hinweisen). Wie das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 122 V 47
weiter erkannt hat, hat das kantonale Gericht, welchem es primär obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (E. 3 S. 54), bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrages grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (E. 3a und 3b S. 55 f.). Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist. Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist (E. 3b/cc und 3b/dd S. 56). Als weiteres Motiv für die Verweigerung einer beantragten öffentlichen Verhandlung fällt die hohe Technizität der zur Diskussion stehenden Materie in Betracht, was etwa auf rein rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zutrifft, wogegen andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen materiell- oder verfahrensrechtlicher Natur wie die Würdigung medizinischer Gutachten in der Regel nicht darunterfallen. Schliesslich kann das kantonale Gericht von einer öffentlichen Verhandlung absehen, wenn es auch ohne eine solche allein aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen Rechtsbegehren der bezüglich der Verhandlung antragstellenden Partei zu entsprechen ist (
BGE 122 V 47
E. 3b/ee und 3b/ff S. 57 f.).
2.
2.1
Die Vorinstanz hat den Antrag der Beschwerdeführerin, es sei eine öffentliche Verhandlung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
durchzuführen, im Wesentlichen gestützt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR)
Döry gegen Schweden
vom 12. November 2002 § 41, abgelehnt. In jenem Fall hatte der Gerichtshof erkannt, das aus medizinischen Laien bestehende Gericht sei nicht in der Lage, aus dem persönlichen Eindruck, den es bei einer Verhandlung von der Partei gewinne, zu einer verlässlicheren
BGE 136 I 279 S. 282
Beurteilung zu gelangen als aus dem Studium der medizinischen Akten, so dass sich eine Verhandlung erübrige. Im EGMR-Urteil
Elo
gegen Finnland
vom 26. September 2006 §§ 35 ff., wurde diese Rechtsprechung bestätigt. Auf eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
geschlossen hat der EGMR hingegen im Urteil
Schlumpf gegen Schweiz
vom 8. Januar 2009 §§ 51 bis 58 und §§ 62 bis 70. In jenem Fall war die Übernahme der Kosten einer Geschlechtsumwandlung durch einen Krankenversicherer streitig. Der Gerichtshof hielt fest, im Verfahren hätten sich nicht nur rechtliche oder technische Fragen gestellt. Deshalb seien die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung durch das Eidg. Versicherungsgericht nicht erfüllt gewesen.
Von einer konsequenten Praxis kann auf Grund dieser Entscheide nicht gesprochen werden. Insbesondere lässt sich mit Blick auf das Urteil
Schlumpf
nicht die Auffassung vertreten, die hauptsächlich auf der Grundlage medizinischer Akten vorzunehmende Beurteilung eines Anspruchs lasse aus Sicht des EGMR in jedem Fall die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
als entbehrlich erscheinen.
2.2
Nicht einheitlich ist auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Verzicht auf eine beantragte öffentliche Verhandlung im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren betreffend sozialversicherungsrechtliche Ansprüche.
Im eingangs zitierten
BGE 122 V 47
E. 3b/ee und 3b/ff S. 57 f., welcher Grundlage der späteren Urteile bildete, hat das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, der Umstand, dass die Würdigung medizinischer Gutachten in der Regel im Vordergrund steht, falle nicht als Motiv für die Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung in Betracht. Im Urteil I 98/07 vom 18. April 2007, in: SVR 2008 IV Nr. 56 S. 184, hat das Bundesgericht hinsichtlich der für die Entscheidfindung ausschlaggebenden Würdigung von Arztberichten festgehalten, dafür sei das schriftliche Verfahren nicht besser geeignet. Dies gelte ebenfalls so lange, als es in einer allfälligen Verhandlung einzig um die Auseinandersetzung mit den vorhandenen Äusserungen von Ärztinnen und Ärzten sowie der Abklärungsperson der Invalidenversicherung und nicht beispielsweise um das Einbringen neuer medizinischer Tatsachen geht.
Im Gegensatz dazu hat das Bundesgericht im Urteil 9C_555/2007 vom 6. Mai 2008 unter Bezugnahme auf das zitierte Urteil des
BGE 136 I 279 S. 283
EGMR
Döry
dargelegt, für die Beurteilung der medizinisch-technischen Arbeitsfähigkeit im Rahmen von sozialversicherungsrechtlichen Verfahren sei ein Absehen von einer öffentlichen Verhandlung zulässig.
Im Urteil I 573/03 vom 8. April 2004 hat das Eidg. Versicherungsgericht unter Hinweis auf das zitierte Urteil
Döry
sowie weitere Entscheide des EGMR dargelegt, das Vorliegen besonderer Umstände, die den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung rechtfertigen, sei zu verneinen, wenn eine mündliche Verhandlung dem Gericht für die Falllösung erhebliche Informationen liefern könnte. Dies treffe zu, wenn die Partei die Abnahme eines relevanten, mündlich zu erhebenden Beweises - insbesondere eine Zeugeneinvernahme oder eine Parteibefragung - beantragt, die persönliche Begegnung mit dieser Person der Rechtsfindung förderlich sein könnte oder eine mündliche Verhandlung sonst wie als geeignet erscheint, zur Klärung streitiger Punkte beizutragen.
3.
3.1
Diese Übersicht über die Rechtsprechung zeigt hinsichtlich der Möglichkeiten, trotz Vorliegens eines vor dem erstinstanzlichen Sozialversicherungsgericht gestellten Antrages auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
zu verzichten, kein klares Bild. Allein der Umstand, dass der Prozessausgang zur Hauptsache von der Würdigung fachärztlicher Berichte und Gutachten abhängt, vermag die Ablehnung des auf die EMRK gestützten Antrages auf öffentliche Verhandlung nicht zu begründen, auch wenn sich den erwähnten EGMR-Urteilen
Döry
und
Elo
Gegenteiliges entnehmen lässt. In beiden Fällen wurde zusätzlich zu Gunsten eines Verzichts auf eine öffentliche Verhandlung nebst der Eignung des schriftlichen Verfahrens für die Beurteilung medizinischer Fragen auch die Prozessökonomie angeführt.
3.2
Im neuesten, die Schweiz betreffenden Urteil des EGMR
Schlumpf
erklärte der EGMR, im Verfahren hätten sich nicht nur rechtliche oder technische Fragen gestellt. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung durch das Eidg. Versicherungsgericht seien nicht erfüllt gewesen. Die in den Urteilen
Döry
und
Elo
für eine Ablehnung des Antrages auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung sprechenden Argumente - im Vordergrund stehende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit anhand von fachärztlichen Berichten sowie die
BGE 136 I 279 S. 284
Prozessökonomie - spielten im Urteil
Schlumpf
keine Rolle mehr. Dieser neueste Entscheid des EGMR und die Darlegungen des Bundesgerichts im vorstehend zitierten Urteil I 98/07 vom 18. April 2007 (in: SVR 2008 IV Nr. 56 S. 184) sind als massgebend zu erachten. Bildet Gegenstand in einer allfälligen Verhandlung einzig die Auseinandersetzung mit den vorhandenen Stellungnahmen von Ärztinnen und Ärzten zu Gesundheitsschaden und Grad der Arbeitsunfähigkeit, ist eine bessere Eignung des schriftlichen Verfahrens nicht erkennbar. Es handelt sich bei der Würdigung solcher medizinischen Berichte und der Beurteilung der Beweiskraft einander widersprechenderärztlicher Aussagen um eine auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts alltägliche und damit nicht um eine "hochtechnische" Thematik im Sinne der Rechtsprechung (so bereits
BGE 122 V 47
E. 3b/ee und 3b/ff S. 57 f.).
Schliesslich ist nicht zu übersehen, dass eine öffentliche Verhandlung in einzelnen Fällen mit medizinischer Fragestellung geeignet sein kann, zu einer Klärung offener Tatfragen beizutragen. Aus diesen Gründen verdient die Rechtsprechung gemäss EGMR-Urteil
Schlumpf
und Urteil des Bundesgerichts I 98/07 vom 18. April 2007 (in: SVR 2008 IV Nr. 56 S.184) in Fällen mit Beurteilung medizinischer Sachverhalte den Vorzug vor den EGMR-Urteilen
Döry
und
Elo
.
4.
Im Lichte dieser Erwägungen sind die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die von der Versicherten in der Beschwerde an die Vorinstanz ausdrücklich beantragte Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nicht gegeben. Weder ist der Antrag schikanös, noch läuft er dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwider. Sodann kann das Rechtsmittel nicht als offensichtlich unbegründet oder unzulässig bezeichnet werden, was denn auch seitens des Kantonsgerichts nicht angenommen wurde. Von hoher Technizität kann im vorliegenden Fall des Weiteren ebenfalls nicht gesprochen werden: Streitig ist, inwieweit ein seit Mitte der Achtzigerjahre bestehendes Lungenleiden die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin beeinträchtigt. Damit liegt ein Streit um den Arbeitsunfähigkeitsgrad vor, der keine Ausnahme von der Pflicht, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, begründet. Schliesslich war dem materiellen Rechtsbegehren der Versicherten allein auf Grund der Akten nicht ohne weiteres zu entsprechen. Alleine in Würdigung der Aktenlage gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, die Beschwerde sei unbegründet.
BGE 136 I 279 S. 285
5.
Indem die Vorinstanz unter diesen Umständen von der beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen hat, wurde dieser in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht Rechnung getragen. Es ist daher unumgänglich, die Sache an das Kantonsgericht zurückzuweisen, damit dieses den Verfahrensmangel behebt und die von der Beschwerdeführerin verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Hernach wird es über die Beschwerde materiell neu befinden. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
98fb3633-264a-4b00-babb-436735cc5e87 | Urteilskopf
104 IV 217
50. Urteil des Kassationshofes vom 19. Dezember 1978 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen R. | Regeste
Art. 20 und 191 Ziff. 1 StGB
.
1. Begriff des Rechtsirrtums.
2. Irrtum bejaht im Falle eines 19jährigen Süditalieners, der seiner 15jährigen Freundin beischlief. | Sachverhalt
ab Seite 217
BGE 104 IV 217 S. 217
A.-
Der heute 20jährige, aus Sizilien stammende und seit 1972 in der Schweiz lebende R. hatte von Frühsommer bis Herbst 1977 mit seiner 15jährigen Freundin, deren Alter er kannte, wiederholt Geschlechtsverkehr.
B.-
Das Strafgericht Baselland sprach R. des fortgesetzten Beischlafs mit einem Kinde schuldig, nahm aber in Anwendung von
Art. 20 StGB
von einer Bestrafung Umgang.
Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte am 17. Oktober 1978 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und dieses sei anzuweisen, R. gemäss
Art. 191 Ziff. 1 StGB
zu bestrafen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Zur Entscheidung steht einzig die Frage, ob die Vorinstanz dem Beschwerdegegner zu Recht Rechtsirrtum zugute
BGE 104 IV 217 S. 218
gehalten habe. Davon ausgehend, dass der Täter sein Verhalten nicht juristisch exakt würdigen müsse, sondern dieses bloss in der ihm als Laien zugänglichen Art an den rechtlichen Wertvorstellungen zu messen habe, die vom durchschnittlichen Bürger der Gemeinschaft getragen würden, der er angehöre, nimmt das Obergericht an, "ein etwelches Bewusstsein der Sittenwidrigkeit, das der Täter je nachdem hat", genüge nicht zur Annahme, er besitze das Unrechtsbewusstsein. Der gegen den Täter gerichtete Vorwurf könne nur dahin lauten, er habe sich in seinem Handeln nicht durch die Normen des Rechts leiten lassen. Sittliche Forderungen gingen über das rechtlich geschützte ethische Minimum weit hinaus, ja könnten sogar mit rechtlichen Vorschriften in Konflikt geraten. Sittenwidriges Verhalten stehe mit der Rechtsordnung häufig in Einklang, während sittengemässes zu ihr mitunter im Widerspruch stehe. Im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seines Tuns handle deshalb, wer wisse, dass sein Verhalten den Rechtsvorstellungen seiner Rechtsgemeinschaft widerspreche. Der Beschwerdeführer habe von allem Anfang an glaubhaft dargetan, dass er das in dieser Weise gekennzeichnete Unrechtsbewusstsein zur Zeit der Tat nicht besessen habe. Da das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit eine subjektive Voraussetzung der Strafbarkeit sei, wären selbst Zweifel, ob es bestanden habe, zugunsten des Beschuldigten zu lösen.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich dagegen mit dem Vorwurf, die Vorinstanz sei von einem unzutreffenden Begriff des Unrechtsbewusstseins ausgegangen. Aus ihren tatsächlichen Feststellungen ergebe sich nämlich, dass R. das Unzuchtsdelikt nicht aufgrund irgendwelcher Überlegungen für zulässig erachtet habe, sondern weil er - nach seiner von der Vorinstanz akzeptierten Behauptung - um ihre Strafbarkeit nicht gewusst habe. Es handle sich mithin um einen nach
Art. 20 StGB
unerheblichen Fall von Unkenntnis um die Strafbarkeit.
2.
Nach der Rechtsprechung zu
Art. 20 StGB
kann sich auf Rechtsirrtum nur berufen, wer zureichende Gründe zur Annahme hatte, er tue überhaupt nichts Unrechtes, und nicht schon, wer die Tat bloss für straflos hielt. Anderseits genügt zum Ausschluss eines Rechtsirrtums das unbestimmte Empfinden, dass das in Aussicht genommene Verhalten gegen das verstösst, was recht ist. Hieraus erhellt, dass schon das laienmässige Ermessen rechtlicher Wertvorstellungen, wie es dem
BGE 104 IV 217 S. 219
durchschnittlichen Bürger eignet, ausreicht. Im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seines Tuns handelt deshalb, wer im vorgenannten Sinne weiss, dass sein Verhalten den Rechtsvorstellungen der Rechtsgemeinschaft widerspricht, in der er lebt. Dabei ist nicht zu übersehen, dass im allgemeinen die Rechtsordnung den vorherrschenden ethischen Wertvorstellungen in dem Sinne entspricht, dass jedenfalls erhebliche Verstösse gegen diese regelmässig auch rechtlich verpönt sind. Das Empfinden des Täters, seine Handlungen widersprächen den herrschenden sittlichen Massstäben, stellt diesfalls einen gewichtigen Hinweis auf sein Unrechtsbewusstsein dar (
BGE 99 IV 185
mit Verweisungen). Insbesondere dort, wo grundlegende ethische Werte in Frage stehen, liegt auch eine rechtliche Regelung derart nahe, dass das Bewusstsein um die Verletzung der ersteren dasjenige eines Verstosses gegen die letztere für den Regelfall indiziert. In diesem Sinne ist deshalb die absolute Aussage der Vorinstanz, wonach ein "etwelches Bewusstsein der Sittenwidrigkeit" zur Annahme des Unrechtsbewusstseins nicht genüge, einzuschränken. Was die sexuelle Integrität von Kindern anbelangt, so gehört sie in schweizerischen Verhältnissen zum Bestand grundlegender ethischer Werte und wird entsprechend auch von der Rechtsordnung geschützt. Das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit eines die geschlechtliche Unantastbarkeit eines Kindes in grober Weise verletzenden Verhaltens wirkt deshalb als starkes Indiz für das Bestehen des Unrechtsbewusstseins, das nur durch aussergewöhnliche Umstände entkräftet werden kann.
Dieser gegenüber der rechtlichen Begründung des angefochtenen Entscheides notwendige Vorbehalt zwingt indessen nicht zur Aufhebung des Urteils. Wie die Vorinstanz feststellt, war dem Beschwerdegegner die Möglichkeit der rechtlichen Regelung nicht im entferntesten bewusst, habe er doch nicht einmal von der Existenz eines Schutzalters ganz allgemein Kenntnis gehabt. Der Begriff des Schutzalters sei ihm vollkommen fremd gewesen; er habe nie daran gedacht, dass es überhaupt so etwas geben könnte; weder in der Schule noch von Verwandten oder Freunden sei er je darauf aufmerksam gemacht worden. Auch habe er von einer entsprechenden schweizerischen Sittennorm keine Kenntnis gehabt. Den süditalienischen Auffassungen entsprechend sei ihm nur bewusst gewesen, dass es sittenwidrig sei, mit einer weiblichen Person intime Beziehungen zu haben und
BGE 104 IV 217 S. 220
sie nachher nicht zu heiraten, wobei diese Norm vom Alter des Mädchens oder der Frau unabhängig sei. Da R. schon damals und auch heute noch das missbrauchte Mädchen heiraten wolle, habe er gegen diese ihm einzig bekannte Norm nicht verstossen.
Nach diesen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die den Kassationshof unbekümmert um ihre Überzeugungskraft binden (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), haben dem Beschwerdegegner in aussergewöhnlichem Masse alle Voraussetzungen schon für das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit seines Verhaltens gefehlt und liegen auch sonst keine zureichenden Hinweise auf das Unrechtsbewusstsein vor.
Demgegenüber kann nicht eingewendet werden, die Vorinstanz habe das blosse Bewusstsein der Straflosigkeit genügen lassen. Wenn sie zu Beginn ihrer Erwägungen die als glaubhaft entgegengenommenen Aussagen des Beschwerdegegners anführt und dabei festhält, er habe von der Existenz eines Schutzalters im allgemeinen nichts gewusst, sowohl er wie seine Freundin seien sich nicht bewusst gewesen, etwas Unrechtes zu tun, und sie beide seien gar nicht auf die Idee gekommen, dass ihr intimes Zusammensein verboten sein könnte, so waren diese Erklärungen des Angeklagten jedenfalls nicht zwingend dahin zu verstehen, dass sie sich bloss auf das Bewusstsein der Straflosigkeit seines Verhaltens bezogen hätten. Die Rüge, das Obergericht sei von einem unzutreffenden Begriff des Unrechtsbewusstseins ausgegangen, schlägt deshalb nicht durch.
3.
Die Staatsanwaltschaft wendet weiter ein, die rechtlichen Erwägungen der Vorinstanz, wonach der Beschwerdegegner keinen Anlass gehabt habe, sich über sein Verhalten Gedanken zu machen, weil ihm der Begriff des Schutzalters völlig fremd gewesen sei, vermöchten nicht zu überzeugen. Dass nämlich der Umgang mit einem Kleinkind nicht statthaft sei, wisse jedermann; folglich müsse altersmässig auch irgendwo eine Grenze liegen, welche dieselbe Tat als strafbar bzw. nicht strafbar erkläre. Sich hierüber zu orientieren, wäre deshalb geboten gewesen.
Damit stellt die Staatsanwaltschaft sich auf den Standpunkt, R. habe keine zureichenden Gründe zur Annahme gehabt, sein Verhalten sei rechtmässig.
a) Zureichend ist ein Grund gemäss
Art. 20 StGB
nur, wenn dem Täter aus seinem Rechtsirrtum kein Vorwurf gemacht
BGE 104 IV 217 S. 221
werden kann, weil er auf Tatsachen beruht, durch die sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen. Das Gesetz verlangt damit vom Täter eine Gewissensanspannung, eine gewissenhafte Überlegung oder ein Erkundigen bei Behörden oder vertrauenswürdigen Personen. Unterlässt er dies, obgleich zu solchem Tun Anlass bestand, so handelt er in einem vermeidbaren und damit nach
Art. 20 StGB
unerheblichen Rechtsirrtum (
BGE 99 IV 186
mit Verweisungen).
b) Geht man im vorliegenden Fall von den bereits angeführten tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz aus, kann nicht gesagt werden, der Beschwerdegegner habe Anlass gehabt, gewissenhaft über die Zulässigkeit seines Handelns Überlegungen anzustellen oder sich bei einer vertrauenswürdigen Person zu erkundigen. Dazu hätte Grund bestanden, wenn er Zweifel an der Rechtmässigkeit seines Verhaltens gehabt oder nach den Umständen hätte haben müssen oder wenn die Möglichkeit der Verletzung einer Sittennorm ihm einen Verstoss gegen die Rechtsordnung nahegelegt hätte. Das war jedoch bei ihm wegen der besonderen persönlichen Verhältnisse, derentwegen ihm die Vereinbarkeit seines Handelns mit der Sitten- und Rechtsordnung als selbstverständlich erschien, nicht der Fall. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis auf eine altersmässige Grenze stösst sich an den tatsächlichen Annahmen der Vorinstanz, deren Verbindlichkeit für den Kassationshof einer anderen als der im angefochtenen Urteil enthaltenen rechtlichen Folgerung entgegensteht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
98fe45ea-b6b4-4504-a88c-250f9fe558c7 | Urteilskopf
110 Ib 197
34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. August 1984 i.S. Waltraud Kienholz-Nopper gegen Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verfahren;
Art. 68 lit. e BBG
, Art. 97 Abs. 2, 99 lit. f, 101 lit. a und b OG.
1. Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Regelung nach
Art. 68 lit. e BBG
; Verhältnis zur Regelung nach
Art. 97 ff. OG
(E. 1).
2. Nichteintretensentscheide sind beschwerdefähig im Sinne der
Art. 97 ff. OG
bzw. des
Art. 68 lit. e BBG
(E. 1).
3. Tritt das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement auf eine gegen das Nichtbestehen der Coiffeur-Prüfung gerichtete Beschwerde nicht ein, so ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht unzulässig (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 198
BGE 110 Ib 197 S. 198
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 68 Berufsbildungsgesetz (BBG, SR 412.10) sind Beschwerdebehörden:
d. der Bundesrat für Beschwerdeentscheide des Departements und
kantonale Beschwerdeentscheide, die nach Artikel 97 ff. des Bundesgesetzes
über die Organisation der Bundesrechtspflege nicht der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegen, jedoch
nicht für die Beschwerdeentscheide über das Ergebnis von Prüfungen;
e. das Bundesgericht für andere Beschwerdeentscheide des Departements
und kantonale Beschwerdeentscheide, jedoch nicht für solche über die
Zulassung zu Prüfungen und zu Kursen; diese sind endgültig.
Diese Regelung stimmt zur Hauptsache mit derjenigen der
Art. 97 ff. OG
überein; eine Abweichung besteht insoweit, als zu den in den
Art. 99 ff. OG
vorgesehenen Fällen, in denen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig ist, ein weiterer Fall hinzukommt: Die Beschwerde ist auch nicht zulässig gegen
BGE 110 Ib 197 S. 199
Beschwerdeentscheide (des EVD), welche "die Zulassung zu Prüfungen und zu Kursen" betreffen.
Nichteintretensentscheide sind im Sinne der
Art. 97 ff. OG
bzw. des
Art. 68 lit. e BBG
an sich beschwerdefähig. Der angefochtene Nichteintretensentscheid stützt sich auf öffentliches Recht des Bundes, namentlich auf
Art. 68 lit. a BBG
,
Art. 23 und 52 VwVG
. Er unterliegt mithin der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 5 VwVG
i.V.m.
Art. 97 OG
), sofern keine der in
Art. 99-102 OG
erwähnten Ausnahmen und auch nicht die im vorstehenden Absatz angeführte Ausnahme zutrifft.
2.
a) Nach Auffassung der Vorinstanz ist vorliegend der Ausnahmetatbestand des
Art. 99 lit. f OG
gegeben, wonach Verfügungen (Entscheide) über das Ergebnis von Berufs-, Fach- oder anderen Fähigkeitsprüfungen nicht der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegen. Die Beschwerdeführerin ist gegenteiliger Auffassung. Sie macht sinngemäss geltend, von
Art. 99 lit. f OG
werde nur der Sachentscheid, mit welchem über die Rechtmässigkeit des Prüfungsergebnisses entschieden werde, erfasst, nur dieser unterliege daher nicht der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
b) Die Auffassung der Beschwerdeführerin ist zu eng. Das folgt deutlich daraus, dass auch Zwischen- und Kostenentscheide unzweifelhaft nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar sind, obwohl sie naturgemäss nicht das Prüfungsergebnis betreffen und daher anfechtbar sein müssten, wenn die Auffassung der Beschwerdeführerin zutreffend wäre (
Art. 99 lit. f OG
in Verbindung mit
Art. 101 lit. a und b OG
). Richtigerweise sind nun aber Nichteintretensentscheide nicht anders zu behandeln als Zwischen- und Kostenentscheide.
Das Gesagte findet Rückhalt im Umstand, dass das Verweigern (Verzögern) eines Sachentscheids betreffend das Ergebnis einer Prüfung einem derartigen Sachentscheid gleichgestellt ist (
Art. 97 Abs. 2 OG
), woraus folgt, dass eine solche Rechtsverweigerung (-verzögerung) unmittelbar unter
Art. 99 lit. f OG
fällt und demnach der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht unterliegt (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 226). Es wäre schwer einzusehen, weshalb Nichteintretensentscheide anders als die Verweigerung eines Sachentscheids behandelt werden sollten. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
9903c911-80f2-4f60-8c76-c809978e7809 | Urteilskopf
120 IV 217
37. Urteil des Kassationshofes vom 8. September 1994 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Aussageverweigerungsrecht eines Kindes in einem gegen seinen Vater eröffneten Strafverfahren wegen Sexualdelikten zu seinem Nachteil. §§ 65 Ziff. 2, 66 Ziff. 1, 67 Abs. 1 StPO/BL;
Art. 7 Abs. 2,
Art. 8 Abs. 2 OHG
.
Ob einem vierjährigen Mädchen in einem gegen seinen Vater eröffneten Strafverfahren wegen Sexualdelikten zu seinem Nachteil nach dem kantonalen Strafprozessrecht ein Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zustehe und ob es dieses rechtswirksam ausgeübt habe, sind Fragen des kantonalen Rechts, die im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht aufgeworfen werden können (E. 3).
Die Bejahung dieser Fragen verstösst weder gegen Sinn und Zweck des Sexualstrafrechts noch gegen Sinn und Zweck des Opferhilfegesetzes (E. 4).
Offengelassen, ob und auf welche Weise ein vierjähriges Mädchen in einem solchen Fall als Opfer im Sinne von
Art. 7 Abs. 2 OHG
die Aussage zu Fragen betreffend sein Intimsphäre verweigern könne (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 120 IV 217 S. 218
A.-
X. wird von der Anklagebehörde vorgeworfen, er habe in der Zeit von spätestens Oktober 1989 bis zum 20. Mai 1990 seine Tochter M., geboren 1986, mehrfach zu unzüchtigen Handlungen missbraucht. Die Vorwürfe stützen sich im wesentlichen auf die Aussagen, welche M. gegenüber einer Psychologin vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst gemacht hatte. Dieser Dienst war vom Statthalteramt Waldenburg beauftragt worden, vom Kind das wirkliche Geschehen und die Person, welche die Handlungen ausgeführt haben soll, in Erfahrung zu bringen. Im Gutachten des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes vom 25. Oktober 1990 wird festgehalten, aus den Aussagen von M. gehe klar hervor, dass sexuelle Übergriffe stattgefunden hätten.
Mit Schreiben vom 19. September 1991 machte der Chefarzt des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes das Statthalteramt Waldenburg darauf aufmerksam, dass bei der Erarbeitung des Gutachtens dem Recht des Kindes auf Zeugnisverweigerung keine Beachtung geschenkt worden sei. M. habe stets deutlich gemacht, dass sie ihren Vater nicht belasten wolle, und ausdrücklich gewünscht, dass niemandem etwas über das berichtet werde, was sie dem Personal des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes anvertraute.
X. bestritt stets sämtliche Vorwürfe. M. wurde weder im erstinstanzlichen noch im Appellationsverfahren zur Einvernahme vorgeladen.
BGE 120 IV 217 S. 219
B.-
Am 19. März 1993 sprach das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft X. vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Nötigung sowie der versuchten Vergewaltigung frei. Dem Gericht erschienen die Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen, die M. gegenüber der Psychologin vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst gemacht hatte, als so erheblich, dass es von der Schuld des Angeklagten nicht ausreichend überzeugt war.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 6. Dezember 1993 den erstinstanzlichen Freispruch. Es ging davon aus, dass das Mädchen von dem ihm zustehenden Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch gemacht habe und dass daher dessen Aussagen gegenüber dem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst nicht verwendet werden dürfen. Ohne diese Aussagen sei jedoch kein rechtsgenüglicher Beweis vorhanden, der eine Verurteilung zulasse.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss § 65 Ziff. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft (StPO/BL) sollen nicht als Zeugen einvernommen werden: Kinder unter 14 Jahren, wenn die Einvernahme für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden oder nicht unerlässlich ist, um den Prozesszweck zu erreichen. Nach
§ 66 Ziff. 1 StPO
/BL sind u.a. die Verwandten des Angeschuldigten in auf- und absteigender Linie zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, soweit sich das Zeugnis mittelbar oder unmittelbar auf den Angeschuldigten bezieht, zu dem sie in dem bezeichneten Verhältnis stehen.
§ 67 Abs. 1 StPO
/BL verpflichtet den Beamten und den Richter, die Zeugen vor jeder Abhörung über ihr Recht der Zeugnisverweigerung zu belehren. Nach Art. 7 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5) kann das Opfer (im Sinne von
Art. 2 OHG
) die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen.
Art. 8 Abs. 2 OHG
verpflichtet die Behörden, das Opfer in allen Verfahrensstadien über seine Rechte zu informieren.
a) Die Vorinstanz führt unter Hinweis auf diese Bestimmungen aus, das im Jahre 1986 geborene Mädchen sei nicht zeugnisfähig. Es könne aber als Auskunftsperson befragt werden; diese prozessuale Figur sei zwar in der
BGE 120 IV 217 S. 220
StPO/BL nicht ausdrücklich vorgesehen, aber von der Praxis entwickelt worden. Auch einem als Auskunftsperson zu befragenden Kind stehe erstens ein Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum angeschuldigten Vater nach dem kantonalen Strafprozessrecht und zweitens, soweit es um Fragen betreffend seine Intimsphäre gehe, ein Antwortverweigerungsrecht gemäss
Art. 7 Abs. 2 OHG
zu.
Der Umstand, dass die Psychologin vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst, die im Auftrag des Statthalteramtes mehrere Spielgespräche mit dem Kind führte, dieses nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht aufmerksam gemacht hatte, darf nach den weiteren Ausführungen der Vorinstanz im Sinne einer pragmatischen Lösung nicht automatisch zu einem vollumfänglichen Beweisverwertungsverbot führen.
Die Aussagen des Kindes dürfen nach Ansicht der Vorinstanz aber deshalb nicht als Beweismittel verwertet werden, weil das Kind von seinem Aussageverweigerungsrecht rechtsgültig Gebrauch gemacht habe. Wie sich aus den aufgezeichneten Gesprächen ergebe, habe das Kind der Psychologin ein Geheimnis anvertrauen wollen und grossen Wert darauf gelegt, dass der Inhalt dieser Gespräche nicht an Dritte weitererzählt werde. Die Psychologin habe anlässlich der Appellationsverhandlung als Expertin bestätigt, dass sich das Mädchen klar in diesem Sinne geäussert habe. Nach Ansicht der Vorinstanz kann und muss dieser Wunsch des Kindes respektiert werden. Dem damals vierjährigen Mädchen könne die Fähigkeit zuerkannt werden, sich zu entscheiden, wem es ein Geheimnis erzählen wolle und wem nicht. Für die Respektierung des Wunsches des Kindes spreche auch, dass sich die psychiatrischen Experten daran gebunden fühlten. Schliesslich sei zu berücksichtigen, dass sich das Mädchen Stillschweigen ausbedungen habe, obschon es nicht über sein Aussageverweigerungsrecht aufgeklärt worden sei. Da das Kind somit rechtsgültig das ihm erstens nach
Art. 7 Abs. 2 OHG
und zweitens gemäss
§ 66 Ziff. 1 StPO
/BL zustehende Aussageverweigerungsrecht ausgeübt habe, dürfen nach der Schlussfolgerung der Vorinstanz die Aussagen des Kindes gegenüber der Psychologin nicht verwertet werden.
b) Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde im wesentlichen geltend, die (angebliche) Ausübung des Aussageverweigerungsrechts durch das damals vierjährige Mädchen sei rechtlich unbeachtlich. Erstens fehle einem Kind von vier Jahren die für die rechtswirksame Ausübung des Aussageverweigerungsrechts erforderliche
BGE 120 IV 217 S. 221
Urteilsfähigkeit, zweitens sei das Mädchen im vorliegenden Fall unter starker Beeinflussung von seiten des angeschuldigten Vaters gestanden, und drittens sei die Annahme eines Aussageverweigerungsrechts unter den gegebenen Umständen mit Sinn und Zweck des OHG einerseits und des revidierten Sexualstrafrechts anderseits nicht zu vereinbaren. Diese Einwände beziehen sich offenbar sowohl auf die Frage der Aussageverweigerung wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten als auch auf die Frage der Antwortverweigerung gemäss
Art. 7 Abs. 2 OHG
.
2.
Der angefochtene Entscheid beruht auf zwei selbständigen, voneinander unabhängigen Begründungen. Die Vorinstanz hat erstens erkannt, dass dem damals vierjährigen Mädchen nach dem kantonalen Strafprozessrecht als Auskunftsperson ein dem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechendes Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten zustehe und dass es dieses Recht gültig ausgeübt habe; sie hat zweitens angenommen, dass dem Mädchen als Opfer im Sinne des OHG ein Antwortverweigerungsrecht zu Fragen betreffend seine Intimsphäre gemäss
Art. 7 Abs. 2 OHG
zustehe und dass es dieses Recht gültig ausgeübt habe.
Ob die zweite Begründung (betreffend Antwortverweigerung nach
Art. 7 Abs. 2 OHG
) mit dem Bundesrecht vereinbar sei, kann offenbleiben, wenn sich ergibt, dass jedenfalls die erste Begründung (betreffend Aussageverweigerung wegen Verwandtschaft) vor Bundesrecht standhält. Das gilt auch dann, wenn diese erste Begründung (teilweise) auf kantonalem Recht beruht, dessen Anwendung im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht überprüft (Art. 269 Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP) und von der Staatsanwaltschaft mit der staatsrechtlichen Beschwerde mangels Befugnis zur Ergreifung dieses Rechtsmittels nicht zur Entscheidung gestellt werden kann.
3.
Die Erkenntnis der Vorinstanz, dass dem damals vierjährigen Mädchen in dem gegen seinen Vater wegen mehrfacher sexueller Nötigung etc. zu seinem Nachteil eröffneten Strafverfahren nach dem kantonalen Prozessrecht als Auskunftsperson ein dem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechendes Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zustehe und dass es dieses Recht gültig ausgeübt habe, betrifft das kantonale Recht und kann daher mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden. Soweit es um eine Aussageverweigerung nach dem kantonalen Strafprozessrecht geht,
BGE 120 IV 217 S. 222
sind auch die Fragen, welche Anforderungen an die geistigen und intellektuellen Fähigkeiten ("Urteilsfähigkeit") sowie an den Willen (Fehlen von Willensmängeln) der die Aussage verweigernden Person zu stellen sind, damit die Aussageverweigerung rechtswirksam ist, Fragen des kantonalen Rechts. Unzulässig ist somit insbesondere die Rüge der Beschwerdeführerin, dass ein vierjähriges Mädchen ein kantonalrechtliches Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten mangels der hiefür erforderlichen Urteilsfähigkeit nicht rechtswirksam ausüben könne. Wohl ist der Begriff der "Urteilsfähigkeit" im Bundesrecht (
Art. 16 ZGB
) umschrieben. Das ist indessen nicht entscheidend. Die Urteilsfähigkeit als (allfällige) Voraussetzung der rechtswirksamen Ausübung eines kantonalrechtlichen Aussageverweigerungsrechts ist nicht ein bundesrechtlicher, sondern ein kantonalrechtlicher Begriff.
4.
Zu prüfen ist, ob die auf das kantonale Prozessrecht gestützte Erkenntnis der Vorinstanz gegen Sinn und Zweck des OHG einerseits und des revidierten Sexualstrafrechts andererseits verstosse, wie die Beschwerdeführerin meint. Diese Rüge ist im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zulässig (
BGE 116 IV 19
E. 1 mit Hinweis; vgl. auch
BGE 119 IV 92
).
a) Das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft ist in allen kantonalen Strafprozessordnungen und auch in den Strafprozessordnungen des Bundes (
Art. 75 BStP
,
Art. 41 Abs. 2 VStrR
i.V.m.
Art. 75 BStP
,
Art. 75 MStP
[SR 322.1]) vorgesehen. Es gilt nach den meisten Strafprozessordnungen uneingeschränkt, also beispielsweise auch dann, wenn die Gegenstand des Verfahrens bildende Tat des Verwandten sich gegen den Zeugen richtete.
Einige kantonale Strafprozessordnungen sehen allerdings u.a. insoweit unter bestimmten - unterschiedlichen - Voraussetzungen Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft vor. Nach Art. 141 Abs. 2 StrV/BE kann sich eine Person unter 16 Jahren nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft berufen, wenn ein Verwandter einer an ihr persönlich begangenen strafbaren Handlung bezichtigt wird. Die bernische Praxis hatte schon vor der Einführung dieser Bestimmung durch die Gesetzesrevision vom 6. November 1973 angenommen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht bei Angriffen auf die sexuelle Integrität von Kindern ausgeschlossen sei (siehe ZBJV 85/1949 S. 281). Gemäss
Art. 68 Abs. 3 StPO
/SG besteht das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei bestimmten Delikten gegen Verwandte, ungeachtet des Alters des Opfers bzw.
BGE 120 IV 217 S. 223
des Geschädigten, nicht, so u.a. nicht bei Mord, vorsätzlicher Tötung und Totschlag sowie bei Misshandlung und Vernachlässigung eines Kindes, Überanstrengung von Kindern und Untergebenen, Unzucht mit Kindern und Blutschande. Einige weitere kantonale Strafprozessordnungen schliessen das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei Straftaten gegen Verwandte unter gewissen Umständen aus (siehe z.B.
Art. 74 Abs. 2 StPO
/AR, art. 142 al. 2 CPP/JU).
Derartige gesetzliche Beschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts wegen Verwandtschaft sind umstritten. Eine entsprechende Bestimmung wurde anlässlich der Totalrevision der luzernischen Strafprozessordnung im Jahre 1954 nicht mehr übernommen. Im Kanton Aargau hatte schon die Expertenkommission den Gedanken, das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei Straftaten gegen Familienmitglieder auszuschliessen, fallengelassen (siehe zum Ganzen ROBERT HAUSER, Der Zeugenbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, 1974, S. 271 f.; JUDITH STAMM, Das sexuell geschädigte Kind in der Strafuntersuchung, Diss. Zürich 1967, S. 81 f., je mit Hinweisen).
Die vorliegend anwendbare Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft enthält keine Bestimmung, die das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei Straftaten gegen Verwandte unter bestimmten Voraussetzungen ausschliesst. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht gilt vielmehr uneingeschränkt. Nach der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft ist mithin, wie nach den meisten andern kantonalen Strafprozessordnungen sowie nach den Strafprozessgesetzen des Bundes, eine zeugnisfähige Person auch dann wegen Verwandtschaft zeugnisverweigerungsberechtigt, wenn die Gegenstand des Strafverfahrens bildende Tat eines nahen Verwandten, z.B. des Vaters, sich nicht gegen irgendeinen Dritten, sondern gegen sie selbst richtete.
b) Dass das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten auch dem Opfer der Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftat selbst zusteht, kann insbesondere dann als stossend erscheinen, wenn in der Straftat ein Missbrauch des Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses liegt, und namentlich bei Sexualdelikten des Vaters zum Nachteil seines Kindes. Es mag ein gewisser Widerspruch darin bestehen, dass einerseits die Ausnützung eines Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses die Strafbarkeit begründet oder den Tatbestand qualifiziert und dass anderseits gerade die dieses Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis begründende nahe Verwandtschaft zur
BGE 120 IV 217 S. 224
Zeugnisverweigerung berechtigt. Das bedeutet aber nicht, dass das im kantonalen Strafprozessrecht festgelegte Zeugnisverweigerungsrecht auch des (zeugnisfähigen) Opfers wegen Verwandtschaft bei Sexualdelikten gegen Sinn und Zweck des Sexualstrafrechts verstosse und daher bundesrechtswidrig sei. Es bedeutet bloss, dass das ohnehin immer bestehende, vom Bundesgesetzgeber akzeptierte Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafanspruch einerseits und dem Zeugnisverweigerungsrecht (wegen Verwandtschaft) anderseits bei gewissen Straftaten unter bestimmten Umständen besonders gross ist. Dies könnte allenfalls, trotz der kantonalen Gesetzgebungshoheit auf dem Gebiet des Strafprozesses, eine bundesrechtliche Regelung rechtfertigen, welche etwa bei Sexualdelikten das Zeugnisverweigerungsrecht des Opfers bzw. zumindest des jungen Opfers wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten ausschliesst, zumal gerade bei Sexualdelikten die Aussagen des Angeschuldigten und des Opfers oft die einzigen Beweismittel sind und mit der Zeugnisverweigerung häufig das entscheidende Beweismittel entfällt. Das dargestellte Spannungsverhältnis kann aber allein vom Gesetzgeber gelöst werden. Es ist unzulässig, die Berufung auf ein im Gesetz vorgesehenes Zeugnisverweigerungsrecht etwa mit dem Hinweis auf das angeblich höherwertige Interesse an der Aufklärung einer bestimmten schwerwiegenden Straftat zu versagen (ROBERT HAUSER, op.cit., S. 133; ROBERT HAUSER, Zeugnisverweigerung von Kindern und Jugendlichen bei Familien-Sittlichkeitsdelikten, ZStrR 84/1968 S. 42 ff., 69 f.; FRANÇOIS CLERC, Note sur le témoignage des enfants en droit suisse, ZStrR 80/1964 S. 75 ff., 82, 83; anderer Auffassung A. MOPPERT, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht von Kindern, SJZ 48/1952 S. 101 ff., 105 f.). Das in den meisten kantonalen Strafprozessgesetzen ohne Einschränkungen vorgesehene Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft kann mithin nicht auf dem Wege der Gesetzesauslegung den (jungen) Opfern von Sexualdelikten unter Hinweis auf die Bedeutung des Kindes- und Jugendschutzes im Sexualstrafrecht abgesprochen werden.
c) Aus Sinn und Zweck des (am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen) Opferhilfegesetzes kann ebenfalls nicht abgeleitet werden, dass das in den Strafprozessordnungen der Kantone und des Bundes festgelegte Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft für die Opfer von Straftaten jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei sexuellen Handlungen mit Kindern oder mit Abhängigen (Art. 187 f. StGB), nicht gelte, dass mit anderen Worten das Opfer im Strafverfahren gegen seinen Vater zur Aussage
BGE 120 IV 217 S. 225
verpflichtet sei. Das OHG enthält keine entsprechende Bestimmung. Im Gegenteil kann das Opfer gemäss
Art. 7 Abs. 2 OHG
die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen.
In der bundesrätlichen Botschaft zum OHG (BBl 1990 II 961 ff.) wird dazu festgehalten (S. 984/985), der Konflikt zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch, der nach einer möglichst umfassenden und ungehinderten Aufklärung von Straftaten rufe, und dem Anspruch des Opfers auf Schutz vor Verletzungen seiner Persönlichkeit im Strafverfahren werde in den geltenden Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts noch weitgehend zu Lasten des Opfers gelöst. Bei der Befragung des Opfers als Zeuge treffe dieses eine allgemeine Zeugnispflicht, die nur durch einzelne gesetzlich vorgesehene Ausnahmen beschränkt werde, zu denen in der Regel ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht naher Verwandter sowie ein Recht, die Antwort auf Fragen zu verweigern, die den Zeugen oder ihm nahestehende Personen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen können, gehören. Mit dem vorgeschlagenen Aussageverweigerungsrecht gemäss
Art. 7 Abs. 2 OHG
soll laut Botschaft ein gewisser Ausgleich geschaffen werden. Die Neuregelung werde namentlich den Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Integrität einen besseren Schutz vor Verletzungen ihrer Intimsphäre gewährleisten.
Das OHG will also die in den Strafprozessordnungen vorgesehenen Möglichkeiten der Aussageverweigerung nicht einschränken, sondern im Gegenteil durch Art. 7 Abs. 2, der abweichendem kantonalem Recht vorgeht, ergänzen. Aufgrund der Erfahrung, dass manche Opfer von Sexualdelikten, etwa von Vergewaltigungen, von einer Strafanzeige auch deshalb absehen, weil sie u.a. die Fragen betreffend ihre Intimsphäre als demütigend empfinden, sollen die Opfer deren Beantwortung zum Schutz ihrer Persönlichkeit verweigern dürfen. Damit kann zwar einerseits die Anzeigebereitschaft der Opfer erhöht werden, doch nimmt der Gesetzgeber zugleich auch in Kauf, dass der Angeschuldigte der angezeigten Tat nicht überführt werden kann, wenn und weil das Opfer zu bestimmten Fragen betreffend seine Intimsphäre im Sinne von
Art. 7 Abs. 2 OHG
die Aussage verweigert (siehe dazu THOMAS MAURER, Das Opferhilfegesetz und die kantonalen Strafprozessordnungen, ZStrR 111/1993 S. 375 ff., 385, 388; JÜRG AESCHLIMANN, Die Zukunft des schweizerischen Strafprozessrechts, ZStrR 109/1992 S. 355 ff., 363 Fn. 33).
d) Die auf das kantonale Strafprozessrecht gestützte Erkenntnis der Vorinstanz, dass dem damals vierjährigen Mädchen in dem gegen seinen Vater
BGE 120 IV 217 S. 226
eröffneten Strafverfahren wegen mehrfacher sexueller Nötigung etc. zu seinem Nachteil als Auskunftsperson ein dem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechendes Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zustehe und dass es dieses Recht gültig ausgeübt habe, verstösst somit weder gegen Sinn und Zweck des Sexualstrafrechts noch gegen Sinn und Zweck des OHG. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
990669b8-15da-40bd-8788-61399af38ce7 | Urteilskopf
125 II 417
42. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Juli 1999 i.S. A. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement und Schweizerischen Bundesrat (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 98 lit. a OG
und
Art. 100 Abs. 1 lit. a OG
;
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Einziehung von Propagandamaterial der Kurdischen Arbeiterpartei.
Mit dem Ergehen des Einziehungsentscheids entfällt das Interesse an der Anfechtung der diesem vorangehenden Beschlagnahme (E. 2).
Die Einziehung von Propagandamaterial aus Gründen der äusseren und inneren Sicherheit berührt zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(E. 4b).
Im Konfliktfall geht das Völkerrecht prinzipiell dem Landesrecht vor, insbesondere wenn die völkerrechtliche Norm dem Schutz der Menschenrechte dient. Gegen den Einziehungsentscheid des Bundesrats ist daher gestützt auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und entgegen
Art. 98 lit. a und
Art. 100 Abs. 1 lit. a OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig (E. 4c-e).
Art. 55 BV
und
Art. 10 EMRK
;
Art. 102 Ziff. 8-10 BV
; Art. 1 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial; Einziehung von Propagandamaterial aus Gründen der inneren und äusseren Sicherheit.
Der Propagandabeschluss stellt zusammen mit
Art. 102 Ziff. 8-10 BV
eine genügende gesetzliche Grundlage für einen schweren Eingriff in die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit dar (E. 6).
Die Einziehung von Schriften der Kurdischen Arbeiterpartei, die zur Durchsetzung ihrer Anliegen generell die Gewalt propagieren und auf in der Schweiz lebende Emigranten Druck erzeugen sollen, ist unter den gegebenen Umständen verhältnismässig (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 419
BGE 125 II 417 S. 419
Die schweizerischen Zollbehörden stellten am 11. September 1997 in Riehen rund 88 kg Propagandamaterial der Kurdischen Arbeiterpartei PKK sicher, das an A. adressiert war. Das Material wurde der Schweizerischen Bundesanwaltschaft zur näheren Prüfung übergeben. Diese stellte fest, dass die sichergestellten Zeitschriften und Bücher die Gewalt als einzige Alternative gegen den «türkischen Terrorstaat» propagierten und darüber hinaus Mitglieder der türkischen Regierung diffamierten. Da die Verbreitung oder der Verkauf dieser Schriften die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährden könnten, verfügte die Bundesanwaltschaft gestützt auf Art. 1 des Bundesratsbeschlusses betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial vom 29. Dezember 1948 (Propagandabeschluss; SR 127, AS 1948 1282) am 15. Januar 1998 die Beschlagnahme des fraglichen Propagandamaterials.
Diese Verfügung focht A. beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement an. Es entschied am 22. Juni 1998, das erhobene Rechtsmittel als Aufsichtsbeschwerde entgegenzunehmen und dieser keine Folge zu geben.
Der Bundesrat ordnete am 26. Juni 1998 gestützt auf Art. 1 Abs. 2 des Propagandabeschlusses die Einziehung und damit die Vernichtung des beschlagnahmten Propagandamaterials an. Der als Rechtsgrundlage dienende Propagandabeschluss trat am 1. Juli 1998 ausser Kraft.
A. hat zunächst gegen den Aufsichtsentscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 22. Juni 1998 und hierauf auch gegen den Einziehungsentscheid des Bundesrats vom 26. Juni 1998 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht und beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheide. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde gegen den Entscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 22. Juni 1998 nicht ein und weist jene gegen den Einziehungsentscheid des Bundesrats vom 26. Juni 1998 ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Die erste Beschwerde richtet sich gegen die Beschlagnahme des von den Zollbehörden sichergestellten Propagandamaterials. Inzwischen ist an die Stelle der Beschlagnahme jedoch der Einziehungsentscheid des Bundesrats vom 26. Juni 1998 getreten. Das Interesse des Beschwerdeführers an der Anfechtung der Beschlagnahme ist damit entfallen. Eine allfällige Kritik hat sich
BGE 125 II 417 S. 420
nun gegen den Einziehungsentscheid des Bundesrats zu richten. In der Tat hat der Beschwerdeführer ebenfalls den Bundesratsentscheid angefochten und die bereits gegen die Beschlagnahme erhobenen Rügen erneut vorgebracht. Unter diesen Umständen besteht vorliegend kein Anlass, ausnahmsweise vom Erfordernis eines aktuellen Interesses abzusehen (vgl.
BGE 123 II 285
E. 4b und c S. 287 f.).
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Beschlagnahmeverfügung der Bundesanwaltschaft (Verfahren 1A.178/ 1998) ist daher mangels eines aktuellen Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten.
4.
a) Entscheide des Bundesrats können grundsätzlich nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden. Eine Ausnahme besteht nur bezüglich bundesrätlicher Verfügungen auf dem Gebiet des Dienstverhältnisses von Bundespersonal, soweit das Bundesrecht vorsieht, dass der Bundesrat als erste Instanz verfügt (
Art. 98 Abs. 1 lit. a OG
;
BGE 111 Ib 290
E. 1c S. 292). Vorliegend sind keine Fragen des Dienstverhältnisses von Bundespersonal streitig, so dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach der genannten Regelung nicht ergriffen werden kann. Dieses Rechtsmittel erscheint ausserdem auch deshalb unzulässig, weil der angefochtene Entscheid nach der bisherigen Praxis unter den Ausschlussgrund von
Art. 100 Abs. 1 lit. a OG
fällt (vgl.
BGE 104 Ib 129
E. 1 S. 131).
Nach Ansicht des Beschwerdeführers hat das Bundesgericht das erhobene Rechtsmittel gleichwohl zu beurteilen, da seinem aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
folgenden Anspruch auf eine gerichtliche Beurteilung des Einziehungsentscheids nur auf diese Weise Genüge getan werden könne. Sollte die vorliegende Streitsache zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
berühren, so hätte der Beschwerdeführer in der Tat Anspruch auf eine Beurteilung durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. Es ist daher zu prüfen, ob die umstrittene Einziehung in den Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fällt.
b) Der angefochtene Entscheid des Bundesrats hat die Einziehung und Vernichtung des durch die Zollbehörden sichergestellten Propagandamaterials zum Gegenstand. Er entzieht dem Berechtigten an den fraglichen Schriften das Eigentum und bewirkt einen empfindlichen Eingriff in vermögenswerte Rechte, die nach der Rechtsprechung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
erfasst werden (Urteile des EGMR i.S. Edition Périscope c. Frankreich vom 26. März 1992, Serie A, Band 234-B, Ziff. 40 und i.S. Raimondo c. Italien vom 22. Februar 1994, Serie A, Band 281 A, Ziff. 43).
BGE 125 II 417 S. 421
Allerdings fragt sich, ob Eingriffe in vermögenswerte Rechte auch dann als zivilrechtlich im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gelten, wenn sie im Interesse der inneren und äusseren Sicherheit erfolgen. In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass solche Massnahmen der genannten Konventionsgarantie nicht unterstünden (RUTH HERZOG,
Art. 6 EMRK
und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern, 1995, S. 287 f.; ANDREAS KLEY-STRULLER, Der Anspruch auf richterliche Beurteilung «zivilrechtlicher» Streitigkeiten im Bereich des Verwaltungsrechts sowie von Disziplinar- und Verwaltungsstrafen gemäss
Art. 6 EMRK
, AJP 1994 34; vgl. auch RAINER J. SCHWEIZER, Die schweizerischen Gerichte und das europäische Recht, ZSR 112/1993 II S. 677; ULRICH ZIMMERLI, EMRK und schweizerische Verwaltungsrechtspflege, in: Aktuelle Fragen zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1994, S. 56). So soll es sich selbst dann verhalten, wenn die Massnahmen zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit in private Rechte wie das Eigentums- und Berufsausübungsrecht eingriffen (HERZOG, a.a.O., S. 288; differenzierter R. ERGEC, Le contrôle juridictionnel de l'administration dans les matières qui se rattachent aux rapports internationaux: actes de gouvernement ou réserve du pouvoir discrétionnaire? RDFDC [Revue de droit international et de droit comparé] 1986, p. 72-134; O. DUGRIP, L'applicabilité de l'article 6 de la CEDH aux juridictions administratives, RUDH 1991, S. 336 f., 345 f.). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass Streitigkeiten über Massnahmen der inneren und äusseren Sicherheit «actes de gouvernement» darstellten, die sich nicht für eine gerichtliche Überprüfung eigneten (vgl. hingegen amtliche Stellungnahme des Bundesrates im Fall Suisse c. Gouvernement français vor dem franz. Conseil d'Etat aus dem Jahre 1994 in RUDH 1994, S. 478 ff., insbes. S. 482-484 Ziff. 6-7).
Zur Zeit liegen - soweit ersichtlich - keine Entscheide der Strassburger Organe vor, die Massnahmen zur inneren und äusseren Sicherheit eines Staates generell vom Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ausschlössen. Vielmehr ist der Europäische Gerichtshof in einem Entscheid, der die Anordnung von Überwachungsmassnahmen aus Gründen der Staatssicherheit betraf, von der grundsätzlichen Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ausgegangen, wobei er allerdings offen liess, ob im konkreten Fall auf Art. 6 oder auf
Art. 13 EMRK
abzustellen war (Urteil i.S. Klass c. Deutschland vom 6. September 1978, Serie A, Band 28, Ziff. 68 f., 71 und 75). Wenn nach diesem Entscheid derjenige, der nachträglich
BGE 125 II 417 S. 422
über die Durchführung von Überwachungsmassnahmen informiert wird, einen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz hat, muss dies auch für den Beschwerdeführer gelten, der sich in einer vergleichbaren Situation befindet. Gemäss
Art. 6 Ziff. 1 Satz 2 EMRK
können «Interessen der nationalen Sicherheit» lediglich den Ausschluss der Öffentlichkeit begründen, und
Art. 15 EMRK
gestattet nur, in Notstandsfällen gewisse in der Konvention vorgesehene Verpflichtungen ausser Kraft zu setzen. Das Bedürfnis nach Zugang zu einem Gericht kann jedenfalls nicht generell ausgeschlossen werden, wenn Massnahmen der inneren oder äusseren Sicherheit zur Diskussion stehen (vgl. Urteil des EGMR i.S. Tinnely & Sons Ltd u.a. und Mc Elduff u.a. c. Vereinigtes Königreich vom 10. Juli 1998, Rec. 1998-IV, S. 1633 ff., S. 1660-1663 Ziff. 72-79). Soweit solche Massnahmen direkt in vermögenswerte Rechte eingreifen, geht es nicht an, sie allein deshalb, weil sie «actes de gouvernement» darstellen, vom Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auszuschliessen. Der (nicht publizierte) Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte, den das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in der Vernehmlassung erwähnt (Bericht vom 26. November 1996 i.S. Sosyalist Parti c. Türkei, Beschwerde Nr. 21237/93), gibt ebenfalls keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Im beurteilten Fall bildete die Einziehung des Vermögens der sozialistischen Partei gerade nicht Streitgegenstand, und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
wurde aus diesem Grund - also mangels eines Eingriffs in ein vermögenswertes Recht - als nicht anwendbar erachtet (vgl. Ziff. 110 des genannten Berichts). Im Unterschied dazu wird vorliegend jedoch in Vermögensrechte eingegriffen und gerade dies bildet Gegenstand der Streitigkeit, weshalb der genannte Entscheid nicht gegen, sondern für die Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
spricht.
Im Übrigen besteht auch deshalb kein Grund, einen Ausschluss vom Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
anzunehmen, weil nach heutiger Auffassung die Möglichkeit, präventive Massnahmen gegen die Verbreitung politischer Propagandaschriften ergreifen zu können, nicht mehr als Erfordernis des Staatsschutzes im engeren Sinn erscheint. Das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit vom 21. März 1997 (BWIS; SR 120) sieht keine entsprechenden Regelungen vor (vgl. Botschaft des Bundesrats vom 7. März 1994, BBl 1994 II 1127 ff.). Die strafrechtlichen und die allgemeinen polizeilichen Mittel werden als genügend erachtet.
BGE 125 II 417 S. 423
So erklärt
Art. 275bis StGB
ausländische Propaganda als staatsgefährlich und deshalb als strafbar, wenn sie auf den gewaltsamen Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung der Eidgenossenschaft oder eines Kantons gerichtet ist. Die Verbreitung von Propagandaschriften, die Angriffe auf die politische Ordnung eines ausländischen Staates enthalten, untersteht den sich aus
Art. 296 StGB
ergebenden Schranken. Auch wenn die vorliegend ins Auge gefasste Propaganda die strafrechtlichen Grenzen nicht überschreitet, kann sie gleichwohl die Aussenbeziehungen der Schweiz oder die Ordnung im Landesinnern beeinträchtigen, etwa indem sie Konflikte zwischen den davon betroffenen Emigrantengruppen hervorruft. Ihre Unterbindung dient daher dem Schutz polizeilicher Güter. Ausserdem wird die innere Ordnung vorliegend gegen Nachteile geschützt, die sich aus Angriffen auf einen fremden Staat ergeben können. Auf Grund dieser allgemeinen polizeilichen Zielsetzung erscheint es nicht angebracht, die fragliche Einziehung als «acte de gouvernement» zu qualifizieren, welcher der gerichtlichen Kontrolle gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
entzogen wäre. Wenn nach der Rechtsprechung die genannte Konventionsbestimmung auf die Beschlagnahme bzw. die Einziehung von Deliktsgut in einem Strafverfahren Anwendung findet (Urteil des EGMR i.S. Raimondo c. Italien vom 22. Februar 1994, Serie A, Band 281-A, Ziff. 42), gilt dasselbe auch für die vorliegende allein polizeilich motivierte Einziehung, zumal keine Gründe des Staatsschutzes ersichtlich sind, die einer gerichtlichen Überprüfung entgegenstünden.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ist demnach auf die vorliegende Streitsache anwendbar. Bei dieser Sachlage kommt der ebenfalls erhobenen Rüge der Verletzung von
Art. 13 EMRK
keine selbständige Bedeutung zu (Urteile des EGMR i.S. Brualla Gomez de la Torre c. Spanien vom 19. Dezember 1997, Rec. 1997-VIII S. 2945 ff., S. 2957 Ziff. 41, und i.S. Tinnely & Sons Ltd u.a. c. Vereinigtes Königreich vom 10. Juli 1998, Rec. 1998-IV, S. 1633 ff. Ziff. 77, S. 1662 in fine). Diese Rechtsfolge gilt jedenfalls insoweit, als der angefochtene Beschluss in die Eigentumsrechte eingreift. Der Beschwerdeführer macht allerdings auch eine Verletzung seines Anspruchs auf freie Meinungsäusserung (
Art. 10 EMRK
) geltend. Diese Rüge fällt - für sich allein betrachtet - nicht in den Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, sondern unter die Rechtsweggarantie gemäss
Art. 13 EMRK
. Ob deswegen die zuletzt genannte Bestimmung ebenfalls zum Zuge kommt, kann offen bleiben. Mit Blick auf die Anforderungen an den innerstaatlichen
BGE 125 II 417 S. 424
Rechtsmittelweg genügt die Feststellung, dass jedenfalls
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf die vorliegende Streitsache Anwendung findet (vgl. E. 4c).
c) In seiner jüngsten Rechtsprechung hat das Bundesgericht verschiedentlich erklärt, dass sich die Eidgenossenschaft nicht unter Berufung auf inländisches Recht ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen entziehen könne. Das Landesrecht müsse daher in erster Linie völkerrechtskonform ausgelegt werden. Dementsprechend hat das Bundesgericht vereinzelt auch die Gesetzgebung über die Bundesrechtspflege auf ihre Vereinbarkeit mit den Garantien der EMRK überprüft und ihre Tragweite teilweise im Rahmen einer völkerrechtskonformen Auslegung neu bestimmt (
BGE 120 Ib 136
E. 1 S. 138 ff.; vgl. auch
BGE 118 Ib 277
E. 3 S. 280 f.).
Nach
Art. 98 lit. a und
Art. 100 Abs. 1 lit. a OG
kann das Bundesgericht die von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verlangte gerichtliche Kontrolle des angefochtenen Bundesratsentscheids nicht übernehmen. Es ist zwar denkbar,
Art. 100 Abs. 1 lit. a OG
restriktiver auszulegen als bisher (vgl. dazu
BGE 121 II 248
E. 1a S. 251;
BGE 118 Ib 277
E. 2b S. 280;
BGE 104 Ib 129
E. 1 S. 131) und gegen Massnahmen, die nicht zum Staatsschutz im engeren Sinn (vgl. E. 4b) zählen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zuzulassen. Doch entzieht sich
Art. 98 lit. a OG
, der die anfechtbaren Entscheide des Bundesrats abschliessend aufzählt, einer solchen völkerrechtskonformen Auslegung. Es liegt somit ein Konflikt zwischen einer Norm des nationalen Rechts und einer für die Schweiz verbindlichen staatsvertraglichen Regelung vor:
Art. 98 lit. a OG
schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die angefochtene Verfügung des Bundesrats aus, während
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
eine gerichtliche Überprüfung gebietet.
d) Art. 114bis Abs. 3, der gleich wie
Art. 113 Abs. 3 BV
die Bundesgesetzgebung und die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht für massgebend erklärt, enthält keine Lösung für den vorliegenden Konfliktfall (vgl. auch Art. 191 der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 [nBV]). Es ist ausgeschlossen, zwei sich widersprechende Normen - seien sie bundesgesetzlicher oder staatsvertraglicher Natur - zugleich anzuwenden. Der Konflikt ist vielmehr unter Rückgriff auf die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts zu lösen (
BGE 117 Ib 367
E. 2e S. 372 f.), die für die Schweiz als Völkergewohnheitsrecht verbindlich sind und zugleich geltendes Staatsvertragsrecht darstellen. So ist die Eidgenossenschaft gemäss Art. 26 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom
BGE 125 II 417 S. 425
23. Mai 1969 (VRK; SR 0.111) verpflichtet, die sie bindenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen («pacta sunt servanda»;
BGE 120 Ib 360
E. 3c S. 366; vgl. auch
Art. 5 Abs. 4 nBV
). Sie kann sich insbesondere nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen (
Art. 27 VRK
; vgl. auch
Art. 5 Abs. 4 nBV
; vgl. auch
BGE 116 IV 262
E. 3b/cc S. 269;
BGE 117 IV 124
E. 4b S. 128;
BGE 122 II 234
E. 4e S. 239).
Diese völkerrechtlichen Prinzipien sind in der schweizerischen Rechtsordnung unmittelbar anwendbar (
BGE 117 Ib 337
E. 2a S. 340) und binden nicht nur den Gesetzgeber, sondern sämtliche Staatsorgane (vgl. die gemeinsame Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz und der Direktion für Völkerrecht vom 26. April 1989, VPB 53/1989 Nr. 54 Ziff. 15 S. 420 ff.). Daraus ergibt sich, dass im Konfliktfall das Völkerrecht dem Landesrecht prinzipiell vorgeht (
BGE 122 II 485
E. 3a S. 487;
BGE 122 II 234
E. 4e S. 239;
BGE 109 Ib 165
E. 7b S. 173;
BGE 100 Ia 407
E. 1b S. 410;
BGE 125 III 209
E. 6e in fine). Dies hat zur Folge, dass eine völkerrechtswidrige Norm des Landesrechts im Einzelfall nicht angewendet werden kann. Diese Konfliktregelung drängt sich umso mehr auf, wenn sich der Vorrang aus einer völkerrechtlichen Norm ableitet, die dem Schutz der Menschenrechte dient. Ob in anderen Fällen davon abweichende Konfliktlösungen in Betracht zu ziehen sind (vgl. z.B.
BGE 99 Ib 39
E. 4 S. 44 f.), ist vorliegend nicht zu prüfen. Dieses Ergebnis kann sich auf Präjudizien in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stützen (
BGE 106 Ib 16
E. 1 S. 17;
BGE 107 Ib 68
E. 2 S. 69;
119 V 171
E. 4b S. 178), die auch die Grundlage für
Art. 5 Abs. 4 nBV
bildete (vgl. BBl 1997 I, S. 134 f.).
In Fällen, in denen das kantonale Recht die gebotene gerichtliche Beurteilung einer Streitsache nicht vorsieht, weist das Bundesgericht die kantonalen Behörden an, direkt gestützt auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
die zuständige Gerichtsinstanz zu bezeichnen (
BGE 123 II 231
E. 7 S. 236;
BGE 121 II 219
E. 2c S. 222). Im vorliegenden Fall sind die Bundesbehörden verpflichtet, für die erforderliche richterliche Kontrolle zu sorgen. Dabei ist nicht ersichtlich, welche andere Behörde als das Bundesgericht diese Aufgabe übernehmen könnte. Umstände, die es nahe legen könnten, eine entsprechende Anpassung der Gesetzgebung abzuwarten, liegen nicht vor. Da das erwähnte neue Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit keine dem Propagandabeschluss entsprechende Regelung mehr vorsieht, entfällt von vornherein ein Anlass zu einer gesetzlichen Regelung des Rechtsschutzes in diesem Bereich. Das Bundesgericht
BGE 125 II 417 S. 426
muss daher direkt gestützt auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf die vorliegende Beschwerde eintreten, um eine Verletzung der Konventionsrechte zu verhindern.
Es ist demzufolge die Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Beurteilung der erhobenen Beschwerde zu bejahen. Da die genannte Konventionsbestimmung eine freie richterliche Überprüfung des Sachverhalts und der Rechtsfragen - hingegen nicht eine Ermessenskontrolle - voraussetzt (
BGE 120 Ia 19
E. 4c S. 30), ist das eingereichte Rechtsmittel als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen.
e) Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, so dass auf die Beschwerde einzutreten ist.
f) Der Beschwerdeführer stellt im Verfahren vor dem Bundesgericht keinen Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung. Da nach der Rechtsprechung eine öffentliche Verhandlung ausdrücklich oder zumindest konkludent verlangt werden muss, wenn wie vor dem Bundesgericht normalerweise in einem schriftlichen Verfahren entschieden wird (vgl.
Art. 112 OG
), ist vorliegend von einem Verzicht auf dieses Recht auszugehen (
BGE 121 I 30
E. 5f S. 37 f.;
BGE 122 V 47
E. 3a S. 55). Es sind auch keine wichtigen öffentlichen Interessen ersichtlich, welche die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung gebieten würden.
5.
Der Bundesrat hat den angefochtenen Einziehungsentscheid als vertraulich bezeichnet und es deshalb abgelehnt, ihn dem Beschwerdeführer in der Originalfassung auszuhändigen und ihm Einsicht in die dazugehörigen Akten zu gewähren. Der Beschwerdeführer sieht darin eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
.
Der angefochtene Entscheid hat die Einziehung von Verschiedenem Propagandamaterial - nicht nur von dem an den Beschwerdeführer adressierten - zum Gegenstand und betrifft die innere Sicherheit der Schweiz. Er wurde daher gestützt auf
Art. 27 Abs. 1 lit. a VwVG
als vertraulich klassiert. Der Beschwerdeführer wurde jedoch nicht nur über den Entscheid des Bundesrates informiert, sondern es wurde ihm mit Schreiben vom 14. September 1998 auch ein Auszug aus der Entscheidbegründung bekannt gegeben. Die Lektüre der dem Bundesgericht vorliegenden Originalfassung des Einziehungsentscheids und des ihm zu Grunde liegenden Antrags des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zeigt, dass dem Beschwerdeführer im Schreiben vom 14. September 1998 alle wesentlichen Entscheidgründe mitgeteilt wurden und der
BGE 125 II 417 S. 427
Bundesrat sich auf keine weiteren Akten, in die der Beschwerdeführer keine Einsicht erhielt, stützte. Unter diesen Umständen war der Beschwerdeführer in der Lage, den Einziehungsentscheid sachgerecht anzufechten. Nach der Rechtsprechung kann in dieser Situation nicht von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gesprochen werden (
BGE 121 I 225
E. 2a S. 227).
6.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Einziehung des von den Zollbehörden sichergestellten Propagandamaterials stelle einen sehr schweren Eingriff in die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit dar, der einer Grundlage in einem formellen Gesetz bedürfe. Der Propagandabeschluss sei bloss eine Verordnung und daher keine genügende gesetzliche Grundlage für die angeordnete Einziehung. Ausserdem weise die darin enthaltene Regelung nicht die für schwere Grundrechtseinschränkungen erforderliche inhaltliche Bestimmtheit auf. Schliesslich vermöge sich der Propagandabeschluss heute nicht mehr auf das in
Art. 102 Ziff. 9 und 10 BV
vorgesehene Polizeinotverordnungsrecht des Bundesrats zu stützen und sei deshalb nicht mehr anzuwenden.
a) Der Propagandabeschluss stellt eine selbständige Verordnung des Bundesrats dar, die sich auf
Art. 102 Ziff. 8-10 BV
abstützt. Der im Ingress ebenfalls als Rechtsgrundlage angeführte Art. 4 Abs. 2 des Postverkehrsgesetzes vom 2. Oktober 1924 ist mit dessen Ablösung durch das neue Postgesetz vom 30. April 1997 (PG; SR 783.0) am 1. Januar 1998 weggefallen. Der Beschwerdeführer bestreitet zu Recht nicht, dass der Bundesrat gestützt auf Art. 102 Ziff. 8-10 Verordnungen erlassen darf (vgl.
BGE 100 Ib 318
E. 3 S. 319 f.;
BGE 64 I 365
E. 3 S. 370 ff.; DIETRICH SCHINDLER, Kommentar BV, Art. 102, Rz. 113 f., 127 und 163).
Nach Ansicht des Beschwerdeführers sind jedoch mit dem Ende des Kalten Krieges die Gründe für die im Propagandabeschluss vorgesehene Beschlagnahme und Einziehung entfallen. Es bestehe dafür keinerlei Notwendigkeit mehr, da von einer Gefahr einer kommunistischen Unterwanderung der Schweiz nicht mehr gesprochen werden könne. Die Kompetenz des Bundesrats erstrecke sich aber nur auf den Erlass von Verordnungen zur Bewältigung konkreter ernsthafter Gefahrenlagen.
Es trifft zu, dass die Veränderungen der weltpolitischen Lage in der letzten Zeit verschiedene Anpassungen der Bestimmungen über die innere und äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft erforderten. Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des bereits erwähnten neuen Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit
BGE 125 II 417 S. 428
am 1. Juli 1998 ist nicht nur der Bundesratsbeschluss betreffend politische Reden von Ausländern vom 24. Februar 1948 (Rednerbeschluss; SR 126), sondern in der Tat auch der Propagandabeschluss aufgehoben worden. Dieser Schritt erfolgte jedoch nicht, weil überhaupt keine Gefährdungen der inneren und äusseren Sicherheit mehr auftreten könnten, sondern weil mit dem Erlass des neuen Gesetzes in diesem Bereich definitiv kein Raum mehr für verfassungsunmittelbares Verordnungsrecht besteht (Botschaft des Bundesrates zum genannten Gesetz vom 7. März 1994, BBl 1994 II 1195). Die Aufhebung des Propagandabeschlusses belegt damit nicht, dass für die darin vorgesehene Einziehung schon vorher keinerlei Notwendigkeit mehr bestand. Der Beschwerdeführer verkennt, dass der Propagandabeschluss sich nicht nur gegen die kommunistische Unterwanderung wandte, sondern überhaupt gegen jegliche Gefährdungen der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz, also beispielsweise auch gegen solche durch rechtsextreme Schriften. Er diente damit bis zu seiner Aufhebung polizeilichen, aussen- und sicherheitspolitischen Zielen gemäss
Art. 102 Ziff. 8-10 BV
. Von einem Wegfall der bundesrätlichen Kompetenz zu der im Propagandabeschluss getroffenen Regelung kann daher nicht gesprochen werden.
b) Verordnungen, die der Bundesrat gestützt auf
Art. 102 Ziff. 8-10 BV
erlässt, bilden eine ausreichende Grundlage für Einschränkungen von Freiheitsrechten (
BGE 100 Ib 318
E. 3 S. 320; SCHINDLER, a.a.O., Rz. 123 und 165). Die angefochtene Einziehung bewirkt freilich einen schweren Eingriff in die Meinungsäusserungs- (
Art. 10 EMRK
) und Pressefreiheit (
Art. 55 BV
), der nach der Rechtsprechung einer Grundlage in einem formellen Gesetz bedarf (
BGE 124 I 40
E. 3b S. 42 f.). Der Propagandabeschluss stellt zwar für sich allein genommen kein solches Gesetz dar. Zusammen mit den Verfassungsbestimmungen, auf die er sich abstützt, bildet er jedoch eine genügende gesetzliche Grundlage für die umstrittene Massnahme. Dies ergibt sich zudem auch daraus, dass der Propagandabeschluss lediglich eine Konkretisierung der polizeilichen Generalklausel für bestimmte Gefährdungslagen bildet und gestützt auf die Letztere die Grundrechte auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage eingeschränkt werden dürfen (
BGE 103 Ia 310
E. 3a S. 312; Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 10. Oktober 1979 i.S. Rassemblement jurassien et Unité jurassienne c. Suisse, DR 17, S. 93 ff. Ziff. 6, auch publiziert in VPB 47/1983, Nr. 196 B, Ziff. 6 S. 594; s. auch Nr. 196 A, lit. b, S. 589-591).
BGE 125 II 417 S. 429
c) Die zuletzt genannte Funktion des Propagandabeschlusses erklärt auch die vom Beschwerdeführer ebenfalls gerügte geringe Bestimmtheit der getroffenen Regelung. Eine präzise Umschreibung des Propagandamaterials, das die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden geeignet ist, erscheint nicht möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ist dem Gesetzgeber jedenfalls nicht verwehrt, bei der Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit allgemeine Begriffe zu verwenden, soweit eine nicht abstrakt erfassbare Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte oder das Bedürfnis nach einer sachgerechten Entscheidung im Einzelfall für eine gewisse Offenheit der fraglichen Norm sprechen (
BGE 124 I 40
E. 3b S. 43; Urteil des EGMR i.S. Goodwin c. Vereinigtes Königreich vom 27. März 1996, Rec. 1996-II, S. 483, Ziff. 31 und i.S. Tolstoy Miloslavsky c. Vereinigtes Königreich vom 13. Juli 1995, Serie A, Band 316-B, Ziff. 37). Die Rüge, die Regelung des Propagandabeschlusses weise nicht die nötige Bestimmtheit auf, ist daher unbegründet.
7.
Nach Ansicht des Beschwerdeführers bewirkt die vom Bundesrat verfügte Einziehung des fraglichen Propagandamaterials auch deshalb einen unzulässigen Eingriff in die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit, weil eine so weitgehende Massnahme zur Aufrechterhaltung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz nicht erforderlich und diese daher unverhältnismässig sei.
a) Beim eingezogenen Material handelt es sich einerseits um Ausgaben der Zeitschrift «Toplumsal Alternatif» (Gesellschaftliche Alternative) Nr. 5 vom September 1997 und anderseits um Ta- schenbücher «Kadin Ve Iktidar Olgusu» (Frau und Regierungsfähigkeit) von Meral Kidir. Mit beiden Publikationen bezweckt die Kurdische Arbeiterpartei, möglichst viele Kurden und andere Gleichgesinnte für den bewaffneten Widerstand gegen die türkische Staatsmacht zu gewinnen. Dabei wird die Gewalt befürwortet und verherrlicht. Besonders propagiert werden die Militarisierung und der Märtyrertod der Frauen. Meldungen über erfolgreiche Bombenanschläge, Selbstmordattentate und sonstige Angriffe auf Einrichtungen des türkischen Staats geben den Aufrufen zur Gewaltanwendung zusätzliches Gewicht.
Der Bundesrat hält diese Schriften für geeignet, zum Extremismus neigende Gruppierungen in der ausländischen und schweizerischen Bevölkerung zu radikalisieren. Daraus ergebe sich eine Gefährdung für das friedliche Zusammenleben und damit für die innere Sicherheit
BGE 125 II 417 S. 430
der Schweiz. Der Beschwerdeführer bestreitet dies mit Nachdruck. Nach seiner Auffassung sind die beschlagnahmten Schriften blosse Kriegspropaganda, die dazu diene, in der Schweiz finanzielle Mittel für den bewaffneten Kampf in der Türkei erhältlich zu machen und Personen dafür zu rekrutieren.
b) Die bei den Akten liegenden übersetzten Auszüge aus den eingezogenen Schriften zeigen, dass darin keineswegs nur für die Anliegen der kurdischen Bevölkerung in der Türkei geworben wird. Vielmehr sollen die dort herrschenden Spannungen in die Schweiz hineingetragen und es soll bei den hier lebenden Emigranten Druck erzeugt werden. Auch wenn sich der Aufruf zum bewaffneten Kampf hauptsächlich auf das Territorium der Türkei bezieht, ist doch auch eine Radikalisierung bei den hier lebenden Kurden beabsichtigt. Auf Emigranten, welche die erwartete Unterstützung verweigern, soll Druck ausgeübt werden. Die generelle Propagierung der Gewalt zur Durchsetzung der kurdischen Anliegen fördert die Tendenz, auch gegenüber hier lebenden andersdenkenden Landsleuten Gewalt anzuwenden, und begünstigt überhaupt extremistische Gewaltakte. Die Schriften sind daher geeignet, die innere Sicherheit zu gefährden. Da sie sich zudem keineswegs auf eine Kritik an den türkischen Behörden beschränken - was zulässig wäre -, sondern diese beschimpfen, sind sie auch geeignet, die aussenpolitischen Beziehungen und die Neutralität der Schweiz zu beeinträchtigen.
Die Abwehr der angeführten Gefährdungen rechtfertigt nach der Rechtsprechung auch empfindliche Einschränkungen der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit (
BGE 108 Ia 300
E. 3 S. 303;
BGE 107 Ia 292
E. 6 S. 300; zur Rechtsprechung der Strassburger Organe vgl. JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 10, Rz. 29). Es ist auch nicht ersichtlich, dass vorliegend eine mildere Massnahme zur Vermeidung der Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit ausgereicht hätte, zumal der Aufruf zum bewaffneten Kampf die eingezogenen Schriften durchzieht und sich nicht nur auf einige wenige Stellen beschränkt, die allenfalls unkenntlich gemacht werden könnten. Der Vorwurf, die angefochtene Einziehung sei unverhältnismässig, erweist sich daher ebenfalls als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99068a65-b308-457a-ae0b-67e78a20e6aa | Urteilskopf
80 II 118
19. Sentenza 8 giugno 1954 della I Corte civile nella causa Società immobiliare La Salina SA contro Graziano Mancini. | Regeste
Art. 705 OR
.
Der Verwaltungsrat einer A.-G. kann durch die Generalversammlung jederzeit und aus irgendwelchem Grunde abberufen werden.
Zur Wahrung seiner Interessen steht dem Verwaltungsrat in der Regel nur die Schadenersatzklage (
Art. 705 Abs. 2 OR
) zu Gebote. Frage der Zulässigkeit auch der blossen Feststellungsklage in Gestalt der Genugtuungsklage, falls die Abberufung eine unerlaubte Verletzung des Verwaltungsrats in seinen persönlichen Verhältnissen bedeutet. | Sachverhalt
ab Seite 118
BGE 80 II 118 S. 118
A.-
Il 20 giugno 1947, Pietro Giumini, Graziano Mancini e Plinio Zanolini costituivano la Società
BGE 80 II 118 S. 119
immobiliare La Salina S. A., con sede a Muralto. Per il primo periodo statutario di tre anni erano nominati amministratori i tre azionisti fondatori; Graziano Mancini era designato presidente del consiglio d'amministrazione.
A motivo di dissensi sorti durante l'amministrazione tra il presidente e gli altri due membri del consiglio, questi convocavano un'assemblea generale straordinaria degli azionisti. Nell'avviso di convocazione, pubblicato sul Foglio ufficiale svizzero di commercio e sul Foglio ufficiale del Cantone Ticino, figurava quale prima trattanda la "Revoca d'un amministratore e nomina del nuovo presidente del consiglio d'amministrazione della società". L'assemblea, tenutasi a Locarno il 31 gennaio 1950, deliberava la revoca di Graziano Mancini dalla carica di amministratore e designava Pietro Giumini presidente del consiglio d'amministrazione.
B.-
Con petizione 31 marzo 1950 Mancini conveniva la Salina S. A. davanti al Pretore di Locarno proponendo a giudicare:
"1. Le deliberazioni dell'assemblea generale straordinaria 31 gennaio 1950 della Società immobiliare La Salina SA, Muralto. sono annullate.
Sub. - La deliberazione circa la revoca, trattanda 1, è cassata.
2. Comunicazione e pubblicazione sugli organi di pubblicazione sociali.
3. Spese tutte giudiziarie e ripetibili a carico solidale di Pietro Giumini e Plinio Zanolini."
L'attore motivava queste conclusioni adducendo che la deliberazione sociale era contraria alla legge e allo statuto, poichè non esisteva un motivo che giustificasse la sua revoca dalla carica di amministratore prima della scadenza del termine statutario.
La convenuta concludeva pel rigetto della petizione.
C.-
Statuendo in data 29 luglio 1952, il Pretore accoglieva la petizione nel senso che, accertata la validità della deliberazione assembleare 31 gennaio 1950, dichiarava ingiustificata ed arbitraria la revoca dell'amministratore Mancini. Pel rimanente le domande dell'attore erano
BGE 80 II 118 S. 120
respinte. Dopo di aver costatato che le giustificazioni date dalla società per la revoca dell'attore non erano fondate, il primo giudice concludeva osservando che l'amministratore revocato aveva bensì diritto all'azione di risarcimento e, con o prima di essa, all'accertamento giudiziale dell'arbitrarietà della decisione di revoca, ma non all'azione di contestazione della deliberazione assembleare ai sensi dell'art. 706 CO, perchè la deliberazione non era contraria alla legge o allo statuto.
Da questa sentenza si appellavano, in via principale, la Salina S. A. e, adesivamente, Graziano Mancini.
Con sentenza 23 novembre 1953 la Camera civile del Tribunale d'appello confermava il giudizio querelato essenzialmente per i seguenti motivi:
La trasformazione d'una domanda di contestazione d'una deliberazione assembleare in una domanda di accertamento non sottoposta all'esame del giudice è ammissibile. Il diritto privato federale (art. 705 CO) non potrebbe fare a meno dell'azione di mero accertamento in quanto ricorra il presupposto dell'interesse. È bensì vero che il periodo di nomina era da tempo scaduto, ma altrettanto vero è che l'attore aveva e ha un interesse giuridico a far accertare che la revoca era ingiustificata. Anche l'appello adesivo dev'essere respinto, poichè la deliberazione impugnata non contrasta nè con la legge, nè con lo statuto.
D.-
Tempestivamente la Salina S. A. ha interposto un ricorso per riforma al Tribunale federale, chiedendo l'annullamento della sentenza cantonale e il rigetto della petizione. La ricorrente fa valere che l'attore non ha un interesse giuridico a far dichiarare arbitraria la deliberazione assembleare e che l'ammissibilità dell'azione di risarcimento rende improponibile quella di mero accertamento.
Mancini, aderendo al ricorso, ha chiesto che, confermata la sentenza cantonale, sia pubblicata la pronuncia dichiarativa del Pretore (dispositivo I della sentenza 29 luglio
BGE 80 II 118 S. 121
1952), a spese della convenuta, sugli organi di pubblicazione sociale.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
L'art. 705 cp. 1 CO conferisce all'assemblea generale della società anonima la facoltà di revocare gli amministratori da essa nominati. L'amministratore può essere rimosso dalla sua carica in ogni tempo e per qualunque motivo (RU 25 II 346). Questa libertà di revoca si comprende per il rapporto di fiducia che si stabilisce fra gli azionisti e l'amministratore, fiducia che può cessare per qualsiasi causa, sia pure imponderabile. All'amministratore revocato rimane però riservata l'azione di risarcimento (art. 705 cp. 2 CO).
La revoca dell'amministratore è pertanto valida, anche se l'assemblea generale non sia in grado di provare un motivo grave a sostegno della revoca stessa. Ai fini dell'applicazione dell'art. 705 cp. 1 CO basta dunque costatare la regolarità con la quale l'assemblea generale si è riunita e ha deliberato sulla trattanda della revoca. Questa regolarità, accertata dal primo giudice, non è più stata contestata dall'attore che, con ragione, ha altresì rinunciato a riproporre in sede federale l'azione fondata sull'art. 706 CO.
2.
Il primo giudice, con un mutamento dell'azione la cui ammissibilità procedurale sfugge al sindacato di questa Corte, ha tuttavia "dichiarata ingiustificata e arbitraria nei confronti di Graziano Mancini" la deliberazione assembleare che lo revocava dalla carica di amministratore. La questione se quest'azione di mero accertamento sia ammissibile in virtù del diritto federale, e in caso affermativo se si avverino gli estremi dell'azione di accertamento accolta dalla sentenza querelata, solleva invece un problema di diritto federale la cui cognizione spetta al Tribunale federale adito col ricorso per riforma (
art. 43 OG
).
Come è già stato giudicato, il diritto cantonale può
BGE 80 II 118 S. 122
concedere l'azione di mero accertamento anche quando non sia prevista dal diritto federale, semprechè questo non la escluda (RU 49 II 430). Orbene, ammettendo la liceità della revoca senza giustificazione alcuna, il legislatore federale ha manifestamente inteso negare, di regola, all'amministratore il diritto di far dichiarare ingiustificata o arbitraria la deliberazione di revoca. L'amministratore non avrebbe del resto normalmente un interesse giuridico all'immediato accertamento giudiziale della lesione dei suoi diritti. Difatto, è conforme all'essenza dell'azione di accertamento che manca l'interesse a proporla quando l'attore può già esperire l'azione condannatoria (RU 77 II 351;
79 II 259
). Ora, quest'ultima, nella forma dell'azione di risarcimento, è proponibile dal momento stesso in cui la revoca è validamente deliberata. Nessun motivo di economia processuale può giustificare una diversa soluzione: ammettendo l'azione di mero accertamento lungi dal favorire l'economia dei processi, si favorisce l'esperimento di due azioni in luogo di quella sola di condanna prevista dal legislatore federale.
Accade tuttavia che l'amministratore sia revocato in un modo che pregiudichi illecitamente le sue relazioni personali. Un tale pregiudizio può risultargli segnatamente dal fatto che la revoca è resa pubblica con l'indicazione di motivi che non corrispondono al vero. In un caso siffatto non può essergli negato l'interesse all'immediato accertamente giudiziale, nella forma dell'azione di riparazione morale; questa presuppone però sempre una speciale gravità dell'offesa e della colpa. È vero che, a norma della vigente giurisprudenza del Tribunale federale, l'azione di accertamento non è più proponibile contro un atto di molestia cessato (RU 67 II 44). Ci si potrebbe però chiedere se l'azione non dovrebbe essere concessa anche quando l'atto di molestia appartiene al passato, purchè ne persistano gli effetti pregiudizievoli. Ma la questione può rimanere insoluta, atteso che in concreto la revoca non è avvenuta in modo da pregiudicare illecitamente
BGE 80 II 118 S. 123
l'attore nelle sue relazioni personali. A tutela dei suoi interessi, questi non disponeva pertanto che dell'azione di condanna, espressamente riservata dall'art. 705 cp. 2 CO.
3.
Il ricorso adesivo è irricevibile in virtù dell'art. 55 cp. 1 lett. b, ultima frase OG. Infatti, in sede cantonale l'attore non aveva chiesto di pubblicare la pronuncia dichiarativa del Pretore, bensì di pubblicare l'annulla mento della deliberazione di revoca. Del resto, anche se fosse stata proponibile, la domanda adesiva dell'attore sarebbe venuta necessariamente a cadere con l'accoglimento del ricorso principale.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
1.- Il ricorso principale è accolto. Di conseguenza è annullata la sentenza 23 novembre 1953 della Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino e la petizione di causa è respinta.
2.- Il ricorso adesivo è irricevibile. | public_law | nan | it | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9907ade2-9f14-4ce2-a66d-d11bde17bf34 | Urteilskopf
117 Ia 302
49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Juni 1991 i.S. M. gegen Gemeinde Flims und Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
,
Art. 4 und
Art. 22ter BV
; Ortsplanungsrevision; Beschwerdelegitimation; Einzonung in die Bauzone.
1. Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde, allgemeine Grundsätze (E. 1).
2. Ein Landwirt, dessen Land der Bauzone zugewiesen wird, ist zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (E. 2).
3. Ebenso ist er in seiner Eigenschaft als Pächter legitimiert, gegen die Einzonung des von ihm gepachteten Landes staatsrechtliche Beschwerde zu erheben (E. 3).
4. Im vorliegenden Fall ist die umstrittene Einzonung mit sachlichen Gründen nicht vertretbar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 303
BGE 117 Ia 302 S. 303
M., Landwirt, ist Eigentümer der unmittelbar westlich der Kernzone I der Fraktion Flims-Dorf in der Gemeinde Flims (Kanton Graubünden) gelegenen Parzelle Nr. 3891. Auf dieser knapp 6000 m2 grossen Parzelle befinden sich Wohnhaus, Scheune und Stallungen seines Landwirtschaftsbetriebes. M. bewirtschaftet ca. 20 ha. In seinem grossen Bauernhaus bietet er ausserdem "Ferien auf dem Bauernhof" an. Im Westen bzw. Südwesten grenzt an das Grundstück Nr. 3891 die mehrere Hektaren grosse, dem Vater von M. gehörende Parzelle Nr. 1585 an. M. hat dieses Grundstück von seinem Vater gepachtet. Gemäss Zonenplan der Gemeinde Flims vom Jahre 1977 gehörte die Parzelle Nr. 3891, mit Ausnahme eines schmalen Streifens von ungefähr 50 m2 an deren südlichen Ende, zur Bauzone. Gleiches gilt auch für den nördlichen, ca. 6500 m2 umfassenden Teil des angrenzenden Grundstücks Nr. 1585.
Am 4. Dezember 1988 hiessen die Stimmberechtigten der Gemeinde Flims eine Revision der Ortsplanung, bestehend aus einem neuen Zonenplan, einem revidierten Baugesetz und einem neuen Strassen- und Fusswegplan gut. Gemäss dem neuen Zonenplan blieben die Grundstücke Nrn. 3891 und 1585 in unverändertem Ausmass eingezont. Sie wurden der Bauzone A zugeteilt.
Hiegegen erhob M. Beschwerde bei der Regierung des Kantons Graubünden. Er beantragte, die zur Bauzone gehörenden Teile der Parzellen Nrn. 3891 und 1585 seien auszuzonen und in die Landwirtschaftszone einzuteilen. Die Regierung wies die Beschwerde am 12. März 1990 ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, eine Auszonung der beiden Grundstücke wäre planerisch zwar vertretbar gewesen. Der Gemeinde komme aber im Rahmen ihrer Planungsautonomie grundsätzlich eine erhebliche Entscheidungsfreiheit zu, welche die Regierung zu beachten habe.
Das Bundesgericht heisst die von M. erhobene staatsrechtliche Beschwerde gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden kann (
BGE 116 Ia 79
mit Hinweis).
BGE 117 Ia 302 S. 304
Der Beschwerdeführer ficht die Zuweisung der in seinem Eigentum stehenden Parzelle Nr. 3891 und des seinem Vater gehörenden Grundstücks Nr. 1585 zur Bauzone A an. Es ist daher zu prüfen, inwieweit er legitimiert ist, die Einzonung dieser beiden Grundstücke mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten.
Das Recht zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde richtet sich unabhängig davon, ob dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, ausschliesslich nach
Art. 88 OG
. Danach steht die Beschwerdebefugnis Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in rechtlich geschützten eigenen Interessen beeinträchtigt wird (
BGE 113 Ia 428
mit Hinweisen).
2.
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des bisher landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Nr. 3891. Es fragt sich, ob er durch den Umstand, dass diese Parzelle in die Bauzone A eingezont werden soll, in welcher nur freistehende Ein- und Mehrfamilienhäuser (Art. 40 Abs. 1 des Baugesetzes der Gemeinde Flims vom 4. Dezember 1988, BauG) zulässig sind, in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen wird. Grundsätzlich kann er seine Liegenschaft trotz der Einzonung - zumindest vorläufig - weiterhin landwirtschaftlich nutzen. In der Bauzone A sind jedoch nur nichtstörende Betriebe gestattet, die ihrem Wesen nach in Wohnquartiere passen und das ruhige und gesunde Wohnen in keiner Weise beeinträchtigen (Art. 40 Abs. 3 in Verbindung mit 95 Abs. 1 lit. a BauG). Bereits diese gesetzlichen Vorschriften, die entsprechende Berücksichtigung der künftigen Lärmempfindlichkeitsstufen (Lärmstufen II bzw. III) und die Tatsache, dass Landwirtschaftsbetriebe ganz allgemein nicht in eine reine Wohnzone gehören, machen deutlich, dass der Betrieb des Beschwerdeführers in der Bauzone A zonenwidrig wäre. Im Falle eines Umbaus oder einer baulichen Vergrösserung der - zonenwidrigen - Liegenschaft wäre eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 23 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) und Art. 5 BauG notwendig, auf deren Erteilung der Beschwerdeführer keinen Anspruch hat (Art. 5 Abs. 2 BauG). Eine allfällige Bewilligung könnte zudem mit einem Beseitigungsrevers versehen werden (Art. 116 BauG). Durch die Einzonung würde überdies die bestimmungsgemässe Nutzung des Landwirtschaftsbetriebes zum
BGE 117 Ia 302 S. 305
Teil erheblich erschwert. Es liegt auf der Hand, dass ein Landwirtschaftsbetrieb gewisse Immissionen verursacht, die in einer reinen Wohnzone, wie sie hier geschaffen werden soll, nicht mehr zulässig sind. Der Beschwerdeführer wäre daher gezwungen, seinen Betrieb den in der Bauzone A geltenden Vorschriften anzupassen und zu sanieren. Unter diesen Umständen wird der Beschwerdeführer durch die geplante Einzonung der Parzelle Nr. 3891 in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen, weshalb auf die Beschwerde in diesem Punkt eingetreten werden kann.
3.
Weiter ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur staatsrechtlichen Beschwerde auch legitimiert ist, soweit er die teilweise Einzonung des Grundstücks Nr. 1585, das seinem Vater gehört, anficht. Der Beschwerdeführer, der hauptberuflich in der Landwirtschaft tätig ist, hat die Parzelle Nr. 1585, die unmittelbar an sein eigenes Grundstück angrenzt, von seinem Vater gepachtet.
a) Wie dargelegt, ist zur staatsrechtlichen Beschwerde nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seinen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt wird. Hoheitsakte können nicht nur ihren Adressaten benachteiligen, sondern zugleich weitere Personen, die zum direkt Betroffenen in einer besonderen Beziehung stehen. Solch mittelbar Betroffene sind zur Anfechtung befugt, wenn sie sich bezüglich des beanstandeten Eingriffs nicht nur im Schutzbereich des angerufenen Grundrechts befinden, sondern sich zugleich auf eine Gesetzesnorm berufen können, die gerade ihre eigenen Interessen im fraglichen Bereich schützt (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 242 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung). Unabhängig davon, welches verfassungsmässige Recht der Beschwerdeführer anruft, muss er dartun, dass eine Gesetzesnorm besteht, die ihm im beeinträchtigten Interessenbereich einen Rechtsanspruch einräumt oder die dem Schutz seiner Interessen dient (WALTER KÄLIN, a.a.O., S. 231).
b) Der Pachtvertrag zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater für die Parzelle Nr. 1585 ist mündlich und auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden. Gemäss Art. 16 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes über die landwirtschaftliche Pacht vom 4. Oktober 1985 (LPG; SR 221.213.2) kann er daher im Rahmen von
Art. 7, 8 und 16 Abs. 3 LPG
unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Jahr gekündigt werden. Indessen steht jeder Vertragspartei gestützt auf
Art. 26 LPG
das Recht auf
BGE 117 Ia 302 S. 306
Pachterstreckung zu. Hat jedoch der Verpächter gekündigt, so gilt die Fortsetzung der Pacht u.a. als unzumutbar oder nicht gerechtfertigt, wenn das Gewerbe oder das Grundstück ganz oder teilweise in einer Bauzone nach
Art. 15 RPG
liegt und in naher Zukunft überbaut werden soll (
Art. 27 Abs. 2 lit. e LPG
).
Diese Voraussetzungen von
Art. 27 Abs. 2 lit. e LPG
, die kumulativ erfüllt sein müssen (STUDER/HOFER, Das Landwirtschaftliche Pachtrecht, Brugg 1987, S. 179) und die eine Pachterstreckung verunmöglichen würden, sind heute nicht erfüllt. Daran ändert nichts, dass die Parzelle Nr. 1585 gemäss altem Zonenplan von 1977 bereits der Bauzone zugeteilt war; bei dieser Bauzone handelte es sich klarerweise nicht um eine solche nach
Art. 15 RPG
, da das eidgenössische Raumplanungsgesetz erst seit dem 1. Januar 1980 in Kraft ist. Hinzu kommt, dass alte Zonenpläne mit ihren häufig überdimensionierten Bauzonen an der Nutzungsart eines Grundstücks oft nichts geändert haben (vgl. dazu
BGE 113 II 138
, 488), so dass nicht unbedingt mit einer Überbauung der Parzelle Nr. 1585 in naher Zukunft gerechnet werden musste. Der Beschwerdeführer hatte somit bisher grundsätzlich einen Anspruch auf Erstreckung des Pachtvertrages.
Demgegenüber würde durch die umstrittene Einzonung der Parzelle Nr. 1585 zweifellos eine Bauzone nach
Art. 15 RPG
geschaffen. Die Gemeinde Flims hat ihre Bauzonen trotz der herrschenden regen Bautätigkeit erheblich redimensioniert. Daraus folgt, dass der Baudruck auf das verbleibende eingezonte Land zunehmen wird; im Falle einer Einzonung von Parzelle Nr. 1585 ist daher mit deren Überbauung in naher Zukunft zu rechnen. Die umstrittene Planungsmassnahme würde somit dazu führen, dass die beiden Voraussetzungen von
Art. 27 Abs. 2 lit. e LPG
erfüllt wären und das Pachtverhältnis bei einer Kündigung durch den Verpächter nicht mehr erstreckt werden könnte. Damit würde der Beschwerdeführer das ihm gestützt auf
Art. 26 LPG
grundsätzlich zustehende Recht auf Pachterstreckung verlieren.
c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid auch insoweit in seinen rechtlich geschützten eigenen Interessen beeinträchtigt wird, als es um die teilweise Einzonung der Parzelle Nr. 1585 geht. Seine Legitimation ist daher auch in diesem Punkt zu bejahen.
4.
(Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 22ter BV
.)
a) ...
BGE 117 Ia 302 S. 307
b) Bei der Erfüllung raumplanerischer Aufgaben und der Festsetzung von Zonen haben die Planungsbehörden die im positiven Recht normierten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele und Grundsätze optimal zu berücksichtigen. Solche ergeben sich aus dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht (
BGE 115 Ia 353
;
114 Ia 374
,
BGE 113 Ib 270
). Dazu gehören die Ziele und Planungsgrundsätze, wie sie in
Art. 1 und
Art. 3 RPG
umschrieben sind. Zu beachten sind auch die Vorschriften von
Art. 14 ff. RPG
über die Nutzungspläne, für die Bauzonen insbesondere
Art. 15 RPG
, wonach das für die Überbauung geeignete oder weitgehend überbaute bzw. voraussichtlich innert 15 Jahren benötigte Land eingezont werden soll. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts liegen Massnahmen, die geeignet sind, das Entstehen überdimensionierter Bauzonen zu verhindern oder solche Zonen zu verkleinern, im öffentlichen Interesse. Zu gross bemessene Bauzonen sind nicht nur unzweckmässig, sondern gesetzwidrig (
BGE 116 Ia 231
mit Hinweisen). Erheblich sind unter anderem auch die Bestrebungen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, eine ausreichende Versorgungsbasis des Landes zu sichern und der Landwirtschaft genügende Flächen geeigneten Kulturlandes zu erhalten (Art. 1 Abs. 2 lit. a und d,
Art. 3 Abs. 2 lit. a und
Art. 16 RPG
). Diesen Grundsätzen kommt für sich alleine keine absolute Bedeutung zu. Es sind vielmehr Zielvorstellungen, Wertungshilfen und Entscheidungskriterien, die bei der Schaffung und Revision von Nutzungsplänen zu beachten sind und eine umfassende Berücksichtigung und Abwägung verlangen (
BGE 114 Ia 369
, 374). Bei der Durchführung einer Planung sind alle Interessen, seien es öffentliche oder private, zu beachten; Planungsmassnahmen sind nur dann verfassungskonform, wenn neben den Planungsgrundsätzen auch die konkreten, für den einzelnen Fall massgebenden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden (
BGE 115 Ia 353
mit Hinweisen). Verlangt wird, dass die Ortsplanung, bei welcher Zonen gebildet und irgendwo abgegrenzt werden müssen, sachlich haltbar, d.h. nicht willkürlich ist (
BGE 116 Ia 195
mit Hinweisen).
Aufgrund dieser Kriterien ist im folgenden zu prüfen, wie es sich mit der angefochtenen Planung für die beiden Parzellen Nrn. 3891 und 1585 im Gebiet Cangina in Flims verhält.
c) Die beiden umstrittenen Parzellen liegen südlich des zum grössten Teil mit Ferienhäusern überbauten Gebietes Cangina und wesentlich des Dorfkerns von Flims. Sie gehören zu einem grossen
BGE 117 Ia 302 S. 308
Landwirtschaftsgebiet, welches an den überbauten Bereich angrenzt. Weiter südwestlich befinden sich keine Gebäude mehr, und es ist auch keine Bauzone vorgesehen. Vom alten Dorfkern der Fraktion Flims-Dorf aus führt an der Nordgrenze der beiden Grundstücke entlang hangaufwärts ein Weg zur Via Cangina. Dieser Weg bildet, wie am Augenschein der bundesgerichtlichen Delegation vor allem von der Strassenkehre der Via Cangina oberhalb des Gehöfts des Beschwerdeführers aus festgestellt werden konnte, die eigentliche, natürliche Abgrenzung zwischen dem nördlich gelegenen überbauten Bereich von Flims und dem landwirtschaftlich genutzten Gebiet südlich davon. Östlich des Betriebes des Beschwerdeführers, auf seinem Grundstück Nr. 3891, befindet sich zudem eine relativ dichte Hecke mit hochstämmigen Bäumen, welche entlang der Kernzone I Richtung Südosten verläuft. Der beschwerdeführerische Landwirtschaftsbetrieb wird durch diese Bestockung von den Wohnhäusern der Kernzone I klar abgetrennt. Der erwähnte Weg und die Hecke stellen eine markante, natürliche Zäsur zwischen überbautem und nichtüberbautem Gebiet dar, wie der Augenschein ergeben hat. Aus diesen Gründen wirkt die vorgesehene Grenze der Bauzone A gekünstelt. Einzuräumen ist zwar, dass dies bei Betrachtung des Zonenplans nicht ohne weiteres ersichtlich ist, da diese Grenze von der Kernzone I in einer leicht geschwungenen Linie zur Bauzone A in Cangina verläuft und die Bauzone A dadurch im fraglichen Bereich eine nahezu gleichmässige Breite erhält. Diese eher geometrische Linienführung auf dem Plan lässt sich jedoch mit den tatsächlichen Verhältnissen im Gelände nur schlecht vereinbaren. Die Bauzonengrenze führt quer durch das Grundstück Nr. 1585 hindurch und um das Gehöft des Beschwerdeführers herum. Sie steht weder mit den beschriebenen topographischen Verhältnissen noch mit der heute bestehenden Überbauungssituation im Einklang; sie lässt sich auch nicht mit natürlichen Gegebenheiten, etwa einem Bachlauf oder einer Bestockung usw., rechtfertigen. Demgegenüber würde eine Grenze, wie sie durch die beantragte Nichteinzonung entstünde, der heute bestehenden Trennung von überbautem und nichtüberbautem Gebiet sowie der Topographie des Geländes viel eher Rechnung tragen.
Anlässlich des Augenscheins konnte weiter festgestellt werden, dass der zur Einzonung vorgesehene Teil der Parzelle Nr. 1585 zwar nicht flach ist, dass es sich dabei aber um tiefgründiges, ertragreiches, maschinell leicht zu bearbeitendes Landwirtschaftsland
BGE 117 Ia 302 S. 309
handelt. Es grenzt unmittelbar an die Stallungen des Beschwerdeführers an, was für eine rationelle Bewirtschaftung des Hofes von Vorteil ist. Der betreffende Landwirtschaftsbetrieb verfügt mit einer Bewirtschaftungsfläche von knapp über 20 ha zudem nur über wenig mehr Land, als ein Familienbetrieb in dieser Höhenlage zum Überleben bedarf. Dass ausserdem ein landwirtschaftliches Gewerbe mit seinen üblichen Immissionen grundsätzlich nicht in eine reine Wohnzone gehört und sich deshalb die vorgesehene Zuweisung des Hofes des Beschwerdeführers zur Bauzone A als problematisch erweist (vgl. dazu vorne E. 2), sei hier nur am Rande erwähnt.
Zu diesen Überlegungen kommt hinzu, dass das eingezonte Gebiet von Flims, das noch unüberbaut ist, mit 26 ha bei einem jährlichen Bedarf von durchschnittlich 1,5 ha immer noch reichlich gross ist, auch wenn 11 ha davon unüberbaute Arrondierungsflächen sind. Selbst wenn daher weitere ca. 1,25 ha Land (6000 m2 des Beschwerdeführers von Nr. 3891 und 6500 m2 seines Vaters von Nr. 1585) nicht eingezont würden, wären in der Gemeinde Flims grundsätzlich noch genügend Baulandreserven vorhanden. Mit der beantragten Nichteinzonung könnte das gesetzmässige Redimensionierungsziel, welchem das Bundesgericht grosses Gewicht beilegt (vgl.
BGE 116 Ia 231
mit Hinweisen), noch besser erreicht werden. Darauf hinzuweisen ist zudem, dass die Planungsfachleute das umstrittene Gebiet stets zur Nichteinzonung vorgeschlagen haben. Dieser Umstand darf zwar für das vorliegende Urteil nicht ausschlaggebend sein, da der Entscheid über eine Zonenzuweisung nicht bei den Planern, sondern bei den politischen Behörden liegt; er ist aber immerhin erwähnenswert.
d) Alle diese Gesichtspunkte sprechen nicht für, sondern gegen eine Einzonung. Die Regierung selber erwähnt denn auch in ihrem Entscheid, dass es sich beim umstrittenen Gebiet um gut geeignetes Landwirtschaftsland handle und dass auch eine Nichteinzonung im fraglichen Gebiet planerisch vertretbar gewesen wäre. Sie hat aber keine Korrektur des Entscheids der Gemeinde vorgenommen, weil sie nicht in deren Planungsautonomie und Entscheidungsfreiheit eingreifen wollte. Bei Abwägung aller Interessen und konkreten Umstände drängt sich jedoch der Schluss auf, dass die angefochtene Einzonung im hier umstrittenen Gebiet sachlich nicht vertretbar ist. Das Bundesgericht ist zwar nicht Oberplanungsbehörde und greift nicht leichthin in das Planungsermessen von Kanton und Gemeinde ein. Im vorliegenden Fall ergibt sich aber
BGE 117 Ia 302 S. 310
eine Kumulation von Gründen, welche die Planung im betreffenden Bereich als qualifiziert unrichtig erscheinen lässt. Die teilweise Einzonung der Grundstücke Nrn. 3891 und 1585 in die Bauzone A gemäss Zonenplan der Gemeinde Flims vom 4. Dezember 1988 muss daher aufgehoben werden. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
9907d2fa-d07d-4599-beef-02d42874f361 | Urteilskopf
117 III 83
24. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 18. Dezember 1991 i.S. Spar- und Leihkasse Thun (Rekurs) | Regeste
Bankenstundung im Sinne von Art. 29 des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen.
1. Zuständigkeit der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts zur Beurteilung des Entscheides des Stundungsgerichts; Kognition (E. 1).
2. Legitimation der Bank zum Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer (E. 2).
3. Der Umstand, dass die Eidgenössische Bankenkommission der Bank die Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit entzogen hat, bevor über das Gesuch um Bankenstundung entschieden war, durfte das Stundungsgericht nicht dazu veranlassen, dieses Gesuch abzuweisen. Die Bankenstundung ist auch nach dem Entzug der Bewilligung zulässig, sofern die Überschuldung noch nicht ausgewiesen ist (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 84
BGE 117 III 83 S. 84
A.-
Nachdem die Spar- und Leihkasse Thun (SLT) in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, verfügte der Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission, aufgrund der Informationen der beigezogenen ATAG Ernst & Young AG, am 3. Oktober 1991 die einstweilige Schliessung der Schalter und Bancomat-Stellen der SLT und deren Niederlassungen bis 18. Oktober 1991 um 24.00 Uhr. Es wurde jegliche belastende Geschäftstätigkeit untersagt, die ATAG als Beobachterin im Sinne von Art. 23quater des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen (vom 8. November 1934; SR 952.0; BankG) eingesetzt und die sofortige Vollstreckbarkeit angeordnet.
BGE 117 III 83 S. 85
Am 17. Oktober 1991 reichte die SLT bei der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern im Sinne von
Art. 29 BankG
ein Gesuch um Bankenstundung für ein Jahr ein. Eventuell ersuchte sie um Nachlassstundung (im Sinne von
Art. 37 BankG
und
Art. 295 SchKG
) mit der Begründung, dass eine Überschuldung - sollte eine solche vom Stundungsgericht wider Erwarten festgestellt werden - die Nachlasswürdigkeit der SLT nicht in Frage stellen würde.
Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern wies mit Entscheid vom 4. November 1991 das Gesuch um Bankenstundung vollständig, jenes um Nachlassstundung "zur Zeit" ab.
B.-
Am 18. Oktober 1991 beschloss die Eidgenössische Bankenkommission, der SLT die Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit als Bank zu entziehen. Sie erklärte, die SLT sei aufgelöst und trete in Liquidation.
Die ATAG wurde zur Liquidatorin ernannt und der Entscheid als sofort vollstreckbar erklärt.
Die von der SLT hiegegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde von der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom 20. November 1991 abgewiesen.
C.-
Am 6. November 1991 rekurrierte die SLT an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit dem Hauptantrag, der Entscheid vom 4. November 1991 der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern als Stundungsgericht sei aufzuheben und es sei ihr für die Dauer eines Jahres Stundung im Sinne von
Art. 29 BankG
zu gewähren. Diesem Begehren wurde entsprochen.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern hat den angefochtenen Entscheid vom 4. November 1991 in ihrer Eigenschaft als Stundungsgericht im Sinne von
Art. 29 Abs. 4 BankG
erlassen. Der Entscheid kann nach Massgabe von Art. 53 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 30. August 1961 (SR 952.821) - welche Vorschrift nach
Art. 63 Abs. 2 der Verordnung über die Banken und Sparkassen (vom 17. Mai 1972; SR 952.02; BankV)
in Kraft geblieben ist - an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen werden (
BGE 100 III 69
E. 1,
BGE 104 III 101
E. 1a).
BGE 117 III 83 S. 86
Auf den innert der Frist von zehn Tagen nach Zustellung des angefochtenen Entscheides eingereichten Rekurs ist somit einzutreten.
b) Gemäss Art. 53 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen, letzter Satz, können alle Entscheide des Konkursgerichts und der Nachlassbehörde auch wegen Unangemessenheit an das Bundesgericht weitergezogen werden. Im Gegensatz zum ersten Satz derselben Bestimmung wird das Stundungsgericht im letzten Satz nicht genannt, so dass von einer Prüfungsbefugnis der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer im Sinne von
Art. 19 SchKG
auszugehen ist; das heisst, sie prüft nur die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens, sowie Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung.
2.
Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern vertritt in ihrer Vernehmlassung vom 25. November 1991 die Auffassung, dass infolge der Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 20. November 1991 durch das Bundesgericht die "seinerzeitigen Organe" zum Rekurs nicht mehr legitimiert seien. An deren Stelle sei die ATAG als Liquidatorin getreten. Sollte sich aber diese in der Zwischenzeit dem Rekurs angeschlossen haben, so sei darauf hinzuweisen, dass die ATAG bezüglich des Eventualantrags auf Gewährung der Nachlassstundung nicht beschwert sei. Auf den Rekurs sei daher nicht, eventuell teilweise nicht einzutreten.
Diese Auffassung des Stundungsgerichts wird der Tatsache nicht gerecht, dass - wie die ATAG in ihrer Vernehmlassung zutreffend hervorhebt - am 6. November 1991, als der Rekurs eingereicht wurde, völlige Unklarheit über die rechtliche Situation und insbesondere die Handlungsfähigkeit der SLT herrschte (vgl. aber
Art. 739 OR
; BODMER/KLEINER/LUTZ, Kommentar zum schweizerischen Bankengesetz, N 13 zu Art. 23quinquies). Gewissheit über die Liquidation der SLT und die damit eingeschränkte Handlungsfähigkeit wurde erst geschaffen, als die II. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts am 20. November 1991 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die sich gegen den Entzug der Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit gerichtet hatte, abwies.
Auf jeden Fall hat die Liquidatorin den für die SLT handelnden Rechtsvertreter gemeinsam mit dem Verwaltungsrat der SLT zum Rekurs bevollmächtigt und sich ausdrücklich dessen Anträgen und
BGE 117 III 83 S. 87
der entsprechenden Begründung angeschlossen. Zumindest bezüglich des Hauptantrags ist daher auf den Rekurs unter dem Gesichtswinkel der Legitimation einzutreten. Darüber hinaus ist aber auch nicht recht einzusehen, inwiefern - wie das Stundungsgericht ohne nähere Begründung behauptet - die Liquidatorin bezüglich des Eventualbegehrens, dass Nachlassstundung zu gewähren sei, nicht beschwert sein sollte. Das braucht indessen nicht näher untersucht zu werden, muss doch zumindest die SLT selber infolge der Abweisung (wenngleich nur "zur Zeit") des Eventualbegehrens als beschwert und zudem aufgrund der gesetzlichen Regelung (Art. 1 Abs. 3 der Verordnung betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen vom 11. April 1935; SR 952.831) als legitimiert betrachtet werden.
3.
Das Bundesgericht hat mit seinem Urteil vom 20. November 1991 den Beschluss der Eidgenössischen Bankenkommission bestätigt, womit der SLT mit sofortiger Wirkung die Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit entzogen und die Liquidation angeordnet worden ist. Unter diesen Umständen muss die Bank zwingend liquidiert werden (
Art. 23quinquies Abs. 2 BankG
). Selbst die Gewährung einer Bankenstundung vermöchte daran - entgegen der Vorstellung der Rekurrentin, die in ihrer Rekursschrift davon spricht, dass die SLT "in Zusammenarbeit mit einer andern Bank in einem beschränkten Rahmen weiterbestehen" könnte - nichts zu ändern (vgl. BODMER/KLEINER/LUTZ, N 13 zu Art. 23quinquies). Das Stundungsgericht weist daher zutreffend darauf hin, dass infolge des rechtskräftigen Entscheides der Eidgenössischen Bankenkommission weder eine Bilanzbereinigung noch eine Sanierung mehr möglich ist und dass die Bankorgane auch nicht mehr befugt sind, Verhandlungen über Deckungszusagen oder Übernahmen zu führen.
Entgegen der Auffassung des Stundungsgerichts ist indessen sehr wohl zu prüfen, ob nicht dennoch im Rahmen der nun unvermeidlichen Liquidation der SLT eine der von der Rechtsordnung vorgesehenen Massnahmen - nämlich die Bankenstundung im Sinne von
Art. 29 BankG
oder die Nachlassstundung im Sinne von
Art. 37 BankG
bzw.
Art. 295 SchKG
- angeordnet werden muss, um nicht nur im Interesse der SLT, sondern auch im Interesse ihrer zahlreichen Gläubiger und damit am Ende aus gesamtwirtschaftlichen Gründen einen überstürzten Konkurs zu vermeiden. Zu Recht haben die Rekurrentin und die Liquidatorin wie auch die Eidgenössische Bankenkommission und die Schweizerische
BGE 117 III 83 S. 88
Nationalbank nachdrücklich darauf hingewiesen, dass gegen einen der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner, der seine Zahlungen eingestellt hat, ohne vorgängige Betreibung die Konkurseröffnung verlangt werden kann (
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
).
Der Umstand, dass die Eidgenössische Bankenkommission der SLT die Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit entzogen hat, bevor über das Gesuch um Bankenstundung entschieden war, durfte deshalb die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern als Stundungsgericht nicht dazu veranlassen, dieses Gesuch abzuweisen. Dem angefochtenen Entscheid liegt ein zu enges Verständnis von
Art. 29 BankG
zugrunde.
4.
a) Wie schon im Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. November 1991 festgehalten, verfolgt das Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen mehrere Ziele, wobei der Schutz der Bankgläubiger im Vordergrund steht (
BGE 116 Ib 196
E. 2b; BODMER/KLEINER/LUTZ, N 7 zu Art. 1). Auch die im Gesetz für den Fall finanzieller Schwierigkeiten einer Bank vorgesehenen Massnahmen - so die Anordnung zur Schliessung der Schalter und der Entzug der Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit, insbesondere aber auch die Bankenstundung im Sinne von
Art. 29 BankG
- müssen im Lichte von Sinn und Zweck, die dem Gesetz innewohnen, gesehen werden.
Das Stundungsgericht hat im angefochtenen Entscheid zutreffend festgestellt, dass die Bankenstundung (auch) eine besondere Massnahme zum Schutz illiquider Banken ist, weil sie einer zahlungsunfähigen, aber nicht überschuldeten Bank für die Dauer eines Jahres Betreibungsschutz gewährt, um unbehindert von drängenden und unruhigen Gläubigern eine momentane Notsituation bewältigen zu können (
Art. 29 Abs. 2 BankG
;
BGE 100 III 72
E. 4; BODMER/KLEINER/LUTZ, N 1 zu Art. 29-35). Nachdem die Liquidation der SLT angeordnet worden ist, kann die Bankenstundung allerdings nicht mehr zur Bewältigung einer bloss vorübergehenden Krise dienen. Vielmehr geht es, was die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern offenbar übersehen hat, gerade im vorliegenden Fall der Liquidation einer mit Sparern, Anlegern und Kontokorrentinhabern aller sozialen Schichten verbundenen Lokalbank vordringlich um die Wahrung der Interessen der Bankgläubiger. Diese haben grössere Aussicht auf Befriedigung ihrer Ansprüche, wenn die Liquidation der SLT - dank der Bankenstundung - möglichst ungestört vorbereitet wird.
BGE 117 III 83 S. 89
b) In rechtlicher Hinsicht hat das Stundungsgericht verkannt, dass die Vorschriften über die Bankenstundung diese besondere Massnahme nicht auf Banken beschränken, die im Zeitpunkt der Gesuchstellung noch nicht in Liquidation stehen. Weder der Wortlaut von
Art. 29 BankG
noch Sinn und Zweck dieser Bestimmung setzen voraus, dass die Liquidation noch nicht angeordnet sei; und auch den weiteren Vorschriften zur Bankenstundung lässt sich keine solche Voraussetzung entnehmen. Mit Recht hat daher die Schweizerische Nationalbank auf
Art. 32 Abs. 2 BankG
hingewiesen, wonach die Bank während der Stundung unter der Aufsicht des Kommissärs und nach dessen Weisungen "ihr Geschäft" weiterführt, jedoch keine Rechtsgeschäfte vornehmen darf, durch welche die berechtigten Interessen der Gläubiger beeinträchtigt oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer begünstigt werden.
Aus der soeben angerufenen Bestimmung folgt klar, dass eine Bankenstundung auch noch zulässig ist, nachdem die Eidgenössische Bankenkommission die Liquidation angeordnet hat, sofern die Überschuldung noch nicht ausgewiesen ist. Die Bankenstundung mag als Vorstufe für Sanierungen, Bilanzbereinigungen und Liquidationen dienen (BODMER/KLEINER/LUTZ, N 2 zu Art. 29-35), kann aber auch - wie
Art. 35 Abs. 2 BankG
erkennen lässt - einer Nachlassstundung vorangehen, obgleich die Wirkungen beider Verfahren grundsätzlich dieselben sind (
BGE 100 III 69
E. 2; BODMER/KLEINER/LUTZ, N 10 zu Art. 29-35). Sollte sich während der Dauer der Bankenstundung entgegen bisherigen Erwartungen herausstellen, dass die SLT überschuldet ist, kann sie - worin dem Stundungsgericht beizupflichten ist - noch immer ein Gesuch um Nachlassstundung im Sinne von
Art. 37 BankG
bzw.
Art. 295 SchKG
stellen (BODMER/KLEINER/LUTZ, N 19 zu Art. 29-35).
5.
Die ATAG als Liquidatorin und provisorische Kommissärin ist davon ausgegangen, dass die SLT nicht überschuldet sei, wenngleich die Forderungen der Gläubiger nur noch zu mindestens 90 Prozent gedeckt seien. Sie hat deshalb gestützt auf
Art. 32 Abs. 2 BankG
Teile der Sparguthaben und 45 Prozent der Kurrentguthaben zur Auszahlung freigegeben. Der Betreibungsschutz, den die Bankenstundung verschafft, soll den Weg dafür offenhalten, dass - vor allem im Interesse der Bankgläubiger - in einem beruhigten Umfeld die weiteren Schritte zur Liquidation der SLT angeordnet werden können. Weitere Massnahmen sind unter anderem, wie die Schweizerische Nationalbank hervorhebt,
BGE 117 III 83 S. 90
die Plazierung der Hypothekaranlagen der SLT bei anderen Banken und die Verwertung nicht plazierbarer Hypotheken.
Im übrigen ist es nicht Sache der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, die konkreten Massnahmen aufzulisten, welche das Stundungsgericht bzw. der von ihm bestellte Kommissär nach der Bewilligung der Bankenstundung zu ergreifen haben (vgl.
Art. 30 ff. BankG
,
Art. 55 ff. BankV
). ...
6.
Da heute nicht mit Sicherheit anzunehmen ist, dass die SLT überschuldet ist, die von der Eidgenössischen Bankenkommission angeordnete Liquidation der SLT der Gewährung der Bankenstundung nicht entgegensteht und der durch die Bankenstundung bewirkte Betreibungsschutz als geeignet erscheint, den Interessen der Bankgläubiger zu dienen, ist dem Hauptantrag der Rekurrentin zu entsprechen und ihr für die Dauer eines Jahres Bankenstundung im Sinne von
Art. 29 BankG
zu bewilligen. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
990cdf39-f558-437d-89e5-9bf009c369b8 | Urteilskopf
119 II 323
63. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Juli 1993 i.S. B.-S. gegen. B.-F. und Geschwister (Berufung) | Regeste
Zuweisung der ehelichen Wohnung bzw. des Hauses an den überlebenden Ehegatten (
Art. 612a ZGB
).
Art. 612a ZGB
, der dem überlebenden Ehegatten das Recht einräumt, das Eigentum an der ehelichen Wohnung bzw. am ehelichen Haus auf Anrechnung zu verlangen, ist dispositiver Natur. Ein Ehegatte kann daher dem andern durch letztwillige Verfügung anstelle des Eigentums ein Wohnrecht bzw. die Nutzniessung einräumen (E. 5). | Erwägungen
ab Seite 323
BGE 119 II 323 S. 323
Aus den Erwägungen:
5.
Die Beklagte hält dafür,
Art. 612a ZGB
stelle eine zwingende Norm dar, die der Erblasser nicht ohne ihre Zustimmung habe umgehen können. Von der Lehre wird mehrheitlich der dispositive
BGE 119 II 323 S. 324
Charakter der vorgenannten Gesetzesbestimmung bejaht und angenommen, das Vorrecht des überlebenden Ehegatten auf die Zuweisung des Eigentums an der ehelichen Wohnung oder am Haus werde namentlich ausgeschlossen, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung ein Wohnrecht oder die Nutzniessung zuwende (vgl. etwa KAUFMANN, Das Erbrecht sowie die ehe- und erbrechtliche Übergangsordnung in: Berner Tage für juristische Praxis 1987, Bern 1988, S. 131; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 16 zu
Art. 219 ZGB
mit zahlreichen Hinweisen; GUINAND, Le droit successoral in: Le nouveau droit du mariage, 2. Aufl. Lausanne 1987, S. 83; SCHWANDER, Die 1984 revidierten erbrechtlichen Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs in: Das neue Eherecht, St. Gallen 1987, S. 303; DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, Bern 1987, S. 548; RICHARD SCHLEISS, Hausrat und Wohnung in der Güterstandsauseinandersetzung und Erbteilung, Diss. BE 1989, S. 192; anderer Meinung: DRUEY, Das neue Erbrecht und seine Übergangsordnung, in: HAUSHEER, Vom alten zum neuen Eherecht, Bern 1986, S. 172; HAUSHEER,
Art. 612a ZGB
- wirklich nur dispositiv?, AJP 2/93, S. 126 ff.).
Der mehrheitlich vertretenen Auffassung ist zuzustimmen:
Art. 612a ZGB
befindet sich im zweiten Abschnitt des siebzehnten Titels des ZGB, der von der Teilungsart handelt und dem Erblasser in
Art. 608 Abs. 1 ZGB
das Recht einräumt, seinen Erben durch Verfügung von Todes wegen Vorschriften über die Teilung zu machen. Systematisch handelt es sich demnach bei
Art. 612a ZGB
um eine Teilungsvorschrift (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 219 ZGB
), aus deren Wortlaut sich nicht ergibt, dass die dem Erblasser durch
Art. 608 Abs. 1 ZGB
zugestandene Freiheit eingeschränkt wird. Sodann fällt auf, dass die im bäuerlichen Erbrecht eingeordnete Bestimmung des
Art. 621bis ZGB
die Verfügungsfreiheit des Erblassers hinsichtlich der Teilung im Gegensatz zu
Art. 612a ZGB
ausdrücklich einschränkt. Die Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Ehegüterrecht und Erbrecht) vom 11. Juli 1979 (BBl 1979 II S. 1354 zweitletzter Absatz), aber auch die verschiedenen Voten der parlamentarischen Beratung (Amtl.Bull. SR 1981, S. 161: Voten von Ständerat Dillier und Bundespräsident Furgler; Amtl.Bull. SR 1984, S. 140: Voten von Ständerat Hänsenberger und Bundesrat Friedrich; Amtl.Bull. NR 1984, S. 1046: Votum von Nationalrat Weber-Arbon) haben denn auch in unmissverständlicher Weise die dispositive Natur von
Art. 612a ZGB
BGE 119 II 323 S. 325
hervorgehoben; wird überdies beachtet, dass diese Auffassung angesichts der im gleichen Zuge eingefügten güterrechtlichen Bestimmungen des
Art. 219 und 244 ZGB
sowie in Kenntnis des zwingenden
Art. 621bis ZGB
vertreten worden ist, so lässt sich darin ohne Zweifel der Wille des Gesetzgebers erkennen (
BGE 118 II 309
E. a;
117 II 447
;
115 II 99
E. b mit Hinweisen),
Art. 612a ZGB
als dispositive Norm auszugestalten. Dass diese Regelung die Einheit mit den güterrechtlichen Bestimmungen der
Art. 219 und 244 ZGB
, welche nur durch die Ehegatten gemeinsam abänderbar sind, vermissen lässt (DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 3. Aufl. Bern 1992, § 16 N. 49), hat der Gesetzgeber demnach bewusst in Kauf genommen (vgl. Amtl.Bull. NR 1984, S. 1046: Votum von Nationalrat Weber-Arbon). | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
990e4bae-1467-47c3-8edb-f2a801e2614b | Urteilskopf
124 III 401
69. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. September 1998 i.S. A.L. und B.L. gegen C.L. (Berufung) | Regeste
Namensänderung (
Art. 30 Abs. 1 ZGB
).
Ein Kind geschiedener Eltern, das unter der elterlichen Gewalt der Mutter steht und in deren durch Wiederheirat gegründeter neuer Familie lebt, hat nur bei Vorliegen besonderer Umstände Anspruch auf Annahme des Familiennamens des Stiefvaters. | Sachverhalt
ab Seite 401
BGE 124 III 401 S. 401
Durch Urteil des Bezirksgerichts Z. vom 5. September 1995 wurde die Ehe von C.L. und D.L. geschieden. Die beiden Töchter A.L., geboren am 24. Dezember 1989, und B.L., geboren am 12. April 1991, wurden unter die elterliche Gewalt der Mutter (D.L.) gestellt. D.L. heiratete am 25. April 1997 E.M. und trägt seither den Familiennamen "M.".
D.M. stellte mit Eingabe vom 11. Juli 1997 bei der Direktion des Innern des Kantons Zürich für A.L. und B.L. das Gesuch, es sei den beiden zu gestatten, fortan ebenfalls den Familiennamen "M." zu führen.
C.L. beantragte die Abweisung des Gesuchs.
Mit Verfügung vom 6. November 1997 gab die Direktion des Innern dem Gesuch statt und bewilligte A.L. und B.L. die Änderung des Familiennamens in "M.".
BGE 124 III 401 S. 402
C.L. rekurrierte hiergegen, worauf das kantonale Obergericht (II. Zivilkammer) am 15. Juni 1998 beschloss, die angefochtene Verfügung aufzuheben.
Die durch ihre Mutter vertretenen A.L. und B.L. haben eidgenössische Berufung eingereicht mit den Anträgen, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und das Namensänderungsgesuch gutzuheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Regierung des Wohnsitzkantons kann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn wichtige Gründe vorliegen (
Art. 30 Abs. 1 ZGB
).
a) Ob im einzelnen Fall ein Grund für eine Namensänderung vorliegt, ist eine Ermessensfrage, die von der zuständigen Behörde nach Recht und Billigkeit zu beantworten ist (vgl.
Art. 4 ZGB
). Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht an sich frei; es übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Umstände berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat (vgl.
BGE 118 II 50
E. 4 S. 55;
BGE 117 II 6
E. 2 S. 8 f.;
BGE 116 II 145
E. 6a S. 149 mit Hinweis; dazu auch
BGE 116 IV 288
E. 2b S. 290 f.).
b) Die Namensänderung hat den Zweck, ernstliche Nachteile, die mit dem bisherigen Namen verbunden sind, zu beseitigen, wobei vor allem moralische, geistige und seelische Interessen im Spiele stehen können (
BGE 108 II 1
E. 5a S. 4, 247 E. 4b S. 249).
aa) Geleitet vom Gedanken, dass dem Kind nicht miteinander verheirateter Eltern gesellschaftliche Nachteile erwachsen, wenn aufgrund des Namens seine aussereheliche Geburt erkennbar werde, gestand das Bundesgericht ihm bis vor kurzem grundsätzlich ein legitimes Interesse daran zu, seinen Namen mit demjenigen der sozialen Familie in Einklang zu bringen (statt vieler:
BGE 119 II 307
E. 3c S. 309). Die Änderung des Familiennamens wurde regelmässig auch dort bewilligt, wo ein Kind nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter lebte und diese ihren früheren Namen wieder angenommen hat (vgl.
BGE 110 II 433
ff.;
BGE 109 II 177
ff.) oder die Mutter wieder geheiratet und das Kind in die mit dem Stiefvater neu gegründete Familie aufgenommen hat (vgl.
BGE 99 Ia 561
ff.).
BGE 124 III 401 S. 403
bb) In jüngerer Zeit ist das Bundesgericht von dieser eher grosszügigen Praxis abgewichen: So hat es mit Urteil vom 5. April 1995 (
BGE 121 III 145
ff.) die Berufung eines Kindes abgewiesen, das mit seiner Mutter und deren Konkubinatspartner, der zugleich sein Vater ist, in Hausgemeinschaft lebte. Dem Kind war von den kantonalen Instanzen die Annahme des Familiennamens des Konkubinatspartners der Mutter verweigert worden. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass die Beurteilung ausserehelicher Kindesverhältnisse durch die Gesellschaft sich verändert habe und deshalb nicht mehr mit den sozialen Nachteilen argumentiert werden könne, denen Kinder wegen des Namensunterschieds ausgesetzt seien; angesichts des bereits seit einigen Jahren eingetretenen Sinneswandels lasse sich nicht mehr schon allein in der Tatsache eines stabilen Konkubinatsverhältnisses zwischen der Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt und dem Konkubinatspartner als leiblichem Vater ein wichtiger Grund im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
erblicken (E. 2c S. 148). In die gleiche Richtung hatte schon der in diesem Urteil (E. 2a S. 147) zitierte nicht veröffentlichte Entscheid aus dem Jahre 1993 gewiesen: Dort war festgehalten worden, dass mit dem allgemeinen Hinweis des Kindes, es diene seinem Wohl, in Namenseinheit mit Mutter und Stiefvater zu leben, kein wichtiger Grund für die Änderung des Familiennamens dargetan sei. Infolge der Zunahme von Scheidungen und deren sich gewandelten Beurteilung durch die Gesellschaft - ähnliches gilt für Konkubinatsverhältnisse - erwachsen Kindern kaum mehr soziale Nachteile, wenn solche Familienverhältnisse aufgrund des Namens erkennbar sind (zur Frage der Namensänderung bei Kindern geschiedener Eltern vgl. auch THOMAS GEISER, Die neuere Namensänderungspraxis des schweizerischen Bundesgerichts, in: ZZW 61/1993, S. 379).
3.
a) Das Obergericht hebt im angefochtenen Entscheid hervor, dass, von ausserordentlichen Verhältnissen abgesehen, heutzutage Namensdiskrepanzen zwischen Mutter und Kind nicht mehr ohne weiteres als stigmatisierend zu betrachten seien. Besondere Umstände, die eine Namensänderung zu rechtfertigen vermöchten, würden im konkreten Fall nicht dargetan. Die Mutter der Berufungsklägerinnen habe lediglich vorgebracht, das Gesuch basiere "einzig und allein auf der spezifischen Situation der Kinder und derjenigen ... (der) Familie". Dass sich die beiden Mädchen als Teil der neuen Stieffamilie empfinden würden, sei indessen nichts denn natürlich, für sich allein aber kein Grund im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
zu einer Namensänderung. Ebensowenig liege ein wichtiger Grund
BGE 124 III 401 S. 404
darin, dass die Berufungsklägerinnen in der Schule bereits den "neuen" Namen führten und, fraglos durch Mutter oder Stiefvater veranlasst, mit dem stiefväterlichen Namen in die Klassentelephonliste aufgenommen worden seien. Die Vorinstanz bemerkt des Weitern, dass nichts vorgebracht werde, was darauf schliessen liesse, dass die beiden auf Grund irgendwelcher nicht ersichtlicher Besonderheiten unter der derzeitigen namensrechtlichen Situation zu leiden hätten. Im Übrigen erstaune, dass die Mutter bei ihrer Heirat, die nur rund 2 1/2 Monate vor dem Einreichen des Namensänderungsgesuchs stattgefunden habe, nicht von der ihr in
Art. 160 Abs. 2 ZGB
gebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, um die Namenseinheit zwischen ihr und den Kindern aufrechtzuerhalten. Als unerheblich erachtet das Obergericht ferner, dass eine Adoption der Berufungsklägerinnen (durch den Stiefvater) einstweilen nicht beabsichtigt sei, da dieser Umstand nur dann für eine Namensänderung sprechen würde, wenn eine Adoption aus triftigen Gründen ausser Betracht fiele, hier jedoch lediglich ein nicht weiter begründeter Verzicht auf "absehbare Zeit" vorliege. Für eine Namensänderung nicht ausreichend ist nach Ansicht der Vorinstanz schliesslich ebenso die blosse Tatsache einer zweijährigen Wohngemeinschaft.
b) Die Berufungsklägerinnen setzen sich mit der jüngsten Rechtsprechung nicht auseinander und bringen insbesondere nichts vor, was es rechtfertigen würde, davon abzuweichen. Ihre Ausführungen sind auch sonst unbehelflich:
aa) Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz angesichts der erst seit rund zwei Jahren bestehenden Wohngemeinschaft bei der Frage nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
hauptsächlich geprüft hat, ob den beiden Mädchen wegen der fehlenden Einheit des Familiennamens Nachteile erwüchsen. Aufgrund der von ihr verbindlich festgehaltenen tatsächlichen Gegebenheiten liegt sodann in der Verneinung der Frage kein fehlerhafter Gebrauch des Ermessens, so dass auch aus dieser Sicht Bundesrecht nicht verletzt ist. Aus dem Wunsch der heute rund 7- und 9-jährigen Berufungsklägerinnen, gleich zu heissen wie die Personen, die ihnen im Alltag als Eltern und Schwester begegnen, ergibt sich kein wichtiger Grund für eine Namensänderung. Abgesehen davon, wären diesem Wunsch mögliche spätere Auswirkungen gegenüberzustellen, die sich aus der Verschleierung der Herkunft bzw. der Beziehung zum leiblichen Vater ergeben könnten.
Soziale Nachteile werden in der Berufungsschrift insofern angedeutet, als die Mutter der Berufungsklägerinnen erklärt, es lebe sich
BGE 124 III 401 S. 405
im sozialen Alltag (Behörden, Schule usw.) als Frau M. sehr viel leichter denn als Frau L. Das in die gleiche Richtung weisende Vorbringen im Namensänderungsgesuch vom 11. Juli 1997, in der "heutigen innenpolitischen Wetterlage" sei der Alltag mit dem Familiennamen "M." wesentlich einfacher zu bewältigen als mit dem Familiennamen "L.", hat das Obergericht mit dem Bemerken zurückgewiesen, letzterer könne nicht als problembehaftet gelten. Auch diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden. Im Übrigen vermöchte ein sozialer Nachteil ohnehin nur dann eine Namensänderung zu rechtfertigen, wenn er ernsthafter Natur wäre (
BGE 121 III 145
E. 2c S. 148). Mit den erwähnten vagen Andeutungen ist die erforderliche Intensität jedoch von vornherein nicht dargetan.
bb) Die vom Obergericht zusätzlich angestellten Überlegungen im Zusammenhang mit dem einstweiligen Verzicht auf Adoption der Berufungsklägerinnen und mit dem Versäumnis ihrer Mutter, die Namenseinheit bei der Heirat aufrechtzuerhalten, brauchen nach dem Gesagten nicht näher erörtert zu werden. Dem in der Berufung hiezu Ausgeführten lässt sich im Übrigen nicht entnehmen, inwiefern eine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden will (vgl.
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Auf die Berufung ist in diesem Punkt daher gar nicht einzutreten. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9919ed90-3245-4784-8fe4-883bf90adb9b | Urteilskopf
83 II 57
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Februar 1957 i.S. Allega SA und Konsorten gegen Gschwind. | Regeste
1. Art. 73 A bs. 1 BZP,
Art. 40 OG
. Wer die Berufung zurückzieht, kann sie auch nicht mit der Behauptung erneuern, er habe den 2 Rückzug aus Irrtum erklärt (Erw. 1).
2.
Art. 754 Abs. 1 OR
. Die Aktiengesellschaft kann den Verwaltungsrat für Handlungen und Unterlassungen, die ihre Generalversammlung in Kenntnis der Verhältnisse gewollt hat, nicht verantwortlich machen (Erw. 2, 3).
3.
Art. 692 ff. OR
, Art. 2 Z GB. Der Aktionär hat in der Generalversammlung in der Regel auch in eigener Sache Stimmrecht. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs bleibt vorbehalten (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 83 II 57 S. 58
A.-
Das Grundkapital der Klima und Thermik AG war in 100 auf den Namen lautende Aktien zu Fr. 1000.-- zerlegt. Davon gehörten 20 dem einzigen Verwaltungsrat der Gesellschaft Fritz Gschwind und 80 der Orion Anlage AG, die er beherrschte und ebenfalls als einziger Verwaltungsrat leitete.
Am 27. November 1951 kauften Konrad Bachmann und Walter Neukomm dem Gschwind und der Orion Anlage AG alle Aktien der Klima und Thermik AG ab. Sie wussten, dass das Grundkapital nur zur Hälfte einbezahlt war und eine Zwischenbilanz auf 31. Oktober 1951 einen Verlust von Fr. 49'055.92 ergeben hatte. Der Kaufpreis der Aktien sollte auf Grund einer von der Allgemeinen Treuhand AG auf 31. Dezember 1951 zu erstellenden Bilanz bestimmt werden. Diese ergab einen Verlust von Fr. 30'410.90.
Ehe die Aktien auf die Käufer übertragen wurden, führte Gschwind am 31. Januar 1952 eine Generalversammlung durch. Sowohl seine eigenen als auch die der Orion Anlage AG gehörenden Aktien waren von ihm vertreten. Während der Versammlung leisteten ihm Bachmann und Neukomm
BGE 83 II 57 S. 59
eine weitere Anzahlung an den Kaufpreis und übergab Gschwind alle Aktienzertifikate sowie das Aktienbuch dem Vertreter der Allgemeinen Treuhand AG, die als Kontrollstelle amtete. Bachmann und Neukomm wurden in den Verwaltungsrat gewählt, der jedoch auf ihren Wunsch weiterhin von Gschwind geleitet wurde.
Am 2. Februar 1952 vereinbarten Gschwind und die Orion Anlage AG mit Bachmann und Neukomm, dass die Allgemeine Treuhand AG ihnen die Aktienzertifikate unbeschwert herausgebe, sobald sie den Kaufpreis vollständig bezahlt haben würden.
Am 29. Mai 1952 hielten Gschwind als Vertreter zweier Aktien und Bachmann und Neukomm, die je 49 Aktien vertraten, eine ausserordentliche Generalversammlung ab, an der auch Jakob Tütsch teilnahm. Gschwind trat aus dem Verwaltungsrat aus. Zu dessen neuem Präsidenten wählte die Versammlung Bachmann, und Jakob Tütsch wurde neues Mitglied des Verwaltungsrates. Gschwind stellte seine Pflichtaktien zur Verfügung. Die Versammlung stellte hierauf fest, dass inskünftig Bachmann und Neukomm je vierzig und Tütsch zwanzig Aktien zuständen, und dass die notwendigen Indossamente auf zwanzig Aktien anzubringen seien und Tütsch alsdann als Aktionär für zwanzig Aktien in das Aktienbuch eingetragen werde.
Am 27. Januar 1953 trat der Verwaltungsrat durch die Unterschriften Bachmanns und Neukomms im Namen der Gesellschaft deren Ansprüche gegen Gschwind, "insbesondere Ansprüche der Verantwortlichkeit im Sinne von
Art. 754 ff. OR
", an ein Konsortium ab, das sich in der Folge aus der Allega SA und achtzehn weiteren Gläubigern der Klima und Thermik AG bildete.
Über die Klima und Thermik AG wurde später der Konkurs eröffnet und mangels Aktiven wieder eingestellt.
B.-
Am 9. Dezember 1953 klagten die Allega SA und die anderen dem Konsortium angehörenden Gläubiger beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen Gschwind auf Bezahlung von Fr. 58'185.30 nebst 5% Zins seit 12. November
BGE 83 II 57 S. 60
1953. Unter Berufung auf
Art. 754 OR
und die Abtretungserklärung verlangten sie den Betrag als Ersatz für Schaden, den der Beklagte der Klima und Thermik AG durch pflichtwidriges Verhalten als Verwaltungsrat zugefügt habe. Die Forderung eines Teilbetrages von Fr. 50'000.-- begründeten sie damit, der Beklagte hätte entweder die ausstehende Hälfte des Grundkapitals von den alten Aktionären einfordern oder die Eintragung Bachmanns und Neukomms ins Aktienbuch von der Sicherstellung dieser Hälfte abhängig machen sollen.
Das Handelsgericht wies am 7. Juli 1955 die Klage ab, weil es die Abtretungserklärung für ungültig hielt. Auf Berufung der Kläger hob das Bundesgericht am 24. Januar 1956 dieses Urteil auf und wies die Sache zu materieller Beurteilung an die erste Instanz zurück.
Am 1. Oktober 1956 nahm das Handelsgericht davon Vormerk, dass einer der Kläger aus dem Prozess ausgeschieden sei. Es wies die Klage der verbleibenden achtzehn Kläger ab. Die Schadenersatzforderung von Fr. 50.000.-- verneinte es mit der Begründung, der Beklagte habe bei der Übertragung der Aktien auf Bachmann und Neukomm nicht nur als einziger Verwaltungsrat, sondern auch als "Universalversammlung" aller Aktionäre gehandelt, und die ausserordentliche Generalversammlung vom 29. Mai 1952 habe ohne Mitwirkung des Beklagten den Übergang von Aktien auf Bachmann und Neukomm bestätigt und die Übertragung von zwanzig Aktien auf Tütsch angeordnet, alles unter Verzicht auf Sicherstellung. Die Aktiengesellschaft könne daher für die allfällige Entwertung des Grundkapitals, weil ihr oberstes Organ sie selbst gewollt habe, niemanden belangen, auch kein Mitglied des Verwaltungsrates. Infolgedessen stehe den Klägern, die nicht ihre eigenen Ansprüche als Gläubiger, sondern nur die durch Abtretung erworbenen Ansprüche der Aktiengesellschaft geltend machten, keine Forderung gegen den Beklagten zu.
C.-
Die noch am Prozess beteiligten achtzehn Kläger
BGE 83 II 57 S. 61
haben gegen das Urteil vom 1. Oktober 1956 die Berufung erklärt mit den Anträgen, es sei aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, ihnen Fr. 50'000.--nebst Zins zu 5% seit 12. November 1953 zu bezahlen.
D.-
Der Beklagte hat am 14. Dezember 1956 beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen, eventuell die Sache an das Handelsgericht zurückzuweisen, subeventuell seien den Klägern höchstens Fr. 40'000.-- nebst 5% Zins seit Einleitung der Klage zuzusprechen.
E.-
Im Januar bezw. Februar 1957 haben die Kläger A. Stahel, Wanner & Co., S. Kisling & Cie. und Julius Schoch & Co. dem Bundesgericht erklärt, dass sie Berufung und Klage zurückzögen und die Vollmacht ihres Anwaltes erloschen sei.
Am 15. Januar 1957 ist eine gleiche Erklärung des Klägers August Lerch beim Bundesgericht eingetroffen. Lerch hat damit die Bemerkung verbunden, der Rückzug erfolge "ohne jegliche Kostenfolge zu Lasten A. Lerch". Am 23. Januar 1957 hat er dem Bundesgericht mitgeteilt, er habe die Erklärung aus Irrtum unterschrieben, weshalb sie zu "annullieren" und ihm als ungültig zurückzugeben sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Abstand einer Partei beendet den Rechtsstreit (
Art. 73 Abs. 1 BZP
). Gemäss
Art. 40 OG
gilt diese Bestimmung auch im Berufungsverfahren. Dieses ist daher nicht nur für die Kläger Stahel, Wanner & Co., S. Kisling & Co. und Julius Schoch & Co., sondern auch für Lerch zufolge Rückzugs der Berufung beendet. Wer ein Rechtsmittel zurückzieht, kann es nicht erneuern (
BGE 74 I 282
), auch nicht mit der Behauptung, er habe den Rückzug aus Irrtum erklärt.
Unbeachtlich ist ferner, dass Lerch sich in der Rückzugserklärung gegen die Auflegung von Kosten verwahrte. Ob und inwieweit er solche zu tragen hat, ist in Anwendung
BGE 83 II 57 S. 62
des Gesetzes (Art. 153 Abs. 2, 156 Abs. 1 OG) vom Gerichte zu bestimmen.
2.
Die Kläger machen geltend, der Beklagte als einziger Verwaltungsrat der Klima und Thermik AG hätte die noch nicht einbezahlte Hälfte des Grundkapitals einfordern sollen, nachdem die Zwischenbilanz vom 31. Oktober 1951 den Verlust der einbezahlten anderen Hälfte ergeben habe. Durch die Unterlassung habe er seine Sorgfaltspflichten nach
Art. 722 OR
verletzt und die spätere Uneinbringlichkeit des ausstehenden Betrages verursacht.
Dem ist nicht beizupflichten. Nach Art. 8 Ziff. 3 der Statuten war nicht der Verwaltungsrat, sondern die Generalversammlung zuständig, die Einforderung des noch nicht geleisteten Teils des Grundkapitals zu beschliessen. Dem Beklagten könnte also höchstens vorgeworfen werden, er habe die in
Art. 722 Abs. 2 Ziff. 1 OR
niedergelegte Pflicht der Verwaltung, die Geschäfte der Generalversammlung vorzubereiten, verletzt, nämlich dadurch, dass er der Versammlung keinen Antrag auf Einforderung stellte. Zu einem solchen Antrag bestand jedoch kein Anlass. Die Zwischenbilanz auf 31. Oktober 1951 ergab zwar einen Verlust von Fr. 49'055.92. Damit war aber erst die einbezahlte Hälfte des Grundkapitals sozusagen verloren, wogegen die Aktiven der Gesellschaft die Forderungen der Gläubiger noch ganz deckten. Zudem steht fest und wird von den Klägern anerkannt, dass die beiden damaligen Aktionäre, nämlich der Beklagte und die Orion Anlage AG, zahlungsfähig waren. Solange die Aktien ihnen gehörten, drohte daher der Klima und Thermik AG aus der Nichteinforderung der ausstehenden Hälfte des Grundkapitals kein Schaden. Übrigens war die Generalversammlung auch ohne Antrag der Verwaltung in der Lage, die Einforderung zu beschliessen. Die beiden Aktionäre waren über die Verhältnisse im Bilde, muss sich doch die Orion Anlage AG das Wissen ihres einzigen Verwaltungsrates, nämlich des Beklagten, als eigenes Wissen anrechnen lassen. Die Kläger gehen daher fehl, dem Beklagten in seiner Eigenschaft als gewesenem Verwaltungrat der Klima und
BGE 83 II 57 S. 63
Thermik AG einen Vorwurf aus der Nichteinforderung der ausstehenden Hälfte des Grundkapitals zu machen, eine Unterlassung, die ihre Generalversammlung und damit sie selbst in Kenntnis der Verhältnisse gewollt haben.
3.
Die Kläger werfen dem Beklagten vor, er habe seine Pflichten als Verwaltungsrat der Klima und Thermik AG auch dadurch verletzt, dass er weder von dem in Art. 3 Abs. 2 der Statuten vorbehaltenen Rechte der Verwaltung, die Zustimmung zum Übergang der Aktien ohne Angabe der Gründe zu verweigern, noch von der Möglichkeit, gemäss
Art. 686 Abs. 3 OR
von den Erwerbern Sicherstellung des noch nicht einbezahlten Teils des Grundkapitals zu verlangen, Gebrauch gemacht habe, obschon Bachmann und Neukomm schon damals finanziell schwach gewesen seien.
Der Übergang der Aktien auf Bachmann und Neukomm ohne Sicherstellung der nicht einbezahlten Hälfte des Grundkapitals ist in Kenntnis des Sachverhaltes von allen Aktionären und damit von der Klima und Thermik AG selber gutgeheissen worden. In der Generalversammlung vom 31. Januar 1952, als die Aktien noch dem Beklagten und der Orion Anlage AG gehörten, waren es diese beiden Aktionäre, die mit der Übertragung einverstanden waren. In der Generalversammlung vom 29. Mai 1952 sodann, in welcher der Beklagte seine bis dahin noch behaltenen beiden Pflichtaktien den Erwerbern übertrug, waren es diese, nämlich Bachmann und Neukomm, welche die Rechte als Aktionäre ausübten und damit den Übergang bestätigten. Eines ausdrücklichen Beschlusses auf Genehmigung der Übertragung ohne Sicherstellung bedurfte es nicht. Indem Bachmann und Neukomm, ohne das noch nicht einbezahlte Grundkapital sichergestellt zu haben oder sicherstellen zu wollen, die Aktionärrechte ausübten, z.B. die Eintragung des Tütsch ins Aktienbuch beschlossen, bekundeten sie ihren Willen, die Übertragung der Aktien vom Beklagten und der Orion Anlage AG auf sie selbst ohne Sicherstellung zu genehmigen, deutlich genug.
Der Einwand der Kläger, das sei nicht Aufgabe der Generalversammlung,
BGE 83 II 57 S. 64
sondern Aufgabe der Verwaltung gewesen, hält nicht stand. Im Einverständnis des Verwaltungsrates konnte die Generalversammlung auch Beschlüsse fassen, zu denen an sich der Verwaltungsrat zuständig war; ja gemäss Art. 14 Abs. 1 der Statuten durfte und musste sie das schon dann tun, wenn auch nur ein einziges Mitglied des Verwaltungsrates es verlangte. Das Einverständnis der Verwaltung aber liegt hier vor; denn was die Generalversammlung gewollt hat, ist notwendigerweise auch von der aus den gleichen Personen bestehenden Verwaltung gebilligt worden.
Die Kläger wenden ferner ein, das Verbot, im Namen eines andern mit sich selbst Rechtsgeschäfte abzuschliessen (
BGE 63 II 174
), hätte die Genehmigung des Überganges der Aktien durch die Generalversammlung nichtig gemacht. Abgesehen davon, dass dieser Einwand, wenn begründet, auch für die Genehmigung durch die Verwaltung gälte, die Klima und Thermik AG den Beklagten und die Orion Anlage AG also nie gültig als Aktionäre aufgegeben hätte und folglich gar nicht geschädigt worden wäre, verkennen jedoch die Kläger, dass der Aktionär in der Generalversammlung in der Regel auch in eigener Sache Stimmrecht hat. Das ergibt sich daraus, dass die Bundesversammlung die gegenteilige Bestimmung, die der Entwurf des Bundesrates zur Revision der Titel 24-33 OR vorsah (Art. 693 Abs. 3), strich, weil sie darin, dass das Stimmrecht in eigener Sache vom Aktionär missbraucht werden könnte, keinen genügenden Grund sah, es allgemein auszuschliessen (Protokoll der Kommission des Ständerates II. Session S. 36, XII. Session S. 30; StenBull StR 1931 407 f., 1935 279, NatR 1935 283 f.). Nur das Verbot des Rechtsmissbrauches (
Art. 2 ZGB
) beschränkt es. Rechtsmissbrauch aber liegt nicht jedesmal vor, wenn das Interesse des Aktionärs sich nicht mit dem der Gesellschaft deckt. Daher ist die Zustimmung der Generalversammlung zum Übergang der Aktien nicht schon deshalb nichtig, weil Bachmann und Neukomm am Übergang interessiert waren, die Klima
BGE 83 II 57 S. 65
und Thermik AG dagegen ein Interesse gehabt haben soll, für die noch nicht einbezahlte Hälfte des Grundkapitals die alten Aktionäre als Schuldner beizubehalten. Aus etwas anderem als aus dem Auseinandergehen der Interessen aber leiten die Kläger die behauptete Nichtigkeit der erwähnten Zustimmung nicht ab. Insbesondere behaupten sie nicht, mit der Übertragung der Aktien hätten die Beteiligten beabsichtigt, die Klima und Thermik AG um die noch nicht einbezahlte Hälfte des Grundkapitals zu bringen.
Bleibt es demnach dabei, dass die Klima und Thermik AG durch die Generalversammlung als ihr oberstes Organ dem Übergang der Aktien und damit auch der Schuldpflicht für die ausstehende Hälfte des Grundkapitals vom Beklagten und der Orion Anlage AG auf Bachmann und Neukomm zugestimmt hat, so ist der Beklagte den Klägern, die nicht Ansprüche von Gesellschaftsgläubigern, sondern ausschliesslich solche der Gesellschaft geltend machen, nicht zu Schadenersatz verpflichtet. Wer einer schädigenden Handlung in Kenntnis des Sachverhaltes zustimmt, erlangt nach bewährter Lehre keinen Ersatzanspruch (volenti non fit injuria), wie das Bundesgericht am 28. Januar 1957 (
BGE 83 II 56
.) schon für den Fall einer von allen Gründern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gebilligten Überbewertung von Sacheinlagen entschieden hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Gegenüber den Berufungsklägern S. Kisling & Cie. AG, August Lerch, Julius Schoch & Co., A. Stahel und Wanner & Co. AG wird die Sache als durch Rückzug der Berufung erledigt am Protokoll abgeschrieben.
2.- Die Berufung der übrigen Kläger wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Oktober 1956 ihnen gegenüber bestätigt. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
991d7cd4-618e-4de7-b11c-c973caf35c21 | Urteilskopf
122 IV 250
38. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 10. Juli 1996 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaften der Kantone Thurgau und Zürich | Regeste
Art. 350 Ziff. 1 StGB
;
Art. 263 BStP
. Gerichtsstand bei Antragsdelikten, Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und Privatstrafklageverfahren.
Entscheidungsbefugnis der Anklagekammer bei Gesuch des Beschuldigten (E. 1 und 3g).
Die bundesrechtlichen Gerichtsstandsbestimmungen gelten ausnahmslos auch für die nur auf Antrag strafbaren und in einem Privatstrafklageverfahren zu verfolgenden (Ehrverletzungs-)Delikte (E. 3b).
Wird der Gerichtsstand von dem für die Verfolgung und Beurteilung des Antragsdeliktes an sich zuständigen Kanton zufolge Zusammentreffens mehrerer Handlungen bzw. Prävention oder eines Entscheides der Anklagekammer in einen anderen Kanton verschoben, hat dieser Kanton den an sich am richtigen Ort form- und fristgerecht eingereichten Strafantrag grundsätzlich anzuerkennen und den Fall im aktuellen Stadium zu übernehmen (Änderung der Rechtsprechung; E. 3e). | Sachverhalt
ab Seite 251
BGE 122 IV 250 S. 251
Am 29. August 1995 erhoben der Migros-Genossenschaftsbund und drei mit diesem verbundene Kläger gegen K. beim Friedensrichteramt Lommis/TG Klage wegen Ehrverletzung. Nachdem sie bereits am 23. Dezember 1994 gegen K. eine Klage wegen Ehrverletzung eingereicht hatte, reichte die McDonald's Restaurants (Suisse) SA ebenfalls beim Friedensrichteramt Lommis/TG am 9. Februar 1996 gegen K. eine Klage wegen Ehrverletzung ein.
Die Bezirksanwaltschaft Bülach/ZH führt seit Januar 1995 gegen K. eine Strafuntersuchung wegen Gefährdung des Lebens, angeblich begangen in Lufingen/ZH (
Art. 129 StGB
).
Nachdem aussergerichtliche Vergleichsverhandlungen zwischen der McDonald's Restaurants (Suisse) SA und K. gescheitert waren und das am 30. Mai 1995 sistierte Verfahren durch die Kommission des Bezirksgerichts Münchwilen/TG auf Begehren der Kläger am 7. Februar 1996 wiederaufgenommen worden war, verlangte K. am 15./bzw. 21. April 1996 gestützt auf
Art. 350 Ziff. 1 StGB
, die Akten der gegen ihn geführten Verfahren betreffend Ehrverletzung der Bezirksanwaltschaft Bülach zu überweisen. Die McDonald's Restaurant (Suisse) SA beantragte am 22. April 1996, von einer Prozessüberweisung Abstand zu nehmen.
Am 7. Mai 1996 lehnte die Kommission des Bezirksgerichts Münchwilen/TG die Anträge von K. auf Überweisung der in Frage stehenden Ehrverletzungsprozesse ab und bejahte die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Münchwilen für die Beurteilung derselben.
Mit Gesuch vom 23. Mai 1996 beantragt K. der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Thurgau als unzuständig zu erklären, die gegen ihn laufenden Strafverfahren wegen Ehrverletzung durchzuführen.
BGE 122 IV 250 S. 252
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau stellt keinen Antrag, da sie in Ehrverletzungssachen (sofern sich diese nicht gegen Behörden und Beamte richten) nicht Partei sei; das ganze Verfahren werde in solchen Fällen nach der kantonalen Zivilprozessordnung abgewickelt; Gegenpartei seien daher die Kläger.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich weist in ihrer Vernehmlassung vom 12. Juni 1996 darauf hin, dass ihr Kanton grundsätzlich auch für die Verfolgung der K. im Kanton Thurgau zur Last gelegten Ehrverletzungen zuständig sein dürfte; im Interesse der Verletzten sollte indessen den Geschädigten, aber auch dem Bezirksgericht Bülach Gelegenheit eingeräumt werden, zum Gesuch Stellung zu nehmen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Dem Gesuchsteller werden in den gegen ihn bei der Kommission des Bezirksgerichts Münchwilen hängigen Verfahren verschiedene Ehrverletzungen vorgeworfen. Die entsprechenden Strafanträge wurden durch die Verletzten einzig bei den dafür nach kantonalem Recht zuständigen Behörden im Kanton Thurgau gestellt, der diese Antragsdelikte im "Privatstrafverfahren" (
§ 19 Abs. 2 StPO
/TG) verfolgt, in welchem der Strafanspruch allein vom Antragsberechtigten geltend gemacht wird (
§ 171 Abs. 2 StPO
/TG).
b) Der in diesen Ehrverletzungsprozessen Beschuldigte beantragt mit dem vorliegenden Gesuch, die Behörden des gemäss
Art. 350 Ziff. 1 StGB
nicht zuständigen Kantons Thurgau wegen Verletzung der bundesrechtlichen Gerichtsstandsbestimmungen als unzuständig zu erklären. Dieses Begehren beinhaltet sinngemäss den Antrag auf Aufhebung der ihn betreffenden Zuständigkeitsentscheide der Bezirksgerichtlichen Kommission Münchwilen vom 7. Mai 1996. Sinngemäss verlangt der Gesuchsteller darüber hinaus - wie bereits gegenüber der Bezirksgerichtlichen Kommission Münchwilen -, für die gegen ihn geführten Ehrverletzungsprozesse die Behörden des gesetzlichen Gerichtsstandes, d.h. des Kantons Zürich, als zuständig zu erklären.
c) In Fällen, in denen - wie hier - die in Frage stehende strafbare Handlung nur auf Antrag verfolgt wird, tritt die Anklagekammer nach feststehender Praxis auf das Gerichtsstandsgesuch eines Kantons nicht ein, wenn der Verletzte im Kanton, gegen den sich das Gesuch richtet, nicht einen dem dort geltenden Prozessrecht entsprechenden Strafantrag gestellt hat. Hingegen tritt sie stets auf Gesuche des Beschuldigten ein, mit
BGE 122 IV 250 S. 253
welchen sich dieser gegen die Verfolgung in einem nach den bundesrechtlichen Gerichtsstandsbestimmungen nicht zuständigen Kanton wehrt; dies mit der Begründung, es wäre stossend, wenn sich der Beschuldigte gegen die Verfolgung durch einen unzuständigen Kanton nicht zur Wehr setzen könnte, bloss weil der Verletzte es unterlassen hat, auch im zuständigen Kanton Strafantrag zu stellen. In diesem Fall beschränkt sich aber die Anklagekammer darauf, den Kanton, dessen Gerichtsbarkeit der Beschuldigte bestreitet, gegebenenfalls unzuständig zu erklären. Diese Rechtsprechung wird in beiden Fällen damit begründet, dass die Beantragung der Strafverfolgung im einen Kanton von Bundesrechts wegen nicht genüge, um auch den anderen Kanton zur Verfolgung zu verpflichten (
BGE 89 IV 178
E. 2 mit Hinweis auf
BGE 73 IV 205
und
BGE 89 IV 175
; bestätigt in
BGE 116 IV 83
E. 4a; vgl. auch
BGE 87 IV 110
). ERHARD SCHWERI (Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, Bern 1987) fügt dem vorbehaltlosen Hinweis auf
BGE 89 IV 175
bei, es stehe der Anklagekammer nicht zu, den Gerichtsstand für den hypothetischen Fall zu bestimmen, dass die Klage im zuständigen Kanton (ZH) nachträglich beim Friedensrichter noch angehoben werde (N. 498; siehe auch STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar, N. 8 zu
Art. 351 StGB
). Kennt der Kanton, dessen Zuständigkeit behauptet wird, indessen kein besonderes Privatstrafklageverfahren, so bezeichnet die Anklagekammer gegebenenfalls diesen Kanton ohne weiteres als zuständig (
BGE 74 IV 185
E. 1).
Die Bezirksgerichtliche Kommission Münchwilen hat in ihren Entscheiden vom 7. Mai 1996 sinngemäss anerkannt, dass sich der gesetzliche Gerichtsstand für die Verfolgung der dem Gesuchsteller zur Last gelegten Ehrverletzungsdelikte aufgrund von
Art. 350 Ziff. 1 StGB
im Kanton Zürich befindet. Ihre in ausdrücklicher Abweichung vom gesetzlichen Gerichtsstand des
Art. 350 Ziff. 1 StGB
erfolgte Weigerung, die Ehrverletzungsprozesse der Bezirksanwaltschaft Zürich zu überweisen, bzw. die Bejahung ihrer eigenen Zuständigkeit hat sie damit begründet, dass Ehrverletzungsdelikte im Kanton Zürich auf dem Weg der Privatstrafklage zu betreiben seien, weshalb eine Vereinigung des Ehrverletzungsverfahrens mit einer anderen Strafsache nicht stattfinde, da dies im Untersuchungsstadium nicht möglich und im gerichtlichen Verfahren nicht tunlich sei. Sie verweist dazu auf NIKLAUS SCHMID (Strafprozessrecht, 2. Aufl., N 884), welcher unter Verweis auf die oben erwähnten
BGE 89 IV 175
und 178 ausführt, der Kanton Zürich sei im Blick auf
Art. 350 StGB
grundsätzlich auch nicht gehalten,
BGE 122 IV 250 S. 254
ausserkantonale Ehrverletzungen zur Mitverfolgung zu übernehmen.
d) Einzutreten ist nach der oben dargelegten Rechtsprechung zunächst ohne weiteres auf den Antrag des Gesuchstellers, die Behörden des Kantons Thurgau seien unzuständig zu erklären, die gegen ihn laufenden Strafverfahren wegen Ehrverletzung durchzuführen. Es ist in diesem Zusammenhang zuerst zu prüfen, in welchem Kanton der gesetzliche Gerichtsstand für die Verfolgung dieser Delikte liegt. Ergibt diese Prüfung, dass eine Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften vorliegt, so sind jedenfalls die fraglichen Entscheide der Bezirksgerichtlichen Kommission Münchwilen aufzuheben.
2.
a) Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, so sind gemäss
Art. 350 Ziff. 1 StGB
die Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist, auch für die Verfolgung und Beurteilung der anderen Taten zuständig.
b) Das dem Gesuchsteller im Zusammenhang mit den gegen ihn durch die Behörden des Kantons Thurgau geführten Ehrverletzungsprozessen als mit der schwersten Strafe bedrohte in Frage kommende Delikt ist die Verleumdung (
Art. 174 StGB
), welche, auf Antrag, mit Gefängnis oder Busse bestraft wird.
Bereits seit Januar 1995 führen die Behörden des Kantons Zürich gegen den Gesuchsteller eine Strafuntersuchung wegen Gefährdung des Lebens (
Art. 129 StGB
). Da diese mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bedroht sind, liegt der gesetzliche Gerichtsstand gemäss
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
im Kanton Zürich. Davon geht auch die Bezirksgerichtliche Kommission Münchwilen in den in Frage stehenden Entscheiden aus.
3.
a) Es bleibt zu prüfen, ob allenfalls aufgrund der oben erwähnten, von der Bezirksgerichtlichen Kommission Münchwilen und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich angerufenen Rechtsprechung im Interesse der Verletzten ein triftiger Grund besteht, im vorliegenden Fall vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen.
b) Der Gerichtsstand für alle im schweizerischen Strafgesetzbuch geregelten strafbaren Handlungen, die gemäss
Art. 3 ff. StGB
der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterliegen, bestimmt sich nach den
Art. 346 ff. StGB
(vgl.
BGE 108 IV 145
E. 2; vgl. auch
BGE 119 IV 113
E. 3a). Eine Ausnahme sieht das Strafgesetzbuch nicht vor; die bundesrechtlichen Gerichtsstandsbestimmungen gelten daher ausnahmslos auch für die nur auf Antrag strafbaren Ehrverletzungen (
Art. 173-178 StGB
). Dass in einzelnen
BGE 122 IV 250 S. 255
Kantonen die Verfolgung und Beurteilung von Ehrverletzungen in einem besonderen Verfahren - meist Privatstrafklageverfahren - erfolgt, ändert nichts daran, denn die bundesrechtlichen Vorschriften über die interkantonale Zuständigkeit gehen den kantonalen Zuständigkeitsvorschriften vor (Art. 2 ÜbBest. BV; vgl.
BGE 95 IV 32
E. 1).
c) Bei Antragsdelikten genügt der Verletzte in jedem Fall
Art. 29 StGB
, wenn er den Strafantrag am Ausführungsort bei der dort zuständigen Behörde frist- und formgerecht (bspw. mittels Privatstrafklage) stellt; denn er hat sich nicht darum zu kümmern, ob die zuständige Behörde des Begehungsortes dann auch das Verfahren führt (vgl.
BGE 108 IV 170
E. 2b).
d) Wer am falschen Ort Strafantrag stellt, riskiert, dass seiner Klage nicht Folge gegeben wird, wenn der zuständige Kanton den andernorts zwar rechtzeitig gestellten Antrag nicht anerkennt und inzwischen die Frist abgelaufen ist. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, dass es Sache des kantonalen Rechts ist zu bestimmen, bei welcher Behörde der Strafantrag zu stellen und in welchem Verfahren ihm Folge zu geben ist (
BGE 116 IV 83
E. 4a mit Hinweis). Zu prüfen ist im vorliegenden Fall, wie es sich verhält, wenn - wie hier - ein Strafantrag an sich frist- und formgerecht am richtigen Ort gestellt wurde, dieser Gerichtsstand aber nachträglich aus Gründen in einen andern Kanton verschoben wird, die der Verletzte nicht zu verantworten hat, inzwischen aber die Antragsfrist abgelaufen ist und der zuständige Kanton den andernorts gestellten Antrag nicht gelten lässt, wie dies zumindest in der Vergangenheit im Kanton Zürich der Fall war (vgl.
BGE 89 IV 175
). Bereits MAX WAIBLINGER hat auf die unhaltbare Situation hingewiesen, die sich bei nachträglichem Verschieben des Gerichtsstandes ergeben kann, und unter Bezugnahme auf
BGE 73 IV 205
bemerkt, dass bei Antragsdelikten die Einhaltung der Frist jedenfalls dann bejaht werden müsste, wenn der Strafantragsteller richtigerweise am Ort der Ausführung des Antragsdeliktes frist- und formgerecht Strafantrag gestellt habe, die Verfolgungspflicht aber wegen eines andern vom nämlichen Täter begangenen schwereren Vergehens oder infolge Prävention gemäss
Art. 350 StGB
einem andern Kanton obliege. Es könne vom Verletzten nicht verlangt werden, dass er wegen dieser Eventualität fristgerecht einen den Formen aller kantonalen Strafprozessgesetzen genügenden Strafantrag stelle (ZBJV 85 [1949], S. 424 f.). Schon früher hatte der gleiche Autor zum Grundsatz, dass es Sache des kantonalen Prozessrechtes sei, allfällige formelle Erfordernisse eines Strafantrages festzusetzen, kritisch vermerkt, dass bei interkantonalen
BGE 122 IV 250 S. 256
Gerichtsstandskonflikten ein nach dem Prozessrecht des einen Kantons frist- und formgerecht gestellter Strafantrag nicht nachträglich, wenn durch interkantonale Vereinbarung oder Entscheid der Anklagekammer die Behörden eines anderen Kanton zuständig erklärt würden, wegen Formmangels als ungültig betrachtet werden sollte; da die Festsetzung des Gerichtsstandes - namentlich im Falle der Konkurrenz (
Art. 350 StGB
) - von anderen Momenten als vom Begehungsort der auf Antrag strafbaren Handlung abhänge, würde dies für den Strafantragsteller eine Rechtsverweigerung bedeuten (ZBJV 80 [1944], S. 164 Fn. 1). Denselben Standpunkt nahmen in der Folge auch zahlreiche andere Autoren - meist unter Verweis auf WAIBLINGER - ein, so VITAL SCHWANDER (Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Zürich, Nachdruck 1965, Nr. 420a Ziff. 4), TRECHSEL (a.a.O., N. 12 zu
Art. 29 StGB
), WALTER HUBER (Die allgemeinen Regeln über den Strafantrag im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1967, S. 50), JÖRG REHBERG (Der Strafantrag, in: ZStrR 85 [1969], S. 271 Fn 100) und HANS SCHULTZ (Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Band, Bern 1982, S. 240 f.).
e) Der vom Kassationshof des Bundesgerichts bereits vor längerer Zeit aufgenommenen (vgl.
BGE 108 IV 170
E. 2b) Kritik WAIBLINGERS ist vorbehaltlos zuzustimmen. Auszugehen ist vom Grundsatz, dass das kantonale Verfahrensrecht der vollen Auswirkung des materiellen Bundesrechts nicht im Wege stehen darf (
BGE 69 IV 156
, S. 158). Wird einer Strafklage nicht stattgegeben, weil der Verletzte am falschen Ort Strafantrag gestellt hat und der an sich zuständige Kanton sich weigert, den andernorts zwar frist- und formgerecht gestellten, aber erst nach Fristablauf weitergeleiteten Antrag zu übernehmen, so ist dies nicht nur Folge des kantonalen Verfahrensrechts, sondern in erster Linie auf fehlerhafte Prozessführung des Antragstellers zurückzuführen. Wird aber ein form- und fristgerecht am grundsätzlich richtigen Ort gestellter Strafantrag nach kantonalem Verfahrensrecht nicht anerkannt, weil sich der Gerichtsstand von Bundesrechts wegen aus Gründen, für die der Antragsteller nichts vermag, in einen andern Kanton verschiebt, so ist dies mit dem Grundsatz der vollen Auswirkung des materiellen Bundesrechts bzw. der Unterordnung des formellen Strafrechts unter das materielle (vgl. SCHULTZ, a.a.O.) nicht vereinbar und daher bundesrechtswidrig. Die bisherige Praxis ist daher insoweit zu ändern, als in Fällen, da der Gerichtsstand von dem für die Verfolgung und Beurteilung des Antragsdeliktes an sich zuständigen Kanton zufolge
BGE 122 IV 250 S. 257
Zusammentreffens mehrerer Handlungen (
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
) bzw. Prävention (
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
) oder eines Entscheides der Anklagekammer (Art. 263 f. BStP) in einen andern Kanton verschoben wird, dieser Kanton den an sich am richtigen Ort form- und fristgerecht eingereichten Strafantrag anerkennen und den Fall im aktuellen Stadium übernehmen muss. Vorbehalten bleibt die nachträgliche Erfüllung prozessualer Formerfordernisse, wie sie sich bei Privatstrafklageverfahren ergeben.
f) Bei dieser Änderung der Rechtsprechung sind die Interessen der Verletzen hinreichend gewahrt, weshalb es an einem triftigen Grund fehlt, ausnahmsweise vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen.
Andere triftige Gründe, im vorliegenden Fall vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen, sind nicht ersichtlich.
g) Die beiden Entscheide der Kommission des Bezirksgerichts Münchwilen vom 7. Mai 1996, mit welchen diese die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Münchwilen bezüglich der dem Gesuchsteller zur Last gelegten Ehrverletzungen allein aufgrund der nun aufgegebenen Rechtsprechung bejaht hat, werden somit aufgehoben (vgl.
BGE 74 IV 185
E. 3). In Gutheissung des Gesuches ist darüber hinaus der Gerichtsstand im gemäss
Art. 350 Ziff. 1 StGB
zuständigen Kanton Zürich zu bestimmen, da der Weiterführung des im Kanton Thurgau angehobenen Ehrverletzungsverfahrens im Kanton Zürich von Bundesrechts wegen keine Verfahrenshindernisse mehr entgegenstehen können. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
991e0c70-7a9f-4af9-8614-0dc6e61a651b | Urteilskopf
124 IV 149
27. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 18 mai 1998 dans la cause Z. contre L. et Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 173 Ziff. 2 StGB
; Gutglaubensbeweis.
Aus
Art. 173 Ziff. 2 StGB
folgt, dass der gute Glaube nicht genügt; der Angeschuldigte muss überdies ernsthafte Gründe gehabt haben, an die Wahrheit seiner Äusserung zu glauben.
Bedingungen, unter denen die Bestimmung anwendbar ist (E. 3b und 3c). | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 124 IV 149 S. 149
Dans une émission diffusée par la chaîne de télévision «Suisse 4» le 4 mars 1996, Z., parente d'élève, a déclaré dans une interview au sujet d'un instituteur de l'école de T. que l'on ferait peut-être mieux de s'occuper aussi des enfants qui sont laissés «à leur bourreau en attendant que celui-ci aille mieux».
Le 24 mai 1996, L., qui est le seul enseignant masculin de l'école de T., a déposé plainte pour diffamation contre Z.
Par jugement du 25 février 1997, le Tribunal de police de Genève a considéré que l'enseignant L. était aisément reconnaissable et que l'expression de bourreau d'enfants, employée à son égard en s'adressant à des tiers, était attentatoire à son honneur.
Le tribunal a admis Z. à faire la preuve de la vérité ou de sa bonne foi.
Par jugement du 11 novembre 1997, le Tribunal de police a condamné Z., pour diffamation, à une amende de 400 fr., mettant à sa charge les frais de la procédure et les dépens de la partie civile.
Statuant sur appel de la condamnée le 16 février 1998, la Chambre pénale de la Cour de justice genevoise a confirmé le jugement attaqué avec suite de frais; elle a estimé que le qualificatif de bourreau d'enfants était dénué de fondement objectif.
Z. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral contre cet arrêt. Elle conclut à l'annulation de la décision attaquée avec suite de frais et dépens.
BGE 124 IV 149 S. 150
Le Tribunal fédéral a rejeté le pourvoi en nullité dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
3.
La recourante conteste sa condamnation pour diffamation (
art. 173 CP
), en faisant valoir que la cour cantonale aurait dû retenir qu'elle avait apporté la preuve de sa bonne foi.
a) En s'adressant à des tiers par le moyen de la télévision, la recourante a qualifié volontairement de bourreau un instituteur de l'école de T. Ce dernier était aisément reconnaissable puisqu'il s'agissait du seul enseignant masculin de cet établissement. Dire d'un maître qu'il est un bourreau, c'est-à-dire l'accuser de martyriser des enfants sans défense, est de nature à le rendre méprisable en tant qu'être humain. Les faits retenus - qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) - doivent donc être qualifiés de diffamation au sens de l'
art. 173 ch. 1 al. 1 CP
(sur les éléments de cette infraction, cf.
ATF 119 IV 44
consid. 2a p. 46 s.;
ATF 117 IV 27
consid. 2c p. 28 s.).
L'autorité cantonale a constaté que la recourante ne s'était pas exprimée sans égard à l'intérêt public ou sans autre motif suffisant, de sorte qu'elle l'a admise, en faisant application de l'
art. 173 ch. 3 CP
, à apporter les preuves libératoires prévues par l'
art. 173 ch. 2 CP
.
Selon cette disposition, «l'inculpé n'encourra aucune peine s'il prouve que les allégations qu'il a articulées ou propagées sont conformes à la vérité ou qu'il avait des raisons sérieuses de les tenir de bonne foi pour vraies». La recourante pouvait donc apporter soit la preuve de la véracité de son propos, soit la preuve qu'elle avait des raisons sérieuses de le tenir de bonne foi pour vrai.
Un accusé apporte la preuve de la vérité s'il établit que ce qu'il a dit est vrai; il peut apporter même des éléments de preuve qui lui étaient inconnus au moment où il s'est exprimé, car la seule question pertinente est celle de la véracité du propos (
ATF 122 IV 311
consid. 2c p. 316 et 2e p. 318;
ATF 106 IV 115
consid. 2a p. 116). Le terme de bourreau est un jugement de valeur mixte, puisqu'il contient à la fois un jugement de valeur et une allégation de fait; dans un tel cas, la preuve de la vérité a pour objet les faits qui fondent le jugement de valeur (cf.
ATF 121 IV 76
consid. 2a/bb p. 83). Les collègues de l'instituteur l'ont en général décrit comme un maître sévère, mais compétent; des parents se sont déclarés satisfaits de ses prestations, tandis que d'autres l'ont trouvé trop exigeant, surtout en ce
BGE 124 IV 149 S. 151
qui concerne les efforts physiques. Le cas de la fillette qui s'est blessée lors d'un cours de gymnastique n'est pas clair, parce qu'il est possible que l'instituteur ne se soit pas rendu compte de la fracture. Enfin, le maître a eu une réaction manifestement inadéquate en saisissant deux enfants par les oreilles pour les séparer, mais un seul cas isolé ne peut pas justifier, selon le sens des mots, la qualification de bourreau. Procédant à une appréciation des preuves - qui ne peut pas être mise en cause dans un pourvoi en nullité (
ATF 123 IV 184
consid. 1a p. 186;
ATF 118 IV 309
consid. 2b p. 317;
ATF 113 IV 17
consid. 3 p. 22) - l'autorité cantonale est parvenue à la conclusion que les faits établis ne correspondaient pas à la notion de bourreau, de sorte que la preuve de la vérité n'était pas apportée. Cette conclusion, que la recourante ne conteste pas vraiment, ne viole en rien le droit fédéral.
b) La recourante soutient cependant qu'elle a apporté l'autre preuve libératoire, c'est-à-dire la preuve de la bonne foi.
Selon l'
art. 173 ch. 2 CP
, cette preuve suppose que l'accusé établisse qu'il avait des raisons sérieuses de tenir de bonne foi ses allégations pour vraies.
L'accusé est de bonne foi s'il a cru à la véracité de ce qu'il disait (STRATENWERTH, Bes. Teil I, 5ème éd. Berne 1995, par. 11, no 42, p. 207; Noll, Bes. Teil I, Zurich 1983, p. 114; CORBOZ, Les principales infractions, Berne 1997, ad art. 173, no 77, p. 192).
Il résulte de l'
art. 173 ch. 2 CP
que la bonne foi ne suffit pas, il faut encore que l'accusé établisse qu'il avait des raisons sérieuses de croire à ce qu'il disait. Un devoir de prudence incombe à celui qui porte atteinte à l'honneur d'autrui (
ATF 104 IV 15
consid. 4b p. 16). Il ne saurait s'avancer à la légère. Pour échapper à la sanction pénale, l'accusé de bonne foi doit démontrer qu'il a accompli les actes que l'on pouvait exiger de lui, selon les circonstances et sa situation personnelle, pour contrôler la véracité de ses allégations et la considérer comme établie (
ATF 116 IV 205
consid. 3 p. 207;
ATF 105 IV 114
consid. 2a p. 118). L'accusé doit prouver qu'il a cru à la véracité de ses allégations après avoir fait consciencieusement tout ce que l'on pouvait attendre de lui pour s'assurer de leur exactitude (
ATF 104 IV 15
consid. 4b p. 16;
ATF 85 IV 184
). Une prudence particulière doit être exigée de celui qui donne une large diffusion à ses allégations par la voie d'un média (
ATF 116 IV 205
consid. 3b p. 208;
ATF 105 IV 114
consid. 2a p. 118 s.;
ATF 104 IV 15
consid. 4b p. 16). L'accusé ne saurait se fier aveuglément aux déclarations d'un tiers (REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7ème éd. Zurich 1997, par. 44, p. 309).
BGE 124 IV 149 S. 152
Que l'on ait admis, au sens de l'
art. 173 ch. 3 CP
, que l'accusé avait des motifs suffisants de s'exprimer ne signifie pas encore qu'il avait des raisons sérieuses de tenir pour vrai ce qu'il a dit (SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Bes. Teil, 3. Band, Berne 1984, ad art. 173, no 88, p. 41). Pour dire si l'accusé avait des raisons sérieuses de tenir de bonne foi pour vrai ce qu'il a dit, il faut se fonder exclusivement sur les éléments dont il avait connaissance à l'époque de sa déclaration; il n'est pas question de prendre en compte des moyens de preuve découverts ou des faits survenus postérieurement (
ATF 107 IV 34
consid. 4a p. 35;
ATF 102 IV 176
consid. 1c p.182). Il faut donc que l'accusé établisse les éléments dont il disposait à l'époque, ce qui relève du fait; sur cette base, le juge doit apprécier si ces éléments étaient suffisants pour croire à la véracité du propos, ce qui relève du droit (CORBOZ, op.cit., ad art. 173, no 76, p. 192).
c) En l'espèce, la question litigieuse n'est pas de savoir si la recourante était de bonne foi, mais si elle avait des raisons sérieuses de croire que l'instituteur était un bourreau.
La recourante semble se méprendre sur les conditions de la preuve de la bonne foi. Il résulte du texte légal que la bonne foi ne suffit pas; il faut encore que la recourante ait eu des raisons sérieuses de croire ce qu'elle disait.
La preuve de la bonne foi est surtout conçue pour celui qui a été induit en erreur par des éléments crédibles qui se révèlent ensuite faux ou encore pour celui qui a formulé un soupçon sur la base d'indices sérieux, mais qui ne peuvent ensuite pas être confirmés. Or, la recourante n'invoque rien de semblable. Elle ne tente même pas d'établir clairement ce qu'elle savait au moment de sa déclaration, alors qu'il s'agit du point de vue décisif pour la preuve de la bonne foi.
Elle ne prétend pas qu'elle se serait fiée à de faux indices. Elle suggère certes l'idée qu'elle a été influencée par le journaliste, mais elle ne dit rien de précis à ce propos et, de toute manière, rien de semblable ne figure dans les constatations de fait qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
).
On doit en déduire que la recourante n'avait pas, au moment où elle s'est exprimée, davantage d'éléments que ceux qui ont été établis par la procédure. On peut même supposer qu'elle en avait moins. Dès lors, il apparaît d'emblée que la preuve de la bonne foi n'est pas apportée et on ne saurait reprocher à la cour cantonale de ne pas s'être étendue sur cette question.
BGE 124 IV 149 S. 153
Il semble que la recourante, convaincue par les déclarations de son enfant que l'instituteur était un homme dur et pensant d'emblée que la réaction des médias impliquait une situation grave, a généralisé, sans aucun indice sérieux, l'événement qui avait provoqué l'intérêt des journalistes. Elle ne disposait en réalité d'aucun élément sérieux lui permettant de dire que l'instituteur était un bourreau, c'est-à-dire qu'il martyrisait les enfants plus ou moins régulièrement par méchanceté ou sadisme. Interrogée par une chaîne de télévision, la recourante devait se rendre compte que ses propos seraient largement diffusés et pourraient donc atteindre d'autant plus gravement l'honneur de l'instituteur; elle se devait donc de se montrer prudente dans le choix de ses termes. Il ne s'agit nullement de contester ici le droit des parents de se plaindre d'un instituteur auprès de l'autorité scolaire, voire d'alerter les médias; il est encore moins question de minimiser les violences dont les élèves pourraient être victimes de la part d'un instituteur. Simplement, la recourante a employé, lors d'une interview, un terme exagéré, gravement attentatoire à l'honneur, alors qu'en réalité elle n'avait pas de raisons sérieuses de penser que ce dernier était véritablement un bourreau. Certes, sa faute, dans le contexte d'espèce, est relativement légère, mais la cour cantonale en a tenu compte en prononçant une amende assez modérée. La condamnation de la recourante pour diffamation ne viole donc pas le droit fédéral. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
991fa78c-9195-42ce-bea3-e1ccb92d1282 | Urteilskopf
108 V 177
38. Extrait de l'arrêt du 13 décembre 1982 dans la cause Monnet contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 22 Abs. 1 und 2, 25 Abs. 1 und 3 AHVV.
- Berechnung der Beiträge im ausserordentlichen Verfahren, insbesondere für das Jahr, während welchem sich die Einkommensgrundlagen verändert haben (Erw. 3).
- Bestimmung des durchschnittlichen Jahreseinkommens der für die nächste ordentliche Beitragsperiode und für das vorangehende Jahr zugrundezulegenden Berechnungsperiode, wenn diese Berechnungsperiode nicht zwei volle Jahre umfasst. Präzisierung der Rechtsprechung zu Rz 151 der Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (Erw. 4). | Erwägungen
ab Seite 178
BGE 108 V 177 S. 178
Extrait des considérants:
2.
a) A teneur de l'
art. 22 al. 1 RAVS
, qui règle la fixation des cotisations selon la procédure ordinaire, la cotisation annuelle sur le revenu net de l'activité indépendante est fixée dans une décision pour une période de cotisations de deux ans. Celle-ci s'ouvre au début de chaque année civile paire. L'alinéa 2 dispose que la cotisation annuelle est calculée en général d'après le revenu moyen d'une période de calcul de deux ans. Celle-ci comprend la deuxième et la troisième année antérieures à la période de cotisations et se recouvre avec une période de calcul de l'IDN.
Pour établir le revenu déterminant, le calcul des cotisations et le capital propre engagé dans l'entreprise, les autorités fiscales se fondent sur la taxation passée en force de l'IDN, respectivement sur la taxation passée en force de l'impôt cantonal (
art. 23 al. 1 et 2 RAVS
). En vertu de l'
art. 23 al. 4 RAVS
, les caisses de compensation sont liées par les données des autorités fiscales cantonales.
b) On recourt à la procédure extraordinaire de fixation des cotisations, si l'assuré entreprend une activité indépendante ou si les bases du revenu ont subi, depuis la période de calcul retenue par l'autorité fiscale cantonale, une modification durable due à un changement de profession ou d'établissement; dans ces cas, la caisse de compensation estime le revenu net déterminant pour la période qui s'écoule depuis le commencement de ladite activité jusqu'au début de la prochaine période ordinaire de cotisations (
art. 25 al. 1 RAVS
). Ce faisant, elle fixe les cotisations séparément pour chaque année civile et sur la base du revenu de l'année correspondante. En revanche, pour l'année qui précède la prochaine période ordinaire de cotisations, la caisse se fonde sur le revenu net retenu pour le calcul des cotisations des années de cette période (
art. 25 al. 3 RAVS
).
3.
a) En première instance, le recourant a admis l'exactitude des chiffres figurant dans la communication fiscale du 5 décembre 1980. Il n'y a donc pas lieu de remettre en cause, sur ce point, les faits constatés par les premiers juges.
b) Les cotisations dues pour la période allant du 1er mai 1975 au 31 décembre 1976 doivent être fixées pour chaque année civile sur la base des revenus annuels, à savoir pour l'année 1975 sur celui perçu du 1er mai au 31 décembre 1975 et pour l'année 1976 sur celui acquis en 1976.
BGE 108 V 177 S. 179
En ce qui concerne l'année 1975, la cotisation doit être fixée au prorata pour la période qui s'est écoulée depuis la modification des bases du revenu, en l'occurrence le 1er mai 1975, jusqu'à la fin de l'année, et cela d'après le gain obtenu pendant cette période, et converti en un revenu annuel (RCC 1980 p. 467 consid. 3 in fine).
Dans ses décisions du 22 décembre 1980 ayant trait aux cotisations dues pour les années 1975 et 1976, la caisse a observé exactement les règles ci-dessus. Elles ne peuvent dès lors qu'être confirmées.
4.
a) Selon la jurisprudence, on considère comme prochaine période ordinaire de cotisations celle où l'année dans laquelle l'assuré a commencé son activité indépendante constitue une partie de la période de calcul déterminante selon l'
art. 22 al. 2 RAVS
, douze mois au moins d'activité indépendante devant tomber dans cette période de calcul (
ATF 107 V 65
consid. 2b, RCC 1981 p. 238 consid. 3b).
b) En l'espèce, le recourant a entrepris son activité indépendante le 1er mai 1975. Par conséquent, 20 mois tombaient dans la période de calcul 1975/1976, qui se rattache, selon les prescriptions concernant la procédure ordinaire, aux années de cotisations 1978/1979. Ainsi, la prochaine période ordinaire de cotisations comprend les années 1978/1979. Dès lors doit-on se baser, pour cette période, sur le revenu annuel moyen des années 1975/1976. Il en va de même pour 1977 qui est l'année précédant la prochaine période ordinaire de cotisations 1978/1979 (cf.
art. 25 al. 3 2
e phrase RAVS).
Ce revenu annuel moyen, s'agissant d'une période de calcul comportant plus de douze mois mais moins de deux ans, s'obtient en divisant la somme des gains effectifs communiqués par l'autorité fiscale par le nombre de mois durant lesquels ils ont été acquis, et en multipliant ce résultat par douze. Cette méthode de calcul correspond à celle énoncée sous ch. 151 des directives de l'Office fédéral des assurances sociales sur les cotisations des indépendants et des non-actifs. Certes, dans un arrêt Mock du 14 décembre 1979, le Tribunal fédéral des assurances a-t-il jugé que cette directive était contraire à la loi (RCC 1980 p. 467 consid. 3 2e alinéa). Cependant, s'il l'a considérée comme telle, c'est uniquement par rapport à la détermination du revenu des années soumises à la procédure extraordinaire, car elle contredit l'
art. 25 al. 3 1
re phrase RAVS, et non pas pour le calcul du revenu déterminant des années soumises à la procédure ordinaire (
art. 22 al. 2 RAVS
), ni pour celui relatif au revenu de l'année précédant cette dernière (
art. 25 al. 3
BGE 108 V 177 S. 180
2
e phrase). La mention "dans la mesure où elle enfreint cette prescription" contenue dans l'arrêt précité est d'ailleurs là pour le confirmer. | null | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
992111da-cfe5-483b-ba12-9b9487ef6068 | Urteilskopf
81 II 547
83. Sentenza 31 ottobre 1955 della I Corte civile nella causa Bernasconi contro Ferrovie federali svizzere. | Regeste
Art. 128 Ziff. 3 und 129 KUVG
.
1. Die Aufhebung der Vorschriften des EHG und ihre Ersetzung durch die Vorschriften des OR wie auch die Begrenzung der Haftung nach OR auf die Fälle, in denen der Unfall vom Arbeitgeber absichtlich oder grobfahrlässig herbeigeführt worden ist, gelten nicht nur gegenüber den obligatorisch versicherten Arbeitern und Angestellten, sondern auch gegenüber ihren Hinterbliebenen (Erw. 1).
2. Die Vorschriften des OR sind schlechthin anwendbar und die Haftungsbeschränkung ist unabhängig von den Rechtsgründen, aus denen die Verantwortlichkeit nach gemeinem Recht abgeleitet wird (Erw. 2 und 3).
3. Auch für den Genugtuungsanspruch - auf den die Haftungsbeschränkung nicht anwendbar ist - gilt die Verjährungsfrist von
Art. 60 OR
(Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 548
BGE 81 II 547 S. 548
A.-
Il 27 maggio 1950, all'entrata nord della stazione di Maroggia accadeva un infortunio ferroviario, nel quale perdeva la vita il macchinista FFS Isidoro Bernasconi, coniugato e padre di tre figli. Conformemente all'art. 84 LAMI, l'Istituto nazionale svizzero di assicurazione contro gli infortuni (INSAI) concedeva alla vedova una rendita di fr. 2340- pari al 30% del guadagno annuale assicurato del marito. A loro volta, le FFS le assegnavano une rendita supplementare annua di fr. 1371,50. Nessuna indennità era invece riconosciuta ai figli, che erano maggiorenni.
Con petizione 28 maggio 1953, la vedova Bernasconi e i suoi tre figli convenivano le FFS in giudizio davanti al Pretore di Bellinzona. La vedova chiedeva il pagamento di fr. 22 146,90, suddivisi come segue: fr. 14 940.-- quale importo capitalizzato della differenza, di fr. 1317,70 annui, tra la rendita complessiva riconosciuta di fr. 3711,50 e il 40% dello stipendio effettivo del marito, di fr. 12 573.--, da ritenersi destinato alla moglie; fr. 1706,90 per spese funerarie; fr. 5000.-- per torto morale, e fr. 500.-- per altrettanti contenuti in un portamonete del marito andato smarrito al momento dell'infortunio. Oltre a una somma di 2000 franchi ciascuno per torto morale, i figli Jolanda, Fausto e Letizia domandavano il pagamento di rispettivamente fr. 3100.--, 4650.-- e 600.-- a titolo d'indennità per perdita di sostegno.
In data 9 agosto 1954, il Pretore di Bellinzona respingeva la petizione integralmente. Adita dagli attori, la Camera civile del Tribunale d'appello confermava il giudizio pretoriale, considerando in sostanza che si trattava di un infortunio soggetto all'assicurazione obbligatoria e che, giusta l'art. 128 N. 3 LAMI, allo stesso non poteva di conseguenza essere applicata la rigida responsabilità causale risultante dalle disposizioni speciali della legge federale 28 marzo 1905 sulla responsabilità civile delle imprese di strade ferrate e di piroscafi, e delle poste (LResp. C), bensì dovevano essere applicate le prescrizioni del Codice delle obbligazioni, conformemente all'art. 129
BGE 81 II 547 S. 549
cp. 1 LAMI. In concreto, l'azione doveva però essere respinta giacchè non era adempiuta nè l'una nè l'altra condizione posta dall'art. 129 cp. 2 LAMI, l'infortunio non essendo stato cagionato dal datore di lavoro con intenzione o per colpa grave. Inoltre, le pretese degli attori erano in ogni modo prescritte conformemente all'art. 60 CO.
B.-
Gli attori hanno interposto tempestivamente ricorso per riforma al Tribunale federale, chiedendo il riconoscimento delle loro pretese entro i limiti indicati (in sede federale il figlio Fausto ha ridotto la somma chiesta per perdita di sostegno da fr. 4650.-- a fr. 3300.--).
Le FFS hanno concluso per la reiezione del gravame, con spese e ripetibili a carico degli attori.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Nel loro gravame per riforma, gli attori contestano avantutto che all'azione per risarcimento dei danni siano applicabili le disposizioni generali del Codice delle obbligazioni. Secondo il loro modo di vedere, la responsabilità causale prevista dalla LResp.C sarebbe infatti stata abrogata soltanto per ciò che riguarda i rapporti tra il datore di lavoro e gli impiegati e operai obbligatoriamente assicurati dell'azienda stessa o quelli, occupati nella costruzione di ferrovie, di altre imprese, ma non per quanto concerne le pretese dei terzi, in particolare dei superstiti. Ciò risulterebbe dall'art. 17 della legge 18 giugno 1915 di complemento alla LAMI, e cioè dal vigente art. 128 N. 3 LAMI, in unione con l'art. 13 LResp. C.
Ora, è bensì vero che nell'art. 13 cp. 1 LResp. C si menziona, a proposito dell'indennità dovuta dall'impresa ferroviaria, la deduzione della somma d'assicurazione corrisposta alla persona lesa o "agli aventi causa del morto". Altrettanto esatto è che in virtù dell'art. 17 della citata legge di complemento alla LAMI furono "segnatamente" abrogate le disposizioni della LResp. C "per quanto riguardano la responsabilità civile di queste
BGE 81 II 547 S. 550
imprese per infortuni occorsi in servizio ai propri impiegati e operai assicurati obbligatoriamente nonchè agli impiegati e operai assicurati obbligatoriamente di altre imprese occupati nella costruzione di strade ferrate".
Tuttavia, dalla circostanza che la disposizione abrogativa della LResp.C, a differenza dell'art. 13 cp. 1 LResp. C, non parli più esplicitamente degli aventi causa del morto non può essere dedotto che l'abrogazione di cui si tratta valga unicamente per gli impiegati e gli operai dell'impresa ferroviaria, con esclusione dei loro superstiti cui la LResp.C continuerebbe a essere applicabile. Mediante la revisione 18 giugno 1915, il legislatore ha infatti semplicemente voluto equiparare agli impiegati e operai delle imprese ferroviarie quelli di altre imprese che sono vittime di un infortunio nella costruzione di una ferrovia e che prima della revisione potevano far valere pretese di risarcimento in base alla LResp.C oltre che alla LAMI. A ciò si aggiunga che nemmeno il precedente testo dell'art. 128 N. 4 LAMI menzionava i superstiti. Nella sua linearità, esso era cionondimeno assai più comprensibile, in quanto si limitava a definire oggettivamente una precisa categoria d'infortuni cui la LResp.C cessava di essere applicabile: "quelli cioè da cui vengono colpiti gli impiegati o gli operai delle imprese ferroviarie".
In tali circostanze, a torto i ricorrenti vorrebbero fondare la loro tesi sulla revisione della LAMI nel 1915. Come il Consiglio federale ha più volte rilevato nel relativo messaggio del 6 aprile 1915, "l'assicurazione obbligatoria contro gli infortuni sostituisce la responsabilità civile dell'imprenditore. Di conseguenza, l'art. 128 LAMI abroga le leggi sulla responsabilità civile nella misura in cui riguardano i rapporti del titolare dell'impresa con i lavoratori e, a sua volta, l'art. 129 limita la responsabilità del datore di lavoro secondo il Codice delle obbligazioni agli infortuni cagionati con intenzione o per colpa grave" (FF 1915, ed. ted., I 934).
Il medesimo concetto - dell'assicurazione obbligatoria
BGE 81 II 547 S. 551
che sostituisce la responsabilità civile - è dal Consiglio federale ancora ribadito più volte, tra l'altro con riferimento al previsto scioglimento delle assicurazioni private. Anche a questo riguardo, esso rileva esplicitamente, dopo aver osservato che l'obbligo di pagare premi all'INSAI e l'abrogazione delle leggi sulla responsabilità civile comportano per gli imprenditori con lavoratori obbligatoriamente assicurati una situazione nuova, che la responsabilità secondo il Codice delle obbligazioni è ormai limitata ai casi di dolo o di colpa grave (p. 935 del messaggio citato). Nè il Consiglio federale si limita a tale costatazione, ma soggiunge che la nuova situazione esclude una continuazione delle assicurazioni private, il cui scopo e la cui giustificazione economica più non sussistono nella misura in cui si riferiscono a lavoratori obbligatoriamente assicurati.
Nemmeno per la parte del danno non coperta dall'assicurazione obbligatoria si giustifica in avvenire la continuazione e la conclusione di assicurazioni complementari - considera ancora il Consiglio federale. Infatti, dopo la completa trasformazione delle prescrizioni legali in materia di responsabilità civile con l'adozione degli
art. 128 e 129
cp. 2 LAMI, un'assicurazione complementare privata per la parte scoperta del danno, quale poteva essere conclusa prima dell'entrata in vigore della LAMI, non è più atta a completare l'assicurazione obbligatoria legale, che rappresenta un ordinamento totalmente diverso con princìpi e scopi altrettanto diversi (messaggio citato, p. 946).
Tenuto conto di queste considerazioni, non si vede invero perchè i superstiti avrebbero ancora dovuto essere menzionati espressamente nell'art. 17 della legge 18 giugno 1915, tanto più quando si consideri che le leggi abrogate già disciplinavano le pretese dei superstiti (cf. art. 1, 2, 13 LResp.C). In realtà, i superstiti non sono più stati menzionati semplicemente perchè era normale che il nuovo disciplinamento previsto dalla LAMI
BGE 81 II 547 S. 552
(art. 83-86, 89, 95 sgg., ecc.) si estendesse anche alle loro pretese.
Ancora più esplicito, per ciò che riguarda l'inclusione dei superstiti nell'ordinamento previsto dalla LAMI, è il messaggio del Consiglio federale 10 dicembre 1906 (FF 1906, ed. ted., IV, pag. 229 sgg.). Così, vi si rileva - con riferimento al sistema della responsabilità civile fino allora in vigore - l'impossibilità per la persona lesa "o i suoi aventi causa" di ottenere il pagamento dell'indennità da un datore di lavoro insolvibile (p. 313) e come sia preferibile, per ciò che riguarda il risarcimento dovuto in virtù dell'art. 2 LResp.C ai superstiti rimasti privi del loro sostegno, un sistema il quale stabilisca direttamente nella legge la parte di guadagno cui i diversi superstiti hanno diritto. Convincenti sono poi le spiegazioni fornite circa l'art. 96 del disegno di legge, cui corrisponde l'attuale art. 129 LAMI. A questo proposito è anzi citato un esempio identico al caso in discussione: "Il datore di lavoro dell'assicurato cagiona con colpa lieve un infortunio mortale. L'Istituto non ha un diritto di regresso verso il datore di lavoro per le rendite pagate ai superstiti e questi non possono chiedere il risarcimento del maggiore danno al datore di lavoro" (p. 402).
Così stando le cose, nè la revisione della LAMI nel 1915 nè il messaggio del 1906 possono giustificare la tesi dei ricorrenti, che non trova inoltre conforto alcuno nella giurisprudenza del Tribunale federale. Questa ha infatti sempre interpretato l'art. 129 LAMI nel senso che la limitazione della responsabilità secondo il Codice delle obbligazioni vale parimente per i superstiti (RU 72 II 311 sgg.;
68 II 287
sgg.).
2.
Oltre al postulato di un'interpretazione restrittiva dell'art. 128 N. 3 LAMI, i ricorrenti sostengono in via subordinata che la sostituzione prevista nell'art. 129 cp. 2 LAMI può semmai essere di natura esclusivamente sostanziale, cosicchè non dovrebbe in ogni modo valere per la prescrizione, cui continuerebbe a essere applicabile l'art. 14 cp. 1 LResp.C.
BGE 81 II 547 S. 553
Senonchè, la prescrizione fa parte del diritto sostanziale, pur prescindendo dalla circonstanza che l'art. 129 LAMI dichiara le disposizioni del Codice delle obbligazioni applicabili in generale, senza discriminazioni di sorta. Inoltre, già il Consiglio federale aveva rilevato - nel suo messaggio del 1906 - che le persone fino a quel momento al beneficio delle leggi sulla responsabilità avrebbero in avvenire dovuto, se erano assicurate, porsi sul terreno del diritto comune, e cioè degli
art. 50 sgg
. e 110 sgg. del vecchio Codice delle obbligazioni (p. 401 del messaggio).
Ne segue che l'azione dei ricorrenti è effettivamente prescritta, come il Tribunale cantonale ha ritenuto nella sentenza querelata. Tutt'al più, questa deve, per ciò che riguarda l'avvenuta prescrizione, essere rettificata nel senso che i precetti esecutivi datano del 1952 e non del 1950, come il Tribunale di appello ha ammesso in seguito a una svista manifesta (art. 63 cp. 2 OG).
3.
Per il rimanente, non giova ai ricorrenti invocare gli
art. 55 e 339
CO relativi alla responsabilità causale. Secondo la giurisprudenza costante del Tribunale federale, la limitazione della responsabilità prevista dall'art. 129 cp. 2 LAMI è infatti indipendente dalle cause giuridiche da cui la responsabilità è derivata secondo le norme del diritto comune (RU 72 II 429 sgg. e sentenze ivi citate;
81 II 224
).
Del resto, la situazione non sarebbe più favorevole per i ricorrenti nemmeno se la vittima dell'infortunio avesse potuto far valere pretese contrattuali in virtù dell'art. 339 CO, in quanto il loro diritto di risarcimento scaturirebbe pur sempre dalla morte della vittima e come tale non conferirebbe loro la situazione di parte contraente (OSER /SCHÖNENBERGER, ad art. 339 N. 18). Anche in tale ipotesi sarebbe di conseguenza determinante la prescrizione di un anno prevista dall'art. 60 CO e non quella contrattuale di dieci anni.
4.
Come il Tribunale federale ha più volte statuito,
BGE 81 II 547 S. 554
la limitazione della responsabilità prevista dall'art. 129 cp. 2 LAMI non si estende alla riparazione del torto morale (RU 72 II 314 sgg. e 429, consid. 7). Tuttavia, anche questa pretesa è prescritta, giacchè per i motivi esposti più sopra non può essere condivisa l'opinione dei ricorrenti secondo cui sarebbe applicabile la prescrizione biennale dell'art. 14 LResp.C.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso per riforma è respinto. Di conseguenza, la querelata sentenza 26 aprile 1955 della Camera civile del Tribunale d'appello è confermata. | public_law | nan | it | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9922c49b-8020-4fa7-9056-a95f80de1f44 | Urteilskopf
124 V 285
47. Urteil vom 13. Juli 1998 i.S. T. gegen Stiftung Auffangeinrichtung BVG und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 73 Abs. 2 BVG
: Mutwillige Prozessführung.
Im Zusammenhang mit Prämienstreitigkeiten im Bereich der beruflichen Vorsorge ist aufgrund der besonderen Natur des Verfahrens bei der Beurteilung der Mutwilligkeit nicht nur auf das Verhalten des Zahlungspflichtigen im gerichtlichen Verfahren abzustellen, sondern auch dessen Verhalten im vorprozessualen Stadium mitzuberücksichtigen. | Sachverhalt
ab Seite 285
BGE 124 V 285 S. 285
A.-
T., welcher als Inhaber eines Carrosseriebetriebes Arbeitnehmer beschäftigte, wurde durch rechtskräftige Verfügung vom 18. Januar 1994 der Stiftung Auffangeinrichtung BVG (nachfolgend: Auffangeinrichtung) angeschlossen. Am 1. Dezember 1995 forderte ihn die Auffangeinrichtung auf, ihr Fr. 1'173.80 zu bezahlen. Nachdem er dieser Aufforderung nicht gefolgt war, wurde er am 3. Oktober 1996 gemahnt. In der anschliessenden Betreibung erhob er Rechtsvorschlag.
B.-
Am 6. Dezember 1996 klagte die Auffangeinrichtung beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen gegen T. auf Bezahlung von Fr. 1'493.80 nebst Zins zu 5% ab 3. Oktober 1996 auf dem Betrag von Fr. 1'273.80. Das kantonale Gericht hiess die Klage mit Entscheid vom 23. Mai 1997 gut, indem es T. verpflichtete, der Auffangeinrichtung den Betrag von Fr. 1'273.80 zuzüglich Zins zu 5% von Fr. 1'173.80 ab 3. Oktober 1996 zu bezahlen; überdies überband es ihm die Gerichtskosten von insgesamt 1'200 Franken und eine Prozessentschädigung zugunsten der Auffangeinrichtung von 600 Franken.
C.-
T. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei bezüglich Gerichtskosten und Prozessentschädigung aufzuheben; zudem ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
BGE 124 V 285 S. 286
Während sich die Auffangeinrichtung nicht vernehmen lässt, verzichten das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 128 OG
beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG
auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist
Art. 97 OG
auf
Art. 5 VwVG
. Nach
Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen).
b) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
).
2.
In Anwendung von
Art. 128 OG
in Verbindung mit
Art. 97 OG
und
Art. 5 VwVG
hat das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide, die sich auf kantonales Verfahrensrecht stützen, nicht zulässig ist (
BGE 112 V 110
Erw. 2c). Dies ist namentlich bei Entscheiden der Fall, mit denen eine Partei in Streitigkeiten - für welche die Bundesgesetzgebung keinen Anspruch auf Parteientschädigung vorsieht - von der kantonalen Instanz zur Bezahlung einer Entschädigung verpflichtet wird (SZS 1992 S. 296 Erw. 2a mit Hinweisen). Auch im Bereich der beruflichen Vorsorge existiert keine bundesrechtliche Regelung der Parteientschädigung.
Art. 73 Abs. 2 BVG
verlangt lediglich im Sinne von Mindestanforderungen, denen das kantonale richterliche Verfahren zu genügen hat, dass dieses einfach, schnell und in der Regel kostenlos sein muss. Daraus hat das Eidg. Versicherungsgericht abgeleitet, dass es - vorbehältlich einer hier nicht zutreffenden Ausnahme (vgl.
Art. 159 Abs. 6 OG
) - nicht befugt ist, kantonale Entscheide in
BGE 124 V 285 S. 287
BVG-Streitigkeiten bezüglich der Parteientschädigung zu überprüfen (
BGE 118 V 238
Erw. 8a, 112 V 112; SZS 1992 S. 297 Erw. 2b; ZAK 1987 S. 384 Erw. 2b; MARTIN WIRTHLIN, Zur letztinstanzlichen Überprüfung der Verlegung von Verfahrenskosten und Parteientschädigungen im Sozialversicherungsprozess, in: ZBJV 128/1992 S. 639 f.).
Soweit sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die im vorinstanzlichen Verfahren verlegte Parteientschädigung richtet, kann somit darauf nicht eingetreten werden.
3.
a) Mit Bezug auf die Verfahrenskosten sieht das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge - im Gegensatz zu andern Erlassen im Bereich der Sozialversicherung - die Möglichkeit eines Abgehens von der Regel des kostenfreien kantonalen Prozesses (
Art. 73 Abs. 2 BVG
) nicht ausdrücklich vor. Wie das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 118 V 319
Erw. 3c erkannt hat, rechtfertigt es sich indes, die Einschränkung der Kostenfreiheit im Falle mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung als allgemeinen prozessualen Grundsatz des Bundessozialversicherungsrechts anzuerkennen (RÜEDI, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Sozialversicherungsprozesses, in: Walter R. Schluep [Hrsg.], Recht, Staat und Politik am Ende des zweiten Jahrtausends, Festschrift zum 60. Geburtstag von Bundesrat Arnold Koller, in: St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht 34/1993, S. 466 ff.). Ein entsprechender kantonaler Kostenentscheid beruht demnach nicht auf kantonalem Recht, sondern auf Bundesrecht, weshalb er mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar ist. Das Eidg. Versicherungsgericht prüft dabei die grundsätzliche Frage, ob das kantonale Gericht zu Recht auf Mutwilligkeit oder Leichtsinnigkeit erkannt hat, mit umfassender Kognition. Soweit hingegen die dem kantonalen Recht vorbehaltene Kostenbemessung angefochten wird, ist diese nur daraufhin zu hinterfragen, ob die Anwendung der betreffenden kantonalen Bestimmungen oder - bei Fehlen solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht (
Art. 104 lit. a OG
) geführt hat, wobei in diesem Bereich als Beschwerdegrund praktisch nur das Willkürverbot des
Art. 4 Abs. 1 BV
verbleibt (
BGE 118 V 319
Erw. 3c und d).
b) Nach der Rechtsprechung kann leichtsinnige oder mutwillige Prozessführung vorliegen, wenn die Partei ihre Stellungnahme auf einen Sachverhalt abstützt, von dem sie weiss oder bei der ihr zumutbaren
BGE 124 V 285 S. 288
Sorgfalt wissen müsste, dass er unrichtig ist. Mutwillige Prozessführung kann unter anderem auch angenommen werden, wenn eine Partei vor der Rekursbehörde an einer offensichtlich gesetzwidrigen Auffassung festhält. Leichtsinnige oder mutwillige Prozessführung liegt aber solange nicht vor, als es der Partei darum geht, einen bestimmten, nicht als willkürlich erscheinenden Standpunkt durch den Richter beurteilen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Richter die Partei im Laufe des Verfahrens von der Unrichtigkeit ihres Standpunktes überzeugen und zu einem entsprechenden Verhalten (Beschwerderückzug) veranlassen will (
BGE 112 V 334
Erw. 5a mit Hinweisen). Die Erhebung einer aussichtslosen Beschwerde darf einer leichtsinnigen oder mutwilligen Beschwerdeführung nicht gleichgesetzt werden. Das Merkmal der Aussichtslosigkeit für sich allein lässt einen Prozess noch nicht als leichtsinnig oder mutwillig erscheinen. Vielmehr bedarf es zusätzlich des subjektiven - tadelnswerten - Elements, dass die Partei die Aussichtslosigkeit bei der ihr zumutbaren vernunftgemässen Überlegung ohne weiteres erkennen konnte, den Prozess aber trotzdem führt (AHI 1998 S. 189 Erw. 2c; SZS 1995 S. 386 Erw. 3a; RKUV 1992 Nr. K 891 S. 73 Erw. 3a mit Hinweisen).
4.
a) Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit Verfügung vom 18. Januar 1994 der Beschwerdegegnerin angeschlossen worden ist. Diese machte mit Rechnung vom 1. Dezember 1995 eine Forderung von Fr. 1'173.80 für ausstehende Prämien und Verfügungsgebühren geltend. Diesen Betrag mahnte sie mit Schreiben vom 3. Oktober 1996 unter Androhung, dass bei Ausbleiben der Zahlung ohne weiteren Verzug der Rechtsweg beschritten werde. Da der Beschwerdeführer keine Folge leistete, leitete sie die Betreibung ein, worauf dieser Rechtsvorschlag erhob. Am 6. Dezember 1996 reichte die Beschwerdegegnerin beim kantonalen Gericht Klage ein. Der Beschwerdeführer liess sich in diesem Verfahren trotz Ansetzen einer Nachfrist und ausdrücklichem Hinweis auf die Säumnisfolgen nicht vernehmen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah die Vorinstanz ab, nachdem er auf ein entsprechendes Schreiben vom 18. Februar 1997 ebenfalls nicht reagiert hatte. Am 23. Mai 1997 erliess diese sodann den angefochtenen Entscheid.
b) Mutwillige Prozessführung kann darin begründet liegen, dass eine Partei eine ihr in dieser Eigenschaft obliegende Pflicht (z.B. Mitwirkungs-, Unterlassungspflicht) verletzt (
BGE 112 V 335
Erw. 5a). Das Verhalten des Beschwerdeführers im vorinstanzlichen Prozess zeichnete sich im
BGE 124 V 285 S. 289
wesentlichen dadurch aus, dass er trotz Mahnung auf eine Stellungnahme zu den Vorbringen in der Klageschrift verzichtet hat. Dieses Verhalten allein vermag einen Vorwurf der Mutwilligkeit nicht zu begründen. Mit Bezug auf Prämienstreitigkeiten in der beruflichen Vorsorge gilt es indessen auf die besondere Natur des Verfahrens hinzuweisen. In der in
BGE 118 V 316
nicht veröffentlichten Erwägung 4b führte das Eidg. Versicherungsgericht aus, beim (kantonalen) Prozess nach
Art. 73 BVG
handle es sich um ein Klageverfahren (BGE
BGE 115 V 379
Erw. 3b,
BGE 114 V 244
Erw. 3d) mit der Folge, dass der nunmehrige Beschwerdeführer nicht verfügungs-, sondern unmittelbar klageweise belangt wurde und er sich auf das entsprechende Verfahren zwangsläufig einzulassen hatte. Wenn er sich dabei untätig verhalte, möge sich dies zu seinem Nachteil auf die materielle Beurteilung auswirken; doch könne einzig darin - wie im Falle objektiv ungerechtfertigten Widerstandes - kein Grund zur Annahme leichtsinnigen oder mutwilligen Prozessierens erblickt werden. Diese Rechtsprechung bedarf insofern einer Präzisierung, als im Zusammenhang mit Prämienstreitigkeiten das prozessuale Verhalten des Zahlungspflichtigen nicht für sich allein, sondern in Verbindung mit seinem vorprozessualen Verhalten zu würdigen und unter dem Gesichtswinkel der Mutwilligkeit zu qualifizieren ist. Denn in Fällen wie dem vorliegenden geht es dem Arbeitgeber nicht darum, einen richterlichen Entscheid zur Klärung der Sach- und Rechtslage zu erhalten. Vielmehr zielt er darauf ab, die Zahlungspflicht durch Passivität möglichst lange hinauszuschieben. Dies wird ihm insofern erleichtert, als die Vorsorgeeinrichtungen Beitragsstreitigkeiten nicht verfügungsweise regeln können, sondern für die Rechtsverbindlichkeit ihrer Forderungen den Klageweg nach
Art. 73 BVG
beschreiten müssen (
BGE 119 V 296
Erw. 3,
BGE 115 V 224
, 239, 375; SVR 1995 BVG Nr. 40 S. 118 Erw. 2b). Im Gegensatz zu den verfügungsberechtigten Verwaltungsbehörden (
BGE 109 V 46
,
BGE 107 III 60
; ZAK 1984 S. 190) können sie daher auch nicht selber über die Aufhebung des Rechtsvorschlages befinden (vgl.
BGE 115 V 382
Erw. 5c). Dieser besonderen prozessualen Situation im Bereich von
Art. 73 BVG
ist Rechnung zu tragen. Wer als Arbeitgeber oder Versicherter Rechnungen und Mahnungen nicht beachtet, sich deswegen von der Vorsorgeeinrichtung betreiben lässt, diese - bei materiell offensichtlich unbegründetem Standpunkt - mittels Rechtsvorschlag zwingt, den Rechtsweg zu beschreiten, in eben diesem selber veranlassten Prozess nichts von sich
BGE 124 V 285 S. 290
hören lässt und somit nicht das geringste zur Klärung des Sachverhalts beiträgt, handelt mutwillig. Eine solche Prozessverursachung verbunden mit der durch Untätigkeit geprägten Haltung im Gerichtsverfahren, welche insgesamt auf eine Verzögerungstaktik des Zahlungspflichtigen hinausläuft, darf - ohne dass darin eine Bundesrechtswidrigkeit zu erblicken wäre - durch Auferlegung von Gerichtskosten sanktioniert werden.
c) Wenn die Vorinstanz das Verhalten des Beschwerdeführers, welcher der Rechnungsstellung durch die Auffangeinrichtung keine Folge leistete, in der anschliessenden Betreibung Rechtsvorschlag erhob und sich zudem im dadurch veranlassten Gerichtsverfahren nicht vernehmen liess, als mutwillig betrachtet und ihm deswegen Gerichtskosten auferlegt hat, lässt sich dies aus bundesrechtlicher Sicht nicht beanstanden (vgl. SZS 1992 S. 295). Sämtliche Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Insbesondere kann der Beschwerdeführer seine Vorgehensweise nicht mit dem Einwand der Zahlungsunfähigkeit rechtfertigen.
5.
(Kosten; unentgeltliche Prozessführung) | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
99258493-242f-43fb-b018-7f60d242edf3 | Urteilskopf
109 II 153
35. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 26 avril 1983 dans la cause Barrier & Cie c. Nicolai (recours en réforme) | Regeste
Art. 28 Abs. 3 BMM
.
Die Schutzfrist von zwei Jahren, während der eine Kündigung des Vermieters nichtig ist, gilt nur dann, wenn der frühere Streit der Parteien die Frage betraf, ob der Mietzins oder eine andere Forderung des Vermieters missbräuchlich im Sinne des BMM sei. Voraussetzung verneint im vorliegenden Fall (E. 3c und d). | Sachverhalt
ab Seite 153
BGE 109 II 153 S. 153
A.-
Barrier & Cie, locataire principale de locaux et de terrains sis au chemin des Mines, au Petit-Saconnex, sous-louait une partie des locaux à Pierre Nicolai, qui les utilisait dans le cadre de ses activités professionnelles. Le bail conclu entre Barrier & Cie et Nicolai le 12 octobre 1977 prenait effet le 1er octobre 1977 et venait à échéance le 31 décembre 1980, avec clause de reconduction tacite d'année en année.
Par lettre du 22 septembre 1980, Barrier & Cie a résilié le contrat de bail qui la liait à Nicolai pour le 31 décembre 1980. Le 29 septembre 1980, Barrier & Cie a elle-même reçu son congé de la société propriétaire, également pour le 31 décembre 1980.
BGE 109 II 153 S. 154
Dans un jugement du 5 août 1980, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève avait condamné Barrier & Cie, sur la base des art. 254/255 CO et 5 AMSL, à procéder à ses frais à la réfection du toit des entrepôts loués, et à verser à Sieur Nicolai la somme de 2'100 francs à titre de dommages-intérêts.
B.-
Le 23 octobre 1980, Nicolai a déposé, devant la Commission de conciliation, une requête en nullité de congé valant subsidiairement comme requête en prolongation de bail. Par jugement du 9 février 1982, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève a débouté le demandeur de toutes ses conclusions.
Par arrêt du 13 septembre 1982, la Cour de justice du canton de Genève a admis l'appel du demandeur, annulé le jugement du Tribunal des baux et loyers du 9 février 1982 et déclaré nul le congé donné le 22 septembre 1980.
C.-
Agissant par la voie du recours en réforme, Barrier & Cie recourt contre l'arrêt de la Cour de justice précité. Elle demande au Tribunal fédéral de réformer ledit arrêt en ce sens que le congé donné par Barrier & Cie le 22 septembre 1980 pour le 31 décembre 1980 est valable et que Nicolai ne peut pas bénéficier d'une prolongation du contrat de sous-location étant donné que le bail principal a été résilié pour son échéance du 31 décembre 1980, de confirmer par conséquent le jugement rendu par le Tribunal des baux et loyers le 9 février 1982, et de débouter Nicolai de toutes autres ou contraires conclusions.
L'intimé conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le litige porte sur la validité de la résiliation du bail notifiée le 22 septembre 1980 par la recourante à l'intimé. L'admission des conclusions du demandeur, principale en annulation de la résiliation ou subsidiaire en prolongation d'un bail portant sur des locaux commerciaux, aurait dans l'un et l'autre cas pour effet de prolonger la durée du bail litigieux de deux ans (cf.
art. 28 al. 3 AMSL
et 267a al. 1 i.f. CO). Le loyer annuel étant de 9'000 francs, la valeur litigieuse dépasse le minimum fixé par la loi (
art. 46 OJ
;
ATF 98 II 107
consid. b, 201). Par ailleurs, contrairement à ce que prétend l'intimé dans ses observations, les indications figurant à ce sujet dans le recours satisfont aux exigences de l'
art. 55 al. 1 lettre a OJ
.
BGE 109 II 153 S. 155
b) Est nouvelle, et partant irrecevable (
art. 55 al. 1 lettre b OJ
), la conclusion par laquelle la recourante requiert un jugement en constatation de droit portant sur la validité du congé donné au preneur et l'impossibilité de prolonger le contrat de sous-location.
c) Il s'est actuellement écoulé plus de deux ans depuis la date pour laquelle la résiliation a été donnée, soit le 31 décembre 1980. En outre, le preneur n'a pas requis une seconde prolongation du bail (
art. 267a al. 3 CO
). Si le litige portait uniquement sur la prolongation du bail, la demande et le recours devraient être déclarés devenus sans objet (
ATF 102 II 253
/254). Il y a lieu d'examiner s'il doit en aller différemment, du fait que le demandeur a conclu principalement à la constatation de la nullité, en invoquant l'
art. 28 al. 3 AMSL
.
A supposer que cette disposition soit applicable en l'espèce, toute déclaration de résiliation intervenue dans la période de deux ans à compter du 5 août 1980 serait nulle de plein droit, sans aucun effet juridique. Une telle déclaration ne saurait donc impliquer une résiliation prématurée, dont les effets seraient reportés à la plus prochaine date à laquelle le congé pourrait être donné valablement. Dès lors, une résiliation du bail supposerait, dans ce cas, une nouvelle déclaration de résiliation, postérieure au 5 août 1982. Or, il ne résulte ni de l'arrêt attaqué ni du dossier qu'une seconde déclaration ait été formulée. Si donc la résiliation en cause était nulle, le bail litigieux continuerait à déployer ses effets en vertu de la clause de reconduction tacite. Sur ce point, le recours n'est pas devenu sans objet.
En revanche, pour le motif indiqué plus haut, si la conclusion principale de la demande n'est pas fondée, il n'y aura pas lieu d'entrer en matière sur la conclusion subsidiaire.
2.
a) L'autorité cantonale considère que le congé donné par la recourante à l'intimé est nul au regard de l'
art. 28 al. 3 AMSL
. Ayant été signifié dans les deux ans à compter du jour où le bailleur a succombé dans une procédure judiciaire l'opposant au locataire, il apparaît comme une mesure de rétorsion à la suite du jugement intervenu. De plus, il n'a pas été donné en raison de la résiliation du bail principal, qui n'est que postérieure.
b) La recourante soutient que seul un bailleur qui a fait valoir judiciairement des prétentions jugées abusives, qui les a abandonnées ou qui a accepté de transiger à cet égard dans une procédure de conciliation, peut se voir opposer la nullité du congé stipulée à l'
art. 28 al. 3 AMSL
. Elle reproche à l'autorité cantonale
BGE 109 II 153 S. 156
d'avoir interprété cette dernière disposition au-delà de son sens véritable en l'appliquant à un bailleur qui n'a pas prétendu à une majoration de loyer mais qui, confronté à des exigences d'un locataire, a seulement été condamné à effectuer une prestation en faveur de son cocontractant.
c) Quant à l'intimé, il fait entre autres valoir dans ses observations qu'il n'y aurait pas eu de résiliation du tout, la lettre de la recourante du 22 septembre 1980 ne pouvant pas être considérée comme une déclaration de résiliation.
3.
a) Sur ce dernier point, tout d'abord, l'argument de l'intimé frise la témérité; les autorités cantonales, aux décisions desquelles il peut être renvoyé, l'ont réfuté de manière convaincante. En effet, dans la lettre susmentionnée, la bailleresse manifestait sans ambages sa volonté de mettre un terme au bail pour le 31 décembre 1980. L'intimé ne l'a pas compris autrement et il l'a même expressément reconnu en audience de comparution personnelle devant le premier juge.
b) Ensuite, l'autorité cantonale a eu raison de se placer, pour juger de la validité du congé litigieux, au moment où celui-ci a été donné. La validité de cet acte formateur résolutoire ne saurait en effet dépendre de circonstances qui lui sont postérieures. Dès lors, la résiliation du bail principal, survenue quelques jours après celle du bail litigieux, est-elle sans incidence sur la validité de cette dernière.
c) Aux termes de l'
art. 28 al. 3 AMSL
, lorsqu'une entente intervient devant la commission de conciliation, que le bailleur renonce à porter l'affaire devant l'autorité judiciaire ou succombe en procédure judiciaire, que ce soit totalement ou en grande partie, une résiliation de sa part dans les deux ans est nulle, à moins que l'affaire n'ait été portée abusivement devant la commission de conciliation. La portée de cette disposition, sur laquelle est fondée la décision attaquée, doit être recherchée au regard non seulement de son texte, mais aussi de son emplacement, de son origine et de son but.
aa) Le seul texte de l'
art. 28 al. 3 AMSL
ne précise pas expressément si la transaction devant la commission de conciliation, la renonciation du bailleur à saisir le juge ou le jugement donnant tort au bailleur doit se rapporter à un différend au sujet du montant du loyer ou d'une autre prétention du bailleur ou au contraire à tout différend entre bailleur et preneur. Cependant, l'hypothèse de la renonciation du bailleur à saisir le
BGE 109 II 153 S. 157
juge après l'échec d'une tentative de conciliation ne peut concerner qu'une prétention du bailleur, pour laquelle il se porterait demandeur. Cela n'exclut toutefois pas formellement que la transaction devant la commission de conciliation ou la décision du juge puisse aussi porter sur une prétention du preneur ou un différend autre que celui visé par l'arrêté.
bb) Ainsi qu'il ressort de son préambule, l'arrêté tend avant tout à réaliser le mandat constitutionnel donné au législateur par l'art. 34 septies al. 2 Cst. ("protéger les locataires contre les loyers abusifs et autres prestations exigées par les propriétaires"). L'art. 1er de l'arrêté définit lui-même à peu près dans les mêmes termes le but de cet acte législatif; celui-ci ne restreint la liberté contractuelle que dans la mesure nécessaire à combattre "les loyers abusifs ou d'autres prétentions abusives des bailleurs" (cf. à cet égard
ATF 107 II 263
). L'examen systématique des différentes dispositions de l'arrêté montre en particulier que si la commission de conciliation peut, certes, conseiller preneur et bailleur concernant toute question relative au bail (
art. 26 AMSL
), son intervention n'est toutefois nécessaire que pour les contestations découlant de loyers et autres prétentions du bailleur considérés comme abusifs (cf.
art. 17 ss AMSL
). C'est en outre uniquement pour de tels différends que l'arrêté prévoit une intervention judiciaire (cf. art. 23 et 29). De même, c'est en considération de ces seuls conflits que l'
art. 28 al. 1 AMSL
attache des conséquences juridiques au fait qu'une entente n'intervient pas devant la commission de conciliation. Ainsi, lorsque l'
art. 28 al. 2 AMSL
prévoit que "toute partie au litige" peut saisir le juge dans un délai de 30 jours, le "litige" dont il s'agit est nécessairement à mettre en relation avec les contestations mentionnées à l'alinéa précédent, soit celles qui concernent les "loyers ou ... autres prétentions du bailleur". On ne voit du reste pas ce qui, dans le système de l'arrêté, pourrait justifier l'introduction d'un délai péremptoire pour saisir le juge compétent d'autres litiges liés au bail.
Aussi l'
art. 28 al. 3 AMSL
ne peut-il, lui également, viser que les conséquences de ces différends-là. Le but recherché par cette disposition apparaît, de toute évidence, d'empêcher que le preneur n'ait à craindre une résiliation de la part du bailleur pour avoir requis, à bon droit, la protection des autorités contre les "abus" du bailleur. La sanction de cette règle ne saurait s'appliquer, sans excéder la finalité même de l'arrêté, à la solution de tout différend entre bailleur et preneur.
BGE 109 II 153 S. 158
cc) L'examen des travaux préparatoires conduit à la même conclusion. Tant dans son message du 24 avril 1972 (FF 1972 I 1218, 1223, 1236) que dans celui du 4 octobre 1976 sur la prorogation et la modification de l'arrêté (FF 1976 III 869, 876, 880), le Conseil fédéral souligne que la protection apportée par l'arrêté au locataire en matière de résiliation du bail est liée aux différends faisant l'objet de la procédure de contestation et portant sur les loyers abusifs et autres prétentions abusives du bailleur visés par l'arrêté. En particulier, il n'existe pas de clause générale destinée à empêcher les résiliations abusives (cf. FF 1976 III 883).
Les auteurs qui ont étudié la question ne se prononcent pas dans un sens différent. Ainsi, GMÜR/CAVIEZEL (Mietrecht-Mieterschutz, p. 86/87) n'envisagent l'application de l'
art. 28 al. 3 AMSL
qu'en ce qui concerne la période de deux ans suivant la fin de la procédure de contestation (Anfechtungsverfahren) relative aux abus visés par l'arrêté. Quant à R. MÜLLER (Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972, thèse Zurich 1976, p. 54, en particulier n. 73), il relève, en se référant sur ce point à un arrêt de la Cour de justice de Genève du 21 mars 1974, qu'une telle procédure ne concerne pas des litiges ayant trait à d'autres objets que le loyer abusif ou autres prétentions abusives du bailleur, même si de tels objets sont réglementés par l'arrêté.
dd) Enfin, si l'on considère le but même de l'
art. 28 al. 3 AMSL
, il appert que celui-ci consiste à prolonger la durée de protection instituée par l'art. 24 du même arrêté pour la période de conciliation et la procédure judiciaire au-delà de la conciliation ou du jugement intervenu, mais cela seulement en matière de contestation du montant du loyer ou d'une autre prétention du bailleur.
d) En l'espèce, le jugement du 5 août 1980 condamnant le bailleur à réparer la chose louée ainsi qu'à payer des dommages-intérêts n'a pas été rendu dans le domaine évoqué ci-dessus; il n'emportait donc pas interdiction de résilier selon l'
art. 28 al. 3 AMSL
. En appliquant cette disposition à la résiliation litigieuse, l'autorité cantonale a par conséquent violé le droit fédéral.
4.
Il reste cependant à examiner si, en résiliant, la bailleresse a commis un abus de droit. Rien, dans la loi, n'oblige celle des parties à un contrat de bail qui désire donner congé à l'autre pour le terme prévu dans le contrat de motiver sa déclaration de résiliation; elle est en principe maître des motifs pour lesquels elle
BGE 109 II 153 S. 159
entend ne pas reconduire le bail. Une résiliation, dans ces conditions, même si elle intervient à la suite de difficultés entre parties, n'est en soi pas abusive. Il suffit de remarquer, en l'espèce, que la recourante n'a fait qu'exercer un droit qui lui était reconnu par le contrat et qu'elle a, en donnant congé, respecté tant l'échéance que le préavis contractuellement convenus. A cela ne change rien le fait que peu auparavant, elle ait été condamnée à effectuer certaines prestations envers l'intimé ou que par la suite elle n'ait pas repris les griefs qu'elle avait invoqués à l'égard de ce dernier dans la lettre de congé qu'elle lui avait adressée. On ne saurait en tous les cas inférer de ces circonstances que l'institution même de la résiliation aurait été détournée de sa finalité propre et que la recourante aurait agi contrairement à l'
art. 2 al. 2 CC
.
Le congé donné par la recourante à l'intimé n'étant donc ni nul au regard de l'
art. 28 al. 3 AMSL
ni constitutif d'abus de droit, le recours doit être admis, la décision attaquée annulée et la conclusion principale de la demande rejetée. | public_law | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99260ff2-be3b-402c-ab3e-e38cf8bf2afb | Urteilskopf
121 V 17
5. Auszug aus dem Urteil vom 6. März 1995 i.S. R. gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 3 Abs. 6 ELG
,
Art. 22 Abs. 4 ELV
.
- Nachzahlung von Ergänzungsleistungen an die Fürsorgebehörde.
- Sinn und Zweck des in den drei Amtssprachen nicht übereinstimmend formulierten
Art. 22 Abs. 4 ELV
.
- Auslegung des Begriffs "Zeitspanne" gemäss dem deutschen bzw. italienischen Gesetzestext. | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 121 V 17 S. 17
A.-
Die 1949 geborene, geschiedene R. bezieht gemäss einer Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 23. Juli 1992 seit 1. September 1990 eine ganze einfache Invalidenrente. Diese wurde aufgrund eines entsprechenden Gesuchs der Versicherten vom 15. April 1992 zwecks Rückerstattung vorgeschossener Fürsorgeleistungen an die Fürsorgedirektion der Stadt X ausbezahlt. Im Januar 1993 ersuchte die Fürsorgebehörde, welche die Versicherte seit Jahren finanziell unterstützt, um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen. Mit Verfügungen vom 4. Juni 1993 sprach die
BGE 121 V 17 S. 18
Ausgleichskasse des Kantons Bern der Versicherten solche ab 1. September 1990 zu. Die Nachzahlungen in der Höhe von Fr. 27'124.-- richtete sie ebenfalls der Fürsorgebehörde aus.
B.-
R. erhob gegen diese Verfügungen Beschwerde mit dem Antrag, die Auszahlung der Ergänzungsleistungen habe an sie selbst zu erfolgen. Mit Entscheid vom 25. Februar 1994 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, dass es die Ausgleichskasse anwies, der Versicherten einen Betrag von Fr. 532.-- (Nachzahlung von Ergänzungsleistungen für 1990) direkt auszurichten.
C.-
R. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Begehren, sämtliche Auszahlungen von Ergänzungsleistungen seien direkt auf ihr Konto zu überweisen.
Die Ausgleichskasse erklärt sich mit dem angefochtenen Entscheid grundsätzlich einverstanden. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) kommt zum Schluss, dass das kantonale Gericht die Beschwerde hätte abweisen müssen, enthält sich jedoch eines Antrages.
Auf die Begründungen wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
...
Streitig und zu prüfen ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Nachzahlung der Ergänzungsleistungen an die Fürsorgebehörde zu Recht erfolgt ist.
2.
Der Streit um die Drittauszahlung einer Invalidenrente nach
Art. 50 IVG
und
Art. 84 IVV
in Verbindung mit
Art. 45 AHVG
und
Art. 76 AHVV
betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen (
BGE 118 V 90
Erw. 1a). Dasselbe gilt sinngemäss bei der Ausrichtung von Ergänzungsleistungen an Dritte. Bei Streitigkeiten über den Auszahlungsmodus hat das Eidg. Versicherungsgericht deshalb nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
). Da keine Abgabestreitigkeit vorliegt, darf es weder zugunsten noch
BGE 121 V 17 S. 19
zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen (
Art. 114 Abs. 1 OG
). Zudem ist das Verfahren kostenpflichtig (
Art. 134 OG
e contrario; Art. 135 in Verbindung mit
Art. 156 OG
).
3.
a) Nach
Art. 3 Abs. 6 ELG
regelt der Bundesrat u.a. die Nachzahlung von Ergänzungsleistungen. Gestützt auf diese Kompetenz hat er am 12. Juni 1989 in
Art. 22 ELV
folgenden Absatz 4 angefügt, welcher am 1. Januar 1990 in Kraft trat:
"Hat eine private oder eine öffentliche Fürsorgestelle einer Person im Hinblick auf Ergänzungsleistungen Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt während einer Zeitspanne gewährt, für die rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden, so kann ihr bei der Nachzahlung dieser Vorschuss direkt vergütet werden."
"Lorsqu'une autorité d'assistance, publique ou privée, a consenti des avances à un assuré en attendant qu'il soit statué sur ses droits aux prestations complémentaires, l'autorité en question peut être directement remboursée au moment du versement des prestations complémentaires acccordées rétroactivement."
"Se, in attesa dell'assegnazione di prestazioni complementari, un ente assistenziale pubblico o privato ha concesso a una persona anticipi destinati al suo sostentamento durante un periodo per il quale sono versate retroattivamente prestazioni complementari, l'anticipo può essere rimborsato direttamente all'ente in questione al momento del pagamento posticipato."
b) Die Vorinstanz hat in grundsätzlicher Hinsicht erwogen,
Art. 22 Abs. 4 ELV
bezwecke, das Gemeinwesen davor zu bewahren, für den gleichen Zeitpunkt doppelte Unterstützungsleistungen (zuerst als Direktzahler, dann als Finanzierungsträger der Ergänzungsleistungen) an denselben Versicherten zu erbringen (vgl. ZAK 1989 S. 432); denn es komme immer wieder vor, dass eine versicherte Person vor der Zusprechung von Ergänzungsleistungen von einer öffentlichen oder gemeinnützigen Stelle unterstützt werden müsse. Mit dem Erlass der erwähnten Bestimmung habe sich der Bundesrat von der Praxis und Gesetzgebung im Bereich der Drittauszahlungsvoraussetzungen bei der AHV/IV leiten lassen. Bei den Ergänzungsleistungen sei ausdrücklich vorgesehen, dass Nachzahlungen an Vorschuss leistende Gemeinwesen vergütet werden könnten. Das BSV habe in den Rz. 7031 f. der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen (WEL) festgehalten, dass als Vorschussleistungen im Sinne von
Art. 22 Abs. 4 ELV
Leistungen zu verstehen seien, die im Hinblick auf Ergänzungsleistungen, d.h. zur Deckung des Lebensunterhaltes, gewährt würden.
BGE 121 V 17 S. 20
Die Vorinstanz führt sodann aus, gemäss Rz. 7031 WEL könnten die von einer Fürsorgestelle erbrachten Vorschussleistungen bis zum Betrag der für die gleiche Zeitspanne nachzuzahlenden Ergänzungsleistungen dieser direkt vergütet werden. Das Eidg. Versicherungsgericht habe in seinem Urteil vom 17. Dezember 1991 in Sachen H. diese Voraussetzungen bestätigt. Nachzahlungen von Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen seien demnach Ersatzeinkommen, das die versicherte Person zwischen dem Zeitpunkt des Anspruchsbeginns und demjenigen der verfügungsweisen Anerkennung des Anspruchs noch nicht erhalten habe. Damit diese Leistungen direkt von der Ausgleichskasse zurückerstattet werden könnten, müssten die Vorschüsse, die Dritte im Sinne einer Art "Stellvertretung" für den Sozialversicherungsträger geleistet hätten, dieselbe Zeitspanne betreffen. Habe also die bevorschussende Stelle während eines gewissen Zeitraumes keine Vorschüsse geleistet, dürfe die Nachzahlung von Renten und Ergänzungsleistungen für diesen Zeitraum nicht an sie gehen, sondern müsse direkt an die versicherte Person erfolgen. Im selben Sinn laute auch Rz. 1299 der Wegleitung des BSV über die Renten (RWL).
Es stelle sich noch die Frage, was unter der "gleichen Zeitspanne" zu verstehen sei. Möglich erscheine entweder ein Monat, entsprechend der monatlichen Auszahlung der Ergänzungsleistungen, oder ein Jahr, entsprechend der jahresweisen Festsetzung derselben. Beide Abrechnungsarten liessen sich begründen; aus Praktikabilitätsüberlegungen sei der jahresweisen Abrechnung der Vorzug zu geben. Hier spielten Zufälligkeiten eine kleinere Rolle als bei der monatlichen Abrechnung, bei welcher kaum mehr auf die Buchhaltung der bevorschussenden Stelle zurückgegriffen werden könnte. Normalerweise würden Ein- und Ausgänge chronologisch gebucht. Treffe beispielsweise die Rückerstattung einer Krankenkasse ein, handle es sich vielleicht um eine Arztrechnung, die einige Monate früher habe bezahlt werden müssen, oder um eine über mehrere Monate gehende Behandlung. Bei der monatlichen Abrechnung müssten solche Tatsachen berücksichtigt werden. Zwar gelte dies auch für die Jahresabrechnung; doch würden ein bestimmtes Jahr betreffende Vorgänge normalerweise im selben Jahr verbucht, während es bei den monatlichen Buchungen viel häufiger zu Überschneidungen komme. Hiezu verweist die Vorinstanz auf einen Entscheid ihrer französischsprachigen Abteilung vom 21. April 1992 in Sachen T.
Demnach ging das kantonale Gericht von folgenden Zeitspannen aus: 1. September 1990 (Beginn des Anspruchs auf eine Invalidenrente und auf
BGE 121 V 17 S. 21
Ergänzungsleistungen) bis 31. Dezember 1990; 1. Januar bis 31. Dezember 1991; 1. Januar bis 31. Dezember 1992; 1. Januar bis 30. Juni 1993 (Ende der Nachzahlung von Ergänzungsleistungen). Die Beschwerdeführerin habe in diesen Zeiträumen folgende Fürsorgeleistungen (Unterstützungen abzüglich Rückerstattungen der Krankenkasse) bezogen:
Zeitraum Fürsorge- IV-Renten Ergänzungs- Saldo
leistungen leistungen
1.9.90-31.12.90 Fr. 1'149.35 Fr. 3'776.-- Fr. 532.-- + Fr. 3'158.65
1.1.91-31.12.91 Fr. 23'233.40 Fr. 12'036.-- Fr. 10'648.-- - Fr. 549.40
1.1.92-31.12.92 Fr. 38'520.75 Fr. 7'436.--
Fr. 5'310.--*
--------------
Fr. 12'746.-- Fr. 12'419.-- - Fr. 13'355.75
1.1.93-30.6.93 Fr. 12'541.20 Fr. 6'960.--* Fr. 3'525.-- - Fr. 2'056.20
* = nicht mehr Rentennachzahlungen, sondern laufende Rentenbetreffnisse, die gemäss den Akten der Fürsorgebehörde und nicht der Versicherten direkt ausbezahlt werden.
Gemäss dieser Zusammenstellung hätten lediglich die Nachzahlungen der Ergänzungsleistungen für das Jahr 1990 der Beschwerdeführerin direkt ausbezahlt werden müssen, weil die Fürsorgebehörde durch die Nachzahlung der Invalidenrenten bereits mehr zurückerhalten als sie seit dem Beginn des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen bis Ende Jahr vorgeschossen habe. 1991, 1992 und in den hier zur Diskussion stehenden ersten sechs Monaten von 1993 hingegen hätten die Vorschussleistungen der Fürsorge jedes Jahr das Total der Nachzahlungen an Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen überstiegen; dabei würden in bezug auf die Invalidenrente ab August 1992 nicht mehr Nachzahlungen, sondern die laufenden Rentenbetreffnisse, gestützt auf ein entsprechendes Drittauszahlungsgesuch an die Fürsorgebehörde, in die Berechnung einbezogen. Die Beschwerdeführerin könne hier keinen Anspruch auf Direktauszahlung geltend machen. Auch die laufenden Ergänzungsleistungen würden an die Fürsorgebehörde und nicht an die Versicherte überwiesen. Dies entspreche nicht dem Wortlaut von
Art. 22 Abs. 4 ELV
, welcher ausdrücklich nur Nachzahlungen erwähne. Ob solche Drittauszahlungen zulässig seien, könne jedoch nicht geprüft werden, da die angefochtenen Verfügungen lediglich die Zeitspanne zwischen dem 1. September 1990 und dem 30. Juni 1993 abdeckten.
BGE 121 V 17 S. 22
c) Das BSV wendet gegen diese Argumentation ein, die Versicherte habe vom 1. September 1990 bis 30. Juni 1993 vom Fürsorgeamt der Stadt X Vorschussleistungen in der Höhe von Fr. 75'444.70 bezogen. Die Fürsorgebehörde habe an IV-Nachzahlungen und laufenden Rentenbetreffnissen Fr. 35'518.-- erhalten. Es blieben Fr. 39'926.70 ungedeckt. Die Nachzahlung von Ergänzungsleistungen machten für den genannten Zeitraum Fr. 27'124.-- aus. Diese Summe reiche nicht aus, um die geleisteten Vorschüsse vollumfänglich zu decken. Das kantonale Gericht habe nun nicht die Periode vom 1. September 1990 bis 30. Juni 1993 als Ganzes betrachtet, sondern diese Zeitspanne in einzelne Jahre aufgeteilt und die Nachzahlungen der Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen für diese Zeiträume mit den Vorschüssen, die im jeweiligen Jahr geleistet wurden, verglichen. Im Jahr 1991 seien die Fürsorgeleistungen um Fr. 549.40 geringer gewesen als die nachbezahlten Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen zusammen, so dass die Ergänzungsleistungen in derselben Höhe der Versicherten auszurichten gewesen seien (recte: 1990 überstiegen die Invalidenrenten allein die im selben Jahr erbrachten Fürsorgeleistungen, so dass die Ergänzungsleistungen von Fr. 532.-- der Beschwerdeführerin auszurichten waren). In diesem Sinne sei die Beschwerde teilweise gutgeheissen worden.
Dieser Betrachtungsweise des kantonalen Gerichtes könne nicht gefolgt werden. In
Art. 22 Abs. 4 ELV
werde von der Zeitspanne gesprochen, für die rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet würden. Eine Aufteilung auf einzelne Kalenderjahre sei wie bei den Renten nicht vorgesehen. Rz. 1299 der Rentenwegleitung bestimme, dass die erbrachten Vorschussleistungen bis zum Betrag der für die gleiche Periode nachzuzahlenden Renten direkt zurückerstattet werden könnten. Dabei werde auch die ganze Dauer in Betracht gezogen, und nicht nach einzelnen Kalenderjahren aufgeteilt. Das Erfordernis der gleichen Zeitspanne sei nötig, damit nicht etwa Fürsorgeleistungen für einen Zeitraum, für den gar keine Ergänzungsleistungen ausgerichtet würden, mit der Nachzahlung verrechnet werden könnten.
Aus diesen Erwägungen ergebe sich, dass das kantonale Gericht die Beschwerde der Versicherten hätte abweisen müssen. Da dies zu einer reformatio in peius führe, enthält sich das BSV eines Antrages zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
d) Im nicht publizierten Urteil H. vom 17. Dezember 1991 hat das Eidg. Versicherungsgericht in einem Drittauszahlungsstreit, bei dem es in erster
BGE 121 V 17 S. 23
Linie um Invalidenrenten ging, nach Darstellung der gesetzlichen Regelung über die Nichtabtretbarkeit von Renten (
Art. 50 Abs. 1 AHVG
/
Art. 50 IVG
) ausgeführt, dass
Art. 45 AHVG
über die Gewährleistung zweckmässiger Verwendung von Renten und Hilflosenentschädigungen vorbehalten bleibe (
Art. 76 AHVV
/
Art. 84 IVV
). Überdies habe das Eidg. Versicherungsgericht die Verwaltungspraxis wiederholt unbeanstandet gelassen, wonach die Drittauszahlung unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zugelassen sei, wenn die Bedingungen des
Art. 76 AHVV
über die Gewährleistung zweckmässiger Rentenverwendung nicht erfüllt seien, obschon grundsätzlich jede Abtretung einer Invalidenrente aufgrund von
Art. 50 IVG
in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 1 AHVG
nichtig sei. So könnten Rentennachzahlungen auf Gesuch hin privaten oder öffentlichen Fürsorgestellen ausbezahlt werden, welche entsprechende Vorschussleistungen erbracht hätten. Solche Drittauszahlungen setzten nach der Verwaltungspraxis jedoch voraus, dass die Vorschussleistungen tatsächlich erbracht worden seien und dass der Leistungsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter der Drittauszahlung schriftlich zugestimmt habe (
BGE 110 V 13
Erw. 1; ZAK 1990 S. 254; Rz. 1299 RWL). Was die Ergänzungsleistungen anbelange, erkläre
Art. 12 ELG
die Leistungen im Sinne dieses Gesetzes ebenfalls als unabtretbar. Die ELV sehe jedoch seit 1. Januar 1990 im Falle der rückwirkenden Ausrichtung von Ergänzungsleistungen die direkte Vergütung solcher Nachzahlungen an private oder öffentliche Fürsorgestellen vor, die einer Person im Hinblick auf Ergänzungsleistungen Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt gewährt haben. Diese Bestimmung, die sich auf
Art. 3 Abs. 6 ELG
stütze und sich unmittelbar an die erwähnte Drittauszahlungspraxis in der AHV und IV anlehne, widerspreche dem ELG grundsätzlich nicht. Die Frage, ob das - verordnungsmässig nicht verlangte - Erfordernis einer schriftlichen Zustimmung des Anspruchsberechtigten auch bei Ergänzungsleistungen erfüllt sein müsse, wurde offengelassen, weil im konkreten Fall ein solches Einverständnis vorlag. Im nicht publizierten Urteil A. vom 14. Dezember 1987 hat das Eidg. Versicherungsgericht vor der Novellierung von
Art. 22 Abs. 4 ELV
im Falle einer auf die AHV-Vorschriften verweisenden kantonalen Ordnung über die Nachzahlung von Ergänzungsleistungen eine schriftliche Einwilligung des Anspruchsberechtigten verlangt. Das Eidg. Versicherungsgericht führte dort aus, dass die zu
Art. 20 Abs. 1 AHVG
entwickelte bundesrechtliche Praxis - jedenfalls bei entsprechender Verweisung des kantonalen Rechts auf die AHV-Regelung - auch Geltung im
BGE 121 V 17 S. 24
Rahmen des Abtretungsverbotes von
Art. 12 ELG
habe.
4.
a) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 119 Ia 248
Erw. 7a,
BGE 119 II 151
Erw. 3b, 355 Erw. 5,
BGE 119 V 126
Erw. 4, 204 Erw. 5c,
BGE 118 Ib 191
Erw. 5a, 452 Erw. 3c, 555 Erw. 4d,
BGE 118 II 342
Erw. 3e, je mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 21 B IV).
b) Bei der Auslegung von
Art. 22 Abs. 4 ELV
fällt auf, dass im Wortlaut eine Diskrepanz zwischen dem deutschen und italienischen Text einerseits und der französischen Fassung anderseits besteht (vgl. Erw. 3a hievor): Letztere spricht nicht ausdrücklich von einer "Zeitspanne ..., für die rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden". Bei der grammatikalischen Auslegung ist von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der drei Amtssprachen auszugehen (Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. März 1986 über die Gesetzessammlungen und das Bundesblatt; SR 170.512). Stimmen die drei verschiedenen sprachlichen Versionen nicht vollständig überein oder widersprechen sie sich gar, kann dieser Auslegungsmethode nur untergeordnete Bedeutung beigemessen werden (MALINVERNI, Commentaire de la Constitution Fédérale, note 15 ad art. 116;
BGE 119 V 127
Erw. 4a). Keine der drei Fassungen spricht deutlich für die Ansicht der Vorinstanz oder für diejenige des BSV. Indessen lässt sich aus dem Text keine einjährige Periodizität herauslesen. Eher neigt die Formulierung im deutschen und italienischen Text ("während einer Zeitspanne, für die rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden"), wo von einer Periode und nicht von einer Unterteilung in Zeitabschnitte die Rede ist, zur bundesamtlichen Version hin.
c) aa) Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, ist Sinn und Zweck von
Art. 22 Abs. 4 ELV
, dass das Gemeinwesen nicht für den gleichen Zeitpunkt
BGE 121 V 17 S. 25
(recte: Zeitraum) doppelte Unterstützungsleistungen - zuerst als Direktzahler, dann als Finanzierungsträger der Ergänzungsleistungen - erbringen muss (Erläuterungen des BSV zur neuen Norm in ZAK 1989 S. 430). Unter Berufung auf das erwähnte Urteil H. geht sie sodann zutreffend davon aus, dass die direkte Nachzahlung von Ergänzungsleistungen an Fürsorgestellen u.a. nur zulässig ist, wenn die Vorschüsse die gleiche Periode betreffen. Die Voraussetzung der Zeitidentität für die Drittauszahlung von Nachzahlungen ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm selber. Zu Recht ist dieses Erfordernis der gleichen Zeitspanne in Rz. 7031.1 WEL aufgenommen worden, wie es auch in Rz. 1299 RWL figuriert. Bis hierher ist der Betrachtungsweise der Vorinstanz zu folgen. Den Begriff der gleichen "Zeitspanne" legt das kantonale Gericht sodann in dem Sinne aus, dass damit entweder Jahre oder Monate gemeint sein könnten, und gibt der jahresweisen den Vorzug vor der Monatsabrechnung. Indes ist in erster Linie zu fragen, ob die erwähnte "Zeitspanne" für die Bestimmung des an Fürsorgestellen zurückzuerstattenden Betrages überhaupt in mehrere Einheiten - seien es Jahre oder Monate - zu unterteilen oder nicht vielmehr als eine einzige Gesamtperiode zu berücksichtigen ist.
bb) Soll der Normzweck verwirklicht werden, muss konsequenterweise die gesamte Zeitspanne als einheitliches Ganzes erfasst werden. Andernfalls kann es mit dem "Berner System" je nach Konstellation und Zufälligkeiten zu doppelten Unterstützungsleistungen durch das Gemeinwesen kommen. Ein Vergleich mit der Variante ohne Unterteilung zeigt nämlich: Übersteigen in einem Jahr die Fürsorgeleistungen die Ergänzungsleistungen, geht der gesamte Betrag der letzteren an die Fürsorgestelle. Diese hat den ungedeckten Rest zu tragen. Sind dagegen in einem Jahr die Ergänzungsleistungen grösser als die Fürsorgeleistungen für dasselbe Jahr, ist nach dem "Berner System" der jeweilige Saldo an den Versicherten auszuzahlen. Eine Verrechnung mit ungedeckt gebliebenen Leistungen der Fürsorgebehörde aus negativ verlaufenen frühern Jahren findet nicht statt. Geht man hingegen von einer einzigen Gesamtperiode aus, erhält die Fürsorgestelle so lange alle Nachzahlungen, als ihr ein Negativsaldo verbleibt, womit auch ungedeckte Verluste aus vorherigen Jahren berücksichtigt werden. Bei der Unterteilung nach Einzeljahren fährt der Versicherte somit besser, sobald es ein Jahr gibt, in welchem die Ergänzungsleistungen grösser sind als die Fürsorgeleistungen. Wenn in einem oder mehreren Jahren ein positiver Saldo - mehr Ergänzungsleistungen als Fürsorgeleistungen - resultiert, bleibt der überschiessende Teil beim
BGE 121 V 17 S. 26
Versicherten. Die Versichertenfreundlichkeit der Berner Praxis beruht darauf, dass kein Ausgleich von positiven und negativen Jahren stattfindet. Dies war der Fall in dem im angefochtenen Entscheid erwähnten Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern in Sachen T. vom 21. April 1992, bei welchem für die ersten drei Jahre mehr Ergänzungsleistungen als Fürsorgeleistungen bezahlt wurden, in den nächsten drei Jahren dagegen mehr Fürsorgeleistungen als Ergänzungsleistungen. Die Fürsorgebehörde hatte aus den sechs Jahren insgesamt eine Unterdeckung von Fr. 5'500.90; trotzdem wurde dem Versicherten ein Betrag von mehr als Fr. 9'000.--, basierend auf Überschüssen von Ergänzungsleistungen aus den ersten drei Jahren, zugesprochen. So musste die Fürsorge, obwohl sie für das Existenzminimum aufgekommen war, mangels Kompensation mit den ersten drei Jahren einen Verlust hinnehmen bzw. das Gemeinwesen wurde im Ergebnis zweimal zur Zahlung verpflichtet. Die Praxis der Vorinstanz kann somit unter Umständen zu Resultaten führen, die dem Sinn und Zweck von
Art. 22 Abs. 4 ELV
widersprechen.
Eine Etappierung des Zeitraumes hat deshalb nur, aber jedesmal dann Platz zu greifen, wenn die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen unterbrochen wird, weil eine Nachzahlung nur zeitidentisch und bis zur Höhe von deren Leistungen der Fürsorgestelle überwiesen werden darf.
d) Die nach der Rechtsprechung auch bei Rentennachzahlungen zu beachtende Verrechnungsschranke des betreibungsrechtlichen Existenzminimums (
BGE 111 V 103
Erw. 3b,
BGE 108 V 49
Erw. 1) kommt vorliegend nicht zum Zug, weil die Beschwerdeführerin in der Zeit, für welche ihr nachträglich Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen zugesprochen wurden, Sozialhilfe genossen hat und ihr Existenzminimum so sichergestellt war (nicht publiziertes Urteil N. vom 18. Mai 1992, Erw. 2b i.f.). Die soeben gewonnene Auslegung des
Art. 22 Abs. 4 ELV
ist daher unter dem Gesichtspunkt des in der Lehre fast einhellig anerkannten verfassungsmässigen Individualrechts auf Existenzsicherung (dazu WOLFFERS, Grundriss des Sozialhilferechts, 1993, S. 78; MÄDER/NEFF, Vom Bittgang zum Recht, 1988, S. 42) unbedenklich.
e) Schliesslich sind für die Beurteilung, ob und inwieweit eine Drittauszahlung von nachgezahlten Ergänzungsleistungen an Fürsorgestellen zulässig ist, die AHV- und Invalidenrenten mitzuberücksichtigen, obwohl
Art. 22 Abs. 4 ELV
nur von Ergänzungsleistungen spricht. Die entsprechende Abstimmung der Praxis wurde im erwähnten Urteil H. vorgezeichnet (Erw. 3d
BGE 121 V 17 S. 27
hievor). In bezug auf die Invalidenrenten wird die Frage der Drittauszahlung durch den im Rahmen der 10. AHV-Revision neu eingeführten
Art. 50 Abs. 2 IVG
und die darin vorgesehenen näheren Vorschriften geregelt sein (BBl 1994 III 1832).
5.
Diese Überlegungen führen vorliegend im Sinne der Vernehmlassung des BSV zum Ergebnis, dass das kantonale Gericht dem Begehren der Beschwerdeführerin um Direktauszahlung überhaupt nicht hätte entsprechen dürfen. Der nicht näher substantiierte Einwand der Beschwerdeführerin, es seien "Rückzahlungen aufgebraucht worden für Rechnungen, die schlussendlich nicht mich betreffen (zügeln, KKB)", bleibt unbeachtlich. Gemäss Zusammenstellung der Fürsorgeleistungen ist auszuschliessen, dass es sich hierbei um "Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt" (
Art. 22 Abs. 4 ELV
) gehandelt hat. Einzelne umstrittene Posten könnten zudem angesichts der Höhe der insgesamt ungedeckten Fürsorgeleistungen für den Ausgang dieses Prozesses nicht relevant sein.
6.
Der soeben erwähnte Verfahrensausgang würde für die Beschwerdeführerin eine reformatio in peius bedeuten. Da das Eidg. Versicherungsgericht vorliegend (Erw. 2 hievor) wegen
Art. 114 Abs. 1 OG
nicht zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen darf, und die Ausgleichskasse ihrerseits keine eigene Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben hat, muss es beim kantonalen Entscheid sein Bewenden haben (vgl. hiezu GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 252 f.). Unter diesen Umständen erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob allenfalls in Anlehnung an die Rechtsprechung gemäss
BGE 119 V 249
Erw. 5 von einer reformatio in peius hätte abgesehen werden können. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
992f0f59-c97c-4657-bcc4-1cd766ff0c01 | Urteilskopf
114 IV 31
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Mai 1988 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 110 Ziff. 5, 251 und 254 StGB
; Urkundencharakter eines Kassabuches.
Jeder einzelnen Aufzeichnung, die im Rahmen der kaufmännischen Buchführung der Erstellung des Kassabuches dient, kommt Urkundenqualität zu. Dasselbe gilt für ursprüngliche Entwürfe, die später durch eine Neuschrift mit oder ohne Abänderungen ersetzt werden. | Erwägungen
ab Seite 31
BGE 114 IV 31 S. 31
Aus den Erwägungen:
2.
Nach Feststellung des Obergerichts zeichnete die Beschwerdeführerin "im laufenden Kassabuch Bankeinzahlungen auf", die nicht vorgenommen worden waren, und "die sie bei der Abschrift des Kassabuches wegliess". Die Vorinstanz betrachtet sowohl den Entwurf als auch die Reinschrift des Kassabuches als Urkunden im Sinne von
Art. 110 Ziff. 5 StGB
. Die Beschwerdeführerin rügt erfolglos, dadurch sei gegen Bundesrecht verstossen worden.
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung stellt die kaufmännische Buchhaltung mit ihren Bestandteilen eine Urkunde gemäss Art. 110 Ziff. 5 und damit
Art. 251 sowie 254 StGB
dar (
BGE 108 IV 26
E. 1c mit Hinweisen). Zur Buchhaltung gehört auch das Kassabuch, wie es hier geführt worden ist (KÄFER, Berner Kommentar, N. 178 f., insbesondere N. 181 zu
Art. 957 OR
). Die Buchführungspflicht verlangt fortlaufend systematische, vollständige und klare rechnerische Aufzeichnungen über die Geschäftsvorgänge (
BGE 77 IV 166
; KÄFER, N. 161, 181, 535 f. und 587 f. zu
Art. 957 OR
). Die Notwendigkeit laufender und chronologischer Nachführung gilt hinsichtlich Kassabüchern ohne Einschränkung (KÄFER, N. 181, 535 f. und 587 f. zu
Art. 957 OR
). Jede einzelne Aufzeichnung in diesen stellt deshalb eine Beurkundung dar. Für ihre Urkundenqualität kommt mithin nichts darauf an,
BGE 114 IV 31 S. 32
ob die ursprüngliche Eintragung später durch eine Neuschrift mit oder ohne Abänderungen ersetzt und diese der Arbeitgeberin zur Weiterverarbeitung in der Buchhaltung abgeliefert werde; die ursprüngliche Fassung behält so oder so ihre Urkundenqualität, und sie bildete vorliegend selbst nach dem Willen der Beschwerdeführerin jedenfalls für so lange Bestandteil der von der Arbeitgeberin zentral geführten Buchhaltung, als sie weitere Eintragungen vornahm und diese nicht durch eine veränderte Neuschrift ersetzte. Was die Beschwerdeführerin im einzelnen gegen den vom Obergericht bejahten Urkundencharakter des Kassabuches einwendet, ist damit als unzutreffend widerlegt. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99300999-8f25-44dd-a243-43984aa6c725 | Urteilskopf
136 IV 16
3. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause Office fédéral de la justice contre A., B. et C. ainsi que Juge d'instruction du canton de Genève (recours en matière de droit public)
1C_454/2009 du 9 décembre 2009 | Regeste
Art. 80m und 80n IRSG
; Beschwerdefrist bei Zustellung einer Schlussverfügung an eine Bank.
Die Beschwerdefrist beginnt mit der Zustellung an die Bank zu laufen. Die Schlussverfügung kann nach Ablauf dieser Frist vollzogen werden; eine Beschwerde ist dann nicht mehr möglich (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 136 IV 16 S. 16
A.
Le 4 février 2009, le Juge d'instruction du canton de Genève a donné suite à une demande d'entraide judiciaire et ordonné la transmission à l'autorité requérante, à Londres, de la documentation relative à des comptes bancaires détenus notamment par A., C. et B. Ces ordonnances de clôture ont été notifiées à l'établissement bancaire concerné. Le 5 février 2009, les avocats constitués pour les trois personnes précitées se sont adressés au Juge d'instruction pour obtenir des pièces du dossier, avec élection de domicile en leur étude. Il leur fut répondu le lendemain que des décisions de clôture avaient déjà été rendues. Les documents ont été transmis à l'étranger le 31 mars 2009.
Dans le cadre de recours formés auprès de la Cour des plaintes du Tribunal pénal fédéral contre d'autres décisions de clôture rendues le même jour dans la même affaire, les avocats ont pris
BGE 136 IV 16 S. 17
connaissance, le 23 juin 2009, des trois ordonnances précitées. Ils ont recouru le 7 juillet 2009 (...).
B.
Par arrêt du 30 septembre 2009, la Cour des plaintes a déclaré les recours recevables (...). Au moment du prononcé des ordonnances de clôture, les avocats n'étaient pas constitués, de sorte que la notification à l'établissement bancaire était suffisante (...). Toutefois, le délai de recours ne courait qu'à partir de la connaissance effective des décisions attaquées, soit en l'occurrence le 23 juin 2009. Les recours étaient donc formés en temps utile. Ils ont été rejetés sur le fond (...).
C.
(...) L'Office fédéral de la justice (OFJ) forme un recours en matière de droit public. Il estime en substance que les recours auraient dû être déclarés irrecevables par la Cour des plaintes, car déposés après l'exécution de la décision de clôture. (...)
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'OFJ rappelle que selon la jurisprudence, le client d'un compte clôturé qui n'a pas élu domicile en Suisse n'est plus admis à intervenir une fois la décision de clôture entrée en force. Selon l'arrêt attaqué, toute personne concernée en Suisse par une mesure d'entraide concernant un compte clôturé pourrait recourir en tout temps en invoquant le caractère prématuré de la remise de renseignements.
Les intimés relèvent pour leur part que leur élection de domicile en Suisse avait été annoncée avant l'entrée en force des décisions de clôture. Ils pouvaient dès lors exiger une nouvelle notification, contrairement à ce qu'a retenu la Cour des plaintes. En revanche, conformément à l'arrêt attaqué, le délai de recours partait dès la prise de connaissance effective des décisions de clôture, soit le 23 juin 2009, de sorte que les recours étaient recevables.
2.1
Selon l'
art. 80m EIMP
(RS 351.1), les décisions de l'autorité d'exécution sont notifiées à l'ayant droit, domicilié ou ayant élu domicile en Suisse (al. 1). Le droit à la notification s'éteint lorsque la décision de clôture de la procédure d'entraide est exécutoire (al. 2). Par ailleurs, le détenteur de documents a le droit, selon l'
art. 80n EIMP
, d'informer son mandant de l'existence de la demande d'entraide, à moins d'une interdiction faite à titre exceptionnel par
BGE 136 IV 16 S. 18
l'autorité compétente. La décision de clôture entrée en force ne peut plus être attaquée (
art. 80n al. 2 EIMP
).
2.2
La jurisprudence considère que lorsque le titulaire du compte visé est domicilié à l'étranger, c'est à la banque qu'il appartient d'informer son client afin de permettre à celui-ci d'élire domicile (
art. 80m al. 1 let. b EIMP
et 9 OEIMP [RS 351.11]) et d'exercer en temps utile le droit de recours qui lui est reconnu selon les
art. 80h let. b EIMP
et 9a let. a OEIMP. Lorsque le compte bancaire a été clôturé, on ignore en principe s'il existe encore un devoir de renseigner. Il n'en demeure pas moins que les décisions doivent être notifiées à l'établissement bancaire, détenteur des documents, à charge pour ce dernier de décider s'il entend faire usage de la faculté que lui reconnaît l'
art. 80n EIMP
. La transmission de pièces remises par une banque ne peut avoir lieu qu'après notification de la décision de clôture à l'établissement bancaire (
ATF 130 II 505
).
2.3
Lorsque la décision est notifiée directement à l'intéressé, le délai de recours de 30 jours commence à courir dès cette notification (
art. 80k EIMP
). En l'absence d'une notification formelle, la jurisprudence considère que le délai commence dès la connaissance effective de la décision, pour autant que celle-ci n'a pas déjà été exécutée (arrêts 1A.36/2006 du 29 mai 2006 et 1A.221/2002 du 25 novembre 2002).
2.4
En l'occurrence, la Cour des plaintes a considéré que l'élection de domicile était parvenue à l'autorité le lendemain de la notification des ordonnances de clôture, donc tardivement. Elle en déduit à juste titre que la notification directe aux intimés pouvait être omise (art. 80m al. 1 let. b a contrario), et que la notification à l'établissement bancaire était suffisante. La Cour des plaintes a toutefois aussi retenu qu'un nouveau délai de recours partait dans tous les cas dès que l'intéressé avait une connaissance effective de la décision attaquée, soit en l'occurrence le 23 juin 2009.
La Cour des plaintes méconnaît que le droit de recours ne peut plus être exercé lorsque la décision de clôture a déjà été exécutée. Cela est rappelé aux art. 80m al. 2 et 80n al. 2 EIMP: l'exécution de la décision de clôture coïncide avec le moment de son entrée en force, respectivement de son caractère exécutoire au sens de ces dispositions. Le principe de célérité et d'efficacité de la procédure d'entraide judiciaire (
art. 17a EIMP
), de même que les principes de la bonne foi et de la sécurité du droit s'opposent à ce que les
BGE 136 IV 16 S. 19
personnes concernées puissent encore se manifester, le cas échéant, longtemps après l'exécution de l'entraide. Cela permettrait à la personne concernée de spéculer sur les communications qui lui sont faites par la banque (cf.
ATF 124 II 124
consid. 2d/dd p. 130 concernant la convention de banque restante). La collaboration internationale pourrait se trouver remise en cause pratiquement sans limite, alors même que les renseignements transmis par la Suisse auraient déjà été utilisés de manière irréversible par l'autorité étrangère. Une telle solution n'est pas admissible. Elle va en sens inverse de ce qu'a manifestement voulu le législateur en exigeant une élection de domicile en Suisse et en empêchant toute intervention après l'entrée en force de la décision de clôture.
Les intimés relèvent avec raison qu'il y a lieu d'éviter que l'exercice des droits de recours ne soit paralysé par une exécution prématurée de la décision de clôture. Ainsi, dans le cadre de la jurisprudence rappelée ci-dessus, il y a lieu de considérer que la notification à la banque fait partir le délai de recours et que, si la banque décide d'informer son ancien client, elle doit le faire sans délai. Compte tenu des délais d'acheminement normaux, le client doit être en mesure de se manifester dans les trente jours dès la notification à la banque en indiquant, le cas échéant, à quel moment il a été informé. Passé le délai usuel de trente jours, l'autorité d'exécution doit être en mesure d'exécuter sa décision de manière définitive.
2.5
En l'espèce, les intimés ont saisi la Cour des plaintes le 7 juillet 2009, soit plus de cinq mois après le prononcé de l'ordonnance de clôture du 4 février 2009. Celle-ci avait été exécutée à fin mars 2009, soit après un délai suffisant au regard des principes énoncés ci-dessus. Les recours étaient par conséquent manifestement tardifs. Cette solution s'impose d'autant plus qu'en l'espèce, les intimés connaissaient l'existence des mesures d'entraide concernant leurs propres comptes, et ont été informés que des ordonnances de clôture avaient été rendues le 4 février 2009. Faute d'obtenir une notification auprès du Juge d'instruction, ils pouvaient en tout cas se renseigner auprès de l'établissement bancaire, ce qui leur aurait permis d'agir en temps utile. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
993173dd-55d3-4c6b-9129-c3065a8f2fee | Urteilskopf
107 III 29
8. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. April 1981 i.S. C. Bank gegen D. AG (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Arrestbewilligungsverfahren.
Nach der abschliessenden bundesrechtlichen Regelung wird der Arrestschuldner im Arrestbewilligungsverfahren nicht angehört. | Sachverhalt
ab Seite 29
BGE 107 III 29 S. 29
Der Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich erliess am 28. März 1980 auf Begehren der D. AG einen Arrestbefehl gegen die C. Bank. Gegen den Arrestbefehl und den zur Prosequierung des Arrestes erwirkten Zahlungsbefehl erhob die Arrestschuldnerin beim Obergericht des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch mit Beschluss
BGE 107 III 29 S. 30
vom 14. November 1980 abgewiesen wurde. Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Arrestschuldnerin, dieser Beschluss sowie der Arrest- und der Zahlungsbefehl seien aufzuheben. Die Gläubigerin beantragt Abweisung der Beschwerde; das Obergericht hat keine Gegenbemerkungen eingereicht.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Art. 279 Abs. 1 SchKG
, wonach gegen den Arrestbefehl weder Berufung noch Beschwerde stattfindet, verbietet es den Kantonen nicht, gegen Arrestbefehle ein ausserordentliches kantonales Rechtsmittel vorzusehen, und auch die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht ist zulässig, soweit mit ihr Rügen erhoben werden, die nicht Gegenstand der Arrestaufhebungsklage bilden können (
BGE 103 Ia 494
ff., mit Hinweisen), was insbesondere mit Bezug auf die Frage gilt, ob der Arrestgläubiger seine Forderung hinreichend glaubhaft gemacht habe. Dasselbe muss folgerichtig auch für die im vorliegenden Fall erhobene weitere Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs gelten, die ebenfalls nicht im Rahmen einer Arrestaufhebungsklage vorgebracht werden kann.
Da dem Obergericht als Kassationsinstanz nur beschränkte Kognition zustand, kann mit der staatsrechtlichen Beschwerde neben dem obergerichtlichen Urteil auch der Arrestbefehl des Einzelrichters angefochten werden (
BGE 104 Ia 83
E. 2b, 136 E. 2a, 204 E. 1b;
BGE 94 I 459
ff.), und endlich ist es nach der Rechtsprechung auch zulässig, zusammen mit der Aufhebung des Arrestbefehls auch jene des gestützt auf den Arrestbefehl erwirkten Zahlungsbefehls zu beantragen (
BGE 106 Ia 146
/147 E. 2c,
BGE 86 I 27
,
BGE 82 I 79
/80).
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit einzutreten, und die gestellten Anträge sind zulässig.
2.
Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, der Einzelrichter habe ihr das rechtliche Gehör verweigert, indem er den Arrestbefehl erlassen habe, ohne sie jemals anzuhören.
Seit dem Inkrafttreten des SchKG steht die schweizerische Rechtslehre einhellig auf dem Standpunkt, die Anhörung des Schuldners durch die Arrestbehörde vor Erlass des Arrestbefehls
BGE 107 III 29 S. 31
sei von Bundesrechts wegen ausgeschlossen (BLUMENSTEIN, Handbuch des schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 837; JAEGER, N. 3 und 7 zu
Art. 272 SchKG
; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. II, S. 215; FAVRE, Droit des poursuites, 3. Aufl., S. 364; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, S. 377; LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 1 zu
Art. 321 ZPO
; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, N. 38 zu
§ 213 ZPO
). Damit in Einklang steht, soweit ersichtlich, die Praxis in sämtlichen Kantonen, ohne dass darin je eine Gehörsverweigerung erblickt worden wäre. Im gleichen Sinne hat sich das Bundesgericht, allerdings eher beiläufig, in drei Entscheiden geäussert; in
BGE 86 II 295
wird festgehalten, das Arrestverfahren sei abschliessend bundesrechtlich geregelt, und in
BGE 102 Ia 237
sowie in
BGE 46 I 489
wird darauf hingewiesen, der Schuldner werde regelmässig vor Erlass des Arrestbefehls nicht angehört.
Diese bundesrechtliche Regelung ist mit der einhelligen Lehre und Rechtsprechung als abschliessend zu betrachten. Das wird auch dadurch bestätigt, dass das SchKG dort, wo es im summarischen Verfahren die Anhörung der Gegenpartei für erforderlich erachtet, ausdrückliche dahingehende Vorschriften aufstellt (Art. 77 Abs. 3, Art. 84, Art. 168 und Art. 190 Abs. 2, im Gegensatz dazu ausser Art. 272 auch
Art. 181 und
Art. 189 Abs. 1 SchKG
). Liegt aber eine abschliessende bundesgesetzliche Regelung der Frage vor, so ist diese gemäss
Art. 113 Abs. 3 BV
für das Bundesgericht verbindlich und kann nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft werden.
3.
Dass der Arrestschuldner vor Erlass des Arrestbefehls nicht angehört wird, folgt im übrigen aus der Natur der Sache. Der Arrest stellt eine Sicherungsmassnahme zum Schutz gefährdeter Gläubigerrechte dar, die nur einen Sinn hat, wenn sie überfallartig erfolgt. Der Arrestschuldner ist deswegen nicht schutzlos. Seinen Interessen wird durch die besondere Ausgestaltung des Arrestverfahrens Rechnung getragen. Einmal kann er mit der Arrestaufhebungsklage des
Art. 279 SchKG
den Arrestgrund bestreiten. Zum andern wird durch die kurzen Fristen, innert welcher der Gläubiger nach
Art. 278 SchKG
den Arrest durch Betreibung oder allenfalls Klage prosequieren muss, gewährleistet, dass die Beschlagnahme der schuldnerischen Vermögensstücke nicht länger aufrechterhalten wird, als
BGE 107 III 29 S. 32
es mit dem Sicherungszweck des Arrestes vereinbar ist. Überdies kann der Schuldner durch Sicherheitsleistung die freie Verfügung über die Arrestgegenstände zurückerlangen (
Art. 277 SchKG
). Erweist sich der Arrest als ungerechtfertigt, weil entweder kein Arrestgrund gegeben war oder keine Forderung bestanden hat, so haftet der Gläubiger nach
Art. 273 SchKG
kausal für den daraus entstandenen Schaden. Die Deckung dieses Schadens kann dadurch sichergestellt werden, dass der Erlass des Arrestbefehls von der Leistung einer Kaution abhängig gemacht wird. Der Schuldner kann auch noch nach Erlass des Arrestbefehls Sicherstellungsbegehren stellen, wenn die Arrestbehörde dem Gläubiger nicht schon von Anfang an eine Kaution auferlegt hat oder wenn sich die ursprünglich auferlegte Kaution in der Folge als zu niedrig erweist (FRITZSCHE, a.a.O., Bd. II, S. 245; JAEGER, N. 5 zu
Art. 273 SchKG
; STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 40 zu
§ 213 ZPO
; vgl. auch
BGE 46 I 489
/490).
Es ist der Beschwerdeführerin freilich zuzugeben, dass die Interessen des Schuldners im Arrestverfahren besser gewahrt wären, wenn die Arrestbehörde den Arrestbefehl vorerst bloss vorsorglich erlassen und danach eine Verhandlung ansetzen würde, in der sich der Arrestschuldner gegen die Aufrechterhaltung des Arrestes wehren könnte. Da die bundesrechtliche Ordnung des Arrestverfahrens abschliessend ist, besteht indessen für ein derartiges oder ein ähnliches Verfahren kein Raum. Ein solches könnte auch nicht auf dem Weg über eine verfassungskonforme Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des SchKG eingeführt werden, wie das die Beschwerdeführerin vorschlägt, da die gesetzliche Regelung klar ist. Es ist Sache des Bundesgesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen, wenn er eine nachträgliche Anhörung des Arrestschuldners für erforderlich hält. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9939e7ed-d233-4491-af22-b336b5f0daf2 | Urteilskopf
101 IV 252
57. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 6. August 1975 i.S. W. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft | Regeste
Europäische Menschenrechtskonvention; Beschwerde gegen den Bundesanwalt.
Die Anklagekammer ist in der Regel zur Behandlung von Beschwerden gegen den Bundesanwalt wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht zuständig. | Sachverhalt
ab Seite 252
BGE 101 IV 252 S. 252
A.-
Im Laufe eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Personengruppe, der Sprengstoffdelikte zur Last gelegt werden, wurde W. am 6. Mai 1975 auf Grund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft vom 1. Mai 1975 verhaftet. Nach einer
BGE 101 IV 252 S. 253
ersten polizeilichen Befragung vom selben Tage wurde er am 7. Mai 1975 vom Bundesanwalt selbst einvernommen. Am 5. Juni 1975 wurde er aus der Haft entlassen.
B.-
Mit einer an die Anklagekammer des Bundesgerichts adressierten Eingabe vom 9. Juni 1975 erhob W. Beschwerde gegen den Bundesanwalt. Er beantragte unter anderem, es sei festzustellen, dass im Verlaufe des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt worden seien.
Zur Begründung machte der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, er sei während seiner Untersuchungshaft nie einem Haftrichter vorgeführt und systematisch daran gehindert worden, von Beginn des Ermittlungsverfahrens an einen Rechtsanwalt seiner Wahl zu seiner Verteidigung zu bestellen, wodurch Art. 5 Abs. 3,
Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. c EMRK
sowie
Art. 35 Abs. 1 BStP
verletzt worden seien. In formeller Hinsicht führte der Beschwerdeführer aus, das Bundesrecht sehe zwar keine Norm vor, welche die Anklagekammer zur Behandlung von Beschwerden gegen den Bundesanwalt wegen Verletzung der Menschenrechte als zuständig erkläre. Da die EMRK aber seit 28. November 1974 für die Schweiz in Kraft stehe, müsse sie auch durchgesetzt werden können. Es empfehle sich daher, auf Fälle wie den vorliegenden
Art. 216 BStP
analog anzuwenden.
Die Anklagekammer tritt auf die Beschwerde nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die EMRK, die der Bundesanwalt nach der Behauptung des Beschwerdeführers verletzt haben soll, ist von der Schweiz am 28. November 1974 ratifiziert und in der eidg. Gesetzessammlung publiziert worden (AS 1974 S. 2148 ff.), womit sie in der internen Rechtsordnung zumindest Gesetzesrang erlangte (BBl 1974 I 1059, 1968 II 1070ff.). Die von ihr geschützten Rechte haben ihrer Natur nach einen verfassungsrechtlichen Inhalt. Der von der Konvention gebotene Schutz hat indessen nur insoweit selbständige Bedeutung, als er den von den Verfassungen und Gesetzen des Bundes und der Kantone gewährten Schutz übersteigt (
BGE 101 Ia 69
). Ob die Bestimmungen der EMRK in der Schweiz direkt oder nur über entsprechende landesinterne Vorschriften anwendbar
BGE 101 IV 252 S. 254
seien, kann hier offen bleiben. Zu prüfen ist, ob und inwieweit gegen Anordnungen des Bundesanwalts, die dieser im polizeilichen Ermittlungsverfahren eines Bundesstrafprozesses getroffen hat, bei der Anklagekammer des Bundesgerichts wegen Verletzung der EMRK Beschwerde erhoben werden kann.
Nach Art. 214 in Verbindung mit
Art. 216 BStP
kann bei der Anklagekammer nur Beschwerde gegen Amtshandlungen und wegen Versäumnis des Untersuchungsrichters geführt werden. Der Bundesanwalt steht dagegen nicht unter der Aufsicht der Anklagekammer, sondern gemäss Art. 14 Abs. 1 und 17 Abs. 1 BStP unter derjenigen des Bundesrates (
BGE 74 IV 182
; STÄMPFLI, Anmerkungen zu
Art. 214 BStP
; PETER, Die Bundesanwaltschaft als Staatsanwaltschaft des Bundes, Diss. Bern 1972 S. 18). Im polizeilichen Ermittlungsverfahren eines Bundesstrafprozesses ist daher gegen Amtshandlungen des Bundesanwalts in der Regel nur die Aufsichtsbeschwerde an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement und den Bundesrat, nicht auch eine Beschwerde an die Anklagekammer des Bundesgerichts zulässig.
Von dieser Regel sieht die geltende Rechtsordnung zwei Ausnahmen vor: - Erhebt ein Inhaber von Papieren gegen deren Durchsuchung Einsprache, so werden die Papiere versiegelt und verwahrt, wobei die Anklagekammer über die Zulässigkeit der Durchsuchung entscheidet (
Art. 69 Abs. 3 BStP
). - Bis 1. Januar 1975 konnte nur gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs durch den Untersuchungsrichter, seither kann auch gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs durch den Bundesanwalt bei der Anklagekammer Beschwerde geführt werden (
Art. 52 Abs. 2 BStP
). Diese Gesetzesänderung erfolgte gerade im Hinblick auf
Art. 5 Abs. 4 EMRK
, wonach der Beschuldigte schon während des Ermittlungsverfahrens die Möglichkeit haben soll, gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs an eine Gerichtsbehörde zu gelangen (BBl 1971 I 1017, 1968 II 1092 und 1144). Sowohl
Art. 5 Abs. 4 EMRK
wie
Art. 52 BStP
setzen jedoch gemäss ihrem Sinn und Wortlaut einen aktuellen Freiheitsentzug voraus. Im vorliegenden Fall befindet sich der Beschwerdeführer seit dem 5. Juni 1975 auf freiem Fuss, weshalb er nicht mehr im Haftprüfungsverfahren an die Anklagekammer gelangen kann.
BGE 101 IV 252 S. 255
Andere Ausnahmen, welche die Anrufung der Anklagekammer ermöglichen würden, sieht das geltende Recht nicht vor. Die Erweiterung der Ausnahmefälle auf dem Wege der Analogie ist nicht zulässig. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung der EMRK durch den Bundesanwalt kann demnach bei der Anklagekammer nicht gerügt werden. Auf die Beschwerde ist mithin nicht einzutreten. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
993b76a7-7b60-4d5a-a492-54a7fed23984 | Urteilskopf
114 II 171
28. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Juni 1988 i.S. Vereinigte Altenburger und Stralsunder Spielkarten-Fabriken AG gegen Bundesamt für geistiges Eigentum (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Markenrecht; Freizeichen, durchgesetzte Marke.
1. "EILE MIT WEILE" ist ein sogenanntes Freizeichen, eine zur Sachbezeichnung gewordene, ehemals eingetragene Marke (E. 2).
2. "EILE MIT WEILE" ist auch nicht als durchgesetzte Marke eintragungsfähig (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 172
BGE 114 II 171 S. 172
Erwägungen:
1.
Am 14. Oktober 1986 beantragte die Vereinigte Altenburger und Stralsunder Spielkarten-Fabriken AG die Eintragung der Wortmarke "EILE MIT WEILE" für "Spiele und Spielzeuge".
Mit Verfügung vom 28. Januar 1988 wies das Bundesamt für geistiges Eigentum das Gesuch mit der Begründung ab, das zur Eintragung beantragte Zeichen sei als Gemeingut freizuhalten und auch nicht als durchgesetzte Marke eintragungsfähig.
Die Vereinigte Altenburger und Stralsunder Spielkarten-Fabriken AG führt gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, sie aufzuheben und das Amt anzuweisen, der Marke "EILE MIT WEILE" den markenrechtlichen Schutz in der Schweiz zu gewähren, allenfalls als durchgesetzte Marke.
2.
a) Zeichen, die dem Gemeingut angehören, können nicht als Marke eingetragen werden und geniessen den gesetzlichen Schutz nicht (
Art. 3 Abs. 2 und
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
). Bei der Frage nach der Schutzfähigkeit eines Zeichens ist von der Funktion der Marke als Herkunftsmerkmal auszugehen. Der Zweck der Marke liegt nicht primär darin, Produkte gleicher oder anderer Gattung zu unterscheiden, sondern im unmissverständlichen Hinweis auf den Hersteller und seinen Betrieb (Urteil des Bundesgerichts vom 8. Oktober 1985, publ. in SMI 1987 S. 53; Urteil des Bundesgerichts vom 25. Januar 1985, publ. in PMMBl 1985 I 35;
BGE 85 IV 56
,
BGE 78 II 172
). Wohl ist die Individualisierung der Ware nach ihrer Herkunft nicht ein zwingend vorgegebenes Wesensmerkmal der Marke, indessen in jedem Fall eine ihrer notwendigen funktionalen Eigenschaften (TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. A., Band I, S. 208). Als Gemeingut im Sinne der genannten Bestimmungen gelten daher nebst den primitiven Zeichen ohne markenmässige Kennzeichnungskraft namentlich auch Hinweise auf Eigenschaften oder die Beschaffenheit der Erzeugnisse, für welche die Marke bestimmt ist (
BGE 112 II 76
;
BGE 108 II 488
;
BGE 106 II 246
).
BGE 114 II 171 S. 173
Gemeingut sind weiter die sogenannten Freizeichen. Sie entstehen durch eine Degenerierung an sich individualisierungsfähiger Zeichen zufolge Verlustes der Herkunftsassoziation, namentlich dadurch, dass sie von mehreren unter sich unabhängigen Unternehmen frei zur Kennzeichnung gleichartiger Waren verwendet werden und daher nicht oder nicht mehr auf einen einzelnen Betrieb, sondern auf bestimmte Waren oder Warenkategorien hinweisen. Sie sind zur reinen Sachbezeichnung entartete Herkunftsbezeichnungen, zum Gemeingut gewordene Zeichen, die ursprünglich Unterscheidungskraft besessen haben, jedoch wegen ihrer allgemeinen Verbreitung im Verkehr nicht mehr als Sonderzeichen eines Einzelnen zu wirken vermögen (
BGE 84 II 431
; TROLLER, a.a.O., S. 300; MATTER, Kommentar zum MSchG, S. 71 ff.; H. DAVID, Kommentar zum MSchG, 2. A., S. 96 ff. und L. DAVID, Supplement, S. 40; VON BÜREN, Die Entwicklung des Warenzeichens zum Warennamen, ZBJV 84/1948 S. 116 ff.; IRÈNE JENE-BOLLAG, Die Schutzfähigkeit von Marke und Ausstattung unter dem Gesichtspunkt des Freihaltebedürfnisses, S. 142 ff.; FRANZ MANSER, Die Entartung von Marken zu Freizeichen, Diss. St. Gallen 1971, S. 29 ff.; EUGEN MARBACH, Die eintragungsfähige Marke, Diss. Bern 1983, S. 61 f.).
Die Umwandlung einer Marke in ein Freizeichen ist nach der Rechtsprechung erst abgeschlossen, wenn alle an der Herstellung, dem Vertrieb und dem Kauf der Ware beteiligten Kreise das Zeichen nicht mehr als Hinweis auf einen bestimmten Geschäftsbetrieb, sondern als Gemeingut, besonders als Warenname ansehen (
BGE 96 II 261
;
BGE 94 II 46
). Demgegenüber ist ein nicht oder nicht mehr als Marke geschütztes Zeichen schon dann ein Warenname und damit Gemeingut, wenn nur ein bestimmter Kreis, z.B. die Fachleute oder das kaufende Publikum, es allgemein zur Bezeichnung einer bestimmten Warenart verwenden (
BGE 96 II 261
;
BGE 96 I 755
). ...
b) "EILE MIT WEILE" ist seit 1978 nicht mehr als Marke geschützt, das Zeichen wurde 1986 zur Wiedereintragung angemeldet. Zu prüfen ist daher, ob es (noch) als Herkunftsbezeichnung zu gelten oder aber als Warenname und Sachbezeichnung markenrechtlichen Schutz nicht (mehr) zu erlangen vermag. Massgebend sind dabei nach dem Gesagten die Auffassungen in mindestens einem Verkehrskreis.
"EILE MIT WEILE" ist die Bezeichnung für ein allgemein bekanntes und beliebtes Würfelspiel, welches namentlich in der
BGE 114 II 171 S. 174
deutschen Schweiz praktisch jedermann bekannt und regelmässig in den Spielmagazinen integriert ist. Der Begriff, wie er gerichtsnotorisch vom Publikum verstanden wird, deckt dabei die Spielanlage als solche, das Spielsystem. Dass er selbst in den Fachkreisen nicht anders verstanden wird, zeigen die Beweiserhebungen des Amtes, die Bestätigungen der Firma Pic+Asso, Zürich, sowie des Verbandes Schweizerischer Spielwarendetaillisten. Damit aber liegt eine freizuhaltende Sachbezeichnung, ein reiner Warenname vor, ein Begriff, welcher zufolge seiner allgemeinen Verbreitung nicht mehr als Sonderzeichen eines Einzelnen zu wirken vermag (vgl. im selben Sinne IRÈNE JENE-BOLLAG, a.a.O., S. 143, Fn. 21 unter Hinweis auf das als Sachbezeichnung zu verstehende Zeichen "Yoyo" für ein allgemein bekanntes Spielgerät). Dies ergibt sich auch daraus, dass nach dem Erlöschen des markenrechtlichen Eintragungsschutzes auch andere Hersteller den Vertrieb des Spieles unter dem Zeichen "EILE MIT WEILE" aufgenommen haben. Freizeichen in diesem Sinne aber sind markenrechtlich nicht schützbar und damit auch nicht eintragungsfähig.
c) Ob das Zeichen in der Bundesrepublik Deutschland markenrechtlichen Schutz geniesst, ist ohne Belang. Die Schweiz prüft die Schutzfähigkeit einer Marke nach ihrer eigenen Gesetzgebung und Verkehrsanschauung (
BGE 89 I 297
E. 7 mit Hinweisen). Dies schliesst zwar nach der Praxis nicht aus, dass der Richter und die Verwaltungsbehörden sich - namentlich in Grenzfällen - an der ausländischen Praxis orientieren (PMMBl 1985 I 56), doch entfällt im vorliegenden Fall eine Berücksichtigung des deutschen Markenschutzes bereits darum, weil das Würfelspiel in Deutschland nicht unter der Bezeichnung "EILE MIT WEILE", sondern als "MENSCH ÄRGERE DICH NICHT" allgemein bekannt ist.
3.
In ihrem Eventualstandpunkt beantragt die Beschwerdeführerin die Eintragung von "EILE MIT WEILE" als durchgesetzte Marke.
Ein zum Gemeingut gehörendes Zeichen ist des Markenschutzes zugänglich, wenn es dem Verkehr nicht unentbehrlich ist und sich in ihm so durchgesetzt hat, dass es vom Publikum ohne weiteres als Herkunftshinweis verstanden wird (
BGE 112 II 76
mit Hinweisen; TROLLER, a.a.O., S. 295; MATTER, a.a.O., S. 62 ff.; H. DAVID, a.a.O., S. 100; MARBACH, a.a.O., S. 74 ff.). Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung sind daher unter anderem der markenmässige Gebrauch des Zeichens und der dadurch bewirkte Umstand, dass das Publikum darin einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft
BGE 114 II 171 S. 175
und nicht bloss eine Warenbezeichnung erblickt (MARBACH, a.a.O., S. 75 f.). Beide Voraussetzungen sind, wie das Amt zutreffend erwogen hat, im vorliegenden Falle nicht erfüllt.
Markenmässiger Gebrauch liegt in der Verwendung der Marke auf der Ware selbst oder auf deren Verpackung (
BGE 113 II 75
). Nach der markenmässigen Herkunftsfunktion (E. 2a hievor) ist dabei erforderlich, dass das Zeichen als Herkunfts- und nicht als Sachbezeichnung verwendet wird. Dafür aber geben weder die vorgelegten Kataloge noch die Spielmagazine der Beschwerdeführerin einen schlüssigen Hinweis ab. Auch hier erscheint "EILE MIT WEILE" offensichtlich als beschreibende Spielbezeichnung, als gegenständliche und nicht als herkunftsmässige Angabe, dies im Gegensatz etwa zu der auf den Spielpackungen angebrachten Marke "ASS". Damit aber ist der markenmässige Gebrauch des Zeichens nicht nachgewiesen.
Hinzu kommt, dass zufolge der allgemeinen Verbreitung der Bezeichnung "EILE MIT WEILE" für das Würfelspiel die Fachkreise wie das kaufende Publikum darin eine reine Sach- oder Warenbezeichnung erblicken und Assoziationen zu einem bestimmten, möglicherweise auch anonymen Hersteller vollständig fehlen. Im Verkehr durchgesetzt hat sich wohl die Sach-, nicht aber die Herkunftsbezeichnung. "EILE MIT WEILE" deutet nicht auf einen bestimmten Hersteller, sondern allein auf ein bestimmtes, von verschiedenen Herstellern vertriebenes Produkt hin. Dies aber reicht für den Schutz des Zeichens als durchgesetzte Marke nicht aus. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
993d6c29-a5d4-4d37-b546-57cd642831e5 | Urteilskopf
91 IV 70
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1965 i.S. Hurni gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 191 Ziff. 2 StGB
.
Unzüchtige Handlung.
Ein sinnlicher Zungenkuss, der von einem Manne einem Knaben gegeben wird, ist unzüchtig. | Erwägungen
ab Seite 71
BGE 91 IV 70 S. 71
Aus den Erwägungen:
Küsse aus Sinnenlust sind nicht ohne weiteres unzüchtig, es sei denn, der Kuss wirke nach seiner besondern Art und nach den Begleitumständen anstössig (
BGE 76 IV 277
). Das Gleiche muss auch für den Zungenkuss gelten. Er braucht, wenn er unter erwachsenen Personen verschiedenen Geschlechts gegeben wird, nicht notwendig in nicht leicht zu nehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl eines normal empfindenden Menschen zu verstossen und ist deshalb nicht schlechthin unzüchtig. Sind dagegen die beteiligten Personen männlichen Geschlechts, so sind sinnliche Zungenküsse nicht mehr harmlos, sondern erregen Anstoss; sie überschreiten eindeutig die Grenzen des geschlechtlichen Anstandes und sind als unzüchtige Handlungen zu bewerten (vgl. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Bd. 18, Nr. 44). Umsomehr trifft dies zu, wenn die Handlung von einem Manne an einem noch nicht 16-jährigen Knaben begangen wird. In diesem Sinne hat der Kassationshof auch entschieden, als ein Lehrer eine 15-jährige Schülerin auf diese Art küsste (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. September 1959 i.S. Steiger).
Der Beschwerdeführer hat sich daher im Sinne von
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
schuldig gemacht, und zwar auch dann, wenn die Berührung, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, auf den Knaben keinen Eindruck gemacht haben sollte. Der unzüchtige Charakter einer Handlung hängt nicht davon ab, ob jemand tatsächlich Anstoss genommen hat. Massgebend dafür ist nicht das Gefühl der Beteiligten oder einzelner Dritter, sondern ob das Verhalten objektiv das Sittlichkeitsgefühl in nicht leicht zu nehmender Weise verletze, was sich nach dem Durchschnittsempfinden des Volkes beurteilt (
BGE 78 IV 163
). | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
993f9713-8494-4368-92a8-1156558889fa | Urteilskopf
121 IV 94
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. März 1995 i.S. M. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 273 Abs. 1 BStP
,
Art. 90 Abs. 1 OG
; Begründungsanforderungen, wenn der kantonale Entscheid zwei selbständige Begründungen enthält.
Beruht der kantonale Entscheid auf zwei selbständigen Begründungen, so müssen beide angefochten werden, gegebenenfalls die eine mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde, die andere mit staatsrechtlicher Beschwerde (E. 1b). | Sachverhalt
ab Seite 94
BGE 121 IV 94 S. 94
Am 23. Juni 1994 verurteilte der Einzelrichter in Strafsachen am Bezirksgericht Zürich M. wegen Verletzung von Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 120.--. Eine von M. dagegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich am 14. Dezember 1994 ab.
BGE 121 IV 94 S. 95
M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der angefochtene Beschluss beruht auf einer Haupt- und einer Eventualbegründung. Nach der Hauptbegründung hätte der Beschwerdeführer auf den Tramschienen warten müssen, bis er die Gegenfahrbahn ohne Behinderung der vortrittsberechtigten Automobilisten hätte überqueren können. Indem er losgefahren sei, obwohl noch mehrere vortrittsberechtigte Auto- und Velofahrer auf der Gegenfahrbahn verkehrten, und zudem keineswegs sicher gewesen sei, dass er hinter dem letzten Fahrzeug und noch vor den Velofahrern würde durchfahren können, habe er das Vortrittsrecht verletzt. Er hätte nur wegfahren dürfen, wenn er die Gewissheit gehabt hätte, die Gegenfahrbahn nach dem letzten vortrittsberechtigten Fahrzeug und vor den von ihm ebenfalls bemerkten Velofahrern zu überqueren. Nach der Eventualbegründung hätte der Beschwerdeführer das Vortrittsrecht selbst dann verletzt, wenn man annehmen würde, er habe sich bis zu seinem zweiten Halt, als er sich bereits auf der Gegenfahrbahn befand, korrekt verhalten, was im einzelnen ausgeführt wird.
b) Beruht der angefochtene Entscheid auf zwei selbständigen Begründungen, so müssen beide angefochten werden, und zwar mit dem jeweils richtigen Rechtsmittel. Es muss also entweder in der Nichtigkeitsbeschwerde dargelegt werden, dass jede der beiden Begründungen Bundesrecht verletze; oder es muss gegebenenfalls, wenn eine Bundesrechtswidrigkeit nur in bezug auf eine der beiden Begründungen geltend gemacht wird, die zweite Begründung mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (analog für die Berufung
BGE 111 II 397
E. 2b und 398 E. 2b;
BGE 115 II 300
E. 2). Ficht der Beschwerdeführer nur eine von zwei selbständigen Begründungen an, bleibt der angefochtene Entscheid gestützt auf die unangefochtene Begründung im Ergebnis auch dann bestehen, wenn die in der Beschwerde erhobenen Einwände begründet sind. Die Beschwerde läuft in diesem Fall auf einen blossen Streit über Entscheidungsgründe hinaus, die für sich allein keine Beschwer bedeuten (BGE a.a.O.; SCHUBARTH, AJP 7/92, S. 854 N. 17; SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, Bern 1993, S. 140 N. 443).
BGE 121 IV 94 S. 96
c) Der angefochtene Beschluss beruht, wie gesagt, auf einer Haupt- und einer Eventualbegründung. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass und weshalb jede dieser beiden Alternativbegründungen Bundesrecht verletze. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.
2.
(Kostenfolgen). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99422c27-f9d7-4d01-9b37-0cf6ed4fb99f | Urteilskopf
115 II 264
46. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Juli 1989 i.S. Basler Versicherungsgesellschaft gegen Z. AG (Berufung) | Regeste
Versicherungsvertrag und
Art. 164 Abs. 1 OR
. Frage der Abtretbarkeit des Befreiungsanspruchs des Versicherten. Auslegung einer Versicherungsvertragsbestimmung über den Umfang der Gefahr (
Art. 33 VVG
).
1. Auch wenn die Haftpflicht noch nicht anerkannt oder durch gerichtliches Urteil festgestellt ist, kann der Befreiungsanspruch des Versicherten gegenüber der Versicherung an den Geschädigten abgetreten werden (E. 3).
2. Auslegung der Vertragsbestimmung, wonach Schäden nicht gedeckt sind, die der Versicherte bei der vorsätzlichen Begehung eines Verbrechens oder Vergehens verursacht hat (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 264
BGE 115 II 264 S. 264
A.-
a) Am 6. November 1983 drangen die damals 16 bzw. 15 Jahre alten Brüder Markus und Ernst H. in die Sägerei der Z. AG ein und stahlen Werkzeuge. Anschliessend begaben sie sich auf den Dachboden eines der Gebäude und rauchten dort je eine Zigarette. Nachdem sie die Zigarettenstummel mit Speichel gelöscht zu haben glaubten, warfen sie sie auf den staubbedeckten Boden und verliessen den Betrieb.
Am Abend brach in der Sägerei ein Brand aus, der offensichtlich durch die noch glimmenden Zigarettenstummel verursacht worden war.
b) Mit Strafverfügung vom 20. August 1984 erklärte der Jugendanwalt beide Brüder u.a. des wiederholten Diebstahls
BGE 115 II 264 S. 265
(
Art. 137 Ziff. 1 StGB
), Hausfriedensbruchs (
Art. 186 StGB
) sowie der fahrlässigen Verursachung einer Feuersbrunst (
Art. 222 Abs. 1 StGB
) für schuldig und verurteilte sie zu Bussen und bedingten Einschliessungsstrafen. Die Schadenersatzforderung der Z. AG wurde auf den Zivilweg verwiesen.
B.-
a) Nachdem sich die Z. AG mit der Haftpflichtversicherung der Familie H. nicht gütlich hatte einigen können, leitete sie am 19. Februar 1986 beim Bezirksgericht Einsiedeln gegen die Basler Versicherungsgesellschaft Klage ein. Sie stellte das Begehren, die Beklagte sei zur Bezahlung von Fr. 222'634.-- zuzüglich Schadenszins zu verurteilen und in einem Vor-Urteil sei festzustellen, dass die Haftpflicht der Beklagten aus Versicherungsvertrag bestehe. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen, und stellte ihrerseits das Begehren, durch Vor-Urteil festzustellen, dass die Haftpflicht der Beklagten im konkreten Fall nicht bestehe.
Das Bezirksgericht wies mit Entscheid vom 7. April 1987 die Klage ab und trat auf das Begehren nicht ein, einen Vor-Entscheid zu erlassen.
b) Gegen diesen Entscheid erklärte die Klägerin die Berufung an das Kantonsgericht, welches mit Urteil vom 15. Dezember 1988 das angefochtene Urteil aufhob, feststellte, dass die Haftpflicht der Beklagten aus Versicherungsvertrag gegeben sei, und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens sowie zu neuem Entscheid an das Bezirksgericht zurückwies.
D.-
Gegen dieses Urteil hat die Basler Versicherungsgesellschaft Berufung an das Bundesgericht erhoben, mit dem Antrag, den Entscheid der kantonalen Instanz aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eventualiter sei die Sache an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
Die Z. AG beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
a) Die Beklagte rügt, das Kantonsgericht habe
Art. 164 OR
verletzt, weil die eingeklagte Forderung ihrer Natur nach nicht abtretbar sei. Sie macht geltend, der Anspruch des Versicherten gegen die Versicherung sei erst zedierbar, wenn die Haftpflicht der Versicherung feststehe. Vorher bestehe ausschliesslich ein Befreiungsanspruch (zum Begriff vgl. MAURER, Schweizerisches
BGE 115 II 264 S. 266
Privatversicherungsrecht, Bern 1986, S. 520), der seiner Natur nach nicht abtretbar sei.
Die Frage, ob der Befreiungsanspruch abtretbar sei oder nicht, scheint in der Lehre umstritten. Während ROELLI/JAEGER (Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, Bd. II, Bern 1932, N. 24 zu
Art. 59 VVG
) die Abtretbarkeit verneinen, lässt sie KOENIG (Der Versicherungsvertrag, in: SPR Bd. VII/2, Basel 1979, S. 564) uneingeschränkt zu (so auch MAURER, a.a.O., S. 372; VIRET, Droit des Assurances privées, Zürich 1985, S. 141). Die Meinungsverschiedenheiten haben ihre Ursache teilweise in der Umschreibung des Befreiungsanspruchs. Während MAURER (a.a.O., S. 521 f.) den Anspruch auf Rechtsschutz neben dem Befreiungsanspruch als selbständiges Recht aus dem Versicherungsvertrag ansieht, schliessen ROELLI/ JAEGER (a.a.O., N. 20 zu
Art. 59 VVG
) diesen im Befreiungsanspruch ein. Auch die Rechtsprechung ist in diesem Punkt nicht einheitlich (Abtretbarkeit verneinend: Obergericht Solothurn, SVA Bd. VIII, Nr. 244; Abtretbarkeit bejahend: Obergericht Solothurn, SVA Bd. VIII, Nr. 245; Amtsgericht Balsthal, SVA Bd. IX, Nr. 133; einschränkend: Tribunal cantonal de Fribourg, SVA Bd. X, Nr. 59).
b) Durch die Natur der Forderung ist die Abtretung ausgeschlossen, wenn die Leistung an den Zessionar nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann oder wenn der Zweck der Forderung durch die Abtretung vereitelt oder gefährdet wäre (VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil, S. 344).
Dominik H. hat der Klägerin seine und seiner Söhne Ansprüche gegen die Versicherung abgetreten, damit die Geschädigte ihren Schaden direkt gegen die Versicherung geltend machen kann. Die Abtretung erfasst somit nur den Anspruch auf Bezahlung der Haftpflichtsumme. Allfällige weitergehende Rechte, wie den Anspruch auf Rechtsschutz (vgl. MAURER, a.a.O., S. 521 f.; ROELLI/ JAEGER, a.a.O., N. 20 zu
Art. 59 VVG
), macht die Klägerin aus der Zession nicht geltend. Inwiefern die Natur des geltend gemachten Anspruchs einer Abtretung entgegenstehen soll, ist nicht ersichtlich. Er geht ausschliesslich auf Zahlung einer Geldsumme.
Der Schuldner kann dem Zessionar alle Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die er auch gegenüber seinem ursprünglichen Gläubiger hatte (
Art. 169 OR
; VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 365 ff.). Die Haftpflichtversicherung kann somit auch gegenüber dem Geschädigten, der sich die Forderung des Versicherten abtreten
BGE 115 II 264 S. 267
liess, alle Einwendungen und Einreden aus dem Versicherungsvertrag geltend machen, einschliesslich der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten und Pflichten durch den Schädiger bzw. den Versicherungsnehmer. Ihre Rechtsstellung wird von daher durch die Abtretung nicht beeinträchtigt.
Die Beklagte befürchtet, dass mit der Abtretung eine Interessenkollision entstehe, weil der Versicherte nun kein Interesse mehr habe, sich seiner Haftpflicht zu widersetzen. Das überzeugt nicht. Ob die Forderung abgetreten ist und der Geschädigte direkt gegen die Versicherung klagt, oder ob der Geschädigte ohne Abtretung zuerst gegen den Versicherten vorgehen muss, ändert am Interesse nichts, das letzterer am Ausgang des Prozesses hat. Sein Risiko ist in beiden Fällen durch die Versicherung gedeckt. Auch ohne Abtretung trägt der Versicherte grundsätzlich kein Risiko im Prozess, den der Geschädigte gegen ihn führt, weil er einen Anspruch darauf hat, dass die Versicherung ihm beistehe (Art. 18 Buchst. c AVB) und den Schaden übernehme. Wird sie am Prozess beteiligt, muss sie aber auch das Prozessergebnis mit Bezug auf die Haftung des Versicherten anerkennen.
c) Gegen die Abtretbarkeit der Forderung aus Versicherungsvertrag spricht auch nicht die Tatsache, dass im Bereich der Automobilhaftpflichtversicherung das Gesetz dem Geschädigten einen direkten Anspruch gegen den Versicherer gibt (
Art. 65 SVG
), eine analoge Bestimmung aber im VVG fehlt. Das selbständige Forderungsrecht des Geschädigten gemäss SVG verschafft diesem eine wesentlich stärkere Stellung, als ihm zustünde, wenn er die Forderung nur durch Abtretung erworben hätte.
Art. 65 Abs. 2 SVG
verwehrt es dem Versicherer grundsätzlich, dem Geschädigten Einreden aus dem Versicherungsverhältnis entgegenzuhalten (MAURER, a.a.O., S. 527 ff.; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, BT, Bd. II/2, Zürich 1989, S. 426 ff. und zur Rechtsnatur S. 363 f.).
d) Die Beklagte macht schliesslich geltend, die Abtretbarkeit der Forderung sei durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen ausgeschlossen. Gemäss Art. 18 Buchst. b der allgemeinen Vertragsbedingungen sind "die Versicherten (...) verpflichtet, direkte Verhandlungen mit dem Geschädigten (...) über Ersatzansprüche, jede Anerkennung einer Forderung, den Abschluss eines Vergleichs und die Leistung von Entschädigungen zu unterlassen, sofern nicht die Gesellschaft hiezu ihre Zustimmung gibt." Sie haben zudem "bei der Behandlung des Schadens nach
BGE 115 II 264 S. 268
Möglichkeit" die Versicherungsgesellschaft "zu unterstützen (Vertragstreue)".
Diese Bestimmung hat offensichtlich zum Zweck zu verhindern, dass der Versicherte durch irgendwelche Verhandlungen die Einreden und Einwendungen präjudiziert, die dem Schadenersatzanspruch entgegengehalten werden könnten, und damit die Stellung der Versicherung verschlechtert. Mit der Abtretung des Anspruchs wird aber die Stellung der Versicherung in keiner Weise verschlechtert. Alle Einreden und Einwendungen bleiben ihr erhalten. Anders würde es sich nur verhalten, wenn mit der Zession eine Schuldanerkennung verbunden würde, was aber im vorliegenden Fall von keiner Seite behauptet wird.
Die Z. AG ist somit berechtigt, die Forderung aufgrund der Haftpflichtversicherung der Gebrüder Markus und Ernst H. gegenüber der Basler Versicherungsgesellschaft direkt geltend zu machen. Es ist nunmehr zu prüfen, ob die Versicherung grundsätzlich für den eingeklagten Schaden aufzukommen hat.
5.
a) Die Beklagte macht geltend, ihre Leistungspflicht sei aufgrund der Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht gegeben, weil diese in Art. 7 Buchst. c Ansprüche aus Schäden von der Versicherung ausnehmen, "die der Versicherte bei der vorsätzlichen Begehung eines Verbrechens oder Vergehens verursacht hat".
Für die Auslegung einer Versicherungsvertragsbestimmung ist wie bei jedem Vertrag (
BGE 112 II 253
) grundsätzlich der wirkliche Wille der Parteien zu ermitteln. Ist dies nicht möglich, ist auf den mutmasslichen Willen abzustellen. Er ist nach dem Vertrauensgrundsatz aufgrund aller Umstände des Vertragsschlusses zu ermitteln (
BGE 113 II 51
;
BGE 107 II 418
und 476). Dabei hat der Richter zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht anzunehmen ist, dass die Parteien eine unangemessene Lösung gewollt haben. Da das dispositive Recht in der Regel die Interessen der Parteien ausgewogen wahrt, hat die Partei, die davon abweichen will, dies mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen (
BGE 113 II 51
; JÄGGI/GAUCH, N. 447 zu
Art. 18 OR
; KRAMER, N. 48 zu
Art. 18 OR
). Schliesslich gilt nach konstanter Rechtsprechung (
BGE 87 II 95
f.;
BGE 92 II 348
;
BGE 97 II 73
f.;
BGE 99 II 75
f.;
BGE 99 II 90
;
BGE 99 II 292
f.;
BGE 100 II 153
; vgl. auch
BGE 112 II 254
), dass gemäss der sogenannten Unklarheitsregel zweideutige Wendungen in allgemeinen, formularmässig vorgeformten Vertragsbedingungen im Zweifel zu Lasten ihres Verfassers auszulegen sind (JÄGGI/GAUCH, N. 451 ff. zu
Art. 18 OR
; KRAMER, N. 109 zu
Art. 1 OR
, bestreitet
BGE 115 II 264 S. 269
nicht die Regel, sondern nur ihre Begründung mit dem Vertrauensprinzip; einschränkend: MAURER, a.a.O., S. 146 f.).
Für den Versicherungsvertrag konkretisiert
Art. 33 VVG
die Unklarheitsregel insofern, als der Versicherer für alle Ereignisse haftet, welche die Merkmale der versicherten Gefahr an sich tragen, es sei denn, dass der Vertrag einzelne Ereignisse in "bestimmter, unzweideutiger Fassung" von der Versicherung ausschliesse. Ob diese Voraussetzung im einzelnen Fall erfüllt ist, beurteilt sich nach der Bedeutung, die den verwendeten Wörtern im täglichen Sprachgebrauch üblicherweise zukommt (
BGE 104 II 283
). Wie der Text auszulegen ist und ob er als unzweideutig bezeichnet werden kann, sind Rechtsfragen, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren frei überprüfen kann, wobei es aber an die Feststellungen der Vorinstanz hinsichtlich äusserer Tatsachen und des inneren Willens der Parteien gebunden ist (
BGE 107 II 476
;
BGE 105 II 18
; vgl. auch
BGE 112 II 253
).
b) Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem Wort "bei" beizumessen ist. Während die Beklagte darunter "im Zusammenhang mit" oder "während" verstehen will, macht die Klägerin geltend, "bei" heisse auch "durch" bzw. "infolge". Nach Meinung der Beklagten sind somit alle Schäden ausgeschlossen, die anlässlich der Begehung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens verursacht werden, während für die Klägerin der Haftungsausschluss nur Schäden erfasst, die durch das Delikt selber entstanden sind.
Das Vorwort "bei" ist in der Tat mehrdeutig. Neben einem räumlichen Sinn hat es auch zeitliche Bedeutung und kann zur Angabe von Begleitumständen dienen. "Bei" kann insbesondere mit modalem Nebensinn das gleiche ausdrücken wie "verbunden mit" oder mit kausalem Nebensinn die Bedeutung von "wegen" oder "infolge" haben (vgl. DUDEN, Das grosse Wörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim/Wien/Zürich 1976). Es zeigt sich somit, dass besagtes Wort sowohl den Sinn hat, den ihm die Beklagte beimessen will, als auch die Bedeutung, die die Klägerin geltend macht. Ist ein Wort mehrdeutig, muss aus dem Zusammenhang, in dem es steht, ermittelt werden, welche Bedeutung dem Willen der Vertragsparteien entspricht.
Gemäss
Art. 14 Abs. 1 VVG
haftet der Versicherer nicht, wenn der Versicherte das befürchtete Ereignis absichtlich herbeigeführt hat. Der vorsätzlich deliktische Akt selber ist somit von Gesetzes wegen von der Versicherung ausgenommen. Allerdings muss sich die
BGE 115 II 264 S. 270
Absicht auf die Herbeiführung des Erfolgs bezogen haben. Der Täter muss den Erfolg, nicht nur das schadenbegründende Ereignis gewollt haben. Die neuere Lehre geht deshalb davon aus, dass Eventualvorsatz nicht ausreicht (MAURER, a.a.O., S. 329 f.; KOENIG, a.a.O., S. 651). Die AVB müssen über diesen Haftungsausschluss hinausgehen, wenn sie einen selbständigen Sinn haben wollen. Das ist aber bei beiden Interpretationen der Fall. Die Vertragsbestimmung hat gemäss der von der Klägerin vertretenen engeren Auslegung die Bedeutung, nicht nur jene Schäden von der Versicherung auszunehmen, die vom Täter tatsächlich gewollt sind, sondern auch jene, die durch das Begehen des Delikts ungewollt entstanden sind.
Das von der Beklagten aufgeführte Zitat aus MÜLLER, Haftpflichtversicherung, Zürich 1985, S. 75, ist keineswegs eindeutig. Im entscheidenden Satzteil ("... indem sie alle Schädigungen bei solchem Anlass, auch unbeabsichtigte, erfasst") verwendet er wiederum das mehrdeutige Wort "bei". Zudem führt dieser Autor anschliessend an den von der Beklagten zitierten Satz als Beispiel den Dieb auf, der einer Frau die Handtasche entreisst, so dass sie stürzt und sich dabei die Hand bricht. In diesem Beispiel ist aber der Schaden nicht nur anlässlich des vorsätzlich begangenen Delikts entstanden, sondern durch dieses, wenn ihn auch der Täter nicht direkt wollte.
Sind beide Auslegungen gleichermassen möglich, hat das Kantonsgericht zu Recht die für die Versicherung günstigere verworfen. Es ist somit davon auszugehen, dass Art. 7 Buchst. c der Allgemeinen Vertragsbedingungen die Haftung nur für Schäden ausschliesst, die durch das vorsätzliche Begehen eines Verbrechens oder Vergehens verursacht wurden.
c) Zu Recht bestreitet die Beklagte nicht mehr, dass die Feuersbrunst nicht als durch den Diebstahl herbeigeführt angesehen werden kann. Sie hat nur einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit diesem Delikt, nicht aber einen direkten kausalen.
Das kantonale Gericht hat auch den Zusammenhang zwischen dem Hausfriedensbruch und dem eingetretenen Schaden verneint. Nicht das Rauchen, sondern das Eindringen und Verweilen im Gebäude erfülle den Tatbestand dieses Delikts. Die Täter hätten den Hausfriedensbruch begehen können, ohne zu rauchen und damit auch ohne den eingeklagten Schaden zu verursachen. Es führt zudem aus, der Brand hätte auch ohne Hausfriedensbruch entstehen können, "indem sie (die Schädiger) etwa von aussen her unbedacht Zigarettenstummel ins Gebäudeinnere geworfen hätten". Das scheint zweifelhaft. Handelte es sich doch immerhin um
BGE 115 II 264 S. 271
den Dachboden des Gebäudes. Überdies scheint es fraglich, ob ein derart stark von den tatsächlichen Geschehnissen abweichender Sachverhalt als Argument dienen kann. Dass ein Brand auch bei einem völlig anderen Sachverhalt hätte entstehen können, lässt sich niemals ausschliessen.
Es steht ausser Zweifel, dass Markus und Ernst H. dadurch, dass sie auf dem Dachboden des Gebäudes verweilten, den Tatbestand des Hausfriedensbruches begingen. Es ist aber zu beachten, dass der Hausfriedensbruch als Rechtsgut nicht das Eigentum, sondern die Freiheit, bzw. den privaten Bereich schützt (vgl. HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT Bd. I, Berlin 1937, S. 109 f.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT Bd. I, Bern 1983, S. 110; SCHUBARTH, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Bern 1984, N. 1 zu Art. 186). Der Hausfriedensbruch erfasst nicht allfällige Folgedelikte, wie Diebstähle, Sachbeschädigungen usw., die anschliessend oder vorgängig zu diesem Delikt begangen werden. Diese erfolgen nicht durch, sondern nur anlässlich des Hausfriedensbruchs. Das muss aber auch für fahrlässige Delikte gelten, die während eines Hausfriedensbruchs begangen werden. Die fahrlässige Feuersbrunst ist somit nicht durch, sondern nur anlässlich des Hausfriedensbruchs begangen worden.
Das kantonale Gericht geht zudem davon aus, dass der Hausfriedensbruch - obgleich Vorsatzdelikt - nicht vom Ausschluss in Art. 7 Buchst. c der allgemeinen Versicherungsbedingungen erfasst werde. Wird in einem Versicherungsvertrag die Gefahr mit juristischen Begriffen umschrieben, darf diesen Wörtern nur dann der rechtstechnische Sinn beigemessen werden, wenn ihnen diese Bedeutung auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch zukommt (
BGE 104 II 283
; vgl. auch KOENIG, a.a.O., S. 577 ff.). Wohl sieht
Art. 186 StGB
als Strafe Gefängnis oder Busse vor; wenn aber zwei Jugendliche in ein mehr oder weniger leerstehendes Gebäude eindringen, ist dies für den Laien eher ein Bubenstreich als ein vorsätzliches Vergehen. Unter einem "vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen" versteht der Laie Delikte von einer gewissen Schwere. Dass es für ihn dabei nicht ausschliesslich auf den Strafrahmen ankommen kann, ergibt sich schon daraus, dass er diesen im allgemeinen gar nicht kennt. Wenn ein 15- und ein 16jähriger Jugendlicher an einem Wochenende in Werkräume eindringen, kann dies aber ohne weiteres als ein Jungenstreich aufgefasst werden. Auch aus diesem Grund ist Art. 7 Buchst. c der allgemeinen Vertragsbedingungen hier nicht anwendbar. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99456a2f-6ccb-4241-ac7b-379f9e9e9da7 | Urteilskopf
81 IV 228
51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. November 1955 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen Kronenberger. | Regeste
1.
Art. 159 StGB
gilt auch für die ungetreue Geschäftsführung von Behördenmitgliedern und Beamten, soweit nicht
Art. 314 StGB
zutrifft (Erw. 1).
2.
Art. 140 Ziff. 1 StGB
.
a) Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, möge sie auch in "Gut, namentlich Geld" bestehen, ist nach Abs. 1 zu bestrafen (Erw. 2 lit. b).
b) Merkmale der die Absicht unrechtmässiger Bereicherung ausschliessenden Ersatzbereitschaft (Erw. 2 lit. c). | Sachverhalt
ab Seite 228
BGE 81 IV 228 S. 228
A.-
Josef Kronenberger war Gemeindeschreiber von Inwil und hatte auch die Gemeindesteuern einzuziehen. Von 1944 bis 1950 radierte er in den Steuerbezugsregistern der Gemeinde Zahlen aus, welche die von den Steuerpflichtigen geschuldeten Beträge bezeichneten, und ersetzte sie bewusst und gewollt durch unrichtige niedrigere. Auch setzte er bewusst und gewollt am Fusse von Kolonnen zu niedrige Summen hin. Durch die Abänderungen und Falschadditionen
BGE 81 IV 228 S. 229
spiegelte er vor, dass die Steuerforderungen der Gemeinde um Fr. 18'174.30 niedriger seien, als sie in Wirklichkeit waren. Kronenberger wollte damit verheimlichen, dass in der Kasse Geld fehlte, weil er einerseits sich solches angeeignet und anderseits aus Entgegenkommen gegenüber Steuerpflichtigen geschuldete Beträge nicht eingezogen hatte. Die Summe des angeeigneten Geldes erreichte ungefähr Fr. 2300.--. Zur Vertuschung nicht eingezogener Beträge will Kronenberger, der mehr als Fr. 100'000.-- eigenes Vermögen hatte, anfänglich Ablieferungen aus eigenen Mitteln gemacht haben. Später will er sich dafür an Steuergeldern schadlos gehalten und die Ausstände durch die erwähnten Änderungen und Falschadditionen im Steuerbezugsregister verschleiert haben.
B.-
Am 18. März 1955 verurteilte das Kriminalgericht des Kantons Luzern Kronenberger wegen fortgesetzter Veruntreuung (
Art. 140 Ziff. 2 StGB
), fortgesetzter ungetreuer Geschäftsführung (
Art. 159 StGB
), fortgesetzter Urkundenfälschung (
Art. 317 StGB
) und anderer Verbrechen zu drei Jahren Zuchthaus und stellte ihn für fünf Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
Auf Appellation des Verurteilten sprach das Obergericht des Kantons Luzern ihn am 13. Juh. 1955 von der Anklage der ungetreuen Gesch äftsführung frei. Es führte hiezu im wesentlichen aus, soweit er das Steuerinkasso unterlassen habe, habe er die Gemeinde in dem Masse geschädigt, als Eintreibung möglich gewesen wäre und er den Fehlbetrag nicht durch Vorschüsse ausgeglichen habe. Dass er das Inkasso absichtlich unterlassen habe, habe er zugegeben. Der Tatbestand der ungetreuen Geschäftsführung wäre also erfüllt.
Art. 159 StGB
sei jedoch auf Beamte nicht anzuwenden. Auch
Art. 314 StGB
treffe nicht zu; denn Kronenberger habe beim Steuerinkasso nicht Rechtsgeschäfte besorgt. Erfüllt wäre der Tatbestand der vorsätzlichen Amtspflichtverletzung nach § 56 EG StGB, doch sei diese Übertretung verjährt.
Wegen der anderen Verbrechen verurteilte das Obergericht
BGE 81 IV 228 S. 230
den Angeklagten zu zwei Jahren Zuchthaus. Es stellte ihn für fünf Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein und verfügte, dass er während acht Jahren nicht mehr in ein Amt gewählt werden dürfe.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und dieses sei anzuweisen, den Angeklagten auch der ungetreuen Geschäftsführung schuldig zu erklären und die Strafe daher neu zu bemessen.
Kronenberger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung zur Freisprechung von der Anklage der Urkundenfälschung nach
Art. 317 StGB
und der Veruntreuung nach
Art. 140 Ziff. 2 StGB
und zu entsprechender Minderung der Strafe.
D.-
Jede Partei beantragt Abweisung der Beschwerde der Gegenpartei.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 159 StGB
ist mit Gefängnis zu bestrafen, "wer jemanden am Vermögen schädigt, für das er infolge einer gesetzlichen oder einer vertraglich übernommenen Pflicht sorgen soll". Handelt der Täter aus Gewinnsucht, so ist die Strafe Gefängnis bis zu fünf Jahren und Busse.
Art. 314 StGB
dagegen bestimmt, dass "Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die bei einem Rechtsgeschäfte die von ihnen zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen", mit Zuchthaus bis zu drei Jahren und Busse oder mit Gefängnis und Busse zu bestrafen seien.
Das Obergericht hält dafür, Art. 159 sei auf Beamte nicht anwendbar, weil sonst Art. 314 überflüssig wäre, da die hier unter Strafe gestellten Handlungen einen typischen Fall ungetreuer Geschäftsführung bilden würden. Damit verkennt es, dass die wesentlich schwerere Strafandrohung des Art. 314 dieser Bestimmung auch neben
Art. 159
BGE 81 IV 228 S. 231
StGB
Sinn verleiht.
Art. 314 StGB
will die Behördenmitglieder und Beamten schärfer bestraft wissen, wenn sie die ungetreue Geschäftsführung unter erschwerenden Umständen begehen, nämlich wenn sie bei einem Rechtsgeschäfte die von ihnen zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist Art. 314 unter Ausschluss des Art. 159 anzuwenden. Fehlen sie dagegen, so besteht kein Grund, das Behördenmitglied oder den Beamten nicht nach letzterer Bestimmung zu bestrafen. Sie nicht anzuwenden, liefe auf eine Bevorzugung dessen hinaus, der Amtsgeschäfte ungetreu führt. Das selbst dann, wenn, was in
BGE 74 IV 168
offen gelassen wurde und auch heute offen bleiben kann, die Kantone berechtigt sein sollten, Amtspflichtverleztungen ihrer Behördenmitglieder und Beamten mit Strafe zu bedrohen; denn das dürfte jedenfalls nur Übertretungsstrafe, also Haft und Busse, sein (
Art. 335 Ziff. 1 StGB
;
BGE 69 IV 7
ff.). Besonders bevorzugt wären die Mitglieder eidgenössischer Behörden und die eidgenössischen Beamten, da sie den kantonalen Bestimmungen gegen Amtspflichtverletzungen zum vornherein nicht unterstehen könnten und eine entsprechende Sondernorm im Bundesrecht fehlt, so dass sie, von Disziplinarmassnahmen abgesehen, straflos ausgingen. Das kann umsoweniger der Wille des Gesetzes sein, als schon Art. 57 des Bundesgesetzes vom 4. Februar 1853 über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft Geldbusse und Amtsentsetzung androhte für den Fall, dass ein Beamter oder Angestellter des Bundes durch Vernachlässigung seiner Geschäfte einen erheblichen Schaden stiftete oder eine bedeutende Störung in dem betreffenden Dienstzweige verursachte. Da die
Art. 312 ff. StGB
keine entsprechende Norm enthalten, muss die ungetreue Geschäftsführung von Behördenmitgliedern und Beamten von
Art. 159 StGB
erfasst werden, soweit nicht
Art. 314 StGB
zutrifft.
BGE 81 IV 228 S. 232
Dass die Erfüllung amtlicher Aufgaben nicht Geschäftsführung, sondern Amtsführung genannt zu werden pflegt, ist kein sachlicher Grund, Art. 159 auf sie nicht anzuwenden; auch wer amtlich tätig ist, führt in einem weiteren Sinne Geschäfte. Dem Worte Geschäftsführung kann umsoeher diese Bedeutung entnommen werden, als es nur im Randtitel steht. Art. 159 schützt schlechthin das "Vermögen", für das jemand "infolge einer gesetzlichen oder einer vertraglich übernommenen Pflicht sorgen soll". Darunter ist nicht nur das Vermögen von Privaten, sondern auch jenes des Gemeinwesens zu verstehen. Dass auch ein Beamter an dem ihm anvertrauten öffentlichen Gut Untreue im Sinne dieser Bestimmung verüben kann, wurde schon von ZÜRCHER in den Erläuterungen zum Vorentwurf von 1908, S. 163, hervorgehoben. Die gleiche Auffassung vertreten HAFTER, Lehrbuch S. 838, und LOGOZ, N. 2 zu
Art. 159 StGB
.
b) Kronenberger hat durch bewusste und gewollte Nichteinziehung von Steuern, die geschuldet und einbringlich waren, die Gemeinde Inwil am Vermögen geschädigt. Die Einziehung der Steuern gehörte zu seinen Pflichten, gleichgültig ob von Gesetzes wegen oder kraft Weisung des Gemeinderates. Daher ist
Art. 159 StGB
objektiv und subjektiv erfüllt. Der Einwand Kronenbergers, seine Tat sei nicht rechtswidrig, weil die ihm vorgesetzte Behörde sämtliche Gemeinderechnungen genehmigt habe, ist trölerisch; denn die Genehmigung erfolgte in Unkenntnis der Untreue, da er sie durch Fälschungen verschleiert hatte. Kronenberger ist deshalb nach
Art. 159 StGB
zu bestrafen. § 56 luz. EG StGB steht dem nicht im Wege, da diese Bestimmung, falls sie überhaupt zulässig sein sollte, jedenfalls nur angewendet werden könnte, wenn nicht Bundesrecht die Tat mit Strafe bedrohte (
BGE 74 IV 167
f.).
2.
Nach
Art. 140 Ziff. 1 StGB
ist zu bestrafen, wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu
BGE 81 IV 228 S. 233
bereichern (Abs. 1), oder wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet (Abs. 2).
a) Das Geld, das Kronenberger für die Gemeinde Inwil als Steuern einzog, war ihm im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 StGB
anvertraut. Er bestreitet das denn auch nicht.
b) Das Geld trat mit der Bezahlung in das Eigentum der Gemeinde, in deren Namen Kronenberger es entgegennahm. Dieser hatte es getrennt von seinem eigenen Gelde aufzubewahren. Das ergibt sich aus einer Weisung des Gemeindedepartements des Kantons Luzern an die Gemeindeverwaltungen und Rechnungsprüfungskommissionen über die Rechnungsführung, Rechnungsablage und Rechnungsprüfung vom 27. Februar 1947, wonach jeder Beamte, der Gemeindegelder verwaltet, eine besondere, von seinen privaten Geldern getrennte Kasse zu führen hat, eine Pflicht, die sich zudem von selbst versteht. Das eingezogene Geld war somit "fremde" bewegliche Sache.
Die Tat Kronenbergers ist deshalb nach dem ersten, nicht nach dem zweiten Absatz von
Art. 140 Ziff. 1 StGB
zu beurteilen. Absatz 2 wurde erlassen, damit auch strafbar sei, wer Eigentümer des anvertrauten Gutes ist, das er unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet (
BGE 70 IV 72
). Durch diese Bestimmung wollte das Anwendungsgebiet des Art. 140 erweitert, nicht jenes des Abs. 1 dahin eingeschränkt werden, dass jedesmal dann, wenn die fremde bewegliche Sache in "Gut, namentlich Geld" besteht, statt des ersten der zweite Absatz anzuwenden wäre, d.h. nicht schon das "Aneignen", sondern nur das "Verwenden" des Gutes Strafe nach sich zöge. Zu dieser Einschränkung bestand kein Grund. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, möge sie auch in "Gut, namentlich Geld" bestehen, ist daher nach Abs. 1 und nur nach dieser Bestimmung zu bestrafen. Dem widerspricht
BGE 70 IV 72
nicht; denn wenn dort ausgeführt wurde, Abs. 2 unterscheide nicht, in wessen
BGE 81 IV 228 S. 234
Eigentum das anvertraute Gut stehe, so wollte damit nur gesagt werden, diese Bestimmung verlange nicht, dass es Eigentum eines andern sei. Ob Abs. 2 nur für die Veruntreuung eigenen Gutes gelte, war damals nicht zu entscheiden.
Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob Kronenberger im Sinne des Abs. 2 vom eingezogenen Gelde unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen "verwendet" hat. Nach Abs. 1 liegt die Veruntreuung im "Aneignen", d.h. darin, dass der Täter die fremde Sache als eigene behandelt. Das hat Kronenberger nach der Feststellung des Obergerichts an Beträgen von zusammen ungefähr Fr. 2300.-- getan. Zwar sagt das Obergericht nicht ausdrücklich, er habe sich diesen Betrag "angeeignet", wirft ihm aber vor, er habe ihn "veruntreut", worunter es nichts anderes verstehen kann als das Kriminalgericht, das ihn des Aneignens zeiht, wenn auch einer um rund Fr. 1700.-- höheren Summe als das Obergericht. Kronenberger selber legt das angefochtene Urteil so aus, wenn er geltend macht, es werfe ihm vor, er habe eingezogene Steuern für sich zurückbehalten. Ob das zutrifft, ist Tatfrage- Die Aussetzungen Kronenbergers an der vorinstanzlichen Feststellung sind daher nicht zu hören; diese bindet den Kassationshof (
Art. 273 Abs. 1 lit. b,
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
).
c) Kronenberger will nicht beabsichtigt haben, durch die Aneignung des Geldes sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern; denn sein Vermögensstand habe es ihm jederzeit ermöglicht, gegebenenfalls Ersatz zu leisten.
Er verkennt, dass diese Fähigkeit die Bereicherungsabsicht nur ausgeschlossen hätte, wenn er willens gewesen wäre, jederzeit sofort Ersatz zu leisten (
BGE 74 IV 30
f.,
BGE 77 IV 12
f.). Dass er diesen Willen gehabt habe, behauptet er nicht. Er fehlte ihm denn auch offensichtlich, sonst hätte er, da er dazu fähig war, Ersatz auch tatsächlich geleistet, nicht die Aneignung durch Abänderungen und Falschadditionen im Steuerbezugsregister verschleiert und
BGE 81 IV 228 S. 235
zwecks Verunmöglichung der Nachkontrolle Gemeinderechnungen, Inkassoabrechnungen und Teile des Gemeindesteuerbezugsregisters vernichtet.
Ebensowenig wird die Absicht unrechtmässiger Bereicherung durch die Behauptung Kronenbergers widerlegt, er habe gegen die Gemeinde eine Forderung von Fr. 7222.70 gehabt, weil er für gewisse Steuerschuldner die Steuern aus eigenen Mitteln bezahlt habe. Sollte er - was sich aus dem angefochtenen Urteil nicht klar ergibt - tatsächlich so vorgegangen sein, so ergäben sich daraus keine Ansprüche gegen die Gemeinde, deren Steuerforderungen er getilgt hätte, sondern höchstens ein Rückgriffsrecht gegen die Steuerschuldner, an deren Stelle er es getan haben will, um sich bei ihnen beliebt zu machen. Wer die Schuld eines andern bezahlt, kann vom Gläubiger nicht zurückfordern, da er zum Zwecke der Schuldentilgung, nicht zum Zwecke des Kreditierens leistet. Aber selbst wenn Kronenberger die angeblich bezahlten Beträge von der Gemeinde hätte zurückverlangen können, hätte seine Forderung die Absicht unrechtmässiger Bereicherung bei der Aneignung eingezogenen Steuergeldes nur ausgeschlossen, wenn er durch eine Erklärung den Willen bekundet hätte, das Angeeignete durch Verrechnung mit der behaupteten Forderung zu ersetzen (
Art. 124 OR
;
BGE 74 IV 32
). Dass er eine solche Erklärung abgegeben habe, behauptet er nicht. Gegenteils hat er die Aneignung durch Abänderungen und Falschadditionen im Steuerbezugsregister verheimlicht, was den Willen zur Verrechnung ausschloss. Aus dem gleichen Grunde hilft ihm auch die Behauptung nicht, er habe gegen die Gemeinde ausserdem Honoraransprüche gehabt.
d) Kronenberger bestreitet mit Recht nicht, die Tat bewusst und gewollt, also vorsätzlich begangen zu haben.
e) Da er die Veruntreuungen in der Eigenschaft als Beamter begangen hat, ist die Strafe mit Recht nach
Art. 140 Ziff. 2 StGB
bemessen worden.
3.
(Urkundenfälschung.)
BGE 81 IV 228 S. 236
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
1.- Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern vom 13. Juli 1955 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.- Die Nichtigkeitsbeschwerde des Josef Kronenberger wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
9945b3e9-fb21-400c-aba3-61c24cfbf6c5 | Urteilskopf
88 I 48
9. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Februar 1962 i.S. F. gegen Standeskommission von Appenzell I. Rh. | Regeste
Scheidung schweizerischer Ehegatten im Ausland,
Art. 7 g Abs. 3 NAG
.
Die Verstossung einer schweizerischen Ehefrau durch den ägyptischen Ehemann nach ägyptischem Recht wird in der Schweiz nicht anerkannt und eingetragen, selbst wenn die Frau mit der "Scheidung" einverstanden war und die Eintragung verlangt. | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 88 I 48 S. 49
A.-
Die Schweizerin Klara M. von Appenzell heiratete 1955 in Alexandria einen ägyptischen Offizier, behielt jedoch das Schweizerbürgerrecht bei. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor. Von 1959 an wurde der Ehemann wiederholt für längere Zeit zur Ausbildung nach Moskau abkommandiert, während sich die Ehefrau mit dem Kinde zu ihren Eltern in die Schweiz begab. Vor einer neuen Abreise nach Moskau hielt sich der Mann im Oktober 1960 eine Woche mit der Frau bei deren Eltern im Kanton Zürich auf. Während dieses Zusammenseins kamen die Eheleute überein, dass der Mann in Moskau die Scheidung durchführe. Am 31. Oktober 1960 vollzog Oberst F. in Moskau vor dem 1. Sekretär und Konsularbeamten der Botschaft der VAR und zwei Leutnants als Zeugen die "Scheidung" gemäss dem Recht seines Landes, worüber der Beamte eine Bescheinigung ausstellte. Einige Tage vor diesem Akt hatte sich die Ehefrau in Zürich niedergelassen. Im April 1961 schickte die Einwohnerkontrolle der Stadt Zürich eine Bestätigung des hiesigen Generalkonsulats der VAR über die rechtskräftig erfolgte Scheidung an das Zivilstandsamt der Heimatgemeinde der Frau, Appenzell. Dieses ersuchte das Eidg. Amt für das Zivilstandswesen um Mitteilung, ob die Scheidung rechtsgültig sei und in den Registern eingetragen werden könne. Das Eidg. Amt übermittelte die Akten der Standeskommission des Kantons Appenzell I. Rh. (als kantonale Aufsichtsbehörde über das Zilvilstandswesen) zur Prüfung der Frage der Eintragung gemäss
Art. 137 ZStV
.
Die Standeskommission hat die Eintragung abgelehnt, weil die Ehefrau zur Zeit des Scheidungsaktes von Moskau bereits wieder einen eigenen Wohnsitz in Zürich gehabt habe und weil die nach muselmanischem Recht vorgenommene einseitige Auflösung der Ehe der schweizerischen Rechtsauffassung widerspreche.
BGE 88 I 48 S. 50
B.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 99 I lit. c OG
beantragt Frau F.-M. Eintragung der Scheidung. Sie führt aus, sie habe am 30. Oktober 1960 in der Schweiz noch nicht Wohnsitz gehabt, sondern noch denjenigen des Ehemannes in Ägypten geteilt. Sie sei mit der Scheidung einverstanden gewesen und habe an der Ehe keinerlei Interesse mehr. Würde die Scheidung in der Schweiz nicht anerkannt und eingetragen, so müsste sie in Zürich ein neues Scheidungsverfahren einleiten.
C.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung (gemäss
Art. 108 Abs. 2 OG
) Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Frage des Wohnsitzes der Ehefrau zur Zeit der "Scheidung": in Zürich oder in Ägypten?)
2.
Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob diese Umstände ausreichen, um für Ende Oktober 1960 einen schweizerischen Wohnsitz der Beschwerdeführerin anzunehmen, der auch schon als ihr Scheidungsgerichtsstand genügt hätte. Selbst wenn die Beschwerdeführerin noch in Ägypten Wohnsitz gehabt hätte, fehlt es an andern Voraussetzungen zur Anerkennung.
Art. 7 g Abs. 3 NAG
setzt voraus, dass die Scheidung durch ein (zuständiges) Gericht ausgesprochen worden sei. Nach der Praxis ist dabei "Gericht" im weiteren Sinne von "Behörde" zu verstehen. Wenn die lex fori eine Verwaltungsbehörde für die Scheidung zuständig erklärt, so ist die von ihr ausgesprochene der gerichtlichen Scheidung gleichzuhalten. Das Gleiche gilt für Konsulargerichte bezw. -Behörden (vgl. Kommentare zu
Art. 7 g NAG
: STAUFFER, N. 4, BECK, N. 130 und dortige Zitate). Dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass der zuständigen Behörde eine entscheidende Mitwirkung zukomme, also die Befugnis einer Prüfung der materiellrechtlichen Grundlagen der Scheidung und die Befugnis der Gutheissung oder Abweisung des Scheidungsbegehrens,
BGE 88 I 48 S. 51
sodass im Falle der Gutheissung die Scheidung von der Behörde ausgesprochen ist, ihre konstitutive Kraft von deren behördlicher Autorität bezieht. Das Eherecht der VAR für Ägypten kennt die Auflösung der Ehe durch Verstossung und durch "Scheidung zufolge gegenseitigen Einverständnisses" (BERGMANN, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, S. 48, 56). Die Verstossung kann eine widerrufliche (radjii) oder unwiderrufliche (baïn) sein; unwiderruflich und endgültig ist sie dann, wenn sie dreimal erfolgt oder wenn beim ersten Mal bestimmte Formeln verwendet werden (Art. 226 des ägypt. Gesetzbuches über das Personenrecht und die Erbfolge... von 1875). Die widerrufliche Verstossung wird jedoch mit dem Ende des 10. Tages nach der Wartezeit (Ende der 3. Menstruation der Frau) endgültig (baïn; Art. 241 des Gesetzbuches; BERGMANN S. 51). Die Wendung in der Übersetzung des "Certificat de divorce" von Moskau "Le divorce demandé est susceptible d'être annulé ou renouvelé" zeigt, dass es sich um eine Verstossung - vorerst radjii - handelte, die gemäss Art. 241 baïn wurde. Die Verstossung wird durch einseitige Erklärung des Ehemannes ausgesprochen. Der Konsularbeamte der VAR in Moskau hat einfach die Erklärung des Ehemannes entgegengenommen und darüber unter Beizug von zwei Zeugen das "Certificat de divorce" erstellt, wonach die Scheidung erfolgt sei. Es hat mithin weder ein kontradiktorisches Scheidungsverfahren stattgefunden, in dem die Ehefrau sich hätte verteidigen können, noch wurde geprüft, ob ein Scheidungsgrund (nach ägyptischem Recht) vorlag, noch hat eine Behörde ein Urteil gefällt und die Scheidung ausgesprochen. (Übrigens verhält es sich bei der "Scheidung durch gegenseitiges Einverständnis" gemäss Art. 273 ff. des Gesetzbuches nicht anders, bezüglich deren Art. 278 Abs. 2 sagt: "Sie kann gültig durch den Mann ausgesprochen werden, ohne dass es einer gerichtlichen Handlung bedarf"; BERGMANN, S. 56).
Nach ständiger Rechtsprechung darf die Anerkennung
BGE 88 I 48 S. 52
gemäss
Art. 7 g Abs. 3 NAG
auf solche Eheauflösung durch einseitige Verstossung nicht ausgedehnt werden (BECK, zu Art. 7 g N. 131 und dortige Hinweise). Die Verstossung ohne jedes Recht der Verteidigung vor einer erkennenden Behörde ist mit den Grundprinzipien der schweizerischen Rechtsordnung unvereinbar (vgl.
BGE 74 II 56
f., 85 I 47). Dass in casu die Beschwerdeführerin den Vorbehalt des schweizerischen ordre public nicht anruft, sondern im Gegenteil die Anerkennung der Eheauflösung verlangt, kann dieser Beurteilung nicht entgegenstehen. Die Verstossung widerspricht schon rein begrifflich der in
Art. 7 g Abs. 3 NAG
genannten doppelten Voraussetzung, dass die Scheidung durch ein Gericht, d.h. eine erkennende Behörde ausgesprochen, also nicht bloss vor einer lediglich registrierenden Amtsperson durch eine Partei erklärt worden sei. Die gegenteilige Auffassung lässt sich auch nicht aus der allgemeinen ratio legis dieser Bestimmung ableiten. Indem sie bestimmt, dass eine im Ausland ausgesprochene Scheidung dort domizilierter Schweizer auch dann anerkannt wird, wenn die Scheidung nach schweizerischem Recht nicht begründet gewesen wäre, bringt sie den Gedanken zum Ausdruck, dass unsere eherechtlichen Auffassungen gegenüber ausländischen Scheidungsurteilen im Interesse einer liberalen Handhabung des internat. Privatrechts weitgehend zurückzutreten haben (vgl. STAUFFER, a.a.O., N. 7). Diese Zurückhaltung bezieht sich indessen auf die materiellrechtlichen Scheidungsgründe nach ausländischem Recht. In casu weiss man von einem "Scheidungs" - Grund überhaupt nichts; es ist die Institution der willkürlichen Verstossung als solche sowie das bezügliche Verfahren, die sich nicht unter
Art. 7 g Abs. 3 NAG
subsumieren lassen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
994a5324-b55b-4750-b990-102850deb61e | Urteilskopf
126 V 124
23. Arrêt du 13 juin 2000 dans la cause P. contre Caisse de chômage de la Fédération suisse des travailleurs de la métallurgie et de l'horlogerie (FTMH) et Tribunal administratif du canton de Vaud | Regeste
Art. 28 AVIG
;
Art. 25 Abs. 3 UVV
; Art. 5 Abs. 4 der Verordnung vom 24. Januar 1996 über die Unfallversicherung von arbeitslosen Personen: Koordination von Arbeitslosenentschädigung der Arbeitslosenversicherung mit Taggeldern der Unfallversicherung.
- Anspruch eines Versicherten auf Arbeitslosenentschädigung, der einen Unfall erlitten hat und zu 75 Prozent arbeitsfähig ist.
- Frage nach der Gesetzmässigkeit von
Art. 25 Abs. 3 Satz 2 UVV
, wonach bei einer Arbeitsunfähigkeit von 25 und weniger Prozent kein Taggeldanspruch besteht, im konkreten Fall offen gelassen. | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 126 V 124 S. 125
A.-
P. a été victime d'un accident le 12 juillet 1995. Son employeur a résilié les rapports de travail pour le 31 mars 1996.
En raison des suites de l'accident, la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA) a alloué au prénommé des indemnités journalières. Elle a mis fin à leur versement à partir du 26 septembre 1996, au motif que l'assuré, à dire de médecin, avait alors recouvré une capacité de travail de 75 pour cent.
Le même jour, P. s'est annoncé à l'assurance-chômage, qui lui a versé les indemnités prétendues.
Par décision du 26 janvier 1998, la Caisse d'assurance-chômage de la Fédération suisse des travailleurs de la métallurgie et de l'horlogerie (FTMH) a réclamé à l'assuré la restitution d'un montant de 10'664 fr. 65. A l'appui de sa décision, elle a exposé ce qui suit:
"Depuis le 26.09.1996, vous bénéficiez d'un délai-cadre pour indemnités de l'assurance-chômage. Lors de l'ouverture de votre dossier, vous avez déclaré être apte au placement à 100%. Votre droit aux indemnités de l'assurance-chômage a été, dès l'ouverture de votre délai-cadre, calculé sur cette base. Lors d'une révision effectuée auprès de notre office de paiement, nous avons constaté que vous avez, en date du 25.09.1996, été informé par la Caisse nationale d'accidents CNA que vous pouviez reprendre le travail à 75%. Un certificat médical daté du 13.11.1996 atteste également une incapacité de travail de 25%. Nous basant sur cet état de fait, nous avons corrigé dans le système informatique votre degré d'aptitude au placement dès l'ouverture de votre droit et constaté que vous avez, de septembre 1996 à octobre 1997, touché des indemnités de l'assurance-chômage pour un montant total de Fr. 46'773.95, alors que vous n'aviez droit qu'à Fr. 36'109.30. Les indemnités touchées en trop, soit le montant de Fr. 10'664.65, doivent (...) être remboursées à la Caisse de chômage".
B.-
P. a recouru contre cette décision devant le Service cantonal vaudois de l'emploi (dont dépend l'Office cantonal de l'assurance-chômage). Par décision du 20 octobre 1998, celui-ci a partiellement admis le recours en ramenant à 8'095 fr. 70 le montant soumis à restitution. Il a considéré, en effet, que le droit de la caisse de réclamer le remboursement d'indemnités plus d'une année avant le prononcé de sa décision du 26 janvier 1998 était périmé. Seules devaient ainsi être remboursées les prestations indûment perçues de janvier à octobre 1997, ce qui représentait 8'095 fr. 70.
C.-
Par jugement du 14 février 2000, le Tribunal administratif du canton de Vaud a rejeté le recours formé contre cette décision par P.
D.-
P. interjette un recours de droit administratif dans lequel il conclut, sous suite de frais et dépens, à la réforme du jugement cantonal, en demandant au Tribunal fédéral des assurances de dire qu'il
BGE 126 V 124 S. 126
a droit "à des indemnités de chômage pleines" et qu'il n'est pas tenu à restitution. La caisse d'assurance-chômage s'en remet à justice. Quant au Service cantonal de l'emploi, il déclare renoncer à se déterminer sur le recours. Enfin, le Secrétariat d'Etat à l'économie (seco) ne s'est pas prononcé à son sujet.
E.-
Le 2 avril 1998, la CNA a accordé à l'assuré une indemnité pour atteinte à l'intégrité fondée sur un taux d'atteinte à l'intégrité de 5 pour cent. En revanche, elle a considéré que les conditions mises à l'allocation d'une rente n'étaient pas remplies.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Est seule litigieuse la question de la restitution par l'assuré du montant de 8'095 fr. 70.
2.
Il convient tout d'abord de préciser que, contrairement à ce que suggèrent aussi bien le jugement attaqué que les décisions administratives précédentes, l'aptitude au placement (
art. 8 al. 1 let
. f et
art. 15 LACI
) n'est pas sujette à fractionnement en ce sens qu'il existerait des situations intermédiaires entre l'aptitude et l'inaptitude au placement (par exemple une aptitude seulement "partielle"), auxquelles la loi attacherait des conséquences particulières (cf.
ATF 120 V 390
consid. 4c/aa in fine; arrêts non publiés L. du 22 octobre 1998 et B. du 24 mars 1998). En effet, c'est sous l'angle de la perte de travail à prendre en considération (
art. 11 al. 1 LACI
) qu'il faut, le cas échéant, tenir compte du fait qu'un assuré au chômage ne peut ou ne veut pas travailler à plein temps (cf.
ATF 121 V 346
consid. 2a; SVR 1995 ALV no 47 p. 138 consid. 2a). Par exemple, s'il exerçait une activité à plein temps avant le chômage et qu'il ne désire ensuite travailler qu'à mi-temps, l'assuré subit une perte de travail de moitié seulement, qui se traduit par la prise en considération de la moitié également de son gain assuré.
En l'espèce toutefois, si la caisse d'assurance-chômage a fait appel à une notion de l'aptitude au placement qui est étrangère à l'assurance-chômage, cela ne change rien au résultat de la décision litigieuse, puisque la caisse a semble-t-il calculé les indemnités de chômage litigieuses en fonction d'un emploi à 75 pour cent que l'assuré était censé pouvoir occuper durant la période de chômage en cause.
3.
a) Selon l'
art. 8 al. 1 let
. f LACI, l'assuré a droit à l'indemnité de chômage s'il est apte au placement. Le handicapé physique ou mental est réputé apte à être placé lorsque, compte tenu de son infirmité et dans l'hypothèse d'une situation équilibrée du marché
BGE 126 V 124 S. 127
de l'emploi, un travail convenable pourrait lui être procuré sur ce marché (art. 15 al. 2, première phrase, LACI). Lorsque, dans cette éventualité, l'assuré s'est annoncé à l'assurance-invalidité ou à une autre assurance selon le deuxième alinéa, il est réputé apte au placement jusqu'à la décision de l'autre assurance. Cette reconnaissance n'a aucune incidence sur l'appréciation, par les autres assurances, de son aptitude au travail ou à l'exercice d'une activité lucrative (
art. 15 al. 3 OACI
).
Ces dispositions s'appliquent en cas d'atteinte durable et importante à la capacité de travail et de gain (DTA 1995 no 30 p. 174 consid. 3a, 1989 no 1 p. 55 sv. consid. 2; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, ch. 225). L'
art. 15 al. 3 OACI
consacre une obligation pour l'assurance-chômage d'avancer des prestations à titre préalable. Ces prestations sont sujettes à répétition (
art. 95 LACI
), dans l'hypothèse où l'assurance-invalidité alloue ultérieurement une rente (NUSSBAUMER, op. cit., ch. 228; DTA 1999 no 39 p. 229 ss consid. 2 et 3, ainsi que les références citées).
b) Le droit à l'indemnité de chômage en cas d'incapacité de travail passagère est réglé à l'
art. 28 LACI
(DTA 1995 no 30 p. 174 consid. 3a/bb, 1989 no 1 p. 55 sv. consid. 2b; PHILIPPE GNAEGI, Le droit du travailleur au salaire en cas de maladie, thèse Neuchâtel 1995, p. 306, n. 19). C'est ainsi que les assurés qui, passagèrement, ne sont aptes ni à travailler ni à être placés ou ne le sont que partiellement en raison de maladie, d'accident ou de maternité, et qui de ce fait ne peuvent satisfaire aux prescriptions de contrôle, ont droit à la pleine indemnité journalière, s'ils remplissent les autres conditions dont dépend le droit à l'indemnité; leur droit persiste au mieux jusqu'au trentième jour suivant le début de l'incapacité totale ou partielle de travail et se limite à 34 indemnités journalières durant le délai-cadre (al. 1). Les indemnités journalières de l'assurance-maladie ou de l'assurance-accidents qui représentent une compensation de la perte de revenu sont déduites des prestations selon l'art. 7 al. 2 let. a ou b (al. 2).
Conformément à l'
art. 28 al. 4 LACI
, les chômeurs qui ont épuisé leur droit selon le premier alinéa et sont encore passagèrement frappés d'une capacité restreinte de travail, ont droit, dans la mesure où cette incapacité partielle n'entrave pas leur placement et où ils remplissent toutes les autres conditions dont dépend le droit à l'indemnité, à la pleine indemnité journalière s'ils sont aptes au travail à raison de 75 pour cent au moins et à une demi-indemnité s'ils le sont
BGE 126 V 124 S. 128
à raison de 50 pour cent au moins. Cette réglementation est applicable à tous les cas où la capacité de travail est de 50 pour cent au moins: elle ne suppose pas que l'assuré ait d'abord épuisé son droit à l'indemnité en vertu de l'
art. 28 al. 1 LACI
et elle s'applique sans égard au fait que le début de l'incapacité de travail est antérieur ou postérieur au chômage (NUSSBAUMER, op. cit., ch. 215; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, n. 10 ad art. 28; cf. aussi THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2ème éd., Berne 1997, p. 199 n. 22 et p. 197 n. 10; RUDOLF WIPF, Koordinationsrechtliche Fragen des UVG, in: SZS 1994 p. 8). La pratique administrative s'exprime dans le même sens (ch. 202 de la circulaire relative à l'indemnité de chômage [IC] de l'ex-Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail).
c) Afin, précisément, d'établir une coordination entre l'assurance-chômage (
art. 28 al. 4 LACI
) et l'assurance-accidents, en matière d'indemnités journalières (voir GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], p. 94), l'OLAA, dans sa version initiale déjà (entrée en vigueur le 1er janvier 1984), contenait une réglementation, à l'art. 25 al. 3, qui prévoyait que l'assureur-accidents versait l'intégralité de la prestation (c'est-à-dire l'indemnité journalière selon la LAA) lorsque l'incapacité de travail d'un assuré au chômage dépassait 50 pour cent; il versait la moitié de la prestation lorsque l'incapacité de travail dépassait 25 pour cent, mais n'excédait pas 50 pour cent; une incapacité de travail de 25 pour cent ou moins ne donnait pas droit à l'indemnité journalière de l'assurance-accidents (RO 1983 46).
Par la suite, le 1er janvier 1996, est entrée en vigueur l'ordonnance sur l'assurance-accidents des personnes au chômage (OAAC; RS 837.171), qui a repris la même réglementation à son art. 5 al. 4. L'OAAC a par ailleurs abrogé, à son art. 11, l'
art. 25 al. 3 OLAA
, jugé désormais superflu (voir RAMA 1996 p. 59). Lors d'une modification ultérieure de l'OLAA, du 15 décembre 1997, entrée en vigueur le 1er janvier 1998 (RO 1998 151), le Conseil fédéral a réintroduit l'
art. 25 al. 3 OLAA
, précédemment abrogé. Il a constaté, en effet, que l'
art. 5 al. 4 OAAC
s'appliquait seulement aux personnes qui étaient au chômage au moment de la survenance d'un accident et qu'il convenait, par conséquent, de réglementer de la même manière - dans l'OLAA - le droit à l'indemnité des personnes victimes d'un accident avant le chômage (voir RAMA 1998 p. 129).
Certains auteurs ont mis en doute la légalité de l'
art. 25 al. 3 OLAA
dans la mesure où il permet à l'assureur-accidents de ne pas verser
BGE 126 V 124 S. 129
l'indemnité journalière quand la capacité de travail atteint 75 pour cent; ils relèvent que l'
art. 17 al. 1 LAA
prévoit - sans réserve - que si l'incapacité de travail n'est que partielle, l'indemnité journalière doit être réduite en conséquence (UELI KIESER, Die Taggeldkoordination im Sozialversicherungsrecht, in: PJA 3/2000 p. 255; FRANZ SCHLAURI, Beiträge zum Koordinationsrecht der Sozialversicherungen, St-Gall 1995, p. 111).
4.
En l'espèce, comme cela ressort du dossier, c'est en application de l'
art. 25 al. 3 OLAA
que la CNA a mis fin au versement de l'indemnité journalière à partir du moment où la capacité de travail de l'assuré était de 75 pour cent (26 septembre 1996). Le point de savoir si cette mesure, au demeurant non contestée par le recourant, était ou non justifiée, n'a pas à être examiné ici puisque seules sont en cause des indemnités de chômage. La question de la légalité de l'
art. 25 al. 3 OLAA
n'a donc pas à être tranchée. Du reste, dans le cas particulier, les indemnités dont la restitution est demandée couvrent une période (janvier à octobre 1997) pendant laquelle l'
art. 25 al. 3 OLAA
n'était momentanément plus en vigueur, par suite de son abrogation par le Conseil fédéral, qui, on l'a vu, était parti de l'idée inexacte que l'
art. 5 al. 4 OAAC
réglait la coordination avec l'assurance-chômage, en matière d'indemnités journalières, également dans les cas où l'accident était antérieur à la période chômage.
Il est d'autre part indéniable que le recourant a subi une incapacité de travail qui doit être qualifiée de passagère. On relèvera, dans ce contexte, que selon la décision de la CNA du 2 avril 1998 - qui n'a, selon toute apparence, pas été attaquée - il n'a pas été mis au bénéfice d'une rente, ce qui montre qu'il n'a pas subi une diminution permanente ou de longue durée de sa capacité de gain (
art. 18 al. 2 LAA
).
En conséquence, le recourant avait droit au versement d'une pleine indemnité de chômage en application de l'
art. 28 al. 4 LACI
. Il n'a donc pas reçu de prestations indues. C'est dès lors à tort que la caisse a rendu la décision de restitution litigieuse. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
994b511a-03fc-4119-a4c2-9f62defe0900 | Urteilskopf
103 IV 73
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Juni 1977 i.S. Sch. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 277ter Abs. 2 BStP
,
Art. 34 Ziff. 1 StGB
.
1. Durch die im Rückweisungsentscheid erteilten Weisungen wird der Gegenstand der neuen kantonalen Entscheidung endgültig abgegrenzt; auf ausserhalb des Rahmens der Weisungen liegende Fragen darf die kantonale Instanz nicht zurückkommen (E. 1).
2. Voraussetzungen eines notstandsähnlichen Widerstandes gegen eine Amtshandlung (E. 6). | Erwägungen
ab Seite 74
BGE 103 IV 73 S. 74
Aus den Erwägungen:
1.
Der Verteidiger rügt ausschliesslich eine Verletzung von
Art. 277ter Abs. 2 BStP
, indem er dem Obergericht vorwirft, es habe seine Kontrolle im Rückweisungsverfahren zu stark eingeschränkt und zu Unrecht vom Beschwerdeführer vorgebrachte neue Argumente nicht berücksichtigt. Im Vordergrund stehe der Einwand, der Angeklagte könne wegen Abholens und Versteckens der Wertpapiere nicht verurteilt werden, weil ihm dies in der Anklage nicht vorgeworfen worden sei. Dieser Einwand stütze sich klar auf kantonales Recht, weshalb sich auch das Bundesgericht in seinem Rückweisungsentscheid dazu nicht geäussert habe. Diesbezüglich könne deshalb von einer Bindung des Obergerichtes im Sinne des
Art. 277ter Abs. 2 BStP
nicht die Rede sein.
Diese Argumentation übersieht, dass der wegen Abholens und Versteckens der Wertpapiere auf betrügerischen Konkurs lautende Schuldspruch des Obergerichts nicht aufgehoben worden ist. Die Rückweisung betraf ausschliesslich den Vorwurf, der Beschwerdeführer habe auch durch Auskunftsverweigerung gegenüber dem Konkursamt sich des betrügerischen Konkurses schuldig gemacht. Nur insoweit hatte die Vorinstanz die Sache neu zu beurteilen, d.h. den Beschwerdeführer statt nach Art. 163 nach
Art. 323 Ziff. 4 StGB
zu bestrafen. Auf weitere Schuldpunkte durfte sie nicht zurückkommen und frei urteilen, wie wenn überhaupt kein Urteil gefällt worden wäre. Durch die Weisung des Kassationshofes wurde der Gegenstand des Rückweisungsverfahrens endgültig abgegrenzt; denn die Entscheidung des Bundesgerichtes wird gemäss
Art. 38 OG
mit der Ausfällung rechtskräftig, und an der Rechtskraft nehmen auch die Weisungen teil, die der kantonalen Instanz erteilt werden (
BGE 101 IV 105
). Da der einzig namhaft gemachte Einwand ausserhalb der vom Kassationshof erteilten Weisung lag, hatte die Vorinstanz von Bundesrechts wegen darauf nicht einzutreten. Der Vorwurf des Beschwerdeführers, sie habe damit 277ter BStP verletzt, ist deshalb offensichtlich unbegründet. Das Obergericht hat übrigens im neuen Urteil subsidiär zur kantonalrechtlichen Frage der Beachtung des Anklageprinzips Stellung genommen.
6.
Einzutreten ist auf die vom Beschwerdeführer persönlich eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde insoweit, als die Verurteilung
BGE 103 IV 73 S. 75
wegen Ungehorsams im Betreibungsverfahren angefochten wird. Dieser Schuldpunkt ist im angefochtenen Entscheid neu beurteilt worden.
a) Der Beschwerdeführer wurde wegen Ungehorsams im Betreibungsverfahren gemäss
Art. 323 Ziff. 2 StGB
bestraft, weil er sich in der auf Betreibung zu vollziehenden Pfändung geweigert hatte, dem Betreibungsbeamten-Stellvertreter über seine Vermögensverhältnisse irgendwelche Auskünfte zu geben. Der Beschwerdeführer machte vor den kantonalen Instanzen geltend, er habe sich dabei in einem übergesetzlichen Notstand befunden, weil der Rechtsöffnungsentscheid ungültig gewesen sei; er könne deswegen nicht bestraft werden. Die Vorinstanz hat diesen Einwand verworfen, weil dem Beschwerdeführer hätte zugemutet werden können, das gefährdete Gut preiszugeben. Dieses habe einzig in Vermögensstücken bestanden, die von der Pfändung betroffen worden wären. Eine solche Preisgabe sei zumutbar gewesen, weil ihm die Verfügungsgewalt nur vorübergehend, nämlich bis zur Erledigung der von ihm gegen den Rechtsöffnungsentscheid eingereichten Nichtigkeitsbeschwerde, entzogen worden wäre.
b) Wie der Kassationshof in
BGE 98 IV 45
entschieden hat, kann sich die Frage eines notstandsähnlichen Widerstandes gegen eine Amtshandlung nur stellen, wo diese rechtswidrig ist, die Rechtswidrigkeit offensichtlich zutage tritt und von zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln von vornherein kein wirklicher Schutz zu erwarten ist.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Beschwerdeführer gegen den Rechtsöffnungsentscheid des Einzelrichters im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Horgen vom 14. Juni 1976 betreibungsrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde erhoben und gleichzeitig um aufschiebende Wirkung nachgesucht hatte. Auch ist erstellt, dass der Beschwerdeführer am Tag der Pfändung, nämlich am 12. Juli 1976, noch keinen Bescheid über das Schicksal der Nichtigkeitsbeschwerde und des Gesuchs um Gewährung des Suspensiveffektes erhalten hatte. Erst am 14. Juli 1976 wurde ihm die Verfügung des Präsidenten der III. Zivilkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich zugestellt, in der ihm verschiedene Auflagen gemacht wurden. Geht man von diesen Feststellungen aus, so ist einzig nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer den Rechtsöffnungsentscheid des Einzelrichters für nichtig angesehen
BGE 103 IV 73 S. 76
hat. Dagegen wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht dargetan, inwiefern jener Entscheid auch tatsächlich nichtig und damit die Pfändung offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre. Auch stand im Zeitpunkt der Widersetzlichkeit nicht fest, dass das eingelegte Rechtsmittel der betreibungsrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde zum vornherein keinen Schutz bieten würde. Freilich wäre der Beschwerdeführer bis zur Beurteilung der Beschwerde in der Verfügung über die gepfändeten Vermögensstücke beschränkt gewesen. Das aber war ihm - wie die Vorinstanz zutreffend annahm - zuzumuten, hing es doch in der Folge von seinem eigenen Verhalten ab, ob das Rechtsmittelverfahren weitergeführt werde. Der Beschwerdeführer kann daher seine Widersetzlichkeit nicht mit der Berufung auf eine notstandsähnliche Lage rechtfertigen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
994b7587-b144-490d-9738-15044a16da76 | Urteilskopf
138 I 6
2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Nachrichtendienst des Bundes NDB und Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter EDÖB (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_289/2009 vom 2. November 2011 | Regeste
Recht auf Achtung des Privatlebens, Einsicht in Staatsschutzakten, indirektes Auskunftsrecht;
Art. 8 und 13 EMRK
,
Art. 82 lit. a und
Art. 83 lit. a BGG
.
Die Mitteilung des Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne von Art. 18 des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) kann im vorliegenden Zusammenhang nach
Art. 82 lit. a BGG
angefochten werden (E. 1.2). In Anbetracht der gerichtlichen Überprüfung durch den EGMR kann im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit gestützt auf
Art. 83 lit. a BGG
auf die Beschwerde eingetreten werden (E. 1.3.2).
Hinweise zur Beschaffung und Bearbeitung von Informationen im Bereich des Staatsschutzes und zum indirekten Auskunftsrecht nach BWIS (E. 3).
Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
(E. 4.1); Anforderungen an Eingriffe nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
in formeller und materieller Hinsicht (E. 4.2 und 4.3).
Das BWIS stellt eine hinreichende Grundlage für die Beschaffung und Bearbeitung von Informationen und für den Aufschub der Einsicht in der Form des indirekten Auskunftsrechts dar (E. 5.2); es genügt den Bestimmtheitsanforderungen (E. 5.3), enthält Mechanismen zum Schutz der Grundrechte (E. 5.4), dient zulässigen Zwecken (E. 5.5) und erweist sich als verhältnismässig (E. 5.6).
Recht auf wirksame Beschwerde im Sinne von
Art. 13 EMRK
(E. 6.1); Zulässigkeit von geheimer Überwachung und geheimer Aufbewahrung von Personendaten, Anforderungen an den Aufschub der Auskunft (E. 6.2).
Die Ausgestaltung des indirekten Auskunftsrechts, die Beschränkung der Datenaufbewahrung und die parlamentarische Aufsicht stellen Mechanismen zum Schutz der Grundrechte dar (E. 7.1-7.3); Empfehlungen gegenüber den zuständigen Behörden im Rahmen der geheimen Überprüfung kommt verbindlicher Charakter zu (E. 7.4); Anforderungen an die Auskunftserteilung nach Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen (E. 7.5); gesamthaft hält die BWIS-Regelung vor
Art. 13 EMRK
stand; Rückweisung der Sache zu neuer Prüfung im Sinne der Erwägungen (E. 7.7). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 138 I 6 S. 8
X. ist nach eigenen Angaben polnischer Korrespondent der internationalen Monatszeitung A. und hatte Wohnsitz in Basel. Hier wurde er im Rahmen eines Polizeieinsatzes gegen vermeintlich gewalttätige Anti-WEF-Demonstranten am Nachmittag des 26. Januar 2008 von der Basler Polizei festgenommen, ins Untersuchungsgefängnis verbracht und am Abend desselben Tages freigelassen.
Diese Ereignisse erregten in Basel Aufsehen und führten zu einer Untersuchung. Unter Hinweis auf die bevorstehende Datenvernichtung führte die Kantonspolizei in einem Schreiben an eine Anwaltskanzlei das Folgende aus:
"Anzumerken ist, dass es sich gemäss den Erkenntnissen, die via die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt vom DAP (fedpol) erhältlich gemacht werden konnten, bei Herrn X. um einen international agierenden und gewaltbereiten Globalisierungsgegner handelt, der aus diesem Grunde vom DAP ausgeschrieben und mit einer Einreisesperre belegt war."
X. ist der Auffassung, dass seine Personalien und persönlichen Daten im Anschluss an den erwähnten Vorfall vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP) - damals dem Bundesamt für Polizei des EJPD zugeordnet und heute als Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dem Generalsekretariat des VBS zugeteilt - überprüft und festgehalten wurden.
BGE 138 I 6 S. 9
Mit Schreiben vom 11. August 2008 ersuchte X. den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB, Beauftragter) um Auskunft über die über ihn gespeicherten Daten und um Einsicht in diese Daten. Der Beauftragte erteilte dem Rechtsvertreter von X. am 4. November 2008 die folgende Mitteilung:
"
Mitteilung:
Wir teilen Ihnen mit, dass in Bezug auf Ihren Klienten entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden oder dass wir bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an das Bundesamt gerichtet haben.
Rechtsmittel:
Ein Rechtsmittel gegen diese Mitteilung ist gemäss Artikel 18 Absatz 2 Satz 1 BWIS ausgeschlossen. Gemäss Artikel 18 Absatz 2 Satz 2 kann vom Präsidenten der Abteilung I des Bundesverwaltungsgerichts (Adresse: ...) verlangt werden, dass er diese Mitteilung oder gegebenenfalls den Vollzug der abgegebenen Empfehlung überprüft."
In der Folge gelangte X. an das Bundesverwaltungsgericht. Der Präsident der I. Abteilung teilte daraufhin dem Rechtsvertreter am 10. Juni 2009 das Folgende mit:
"Ich beziehe mich auf Ihr Gesuch vom 5. Dezember 2008 (Poststempel), in dem Sie die Überprüfung der Mitteilung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) vom 4. November 2008 sowie allfälliger vom EDÖB abgegebener Empfehlungen verlangen. Ich kann Ihnen mitteilen, dass ich die Prüfung im anbegehrten Sinne durchgeführt habe. Ich habe dabei überprüft, ob in den von Ihrem Begehren betroffenen Datensammlungen über Ihren Mandanten Daten unrechtmässig bearbeitet werden bzw. ob der EDÖB bei allfälligen Fehlern deren Behebung veranlasst hat. Sollte ich dabei Mängel festgestellt haben, hätte ich eine Empfehlung zu deren Beseitigung abgegeben.
Gemäss Art. 18 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) kann ich Ihnen indessen keine weiteren Auskünfte über allfällige im Rahmen der Prüfung gemachten Feststellungen erteilen.
In Ihrem Gesuch machen Sie geltend, Ihr Mandant habe ein Verfahren auf Feststellung der Widerrechtlichkeit von Einträgen in die Datensammlungen der deutschen Verfassungsschutzbehörden eingeleitet. Ich weise Sie darauf hin, dass die Möglichkeit offensteht, erneut ein Gesuch beim EDÖB einzureichen und die Löschung zu beantragen, wenn gerichtlich festgestellt werden sollte, dass Ihr Mandant zu Unrecht von deutschen Behörden registriert wurde."
X. hat beim Bundesgericht am 29. Juni 2009 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Er stellt folgende Anträge:
BGE 138 I 6 S. 10
"1. Es sei der Entscheid des Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.6.2009 aufzuheben.
2. Es sei X. Einsicht in alle über ihn bestehenden Akten und Daten der Polizei und des Staatsschutzes (Dienst für Analyse und Prävention [DAP]) des Bundes, insbesondere in die im Informationssystem des
Bundesamtes für Polizei gespeicherten Daten (namentlich ISIS00 und ISIS06) und in allfällig damit verbundene Akten zu gewähren.
3. Im Anschluss an die Gewährung der Akteneinsicht gemäss Ziff. 2 hiervor sei das Bundesamt für Polizei bzw. der DAP anzuweisen:
a. sämtliche über das Ereignis vom 26.1.2008 erhobenen Daten in Gegenwart des Datenschutzbeauftragten zu löschen.
b. sämtliche Daten des Bundesamtes für Polizei bzw. des DAP in Gegenwart des Datenschutzbeauftragen zu löschen, wonach es sich bei Herrn X. um 'einen international agierenden und gewaltbereiten Globalisierungsgegner' handelt.
c. sämtliche übrige beim DAP allfällig bestehende Daten, die Herrn X. betreffen, in Gegenwart des Datenschutzbeauftragten zu löschen. ..."
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt die Mitteilungen des Beauftragten EDÖB und des Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts auf und weist die Sache an den Beauftragten zur Behandlung des Auskunftsgesuchs vom 11. August 2008 im Sinne der Erwägungen zurück. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss
Art. 82 lit. a BGG
, ohne dass die Mitteilung des Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts (im Folgenden: Abteilungspräsident) eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung enthalten hätte. Im Folgenden sind die allgemeinen Prozessvoraussetzungen (E. 1.1), das Vorliegen eines anfechtbaren Entscheides (E. 1.2) und der Ausschlussgrund von
Art 83 lit. a BGG
(E. 1.3) zu prüfen.
1.1
Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde innert dreissig Tagen seit Eröffnung der Mitteilung des Bundesverwaltungsgerichts erhoben (
Art. 100 Abs. 1 BGG
). Er ist vom Verfahren betroffen und hat ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der Mitteilungen des Abteilungspräsidenten und des Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten EDÖB (im Folgenden: der Beauftragte bzw. EDÖB), an
BGE 138 I 6 S. 11
der Einsicht in die Informationssysteme des Bundes sowie an der Vernichtung allfälliger ihn betreffender Aktenstücke (
Art. 89 Abs. 1 BGG
). Die Anträge des Beschwerdeführers - Aufhebung der Mitteilungen, Einsicht in die Informationssysteme und Vernichtung von Aktenstücken - sind mit Blick auf
Art. 107 Abs. 2 BGG
zulässig. In Betracht fällt ausschliesslich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne von
Art. 82 lit. a BGG
. Unter diesen Aspekten steht dem Eintreten auf die vorliegende Beschwerde nichts im Wege.
1.2
Das Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) gewährleistet der gesuchstellenden Person bei Begehren um Auskunft und Einsicht in Staatsschutzakten nach Art. 18 Abs. 1 und 2 eine stets gleichlautende Antwort des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten, dass eine Prüfung vorgenommen worden ist, keine Daten unrechtmässig bearbeitet würden und im Falle von Unregelmässigkeiten eine entsprechende Empfehlung ergangen wäre. Es stellt sich die Frage, ob diese Mitteilungen Entscheide im Sinne von
Art. 82 lit. a BGG
darstellen. Der Präsident der I. Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zieht dies angesichts des besondern Verfahrens in Zweifel und beantragt, es sei schon aus diesem Grunde auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Das Anfechtungsobjekt der öffentlich-rechtlichen Beschwerde wird in
Art. 82 lit. a BGG
mit Entscheiden in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts umschrieben. Es kann nicht bezweifelt werden, dass im vorliegenden Fall öffentliches Recht, nämlich öffentliches Recht des Bundes in Frage steht. Es kann auch nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten hoheitlicher Natur sind. Diese haben ihre Mitteilungen als Träger öffentlicher Gewalt gemacht und sich dabei auf das einschlägige Datenschutzrecht des BWIS abgestützt. Zudem ergingen die Mitteilungen aufgrund einer konkreten und individuellen Prüfung. Es ist nicht entscheidend, dass mit den stets gleichlautenden Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten keine konkreten Feststellungen getroffen werden und aus ihnen keinerlei Schlüsse über das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Einträgen in den Staatsschutzregistern gezogen werden können.
Der Begriff "Entscheid" nach
Art. 82 lit. a BGG
ist autonomer Natur und reicht über den engen Verfügungsbegriff gemäss
Art. 5 VwVG
(SR 172.021) hinaus. Es gehören dazu auch Rechtsverweigerungen
BGE 138 I 6 S. 12
(vgl.
Art. 94 BGG
) und Realakte, welche die Rechtsstellung des Betroffenen berühren und von der Vorinstanz materiell beurteilt worden sind. Bei der Umschreibung des Anfechtungsobjekts wird - insbesondere, wenn Grundrechtspositionen betroffen sind - auch auf das Rechtsschutzbedürfnis abgestellt (vgl.
BGE 126 I 250
E. 2d S. 254;
BGE 130 I 369
E. 6.1 S. 377; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, BGG, 2. Aufl. 2011, N. 6 ff. zu
Art. 82 BGG
; ALAIN WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 27 zu
Art. 82 BGG
). Unter diesem Gesichtswinkel kann nicht in Abrede gestellt werden, dass der Beschwerdeführer durch die Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten individuell in Grundrechtspositionen betroffen ist. Ein Bedürfnis nach einer Überprüfung kann nicht verneint werden. Insoweit ist nicht von Bedeutung, dass die Mitteilung des Beauftragten nach
Art. 18 Abs. 2 BWIS
ausdrücklich keiner Beschwerde unterliegt und die Mitteilung des Abteilungspräsidenten daher keinen eigentlichen Rechtsmittelentscheid darstellt.
Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vorliegend im Grundsatz zu bejahen.
1.3
Art. 83 lit. a BGG
schliesst die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes, der Neutralität, des diplomatischen Schutzes und der übrigen auswärtigen Angelegenheiten im Grundsatz aus. Die Beschwerde kommt im Sinne einer Gegenausnahme gleichwohl zum Zug, soweit das Völkerrecht einen Anspruch auf gerichtliche Beurteilung einräumt.
1.3.1
Vorerst fragt sich, ob die umstrittenen Mitteilungen und die allfällige Bearbeitung von Personendaten über den Beschwerdeführer "auf dem Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes" im Sinne von
Art. 83 lit. a BGG
ergangen sind.
Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit bezweckt die Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz sowie den Schutz der Freiheitsrechte der Bevölkerung (
Art. 1 BWIS
). Der Bund trifft vorbeugende Massnahmen, um frühzeitig Gefährdungen zu erkennen und zu bekämpfen (
Art. 2 Abs. 1 BWIS
). Zu den vorbeugenden Massnahmen gehört die Bearbeitung von Informationen über die innere und äussere Sicherheit (
Art. 2 Abs. 4 lit. b BWIS
). Die Bearbeitung von Informationen über die politische Betätigung und die Ausübung der
BGE 138 I 6 S. 13
Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit ist den Sicherheitsorganen des Bundes ausnahmsweise gestattet, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Organisation oder ihr nahestehende Personen die Ausübung der politischen Rechte oder der Grundrechte als Vorwand nehmen, um terroristische, nachrichtendienstliche oder gewalttätig extremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen (
Art. 3 Abs. 1 und 2 BWIS
).
Vor diesem Hintergrund kann nicht in Frage gestellt werden, dass eine allfällige Bearbeitung von Personendaten über den Beschwerdeführer durch Organe des Bundes den Bereich der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes im Sinne von
Art. 83 lit. a BGG
beschlägt. Das Bundesgericht ist in vergleichbaren Konstellationen vom Ausschlussgrund der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes gemäss
Art. 100 lit. a OG
ausgegangen (
BGE 125 II 417
E. 4a S. 420;
BGE 133 II 450
E. 2.2 S. 454;
BGE 132 I 229
E. 6.1 S. 237;
BGE 129 II 193
E. 2.1 S. 197; vgl. THOMAS HÄBERLI, in: Basler Kommentar, BGG, 2. Aufl. 2011, N. 22 f. zu
Art. 83 BGG
). Daraus folgt, dass auch die Gesuche um Auskunft über bzw. Einsicht in die Datensammlung sowie die Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten zum Bereich der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes im Sinne von
Art. 83 lit. a BGG
zu zählen sind.
1.3.2
Trotz des Ausschlusses der Beschwerde auf dem Gebiet der inneren oder äusseren Sicherheit ist die Beschwerde im Sinne der Gegenausnahme nach
Art. 83 lit. a BGG
zulässig, soweit das Völkerrecht einen Anspruch auf gerichtliche Beurteilung einräumt.
Die genannte Bestimmung umschreibt nicht, welche gerichtliche Instanz die gerichtliche Beurteilung vornimmt. Sie verlangt keine Beurteilung durch ein schweizerisches Gericht und lässt zu, dass das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angesprochen ist. Für die Gegenausnahme von
Art. 83 lit. a BGG
genügt es somit, dass das Völkerrecht in der Form der Europäischen Menschenrechtskonvention eine gerichtliche Beurteilung durch den Gerichtshof verlangt. Dies trifft auf die vorliegende Konstellation zu. Der EGMR hat in mehreren Beschwerdefällen die geheime Überwachung, Aufzeichnung von Personendaten und deren Verwendung unter dem Gesichtswinkel von
Art. 8 und
Art. 13 EMRK
geprüft (vgl. die unten behandelten Urteile
Klass
,
Malone, Rotaru,
Segerstedt-Wiberg
und die Entscheidung
Weber und Saravia
). In gleicher Weise kann die vorliegende Angelegenheit - bei gegebenen
BGE 138 I 6 S. 14
Prozessvoraussetzungen - dem EGMR mit dem Anspruch auf gerichtliche Beurteilung unterbreitet werden. Damit sind die Voraussetzungen erfüllt, dass das Bundesgericht im Sinne der Gegenausnahme in
Art. 83 lit. a BGG
auf die vorliegende Beschwerde eintreten kann. Dieses Vorgehen respektiert die Subsidiarität des Verfahrens vor dem EGMR, wie sie in
Art. 13 und 35 Ziff. 1 EMRK
zum Ausdruck kommt. Es erlaubt zudem die innerstaatliche Überprüfung des vorliegend umstrittenen Verfahrens, nachdem sich der Präsident der zuständigen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts nicht dazu geäussert hatte.
1.3.3
Demnach kann auf die vorliegende Beschwerde auch mit Blick auf
Art. 83 lit. a BGG
eingetreten werden.
2.
2.1
Mit der vorliegenden Beschwerde wehrt sich der Beschwerdeführer dagegen, dass die allenfalls über ihn bestehenden Einträge in Informationssystemen des Bundes weiterhin geheim aufbewahrt, bearbeitet und verwendet werden. Er ersucht deshalb um vollständige Einsicht in diese Informationssysteme, um hernach allfällige Einträge löschen oder korrigieren lassen zu können.
Hierfür beruft sich der Beschwerdeführer in materieller Hinsicht zur Hauptsache auf die Garantie von
Art. 8 EMRK
an. Diese wird durch die geheime Aufbewahrung von Personendaten beeinträchtigt und verlangt dafür rechtsstaatliche Absicherungen. In formeller Hinsicht bezieht er sich auf
Art. 13 EMRK
und macht geltend, das in
Art. 18 BWIS
vorgesehene Auskunftsverfahren genüge den Anforderungen an eine wirksame Beschwerde nicht, die Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten stellten keine hinreichenden Antworten auf seine Ersuchen dar.
Für die Beschwerdebehandlung ist von
Art. 8 EMRK
auszugehen. Es ist zu prüfen, welche Garantien diese Bestimmung enthält, welche Formen von Einschränkungen sie zulässt und welche Anforderungen sie an geheime Datenbearbeitungen stellt. Zu untersuchen sind insbesondere das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage, die öffentlichen Interessen an entsprechenden Massnahmen und die Qualität der gesetzlichen Grundlage hinsichtlich Bestimmtheit, Voraussehbarkeit, Zugänglichkeit und inhärenten Kontrollmechanismen (E. 4 und 5).
In einem zweiten Schritt ist die Bedeutung von
Art. 13 EMRK
nachzuzeichnen. Es ist zu prüfen, inwieweit die Garantie eingeschränkt
BGE 138 I 6 S. 15
werden kann, was eine Einschränkung im Einzelnen bedeutet, inwieweit eine Mitteilung darüber erforderlich ist und welche Anforderungen an das Verfahren während der Geheimhaltung und nach Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen zu stellen sind (E. 6 und 7).
Vorauszuschicken ist eine Übersicht über das schweizerische Staatsschutzsystem und über die Bestimmungen zur Informationsbeschaffung und -aufbewahrung im Bereich der inneren Sicherheit (E. 3.1). Ferner ist das Auskunftsrecht gemäss
Art. 18 BWIS
darzustellen (E. 3.2).
Das Bundesgericht entscheidet über die vorliegende Beschwerde in Kenntnis der Akten. Dieses Vorgehen entspricht der Praxis des Bundesgerichts (
BGE 128 I 167
E. 3.1 S. 169; Urteil 1A.225/2005 vom 27. Mai 2003 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 129 I 249
; je mit Hinweisen).
(...)
3.
3.1
Zum Staatsschutz im Allgemeinen kann das Folgende ausgeführt werden:
Die rechtlichen Grundlagen zur Wahrung der inneren Sicherheit der Schweiz finden sich, soweit im vorliegenden Verfahren von Bedeutung, im Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, im Bundesgesetz vom 3. Oktober 2008 über die Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes (ZNDG; SR 121) und im Bundesgesetz vom 13. Juni 2008 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI; SR 361). Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit steht im Dienste der Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz sowie des Schutzes der Freiheitsrechte ihrer Bevölkerung (
Art. 1 BWIS
). Der Bund trifft vorbeugende Massnahmen, um Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen (
Art. 2 BWIS
). Es gehört dazu die Bearbeitung von Informationen über die innere und die äussere Sicherheit (
Art. 2 Abs. 4 lit. b BWIS
). Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) und das Bundesamt für Polizei (fedpol) erfüllen die Aufgaben nach dem BWIS (
Art. 5 Abs. 3 BWIS
). Der Nachrichtendienst des Bundes nimmt die nachrichtendienstlichen und präventiven Aufgaben aus dem Bereich des BWIS wahr (Art. 1 Abs. 2 der Verordnung vom 4. Dezember 2009 über den Nachrichtendienst des Bundes [V-NDB; SR 121.1]).
BGE 138 I 6 S. 16
Das Kapitel Informationsbearbeitung im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit ordnet namentlich die Informationsbeschaffung (
Art. 14 BWIS
) und das Bearbeiten von Personendaten (
Art. 15 BWIS
). Danach können Daten beschafft werden, selbst wenn dies für die betroffenen Personen nicht erkennbar ist. Die Sicherheitsorgane dürfen besonders schützenswerte Personendaten sowie Persönlichkeitsprofile im Rahmen der Verordnung bearbeiten (
Art. 20 V-NDB
). Informationen dazu können aktiv beschafft werden (
Art. 17 V-NDB
). Die Datenbearbeitung unterliegt gewissen Schranken hinsichtlich politischer Betätigung und der Ausübung der Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit, es sei denn, dass begründeter Verdacht besteht, dass Personen und Organisationen die Ausübung politischer Rechte und der Grundrechte zum Vorwand der Vorbereitung oder Durchführung von terroristischen, nachrichtendienstlichen oder gewalttätig extremistischen Tätigkeiten nehmen (
Art. 3 BWIS
).
Im Rahmen des Bundesgesetzes über die Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes ordnet die Verordnung vom 4. Dezember 2009 über die Informationssysteme des Nachrichtendienstes des Bundes (ISV-NDB; SR 121.2) u.a. Betrieb, Datenbestand und Nutzung des Informationssystems Innere Sicherheit (ISIS). Das Informationssystem Innere Sicherheit ISIS besteht aus einer Reihe von Subsystemen und Datenbanken (
Art. 25 ISV-NDB
). Die Dauer der Datenaufbewahrung ist mit Blick auf die unterschiedlichen Kategorien von Daten im Einzelnen festgelegt (
Art. 33 ISV-NDB
). Die Daten in der Datenbank Staatsschutz werden periodisch einer Gesamtbeurteilung unterzogen (
Art. 32 ISV-NDB
). Im Anschluss an ein Auskunftsgesuch überprüft der NDB unabhängig von den festgelegten Laufzeiten, ob die vorhandenen Daten noch notwendig sind (
Art. 18 Abs. 5 BWIS
).
Die Geschäftsprüfungsdelegation überwacht gemäss Art. 53 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (ParlG; SR 171.10) die Tätigkeit im Bereich des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste regelmässig in allgemeiner Weise. Im Jahre 2010 hat sie dazu eine vertiefte Prüfung vorgenommen und einen eingehenden Bericht erstattet (vgl. Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation vom 21. Juni 2010 über Datenbearbeitung im Staatsschutzinformationssystem ISIS, BBl 2010 7665; zu den Datenbearbeitungsregeln für das ISIS-Informationssystem insbes. S. 7675 Ziff. 2.2 des genannten Berichts).
BGE 138 I 6 S. 17
Das Auskunftsrecht der Betroffenen richtet sich nach
Art. 18 BWIS
(
Art. 31 ISV-NDB
).
3.2
Art. 18 BWIS
ordnet das Auskunftsrecht. Er weist folgenden Wortlaut auf:
Art. 18 Auskunftsrecht
1
Jede Person kann beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten verlangen, dass er prüfe, ob im Informationssystem des Bundesamtes rechtmässig Daten über sie bearbeitet werden. Der Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte teilt der gesuchstellenden Person in einer stets gleichlautenden Antwort mit, dass in Bezug auf sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet würden oder dass er bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den NDB gerichtet habe.
2
Ein Rechtsmittel gegen diese Mitteilung ist ausgeschlossen. Die betroffene Person kann verlangen, dass der Präsident oder die Präsidentin der auf dem Gebiet des Datenschutzes zuständigen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts die Mitteilung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten oder den Vollzug der von ihm abgegebenen Empfehlung überprüft. Der Präsident oder die Präsidentin teilt der Person in einer stets gleichlautenden Antwort mit, dass die Prüfung im begehrten Sinn durchgeführt wurde.
3
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte kann ausnahmsweise nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG) der gesuchstellenden Person in angemessener Weise Auskunft erteilen, wenn damit keine Gefährdung der inneren oder der äusseren Sicherheit verbunden ist und wenn der gesuchstellenden Person sonst ein erheblicher, nicht wieder gut zu machender Schaden erwächst.
4
Die Kantone überweisen Gesuche, die sich auf Akten des Bundes beziehen, an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten.
5
Im Anschluss an das Auskunftsgesuch überprüft der NDB unabhängig von den festgelegten Laufzeiten, ob die vorhandenen Daten noch benötigt werden. Alle nicht mehr benötigten Daten werden im Informationssystem gelöscht.
6
Registrierten Personen, die ein Auskunftsgesuch gestellt haben, wird beim Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen zur Wahrung der inneren Sicherheit, spätestens bei Ablauf der Aufbewahrungsdauer, nach Massgabe des DSG Auskunft erteilt, sofern dies nicht mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden ist.
Eine dem
Art. 18 BWIS
ähnliche Regelung enthält das Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes in Art. 7 und 8. Diese Bestimmungen haben die früheren Vorschriften von
BGE 138 I 6 S. 18
Art. 14 des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1994 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes (ZentG; SR 360) abgelöst. Des Weitern verweist Art. 27 der Verordnung vom 25. August 2004 über die Meldestelle für Geldwäscherei (MGwV; SR 955.23) hinsichtlich des Auskunftsrechts von betroffenen Personen auf die genannte Regelung im BWIS.
3.3
Das BWIS enthält mit der zitierten Bestimmung von Art. 18 eine spezielle, von den allgemeinen Grundsätzen des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) abweichende Regelung zum Anspruch auf Auskunft über Einträge in Informationssystemen des Bundes. Im Sinne eines Überblicks können folgende Besonderheiten genannt werden.
3.3.1
Nach
Art. 18 Abs. 1 BWIS
kann jede Person beim Beauftragten EDÖB eine Prüfung verlangen, ob im Informationssystem des Bundes rechtmässig Daten über sie bearbeitet werden. Der Beauftragte erteilt der gesuchstellenden Person eine stets gleichlautende, stereotype Antwort, dass entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet würden oder dass bei allfälligem Vorliegen von Mängeln in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den Nachrichtendienst des Bundes ergangen sei.
Ein Rechtsmittel gegen die stereotype Antwort des Beauftragten ist nach
Art. 18 Abs. 2 BWIS
ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings kann sich die betroffene Person gestützt auf diese Bestimmung an den Präsidenten der zuständigen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts wenden. Von diesem erhält sie eine stets gleichlautende Antwort, wonach die Mitteilung des Beauftragten und der Vollzug einer allfälligen Empfehlung des Beauftragten überprüft worden seien und allenfalls von Seiten des Abteilungspräsidenten eine entsprechende Empfehlung ergangen sei.
3.3.2
Im Verfahren vor dem Beauftragten und dem Abteilungspräsidenten wird Auskunft darüber erteilt, dass eine Prüfung vorgenommen worden sei, keine unrechtmässige Datenbearbeitung erfolge, allfällige Mängel durch eine Empfehlung beseitigt würden und die Einhaltung einer solchen Empfehlung überprüft worden sei. Es wird der Auskunft ersuchenden Person bescheinigt, dass die Informationssysteme in Übereinstimmung mit den besondern für den Staatsschutz geltenden Regeln geführt würden und somit "alles mit rechten Dingen zu- und hergehe". Die betroffene Person kann die Auskunft allerdings in keiner Weise überprüfen oder überprüfen lassen.
BGE 138 I 6 S. 19
Insbesondere kann sie aus der stereotypen Antwort keinerlei Schlüsse ziehen, ob überhaupt, allenfalls in welcher Weise, aus welchen Gründen und gestützt auf welche Quellen sie in einem Informationssystem des Bundes vermerkt ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, für einschlägige Kreise sei allein schon die Information, dass eine bestimmte Person überhaupt verzeichnet oder aber gerade nicht verzeichnet ist, von grosser Bedeutung, weil daraus Rückschlüsse über das Funktionieren von Staatsschutzorganen gezogen und damit die Wirksamkeit der Staatsschutztätigkeiten beeinträchtigt werden könnten (vgl. Entscheid der Eidgenössischen Datenschutzkommission [EDSK] vom 15.2.2006-23.5.2006, Sachverhalt, in: ZBl 108/2007 S. 392).
Das Geheimnis über einen allfälligen Eintrag oder eine allfällige Datenbearbeitung bleibt mit dieser Art des Auskunftsverfahrens aufrechterhalten. Obwohl die Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten abschliessende Orientierungen darstellen, bleibt die Auskunft vorläufiger und indirekter Natur. Aus diesem Grund hat sich hierfür der Ausdruck der indirekten Auskunft eingebürgert. Die eigentliche Information wird bis zu einer definitiven Auskunftserteilung aufgeschoben. Diese richtet sich dann nach
Art. 18 Abs. 3 und 6 BWIS
(unten E. 7.4; vgl. zum Ganzen GIOVANNI BIAGGINI, Verfassungsrechtliche Abklärung betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit[Vorlage "BWIS II"],Gutachten vom Juni 2009[nachfolgend: Gutachten], in: VPB 2009 Nr. 14 Ziff. VII S. 238/310).
3.3.3
Dem Beauftragten stehen im Falle von Auskunftsersuchen die Mittel gemäss dem Datenschutzgesetz zur Verfügung. Allgemein überwacht er nach
Art. 27 Abs. 1 DSG
die Einhaltung der generellen und der speziellen Datenschutzvorschriften durch die Bundesorgane. Er klärt den Sachverhalt gemäss
Art. 27 Abs. 2 DSG
von sich aus oder auf Meldung hin ab. Hierfür erlaubt ihm
Art. 27 Abs. 3 DSG
, Akten herauszuverlangen, Auskünfte einzuholen und sich Datenbearbeitungen vorführen zu lassen (vgl. auch
Art. 34 der Verordnung vom 14. Juni 1993 zum Bundesgesetz über den Datenschutz [VDSG; SR 235.11]
zur Auskunftspflicht hinsichtlich von Datenbearbeitungen). Die Bundesorgane müssen an der Feststellung des Sachverhalts mitwirken (vgl. allgemein zu den Informationsbeschaffungsrechten des Beauftragten RENÉ HUBER, in: Basler Kommentar, Datenschutzgesetz, Maurer-Lambrou/Vogt [Hrsg.], 2. Aufl. 2006, N. 7 ff. zu
Art. 27 DSG
). Ergibt die Abklärung Mängel, so kann der
BGE 138 I 6 S. 20
Beauftragte in allgemeiner Weise nach
Art. 27 Abs. 4 DSG
und spezifisch gestützt auf
Art. 18 Abs. 1 BWIS
dem verantwortlichen Organ bzw. dem Nachrichtendienst des Bundes eine Empfehlung erteilen, das Bearbeiten zu ändern oder zu unterlassen.
Grundsätzlich stehen dieselben Mittel auch dem Präsidenten der zuständigen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfügung. Er kann - gleich wie der Beauftragte - zur Mängelbehebung Empfehlungen abgeben. Diese können sich an den Beauftragten wie auch an die Verwaltung richten. Bereits die Eidgenössische Datenschutzkommission EDSK hatte die Befugnis für die Erteilung von Empfehlungen für sich in Anspruch genommen (Entscheid EDSK, a.a.O., E. 7 und Dispositiv). Das Bundesverwaltungsgericht kann allgemein von der Verwaltung verlangen, dass ihm Datenbearbeitungen vorgelegt werden (
Art. 35 VDSG
). Der Praxis der Eidgenössischen Datenschutzkommission EDSK kann entnommen werden, dass die ISIS- Datenbank beim Bundesamt für Polizei (fedpol) überprüft wurde und die Kommission mit Vertretern des Bundesamtes Instruktionsverhandlungen durchführte (Entscheid EDSK, a.a.O., Sachverhalt).
3.3.4
Der Beauftragte kann der gesuchstellenden Person nach
Art. 18 Abs. 3 BWIS
ausnahmsweise und in angemessener Weise Auskunft erteilen, soweit damit keine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit verbunden ist und soweit ihr sonst ein erheblicher, nicht wieder gut zu machender Schaden erwächst. Erforderlich hierfür ist ein Gesuch. Für diese Auskunftserteilung wird nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht unterschieden, ob die gesuchstellende Person tatsächlich vermerkt ist oder nicht (vgl. Entscheid EDSK, a.a.O., E. 4; vgl. auch RAINER J. SCHWEIZER, Das indirekte Auskunftsrecht im Datenschutz der Schweiz aus grund- und menschenrechtlicher Sicht, in: Festschrift für Luzius Wildhaber, 2007, S. 775, insbes. 780 und 783; TIZIANA MONA-MAGNI, Das indirekte Auskunftsrecht - Zur Praxis der Eidgenössischen Datenschutzkommission, ZBl 108/2007 S. 364, 368). Diese Auskunftserteilung ist definitiver und abschliessender Natur.
Der Beauftragte macht von dieser Auskunftserteilung gemäss
Art. 18 Abs. 3 BWIS
in neuerer Zeit vermehrt Gebrauch. So sind im Jahre 2008 148 Gesuche eingegangen. In Bezug auf all diese Gesuche kam der Beauftragte zum Schluss, dass die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung gegeben waren. Demnach informierte er die Betroffenen in angemessener Weise (vgl. 16. Tätigkeitsbericht des
BGE 138 I 6 S. 21
Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten 2008/2009, Ziff. 1.4.4; 17. Tätigkeitsbericht 2009/2010, Ziff. 1.4.5; Bericht Geschäftsprüfungsdelegation, a.a.O., BBl 2010 7709 Ziff. 4.1; anders noch Entscheid EDSK, a.a.O., Sachverhalt). Anzumerken ist, dass der Beauftragte betroffenen Gesuchstellern ein Formular zur Verfügung stellt, um die persönliche Situation sowie den erheblichen, nicht wieder gutzumachenden Schaden darzulegen.
3.3.5
Schliesslich kann gemäss
Art. 18 Abs. 6 BWIS
nach Massgabe des Datenschutzgesetzes Auskunft erteilt werden, wenn die Geheimhaltungsinteressen dahingefallen sind oder spätestens bei Ablauf der Aufbewahrungsdauer gemäss
Art. 33 ISV-NDB
. Nach dem Wortlaut unterliegt die Auskunft zwei besondern Voraussetzungen: Zum einen ist erforderlich, dass überhaupt ein Auskunftsgesuch gestellt wird. Zum andern, dass es sich beim Gesuchsteller um eine registrierte Person handelt. Die Auskunft wird erteilt, sofern dies nicht mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden ist.
Mit
Art. 18 Abs. 6 BWIS
wird der Aufschub des Auskunftsrechts aufgehoben. Es greifen nunmehr das Verfahren und die Grundsätze des Datenschutzgesetzes Platz. Insbesondere kommt die Regelung des Auskunftsrechts nach
Art. 8 DSG
mit den Einschränkungen gemäss
Art. 9 DSG
zur Anwendung. Allerdings kommt das Datenschutzgesetz nicht integral zum Zug. Die Auskunftserteilung unterliegt zwei besondern Voraussetzungen. Zum einen setzt
Art. 18 Abs. 6 BWIS
ein entsprechendes Gesuch voraus, zum andern sollen nichtregistrierte Personen keine Auskunft erhalten können. Diese Einschränkungen wirken sich auf die Gesamtheit des Auskunftsrechts aus. Es wird im Zusammenhang mit der konkreten Beurteilung der vorliegenden Beschwerde im Einzelnen zu prüfen sein, wie diese Regelungen zu verstehen sind, inwiefern sie im Einklang mit der EMRK stehen und ob sie sich EMRK-konform auslegen und anwenden lassen (E. 7.4).
3.3.6
Nach
Art. 18 Abs. 5 BWIS
überprüft der NDB im Anschluss an ein Auskunftsgesuch, ob die vorhandenen Daten noch benötigt werden. Diese Prüfung erfolgt unabhängig von der in
Art. 32 ISV-NDB
vorgesehenen periodischen Überprüfung und ungeachtet der in
Art. 33 ISV-NDB
vorgesehenen Aufbewahrungsdauer. Alle nicht mehr benötigten Daten werden im Informationssystem gelöscht. Über diese Nachkontrolle im Einzelfall hinaus werden die Daten in der Datenbank Staatsschutz periodisch einer Gesamtbeurteilung
BGE 138 I 6 S. 22
unterzogen (
Art. 32 ISV-NDB
). Ferner überwacht die Geschäftsprüfungsdelegation gemäss
Art. 53 Abs. 2 ParlG
die Tätigkeiten des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste in allgemeiner Weise. Sie hat im Jahre 2010 einen umfassenden Bericht zur Datenbearbeitung im Staatsschutzinformationssystem ISIS verfasst (oben E. 3.1).
3.3.7
Das in
Art. 18 Abs. 1 und 2 BWIS
vorgesehene sog. indirekte Auskunftsrecht ist von verschiedener Seite auf Kritik gestossen. Die ehemalige Eidgenössische Datenschutzkommission kam im Jahre 2006 zum Schluss, dass die Regelung den Anforderungen von
Art. 13 EMRK
nicht genüge (Entscheid EDSK, a.a.O., E. 5c). Dieselbe Auffassung ist in der Lehre vertreten worden (SCHWEIZER, a.a.O.; MONA-MAGNI, a.a.O.; vgl. auch MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte, 4. Aufl. 2008, S. 176 f.). Die Geschäftsprüfungsdelegation empfahl in ihrem Bericht anstelle des indirekten Einsichtsrechts ein Auskunftsrecht nach den Modalitäten von
Art. 8 BPI
(Empfehlung 11, S. 7736). Eine Motion Leutenegger Oberholzer (08.3852) verlangte die Abschaffung des indirekten Auskunftsrechts; der Bundesrat stimmte der Motion zu; der Nationalrat wies sie in der Frühjahrssession 2010 indes ab. Gleichwohl schlug der Bundesrat in seiner Zusatzbotschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit vor, dass sich das Auskunftsrecht inskünftig nach
Art. 8 und 9 DSG
richten soll (Zusatzbotschaft "BWIS II reduziert" vom 27. Oktober 2010, BBl 2010 7841, insb. 7887 zu Art. 18). Die parlamentarische Debatte darüber war im Zeitpunkt des vorliegenden Urteils noch offen.
Demgegenüber gelangt GIOVANNI BIAGGINI in seinem Gutachten zur Teilrevision des BWIS zum Schluss, dass sich das indirekte Auskunftsrecht nach
Art. 18 BWIS
verfassungs- und konventionskonform auslegen und anwenden lasse (BIAGGINI, Gutachten, a.a.O., Ziff. VII S. 309 ff.).
4.
Art. 8 EMRK
räumt in Ziff. 1 jeder Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz ein und erlaubt gemäss den Vorgaben in Ziff. 2 entsprechende Eingriffe. Der Gehalt der Gewährleistungen und die Anforderungen an die Einschränkungen sind im Folgenden mit Blick auf nachrichtendienstliche Aufzeichnungen und Einsichtnahmen nachzuzeichnen.
4.1
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
garantiert jeder Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer
BGE 138 I 6 S. 23
Korrespondenz. Für den vorliegenden Zusammenhang steht das Recht auf Privatleben im Vordergrund. Das Privatleben im Sinne dieser Bestimmung stellt einen offenen Begriff dar. Es umfasst physische und psychische Aspekte und räumt Anspruch auf persönliche Identität und Entfaltung ein. Zum Privatleben gehört, dass ungehindert Beziehungen mit andern Personen geknüpft und entwickelt werden können. Auch berufliche Aktivitäten zählen dazu (Urteile des EGMR
Shimovolos gegen Russland
vom 21. Juni 2011 [Nr. 30194/09] § 64 f.;
Özpinar gegen Türkei
vom 19. Oktober 2010 [Nr. 20999/04] § 45 f.;
Gillan und Quinton gegen Grossbritannien
vom 12. Januar 2010 [Nr. 4158/05] § 61;
Segerstedt-Wiberg gegen Schweden
vom 6. Juni 2006 [Nr. 62332/00],
Recueil CourEDH 2006-VII S. 131
, § 71;
Rotaru gegen Rumänien
vom 4. Mai 2000 [Nr. 28341/95],
Recueil CourEDH 2000-V S. 61
, § 35 f., auch in: RUDH 2000 S. 109;
Amann gegen Schweiz
vom 16. Februar 2000,
Recueil CourEDH 2000-II S. 201
, § 65, auch in: VPB 2000 Nr. 144;
Malone gegen Grossbritannien
vom 2. August 1984 [Nr. 8691/79], Serie A Bd. 82, § 42, auch in: EGMR-E 2 Nr. 39 S. 452;
Leander gegen Schweden
vom 26. März 1987 [Nr. 9248/81], Serie A Bd. 116, § 48, auch in: EGMR-E 3 Nr. 35 S. 430; Entscheidung
Weber und Saravia gegen Deutschland
vom 29. Juni 2006 [Nr. 544934/00],
Recueil CourEDH 2006-XI S. 351
, § 79; Urteil
Niemietz gegen Deutschland
vom 16. Dezember 1992 [Nr. 72/1991/324/396], Série A Bd. 251-B, § 29 ff.,auch in: EuGRZ 1993 S. 65). Der Bereich des Privatlebens wird durch das Aufbewahren von Personendaten in Registern betroffen. Das behördliche Anlegen von geheimen Fichen mit Personendaten über eine bestimmte Person bedeutet für diese einen Eingriff in die Garantie auf Achtung ihres Privatlebens, unabhängig davon, ob die Informationen bei bestimmter Gelegenheit tatsächlich verwendet oder weitergegeben werden. Zu den Eingriffen gehören sowohl die Weitergabe von solchen Personendaten wie auch die Verweigerung der Einsicht und die Unmöglichkeit ihrer Bestreitung (Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 73 und 99;
Rotaru
, § 46;
Amann
, § 69 f. und 80;
Leander
, § 48; vgl. Urteil
Klass und Mitbeteiligte gegen Deutschland
vom 6. September 1978 [Nr. 50289/71], Serie A Bd. 28, § 41,auch in: EGMR-E 1 Nr. 31 S. 320; Entscheidung
Weber und Saravia
, § 79).
4.2
Die Garantien von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
sind nicht absolut. Eingriffe sind nach Massgabe von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
mit der Konvention vereinbar. Erforderlich hierfür ist, dass eine gesetzliche
BGE 138 I 6 S. 24
Grundlage im nationalen Recht den Eingriff zu rechtfertigen vermag. Zum Erfordernis "prévu par la loi" zählen nicht nur eine (geschriebene oder ungeschriebene) Grundlage im innerstaatlichen Recht, sondern auch Anforderungen an deren Qualität. Es wird eine hinreichende Zugänglichkeit ("accessible") und Vorhersehbarkeit ("prévisible") verlangt. Da geheime staatliche Massnahmen weder von Betroffenen noch von der Öffentlichkeit kontrolliert werden können, ist mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Vorrang des Rechts erforderlich, dass bereits die rechtliche Grundlage für sich genommen dem Einzelnen mit entsprechenden Mechanismen einen angemessenen Schutz vor willkürlichen Verletzungen des Privatlebens gewährt. Hierfür muss die rechtliche Grundlage den Umfang des behördlichen Ermessens im Hinblick auf das rechtmässige Ziel der Massnahmen umschreiben und begrenzen. Gefordert sind gesetzliche Garantien gegen Missbräuche zum Nachteil des Einzelnen und der Demokratie (Urteile
Shimovolos
, § 67 f.;
Gillan und Quinton
, § 76 f.; Entscheidung
Weber und Saravia,
§ 84 und 92 ff.; Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 76;
Rotaru
, § 52, 55 und 63 ff.;
Amann
, § 55 f.;
Leander
, § 50-52;
Malone
, § 66-68).
Ein wirksamer Schutz vor Willkür verlangt im Sinne der Vorhersehbarkeit eine hinreichend bestimmte Umschreibung der Massnahmen und Voraussetzungen ("netteté suffisante"). Tragweite und Modalitäten der geheimen Massnahmen sind unter Beachtung der Besonderheit des Regelungsgegenstandes zu umschreiben, sodass der Betroffene bei entsprechender Vorsicht und allenfalls mit juristischer Beratung sein Verhalten danach ausrichten und die Folgen eines bestimmten Handelns entsprechend den Umständen vorhersehen kann. Allerdings können die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit im Bereiche des Staatsschutzes nicht dieselben sein wie in andern Sachgebieten. Die Vorhersehbarkeit bedeutet nicht, dass jegliche Konsequenz klar soll abgeschätzt werden können. Gefordert ist indes, dass für den Einzelnen erkennbar ist, unter welchen Umständen und unter welchen Bedingungen die rechtliche Grundlage die öffentliche Gewalt ermächtigt, einen geheimen Eingriff vorzunehmen (Urteile
Shimovolos
, § 68;
Segerstedt-Wiberg
, § 76;
Rotaru
, § 55;
Amann
, § 56;
Leander
, § 51;
Malone
, § 67 f.; vgl. zum Ganzen eingehend auch Entscheidung
Weber und Saravia
, § 92-102; Urteil
Liu gegen Russland
vom 6. Dezember 2007 [Nr. 42086/05] § 56).
4.3
In materieller Hinsicht müssen sich Eingriffe in das Recht auf Achtung des Privatlebens nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
namentlich
BGE 138 I 6 S. 25
insoweit rechtfertigen lassen, als sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Geheime Überwachungen und Aufzeichnungen von Bürgern, wie sie für den Polizeistaat typisch sind, können nur hingenommen werden, soweit sie zur Erhaltung der demokratischen Einrichtungen unbedingt notwendig sind (Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 88;
Klass
, § 42). Der Schutz der nationalen Sicherheit und die Sicherung der öffentlichen Ordnung stellen, abstrakt betrachtet, hinreichende Motive gemäss
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
dar. Doch ist auch zu prüfen, ob die konkret vorgesehenen Mittel innerhalb der Grenzen dessen bleiben, was in einer demokratischen Gesellschaft tatsächlich notwendig ist (Urteil
Klass
, § 46).
Unter diesem Gesichtswinkel anerkennt der Gerichtshof, dass die demokratische Gesellschaft durch verfeinerte Formen der Spionage, der Infiltration und des Terrorismus bedroht ist und es zu ihrem Schutze geheimer Massnahmen der Überwachung und Aufzeichnung bedarf. Solche Massnahmen können sich, wenn auch zum Bedauern des Gerichtshofs, als notwendig erweisen (Urteil
Klass
, § 48 und 68; vgl. Urteil
Leander
, § 78). Dem Rechtsstaat kann nicht verwehrt sein, den modernen Bedrohungen mit entsprechenden Massnahmen zu begegnen. Es kann nicht der Sinn einer freiheitlichen demokratischen Staatsordnung sein, sich ohne gleichwertige Verteidigungsmöglichkeiten ihren Gegnern auszuliefern (
BGE 109 Ia 273
E. 7 S. 289).
Die vom Rechtsstaat in Betracht gezogenen Massnahmen müssen mit Blick auf die verfolgten Ziele verhältnismässig sein. Angesichts der Risiken, die ein System geheimer Überwachung und Fichierung zum Schutz der nationalen Sicherheit birgt, und der Gefahr, dass die Demokratie mit der Begründung, sie zu verteidigen, untergraben oder gar zerstört wird ("le risque de saper, voire de détruire, la démocratie au motif de la défendre"), dürfen die Vertragsstaaten nicht zu beliebigen Massnahmen greifen. Es muss daher sichergestellt sein, dass angemessene und wirksame Garantien gegen Missbräuche vorhanden sind (Entscheidung
Weber und Saravia
, § 106; Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 88;
Rotaru
, § 59;
Leander
, § 59 f.;
Klass
, § 48; eingehend
BGE 109 Ia 273
E. 10 S. 295).
Unter solchen Voraussetzungen, bei genauer Prüfung der tatsächlichen Gegebenheiten und mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung
BGE 138 I 6 S. 26
der Regelung hat der Gerichtshof sowohl die geheime Überwachung von Personen als auch das geheime Anlegen, Aufbewahren und Verwenden von Fichen über Personen in unterschiedlichen Konstellationen als mit der Garantie von
Art. 8 EMRK
im Einklang befunden (Urteile
Klass
;
Malone
;
Leander
;
Segerstedt-Wiberg
[in Bezug aufeine von mehreren Beschwerdeführenden]; Entscheidung
Weber und Saravia
).
4.4
Mit Blick auf die vorliegend umstrittene Konstellation ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes zusammenfassend, dass das geheime Anlegen und Aufbewahren von Fichen Eingriffe in das Recht auf Achtung der Privatsphäre darstellt. Solche sind gestützt auf eine gesetzliche Grundlage zulässig. Erforderlich ist eine hinreichend bestimmte und zugängliche gesetzliche Grundlage, die den Rahmen der Anwendung umschreibt, den Ermessensspielraum der Behörden ausreichend begrenzt und hinreichende Schutzmechanismen enthält. Eingriffe in das Privatleben müssen verhältnismässig sein und dürfen nicht über das zur Aufrechterhaltung des demokratischen Rechtsstaates unbedingt erforderliche Mass hinausgehen.
5.
5.1
Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass er in den entsprechenden Informationssystemen des Bundes vermerkt ist, die ihn betreffenden Personendaten aufbewahrt, verwendet und weitergeleitet werden und insoweit eine Datenbearbeitung erfolgte bzw. erfolgt. Der Beschwerdeführer hat bisher keinen direkten Zugang zu den Informationssystemen des Bundes erhalten, keine direkte Auskunft über mögliche Einträge und keine Möglichkeit der Bestreitung, Korrektur oder Entfernung von allfälligen Aufzeichnungen. Auch mit der indirekten Auskunft durch den Beauftragten und den Abteilungspräsidenten nach
Art. 18 Abs. 1 und 2 BWIS
ist dem Beschwerdeführer der Zugang und die Möglichkeit einer Korrektur oder Entfernung vorerst und bisher verwehrt worden. Unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt in diesen Umständen ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
.
Es ist daher zu prüfen, ob der Grundrechtseingriff nach Massgabe von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
gerechtfertigt werden kann. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der allfällige Vermerk in den Informationssystemen und die Regelung der sog. indirekten bzw. aufgeschobenen Auskunft im Sinne von
Art. 18 BWIS
vor den Garantien der Menschenrechtskonvention standhält.
BGE 138 I 6 S. 27
5.2
Die Bestimmung von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
verlangt als Erstes eine Grundlage im nationalen Recht. Eine solche besteht in klarer Weise: Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit umschreibt den Rahmen der nachrichtendienstlichen Tätigkeit (vgl. allgemein oben E. 3). Es nennt als Zweck die Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen und den Schutz der Freiheitsrechte (
Art. 1 BWIS
), ermächtigt zur Vornahme von vorbeugenden Massnahmen, insbesondere zur Bearbeitung von Informationen über die innere und äussere Sicherheit (
Art. 2 BWIS
), ordnet die (geheime) Informationsbeschaffung und -bearbeitung (Art. 14 f. und 17 BWIS) und legt schliesslich die Grenzen der Tätigkeit der Sicherheitsorgane fest (
Art. 3 BWIS
). Das Bundesgesetz umschreibt zudem das Auskunftsrecht hinsichtlich der Informationssysteme des Bundes. Es sieht insbesondere vor, dass die Auskunftsrechte vorerst aufgeschoben werden und der Betroffene vom Beauftragten und vom Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts lediglich stereotype, stets gleichlautende Auskünfte erhält (
Art. 18 BWIS
). Schliesslich wird die Regelung im BWIS durch weitere Bundesgesetze und Verordnungen ergänzt. All diese Erlasse sind in den gängigen Formen publiziert und ohne Weiteres allgemein zugänglich. In formeller Hinsicht bestehen an der gesetzlichen Grundlage keine Zweifel.
5.3
Das Bestimmtheitsgebot ist mit Blick auf die Umschreibung der umstrittenen Massnahmen an Ziel und Zweck des Regelungsgegenstandes zu messen. In allgemeiner Weise hat das Bundesgericht ausgeführt, dass die Bestimmtheitserfordernisse im Polizeirecht auf besondere Schwierigkeiten stossen (
BGE 136 I 87
E. 3.1 S. 90 mit Hinweisen). In gleicher Weise können die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit im Bereiche des Staatsschutzes nicht dieselben sein wie in andern Sachgebieten (oben E. 4.2). Unter Beachtung dieser Grundsätze kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die von der Bundesgesetzgebung vorgesehenen und oben dargelegten Massnahmen sowohl in Bezug auf die einzelnen Vorkehren wie auch in Bezug auf deren Voraussetzungen hinreichend bestimmt umschrieben sind. Daran ändert die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen in den einzelnen Erlassen nichts. Es kann ihnen klar entnommen werden, dass aus Gründen des Staatsschutzes Informationen über Personen und Vorkommnisse geheim erhoben, in Informationssystemen aufgenommen und entsprechend bearbeitet werden dürfen. Die Zuständigkeiten in diesen Bereichen können der
BGE 138 I 6 S. 28
Bundesgesetzgebung entnommen werden. In Bezug auf das Auskunftsrecht ergibt sich klar, dass dieses mit den immer gleichlautenden stereotypen Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten vorerst lediglich in indirekter Weise gewährt und erst im Rahmen von
Art. 18 Abs. 3 BWIS
bzw. nach Wegfall der Geheimhaltungsinteressen gemäss
Art. 18 Abs. 6 BWIS
gewährt wird. Dies erlaubt es, bei entsprechender Vorsicht und mit allfälliger Beratung das Verhalten danach auszurichten und die Folgen von bestimmten Handlungen abzuschätzen.
5.4
Die geheime Staatsschutztätigkeit gestattet es dem Betroffenen nicht, die gegen ihn getroffenen Massnahmen selber zu kontrollieren oder überprüfen zu lassen. Daraus schliesst der Gerichtshof auf die Notwendigkeit, dass die gesetzlichen Regelungen selber dem Betroffenen einen gewissen Schutz gewähren und Garantien gegen Missbräuche aufweisen müssen. Unter diesem Gesichtswinkel ist das sog. indirekte Auskunftsrecht bedeutsam: Das Verfahren nach
Art. 18 Abs. 1 und 2 BWIS
gibt dem Betroffenen die Möglichkeit, sich an eine unabhängige Behörde zu wenden, welche ihm bestätigt, dass keine Rechtsverletzungen vorliegen. Trotz des Umstandes, dass die Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten keine Begründung enthalten und nicht überprüft werden können, stellt die Auskunft für den Betroffenen eine nicht unwesentliche Information dar. Die Auskunft beruht auf Nachforschungen von unabhängigen Behörden. Dem Präsidenten der entsprechenden Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts kommt gerichtliche Unabhängigkeit zu. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte übt seine Funktion unabhängig und ohne Weisungen aus (
Art. 26 Abs. 3 DSG
). Beide können die Sachlage prüfen und von den Verwaltungsstellen entsprechende Auskünfte einfordern (vgl. oben E. 3.3.3).
Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass der Beauftragte auf die Anfrage des Beschwerdeführers Erkundigungen beim DAP einholte. Im Verfahren vor dem Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts bestätigte er, dass keine Anhaltspunkte für Unregelmässigkeiten bestanden hätten. Aus dem Dossier ergibt sich weiter, dass der Abteilungspräsident des Bundesverwaltungsgerichts eine eingehende Überprüfung vornahm. Er holte vom Bundesamt für Polizei und vom Beauftragten nicht nur eine Vernehmlassung ein, sondern stellte darüber hinaus konkrete, auf den Fall bezogene Fragen. Seine Mitteilung erging somit gestützt auf Abklärungen. Gesamthaft zeigt sich, dass zwei unabhängige Stellen die Sachlage geprüft und
BGE 138 I 6 S. 29
dem Beschwerdeführer bestätigt haben, dass keine Daten unrechtmässig bearbeitet würden. Darin kommen ein Mechanismus zum Schutz der Betroffenen und Gewähr gegen Missbräuche zum Ausdruck.
Darüber hinaus bietet die Gesetzgebung weitere Anhaltspunkte zur Verhinderung von Missbräuchen. Anlässlich von Auskunftsgesuchen, nach Ablauf der vorgesehenen Aufbewahrungsdauer und in periodischen Abständen sollen Kontrollen der Datenbestände vorgenommen und nicht mehr benötigte Daten in den Informationssystemen gelöscht werden (oben E. 3.3.6). Diese Kontrollmechanismen werden zwar nicht systematisch umgesetzt, wie die Geschäftsprüfungsdelegation festgestellt hat. Ihre eingehende Untersuchung und ihr umfassender Bericht mit zahlreichen konkreten Empfehlungen (oben E. 3.1) zeigen in hinreichender Weise, dass auf die entsprechenden Kontrollen und die konsequente Umsetzung der Schutzmechanismen Gewicht gelegt wird. Als Kontrollmechanismus kommt der konsequenten Aufsicht durch die parlamentarische Geschäftsprüfungsdelegation ebenfalls Bedeutung zu.
5.5
Die umstrittenen, in das Privatleben eingreifenden Massnahmen müssen in materieller Hinsicht den Anforderungen von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
genügen. Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit verfolgt klarerweise Zwecke, die im Sinne von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
Eingriffe in das Privatleben rechtfertigen können. Wie dargelegt (oben E. 3.1), stehen die Massnahmen im Dienste der Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz und des Schutzes der Freiheitsrechte der Bevölkerung. Der Gerichtshof hat solche Staatsschutzzwecke als Rechtfertigung von Eingriffen in das Privatleben abstrakt gesehen stets anerkannt (vgl. Urteile
Klass
;
Malone; Leander
;
Segerstedt-Wiberg
; Entscheidung
Weber und Saravia
).
5.6
Zu prüfen ist die Verhältnismässigkeit der umstrittenen Massnahmen. Diese dürfen nicht weiter gehen, als es in einem demokratischen Rechtsstaat zu dessen Schutz notwendig ist.
Im vorliegenden Verfahren geht es um die geheime Beschaffung, Bearbeitung und Verwendung sowie Weiterleitung von Personendaten, besonders schützenswerten Personendaten und Persönlichkeitsprofilen (oben E. 3.1). Die Datenerhebung erfolgt mit den in
Art. 14 BWIS
festgehaltenen Mitteln. Zwangsmittel stehen den Behörden nicht zu, und geheime Überwachungen von
BGE 138 I 6 S. 30
Telefongesprächen und Aufnahmen mit technischen Geräten in Privaträumen sind nicht vorgesehen (vgl. die Hinweise bei IVO SCHWEGLER, Datenschutz im Polizeiwesen von Bund und Kantonen, 2001, S. 51 ff.; vgl.
BGE 109 Ia 273
E. 7 S. 288). Das Bearbeiten der Daten erfolgt in Form von Bewertung und systematischer Sammlung sowie durch Weitergabe an interessierte Stellen (
Art. 15-17 BWIS
). Diese Massnahmen können unter dem Gesichtswinkel von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
als verhältnismässig bezeichnet werden. Es können darin keine Vorkehren erblickt werden, mit denen der Rechtsstaat mit der Begründung, ihn zu verteidigen, untergraben oder gar zerstört würde.
Dasselbe gilt für die Aufrechterhaltung der Geheimhaltung. Den Staatsschutzakten kommt ihrer Natur gemäss Geheimnischarakter zu. Der Zugang kann erst gewährt werden, wenn die Geheimhaltungsinteressen dahinfallen und die Bedürfnisse des Staatsschutzes die Aufrechterhaltung der Geheimhaltung nicht mehr erfordern. Eine Auskunftserteilung kommt im Einzelfall erst bei Wegfall dieser Interessen (vgl.
Art. 18 Abs. 3 und 6 BWIS
) oder nach Ablauf der gesetzlichen Dauer der Datenaufbewahrung (oben E. 3.1) in Betracht. Dannzumal ist, wie unten zu zeigen ist (E. 7), eine entsprechende Auskunft tatsächlich zu erteilen.
Der Beauftragte und der Abteilungspräsident kamen zum Schluss, dass vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse dem Beschwerdeführer über die stets gleichlautende stereotype Mitteilung hinaus keine weitern Auskünfte zu erteilen waren. Dies lässt sich mit Blick auf die besondere Problematik des Staatsschutzes im Sinne von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
rechtfertigen. Die Aufrechterhaltung der Geheimhaltung erweist sich im konkreten Fall umso mehr als verhältnismässig, als dem Beschwerdeführer über die stets gleichlautende Mitteilung hinaus gewisse Informationen vermittelt worden sind und ihm mitgeteilt worden ist, er könne erneut ein Gesuch um Löschung von Daten stellen, wenn gerichtlich festgestellt würde, dass die deutschen Behörden unrechtmässig Daten über ihn bearbeitet hätten.
5.7
Gesamthaft ergibt sich, dass sich die allfällige Beschaffung, Aufbewahrung und Bearbeitung von Daten über den Beschwerdeführer mit Blick auf die Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz und den Schutz der Freiheitsrechte der Bevölkerung ebenso rechtfertigen lassen wie die Aufrechterhaltung der Geheimhaltung und die Beschränkung der Auskunft auf die stereotypen Mitteilungen des Beauftragten und des
BGE 138 I 6 S. 31
Abteilungspräsidenten. Die Massnahmen erweisen sich als verhältnismässig. Die Regelung im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und deren Anwendung im vorliegenden Fall halten demnach vor der Garantie von
Art. 8 EMRK
stand. In diesem Punkt erweist sich die Beschwerde als unbegründet.
6.
Über die Gewährleistung von
Art. 8 EMRK
hinaus stellt sich weiter die Frage, ob die Verweigerung der Einsicht in die Register des Bundes und die vorläufige Verweigerung einer materiellen Auskunft sowie die damit verbundene Unmöglichkeit einer Bestreitung, Korrektur oder Löschung der allfälligen Einträge mit den Anforderungen von
Art. 13 EMRK
im Einklang stehen. Die Frage der Konformität mit
Art. 13 EMRK
stellt sich trotz des Umstandes, dass eine Verletzung von
Art. 8 EMRK
verneint worden ist (vgl. Urteil
Klass
, § 65).
6.1
Nach
Art. 13 EMRK
hat derjenige, der sich in den durch die Konvention garantierten Rechten und Freiheiten für beeinträchtigt hält und eine entsprechende Verletzung behauptet, Anspruch darauf, bei einer nationalen Instanz eine wirksame Beschwerde einzulegen. Dies bedeutet nicht, dass ein Rechtsmittel an ein Gericht zur Verfügung stehen muss. Eine Beschwerdemöglichkeit an eine hinreichend unabhängige Verwaltungsbehörde kann genügen. Die Wirksamkeit des Rechtsmittels beurteilt sich nach den Befugnissen der Behörde und den Verfahrensgarantien. Erforderlich ist, dass Anspruch auf Prüfung der Vorbringen besteht und dass die Beschwerdebehörde den angefochtenen Akt gegebenenfalls aufheben bzw. dessen Auswirkungen beheben kann. Ausserdem müssen die rechtsstaatlich notwendigen minimalen Verfahrensrechte im Sinne von
Art. 29 BV
gewährleistet sein, insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Begründung von Entscheiden (
BGE 130 I 369
E. 6.1 S. 377;
BGE 133 I 49
E. 3.1 S. 55, je mit zahlreichen Hinweisen; Urteile
Silver und Mitbeteiligte gegen Grossbritannien
vom 25. März 1983, Serie A Bd. 61, § 113, auch in: EGMR-E 2 S. 227;
Ramirez Sanchez gegen Frankreich
vom 4. Juli 2006 [Nr. 59450/00] § 157-159, in: EuGRZ 2007 S. 141;
Kudla gegen Polen
vom 16. Oktober 2000 [Nr. 30210/96] § 157, in: EuGRZ 2004 S. 484).
6.2
In den Urteilen zur geheimen Überwachung und zur geheimen Fichierung von Personen im Speziellen hat der Gerichtshof unter dem Gesichtswinkel des Anspruchs auf eine wirksame Beschwerde das Folgende ausgeführt:
BGE 138 I 6 S. 32
Für die Berufung auf
Art. 13 EMRK
genügt es, dass der Betroffene in vertretbarer Weise behaupten kann, Opfer einer Verletzung von in der Konvention und ihren Zusatzprotokollen enthaltenen Garantien zu sein. Dies trifft zu, soweit eine geheime Überwachung oder ein geheimes Anlegen, Aufbewahren und Verwenden von Personendaten in behördlichen Registern, in die keine Einsicht gewährt wird, in Frage steht (Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 116;
Rotaru
, § 68;
Leander
, § 79;
Klass
, § 65). Die Beschwerdemöglichkeit im Sinne von
Art. 13 EMRK
muss in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wirksam sein ("'effectif' en pratique comme en droit"; Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 117;
Rotaru
, § 67;
Aksoy gegen Türkei
vom 18. Dezember 1996 [Nr. 100/1995/606/694],
Recueil CourEDH 1996-VI S. 2260
, § 95,auch in: RUDH 1996 S. 301;
Iatridis gegen Griechenland
vom 25. März 1999 [Nr. 31107/96],
Recueil CourEDH 1999-II S. 115
, § 66, auch in: EuGRZ 1999 S. 316), das Mass an Wirksamkeit garantieren, das in Anbetracht der ganzen Umstände möglich ist (Urteile
Leander
, § 78;
Klass
, § 69), und gegebenenfalls eine entsprechende Berichtigung ("redressement approprié") ermöglichen (Urteile
Rotaru
, § 67;
Segerstedt-Wiberg
, § 117). Die Wirksamkeit beurteilt sich mit Blick auf die Zuständigkeiten der beteiligten Behörden und die Verfahrensgarantien aufgrund der Gesamtheit der innerstaatlichen Beschwerdemöglichkeiten; es ist unerheblich, dass eine für sich allein betrachtet nicht ausreicht (Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 117;
Rotaru
, § 69;
Leander,
§ 77;
Klass
, § 67).
Der Gerichtshof legt
Art. 13 EMRK
nicht isoliert, sondern als Teil der ganzen Konvention, insbesondere unter Einbezug von
Art. 8 EMRK
aus (Urteile
Leander
, § 77 f.;
Klass
, § 68). Er anerkennt, dass geheime Überwachung und geheimes Sammeln von Personendaten in einer demokratischen Gesellschaft unter den derzeitigen Verhältnissen für die nationale Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig erscheinen, dass unter den gegebenen Umständen die Mitteilung von geheim erhobenen Daten nicht verlangt werden kann und dass solche Systeme somit mit
Art. 8 EMRK
vereinbar sind (Urteile
Klass
, § 48 und 68;
Leander
, § 78; oben E. 4.3). Der Rechtsbehelf nach
Art. 13 EMRK
kann demnach nur so wirksam sein, wie es angesichts der beschränkten Tragweite möglich ist, die jedes System geheimer Überwachung mit sich bringt (Urteile
Klass
, § 69;
Leander
, § 78 und 84;
Rotaru
, § 69).
Dementsprechend kann unter dem Gesichtswinkel von
Art. 13 EMRK
ein objektiver Kontrollmechanismus ausreichen, solange die
BGE 138 I 6 S. 33
in Frage stehenden Massnahmen geheim sind und geheim gehalten werden dürfen (Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 117;
Rotaru
, § 69). Es kann mit der Garantie von
Art. 13 EMRK
vereinbar sein, dass eine geheime Überwachungsmassnahme vorderhand nicht mitgeteilt wird und über eine allfällige geheime Bearbeitung von Personendaten vorerst keine Auskunft erteilt wird. Erforderlich sind entsprechende Vorkehren und Verfahren, die gesamthaft eine hinreichende Kontrolle und einen angemessenen Schutz gewähren und Gewähr für die Garantie von
Art. 8 EMRK
bieten. In diesem Sinne hat der Gerichtshof namentlich in den Urteilen
Klass
,
Leander
und (teils)
Segerstedt-
Wiberg
entschieden.
Von dem Moment an, wo die Geheimhaltungsinteressen dahinfallen und die umstrittenen Registereinträge bekannt werden, müssen den Betroffenen die entsprechenden Beschwerdemöglichkeiten grundsätzlich zur Verfügung stehen. Es muss ihnen ermöglicht werden, zumindest im Nachhinein eine Beschwerde im Sinne von
Art. 13 EMRK
zu erheben (Urteile
Segerstedt-Wiberg
, § 117;
Rotaru
, § 69; vgl. Urteil
Klass,
§ 71). Dies setzt im Allgemeinen voraus, dass geheime Überwachung und Bearbeitung von Personendaten nach Wegfall der Geheimhaltungsinteressen tatsächlich mitgeteilt werden. Das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit der (damals kantonalrechtlich umschriebenen) Telefonüberwachung aus
Art. 13 EMRK
den Schluss gezogen, dass die Betroffenen über die Überwachungsmassnahmen ins Bild gesetzt werden müssen (
BGE 109 Ia 273
E. 12a S. 299 f.; vgl.
Art. 279 StPO
). Ausnahmen sind nur unter qualifizierten Voraussetzungen zulässig.
6.3
Der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann gesamthaft entnommen werden, dass der Anspruch auf eine wirksame Beschwerde nach
Art. 13 EMRK
im Lichte der Rechtsprechung zu
Art. 8 EMRK
zu verstehen ist. Soweit eine geheime Datenbeschaffung und -bearbeitung unter dem Gesichtswinkel der Achtung des Privatlebens als konventionskonform erachtet wird, führt dies für sich genommen nicht zu einer Verletzung von
Art. 13 EMRK
. In Anbetracht von
Art. 8 EMRK
wird der Anspruch auf eine wirksame Beschwerde gemäss
Art. 13 EMRK
eingeschränkt bzw. aufgeschoben. Der Anspruch auf eine wirksame Beschwerde wirkt sich indes nach Wegfall der Geheimhaltungsinteressen in dem Sinne aus, dass nunmehr eine effektive Beschwerdemöglichkeit grundsätzlich gewährleistet werden muss. Wie es sich damit verhält, ist nachfolgend zu prüfen.
BGE 138 I 6 S. 34
7.
7.1
Ausgangspunkt für die Frage, ob das Vorgehen der Behörden im vorliegenden Fall mit
Art. 13 EMRK
vereinbar ist, bildet die Beurteilung unter dem Gesichtswinkel von
Art. 8 EMRK
. Es ist dargelegt worden, dass eine allfällige geheime Bearbeitung von Daten über den Beschwerdeführer in Informationssystemen des Bundes mit der Garantie von
Art. 8 EMRK
vereinbar ist. Gleichermassen hält das sog. indirekte Auskunftsrecht mit dem Aufschub von Einsicht und Auskunft vor
Art. 8 EMRK
stand (oben E. 5). Daraus folgt gemäss der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Mitteilung von geheimen Daten und die Möglichkeit einer Einsicht oder Bestreitung auch unter dem Gesichtswinkel von
Art. 13 EMRK
grundsätzlich nicht verlangt werden können. Vielmehr kann ein Aufschub der Auskunft mit dem Anspruch auf eine wirksame Beschwerde vereinbar sein. Erforderlich hierfür ist, dass objektive Kontrollmechanismen bestehen und dass der Betroffene nach dem Wegfall der Geheimhaltungsinteressen entsprechend den Anforderungen von
Art. 13 EMRK
seine Beschwerderechte tatsächlich ausüben kann.
7.2
Der Beauftragte verneinte die Voraussetzungen für eine Auskunftserteilung nach
Art. 18 Abs. 3 BWIS
und erteilte dem Beschwerdeführer eine Mitteilung im Sinne von
Art. 18 Abs. 1 BWIS
. Der Abteilungspräsident des Bundesverwaltungsgericht liess dem Beschwerdeführer eine Mitteilung gemäss
Art. 18 Abs. 2 BWIS
zukommen. Diese Mitteilungen gaben dem Beschwerdeführer bekannt, dass eine Prüfung vorgenommen worden sei und keine unrechtmässigen Datenbearbeitungen vorgenommen würden. Dieser hatte zwar keine Möglichkeit der Überprüfung. Gleichwohl stellt dieses Verfahren einen bedeutenden Mechanismus zur Verhinderung von Missbräuchen dar. Sowohl der Beauftragte wie auch der Abteilungspräsident sind in ihrer Stellung von den Diensten des Staatsschutzes unabhängig. Bevor sie ihre Mitteilungen erstatteten, hatten sie Abklärungen vorgenommen (oben E. 5.4). Es stehen ihnen zur Prüfung von allgemeinen Fragen wie auch zur Untersuchung konkreter Dossiers die Kompetenzen im Sinne von
Art. 27 DSG
zu (oben E. 3.3.3). Das Verfahren der indirekten Auskunft mit den Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten gibt somit eine gewisse Gewähr, dass allfällige Fehler tatsächlich erkannt und behoben werden (vgl. SCHWEGLER, a.a.O., S. 179).
7.3
Für die einzelnen Kategorien von Einträgen in den Informationssystemen ist eine bestimmte Aufbewahrungsdauer festgelegt. Die
BGE 138 I 6 S. 35
Daten werden periodisch einer Gesamtbeurteilung unterzogen. Ferner werden Einträge anlässlich von Auskunftsgesuchen überprüft (vgl. oben E. 3.1). Diese Vorgaben dienen dem Schutz vor missbräuchlicher Datenbearbeitung und fördern die Transparenz. An dieser Zielsetzung vermögen die Feststellungen der Geschäftsprüfungsdelegation, dass diese Vorgaben in der Praxis von den Behörden nicht konsequent umgesetzt werden, nichts zu ändern.
Die Geschäftsprüfungsdelegation überwacht die nachrichtendienstliche Tätigkeit der verantwortlichen Bundesbehörden allgemein und regelmässig (oben E. 3.1 und 5.4). Deren letzter Bericht vom 21. Juni 2010 zeigt, wie detailliert und ernsthaft diese Überwachung vorgenommen wird. Auch wenn es der Geschäftsprüfungsdelegation letztlich um eine generelle Aufsicht geht, zeigt ihr Bericht doch anhand von Einzelfällen die Problematik der bisherigen Datenbearbeitung auf und nennt eine ganze Reihe von konkreten Empfehlungen (a.a.O., S. 7735 ff.). Der Bundesrat hat den Empfehlungen grundsätzlich beigepflichtet (Stellungnahme des Bundesrates vom 20. Oktober 2010, BBl 2010 7739). An der Umsetzung dieser Empfehlungen ist daher nicht zu zweifeln. Dies alles zeigt, dass die parlamentarische Aufsicht über die mit der Datenbearbeitung befassten Bundesstellen einen wichtigen Beitrag zu einem gesetzeskonformen Betrieb der Informationssysteme leistet.
7.4
Der Beauftragte kann nach
Art. 27 Abs. 4 DSG
und
Art. 18 Abs. 1 BWIS
gegenüber dem verantwortlichen Bundesorgan, welches geheime Datenbearbeitungen vornimmt, Empfehlungen erteilen, die Datenbearbeitung zu ändern oder zu unterlassen. Dieselbe Zuständigkeit nimmt der Abteilungspräsident des Bundesverwaltungsgerichts für sich in Anspruch. Das zuständige Departement und die Bundeskanzlei werden über solche Empfehlungen orientiert. Es stellt sich die Frage, ob und in welchem Ausmass solche Empfehlungen einen wirksamen Kontrollmechanismus darstellen.
Im Allgemeinen kommt Empfehlungen kein verbindlicher Charakter zu. Darin liegt der Grund, dass die Lehre die Auffassung vertritt, ein Organ, das blosse Empfehlungen abgeben kann, genüge den Anforderungen von
Art. 13 EMRK
nicht (vgl. FROWEIN/PEUKERT, EMRK- Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 5 zu
Art. 13 EMRK
; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl. 1999, S. 335). Diese Sichtweise indes wird den Besonderheiten der vorliegenden Konstellation nicht gerecht. Es ist daher mit
BGE 138 I 6 S. 36
Blick auf Zweck und Ziel der Regelung und unter Berücksichtigung von
Art. 13 EMRK
zu prüfen, welche Verbindlichkeit den genannten Empfehlungen nach
Art. 18 Abs. 1 BWIS
zukommt.
Der Beauftragte kann nach
Art. 27 Abs. 4 und
Art. 29 Abs. 3 DSG
in genereller Weise Empfehlungen im öffentlichen und privaten Bereich erlassen. Werden die Empfehlungen nicht befolgt oder abgelehnt, so kann er die Angelegenheit gemäss Art. 27 Abs. 5 und 6 bzw.
Art. 29 Abs. 4 DSG
dem Departement oder der Bundeskanzlei bzw. dem Bundesverwaltungsgericht zum Entscheid vorlegen. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist öffentlich. Es ist offensichtlich, dass ein derartiges öffentliches Verfahren für den vorliegend umstrittenen Bereich nicht in Betracht fällt. Dieser Umstand wirkt sich auf die Natur der Empfehlungen aus, die der Beauftragte nach der
lex specialis
von
Art. 18 Abs. 1 BWIS
treffen kann.
Mit der Möglichkeit einer Empfehlung nach
Art. 18 Abs. 1 BWIS
sollte ein Sicherungs- und Kontrollinstrument geschaffen werden. Nach dem Wortlaut der Bestimmung dient die Empfehlung der Behebung von allfälligen Fehlern. Der Vollzug der Empfehlung wird nach
Art. 18 Abs. 2 BWIS
vom Abteilungspräsidenten überprüft. Das Ziel der Fehlerbehebung kann nur erreicht werden, wenn der Empfehlung der Charakter einer verbindlichen Anweisung beigemessen wird. Andernfalls könnten der Beauftragte und der Abteilungspräsident gerade im heiklen Sachbereich des Staatsschutzes ihre Aufgaben nicht sinnvoll und wirksam erfüllen. An dieser Natur ändert nichts, dass es der betroffenen Verwaltungsstelle wie insbesondere dem Nachrichtendienst des Bundes möglich sein muss, auf eine Empfehlung hin etwa mit neuen Sachverhaltselementen zu reagieren. Darüber hinaus rechtfertigt auch
Art. 13 EMRK
, den Empfehlungen des Beauftragten Verbindlichkeit zuzusprechen. Auf diese Weise erhält der Kontrollmechanismus hinreichende Wirksamkeit und ermöglicht eine angemessene Berichtigung. Andernfalls würde das genannte Verfahren der Mitteilung und der indirekten Auskunft (oben E. 7.2) wesentlich an Gewicht verlieren. Was für die Empfehlungen des Beauftragten gilt, hat gleichermassen Bedeutung für die Empfehlungen, die der Abteilungspräsident des Bundesverwaltungsgerichts erlassen kann.
7.5
Bei der Beurteilung von geheimen Überwachungsmassnahmen kommt unter dem Gesichtswinkel von
Art. 13 EMRK
entscheidendes Gewicht weiter der Frage zu, in welchem Ausmass
nach
dem
BGE 138 I 6 S. 37
Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen tatsächlich und wirksam Beschwerde erhoben werden kann. Das gilt für die Situation, dass die Dauer der Aufbewahrung abgelaufen ist oder dass eine Überprüfung im Allgemeinen bzw. auf ein Auskunftsbegehren hin im Einzelfall ergibt, die Geheimhaltungsinteressen seien entfallen. Für diese Konstellationen wird das Auskunftsrecht durch
Art. 18 Abs. 6 BWIS
geordnet (vgl. allgemein oben E. 3.3.5). Diese Bestimmung lässt die Auskunftserteilung nach Massgabe des Datenschutzgesetzes zu, soweit eine registrierte Person ein Auskunftsgesuch gestellt hat. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob sich dieses System konventionskonform auslegen lässt und ob es im vorliegenden Fall konventionskonform angewendet worden ist. Dabei sind verschiedenartige Konstellationen zu unterscheiden.
7.5.1
Im Anschluss an die Vorfälle in Basel wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Auskunftsbegehren an den Beauftragten und an den Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts. Es sind ihm in Anwendung von
Art. 18 Abs. 1 und 2 BWIS
die Mitteilungen gemacht worden, dass keine unrechtmässige Datenbearbeitung vorliege. Mit diesen Mitteilungen sind die eigentliche Auskunft, die Einsicht und die Möglichkeit der Bestreitung und Korrektur wegen anhaltender Geheimhaltungsinteressen vorderhand aufgeschoben worden. Der Aufschub stellt einen Grundrechtseingriff dar, der sich nur so lange rechtfertigen lässt, als Geheimhaltungsinteressen überwiegen. Entfallen diese, so erfordern sowohl der Anspruch auf Achtung des Privatlebens nach
Art. 8 EMRK
als auch das Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäss
Art. 13 EMRK
, dass die Möglichkeit von Auskunft, Einsicht und allfälligen Korrekturen geschaffen wird.
Vor diesem Hintergrund hat der Inhaber der Datensammlung den Beschwerdeführer bei Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen von Amtes wegen zu informieren und dessen bereits früher gestelltes Einsichtsersuchen nunmehr nach
Art. 18 Abs. 6 BWIS
zu behandeln. Ein neues Gesuch von Seiten des Beschwerdeführers ist nicht erforderlich. Angesichts des früheren Auskunftsgesuchs und gemäss den Garantien nach
Art. 8 und 13 EMRK
ist es unerheblich, ob die betroffene Person tatsächlich vermerkt war oder nicht. Die Bestimmung von
Art. 18 Abs. 6 BWIS
ist in diesem Sinne konventionskonform auszulegen. Damit kommt der Beschwerdeführer ohne Weiteres in den Genuss der von der Konvention gewährleisteten Rechte
BGE 138 I 6 S. 38
und erhält entsprechend seinem Begehren zu gegebener Zeit die gewünschten Auskünfte, um seine Rechte wahrzunehmen. Dass dies erst nachträglich erfolgt, ist in einem System geheimer Staatsschutzakten nicht zu vermeiden.
7.5.2
Denkbar ist die weitere, in die Gesamtprüfung einzubeziehende Konstellation, dass eine Person während der Dauer der Geheimhaltung
kein
Einsichtsgesuch stellte, indessen hernach gestützt auf
Art. 18 Abs. 6 BWIS
bzw. direkt nach
Art. 8 DSG
(beim Inhaber der Datensammlung) um Auskunft ersucht.
Die Garantie des Privatlebens gemäss
Art. 8 EMRK
umfasst gleich wie
Art. 13 BV
den Anspruch auf Auskunft und Einsicht. Dieser ist unentbehrliche Voraussetzung für die Verwirklichung des von Verfassung und Konvention garantierten Schutzes der Privatsphäre (vgl.
BGE 113 Ia 1
E. 4c/cc S. 7). Er hängt nicht davon ab, ob eine Person in irgendeiner Weise registriert ist oder nicht. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte gehört, überhaupt erst in Erfahrung bringen zu können, ob eine Registrierung vorliegt oder nicht. Dies gilt auch für den Bereich von Staatsschutzakten. Unter den erwähnten Voraussetzungen ist einem Auskunftsbegehren daher aufgrund von Verfassung und Konvention ohne Weiteres zu entsprechen.
Art. 18 Abs. 6 BWIS
ist in diesem Sinne konventionskonform auszulegen. Der Wortlaut steht mit den verfassungsmässigen Anforderungen nur scheinbar im Widerspruch. Die Bestimmung von
Art. 18 Abs. 6 BWIS
bildet gewissermassen die Fortsetzung des Verfahrens nach
Art. 18 Abs. 3 BWIS
. Insoweit ist nicht ausgeschlossen, dass auch nichtregistrierte Personen, die bisher noch kein Auskunftsgesuch gestellt haben, die von
Art. 18 Abs. 6 BWIS
vorgesehene Auskunft erhalten. Zudem verweist die Bestimmung ohne Einschränkung auf das Datenschutzgesetz. Dieses sieht in
Art. 8 Abs. 1 DSG
generell vor, dass jede Person vom Inhaber einer Datensammlung Auskunft verlangen kann, ob Daten über sie bearbeitet werden. Dieser Grundsatz des Datenschutzgesetzes wird durch den Wortlaut von
Art. 18 Abs. 6 BWIS
nicht eingeschränkt.
In verfassungs- und konventionskonformer Auslegung der BWIS-Auskunftsregelung ergibt sich demnach, dass Personen nach dem Dahinfallen von Geheimhaltungsinteressen gemäss
Art. 18 Abs. 6 BWIS
um Auskunft und Einsicht ersuchen können, unabhängig davon, ob sie vorgängig ein Auskunftsgesuch gestellt haben oder nicht bzw. ob sie registriert sind oder nicht.
BGE 138 I 6 S. 39
7.5.3
Schliesslich wird es Personen geben, die von den Informationssystemen erfasst sind und keine Auskunftsgesuche stellen. Es stellt sich die Frage, welche Anforderungen das Konventions- und Verfassungsrecht stellt, wenn in solcher Konstellation die Geheimhaltungsinteressen dahinfallen.
Die geheime Datenbeschaffung stellt ebenso wie die geheime Datenaufbewahrung und -bearbeitung einen Eingriff in die genannten Konventionsrechte dar. Die Aufrechterhaltung der Geheimhaltung lässt sich verfassungsrechtlich nicht mehr rechtfertigen, wenn die Geheimhaltungsinteressen dahingefallen sind. Das bedeutet grundsätzlich, dass die Betroffenen über die Bearbeitung ihrer Personendaten zu informieren sind. Soll eine wirksame Beschwerde im Sinne von
Art. 13 EMRK
eingelegt werden können, so ist hierfür Voraussetzung, dass die betroffene Person von den vorgenommenen Massnahmen Kenntnis erhält. Ein genereller Ausschluss der nachträglichen Mitteilung würde eine wirksame Beschwerde schon im Ansatz verunmöglichen (
BGE 109 Ia 273
E. 12a S. 298).
Es braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, ob die von einer geheimen Datenbearbeitung betroffenen Personen nach dem Wegfall der Geheimhaltungsinteressen bzw. mit der Entfernung der Registereinträge gestützt auf
Art. 13 EMRK
in genereller Weise und von Amtes wegen nachträglich über die vorgängigen Massnahmen in Kenntnis gesetzt werden müssen (vgl. zu einer solchen Konsequenz
BGE 109 Ia 273
E. 12 S. 298).
7.5.4
Aufgrund dieser Erwägungen zu
Art. 18 Abs. 6 BWIS
ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Dahinfallens der Geheimhaltungsinteressen auf der Grundlage seines früheren Einsichtsgesuches ohne Weiteres Auskunft erhält und gestützt darauf seine Rechte wahrnehmen kann. Darüber hinaus erlaubt die Regelung von
Art. 18 Abs. 6 BWIS
, nach dem Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen erstmals ein Einsichtsgesuch zu stellen und entsprechende Auskunft zu erhalten.
7.6
Wird in konventionskonformer Auslegung von
Art. 18 Abs. 6 BWIS
Auskunft erteilt, so richtet sich diese nach den allgemeinen Regeln des Datenschutzgesetzes. Anwendbar sind insbesondere die Bestimmungen von
Art. 8 und 9 DSG
. Letztere Bestimmung lässt Einschränkungen des Auskunftsrechts zu, namentlich wegen überwiegender Interessen der inneren oder äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft (
Art. 9 Abs. 2 lit. a DSG
). Diese Einschränkungen sind im vorliegenden Sachzusammenhang kaum von Bedeutung,
BGE 138 I 6 S. 40
weil das Datenschutzgesetz nach
Art. 18 Abs. 6 BWIS
erst zum Zuge kommt, wenn die Geheimhaltungsinteressen dahingefallen oder die Aufbewahrungsdauer abgelaufen ist (vgl. BIAGGINI, Gutachten, a.a.O., Ziff. VII/1b S. 310). Die Frage einer allfälligen Anwendung von
Art. 9 DSG
braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden.
7.7
Die Regelung von
Art. 18 BWIS
sieht die vorläufige Verweigerung einer materiellen Auskunft vor, gewährt den Gesuchstellern in der Form von Mitteilungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten ein sog. indirektes Auskunftsrecht, führt nach dem Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen zu einer Auskunft über allfällige Datenbearbeitungen von Amtes wegen und erlaubt nachträglich, die Rechte wahrzunehmen. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zusammenfassend, dass diese Regelung von
Art. 18 BWIS
mit
Art. 13 EMRK
im Einklang steht. Sie enthält während der Phase der Geheimhaltung eine Reihe von wirksamen Kontrollmechanismen, welche gesamthaft betrachtet einen hinreichenden Schutz gewährleisten: Aufgrund von Einsichtsgesuchen nehmen der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte und der Präsident der zuständigen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts in unabhängiger Stellung gestützt auf Abklärungen eine Prüfung vor. Sie bescheinigen dem Gesuchsteller, dass keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden. Gegebenenfalls erteilen sie eine Empfehlung, der nach dem Gesagten verbindliche Wirkung zukommt. Ferner bestehen institutionelle Absicherungen: Die Bundesgesetzgebung enthält für die einzelnen Kategorien von Informationssystemen eine bestimmte Aufbewahrungsdauer. Die Daten werden periodisch einer Gesamtbeurteilung und anlässlich von Einsichtsgesuchen einer Einzelkontrolle unterzogen. Die Geschäftsprüfungskommission überwacht die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der mit dem Staatsschutz betrauten Organe. Darüber hinaus wird nach dem Dahinfallen der Geheimhaltungsinteressen Auskunft erteilt und ist die Wahrnehmung der Rechte ohne Weiteres möglich. Mit all diesen Absicherungen wird den Anforderungen von
Art. 13 EMRK
Genüge getan.
Diese Beurteilung gründet unter anderem auf der konventionskonformen Auslegung von
Art. 18 BWIS
. Diese hat insbesondere ergeben, dass allfällige Empfehlungen des Beauftragten und des Abteilungspräsidenten verbindliche Wirkung haben (E. 7.4). Ferner dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Dahinfallens der Geheimhaltungsinteressen von Amtes wegen zu informieren und ihm
BGE 138 I 6 S. 41
entsprechend seinem früheren Einsichtsgesuch Auskunft zu erteilen ist, damit er seine Rechte wahrnehmen kann (E. 7.5).
Dieser konventionskonformen Auslegung von
Art. 18 BWIS
haben der Beauftragte und der Abteilungspräsident anlässlich ihrer Mitteilungen im vorliegenden Fall noch nicht Rechnung tragen können. Es rechtfertigt sich daher, das Auskunftsverfahren unter Aufhebung der entsprechenden Mitteilungen auf der Grundlage der konventionskonformen Auslegung von
Art. 18 BWIS
nochmals durchzuführen. In diesem Punkte ist die Beschwerde daher im Sinne der Erwägungen teilweise gutzuheissen.
8.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das von
Art. 18 BWIS
vorgesehene Auskunfts- und Einsichtsverfahren konventionskonform ausgelegt werden kann und vor den Garantien von
Art. 8 und
Art. 13 EMRK
standhält. Die Beschwerde ist unter Aufhebung der umstrittenen Mitteilungen teilweise gutzuheissen, damit das Verfahren in diesem Sinne konventionskonform durchgeführt werden kann. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
994f0469-96d4-4dd7-8321-24794241827e | Urteilskopf
123 IV 128
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1997 i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 221 Abs. 2 StGB
, 21 ff. StGB; qualifizierte Brandstiftung, Versuch.
Der qualifizierte Tatbestand setzt voraus, dass durch die Feuersbrunst, so wie sie sich ereignet hat, Leib und Leben von Menschen tatsächlich konkret gefährdet worden sind und dass der Täter im Sinne des direkten Vorsatzes um diese konkrete Gefährdung gewusst und sie gewollt hat. Angesichts der hohen Strafandrohung ist eine grosse Wahrscheinlichkeit der Verletzung von Leib und Leben und damit eine nahe Gefahr erforderlich (E. 2a).
Der Täter ist wegen versuchter qualifizierter Brandstiftung schuldig zu sprechen, wenn z.B. dank rascher Hilfeleistung niemand konkret gefährdet wurde und bloss die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 123 IV 128 S. 129
Am Abend des 13. Dezember 1994 setzte D. den seit mehreren Monaten wegen familiärer Schwierigkeiten gehegten Plan, in der ehelichen Wohnung im Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses in N. einen Brand zu legen, in die Tat um. Die sich im Zeitpunkt des Brandausbruchs in ihrer Wohnung im ersten Obergeschoss aufhaltende X. konnte das Haus verlassen. Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach D. am 22. März 1996 der (qualifizierten) Brandstiftung im Sinne von
Art. 221 Abs. 1 und 2 StGB
schuldig.
D. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Geschworenengerichts sei aufzuheben und die Sache zur Ausfällung eines neuen Urteils wegen einfacher Brandstiftung im Sinne von
Art. 221 Abs. 1 StGB
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 123 IV 128 S. 130
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Anwendung von
Art. 277 BStP
gut
Erwägungen
aus folgender Erwägung:
2.
a) Wer vorsätzlich zum Schaden eines anderen oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht, wird mit Zuchthaus bestraft (
Art. 221 Abs. 1 StGB
). Bringt der Täter wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren (
Art. 221 Abs. 2 StGB
). Der qualifizierte Tatbestand von Abs. 2 setzt voraus, dass Leib und Leben von Menschen tatsächlich konkret gefährdet wurden; eine bloss abstrakte Gefahr reicht nicht aus. Erforderlich ist zudem, dass der Täter im Sinne des direkten Vorsatzes um diese konkrete Gefährdung weiss und sie auch will; es genügt mithin nicht, dass er im Sinn des Eventualvorsatzes eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben für möglich hält und sie in Kauf nimmt. Wer aber mit Wissen und Willen einen Zustand schafft, aus dem sich eine Gefahr ergibt, die er kennt, der will notwendig auch diese Gefahr (zum Ganzen
BGE 117 IV 285
;
BGE 106 IV 127
E. 4 S. 131 f.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT II, 4. Aufl. 1995, § 28 N. 20; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Aufl. 1996, S. 33 f.).
Die bei den konkreten Gefährdungsdelikten vorausgesetzte Gefahr ist gegeben, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsguts besteht (
BGE 94 IV 60
E. 2 S. 62;
BGE 106 IV 12
E. 2a S. 14;
BGE 111 IV 51
E. 2 S. 55;
BGE 121 IV 67
E. 2b/aa S. 70; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 5. Aufl. 1995, § 4 N. 8, zu
Art. 129 StGB
). Die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsgutes und damit die konkrete Gefahr können indessen mehr oder weniger gross bzw. nahe sein. Welche Anforderungen an die Nähe der bei einem konkreten Gefährdungsdelikt erforderlichen Gefahr zu stellen sind, hängt auch von der Strafdrohung ab (s. dazu
BGE 121 IV 67
E. 2d S. 74). Angesichts der vergleichsweise hohen Strafandrohung von drei bis zwanzig Jahren Zuchthaus in
Art. 221 Abs. 2 StGB
ist für diesen Tatbestand eine grosse Wahrscheinlichkeit der Verletzung von Leib und Leben und damit eine nahe Gefahr erforderlich. Dies rechtfertigt sich auch deshalb, weil
Art. 221 Abs. 2 StGB
nach der Rechtsprechung (
BGE 85 IV 130
E. 1;
BGE 117 IV 285
) keine Gemeingefahr voraussetzt und schon im Falle der Gefährdung einer einzigen, individuell bestimmten Person erfüllt sein kann.
BGE 123 IV 128 S. 131
Die Verurteilung wegen qualifizierter Brandstiftung gemäss
Art. 221 Abs. 2 StGB
als vollendete Tat setzt voraus, dass durch die vom Täter mit Wissen und Willen verursachte Feuersbrunst, so wie sie sich ereignet hat, tatsächlich Leib und Leben von Menschen im genannten Sinn konkret gefährdet worden sind und dass der Täter diese Gefährdung gekannt und gewollt hat. Es genügt nicht, dass Menschen gefährdet worden wären, wenn das Feuer später, als es tatsächlich geschah, entdeckt bzw. gelöscht worden wäre. Massgebend ist insoweit nicht, was alles hätte geschehen können, sondern einzig, was sich tatsächlich ereignet hat. Wurde etwa dank rascher Hilfeleistung niemand konkret gefährdet, so kommt, sofern die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, allenfalls eine Verurteilung wegen versuchter qualifizierter Brandstiftung (s. nachstehend lit. b) in Betracht.
b) Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, ob der Täter, wenn niemand konkret gefährdet wurde und bloss die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, nicht wegen Versuchs der qualifizierten Brandstiftung, sondern nur wegen vollendeter einfacher Brandstiftung schuldig zu sprechen ist.
Das Bundesgericht hat festgehalten, der Qualifikationsgrund von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
(SR 812.121) sei eine Strafzumessungsregel, während die allgemeinen Regeln über den Versuch (
Art. 21 ff. StGB
) die Frage der Strafbarkeit beträfen (
BGE 122 IV 360
E. 2b). Daraus darf nicht hergeleitet werden, dass bei qualifizierten Tatbeständen ein strafbarer Versuch grundsätzlich ausgeschlossen ist. Vielmehr ist diese Frage von Fall zu Fall besonders zu prüfen. Für die hier zu beurteilende Brandstiftung ergibt sich dabei folgendes: Nach dem Grundtatbestand macht sich strafbar, wer zum Schaden eines anderen oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr handelt. Der qualifizierte Tatbestand von
Art. 221 Abs. 2 StGB
dagegen schützt darüber hinaus ein weiteres Rechtsgut, nämlich Leib und Leben von Menschen. Im Unterschied zur Strafzumessungsregel des
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
kann
Art. 221 Abs. 2 StGB
demnach als dritte Variante der strafbaren vorsätzlichen Brandstiftung aufgefasst werden, womit dieser Bestimmung selbständige Bedeutung zukommt (JÖRG REHBERG, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 33). Ebenso wie beim Raub die Möglichkeit des Versuchs des qualifizierten Tatbestandes bejaht wurde (
BGE 120 IV 113
), ist deshalb bei der qualifizierten Brandstiftung eine versuchte Tatbegehung möglich. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
9953754d-6ca7-4455-b3df-6341be4ae3d4 | Urteilskopf
112 Ib 13
4. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. Januar 1986 i.S. IKEA-Lager + Service AG gegen Eidg. Finanzdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 42 Abs. 1 ZG
,
Art. 82 Abs. 1 ZV
; Bewilligung für den Betrieb eines firmenspezifischen Zollfreilagers.
Können die entscheidrelevanten Kriterien nicht der Rechtsordnung entnommen werden, so liegt die Bewilligungserteilung im Ermessen der Verwaltung (E. 4).
Ist an der Errichtung eines Zollfreilagers nur eine einzelne Unternehmung interessiert, so fehlt in der Regel ein allgemeines wirtschaftliches Interesse im Sinne von
Art. 42 Abs. 1 ZG
. In dieser Hinsicht ist unerheblich, dass mit einem neuen Zollfreilager Arbeitsplätze geschaffen würden und mit höheren Steuereinnahmen gerechnet werden kann (E. 5a). | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 112 Ib 13 S. 14
Die IKEA-Lager + Service AG mit Sitz in Sissach (nachfolgend IKEA genannt) gehört zum IKEA-Konzern, welcher in mehreren westeuropäischen Ländern sowie in Kanada Möbelverkaufsgeschäfte betreibt.
Die IKEA plant in Itingen/BL den Bau eines mehrgliedrigen Lager- und Verwaltungsgebäudes. Das Lager ist vorwiegend dazu bestimmt, Möbel aus Süd- und Osteuropa aufzunehmen. Vom jährlichen Lagerumsatz (ca. 260'000 m3) sollen rund 90'000 m3 aus Spanien, Italien und Frankreich stammen. Weitere 90'000 m3 werden in der DDR, Jugoslawien und Ungarn hergestellt. Die ebenfalls eingelagerten Kleinartikel und Textilien haben ihren Ursprung in Portugal sowie im Fernen Osten.
Das neue Lager wird vorwiegend Transitfunktionen übernehmen, denn 91% des Volumens sind für die Verkaufsgeschäfte in der Bundesrepublik Deutschland, Holland, Frankreich und Österreich bestimmt. Lediglich 9% sollen in der Schweiz abgesetzt werden. Nach Auffassung der IKEA kann die Anlage die ihr zugedachte Hauptaufgabe einer Nachschubbasis für die erwähnten Länder nur erfüllen, wenn ihr der Status eines Zollfreilagers zuerkannt werde; das Vorhaben sei wirtschaftlich nur tragbar, wenn die aus Süd- und Osteuropa stammenden, in der Schweiz an sich zollpflichtigen Möbel, unverzollt wieder ausgeführt werden könnten.
BGE 112 Ib 13 S. 15
Mit Verfügung vom 1. März 1985 lehnte es das Eidgenössische Finanzdepartement ab, der IKEA den Betrieb eines firmenspezifischen Zollfreilagers zu bewilligen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, "rein kapazitätsmässig" sei ein allgemeines wirtschaftliches Bedürfnis nach einem weiteren Zollager, wie es von Art. 42 Abs. 1 des Zollgesetzes (ZG; SR 631.0) gefordert werde, "nicht unbedingt gegeben". In den öffentlichen Freilagern der Nordschweiz stünden genügend Landreserven zur Verfügung, auf denen sich das Projekt realisieren lasse. Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen wirtschaftlichen Bedürfnisses sei unerheblich, ob sich das Vorhaben günstig auf die Beschäftigungssituation und die strukturelle Gliederung der Standortregion sowie die Fiskaleinnahmen der interessierten Gemeinwesen auswirke. Würde der IKEA eine Bewilligung erteilt, so müsste ähnlichen Begehren anderer Unternehmen ebenfalls nachgegeben werden. Ausserdem hätten sich die von der Oberzolldirektion befragten Stellen mehrheitlich gegen die Schaffung eines firmeneigenen Zollagers der IKEA ausgesprochen.
In ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt die IKEA die Aufhebung der Verfügung des Eidgenössischen Finanzdepartements, die Erteilung der nachgesuchten Freilagerbewilligung sowie - eventualiter - die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann gerügt werden, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt fehlerhaft ermittelt oder Bundesrecht verletzt. Als Rechtsverletzung gilt u.a. auch der Missbrauch oder die Überschreitung des Ermessens. Dagegen kann der Einwand der Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung nur in einigen wenigen - hier nicht zutreffenden - Fällen erhoben werden (
Art. 104 lit. a-c OG
).
Die für die materielle Beurteilung des vorliegenden Falles massgebenden Rechtssätze lauten wie folgt:
Art. 42 Abs. 1 ZG
Zur Lagerung unverzollter Güter kann das Eidgenössische Finanz- und Zolldepartement Bahnverwaltungen und Lagerhausgesellschaften Zollager (Zollfreibezirke und eidgenössische Niederlagshäuser) bewilligen, wenn ein allgemeines wirtschaftliches Bedürfnis besteht, so vor allem für die Wiederausfuhr oder eine noch ungewisse Bestimmung der Waren. Die
BGE 112 Ib 13 S. 16
Bewilligung kann mit Auflagen verbunden und von finanziellen Leistungen abhängig gemacht werden.
Art. 82 Abs. 1 ZV
Zollager (Zollfreibezirke und eidgenössische Niederlagshäuser) im Sinne von Artikel 42 ZG werden bewilligt, wenn das Bedürfnis nachgewiesen und Gewähr geboten ist, dass das Lager jedermann unter gleichen Voraussetzungen offensteht. Auf die Erfüllung der zweitgenannten Bedingung kann mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse ausnahmsweise verzichtet werden. Zur Bedürfnisfrage werden nötigenfalls die interessierten Wirtschaftskreise angehört.
3.
Nach
Art. 42 Abs. 1 ZG
können nur Bahnverwaltungen und Lagerhausgesellschaften in den Genuss einer Bewilligung gelangen. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber den Betrieb von Zollagern solchen Gesellschaften vorbehalten, die den Zugang für jedermann unter den gleichen Bedingungen gewährleisten (BBl 1972 II 232). Aufgrund der Gesetzesmaterialien bestehen keine Anhaltspunkte, dass Bewilligungen auch an Firmen erteilt werden können, welche sie nur beanspruchen, um die Lagerung und Verteilung der eigenen Waren nach rationellen Gesichtspunkten organisieren zu können. Es erscheint deshalb als fraglich, ob der Bundesrat überhaupt befugt war, in die Zollverordnung - einer blossen Vollzugsverordnung - eine Bestimmung aufzunehmen, die es ermöglicht, einen der Zwecke von
Art. 42 Abs. 1 ZG
- die Offenhaltung der Zollager für jedermann - zu vereiteln. Des weitern ist im vorliegenden Fall offen, ob die Beschwerdeführerin, bei der es sich nicht um eine Bahnverwaltung handelt, als Lagerhausgesellschaft betrachtet werden kann. Als solche könnte sie nur gelten, wenn ihr Zweck darin bestünde, das sog. Lagergeschäft zu betreiben, d.h. sich öffentlich zur Aufbewahrung von Gütern anzubieten (vgl.
Art. 482 Abs. 1 OR
; BLUMENSTEIN, Grundzüge des schweizerischen Zollrechts, S. 85). Diese Fragen brauchen indessen nicht weiter geprüft zu werden, wenn sich erweist, dass das Gesetz die Erteilung der Bewilligung ins Ermessen des Eidgenössischen Finanzdepartements stellt und dessen Ermessensbetätigung im vorliegenden Fall nicht gegen Bundesrecht verstösst.
4.
Nach dem Wortlaut von
Art. 42 Abs. 1 ZG
kann das Eidgenössische Finanzdepartement Zollager bewilligen. Welcher Ermessensspielraum damit der Behörde eingeräumt ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.
Die geltende Fassung dieser Gesetzesvorschrift geht zurück auf die Änderung vom 6. Oktober 1972. Eines der Ziele der Revision bestand darin, das Verfahren beweglicher zu gestalten, um für die
BGE 112 Ib 13 S. 17
sich rasch ändernden Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse zweckmässige Zollösungen zu ermöglichen (BBl 1972 II 229). Den Voten der Kommissionssprecher in den eidg. Räten ist zu entnehmen, dass mit der Neuformulierung von bisher allzu rigorosen Vorschriften Ermessensspielräume geschaffen werden sollten (Amtl. Bulletin 1972 NR S. 1530, SR S. 658). Ob die neuen Bestimmungen dieser Zielsetzung in allen Belangen gerecht werden, kann dahingestellt bleiben; eine Lockerung trat jedoch insofern ein, als die Errichtung von Zollagern seither nicht mehr auf wichtige Handelsplätze und Orte mit Hauptzollämtern beschränkt ist (vgl. aArt. 82 ZV), sondern überall möglich sein soll, wo sich ein allgemeines wirtschaftliches Bedürfnis manifestiert.
Durch die Änderung wurde demnach die Zahl der möglichen Standorte von Zollagern erheblich erweitert. Die Natur der vom Eidgenössischen Finanzdepartement zu treffenden Bewilligungsentscheide erfuhr indessen keine Veränderung. Die Verwaltung hat nach wie vor aufgrund von Zweckmässigkeitsüberlegungen zu entscheiden, ob überhaupt ein neues Lager eröffnet werden darf. Sie kann sich dabei von Kriterien leiten lassen, die sich rechtlicher Überprüfung weitgehend entziehen. Es ist mithin keine Rechtsfrage, ob sich das von einem Gesuchsteller geplante Zollager mit den Grundsätzen einer rationellen Verwaltung sowie mit den Erfordernissen der Zollsicherheit vereinbaren lässt oder ob ein ausreichendes wirtschaftliches Bedürfnis besteht. Können aber die entscheidrelevanten Kriterien nicht der Rechtsordnung entnommen werden, so liegt die Bewilligungserteilung im Ermessen der Verwaltung. Diese Wahlfreiheit zwischen Gutheissung und Abweisung eines Gesuchs - in der Literatur als Entschliessungsermessen bezeichnet - schliesst einen unbedingten Rechtsanspruch auf Bewilligungserteilung zum vornherein aus (vgl. zum Begriff des Entschliessungsermessens: IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl. S. 405; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. S. 304). Die beschränkte Justitiabilität bewirkt, dass das Bundesgericht, das den angefochtenen Entscheid in erster Linie auf seine Rechtmässigkeit hin prüfen muss (
Art. 104 lit. a OG
), nur Grund zum Einschreiten hat, wenn der behördliche Ermessensspielraum überschritten oder missbraucht wurde. Ob dies im vorliegenden Fall zutrifft, ist im folgenden zu untersuchen.
5.
a) Bevor entschieden werden kann, ob die Vorinstanz ihr Ermessen bei der Beurteilung der Intensität des Bedürfnisses nach Zollagerraum gesetzmässig ausgeübt hat, muss geprüft werden, ob
BGE 112 Ib 13 S. 18
ihrer Auslegung des Begriffs des allgemeinen wirtschaftlichen Bedürfnisses gefolgt werden kann. In dieser Hinsicht kann die Auffassung des Eidgenössischen Finanzdepartementes nicht beanstandet werden, wonach das Interesse einer einzelnen Unternehmung zum vornherein nicht ausreiche, um ein allgemeines wirtschaftliches Bedürfnis zu bejahen, denn Zollager müssen grundsätzlich jedermann offenstehen und dürfen nur in Ausnahmefällen einem oder mehreren bestimmten Benützern vorbehalten werden (BBl 1972 II 232). Daran vermögen auch die Einwände der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, wonach sich die wirtschaftliche Bedeutung des Projekts in der Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze und dem Ausmass der voraussichtlichen fiskalischen Vorteile zeige. Diese Auswirkungen sind zwar klarerweise wirtschaftlicher Natur, haben aber mit der hier zu entscheidenden Frage direkt nichts zu tun. Unter dem Gesichtswinkel von
Art. 42 ZG
kann nämlich nur von Bedeutung sein, ob ein wirtschaftliches Bedürfnis nach einem Zollager besteht, nicht jedoch, ob in einem bestimmten Wirtschaftsraum aus strukturellen Gründen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen oder ob mit höheren Steuereinnahmen gerechnet werden kann. Die Vorinstanz hat daher dem Begriff des allgemeinen wirtschaftlichen Bedürfnisses keinen unzutreffenden Sinngehalt beigelegt.
b) Weder das Zollgesetz noch die Zollverordnung geben Anhaltspunkte dafür, wann von einem ausreichenden wirtschaftlichen Bedürfnis gesprochen werden kann. Da das Bundesgericht nicht besser als die Verwaltung befähigt ist, die in dieser Hinsicht zu stellenden Anforderungen zu definieren, muss der Vorinstanz ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden werden (vgl. GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. I, S. 334).
Das Eidgenössische Finanzdepartement vermag aus den eingeholten Stellungnahmen der interessierten Wirtschaftskreise und Behörden kein allgemeines Bedürfnis nach zusätzlichem Zollagerraum herauszulesen. Es ist der Auffassung, die in den Lagern Basel-Dreispitz, Schaffhausen und insbesondere Embrach vorhandene Reserve reiche aus, um den Bedarf der Beschwerdeführerin sowohl qualitativ wie quantitativ abzudecken. Das Departement stützt sich dabei vorwiegend auf die Äusserungen des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, der Vereinigung der Schweizerischen Freilager und des Verbandes Schweizerischer Lagerhäuser. Den Stellungnahmen des Regierungsrates und der Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion des Kantons Baselland kann das Departement
BGE 112 Ib 13 S. 19
deshalb nicht folgen, weil diese ausschliesslich fiskalische und beschäftigungspolitische Überlegungen enthalten.
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, die Vorinstanz habe mit der Feststellung, es fehle der Nachweis eines allgemeinen wirtschaftlichen Bedürfnisses nach zusätzlichem Zollfreilagerraum, ihr Ermessen überschritten oder missbraucht, denn aufgrund der eingeholten Stellungnahmen bestehen sowohl Anhaltspunkte für ein ausreichendes wie für ein (für spezifische Wünsche der Beschwerdeführerin) ungenügendes Raum- bzw. Flächenangebot. Wenn sich die Vorinstanz auf den Standpunkt stellt, das Bedürfnis der Beschwerdeführerin könne mit den vorhandenen Einrichtungen im Raum Nord- bzw. Ostschweiz gedeckt werden, so vermag sie sich dabei auf die Aussagen namhafter Wirtschaftskreise zu stützen. Das Bundesgericht hat keine Veranlassung, diese Feststellung, welche sich im Rahmen des der Vorinstanz zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums bewegt, in Zweifel zu ziehen. Dies umso weniger, wenn berücksichtigt wird, dass vom geplanten Bauvolumen von 42'000 m3 nur 17'000 m3 für den zollfreien Warenverkehr benötigt werden, die restlichen 25'000 m3 jedoch für die Transitlagerung von Möbeln aus dem EG-/EFTA-Raum bestimmt sind, die mittels Warenverkehrsbescheinigungen abgefertigt werden können.
Die Beschwerdeführerin wendet gegen diese Berechnung der Vorinstanz zwar ein, sie beruhe auf Annahmen in bezug auf die gegenwärtige Situation, welche sich aufgrund wirtschaftlicher oder politischer Entwicklungen rasch verändern könne. Dem Grundsatz nach widerlegt sie die Berechnung indes nicht. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass - jedenfalls zur Zeit - nicht einmal die Hälfte des geplanten Volumens für die Zollagerung benötigt wird. Die Vermutung, die nachgesuchte Bewilligung besitze für die Beschwerdeführerin nicht die von dieser behauptete Bedeutung, wird ferner gestützt durch die Tatsache, dass mit den Bauarbeiten bereits vor Abschluss des vorliegenden Verfahrens begonnen wurde. Wenn das Interesse der Beschwerdeführerin am Lager Itingen tatsächlich vorwiegend von der Zollagerbewilligung abhinge, so hätte sie mit der Ausführung des Vorhabens, welches Kosten von ca. Fr. 60 Mio. auslöst, mit Sicherheit zugewartet.
c) Im Zusammenhang mit der Bedürfnisabklärung durch die Vorinstanz erhebt die Beschwerdeführerin die Rüge der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung. Der angefochtene Entscheid erging vor allem gestützt auf das Ergebnis der Umfrage unter den interessierten
BGE 112 Ib 13 S. 20
Wirtschaftskreisen. Diese Stellungnahmen waren genügend und geeignet, um festzustellen, ob ein ausreichendes Bedürfnis besteht und ob dieses durch das vorhandene Angebot qualitativ wie quantitativ befriedigt werden kann. Es ist unter den gegebenen Umständen nicht ersichtlich, welche zusätzlichen Erhebungen noch nötig gewesen wären.
6.
Das Eidgenössische Finanzdepartement begründet seinen Entscheid u.a. damit, dass der Zollverwaltung aus dem Betrieb eines zusätzlichen Freilagers Belastungen erwüchsen, denen zu begegnen sie nicht in der Lage wäre. Mit dem derzeitigen Personalbestand könne die dauernde Überwachung einer solchen Anlage nicht gewährleistet werden und die Bereitstellung von sieben bis neun zusätzlichen Beamten sei angesichts des Personalstopps ausgeschlossen.
Die Zollverwaltung hat die ihr durch Gesetz übertragenen Aufgaben ohne Einschränkung zu erfüllen. Liegt aber die Übernahme weitere Aufgaben in ihrem Ermessen, so ist sie befugt und verpflichtet, auch die personellen und organisatorischen Auswirkungen zu berücksichtigen. In dieser Beziehung vermag das Bundesgericht nicht abzuschätzen, welche Konsequenzen sich aus einer Zollagerbewilligung ergäben. Da es sich um rein technische und administrative Fragen handelt und die Zollverwaltung allein die Verantwortung für den lückenlosen Zollbezug trägt, muss ihr auch hier ein breiter Beurteilungs- und Ermessensrahmen zugestanden werden. Im vorliegenden Fall bestehen keine Anhaltspunkte, die den von der Vorinstanz errechneten Personalbedarf in Frage zu stellen vermöchten. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
99542d4b-8664-4a0d-9182-866041e252af | Urteilskopf
100 III 79
21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Mai 1974 i.S. Amincor Bank AG gegen National Bank of North America. | Regeste
Arrestierung eines Kontokorrentguthabens.
1. Die Saldierung des Kontos gegenüber dem Betreibungsamt hat keine Neuerung im Sinne von
Art. 117 Abs. 2 OR
zur Folge (Erw. 3).
2. Wird ein Kontokorrentguthaben arrestiert, so sind bei der Berechnung des Saldos auch solche Posten zu berücksichtigen, die im Zeitpunkt des Arrestes noch nicht gebucht waren, sofern der Rechtsgrund für die entsprechende Buchung damals schon bestand (Erw. 4).
3. Die Anerkennung des Kontokorrentsaldos schliesst die Geltendmachung von versehentlich nicht in die Saldoberechung einbezogenen Posten nicht aus (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 80
BGE 100 III 79 S. 80
Aus dem Tatbestand:
A.-
Die Amincor Bank AG (im folgenden als Amincor bezeichnet), die ihren Hauptsitz in Zürich hat und eine Filiale in Chiasso unterhält, eröffnete einem gewissen Hector Lopez Fontana auf dessen Gesuch vom 2. November 1972 hin ein Kontokorrentkonto. Am 14. November 1972 ging bei der Filiale Chiasso eine Zahlungsanweisung der Chemical Bank New York zugunsten von Hector Lopez Fontana ein, lautend auf den Betrag von US$7500.--. Es war darin vermerkt, die Anweisung erfolge im Auftrag des Generalkonsulates von Uruguay in New York; zwecks Rückerstattung der Auszahlung werde der Amincor ein entsprechender Betrag in Dollar gutgeschrieben ("We credit your dollar account"). Die Filiale Chiasso zahlte Hector Lopez Fontana als Gegenwert des angewiesenen Dollar-Betrages gleichentags Fr. 28 458.70 aus und ersuchte die Chemical Bank brieflich um Überweisung des Betrages auf ihr Konto bei der Schweizerischen Kreditanstalt in New York.
Der Hauptsitz der Amincor in Zürich schrieb dem Konto von Hector Lopez Fontana am gleichen 14. November 1972 einen Betrage von US$9494.65 gut, und zwar auf Grund einer von der National Bank of North America (im folgenden National Bank genannt) zu dessen Gunsten eingegangenen Überweisung. Von dieser Zahlung hatte die Filiale Chiasso der Amincor, die sich beim Hauptsitz in Zürich erkundigt
BGE 100 III 79 S. 81
hatte, Kenntnis, als sie den Gegenwert für den von der Chemical Bank angewiesenen Dollarbetrag an Fontana auszahlte. Später stellte sich heraus, dass die Überweisung der National Bank auf Grund eines gefälschten Auftrages erfolgt war.
Am 28. November 1972 erhielt die Filiale Chiasso der Amincor ein Telegramm der Chemical Bank des Inhalts, die Zahlungsanweisung zugunsten von Hector Lopez Fontana stamme nicht von ihr und erscheine als betrügerisch; eine Untersuchung sei im Gange. Dieses Telegramm gab der Amincor Anlass zur Stornierung der Gutschrift, die sie seinerzeit auf Grund der Zahlungsanweisung der Chemical Bank zugunsten von Hector Lopez Fontana vorgenommen hatte. Infolge angeblicher Arbeitsüberlastung erfolgte die Stornierung durch die Filiale Chiasso erst am 22. Januar 1973. Vorher hatte der Hauptsitz der Amincor in Zürich offenbar keine Kenntnis davon, dass die Grundlage dieser Gutschrift dahingefallen war.
B.-
Inzwischen hatte die National Bank gegen Hector Lopez Fontana für eine Forderung von ca. Fr. 45 000.-- wegen der betrügerisch veranlassten Überweisung einen Arrestbefehl erwirkt. Das Betreibungsamt Zürich 2 gab dem Hauptsitz der Amincor mit Anzeige vom 10. Januar 1973 von diesem Arrest Kenntnis und eröffnete ihr, dass sämtliche Guthaben und Vermögenswerte des Arrestschuldners, so unter anderem auch Kontokorrentguthaben, für die Arrestforderung mit Beschlag belegt seien. Es forderte die Bank unter Strafandrohung im Sinne von
Art. 292 StGB
auf, ihm die Arrestobjekte oder die zu ihrem Nachweis erforderlichen Unterlagen vorzulegen und "ohne Nachteil für Ihre Rechte, die uns sofort substanziert bekanntzugeben sind, zur Verfügung zu stellen...".
Mit Schreiben vom 11. Januar 1973 teilte die Amincor dem Betreibungsamt mit, der Saldo des Guthabens des Arrestschuldners per 10. Januar 1973 betrage Sfr. 385.-- und US$9494,65; diesen Betrag abzüglich Kommissionen und Spesen habe sie auf das Konto des Betreibungsamtes bei der Zürcher Kantonalbank in Zürich überwiesen; sie betrachte damit die Angelegenheit als erledigt.
Nachdem die Amincor entdeckt hatte, dass sie bei der Berechnung des dem Betreibungsamt mitgeteilten und bereits ausbezahlten Saldos die Stornierung der Gutschrift im Zusammenhang
BGE 100 III 79 S. 82
mit der Zahlungsanweisung der Chemical Bank nicht berücksichtigt hatte, schrieb sie dem Betriebungsamt am 25. und 30. Januar 1973, es treffe nicht zu, dass die Angelegenheit Fontana für sie erledigt sei, wie sie im Schreiben vom 11. Januar 1973 irrtümlicherweise ausgeführt habe; sie mache vielmehr den Betrag von US$7500.-- oder Fr. 28 575.-- (Valuta 14. November 1972) verrechnungsweise geltend.
Da die National Bank das Verrechnungsrecht der Amincor bestritt, setzte das Betreibungsamt der letztern Frist zur Klage gemäss
Art. 107 SchKG
an. Als Arrestgegenstand wurden in der betreibungsamtlichen Verfügung die "beim Schuldner Hector Lopez Fontana arrestierten Guthaben von Fr. 35 619.95 und Fr. 220.40" bezeichnet.
C.-
Die Amincor reichte hierauf beim Einzelrichter im beschleunigten Verfahren des Bezirkes Zürich gegen die National Bank Widerspruchsklage ein mit folgendem Rechtsbegehren:
"Es sei festzustellen, dass das Eigentum an dem durch die Beklagte bei der Klägerin arrestierten Betrage von US$9486.-- im Umfange von US$7500.-- bzw. SFr. 28 575.-- (Valuta 14. November 1972) der Klägerin zusteht."
Der Einzelrichter wies die Klage mit Urteil vom 29. August 1973 ab.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid auf Berufung der Klägerin hin mit Urteil vom 30. Oktober 1973.
D.-
Gegen dieses Urteil reichte die Klägerin Berufung an das Bundesgericht ein und beantragte darin die Gutheissung ihrer Klage.
Die Beklagte stellte Antrag auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Vorinstanz hat festgestellt und es ist auch nicht streitig, dass zwischen der Klägerin und dem Arrestschuldner ein Kontokorrentvertrag abgeschlossen wurde, der ungeachtet der verschiedenen Kontonummern ein einziges, sämtliche Gutschriften und Belastungen umfassendes Kontokorrentverhältnis begründete. Streitig ist hingegen, welche Wirkung die Mitteilung und Überweisung des Kontokorrentsaldos durch
BGE 100 III 79 S. 83
die Klägerin hatte. Die Vorinstanz nahm an, die Saldierung gegenüber dem Betreibungsamt sei derjenigen gegenüber dem Kontoinhaber gleichzusetzen; weil anlässlich der Abrechnung und Saldoüberweisung vom 11. Januar 1973 der streitige Betrag von US$7500.-- dem Konto des Arrestschuldners nicht belastet und somit nicht in die Verrechnung einbezogen worden sei, könne diese Forderung nachträglich nicht mehr mit dem arrestierten Guthaben verrechnet werden.
Der Kontokorrentvertrag besteht nach herrschender Auffassung in der Abrede zweier in einem gegenseitigen Abrechnungsverhältnis stehender Personen, alle von diesem Verhältnis erfassten Forderungen bis zum Abrechnungstermin zu stunden und weder abzutreten noch separat geltend zu machen, sondern nur als Rechnungsposten für die Ermittlung des Saldos zu behandeln. Er enthält einen Verrechnungsvertrag, gemäss welchem ohne Verrechnungserklärung alle vom Kontokorrentverhältnis erfassten beidseitigen Forderungen entweder laufend oder am Ende der Rechnungsperiode automatisch verrechnet werden (vgl. zum Begriff und zu den Wirkungen des Kontokorrentvertrages
BGE 53 II 339
f.,
BGE 44 II 135
und 261,
BGE 41 III 218
,
BGE 40 II 411
,
BGE 29 II 335
Erw. 5; VON TUHR/SIEGWART, II, S. 626/27 und 652/653; BECKER, N. 1 ff. zu
Art. 117 OR
; OSER-SCHÖNENBERGER, N. 2 ff. zu Art. 117 und N. 7 zu
Art. 124 OR
; BEAT KLEINER, Die allgem. Geschäftsbedingungen der Banken, Giro- und Kontokorrentvertrag, S. 79 ff. mit Zitaten).
Art. 117 OR
bestimmt in Absatz 1 und 2, dass die Einsetzung der einzelnen Posten in den Kontokorrent keine Neuerung zur Folge habe, wohl aber die Ziehung und Anerkennung des Saldos.
Eine Neuerung im Sinne von
Art. 117 Abs. 2 OR
wurde durch die Saldierung des Kontokorrentkontos gegenüber dem Betreibungsamt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bewirkt. Eine solche hätte nur durch Anerkennung des Saldos seitens des Vertragspartners der Klägerin, also des Arrestschuldners Fontana, erfolgen können. Das Betreibungsamt trat mit dem Arrestvollzug nicht einfach in dessen Rechtsstellung ein. Die einzige materiell-rechtliche Auswirkung des Arrestes auf das Kontokorrentverhältnis bestand darin, dass die Klägerin ihre Schuld aus diesem Vertragsverhältnis nur noch durch Zahlung an das Betreibungsamt rechtsgültig tilgen konnte (Art. 99 in Verbindung mit
Art. 275 SchKG
). Befreiende
BGE 100 III 79 S. 84
Wirkung kam der Zahlung der Klägerin aber nur in dem Umfange zu, in welchem dem Arrestschuldner im Zeitpunkt des Arrestvollzuges überhaupt eine Forderung gegenüber der Klägerin zustand. Darüber hinaus konnte der Arrest keine Wirkungen entfalten. Sollte die Klägerin dem Betreibungsamt daher mehr bezahlt haben, als sie aus dem Kontokorrentverhältnis effektiv schuldete, ist dieser Mehrbetrag richtigerweise aus dem Arrest- oder Pfändungsbeschlag zu entlassen.
4.
Die Vorinstanz ging davon aus, für das Schicksal der Klage entscheidend sei, ob im Zeitpunkt der Saldierung des Kontokorrentguthabens die Verrechnung der streitigen Forderung der Klägerin gegenüber dem Arrestschuldner bereits eingetreten sei, was sie in der Folge verneinte. Sie setzte sich in diesem Zusammenhang nicht mit der Frage auseinander, ob beim Bankenkontokorrent nicht im Unterschied zum gewöhnlichen Kontokorrent die Verrechnung aller gegenseitigen Forderungen laufend erfolge, sobald sich diese verrechenbar gegenübertreten (so KLEINER, a.a.O. S. 82 ff.). Diese Frage kann indessen offen bleiben. Auf den Zeitpunkt des Eintritts der Verrechnung kommt es nämlich im vorliegenden Fall gar nicht an.
Wird eine Forderung arrestiert oder gepfändet, so bleiben dem Schuldner die Einreden erhalten, die der Forderung entgegenstanden (JAEGER, N. 7 zu
Art. 99 SchKG
). Denn die Pfändung bzw. Arrestierung einer Forderung kann die Stellung des Schuldners so wenig verschlechtern wie deren Abtretung (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 15 zu
Art. 169 OR
). Zu den Einreden, die auch gegenüber einer gepfändeten Forderung geltend gemacht werden können, gehört nun insbesondere diejenige der Verrechnung (
BGE 95 II 238
mit Hinweisen: JAEGER, a.a.O.; vgl. auch
Art. 213 SchKG
für den Fall des Konkurses). Dabei ist nicht erforderlich, dass die Verrechnung im Zeitpunkt, als der Drittschuldner vom Arrest Kenntnis erhielt, bereits zulässig und erklärt war. Vielmehr genügt es, wenn der Schuldner in diesem Zeitpunkt die Aussicht hatte, dereinst verrechnen zu können (
BGE 95 II 238
). Voraussetzung dafür ist, dass die Gegenforderung bei der Arrestnahme wenigstens dem Rechtsgrunde nach bereits besteht (FAVRE, Droit des poursuites, 3. Aufl., S. 295; vgl. auch
BGE 44 II 260
; VON/TUHR/SIEGWART, II, S. 815). Bei der Arrestierung eines Kontokorrentguthabens ist demnach entscheidend, ob der
BGE 100 III 79 S. 85
Grund für die Belastung des Kontos mit der in Frage stehenden Gegenforderung schon vor der Arrestlegung entstanden ist. Der Zeitpunkt der Vornahme der entsprechenden Buchung ist dagegen nicht erheblich (SCHLÄPFER, Der Kontokorrentvertrag, Diss. Zürich 1943 S. 129 ff.).
Im deutschen Recht ist diese Regelung übrigens ausdrücklich vorgesehen. § 357 HGB bestimmt nämlich, dass bei Pfändung der Saldoforderung aus einem Kontokorrentverhältnis Schuldposten, die nach der Pfändung durch neue Geschäfte entstehen, nicht in Rechnung gestellt werden können. Präzisierend wird sodann beigefügt: "Geschäfte, die auf Grund eines schon vor der Pfändung bestehenden Rechts oder einer schon vor diesem Zeitpunkte bestehenden Verpflichtung des Drittschuldners vorgenommen werden, gelten nicht als neue Geschäfte im Sinne dieser Vorschrift". Keine neuen Geschäfte sind nach der Lehre insbesondere Rückbelastungen auf Grund von unter Vorbehalt vorgenommenen Gutschriften sowie solche, die infolge Anfechtung eines kontokorrentzugehörigen Geschäftes erfolgen (CANARIS, in Grosskommentar zum HGB, N. 11 zu § 357; SCHLEGELBERGER-HEFERMEHL, N. 7 zu § 357 HGB).
5.
Die Gutschrift zugunsten des Arrestschuldners, welche die Klägerin auf Grund der Zahlungsanweisung der Chemical Bank vornahm, erfolgte unter dem selbstverständlichen Vorbehalt des Eingangs der Zahlung (
BGE 53 II 118
Erw. 3,
BGE 41 III 218
; VON TUHR/SIEGWART, II, S. 629; BECKER, N. 5 zu
Art. 117 OR
). Nach dem Eintreffen des Telegramms der Chemical Bank am 28. November 1972 stand fest, dass mit dem Eingang der Deckung nicht mehr gerechnet werden konnte. Damit war die Grundlage der seinerzeitigen Gutschrift dahingefallen und der Grund für eine entsprechende Belastung des Kontos des Arrestschuldners eingetreten. Dass die Stornierung im Zeitpunkt des Arrestes noch nicht erfolgt war, ändert nach dem Gesagten nichts daran, dass dem Wegfall der fraglichen Gutschrift bei der Berechnung des Saldos gegenüber dem Betreibungsamt hätte Rechnung getragen werden sollen. Der entsprechende Betrag ist daher aus dem Arrest- bzw. Pfändungsbeschlag zu entlassen.
6.
An diesem Ergebnis würde sich übrigens auch dann nichts ändern, wenn die Klägerin gegenüber dem Arrestschuldner den (unrichtigen) Saldo anerkannt hätte und dieser
BGE 100 III 79 S. 86
Saldo arrestiert worden wäre. Denn die Anerkennung des Kontokorrentsaldos hat nicht zur Folge, dass versehentlich nicht in die Saldoberechnung einbezogene Posten schlechthin nicht mehr zu berücksichtigen wären. Vielmehr bleibt dem Schuldner - wie beim Schuldbekenntnis ohne Angabe eines Verpflichtungsgrundes im Sinne von
Art. 17 OR
(vgl. dazu
BGE 96 II 26
,
BGE 75 II 296
Erw. 3a,
BGE 65 II 84
) - die Möglichkeit des Nachweises, dass die anerkannte Schuld in Wirklichkeit nicht bestanden habe. Denn wer eine Schuld anerkennt, tut dies nur in der dem Empfänger erkennbaren Annahme, diese Schuld bestehe (JÄGGI, N. 14 zu
Art. 17 OR
). Dementsprechend ist beim Kontokorrentverhältnis vorauszusetzen, dass die Parteien mit der Anerkennung des Saldos nicht auf die Berücksichtigung von versehentlich nicht gebuchten Posten verzichten wollen (vgl. JÄGGI, N. 106 zu
Art. 965 OR
). Wird die Auszahlung des Kontokorrentsaldos verlangt, so kann der Schuldner daher trotz der Anerkennung geltend machen, der fragliche Posten sei in die Saldoberechnung einzubeziehen. Die gemäss
Art. 117 Abs. 2 OR
mit der Saldoanerkennung verbundene novatorische Wirkung steht dem nicht entgegen (vgl. den Entscheid des Zürcher Handelsgerichts in ZR 1957 Nr. 96). Nicht anders würde es sich verhalten, wenn man der Anerkennung des Saldos abstrakte Wirkung im eigentlichen Sinne zusprechen wollte (vgl. dazu JÄGGI, N. 21 ff. zu
Art. 17 OR
). Denn bei dieser Annahme wäre die eine Partei durch die Nichtberücksichtigung eines Postens bei der Saldierung ungerechtfertigt bereichert, was durch Erhöhung oder Herabsetzung des Saldos ausgeglichen werden müsste (in diesem Sinne VON TUHR/SIEGWART, II, S. 628/629 und die deutsche Lehre, vgl. CANARIS, a.a.O. N. 102 zu § 355 HGB; SCHLEGELBERGER-HEFERMEHL, N. 44 zu § 355 HGB). Da im vorliegenden Fall der Grund für die Berichtigung der Saldoberechnung im Zeitpunkt der Arrestnahme schon bestand, könnte nach dem in Erwägung 4 Gesagten auch dem Arrestgläubiger eine entsprechende Einrede entgegengehalten werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil aufgehoben. In Gutheissung der Klage wird festgestellt,
BGE 100 III 79 S. 87
dass der Klägerin an dem auf Begehren der Beklagten arrestierten, ursprünglich auf US$9486.-- (Fr. 35 619.95) und Fr. 220.40 bezifferten Guthaben des Hector Lopez Fontana im Umfange von Fr. 28 575.-- (US$7500.--, Valuta 14. November 1972) ein den Arrest ausschliessendes Recht zusteht und dass dieser Betrag demzufolge aus der Pfändung zu entlassen ist. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9955b8dd-0eec-4f89-af01-3d9d9f53af88 | Urteilskopf
104 IV 270
62. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Oktober 1978 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 1 und 2 der Verordnung über die Einfuhr ausländischer Banknoten vom 14. April 1976.
Gesetzmässigkeit des generellen Einfuhrverbots für ausländische Banknoten (Erw. 4-7). | Sachverhalt
ab Seite 270
BGE 104 IV 270 S. 270
A.-
a) Gestützt auf Art. 1 und 2 Abs. 2 des BB vom 8. Oktober 1971 über den Schutz der Währung (SR 941.11) erliess der Bundesrat am 14. April 1976 eine Verordnung über die Einfuhr ausländischer Banknoten (AS 1976 I 883). Nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 dieser Verordnung ist es untersagt, ausländische Banknoten im Gegenwert von mehr als Fr. 20'000.- pro Person und Vierteljahr in schweizerisches Zollgebiet einzuführen. Widerhandlungen gegen diese Verordnungsbestimmungen sowie Versuch und Gehilfenschaft sind gemäss Art. 4 und 5 des BB strafbar.
b) In der Zeit vom 21. April bis 29. Juni 1976 führte der in Innsbruck wohnhafte österreichische Staatsangehörige R. unter 15 Malen insgesamt 180,3 Millionen Lire in 1'000-, 2'000- und 5'000- Lirenoten mit seinem Personenwagen von Italien in die Schweiz ein, wo er sie jeweils bei der Bank X. in St. Gallen in 100'000-, 50'000- oder 10'000-Lirenoten umtauschte. Diese
BGE 104 IV 270 S. 271
führte er dann wieder nach Italien aus und wechselte sie dort erneut in kleinere Lirenoten. Da die Bank die kleineren Lirenoten über ihrem Nennwert entgegennahm, ergab sich für R. aus diesen Transaktionen ein Gewinn.
Die Wechselgeschäfte bei der Bank X. wickelte R. stets mit dem Prokuristen B. ab, dem er jeweils telefonisch mitteilte, welchen Betrag an ausländischen Banknoten er zu welchem Zeitpunkt umzutauschen wünsche. B. stellte aufgrund dieser Meldungen die gewünschten grossen Lirenoten bereit, sodass beim Eintreffen des R. in St. Gallen der Geldwechsel in kurzer Zeit abgewickelt werden konnte.
B.-
Mit Strafbescheid vom 3. Januar 1977 sprach das Eidg. Finanz- und Zolldepartement (EFZD) R. der vorsätzlichen Widerhandlung gegen Art. 4 des genannten BB schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 12'000.-. B. wurde der Gehilfenschaft zu den von R. begangenen strafbaren Handlungen schuldig gesprochen und zu Fr. 1'000.- Busse verurteilt. Am 4. April 1977 bestätigte das EFZD auf Einsprache hin den gegen R. und B. ergangenen Strafbescheid.
B. verlangte am 22. April 1977 gerichtliche Beurteilung.
Das Bezirksgericht Unterrheintal sprach B. am 24. August 1977 von der Anklage der Gehilfenschaft zu Widerhandlungen gegen die Verordnung des Bundesrates vom 14. April 1976 frei.
Am 3. Mai 1978 fand jedoch das Kantonsgericht St. Gallen B. dieser Gehilfenschaft schuldig und auferlegte ihm eine bedingt vorzeitig löschbare Busse von Fr. 1'000.-.
C.-
B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft und das EFZD beantragen sinngemäss Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
B. bestreitet die Gesetzmässigkeit von Art. 1 Abs. 1 der VO des Bundesrates. Er macht geltend, die Verordnung stütze sich ausdrücklich auf Art. 1 Abs. 1 des BB, überschreite jedoch mit dem generellen Verbot der Einfuhr ausländischer Banknoten über eine bestimmte kleine Freigrenze hinaus die Delegationsnorm. Aufgrund des Wortlauts von Art. 1 BB und der Gesetzesmaterialien (Botschaft des Bundesrates, BBl 1971 II
BGE 104 IV 270 S. 272
837) habe der Bundesrat lediglich Massnahmen zum Schutz der schweizerischen Währung anordnen dürfen. Das erlassene Einfuhrverbot für ausländische Banknoten sei demnach nur insoweit durch die Delegationsnorm gedeckt, als die eingeführten ausländischen Noten in der Schweiz verblieben bzw. in Schweizer Franken oder in Gold umgetauscht würden. Schweizerische Währung und Wirtschaft würden jedoch in keiner Weise gefährdet, wenn die eingeführten ausländischen Banknoten in der Schweiz bloss in andere Noten der gleichen Währung umgetauscht und sogleich wieder im gleichen Betrag ins Ausland ausgeführt würden. Das generelle Einfuhrverbot für ausländische Banknoten sei deshalb zu weit gefasst und sei - weil über die Delegationsnorm hinausgehend - gesetzwidrig.
3.
Die Rüge wird heute vom Beschwerdeführer erstmals erhoben. Das würde jedoch ihre Prüfung durch das Bundesgericht nur hindern, wenn die Vorinstanz nach kantonalem Prozessrecht die Rechtsfrage mangels Geltendmachung durch eine der Parteien nicht zu prüfen hatte und sie aus diesem Grund offen geblieben wäre. In solchen Fällen kann sich auch der Kassationshof mangels eines letztinstanzlichen Urteils im betreffenden Punkte mit der Frage nicht befassen (
BGE 102 IV 106
,
BGE 87 IV 102
). So verhielt es sich hier nicht. Das Kantonsgericht St. Gallen hatte als Berufungsinstanz geurteilt, und das sanktgallische Gesetz über die Strafrechtspflege enthält in den die Berufung regelnden Bestimmungen der Art. 180-189 keine Vorschrift, welche dem Gericht vorschriebe, nur die von den Parteien im Berufungsverfahren geltend gemachten Rechtsfragen zu prüfen. Das Kantonsgericht hat daher die Frage nicht deshalb nicht erörtert, weil es sie aus solchem prozessualen Grunde nicht hatte prüfen dürfen, sondern weil es deren Prüfung offenbar nicht für nötig erachtet hat oder ihm das Problem überhaupt nicht bewusst geworden ist. Der Kassationshof hat demzufolge auf die Rechtsfrage einzutreten.
4.
Grundlage des Art. 1 Abs. 1 der VO des Bundesrates über die Einfuhr ausländischer Banknoten ist Art. 1 des BB vom 8. Oktober 1971 über den Schutz der Währung. Diese Bestimmung ermächtigt den Bundesrat, in Verbindung mit der Schweizerischen Nationalbank bei schwerwiegender Störung der internationalen Währungsverhältnisse ausserordentliche Massnahmen zu treffen, die er zur Führung einer dem Gesamtinteresse des Landes dienenden Währungspolitik als notwendig
BGE 104 IV 270 S. 273
und unaufschiebbar erachtet, namentlich um den unerwünschten Zufluss ausländischer Gelder abzuwehren und ihren Abfluss zu fördern. Damit bestimmt der BB einerseits den Zweck, dem die zu erlassenden Massnahmen zu dienen haben, und umschreibt anderseits die Voraussetzungen, unter denen der Bundesrat entsprechende Massnahmen anordnen darf. In jeder Hinsicht geschieht dies jedoch in einem weiten Rahmen, wobei es insbesondere dem Ermessen des Bundesrates überlassen wird, über Art und Umfang der Massnahmen zu befinden, die er zur Erreichung des gesetzten Zieles für geeignet und nötig hält. Der Richter, der zu prüfen hat, ob Art. 1 Abs. 1 der VO des Bundesrates dem von Art. 1 Abs. 1 des BB vorgeschriebenen Zweck diene, darf dabei nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle jenes des Bundesrates treten lassen. Vielmehr hat er sich insoweit auf die Prüfung zu beschränken, ob sich der Bundesrat mit dem Erlass von Art. 1 Abs. 1 der VO eines Mittels bedient hat, das objektiv dem durch Art. 1 Abs. 1 des BB verfolgten Zweck zu dienen vermag, d.h. zur Führung einer dem Gesamtinteresse des Landes dienenden Währungspolitik in Zeiten schwerwiegender Störung der Internationalen Währungsverhältnisse überhaupt geeignet ist (s.
BGE 98 IV 135
, 92 IV 109 u.a.m.).
Gleicherweise wird er bei der Prüfung der weiteren Frage Zurückhaltung üben, ob die vom Bundesrat vorgesehene Massnahme dem in der Delegationsnorm verankerten Gebot der Notwendigkeit und Unaufschiebbarkeit genügt; denn auch insoweit räumt das Gesetz dem Bundesrat Ermessen ein ("als notwendig und unaufschiebbar erachtet"). Er wird deshalb das in der Voraussetzung der sachlichen und zeitlichen Erforderlichkeit enthaltene Verbot des Übermasses nur dann als missachtet ansehen, wenn der Bundesrat den besagten Rahmen offensichtlich überschritten hat.
5.
Der Beschwerdeführer bestreitet selber nicht, dass ein Einfuhrverbot für ausländische Banknoten ein an sich geeignetes Mittel ist, in Zeiten gestörter internationaler Währungsverhältnisse die schweizerische Währung gegen spekulative Zuflüsse fremder Gelder zu schützen. Auch stellt er nicht in Abrede, dass Massnahmen solcher Art zur Zeit unaufschiebbar sind, ist doch die internationale Währungslage seit Jahren schwerwiegend gestört mit der Folge einer unverhältnismässigen Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber den meisten
BGE 104 IV 270 S. 274
ausländischen Währungen, insbesondere auch der Lira, und dass deswegen die Schweiz zu einem Anziehungspunkt für spekulative und für die schweizerische Wirtschaft gefährliche Kapitalbewegungen der internationalen Finanz geworden ist.
6.
Dagegen hält B. dafür, dass das Verbot zu weit gehe, weil es keine Rücksicht darauf nehme, ob die eingeführten Gelder auch sogleich wieder ausgeführt würden. Er bestreitet damit implizite die durch die Delegationsnorm geforderte Notwendigkeit eines generellen Verbots der Einfuhr, wie es vom Bundesrat erlassen wurde.
Es mag durchaus zutreffen, dass die sofortige Wiederausfuhr ausländischer Gelder ihre Anlage in der Schweiz verunmöglicht und diesfalls eine Gefahr für die schweizerische Währung nicht geschaffen wird. Um jedoch bei Zulassung der Einfuhr fremder Banknoten volle Gewähr für ihre unmittelbare Wiederausfuhr zu haben, müssten derart weitgehende Kontrollen vorgesehen werden, dass sie mit den der Verwaltung zur Verfügung stehenden Mitteln nicht durchzuführen wären (s. die Vernehmlassung des EFZD S. 3, act. 12). Ohne eine solche Kontrolle aber wäre ein beschränktes Verbot, wie es dem Beschwerdeführer vorschwebt, ein völlig untaugliches Mittel zum Schutz der Schweizer Währung und wäre der Umgehung der Verordnung Tür und Tor geöffnet. Wenn deshalb der Bundesrat die Einfuhr ausländischer Banknoten ohne Rücksicht auf die allfällige Ausfuhr einer gleichwertigen Summe in gleicher Währung verboten hat, so hat er damit eine Lösung getroffen, welche es erlaubt, einen nicht tragbaren Kontrollaufwand zu vermeiden und gleichzeitig den angestrebten Schutz der schweizerischen Währung zu gewährleisten, ohne damit den Rahmen der Delegationsnorm zu sprengen. Das trifft übrigens auch deswegen zu, weil der Bundesrat eine durchaus differenzierte Lösung getroffen hat. Nicht nur hat er die Einfuhr ausländischer Banknoten bloss für Beträge in einem Fr. 20'000.- übersteigenden Masse verboten, sondern das Verbot in seiner Anwendung auf den Einzelfall auch zeitlich begrenzt (Art. 2 VO) und überdies vorgesehen, dass die Nationalbank zur Erleichterung des Fremden-, Waren- und Zahlungsverkehrs die Einfuhr höherer Beträge bewilligen kann. Die Rüge des unzulässigen Übermasses schlägt deshalb nicht durch, zumal die Erleichterung internationaler Spekulationsgeschäfte keinesfalls Anlass sein konnte, das Verbot weiter einzuschränken.
BGE 104 IV 270 S. 275
7.
Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, der Sinn des Art. 1 Abs. 1 der VO könne nur sein, dass einzig die echte Einfuhr ausländischer Banknoten verboten sei, d.h. die Einfuhr ohne unmittelbar anschliessende Ausfuhr des gleichen Geldbetrags in gleicher Währung, denn nur die echte Einfuhr könne die schweizerische Währungspolitik berühren.
Dem kann nicht beigepflichtet werden. Alle ausländischen Banknoten, welche ohne Bewilligung der Nationalbank eingeführt werden, sind potentiell geeignet, in der Schweiz angelegt zu werden und damit das geschützte Rechtsgut, nämlich die schweizerische Währung zu verletzen. Da aber ein solches Risiko bereits in der Tatsache der Einfuhr liegt, wollte mit der genannten Bestimmung auch schon die Gefährdung des geschützten Rechtsgutes und nicht erst die Verwirklichung der Gefahr strafrechtlich erfasst werden. Straftatbestände dieser Art sind denn auch unserer Rechtsordnung durchaus nicht fremd, sondern vielmehr geläufig (z.B.
Art. 204, 244 StGB
,
Art. 1 und 3 ZG
u.a.m.). Im übrigen ist der Delegationsnorm nichts dafür zu entnehmen, dass sie dem Bundesrat verböte, schon die abstrakte Gefährdung der Währung unter Strafe zu stellen. Ist dem aber so, kann nichts darauf ankommen, ob nach der Einfuhr ausländischer Banknoten der gleiche Betrag in gleicher Währung sogleich wieder ausgeführt wird oder nicht; dies umsoweniger, als - wie bereits ausgeführt - eine zuverlässige Kontrolle insoweit nicht besteht und wegen ihres untragbaren Aufwands nicht eingeführt werden kann.
Die Vorinstanz hat deshalb Bundesrecht nicht verletzt, wenn sie die Gehilfenschaft zur Einfuhr im vorliegenden Fall bejahte, ohne Rücksicht darauf, dass R. die eingeführten Geldbeträge in gleicher Währung wieder ausgeführt hat. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99575388-ce4e-4872-bdc4-113a16af6d2a | Urteilskopf
133 V 598
77. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Stiftung X. gegen Bundesamt für Sozialversicherungen sowie Bundesverwaltungsgericht (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_153/2007 vom 15. November 2007 | Regeste
Art. 73 Abs. 1,
Art. 73 Abs. 2 lit. c und
Art. 75 Abs. 1 IVG
(je gültig gewesen bis 31. Dezember 2003);
Art. 100 Abs. 1 lit. b,
Art. 101 Abs. 2,
Art. 106 Abs. 2 und
Art. 107 Abs. 3 IVV
: Betriebsbeiträge an Wohnheime; Nachweis der Invalidität der Heimbewohner.
Während bis Ende 2002 Arztzeugnisse zum Nachweis der Invalidität der Heimbewohner genügten, verlangt das BSV seit 2003 zusprechende Verfügungen der IV-Stellen für Renten oder Eingliederungsmassnahmen.
Diese Praxisänderung ist rechtmässig. Der Umstand, dass erst auf den 1. Januar 2004 mit der 4. IVG-Revision in
Art. 75 Abs. 1 Satz 3 IVG
eine gesetzliche Grundlage für die Befugnis des BSV zur Regelung der Beitragsberechnung und der Einzelheiten der Anspruchsvoraussetzungen geschaffen wurde, ändert nichts an der Gesetzmässigkeit der früheren Regelung (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 599
BGE 133 V 598 S. 599
A.
Am 20./24. Juni 2004 ersuchte die Stiftung X. das Bundesamt für Sozialversicherung (nunmehr Bundesamt für Sozialversicherungen [BSV]) um Gewährung von Betriebsbeiträgen aus Mitteln der Invalidenversicherung für das Rehabilitationszentrum Y. und das Institut Z. für das Jahr 2003. Mit Verfügung vom 7. März 2006 beschied das Bundesamt dieses Gesuch abschlägig. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass in Änderung der bisherigen Praxis ab 2003 nur noch Personen mit einer zusprechenden Verfügung der Invalidenversicherung für eine Rente oder Eingliederungsmassnahme in die Berechnung der Betriebsbeiträge aufgenommen würden, während ein Arztzeugnis keine ausreichende Bescheinigung mehr darstelle. Die Voraussetzungen für die Ausrichtung eines Beitrages für das Jahr 2003, wonach mindestens die Hälfte der Aufenthaltstage auf Personen mit einer durch eine IV-Verfügung ausgewiesenen Behinderung entfallen müssen, sei nicht erfüllt.
B.
Die von der Stiftung X. hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 5. März 2007 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die Stiftung beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien die Betriebskosten für die Therapiezentren Y. und Z. zuzusprechen.
Das BSV verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Laut
Art. 73 Abs. 1 IVG
gewährt die Versicherung Beiträge an die Errichtung, den Ausbau und die Erneuerung von öffentlichen und gemeinnützigen privaten Anstalten und Werkstätten, die in wesentlichem Umfang Eingliederungsmassnahmen durchführen
BGE 133 V 598 S. 600
(Satz 1). Nach
Art. 73 Abs. 2 lit. c IVG
(in der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung) kann die Versicherung Beiträge gewähren an die Errichtung, den Ausbau und die Erneuerung von Wohnheimen zur dauernden oder vorübergehenden Unterbringung von Invaliden und an die dadurch entstehenden zusätzlichen Betriebskosten. Gemäss
Art. 75 Abs. 1 IVG
(in der Fassung bis Ende 2003) setzt der Bundesrat die Höhe der Beiträge gemäss den Artikeln 73 und 74 fest (Satz 1); er kann deren Gewährung von weiteren Voraussetzungen abhängig machen oder mit Auflagen verbinden (Satz 2).
4.2
Nach
Art. 106 Abs. 2 IVV
werden den Wohnheimen Betriebsbeiträge gewährt, welche die Voraussetzungen von
Art. 100 Abs. 1 lit. b IVV
erfüllen, soweit ihnen aus der Unterbringung von Invaliden zusätzliche Betriebskosten entstehen und diese nicht durch individuelle Leistungen der Versicherung sowie durch zweckgebundene Leistungen der öffentlichen Hand gedeckt werden.
Art. 100 Abs. 1 lit. b IVV
verlangt, dass solche Wohnheime überwiegend der Unterbringung von Invaliden dienen. Gemäss
Art. 106 Abs. 2 IVV
werden Betriebsbeiträge gewährt an öffentliche oder gemeinnützige private Wohnheime, die überwiegend der Unterbringung von Invaliden dienen und die hinsichtlich Verkehrslage und Ausstattung den Bedürfnissen der Invaliden entsprechen und deren Eingliederung, Berufsausübung oder Beschäftigung sowie eine sinnvolle Freizeitgestaltung ermöglichen oder erleichtern (Art. 100 Abs. 1 lit. b Satz 1 IVV), soweit ihnen aus der Unterbringung von Invaliden zusätzliche Betriebskosten entstehen und diese nicht durch individuelle Leistungen der Versicherung sowie durch zweckgebundene Leistungen der öffentlichen Hand gedeckt werden können.
Art. 107 IVV
regelt das Verfügungsverfahren. Die Betriebsbeiträge werden nach Vorliegen der revidierten Jahresrechnung ausgerichtet (Abs. 1). Die Beitragsgesuche sind dem Bundesamt innert sechs Monaten nach Ablauf des Rechnungsjahres einzureichen (Abs. 2 Satz 1). Das Bundesamt prüft die Beitragsgesuche und legt die anrechenbaren Kosten sowie die Höhe der Beiträge fest. Die Ausrichtung der Beiträge kann an Bedingungen geknüpft oder mit Auflagen verbunden werden (Abs. 3).
4.3
Laut IV-Rundschreiben Nr. 170 vom 20. März 2001 betreffend "Beiträge an Suchtinstitutionen - Invaliditätsnachweis" hat das BSV den Suchtinstitutionen mit Schreiben vom November 2000 erneut dargelegt, unter welchen Voraussetzungen die IV Betriebsbeiträge ausrichten kann. Es hat dort ausgeführt, dass die IV nur
BGE 133 V 598 S. 601
Beiträge an die Aufenthaltstage behinderter Menschen im Sinne des IVG bezahlen kann und der Nachweis der Behinderung im Sinne des IVG mittels Arztzeugnissen sich nicht bewährt habe. Weil die IV nur Beiträge an den Aufenthalt behinderter Personen im Sinne des IVG ausrichten dürfe (
Art. 73 IVG
), sei sie auf einen Invaliditätsnachweis angewiesen. Nachdem sich der Weg über Arztzeugnisse als ungangbar erwiesen habe, sehe das BSV nur noch jenen über eine reguläre Abklärung durch die IV-Stellen. Es habe daher die Suchtinstitutionen angehalten, ihre Betreuten zur Anmeldung bei der IV-Stelle zu veranlassen. Damit werde einerseits ein allfälliger Anspruch auf individuelle Leistungen (Eingliederungsmassnahmen, Renten etc.) geprüft. Anderseits sei, falls ein Anspruch bejaht werde, gleichzeitig der Invaliditätsnachweis als Basis für Betriebsbeiträge erbracht, wie dies auch gegenüber allen übrigen Behinderteninstitutionen mit anderen Zielgruppen (z.B. geistig Behinderte) gehandhabt werde. Es obliege somit den IV-Stellen, gestützt auf die Anmeldung der Versicherten den Anspruch auf IV-Leistungen zu prüfen und basierend auf dem Abklärungsergebnis zusprechend oder abweisend zu verfügen. Auf das im Schreiben erwähnte Erfordernis, den Invaliditätsgrad in jedem Fall zu prüfen und festzusetzen, könne verzichtet werden.
Gemäss Kreisschreiben des BSV über die Gewährung von Betriebsbeiträgen an Wohnheime und Tagesstätten für Behinderte, gültig ab 1. Januar 2002, werden Betriebsbeiträge nach
Art. 73 Abs. 2 lit. c IVG
und
Art. 106 IVV
an Institutionen gewährt, die überwiegend Behinderte aufnehmen, wobei überwiegend heisst, dass mehr als 50 % der Plätze durch Behinderte belegt sind (Ziff. 1 Abs. 1). Nach Ziff. 4 gelten als Behinderte u.a. Personen unter dem AHV-Alter mit körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheitsschäden, die berufstätig sind, in Ausbildung stehen (soweit bei letzteren nicht ein Anrecht auf eine Leistung für die berufliche Ausbildung besteht, die kostendeckend ist) oder in einer Werkstätte beschäftigt werden und auf die Hilfe anderer Menschen und besondere Einrichtungen angewiesen sind. Nach Ziff. 6.1 ist das Beitragsgesuch auf entsprechendem Formular mit den nötigen Beilagen dem BSV innert 6 Monaten nach Ablauf des Rechnungsjahres einzureichen (Ziff. 6.2 Abs. 1).
Im vorliegend noch nicht anwendbaren Kreisschreiben über die Gewährung von Betriebsbeiträgen an Wohnheime, kollektive Wohnformen und Tagesstätten für Behinderte (Wohnheim-Kreisschreiben,
BGE 133 V 598 S. 602
KSWH), gültig ab 1. Januar 2004, wird in Ziff. 1 Abs. 2 ausgeführt: "Anspruch auf Betriebsbeiträge haben Institutionen innerhalb der Landesgrenzen, die überwiegend Behinderte im Sinne von Art. 8 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) betreuen. Überwiegend heisst, dass mehr als 50 % aller Plätze durch Behinderte belegt sind ...". Ziff. 3 Abs. 1 legt fest: "Der Behindertenbegriff ist in
Art. 8 ATSG
geregelt. Als Behinderte gelten Personen vor dem Erreichen des AHV-Alters, die infolge Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall an einem bleibenden oder längere Zeit dauernden körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheitsschaden leiden und auf die Hilfe anderer Menschen und/oder besondere Einrichtungen angewiesen sind." Abs. 4 ordnet: "Auf Verlangen des BSV müssen die Institutionen bei Einreichung des jährlichen Beitragsgesuches einen Nachweis über die Anspruchsberechtigung für die als behindert gemeldeten Personen erbringen."
Im gleichnamigen Kreisschreiben, gültig ab 1. Januar 2007, gibt es in diesen beiden Ziffern keine inhaltlichen Änderungen.
5.
5.1
Die Stiftung rügt vorab als Rechtsverletzung, dass nur Fälle mit zusprechenden IV-Verfügungen Anspruch auf Beitragsleistungen auslösen.
5.1.1
Diese Rüge ist nicht stichhaltig, wenn die neue Praxis des BSV rechtlich begründet ist. Das Rundschreiben des BSV vom November 2000 u.a. an die Suchtinstitutionen, die IV-Beiträge geltend machen, sowie das IV-Rundschreiben Nr. 170 vom 20. März 2001 stellen als für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindliche Auslegungshilfen zwar nicht objektives Recht dar und sind auch keine genügende Grundlage, um zusätzliche materiellrechtliche Anspruchserfordernisse aufzustellen, die im Gesetz nicht enthalten sind (
BGE 129 V 67
E. 1.1.1 S. 68;
BGE 118 V 26
E. 4b S. 32). Stellen sie eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben dar, besteht für das Gericht jedoch kein Grund, davon abzuweichen.
5.1.2
Die Beiträge nach
Art. 73 und 74 IVG
an Institutionen und Organisationen dienen der Förderung der Invalidenhilfe (Überschrift zum Zweiten Teil des IVG: Art. 73-75
bis
). Was nach
Art. 73 Abs. 2 lit. c IVG
unter Invaliden zu verstehen ist, sagt diese Norm nicht, ebenso wenig
Art. 106 Abs. 2 IVV
(in den Fassungen bis 31. Dezember 2003 und ab 1. Januar 2004).
BGE 133 V 598 S. 603
In
BGE 118 V 16
E. 6d S. 24, einem Fall betreffend den bundesrechtlichen Anspruch eines Wohnheims für AIDS-Kranke auf Beiträge, hat das Eidg. Versicherungsgericht zum Einwand des BSV, die Bewohner des Wohnheimes B. seien nicht invalid im Sinne eines Invalidenwohnheims nach
Art. 73 Abs. 2 lit. c IVG
in Verbindung mit
Art. 100 Abs. 1 lit. b IVV
erwogen: Zur Annahme einer Invalidität im Sinne von
Art. 73 Abs. 2 lit. c IVG
bedürfe es nicht einer rentenbegründenden Invalidität nach
Art. 28 und 29 IVG
. Massgebend sei der Invaliditätsbegriff nach
Art. 4 IVG
, wonach als Invalidität die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit gilt. Es stehe ausser Frage, dass die Bewohner des Wohnheimes B. als Folge ihrer Krankheit an einem Gesundheitsschaden leiden, der in aller Regel eine Erwerbsunfähigkeit begründet. Für Versicherte, die beim Eintritt in das Wohnheim B. während mindestens eines Jahres (vgl. dazu
BGE 105 V 160
E. 2a in fine mit Hinweis) in ihrer Arbeitsfähigkeit erheblich, also zu wenigstens 25 % (vgl.
BGE 105 V 160
E. 2a in fine mit Hinweis), eingeschränkt sind, bestehe jedenfalls Anspruch auf Beiträge. Diesen gleichzustellen seien jene Versicherten, bei denen im Zeitpunkt des Eintritts zwar noch nicht eine erhebliche Arbeitsunfähigkeit während eines Jahres vorgelegen hat, bei denen aber die bestehende Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich andauern wird. Dass es bei solchen Versicherten - aus welchen Gründen auch immer - (noch) nicht zur einer Rentenzusprechung gekommen sei, habe hier keine Bedeutung, da
Art. 100 Abs. 1 lit. b IVV
in Übereinstimmung mit
Art. 73 Abs. 2 lit. c IVG
von Invaliden und nicht von Rentenbezügern spreche. Mit dieser Rechtsprechung in Einklang steht, dass das BSV im Wohnheim-Kreisschreiben, KSWH, gültig ab 1. Januar 2004, Ziff. 3 Abs. 1, den Behindertenbegriff des
Art. 8 ATSG
anwendet, welcher
Art. 4 Abs. 1 IVG
in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung entspricht. Demnach ist Invalidität die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (
Art. 8 Abs. 1 ATSG
). Nicht erwerbstätige Minderjährige gelten als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird (Abs. 2). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das BSV in der Verfügung vom 7. März 2006 als Grundanspruchsvoraussetzung für
BGE 133 V 598 S. 604
Betriebsbeiträge bei den Behinderten der Stiftung Invalidität im Sinne von
Art. 4 IVG
in Verbindung mit
Art. 8 ATSG
verlangt.
5.1.3
Eine andere Frage ist, wie im Rahmen der Beitragsgesuche der Nachweis über die Anspruchsberechtigung für die als behindert gemeldeten Personen zu erbringen ist. Nach alter Praxis, für welche für die Jahre 1998-2001 bis zur Einführung des neuen Betriebsbeitrags-Berechnungsmodells FIDE/FISU (vom Bundesamt für Gesundheit in Absprache mit BSV und Departement entwickelt) ein Übergangsmodell geschaffen wurde, dessen Geltungsdauer noch für 2002 verlängert wurde, konnte die Invalidität im Sinne des IVG mittels Arztzeugnissen belegt werden. Gemäss Rundschreiben vom November 2000 hat sich diese Nachweismethode jedoch nicht bewährt, weshalb die Institutionen verpflichtet wurden, spätestens ab 1. Januar 2001 alle behinderten Personen zu einer Anmeldung bei einer IV-Stelle anzuhalten.
Die Weisungen des BSV in den verschiedenen Verlautbarungen (Kreisschreiben, Rundschreiben, IV-Mitteilungen usw.) beruhen auf der allgemeinen Vollzugskompetenz des Bundesrates (
Art. 86 Abs. 2 IVG
) und des Eidg. Departementes des Innern (
Art. 117 Abs. 3 IVV
).
Art. 75 Abs. 1 IVG
bestimmte in der Fassung bis Ende 2003, dass der Bundesrat die Höhe der Beiträge gemäss
Art. 73 und 74 IVG
festsetzt und deren Gewährung von weiteren Voraussetzungen abhängig machen kann.
Art. 107 Abs. 3 IVV
sah seit jeher vor, dass das BSV, das die Beitragsgesuche prüft und über die anrechenbaren Kosten sowie die Höhe der Beiträge verfügt, die Ausrichtung der Beiträge an Bedingungen knüpfen und mit Auflagen verbinden kann.
Es versteht sich von selbst, dass das BSV, wie andere Subventionsbehörden, die Ausrichtung der Betriebsbeiträge im Verfügungsverfahren - einer zentralen Handlungsform für die Gewährung von Subventionen nebst dem öffentlich-rechtlichen Vertrag (FABIAN MÖLLER, Rechtsschutz bei Subventionen: die Rechtsschutzmöglichkeiten Privater im Subventionsverfahren des Bundes unter Berücksichtigung der neueren Entwicklungen des nationalen und internationalen Subventions- und Beihilferechts, Diss. Basel 2006, S. 409) - an gesetzliche Bedingungen knüpfen kann. Eine dieser Anspruchsvoraussetzungen ist, dass das um Subventionen ersuchende Heim oder dessen Trägerschaft im Rahmen der Mitwirkungspflicht grundsätzliche Elemente der Anspruchsberechtigung für
BGE 133 V 598 S. 605
Beiträge (z.B. die verordnungsmässig statuierte Betreuung von überwiegend Behinderten im Sinne von
Art. 8 ATSG
, was gemäss Verwaltungsweisungen eine mehr als 50%ige Auslastung aller Plätze durch Behinderte bedeutet) belegt.
Um dies beurteilen zu können, muss die Subventionsbehörde im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes und der Mitwirkungspflicht von der gesuchstellenden Institution einen Nachweis der "anrechenbaren Behinderten" verlangen. Lange Zeit galt die Praxis, dass der Nachweis der beitragsrelevanten Invalidität der Heimbewohner mittels Arztzeugnissen erbracht werden konnte. Das BSV wertete die Bescheinigungen durch seinen ärztlichen Dienst oder durch einen externen Gutachter aus. Die Auswertung war dann die Basis für die Berechnung und Festsetzung des Betriebsbeitrages. Seit 2003 lässt das Bundesamt den früheren Nachweis mittels Arztzeugnissen wegen schlechter Erfahrungen nicht mehr gelten, sondern verlangt zusprechende Verfügungen für Renten und/oder Eingliederungsmassnahmen nach
Art. 8 Abs. 3 lit. a-e IVG
, wobei Personen mit beruflichen Massnahmen für den Betriebsbeitrag nicht berücksichtigt werden. Da weder Gesetz noch Verordnung Vorschriften über den Nachweis der anrechenbaren invaliden Heimbewohner enthält, ist die Verwaltung nach dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit staatlichen Handelns nicht nur berechtigt, sondern im Interesse einer gesamtschweizerisch einheitlichen Praxis verpflichtet, das Beitragsbezugssystem im Rahmen der gesetzlichen Kompetenzen in einem ordnungsgemässen Verfahren näher zu regeln. Dies dient der Wahrung des Legalitätsprinzips und letztlich auch der Verwaltungsökonomie. Wenn sie dabei nicht mehr auf blosse Arztzeugnisse abstellt, die im Einzelfall verschiedene Wertungen und Deutungen zulassen und für sich allein keine verlässliche Grundlage für die Zusprechung von Betriebsbeiträgen darstellen, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Der reguläre Weg über die IV-Stellen, welchen ohnehin u.a. die Abklärung der Eingliederungsfähigkeit, die Bestimmung der Eingliederungsmassnahmen und die Bemessung der Invalidität obliegt (
Art. 57 Abs. 1 lit. b-d IVG
), erweist sich als sachgerecht. Er entspricht auch den Erfordernissen der Effizienz der Verwaltung. Es ist nicht einzusehen, wieso die Subventionsbehörde selber jeden einzelnen Heimbewohner unter dem Gesichtspunkt der Invalidität überprüfen muss, wenn hiefür vom Gesetz vorgegebene interne Abklärungsverfahren einer spezialisierten Stelle zur Verfügung stehen. Wie im bundesamtlichen
BGE 133 V 598 S. 606
IV-Rundschreiben Nr. 170 vom 20. März 2001 ausgeführt, wird damit einerseits der Anspruch auf individuelle Leistungen (Eingliederungsmassnahmen, Rente usw.) geprüft; anderseits ist, falls ein Anspruch bejaht wird, gleichzeitig der Invaliditätsnachweis als Basis für Betriebsbeiträge erbracht, wie dies auch gegenüber allen übrigen Institutionen mit anderen Behinderten-Zielgruppen (z.B. geistig Behinderte) gehandhabt werde. Wie das BSV und die Vorinstanz entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin richtig erkannt haben, steht dem das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 63/02 vom 24. März 2003 nicht entgegen. Ebenso wenig sticht der Einwand, eine Institution sei aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht zur IV-Anmeldung (
Art. 66 IVV
) legitimiert. Die 2003 geltenden Verwaltungsweisungen halten sich im Rahmen von Gesetz und Verordnung.
5.1.4
Neu findet sich in
Art. 75 Abs. 1 IVG
in der Fassung gemäss 4. IV-Revision, gültig ab 1. Januar 2004, ein Satz 3: "Das Bundesamt regelt die Berechnung der Beiträge und die Einzelheiten der Anspruchsvoraussetzungen." In der Botschaft zur 4. IV-Revision (BBl 2001 S. 3205) wird diese Ergänzung damit erläutert, dass die konkrete Art der Ermittlung der Beiträge gemäss bisheriger Normierung von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit
Art. 99 ff. IVV
, die Berechnungsart im Einzelnen sowie die ganz konkreten Voraussetzungen für den Anspruch auf Beiträge (z.B. Mindestanzahl von Plätzen einer Institution usw.) heute in den entsprechenden Verwaltungsweisungen geregelt seien (z.B. Kreisschreiben über die Gewährung von Betriebsbeiträgen an Wohnheime und Tagesstätten für Behinderte). Nach Art. 48 Abs. 2 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010) sei eine Übertragung der Rechtsetzung auf Gruppen und Ämter nur zulässig, wenn ein Bundesgesetz oder ein allgemein verbindlicher Bundesbeschluss dazu ermächtigt. Für den Erlass der erwähnten Verwaltungsweisungen fehle im geltenden Recht "streng genommen" die gesetzliche Grundlage. Mit der Neuformulierung von Absatz 1 werde nun eine juristisch korrekte Delegationsnorm geschaffen. Damit erhalte das BSV vom Gesetzgeber direkt die ausdrückliche Legitimation zur Regelung der Art der Berechnung der Beiträge sowie der Details der Anspruchsvoraussetzungen in Verwaltungsweisungen (S. 3294 f.).
Trotz des neuen
Art. 75 Abs. 1 Satz 3 IVG
lässt sich nicht sagen, dass die für 2003 massgebenden Verwaltungsweisungen mangels besonderer gesetzlicher Grundlage unbeachtlich wären; denn sie
BGE 133 V 598 S. 607
enthalten keine Einschränkungen der materiellen Rechtslage. Der Gesetzgeber hat zwar erkannt, dass für diese Verwaltungsweisungen eine direkte gesetzliche Delegation fehle. Es wurde jedoch nur eine juristisch korrekte Delegationsnorm geschaffen. Deren bisheriges Fehlen rechtfertigt nicht, die noch unter der alten Rechtslage instradierte und die frühere Praxis in diesem Punkt als gesetzwidrig zu qualifizieren und ihr im Einzelfall die Anwendung zu versagen.
5.1.5
Zu Recht hat das Bundesverwaltungsgericht die Praxisänderung als gesetzmässig erachtet. Die Beschwerdeführerin macht richtigerweise nicht geltend, es müsse gestützt auf Treu und Glauben die Beitragsberechtigung für das Jahr 2003 nach der früheren Praxis des BSV anerkannt werden, wären doch die praxisgemäss erforderlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz (
BGE 131 II 627
E. 6.1 S. 636) klarerweise nicht erfüllt. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
9957f196-3cad-4e6d-8e53-23eb76f1c126 | Urteilskopf
136 IV 29
5. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen A. und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_540/2009 vom 22. Oktober 2009 | Regeste
Art. 81 Abs. 1 BGG
; Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen.
Der Geschädigte, der nicht Opfer im Sinne des OHG ist, ist zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt nicht legitimiert (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 1.1-1.7). Er ist aber in gewissen anderen Bereichen zur Beschwerde berechtigt (E. 1.9). | Erwägungen
ab Seite 30
BGE 136 IV 29 S. 30
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Der Beschwerdeführer setzt sich ausführlich mit der Frage seiner Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen auseinander. Er macht geltend, dass er als Geschädigter aus dem von ihm behaupteten und von der Staatsanwaltschaft eingeklagten Betrug zur Beschwerde gegen das die Beschwerdegegnerin 1 insoweit freisprechende Urteil der Vorinstanz legitimiert sei. Soweit die bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 133 IV 228
) die Beschwerdelegitimation des Geschädigten verneine, stehe sie im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. Aus den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (BBl 2001 4002 ff., 4318) gehe hervor, dass gestützt auf die Generalklausel des "rechtlich geschützten Interesses" unter anderen die Nachkommen des Geschädigten zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert seien. Die Legitimation des Geschädigten ergebe sich auch aus der Antwort des Bundesrates auf eine von Nationalrat Daniel Vischer am 23. März 2006 eingereichte Motion, mit welcher verlangt worden sei, die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen auch auf Geschädigte auszudehnen (Geschäft 06.3097). Der Bundesrat habe in seiner Antwort vom 17. Mai 2006 darauf hingewiesen, dass
Art. 81 BGG
es dem Bundesgericht ermöglichen werde, auch Geschädigten, die nicht Opfer seien, die Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen einzuräumen, womit dem Anliegen der Motion bereits durch das BGG Rechnung getragen werde. Der Beschwerdeführer macht im Weiteren geltend, sein Fall sei nicht mit dem in
BGE 133 IV 228
beurteilten vergleichbar. Vorliegend gehe es um einen Freispruch in einem Verfahren, in dem er adhäsionsweise Zivilforderungen aus Betrug geltend gemacht habe, auf welche die Vorinstanz infolge des Freispruchs vom Vorwurf des Betrugs nicht eingetreten sei. Demgegenüber sei es in
BGE 133 IV 228
um eine Verfahrenseinstellung gegangen, die von einem Geschädigten angefochten worden sei, der noch keine Zivilforderungen geltend gemacht habe. Im vorliegenden Fall stehe - anders als möglicherweise im Fall einer Verfahrenseinstellung - nicht mehr die Durchsetzung des allenfalls ausschliesslich dem Staat zustehenden Strafanspruchs zur Diskussion, sondern die Rechtmässigkeit eines gefällten Urteils und damit verbunden auch die Frage nach den vom Geschädigten geltend gemachten Zivilansprüchen. Jedenfalls in dieser Konstellation sei die Beschwerdelegitimation des Geschädigten
BGE 136 IV 29 S. 31
im Strafpunkt und im Zivilpunkt zu bejahen, weil diese beiden Punkte seine rechtlich geschützten Interessen beträfen. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Verneinung der Beschwerdelegitimation des Geschädigten "im Strafpunkt und/oder im Zivilpunkt" verstosse gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit (
Art. 8 Abs. 1 BV
), den Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung im Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen (
Art. 29 Abs. 1 BV
) sowie den Anspruch auf ein faires Verfahren (
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
). Es gehe nicht an, den Geschädigten insoweit anders zu behandeln als das Opfer einerseits und den Angeklagten andererseits. Es sei nicht einzusehen, weshalb man dem Geschädigten das Recht zugestehe, seine Zivilansprüche im Strafverfahren geltend zu machen, um ihm dann mitten im Verfahren die andern Verfahrensbeteiligten zustehenden Rechte zu beschneiden. Dies sei eine Ungleichbehandlung der am Verfahren Beteiligten und führe unzulässigerweise zu einem Instanzenverlust für den Geschädigten und damit zu einer Beschneidung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, was mit einem fairen Verfahren nichts zu tun habe.
1.2
Zur Beschwerde in Strafsachen ist gemäss
Art. 81 Abs. 1 BGG
berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b), insbesondere (1.) die beschuldigte Person, (2.) ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre gesetzliche Vertreterin, (3.) die Staatsanwaltschaft, (4.) die Privatstrafklägerschaft, wenn sie nach dem kantonalen Recht die Anklage ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft vertreten hat, (5.) das Opfer, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann, (6.) die Person, die den Strafantrag stellt, soweit es um das Strafantragsrecht als solches geht, (7.) die Bundesanwaltschaft und die beteiligte Verwaltung in Verwaltungsstrafsachen nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht.
Der Geschädigte wird in dieser Aufzählung nicht genannt. Diese ist allerdings nicht abschliessend, was sich schon aus dem Wort "insbesondere" ergibt.
1.3
Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen. Er ist unstreitig weder Privatstrafkläger noch Opfer noch Strafantragsteller. Er ist Geschädigter aus einem von ihm behaupteten und von der Staatsanwaltschaft eingeklagten Betrug. Die Vorinstanz hat die Beschwerdegegnerin 1 insoweit mangels Arglist vom
BGE 136 IV 29 S. 32
Vorwurf des Betrugs freigesprochen, und sie ist infolge dieses Freispruchs auf das Schadenersatzbegehren des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Somit stellt sich die Frage, ob und inwiefern der Geschädigte in einer solchen Konstellation zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert ist.
1.4
1.4.1
Die gesetzliche Regelung der Beschwerdelegitimation der durch eine angebliche Straftat irgendwie betroffenen Personen hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrfache Änderungen erfahren. Gemäss
Art. 270 BStP
in der bis Ende 1992 geltenden Fassung waren zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert der Strafantragsteller sowie der Privatstrafkläger, wenn dieser nach den Vorschriften des kantonalen Rechts allein, ohne Beteiligung des öffentlichen Anklägers, die Anklage vertreten hatte. Die Legitimation des Privatstrafklägers spielte in der Praxis allerdings nur eine geringe Rolle. Denn er war nach der Rechtsprechung zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nur legitimiert, wenn der öffentliche Ankläger nach dem kantonalen Prozessrecht keine Parteirechte ausüben durfte (
BGE 110 IV 114
E. 1a S. 114 mit Hinweisen). Weit grössere Bedeutung hatte die Beschwerdelegitimation des Strafantragstellers. Dieser konnte mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht nur die Verletzung der bundesrechtlichen Bestimmungen betreffend das Strafantragsrecht als solchen rügen, sondern beispielsweise auch geltend machen, die Vorinstanz habe den Tatbestand des eingeklagten Antragsdelikts zu Unrecht als nicht erfüllt erachtet (
BGE 107 IV 40
E. 5 S. 41).
1.4.2
Durch das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG; AS 1992 2465), in Kraft seit 1. Januar 1993, wurde auch
Art. 270 BStP
betreffend die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde geändert. Nach
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
in der damals geltenden Fassung (entsprechend
Art. 37 Abs. 1 lit. c OHG
in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 23. März 2007) konnte das Opfer (im Sinne des Opferhilfegesetzes) den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hatte und soweit der Entscheid sich auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken konnte. Das Opfer im Sinne des OHG war schon gestützt auf diese Bestimmung unter den darin genannten Voraussetzungen zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde etwa gegen ein den Beschuldigten freisprechendes Urteil legitimiert (siehe
BGE 120 IV 44
E. 2a S. 49). Nach den
BGE 136 IV 29 S. 33
Vorstellungen des Gesetzgebers sollte indessen nicht nur das Opfer im Sinne des OHG, sondern unter der genannten Voraussetzung jeder Geschädigte zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert sein. Dies wurde in der bundesrätlichen Botschaft zum Opferhilfegesetz von 1991 (BBl 1990 II 961 ff., 996/997 Ziff. 212.22) damit begründet, dass einerseits die Stellung des Geschädigten allgemein verbessert und andererseits verhindert werden sollte, dass zwei Kategorien von Opfern geschaffen würden und dadurch das Verfahren unnötig kompliziert werde (siehe
BGE 120 IV 44
E. 2b S. 49). Daher bestimmte
Art. 270 Abs. 1 BStP
in der Fassung gemäss dem Opferhilfegesetz vom 4. Oktober 1991, in Kraft seit 1. Januar 1993,dass die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde - neben dem Angeklagten und dem öffentlichen Ankläger des Kantons - auch dem Geschädigten zustand, wenn er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hatte und soweit sich der Entscheid auf die Beurteilungseiner Zivilforderung auswirken konnte. Die in
Art. 270 BStP
in der bis Ende 1992 geltenden Fassung geregelte Legitimation des Strafantragstellers und des Privatstrafklägers wurde aufgehoben. Dies wurde in der bundesrätlichen Botschaft zum Opferhilfegesetz bezüglich des Strafantragstellers damit begründet, dass es sachgerechter sei, die Beschwerdebefugnis von der Schädigung durch die Straftat abhängig zu machen, als an einen Strafantrag anzuknüpfen und die Beschwerde damit auf Antragsdelikte zu beschränken. Soweit der Strafantragsteller gleichzeitig auch Geschädigter sei, könne er aber in dieser Eigenschaft nach wie vor Nichtigkeitsbeschwerde führen (Botschaft zum Opferhilfegesetz, a.a.O., S. 998 Ziff. 212.221 zu Art. 270). In Bezug auf die Aufhebung der Beschwerdebefugnis desPrivatstrafklägers wurde in der Botschaft ausgeführt, dass diese Beschwerdelegitimation in der Gerichtspraxis ohnehin nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung hatte. Da der Privatstrafkläger aber in der Regel auch Geschädigter sei, könne er in dieser Eigenschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde führen (Botschaft zum Opferhilfegesetz, a.a.O., S. 999).
Diese Änderung von
Art. 270 BStP
, die am 1. Januar 1993 in Kraft trat, führte einerseits zu einer erheblichen Zunahme von eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerden an das Bundesgericht, indem insbesondere Personen, die sich durch ein angebliches Vermögensdelikt geschädigt fühlten, in ihrer Eigenschaft als Geschädigte gegen letztinstanzliche kantonale Einstellungsbeschlüsse und freisprechende Urteile eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung
BGE 136 IV 29 S. 34
von Bundesrecht erhoben. Die neue gesetzliche Regelung erwies sich andererseits in verschiedener Hinsicht als lückenhaft. So konnten beispielsweise die Strafantragsteller Verfahrenseinstellungen und Freisprüche, die damit begründet wurden, dass der Strafantrag verspätet eingereicht worden oder ungültig sei, nicht mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde anfechten, da sich ein dergestalt begründeter Entscheid nicht im Sinne von
Art. 270 BStP
auf die Beurteilung der Zivilforderung auswirken konnte. Daher entschied das Bundesgericht, dass der Strafantragsteller ungeachtet dieser in
Art. 270 BStP
genannten Voraussetzung zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert sei, soweit es um Fragen des Strafantragsrechts als solches gehe (siehe
BGE 120 IV 44
E. 3b S. 50 und E. 7 S. 57). Das Bundesgericht erkannte im Weiteren, dass das Opfer einen Entscheid wegen Verletzung von Opferrechten mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde anfechten könne, auch wenn sich ein solcher Entscheid nicht auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken könne. Zudem könne der Privatstrafkläger unter gewissen Voraussetzungen nach wie vor eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde erheben, auch wenn er nicht als Geschädigter über einen Zivilanspruch verfüge, auf dessen Beurteilung sich der angefochtene Entscheid auswirken könne (siehe
BGE 120 IV 44
E. 3b S. 50 und E. 7 S. 57;
BGE 121 IV 76
E. 1a S. 78;
BGE 122 IV 79
E. 1a S. 81).
1.4.3
In Anbetracht der starken Zunahme der Zahl der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerden infolge der am 1. Januar 1993 eingeführten Beschwerdelegitimation des Geschädigten wurde im Rahmen der Teilrevision des Bundesrechtspflegegesetzes zur Entlastung des Bundesgerichts, welche in einzelnen, unbestrittenen Punkten die in Arbeit befindliche Totalrevision vorwegnahm,
Art. 270 BStP
betreffend die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde durch Bundesgesetz vom 23. Juni 2000, in Kraft seit 1. Januar 2001, wieder geändert. Die Beschwerdelegitimation des Geschädigten, der nicht Opfer ist, wurde aufgehoben. Dazu wurde im Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Ständerates und des Nationalrates vom 4. und 8. September 1999 (BBl 1999 9518 ff.) ausgeführt, überzeugende Gründe für die Beschwerdelegitimation des Geschädigten seien nicht ersichtlich und auch in der Botschaft des Bundesrates zum Opferhilfegesetz nicht genannt worden. Die bisherige Regelung, wonach auch die Geschädigten, die nicht Opfer seien, zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert sein sollen, schiesse über das Ziel hinaus und belaste das Bundesgericht mit zusätzlichen
BGE 136 IV 29 S. 35
Beschwerden (Bericht, a.a.O., S. 9524). Nach der neuen Fassung von
Art. 270 BStP
stand die Nichtigkeitsbeschwerde dem Opfer zu, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hatte und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betraf oder sich auf deren Beurteilung auswirken konnte. Im Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen der beiden Räte wurde in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf
BGE 120 Ia 157
festgehalten, dass mit dieser Neuregelung die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde der Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde angeglichen werde, was sachgerecht erscheine (Bericht, a.a.O., S. 9524). Gemäss der zitierten Rechtsprechung war nämlich gestützt auf
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
, der als "lex specialis" zu
Art. 88 OG
betrachtet wurde, einzig das Opfer, nicht aber der Geschädigte in der Sache selbst zur staatsrechtlichen Beschwerde auf dem Gebiet der Beweiswürdigung legitimiert, soweit sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung der Zivilforderung auswirken konnte. Nach dem neuen
Art. 270 BStP
, der am 1. Januar 2001 in Kraft trat, stand die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ausserdem dem Opfer ungeachtet der Auswirkungen des Entscheids auf die Beurteilung von Zivilansprüchen zu, soweit es die Verletzung seiner Opferrechte gemäss OHG geltend machte, sowie dem Strafantragsteller, soweit es um das Strafantragsrecht als solches ging, und schliesslich dem Privatstrafkläger, wenn er nach den Vorschriften des kantonalen Rechts allein, ohne Beteiligung des öffentlichen Anklägers, die Anklage vertreten hatte. Diese gesetzliche Regelung trug insoweit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 120 IV 44
) Rechnung, wie auch im Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen der beiden Räte ausdrücklich festgehalten wurde (Bericht, a.a.O., S. 9533 f.).
1.4.4
Die Auflistung der beschwerdeberechtigten Personen gemäss
Art. 270 BStP
in der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Fassung wurde in Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 4-6 BGG teilweise übernommen. Der Geschädigte wird nach wie vor nicht genannt.
Art. 81 BGG
unterscheidet sich von der früheren Regelung allerdings insofern, als die darin enthaltene Aufzählung der zur Beschwerde in Strafsachen Berechtigten explizit keine abschliessende ist. Vielmehr ist neu zur Beschwerde legitimiert, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. In der Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (BBl 2001 4202 ff.) wird ausgeführt, dass
Art. 270 BStP
keine allgemeine Definition der
BGE 136 IV 29 S. 36
Beschwerdelegitimation enthalten habe. Wegen der Einheitsbeschwerde sei eine solche Definition zur deutlichen Unterscheidung von den anderen Rechtsmitteln nunmehr erforderlich, zumal Gegenstand der Beschwerde in Strafsachen auch Entscheide aus angrenzenden Bereichen sein können. Die gewählte Definition weiche freilich nicht wesentlich vom heute geltenden Recht ab. Materielle Voraussetzung der Beschwerdelegitimation sei das Bestehen eines rechtlich geschützten Interesses, was der heutigen Rechtslage entspreche. Die Liste in Buchstabe b zähle die üblichen Fälle auf, in denen diese Voraussetzung in der Regel erfüllt sei. Sie habe jedoch nur beispielhaften Charakter. So habe etwa das in Ziffer 5 genannte Opfer auch ein rechtlich geschütztes Interesse, wenn es ein ihm vom Opferhilfegesetz eingeräumtes Recht geltend mache und dessen Verletzung die Beurteilung der Zivilansprüche nicht beeinflusse, wie das bei den Vorschriften über die Zusammensetzung des urteilenden Gerichts der Fall sei. Die Abkehr vom System der abschliessenden Liste, wie es
Art. 270 BStP
zugrunde gelegen habe, dränge sich auch wegen des Einschlusses zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Bereiche in die Beschwerde in Strafsachen auf. Dank der Einheitsbeschwerde könnten der kantonale Staatsanwalt, die Bundesanwaltschaft und der Strafantragsteller vor dem Bundesgericht willkürliche Anwendung des kantonalen Prozessrechts geltend machen, was ihnen gegenwärtig im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde verwehrt sei (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, a.a.O., S. 4317 f. zu Art. 76).
In den Ausführungen in der Botschaft zum Beschwerderecht gemäss Art. 76 des Entwurfs, dem
Art. 81 BGG
im Wesentlichen entspricht, wird zweimal ausdrücklich der Begriff des "Geschädigten" verwendet. So heisst es in Bezug auf die Voraussetzung der Teilnahme am Verfahren unter anderem: "Verzichtet beispielsweise der Geschädigte auf eine Stellungnahme und einen Abweisungsantrag zur Beschwerde des Beschuldigten vor dem oberinstanzlichen kantonalen Gericht, so gibt er seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Entscheid des Gerichts zu erkennen und verliert damit jedes Interesse, den Entscheid beim Bundesgericht anzufechten, wenn ihn das Ergebnis nicht befriedigt" (a.a.O., S. 4317 unten). Und in Bezug auf die materielle Voraussetzung des rechtlich geschützten Interesses wird unter anderem ausgeführt: "Der beispielhafte Charakter der Liste hat ferner zur Folge, dass es einer darin nicht genannten Person nicht von vorneherein verwehrt wäre, ein rechtlich
BGE 136 IV 29 S. 37
geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Urteils geltend zu machen. Dies gilt namentlich für die Nachkommen des Beschuldigten, die nicht ausdrücklich erwähnt sind, anders als noch in Artikel 270 BStP [...]. Die Generalklausel des rechtlich geschützten Interesses genügt daher vollauf. Dies gilt ebenso für die Nachkommen des Geschädigten" (a.a.O., S. 4318 zu Art. 76).
1.5
Zur Frage, ob und gegebenenfalls inwiefern gestützt auf
Art. 81 BGG
der Geschädigte zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert ist, werden in der Lehre unterschiedliche Auffassungen vertreten. Das Bundesgericht hat einige unterschiedliche Lehrmeinungen in
BGE 133 IV 228
E. 2.3.2 zitiert. Es hat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und einen Teil der Lehre erkannt, dass
Art. 81 BGG
im Wesentlichen die frühere Regelung nach
Art. 270 BStP
in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 fortschreibt und somit der Geschädigte grundsätzlich nicht zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert ist (
BGE 133 IV 228
E. 2.3.3). Das Bundesgericht hat in der Folge in mehreren Entscheiden unter Hinweis auf
BGE 133 IV 228
bestätigt, dass der Geschädigte zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt nicht legitimiert ist. Diese Entscheide betreffen hauptsächlich Verfahrenseinstellungen (zum Beispiel Urteil 6B_555/2009 vom 9. Juli 2009), gelegentlich auch Freisprüche (beispielsweise Urteil 6B_419/2008 vom 2. Juli 2008). Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum auf Kritik gestossen (MARC THOMMEN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 17 zu
Art. 81 BGG
; GIUSEP NAY, Recht haben und Recht bekommen vor Bundesgericht, in: Festschrift für Franz Riklin, 2007, S. 453 ff., 460 ff.). Sie hat aber - zumindest im Ergebnis - auch Zustimmung gefunden (YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008,
Art. 81 BGG
Rz. 2568; PIERRE FERRARI, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 48 zu
Art. 81 BGG
).
1.6
Den Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege betreffend die Legitimation zur strafrechtlichen Beschwerde kann nicht entnommen werden, dass nach dem Willen ihrer Verfasser der Geschädigte zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt legitimiert ist. Zwar ist darin gelegentlich von den "Geschädigten" beziehungsweise von den "Nachkommen des Geschädigten" die Rede, doch ist unklar, ob damit auch die einfachen Geschädigten oder lediglich die Opfer gemeint sind und ob es um die Beschwerdelegitimation allein im Zivilpunkt oder auch im strafrechtlichen Schuldpunkt geht. Nach
BGE 136 IV 29 S. 38
den bis zum Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes geltenden Verfahrensordnungen und der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesgerichts konnte der Geschädigte einen freisprechenden oder das Verfahren einstellenden Entscheid nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen willkürlicher Beweiswürdigung anfechten, da es ihm insoweit - auch im Falle von Auswirkungen auf allfällige Zivilforderungen - an einem rechtlich geschützten Interesse im Sinne von
Art. 88 OG
fehlte (siehe
BGE 131 I 455
E. 1.2.1;
BGE 120 Ia 157
E. 2a/aa sowie nachfolgend E. 1.7.2). Der Geschädigte konnte einen freisprechenden oder das Verfahren einstellenden Entscheid auch nicht mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung von Bundesrecht anfechten, da seine durch das Opferhilfegesetz vom 4. Oktober 1991 eingeführte diesbezügliche Beschwerdelegitimation durch Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 wieder aufgehoben wurde (siehe E. 1.4.3 hiervor). Eine Legitimation des Geschädigten zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt wäre im Vergleich zum bisherigen Recht eine radikale Neuerung, welche im Übrigen eine erhebliche Zunahme von Beschwerden an das Bundesgericht zur Folge hätte, zumal die Beschwerde in Strafsachen als sogenannte "Einheitsbeschwerde" sowohl die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde als auch die staatsrechtliche Beschwerde gemäss den früheren Verfahrensordnungen ersetzt. Eine solche radikale Änderung im Vergleich zum früheren Recht wäre in der Botschaft des Bundesrates zweifellos ausführlich dargestellt worden. Die Botschaft enthält jedoch keine diesbezüglichen Ausführungen, was den Schluss nahe legt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Geschädigte, der nicht Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes ist, nicht zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt legitimiert ist, so wie er gemäss den früheren Verfahrensordnungen - im Unterschied zum Opfer - weder zur staatsrechtlichen Beschwerde noch zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert war.
Die Antwort des Bundesrates vom 17. Mai 2006 zur Motion von Nationalrat Daniel Vischer enthält Hinweise, welche in dem Sinne interpretiert werden könnten, dass nach der Ansicht ihrer Verfasser der Geschädigte gestützt auf die in
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
enthaltene Generalklausel des "rechtlich geschützten Interesses" gleich dem in Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ausdrücklich genannten Opfer zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt legitimiert sein soll. Ob sich gegebenenfalls daraus auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers schliessen liesse, ist fraglich,
BGE 136 IV 29 S. 39
kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn ein solcher Wille des Gesetzgebers wäre nicht massgebend, weil er in
Art. 81 BGG
nicht zum Ausdruck kommt.
1.7
1.7.1
Der Geschädigte ist eine zentrale Person im Strafprozessrecht. Wäre er im Schuldpunkt zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert, so müsste er in der beispielhaften Aufzählung der insbesondere zur Beschwerde Berechtigten in
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
vernünftigerweise genannt werden. Wenn stattdessen - wie nach dem früheren
Art. 270 BStP
in der Fassung vom 23. Juni 2000 - der Privatstrafkläger, das Opfer und der Strafantragsteller ausdrücklich erwähnt werden, die unter gewissen Voraussetzungen zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt sind, so legt dies die Auslegung nahe, dass der Geschädigte - wie nach
Art. 270 BStP
in der Fassung vom 23. Juni 2000 - zur Beschwerde im Schuldpunkt nicht legitimiert ist. Dass die Aufzählung der Beschwerdeberechtigten in
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
im Unterschied zur Aufzählung im früheren Artikel 270 BStP explizit keine abschliessende ist, lässt nicht den Schluss zu, dass abweichend vom früheren Recht nun auch der Geschädigte, der nicht Opfer ist, zur Beschwerde in Strafsachen im Schuldpunkt berechtigt ist.
1.7.2
Die Legitimation des Geschädigten zur Beschwerde in Strafsachen im Schuldpunkt lässt sich nicht auf die Generalklausel des "rechtlich geschützten Interesses" an der Aufhebung oder Änderung des Entscheids stützen. Der Geschädigte hat an der strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung des Beschuldigten nur ein tatsächliches beziehungsweise mittelbares, aber kein rechtlich geschütztes Interesse, da der Strafanspruch allein dem Staat zusteht. Daher war der Geschädigte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts zum früheren Verfahrensrecht mangels eines rechtlich geschützten Interesses im Sinne von
Art. 88 OG
nicht zur staatsrechtlichen Beschwerde etwa wegen willkürlicher Beweiswürdigung legitimiert (siehe
BGE 131 I 455
E. 1.2.1;
BGE 128 I 218
E. 1.1;
BGE 120 Ia 157
E. 2a/aa; je mit Hinweisen), obschon der Entscheid des Strafrichters gerade hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen für den Zivilrichter massgebend sein kann, wie sich aus
Art. 53 OR
e contrario ergibt. Die Generalklausel des "rechtlich geschützten Interesses" im Sinne von
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
knüpft an die frühere Regelung in
Art. 88 OG
an. Die Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege hält ausdrücklich fest, dass die materielle Voraussetzung eines rechtlich
BGE 136 IV 29 S. 40
geschützten Interesses der heutigen Rechtslage entspreche (BBl 2001 4202 ff., 4318 zu Art. 76). Der Geschädigte ist somit im Schuldpunkt mangels eines rechtlich geschützten Interesses im Sinne von
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
nicht zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, so wie er insoweit nach dem früheren Recht weder zur staatsrechtlichen Beschwerde noch zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert war. Dies gilt entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht nur, wenn sich die Beschwerde gegen einen Nichteröffnungs- oder Einstellungsbeschluss richtet, sondern auch, wenn ein freisprechendes Urteil Gegenstand der Beschwerde bildet. Der Geschädigte kann somit einen freisprechenden oder das Verfahren einstellenden Entscheid nicht mittels Beschwerde in Strafsachen anfechten etwa mit der Begründung, dass die Vorinstanz die Beweise willkürlich gewürdigt oder ein Tatbestandsmerkmal zu Unrecht verneint habe.
1.8
Der Beschwerdeführer legt nicht substantiiert dar, weshalb und inwiefern die Verneinung der Beschwerdelegitimation des Geschädigten die von ihm angerufenen Grundrechte verletzt. Die Beschwerde genügt insoweit den Begründungsanforderungen gemäss
Art. 106 Abs. 2 BGG
nicht, weshalb in diesem Punkt auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Im Übrigen ist die bundesgesetzliche Regelung, die insoweit - wie das frühere Recht - Opfer und Geschädigte unterschiedlich behandelt, für das Bundesgericht massgebend.
1.9
Der Geschädigte kann mit der Beschwerde in Strafsachen - wie vormals mit der staatsrechtlichen Beschwerde gestützt auf den früheren
Art. 88 OG
(siehe dazu
BGE 131 I 455
E. 1.2.1) - die Verletzung von Rechten rügen, die ihm als am Verfahren beteiligte Partei nach dem massgebenden Prozessrecht oder unmittelbar aufgrund der BV oder der EMRK zustehen. Insoweit hat der Geschädigte ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
(Urteile 1B_134/2008 vom 18. August 2008 E. 1.2; 6B_686/2007 vom 21. Februar 2008 E. 3). Ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des Entscheids hat der Geschädigte auch im Zivilpunkt, falls insoweit die Beschwerde in Strafsachen überhaupt zur Verfügung steht, was gemäss
Art. 78 Abs. 2 lit. a BGG
davon abhängt, ob die Zivilansprüche zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind. Ferner hat der Geschädigte ein rechtlich geschütztes Interesse, soweit es gemäss
Art. 73 StGB
um die Verwendung von eingezogenen Vermögenswerten zu seinen Gunsten geht (Urteil 1B_212/2007 vom 12. März 2008 E. 1.4). | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99583e96-0af0-439c-91f8-c70d4c71b38e | Urteilskopf
95 I 414
60. Urteil vom 8. Oktober 1969 i.S. Schachtler gegen Obergericht des Kantons Luzern | Regeste
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für die Klage aufgrund von
Art. 271 Ziff. 5 SchKG
.
Die unentgeltliche Rechtspflege darf dem Kläger nicht verweigert werden, wenn die Betreibung, in welcher der provisorische Verlustschein ausgestellt wurde, im Zeitpunkt der Arrestnahme bereits erloschen war. | Erwägungen
ab Seite 414
BGE 95 I 414 S. 414
1.
In der Betreibung Nr. 9719 des Betreibungsamtes Luzern wurde der Gläubigerin, Atlas Bank in Zürich, am 23. Februar 1967 ein provisorischer Verlustschein ausgestellt. Gestützt darauf erwirkte die Gläubigerin gegen den Schuldner am 21. Februar 1969 einen Arrest. Schachtler erhob Arrestaufhebungsklage,
BGE 95 I 414 S. 415
die er damit begründete, dass die zugrunde liegende Betreibung Nr. 9719 des Betreibungsamtes Luzern mangels Stellung des Verwertungsbegehrens erloschen sei. Der Amtsgerichtspräsident I Luzern-Stadt wies das mit der Klage verbundene Gesuch um Gewährung des Armenrechts wegen Aussichtslosigkeit ab, ebenso das Obergericht des Kantons Luzern den dagegen erhobenen Rekurs. Hiegegen richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Rekursentscheid aufzuheben und die Sache zur Weiterbehandlung und zur Gewährung des Armenrechts an das Obergericht zurückzuweisen. Es wird eine Verletzung von
Art. 4 BV
(Abweisung des Armenrechtsgesuches aus unzutreffenden Gründen) gerügt.
Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen seines Entscheides die Abweisung der Beschwerde.
2.
Nach den vom Bundesgericht zu
Art. 4 BV
entwickelten Grundsätzen hat die bedürftige Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess einen Anspruch darauf, dass der Richter für sie ohne vorgehende Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten tätig wird. Als aussichtslos gelten Prozessbegehren, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und nicht mehr als ernsthaft bezeichnet werden können; dagegen hat ein Begehren nicht als aussichtslos zu gelten, wenn die Gewinnaussichten und die Verlustgefahren sich ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind, als diese. Das Bundesgericht prüft den angefochtenen Entscheid in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich soweit frei, als der bundesrechtliche Armenrechtsanspruch im Streite liegt (
BGE 89 I 161
Erw. 2 mit Verweisungen).
3.
Es ist streitig, ob die Arrestaufhebungsklage aussichtslos ist. Wie es sich damit verhält, hängt zunächst davon ab, ob das Arrestbegehren nur solange gestellt werden kann, als die dem provisorischen Verlustschein zugrunde liegende Betreibung noch gültig ist und fortgesetzt werden kann, oder ob er auch nach Hinfall der Betreibung einen Arrestgrund darstellt.
Die kantonalen Instanzen nehmen das letztere an. Das Obergericht erklärt unter Hinweis auf LEEMANN, (Der schweiz. Verlustschein, S. 34 ff.), die Literatur sei von jeher überwiegend auf diesem Boden gestanden. Auch das Urteil des Bundesgerichtes in
BGE 88 III 67
Erw. 5 könne nur dahin verstanden werden, dass ein Gläubiger gestützt auf einen provisorischen
BGE 95 I 414 S. 416
Verlustschein in jedem Fall die Möglichkeit habe, einen Arrest zu erwirken. FRITZSCHE (Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, Bd I 269, Bd II 207) pflichte dieser Auffassung des Bundesgerichtes bei. Der Beschwerdeführer vermöge nicht darzutun, weshalb diese Praxis zu Misständen oder zu Rechtsunsicherheit Anlass gäbe.
4.
Nach
Art. 115 SchKG
dient die Pfändungsurkunde, falls nach der Schätzung des Beamten nicht genügendes Vermögen vorhanden ist, dem Gläubiger als provisorischer Verlustschein und äussert als solcher die in den
Art. 271 Ziff. 5 und
Art. 285 SchKG
bezeichneten Rechtswirkungen. Der Gläubiger kann, wenn ihm ein Verlustschein zugestellt wurde, für eine verfallene, nicht durch Pfand gedeckte Forderung Vermögensstücke des Schuldners mit Arrest belegen lassen. Eine ausdrückliche Antwort auf die gestellte Frage ist diesen Vorschriften nicht zu entnehmen. Diese ist aus allgemeinen Grundsätzen über die Wirkung einer hängigen oder einer erloschenen Betreibung zu gewinnen.
5.
Nach
Art. 149 SchKG
wird ein definitiver Verlustschein ausgestellt, wenn der an der Pfändung teilnehmende Gläubiger für seine Forderung oder einen Teil derselben aus dem Erlös der gepfändeten Sache nicht gedeckt wird, der provisorische, wenn nach der Schätzung des Betreibungsbeamten bei der Pfändung nicht genügend Vermögen vorhanden ist. Provisorisch ist der Verlustschein in diesem Fall, weil sich bei einer Nach- oder Ergänzungspfändung oder bei der Verwertung der gepfändeten Sache ergeben kann, dass der Gläubiger für seine Forderung doch noch befriedigt wird. Das Recht, eine Nach- oder Ergänzungspfändung zu verlangen erlischt nach
Art. 88 Abs. 2 SchKG
mit Ablauf eines Jahres seit der Zustellung des Zahlungsbefehls. Bis dahin kann der Gläubiger auch einen Arrest verlangen oder die Anfechtungsklage anstellen. Durch den provisorischen Verlustschein wird also bezeugt, dass eine generelle Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners im Gange ist und dass der Gläubiger voraussichtlich ganz oder teilweise zu Verlust kommen wird. Die ungenügende Pfändung, welche durch den provisorischen Verlustschein festgestellt wird, verliert ihre Bedeutung, wenn der Gläubiger nachträglich befriedigt wird. Mit dem definitiven Verlustschein ist dagegen die Betreibung abgeschlossen und steht der Verlust fest. Bei solcher Verschiedenheit der Wirkungen der beiden Arten von
BGE 95 I 414 S. 417
Verlustscheinen lässt sich wohl kaum rechtfertigen, sie bezüglich des Arrestes gleichzustellen, wenn die Betreibung, die zum provisorischen Verlustschein geführt hat, nicht fortgesetzt wird. Es liegt näher anzunehmen, die Wirkung des provisorischen Verlustscheins beschränke sich auf die Dauer des angehobenen Betreibungsverfahrens, und mit dem Erlöschen der Betreibung falle die Wirkung der vorgenommenen Pfändung dahin. Wenn dem aber so ist, könnte der provisorische Verlustschein nach dem Erlöschen der Betreibung nicht mehr als Grundlage für einen Arrest dienen (so für die Anfechtungsklage JAEGER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis 1911-1945 zu Art. 285 Note 3). Entsprechendes sollte für den Arrest gelten.
Auch die Lehre scheint hiervon auszugehen.
Nach BLUMENSTEIN (Handbuch des schweiz. Schuldbetreibungsrechtes S. 498) bleibt der provisorische Verlustschein solange in Kraft, bis die Betreibung vollständig durchgeführt ist und ein definitiver Verlustschein ausgestellt wird. Inzwischen, nicht auch nachher, äussert er gewisse Wirkungen, die dem definitiven Verlustschein zukommen. Nach JAEGER (zu Art. 115 Note 3) berechtigt der provisorische Verlustschein den Gläubiger, solange die eingeleitete Betreibung ihren Fortgang nimmt, zur Arrestnahme. OVERBECK (Schuldbetreibung und Konkurs, S. 125) führt aus, der provisorische Verlustschein bleibe solange in Kraft, bis das Betreibungsverfahren vollständig, d.h. bis zur Verwertung durchgeführt ist. LEEMANN vertritt keine andere Auffassung.
Auch das Bundesgericht hat in
BGE 88 III 59
nicht erklärt, der provisorische Verlustschein berechtige zur Arrestnahme. In diesem Entscheid ging es um die Zulässigkeit einer zweiten Betreibung. Das Bundesgericht anerkennt darin, dass vom allgemeinen Verbot, zwei oder mehrere Betreibungen nebeneinander zu führen, bei der Arrestprosequierung eine Ausnahme gelte. Für den Fall, dass die erste Betreibung erloschen ist, wird damit über die Zulässigkeit des Arrestes auf Grund eines provisorischen Verlustscheins nichts ausgesagt. FRITZSCHE (S. 207) und KUMMER (ZbJV 99, 455) nehmen keinen andern Standpunkt ein. Nach diesem muss der Gläubiger den Arrest gestützt auf den provisorischen Verlustschein allerdings prosequieren, und folglich "allenfalls noch vor Erledigung der ersten Betreibung für die nämliche Forderung eine zweite anheben".
BGE 95 I 414 S. 418
6.
Es ist nicht streitig, dass die dem provisorischen Verlustschein zugrunde liegende Betreibung gegen den Beschwerdeführer erloschen ist. Die Auffassung des angefochtenen Entscheides, der Verlustschein berechtige trotzdem zur Stellung des Arrestgesuches, erscheint daher als zweifelhaft. Jedenfalls könnte nicht gesagt werden, Gewinnaussichten und Verlustgefahren der Arrestaufhebungsklage hielten sich nicht die Waage und diese sei aussichtslos. Die unentgeltliche Rechtspflege durfte dafür nicht verweigert werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 31. Juli 1969 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
995d54b2-3984-43e9-9c51-28cdf6c7ef44 | Urteilskopf
101 IV 292
67. Urteil des Kassationshofes vom 4. Juli 1975 i.S. Meier gegen Hubatka | Regeste
Art. 173 Ziff. 2 und 3 StGB
.
Ehrverletzung durch den Vorwurf, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Der Umstand, dass über die angebliche Straftat eine Strafuntersuchung durchgeführt wurde, die zu einem Einstellungsbeschluss geführt hat, steht dem Entlastungsbeweis nicht entgegen. | Sachverhalt
ab Seite 292
BGE 101 IV 292 S. 292
A.-
a) In der Nacht vom 26./27. März 1963 wurden im Amtshaus 1 der Stadt Zürich 71 Zahltagstäschchen mit über Fr. 88'000.-- gestohlen. Die Täterschaft konnte nicht ermittelt werden. Am 1. Juli 1966 stellte die Staatsanwaltschaft die Untersuchung einstweilen ein.
b) Kurt Meier, der 1948 in das Korps der Stadtpolizei Zürich eingetreten, 1967 aber im Laufe einer Untersuchung gegen ihn wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses im Dienst suspendiert worden war, richtete am 4. Januar 1968 eine Eingabe an die Staatsanwaltschaft, in der er geltend machte, Dr. Walter Hubatka, der als Chef der städtischen Kriminalpolizei die polizeilichen Ermittlungen wegen des Diebstahls geleitet hatte, sei selbst durch gewichtige Indizien der Tat verdächtig. Die Eingabe wurde an die Bezirksanwaltschaft Zürich geleitet, die beantragte, das Verfahren gegen Hubatka mangels Beweises endgültig einzustellen. Diesen Antrag folgte die Staatsanwaltschaft am 14. März 1968. Ein Wiederaufnahmebegehren Meiers wurde am 19. Oktober 1970 abgewiesen, nachdem schon am 20. August 1970 eine damit zusammenhängende
BGE 101 IV 292 S. 293
Strafanzeige gegen Hubatka wegen Urkundenunterdrückung eingestellt worden war.
c) Auch in einer vervielfältigten Schrift vom 15. September 1969 mit dem Titel "Ist Dr. Hubatka der Zahltagsdieb?" und in einem Begleitschreiben an alle Kantons- und Gemeinderäte in Zürich beschuldigte Meier (zusammen mit andern) Hubatka des Zahltagsdiebstahls. Eine Ehrverletzungsklage Hubatkas wurde wegen Verfolgungsverjährung eingestellt.
B.-
Im August 1972 wurde in Zürich ein von Meier verfasstes Flugblatt "Wir fragen schon lange: warum wird Dr. Hubatka gedeckt?" in einer Auflage von 30'000 Exemplaren verteilt. Darin wird Hubatka verdächtigt, der Zahltagsdieb zu sein.
Auf Klage Hubatkas verurteilte das Geschworenengericht des Kantons Zürich Meier am 21. Juni 1974 wegen übler Nachrede zu sechs Monaten Gefängnis und zu Fr. 4'000.-- Genugtuung.
C.-
Meier führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das Geschworenengericht zu Beweisergänzung und neuer Entscheidung. Hubatka beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Im eingeklagten Flugblatt wird Hubatka erneut des Zahltagsdiebstahls verdächtigt. Ihm wird auch vorgehalten, er, Leiter der polizeilichen Untersuchung, habe seinen Alibibogen so ausgefüllt, dass er mit Aussagen Dritter nicht übereinstimme; Polizeimann Wendel habe beobachtet, dass er in der von ihm ausgewiesenen Alibizeit zwei- oder dreimal zu den Tatbüros geschritten sei. Die Äusserung ist ehrverletzend. Der Beschwerdeführer war sich dessen auch bewusst, wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
;
BGE 98 IV 66
, 259 E. 4). Der Tatbestand der Ehrverletzung nach
Art. 173 Ziff. 1 StGB
steht damit fest. Es kann sich nur fragen, ob der Beschwerdeführer zu den Entlastungsbeweisen zuzulassen ist und ob sie allenfalls erbracht sind (
Art. 173 Ziff. 2 und 3 StGB
).
2.
Bei einer Anklage wegen übler Nachrede wird der Angeklagte zum Beweis der Wahrheit und des guten Glaubens nicht zugelassen und ist strafbar, wenn er sich ohne Wahrung
BGE 101 IV 292 S. 294
öffentlicher Interessen oder sonstwie ohne begründete Veranlassung vorwiegend in der Absicht geäussert hat, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere wenn sich die Äusserung auf das Privat- oder Familienleben bezieht (
Art. 173 Ziff. 3 StGB
). Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes (
BGE 82 IV 93
) werden die Entlastungsbeweise nur ausgeschlossen, wenn der Täter sowohl ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder ohne sonstige begründete Veranlassung als auch mit Beleidigungsabsicht gehandelt hat.
3.
Die Vorinstanz stellt verbindlich fest, dass es dem Beschwerdeführer vorwiegend darum ging, den Kläger zu Fall zu bringen und ihn als Delinquenten zu schmähen. Damit steht eine Voraussetzung für den Ausschluss der Entlastungsbeweise fest.
Von der andern Voraussetzung (Wahrung öffentlicher Interessen oder sonstige begründete Veranlassung) steht, auch nach Auffassung des Beschwerdeführers, nur die erste Variante zur Diskussion. Der Beschwerdeführer bejaht sie, die Vorinstanz hat das öffentliche Interesse verneint.
4.
Zur Begründung ihres Standpunktes, der Beschwerdeführer habe keine öffentliche Interessen gewahrt, geht die Vorinstanz von den Verfügungen vom 14. März 1968 und 19. Oktober 1970 aus. Mit der ersten hat die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen Hubatka wegen des Zahltagsdiebstahls eingestellt und mit der zweiten ein Gesuch um Wiederaufnahme der Strafuntersuchung gegen den Kläger abgewiesen. Durch diese Verfügungen sei verbindlich eine Rechtslage geschaffen worden, die für eine relevante Verdächtigung keinen Raum mehr lasse. Einen Vorbehalt macht die Vorinstanz für neue Verdachtsgründe, die nicht Gegenstand der frühern Strafverfahren (Strafuntersuchung, Wiederaufnahme des sistierten Verfahrens) gebildet hätten. Solche Verdachtsgründe hätten aber in einem neuen Revisionsverfahren geltend gemacht werden müssen, nicht mit dem eingeklagten Flugblatt.
a) Die Wiederaufnahme der Untersuchung ist gemäss
§ 45 StPO
-ZH nur zulässig, wenn "sich neue Anhaltspunkte für die Täterschaft oder für die Schuld ergeben". Daraus folgt, dass selbst für den Fall, dass seinerzeit mit unrichtiger tatsächlicher oder rechtlicher Begründung das Verfahren eingestellt bzw. die Wiederaufnahme abgewiesen worden wäre, Hubatka mangels neuer Tatsachen nicht hätte verurteilt werden können.
BGE 101 IV 292 S. 295
Nur das Vorbringen neuer Verdachtsgründe war daher geeignet, das öffentliche Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Zahltagsdiebe zu wahren, nicht aber die Diskussion von Indizien, die schon Gegenstand der beiden frühern Verfahren bildeten. Insoweit konnte die Vorinstanz ein öffentliches Interesse an der Wiederholung alter Verdachtsgründe gegen Hubatka verneinen. Zu prüfen bleibt indessen, ob damit jedes öffentliche Interesse an der Äusserung entfällt.
b) Das eingeklagte Flugblatt kritisiert auch die Art und Weise, wie die Strafuntersuchung gegen die Angehörigen des Polizeikorps geführt wurde. An sich liegt Kritik an einer unkorrekt geführten amtlichen oder strafrechtlichen Untersuchung in einer Angelegenheit wie der vorliegenden im öffentlichen Interesse. Diese Untersuchung als solche bildet aber nicht Gegenstand der Ehrverletzungsklage, sondern nur die Verdächtigung, der Kläger könnte den Zahltagsdiebstahl verübt haben. Feststellungen über die Untersuchung könnten daher den Beschwerdeführer von der gegen ihn erhobenen Anklage nicht entlasten.
c) Hubatka ist Chef der städtischen Kriminalpolizei. Er hat damit eine verantwortungsvolle Stelle inne, die nur einer integern und vertrauenswürdigen Person übertragen werden soll. Selbst wenn aus formellen Gründen eine Wiederaufnahme des Verfahrens gestützt auf den alten Beweisstand und damit eine Verurteilung des Klägers wegen dieses Diebstahls nicht mehr möglich ist, bleibt ein eminentes öffentliches Interesse bestehen, einen eines solchen Diebstahls schuldigen Chef einer Kriminalpolizei disziplinarisch oder sonst auf dem Verwaltungsweg aus dem Amt zu entfernen.
d) Da dem Beschwerdeführer hinsichtlich alter angeblicher Verdachtsgründe der Weg des Wiederaufnahmeverfahrens verschlossen ist und auch Vorstellungen bei den dem Kläger vorgesetzten Stellen keinen Erfolg hatten, kann das öffentlich Interesse am Flugblatt auch nicht mit der Begründung verneint werden, dem Beschwerdeführer wären andere Mittel zur Verfügung gestanden, den Kläger aus dem Amt zu entfernen.
5.
Das Geschworenengericht verneint ein öffentliches Interesse an einer weitern Verdächtigung des Klägers im wesentlichen mit der Begründung, durch die Einstellungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft vom 14. März 1968 und 19. Oktober 1970 sei verbindlich eine Rechtslage festgestellt
BGE 101 IV 292 S. 296
worden, die für eine relevante Verdächtigung des Klägers keinen Raum mehr lasse. Durch diese Beschlüsse stehe der Kläger im Selbst- und Fremdurteil als Ehrenmann da, und niemand mehr sei berechtigt, das mit weitern Publikationen in Zweifel zu ziehen. Für die schon früher vorgebrachten Tatsachen könne der Angeklagte also nicht geltend machen, er habe ernsthafte Gründe gehabt, die im eingeklagten Flugblatt erneut verbreiteten Äusserungen für wahr zu halten. Neue Verdachtsgründe aber, die nicht Gegenstand der frühern Strafuntersuchungen gegen den Kläger bildeten, hätten in einem neuen Revisionsverfahren geltend gemacht werden müssen. Der Beschwerdeführer sei daher zu den Entlastungsbeweisen der Wahrheit und des guten Glaubens nicht zuzulassen, weil durch die zwei ihm bekannten Verfügungen der Staatsanwaltschaft die Nichtwahrheit seiner Äusserungen rechtskräftig festgestellt worden sei.
Die Vorinstanz nimmt also eine Rechtskraftwirkung früherer Einstellungsbeschlüsse in dem Sinne an, dass diese den Strafrichter binden würden. Eine solche Bindung des Strafrichters ist abzulehnen. Wie es sich verhält, wenn es sich um Urteile handelt, kann dabei offen bleiben. Auch Rechte, die wie das französische eine weitgehende Bindung an frühere Urteile kennen, messen diese Wirkung nur den Urteilen selber zu, nicht den dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden Einstellungsbeschlüssen (vgl. BOUZAT-PINATEL, Traité de droit pénal et de criminologie, 2. Aufl., Bd. II Nrn. 1539 ff. S. 1482 ff.). Die Wirkung der Einstellungsbeschlüsse erschöpft sich darin, dass der Staat oder die allenfalls seine Stelle vertretenden Privatstrafkläger gegen den damaligen Angeschuldigten Hubatka mangels neuer Verdachtsgründe nicht mehr wegen des Zahltagsdiebstahls vorgehen dürfen.
Eine Bindung des Strafrichters im vorliegenden Ehrverletzungsprozess an die früheren Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft wäre auch mit
Art. 173 Ziff. 2 StGB
nicht vereinbar. Diesen Verfügungen konnte nur entnommen werden, dass der heutige Kläger des Zahltagsdiebstahls nicht in relevanter Weise verdächtig erschienen ist. Damit könnte aber nur der Wahrheitsbeweis ausgeschlossen werden, nicht aber der von Gesetzes wegen ebenfalls zugelassene Beweis des guten Glaubens.
Die grundsätzliche Feststellung, dass die Verfügungen der
BGE 101 IV 292 S. 297
Staatsanwaltschaft, durch die das Verfahren gegen Hubatka eingestellt wurde, nicht imstande sind, die Entlastungsbeweise auszuschliessen, will aber nicht besagen, sie seien im vorliegenden Ehrverletzungsprozess bedeutungslos. Sie sind eine amtliche Würdigung der damaligen Beweislage, an welcher der heutige Beklagte, der von ihnen Kenntnis hatte, nicht achtlos vorbeigehen durfte. Er musste besonders sorgfältig prüfen, ob er wirklich genügend ernsthafte Gründe habe, seine Verdächtigungen erneut vorzubringen. Dies umso mehr, als es ihm ja vorwiegend darum ging, dem Kläger Übles vorzuwerfen. Diese Frage zu prüfen, wird Sache des Geschworenengerichts sein, dessen Urteil hierüber keine subsidiäre Erwägung enthält, im Gegensatz zur Beurteilung der angeblichen neuen Entlastungsbeweise des Beschwerdeführers (vgl. nachstehende Erw. 6).
6.
Der Beschwerdeführer will sich ferner mit Beweisen entlasten, von denen er erst nach der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 19. Oktober 1970 Kenntnis erlangt habe. Polizeimann Wendel soll bezeugen, dass seine Einvernahme von Bezirksanwalt Dr. Gerber manipuliert worden sei. Ruoff, ehemaliger Kassier der Stadtpolizei, soll aussagen, dass er dem Beschwerdeführer Tatsachen mitgeteilt habe, wonach nur ein Beamter, der monatelang ohne aufzufallen sich abends in den Tatbüros aufhalten konnte, als Dieb in Frage komme.
Diese Personen wurden von der Vorinstanz in einer subsidiären Begründung u.a. deswegen abgelehnt, weil sie als Flugblattverteiler vom Kläger ebenfalls ins Recht gefasst worden seien und daher nicht Zeugnis ablegen könnten. Die Aussage Wendels sei überdies unerheblich, weshalb auch Dr. Gerber nicht einzuvernehmen sei. Ruoff habe sich als befangen erwiesen. Ein Bericht des ausserordentlichen Untersuchungsrichters Dr. Spillmann vom 9. April 1973 wurde u.a. deshalb abgewiesen, weil er aus der Zeit nach der Verteilung des Flugblattes stammt, ebenso seine Erklärung, die Alibi seien von den Untersuchungsbehörden ungenügend überprüft worden. Da nur der Entlastungsbeweis des guten Glaubens angetreten wurde, waren diese nachträglichen Beweise unerheblich. Diese Ablehnungsgründe gehören der Beweiswürdigung an, weshalb sie ebenso wenig wie die auf sie gestützten tatsächlichen Feststellungen mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden können (Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis Abs. 1 BStP).
BGE 101 IV 292 S. 298
7.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist dahin gutzuheissen, dass der Angeklagte zu den Entlastungsbeweisen gemäss
Art. 173 Ziff. 2 StGB
zuzulassen ist.
8.
Der Verletzte hat eine Genugtuungssumme von Fr. 6'000.-- beantragt, die Vorinstanz hat Fr. 4'000.-- zugesprochen. Der Streitwert beträgt somit nicht Fr. 8'000.--. Die Nichtigkeitsbeschwerde im Zivilpunkt ist daher nur zulässig, wenn sich der Kassationshof auch mit dem Strafpunkt befasst (
Art. 271 Abs. 2 BStP
). Von der Aufhebung des Urteils wird auch die Verurteilung zur Genugtuungssumme erfasst. Mangels einer besondern Begründung gilt der Zivilpunkt aber nur soweit angefochten, als eine neue Beurteilung der Strafsache auch eine neue Beurteilung der Zivilsache bedingen würde. Eine andere Verletzung von Bundesprivatrecht wird nicht geltend gemacht. Da der Strafpunkt zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden muss, wird auch die Verurteilung zur Genugtuung aufgehoben, damit die Vorinstanz, je nach dem Ergebnis der neuen Beurteilung, über sie neu befinde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni 1974 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
995d92ab-2ddf-4f21-891f-d9c5360cf2bc | Urteilskopf
113 Ia 84
16. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 23 juin 1987 dans la cause dame R. contre dame C. et Tribunal cantonal du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
. Kantonaler Zivilprozess.
Der kantonalen Behörde, die es in Übereinstimmung mit ihrer publizierten Rechtsprechung ablehnt, eine unzulässige Nichtigkeitsbeschwerde als Berufung entgegenzunehmen, mit der Begründung, das Rechtsmittel sei von einem Rechtsanwalt verfasst worden, der es ausdrücklich als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnet und die entsprechenden Formvorschriften eingehalten habe, kann nicht überspitzter Formalismus vorgeworfen werden. | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 113 Ia 84 S. 85
A.-
Le 6 octobre 1980, le Juge-Instructeur du district de ... a ordonné, en application de l'
art. 270 al. 1 ch. 4 LP
, le séquestre des biens de R., domicilié à Rome, en faveur de dame R. pour une créance alimentaire de 18'000 francs en capital. Le séquestre devait porter sur le mobilier d'un chalet occupé par R., y compris les tableaux, dont une toile de Jacomo de Bazano (sic), et sur une somme de 25'000 francs, déposée par le poursuivi à l'Office des poursuites de ... L'Office des poursuites a exécuté ce séquestre le 8 octobre 1980; il l'a fait porter notamment sur le tableau spécialement désigné par l'ordonnance, qu'il a estimé à 5'000 francs, sous réserve d'expertise. Dame C. a immédiatement revendiqué tous les objets séquestrés. L'Office des poursuites a dès lors imparti à la poursuivante le délai de l'
art. 109 LP
pour ouvrir action en contestation de revendication.
En temps utile, dame R. a ouvert action contre dame C., concluant à ce que la propriété des époux R. sur le tableau fût reconnue et qu'en conséquence la revendication de dame C. fût écartée, le séquestre sur cet objet étant confirmé au bénéfice de dame R. Après instruction, le Juge-Instructeur a transmis le dossier au Tribunal cantonal valaisan, pour jugement. Par arrêt du 29 juin 1983, le Tribunal cantonal a renvoyé la cause au Juge-Instructeur: il a considéré qu'une expertise du tableau lui attribuait une valeur globale de 11'000 à 15'000 francs, mais que, comme dame R. se prétendait copropriétaire avec son mari de l'oeuvre séquestrée, le séquestre ne portait que sur la part du mari, soit 7'500 francs au plus, qui déterminait la valeur litigieuse; celle-ci étant inférieure à 8'000 francs, le Tribunal cantonal n'était pas compétent pour statuer en première instance, mais bien le Juge-Instructeur, en vertu de l'art. 5 du code de procédure civile valaisan (CPC).
Le Juge-Instructeur ayant alors rejeté une demande de suspension présentée par dame R., celle-ci a fait appel, demandant que le Tribunal cantonal prononçât la suspension requise, principalement en tant que juridiction cantonale unique, subsidiairement en tant que juridiction d'appel. Le Tribunal cantonal a rejeté l'appel par arrêt du 21 février 1984, au motif que le Juge-Instructeur était compétent pour statuer sur la demande de suspension et qu'il l'avait rejetée à bon droit.
BGE 113 Ia 84 S. 86
Par jugement du 2 octobre 1986, le Juge-Instructeur de ... a rejeté l'action en revendication ouverte par dame R. contre dame C. Il a d'abord confirmé sa compétence, puis a constaté que l'action était devenue sans objet: en effet, l'action en validation du séquestre et en reconnaissance de dette intentée par dame R. contre son mari avait été rejetée par le Tribunal cantonal le 21 février 1984, la créance de la demanderesse contre son époux pour les pensions alimentaires d'avril à septembre 1980 ayant été éteinte par paiement; la poursuite étant infondée, la question de ses modalités d'exécution ne se posait plus.
B.-
Dame R. a déposé contre ce jugement un pourvoi en nullité auprès du Tribunal cantonal. Invoquant l'
art. 285 ch. 2 et 5 CPC
, elle a soutenu que la valeur litigieuse devait être fixée entre 11'000 et 15'000 francs, de sorte que le Juge-Instructeur était compétent pour juger, et elle a prétendu en outre que ce magistrat ne pouvait pas se fonder sur le jugement du 21 février 1984 rejetant l'action en validation du séquestre, ce jugement étant en contradiction avec une pièce du dossier. Sur le fond, dame R. a fait valoir que dame C., revendiquante, n'avait jamais établi sa propriété sur le tableau litigieux, alors qu'il y avait des éléments de fait démontrant que ce tableau est la copropriété de dame R. et de son mari, soit de l'hoirie de celui-ci, décédé dans l'intervalle. Elle a conclu à l'annulation du jugement attaqué, demandant principalement que la cause fût renvoyée au Tribunal cantonal comme instance unique, subsidiairement que la contestation de revendication fût admise et la revendication de dame C. rejetée en application de l'
art. 292 al. 3 CPC
, qui permet au Tribunal cantonal, après admission du pourvoi en nullité, de trancher lui-même sur le fond lorsque la cause est en état.
Par arrêt du 29 janvier 1987, le Tribunal cantonal a déclaré irrecevable le pourvoi en nullité. Il a considéré que, dans la mesure où dame R. faisait valoir l'incompétence, ratione valoris, du Juge-Instructeur, elle devait exercer un appel contre le jugement du 2 octobre 1986, la voie subsidiaire du pourvoi en nullité lui étant fermée, et que, comme la voie du pourvoi en nullité avait été expressément choisie, il n'était pas possible de transformer ce pourvoi en un appel recevable. Il s'est référé sur ce dernier point à sa jurisprudence publiée.
C.-
Dame R. a formé un recours de droit public pour formalisme excessif. Elle demandait l'annulation de l'arrêt attaqué. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
BGE 113 Ia 84 S. 87
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Un formalisme excessif, c'est-à-dire qui n'est pas justifié par la protection d'un intérêt digne de considération ou qui complique inutilement l'application du droit matériel, constitue un déni de justice formel condamné par l'
art. 4 Cst.
L'assimilation de l'excès de formalisme au déni de justice formel n'est autre qu'une application, propre à la procédure, du principe de la proportionnalité. C'est en effet sur la base du principe de la proportionnalité que l'on pourra déterminer si l'application des règles de la procédure, dont un certain formalisme est nécessaire pour assurer le déroulement régulier des procès et la sécurité du droit matériel, aboutit en réalité à entraver l'application de celui-ci ou à la rendre impossible, constituant ainsi un formalisme excessif. Saisi d'un recours de droit public, le Tribunal fédéral examine en principe librement s'il y a formalisme excessif condamné par le droit fédéral; il n'examine cependant que sous l'angle restreint de l'arbitraire l'interprétation et l'application du droit cantonal déterminant (
ATF 108 Ia 290
consid. 1 et les références).
3.
La recourante ne critique pas l'application du droit cantonal. Elle ne conteste pas que, dans l'hypothèse où le Juge-Instructeur aurait statué dans une cause excédant sa compétence ratione valoris, seul l'appel lui était ouvert, et non le pourvoi en nullité (Revue valaisanne de jurisprudence (RVJ) 1968 p. 327/328; 1973 p. 14 et 308). Elle taxe en revanche de formalisme excessif le refus du Tribunal cantonal de convertir son pourvoi en nullité irrecevable en un appel recevable. La question qui se pose en l'espèce est donc de savoir si la jurisprudence à laquelle s'est tenu le Tribunal cantonal n'est pas justifiée par la protection d'un intérêt digne de considération ou complique inutilement l'application du droit matériel, aboutissant en réalité à l'entraver ou à la rendre impossible.
a) En matière de procédure, l'
art. 4 Cst.
n'interdit pas un certain formalisme, dans la mesure où celui-ci est institué pour assurer le déroulement de l'instance et garantir la sécurité du droit matériel (
ATF 108 Ia 290
consid. 1 et les références;
ATF 92 I 11
consid. 1, 16 consid. 2). Non seulement le juge saisi, mais aussi la partie adverse doivent savoir clairement ce que réclame celui qui procède. La partie adverse notamment ne doit pas être exposée à des surprises, faute de connaître exactement les moyens invoqués contre elle: ce serait contraire à la loyauté du débat.
BGE 113 Ia 84 S. 88
b) On ne voit pas que l'irrecevabilité d'un pourvoi en nullité lorsque l'appel est ouvert puisse entraver l'application du droit matériel. Le plaideur à qui la voie du pourvoi en nullité est fermée peut en effet appeler du jugement qu'il entend attaquer et obtenir ainsi l'application du droit matériel. Le fait que deux voies sont alternativement ouvertes pour attaquer un jugement de l'autorité inférieure serait de nature à rendre plus difficile la poursuite du droit matériel si la distinction entre les deux voies était malaisée, voire douteuse. Mais tel n'est pas le cas en l'espèce. La jurisprudence cantonale a clairement établi, dans les termes de la loi, que seul un jugement du Juge-Instructeur rendu dans une cause dont la valeur litigieuse est inférieure à 5'000 francs est définitif et susceptible uniquement du pourvoi en nullité, et que, dès que la valeur litigieuse atteint ou dépasse 5'000 francs, c'est par la voie de l'appel que le jugement du Juge-Instructeur doit être attaqué (RVJ 1968 p. 327/328; 1973 p. 14 et 308). Le choix de la voie de droit recevable ne présente dès lors aucune difficulté. La recourante ne prétend d'ailleurs pas le contraire: elle fait seulement valoir que son pourvoi en nullité irrecevable pouvait être interprété comme un appel recevable.
c) Il est vrai que la jurisprudence valaisanne n'exclut pas entièrement la possibilité de qualifier un acte de recours imprécis. Si le plaideur exprime la volonté de ne pas se soumettre à la décision du premier juge, en présentant des motifs et des conclusions, et que le Tribunal cantonal constate que la décision entreprise est définitive, il peut qualifier l'acte de recours de pourvoi en nullité et s'en saisir comme tel (RVJ 1970 p. 244). Le Tribunal cantonal ne se refuse à rechercher d'office quelle voie le recourant a voulu suivre que si celui-ci, assisté d'un avocat, s'exprime avec netteté et désigne expressément la voie de recours qu'il a choisie, tout en se conformant aux règles de forme qui la régissent. De telles précisions excluent une erreur, selon la jurisprudence cantonale, si bien que la conversion de l'acte n'impliquerait plus une interprétation de la volonté du recourant, mais la substitution, à cette volonté clairement exprimée, d'une volonté hypothétique raisonnable et efficace (RVJ 1970 p. 245; 1979 p. 233).
Cette argumentation n'est guère convaincante.
Lorsque, se trompant sur les voies de recours ouvertes, un plaideur attaque un jugement non définitif par un pourvoi en nullité, il exprime clairement la volonté de soumettre au Tribunal cantonal les griefs limitativement énumérés à l'
art. 285 CPC
, ou certains d'entre eux,
BGE 113 Ia 84 S. 89
auxquels il croit être réduit. L'autorité de seconde instance ne peut certes pas modifier cette volonté: elle doit s'en tenir aux moyens soulevés. Mais les motifs présentés à l'appui d'un pourvoi en nullité peuvent être examinés par le juge d'appel, dont le pouvoir d'examen est plus étendu que celui du juge de cassation (RVJ 1968 p. 327). Ainsi, en l'espèce, le moyen pris du fait que le Juge-Instructeur aurait statué au-delà de sa compétence ratione valoris, invoqué dans le cadre de l'
art. 285 ch. 2 CPC
, permet au juge d'appel d'annuler le jugement déféré, puis de statuer en première instance (RVJ 1973 p. 14, 308). Quant au grief d'application du droit manifestement erronée ou d'appréciation des preuves manifestement inexacte (
art. 285 ch. 5 CPC
), il entre évidemment dans le cadre du libre contrôle de l'application du droit et de la libre appréciation des preuves qui compètent au juge d'appel. Tel qu'il est présenté par le Tribunal cantonal, l'argument tiré du respect de la volonté clairement exprimée du recourant aboutit, on le voit, à méconnaître la volonté réelle du plaideur de déférer la cause, au moins dans une mesure restreinte, à l'autorité de seconde instance, la forme prévalant sur le fond. C'est la volonté de soumettre au Tribunal cantonal les griefs de l'
art. 285 CPC
qui lie cette autorité. La volonté de suivre la voie de droit du pourvoi en nullité, elle, est évidemment viciée si le pourvoi est irrecevable. On ne saurait en effet présumer que le plaideur a entendu présenter ses moyens de façon irrecevable.
Au surplus, le vice de forme retenu comme déterminant ne consiste que dans le titre donné à l'acte de recours. Tant l'appel que le pourvoi en nullité s'exercent par mémoire contenant des motifs et des conclusions. Tous deux peuvent être déposés auprès du juge qui a statué, même si la loi prévoit que le pourvoi doit l'être auprès du Tribunal cantonal. En effet, la jurisprudence a réduit cette exigence légale à une prescription dépourvue de sanction (RVJ 1970 p. 244): à s'en tenir à l'esprit de cette jurisprudence, l'appel ne serait pas non plus irrecevable s'il était déposé auprès du Tribunal cantonal. Quant aux conclusions, elles tendent bien à la cassation du jugement déféré par le pourvoi. Mais, en cas d'appel, le jugement attaqué est également annulé, le juge d'appel devant, en tout état de cause, prononcer un nouveau dispositif dès qu'il est valablement saisi (RVJ 1973 p. 308). Après cassation, la cause peut être tranchée par le Tribunal cantonal (
art. 292 al. 3 CPC
). Il est vrai qu'en principe la cause est renvoyée au juge dont le jugement est cassé (
art. 292 al. 1 CPC
), mais ce principe ne saurait trouver application si
BGE 113 Ia 84 S. 90
le jugement émane d'un juge inhabile ou récusé, ou d'un juge incompétent en raison de la matière (
art. 285 ch. 1 et 2 CPC
). Or, en l'espèce, la recourante concluait principalement à ce que la cause fût tranchée au fond par le Tribunal cantonal en instance unique, ce qui correspond exactement aux conclusions que peut prendre l'appelant lorsque le Juge-Instructeur a statué sur une cause dont la valeur litigieuse est supérieure à 8'000 francs (RVJ 1973 p. 14, 308). Les conclusions subsidiaires tendaient également d'ailleurs à ce que le Tribunal se prononçât lui-même sur le fond, mais en application de l'
art. 292 ch. 3 CPC
.
Ainsi, la forme et les conclusions du mémoire de recours correspondaient aussi bien à un appel qu'à un pourvoi en nullité. La recourante rappelle que le Tribunal fédéral admet la conversion d'un acte de recours irrecevable dans la voie choisie en un acte de recours recevable dans une autre voie, lorsque les formes de cette voie sont également respectées (cf.
ATF 107 II 235
consid. 1,
ATF 103 II 71
/72 consid. 2,
ATF 95 II 378
consid. 3). On ne saurait toutefois tirer de cette pratique du Tribunal fédéral la conclusion que tout autre mode de procéder constitue un formalisme excessif: tel ne sera le cas que si une pratique contraire apparaît inadaptée au but de la procédure, aboutissant en réalité à entraver l'application du droit matériel ou à la rendre impossible.
d) Ce n'est pas sans pertinence que la jurisprudence valaisanne attribue de l'importance au fait que l'acte vicieux émane d'un avocat, et non de la partie elle-même. L'avocat est non seulement le représentant de la partie, mais encore le collaborateur de la justice (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd. p. 636 et 640 no 2 in fine). Le juge est en droit d'admettre qu'il agit en pleine connaissance de cause: l'avocat est présumé capable, en raison de sa formation particulière, de représenter utilement la partie (
ATF 81 I 117
/118 consid. 4); il se justifie dès lors de se montrer plus rigoureux en présence de ses procédés qu'en présence des procédés d'un plaideur ignorant du droit (ATF
ATF 108 Ia 212
consid. 3,
ATF 109 Ia 226
consid. 2b, notamment).
e) La jurisprudence valaisanne critiquée tient aussi pour déterminant le fait que le recourant se conforme fidèlement aux règles de forme de la voie de droit choisie par erreur, notamment en prenant des conclusions en cassation à l'appui d'un pourvoi en nullité, en invoquant expressément l'
art. 285 CPC
et en déposant l'acte au greffe du Tribunal cantonal, comme le prescrit l'
art. 287 CPC
(cf. STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur
BGE 113 Ia 84 S. 91
zürcherischen Zivilprozessordnung, 2e éd., n. 18 ad par. 259 et les arrêts zurichois cités: la conversion n'est pas possible si le recourant, respectivement son avocat, affirme expressément que la voie choisie l'est correctement). Ces précisions sont de nature à égarer tant la partie adverse que l'office du juge sur la procédure à suivre.
En cas d'appel, l'intimé doit s'attendre à devoir se défendre sur tous les points du jugement de première instance, en fait comme en droit, vu l'effet dévolutif complet de cette voie de droit. Il part en outre de l'idée que le jugement qui lui donne gain de cause n'entre pas en force jusqu'à droit connu sur l'appel. Il peut requérir des sûretés pour les frais du procès (
art. 313 CPC
). S'il s'agit d'un pourvoi en nullité, l'intimé doit s'attendre à ne devoir répondre que sur les moyens limitativement énumérés par l'
art. 285 CPC
et, parmi ceux-ci, sur ceux soulevés par le recourant. Il sait que la voie choisie ne met pas obstacle à l'entrée en force du jugement, sauf décision contraire expresse (
art. 288 CPC
). Il n'a pas à requérir des sûretés, le recourant étant tenu, à peine de déchéance, de déposer immédiatement le montant prévu par le tarif des frais pour les frais de justice et du mémoire de la partie adverse (
art. 294 CPC
).
Quant au juge, il est également induit en erreur par le dépôt d'un pourvoi en nullité quand le recourant entend exercer un appel. Lorsqu'il reçoit un pourvoi en nullité, le greffe du Tribunal cantonal doit le communiquer immédiatement à la partie adverse, qui a un délai péremptoire de vingt jours pour transmettre sa réponse (
art. 286 al. 3 CPC
). Le Tribunal cantonal peut en outre interpeller le juge de première instance (
art. 289 CPC
). C'est cette voie qui a été suivie en l'espèce. Elle est inutile en matière d'appel. En effet, lorsque l'intimé reçoit connaissance de l'appel, il peut se déterminer sur les preuves nouvelles déposées par l'appelant (
art. 278 al. 3 CPC
) et déposer un appel par voie de jonction (
art. 281 CPC
). Il n'aura à se déterminer sur le fond que lors du débat, le cas échéant après l'administration des preuves nouvelles (
art. 279, 280 CPC
).
Il suit de là que, si un pourvoi en nullité se révèle irrecevable, les procédés entrepris pour son instruction n'ont plus d'objet et que, dans la mesure où l'acte serait converti en appel, il faudrait reprendre la procédure et fixer un nouveau délai à l'intimé pour faire valoir ses exceptions sur les preuves nouvelles proposées et pour se joindre éventuellement à l'appel. Le refus de la conversion évite des procédés inutiles et la reprise de procédés qui ne sont possibles qu'au moment où la conversion a été ordonnée. Le souci d'éviter ces longueurs ne
BGE 113 Ia 84 S. 92
saurait être qualifié de formalisme entravant l'application du droit matériel en vue de sauvegarder des intérêts indignes de considération.
De tels procédés inutiles ne sont pas à craindre si l'acte de recours est imparfaitement formulé. En effet, la qualification d'un tel acte appartient alors à l'autorité de seconde instance et elle ne peut que précéder la communication du double à la partie adverse. Au moment où elle est ainsi interpellée, celle-ci sait quelle est la qualification donnée à l'acte par le juge, et elle peut procéder utilement en conséquence. Elle n'est donc pas exposée à des procédés inutiles; partant, ses intérêts dignes de protection ne sont pas lésés dans de telles circonstances.
4.
a) De manière générale, le Tribunal fédéral n'a donné la qualification de formalisme excessif qu'à des exigences injustifiées ou à la sanction d'irrecevabilité appliquée à des irrégularités qui pouvaient être aisément corrigées, sans que cette correction entraînât des longueurs ou des opérations superflues. Ainsi, dans l'affaire Kuppel c. Strazzer, le retard dans le dépôt de l'autorisation de procéder accordée à l'avocat étranger au canton d'Argovie ne retardait pas le déroulement de la procédure, ni n'amenait la partie adverse à entreprendre des opérations inutiles (
ATF 81 I 117
/118 consid. 4). Il en va de même en cas de retard dans le dépôt de la procuration (
ATF 92 I 16
/17 consid. 2,
ATF 86 I 7
ss consid. 3) ou en cas de fixation d'un délai pour produire une copie conforme du jugement attaqué (
ATF 92 I 11
ss consid. 2). Il peut y avoir formalisme excessif dans l'exigence de formes non prescrites par la loi (
ATF 102 Ia 100
consid. 3, 94/95 consid. 2,
ATF 93 I 213
) ou non indiquées dans le dispositif d'un arrêt (
ATF 108 Ia 106
ss). Il y a également formalisme excessif lorsqu'une autorité judiciaire déclare un recours irrecevable sans procéder à la vérification de l'identité du signataire (
ATF 108 Ia 290
ss) ou encore quand elle demeure passive alors que l'absence de signature est décelée suffisamment tôt pour que la partie concernée puisse être invitée à corriger l'irrégularité dans le délai légal (
ATF 111 Ia 170
ss). Il est insoutenable d'admettre qu'une déclaration de recours mise à la poste le dernier jour du délai est parvenue trop tard à l'autorité compétente pour la recevoir et, partant, est irrecevable parce qu'elle est adressée au tribunal de district et non au greffe (
ATF 87 I 8
/9 consid. 3d). Le vice entraînant la perte de l'instance ne peut pas entraîner la perte du droit (
ATF 104 Ia 112
). Procède d'un formalisme excessif le refus, non fondé sur une base légale,
BGE 113 Ia 84 S. 93
de recevoir une opposition faite par un contribuable dans une seule et même écriture à deux taxations fiscales successives sous le prétexte que le cumul de deux oppositions distinctes dans un même écrit est en soi inadmissible, encore que l'argumentation et les conclusions indiquent clairement à quoi elles se rapportent (
ATF 85 I 209
consid. 3).
Dans aucun de ces cas, quand il y avait une irrégularité, le vice affectant la procédure n'avait eu pour effet d'amener la partie adverse et l'autorité à entreprendre des procédés inutiles; en outre, la correction pouvait se faire immédiatement, moyennant un retard très bref dans le déroulement de l'instance, dans la mesure où celle-ci ne s'était pas effectivement et utilement déroulée.
b) Le vice sanctionné en l'espèce par l'irrecevabilité est beaucoup plus grave. L'autorité cantonale était en droit d'admettre que l'écriture, émanant d'un avocat et qui d'entrée de cause apparaissait régulière à la forme, la contraignait, ainsi que la partie adverse, à suivre une voie qui a effectivement été suivie, et l'inutilité des opérations effectuées ne s'est révélée qu'au moment où l'acte s'est avéré irrecevable. Le refus de la conversion n'est pas disproportionné dans de telles circonstances. Il protège les intérêts dignes de considération de la partie adverse et de l'Office, que le formalisme nécessaire de la procédure doit précisément sauvegarder. Il n'entrave pas de façon inadmissible l'application du droit matériel, dès l'instant qu'elle pouvait être contrôlée utilement dans le cadre d'une autre voie qu'il s'imposait de suivre sans aucun doute possible, vu la jurisprudence claire et publiée sur l'ouverture de l'appel contre les jugements du Juge-Instructeur. Au surplus, le refus de la conversion n'est pas de nature à surprendre le plaideur assisté d'un homme de loi, puisqu'il fait l'objet de plusieurs arrêts, publiés eux aussi.
Le grief de formalisme excessif n'est dès lors pas établi, si bien que le recours ne peut qu'être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
995d9b22-3147-4d9c-9334-29ddda56ec0d | Urteilskopf
102 Ia 457
65. Auszug aus dem Urteil vom 3. November 1976 i.S. Jäger gegen Kantonsrat des Kantons Schwyz | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; Finanzreferendum.
1. Verhältnis der Verordnungskompetenz des schwyzerischen Kantonsrates (§ 40 lit. e KV) zum Finanzreferendum (E. 2).
2. Begriff der neuen bzw. gebundenen Ausgabe (E. 3a); ob eine Ausgabe als neu oder als gebunden zu gelten hat, ist nur massgebend, wenn die Ausgabenbewilligungskompetenz nicht delegiert worden ist (E. 3b).
3. Kriterien für die Zulässigkeit der Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz (E. 3b); Anwendung auf die schwyzerische Strassenverordnung vom 2. April 1964 (E. 4 und 5).
4. Die Strassenverordnung delegiert die Ausgabenbewilligungskompetenz vom Volk an den Kantonsrat; sie kann entgegen einem früheren Urteil jedoch nicht als "Grunderlass" im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur neuen bzw. gebundenen Ausgabe bezeichnet werden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 458
BGE 102 Ia 457 S. 458
Der Kantonsrat des Kantons Schwyz beschloss am 6. Februar 1976 den Bau einer Umfahrungsstrasse bei Einsiedeln und räumte dem Regierungsrat dafür einen Kredit in der Höhe von 8,8 Millionen Franken ein. Der Beschluss wurde nicht dem Referendum unterstellt. Mit staatsrechtlicher Beschwerde macht Hansrudolf Jäger geltend, der Beschluss des Kantonsrates habe eine "neue", 250'000 Franken übersteigende Ausgabe zur Folge und unterliege deshalb gemäss § 30 Abs. 2 KV der obligatorischen Volksabstimmung.
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Die Schwyzer Kantonsverfassung bestimmt in § 30 Abs. 2, dass der obligatorischen Volksabstimmung alle Beschlüsse des Kantonsrates unterliegen, die für den gleichen Zweck eine neue einmalige Ausgabe von mehr als 250'000 Franken oder eine wiederkehrende neue Ausgabe von jährlich mehr als 50'000 Franken zur Folge haben. § 40 lit. e KV setzt fest, dass der Kantonsrat das Erziehungs-, Polizei-, Gesundheits-, Militär- und Strassenwesen "ordnet". Diese Verfassungsbestimmung ermächtigt das kantonale Parlament zur Rechtsetzung in der Form der dem fakultativen Referendum unterstehenden Verordnung (§ 31 Abs. 1 KV). Diese erfüllt in den aufgezählten Bereichen die Funktion des Gesetzes, das im schwyzerischen Recht der obligatorischen Volksabstimmung unterliegt.
BGE 102 Ia 457 S. 459
Das Finanzreferendum gegen Ausgabenbeschlüsse, die in Vollziehung kantonsrätlicher Verordnungen ergehen, wird durch § 40 lit. e KV indes nicht ausgeschlossen (Urteil Fontana vom 7. November 1973, E. 3, in ZBl 76/1975, S. 76; HUWYLER, Gesetz und Verordnung im Kanton Schwyz, S. 107). Die in § 40 lit. e KV genannten Aufgabengebiete gehören zu jenen, welche den Grossteil der staatlichen Ausgaben bewirken. Dass gerade dort das in § 30 Abs. 2 KV vorgesehene Finanzreferendum allein wegen der Verordnungskompetenz des Kantonsrates keine Geltung haben solle, kann nicht der Sinn der Verfassung sein. So sind denn auch Ausgabenbeschlüsse auf dem Gebiet des Erziehungswesens dem Finanzreferendum unterstellt worden, obschon dieses Aufgabengebiet zu denen gehört, die gemäss Art. 40 lit. e KV durch eine dem fakultativen Referendum unterstehende Verordnung des Kantonsrates geordnet werden können.
Der Kreditbeschluss vom 6. Februar 1976 ist demnach nicht deswegen dem Finanzreferendum entzogen, weil § 40 lit. e KV den Kantonsrat für das Gebiet des Strassenwesens zur Rechtssetzung auf dem Weg der Verordnung ermächtigt.
3.
a) Nach § 30 Abs. 2 KV unterliegen dem Finanzreferendum nur Beschlüsse des Kantonsrates, die eine "neue" Ausgabe zur Folge haben. Den Gegensatz zur "neuen" Ausgabe bildet die "gebundene" Ausgabe. Als gebunden und damit nicht referendumspflichtig gelten nach den vom Bundesgericht aufgestellten allgemeinen Grundsätzen insbesondere jene Ausgaben, die durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben sind (wie etwa Besoldungen und gewisse Subventionen) oder die zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind. Gebunden ist eine Ausgabe ferner, wenn anzunehmen ist, das Stimmvolk habe mit einem vorausgehenden Grunderlass auch die aus ihm folgenden Aufwendungen gebilligt, falls ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war oder falls gleichgültig ist, welche Sachmittel zur Erfüllung der vom Gemeinwesen mit dem Grunderlass übernommenen Aufgaben gewählt werden (
BGE 101 Ia 133
E. 4 mit Hinweisen). Es besteht jedoch kein bundesrechtlicher Begriff der neuen und gebundenen Ausgabe. Von der bundesgerichtlichen Begriffsbestimmung darf deshalb dort abgewichen werden, wo sich
BGE 102 Ia 457 S. 460
bei Auslegung des kantonalen Rechts oder aufgrund einer feststehenden und unangefochtenen Rechtsauffassung und Praxis des kantonalen Gesetzgebers eine andere Betrachtungsweise aufdrängt (
BGE 101 Ia 136
E. 5 mit Hinweisen). Für den Kanton Schwyz ist dies nicht der Fall (
BGE 95 I 219
; vgl. auch das Urteil Fontana, E. 2, a.a.O., S. 76). Ob eine Ausgabe "neu" im Sinne von § 30 Abs. 2 der schwyzerischen Kantonsverfassung ist, beurteilt sich daher nach den eingangs dargelegten Grundsätzen.
b) Ob eine Ausgabe nach diesen Grundsätzen als "neu" oder als "gebunden" zu gelten hat, ist indes nur dann massgebend, wenn die Ausgabenbewilligungskompetenz vom Volk für den betreffenden Aufgabenbereich nicht an das kantonale Parlament oder an die oberste vollziehende Behörde delegiert worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Delegation rechtssetzender Befugnisse zulässig, wenn sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen wird, wenn sie auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt und in einem der Volksabstimmung unterliegenden Gesetz enthalten ist. Soweit in verfassungsmässige Rechte der Bürger eingegriffen wird, muss das Gesetz selber die Grundzüge der Regelung enthalten (
BGE 102 Ia 64
E. 2;
BGE 100 Ia 161
E. 5d, 66 E. 2a;
BGE 99 Ia 542
E. 4a;
BGE 98 Ia 592
, 109 mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind weniger streng, wenn es sich nicht um eine Übertragung rechtssetzender Befugnisse an vollziehende Behörden, sondern an das kantonale Parlament handelt (
BGE 99 Ia 542
e. 4b; vgl.
BGE 100 Ia 68
). Die Bundesverfassung steht einer solchen Delegation nicht im Weg, denn
Art. 6 Abs. 2 BV
verlangt nur, dass die Organisation der Rechtsetzung nach den Grundsätzen der direkten oder indirekten Demokratie zu erfolgen hat. Inwieweit die Aktivbürgerschaft ihre Rechte durch Delegation auf das kantonale Parlament übertragen kann, bestimmt sich demnach ausschliesslich nach dem kantonalen Verfassungsrecht (
BGE 99 Ia 543
).
Ist die Delegation gesetzgeberischer Befugnisse trotz der in den kantonalen Verfassungen vorgesehenen Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen grundsätzlich zulässig, so besteht kein hinreichender Grund, die Delegation von Ausgabenbeschlüssen, die nach der Verfassung an sich der Zustimmung des Volkes bedürfen, nicht ebenfalls zuzulassen. Das Finanzreferendum
BGE 102 Ia 457 S. 461
ist ein Institut des kantonalen Verfassungsrechts. Umfang und Ausgestaltung werden durch die Kantonsverfassung bestimmt, und das Bundesgericht wacht als Verfassungsgericht lediglich über die Einhaltung der dem Bürger durch die kantonale Verfassung zugesicherten Mitwirkung. Im Gegensatz zu anderen Mitwirkungsrechten des Bürgers in kantonalen Angelegenheiten (vgl.
Art. 6 Abs. 2 BV
) besteht keine bundesrechtliche Pflicht der Kantone zur Gewährung politischer Mitsprache bei der Bewilligung von Staatsausgaben. Von Bundesrechts wegen stünde einem Entscheid des kantonalen Verfassungsgebers, das Finanzreferendum abzuschaffen, nichts entgegen. Ist das Finanzreferendum im kantonalen Verfassungsrecht jedoch vorgesehen, so muss es sinnvoll, d.h. unter Berücksichtigung seiner staatspolitischen Funktion (vgl.
BGE 95 I 218
) gehandhabt und darf es durch die kantonale Gesetzgebung und Praxis nicht seiner Substanz entleert werden. Die Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz ist nach diesen Grundsätzen als zulässig zu erachten, wenn sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen wird, wenn sie in einem der Volksabstimmung unterliegenden Erlass erfolgt und wenn sie auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist. Das Institut des Finanzreferendums darf zudem nicht durch eine Mehrzahl von Kompetenzdelegationen ausgehöhlt werden (vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Nr. 63 VII, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts; im einzelnen zurückhaltender: GEIGER, Die Delegation von Finanzkompetenzen, in "Stillstand und Fortentwicklung im schweizerischen Recht", 1965, S. 88 ff., insbes. S. 94).
4.
a) Die schwyzerische Kantonsverfassung schliesst die Gesetzesdelegation nicht aus. Diese ist in der Form der Delegation an das Parlament in der Verfassung sogar ausdrücklich vorgesehen. § 32 KV bestimmt nämlich, dass der Kantonsrat auch ohne verfassungsmässige Verpflichtung jeden seiner Beschlüsse der Volksgenehmigung unterbreiten und sich umgekehrt für den definitiven Erlass eines Gesetzes von vorneherein durch Volksabstimmung ermächtigen lassen kann (vgl. HUWYLER, a.a.O., S. 99 f. REICHLIN, Verfassung, Gesetz und Verordnung im Kanton Schwyz, ZBl 44/1943, S. 227). Die schwyzerische Kantonsverfassung schliesst aber auch die Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz nicht aus
BGE 102 Ia 457 S. 462
(vgl. HUWYLER, a.a.O., S. 99 f.). Dafür fehlt jeder Anhaltspunkt im Verfassungstext und in der Verfassungspraxis (vgl. auch das Urteil Fontana, E. 3, a.a.O., S. 76).
b) § 16 der Strassenverordnung bestimmt:
"Der Kantonsrat entscheidet über den Neubau und bedeutenden Ausbau von
Kantonsstrassen. Der Regierungsrat erstattet ihm dazu Bericht und Antrag."
Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift geht nicht hervor, ob dem Kantonsrat die Befugnis zustehen solle, über den Neubau und Ausbau von Kantonsstrassen unter Ausschluss des Finanzreferendums zu entscheiden, oder ob § 16 VO lediglich die Kompetenzen des Kantonsrates und des Regierungsrates beim Neubau und Ausbau der Kantonsstrassen regle, ohne die Frage des Finanzreferendums zu berühren. Für die zweite Annahme scheint zu sprechen, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift der Kantonsrat über den Neubau und den "bedeutenden" Ausbau von Kantonsstrassen befindet. Wenn § 16 VO eine Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz enthält, so ist nicht recht verständlich, warum sich diese auf den "bedeutenden" Ausbau von Strassen beschränkt. Demgegenüber scheint § 17 VO darauf hinzuweisen, dass § 16 den Kantonsrat ermächtigen wolle, über den Neubau und Ausbau der Kantonsstrassen unter Ausschluss des Finanzreferendums zu entscheiden. Für Bezirks- und Gemeindestrassen bestimmt § 17 VO nämlich, dass über deren Neubau und Ausbau die Stimmberechtigten entscheiden, und § 26 VO bestimmt für die Projektierung der Bezirks- und Gemeindestrassen, dass die Stimmberechtigten über den Kredit beschliessen. Ob eine Bestimmung wie die hier zu beurteilende lediglich allgemein eine staatliche Aufgabe umschreibt und die sachliche Zuständigkeit der Behörden regelt, oder ob sie eine eigentliche Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz enthält, ist aufgrund des Normwortlauts und der Systematik des Erlasses oft schwierig zu ermitteln (vgl. dazu ESCHER, Das Finanzreferendum in den schweizerischen Kantonen, S. 114 Anm. 10, S. 116 f.; KLINGENBERG, Das Finanzreferendum im Kanton Schaffhausen, S. 85 ff.; LAUR, Das Finanzreferendum im Kanton Zürich, S. 153, 190 f.; OESTER, Das Finanzreferendum im Kanton St. Gallen, S. 69 ff.; vgl. ferner
BGE 101 Ia 137
E. 5a;
BGE 99 Ia 213
E. 4; Urteil Gurtner vom 3. Dezember 1975, in ZBl 77/1976, S. 253). So auch hier. Im vorliegenden Fall ergibt
BGE 102 Ia 457 S. 463
sich indes aus einer langjährigen Praxis klar, dass § 16 VO dem Kantonsrat die Befugnis erteilen soll, die für den Neubau und Ausbau der Kantonsstrassen erforderlichen Kredite abschliessend zu bewilligen, ohne dass die Kreditbeschlüsse dem Finanzreferendum unterstellt werden müssten. Die geltende Strassenverordnung vom 2. April 1964 löste das frühere Gesetz über den Strassenausbau vom 28. November 1929 ab. In jenem Gesetz waren die Kompetenzen im Bereich des kantonalen Strassenbaus dem Regierungsrat eingeräumt. Der Kantonsrat hatte, ohne zu den Projekten Stellung nehmen zu können, bloss über die entsprechenden Budgetkredite zu entscheiden. Eine Mitwirkung des Volkes war ausgeschlossen. Die Strassenverordnung vom 2. April 1964 brachte hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen im Strassenwesen eine Erweiterung der Befugnisse des Kantonsrates auf Kosten des Regierungsrates. Aufgrund der Strassenverordnung ist der Kantonsrat nunmehr befugt, auch die Ausführungsprojekte, über die der Regierungsrat nur noch Antrag stellt, zu beschliessen. Die Frage des Finanzreferendums wurde bei der Ablösung des Gesetzes über den Strassenausbau nicht erörtert; dies offenbar deswegen, weil es nach wie vor als ausgeschlossen gehalten wurde (vgl. Urteil Fontana, E. 4, a.a.O., S. 77 ff.).
Steht fest, dass § 16 VO eine Übertragung der Ausgabenbewilligungskompetenz an den Kantonsrat enthält, so fragt sich, ob diese Delegation in einer Verordnung des Kantonsrates erfolgen konnte. Ausgabenbeschlüsse, welche neu sind und die in § 30 Abs. 2 KV genannten Beträge erreichen, unterliegen der obligatorischen Volksabstimmung. Die Verordnungen des Kantonsrates werden der Volksabstimmung demgegenüber nur unterbreitet, wenn dies von 3000 Bürgern verlangt wird. Aus diesem Grunde ist die Auffassung vertreten worden, die Strassenverordnung sei verfassungswidrig, wenn sie die Finanzkompetenzen des Volkes auf dem Gebiet des kantonalen Strassenbaus dem Kantonsrat übertragen wolle. Eine Delegation des obligatorischen Mitwirkungsrechts sei nicht in der Form der bloss dem fakultativen Referendum unterstehenden Kantonsratsverordnung möglich, sondern einzig in der Form des Gesetzes, das wie Ausgabenbeschlüsse der obligatorischen Volksabstimmung unterliege (HUWYLER, a.a.O., S. 132, insbes. Anm. 116).
BGE 102 Ia 457 S. 464
Für diese Auffassung sprechen beachtliche Gründe. So lässt sich der für die Rechtssetzung geltende Grundsatz anführen, dass ein Erlass nur durch einen Erlass gleicher Stufe aufgehoben oder geändert werden kann; ferner, dass Rechtsetzungsbefugnisse nur in einem Erlass delegiert werden können, der den gleichen Mitwirkungsrechten des Volkes unterliegt, die für die fraglichen Vorschriften ohne die Delegation gelten würden. Der dargelegten Auffassung kann für die Delegation von Finanzkompetenzen gleichwohl nicht zugestimmt werden. Sofern die Delegation von Finanzkompetenzen nach dem kantonalen Verfassungsrecht nicht überhaupt ausgeschlossen ist, so hat sie, wenn der Kantonsverfassung nichts anderes zu entnehmen ist, auf dem Wege der Rechtsetzung und unter Beachtung der Mitwirkungsrechte des Volkes zu erfolgen, welche die kantonale Verfassung für den Erlass von Rechtssätzen vorsieht. Dies gilt selbst dann, wenn das Finanzreferendum ein obligatorisches Mitspracherecht begründet, gegen rechtsetzende Erlasse jedoch nur ein fakultatives Referendum besteht. Dass durch das Gesetzesreferendum das weitergehende Mitwirkungsrecht des Finanzreferendums ausgeschaltet wird, findet sich nicht nur bei der Delegation von Finanzkompetenzen. Wenn die Kantonsverfassung nichts Gegenteiliges anordnet (vgl. z.B. die §§ 39 und 39bis der luzernischen KV), so unterliegt eine Ausgabe auch dann nicht dem Finanzreferendum, wenn die entsprechende staatliche Aufgabe auf dem Wege der Rechtsetzung in einer solchen Weise vorgesehen und umschrieben worden ist, dass die daraus folgenden Aufwendungen nicht mehr als neu gelten können.
Die dem fakultativen Referendum unterstehenden Verordnungen des Kantonsrates erfüllen in den Bereichen, die § 40 lit. e KV aufzählt und zu denen auch das Strassenwesen gehört, nach dem Sinn der schwyzerischen Kantonsverfassung die Funktion des Gesetzes. Sie sind in den entsprechenden Aufgabenbereichen verfassungsmässige Normalform für den Erlass von Rechtssätzen. Dementsprechend kann nach der Schwyzer Verfassungspraxis ein formelles Gesetz, welches der obligatorischen Volksabstimmung unterbreitet wurde, durch eine sich auf § 40 lit. e KV stützende und nur dem fakultativen Referendum unterstehende Verordnung aufgehoben werden. Das Bundesgericht hat diese im schwyzerischen Recht vorkommenden Verordnungen des kantonalen Parlaments seit
BGE 102 Ia 457 S. 465
jeher als eine Art von Gesetzen zweiter Ordnung anerkannt. Ist somit eine gestützt auf § 40 lit. e KV erlassene Verordnung einem Gesetz gleichgestellt, so konnte die Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz in einer Verordnung des Kantonsrates getroffen werden, auch wenn dieser Erlass nicht dem obligatorischen, sondern lediglich dem fakultativen Referendum unterstand. Wie das Bundesgericht im Urteil vom 7. November 1973 feststellte, bestehen in dieser Hinsicht auch unter dem Gesichtspunkt des politischen Zwecks des Finanzreferendums keine Bedenken, weil dem Volk die Möglichkeit der Stellungnahme zur Verordnung mit dem fakultativen Referendum gewahrt ist; wird dieses nicht ergriffen, so erteilen die Stimmbürger dem kantonsrätlichen Erlass ihre Zustimmung eben stillschweigend (a.a.O., S. 76 f.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass eine Delegation der streitigen Ausgabenbewilligungskompetenz schon im früheren Gesetz über den Strassenausbau enthalten war, das der obligatorischen Volksabstimmung unterlag.
c) Die in § 16 der Strassenverordnung enthaltene Delegation bezieht sich auf den Neubau und Ausbau von Kantonsstrassen. Sie ist damit auf einen bestimmten, sachlich umgrenzten Bereich der staatlichen Tätigkeit beschränkt und es kann nicht gesagt werden, dass dadurch das Finanzreferendum seiner Substanz beraubt werde (
BGE 95 I 531
). Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Institut des Finanzreferendums im Hinblick auf bereits getroffene Delegationen ausgehöhlt werde. Richtig ist allerdings, dass die Ausgaben für den Strassenbau in neuerer Zeit in das Zentrum des politischen Interesses gerückt sind und dass die in § 16 VO enthaltene Delegation unter diesem Gesichtswinkel als sehr weitreichend erscheinen mag. Falls aus diesem Grunde eine Aufhebung der Delegation als wünschbar erachtet wird, so kann Abhilfe durch eine Änderung der Strassenverordnung geschaffen werden; Anlass zu einer Nichtanwendung des geltenden Rechts kann dies jedoch nicht geben (
BGE 99 Ia 545
; Urteil Gurtner vom 3. Dezember 1975, a.a.O., S. 255).
5.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das Finanzreferendum gegen Kreditbeschlüsse auf dem Gebiet des kantonalen Strassenbaus durch die in § 16 VO enthaltene Kompetenzdelegation ausgeschlossen worden ist. Der hier streitige Kredit von 8,8 Millionen Franken musste demnach
BGE 102 Ia 457 S. 466
nicht der Volksabstimmung unterbreitet werden, wenn er für den Bau einer Kantonsstrasse bestimmt war. Der Beschwerdeführer bestreitet dies mit dem Einwand, es sei weder vom Regierungsrat gemäss § 11 Abs. 1 VO Antrag gestellt worden, die Umfahrung von Einsiedeln ins Kantonsstrassennetz aufzunehmen, noch habe der Kantonsrat einen solchen Beschluss gefasst. Dieser Einwand ist unbegründet. Das in § 11 Abs. 1 VO geregelte Vorgehen bezieht sich auf den Fall, dass eine bestehende Strasse vom Kanton übernommen wird. Für den Neubau einer Kantonsstrasse ist ein besonderer Aufnahmebeschluss nicht notwendig. § 16 VO setzt lediglich fest, dass der Kantonsrat über den Neubau von Kantonsstrassen entscheidet. Das hat er mit dem Beschluss vom 6. Februar, in welchem gleichzeitig der Kredit für das Bauvorhaben bewilligt wurde, getan. Es ist Sache der ausführenden Instanzen, die Strasse nach ihrer Vollendung in das Verzeichnis der Kantonsstrassen aufzunehmen (§ 10 Abs. 2 VO). Dass die Umfahrung von Einsiedeln ihrer Bedeutung nach keine Kantonsstrasse sein könne, macht der Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend. Dass schliesslich die Strasse vom Bezirk gebaut und finanziert werden müsste, wenn der Kanton dies nicht täte, ist nicht massgebend.
6.
Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist gleich wie die vom Bundesgericht am 7. November 1973 beurteilte (ZBl 76/1975, S. 74 ff.) abzuweisen. Es ist indes einzuräumen, dass an der Begründung des erwähnten Urteils nicht in allen Punkten festgehalten werden kann. Zwar ist die Kritik nicht stichhaltig, ein Ausschluss des Finanzreferendums für den Neubau und Ausbau der Kantonsstrassen hätte - da die Verfassung selber neue Ausgaben in bestimmter Höhe der Volksabstimmung unterstelle - ebenfalls nur in der Verfassung erfolgen können (vgl. ZBl 76/1975, S. 79). Diese Kritik sieht daran vorbei, dass unter bestimmten Voraussetzungen gleich wie Rechtssetzungsbefugnisse auch die Ausgabenbewilligungskompetenz delegiert werden kann. Eine solche Delegation ist nach der schwyzerischen Verfassung zulässig. An der Begründung des Urteils vom 7. November 1973 kann indes nicht festgehalten werden, soweit dort ausgeführt wurde, die schwyzerische Strassenverordnung schliesse als Grunderlass im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung das Finanzreferendum auf dem Gebiet des kantonalen Strassenbaus aus.
BGE 102 Ia 457 S. 467
Im Kanton Schwyz gilt nach dem in E. 3a Gesagten kein besonderer Begriff der neuen bzw. gebundenen Ausgabe. Welche Ausgaben als neu zu erachten und als solche dem Finanzreferendum zu unterstellen sind, bzw. welche Ausgaben ihm als gebundene nicht unterliegen, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Wären die Kreditbeschlüsse für den kantonalen Strassenbau dem Finanzreferendum nicht durch eine Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz entzogen, so müssten die Ausgaben als neu im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erachtet werden. Die Ausgaben für den kantonalen Strassenbau sind durch die Strassenverordnung nicht prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben. Ohne die in § 16 VO enthaltene Delegation liesse sich auch nicht sagen, die Stimmberechtigten hätten mit der Annahme dieses Erlasses alle daraus folgenden Ausgaben gebilligt. Eine Ausgabe wird durch einen vorangegangenen Erlass nur dann gebunden, wenn sie bei der Annahme des Erlasses voraussehbar war oder wenn gleichgültig ist, welche Sachmittel zur Erfüllung der mit dem Grunderlass übernommenen Aufgabe gewählt werden. Zudem kann nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn das "ob" weitgehend durch den Grunderlass präjudiziert ist, das "wie" wichtig genug sein, um die Mitsprache des Volkes zu rechtfertigen (
BGE 101 Ia 133
f., 136 mit Hinweisen). Auch wenn man diese Grundsätze eher etwas einschränken wollte, so müssten doch Aufwendungen für den Strassenbau, wie sie im vorliegenden Fall gestützt auf die kantonale Strassenverordnung gemacht wurden, als neue Ausgaben im Sinne der allgemeinen Grundsätze der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelten (
BGE 100 Ia 370
E. 3; nicht veröffentlichtes Urteil Blocher vom 2. Juni 1976, E. 6c). Den Behörden ist auf dem Gebiet des Strassenbaus ein sehr hohes Mass an Entscheidungsfreiheit eingeräumt. Schon die Frage nach dem "ob", d.h. danach, ob eine Strasse gebaut oder durch eine neue ersetzt werden soll, ist - Sonderfälle ausgenommen - nicht durch eine bestehende Rechtsnorm vorbestimmt. In noch weitergehendem Masse ist den Behörden eine Entscheidungsfreiheit für das "wie" eingeräumt. Sofern eine Strasse erforderlich ist, kann sie immer noch in sehr verschiedener Weise ausgeführt werden. Zudem steht die Wahl zwischen verschiedenen Linienführungen offen. Bei dieser Sachlage kann die Strassenverordnung
BGE 102 Ia 457 S. 468
nicht als Grunderlass im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bezeichnet werden. Ob von einem Grunderlass - wie in ZBl 76/1975, S. 79, geltend gemacht wird - sogar nur dann gesprochen werden kann, wenn er sich auf mehrere konkrete Projekte oder Massnahmen bezieht, braucht hier nicht näher geprüft zu werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
995dd4de-5aeb-4d85-b2d5-248217cfa5e2 | Urteilskopf
126 V 323
55. Urteil vom 9. Mai 2000 i.S. Erbengemeinschaft M. gegen Concordia, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 24,
Art. 25 Abs. 2 lit. d und e KVG
: Abgrenzung der Leistungspflicht für Klinikaufenthalte bei Rehabilitations- und Erholungsbedürftigkeit.
- Bei der medizinischen Rehabilitation gelangen Therapieformen zur Nachbehandlung von Krankheiten zur Anwendung, die auch stationär erfolgen können. Sie ist auf die Wiedererlangung verlorener oder die Verbesserung beeinträchtigter Funktionsfähigkeiten mit medizinischen Mitteln gerichtet. Erholungskuren dagegen dienen ohne besondere Pflege- oder Behandlungsbedürftigkeit zur Erholung und Genesung nach Erkrankungen, die eine wesentliche Verminderung des Allgemeinzustandes zur Folge hatten.
- Im vorliegenden Fall wird eine Spitalbedürftigkeit nach Behandlung eines Mammakarzinoms und Durchführung einer Blinddarmoperation verneint, da nur noch eine Erholungsbedürftigkeit gegeben war. Zudem stand während des Klinikaufenthaltes die alternativmedizinische Behandlung des Krebsleidens im Vordergrund. | Sachverhalt
ab Seite 324
BGE 126 V 323 S. 324
A.-
M. war Mitglied der Konkordia, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung (seit 1. Januar 2000 Concordia; im Folgenden Concordia) und bei dieser obligatorisch für Krankenpflege versichert; überdies hatte sie die Versicherungen DIVERSA, NATURA und Spitalversicherung PE 1 abgeschlossen. Wegen eines Mammakarzinoms hielt sie sich ab dem 19. Oktober 1996 zur Behandlung in der Klinik X auf. Am 21. Oktober 1996 wurde sie wegen Appendicitis perforata im Spital Y operiert. Am 29. Oktober 1996 wurde sie zur "Weiterführung der Spitalbehandlung" in die Klinik X entlassen, wo sie sich bis 18. November 1996 aufhielt.
Gestützt auf eine Stellungnahme ihres Vertrauensarztes Dr. med. S. vom 30. April 1997 teilte die Concordia der Versicherten mit, dass als Folge der Blinddarmoperation nach dem 29. Oktober 1996 keine Spitalbedürftigkeit mehr vorgelegen und auch wegen des Mammakarzinoms keine Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung bestanden habe, so dass an den Aufenthalt in der Klinik X lediglich die reglementarischen Leistungen für Kuraufenthalte erbracht werden könnten; zudem bestehe Anspruch auf Übernahme der Arzt- und Arzneikosten nach Tarif aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Verfügung vom 13. Mai 1997). Die hiegegen erhobene Einsprache hiess die Concordia insoweit teilweise gut, als sie die Kosten für ein weiteres Medikament (Redoxon) übernahm; im Übrigen hielt sie daran fest, dass für den Aufenthalt in der Klinik X vom 29. Oktober bis 18. November 1996 keine Akutspitalbedürftigkeit, sondern lediglich eine Erholungskurbedürftigkeit bestanden habe, weshalb sich die Kostenübernahme auf die entsprechenden reglementarischen Leistungen beschränke (Einspracheentscheid vom 7. Juli 1997).
BGE 126 V 323 S. 325
B.-
Die Erben der am 3. Juni 1997 verstorbenen M. liessen beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde einreichen und beantragen, in Aufhebung des Einspracheentscheids sei die Concordia zu verpflichten, sämtliche Kosten des stationären Aufenthaltes in der Klinik X vom 29. Oktober bis 18. November 1996 im Rechnungsbetrag von Fr. 25'866.70, abzüglich allfälliger Selbstbehalte und der in Rechnung gestellten Verbandswechsel, zu übernehmen.
Mit Entscheid vom 29. April 1999 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde insoweit teilweise gut, als die Concordia verpflichtet wurde, auch für die Kosten des Medikamentes Natrium Chlorat 0,9% im Betrag von Fr. 38.50 aufzukommen; im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Erbengemeinschaft M. das erstinstanzliche Beschwerdebegehren erneuern; eventualiter wird beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids, soweit damit die Spitalbedürftigkeit der Verstorbenen für die Zeit vom 29. Oktober bis 18. November 1996 verneint werde, sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Concordia beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) hat sich nicht vernehmen lassen.
D.-
(...).
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Im vorliegenden Fall geht es um Leistungen für die Zeit vom 29. Oktober bis 18. November 1996, weshalb die Bestimmungen des am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen KVG und der zugehörigen Verordnungen anwendbar sind. Auf die Streitsache ist auch insoweit einzutreten, als sie Leistungen im Sinne der bisherigen Zusatzversicherungen zum Gegenstand hat. Die Concordia hat von der mit
Art. 102 Abs. 2 KVG
eingeräumten Übergangsfrist zur Anpassung der über die obligatorische Krankenpflegeversicherung hinausgehenden Versicherungen Gebrauch gemacht und die Anpassung auf den 1. Januar 1997 vorgenommen (vgl.
BGE 123 V 324
). Weil es hier nicht um die Wahrung des bisherigen Versicherungsschutzes, sondern um die Leistungspflicht aus der früheren Zusatzversicherung geht, ist die Zuständigkeit des Sozialversicherungsrichters zu bejahen (
BGE 124 V 134
).
BGE 126 V 323 S. 326
2.
a) Die obligatorische Krankenversicherung übernimmt nach
Art. 24 KVG
die Kosten für die Leistungen gemäss
Art. 25-31 KVG
nach Massgabe der in Art. 32-34 festgelegten Voraussetzungen. Die Leistungen umfassen u.a. die Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär oder in einem Pflegeheim durchgeführt werden von Ärzten, Chiropraktoren und Personen, die im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Leistungen erbringen (
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
), die ärztlich durchgeführten oder angeordneten Massnahmen der medizinischen Rehabilitation (
Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG
) und den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals (
Art. 25 Abs. 2 lit. e KVG
).
b) Die Leistungspflicht für stationäre Behandlung setzt zunächst voraus, dass sich die versicherte Person in einem Spital, d.h. einer Anstalt oder deren Abteilung aufhält, das der stationären Behandlung akuter Krankheiten oder der stationären Durchführung von Massnahmen der medizinischen Rehabilitation dient (
Art. 39 Abs. 1 KVG
). Des Weiteren muss eine Krankheit vorliegen, welche eine Akutbehandlung oder medizinische Rehabilitation unter Spitalbedingungen erforderlich macht. Spitalbedürftigkeit in diesem Sinne ist einerseits dann gegeben, wenn die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Massnahmen nur in einem Spital zweckmässig durchgeführt werden können, anderseits auch dann, wenn die Möglichkeiten ambulanter Behandlung erschöpft sind und nur noch im Rahmen eines Spitalaufenthaltes Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Dabei kann eine Leistungspflicht für den Spitalaufenthalt auch dann bestehen, wenn der Krankheitszustand der versicherten Person einen solchen nicht unbedingt erforderlich macht, die medizinische Behandlung jedoch wegen besonderer persönlicher Lebensumstände nicht anders als im Spital durchgeführt werden kann (
BGE 120 V 206
Erw. 6a mit Hinweisen; RKUV 1984 Nr. K 591 S. 197).
c) Im Gesetz nicht näher umschrieben wird der Begriff der medizinischen Rehabilitation im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG
. Nach GEBHARD EUGSTER (Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 142 ff.) besteht das besondere Merkmal der medizinischen Rehabilitation darin, dass die Behandlung der Krankheit an sich abgeschlossen ist und Therapieformen zur Nachbehandlung von Krankheiten zur Anwendung gelangen. Die medizinische Rehabilitation schliesst an die eigentliche Krankheitsbehandlung an und
BGE 126 V 323 S. 327
bezweckt, die durch die Krankheit oder die Behandlung selbst bewirkte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit mit Hilfe medizinischer Massnahmen ganz oder teilweise zu beheben, oder sie dient insbesondere bei Chronischkranken der Erhaltung und allenfalls Verbesserung des verbliebenen Funktionsvermögens. Sie kann ambulant, teilstationär, in einer Kuranstalt, in einem Pflegeheim oder in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik erfolgen, wobei im letztern Fall eine Spitalbedürftigkeit vorausgesetzt ist, welche nach der notwendigen Behandlungsintensität, dem Behinderungsgrad, der Pflegebedürftigkeit und der Schwere des Hauptleidens oder zusätzlich komplizierender Krankheiten zu beurteilen ist.
d) Im Gesetz nicht erwähnt sind die Erholungskuren, an welche die Krankenversicherer, wie nach dem früheren Recht (
BGE 109 V 271
Erw. 4), keine Pflichtleistungen zu erbringen haben. Dies gilt auch für Anwendungen, welche einzig die Erholung oder Genesung fördern sollen, und diagnostische Massnahmen zur Klärung des dafür notwendigen Therapiebedarfs. Von der blossen Erholung ist die Fortsetzung einer begonnenen Heilbehandlung unter Kurbedingungen zu unterscheiden. Dient die Kur der Durchführung besonderer Therapien oder Therapieprogramme bei bestimmten Erkrankungen, hat der Krankenversicherer grundsätzlich die gleichen Leistungen zu erbringen wie bei der ambulanten Behandlung (EUGSTER, a.a.O., Rz 146 f.). Für die Abgrenzung zwischen Erholungskuren und der medizinischen Rehabilitation ist auf die Zielsetzung der Massnahme abzustellen. Die medizinische Rehabilitation ist auf die Wiedererlangung verlorener oder die Verbesserung beeinträchtigter Funktionsfähigkeiten mit medizinischen Mitteln gerichtet. Erholungskuren dienen Versicherten ohne besondere Pflege- und Behandlungsbedürftigkeit zur Erholung und Genesung nach Erkrankungen, die eine wesentliche Verminderung des Allgemeinzustandes zur Folge hatten (EUGSTER, a.a.O., Rz 144).
3.
a) Die Beschwerdegegnerin hat an die Kosten für den Klinikaufenthalt in der Zeit vom 19. bis 21. Oktober 1996 im Betrag von Fr. 3'790.40 Leistungen in Höhe von Fr. 1'013.40 für schulmedizinische Spitalleistungen und Fr. 42.35 für Medikamente sowie einen Kostenbeitrag von 15 Franken im Tag aus der Zusatzversicherung NATURA erbracht. Für die Aufenthaltskosten ist sie nicht aufgekommen, weil nach Auffassung ihres Vertrauensarztes für eine erfahrungsmedizinische Behandlung des Mammakarzinoms keine Spitalbedürftigkeit vorgelegen hat. Eine Leistungspflicht für den
BGE 126 V 323 S. 328
Klinikaufenthalt bestand auch deshalb nicht, weil dieser überwiegend, wenn nicht ausschliesslich, zur Durchführung alternativ- oder komplementärmedizinischer Massnahmen erfolgte, für welche die Beschwerdegegnerin weder im Rahmen der obligatorischen Versicherung noch der Zusatzversicherungen (vorbehältlich des Beitrages von 15 Franken aus der Zusatzversicherung NATURA) aufzukommen hatte, was auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird. Streitig ist lediglich, ob die Beschwerdegegnerin Leistungen für die stationäre Behandlung der Versicherten nach deren Wiedereintritt in die Klinik am 29. Oktober 1996 und bis zum Klinikaustritt am 18. November 1996 zu erbringen hat.
b) Am 29. Oktober 1996 reichte der Sozialdienst des Spitals Y der Beschwerdegegnerin eine ärztliche Verordnung für die Weiterführung der Spitalbehandlung in der Klinik X ein. In dem von Assistenzarzt Dr. med. V. unterzeichneten Schreiben wird ausgeführt, die Patientin leide an einer unheilbaren Krankheit der Brust, zudem habe sie sich wegen eines geplatzten Blinddarms einer Operation unterziehen müssen; unter Berücksichtigung der gesamten Umstände sei eine Weiterführung der Spitalbehandlung in der genannten Klinik indiziert. Dem ebenfalls von Dr. V. verfassten Austrittsbericht des Spitals Y vom 30. Oktober 1996 ist zu entnehmen, dass sich die Versicherte im Laufe der Hospitalisation bei problemlosem Nahrungs- und Mobilisationsaufbau gut erholt hatte und schmerzfrei war. Der Austritt am 29. Oktober 1996 erfolgte zur weiteren Rehabilitation in der Klinik X. Dr. med. O., Assistenzärztin an der Klinik X, teilte der Beschwerdegegnerin am 12. November 1996 mit, die Patientin sei schon am siebten (recte: achten) postoperativen Tag in noch schlechtem Allgemeinzustand aus dem Spital Y überwiesen worden. Angesichts der allgemeinen Schwächen habe die aufbauende Therapie nur "einschleichend" erfolgen können. Wohl wegen der Grunderkrankung habe die Rekonvaleszenz der Patientin nur langsame Fortschritte gemacht, so dass bei noch stark reduziertem Allgemeinzustand, welcher sich objektiv in pathologisch erheblich erhöhten Laborparametern zeige, weiterhin Spitalbedürftigkeit bestehe. Der Vertrauensarzt der Beschwerdegegnerin, Dr. med. S., stellte unter Hinweis auf den Austrittsbericht des Spitals Y vom 30. Oktober 1996 fest, dass als Folge der Blinddarmoperation nach dem 29. Oktober 1996 keine Spitalbehandlungsbedürftigkeit mehr und auch hinsichtlich des Brustkarzinoms keine Notwendigkeit zu einem stationären Aufenthalt bestanden habe. Dass acht Tage nach einem perforierten
BGE 126 V 323 S. 329
Blinddarm der Allgemeinzustand noch reduziert war, sei nachvollziehbar, weshalb der Kasse die Vergütung der reglementarischen Leistungen für Erholungskuren empfohlen werde.
c) Mit der Vorinstanz ist auf Grund der vorhandenen medizinischen Akten davon auszugehen, dass die Versicherte während des Klinikaufenthaltes vom 29. Oktober bis 18. November 1996 lediglich erholungsbedürftig, nicht aber spital- oder rehabilitationsbedürftig im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. d bzw. e KVG gewesen ist. Nach dem im Austrittsbericht des Spitals Y vom 30. Oktober 1996 erwähnten problemlosen postoperativen Verlauf hat ab dem 29. Oktober 1996 keine Spitalbedürftigkeit mehr bestanden. Im Austrittsbericht ist - entgegen dem Schreiben des Sozialdienstes vom 29. Oktober 1996 - denn auch nicht von einer Weiterführung der Spitalbehandlung, sondern von einer Rehabilitation die Rede. Um eine Rehabilitationsbehandlung im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG
handelte es sich beim Aufenthalt in der Klinik X in der Zeit ab dem 29. Oktober 1996 indessen ebenfalls nicht. Weder gelangten besondere Therapieformen zur Nachbehandlung von Krankheiten zur Anwendung, noch bezweckten die durchgeführten Massnahmen, die durch die interkurrente Erkrankung und ihre Behandlung bewirkte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise zu beheben. Zufolge der Blinddarmoperation und des reduzierten Allgemeinzustandes bestand lediglich noch eine Erholungsbedürftigkeit, wofür die Beschwerdegegnerin ihre Leistungspflicht im Rahmen der reglementarischen Kurbeiträge anerkannt hat (Schreiben der Concordia vom 9. Dezember 1996). Im Übrigen stand die alternativmedizinische Behandlung des Krebsleidens im Vordergrund. Aus den Rechnungen der Klinik X geht hervor, dass in der Zeit vom 29. Oktober bis 18. November 1996 vorab Eigenbluttherapie nach Höveler (nicht identisch mit Eigenbluttransfusion gemäss KLV Anhang 1), Fussreflexzonen-Massage, Moxatherapie, Hämatogene Oxydationstherapie, Colonhydrotherapie und Ozonbehandlung durchgeführt wurden. Dabei handelt es sich um alternativ- oder komplementärmedizinische Massnahmen, für welche die Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten nicht leistungspflichtig ist. Die Beschwerdegegnerin hat für den Klinikaufenthalt somit auch deshalb nicht aufzukommen, weil dabei eindeutig die Nichtpflichtleistungen im Vordergrund standen (
BGE 120 V 212
Erw. 7b). Weiterer Abklärungen, wie sie die Beschwerdeführerin beantragt, bedarf es nicht. Entgegen den Ausführungen in der
BGE 126 V 323 S. 330
Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden die vorhandenen Arztberichte eine hinreichende Grundlage zur Beurteilung des streitigen Leistungsanspruchs. Zwar decken sich die ärztlichen Feststellungen nicht durchwegs. Insgesamt ist der rechtlich relevante Sachverhalt aber genügend abgeklärt, um die streitige Rechtsfrage zweifelsfrei beurteilen zu können. Mit dem Einwand, die Vorinstanz habe nach Verneinung der Spitalbedürftigkeit im engeren Sinn nicht geprüft, ob allenfalls dennoch ein Aufenthalt im Spitalmilieu erforderlich gewesen sei (
BGE 115 V 48
Erw. 3b), übersieht die Beschwerdeführerin, dass selbst wenn die fraglichen Massnahmen nur unter Spitalbedingungen durchgeführt werden konnten, die Beschwerdegegnerin für den Klinikaufenthalt nicht aufzukommen hat, weil dieser überwiegend der Durchführung nichtpflichtiger Leistungen diente. Fehl geht damit auch die Rüge einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (
Art. 87 lit. c KVG
) durch die Vorinstanz. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
99621577-ace5-49f9-af5b-3886a2e8abe2 | Urteilskopf
97 III 57
15. Extrait de l'arrêt du 23 juin 1971 dans la cause Gugerli. | Regeste
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
, Unpfändbarkeit eines Automobils.
1. Die Aufsichtsbehörde hat die für die Anwendung von
Art. 92 SchKG
massgebenden Tatsachen von Amtes wegen abzuklären, selbst wenn der Schuldner bloss Angaben macht, die für die Beurteilung der Lage nicht genügen (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2).
2. Massgebend sind die Umstände, die im Zeitpunkt der Aufnahme des Inventars bestehen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 97 III 57 S. 58
A.-
La faillite d'André Gugerli, à Lausanne, a été prononcée le 6 novembre 1970. L'inventaire dressé le 7 janvier 1971 comprenait une voiture Peugeot 404 1969, grevée d'une réserve de propriété. Gugerli a porté plainte en concluant à l'insaisissabilité de cette voiture; il faisait notamment valoir qu'elle était indispensable à l'exercice de son activité professionnelle. Il est apparu au cours de l'instruction de cette plainte que le véhicule litigieux avait été remplacé, déjà avant le prononcé de la faillite, par une autre voiture de marque Peugeot, modèle 1966, "à injection, grand luxe". L'office des faillites a porté ce véhicule à l'inventaire le 19 février 1971.
B.-
Le même jour, Gugerli a retiré sa plainte et en a formé une seconde contre cette modification de l'inventaire; il concluait derechef à l'insaisissabilité de la voiture inventoriée, outil nécessaire selon lui à l'exercice de son activité professionnelle au service de C.O.M. SA, à Lausanne.
L'instruction à laquelle l'autorité inférieure de surveillance a procédé le 18 mars 1971 a révélé que le plaignant avait trouvé un nouvel emploi auprès de C. Girardet, titulaire de la maison Cadox à Lausanne. Il s'est en outre avéré que, contrairement à ses allégations, il n'avait pas besoin d'une voiture pour l'exercice de son activité antérieure au service de C.O.M. SA Vu ces circonstances, l'autorité inférieure de surveillance a rejeté la plainte de Gugerli le 18 mars 1971. Saisie d'un recours contre cette décision, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois, autorité supérieure de surveillance, l'a confirmée par arrêt du 30 avril 1971. Elle a considéré qu'il appartenait au débiteur qui prétend qu'un objet est indispensable à son travail de donner tous renseignements utiles à cet égard; qu'en l'espèce, le recourant n'a pas rendu vraisemblable que le véhicule litigieux fût indispensable à l'exercice de sa nouvelle activité.
C.-
Gugerli recourt au Tribunal fédéral contre cette décision en reprenant les conclusions de sa plainte. Il fait valoir que l'usage d'un véhicule automobile est indispensable à l'exercice de son activité de représentant de la maison Cadox.
BGE 97 III 57 S. 59
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
...
2.
L'insaisissabilité de la voiture litigieuse ne peut être déniée par les seuls motifs de la décision attaquée. Certes, dans l'arrêt auquel elle se réfère (RO 84 III 20 s.), le Tribunal fédéral a admis que le débiteur qui invoque l'insaisissabilité doit établir de façon précise que l'usage d'une voiture se justifie économiquement pour lui. Dans une jurisprudence ultérieure, il a cependant déclaré les motifs de cet arrêt trop absolus (arrêt non publié Aeschlimann, du 27 janvier 1966, consid. 2); il appartient à l'autorité de surveillance d'élucider d'office, éventuellement avec le concours de l'office des poursuites, les faits déterminants pour l'application de l'art. 92 LP, et cela même si le débiteur ne fournit que des renseignements insuffisants pour apprécier la situation (RO 86 III 50, 89 III 34, 91 III 59; arrêt précité Aeschlimann, consid. 2; cf. aussi l'arrêt non publié Leuenberger, du 1er décembre 1969, où le Tribunal fédéral s'est inspiré de considérations analogues pour inviter l'autorité cantonale à compléter ses constatations sur le caractère insaisissable d'une voiture automobile).
Sur le vu de cette jurisprudence, l'autorité cantonale n'aurait pas dû se borner à qualifier de "très vagues" les déclarations du recourant et s'abstenir d'élucider elle-même les faits qu'il alléguait; si les conditions relatives au nouvel emploi du recourant avaient été déterminantes, la cause aurait dû lui être renvoyée pour qu'elle opérât les investigations nécessaires à la détermination du caractère prétendument insaisissable du véhicule litigieux.
3.
Selon un arrêt ancien, seules sont déterminantes les circonstances existantes au moment de la prise d'inventaire (RO 35 I 836 s.). Cette jurisprudence a été confirmée: se référant à la poursuite par voie de saisie, où l'on se fonde en principe sur les conditions de l'époque de l'exécution de la saisie, le Tribunal fédéral déclare déterminantes les circonstances qui existent lors de la déclaration de faillite et peu après (arrêt non publié Hamel, du 1er mai 1965, consid. 2).
En l'espèce, il faut donc prendre en considération la situation constatée lors des prises d'inventaire des 7 janvier et 19 février 1971, situation sur laquelle le recourant a d'ailleurs fondé ses deux plaintes à l'autorité inférieure de surveillance.
BGE 97 III 57 S. 60
La question de savoir laquelle de ces deux dates est déterminante peut demeurer indécise, puisque le recourant n'a occupé son nouvel emploi qu'un mois environ après la seconde prise d'inventaire. Se fondant sur les déclarations d'un témoin entendu par l'autorité inférieure de surveillance, l'arrêt déféré constate de manière à lier le Tribunal fédéral que le recourant n'avait pas besoin d'une voiture dans l'activité professionnelle qu'il exerçait alors. On ne peut considérer non plus que l'usage d'un véhicule automobile lui sera nécessaire à l'avenir, pour l'exercice de sa profession: il n'appartient pas à l'une de ces catégories particulières de représentants, tels que les représentants en matière d'assurances ou de meubles, dont l'activité nécessite l'emploi d'une voiture. Il est ainsi établi qu'à l'époque déterminante pour juger de l'insaisissabilité du véhicule litigieux l'usage d'une voiture automobile n'était pas indispensable à l'exercice de la profession du recourant et qu'on ne devait pas admettre qu'il en irait autrement à l'avenir. Le recours, qui n'invoque que les conditions afférentes au nouvel emploi du plaignant, est dès lors mal fondé.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9963c012-2b1f-4821-9d50-313be45112ae | Urteilskopf
140 II 378
34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Gemeinde St. Moritz gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_68/2014 vom 15. August 2014 | Regeste
Beschränkung des Zweitwohnungsbaus (
Art. 75b und 197 Ziff. 9 BV
; Zweitwohnungsverordnung); Beschwerdelegitimation der Gemeinde (
Art. 89 Abs. 1 BGG
).
Die Gemeinde ist zur Beschwerde gegen einen Entscheid befugt, der sie verpflichtet, eine Baubewilligung zu erteilen, die ihres Erachtens nach
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
nichtig wäre (E. 1.2).
Nach Ablauf der Übergangsfrist gemäss
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
bestehen aus kompetenzrechtlicher Sicht keine Bedenken mehr gegen die Zweitwohnungsverordnung vom 22. August 2012. Diese ist bis zum Inkrafttreten des Zweitwohnungsgesetzes anzuwenden, soweit sie den Anwendungsbereich von
Art. 75b BV
und damit auch der Nichtigkeitsfolge gemäss
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
in zulässiger Weise präzisiert (E. 4.1).
Nicht in der Verordnung geregelt ist der Ausbau von am 11. März 2012 bereits bestehenden Zweitwohnungen, die weiterhin als Zweitwohnungen genutzt werden sollen (E. 4.2).
Der vorliegend streitige Umbau von Neben- zu Hauptnutzflächen kann bis zur Klärung durch den Gesetzgeber nicht bewilligt werden; eine entsprechende Bewilligung wäre nach
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
nichtig (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 379
BGE 140 II 378 S. 379
Am 21. Juni 1962 erteilte die Gemeinde St. Moritz die Bewilligung zur Erstellung eines viergeschossigen Mehrfamilienhauses auf Parzelle Nr. x an der Via N. Das Dachgeschoss wurde als Estrich bewilligt.
Am 6. Februar 2013 ersuchte A. die Gemeinde um die Bewilligung für den Umbau des bestehenden Aufenthaltsraumes im Dachgeschoss als Studio. Mit Baubescheid vom 15. April 2013 wies der Gemeindevorstand das Baugesuch ab, weil es im Widerspruch zu
Art. 75b BV
stehe.
Dagegen erhob A. am 16. Mai 2013 Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses hiess die Beschwerde am 26. November 2013 gut, hob den Baubescheid auf und wies die Angelegenheit zur Weiterführung des Baubewilligungsverfahrens im Sinne der Erwägungen und zum Erlass eines neuen Baubescheids an die Gemeinde zurück.
BGE 140 II 378 S. 380
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid hat die Gemeinde St. Moritz am 4. Februar 2014 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben.
Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, dass die geplante Erweiterung der bestehenden Zweitwohnung in den Bereich des bewilligten Estrichs die Bruttogeschossfläche vergrössere und damit den bundesrechtlichen Bestimmungen über Zweitwohnungen widerspreche.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und bestätigt den Baubescheid der Gemeinde St. Moritz vom 15. April 2013.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(...)
1.2
Die Gemeinde ist durch den angefochtenen Entscheid als Baubewilligungsbehörde und damit als Trägerin hoheitlicher Gewalt berührt; sie ist daher befugt, mit Beschwerde eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie geltend zu machen (
Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG
). Ob ihr im fraglichen Bereich Autonomie zusteht, ist eine Frage der Begründetheit der Beschwerde (vgl. nicht publ. E. 2).
Die Gemeinde ist aber auch legitimiert, gestützt auf
Art. 89 Abs. 1 BGG
Beschwerde zu erheben. Denn
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
sieht vor, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar des auf die Annahme von Artikel 75b BV folgenden Jahres und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden, nicht nur anfechtbar, sondern sogar nichtig sind. Es wäre der Autorität der Gemeinde als Bau- und Planungsbehörde abträglich, wenn sie gezwungen wäre, Verfügungen zu erlassen, die ihrer Ansicht nach nichtig sind, d.h. denen jede Verbindlichkeit und Rechtswirksamkeit abgeht und deren Nichtigkeit jederzeit und vor sämtlichen staatlichen Instanzen geltend gemacht werden könnte. Sie ist daher befugt, geltend zu machen, dass die streitige Baubewilligung wegen Verletzung von
Art. 75b BV
i.V.m.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
und Art. 8 Abs. 2 der Verordnung vom 22. August 2012 über Zweitwohnungen (SR 702; im Folgenden: ZweitwohnungsV) nichtig wäre.
(...)
4.
Art. 75b Abs. 1 BV
bestimmt, dass der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde auf höchstens
BGE 140 II 378 S. 381
20 Prozent beschränkt ist. Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar des auf die Annahme von
Art. 75b BV
folgenden Jahres und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden, sind nichtig (
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
).
4.1
Der Bundesrat hat am 22. August 2012 die ZweitwohnungsV erlassen. Im Erläuternden Bericht des ARE vom 17. August 2012 wird ausgeführt, dass es aufgrund der sehr einscheidenden Nichtigkeitsfolge ein legitimes Bedürfnis gebe, für die Zeit bis zum Erlass des Ausführungsgesetzes einheitlich durch den Bund zu klären, welche Fälle von Baubewilligungen überhaupt von
Art. 75b BV
und damit auch von der Nichtigkeitsfolge gemäss
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
erfasst seien und welche nicht.
Der Bund stützte sich hierfür auf seine Befugnis zum "Vollzug der Gesetzgebung" nach
Art. 182 Abs. 2 BV
. In der Literatur ist umstritten, ob der Bundesrat schon vor Ablauf der zweijährigen Übergangsfrist gemäss
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
zur Vollziehung der neuen Verfassungsbestimmung befugt war (contra ALAIN GRIFFEL, Die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative, eine Zwischenbilanz, ZBl 115/2014 S. 69 ff. mit Hinweisen; pro BERNHARD WALDMANN, Die Zweitwohnungsverordnung, Jusletter 10. Dezember 2012 N. 5 f;
derselbe
, Zweitwohnungen - vom Umgang mit einer sperrigen Verfassungsnorm, in: Schweizerische Baurechtstagung 2013, S. 123 ff., 129).
Inzwischen ist die in
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
statuierte Übergangsfrist abgelaufen, ohne dass ein Ausführungsgesetz in Kraft getreten ist. Der Bundesrat ist nunmehr befugt, die nötigen Ausführungsbestimmungen über Erstellung, Verkauf und Registrierung im Grundbuch durch Verordnung zu regeln. Am 19. Februar 2014 hat der Bundesrat den Entwurf eines Zweitwohnungsgesetzes (E-ZWG) und die dazugehörige Botschaft beschlossen (Botschaft vom 19. Februar 2014 zum Bundesgesetz über Zweitwohnungen, BBl 2014 2287 ff.). Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes soll die geltende Zweitwohnungsverordnung vom 22. August 2012 in Kraft bleiben (Botschaft, S. 2290 Ziff. 1.1; Art. 9 Abs. 2 ZweitwohnungsV).
Verfügt der Bundesrat seit dem 12. März 2014 über eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zum Erlass von Ausführungsbestimmungen in Form einer Verordnung, so bestehen aus kompetenzrechtlicher Sicht keine Bedenken mehr gegen die ZweitwohnungsV. Es wäre überspitzt formalistisch, vom Bundesrat zu verlangen, die ZweitwohnungsV ein zweites Mal zu erlassen, diesmal gestützt auf
BGE 140 II 378 S. 382
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
. Die geltende Verordnung ist daher bis zum Inkrafttreten des Zweitwohnungsgesetzes anzuwenden, sofern sie den Anwendungsbereich von
Art. 75b BV
in zulässiger Weise präzisiert.
4.2
Art. 3 ZweitwohnungsV trägt die Überschrift "Bestehende Wohnungen und Hotels". Diese Bestimmung regelt jedoch lediglich die Umnutzung von am 11. März 2012 bereits bestehenden oder rechtskräftig bewilligten Wohnungen, von Erst- zu Zweitwohnungen und umgekehrt, in der Grenze der vorbestandenen, anrechenbaren Bruttogeschossfläche. Nicht geregelt ist der vorliegend streitige Fall des Um- bzw. Ausbaus einer Zweitwohnung, die weiterhin als Zweitwohnung genutzt werden soll. Insoweit bleibt es daher bei der Übergangsregelung gemäss
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
.
5.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
enthält ein vorsorgliches Baubewilligungsverbot, das im Ergebnis (wenn auch nicht in der Rechtsfolge, vgl. Urteil 1C_88/2014 E. 4.2) einer Planungszone gleichkommt. Es ist weit auszulegen, um eine Präjudizierung der künftigen Ausführungsgesetzgebung zu vermeiden (
BGE 139 II 243
E. 10.5 S. 257). Darunter fallen alle baubewilligungspflichtigen Tatbestände, deren Vereinbarkeit mit
Art. 75b Abs. 1 BV
zweifelhaft erscheint und daher vom Gesetzgeber geregelt werden müssen.
5.1
Art. 75b BV
beschränkt nicht nur den Zweitwohnungsanteil am Gesamtbestand der Wohneinheiten, sondern auch an der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde. Wie das ARE zutreffend darlegt, ist davon auszugehen, dass dieser Begriff künftig bundeseinheitlich geregelt wird und sich nicht zwangsläufig mit der nach dem kantonalen bzw. kommunalen Recht anrechenbaren Bruttogeschossfläche decken wird.
5.2
Die Auslegung des ARE, wonach auf die Hauptnutzungsflächen gemäss SIA-Norm 416 abzustellen sei, d.h. auf die Flächen eines Geschosses, die der Wohnnutzung im engeren Sinne dienen, ist eine mögliche, mit
Art. 75b BV
vereinbare Auslegung, die auch der Botschaft des Bundesrats vom 19. Februar 2014 zugrunde liegt (BBl 2014 S. 2307 zu Art. 9 und S. 2310 zu Art. 12 E-ZWG). Nach dieser Definition stellt die Umwandlung von Nebennutzflächen in Hauptnutzflächen eine Erweiterung einer bestehenden Zweitwohnung dar.
Ob und wenn ja inwieweit das künftige Gesetz eine derartige Erweiterung zulassen wird, ist noch ungewiss. Im Vernehmlassungsverfahren schlug der Bundesrat zwei Varianten vor: Nach der einen sollten altrechtliche Wohnungen weitgehend frei umgenutzt und
BGE 140 II 378 S. 383
auch geringfügig erweitert werden dürfen; nach der anderen durften sie nur im Rahmen der bestehenden Hauptnutzfläche geändert werden. Der vom Bundesrat beschlossene Gesetzesentwurf sieht nunmehr in Art. 12 Abs. 3 vor, dass die Erweiterung der Hauptnutzflächen einer altrechtlichen Wohnung nur zulässig ist, wenn diese als Erstwohnung oder als touristisch bewirtschaftete Wohnung deklariert wird (Botschaft, S. 2292 f. Ziff. 1.3 und S. 2310 zu Art. 12 E-ZWG).
5.3
Der Umbau des Estrichs (als Nebennutzfläche gemäss SIA-Norm 416) zu einem Studio vergrössert die Hauptnutzfläche. Die vom Beschwerdegegner geltend gemachte frühere Nutzung des Dachgeschosses als Aufenthaltsraum wurde nie bewilligt. Wie bereits das Verwaltungsgericht festgehalten hat, erfolgte die Bewilligung des Dachfensters 1966 ausdrücklich zur besseren Belichtung des Estrichs. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Wohnnutzung des Dachgeschosses in der Folgezeit - ausdrücklich oder stillschweigend - von der Gemeinde bewilligt oder geduldet worden wäre.
Es handelt sich somit um einen baubewilligungspflichtigen Tatbestand, dessen Vereinbarkeit mit
Art. 75b Abs. 1 BV
zweifelhaft erscheint und bis zur Klärung durch den Gesetzgeber nicht bewilligt werden kann; eine entsprechende Bewilligung wäre gemäss
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
nichtig. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9969b247-65d0-4a5a-893a-85f1d52d20e5 | Urteilskopf
88 III 7
2. Entscheid vom 23. Januar 1962 i.S. Boog. | Regeste
Betreibung gegen einen Bevormundeten. Beschwerde gegen den Zahlungsbefehl und die Pfändungsankündigung wegen örtlicher Unzuständigkeit des Betreibungsamtes und wegen Zustellung an den entlassenen Vormund.
1. Beschwerdelegitimation. Der Bevormundete kann eine solche Beschwerde nicht selber führen. Dagegen ist ein von einem Anwalt eingereichter, vom Vormund genehmigter Rekurs wirksam, selbst wenn diese Genehmigung erst nach Ablauf der Rekursfrist erfolgt.
2. Die örtliche Unzuständigkeit des Betreibungsamtes macht die Pfändungsankündigung, nicht dagegen den Zahlungsbefehl nichtig.
3. Die Zustellung des Zahlungsbefehls an den entlassenen, aber noch nicht ersetzten Vormund ist wirksam (
Art. 444 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 88 III 7 S. 8
Am 23. März 1961 übernahm der Gemeinderat von Littau die gemäss
Art. 369 ZGB
für Alois Boog errichtete Vormundschaft vom Gemeinderat Geuensee zur Weiterführung und ernannte Amtsvormund Walter Jenny zum Vormund. Am 18. Mai 1961 beschloss er, die Vormundschaft werde zur Weiterführung an die Behörde von Ebikon übertragen, wohin Boog übergesiedelt war; der Vormund Walter Jenny werde aus seinem Amt entlassen. Mit Beschluss vom 14. Oktober 1961 übernahm der Gemeinderat von Ebikon die Vormundschaft und ernannte Amtsvormund A. Birrer zum Vormund.
In der Zeit zwischen den beiden zuletzt genannten Beschlüssen, nämlich am 26. September 1961, hatte das Betreibungsamt Littau in der von A. Kaufmann für eine Forderung von Fr. 1600.-- gegen "Alois Boog, Mühlegg 15, Ebikon, mit Vormund Herrn Walter Jenny, Obermättlistrasse 15, Reussbühl" angehobenen Betreibung
BGE 88 III 7 S. 9
Nr. 8957 den Zahlungsbefehl diesem letztern zugestellt. Da Jenny nicht Rechtsvorschlag erhob, erliess das Betreibungsamt Littau am 26. Oktober 1961 auf Begehren des Gläubigers die Pfändungsankündigung. Hierauf führte Boog am 8. November 1961 Beschwerde mit dem Begehren, die Betreibung Nr. 8957 sei nichtig zu erklären. Als darauf das Betreibungsamt Ebikon am 15. November 1961 eine neue Pfändungsankündigung erliess, reichte Boog am 27. November 1961 eine weitere Beschwerde ein, mit der er die Aufhebung der Betreibung einschliesslich dieser Pfändungsankündigung verlangte.
Die untere Aufsichtsbehörde hob die Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Littau von Amtes wegen auf und trat im übrigen auf die Beschwerden nicht ein, weil Boog bevormundet und daher zur Beschwerdeführung nicht legitimiert sei (Entscheide vom 25. und 30. November 1961).
Aus dem gleichen Grunde ist die kantonale Aufsichtsbehörde am 16. Dezember 1961 auf den Rekurs Boogs gegen diese Entscheide nicht eingetreten.
Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht, den Rechtsanwalt Dr. A. Risi am 6. Januar 1962 im Namen von Alois Boog, vertreten durch Amtsvormund Birrer, eingereicht hat, wird beantragt, der dem Rekurrenten Boog am 27. Dezember 1961 zugestellte Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde vom 16. Dezember 1961 sei aufzuheben und die Betreibung Nr. 8957 sowie die Zustellung des Zahlungsbefehls in dieser Betreibung seien als nichtig zu erklären.
Am 11. Januar 1962 hat Boog persönlich eine weitere Eingabe mit Beilagen eingereicht.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Rechtsanwalt Dr. Risi hat in der Rekursschrift erklärt, der Rekurs werde mit ausdrücklicher Zustimmung des Vormundes erhoben, und bemerkt, die als Beweis
BGE 88 III 7 S. 10
hiefür angerufene Vollmacht werde folgen. Am 15. Januar 1962 hat er eine vom 8. Januar 1962 datierte Vollmacht für dieses Verfahren mit der Unterschrift des Vormundes eingereicht. Bei dieser Sachlage ist der Rekurs als wirksam zu betrachten. Dies gälte selbst dann, wenn der Vormund der Rekurserhebung nicht zum voraus zugestimmt, sondern sie erst nachträglich, und zwar nach Ablauf der Rekursfrist, genehmigt hätte (vgl. LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 5 zu Art. 35, S. 65 oben, und GULD ENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 116 unter d); denn es muss berücksichtigt werden, dass es unter Umständen nicht möglich ist, innert der kurzen Rekursfrist die Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters beizubringen. Auf den Rekurs ist daher einzutreten.
Nicht zu beachten ist dagegen die Eingabe, die der Rekurrent (übrigens erst nach Ablauf der Rekursfrist) persönlich eingereicht hat.
2.
Im kantonalen Verfahren hat der Rekurrent ohne jede Ermächtigung des Vormunds gehandelt. Er hat mit seinen Beschwerden an die untere Aufsichtsbehörde und mit der Weiterziehung an die kantonale Aufsichtsbehörde nicht Rechte ausgeübt, die ihm um seiner Persönlichkeit willen zustünden (
Art. 19 Abs. 2 ZGB
). Ebensowenig hat er damit die Unpfändbarkeit im Sinne von
Art. 92 SchKG
geltend gemacht, was nach der Rechtsprechung (
BGE 72 III 2
,
BGE 68 III 116
) der Ausübung eines solchen Rechts gleichzuachten ist. Die Vorinstanzen haben ihm daher zu Recht die Beschwerdelegitimation abgesprochen.
3.
Von Amtes wegen aufzuheben war die Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Littau vom 26. Oktober 1961; dies schon deswegen, weil eine andernorts als am schweizerischen Wohnsitz des Schuldners erfolgte Fortsetzung der Betreibung auf Pfändung nichtig ist (
BGE 68 III 35
,
BGE 80 III 101
) und der Rekurrent am 26. Oktober 1961 seinen Wohnsitz gemäss
Art. 25 Abs. 1 ZGB
nicht mehr in Littau, sondern in Ebikon hatte, wo nunmehr die Vormundschaft über ihn geführt wurde.
BGE 88 III 7 S. 11
Den Zahlungsbefehl wegen örtlicher Unzuständigkeit des Betreibungsamtes Littau von Amtes wegen aufzuheben, käme dagegen selbst dann nicht in Frage, wenn man im Gegensatz zur untern Aufsichtsbehörde annehmen wollte, der Rekurrent habe zur Zeit der Zustellung des Zahlungsbefehls (26. September 1961), also vor der förmlichen Übernahme der Vormundschaft durch den Gemeinderat von Ebikon (14. Oktober 1961), bereits in Ebikon Wohnsitz gehabt, weil der Gemeinderat von Ebikon der vom Gemeinderat von Littau am 18. Mai 1961 beschlossenen Übertragung der Vormundschaft an ihn laut diesem Beschluss schon zum voraus zugestimmt hatte (vgl. hiezu
BGE 86 II 289
). Die örtliche Unzuständigkeit des Betreibungsamtes, das- den Zahlungsbefehl erlässt, macht diesen nämlich gemäss ständiger Rechtsprechung nicht schlechthin nichtig, sondern nur anfechtbar (
BGE 68 III 35
,
BGE 82 III 74
,
BGE 83 II 50
), und eine solche Anfechtung ist im vorliegenden Falle innert der dafür geltenden Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
nicht erfolgt.
Zu prüfen bleibt also nur, ob Walter Jenny, dem der Zahlungsbefehl am 26. September 1961 zugestellt wurde, damals nicht mehr gesetzlicher Vertreter des Rekurrenten gewesen und die an ihn erfolgte Zustellung aus diesem Grunde als nichtig zu betrachten und darum von Amtes wegen aufzuheben sei. Dies ist jedoch zu verneinen. Zwar hatte die Vormundschaftsbehörde von Littau am 18. Mai 1961 beschlossen, Jenny werde als Vormund entlassen. Der neue Vormund wurde aber erst am 14. Oktober 1961 ernannt. Bis dahin hatte Jenny gemäss
Art. 444 ZGB
die notwendigen Geschäfte der Vormundschaft, wozu auch die Entgegennahme eines Zahlungsbefehls gehörte, weiterzuführen. Der Zahlungsbefehl ist daher zu Recht ihm zugestellt worden.
Die Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Ebikon vom 15. November 1961 ist, wie aus dem Entscheide der untern Aufsichtsbehörde vom 30. November 1961 hervorgeht, nicht nur dem Rekurrenten, sondern auch
BGE 88 III 7 S. 12
dem neuen Vormund Birrer zugestellt worden. Sie kann daher nicht wegen fehlender Zustellung an den gesetzlichen Vertreter als nichtig bezeichnet werden.
Das Einschreiten von Amtes wegen hat sich also mit Recht auf die Aufhebung der Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Littau beschränkt.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
996a930a-7014-4d9b-84a3-e0cd46abff0a | Urteilskopf
112 V 275
48. Auszug aus dem Urteil vom 13. November 1986 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Weiss und Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen | Regeste
Art. 4 Abs. 2, 6 Abs. 1, 8 Abs. 3 lit. b, 15-18 IVG, Art. 11 des schweizerisch-französischen Sozialversicherungsabkommens vom 3. Juli 1975: Eintritt des Versicherungsfalles.
Der Gesundheitsschaden bewirkt für jede der im Gesetz vorgesehenen beruflichen Eingliederungsmassnahmen einen eigenen Versicherungsfall. | Sachverhalt
ab Seite 275
BGE 112 V 275 S. 275
A.-
Der 1953 geborene französische Staatsangehörige Claude Weiss arbeitete seit Juli 1978 als Grenzgänger in einer der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Schiffahrts- und Speditionsunternehmung in Basel. Am 13. September 1982 erlitt er bei einem Arbeitsunfall ein schweres Schädel-Hirntrauma mit Schädelbasisfraktur und Hirnödem. Die SUVA kam für die Heilbehandlung sowie für die Nachbehandlung (in der Rehabilitationsklinik Bellikon) auf und gewährt dem Versicherten ab 1. August 1985 aufgrund einer 100%igen Invalidität eine Rente.
Am 21. Juli 1983 meldete sich Claude Weiss bei der Invalidenversicherung an und beantragte die Gewährung von Berufsberatung, Umschulung und einer Rente. Die Invalidenversicherungs-Kommission stellte fest, dass die 360tägige Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 Variante 2 IVG am 7. September 1983 endete und dass der Invaliditätsgrad 100% betrug. Demgemäss sprach die
BGE 112 V 275 S. 276
Schweizerische Ausgleichskasse dem Versicherten ab 1. September 1983 eine ganze Invalidenrente (nebst Zusatzrente für die Ehefrau) zu (rechtskräftige Verfügung vom 11. Mai 1984).
Mit Verfügung vom 10. Januar 1984 wies die Ausgleichskasse das Gesuch um berufliche Eingliederungsmassnahmen ab, weil bei Eintritt des Versicherungsfalles der Umschulung die versicherungsmässigen Voraussetzungen gemäss Art. 11 des schweizerisch-französischen Abkommens über Soziale Sicherheit (vom 3. Juli 1975) nicht erfüllt gewesen seien.
B.-
Claude Weiss beschwerte sich gegen die Verfügung vom 10. Januar 1984 und beantragte, es seien ihm die zu seiner Wiedereingliederung erforderlichen Massnahmen beruflicher Art zu gewähren. Mit Entscheid vom 21. Februar 1985 hiess die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen die Beschwerde gut.
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid vom 21. Februar 1985 und beantragt dessen Aufhebung. Claude Weiss lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Die Ausgleichskasse sieht von einer Stellungnahme ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung ist, dass der Ansprecher im Zeitpunkt des Versicherungsfalles versichert ist (
Art. 6 Abs. 1 IVG
). Über den Status als Versicherter enthält Art. 11 des (hier unbestrittenermassen anwendbaren) schweizerisch-französischen Sozialversicherungsabkommens (vom 3. Juli 1975) folgende Bestimmungen für französische Grenzgänger:
"Für den Erwerb des Anspruches auf eine Leistung der schweizerischen Invalidenversicherung gelten in der Schweiz wohnhafte französische Staatsangehörige und Grenzgänger, die ihre Erwerbstätigkeit in der Schweiz infolge Krankheit oder Unfalls aufgeben müssen, deren Invalidität aber in diesem Land festgestellt wird, für die Dauer eines Jahres, gerechnet vom Zeitpunkt der zur Invalidität führenden Arbeitsunterbrechung als Versicherte im Sinne der schweizerischen Gesetzgebung und haben Beiträge an die schweizerische Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zu entrichten, als hätten sie Wohnsitz in der Schweiz."
Es ist demnach entscheidend, in welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall eingetreten ist: ob vor oder nach Ablauf des Jahres
BGE 112 V 275 S. 277
seit dem "Zeitpunkt der zur Invalidität führenden Arbeitsunterbrechung", konkret vor oder nach dem 13. September 1983.
b) Gemäss
Art. 4 Abs. 2 IVG
gilt die Invalidität als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Nach der Gerichtspraxis ist dieser Zeitpunkt objektiv aufgrund des Gesundheitszustandes des Versicherten festzustellen; zufällige externe Faktoren (wie z.B. eine noch ungenügend entwickelte Operationstechnik: EVGE 1969 S. 221) sind unerheblich (
BGE 111 V 121
Erw. 1d mit Hinweisen).
Vor der Einfügung des Abs. 2 in
Art. 4 IVG
(auf 1. Januar 1968) bestand eine gewisse Unsicherheit darüber, ob ein und derselbe Gesundheitsschaden mehrere (sukzessive) Versicherungsfälle bewirken könne (vgl. EVGE 1966 S. 178, wo das Eidg. Versicherungsgericht eine solche Möglichkeit bezweifelte, die Frage aber offenlassen konnte). Mit Erlass des Abs. 2 von Art. 4 erfolgte die Klarstellung: da diese Bestimmung von der "jeweiligen Leistung" spricht, ist es grundsätzlich möglich, dass ein und derselbe Gesundheitsschaden mehrere Versicherungsfälle bewirkt; "ein solcher Schaden kann nämlich unter Umständen - zur gleichen Zeit oder zeitlich gestaffelt - die Voraussetzungen für sehr verschiedene Leistungsarten (eine oder mehrere Eingliederungsmassnahmen, Rentenleistungen, Hilflosenentschädigungen) erfüllen" (
BGE 105 V 61
Erw. 2c).
2.
a) Gestützt auf Art. 11 des Sozialversicherungsabkommens war der Beschwerdegegner bis zum 13. September 1983 (ein Jahr nach dem Unfall vom 13. September 1982) in der schweizerischen Invalidenversicherung versichert. Unbestrittenermassen trat hinsichtlich des Rentenanspruchs der Versicherungsfall vor jenem Datum ein, nämlich am 7. September 1983 gemäss Art. 29 Abs. 1 Variante 2 IVG. Dementsprechend wurde ihm die Invalidenrente zugesprochen. Streitig ist dagegen, in welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall bezüglich beruflicher Eingliederungsmassnahmen eingetreten war.
b) In tatbeständlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass mit der Berufsberatung bereits während des ersten Aufenthalts des Beschwerdegegners in der Rehabilitationsklinik Bellikon (8. November 1982 - 24. Juni 1983) begonnen wurde. Offensichtlich wurde die Berufsberatung von den zuständigen Instanzen der SUVA zu jener Zeit als indiziert erachtet. Für den Anspruch gegenüber der Invalidenversicherung ist es irrelevant, dass die
BGE 112 V 275 S. 278
Massnahme bereits vor der Anmeldung (21. Juli 1983) im Sinne von
Art. 4 Abs. 2 IVG
indiziert war (
BGE 103 V 131
oben). Bezüglich der Berufsberatung erfüllte somit der Beschwerdegegner die versicherungsmässigen Voraussetzungen des Sozialversicherungsabkommens. Indes ist der Anspruch nicht mehr aktuell, weil die Berufsberatung in Bellikon faktisch - wenn auch ohne Erfolg - durchgeführt worden ist.
c) Effektiver Streitpunkt ist der Anspruch auf Umschulung gemäss
Art. 17 IVG
. Aus den Berichten der Rehabilitationsklinik Bellikon vom 28. Juni und 7. Juli 1983 ergibt sich, dass in der Zeit bis 13. September 1983 von der Möglichkeit einer Umschulung keine Rede sein konnte. Im Sommer 1983 war der psychische Zustand des Beschwerdegegners so schlecht, dass ein dreimonatiger Behandlungsunterbruch (bis zum Wiedereintritt am 29. September 1983) eingeschaltet werden musste. Art und Schwere des damaligen Gesundheitszustandes erlaubten keine Umschulungsmassnahmen. Betrachtet man den Umschulungsanspruch für sich allein genommen, so war der Versicherungsfall bis zum 13. September 1983 nicht eingetreten.
Unbehelflich ist der Einwand, es habe schon vor dem 13. September 1983 festgestanden, dass der Beschwerdegegner die frühere Arbeit niemals wieder werde verrichten können und dass deshalb eine Umschulung unumgänglich sein werde. Das ist wohl richtig, aber nicht entscheidend. Die Notwendigkeit späterer Eingliederungsmassnahmen (z.B. einer Umschulung) ist oft schon kurz nach dem invalidisierenden Ereignis erkennbar. Diese Erkenntnis bedeutet aber nicht den Eintritt des für diese Versicherungsleistung massgebenden Versicherungsfalles. Hierfür massgebend ist vielmehr der Zeitpunkt, in dem die Invalidität nach ihrer aktuellen Art und Schwere die Eingliederungsmassnahme einerseits erheischt und anderseits ermöglicht. Daher wird z.B. bei den medizinischen Eingliederungsmassnahmen verlangt, dass keine Gegenindikation besteht (
BGE 105 V 60
Erw. 2a). Im vorliegenden Fall ist es offensichtlich und durch die Berichte der Rehabilitationsklinik Bellikon belegt, dass Umschulungsmassnahmen vor dem 13. September 1983 gänzlich ausgeschlossen waren.
3.
a) Die Vorinstanz hat die Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung gutgeheissen, der Eintritt des Versicherungsfalles bezüglich der Berufsberatung müsse für alle "Massnahmen beruflicher Art generell" gelten. Insbesondere würden Berufsberatung und Umschulung eng zusammenhängen, indem die Berufsberatung
BGE 112 V 275 S. 279
"der erste Schritt im Hinblick auf die berufliche Wiedereingliederung [gewesen sei], welcher zur Abklärung der offensichtlich als notwendig erkannten Umschulungsmassnahmen unternommen wurde".
In gleicher Richtung argumentiert der Beschwerdegegner, der es als nicht angängig erachtet, "den zeitlichen Eintritt des Versicherungsfalles für einen Teil der Massnahmen beruflicher Art, nämlich die Berufsberatung, vom zeitlichen Eintritt des Versicherungsfalles für die übrigen Massnahmen beruflicher Art abzuspalten. Hinsichtlich sämtlicher Massnahmen beruflicher Art tritt der Versicherungsfall zeitlich einheitlich ein."
b) In
BGE 105 V 58
, wo es um zwei sukzessiv notwendig gewordene Eingliederungsmassnahmen ging - zunächst um Sonderschulung auf der Kindergartenstufe (
Art. 19 Abs. 3 IVG
,
Art. 12 Abs. 1 lit. b IVV
) und ein paar Jahre später um Sonderschulung während der obligatorischen Schulpflicht (
Art. 19 Abs. 1 IVG
,
Art. 8 IVV
) -, fand das Gericht, es handle sich nicht um unterschiedliche Leistungskategorien; ohne Rücksicht auf die Altersstufe stellten alle von Gesetz und Verordnung vorgesehenen Sonderschulmassnahmen zusammen "ein einheitliches, sich ergänzendes Massnahmenbündel mit im wesentlichen gleicher Zielsetzung dar. Tritt die Invalidität in bezug auf die Sonderschulung deshalb ... bereits im Vorschulalter ein, so löst der Übertritt in die Sonderschule bei Erreichen des entsprechenden Alters keinen neuen Versicherungsfall aus" (S. 62).
Diese Praxis betreffend die Sonderschule kann nicht auf die beruflichen Massnahmen übertragen werden. Zwar ist richtig, dass zwischen Berufsberatung und Umschulung sachlich ein enger Zusammenhang besteht, und des öftern wird - was in casu allerdings nicht der Fall war - die letztere unmittelbar an die erstere anschliessen. Dies ändert aber nichts daran, dass es zwei verschiedene Leistungen sind, sowohl inhaltlich wie gemäss der gesetzlichen Normierung. Sodann ist die Zielsetzung nicht dieselbe. Dabei ist unter dem (in
BGE 105 V 62
verwendeten) Begriff "Zielsetzung" selbstredend nicht das allgemeine Ziel, den Versicherten wieder ins Erwerbsleben einzugliedern, verstanden (andernfalls für sämtliche Eingliederungsmassnahmen, von den medizinischen bis zur Kapitalhilfe, nur ein einziger Versicherungsfall gelten würde); vielmehr geht es um das Ziel jeder einzelnen Massnahme. Mit der Berufsberatung wird klarerweise nicht dasselbe Ziel anvisiert wie mit der Umschulung. Jede der im Gesetz vorgesehenen Massnahmen
BGE 112 V 275 S. 280
beruflicher Art (
Art. 8 Abs. 3 lit. b IVG
) bewirkt daher einen eigenen Versicherungsfall.
Art. 4 Abs. 2 IVG
, der von der "jeweiligen Leistung" der Versicherung spricht, kann nicht anders verstanden und ausgelegt werden (vgl. auch MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 119).
c) Aus diesen Gründen kann der Auffassung von Beschwerdegegner und Vorinstanz nicht gefolgt werden. Der Versicherungsfall der Berufsberatung gilt nicht auch für die Umschulung. Für die letztere ist der Versicherungsfall - wie oben dargelegt - bis zum 13. September 1983 nicht eingetreten. Falls er später eingetreten sein sollte, wäre der Beschwerdegegner nicht mehr versichert gewesen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
996b1444-c634-4c6e-b0b6-ae8d96eda1ca | Urteilskopf
116 II 9
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Februar 1990 i.S. B.L. (Berufung) | Regeste
Art. 1 Abs. 2 IPRG
; Umfang des Vorbehalts völkerrechtlicher Verträge.
Der Vorbehalt völkerrechtlicher Verträge in
Art. 1 Abs. 2 IPRG
bezieht sich auf den gesamten Bereich, der im IPRG geregelt ist. Soweit solche Verträge bestehen, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in der Schweiz daher auch nach dem Inkrafttreten des IPRG ausschliesslich nach diesen Staatsverträgen (E. 3).
Vertrag zwischen der Schweiz und Spanien über die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen oder Erkenntnissen in Zivil- und Handelssachen (SR 0.276.193.321); Art. 6, Anerkennung von Scheidungsurteilen.
- Ist ein in der Schweiz angehobenes Scheidungsverfahren zwischen in der Schweiz wohnenden spanischen Eheleuten weiterzuführen, wenn nach Anhängigmachung der schweizerischen Scheidungsklage in Spanien ein weiteres Scheidungsverfahren angehoben wird und der spanische Richter die Scheidung der Parteien ausspricht? Frage bejaht, falls der schweizerische Richter für die Scheidungsklage zuständig gewesen ist (E. 4).
- Massgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeitsvoraussetzungen: Jener der Klageeinleitung in der Schweiz für die Frage des Wohnsitzes; jener der Klageeinleitung in Spanien für die Voraussetzungen, für welche das schweizerische Recht auf das spanische verweist (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 116 II 9 S. 10
A.-
Die Eheleute B.L. sind spanische Staatsangehörige. Sie heirateten im Jahre 1969 in der Schweiz und hatten seither ihren Wohnsitz ununterbrochen in der Schweiz.
a) Am 21. August 1981 reichte Frau B.L. beim Zivilamtsgericht Bern Klage auf Scheidung, eventuell Trennung ihrer Ehe ein. Ihr Ehemann beantragte mit Klageantwort vom 4. März 1982, auf die Klage sei nicht einzutreten, weil die Voraussetzungen gemäss
Art. 7h NAG
nicht erfüllt seien.
b) Am 17. September 1982 verfügte die Präsidentin des Zivilamtsgerichts Bern auf Gesuch der Klägerin vorsorgliche Massnahmen nach
Art. 145 ZGB
. Der gemeinsame Haushalt der Parteien wurde aufgehoben und der Ehemann verpflichtet, das eheliche Domizil bis spätestens am 1. November 1982 zu verlassen. Die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder wurden unter die Obhut der Mutter gestellt; dem Vater wurde ein Besuchsrecht eingeräumt. Der Beklagte wurde sodann verpflichtet, für den Unterhalt von Frau und Kindern monatlich und zum voraus einen Beitrag von Fr. 1'300.-- inklusive Kinderzulagen zu bezahlen. Gleichzeitig wurde das Hauptverfahren auf Antrag der Klägerin auf unbestimmte Zeit sistiert.
BGE 116 II 9 S. 11
c) Mit Verfügung vom 27. März 1985 wurde das Hauptverfahren wieder aufgenommen. Die Parteien reichten in der Folge ein spanisches Scheidungsurteil ein, das der Richter erster Instanz in Carballo am 30. Juni 1987 gestützt auf eine Klage des Ehemannes vom 27. November 1986 gefällt hatte. Die von der Ehefrau erhobene Einrede der Streithängigkeit hatte der spanische Richter verworfen.
Das Zivilamtsgericht Bern beschränkte in der Hauptverhandlung vom 25. Mai 1988 das Verfahren auf die Frage, ob in Spanien ein Scheidungsverfahren hängig oder rechtskräftig beurteilt sei und ob die örtliche Zuständigkeit des Zivilamtsgerichts gegeben sei. Mit Zwischenentscheid vom gleichen Datum bejahte das Zivilamtsgericht Bern seine örtliche Zuständigkeit und erkannte, auf die Scheidungsklage der Ehefrau sei materiell einzutreten.
B.-
Gegen diesen Zwischenentscheid appellierte der Beklagte an den Appellationshof des Kantons Bern. Er beantragte Nichteintreten auf die Klage und ersuchte um Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des in Spanien hängigen Scheidungsprozesses.
Mit Urteil vom 22. Juli 1988 sprach die 2. Kammer des Zivilgerichtes von La Coruna als zweite spanische Instanz erneut die Scheidung der Parteien aus. Dieses Urteil wurde als endgültig bezeichnet.
Mit Entscheid vom 21. August 1989 bestätigte der Appellationshof des Kantons Bern (I. Zivilkammer) den Zwischenentscheid des Zivilamtsgerichts, dass auf die Klage materiell einzutreten sei.
C.-
Gegen diesen Entscheid des Appellationshofes hat der Beklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, auf die Scheidungsklage sei nicht einzutreten; eventuell sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Gleichzeitig ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des Urteils des Appellationshofes. Auch sie ersucht um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Am 22. Juli 1988 ist die Ehe der Parteien in Spanien in einem zweitinstanzlichen, als endgültig bezeichneten Urteil geschieden worden. Wenn dieses Scheidungsurteil in der Schweiz
BGE 116 II 9 S. 12
anerkannt werden muss, entfällt zwangsläufig der Gegenstand der von der Klägerin in Bern abhängig gemachten Scheidungsklage. Es ist daher in erster Linie zu prüfen, ob die Voraussetzungen zur Anerkennung des spanischen Scheidungsurteils in der Schweiz gegeben sind.
Diese Frage ist aufgrund des Vertrages zwischen der Schweiz und Spanien über die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen oder Erkenntnissen in Zivil- und Handelssachen vom 19. November 1896 zu beurteilen, der am 6. Juli 1898 in Kraft getreten und heute noch gültig ist (SR 0.276.193.321). Obwohl in diesem Vertrag nur von der Vollstreckung von Urteilen die Rede ist, gilt er nicht nur für die Vollstreckung, sondern auch für die Anerkennung der Urteile (GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 131). An der Massgeblichkeit dieses Staatsvertrages hat sich durch das Inkrafttreten des IPRG nichts geändert. In
Art. 1 Abs. 2 IPRG
werden völkerrechtliche Verträge allgemein vorbehalten. Dieser Vorbehalt bezieht sich, wie sich aus seinem Wortlaut und seiner Stellung ergibt, auf den gesamten Bereich, der im IPRG geregelt ist (Botschaft des Bundesrates zum IPRG vom 10. November 1982, BBl 1983, Bd. I, 297 f.; IVO SCHWANDER, in: Die allgemeinen Bestimmungen des IPRG, St. Gallen 1988, S. 45; H.U. WALDER, daselbst, S. 205 ff.). Nicht anwendbar ist im vorliegenden Fall hingegen das Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen (SR 0.211.212.3). Diesem Abkommen, das nur zwischen den Vertragsstaaten gilt, ist Spanien bisher nicht beigetreten.
4.
Nach Art. 6 des Vertrages zwischen der Schweiz und Spanien vom 19. November 1896 kann die Vollstreckung - und damit auch die Anerkennung - eines im jeweils andern Staat gefällten Urteils nur in folgenden Fällen verweigert werden:
"1. wenn der Entscheid von einer nicht zuständigen Behörde ausgegangen ist;
2. wenn er erlassen wurde, ohne dass die Parteien gehörig vorgeladen oder gesetzlich vertreten waren;
3. wenn die Grundsätze des öffentlichen Rechtes des Landes, in welchem die Vollstreckung stattfinden würde, dieser entgegenstehen."
a) Ob der Entscheid im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 von einer zuständigen oder unzuständigen Behörde ausgegangen sei, kann nicht aufgrund des Staatsvertrages selber beurteilt werden, da dieser keine Gerichtsstandsvorschriften enthält. Diese Frage bestimmt sich deshalb nach dem Recht des Staates, in welchem die
BGE 116 II 9 S. 13
Entscheidung geltend gemacht wird. Dies führt hier zu einer Prüfung aufgrund des schweizerischen Rechts (GULDENER, a.a.O., S. 135 f.).
b) Nach schweizerischem Recht war der spanische Heimatrichter zur Scheidung der Parteien dann nicht zuständig, wenn in der Schweiz ein ausschliesslicher und unverzichtbarer Gerichtsstand für die Scheidung bestand. Dies war der Fall, wenn die Scheidungsklage vor der Anrufung des spanischen Gerichts in der Schweiz bei einem zuständigen Richter anhängig gemacht worden war. Eine Widerklage auf Scheidung oder Trennung konnte in der Folge aufgrund des Sachzusammenhangs nur beim Gericht der Erstklage erhoben werden, das zwecks Vermeidung widersprechender Urteile zum Entscheid über beide Klagen berufen war. Dieser durch die Rechtsprechung begründete ausschliessliche und zwingende Gerichtsstand gilt nicht nur innerhalb der Schweiz, sondern auch im Verhältnis zum Ausland (
BGE 113 II 104
f. E. 3,
BGE 91 II 323
f. E. 3a,
BGE 80 II 100
f.; BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N 51 ff. zu
Art. 144 ZGB
, N 152 in Verbindung mit N 137 der Einleitung; GULDENER, a.a.O., S. 178 N 18).
Nichts anderes ergibt sich übrigens nach den Bestimmungen des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen IPRG. Gemäss
Art. 27 Abs. 2 lit. c IPRG
wird eine im Ausland ergangene Entscheidung in der Schweiz nicht anerkannt, wenn eine Partei nachweist, dass ein Rechtsstreit zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand zuerst in der Schweiz eingeleitet oder in der Schweiz entschieden worden ist.
c) Im folgenden bleibt somit zu prüfen, ob der von der Klägerin in der Schweiz angerufene Richter für die Beurteilung der Scheidungsklage zuständig war. Ist dies der Fall, so kann das spanische Urteil nicht anerkannt werden, weil alsdann der spanische Richter aus schweizerischer Sicht nicht zuständig gewesen ist.
5.
Es fragt sich vorerst, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit des schweizerischen Richters abzustellen ist.
Nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozessrechtes müssen die Prozessvoraussetzungen im Zeitpunkt der Fällung des Sachurteils noch gegeben sein, wobei es genügt, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt eintreten (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 229; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 87; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 2. Aufl., S. 149 Rz. 85). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt jedoch bei
BGE 116 II 9 S. 14
Scheidungsklagen für die Zuständigkeit eine Ausnahme: Hier muss die Zuständigkeit im Zeitpunkt der Anhängigmachung der Klage gegeben sein, um zu verhindern, dass die Parteien durch spätere Wohnsitzverlegung auf die Beurteilung der Zuständigkeit Einfluss nehmen können (
BGE 91 II 322
E. 3, 90 II 215 E. 2 mit Hinweisen). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
Hingegen bleibt zu prüfen, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung jener Voraussetzungen massgeblich sei, für welche das schweizerische Recht auf das Heimatrecht der Parteien verweist. Hierzu ist danach zu fragen, von wann an einem in der Schweiz wohnhaften Ausländer die Einreichung einer Scheidungsklage in seiner Heimat vernünftigerweise verwehrt werden kann. Dies ist in einem Fall wie dem vorliegenden der Zeitpunkt der Einreichung der Zweitklage im ausländischen Heimatstaat. War die schweizerische Zuständigkeit in jenem Zeitpunkt gegeben, so war es dem Beklagten zuzumuten, seine Widerklage auf Scheidung oder Trennung beim schweizerischen Richter der Erstklage zu erheben. Waren die Voraussetzungen des
Art. 7h Abs. 1 NAG
für die schweizerische Zuständigkeit bis zu jenem Zeitpunkt eingetreten, so bestand kein Grund, den Gerichtsstand des Sachzusammenhanges nicht zu berücksichtigen. Es ginge zu weit, für diese Prozessvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage in der Schweiz abzustellen. Im vorliegenden Fall wäre dies umso weniger gerechtfertigt, als das Verfahren in der Schweiz in aller Form sistiert worden ist, ohne dass sich der Beklagte dagegen zur Wehr gesetzt hat. Erst mehr als ein Jahr nach der Wiederaufnahme des Prozesses reichte der Beklagte in seinem Heimatstaat Spanien eine eigene Scheidungsklage ein. Für die Frage, ob dies im damaligen Zeitpunkt noch angängig gewesen sei, kann vernünftigerweise nur auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden.
6.
(Das Bundesgericht bejahte, dass die Voraussetzungen des im vorliegenden Falle noch anwendbaren
Art. 7h Abs. 1 NAG
erfüllt waren. Der angerufene Schweizer Richter war demnach für die Scheidungsklage zuständig, weshalb das in der Zwischenzeit in Spanien ergangene Scheidungsurteil nicht anerkannt werden konnte; das in der Schweiz angehobene Scheidungsverfahren war deshalb weiterzuführen.) | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
996bf5be-fea6-4d52-a7dc-0b556fbfe7a4 | Urteilskopf
81 I 64
13. Arrêt du 1er avril 1955 en la cause Saugy contre Commission vaudoise de recours en matière d'impôt. | Regeste
Art. 1 MStG
: In den Hilfsdiensten eingeteilte Wehrmänner unterliegen grundsätzlich der Ersatzpflicht (Erw. 1).
Art. 2, lit. b MStG
:
- Kausalzusammenhang und zeitliches Zusammentreffen von Dienstleistung und Erkrankung (Erw. 2).
- Mehrere Ausmusterungsgründe (Erw. 3).
- Vorsorgliche Ausmusterung wegen Anfälligkeit für Bronchitis und Stirnhöhlenkatarrh (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 81 I 64 S. 65
A.-
Laurent Saugy, né en 1930, a été déclaré apte au service en 1949. Du 30 juillet au 24 novembre 1951, il a servi dans une école de recrues. Pendant cette période, il s'est annoncé au médecin de troupe deux fois pour de la trachéo-bronchite et une fois pour de la pharyngite. En 1952, il a suivi un cours d'adaptation de 20 jours, puis, en 1953, il a de nouveau servi pendant 48 jours dans une école de recrues. Enfin, il fut appelé à suivre un cours de répétition, le 17 octobre 1953. Il fit son service pendant six jours. Le 22 octobre, le médecin du cours l'envoya à l'Hôpital cantonal, à Lausanne, pour une bronchite. Le médecin de l'hôpital diagnostiqua: "Récidive de sinusite, bronchite" et ordonna, pour la convalescence, un repos de quinze jours à la montagne. Ce séjour dura du 29 octobre, jour de la sortie de l'hôpital, jusqu'au 15 novembre, jour de la reprise du travail.
Le 28 octobre, cependant, le médecin de l'hôpital avait noté que Saugy avait déjà souffert de très nombreuses infections des voies respiratoires supérieures (sinusites, bronchites avec rechutes). Il proposa de prononcer la réforme, le service risquant d'aggraver à nouveau la bronchite.
Le 24 février 1954, la CVS déclara Saugy apte au service dans les services complémentaires armés en vertu du
BGE 81 I 64 S. 66
ch. 250/88 ob (maladies de la trachée et des bronches) et 86 chron. (maladies inflammatoires du nez et des cavités accessoires).
B.-
Astreint au paiement de la taxe d'exemption, Saugy a demandé à en être exonéré de par l'art. 2 lit. b LTM. Le 5 novembre 1954, la Commission vaudoise de recours en matière fiscale l'a débouté par le motif que, dès son enfance, le recourant a fréquemment souffert d'inflammations des voies respiratoires, que la maladie dont il a été atteint au service militaire, en 1953, était de la même nature et s'est guérie rapidement, de sorte que l'on ne peut parler d'"aggravation durable d'une maladie préexistante au service accompli".
C.-
Contre cette décision, Saugy a formé, en temps utile, un recours de droit administratif. Il demande à être définitivement exonéré de la taxe en vertu de l'art. 2 lit. b LTM et allègue en résumé: L'art. 2 lit. b LTM s'applique non seulement lorsqu'il existe un lien de causalité adéquate entre le service et la maladie qui entraîne l'inaptitude, mais encore lorsque "la concomitance ou la contemporanéité de la maladie avec le service militaire est établie à satisfaction de droit". Ce dernier cas est celui où se trouve le recourant, lequel a donc droit à l'exonération.
D.-
La Commission cantonale de recours et l'Administration fédérale des contributions concluent toutes deux au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon les art. 1er LTM et 3 OM, tout citoyen suisse en âge de servir et qui n'accomplit pas le service personnel est astreint au paiement de la taxe d'exemption. Le texte allemand de l'art. 3 OM emploie le terme "Militärdienstpflicht" à la place des expressions "service personnel" et "servizio personale" qui figurent dans les textes français et italien, et le Tribunal fédéral a jugé (arrêt Fuhrer c. Basel-Stadt du 5 décembre 1947, non publié) que, dans le
BGE 81 I 64 S. 67
cas particulier, le texte allemand doit avoir le pas sur les deux autres. Or, le terme "Militärdienstpflicht", qui correspond à l'expression française "service militaire proprement dit", est défini par l'art. 1er OM comme "le service personnel dans l'élite, la landwehr et le landsturm". Il s'oppose au terme "Hilfsdienstpflicht", en français "service complémentaire", que l'art. 1er OM définit comme "le service personnel dans une catégorie des services complémentaires". Il s'ensuit que les hommes incorporés dans les services complémentaires n'accomplissent pas le service personnel (Militärdienstpflicht) au sens des art. 1er LTM et 3 OM et sont en principe soumis à la taxe, saufles années où ils font des périodes de service d'une longueur suffisante (art. 20bis al. 2 OM; arrêt Bielmann du 31 octobre 1952, non publié).
Etant incorporé dans les services complémentaires, Saugy est donc, en principe, soumis au paiement de la taxe d'exemption.
2.
Saugy se réclame cependant de l'art. 2 lit. b LTM. Cette disposition légale exonère de la taxe d'exemption les militaires devenus inaptes au service par suite de ce service. Son texte est sans équivoque en ce sens qu'il n'accorde l'exonération de la taxe que dans les cas exclusivement où la maladie ou l'infirmité qui rend le militaire inapte est une conséquence du service accompli. Il suppose, entre le service et la cause de l'inaptitude, l'existence d'un lien de causalité adéquate. Le Tribunal fédéral en a toujours jugé ainsi et le recourant se trompe lorsqu'il affirme qu'il suffit d'un simple rapport de concomitance ou de contemporanéité. Il ne saurait invoquer en ce sens l'arrêt Guignard du 4 novembre 1949. Au contraire, dans cet arrêt, dont le représentant de Saugy méconnaît totalement la portée, ainsi que dans son arrêt Bonvin du 14 novembre 1952, le Tribunal fédéral a confirmé une fois de plus sa jurisprudence constante touchant la causalité adéquate et a ajouté précisément que la concomitance ou la contemporanéité, qui suffit parfois en matière d'assurance
BGE 81 I 64 S. 68
militaire fédérale, ne peut jamais être prise en considération du point de vue de l'art. 2 lit. b LTM. Le recourant est donc mal venu à alléguer aujourd'hui qu'il est tombé malade au service militaire.
3.
Le recourant a été versé dans les services complémentaires en vertu des ch. 250/88 et 86 IAS, qui désignent les maladies de la trachée et des bronches et les maladies inflammatoires du nez et de ses cavités accessoires. Il suffirait que l'une de ces deux causes de réforme seulement soit une conséquence du service accompli au sens de l'art. 2 lit. b LTM pour que cette disposition légale s'applique et que l'exonération doive être prononcée.
4.
Le 24 février, lorsque le recourant a été versé dans les services complémentaires, la bronchite dont il avait souffert précédemment était guérie. Si néanmoins la CVS a fondé sa décision sur le ch. 250/88 IAS, c'est en prévision des nouvelles atteintes de la même maladie que pourrait provoquer le service militaire. Il s'agit donc, en l'espèce, d'une réforme dite prophylactique, c'est-à-dire d'une réforme prononcée par précaution - l'homme étant cliniquement sain - en raison d'un danger de rechutes ou d'une prédisposition à une certaine maladie. Cette circonstance, cependant, n'exclut pas que l'exemption puisse être justifiée de par l'art. 2 lit. b LTM. La cause de l'inaptitude réside dans une prédisposition. Supposé que cette prédisposition ait été causée par le service, ce qui serait le cas, selon la jurisprudence constante, si le service l'avait aggravée d'une manière sensible et durable, les conditions posées par l'art. 2 lit. b LTM seraient remplies et l'exonération devrait être accordée.
En l'espèce, Saugy présente une prédisposition marquée aux bronchites. Il est constant qu'elle est bien antérieure au service. Saugy lui-même a dit au médecin de l'Hôpital cantonal, à Lausanne, que, dès son enfance il avait été sujet aux affections des voies respiratoires supérieures et notamment aux bronchites. Cette prédisposition ne pourrait donc être considérée comme une conséquence du
BGE 81 I 64 S. 69
service que si le service l'avait aggravée d'une manière sensible et durable.
Dans un rapport d'expertise qu'il a établi à la demande du Tribunal fédéral, le 23 mars 1933, touchant l'influence du service militaire sur l'évolution de la bronchite chronique et la prédisposition aux bronchites, Staehelin, alors professeur à l'Université de Bâle, a dit que lorsqu'une bronchite chronique ou une tendance à la bronchite aiguë se manifeste à la suite d'une ou de plusieurs bronchites aiguës contractées au service, la cause unique ou tout au moins principale en est une prédisposition antérieure au service. C'est tout au plus s'il serait concevable théoriquement que le service puisse exercer, dans certains cas exceptionnels, une influence notable sur la maladie lorsqu'il a causé des bronchites aiguës répétées et particulièrement graves. Tel n'est manifestement pas le cas dans la présente espèce. Le recourant n'a contracté au service qu'une seule et unique bronchite; encore a-t-elle été sans gravité particulière, puisqu'elle a cédé à un traitement hospitalier de neuf jours seulement, lequel n'a été suivi que de quinze jours de convalescence. Une telle maladie, si l'on s'en rapporte à l'opinion exprimée par l'expert, ne peut avoir aggravé la prédisposition aux bronchites pour laquelle Saugy a été réformé.
5.
Il reste à examiner si la maladie inflammatoire du nez et de ses cavités accessoires invoquée par la CVS peut être considérée comme une conséquence du service. Le motif de réforme ainsi invoqué consiste dans une prédisposition aux sinusites, puisqu'effectivement, lorsque la CVS s'est prononcée, la sinusite dont Saugy avait souffert était guérie. C'est tout au plus s'il restait une suspicion de polypose sinusale. Il s'agit donc, de ce point de vue également, d'une réforme prononcée par précaution, de sorte qu'il faut rechercher si la prédisposition aux sinusites est une conséquence du service. Comme pour les bronchites, cette prédisposition est antérieure au service; le service aurait tout au plus pu provoquer son aggravation. Vu les nombreuses
BGE 81 I 64 S. 70
sinusites dont Saugy avait souffert auparavant déjà, vu en outre le peu de gravité de l'inflammation causée par le service, on ne saurait admettre que tel ait été le cas.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
997d4783-c226-4a5a-9918-cf7489210851 | Urteilskopf
117 Ia 491
74. Arrêt de la Ire Cour de droit public du 30 octobre 1991 dans la cause C. contre Juge d'instruction itinérant de Fribourg et Chambre d'accusation du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg (recours de droit public) | Regeste
Strafe für Zeugnisverweigerung.
System der Zwangsmassnahmen gegen widerspenstige Zeugen; Prüfung der Verfassungsmässigkeit einer solchen Zwangsmassnahme im allgemeinen und jener nach dem freiburgischen Recht im besonderen (E. 1).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Garantie des unabhängigen und unparteiischen Richters und der Öffentlichkeit der Verhandlung.
Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Rüge der Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, die vor der kantonalen Instanz nicht erhoben wurde (E. 2a). Man kann nicht verlangen, dass der Richter, der die Zeugnisverweigerung bestraft hat, notwendigerweise ein anderer ist als jener, der den Zeugen vorgeladen und ihn zur Aussage aufgefordert hat (E. 2b). Das Fehlen der Öffentlichkeit der Verhandlung vor der Anklagekammer des Kantonsgerichts Freiburg rechtfertigt die Gutheissung der Beschwerde (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 492
BGE 117 Ia 491 S. 492
Le 2 août 1990, X. déposa plainte pénale contre inconnu pour violation du secret de fonction. Il se prévalait d'une révélation faite par C. devant le Grand Conseil fribourgeois, aux termes de laquelle X. aurait fait l'objet d'une procédure en soustraction fiscale. Convoqué par le Juge d'instruction itinérant pour être entendu comme témoin, C. déclara alors qu'en conscience il ne pouvait dévoiler le nom de celui qui lui avait fourni l'information relative à la procédure en soustraction fiscale dirigée contre X. Après avoir, séance tenante, avisé le témoin qu'il ne pouvait refuser de déposer en invoquant sa qualité de député au Grand Conseil, le Juge d'instruction lui donna lecture des chiffres 1 à 5 de l'art. 21 du Code de procédure pénale pour le canton de Fribourg (CPP), du 11 mai 1927, principalement du chiffre 5 qui dispose: "Le témoin qui, sans de justes raisons et malgré avertissement, refuse de répondre, peut être, par ordonnance motivée, frappé d'arrêts pour quinze jours au plus et condamné aux frais. La peine cesse dès que le témoin consent à déposer." Conformément à cette disposition, le Juge d'instruction prononça - séance tenante - un avertissement formel, puis il interrogea à nouveau C. sur l'origine de son information. Le témoin répondit une nouvelle fois qu'en conscience il ne pouvait donner plus de précisions et qu'il ne voulait pas citer de noms.
Par ordonnance du 30 novembre 1990, le Juge d'instruction, considérant que le motif invoqué à l'appui du refus de témoigner ne valait pas juste raison au sens de l'
art. 21 ch. 5 CPP
et que les conditions d'application de cette disposition étaient réalisées, condamna C. à une peine de 3 jours d'arrêts, sans sursis, tout en l'informant que la peine cesserait dès qu'il consentirait à témoigner. Saisie d'un recours de C., la Chambre d'accusation du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg l'a rejeté, par arrêt du 22 février 1991. Par la voie du recours de droit public, C. a requis le Tribunal fédéral d'annuler cet arrêt cantonal; il invoquait l'
art. 58 Cst.
(garantie du juge naturel), l'
art. 6
BGE 117 Ia 491 S. 493
par. 1 CEDH
(impartialité et indépendance du juge, absence de débats publics devant la Chambre d'accusation), la garantie de la liberté personnelle et l'
art. 3 CEDH
(interdiction de la torture et des peines ou traitements inhumains ou dégradants), ainsi qu'une application arbitraire de l'
art. 21 ch. 5 CPP
au sens de l'
art. 4 Cst.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En matière pénale, il existe un intérêt public important à ce que les infractions puissent être poursuivies et réprimées. Le témoignage revêt à cet égard une grande importance et correspond souvent à une nécessité quasi absolue pour que la justice puisse être administrée de manière correcte (cf. ROBERT HAUSER, Der Zeugenbeweis im Strafprozessrecht mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, p. 79 ss). Il répond dès lors à un intérêt public que le témoin ne soit pas libre de témoigner ou non à sa guise et qu'en dehors des cas particuliers où la loi l'en dispense, son refus soit sanctionné.
Les lois de procédure, y compris celles de la Confédération (cf. notamment
art. 44 PCF
et 88 PPF), connaissent deux systèmes, qu'il n'est du reste pas toujours aisé de distinguer dans la pratique (cf. HAUSER, op.cit., p. 109 ss). Tantôt le témoin récalcitrant est frappé d'une sanction, en principe d'arrêts, qui est toutefois levée si l'intéressé accepte de témoigner ("Beugehaft"). Tantôt le refus de témoigner est constitutif d'une contravention réprimée directement par le magistrat entendant le témoin ou à la suite d'une procédure pénale ordinaire; parfois, le témoin est invité à témoigner sous la menace des peines prévues à l'
art. 292 CP
et dénoncé au juge pénal s'il persiste dans son refus. Dans tous les cas, cependant, une pression est exercée sur le témoin pour forcer sa résistance et la question se pose de savoir si pareil procédé est constitutionnel, spécialement dans le cas des arrêts coercitifs ("Beugehaft"). A priori, on ne saurait dire qu'une sanction du refus de témoigner constitue un acte de torture ou un traitement inhumain ou dégradant (cf. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, p. 28 ss). Par ailleurs, même une peine d'arrêts, soit une atteinte grave à la liberté personnelle, n'est pas en principe inadmissible, si l'on tient compte de l'intérêt public parfois considérable à l'obtention du témoignage. Toutefois, comme toute restriction à la liberté personnelle,
BGE 117 Ia 491 S. 494
pareille sanction est subordonnée au respect des principes constitutionnels et, en particulier, à la règle de la proportionnalité (HAUSER, op.cit., p. 82;
ATF 98 Ia 418
). Dans cet arrêt, le Tribunal fédéral a annulé une décision portant menace d'arrêts coercitifs de 24 heures et relevé qu'en cas de dénonciation pour contravention à l'
art. 292 CP
, prévoyant des peines d'arrêts ou d'amende, il est rare que le refus de témoigner se traduise par une privation de liberté effective. FROWEIN/PEUKERT (op.cit., rem. 56 ad art. 5, p. 74) admettent les arrêts pour refus de prêter serment sous la forme de l'"Offenbarungseid". Sous l'angle des droits constitutionnels, la doctrine suisse est très réservée à l'égard des arrêts coercitifs, qu'elle n'admet pas de manière générale dans tous les cas et entend de toute façon subordonner à des conditions rigoureuses (W. HALLER, Commentaire de la Constitution fédérale, Liberté personnelle, après art. 65, rem. 136 et JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2e éd., bes. Teil, p. 30/31).
S'il n'apparaît pas inconstitutionnel en lui-même, à première vue, l'
art. 21 ch. 5 CPP
, qui ne prévoit pas la possibilité d'une simple amende, pourrait conduire cependant à des résultats inadmissibles lorsqu'une sanction d'arrêts apparaît excessive. Une telle sanction devrait pouvoir, suivant les circonstances, être assortie éventuellement du sursis. Le droit fribourgeois déclare d'ailleurs applicables les règles générales du Code pénal, et notamment les dispositions en matière de sursis, aux contraventions cantonales en matière de procédure (art. 1, 3 al. 1 et 15 de la loi d'application du Code pénal du 9 mai 1974; cf. aussi STEFAN TRECHSEL, Schw. Strafgesetzbuch, rem. 3 et 13 ad art. 335, qui relève qu'en matière de contraventions fondées sur l'
art. 335 CP
, les cantons ne sont certes pas tenus de reprendre la partie générale du CP mais sont de toute façon limités par le droit constitutionnel fédéral).
2.
Le recourant invoque notamment le défaut de publicité des débats devant la Chambre d'accusation. Il se plaint également du fait que le Juge d'instruction ne serait pas un magistrat indépendant et impartial. Ces griefs n'ont à aucun moment été énoncés devant la Chambre d'accusation. Le recourant, représenté par un avocat, devait pourtant savoir que cette autorité statuait sans débats publics, mais il n'a pas fait valoir devant la juridiction cantonale que cette situation violerait l'
art. 6 par. 1 CEDH
; il n'a pas non plus présenté quelque réquisition d'instruction que ce soit.
BGE 117 Ia 491 S. 495
a) Les griefs de violation des droits constitutionnels consacrés dans la Convention européenne des droits de l'homme sont soumis à l'épuisement des instances cantonales (
ATF 101 Ia 68
/69). La jurisprudence admet cependant la recevabilité de moyens de droit nouveaux dans un recours de droit public soumis à cette condition, lorsque l'autorité cantonale de dernière instance disposait d'un libre pouvoir d'examen et devait appliquer le droit d'office (
ATF 115 Ia 184
consid. 2). Cette exception vaut pour tous les griefs dont le contenu ne se confond pas avec l'arbitraire (
ATF 113 Ia 339
). Ainsi en va-t-il du grief de violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, qui consacre le droit à un tribunal indépendant et impartial (
ATF 115 Ia 185
consid. 2). Le comportement du recourant doit cependant être conforme à la règle de la bonne foi. C'est pourquoi celui qui ne soulève pas devant l'autorité de dernière instance cantonale un grief lié à la conduite de la procédure, ayant trait par exemple à la composition régulière du tribunal, ne peut plus le soulever devant le Tribunal fédéral (
ATF 114 Ia 348
consid. c et d,
ATF 114 V 62
consid. b,
ATF 112 Ia 339
consid. 1; cf., en ce qui concerne l'absence de publicité des débats, l'arrêt non publié Ch. c/G. et commune de Pully du 24 août 1990, consid. 4). Une solution contraire favoriserait des manoeuvres dilatoires. La pratique suivie en la matière n'est au demeurant pas en contradiction avec la nature éventuellement imprescriptible de certains droits déduits des
art. 58 Cst.
et 6 CEDH, l'imprescriptibilité d'un droit ne permettant naturellement pas sa revendication abusive.
On ne saurait, dans les circonstances données, reprocher au recourant de n'avoir pas attiré l'attention de la juridiction intimée sur le fait que la procédure cantonale ne serait éventuellement pas conforme aux exigences du droit constitutionnel et conventionnel, notamment à celle de la publicité des débats, telle que venait de la préciser la Cour européenne des droits de l'homme dans un arrêt Weber contre la Suisse du 22 mai 1990, paru seulement à fin 1990/début 1991. La situation juridique n'étant pas absolument claire au moment où il a recouru devant la Chambre cantonale (début décembre 1990), le recourant a agi de bonne foi, bien qu'il n'ait pas soulevé d'emblée la question de la régularité de la procédure devant l'autorité cantonale. Partant, les griefs de nature formelle qu'il soulève sont recevables, quoique étant nouveaux.
b) Le recourant fait valoir que le Juge d'instruction ne serait pas un magistrat indépendant au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, car il serait un fonctionnaire soumis à la surveillance de la Chambre
BGE 117 Ia 491 S. 496
d'accusation, qui peut même lui donner des instructions, selon l'art. 164 al. 2 de la loi cantonale d'organisation judiciaire du 22 novembre 1949 (LOJ). Cette disposition prévoit que la Chambre d'accusation "exerce la surveillance sur le Ministère public, les juges d'instruction et les fonctionnaires de la police judiciaire et leur donne les directions nécessaires".
Le Juge d'instruction est en principe le Président du Tribunal d'arrondissement, qui a incontestablement rang de magistrat et non de fonctionnaire (art. 166 LOJ). Qu'en l'espèce l'enquête ait été confiée à un juge d'instruction itinérant ne change rien à sa qualité de magistrat. Certes, la Chambre d'accusation exerce une surveillance générale sur les enquêtes pénales. Cette surveillance ne signifie pas que les juges d'instruction n'enquêtent pas en toute indépendance dans les procédures particulières qui leur sont confiées. Le fait que les décisions des juges d'instruction soient susceptibles de recours à la Chambre d'accusation (
art. 29 CPP
) n'empêche pas non plus ceux-ci d'être indépendants, comme tout magistrat de première instance dont les décisions peuvent faire l'objet de recours à une autorité judiciaire supérieure. Au surplus, dans le cas particulier, il n'existe aucun indice quelconque que le Juge d'instruction ait été soumis à quelque instruction que ce soit de la Chambre d'accusation lorsqu'il a rendu le prononcé attaqué.
Le recourant invoque également la jurisprudence selon laquelle, en principe, le Juge d'instruction qui a conduit l'enquête ne peut faire partie du tribunal statuant sur le bien-fondé de l'action pénale (
ATF 115 Ia 217
,
ATF 114 Ia 50
, 140 et 143,
ATF 113 Ia 72
). La situation est toutefois différente ici. Il ne s'agit pas d'une procédure où le Juge d'instruction, après avoir procédé à l'enquête et, le cas échéant, renvoyé l'accusé devant l'autorité de jugement, fait ensuite partie de celle-ci. Dans ce cas, en effet, le Juge d'instruction a pu, à l'occasion de l'enquête, se heurter à l'accusé et s'être déjà largement fait une opinion, de sorte que sa pleine indépendance au moment du jugement n'est plus garantie. En l'espèce, l'enquête n'était pas dirigée contre le recourant mais contre un tiers et le Juge d'instruction a sanctionné le refus de témoigner du recourant. Selon la jurisprudence, pour dire si un juge est indépendant, il faut examiner les circonstances de fait et l'évolution de la procédure, de même que les questions concrètes à trancher (
ATF 115 Ia 220
consid. 5a et les références). Dans le cas particulier, le fait que le Juge d'instruction ait instruit la plainte déposée par X. contre inconnu ne signifie pas qu'il ait déjà eu une opinion préconçue
BGE 117 Ia 491 S. 497
lorsqu'il s'est agi de sanctionner le refus de témoigner du recourant. La procédure contre le recourant restait ouverte malgré la participation du juge à l'enquête dirigée contre inconnu, laquelle posait un problème différent (
ATF 114 Ia 59
). On ne saurait donc exiger, au regard de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, que le juge qui sanctionne le refus de témoigner soit nécessairement un autre juge que celui qui a convoqué le témoin et tenté d'obtenir ses déclarations (
ATF 114 Ia 67
consid. b/aa).
c) Vu la nature et la sévérité de la sanction prononcée en l'espèce, laquelle comportait une privation de liberté de 3 jours, il n'est pas douteux qu'il s'agisse d'une accusation de nature pénale au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. La Cour européenne des droits de l'homme en a du reste décidé ainsi dans le cas d'une amende de fr. 300.-- prononcée pour violation du secret de l'instruction dans le cadre d'une enquête pénale, où il s'agissait donc également d'une lésion des devoirs découlant de la loi de procédure pénale (arrêt Weber du 22 mai 1990 déjà cité, Publications de la Cour EDH, série A, vol. 177). Dans le cas particulier, il n'est pas contesté qu'il n'y a pas de publicité des débats devant la Chambre d'accusation, ce qui est contraire à l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Même si le recourant n'en parle pas, il y a même double lacune, car la publicité des débats s'impose également en première instance devant le Juge d'instruction (
ATF 111 Ia 244
consid. 7a et arrêt Weber précité).
Le recours devant ainsi être admis pour ce motif de nature formelle, le Tribunal fédéral peut se dispenser d'examiner le fond, à savoir si l'
art. 21 ch. 5 CPP
frib. a reçu, dans le cas particulier, une application conforme aux normes constitutionnelles et conventionnelles invoquées. Il appartient en effet à la juridiction intimée de rendre une nouvelle décision à la lumière des considérants du présent arrêt. Ce faisant, elle vouera un soin particulier à l'examen des questions de la proportionnalité et du sursis (consid. 1 ci-dessus). | public_law | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
997f2f34-6c86-4630-a701-49bea6a75401 | Urteilskopf
93 I 542
66. Auszug aus dem Urteil vom 29. November 1967 i.S. N. gegen Kantone Bern und X. | Regeste
Besteuerung der an Kollektiv- und Kommanditgesellschaften beteiligten Personen.
Behandlung von Forderungen, die den unbeschränkt haftenden Gesellschaftern neben ihren als solchen verbuchten Kapitalanteilen und den Kommanditären neben ihrer Kommandite gegen die Gesellschaft zustehen. Voraussetzungen, unter denen solche Guthaben als Anteile am Geschäftsvermögen zu betrachten und die Guthaben sowie ihre Erträgnisse daher nicht am Wohnsitz der Gesellschafter, sondern am Sitz der Gesellschaft zu versteuern sind (Erw. 1).
Anwendung der massgebenden Kriterien auf das Kontokorrentguthaben eines Kommanditärs bei der Kommanditgesellschaft (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 542
BGE 93 I 542 S. 542
Aus dem Tatbestand:
A.-
Die Kommanditgesellschaft N. & Co. in Y. (Kanton X.) handelt mit Wolle. Sie hat Tochterfirmen in Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Australien, Neuseeland und Argentinien. Sie kauft die Rohwolle in den Produktionsländern und lässt sie vor dem Verkauf waschen und kämmen. Im allgemeinen wird die Rohwolle zehn Tage nach dem Einkauf bezahlt. Der
BGE 93 I 542 S. 543
Schiffstransport der Wolle dauert durchschnittlich 45 Tage und die Verarbeitung drei Monate. Den Abnehmern werden für die Bezahlung Fristen bis zu 180 Tagen gewährt. Zugunsten der genannten, mit kleinen Eigenkapitalien ausgestatteten ausländischen Tochterfirmen leistet die Firma Garantien und Kautionen, die am 31. Dezember 1964 rund 54 Millionen Franken betrugen. Nach der Bilanz vom 31. Dezember 1964 verfügte die Firma über kurzfristig realisierbare Aktiven im Wert von Fr. 43 183 431, denen kurzfristige Passiven von Fr. 45 658 228 gegenüberstanden.
Die Kommanditgesellschaft bestand im Jahre 1952 aus drei unbeschränkt haftenden Teilhabern (Komplementären), nämlich aus N.N., seinem Sohn A.N. und Z. sowie aus neun Kommanditären. Die drei Komplementäre waren mit gewinnberechtigten Kapitaleinlagen von 8,6 Millionen Franken beteiligt und hatten daneben verzinsliche Kontokorrentguthaben von rund 13,77 Millionen Franken. Die Kapitaleinlage von N.N. betrug 5 Millionen und sein Kontokorrentguthaben 9,5 Millionen Franken. Die einbezahlten Kommanditsummen beliefen sich auf insgesamt 1,4 Millionen Franken; ferner standen den Kommanditären verzinsliche Kontokorrentguthaben von rund 1 Million zu. Die eigenen Mittel der Firma an Kapital- und Kommanditeinlagen sowie Kontokorrentguthaben der Gesellschafter betrugen somit im Jahre 1952 rund 24,77 Millionen Franken.
Der Hauptbeteiligte N.N. starb im Jahre 1959, seine Ehefrau 1962. Ihre Erben, die beiden Söhne A.N. und B.N. und die beiden Töchter C.N. und D.N. liessen die eigenen Mittel ihrer Eltern in der Firma und verteilten diese in der Weise unter sich, dass die Söhne, die nun beide Komplementäre sind, Kapitalanteile von je 2 Millionen Franken übernahmen, während sich die nicht im Geschäft tätigen Töchter mit Kommanditeinlagen von je Fr. 750 000 beteiligten. Ferner vereinbarten die vier Geschwister, dass jedes von ihnen der Firma mindestens den dreifachen Betrag seiner gewinnberechtigten Kapitaleinlage als verzinsliches Kontokorrentguthaben weiterhin zur Verfügung stelle. Eine ähnliche Vereinbarung war auf Ende 1961 mit Z. getroffen worden, als dieser als Komplementär ausgeschieden, Kommanditär mit einer Einlage von 1 Million Franken geworden und an seiner Stelle sein Sohn als Komplementär in die Firma eingetreten war.
Am 31. Dezember 1964 betrugen die Kapitaleinlagen der drei Komplementäre 7 Millionen Franken, die Kommanditeinlagen
BGE 93 I 542 S. 544
3 Millionen und die zu 4% verzinslichen Kontokorrentguthaben aller Gesellschafter rund 25,3 Millionen, die eigenen Mittel der Firma also insgesamt rund 35,3 Millionen. Davon entfielen auf die vier Geschwister N. 6,5 Millionen Kapital und 20,l 5 Millionen Kontokorrentguthaben, zusammen 26,65 Millionen.
B.-
Die Kommanditärin D.N. wohnt im Kanton Bern. Es ist unbestritten, dass sie ihre Kommanditeinlage von Fr. 750 000 und die darauf entfallenden Gewinne im Kanton X. zu versteuern hat. Streitig wurde dagegen bei den 1965 vorzunehmenden Veranlagungen die Behandlung ihres Kontokorrentguthabens, das am 31. Dezember 1964 Fr. 2 321 714 betragen hatte und im Jahre 1963 mit Fr. 77 854 und 1964 mit Fr. 92 081 verzinst worden war.
Die bernische Veranlagungsbehörde rechnete bei der Veranlagung für 1965/66 das Kontokorrentguthaben und die darauf in den Jahren 1963/64 vergüteten Zinsen zum übrigen, im Kanton Bern für 1965/66 steuerbaren Vermögen bzw. Einkommen. Die Steuerverwaltung des Kantons X. behandelte das Guthaben als Teil des in diesem Kanton steuerbaren Vermögens und die Zinsen als Teil des dort steuerbaren Einkommens.
C.-
Darauf hat D.N. gegen die Kantone Bern und X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Doppelbesteuerung erhoben mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass sie für ihr Kontokorrentguthaben bei der Firma N. & Co. in Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 BV
doppelt besteuert werde, und es sei demgemäss die eine der beiden sich ausschliessenden Veranlagungen herabzusetzen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegenüber dem Kanton Bern gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach der ständigen, schon in BGE 14 S. 400 begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Geschäftsvermögen und -gewinn der Kommanditgesellschaft wie der Kollektiv gesellschaft, der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entsprechend, an ihrem Geschäftssitz (und allfälligen Betriebsstätten) zu versteuern, gleichgültig ob nach kantonalem Recht die Gesellschaft als solche oder der einzelne Gesellschafter als Steuersubjekt behandelt wird (
BGE 80 I 22
). Wohnt der Kommanditär in einem andern Kanton, so ist er daher für seinen Anteil am Geschäftsvermögen und -gewinn nicht, wie für sein bewegliches
BGE 93 I 542 S. 545
Privatvermögen und dessen Ertrag, an seinem Wohnsitz, sondern am Gesellschaftssitz steuerpflichtig.
Bei Kollektiv- und Kommanditgesellschaften kommt es vor, dass dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter neben seinem als Kapitalanteil verbuchten Anspruch am Geschäftsvermögen oder dem Kommanditär neben seiner im Handelsregister eingetragenen und in die Gesellschaft eingeworfenen Kommanditsumme Forderungen gegen die Gesellschaft zustehen. Beim Entscheid darüber, ob eine solche Forderung einen Anteil am Geschäftsvermögen darstelle und am Gesellschaftssitz zu versteuern sei oder ob sie als gewöhnliche aussergesellschaftliche Forderung zum Privatvermögen des Gesellschafters gehöre und der Besteuerung an seinem Wohnsitz unterliege, hat das Bundesgericht bei Kollektivgesellschaftern von jeher weniger auf die zivilrechtliche Form als auf den wirtschaftlichen Sachverhalt abgestellt. Es hat Geschäftsvermögen angenommen, wenn der Gegenwert des Guthabens nach den objektiven Umständen dem Geschäftsbetrieb tatsächlich gedient hat, sei es als notwendiges Betriebskapital, sei es als nach Art und Umfang des Geschäfts erforderliche oder doch der Übung entsprechende Reserve (
BGE 26 I 423
, nicht veröffentlichte Urteile vom 30. Mai 1913 i.S. Schwob & Cie, vom 2. April 1952 i.S. Burger und vom 17. Juni 1953 i.S. Jenny, die beiden letzten auszugsweise abgedruckt bei LOCHER, Interkant. Doppelbesteuerungsrecht § 8 IV A 2 Nr. 15 und 16; vgl. fernerBGE 41 I 71,
BGE 59 I 282
lit. e und
BGE 85 I 99
). Treffen diese Voraussetzungen bei Kontokorrentforderungen der Kollektivgesellschafter gegenüber der Gesellschaft zu, so sind diese Guthaben gleich wie die Kapitalanteile als Geschäftsvermögen am Gesellschaftssitz zu versteuern. Dass es sich auch bei Guthaben der Komplementäre einer Kommanditgesellschaft gegen diese nicht anders verhalten kann, leuchtet ohne weiteres ein. Das gleiche muss aber, entgegen der Auffassung der Berner Behörden, auch für Kontokorrentforderungen der Kommanditäre gegen die Kommanditgesellschaft gelten. Anders als der Kollektivgesellschafter und der Komplementär (
Art. 568 und 617 OR
) haftet der Kommanditär freilich nicht mit seinem ganzen Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sondern nur mit der im Handelsregister eingetragenen Kommanditsumme (
Art. 608-610 OR
). Für die Abgrenzung der Steuerhoheit zwischen den Kantonen des Gesellschaftssitzes und des Wohnsitzes des Gesellschafters inbezug auf Forderungen des Gesellschafters
BGE 93 I 542 S. 546
gegen die Gesellschaft erscheint jedoch diese zivilrechtliche Ordnung der Haftung ebenso wenig von Bedeutung wie die zivilrechtliche Frage, ob den Forderungen ein Darlehensvertrag zugrunde liegt oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, in welchem Kanton der Gegenwert des Guthabens des Gesellschafters "wirksam wird und arbeitet" (
BGE 41 I 70
/71 mit Verweisungen), und diese Frage stellt und beantwortet sich unabhängig von der Haftung.
2.
Die im Kanton Bern wohnhafte Beschwerdeführerin ist an der Kommanditgesellschaft N. & Co., die ihren Sitz im Kanton X. hat, mit einer einbezahlten Kommandite von Fr. 750 000 beteiligt; ferner steht ihr gegen diese Gesellschaft eine mit 4% verzinsliche Kontokorrentforderung zu, die am 31. Dezember 1964 Fr. 2 321 714 betrug. Für diese Kontokorrentforderung und deren Ertrag im Jahre 1964 ist die Beschwerdeführerin sowohl im Kanton X. als auch im Kanton Bern zur Vermögens- bzw. Einkommenssteuer veranlagt worden. Es ist daher zu prüfen, ob die Forderung im Sinne der vorstehenden Ausführungen als Anteil am Geschäftsvermögen der Gesellschaft oder als Privatvermögen der Beschwerdeführerin zu betrachten ist. Handelt es sich um Privatvermögen, so ist der Kanton Bern zur Besteuerung zuständig, andernfalls der Kanton X.
a) Für die Annahme, es sei Geschäftsvermögen, spricht schon die Entstehung der Forderung. Es handelt sich nicht um Geld, das die Beschwerdeführerin aus ihrem bisherigen Privatvermögen der Gesellschaft vorübergehend zur Verfügung stellte, um es bei sich bietender Gelegenheit anderweitig anzulegen, sondern um Geld, das ganz oder doch zum grössten Teil seit vielen Jahren im Geschäft arbeitet. Die Beschwerdeführerin und ihre drei Geschwister sind die Kinder und Erben des früheren Hauptbeteiligten N.N., dem neben seinem Kapitalanteil von 5 Millionen Franken ein Kontokorrentguthaben zustand, das schon 1952 rund 9,5 Millionen Franken betrug und in der Folge offenbar noch weiter angewachsen ist. Dass auch dieses Kontokorrentguthaben Geschäftsvermögen darstellte, kann nicht zweifelhaft sein, ist dies doch, wie in der Antwort des Regierungsrates des Kantons Bern zutreffend ausgeführt wird, für Guthaben von unbeschränkt haftenden Teilhabern zu vermuten. Nach dem 1959 erfolgten Tode ihres Vaters haben die vier Geschwister N. seinen Kapitalanteil und sein Kontokorrentguthaben in der
BGE 93 I 542 S. 547
Weise untereinander verteilt, dass die im Geschäft mitarbeitenden Söhne als Komplementäre Kapitalanteile, die Töchter Kommanditen und alle vier Kontokorrentguthaben im dreifachen Betrag ihrer Kapitalanteile bzw. ihrer Kommanditen übernahmen. Durch diese (erbrechtliche) Aufteilung der Beteiligung ihres Vaters hat sich an der wirtschaftlichen Natur derselben nichts geändert, zumal dabei, wie unbestritten ist, vereinbart wurde, die Kontokorrentguthaben dauernd bei der Gesellschaft stehen zu lassen. Durch eine solche Abrede aber kann, wie SIEGWART in dem in der Beschwerdeantwort des Berner Regierungsrates nicht wiedergegebenen letzten Satz von N. 7 zu
Art. 601 OR
ausdrücklich sagt, solchen Guthaben "der Charakter von gesellschaftlichen Einlagen verliehen werden".
b) Auch abgesehen von den besonderen Verhältnissen, unter denen das Kontokorrentguthaben der Beschwerdeführerin entstanden ist, muss nach Art und Umfang des Geschäftsbetriebs angenommen werden, dass sein Gegenwert Teil des Geschäftsvermögens der Kommanditgesellschaft ist. Die Gesellschaft ist offensichtlich auf ein beträchtliches Eigenkapital angewiesen. Ihr Warenumsatz betrug im Jahre 1964 rund 116 Millionen Franken und ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten überstiegen Ende 1964 45 Millionen Franken, wozu noch Garantien und Kautionen für ihre verschiedenen ausländischen Tochterfirmen in der Höhe von über 54 Millionen kamen. Beim Wollhandel, den sie treibt, gibt sie grosse Beträge aus, die sie erst nach einiger Zeit wieder einbringt, da sie die in Übersee eingekaufte Rohwolle sofort bezahlt, der Schiffstransport und die Aufbereitung der Wolle durchschnittlich viereinhalb Monate dauern und den Abnehmern Zahlungsfristen bis zu sechs Monaten eingeräumt werden. Zieht man ausserdem die im internationalen Handel sich aus Preis- und Währungsschwankungen ergebenden Risiken in Betracht, so leuchtet es ein, dass ein Eigenkapital von 10 Millionen Franken oder 12,17% der Gesamtpassiven nicht genügt und weitere eigene Mittel erforderlich sind. Die Beträge, welche die Gesellschafter über ihre Kapitaleinlagen hinaus der Gesellschaft zur Verfügung stellten bzw. bei ihr beliessen und die Ende 1964 25,3 Millionen Franken ausmachten, stellen daher notwendiges Betriebskapital dar. Sie als gewöhnliche Darlehen zu betrachten, rechtfertigt sich umso weniger, als ihre Rückerstattung, angesichts des Verhältnisses zwischen kurzfristigen Aktiven und Passiven, in absehbarer Zeit nicht in
BGE 93 I 542 S. 548
Frage kommt und denn auch durch Vereinbarung der Gesell schafter ausgeschlossen ist. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich vom Fall Jenny (zit. Urteil vom 17. Juni 1953), wo ein Guthaben in Frage stand, von dem sich der Gesellschafter wiederholt Beträge zurückzahlen liess, weshalb auch der Umstand, dass das Guthaben im vorliegenden Falle wie im Falle Jenny und im Gegensatz zum Fall Burger (Urteil vom 2. April 1952) verzinst wird, nicht entscheidend ist.
c) Die Einwendungen, die in der Antwort des Kantons Bern erhoben werden, erweisen sich als nicht stichhaltig.
Dass das Kontokorrentguthaben der Beschwerdeführerin nur 7% der gesamten Beteiligungen (Kapital und Kontokorrentguthaben) aller Gesellschafter ausmacht, ist bedeutungslos. Aus dem Gesichtspunkt des Steuerrechts sind alle Kapitalbeteiligungen gleich zu behandeln und daher am Gesellschaftssitz zu versteuern.
Es kann auch nicht darauf ankommen, ob und unter welchen Bedingungen das Guthaben durch einen Bankkredit ersetzt werden könnte. Einmal ist die Kapitaleinlage eines Gesellschafters nicht nur dann als Geschäftsvermögen zu betrachten, wenn sie unbedingt erforderlich ist und die Mittel nicht bei einem Dritten erhältlich sind, sondern schon dann, wenn sie wirtschaftlich gerechtfertigt ist (vgl. Urteil i.S. Burger S. 11/12). Sodann ist es, da alle Kapitalbeteiligungen gleich zu behandeln sind, zum mindesten zweifelhaft, ob die Gesellschaft von Banken ausser den bereits in Anspruch genommenen Krediten ohne weiteres die 25,3 Millionen Franken erhielte, welche sie den Gesellschaftern Ende 1964 auf Kontokorrent schuldete.
Die Kontokorrentguthaben fallen freilich für die Gewinnverteilung ausser Betracht. Dies vermöchte jedoch ihre Behandlung als Anteile am Geschäftsvermögen höchstens dann auszuschliessen, wenn sich daraus eine merkliche Ungleichheit zwischen den Gesellschaftern ergäbe (vgl. Urteil i.S. Jenny S. 12/13). Das ist indes nicht der Fall. Die Kontokorrentguthaben fast aller mit grossen Beträgen beteiligten Gesellschafter machen etwa das dreifache ihres Kapitalanteils bzw. ihrer Kommandite aus, so dass die Gewinnverteilung nicht wesentlich anders ausfallen würde, wenn die Gewinne der Gesellschafter nach Massgabe nicht nur der Kapitalanteile, sondern auch der Kontokorrentguthaben berechnet würden.
Ohne jede Bedeutung ist der Umstand, dass die Beschwerdeführerin
BGE 93 I 542 S. 549
nicht, wie ihre Brüder, im Geschäft mitarbeitet, da nicht ein Entgelt für Arbeit, sondern ein Teil ihres Vermögens und dessen Ertrag im Streit liegen.
Da es sich bei diesem Vermögen nach dem Gesagten um Geschäftsvermögen handelt, ist es wie auch sein Ertrag nicht am Wohnsitz der Beschwerdeführerin im Kanton Bern, sondern am Sitz der Gesellschaft zu versteuern. Die Beschwerde ist daher gegenüber dem Kanton Bern gutzuheissen und gegenüber dem Kanton X. abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
9981d627-d2bb-4280-8800-15d830d50d51 | Urteilskopf
109 Ia 173
32. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1983 i.S. Schwellenbezirk der Einwohnergemeinde Beatenberg gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
. Legitimation öffentlichrechtlicher Korporationen zur staatsrechtlichen Beschwerde.
1. Grundsatz (E. 1).
2. Ausnahmen (E. 2).
3. Den Schwellenbezirken des bernischen Rechts steht kein geschützter Autonomiebereich zu, weshalb sie nicht legitimiert sind, Eingriffe kantonaler Behörden in ihr hoheitliches Handeln mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 174
BGE 109 Ia 173 S. 174
Der Schwellenbezirk der Einwohnergemeinde Beatenberg ist eine Korporation im Sinne des bernischen Gesetzes über den Unterhalt und die Korrektion der Gewässer und die Austrocknung von Mösern und anderen Ländereien vom 3. April 1857 (WPG). Er hat den statutarischen Zweck, die in seinem Bereich gelegenen Fluss- und Bachstrecken zum Schutz des unmittelbar oder mittelbar gefährdeten Eigentums und des Verkehrs richtig zu erhalten und auszubauen. Die Aufgaben des Schwellenbezirks werden in erster Linie durch Schwellenbeiträge der interessierten Eigentümer finanziert, die von der Generalversammlung der Korporation jährlich festgesetzt werden.
In einem Streit um Schwellenbeiträge der Schweizerischen Eidgenossenschaft für die Mehrzweckanlage der PTT-Betriebe auf dem Niederhorn verneinte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 21. März 1983 die Beitragspflicht der Eidgenossenschaft; die Forderungsklage des Schwellenbezirks der Einwohnergemeinde Beatenberg wies es ab. Mit staatsrechtlicher Beschwerde macht der Schwellenbezirk eine Verletzung der Gemeindeautonomie und des
Art. 4 BV
geltend.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 88 OG
steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsmittel zum Schutz der Träger verfassungsmässiger Rechte gegen Übergriffe der Staatsgewalt; allein diesen Trägern steht sie zur Verfügung. Der Staat als Inhaber hoheitlicher Gewalt ist nicht Subjekt verfassungsmässiger Rechte. Diese bestehen vielmehr gegenüber ihm. Daraus folgt, dass eine öffentlichrechtliche Korporation zur staatsrechtlichen Beschwerde nicht legitimiert ist, um als solche einen gegen sie gerichteten Entscheid anzufechten. Diese Regel ist
BGE 109 Ia 173 S. 175
nicht nur auf die Kantone und Gemeinden, sondern auch auf ihre Behörden anwendbar, die als Träger der öffentlichen Gewalt handeln. Ebenso gilt sie für öffentlichrechtliche Körperschaften, die allgemeine Interessen verfolgen oder vom Staat übertragene Aufgaben erfüllen (
BGE 107 Ia 177
E. 1;
BGE 103 Ia 468
ff.).
2.
Die Rechtsprechung lässt indessen Ausnahmen von dieser Regel zu. Das betrifft in erster Linie die Gemeinden, die sich mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen eine Verletzung ihrer Autonomie, einen Angriff auf ihre Existenz oder einen Eingriff in ihr Hoheitsgebiet zur Wehr setzen können. Im weitern steht die staatsrechtliche Beschwerde den öffentlichrechtlichen Körperschaften dann zu, wenn sie nicht hoheitlich, sondern privatrechtlich handeln, d.h., wie ein privates Rechtssubjekt auftreten. In solchen Fällen trifft sie der Entscheid einer Gerichts- oder Verwaltungsbehörde in gleicher Weise wie einen Privaten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Rechte und Pflichten einer öffentlichrechtlichen Korporation als Eigentümerin des Finanz- oder des Verwaltungsvermögens in Frage stehen (
BGE 104 Ia 387
E. 1;
BGE 103 Ia 59
E. 1, 64 E. 2, 68 E. 1a, je mit Hinweisen).
Auf der andern Seite ist eine öffentlichrechtliche Körperschaft im Sinne von
Art. 88 OG
zur Anfechtung kantonaler Entscheide nicht legitimiert, die öffentlichrechtliche Forderungen wie jene aus der Verantwortlichkeit ihrer Organe, aus Enteignung oder aus Subventionsrecht betreffen (
BGE 99 Ia 111
/112 E. 2;
BGE 93 I 66
E. 2).
3.
Die nach den §§ 18 ff. WPG errichteten Schwellenbezirke vereinigen die Eigentümer, die ein Interesse an den Arbeiten zum Schutz vor den Gefahren der Gewässer haben. Sie ermöglichen diesen Schutzvorkehren, die sowohl öffentlichen als auch privaten Interessen dienen und die sie allein nicht ausführen könnten. Es handelt sich somit um öffentlichrechtliche Korporationen, die das kantonale Recht gestützt auf die
Art. 702 und 703 ZGB
eingeführt hat und die zur Erfüllung von Aufgaben im Allgemeininteresse mit öffentlicher Gewalt ausgestattet sind. Ihre Tätigkeit und ihre Organisation stehen unter der Aufsicht der kantonalen Verwaltungsbehörden; diese genehmigen namentlich ihre Reglemente und Kataster (§ 22 WPG). Weder das Schwellenreglement des Beschwerdeführers noch die Vorschriften der §§ 18 bis 24 WPG lassen an der Eigenschaft des Schwellenbezirks als öffentlichrechtliche Körperschaft zweifeln.
Dass der Schwellenbezirk eine öffentlichrechtliche Korporation darstellt, haben im übrigen weder das Verwaltungsgericht, die
BGE 109 Ia 173 S. 176
Beschwerdegegnerin noch der Beschwerdeführer selbst angezweifelt. Dieser sieht sich in eben dieser Eigenschaft als autonome Körperschaft des öffentlichen Rechts betroffen. Damit macht er zu Recht nicht geltend, dass er durch den angefochtenen Entscheid wie ein Privater berührt werde oder dass der Entscheid seine Rechte und Pflichten als Eigentümer von Finanz- oder Verwaltungsvermögen in Frage stelle. Wie er ausführt, fühlt er sich vielmehr als Träger der Gemeindeautonomie in seinen hoheitlichen Befugnissen berührt.
Die Anerkennung der Gemeindeautonomie als verfassungsmässiges Recht im Sinne von
Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 BV
beziehungsweise
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
beruht darauf, dass die Gemeinden als Grundzellen unseres demokratischen Staates betrachtet werden. Deshalb steht ihnen von alters her ein bestimmter, vor Eingriffen der staatlichen Behörden geschützter Bereich der Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung zu. Der verfassungsrechtliche Schutz bewahrt die Gemeinden davor, von einem selbständigen Wesen mit demokratischer Willensbildung zu einem blossen kantonalen Verwaltungsbezirk zu werden (
BGE 103 Ia 474
E. 4;
99 Ia 757
). Diese Gründe, welche die Anerkennung eines verfassungsmässig geschützten Autonomiebereichs rechtfertigen, sind bei einer Bodenverbesserungskorporation (
BGE 83 I 268
ff.), Güterzusammenlegungskorporation (
BGE 95 I 45
ff. E. 4, 5) oder einer Wasserkorporation (unveröffentlichtes Urteil vom 15. Juni 1982 i.S. Gemeinde Disentis/Mustér und Corporaziun d'aua Spina, E. 2) nicht vorhanden. Selbst wenn die Entscheide solcher Körperschaften zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben auf demokratischer Willensbildung beruhen, kommt ihnen weder die Funktion noch die Bedeutung einer Gemeinde zu. Der Schwellenbezirk des bernischen Rechts ist den angeführten Korporationen in jeder Beziehung ähnlich. § 24 WPG bestätigt ausdrücklich, dass der bernische Gesetzgeber die Schwellenbezirke in rechtlicher Hinsicht nicht wie die Gemeinden einstufen wollte: Dem Staat gegenüber sind für die Erfüllung der Schwellen- und Dammpflicht unmittelbar die Gemeinden verantwortlich. Vorbehalten bleibt ihnen der Rückgriff auf die Schwellenbezirke und die interessierten Eigentümer.
Der Beschwerdeführer ist daher nach
Art. 88 OG
zur staatsrechtlichen Beschwerde nicht legitimiert; auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
99865796-e493-4555-becc-01e49f5caafc | Urteilskopf
137 I 363
34. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause X. contre Service des automobiles et de la navigation du canton de Vaud (recours en matière de droit public)
1C_105/2011 du 26 septembre 2011 | Regeste
Art. 4 Ziff. 1 Zusatzprotokoll Nr. 7 zur EMRK;
Art. 14 Ziff. 7 UNO-Pakt II
;
Art. 11 Abs. 1 StPO
;
Art. 16 ff. und
Art. 90 ff. SVG
; Warnungsentzug des Führerausweises; Grundsatz "ne bis in idem".
Die im SVG verankerte Parallelität von Straf- und Verwaltungsverfahren hält (auch im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
Zolotukhin gegen Russland
vom 10. Februar 2009) vor dem 7. Zusatzprotokoll zur EMRK stand. Es besteht kein Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung (
BGE 125 II 402
) abzuweichen, wonach die Verfahrensparallelität den Grundsatz "ne bis in idem" nicht verletzt (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 137 I 363 S. 363
A.
Le 9 avril 2010, X. a circulé au volant de son véhicule automobile sur l'autoroute A1, à la hauteur de Bellevue, en direction de Genève, à la vitesse de 132 km/h, alors que la vitesse y est limitée à 100 km/h. Par décision du 6 juillet 2010, le Service des contraventions du canton de Genève lui a infligé une amende de 600 francs, pour infraction aux
art. 27, 32 et 90 LCR
, en relation avec
BGE 137 I 363 S. 364
les art. 4a et 5 de l'ordonnance fédérale du 13 novembre 1962 sur les règles de la circulation routière (OCR; RS 741.11), ainsi que l'art. 22 de l'ordonnance fédérale du 5 septembre 1979 sur la signalisation routière (OSR; RS 741.21). Cette décision est entrée en force. X. a payé l'amende.
Par décision du 2 septembre 2010, le Service des automobiles et de la navigation du canton de Vaud (ci-après: le SAN) a ordonné le retrait du permis de conduire de X. pour la durée d'un mois, l'infraction étant qualifiée de moyennement grave. Le 8 octobre 2010, le SAN a rejeté la réclamation que l'intéressé avait formulée à l'encontre de la décision précitée.
Par arrêt du 28 janvier 2011, la Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: le Tribunal cantonal) a rejeté le recours formé par le prénommé contre cette décision.
B.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, X. demande au Tribunal fédéral d'annuler cet arrêt et la décision du SAN du 2 septembre 2010. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Le Tribunal cantonal se réfère à l'arrêt attaqué. Le SAN et l'Office fédéral des routes concluent au rejet du recours. Le recourant a répliqué, par courrier du 14 juin 2011.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Invoquant l'art. 4 par. 1 du Protocole additionnel n° 7 à la CEDH, le recourant estime que la mesure administrative prononcée sur la base des mêmes faits que la sanction pénale, violerait le principe "ne bis in idem". Il se réfère à l'interprétation que donne de cet article l'arrêt de la Cour européenne des droits de l'homme
Zolotoukhine contre Russie
du 10 février 2009 (ci-après: l'arrêt
Zolotoukhine
).
2.1
Nul ne peut être poursuivi ou puni pénalement par les juridictions du même Etat en raison d'une infraction pour laquelle il a déjà été acquitté ou condamné par un jugement définitif conformément à la loi et à la procédure pénale de cet Etat. Ce droit, exprimé par l'adage "ne bis in idem", est garanti par l'art. 4 par. 1 du Protocole additionnel n° 7 à la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales, conclu à Strasbourg le 22 novembre 1984, et entré en vigueur pour la Suisse le 1
er
novembre
BGE 137 I 363 S. 365
1988 (RS 0.101.07; ci-après: Protocole additionnel n
o
7 à la CEDH ou Protocole n
o
7), ainsi que par l'art. 14 par. 7 du Pacte international relatif aux droits civils et politiques, conclu à New York le 16 décembre 1966 et entré en vigueur pour la Suisse le 18 septembre 1992 (Pacte ONU II; RS 0.103.2). La règle "ne bis in idem" découle en outre implicitement de la Constitution fédérale (
ATF 128 II 355
consid. 5.1 p. 367; cf. également
ATF 125 II 402
consid. 1b p. 404;
ATF 122 I 257
consid. 3 p. 259/260;
ATF 119 Ib 311
consid. 3a p. 318, et les arrêts cités). Enfin, sous la note marginale "Interdiction de la double poursuite", l'art. 11 al. 1 du Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (CPP; RS 312.0) prévoit également qu'aucune personne condamnée ou acquittée en Suisse par un jugement entré en force ne peut être poursuivie une nouvelle fois pour la même infraction.
2.2
Il ressort de l'état de fait à la base de l'arrêt
Zolotoukhine
qu'emmené au poste de police le 4 janvier 2002 pour avoir tenté de faire entrer une femme dans un quartier militaire alors que cela était interdit, Sergueï Zolotoukhine, pris de boisson, injuria les policiers, n'obéit pas à leur injonction de cesser de troubler l'ordre public, puis tenta de s'échapper, au point que les policiers durent l'immobiliser et le menotter; par la suite, le prénommé proféra des insultes, ainsi que des menaces, à l'égard d'autres policiers. Le 4 janvier 2002, à raison de ces faits, le tribunal du district Gribanovski le reconnut coupable d'infraction à l'art. 158 du Code des infractions administratives de la Fédération de Russie, réprimant les actes perturbateurs mineurs, et le condamna à une peine de trois jours de détention administrative. Ce jugement est entré en force. Parallèlement, une procédure pénale a été ouverte contre Sergeï Zolotoukhine, prévenu, selon l'acte d'accusation du 5 avril 2002, d'actes perturbateurs, au sens de l'art. 213 par. 2 let. b du Code pénal de la Fédération de Russie (CPFR), de recours à la violence contre un agent public (art. 318 CPFR) et d'insulte à agent public (art. 319 CPFR). Le 2 décembre 2002, le tribunal du district Gribanovski libéra le prénommé de la prévention d'infraction à l'art. 213 par. 2 let. b CPFR, et le reconnut coupable au regard des art. 318 par. 1 et 319 du CPFR. Ce jugement, confirmé en appel, est entré en force. Par arrêt du 10 février 2009, la Grande Chambre de la Cour européenne des droits de l'homme (ci-après: la Cour européenne) a conclu à la violation du principe "ne bis in idem".
BGE 137 I 363 S. 366
Dans son argumentation, la Cour européenne a relevé que la diversité des approches adoptées pour vérifier si l'infraction pour laquelle un requérant a été poursuivi était en fait la même que celle pour laquelle il avait déjà été acquitté ou condamné par un jugement définitif, était source d'une insécurité juridique incompatible avec ce droit fondamental qu'est le droit de ne pas être poursuivi deux fois pour la même infraction. Elle a décidé d'harmoniser l'interprétation de la notion de "même infraction" - l'élément "idem" du principe "ne bis in idem" - aux fins de l'art. 4 du Protocole n° 7 (arrêt précité, § 78). Elle a retenu à cet égard que l'approche qui privilégie la qualification juridique des deux infractions est trop restrictive des droits de la personne, car si la Cour européenne s'en tient au constat que l'intéressé a été poursuivi pour des infractions ayant une qualification juridique différente, elle risque d'affaiblir la garantie consacrée par l'art. 4 du Protocole n° 7 et non de la rendre concrète et effective comme le requiert la CEDH (arrêt précité, § 81). En conséquence, l'art. 4 du Protocole n° 7 doit être compris comme interdisant de poursuivre ou de juger une personne pour une seconde "infraction" pour autant que celle-ci a pour origine des faits identiques ou des faits qui sont en substance les mêmes (arrêt précité, § 82).
Il s'agit donc d'adopter une approche fondée strictement sur l'identité des faits matériels et de ne pas retenir la qualification juridique de ces faits comme critère pertinent.
2.3
Le droit suisse prévoit une double procédure pénale et administrative en matière de répression des infractions relatives à la circulation routière: le juge pénal se prononce sur les sanctions pénales (amende, peine pécuniaire, travail d'intérêt général ou peine privative de liberté) prévues par les dispositions pénales de la LCR (
art. 90 ss LCR
) et par le Code pénal (
art. 34 ss, 106 et 107 CP
), tandis que les autorités administratives compétentes décident de mesures administratives (avertissement ou retrait de permis) prévues par les
art. 16 ss LCR
.
La question à résoudre en l'espèce est uniquement celle de savoir si la double procédure pénale et administrative prévue par la LCR est conforme à l'interprétation de l'art. 4 par. 1 du Protocole additionnel n° 7 à la CEDH, telle qu'elle ressort de l'arrêt
Zolotoukhine
.
2.3.1
Différents auteurs ont donné leur avis quant à la compatibilité d'une sanction pénale et d'une mesure de retrait du permis de conduire, au regard de l'arrêt
Zolotoukhine
. YVAN JEANNERET défend
BGE 137 I 363 S. 367
la thèse que le système instauré par la LCR, qui veut qu'une infraction routière peut faire successivement l'objet d'une sanction pénale (
art. 90 ss LCR
), puis d'un retrait d'admonestation du permis de conduire (
art. 16 ss LCR
), sous la seule réserve des cas santionnés par une amende d'ordre, contrevient à la règle "ne bis in idem" lorsque les faits à la base de la sanction pénale et de la mesure administrative sont identiques. Cet auteur invite le législateur à mettre fin au système dual, en intégrant le retrait d'admonestation du permis de conduire dans l'arsenal des peines placé à la disposition du juge pénal (YVAN JEANNERET, L'arrêt Zolotoukhine contre Russie ou la fin du retrait administratif du permis de conduire, RDAF 2010 I p. 263 ss).
HANSPETER MOCK s'est aussi interrogé sur les conséquences qu'aura la détermination du critère de l'identité des faits sur les ordres juridiques internes des Etats parties à la Convention, en particulier sur le fractionnement des procédures administrative et pénale qui ont cours en matière d'infractions aux règles de la circulation routière. Après avoir relevé que "la Suisse et sans doute d'autres pays pratiquant le fractionnement des procédures pourraient devoir modifier leur approche après l'arrêt
[Zolotoukhine]
, il a avancé "que des exceptions à l'unicité de la procédure devraient rester possibles, à tout le moins lorsque pour des raisons objectives et fondées, toutes les conséquences d'un acte délictueux ne peuvent pas être jugées ensemble. Ce sera à la jurisprudence à venir préciser ce qui est admissible à cet égard" (HANSPETER MOCK, Ne bis in idem: Strasbourg tranche en faveur de l'identité des faits, Revue trimestrielle des droits de l'homme [RTDH] 2009 p. 867 ss, p. 879).
Quant à CÉDRIC MIZEL, il plaide en faveur du caractère conventionnel du retrait du permis de conduire suisse. Il est d'avis que les considérants de l'arrêt
Zolotoukhine,
qui concernent deux procédures sanctionnant un même état de fait, conduites par le même tribunal disposant des mêmes sanctions, ne s'appliquent pas à la double procédure de sanctions des infractions routières en Suisse, dont l'une présente un lien matériel et temporel très étroit avec l'autre sans pour autant que les autorités distinctes qui les conduisent disposent des mêmes compétences ni des mêmes types de sanctions (CÉDRIC MIZEL, Ne bis in idem: l'arrêt Zolotoukhine contre Russie ne s'applique pas au retrait du permis de conduire suisse, Revue interdisciplinaire de la Circulation routière 2011 p. 27 ss, 30).
BGE 137 I 363 S. 368
2.3.2
Selon la jurisprudence constante du Tribunal fédéral, la double procédure pénale et administrative prévue en droit suisse pour les infractions relatives à la circulation routière ne viole pas le principe "ne bis in idem". En effet, l'application dudit principe suppose en particulier que le juge de la première procédure ait été mis en mesure d'apprécier l'état de fait sous tous ses aspects juridiques. Cette condition fait défaut en l'espèce en raison des pouvoirs de décision limités de chacune des autorités compétentes. Ainsi, seules les deux autorités prises ensemble peuvent examiner l'état de fait dans son intégralité sous tous ses aspects juridiques (
ATF 125 II 402
consid. 1b p. 404 s.).
Le Tribunal fédéral a toutefois précisé que l'autorité administrative statuant sur un retrait du permis de conduire ne peut, en principe, pas s'écarter des constatations de fait d'un prononcé pénal entré en force. La sécurité du droit commande en effet d'éviter que l'indépendance du juge pénal et du juge administratif ne conduise à des jugements opposés, rendus sur la base des mêmes faits (
ATF 109 Ib 203
consid. 1 p. 204;
ATF 96 I 766
consid. 4 p. 774). L'autorité administrative ne peut s'écarter du jugement pénal qu'à certaines conditions (
ATF 129 II 312
consid. 2.4 p. 315;
ATF 123 II 97
consid. 3c/aa p. 104).
2.3.3
En matière d'infractions aux règles de la circulation routière, la Cour européenne s'est déjà prononcée sur la dualité des procédures administrative et pénale. Après avoir relevé que l'annulation du permis de conduire revêt, par son degré de gravité, un caractère punitif et dissuasif et s'apparente à une sanction pénale, elle a considéré que le retrait du permis de conduire ordonné par une autorité administrative, consécutivement à une condamnation pénale à raison des mêmes faits, n'emporte pas une violation de l'art. 4 du Protocole n° 7, lorsque la mesure administrative découle de manière directe et prévisible de la condamnation, dont elle ne constitue que la conséquence (arrêts
Nilsson contre Suède
du 13 décembre 2005 n° 73661/01,
Recueil CourEDH 2005-XIII p. 333
ss;
R.T. contre Suisse
du 30 mai 2000, in JAAC 2000 n
o
152 p. 1391). L'étroite connexion entre les deux sanctions a amené la Cour européenne à conclure que la mesure administrative s'apparente à une peine complémentaire à la condamnation pénale, dont elle fait partie intégrante (arrêt
Maszni contre Roumanie
du 21 septembre 2006 § 69 et les arrêts cités).
BGE 137 I 363 S. 369
2.4
Si l'arrêt
Zolotoukhine
a clarifié l'application du principe "ne bis in idem" en tranchant en faveur du critère de l'identité des faits, il ne s'est pas prononcé sur le cumul des procédures administrative et pénale en matière d'infractions contre la circulation routière. Ce domaine est particulier à différents titres. D'abord, même si le retrait du permis de conduire présente un caractère pénal (
ATF 128 II 173
consid. 3c p. 176 et les arrêts cités), il s'agit d'une sanction administrative indépendante de la sanction pénale, avec une fonction préventive et éducative prépondérante (
ATF 128 II 173
consid. 3c p. 177;
ATF 125 II 396
consid. 2a/aa p. 399). Son but principal est de garantir le respect des règles de la circulation routière et la sécurité des usagers de la route (voir également Message du 21 septembre 1998 concernant la modification du Code pénal suisse [...] et du Code pénal militaire ainsi qu'une loi fédérale régissant la condition pénale des mineurs, FF 1999 1865 ch. 213.15).
Ensuite, le système dual prévu par la LCR, dans lequel le juge pénal n'est pas compétent pour ordonner le retrait du permis de conduire, mesure qui relève de l'autorité administrative, a pour conséquence que seul le concours des deux autorités permet de subsumer l'état de fait à toutes les règles juridiques. Toutes les conséquences de l'acte délictueux ne pouvant pas être jugées ensemble, deux autorités aux compétences distinctes, ne disposant pas du même type de sanction, poursuivant des buts distincts, sont successivement amenées à statuer sur le même état de fait dans le contexte de deux procédures distinctes. Tel n'est pas le cas du système sanctionné par l'arrêt
Zolotoukhine,
dont les considérants se rapportent à deux procédures (administrative et pénale) sanctionnant un même état de fait, conduites par le même tribunal disposant des mêmes sanctions.
Dans ces circonstances, il est difficile de savoir si, en rendant l'arrêt
Zolotoukhine,
la Cour européenne a voulu remettre en cause l'arrêt topique
Nilsson contre Suède
susmentionné, au regard duquel la coexistence des procédures administrative et pénale en matière de répression d'infractions routières ne viole pas le principe "ne bis in idem". On ne peut pas non plus déduire du bref paragraphe 82 de l'arrêt
Zolotoukhine
(cf. supra consid. 2.2) que toutes les doubles procédures prévues par les systèmes légaux soient à proscrire.
De surcroît, ce raisonnement est renforcé par le fait que le législateur fédéral a clairement rejeté la proposition de transférer le retrait
BGE 137 I 363 S. 370
d'admonestation au juge pénal. Dans le cadre de la révision de la partie générale du Code pénal, lors de la procédure de consultation, la proposition de transférer le retrait du permis de conduire au juge pénal n'a recueilli l'adhésion que de la moitié des cantons environ et a été rejetée par la quasi-unanimité des organisations et services spécialisés (Message précité, FF 1999 1865). Dans la procédure de consultation relative au projet de révision de la LCR, 23 cantons ont souhaité que le conducteur fautif puisse faire l'objet d'une procédure administrative indépendante de la procédure pénale (Message précité, FF 1999 1865). Dans son Message, le Conseil fédéral a notamment relevé que la pratique suisse était très bien acceptée et que tel qu'il était prévu dans la LCR, le retrait inconditionnel du permis de conduire représentait une mesure d'intérêt public très efficace (Message précité, FF 1999 1866 ch. 213.15).
Plus récemment, le Conseil fédéral a décidé que les tribunaux de la circulation - dont la création simplifierait, rationaliserait et unifierait les procédures concernant les infractions aux règles de la circulation routière - ne pouvaient être institués contre la résistance claire de 22 cantons (Message du 20 octobre 2010 concernant Via sicura, le programme d'action de la Confédération visant à renforcer la sécurité routière, FF 2010 7745 ch. 1.4.2.5).
Par conséquent, il n'y a pas lieu de s'écarter de la jurisprudence prévalant jusqu'à ce jour. Ce d'autant moins que la procédure pénale fédérale et les procédures administratives cantonales assurent toutes les garanties juridiques au sens des art. 29 à 30 Cst. et 6 CEDH. | public_law | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
998b0e8e-9119-4572-b552-dcf7ab7d8ea9 | Urteilskopf
106 Ib 19
5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Januar 1980 i.S. Firma Gauger & Co. AG gegen Kanton Zürich und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 42-44 EntG
, Enteignungsbann.
Wesen und Folgen des Enteignungsbannes (E. 7a). Bei Enteignungen für den Nationalstrassenbau wird der Enteignungsbann vom Tage der Auflage des Ausführungsprojektes im Sinne von
Art. 26 NSG
an wirksam, wenn das Ausführungsprojekt zusammen mit den Enteignungsplänen und der Grunderwerbstabelle (
Art. 27 Abs. 2 EntG
) veröffentlicht wird (E. 7b, c). Schaden aus Enteignungsbann im vorliegenden Fall verneint (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 106 Ib 19 S. 19
Der Kanton Zürich legte im August/September 1969 das Ausführungsprojekt für die städtische Nationalstrasse SN 1, Teilstrecke Milchbucktunnel, öffentlich auf. Für den Bau dieser Strasse musste auch das Betriebsareal der Firma Gauger &
BGE 106 Ib 19 S. 20
Co. AG in Anspruch genommen werden. Nachdem das - abgekürzte - Enteignungsverfahren eröffnet und der Enteigneten am 16. April 1975 die persönliche Anzeige zugestellt worden war, verlangte diese neben einer Verkehrswertentschädigung auch eine Vergütung von rund fünf Millionen Franken für die "Blockierung" ihres Grundeigentums in den Jahren 1969-1975, das heisst für den Schaden, der dadurch entstanden sei, dass die Grundstücke der Enteignung wegen nicht schon im Jahre 1969 hätten geräumt und verkauft werden können.
Das Bundesgericht hat, gleich wie die Schätzungskommission, das Begehren um eine zusätzliche Entschädigung abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
7.
a) Nach dem Bundesgesetz über die Enteignung dürfen vom Tage der öffentlichen Bekanntmachung der Planauflage (
Art. 27,
Art. 30 EntG
), und, im abgekürzten Verfahren (
Art. 33 EntG
), vom Tage der Zustellung der persönlichen Anzeige an ohne Zustimmung des Enteigners keine die Enteignung erschwerenden rechtlichen oder tatsächlichen Verfügungen mehr getroffen werden (
Art. 42 EntG
). Der Enteigner kann diesen sog. Enteignungsbann im Grundbuch vormerken lassen (
Art. 43 EntG
) mit der Folge, dass die Verfügungsbeschränkung auch Dritten entgegengehalten werden kann (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 1 zu
Art. 43 EntG
). Für den Schaden, der aus dem Enteignungsbann entsteht, hat der Enteigner vollen Ersatz zu leisten (
Art. 44 Abs. 1 EntG
). Über Bestand und Höhe des Schadens entscheidet die Schätzungskommission (
Art. 64 lit. f EntG
), und zwar im Zusammenhang mit der Festsetzung der Enteignungsentschädigung, es sei denn, der Enteignete verlange die Durchführung eines vorangehenden, besonderen Verfahrens (
Art. 44 Abs. 2 und 3 EntG
).
Die im Enteignungsbann liegende Verfügungsbeschränkung ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine vorübergehende Beschränkung der Rechte des Eigentümers im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 EntG
, auf welche die in
Art. 16-25 EntG
festgehaltenen Entschädigungsgrundsätze Anwendung finden. Bei der Entschädigung, die für den Enteignungsbann ausgerichtet wird, handelt es sich um eine Vergütung für dem Enteigneten erwachsende "weitere Nachteile" gemäss
Art. 19 lit. c EntG
. Sie
BGE 106 Ib 19 S. 21
ist daher den Pfandgläubigern entzogen (HESS, a.a.O., N. 1 und 2 zu
Art. 44 EntG
; Botschaft des Bundesrates zum Entwurfe eines Bundesgesetzes über die Enteignung vom 21. Juni 1926, BBl 1926 II, S. 51 ff.).
b) In Enteignungsverfahren, die sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Enteignung richten, wird durch die Auflage der Pläne und der Grunderwerbstabelle sowohl das Einspracheverfahren eröffnet, in welchem Einsprachen im engeren Sinne, Planänderungsgesuche und Begehren nach den
Art. 7-10 EntG
anzubringen sind (Art. 30 Abs. 1 lit. a und b,
Art. 35 EntG
), als auch das eigentliche Enteignungsverfahren eingeleitet, was heisst, dass die Enteigneten während der Auflagefrist auch ihre Entschädigungsforderungen für die in Anspruch genommenen Rechte anzumelden haben (
Art. 30 Abs. 1 lit. c EntG
,
Art. 36 EntG
).
Bei Enteignungen für den Nationalstrassenbau werden das Plangenehmigungs- und Einspracheverfahren einerseits und das Enteignungsverfahren andererseits nicht nebeneinander, sondern nacheinander durchgeführt. Die Einsprachen im engeren Sinne, die Planänderungsbegehren und die Begehren nach den
Art. 7-10 EntG
sind bereits im Verfahren zur Bereinigung und Genehmigung des Ausführungsprojektes zu behandeln (
Art. 26 und 27 NSG
) und können im nachfolgenden eigentlichen Enteignungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden (
Art. 39 Abs. 2 NSG
;
BGE 105 Ib 340
E. 2a, 105 Ib 97, 104 Ib 31 f. E. 3b). Aus diesem Grunde müssen die Ausführungsprojekte, wie schon in der bundesrätlichen Botschaft zum Nationalstrassengesetz (BBl 1959 II, S. 125) festgehalten wurde, so ausgestaltet werden, dass sie die Funktion eines Werkplanes im Sinne von
Art. 27 EntG
übernehmen können. Dementsprechend sind auch die im Projekt vorgesehenen Geländeveränderungen auszustecken (
Art. 26 NSG
). Da indessen nach dem Enteignungsgesetz die Planauflage - wie erwähnt - nicht nur der Anmeldung von Einsprachen, sondern auch der Entschädigungsforderungen dient, hat der Kanton das vom Departement des Innern genehmigte Ausführungsprojekt dem Präsidenten der Schätzungskommission zu übermitteln, damit eine zweite Auflage, die ausschliesslich Gelegenheit zur Einreichung von Entschädigungsforderungen bietet, durchgeführt werden kann (
Art. 39 Abs. 2 NSG
; BBl 1959 II, S. 126, Gutachten Fritz HESS).
BGE 106 Ib 19 S. 22
c) Die Frage, welche Wirkungen die Auflage des Nationalstrassenausführungsprojektes im Einsprache- und Genehmigungsverfahren für die betroffenen Grundeigentümer habe, insbesondere ob der Enteignungsbann im Sinne von
Art. 42 EntG
schon in diesem Zeitpunkt auf die für das Werk beanspruchten Grundstücke gelegt oder ob er erst bei der zweiten Publikation des - nunmehr genehmigten - Ausführungsprojektes im Rahmen des eigentlichen Enteignungsverfahrens wirksam werde, wird im Nationalstrassengesetz selbst nicht geregelt.
Die Schätzungskommission ist im angefochtenen Entscheid davon ausgegangen, dass die Projektauflage gemäss
Art. 26 und 27 NSG
die Grundeigentümer in ihren Verfügungsrechten nicht beschränke. Sie begründet dies damit, dass Verfügungsbeschränkungen, sofern keine Projektierungszonen festgelegt worden seien, erst durch die Baulinien entstünden und dass die ins Ausführungsprojekt aufzunehmenden Baulinien vor ihrer Veröffentlichung, die erst im Anschluss an die Projektgenehmigung stattfinde, keine Rechtswirkung entfalteten. Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden.
Nach
Art. 22 und 23 NSG
sind beidseits der projektierten Nationalstrasse Baulinien festzulegen, zwischen denen ohne Bewilligung weder Neubauten erstellt noch Umbauten vorgenommen werden dürfen. Nun liegen zwar "zwischen" den Baulinien, welche in einem Abstand von 15-25 m von der Strassenachse zu ziehen sind (vgl. Art. 2 der Verordnung zum NSG), auch jene Grundstücke, auf welchen der Strassenkörper selbst erstellt werden soll. Die durch die Baulinien bewirkte Baubeschränkung hat jedoch - im Gegensatz zum Enteignungsbann nach
Art. 42 EntG
- nicht zum Zweck, die Enteignung der für den Strassenbau benötigten Grundstücke zu erleichtern. Die Baulinien dienen vielmehr dazu, den Freiraum zu sichern, der längs des Strassentrasses aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Wohnhygiene sowie für allfällige Strassenerweiterungen geschaffen werden soll (vgl.
Art. 22 NSG
). Schon aus dieser unterschiedlichen Zwecksetzung von Baulinien und Enteignungsbann ergibt sich, dass sich die beiden Institute weder ausschliessen noch in einem notwendigen Zusammenhang stehen müssen. Aus dem Umstand, dass die Baulinien erst nach dem Genehmigungsverfahren Rechtskraft erlangen (
Art. 29 NSG
), kann daher nicht gefolgert werden, dass sich
BGE 106 Ib 19 S. 23
auch der Enteignungsbann erst in diesem Zeitpunkt auf die zu enteignenden Grundstücke lege.
Die Bestimmungen des Nationalstrassengesetzes schliessen es keineswegs aus, dass das in
Art. 42 EntG
umschriebene Verfügungsverbot schon mit der ersten Publikation des Ausführungsprojektes im Sinne von
Art. 26 NSG
zu wirken beginne, wenn das Projekt entsprechend der Vorschrift von
Art. 27 Abs. 2 EntG
zusammen mit dem Enteignungsplan und der Grunderwerbstabelle aufgelegt wird. Eine solche Auslegung ist im Interesse von Enteigner und Enteignetem und im Sinne eines rationellen Verfahrensablaufes sogar geboten:
Es wäre einerseits nicht einzusehen, weshalb dem Kanton als Enteigner für den Nationalstrassenbau, dem das Enteignungsrecht schon von Gesetzes wegen zusteht, der durch den Enteignungsbann gewährte Schutz vorenthalten werden sollte, während dieser auch jenen Unternehmen zuteil wird, denen das Enteignungsrecht von Fall zu Fall verliehen werden muss (
Art. 3 Abs. 3 EntG
) und welche, da die Verleihung in der Regel mit der Einsprachenerledigung verbunden wird, im Zeitpunkt der Planauflage das Enteignungsrecht noch gar nicht besitzen (
Art. 55 EntG
; vgl.
BGE 105 Ib 199
f. E. 1c). Andererseits besteht auch kein Grund dafür, einzig den Enteigneten, dessen Grundeigentum für den Nationalstrassenbau beansprucht wird, von den Vorteilen auszuschliessen, welche
Art. 44 EntG
auch dem Grundeigentümer bietet und die unter anderem darin liegen, dass alle sich aus der Enteignung ergebenden Entschädigungsansprüche von der gleichen (Bundes-) Instanz beurteilt werden, deren Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann.
Und schliesslich liesse es sich mit der Forderung nach klarer Kompetenzabgrenzung und klaren prozessualen Verhältnissen nicht vereinbaren, wenn die Schätzungskommission, die kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung die Entschädigungsbegehren für materielle Enteignungen infolge von Projektierungszonen oder Baulinien zu behandeln hat (
Art. 18 Abs. 2,
Art. 25 Abs. 3 NSG
), nicht zuständig wäre, über den Schaden zu befinden, der dem Enteigneten aus der Auflage des Ausführungsprojektes erwächst. Es wäre geradezu widersinnig, wenn sich der Enteignete - wie es die Schätzungskommission nicht ausschliesst - mit seinem Entschädigungsbegehren für die ihm vor der Enteignung auferlegten Verfügungsbeschränkungen an
BGE 106 Ib 19 S. 24
zwei verschiedene Instanzen wenden müsste: für eine allfällige kantonalrechtliche Beschränkung, die von der Auflage des Ausführungsprojektes nach
Art. 26 NSG
bis zur zweiten Planauflage nach
Art. 39 Abs. 2 NSG
dauerte, an die betreffende kantonale Instanz, und für den Enteignungsbann nach
Art. 42 EntG
, der mit der zweiten Planauflage in Kraft träte, an die Schätzungskommission. Im übrigen darf nicht übersehen werden, dass im Anwendungsbereich des eidgenössischen Enteignungsrechtes ohnehin keine über den Enteignungsbann hinausgehenden bzw. ihm zeitlich vorgehenden Verfügungsbeschränkungen nach kantonalem Recht erlassen werden können, sofern dies im Bundesrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. BGE 23, 576 ff.; HESS, a.a.O. N. 11 zu
Art. 42 EntG
).
Es ergibt sich demnach, dass die Bestimmungen von
Art. 42-44 EntG
bei Enteignungen für den Nationalstrassenbau jedenfalls dann vom Tage der Auflage des Ausführungsprojektes im Sinne von
Art. 26 NSG
an wirksam werden, wenn das Ausführungsprojekt zusammen mit den Enteignungsplänen und der Grunderwerbstabelle (
Art. 27 EntG
) veröffentlicht wird (vgl. per analogiam Art. 57 Ziff. 1 der Rohrleitungsverordnung vom 11. September 1968). In solchen Fällen liegt die Zuständigkeit zum Entscheid über Entschädigungsbegehren bei der Schätzungskommission.
8.
Im vorliegenden Fall ist das Entschädigungsbegehren der Enteigneten für die "Blockierung" ihres Grundeigentums jedoch abzuweisen, weil ein Schaden nicht nachgewiesen worden ist.
Das Bundesgericht hat schon im Jahre 1877 - damals in Anwendung des Bundesgesetzes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850 - betont, dass dem vom Enteignungsbann Betroffenen nicht schon dann eine Entschädigung zugesprochen werden könne, wenn dieser darlege, dass sich sein Grundstück zur Überbauung geeignet hätte; der Grundeigentümer habe vielmehr zumindest glaubhaft zu machen, dass er beabsichtigt habe, das Grundstück selbst zu überbauen oder als Bauland zu verkaufen, und dass diese Absicht ohne die Verfügungsbeschränkung auch wirklich in Tat umgesetzt worden wäre (BGE 3, 352). Nun macht die Enteignete in erster Linie geltend, die Betriebsverlegung hätte ohne den Eingriff des Staates spätestens bis 1969 abgeschlossen und das freigewordene Areal entweder verkauft oder neu überbaut
BGE 106 Ib 19 S. 25
werden können. Es ist jedoch nicht einzusehen, inwiefern die Enteignete durch die bevorstehende Enteignung bzw. die im August/September 1969 stattfindende Auflage des Ausführungsprojektes daran gehindert worden wäre, den Betriebsumzug zur vorgesehenen Zeit abzuschliessen. Die Enteignete bestreitet nicht, dass sie mit der Verlegung des Betriebes nach Affoltern schon etliche Jahre, bevor vom Nationalstrassenprojekt die Rede war, begonnen hatte. Sie bringt überdies selbst vor, dass sie 1964 vom Projekt Kenntnis erhielt und bereits damals beschloss, die Verlegung zu verlangsamen bzw. nicht mehr zu beschleunigen. Tatsächlich hat die Enteignete denn auch ihre in Zürich-Unterstrass liegenden Grundstücke mindestens bis Herbst 1973 für ihren eigenen Betrieb genutzt; einige Lagerhallen sind sogar über diesen Zeitpunkt hinaus, bis 1975, teils von der Enteigneten selbst verwendet, teils an Dritte vermietet worden. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, dass die Enteignete es offensichtlich vorzog, das an den Staat abzutretende Areal so lange als möglich selbst zu nutzen, hätte sie doch nichts daran gehindert, die Betriebsverlegung im Jahre 1969 abzuschliessen und das freigewordene Areal dem Enteigner sofort - zum Kauf oder zur Enteignung - anzubieten. Die Enteignete behauptet daher zu Unrecht, es sei ihr aus dem Enteignungsbann ein Schaden erwachsen. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
9993e4db-c62c-4008-b2b1-0b568c75b3e6 | Urteilskopf
117 IV 336
60. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1991 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz. Einziehung von Kriegsmaterial.
1. Verhältnis zwischen
Art. 20 KMG
und
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
. Kriegsmaterial kann im Falle der Feststellung einer Widerhandlung gegen das KMG nach dessen Art. 20 unabhängig davon eingezogen werden, ob eine erneute Widerhandlung gegen das KMG hinreichend wahrscheinlich ist (E. 2).
2.
Art. 20 KMG
. "Besondere Gründe", die einer Einziehung von Kriegsmaterial entgegenstehen, im konkreten Fall verneint (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 336
BGE 117 IV 336 S. 336
A.-
Die X. AG importierte mit Zustimmung der Direktion der Eidgenössischen Militärverwaltung von einer norditalienischen Waffenfabrik Halbfabrikate von automatischen Pistolen, die unter das Kriegsmaterialgesetz fallen. Die Halbfabrikate wurden im Betrieb der X. AG fertig verarbeitet, montiert und für den Export gelagert.
BGE 117 IV 336 S. 337
Im März 1989 fingierte X. zusammen mit Z. einen Einbruchdiebstahl im Lager der X. AG. X. gab gegenüber der Versicherung und dem Untersuchungsrichteramt Biel wahrheitswidrig an, es seien ihm 1020 zum Export bereitgestellte Pistolen im Wiederbeschaffungswert von total knapp Fr. 120'000.-- von unbekannten Tätern gestohlen worden. In Tat und Wahrheit hatte X. die Pistolen an Z. verkauft, der sie im Ausland weiterveräussern wollte, wobei X. wusste, dass Z. nicht über die erforderlichen Bewilligungen für den Erwerb und die Ausfuhr der Pistolen verfügte. Insgesamt 742 Pistolen konnten am 5. April 1989 in einem Luftschutzkeller in der Schweiz sichergestellt werden, wo sie von Z. deponiert worden waren.
B.-
Das Strafamtsgericht Biel sprach X. deswegen sowie wegen verschiedener weiterer Widerhandlungen im Rahmen seines Geschäftsbetriebes des vollendeten Betrugsversuchs, der Irreführung der Rechtspflege, der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über das Kriegsmaterial vom 30. Juni 1972 (nachfolgend KMG; SR 514.51) - begangen durch Gehilfenschaft zur illegalen Ausfuhr von 1020 Pistolen, durch unrichtige Mitteilung an die Kriegsmaterialverwaltung betreffend 1020 Pistolen, durch Verkauf von 600 kg Schwarzpulver ohne Eintrag ins Kontrollbuch - sowie der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen das Konkordat über den Handel mit Waffen und Munition (SR 514.542) - begangen durch Nichteinhaltung der Buchführungspflicht beim Verkauf von Kleinkaliberpistolen - schuldig und verurteilte ihn deswegen in Anwendung von Art. 148 in Verbindung mit
Art. 22 StGB
,
Art. 304 StGB
,
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
in Verbindung mit
Art. 25 StGB
,
Art. 17 Abs. 1 lit. d KMG
,
Art. 18 Abs. 2 KMG
, Art. 18 Abs. 1 der Kriegsmaterialverordnung sowie Art. 6 und 11 des Konkordates über den Handel mit Waffen und Munition zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Es verfügte zudem, dass die beschlagnahmten 742 Pistolen in Anwendung von
Art. 20 KMG
zuhanden des Bundes eingezogen werden und dass die beschlagnahmten 188 Pistolenverpackungen bei Eintritt der Rechtskraft des Urteils dem Angeschuldigten auszuhändigen seien.
Die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte mit Entscheid vom 11. Dezember 1990 die im Appellationsverfahren allein angefochtene Einziehung der insgesamt
BGE 117 IV 336 S. 338
742 Pistolen zuhanden des Bundes. Sie ordnete aber an, dass ein allfälliger Verwertungserlös durch den Bund dem X. zurückzuerstatten sei.
C.-
X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Einziehungsentscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache mit der Weisung an die Vorinstanz zurückzuweisen, dass die beschlagnahmten 742 Pistolen an die X. AG auszuhändigen seien, eventuell dass ein allfälliger Verwertungserlös an die X. AG zurückzuerstatten sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 20 KMG
bestimmt: Ist eine Widerhandlung festgestellt, so ist, wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen, ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials durch den Richter zu verfügen (Abs. 1). Das eingezogene Kriegsmaterial verfällt dem Bunde (Abs. 2).
Es ist unbestritten, dass es sich bei den Pistolen, deren Einziehung zur Diskussion steht, um Kriegsmaterial im Sinne des Gesetzes und der dazugehörigen Verordnung handelt und dass eine Widerhandlung (gegen das Kriegsmaterialgesetz) festgestellt worden ist. Es stellen sich die Fragen, welches erstens das Verhältnis zwischen
Art. 20 KMG
und
Art. 58 StGB
und was zweitens unter den einer Einziehung entgegenstehenden "besonderen Gründen" im Sinne von
Art. 20 KMG
zu verstehen sei.
2.
a) Die Berücksichtigung von
Art. 58 StGB
kommt bei der Auslegung einer in einem Spezialgesetz enthaltenen Einziehungsbestimmung dann in Betracht, wenn die spezialgesetzliche Einziehungsregelung als lückenhaft erscheint, sowie allenfalls in bezug auf die Einziehung nach Spezialgesetzen, die älter als das StGB sind. Eine Lücke in der spezialgesetzlichen Regelung ist unter Berücksichtigung der in
Art. 58 StGB
zum Ausdruck kommenden Gedanken zu füllen; bei Einziehungsbestimmungen gemäss Spezialgesetzen, die älter als das StGB sind, stellt sich die Frage, ob der zwar allgemeinere, aber neuere
Art. 58 StGB
der zwar spezielleren, aber älteren Einziehungsbestimmung nach dem Spezialgesetz vorgeht. Eine Berücksichtigung von
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
kommt bei der Einziehung von Kriegsmaterial bei Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz nach
Art. 20 KMG
aus nachstehenden Gründen nicht in Betracht.
BGE 117 IV 336 S. 339
b) Das Kriegsmaterialgesetz datiert vom 30. Juni 1972 und ist damit kein "älteres" Gesetz. Allerdings wurden darin verschiedene Bestimmungen mit gewissen Abänderungen übernommen, die schon im Bundesratsbeschluss über das Kriegsmaterial vom 28. März 1949 (AS 1949 I 315) enthalten waren. So lautete Art. 20 dieses Bundesratsbeschlusses: Ist eine Widerhandlung festgestellt, so ist ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials durch den Richter oder bei Einstellung der Ermittlungen durch den Bundesanwalt zu verfügen (Abs. 1). Das eingezogene Kriegsmaterial verfällt dem Bunde (Abs. 2). Auch der Bundesratsbeschluss über das Kriegsmaterial vom 28. März 1949 ist jünger als das Strafgesetzbuch, das schon in seinem Art. 58 in der ursprünglichen Fassung vor dessen Revision durch das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974 die Einziehung von instrumenta aut producta sceleris nur unter der Voraussetzung zuliess, dass diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. Weder im Bundesratsbeschluss noch im Bundesgesetz über das Kriegsmaterial wurde indessen diese Regelung des StGB übernommen; vielmehr wurde eine spezielle Regel geschaffen und in der Folge mit gewissen Modifikationen beibehalten, in welcher, gleich wie in verschiedenen Bestimmungen des besonderen Teils des Strafgesetzbuches (vgl. etwa Art. 153 Abs. 3, 154 Ziff. 3, 155 Abs. 3, 204 Ziff. 3, 249, 274, 301 Ziff. 2, 327 Ziff. 3, 328 Ziff. 2 StGB), vom Erfordernis der Gefährdung der Sicherheit von Menschen, der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung nicht die Rede ist; zudem wurde schon im Bundesratsbeschluss in der Fassung vom 28. Dezember 1960 in Art. 21bis (AS 1960 1673 ff., 1677) - wie nun auch in
Art. 22 Abs. 1 KMG
- festgelegt, dass die allgemeinen Bestimmungen des StGB insoweit Anwendung finden, als der Bundesratsbeschluss nicht selbst Bestimmungen aufstellt. Im übrigen hat sich der Gesetzgeber bei der Schaffung des Kriegsmaterialgesetzes vom 30. Juni 1972 offensichtlich auch Gedanken über die Einziehung gemacht; dies ergibt sich daraus, dass er neu erstens den Passus "wenn nicht besondere Gründe (der Einziehung des Kriegsmaterials) entgegenstehen" aufgenommen und zweitens eine Regel über die Einziehung von Bereicherungen durch Widerhandlungen nach diesem Gesetz geschaffen hat.
Unter diesen Umständen ist
Art. 20 KMG
in bezug auf die Voraussetzungen der Einziehung von Kriegsmaterial im Falle der
BGE 117 IV 336 S. 340
Feststellung einer Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz als lückenlose, vom Gesetzgeber in dieser von
Art. 58 StGB
abweichenden Form gewollte Regel zu betrachten. Die Frage nach einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc., wie sie in
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
vorausgesetzt wird, stellt sich nicht, sei es, weil das KMG eine solche Gefährdung unwiderlegbar vermutet (fingiert), sei es (eher), weil eine solche Gefährdung in der Zukunft nicht vorausgesetzt ist. Wie bei der Einziehung, die in den Bestimmungen des besonderen Teils des Strafgesetzbuches speziell geregelt ist, kommt es auch bei der Einziehung von Kriegsmaterial gemäss
Art. 20 KMG
bei Feststellung einer Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz nicht darauf an, ob neben den Voraussetzungen der Einziehung gemäss der Sonderregelung auch die weiteren Voraussetzungen gemäss
Art. 58 StGB
erfüllt seien (so zum Verhältnis zwischen den Einziehungsbestimmungen des besonderen Teils des StGB und
Art. 58 StGB
BGE 89 IV 64
/65 mit Hinweisen; STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 14 N. 30; TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 58 StGB
N. 13, je mit Hinweisen; SCHULTZ, Einziehung und Verfall, ZBJV 114/1978 S. 307).
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die meisten Einziehungsbestimmungen des besonderen Teils des StGB, die im Unterschied zu
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
nicht ausdrücklich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc. voraussetzen, Gegenstände betreffen, welche wegen ihrer Art, etwa weil es sich um Fälschungen oder Nachahmungen handelt (vgl. z.B. Art. 153 ff., Art. 249, 327 f. StGB), gar nicht rechtmässig in Verkehr gebracht werden können und somit eo ipso eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung bedeuten. Demgegenüber kann mit Kriegsmaterial bei Vorliegen der erforderlichen Bewilligungen legal Handel getrieben werden. Dennoch ist es sachlich gerechtfertigt, bei Feststellung einer Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz entsprechend dem von
Art. 58 StGB
abweichenden Wortlaut von
Art. 20 KMG
auf den Nachweis einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung in der Zukunft jedenfalls dann zu verzichten, wenn es bei der festgestellten Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz um vorsätzlichen illegalen Handel mit Kriegsmaterial geht. Der private Handel mit Kriegsmaterial berührt einen sensiblen Bereich. Durch die Einziehung von Kriegsmaterial, das bereits Gegenstand vorsätzlichen illegalen Handels gebildet hat, soll von vornherein ausgeschlossen werden,
BGE 117 IV 336 S. 341
dass der Täter mit dem fraglichen Kriegsmaterial noch einmal illegalen Handel treibt.
Es ist demnach insoweit entgegen der Meinung des Beschwerdeführers unerheblich, ob die insgesamt 742 Pistolen in seiner Hand auch in Zukunft die Sicherheit von Menschen oder die öffentliche Ordnung gefährden bzw. ob es - im Sinne der Erwägungen in
BGE 116 IV 117
ff. zu
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
- hinreichend wahrscheinlich sei, dass er auch in Zukunft Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz begehe, oder ob es sich, wie der Beschwerdeführer geltend macht, bei den inkriminierten Widerhandlungen um eine einmalige Entgleisung handelte. Es ist daher insoweit auch unerheblich, dass der Beschwerdeführer die fraglichen Pistolen auch legal hätte verkaufen können und dass gerade auch aus diesem Grunde die Gefahr erneuter Straftaten in der Zukunft allenfalls gering ist. Im übrigen ist immerhin darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit zu legalem Handel den Beschwerdeführer, der gemäss einer Vereinbarung mit der Lieferantin der Halbfabrikate die fertiggestellten Pistolen nicht in der Schweiz verkaufen darf, nicht vom illegalen Handel abgehalten hat.
3.
Die in
Art. 20 KMG
enthaltene Klausel, wonach die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials zu verfügen ist, "wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen", war im Bundesratsbeschluss über das Kriegsmaterial vom 28. März 1949 (AS 1949 315 ff.) samt seitherigen Änderungen (AS 1958 270 ff., 1960 1673 ff., 1967 2028 ff.) noch nicht enthalten, sondern ist erst in Art. 19 des bundesrätlichen Entwurfs zum Bundesgesetz über das Kriegsmaterial geschaffen worden (BBl 1971 I 1596 ff., 1600), mit dem
Art. 20 KMG
genau übereinstimmt. Den Gesetzesmaterialien kann dazu - soweit ersichtlich - nichts entnommen werden. Weder im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 7. Juni 1971 über das Volksbegehren betreffend vermehrte Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot (BBl 1971 I 1585 ff.), in welchem auch der im Sinne eines Gegenvorschlages geschaffene Entwurf zu einem Kriegsmaterialgesetz anstelle des Bundesratsbeschlusses kurz erläutert wird, noch im Bericht der Expertenkommission an den Bundesrat über die schweizerische Kriegsmaterialausfuhr (Motion Renschler) vom 13. November 1969 (BBl 1971 I 1602 ff.) werden die die Einziehung betreffenden Fragen erörtert. Art. 19 des bundesrätlichen Entwurfs, dem
Art. 20 KMG
wörtlich entspricht, wurde im
BGE 117 IV 336 S. 342
Nationalrat, der das Gesetz als Erstrat beriet, diskussionslos angenommen (Amtl.Bull. NR 1972 S. 190). Im Ständerat hielt der Berichterstatter Jauslin fest, dass hier eine Modifikation gegenüber der früheren Regelung vorliege, indem bei besonderen Gründen auf die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials verzichtet werden könne; zum Beispiel, so hielt der Berichterstatter fest, wäre bei einer versehentlichen oder nicht vorgesehenen Durchfuhr von Kriegsmaterial durch die Schweiz mit der Rücksendung dieses Materials an den Absender dem Gesetz Genüge getan (Amtl.Bull. SR 1972 S. 392/393).
a) Ein besonderer Grund im Sinne von
Art. 20 KMG
für den Verzicht auf die grundsätzlich gebotene Einziehung des Kriegsmaterials bei Feststellung einer Widerhandlung kann jedenfalls nicht darin liegen, dass es allenfalls an einer Gefährdung der Sicherheit von Menschen bzw. der öffentlichen Ordnung im Sinne von
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
und der diesbezüglichen Rechtsprechung (
BGE 116 IV 117
ff.) fehlt. Käme es darauf an, dann hätte der Gesetzgeber im Kriegsmaterialgesetz auf
Art. 58 StGB
verwiesen bzw. eine
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
entsprechende Regel geschaffen. Das hat er aber gerade nicht getan; vielmehr hat er eine spezielle Einziehungsvorschrift geschaffen und für diesen Fall die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des StGB insoweit ausgeschlossen (
Art. 22 Abs. 1 KMG
). Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass das Fehlen einer - in
Art. 20 KMG
im Unterschied zu
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
gerade nicht vorausgesetzten - Gefährdung der Sicherheit von Menschen oder der öffentlichen Ordnung ein "besonderer Grund" ("une circonstance particulière", "una circostanza particolare") im Sinne von
Art. 20 KMG
sei. Eine solche "Gesetzgebungstechnik" wäre ungewöhnlich.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer als Inhaber eines Waffengeschäfts mit einer Grundbewilligung für den Handel mit Kriegsmaterial (vgl. dazu
Art. 4 KMG
) die fraglichen Pistolen auch legal hätte verkaufen können, und die in der Beschwerde daraus gezogene Schlussfolgerung, dass nicht die Gefahr einer erneuten Widerhandlung gegen das KMG bestehe, ist demnach kein besonderer Grund im Sinne von
Art. 20 KMG
für den Verzicht auf die Einziehung. Die gegenteilige Auffassung würde abgesehen davon zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der Inhaber von Grundbewilligungen zum Handel mit Kriegsmaterial führen.
BGE 117 IV 336 S. 343
b) aa) Unter den besonderen Gründen, die einer Einziehung von Kriegsmaterial gemäss
Art. 20 KMG
entgegenstehen, können Umstände verstanden werden, unter denen die Einziehung in einem konkreten Fall als äusserst stossend erscheint. Das könnte gemäss den Ausführungen in einem Urteil des aargauischen Obergerichts vom 11. November 1988 (AGVE 1988 S. 89 ff.; RStrS 1990 Nr. 747), auf welches im angefochtenen Entscheid verwiesen wird, einmal dann der Fall sein, wenn das einzuziehende Kriegsmaterial im Eigentum eines an den Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz völlig unbeteiligten Dritten steht. Allerdings kann man sich fragen, ob in einem solchen Fall heute nicht eher - der erst nach dem Inkrafttreten des Kriegsmaterialgesetzes geschaffene -
Art. 58bis StGB
betreffend Rechte Dritter ergänzend zum Kriegsmaterialgesetz zur Anwendung gelange.
Besondere Gründe, die gemäss
Art. 20 KMG
einer Einziehung entgegenstehen, könnten auch darin liegen, dass die Einziehung in einem konkreten Fall in einem krassen Missverhältnis zur objektiven oder subjektiven Schwere der vom Betroffenen begangenen Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz steht. Zwar ist die Einziehung gemäss
Art. 20 KMG
, gleich der Einziehung nach
Art. 58 StGB
, ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person möglich. Das hindert aber nicht, in Konkretisierung des allgemein geltenden Verhältnismässigkeitsgrundsatzes (
BGE 104 IV 149
) objektive und subjektive Umstände, welche die Widerhandlung als geringfügig erscheinen lassen, als besondere Gründe im Sinne von
Art. 20 KMG
für den Verzicht auf die Einziehung zu werten. Das Kriegsmaterialgesetz enthält eine ganze Reihe von Straftatbeständen, die einerseits als Vergehen (
Art. 17 KMG
), anderseits als Übertretungen (
Art. 18 KMG
) eingestuft werden, wobei in allen Fällen auch fahrlässiges Verhalten strafbar ist. Die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials ist geboten, wenn "eine Widerhandlung festgestellt" ist. Die Einziehung von teurem Kriegsmaterial kann aber völlig unverhältnismässig sein, wenn die festgestellte Widerhandlung sich beispielsweise in einer fahrlässigen Missachtung einer gestützt auf das Gesetz oder auf eine Vollziehungsverordnung erlassenen allgemeinen Weisung oder Einzelverfügung (vgl.
Art. 18 KMG
) erschöpft oder wenn zwischen der "festgestellten Widerhandlung" und dem "betreffenden Kriegsmaterial" (
Art. 20 KMG
) nur ein lockerer Zusammenhang besteht.
BGE 117 IV 336 S. 344
Wie es sich damit im einzelnen verhält, braucht hier indessen nicht abschliessend entschieden zu werden.
bb) Im vorliegenden Fall sind keine Umstände ersichtlich, die als "besondere Gründe" im Sinne von
Art. 20 KMG
für den Verzicht auf die Einziehung der beschlagnahmten insgesamt 742 Pistolen gewertet werden können. Es mag zutreffen, dass entsprechend den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht der Beschwerdeführer X., sondern die X. AG Eigentümerin der fraglichen Pistolen war. Diese Unternehmung kann aber nicht als an den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Widerhandlungen völlig unbeteiligte Dritte betrachtet werden; denn zwischen dem Beschwerdeführer und der AG besteht offensichtlich ein enger Zusammenhang, und der Beschwerdeführer hat die inkriminierten Straftaten zweifelsfrei als Geschäftsmann, beim Besorgen der Angelegenheiten der X. AG, begangen. Der Beschwerdeführer hat vorsätzlich mit mehreren hundert Pistolen im Einstandswert von über Fr. 100'000.-- illegal Handel getrieben und dadurch Widerhandlungen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. a und lit. d (als Gehilfe bzw. als Täter) verübt. Diese Straftaten sind offensichtlich weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht geringfügiger Natur, und zwischen ihnen und den fraglichen Pistolen besteht ein enger Zusammenhang. Unter diesen Umständen liegen keine besonderen Gründe im Sinne von
Art. 20 KMG
für den Verzicht auf die Einziehung des Kriegsmaterials vor.
c) Der Beschwerdeführer ist allerdings der Meinung, es müsse in Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes bzw. unter weiter Auslegung der "besonderen Gründe" im Sinne von
Art. 20 KMG
möglich sein, die beschlagnahmten Waffen an ihn bzw. richtiger an die X. AG unter Auflagen herauszugeben, etwa mit Weisungen bezüglich des Einholens von Ausfuhrbewilligungen, des Verkaufs nur in bestimmte Länder oder an zum voraus bestimmte Personen mit Waffenerwerbsschein. Eine Herausgabe der beschlagnahmten Pistolen unter solchen Weisungen fällt indessen schon deshalb ausser Betracht, weil nach dem Gesagten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc. durch erneuten illegalen Handel mit dem fraglichen Kriegsmaterial, die durch solche Weisungen allenfalls vermindert oder gar beseitigt werden könnte, nicht Voraussetzung für die Einziehung nach
Art. 20 KMG
ist und das Fehlen einer solchen Gefährdung nicht als "besonderer Grund" im Sinne dieser Bestimmung gewertet werden kann. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
9994952e-ad32-4d0f-b2b2-cca69797d7ee | Urteilskopf
115 Ia 311
47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. November 1989 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons A. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 87 OG
; Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid.
1. Überweisungsbeschlüsse in Strafsachen sind Zwischenentscheide im Sinne von
Art. 87 OG
(E. 2a).
2. Die Beschränkung nach
Art. 87 OG
gilt grundsätzlich nicht bei Entscheiden über gerichtsorganisatorische Fragen, die endgültig zu erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann; Fälle, bei denen
Art. 87 OG
dennoch anwendbar ist (E. 2a).
3. Werden neben
Art. 4 BV
weitere Verfassungsrügen erhoben, so tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde nur ein, wenn diese Rügen selbständige Bedeutung haben und nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sind (E. 2b).
4. In der Überweisung einer Strafsache an ein Strafgericht liegt kein nicht wiedergutzumachender Nachteil (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 312
BGE 115 Ia 311 S. 312
Am 12. Januar 1988 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons A. gegen X. Anklage wegen gewerbsmässiger Hehlerei. Am 14. März 1988 liess die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons A. die Anklage zu und überwies X. mit Beschluss vom 9. Mai 1988 dem Geschworenengericht zur Beurteilung.
X. reichte gegen diesen Beschluss Rekurs beim Obergericht des Kantons A. ein und beantragte unter anderem, die Sache sei zur Beurteilung in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts zu überweisen. Das Obergericht wies den Rekurs am 8. Juni 1988 ab.
X. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 und 58 BV
sowie
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
BGE 115 Ia 311 S. 313
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (
BGE 114 Ia 308
;
BGE 113 Ia 394
E. 2).
2.
a) Beim angefochtenen Beschluss des Obergerichts vom 8. Juni 1988 handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid, da das Kassationsgericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten ist. Dieser Obergerichtsentscheid schliesst indessen das kantonale Verfahren nicht ab; die Sache wurde vielmehr in Bestätigung des Beschlusses der Anklagekammer des Obergerichts vom 9. Mai 1988 dem Geschworenengericht zur Beurteilung überwiesen. Es handelt sich somit um einen Zwischenentscheid (
BGE 114 Ia 180
;
BGE 98 Ia 327
f.; unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 28. Januar 1988 i.S. L. c. Obergericht des Kantons Zürich, E. 5). Nach
Art. 87 OG
können letztinstanzliche Zwischenentscheide beim Bundesgericht wegen Verletzung von
Art. 4 BV
nur dann angefochten werden, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Indessen gilt diese Beschränkung nach der Rechtsprechung nicht für alle Entscheide, die im Verlaufe eines Verfahrens ergehen und die äusserlich als Zwischenentscheide zu betrachten sind. Als Ausnahmen werden nach der Praxis Entscheide über gerichtsorganisatorische Fragen betrachtet, die ihrer Natur nach endgültig zu erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann (
BGE 106 Ia 233
E. 3a;
BGE 94 I 201
, je mit Hinweisen). Die direkte Anfechtbarkeit wird zum einen aus Gründen der Prozessökonomie und Zweckmässigkeit und zum andern wegen des wohlverstandenen Interesses der Gegenpartei, dass der Beschwerdeführer sofort handle und nicht den Endentscheid abwarte, begründet (
BGE 94 I 201
). In diesem Sinne fallen beispielsweise Entscheide über die Zusammensetzung des Gerichts und solche über die örtliche und sachliche Zuständigkeit nicht unter
Art. 87 OG
(
BGE 94 I 201
; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 291; PETER LUDWIG, Endentscheid, Zwischenentscheid und Letztinstanzlichkeit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, in ZBJV 110/1974 S. 185). Entscheide, bei denen es um die funktionelle Zuständigkeit geht, zählen nicht zu diesen Ausnahmefällen; für sie ist deshalb
Art. 87 OG
anwendbar (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 5. Dezember 1988 i.S. C., E. 2a). Im vorliegenden Fall geht es um die Frage,
BGE 115 Ia 311 S. 314
welches erstinstanzliche Strafgericht zur Beurteilung einer Strafsache zuständig sein soll: das Geschworenengericht oder das Bezirksgericht. In Fällen dieser Art bestehen keine hinreichenden Gründe, von der Anwendbarkeit von
Art. 87 OG
abzusehen. Die Eintretensfrage richtet sich daher nach dieser Bestimmung (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 15. Juni 1989 i.S. N.).
b) Wie erwähnt, sind staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur zulässig, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben (
Art. 87 OG
). Beschwerden, die sich auf andere verfassungsmässige Rechte oder auf die EMRK (
BGE 106 IV 87
E. b) stützen, sind indessen auch gegen Zwischenentscheide ohne Einschränkung zulässig (
Art. 86 OG
). Werden neben der Verletzung von
Art. 4 BV
noch weitere Beschwerdegründe vorgebracht, so tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde in vollem Umfang ein, allerdings nur dann, wenn die neben einer Verletzung von
Art. 4 BV
geltend gemachte Verfassungsrüge nicht mit der Willkürrüge zusammenfällt, somit selbständige Bedeutung hat, und nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist (
BGE 114 Ia 180
;
BGE 106 Ia 227
E. 1, 231 E. 2a;
BGE 104 Ia 107
E. 2b; Urteil des Bundesgerichts vom 10. März 1982, publiziert in ZBl 83/1982 S. 324 E. 2a; CLAUDE ROUILLER, La protection de l'individu contre l'arbitraire de l'Etat, in ZSR 1987 II S. 378). Der Beschwerdeführer stützt sich neben
Art. 4 BV
auch auf
Art. 58 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Er rügt im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen jedoch nur eine willkürliche Anwendung des kantonalen Strafrechts; der Berufung auf
Art. 58 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
kommt daher keine selbständige Bedeutung zu. Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.
c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
anfechten zu können; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (
BGE 108 Ia 204
E. 1a mit Hinweisen). Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (
BGE 108 Ia 204
E. 1;
BGE 106 Ia 234
).
BGE 115 Ia 311 S. 315
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist im vorliegenden Fall kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im dargelegten Sinn anzunehmen. Das Bundesgericht hat seit dem Urteil
BGE 63 I 313
ff. immer daran festgehalten, dass in der Überweisung einer Strafsache an ein Strafgericht kein solcher Nachteil liege. Der Beurteilung der Schuldfrage wird nicht vorgegriffen; sie bleibt dem Strafrichter vorbehalten. Die vom Beschwerdeführer befürchteten, durch ein gerichtliches Verfahren hervorgerufenen Beeinträchtigungen können zu keinem anderen Ergebnis führen, zumal der Beschwerdeführer nicht dartut, inwieweit ihm dadurch ein Nachteil rechtlicher Natur erwachse. Der Beschwerdeführer bringt auch weiter nichts vor, was geeignet wäre, die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts in Zweifel zu ziehen. So wird denn auch in der Literatur die Rechtsprechung in bezug auf Überweisungsbeschlüsse in keiner Weise kritisiert (vgl. WALTER KÄLIN, a.a.O., S. 293; PETER LUDWIG, a.a.O., S. 170 f. und 183). Demnach ist auch im vorliegenden Fall im Umstand, dass die Anklage zugelassen und die Strafsache des Beschwerdeführers an das Geschworenengericht überwiesen worden ist, kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von
Art. 87 OG
zu erblicken. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
99958542-6194-4b62-b623-7fa313579361 | Urteilskopf
97 III 89
21. Entscheid vom 2. Dezember 1971 i.S. Konkursmasse der Karl Camenzind AG und Schaufelbühl. | Regeste
Grundstückverwertung im Konkurs und im Pfandverwertungsverfahren. Aufhebung des Zuschlags wegen Nichtigkeit einer wesentlichen Bestimmung des Lastenverzeichnisses.
1. Legitimation der Konkursverwaltung zum Rekurs gegen einen Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, der auf Beschwerde des Ersteigerers (
Art. 136 bis SchKG
) den Zuschlag eines zur Masse gehörenden Grundstücks aufhebt (
Art. 240 SchKG
). Rekurslegitimation des Konkursbeamten persönlich? (Erw. 1).
2. Beginn der Frist für die Beschwerde gegen den Zuschlag (
Art. 17 Abs. 2 SchKG
; Erw. 2). Aufhebung nichtiger Verfügungen von Amtes wegen (Erw. 2, 9).
3. Ungültigkeit eines Zuschlags, der dem Ersteigerer das Eigentum an den im Lastenverzeichnis als Zugehör des Grundstücks bezeichneten, für dessen Benützung wesentlichen Vorrichtungen im Boden eines in einem andern Verfahren verwerteten Nachbargrundstücks nicht verschafft (Erw. 3).
4. Voraussetzungen, unter denen der Ersteigerer eines Grundstücks mit dem Zuschlag diesem Grundstück dienende, im Nachbargrundstück liegende Vorrichtungen (zu einer Tanksäule gehörende Benzin- und Öltanks mit den zur Tanksäule führenden Leitungen) zu Eigentum erwirbt (Überbaurecht;
Art. 674 ZGB
; Erw. 4).
5. Voraussetzungen der Entstehung einer Grunddienstbarkeit bei der Zwangsvollstreckung (Art. 731 Abs. 2, 656 Abs. 2 ZGB). Welche Dienstbarkeiten gehören ins Lastenverzeichnis? (
Art. 140 Abs. 1 und 156 SchKG
,
Art. 34 lit. b, 102 und 125 VZG
). Der mit der Zwangsverwertung eines Grundstücks betraute Beamte ist nicht befugt, im Lastenverzeichnis von sich aus die Errichtung einer neuen Dienstbarkeit zulasten dieses Grundstücks vorzusehen. Einesolche Bestimmung ist wegen Überschreitung der sachlichen Zuständigkeit des Beamten schlechthin nichtig, kann nicht rechtskräftig werden und nicht die Grundlage für die Entstehung der Dienstbarkeit auf dem Wege der Zwangsvollstreckung abgeben (Erw. 5).
6. Auswirkungen der Nichtigkeit einer solchen Bestimmung auf den Zuschlag des "berechtigten" Grundstücks (Erw. 6) und auf den übrigen Inhalt des Lastenverzeichnisses (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 97 III 89 S. 91
A.-
Am 31. Dezember 1963 verkauften Karl und Josef Camenzind als Gesamteigentümer des Grundstücks IR (Interimsregister) Berikon Nr. 560 eine von diesem Grundstück abgetrennte Parzelle von 6,03 a (das neue Grundstück IR Nr. 1318) mit der darauf stehenden Autoreparaturwerkstätte und Tankstelle (Gebäude Nr. 371) zu Fr. 10'000.-- an die Karl Camenzind AG. Bei diesem Verkauf wurde den Verkäufern ein Grenzbaurecht für das Wohnhaus mit Werkstatt (Gebäude Nr. 213) auf Grundstück Nr. 560, der Käuferin ein Näherbau- und ein Grenzbaurecht für die Reparaturwerkstätte und die Tankstelle auf Grundstück Nr. 1318 eingeräumt. Die Rechte an den zum Betrieb der Tankstelle nötigen Benzin- und Öltanks, die mindestens zum Teil im Boden des (Rest-) Grundstücks Nr. 560 liegen, sowie an den zur Tankstelle führenden Benzin- und Ölleitungen wurden damals nicht geordnet. Das
BGE 97 III 89 S. 92
geschah auch nicht, als im Jahre 1966 bei einer neuen Teilung des Grundstücks Nr. 560 das diese Nummer behaltende Stück im Umfang von 18 a, in welchem sich die eben erwähnten Tanks und Leitungen befinden, ins Alleineigentum von Karl Camenzind überging.
B.-
Am 4. Dezember 1969 wurde über die Karl Camenzind AG der Konkurs eröffnet. Als Konkursverwaltung amtet das Konkursamt Bremgarten. Gegen Karl Camenzind persönlich (dessen Konkurs mangels Aktiven eingestellt werden musste) leitete der Gläubiger des das Grundstück Nr. 560 im 1. Rang belastenden Schuldbriefs über Fr. 65'000.-- beim Betreibungsamt Berikon Grundpfandbetreibung ein. Für das Konkursamt Bremgarten und für das Betreibungsamt Berikon handelt in dieser Sache der Konkursbeamte Traugott Schaufelbühl.
Das - von keiner Seite angefochtene - Lastenverzeichnis für das im Konkurs zu verwertende Grundstück Nr. 1318 enthält im Abschnitt "Beschreibung der Grundstücke (inkl. Berechtigungen) und der Zugehör, Schätzungen" u.a. die Bemerkungen:
"Als Zugehör zur Autoreparaturwerkstätte und Tankstelle wird zusätzlich aufgenommen und verfügt:
Die Tanksäule nebst Zubehör mit Tankraum für Benzin und Dieselöl und Zuleitungsanschlüssen kompl., auch soweit solche im Nachbargrundstück verlegt sind, oder dieses auch nur berühren sollten."
... In dem auf die Liegenschaftsbeschreibung und den Abschnitt für die grundversicherten Forderungen folgenden Abschnitt "Andere Lasten" führt das Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 1318 neben einem Bauverbot zugunsten der Gemeinde nur das Grenz- und Näherbaurecht zulasten von Grundstück Nr. 560 und das Grenzbaurecht zugunsten dieses Grundstücks auf.
Im Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 560, das ebenfalls nicht angefochten wurde, findet sich unter "Beschrieb und Schätzung des Grundstückes und der Zugehör" u.a. die Bemerkung:
"Die Tanksäule nebst Zugehör und die im Boden verlegten Benzin- und Öl-Tanks, welche zur Nachbarliegenschaft Nr. 371, IR Berikon Nr. 1318 zu Eigentum gehören, befinden sich zum Teil auch im Grundeigentum von IR Berikon Nr. 560 und dieser bestehende Zustand muss vernunftsgemäss so belassen werden, wobei der jetzige
BGE 97 III 89 S. 93
Eigentümer und dessen Rechtsnachfolger zugunsten von IR Berikon Nr. 1318 ein entsprechendes Recht einräumen lassen:
Last: Tanksäule für Benzin und Dieselöl mit entsprechenden im Boden verlegten Tanks und nötigen Zuleitungen und Einfüllschacht."
... Im Abschnitt "Andere Lasten" werden das Grenz- und Näherbaurecht zugunsten von Nr. 1318 und das Grenzbaurecht zulasten von Nr. 1318 sowie zwei weitere, hier nicht interessierende Dienstbarkeiten erwähnt.
Auf Grund der für jedes Grundstück aufgestellten, innert gesetzlicher Frist nicht angefochtenen Steigerungsbedingungen, die je auf das zugehörige Lastenverzeichnis verwiesen, wurde am 3. Dezember 1970 zuerst das Grundstück Nr. 1318, hierauf das Grundstück Nr. 560 versteigert. Das mit Grundpfandschulden von insgesamt Fr. 602'750.-- belastete Grundstück Nr. 1318 wurde zu Fr. 100'000.-- Josef Camenzind, dem Bruder Karl Camenzinds, zugeschlagen, das mit insgesamt Fr. 619'980.-- belastete Grundstück Nr. 560 zu Fr. 287'000.-- Frau Margit Camenzind, der Ehefrau des Karl Camenzind.
C.-
Am 30. Dezember 1970 meldete der Konkurs- und Betreibungsbeamte die mit den Steigerungszuschlägen erfolgten Handänderungen und die Grunddienstbarkeit, die dem jeweiligen Eigentümer von Grundstück Nr. 1318 das in den Lastenverzeichnissen vorgesehene dingliche Recht auf die im Grundstück Nr. 560 liegenden Benzin- und Öltanks mit den nötigen Leitungen und Einfüllschächten sichern sollte, zur Eintragung ins Grundbuch an. Das Grundbuchamt Bremgarten teilte dem Konkurs- und Betreibungsbeamten schon am folgenden Tage telephonisch mit, es habe Bedenken gegen die verlangten Eintragungen, weil auf dem eingeschlagenen Wege eine Grunddienstbarkeit nicht errichtet werden könne. Nach einer Erkundigung auf dem Grundbuchamt schrieb Josef Camenzind dem Konkurs- und Betreibungsbeamten am 5. Januar 1971, dieser solle bis zum 10. Januar 1971 das für die Eintragung nötige Einverständnis der Frau Margit Camenzind zu einem Dienstbarkeitsvertrag einholen; bei Nichteinhaltung dieses Termins müsse er (Josef Camenzind) die Annahme der ihm zugeschlagenen Liegenschaft verweigern, weil ein für ihn wesentlicher Bestandteil der Steigerungsbedingungen nicht erfüllt worden sei. Hierauf richtete der Konkurs- und Betreibungsbeamte am 6. Januar 1971 an Josef Camenzind und Frau Camenzind ein Schreiben, worin er u.a. betonte, die beiden - über die
BGE 97 III 89 S. 94
Servitutsverhältnisse genauestens orientierten - Ersteigerer könnten sich nicht auf einen Irrtum berufen; die Nichterfüllung des Kaufs verstiesse gegen Treu und Glauben; die Beschaffung des vom Grundbuchamt verlangten Dienstbarkeitsvertrags sei nicht Sache des Konkurs- bzw. Betreibungsamts; Josef Camenzind werde aufgefordert, bis zum 12. Januar 1971 entweder auf die Eintragung der Dienstbarkeit zu verzichten oder einen unterzeichneten Dienstbarkeitsvertrag vorzulegen; sollte weder das eine noch das andere geschehen, müsste das Grundbuchamt die Anmeldungen endgültig abweisen und müssten neue Steigerungen angesetzt werden. Während Frau Camenzind erklären liess, sie sei bereit, die ihr Grundstück belastende Dienstbarkeit zu akzeptieren, welche Bereitschaft sie aber nach der (von ihr freilich bestrittenen) Darstellung des Konkurs- und Betreibungsbeamten von einer finanziellen Leistung abhängig gemacht hatte, wies Josef Camenzind das Ansinnen des Konkurs- und Betreibungsbeamten zurück. Am 25. Januar 1971 wies darauf das Grundbuchamt die beiden Anmeldungen vom 30. Dezember 1070 ab, weil die Begründung der Dienstbarkeit, die einen wesentlichen Teil der Steigerungsbedingungen gebildet habe, nicht in die Zuständigkeit des mit der Zwangsverwertung der Grundstücke betrauten Amts falle.
D.-
Am 28. Januar 1971 entschloss sich der Konkurs- und Betreibungsbeamte, den durch die Steigerungszuschläge bewirkten Eigentumsübergang auf die Ersteigerer ohne die streitige Grunddienstbarkeit zur Eintragung ins Grundbuch anzumelden, was er Josef Camenzind mit Schreiben vom gleichen Tage mitteilte. Das Grundbuchamt Bremgarten fand diese neuen Anmeldungen formell in Ordnung, vollzog die verlangten Eintragungen und zeigte das am 2. Februar 1971 den Ersteigerern und dem anmeldenden Beamten an.
Hierauf führte Josef Camenzind am 8. Februar 1971 gegen das Konkursamt Beschwerde mit den Anträgen, der am 3. Dezember 1970 erfolgte Zuschlag des Grundstücks Nr. 1318 an ihn sei als nichtig aufzuheben und es sei das Amt zur Wiederholung der Steigerung zu veranlassen; die vom Konkursamt am 28. Januar 1971 vorgenommene Anmeldung der Handänderung des Grundstücks Nr. 1318 sei als nichtig, eventuell als anfechtbar aufzuheben. Er machte im wesentlichen geltend, der angefochtene Zuschlag leide an einem schweren Verfahrensmangel, weil er ihm nicht die im Lastenverzeichnis umschriebenen
BGE 97 III 89 S. 95
Rechte verschaffe; es gehe nicht an, einen solchen Zuschlag, wie mit der Anmeldung vom 28. Januar 1971 geschehen, als teilweise gültig zu behandeln.
Mit einer weitern, gegen das Grundbuchamt gerichteten Beschwerde verlangte Josef Camenzind die Aufhebung der Eintragung des Übergangs des Grundstücks Nr. 1318 in sein Eigentum. Das Departement des Innern des Kantons Aargau wies diese Beschwerde am 18. März 1971 "zur Zeit" ab und ordnete an, über die betroffenen Grundstücke dürfe erst verfügt werden, wenn über die Beschwerde gegen das Konkursamt rechtskräftig entschieden sei.
Die untere Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs wies die Beschwerde Josef Camenzinds gegen das Konkursamt am 8. Juli 1971 ab. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde, an die der Beschwerdeführer rekurrierte, hat dagegen mit Entscheid vom 24. September 1971 den am 3. Dezember 1970 erteilten Zuschlag des Grundstücks Nr. 1318 an den Beschwerdeführer und die dieses Grundstück betreffende Grundbuchanmeldung vom 28. Januar 1971 aufgehoben und das Konkursamt angewiesen, "im Sinne der Erwägungen eine neuerliche Steigerung des Grundstückes IR Berikon Nr. 1318 anzuordnen und durchzuführen". Sie erachtete den Zuschlag, der auf einem in einem wesentlichen Punkt unrichtigen Lastenverzeichnis basiere, als nichtig, was zur Folge habe, dass die Grundlage für die Anmeldung der Handänderung beim Grundbuchamt entfalle und die Versteigerung wiederholt werden müsse...
E.-
Gegen den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs hat der Konkursbeamte Schaufelbühl namens der Konkursmasse der Karl Camenzind AG und im eigenen Namen an das Bundesgericht rekurriert mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde des Josef Camenzind gegen das Konkursamt Bremgarten.
Dem Rekurs wurde am 29. Oktober 1971 aufschiebende Wirkung erteilt.
Am 13. November 1971 teilte der Konkursbeamte der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer mit, die Brüder Camenzind und Frau Camenzind hätten die Liegenschaft Nr. 560 samt der Tanksäule und dem Waschraum auf Nr. 1318 einem Dritten vermietet.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
BGE 97 III 89 S. 96
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Als Konkursverwaltung hat das Konkursamt die Interessen der Masse zu wahren. Es ist daher legitimiert, den diese Interessen berührenden Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde im Namen der Masse an das Bundesgericht weiterzuziehen (
BGE 96 III 107
Erw. 1,
BGE 85 III 91
/92 Erw. 1 mit Hinweisen). Ob der Konkursbeamte, der die Erhebung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegen ihn vermeiden möchte, auch persönlich zum Rekurs legitimiert sei, ist zweifelhaft, da es nicht Aufgabe des Beschwerde- und Rekursverfahrens ist, die Rechtslage im Hmblick auf allfällige Ansprüche dieser Art klarzustellen (vgl.
BGE 91 III 46
Erw. 7 mit Hinweisen). Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da der Rekurs ohnehin materiell beurteilt werden muss.
2.
Die Vorinstanz ist der Meinung, Josef Camenzind habe seine Beschwerde, die am 8. Februar 1971 der Post übergeben wurde, innert der zehntägigen Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
eingereicht; er habe nämlich keinen Anlass zur Beschwerdeführung gehabt, solange er habe annehmen dürfen, das Konkursamt werde gemäss seinem Schreiben vom 6. Januar 1971 beim Ausbleiben einer schriftlichen Vereinbarung über die streitige Dienstbarkeit oder eines Verzichts auf diese eine neue Steigerung anordnen; erst durch das Schreiben des Amtes vom 28. Januar 1971, das er am folgenden Tag erhalten haben müsse, habe er erfahren, dass keine neue Steigerung stattfinden werde, sondern dass das Konkursamt dem Grundbuchamt die Handänderung ohne die Dienstbarkeit angemeldet hatte. Ob die zehntägige Frist zur Beschwerde gegen den Steigerungszuschlag (
Art. 17 Abs. 2, 136 bis SchKG
) in einem solchen Falle ähnlich wie dann, wenn der Zuschlag wegen unerlaubter oder gegen die guten Sitten verstossender Machenschaften oder wegen eines nicht voraussehbaren Verfahrensfehlers angefochten wird (vgl. hiezu
BGE 47 III 131
ff. Erw. 1,
BGE 70 III 11
ff. Erw. 1), nicht vom Steigerungstage, sondern erst von einem spätern Zeitpunkt an laufe, kann dahingestellt bleiben, wenn mit der Vorinstanz anzunehmen ist, der am 3. Dezember 1970 erfolgte Zuschlag des Grundstücks Nr. 1318 an Josef Camenzind sei schlechthin nichtig; denn in diesem Falle ist der Zuschlag ohne Rücksicht darauf, ob die Beschwerdefrist eingehalten wurde, von Amtes wegen aufzuheben. Der in
BGE 73 III 26
ausgesprochene
BGE 97 III 89 S. 97
Grundsatz, dass es den Aufsichtsbehörden mit Rücksicht auf den Erwerber nicht gestattet ist, einen Steigerungszuschlag wegen eines nicht vom Erwerber zu verantwortenden Verfahrensfehlers mehr als ein Jahr nach der Steigerung aufzuheben, greift im vorliegenden Falle schon deshalb nicht ein, weil hier der Erwerber selbst die Aufhebung verlangt. Dass der streitige Steigerungszuschlag nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, was seine Ungültigerklärung ausschlösse (vgl.
BGE 94 III 71
Mitte mit Hinweisen,
BGE 96 III 105
), ist auf Grund der vorliegenden Akten nicht anzunehmen.
3.
Das Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 1318 bezeichnet die Tanks und Leitungen im Nachbargrundstück Nr. 560 als Zugehör der Autoreparaturwerkstätte und Tankstelle auf Nr. 1318. Josef Camenzind durfte also auf Grund des Lastenverzeichnisses und der darauf verweisenden Steigerungsbedingungen erwarten, dass er mit dem Zuschlag des Grundstücks Nr. 1318 auch das Eigentum an den - für den Betrieb der Tankstelle unentbehrlichen - Tanks und Leitungen im Grundstück Nr. 560 erwerbe. Hieran ändert nichts, dass er wusste, dass eine das Recht auf diese Vorrichtungen gewährende Dienstbarkeit bis anhin nicht bestanden hatte. Er musste als juristischer Laie nicht damit rechnen, dass das Lastenverzeichnis etwas rechtlich nicht Zulässiges vorsehe. Ergibt sich, dass ihm der Zuschlag das Eigentum an den erwähnten Vorrichtungen nicht verschaffen konnte, so leidet der Zuschlag folglich an einem Mangel, der ihn ungültig macht. Hat dagegen Josef Camenzind mit dem Zuschlag das Eigentum an diesen Vorrichtungen erworben, so muss er den Zuschlag gegen sich gelten lassen.
Für den Entscheid darüber, ob Josef Camenzind ein dingliches Recht an den fraglichen Vorrichtungen erworben habe, ist nicht massgebend, wie die Grundbuchbehörden die Grundbuchanmeldungen des Konkursamtes behandelt haben; denn bei der Zwangsvollstreckung erfolgt der Rechtserwerb unabhängig von der Eintragung im Grundbuch mit dem Zuschlag (Art. 656 Abs. 2, 731 Abs. 2 ZGB).
4.
Die kantonale Aufsichtsbehörde in Grundbuchsachen vertrat in ihrer Verfügung vom 18. März 1971 die Auffassung, die fraglichen Tankanlagen und Leitungen seien im Sinne von
Art. 676 ZGB
Zugehör der Autoreparaturwerkstätte (und damit des Grundstücks Nr. 1318, auf dem diese steht); daher
BGE 97 III 89 S. 98
gelte Nachbarrecht gemäss Art. 681 ff. (gemeint offenbar: 691 ff.) ZGB, so dass das dingliche Recht auf diese Anlagen ohne Eintragung als Dienstbarkeit habe entstehen können. Bei der Autoreparaturwerkstätte handelt es sich jedoch kaum um ein Werk, bei den Tanks im Nachbargrundstück kaum um Leitungen im Sinne des
Art. 676 ZGB
. (Zum Begriff der Zugehör im Sinne von
Art. 676 ZGB
vgl. im übrigen
BGE 97 II 40
.) Auf jeden Fall aber kann der Eigentümer der Autoreparaturwerkstätte seinen Anspruch auf diese Vorrichtungen nicht auf
Art. 691 ff. ZGB
stützen; das schon deswegen nicht, weil es sich dabei offensichtlich nicht um Durchleitungen im Sinne dieser Bestimmungen handelt. Dass diese Vorrichtungen dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 1318 gehören und folglich von Josef Camenzind mit diesem Grundstück erworben wurden, kann vielmehr nur angenommen werden, wenn zugunsten dieses Grundstücks eine Dienstbarkeit besteht, die dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 1318 ein dingliches Recht auf den Bestand der fraglichen Vorrichtungen verleiht (
Art. 674 Abs. 1 und 2 ZGB
; Überbaudienstbarkeit). Sonst haben diese Vorrichtungen als Bestandteile des Grundstücks Nr. 560 zu gelten, in dessen Boden sie versenkt sind (
Art. 642, 667 ZGB
). Zugehör des Grundstücks Nr. 1318 im Sinne von
Art. 644 ZGB
können diese Vorrichtungen nicht sein, weil sie keine beweglichen Sachen sind (
Art. 644 Abs. 2 ZGB
).
Nach
Art. 674 Abs. 3 ZGB
besteht unter den dort genannten Voraussetzungen freilich ein Anspruch auf Zuweisung des dinglichen Rechts auf den Überbau (oder des Eigentums am Boden) gegen angemessene Entschädigung. Dieser Anspruch, der den Charakter einer Realobligation hat (MEIER-HAYOZ, 4. Aufl., Systemat. Teil, N. 157, und 3. Aufl., N. 52 ff. und 73 zu
Art. 674 ZGB
), kann nach
BGE 78 II 131
ff. auch dann bestehen, wenn beide Grundstücke bei Erstellung der die Grenze überschreitenden Baute oder Vorrichtung dem gleichen Eigentümer gehörten und erst später in verschiedene Hände gelangten. Dem Eigentümer des Grundstückes, von dem die überragende Baute oder Vorrichtung ausgeht, kann in einem solchen Fall das dingliche Recht auf den Überbau (oder das Eigentum am Boden) gegen angemessene Entschädigung zugewiesen werden, wenn die Umstände es rechtfertigen (
BGE 78 II 136
oben). Josef Camenzind braucht sich jedoch mit dem so umschriebenen Anspruch nicht zu begnügen, nachdem das
BGE 97 III 89 S. 99
Lastenverzeichnis die fraglichen Vorrichtungen vorbehaltlos als Zugehör des von ihm ersteigerten Grundstücks bezeichnet hatte. Dabei bliebe es auch dann, wenn man für möglich halten wollte, dass ihm der Richter das dingliche Recht auf den Überbau im Hinblick auf die besondern Umstände des Falles entschädigungslos einräumen könnte (vgl. hiezu LEEMANN, 2. Aufl., N. 10 zu
Art. 674 ZGB
, und MEIER-HAYOZ, 3. Aufl., N. 15 zu
Art. 674 ZGB
, wo "Erwerber des überbauten Grundstücks" statt "Erwerber des überbauenden Grundstücks" zu lesen ist; gegen die Zulassung von Ausnahmen von der Entschädigungspflicht ein Entscheid des luzernischen Obergerichts vom 5. November 1953, SJZ 1956 S. 50 Nr. 30 = Maximen X Nr. 170, unter Hinweis auf
BGE 44 II 467
ff. und
BGE 78 II 139
Erw. 8). Wie der Richter die Entschädigungsfrage beurteilen würde, lässt sich nicht sicher voraussehen.
5.
Eine Grunddienstbarkeit, wie sie nötig wäre, um die Tanks und Leitungen im Grundstück Nr. 560 zu Bestandteilen des Grundstücks Nr. 1318 zu machen und damit dem Eigentümer dieses Grundstücks das Eigentum anjenen Vorrichtungen zu verschaffen, war von den Eigentümern der beiden Grundstücke vor deren Versteigerung nicht errichtet worden. Die Brüder Camenzind hatten es bei den von ihnen vorgenommenen Grundstücksteilungen unvorsichtigerweise unterlassen, die Rechte an jenen Vorrichtungen zu ordnen. Ein Dienstbarkeitsvertrag wurde auch später nicht abgeschlossen. Es kann sich daher nur noch fragen, ob eine Dienstbarkeit der erwähnten Art mit der Versteigerung der beiden Grundstücke entstanden sei.
a) Nach dem bereits angeführten
Art. 656 Abs. 2 ZGB
erlangt im Falle der Zwangsvollstreckung der Erwerber das Eigentum schon vor der Eintragung im Grundbuch mit dem Steigerungzuschlag. Dieser Grundsatz gilt nach
Art. 731 Abs. 2 ZGB
mangels einer abweichenden Regelung für den Erwerb einer Grunddienstbarkeit entsprechend. Es ist also grundsätzlich möglich, dass bei der Zwangsverwertung eines Grundstücks mit dem Steigerungszuschlag eine Grunddienstbarkeit entsteht, die vorher nicht bestanden hatte, aber in dem - die Grundlage der Versteigerung bildenden - rechtskräftigen Lastenverzeichnis aufgeführt war (LIVER, N. 41 zu
Art. 731 ZGB
; im gleichen Sinne auch schon LEEMANN, Die Bedeutung der Lastenbereinigung bei der Zwangsverwertung von Grundstücken,
BGE 97 III 89 S. 100
SJZ 18, 1921/22, S. 38 a.E., sowie HOLLIGER, Die Lastenbereinigung in der Spezialexekution, BlSchK 1952 S. 14 lit. c).
b) Ins Lastenverzeichnis aufzunehmen sind die Dienstbarkeiten, die das zu verwertende Grundstück belasten (
Art. 140 Abs. 1 und
Art. 156 SchKG
,
Art. 34 lit. b, 102 und 125 VZG
). Nur solche Dienstbarkeiten können Gegenstand der Bereinigung der dieses Grundstück treffenden Lasten sein. Soweit im Lastenverzeichnis Grunddienstbarkeiten zugunsten des zu verwertenden Grundstücks aufgeführt werden, wie das in den vorliegenden Lastenverzeichnissen hinsichtlich der Grenz- und Näherbaurechte geschehen ist, handelt es sich der Sache nach nur um beschreibende Angaben, die nicht Gegenstand des Lastenbereinigungsverfahrens sein und an der Rechtskraft des Lastenverzeichnisses nicht teilnehmen können. Dementsprechend können infolge der Zwangsverwertung eines Grundstücks nur solche Dienstbarkeiten entstehen, die in dem für das fragliche Verfahren erstellten Lastenverzeichnis als Lasten aufgeführt sind (vgl. LIVER, LEEMANN und HOLLIGER a.a.O.). Grunddienstbarkeiten zugunsten des verwerteten Grundstücks und zulasten eines andern, vom betreffenden Verfahren nicht erfassten Grundstücks können mit dem Zuschlag bei der Zwangsversteigerung nicht entstehen (in diesem Sinne auch LIVER, N. 42 zu
Art. 731 ZGB
). Die streitige Überbaudienstbarkeit kann also - wenn überhaupt - nur im Zusammenhang mit der Zwangsverwertung des Grundstücks Nr. 560, das sie belasten soll, entstanden sein.
c) Der Fall, dass zulasten eines zwangsweise verwerteten Grundstücks mit dem Zuschlag eine neue Dienstbarkeit entsteht, kann eintreten, wenn eine im Grundbuchauszug aufgeführte oder eine von einem Ansprecher angemeldete und vom Betreibungsamt gemäss
Art. 34 lit. b und 36 Abs. 2 VZG
ins Lastenverzeichnis aufgenommene bzw. von der Konkursverwaltung im Kollokationsverfahren (vgl.
Art. 125 Abs. 2 VZG
) anerkannte Dienstbarkeit in Wirklichkeit nicht besteht, aber im Lastenbereinigungs- bzw. Kollokationsverfahren nicht bestritten wird, so dass das Lastenverzeichnis in diesem Punkte rechtskräftig wird (vgl. den nicht veröffentlichten Entscheid vom 22. August 1968 i.S. Dobler, wo das unangefochtene Lastenverzeichnis ein erloschenes Kaufrecht als Last aufführte). Solche Dienstbarkeiten hat das Amt, das die Zwangsverwertung
BGE 97 III 89 S. 101
durchführt, mit dem Zuschlag zur Eintragung ins Grundbuch anzumelden (vgl. Art. 68 Abs. 2, 102 und 130 Abs. 1 VZG).
d) Die streitige Überbaudienstbarkeit war zur Zeit der Erstellung des Lastenverzeichnisses für das Grundstück Nr. 560 weder im Grundbuch eingetragen, noch hatte die Eigentümerin des Grundstücks Nr. 1318, dem sie dienen soll, bzw. die für deren Konkursmasse handelnde Konkursverwaltung sie auf die Ausschreibung hin, die im Pfandverwertungsverfahren gemäss
Art. 138 und 156 SchKG
erfolgt war, als das Grundstück Nr. 560 treffende Last angemeldet. Vielmehr hat der die Pfandverwertung durchführende Beamte im Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 560 von sich aus verfügt, dass der jetzige Eigentümer von Nr. 560 und dessen Rechtsnachfolger zugunsten von Grundstück Nr. 1318 die Last übernehmen, hinsichtlich der Tanksäule mit den im Boden versenkten Tanks und Zuleitungen und mit dem Einfüllschacht den bestehenden Zustand weiterhin zu dulden.
Mit dieser Anordnung hat der Beamte offensichtlich den Rahmen seiner sachlichen Zuständigkeit überschritten. Die Errichtung neuer Belastungen gehört unzweifelhaft nicht zur Verwaltung, Bewirtschaftung und Verwertung des Grundstücks, die dem Betreibungsbeamten in der Betreibung auf Pfandverwertung obliegen (Art. 102 Abs. 3, 133 ff., 155 Abs. 1 und 156 SchKG, Art. 16 ff., 28 Abs. 2, 29 ff., 101 und 102 VZG). Es kann schlechterdings nicht Sache des Betreibungsbeamten sein, zulasten des von ihm als Pfand zu verwertenden Grundstücks eine Dienstbarkeit zu errichten; das auch dann nicht, wenn diese Dienstsbarkeit einem Grundstück zugute kommen soll, das in einem andern Verfahren von ihm ebenfalls zu verwerten ist, und wenn der Eigentümer dieses andern Grundstücks die Errichtung der Dienstbarkeit auf Grund des Gesetzes hätte verlangen können. Es wäre freilich - wie schon angedeutet - zweckmässig gewesen, wenn die Eigentümer der beteiligten Grundstücke zu einer Zeit, da sie über ihre Grundstücke noch frei verfügen konnten, eine solche Dienstbarkeit errichtet hätten. Der Vollstreckungsbeamte ist jedoch nicht befugt, das nachzuholen, was die Eigentümer vernünftigerweise hätten tun sollen, aber eben versäumt haben. Durch eine solche Anordnung könnten die Gläubiger von das Grundstück Nr. 560 belastenden Pfandrechten zugunsten der Konkursgläubiger der Karl Camenzind AG benachteiligt werden.
BGE 97 III 89 S. 102
Verfügungen, mit denen das Amt offensichtlich seine sachliche Zuständigkeit überschreitet, sind schlechthin nichtig (
BGE 30 I 183
= Sep.ausg. 7 S. 39;
BGE 50 III 3
/4,
BGE 52 III 11
Nr. 3,
BGE 76 III 50
,
BGE 79 III 6
Nr. 2; JAEGER, N. 9 zu
Art. 17 SchKG
; IMBODEN, Nichtige Betreibungshandlungen, BlSchK 1944 S. 135; B. WEISS, Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und Widerruf von Betreibungshandlungen, Zürcher Diss. 1957, S. 20, 24; SCHWANDER Nichtige Betreibungshandlungen, BlSchK 1954 S. 9). Das Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 560 konnte daher mit Bezug auf das darin vorgesehene Überbaurecht zugunsten des Grundstücks Nr. 1318 nicht rechtskräftig werden und deshalb nicht die Grundlage für die Entstehung einer solchen Dienstbarkeit auf dem Wege der Zwangsvollstreckung abgeben.
Die Annahme, das Lastenverzeichnis sei in diesem Punkte mangels einer Bestreitung rechtskräftig geworden, verbietet sich um so eher, als das Betreibungsamt die Dienstbarkeit, die der Ersteigerer nach seiner Ansicht auf sich nehmen und mit der die Grundpfandgläubiger sich nach seiner Meinung abfinden sollten, nicht in dem für die Dienstbarkeiten, Vormerkungen usw. bestimmten Abschnitt des Lastenverzeichnisses (unter "B. Andere Lasten"), sondern nur in dem der Grundstücksbeschreibung gewidmeten Abschnitt aufführte. Durch die in diesem Abschnitt enthaltene Bemerkung wurden die Grundpfandgläubiger nicht mit der gebotenen Klarheit auf die fragliche Last, deren Bestand den Steigerungspreis zu ihren Ungunsten beeinflussen konnte, aufmerksam gemacht. Sie wurden damit in ihrem Rechte beeinträchtigt, sich gegen die vorgesehene Belastung durch Bestreitung (
Art. 140 Abs. 2 und 156 SchKG
) oder durch Beschwerde zu wehren oder allenfalls den doppelten Aufruf (
Art. 142 und 156 SchKG
) zu verlangen.
6.
Da die Bestimmungen des Lastenverzeichnisses für das Grundstück Nr. 560 über die Einräumung eines Überbaurechts zugunsten des Grundstücks Nr. 1318 nichtig sind, nicht rechtskräftig werden und folglich nicht die Grundlage für die Entstehung jenes Rechts durch den Zuschlag des Grundstücks Nr. 560 im Pfandverwertungsverfahren bilden konnten, erweist sich auch das Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 1318 als nichtig, soweit es vorsieht, dass der Ersteigerer dieses Grundstücks zusammen mit diesem auch die zur Tanksäule gehörenden Vorrichtungen im Nachbargrundstück erwerbe; denn diese Rechtsfolge hätte nur eintreten können, wenn der Ersteigerer
BGE 97 III 89 S. 103
des Grundstücks Nr. 560 die im Lastenverzeichnis für dieses Grundstück vorgesehene Überbaudienstbarkeit hätte auf sich nehmen müssen (Erw. 4 hiervor). Ist das Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 1318, das die Grundlage für die Versteigerung dieses Grundstücks bildete, im erwähnten - gemäss Erwägung 3 hievor für den Ersteigerer wesentlichen - Punkte nichtig, so leidet auch der Zuschlag dieses Grundstücks am gleichen Mangel. Die Vorinstanz hat daher diesen Zuschlag und die darauf beruhende Grundbuchanmeldung zu Recht aufgehoben und eine neue Steigerung des Grundstücks Nr. 1318 im Konkurs der Karl Camenzind AG angeordnet.
Angesichts der Nichtigkeit des Zuschlags kann dahingestellt bleiben, ob die Vermietung des Grundstücks Nr. 560 und der Tanksäule sowie des Waschraums auf Nr. 1318, von der im Schreiben des Konkursamtes vom 13. November 1971 die Rede ist, als Genehmigung des Steigerungszuschlags und der zweiten Grundbuchanmeldung durch Josef Camenzind gedeutet werden könnte und ob die vom Konkursamt neu vorgebrachten Tatsachen im vorliegenden Rekursverfahren überhaupt gehört werden können (was mindestens zweifelhaft ist; vgl.
Art. 79 Abs. 1 OG
). Eine schlechthin nichtige Verfügung kann nämlich durch nachträgliche Genehmigung nicht gültig werden. (Allein schon aus diesem Grunde kann auch nichts darauf ankommen, dass jeder der beiden Ersteigerer das Steigerungsprotokoll für die von ihm ersteigerte Liegenschaft unterzeichnet hat.)
7.
Die Nichtigkeit der Bestimmung über die "Zugehör"-Eigenschaft der Tanks und Leitungen im Grundstück Nr. 560 zieht nicht die Nichtigkeit des ganzen Lastenverzeichnisses für das Grundstück Nr. 1318 nach sich. Zwischen dieser Bestimmung einerseits und den Angaben über die Grundpfandrechte und die sonstigen Lasten anderseits besteht kein innerer Zusammenhang. Das Lastenbereinigungsverfahren über die Grundpfandrechte und sonstigen Lasten konnte durch die nichtige Bestimmung über die Zugehörigkeit der Tanks und Leitungen zum Grundstück Nr. 1318 nicht beeinflusst werden. Abgesehen von der erwähnten nichtigen Bestimmung wurde das Lastenverzeichnis also mit dem unbenützten Ablauf der Frist für die Anfechtung des Kollokationsplans im Konkurs der Karl Camenzind AG, dessen Bestandteil es ist, rechtskräftig (
Art. 20 Abs. 2 OR
analog). Insoweit ist es daher gemäss
Art. 65 und 130 Abs. 1 VZG
grundsätzlich auch für die zweite Steigerung massgebend.
BGE 97 III 89 S. 104
An die Stelle der nichtigen Bestimmung kann die Bemerkung treten, dem Ersteigerer bleibe es vorbehalten, den Anspruch aus
Art. 674 Abs. 3 ZGB
auf Zuweisung eines den Fortbestand der Tankanlage und der Zuleitungen sowie des Einfüllschachtes gewährleistenden dinglichen Rechts auf eigenes Risiko geltend zu machen (zur Frage, gegen wen dieser Anspruch zu richten ist, vgl. MEIER-HAYOZ, 3. Aufl., N. 75 zu
Art. 674 ZGB
, mit Hinweisen).
8.
(Kosten der Versteigerung vom 3. Dezember 1970.)
9.
Das Beschwerdeverfahren, in dem der an das Bundesgericht weitergezogene Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde ergangen ist, bezog sich nur auf die Verwertung des Grundstücks Nr. 1318 im Konkurs der Karl Camenzind AG, nicht auf die Verwertung des Grundstücks Nr. 560 im Pfandverwertungsverfahren gegen Karl Camenzind persönlich. Das Bundesgericht hatte die Frage, ob die im Lastenverzeichnis für das Grundstück Nr. 560 enthaltene Verfügung auf Errichtung eines Überbaurechts zugunsten von Grundstück Nr. 1318 gültig oder nichtig sei, im vorliegenden Entscheid nur als Vorfrage zu prüfen. In das Pfandverwertungsverfahren betreffend das Grundstück Nr. 560 von Amtes wegen einzugreifen, ist es mangels eines dieses Verfahren betreffenden Entscheides der kantonalen Aufsichtsbehörde nicht befugt (
BGE 94 III 69
/70, bestätigt in
BGE 97 III 11
). Der für dieses Verfahren zuständige Betreibungsbeamte wird sich jedoch auf Grund der im vorliegenden Entscheid angestellten Erwägungen ernstlich überlegen müssen, ob er nicht Anlass habe, den Zuschlag des Grundstücks Nr. 560 an Frau Camenzind und die darauf gestützte Grundbuchanmeldung von sich aus als nichtig aufzuheben (zur Aufhebung nichtiger Verfügungen durch das Amt selbst vgl.
BGE 97 III 5
Erw. 2 mit Hinweisen). Die kantonalen Aufsichtsinstanzen, denen die unmittelbare Aufsicht über die Betreibungs- und Konkursämter zusteht, könnten auch ausserhalb eines Beschwerdeverfahrens oder aber auf Beschwerde (Anzeige) eines Grundpfandgläubigers hin in diesem Sinne eingreifen. | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
999b985b-a76b-47e7-a412-47118a76ba5e | Urteilskopf
122 II 382
48. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Juli 1996 i.S. Kanton Zürich und Politische Gemeinde Kappel am Albis gegen Bundesamt für Zivilschutz und Eidgenössische Rekurskommission für Zivilschutzangelegenheiten (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Subvention des Bundes für einen öffentlichen Schutzraum. Beschwerdebefugnis nach
Art. 103 lit. a OG
.
Die Gemeinde ist als Subventionsgesuchstellerin zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (E. 2b).
Legitimation des Kantons verneint (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 382
BGE 122 II 382 S. 382
Die Gemeindeversammlung von Kappel am Albis bewilligte am 8. Mai 1992 einen Bruttokredit von Fr. 31'000.-- für die Errichtung eines öffentlichen Schutzraumes mit 31 Schutzplätzen im Gemeindeteil Hauptikon. Das Amt für Zivilschutz des Kantons Zürich genehmigte das Schutzraumprojekt am 5. November 1992 in technischer Hinsicht.
Mit Verfügung vom 28. Mai 1993 lehnte das Bundesamt für Zivilschutz die Ausrichtung eines Bundesbeitrages für das erwähnte Schutzraumprojekt ab.
Dagegen führten sowohl die Politische Gemeinde Kappel am Albis wie auch das Amt für Zivilschutz des Kantons Zürich erfolglos Beschwerde bei der
BGE 122 II 382 S. 383
Eidgenössischen Rekurskommission für Zivilschutzangelegenheiten.
Das Amt für Zivilschutz des Kantons Zürich erhebt namens des Kantons Zürich Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, den Entscheid des Bundesamtes für Zivilschutz aufzuheben und festzustellen, dass an die Erstellungs- und Ausrüstungskosten des betreffenden öffentlichen Schutzraumes mit 31 Plätzen ein Bundesbeitrag auszurichten sei; eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanzen zurückzuweisen mit der Feststellung, dass an die Kosten der zu erstellenden Schutzplätze wenigstens ein anteilmässiger Bundesbeitrag auszurichten sei.
Die Politische Gemeinde Kappel am Albis führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den gleichen Begehren.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
b) Die Politische Gemeinde Kappel am Albis ist als betroffene Subventionsgesuchstellerin aufgrund von
Art. 103 lit. a OG
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (
BGE 110 Ib 148
E. 1c S. 154; unveröffentlichtes Urteil i.S. Stadt Winterthur gegen Eidgenössisches Departement des Innern vom 6. Juni 1995, E. 2b, betreffend Subvention für eine Kehrichtverbrennungsanlage).
c) Fraglich ist die Beschwerdebefugnis des Kantons Zürich bzw. des im Namen des Kantons handelnden kantonalen Amtes für Zivilschutz. Auf eine besondere Ermächtigung im Sinne von
Art. 103 lit. c OG
kann sich diese Behörde nicht stützen, weshalb sich ihre Beschwerdebefugnis nach der allgemeinen Regelung von
Art. 103 lit. a OG
beurteilt. Das vom kantonalen Amt für Zivilschutz einzig geltend gemachte Interesse am "korrekten Vollzug bzw. an der rechtsgleichen Anwendung von Bundesrecht" begründet noch kein schutzwürdiges Anfechtungsinteresse im Sinne der genannten Bestimmung (
BGE 112 Ia 59
E. 1b S. 62;
BGE 105 Ib 348
E. 5a S. 359, mit Hinweisen). Ein sonstiges schutzwürdiges eigenes Interesse des Kantons ist nicht dargetan oder erkennbar. Es wird insbesondere nicht geltend gemacht, die Verweigerung der Bundessubvention führe zu einer finanziellen Mehrbelastung des Kantons (vgl. dazu
Art. 6 des Bundesgesetzes über die baulichen Massnahmen im Zivilschutz vom 4. Oktober 1963 [Schutzbautengesetz, BMG; SR 520.2]
, Fassungen vom 5. Oktober 1984 und vom 17. Juni 1994). Dass das kantonale Amt für Zivilschutz sowohl bei der Genehmigung des Projektes wie auch bei der Abwicklung des Beitragsverfahrens mitwirkt und der Kanton
BGE 122 II 382 S. 384
allenfalls formell als Empfänger der Bundesleistungen auftritt, begründet für sich allein noch kein schutzwürdiges eigenes Interesse des Kantons an der Erhältlichmachung des der Gemeinde zustehenden Bundesbeitrages.
Bei dieser Sachlage kann die Befugnis zur Anfechtung des abschlägigen Subventionsentscheides - mangels einer expliziten gegenteiligen gesetzlichen Regelung - nur der unmittelbar betroffenen Gemeinde als Trägerin des Bauvorhabens zustehen, nicht dagegen auch dem Kanton oder dessen zuständiger Fachstelle. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Kantons Zürich ist daher nicht einzutreten. Dies schliesst nicht aus, dass die Vorbringen des kantonalen Amtes für Zivilschutz als Vernehmlassung einer beteiligten Behörde berücksichtigt werden (
Art. 110 OG
). | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99a423f9-b773-4bcf-b45d-f9b9f58616ca | Urteilskopf
118 II 378
75. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1992 i.S. H. gegen H. und Appellationshof des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 178 ZGB
; Beschränkung der Verfügungsbefugnis eines Ehegatten.
Diese Vorschrift findet auch beim Erlass vorsorglicher Massnahmen im Scheidungsverfahren sinngemäss Anwendung und dient auch der Sicherung güterrechtlicher Ansprüche. Der Richter darf jedoch nicht einen strikten Beweis verlangen, dass eine ernsthafte und aktuelle Gefährdung vorliege, sondern hat sich mit der blossen Glaubhaftmachung einer Gefährdung zu begnügen. | Sachverhalt
ab Seite 379
BGE 118 II 378 S. 379
A.-
Zwischen Walter und Maria H. ist seit dem Jahre 1984 ein Ehescheidungsprozess hängig. Im Verfahren um vorsorgliche Massnahmen stellte Maria H. am 8. November 1991 beim Amtsgericht u.a. das Gesuch, dem Ehemann sei zu verbieten, über die in der Schweiz befindlichen Vermögenswerte ohne Zustimmung der Ehefrau zu verfügen, und zu Lasten der im Kanton Graubünden gelegenen Grundstücke sei ein Verfügungs- und Belastungsverbot im Grundbuch anmerken zu lassen.
Dieses Gesuch um Erlass von Verfügungs- und Belastungsverboten wurde vom Gerichtspräsidenten mit Verfügung vom 2. Februar 1992 abgewiesen.
B.-
Gegen diese Verfügung erklärte Maria H. Appellation an den Appellationshof des Kantons Bern, wobei sie ihren Antrag auf Erlass von Verfügungs- und Belastungsverboten wiederholte. Die Appellation wurde am 12. Mai 1992 abgewiesen.
C.-
Maria H. legt beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, die Dispositiv-Ziffern 2, 3 und 4 des Entscheids des Appellationshofs vom 12. Mai 1992 seien aufzuheben.
Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne, während der Appellationshof auf eine Vernehmlassung verzichtet hat.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Appellationshof hat sich bei der Prüfung der Frage, ob dem erstinstanzlichen Entscheid, mit welchem das Gesuch um Erlass von Verfügungs- und Belastungsverboten abgewiesen worden ist, gefolgt werden könne, sowohl dessen Begründung als auch dessen Ergebnis zu eigen gemacht. Er hat darüber hinaus festgestellt, neue,
BGE 118 II 378 S. 380
erheblich veränderte Entscheidgrundlagen seien von der Beschwerdeführerin nicht in rechtsgenüglicher Weise dargelegt worden. Insbesondere bestehe kein Hinweis darauf, dass der Beschwerdegegner die Absicht hege, in der Schweiz irgendwelche Vermögensverschiebungen vorzunehmen. Was seine Geschäftstätigkeit in den USA anbetreffe, so vermöge das Gericht darin noch keine Gefährdung der Ansprüche der Beschwerdeführerin zu erblicken. Die in der Gesuchsantwort vom 31. Januar 1992 gemachten Angaben erschienen jedenfalls dem Appellationshof plausibel. Beweise, wonach der Beschwerdegegner gezielt Vermögenswerte vor der Beschwerdeführerin verstecke, seien nicht ersichtlich.
a) Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe mit grösstem persönlichen und finanziellen Aufwand im Sommer 1991 in Amerika Beweise gesammelt, aus denen sich die dort vorgenommenen Vermögensverschiebungen deutlich ergäben. Wenn der Beschwerdegegner die in der Schweiz gelegenen Liegenschaften verkaufe und seine Konten auflöse, werde es zum Eingreifen zu spät sein. Eine Liquidation der Vermögenswerte in der Schweiz sei umso wahrscheinlicher, als der Beschwerdegegner keine Beziehungen zur Schweiz mehr habe - ausser Steuerschulden.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hat der Appellationshof sein pflichtgemässes Ermessen offensichtlich überschritten. Beide kantonalen Instanzen hätten ihr Ermessen aber auch dadurch überschritten, dass sie keine Interessenabwägung vorgenommen hätten. Das schwerwiegende Interesse der Beschwerdeführerin, ihre finanziellen Ansprüche aus der Scheidung nötigenfalls auch im Zwangsvollstreckungsverfahren durchsetzen zu können, hätten sie unbeachtet gelassen. Die Verweigerung der Sicherstellung ihrer finanziellen Ansprüche sei beim gegebenen Sachverhalt offensichtlich unhaltbar und unangemessen, weil die massgeblichen Umstände - nämlich das Verhalten des Beschwerdegegners, die Vermögensverminderung und die nicht nachvollziehbaren Vermögensverschiebungen - nicht berücksichtigt worden seien.
Art. 178 ZGB
hätten die kantonalen Behörden nicht nur unkorrekt, sondern trotz zwingender Beweislage nicht angewendet, d.h.
Art. 178 ZGB
sei qualifiziert falsch und damit willkürlich ausgelegt worden.
b) Diese Rüge ist begründet.
Art. 178 ZGB
, welche Vorschrift auch im Scheidungsverfahren im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen im Sinne von
Art. 145 ZGB
zumindest sinngemäss anwendbar ist, räumt dem Richter die Befugnis ein, die Verfügung über bestimmte Vermögenswerte auf Gesuch eines Ehegatten von dessen
BGE 118 II 378 S. 381
Zustimmung abhängig zu machen (Abs. 1). Vorausgesetzt ist einzig, dass die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen der Familie oder die Erfüllung einer vermögensrechtlichen Verpflichtung aus der ehelichen Gemeinschaft dies erfordert. Der Zweck dieser neu als Eheschutzbestimmung eingeführten Vorschrift dient der Sicherung u.a. von güterrechtlichen Ansprüchen, die in schweren Ehekrisen durch Vermögensverschiebungen gerade im Hinblick auf eine Auflösung der Ehe gefährdet werden können (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des schweizerischen ZGB vom 11. Juli 1979, BBl 1979 II S. 1281; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 5 zu
Art. 178 ZGB
). Allerdings ist es Sache der solche Sicherungsmassnahmen begehrenden Ehefrau, glaubhaft darzulegen, dass eine ernsthafte und aktuelle Gefährdung vorliege. Der Richter darf keinen strikten Beweis verlangen, wie das der Appellationshof zu tun scheint, sondern er hat sich im summarischen Verfahren mit der blossen Glaubhaftmachung einer Gefährdung zu begnügen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 8 zu
Art. 178 ZGB
mit Verweisungen). Die Gefährdung muss aufgrund objektiver Anhaltspunkte als wahrscheinlich erscheinen, und zwar in nächster Zukunft (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N 8).
Derartige objektive Anhaltspunkte hat die Beschwerdeführerin angeführt, indem sie darauf hingewiesen hat, dass ihr Ehemann seit Jahren keinen Wohnsitz mehr in der Schweiz habe, dass sie angesichts des grossen Vermögens ihres Mannes mit güterrechtlichen Ansprüchen von mehreren Millionen Franken rechne, dass er ihr mit dem Wegschaffen von Vermögenswerten gedroht und bereits ein auf ihren Namen lautendes Safe in Liechtenstein geräumt habe, was vom Beschwerdegegner indirekt zugegeben wurde, sowie eine Wohnung in Fort L. verkauft habe. Zur Stützung ihrer Behauptung, der Ehemann habe gedroht, "alles verschwinden zu lassen", hat sie im kantonalen Verfahren auch auf Firmenliquidationen in Amerika sowie auf Neugründungen hingewiesen, die jedenfalls als nicht zum vornherein unerheblich für die Bejahung einer Gefährdung betrachtet werden können. Der Appellationshof hat - wie bereits der Massnahmerichter - demgegenüber lediglich auf die in der Gesuchsantwort vom Beschwerdegegner gemachten Angaben abgestellt, ohne sich ernsthaft mit den Vorbringen der - sich beweismässig in schwieriger Lage befindlichen - Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen und ohne die auf dem Spiele stehenden gegensätzlichen Interessen der Ehegatten in einem offenbar bereits Jahre dauernden Scheidungsverfahren auch nur in Betracht zu ziehen. Indem der Appellationshof einerseits die völlig nichtssagenden Ausführungen
BGE 118 II 378 S. 382
in der Verfügung des Massnahmerichters als richtig und damit willkürfrei übernimmt und anderseits sich nicht ernsthaft mit Sinn und Zweck von
Art. 178 ZGB
sowie den Argumenten und Tatsachen auseinandersetzt, die die Beschwerdeführerin zur Glaubhaftmachung der Gefährdung ihrer güterrechtlichen Ansprüche vorgetragen hat, ihr vielmehr geradezu eine Beweispflicht auferlegt, verletzt er
Art. 4 BV
. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, könnte die Betrachtungsweise der kantonalen Instanzen dazu führen, dass sich die Schutzbestimmung des
Art. 178 ZGB
praktisch überhaupt nie anwenden liesse - selbst nicht in einem Fall wie dem vorliegenden, wo es dem Ehemann ein Leichtes ist, sein Vermögen so zu manipulieren, dass sich letztlich die güterrechtlichen Ansprüche der Ehefrau überhaupt nicht mehr durchsetzen liessen. Zu beachten ist schliesslich auch, dass die angestrebte Verfügungs- und Belastungssperre kaum in schützenswerte Interessen des Beschwerdegegners eingreift. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99a6c2f5-fcc6-4a9f-ba73-bbc8ed420a5b | Urteilskopf
86 II 18
4. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 19 janvier 1960 dans la cause Association des syndicats autonomes genevois et consorts contre Fédération des ouvriers du bois et du bâtiment et consorts. | Regeste
1. Legitimation von Berufsverbänden zur Klageerhebung zwecks Wahrung von Kollektivinteressen des Berufsstandes; Legitimation solcher Verbände zur gerichtlichen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bestimmter Mitglieder (Erw. 2).
2.
Art. 110 Ziff. 2 OR
. Voraussetzungen der Subrogation. Willenserklärung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger (Erw. 3).
3. Art. 422/3 OR. Geschäftsführung ohne Auftrag. Begriff der unechten Geschäftsführung (Erw. 4).
4. Verjährung des Anspruchs aus unechter Geschäftsführung. Anwendbarkeit der Grundsätze über die ungerechtfertigte Bereicherung; Beginn der Verjährungsfrist bei sukzessiven Zahlungen auf Grund eines einheitlichen Entschlusses (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 86 II 18 S. 19
A.-
Le 25 novembre 1951, l'Union suisse des installateurs électriciens (USIE) conclut un contrat collectif de travail (contrat national) avec l'Union suisse des syndicats autonomes (USSA). D'après l'art. 5 de ce contrat, les sections locales, cantonales et régionales des associations contractantes peuvent conclure des conventions collectives complémentaires, dont les dispositions ne doivent pas être contraires au contrat national. Celui-ci prévoit en outre qu'une indemnité fixe "est versée à chaque ouvrier pour six jours désignés dans les contrats complémentaires, ou fixés soit par la commission paritaire compétente, soit chaque année par l'employeur".
Le 11 décembre 1951, l'Association des installateurs électriciens du canton de Genève (AIEG) conclut avec le syndicat des monteurs électriciens de la Fédération suisse des ouvriers du bois et du bâtiment (FOBB) un contrat collectif réglant les conditions de travail des monteurs électriciens du canton de Genève (contrat régional). En vertu de l'art. 4 de ce contrat, les ateliers et chantiers sont fermés les jours officiels. Pour compenser la perte de salaire qui en résulte, la Caisse de compensation des installateurs électriciens du canton de Genève verse aux
BGE 86 II 18 S. 20
ouvriers une indemnité égale aux 100% du salaire perdu. Elle reçoit cette indemnité des employeurs.
A la fin de 1951, l'Association des syndicats autonomes genevois (ASAG), section de l'USSA, constitua un syndicat dans la branche des installations électriques. Elle manifesta le désir d'adhérer au contrat signé par l'AIEG et la FOBB. L'AIEG refusa. Elle craignait en effet que l'ordre et la paix du travail ne fussent troublés, car la FOBB avait menacé de se retirer du contrat si l'AIEG laissait l'ASAG y adhérer ou passait avec elle une convention analogue. Néanmoins, les ouvriers qui n'étaient pas membres de la FOBB reçurent les indemnités pour jours fériés, moyennant retenue sur leur salaire d'une contribution de solidarité. Le 11 décembre 1952, ils furent invités par la commission paritaire à adhérer individuellement au contrat jusqu'au 22 du mois, faute de quoi ils perdraient les avantages sociaux accordés par la convention. Certains des membres de l'ASAG refusèrent. Le 22 décembre 1952, la Caisse de compensation des installateurs électriciens fit savoir à ses membres que les monteurs, qui n'étaient pas signataires de la convention à titre individuel ou collectif, ne pourraient plus recevoir à l'avenir d'indemnité en compensation du salaire perdu pendant les jours fériés prévus par le contrat collectif régional. Dès ce moment-là, ce fut l'ASAG (ou l'USSA) qui versa à ses adhérents les montants en question.
B.-
Le 24 mai 1954, l'ASAG et l'USSA assignèrent la FOBB et l'AIEG devant le Tribunal de première instance du canton de Genève en concluant à ce qu'il plaise à la Cour condamner les défenderesses à leur payer solidairement 43 993 fr. 30 de dommages-intérêts, équivalents aux indemnités pour jours fériés dues à leurs membres. Les défenderesses conclurent au rejet de l'action.
Le 16 septembre 1957, le Tribunal de première instance rejeta l'action. Le 30 juin 1959, la Cour de justice confirma ce jugement en considérant notamment que les demanderesses n'avaient pas qualité pour agir.
BGE 86 II 18 S. 21
C.-
L'ASAG et l'USSA recourent en réforme au Tribunal fédéral en reprenant les conclusions qu'elles ont présentées en procédure cantonale.
Les intimées concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
... Dans son arrêt du 20 mai 1947 concernant notamment l'Association suisse des maîtres coiffeurs (RO 73 II 65), le Tribunal fédéral s'est demandé si les associations professionnelles avaient un droit d'action pour défendre, au cas où ils seraient violés, les droits personnels de leurs membres. Il a fait à ce sujet une distinction suivant qu'il s'agit de sauvegarder un intérêt collectif appartenant à tous ceux qui exercent la profession dans laquelle l'association recrute ses adhérents, ou au contraire d'obtenir simplement réparation d'un dommage subi par un ou des membres déterminés de l'association.
Sur le premier point, le Tribunal fédéral, appliquant l'art. 1er al. 2 CC, a reconnu aux associations la qualité pour agir. Il a considéré qu'actuellement ces dernières sont, d'une façon générale et spécialement en ce qui concerne les relations entre employeurs et employés, les représentants qualifiés de tous ceux qui pratiquent une certaine profession. Il en a déduit qu'elles ont en principe vocation pour ester en justice quand elles entendent défendre un intérêt collectif comprenant non seulement l'intérêt personnel de leurs membres mais aussi celui des personnes qui, sans compter parmi leurs adhérents, exercent cependant le métier de ces derniers. Toutefois, même dans cette hypothèse, la qualité des associations est subordonnée à la condition qu'elles soient habilitées par leurs statuts à sauvegarder les intérêts économiques de leurs membres et que ceux-ci aient eux-mêmes qualité pour intenter l'action.
Sur le second point, à savoir si les associations professionnelles ont également un droit d'action propre pour obtenir la réparation d'un dommage subi par tel de leurs
BGE 86 II 18 S. 22
membres, le Tribunal fédéral ne s'est pas prononcé. C'est précisément le problème qu'il faut trancher aujourd'hui. En effet, le préjudice dont la réparation est demandée en l'espèce n'est ni un dommage atteignant les intérêts collectifs de tous les monteurs électriciens du canton de Genève, ni un dommage que les recourantes auraient éprouvé directement ou même indirectement, mais un préjudice subi par certains de leurs membres personnellement.
La réponse à cette question ne peut être que négative. La créance en dommages-intérêts est un droit privé, qui est un élément du patrimoine. Seul le titulaire du droit a qualité pour en disposer et en particulier pour le déduire en justice. La faculté de poursuivre judiciairement l'exécution d'une créance ne peut donc être reconnue qu'au titulaire de la créance ou à l'ayant cause auquel le droit a été régulièrement transféré. Admettre qu'une association professionnelle fût habile à exercer l'action en dommages-intérêts compétant à l'un de ses membres reviendrait à priver le créancier, même contre sa volonté, de son droit de disposition. Cela équivaudrait à un transfert du droit sans le consentement du titulaire, ce qui serait contraire à un principe fondamental du droit privé.
Il en est autrement de la vocation des associations pour défendre les intérêts collectifs de la profession. En effet, dans ce cas, l'association peut agir judiciairement sans par là porter atteinte à la situation juridique des personnes qui peuvent invoquer les mêmes droits. La vocation pour agir que la jurisprudence a reconnue aux associations s'ajoute à celle de chaque membre pris isolément, sans en exclure aucune. En agissant en justice, l'association ne dispose pas du droit compétant à une personne déterminée. Elle exerce un droit propre, distinct de celui de chaque intéressé.
D'ailleurs certaines dispositions légales montrent bien que, dans le système du droit privé suisse, les associations professionnelles ne sont pas habiles à déduire en justice
BGE 86 II 18 S. 23
une créance compétant à un de leurs membres et tendant à la réparation d'un dommage déterminé subi par lui.
Ainsi l'art. 2 al. 3 LCD, invoqué par l'arrêt Association suisse des maîtres coiffeurs, confère aux associations professionnelles le droit d'agir en constatation de l'illicéité d'un acte de concurrence déloyale et en cessation du trouble. Il leur refuse en revanche l'action en dommagesintérêts et en réparation du tort moral. Il en est de même de l'art. 323ter CO, introduit par la loi fédérale du 28 septembre 1956 permettant d'étendre le champ d'application de la convention collective de travail. Selon cette disposition, les associations signataires de la convention collective peuvent stipuler qu'elles auront le droit en commun d'en exiger l'observation. Mais ce droit ne confère qu'une action en constatation, à l'exclusion d'une action en exécution. Le Message du Conseil fédéral (FF 1954 I p. 167) motive cette distinction en ces termes: ". .. la liberté individuelle, grâce à laquelle chacun peut faire valoir ses droits devant le juge ou y renoncer, serait restreinte à l'excès si la communauté contractuelle pouvait de son propre chef et sans se préoccuper de la volonté de l'intéressé, se substituer à lui pour ouvrir une action en exécution."
Dès lors, si les associations peuvent ester en justice pour défendre les intérêts communs d'une profession, elles ne sauraient avoir qualité pour agir lorsqu'elles entendent réclamer la réparation d'un dommage subi par un de leurs membres personnellement. Dans cette seconde hypothèse, l'action n'appartient qu'au lésé. L'association ne peut l'exercer que si elle a obtenu du créancier les pouvoirs nécessaires ou si elle est devenue titulaire de la créance par une cession régulière.
Il s'ensuit que, dans la mesure où elles réclament la réparation d'un dommage subi par leurs membres personnellement, les recourantes n'ont pas une qualité propre pour agir. Les cessions qu'elles ont produites en procédure cantonale sont sans intérêt, puisque la Cour de justice les
BGE 86 II 18 S. 24
a écartées du dossier pour des raisons tenant à la procédure genevoise, dont le Tribunal fédéral n'a pas à connaître.
3.
Dépourvues d'une vocation propre pour réclamer des dommages-intérêts, ne pouvant se fonder valablement sur aucune cession, les recourantes s'estiment cependant en droit d'agir en leur qualité de tiers subrogés aux droits des créanciers qu'elles ont payés. Elles invoquent à cet effet l'art. 110 ch. 2 CO aux termes duquel "le tiers qui paie le créancier est légalement subrogé, jusqu'à due concurrence, aux droits de ce dernier, lorsque le créancier a été prévenu par le débiteur que le tiers qui le paie doit prendre sa place".
Toutefois, ainsi que cela ressort des termes mêmes de l'art. 110 ch. 2 CO, la subrogation prévue par cette disposition suppose une déclaration de volonté du débiteur au créancier. Sans doute, cette déclaration de volonté n'est soumise à aucune forme; elle peut même résulter d'actes concluants. Il n'en reste pas moins qu'elle constitue une condition essentielle de la subrogation prévue par l'art..110 ch. 2 CO et qu'elle ne saurait être remplacée par un accord entre le créancier et l'auteur du paiement, à moins que ce dernier n'agisse comme représentant du débiteur ou ne convienne avec le créancier d'une cession de créance (RO 37 II 531/532, 57 II 92; BECKER, note 6 ad art. 110; OSER/SCHÖNENBERGER, note 20 ad art. 110).
En l'espèce, les associations intimées n'ont fait la déclaration exigée par l'art. 110 ch. 2 CO ni expressément ni implicitement. Les conditions de la subrogation instituée par l'art. 110 ch. 2 CO ne sont donc pas remplies. Comme les causes de subrogation légale sont limitativement énumérées dans la loi (RO 24 II 315; OSER/SCHÖNENBERGER, note 4 ad art. 110; BECKER, note 3 ad art. 110) et qu'aucune de celles prévues n'entre en ligne de compte, les recourantes ne peuvent plaider la subrogation. Il ne pourrait en aller autrement que s'il y avait une lacune de la loi. Or tel n'est pas le cas. Les principes généraux qui conduisent à refuser aux associations professionnelles la
BGE 86 II 18 S. 25
qualité pour réclamer la réparation d'un dommage subi par un de leurs membres s'appliquent également sur le terrain de la subrogation.
4.
Il convient en revanche d'examiner si les recourantes peuvent fonder leurs prétentions sur les droits que la loi reconnaît au gérant d'affaires à l'égard du maître.
A cet égard, sans doute, l'application de l'art. 422 CO ne peut être envisagée. Cette disposition suppose en effet que le gérant a agi avec l'intention d'engager le maître. Or les recourantes n'ont pas payé les indemnités pour jours fériés en ayant pareille intention. De plus, les droits que l'art. 422 CO confère au gérant sont subordonnés à la condition que la gestion ait été entreprise parce que l'intérêt du maître le commandait. Tel n'est pas le cas lorsque le gérant paie une dette que le maître conteste devoir.
Quant aux droits que le gérant peut faire valoir en vertu de l'art. 423 CO, il y a lieu de relever ce qui suit:
L'art. 423 CO vise le cas de la gestion d'affaires imparfaite, c'est-à-dire en particulier l'hypothèse où le gérant, agissant pour son compte et dans son intérêt, entreprend des actes qu'il ne peut pas exécuter sans empiéter sur le patrimoine d'autrui (RO 45 II 208;
47 II 198
;
51 II 583
;
68 II 36
). Cette situation est réalisée en l'espèce. En payant à leurs membres des prestations dues, selon elles, par les employeurs, les recourantes ont agi pour leur compte. Elles ont suivi également leur propre intérêt, qui était commandé par des motifs de politique syndicale, notamment par la crainte de perdre leurs adhérents. Enfin, elles ne pouvaient pas payer les indemnités pour jours fériés sans empiéter sur le patrimoine des intimées. En effet, la subrogation, qui aurait maintenu l'existence de la dette de ces dernières, ayant été exclue pour les raisons indiquées plus haut, il s'ensuit que le versement des indemnités a éteint la dette que les employeurs pouvaient avoir, et a donc modifié la composition de leur patrimoine.
BGE 86 II 18 S. 26
Les conditions de l'art. 423 CO étant remplies et ces conditions étant indentiques pour les deux alinéas qui visent la même hypothèse, les recourantes peuvent en principe, conformément à l'art. 423 al. 2 CO, exiger d'être indemnisées à concurrence de l'enrichissement des intimées, c'est-à-dire des versements qu'elles ont faits et qui ont éteint la dette de ces dernières....
7.
Les intimées ont soulevé l'exception de prescription. Il faut donc déterminer à quelles règles est soumise à cet égard l'action de l'art. 423 al. 2 CO dont les recourantes disposent en principe (consid. 4 ci-dessus).
Cette action appartient à celui qui, agissant pour son compte et dans son intérêt, s'est immiscé dans les affaires d'autrui. D'après l'art. 423 al. 2 CO, l'acte unilatéral sur lequel cette action est ainsi fondée n'engendre point de droits ni d'obligations au titre de la gestion d'affaires (OSER/SCHÖNENBERGER, note 5 ad art. 423 CO; FRIEDRICH, Die Voraussetzungen der unechten Geschäftsführung ohne Auftrag, RDS 1945, p. 53). Au contraire, cette dernière disposition, en limitant le montant de l'indemnité à l'enrichissement du maître, contient en réalité un renvoi au droit commun, plus spécialement aux principes régissant l'action pour cause d'enrichissement illégitime. C'est dès lors conformément aux règles concernant l'enrichissement illégitime qu'il faut fixer le délai de prescription de l'action fondée sur l'art. 423 al. 2 CO. En conséquence, ce délai doit être arrêté à un an (art. 67 CO). Certes, il est plus court que le délai de prescription auquel sont soumises les créances contractuelles (découlant de la violation de certaines obligations imposées par le contrat national) que les paiements de l'ASAG ou de l'USSA ont éteintes. Peu importe cependant, car ce ne sont pas ces créances que les recourantes font valoir, mais un droit distinct qui a sa source dans le paiement et qui peut donc être soumis à un délai de prescription différent.
Le délai de prescription de l'action pour cause d'enrichissement
BGE 86 II 18 S. 27
illégitime court du jour où le lésé a eu connaissance de son droit de répétition (art. 67 CO), c'est-à-dire du dommage et de la personne qui en est l'auteur (RO 63 II 259). En l'espèce, les recourantes ont connu ces deux éléments au für et à mesure de chacun de leurs paiements, de sorte que la prescription d'un an a commencé à courir séparément pour chacun des versements faits aux membres de l'ASAG. En statuant sur les prétentions des recourantes, la Cour cantonale devra tenir compte de la prescription dans ces limites. Le fait que les différents versements procèdent d'une décision unique n'y change rien, car chacun d'eux constitue un acte de disposition nouveau et distinct des autres. C'est seulement lorsqu'un état dommageable provient lui-même d'une activité ou d'une omission de nature à se prolonger plus ou moins longtemps (séquestration de personne, apposition illicite d'une enseigne) qu'on peut parler d'un dommage continu et qu'il se justifie alors de faire courir le délai de prescription du jour où l'état dommageable prend fin. Tel n'est pas le cas en l'espèce où le préjudice provient non d'un état de fait unique qui se serait prolongé un certain temps, mais de plusieurs actes nettement séparés.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Admet le recours, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à la Cour cantonale pour qu'elle statue à nouveau dans le sens des motifs. | public_law | nan | fr | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99ab111c-0b93-4e1f-b126-6c88d9e59053 | Urteilskopf
109 Ia 248
46. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Dezember 1983 i.S. X. c. Handelsschule des Kaufmännischen Vereins Y. sowie Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Voraussetzungen, unter denen mit dem Entscheid der letzten kantonalen Instanz auch derjenige der unteren Instanz angefochten werden kann.
1. Hat die oberste kantonale Instanz den Streitgegenstand nur mit beschränkter Kognition überprüfen können, so kann mit der staatsrechtlichen Beschwerde auch noch der Entscheid der unteren kantonalen Instanz angefochten werden (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Dies setzt jedoch voraus, dass die oberste kantonale Instanz auf die Sache eingetreten ist. Tritt sie dagegen auf ein Rechtsmittel nicht ein, so kann mit staatsrechtlicher Beschwerde nur noch dieser Nichteintretensentscheid angefochten werden (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 249
BGE 109 Ia 248 S. 249
X. unterrichtete als Hauptlehrerin an der Kaufmännischen Berufsschule in Y. Am 17. März 1982 beschloss der Schulvorstand, sie für die bis 1985 dauernde Amtsperiode nicht wiederzuwählen. Auf Beschwerde hin hob das Erziehungsdepartement des Kantons Aargau diesen Beschluss auf. Gegen diesen Entscheid führte wiederum die Handelsschule des Kaufmännischen Vereins Y. beim Regierungsrat Beschwerde, welcher den Entscheid des Erziehungsdepartements aufhob.
Nach der Rechtsmittelbelehrung im Entscheid des Regierungsrates konnte gegen diesen wegen formeller Rechtsverweigerung oder wegen Verletzung der Vorschriften über die Zuständigkeit, den Ausstand, das rechtliche Gehör und die Akteneinsicht beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde geführt werden (§ 53 Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, VRPG). In der Folge richtete X. eine Eingabe an das Verwaltungsgericht, worin sie allerdings nicht die in der Rechtsmittelbelehrung genannten, sondern andere Rügen gegen den Regierungsratsentscheid vortrug. Das Verwaltungsgericht gewährte ihr daher die Möglichkeit, ihre Eingabe nachträglich zu verbessern, um eine der genannten, gesetzlich möglichen Rügen vorzubringen. Nachdem die hiefür gesetzte Frist unbenützt verstrichen war, trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein.
Im Anschluss an den Entscheid des Verwaltungsgerichts liess X. die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde einreichen, worin verlangt wird, das Bundesgericht solle den Entscheid des Verwaltungsgerichts wie auch den Entscheid des Regierungsrates aufheben.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
BGE 109 Ia 248 S. 250
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde insoweit, als sie sich gegen den Sachentscheid des Regierungsrates richtet. Dieser war der Beschwerdeführerin offensichtlich noch vor dem 15. Februar 1983 zugestellt worden, richtete sie doch an diesem Tage ihre Eingabe an das Verwaltungsgericht. Im Zeitpunkt der Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde war die dreissigtägige Beschwerdefrist gemäss
Art. 89 Abs. 1 OG
somit verstrichen.
Die Beschwerdeführerin beruft sich zwar auf eine in
BGE 94 I 462
f. eingeleitete und seither in einer Reihe von Urteilen (
BGE 97 I 119
,
BGE 97 I 226
E. 3a,
BGE 100 Ia 123
,
BGE 100 Ia 267
E. 2,
BGE 104 Ia 83
,
BGE 104 Ia 136
,
BGE 104 Ia 204
/5) bestätigte Rechtsprechung, wonach ein vorinstanzlicher Sachentscheid noch mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden kann, wenn der obersten kantonalen Instanz nur eine beschränkte Überprüfungsbefugnis zustand und wenn er mit dem Entscheid der letzteren zusammen angefochten wird. Die Beschwerdeführerin und der Regierungsrat, welcher deren Ansicht zu teilen scheint, übersehen jedoch, dass in allen zitierten Urteilen die oberste kantonale Instanz auf das bei ihr eingelegte Rechtsmittel eingetreten war, wenn sie auch den vorinstanzlichen Entscheid nicht in jeder Hinsicht und mit freier Kognition überprüfen konnte. Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die ihm vorgelegte Streitsache jedoch nicht unter einem wie auch immer beschränkten Blickwinkel beurteilt, sondern es ist auf die Beschwerde überhaupt nicht eingetreten. Somit liegt kein neuer Entscheid in der Sache vor, mit welchem zusammen der Entscheid des Regierungsrates unter den erwähnten Voraussetzungen noch mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden könnte.
Die Ausgangslage ist dieselbe wie in dem vom Bundesgericht am 21. März 1979 beurteilten Fall X. c. Chambre d'accusation du canton de Genève (nichtveröffentlichte E. 1 von
BGE 105 Ia 104
), wo die oberste kantonale Instanz auf ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Procureur général nicht eingetreten war und daher auch das Bundesgericht keine Möglichkeit mehr hatte, die letztere im Rahmen des staatsrechtlichen Beschwerdeverfahrens auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Im vorliegenden Fall erhob die Beschwerdeführerin beim kantonalen Verwaltungsgericht eine Beschwerde, ohne eine einzige der Rügen vorzutragen,
BGE 109 Ia 248 S. 251
welche nach der klaren Rechtsmittelbelehrung des Regierungsrates allein in Betracht kamen (§ 53 VRPG). | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
99ab3ce2-57e4-4cd8-b6aa-961e04f05418 | Urteilskopf
121 II 110
18. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Juli 1995 i.S. Jamal Miri gegen Fremdenpolizei des Kantons Bern und Richteramt II von Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 13b Abs. 2 in Verb. mit 13c Abs. 2 und 3 ANAG; Ausschaffungshaft.
Der Haftrichter entscheidet über die Ausschaffungshaft immer aufgrund einer mündlichen Verhandlung, so auch bei der Zustimmung gemäss
Art. 13b Abs. 2 ANAG
zur Verlängerung der Ausschaffungshaft nach drei Monaten (E. 1).
Wurde die Zustimmung zur Haftverlängerung ohne mündliche Verhandlung erteilt, ist der Ausländer, ohne Rückweisung der Sache an den Haftrichter zu neuem Entscheid, aus der Haft zu entlassen, wenn er weder die öffentliche Sicherheit gefährdet noch die öffentliche Ordnung massgeblich beeinträchtigt (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 121 II 110 S. 110
Das Bundesamt für Flüchtlinge wies am 14. Juni 1994 ein Asylgesuch des aus dem Libanon stammenden Palästinensers Jamal Miri ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Die Schweizerische Asylrekurskommission bestätigte am 30. September 1994 die Verfügung des Bundesamtes, und dieses setzte Frist bis 31. Oktober 1994 zum Verlassen der Schweiz. Jamal Miri kam dieser Aufforderung in der Folge nicht nach.
Die Fremdenpolizei des Kantons Bern verfügte am 22. Februar 1995 die Ausschaffung von Jamal Miri und ordnete zur Sicherstellung dieser Massnahme die Ausschaffungshaft an. Nach einer ersten erfolglosen Vorsprache am 6. April 1995 konnte die Polizei Jamal Miri am 9. April 1995 anhalten und in
BGE 121 II 110 S. 111
Ausschaffungshaft nehmen. Der a.o. Untersuchungsrichter 3 von Bern bestätigte am 13. März 1995 nach mündlicher Anhörung von Jamal Miri die Ausschaffungshaft. Der Gerichtspräsident II von Bern wies am 3. Mai 1995 ein Haftentlassungsgesuch Jamal Miris nach Durchführung einer Verhandlung ab. Auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde trat das Bundesgericht nicht ein, soweit sie sich gegen den Haftbestätigungsentscheid des Untersuchungsrichters richtete, und wies sie ab, soweit damit der Haftbelassungsentscheid des Gerichtspräsidenten angefochten wurde (nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. Juni 1995).
Der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei Bern ersuchte am 1. Juni 1995 um Verlängerung der Ausschaffungshaft. Am 7. Juni 1995 hiess der Gerichtspräsident II von Bern das Gesuch nach Einholen einer schriftlichen Vernehmlassung gut und verlängerte die Ausschaffungshaft um sechs Monate.
Am 30. Juni 1995 erhob Jamal Miri gegen den Haftverlängerungsentscheid vom 7. Juni 1995 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und ordnet die unverzügliche Haftentlassung von Jamal Miri an,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 13b Abs. 1 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20)
in der am 1. Februar 1995 in Kraft getretenen Fassung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (AS 1995 151) kann die zuständige kantonale Behörde den Ausländer, gegen welchen ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet wurde, zur Sicherstellung des Vollzugs in Ausschaffungshaft nehmen, wenn einer der in
Art. 13b Abs. 1 lit. b oder c ANAG
genannten Haftgründe vorliegt. Die Haft darf höchstens drei Monate dauern; stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die Haft mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um höchstens sechs Monate verlängert werden (
Art. 13b Abs. 2 ANAG
).
b) Die Ausschaffungshaft wird von den kantonalen Behörden angeordnet. Das Bundesrecht enthält selber verfahrensrechtliche Bestimmungen, die im kantonalen Verfahren zu berücksichtigen sind.
Gemäss
Art. 13c Abs. 2 ANAG
sind die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen (
Art. 13c Abs. 2 ANAG
). Der
BGE 121 II 110 S. 112
inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen, worüber die richterliche Behörde innert acht Arbeitstagen aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden hat; ein erneutes Gesuch um Haftentlassung kann bei der Ausschaffungshaft nach zwei Monaten gestellt werden (
Art. 13c Abs. 4 ANAG
). Die nach einer Haftdauer von drei Monaten erforderliche Entscheidung über die Haftverlängerung um höchstens sechs Monate bedarf der "Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde".
Die richterliche Behörde berücksichtigt bei der Überprüfung des Entscheides über Anordnung, Fortsetzung und Aufhebung der Haft neben den Haftgründen insbesondere die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person und die Umstände des Haftvollzugs (
Art. 13c Abs. 3 ANAG
).
c) Der Haftrichter erteilte seine Zustimmung zur von der Polizei beantragten Verlängerung der Ausschaffungshaft in einem schriftlichen Verfahren; nachdem der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 6. Juni 1995 eine Vernehmlassung eingereicht hatte, ordnete der Gerichtspräsident keine mündliche Verhandlung an, sondern entschied am 7. Juni 1995 unmittelbar aufgrund des Antrags der Polizei, der Vernehmlassung und der Akten. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Haftrichter habe dadurch, dass er ohne mündliche Verhandlung über das Verlängerungsgesuch entschied, Bundesrecht verletzt.
Diese Rüge ist begründet. Wohl sieht das Gesetz hinsichtlich der Haftverlängerung nach drei Monaten Haft bloss vor, dass diese der richterlichen Zustimmung bedürfe; von einer mündlichen Verhandlung ist nicht die Rede. Das vom Gesetzgeber geschaffene System mit einer Abfolge von richterlichen Entscheiden vorerst über die Anordnung der Ausschaffungshaft, dann über ein allfälliges Haftentlassungsgesuch, anschliessend über die Verlängerung der Ausschaffungshaft und sodann über allfällige weitere Haftentlassungsgesuche schliesst indessen die Annahme aus, dass einzig und gerade für den Haftverlängerungsentscheid keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden müsste. Es machte offensichtlich keinen Sinn, dem inhaftierten Ausländer eine mündliche Verhandlung nach einem Monat, dann nach dem fünften und schliesslich nach dem siebten Haftmonat zu garantieren, wenn der Haftrichter bloss auf Gesuch hin tätig wird, nicht aber nach dem dritten Monat, für welchen Zeitpunkt das Gesetz eine obligatorische Haftprüfung vorschreibt. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine vollständige Haftprüfung und damit auch eine mündliche Verhandlung
BGE 121 II 110 S. 113
(zumindest) alle zwei Monate ermöglicht werden sollte. Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass es nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein konnte, eine mündliche Verhandlung gerade dann als entbehrlich zu betrachten, wenn an die Fortsetzung der Haft weitere Anforderungen gestellt werden und nebst sämtlichen sich bei Haftentlassungsgesuchen stellenden Fragen zusätzlich zu prüfen ist, ob dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegenstehen. Dass der Gesetzgeber für die richterliche Zustimmung zur Haftverlängerung nicht ausdrücklich eine mündliche Verhandlung fordert, ist unter diesen Umständen nicht als qualifiziertes Schweigen zu werten, wie auch das Bundesamt für Flüchtlinge in seiner Vernehmlassung zu Recht festhält.
Der angefochtene, in einem schriftlichen Verfahren ergangene Entscheid verletzt demnach Bundesrecht und ist aufzuheben.
2.
a) Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften führt zur Haftentlassung. Es kommt vielmehr einerseits darauf an, welche Bedeutung den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des Betroffenen zukommt. Einer Haftentlassung kann andererseits das Interesse an einer reibungslosen Durchsetzung der Ausschaffung entgegenstehen. Dieses hat besonderes Gewicht und vermag unter Umständen selbst erhebliche Verfahrensfehler aufzuwiegen, wenn der Ausländer die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (
BGE 121 II 109
E. 2c).
b) Der Anspruch auf mündliche Verhandlung vor dem Richter stellt eine wichtige prozessuale Garantie dar, welche vor willkürlichem Entzug der Freiheit schützen soll. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall. Der Haftrichter musste aufgrund der Vorbringen einerseits in der Vernehmlassung des Beschwerdeführers im Haftverlängerungsverfahren, andererseits in der ihm bekannten Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 31. Mai 1995 gegen den Entscheid vom 3. Mai 1995 über das Haftentlassungsgesuch vorerst prüfen, ob der Haftgrund (noch) erfüllt war, und sich mit den Haftbedingungen im Bezirksgefängnis Frutigen befassen. Eine umfassende Prüfung mit der Möglichkeit von Rückfragen, beispielsweise bei der Fremdenpolizei, war ernsthaft nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung möglich. Der Verzicht darauf stellt einen gewichtigen Verfahrensfehler dar.
Demgegenüber gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Beschwerdeführer die öffentliche Sicherheit in irgendeiner Weise gefährdet oder die öffentliche Ordnung massgeblich beeinträchtigt hätte (vgl. auch nachfolgend E. c). Es
BGE 121 II 110 S. 114
steht lediglich fest, dass er nach rechtskräftiger Abweisung des Asylgesuchs vorerst keine Schritte unternommen hat, die Schweiz zu verlassen. Unter diesen Umständen ist der Beschwerdeführer aus der Ausschaffungshaft zu entlassen.
c) Die Haftentlassung rechtfertigt sich um so mehr, als der Beschwerdeführer beim Haftrichter gewichtige Rügen wegen der Haftbedingungen im Bezirksgefängnis Frutigen vortrug; so soll es ihm verunmöglicht sein, täglich im Freien zu spazieren. In seinem Entscheid hat der Haftrichter bloss festgestellt, dass der Beschwerdeführer "sich offenbar zur Zeit im Bezirksgefängnis Frutigen befindet", und weiter ausgeführt, es bestehe kein Anspruch auf geeignete Beschäftigung. Zu den in der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Vorwürfen hat er nicht Stellung genommen. Auch die Fremdenpolizei hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Darstellung des Beschwerdeführers, er könne nicht täglich im Freien spazieren, ist unwidersprochen geblieben.
Schliesslich ist zweifelhaft, ob der Haftgrund von
Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG
erfüllt ist. Wohl hat das Bundesgericht im Urteil vom 20. Juni 1995 entschieden, dass aufgrund der Sachlage, wie sie sich dem Haftrichter am 3. Mai 1995, zum Zeitpunkt des Entscheids über das Haftentlassungsgesuch, präsentierte, eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass der Beschwerdeführer sich der Ausschaffung entziehen würde (E. 4). Wegen des für das bundesgerichtliche Verfahren geltenden Novenverbots (
Art. 105 Abs. 2 OG
) konnten jedoch verschiedene nachträgliche Vorbringen des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt werden, denen der Haftrichter spätestens in seinem Haftverlängerungsentscheid Rechnung tragen musste und die für das heutige bundesgerichtliche Verfahren nicht mehr neu sind. So entfällt vor allem der für die Bewertung des Verhaltens des Beschwerdeführers gewichtige Vorwurf, er habe falsche Personalien- und Herkunftsangaben gemacht, vollständig; der Beschwerdeführer gab diesbezüglich von Anfang an zutreffend Auskunft. Sodann lässt sich angesichts der Bestätigung der Leitung des Durchgangsheims Dreispitz, dass der Beschwerdeführer sich mit ihrem Wissen häufig bei einem Freund aufgehalten habe, nicht mehr ohne weiteres sagen, er sei anfangs April 1995 untergetaucht; nach der einzigen dokumentierten erfolglosen Vorsprache der Polizei vom 6. April 1995 konnte der Beschwerdeführer am 9. April 1995 beim Durchgangsheim selber angehalten werden. Das Verhalten ab dem 1. Februar 1995 lässt, selbst im Lichte seines früheren Verhaltens, das nur ergänzend berücksichtigt werden kann (vgl. Urteil vom 20. Juni 1995, E. 4b; der
BGE 121 II 110 S. 115
Haftrichter hat die Übergangsbestimmung zum Zwangsmassnahmengesetz auch in seinem neuen Entscheid nicht beachtet), kaum genügend konkrete Anzeichen dafür erkennen, dass der Beschwerdeführer sich der Ausschaffung entziehen will.
d) Wird der Beschwerdeführer freigelassen, ist es den kantonalen Behörden nicht verwehrt, die nötigen Vorkehren für die Ausschaffung zu treffen. So steht nichts entgegen, dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, sich den Behörden für Abklärungen zur Verfügung zu halten. Sollte er untertauchen, läge ein neuer Sachverhalt vor, der Grundlage dafür sein könnte, dass er wieder inhaftiert wird. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99ab49dc-12b7-4743-8633-0b30b9e9e8f8 | Urteilskopf
116 V 298
45. Auszug aus dem Urteil vom 20. August 1990 i.S. K. gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abt. Arbeitslosenversicherung, Zürich, und Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich sowie Kantonale Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung, Zürich | Regeste
Art. 4 BV
: Vertrauensschutz.
Für die Berufung auf Vertrauensschutz wird nicht mehr vorausgesetzt, dass keine unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung vorliegen darf, vor welcher das Vertrauensprinzip zurücktreten muss (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 298
BGE 116 V 298 S. 298
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten und bedeutet u.a., dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend,
1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat;
2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn der Bürger die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
3. wenn der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte;
BGE 116 V 298 S. 299
4. wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können;
5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren hat (
BGE 112 V 119
Erw. 3a,
BGE 110 V 155
Erw. 4b,
BGE 109 V 55
Erw. 3a, 108 V 181 Erw. 3,
BGE 107 V 160
Erw. 2,
BGE 106 V 143
Erw. 3 mit Hinweisen).
Ferner verlangt das Eidg. Versicherungsgericht als weitere (sog. sechste) Voraussetzung, dass keine unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung vorliegen darf, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurücktreten muss (
BGE 111 V 73
Erw. 4c,
BGE 110 V 156
Erw. 4c,
BGE 106 V 143
Erw. 3 mit Hinweisen).
4.
a) ... Es stellt sich die Frage, ob an der sechsten Voraussetzung weiterhin festgehalten werden kann.
b) Das Eidg. Versicherungsgericht wandte in seiner früheren Rechtsprechung die Grundsätze über den Vertrauensschutz in Anlehnung an die Praxis des Bundesgerichts (
BGE 115 Ia 18
Erw. 4a,
BGE 99 Ib 101
Erw. 4 mit Hinweisen) an (EVGE 1967 S. 40 Erw. 4a;
BGE 97 V 220
Erw. 4 und zuletzt in
BGE 99 V 8
Erw. 5, ZAK 1968 S. 166; vgl. auch EVGE 1963 S. 104 Erw. 3, S. 176 Erw. 4 und S. 184 Erw. 3, 1966 S. 84 unten, 1967 S. 93 Erw. 3).
Im Jahre 1974 änderte es seine Rechtsprechung und verlangte zusätzlich, dass keine unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung vorliegen darf, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurücktreten muss (
BGE 100 V 154
, 158 und 162). In
BGE 100 V 154
schloss es den Vertrauensschutz im Bereich von
Art. 16 AHVG
, namentlich dessen Abs. 1 mit folgender Begründung aus:
"Des weitern ist zu beachten, dass die Bestimmung von
Art. 16 AHVG
auf die Erhaltung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit gerichtet ist. Wie in der bundesrätlichen Botschaft vom 5. Mai 1953 zur Änderung von
Art. 16 AHVG
ausgeführt wurde, muss im Interesse der Rechtssicherheit und aus verwaltungstechnischen Einwänden hinsichtlich der einzelnen Beitragsforderung nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes im Verhältnis zwischen Versicherung und Beitragspflichtigem "Ruhe eintreten" (BBl 1953 II S. 119). Nachforschungen der Verwaltung und des Richters über weit zurückliegende Tatsachen sollen vermieden werden. Aus diesem Grunde ist mit dem Ablauf der in
Art. 16 AHVG
genannten Fristen die Wirkung des Erlöschens der Forderung bzw. der Schuld verbunden. Auf Grund dieser Erwägungen hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt entschieden, dass eine verjährte Beitragsschuld selbst dann nicht mehr erfüllt werden kann, wenn die Beitragslücke auf ein vorschriftswidriges
BGE 116 V 298 S. 300
Verhalten der Ausgleichskasse zurückzuführen ist (EVGE 1958 S. 199, ZAK 1961 S. 227). Insofern tritt das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz gegenüber der unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebenden Sonderregelung zurück. Eine Nachzahlung nicht entrichteter Beiträge kann somit lediglich im Rahmen der Bestimmung von
Art. 16 AHVG
erfolgen."
In
Art. 47 AHVG
erblickte das Eidg. Versicherungsgericht ebenfalls eine solche Sonderregelung. Hiezu führte es in
BGE 100 V 158
folgendes aus:
"Nach
Art. 47 AHVG
sind unrechtmässig bezogene Renten und Hilflosenentschädigungen innerhalb der Verjährungsfrist zurückzuerstatten. Die Rückerstattung ist zu erlassen, wenn der Rückerstattungspflichtige in gutem Glauben annehmen konnte, die Leistung zu Recht bezogen zu haben, und wenn die Rückerstattung für ihn eine grosse Härte bedeuten würde (vgl.
Art. 79 Abs. 1 AHVV
). Diese Rückerstattungspflicht schliesst in sich, dass die betreffende Leistung auch in Zukunft nicht mehr erbracht wird. Wenn mithin Renten und Hilflosenentschädigungen, die sogar auf einer rechtskräftigen Verfügung beruhen, zurückgefordert werden müssen und in Zukunft nicht mehr ausgerichtet werden dürfen, so müssen diese Leistungen erst recht verweigert werden, wenn sich der Versicherte bloss auf eine entsprechende, materiell falsche Auskunft oder Zusicherung berufen kann, und zwar selbst dann, wenn im übrigen die von der Praxis entwickelten Voraussetzungen des Vertrauensschutzes gegeben wären. Die lediglich auf den Grundsatz von Treu und Glauben gegründete Gewährung von Rente und Hilflosenentschädigung würde unmittelbar gegen
Art. 47 AHVG
verstossen...
Daraus ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin nicht auf das Prinzip des Vertrauensschutzes berufen kann, um gesetzwidrig eine ausserordentliche AHV-Rente zu erlangen. In diesem Punkt muss die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen werden..."
Diese Ausführungen wurden in
BGE 100 V 162
noch folgendermassen präzisiert:
"Mit der Vorschrift von
Art. 47 AHVG
und den zugehörigen Verordnungsbestimmungen (
Art. 78 ff. AHVV
) hat der Gesetzgeber die rechtlichen Folgen einer unrechtmässigen Ausrichtung von Versicherungsleistungen ausdrücklich geregelt. Insbesondere hat er auch die Möglichkeit eines Erlasses der Rückerstattungspflicht vorgesehen und damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versicherte die Leistungen gutgläubig bezogen haben kann. Darüber hinaus wurde dem Prinzip der Rechtmässigkeit des Verwaltungshandelns der Vorrang gegeben gegenüber dem Schutz des guten Glaubens desjenigen, der unrechtmässig Versicherungsleistungen bezogen hat. Insofern tritt das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz gegenüber der unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebenden Sonderregelung zurück. Es besteht somit grundsätzlich kein Raum zu einer über den in
Art. 47 AHVG
umschriebenen Schutz des guten Glaubens hinausgehenden Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben..."
BGE 116 V 298 S. 301
Im Anschluss an die erwähnten Grundsatzurteile entwickelte sich die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts im Bereich des Vertrauensschutzes dahingehend, dass entweder lediglich die fünf Voraussetzungen Erwähnung fanden (vgl. etwa
BGE 112 V 119
Erw. 3a,
BGE 109 V 52
,
BGE 108 V 182
Erw. 3,
BGE 107 V 160
f. Erw. 2 und 3,
BGE 106 V 72
Erw. 3b) oder die sechste Voraussetzung angewandt bzw. deren Anwendung verneint wurde (vgl.
BGE 111 V 73
Erw. 4c,
BGE 110 V 156
Erw. 4c,
BGE 106 V 143
Erw. 3,
BGE 101 V 180
; ZAK 1983 S. 390 Erw. 2b, 1977 S. 264 Erw. 4; ARV 1986 Nr. 32 S. 127). Dabei spielten nebst
Art. 16 AHVG
als den Vertrauensschutz ausschliessende Sonderregelungen lediglich die Vorschriften betreffend Rückerstattung zu Unrecht ausgerichteter Versicherungsleistungen (
Art. 47 AHVG
;
Art. 95 AVIG
, vgl. hiezu ARV 1986 Nr. 32 S. 127) eine Rolle.
c) Das Recht auf Vertrauensschutz ist ein in
Art. 4 BV
gewährleisteter verfassungsmässiger Anspruch (
BGE 115 Ia 18
Erw. 4a mit Hinweisen; SALADIN, Das Verfassungsprinzip der Fairness, in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, 1975, S. 56 f.; GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. I, S. 389 unten). Es erweckt daher bei einem Teil der Lehre Bedenken, dass dieses verfassungsmässige Recht durch eine als Sonderregelung qualifizierte Gesetzesnorm beiseite geschoben werden kann (vgl. etwa DUCOMMUN, Légalité et bonne foi dans la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances, in: Mélanges Henri Zwahlen, 1977, S. 256; MOOR, Droit administratif, Bd. I, S. 359 unten; SAMELI, Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR NF 96 (1977), II, S. 385; WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 76 f.). Andere Autoren sehen die Rechtsprechung zur sechsten Voraussetzung mit dem verfassungsmässigen Grundsatz des Vertrauensschutzes als vereinbar (GRISEL, L'apport du Tribunal fédéral des assurances au développement du droit public, in: Mélanges Alexandre Berenstein, 1989, S. 442; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 229; KNAPP, Précis de droit administratif, 3. Aufl., S. 95, NN 509 am Ende und 510).
Das Bedürfnis nach einer vom Gesetz abweichenden Behandlung, welches durch das Vertrauensprinzip verkörpert wird, steht notwendigerweise in einem Spannungsverhältnis zum Gebot der rechtsgleichen Gesetzesanwendung (
BGE 112 V 122
). Auf diesem Hintergrund vermag die der sechsten Voraussetzung zugrunde liegende Annahme, gewisse Gesetzesbestimmungen würden als
BGE 116 V 298 S. 302
Sonderregelung den verfassungsmässigen Anspruch auf Vertrauensschutz ohne weiteres ausschliessen, andere dagegen nicht, im Lichte der gestiegenen Bedeutung, welche Lehre und Rechtsprechung dem Vertrauensschutz heute zumessen, nicht mehr zu überzeugen. Bei konsequenter Anwendung durch die Rechtsprechung hätte die sechste Voraussetzung im übrigen zum Ausschluss des Vertrauensschutzes im Leistungsbereich der Bundessozialversicherung führen müssen. Denn wenn die Rechtsprechung eine fehlerhafte Auskunft oder eine falsche Zusicherung zum Anlass nahm, eine Leistungspflicht zu bejahen (vgl. z.B.
BGE 107 V 157
und
BGE 109 V 52
), so änderte dies - weil gegen das Gesetz verstossend - an der Unrechtmässigkeit der Leistungsausrichtung nichts. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die bereits erfolgte Leistungszusprechung nachträglich gestützt auf Treu und Glauben sanktioniert oder - sofern noch nicht erfolgt - erst mit Wirkung für die Zukunft angeordnet wird. In beiden Fällen müsste bei konsequenter Anwendung der sechsten Voraussetzung die gestützt auf Treu und Glauben zugesprochene Leistung als unrechtmässig bezogen betrachtet und gestützt auf die als unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung qualifizierte Rückforderungsnorm (
Art. 47 AHVG
,
Art. 95 AVIG
usw.) in jedem Fall zurückerstattet werden. Ein solches Ergebnis, das den Vertrauensschutz im Kernbereich verletzt, wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht haltbar.
d) Nach dem Gesagten kann an der sechsten Voraussetzung nicht mehr festgehalten werden (
BGE 108 V 17
Erw. 3b). Im Rahmen des Vertrauensschutzes ist daher die bisherige Rechtsprechung (zuletzt in
BGE 112 V 121
Erw. 4c mit Hinweisen) dahingehend zu ändern, dass inskünftig bei Erfüllung der fünf Voraussetzungen auf die Prüfung der Frage verzichtet wird, ob eine unmittelbar und zwingend sich aus dem Gesetz ergebende Sonderregelung vorliegt, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurücktreten muss. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
99ae76f6-f689-4b2a-921e-7423804d51c5 | Urteilskopf
89 III 69
15. Entscheid vom 2. Dezember 1963 i.S. Lehmann. | Regeste
Widerspruchsverfahren, Parteirollenverteilung (
Art. 106 ff. SchKG
).
Ausschliesslicher Gewahrsam des Schuldners oder Mitgewahrsam der Ehefrau an gepfändetem Vieh? Berücksichtigung der Mitarbeit der Ehefrau im landwirtschaftlichen Betrieb und der auf ihren Namen lautenden Eintragung des Viehs in der Tierverkehrskontrolle? | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 89 III 69 S. 69
A.-
In der Betreibung Nr. 3715 pfändete das Betreibungsamt Mogelsberg auf Begehren des Fiskus des Kantons Thurgau am 3. Juli 1963 beim Schuldner Josef Lehmann, der Pächter eines landwirtschaftlichen Heimwesens ist, unter anderem eine Kuh und ein Rind im Schätzungswert von insgesamt Fr. 1500.-- . Nachdem der Schuldner die gepfändeten Tiere als Eigentum seiner Frau bezeichnet und der Gläubiger die Eigentumsansprache innert der ihm gemäss
Art. 106 SchKG
angesetzten Frist bestritten hatte, setzte das Betreibungsamt der Ehefrau des Schuldners, mit der dieser seit 1953 angeblich in vertraglicher Gütertrennung lebt, am 26. August 1963 nach
Art. 107 SchKG
Frist zur Klage auf Anerkennung ihres Eigentumsanspruchs. Hiegegen beschwerte sich Frau Lehmann beim Bezirksgerichtspräsidenten von Untertoggenburg mit dem Antrag, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, dem Gläubiger Frist gemäss
Art. 109 SchKG
anzusetzen.
B.-
Der mit der Sache befasste Gerichtspräsident wies in seiner Eigenschaft als untere Aufsichtsbehörde in Betreibungssachen die Beschwerde am 17. Oktober 1963 ab,
BGE 89 III 69 S. 70
und zum gleichen Ergebnis gelangte am 9. November 1963 die obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen.
C.-
Frau Lehmann rekurriert gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Beim Streit über Rechte an beweglichen Sachen verteilen sich die Parteirollen im Widerspruchsverfahren nach dem Gewahrsam an jenen Sachen. Ist der Schuldner ausschliesslicher Gewahrsamsinhaber, so kommt die Klägerrolle dem Drittansprecher zu (
BGE 83 III 28
). Hat dieser jedoch den Gewahrsam oder teilt er ihn mit dem Schuldner, so hat der Gläubiger gegen den ersteren zu klagen (
BGE 87 III 12
).
2.
Im vorliegenden Falle ist unbestritten, dass der Schuldner das gepfändete Vieh in seinem Gewahrsam hat. Streitig ist allein, ob seine Ehefrau Mitgewahrsam habe. Sie behauptet das unter Hinweis auf ihre Mitarbeit im landwirtschaftlichen Gewerbe und die auf ihren Namen lautende Eintragung des Viehs in der Tierverkehrskontrolle.
a) Die Angaben der Rekurrentin über ihre Mitarbeit bezeichnet die Vorinstanz als blosse Behauptungen. Demgegenüber beschränkt sich Frau Lehmann in ihrer Rekursschrift auf eine Wiederholung der alten Vorbringen. Dass die Vorinstanz bestimmte Beweisangebote zu Unrecht übergangen habe, macht sie nicht geltend und hätte sie übrigens auch nicht mit Erfolg vorbringen können, nachdem sie im kantonalen Verfahren nie einen Beweis für ihre Mitarbeit angetragen hat. Diese aber als selbstverständlich anzunehmen, wie es die Rekurrentin möchte, geht umso weniger an, als nicht entscheidend ist, ob sie überhaupt im Gewerbe arbeitet, sondern vielmehr, wie sie das tut, ob in selbständiger Weise - mit Entscheidungs- oder Mitsprachebefugnissen - oder bloss in abhängiger
BGE 89 III 69 S. 71
Stellung, als Gehilfin ihres Mannes. Da das letztere die Regel ist, kann im Zweifel nicht das erstere angenommen werden (s.
BGE 68 III 180
,
BGE 87 III 13
). Jedenfalls ist hier nicht bewiesen, dass die Rekurrentin im Gewerbe ihres Mannes eine Tätigkeit ausübe, die ihr die Stellung einer Mitinhaberin des Gewahrsams am Betriebsinventar zu verleihen vermöchte.
b) Die Vorinstanz scheint der Frage, ob der Gläubiger Anlass hatte, sich beim Viehinspektorat nach dem Eigentümer des Viehs zu erkundigen, Bedeutung beizumessen. Für den Ausgang der Sache ist es indessen ohne Belang, was der Gläubiger sich bezüglich des Gewahrsams an dem gepfändeten Vieh vorgestellt hat. Massgebend ist einzig, wie sich die Verhältnisse dem Betreibungsbeamten darboten. Trotz Unkenntnis des Gläubigers wäre daher Mitgewahrsam der Rekurrentin anzunehmen, wenn aus der Tierverkehrskontrolle darauf geschlossen werden könnte. Das jedoch trifft nicht zu. Denn während ein zusammen mit dem Gütertrennungsvertrag dem Führer des Güterrechtsregisters eingereichtes Verzeichnis über das abgetrennte Vermögen der Ehefrau eigens und ausschliesslich dazu bestimmt ist, die Eigentumsverhältnisse kundzutun (s.
BGE 68 III 180
f.,
BGE 77 III 118
,
BGE 87 III 12
), kommt der Tierverkehrskontrolle in Bezug auf das Eigentum keinerlei oder höchstens indizmässige Bedeutung zu (s.
BGE 71 III 62
, wo die Ehefrau zudem als Eigentümerin des Bauernhofes im Grundbuch eingetragen war). Die in Art. 36 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz betreffend die Bekämpfung von Tierseuchen vorgesehene Tierverkehrskontrolle (BS 9, S. 280) dient nicht der Kundgebung der Eigentumsverhältnisse, sondern der Feststellung der seuchenpolizeilich erheblichen Tatsachen. Zu diesen gehört das Eigentum als solches nicht. Tatsächlich kann denn auch ohne Nachteil für die Durchführung der seuchenpolizeilichen Aufgaben jemand als Eigentümer in der genannten Kontrolle eingetragen sein, der es in Wahrheit nicht ist.
3.
Ist demnach davon auszugehen, dass die gepfändeten
BGE 89 III 69 S. 72
Tiere im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners sind, so wurde die Rekurrentin zu Recht in die Klägerrolle verwiesen. Ihr Rekurs ist daher unbegründet.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
99af344a-5183-43a6-b12b-d2ac7acea775 | Urteilskopf
97 I 509
70. Arrêt du 3 février 1971 dans la cause Commune de Romanel sur-Lausanne contre Conseil d'Etat du canton de Vaud. | Regeste
Gemeindeautonomie. Abänderung eines Gemeindereglements durch den Regierungsrat.
1. Der Genehmigung des Regierungsrates unterliegendes Gemeindereglement oder blosse, dieser Genehmigung nicht unterliegende Einzelverfügung? (Erw. 3).
2. Überprüfung der Gemeindereglemente durch den Regierungsrat nur auf ihre Gesetzmässigkeit oder auch auf ihre Angemessenheit hin? (Erw. 4).
3. Darf der Regierungsrat ein seiner Genehmigung unterliegendes Reglement abändern oder hat er sich auf die Verweigerung der Genehmigung zu beschränken? (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 510
BGE 97 I 509 S. 510
A.-
En séance du 17 décembre 1969, le Conseil général de Romanel-sur-Lausanne a décidé, sur préavis de la municipalité et après avoir entendu le rapport de la Commission spéciale désignée à cet effet, "d'autoriser l'ouverture nocturne des magasins qui en font la demande. Dans le cas d'Hypermarché SA, selon l'horaire:
a) lundi, mardi, jeudi, de 9 h. à 19 h.
b) mercredi, vendredi, de 9 h. à 22 h.
c) samedi, de 9 h. à 17 h."
C'est à la demande d'Hypermarché Romanel SA, dont l'intention était d'ouvrir un grand magasin sur le territoire de Romanel dès le printemps 1970, que la commune a été amenée à prendre une telle décision.
B.-
En février 1970, le Département de l'intérieur, par l'intermédiaire du Préfet du district de Lausanne, requit la commune de Romanel de lui soumettre la réglementation des heures de fermeture des magasins, en vue de sa ratification par le Conseil d'Etat, une telle réglementation n'ayant force de loi qu'après approbation par cette autorité. La commune de Romanel fit alors parvenir au Conseil d'Etat un extrait du procès-verbal de la séance du Conseil général du 17 décembre 1969. Le 15 avril 1970, le Conseil d'Etat approuva la décision
BGE 97 I 509 S. 511
du Conseil général, en la modifiant en ce sens que l'heure de fermeture était fixée à 19 heures du lundi au vendredi et à 17 heures le samedi, avec possibilité de servir la clientèle jusqu'à 20 heures, respectivement 18 heures le samedi.
Agissant par la voie du recours de droit public, la commune de Romanel-sur-Lausanne conclut à l'annulation de la décision du Conseil d'Etat. Elle se plaint de la violation de son autonomie et du principe de l'égalité de traitement. Elle soutient notamment que la décision du 17 décembre 1969 n'est qu'une décision particulière, non soumise à l'exigence de l'approbation du Conseil d'Etat, que ce dernier a admis à tort qu'il pouvait étendre son contrôle à des questions d'opportunité, qu'enfin le Conseil d'Etat ne peut de toute façon pas modifier lui-même une disposition réglementaire communale, mais seulement refuser de l'approuver s'il l'estime illégale ou - dans les cas où son contrôle peut s'étendre à des questions d'opportunité - inopportune.
Le Conseil d'Etat conclut au rejet du recours.
Les arguments développés à l'appui du recours, d'une part, et de la décision attaquée, d'autre part, seront repris ci-dessous dans la mesure utile.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La commune de Romanel recourt en tant que détentrice de la puissance publique; elle soutient que la décision attaquée viole l'autonomie qui est reconnue aux communes vaudoises dans le domaine de la police du commerce, notamment des heures d'ouverture des magasins. Elle a donc qualité pour soulever le grief de violation de son autonomie (cf. RO 94 I 455, 543 s.
;
96 I 236
et 372 consid. 1).
Une commune n'a en revanche pas qualité, selon la jurisprudence, pour se plaindre d'une violation de l'art. 4 Cst., du moins lorsqu'elle fait valoir ce grief à titre indépendant (RO 94 I 455 consid. 1b). Elle peut cependant soulever un tel grief en rapport avec celui de violation de son autonomie, en prétendant par exemple que la décision attaquée crée à son égard une inégalité de traitement par rapport aux autres communes. C'est dans un tel contexte que la commune de Romanel soulève le grief d'inégalité de traitement, qui est dès lors également recevable.
BGE 97 I 509 S. 512
2.
a) En droit vaudois, le principe de l'autonomie communale découle de l'art. 80 de la Constitution cantonale (Cst. vaud.), ainsi rédigé:
"L'existence des communes est reconnue et garantie.
Les communes sont subordonnées à l'Etat, avec lequel elles concourent au bien de la société.
Elles jouissent de toute l'indépendance compatible avec le bien de l'Etat, son unité et la bonne administration des communes ellesmêmes."
D'autre part, selon l'art. 92 Cst. vaud., la police locale est exercée par la municipalité, sous le contrôle du Conseil général ou communal.
Si la constitution reconnaît une certaine autonomie aux communes, elle ne la délimite pas elle-même. Le champ et l'étendue en sont fixés par la loi cantonale sur les communes du 28 février 1956 (en abrégé LC), notamment par son art. 2, qui détermine les attributions et les tâches propres des autorités communales, parmi lesquelles figurent, sous lettre d de l'al. 2, "les mesures propres à assurer l'ordre et la tranquillité publics, ainsi que la salubrité publique". Selon l'art. 43 ch. 6 lettre d LC, la réglementation de l'ouverture et de la fermeture des magasins incombe, en tant que tâche de police du commerce, à la municipalité. L'art. 94 LC impose aux communes l'obligation d'avoir un règlement de police et les règlements imposés par la législation cantonale; elles peuvent également avoir d'autres règlements.
La surveillance de l'Etat sur les communes est réglée, d'une part, par l'art. 94 al. 2 LC selon lequel le règlement de police et "les règlements ou dispositions de règlements qui confèrent des droits ou imposent des obligations aux autorités ou aux particuliers les uns à l'égard des autres" doivent être approuvés par le Conseil d'Etat pour avoir force de loi, d'autre part, par les
art. 137 à 149
LC, notamment par l'art. 137 qui dispose:
"L'Etat veille à ce que les communes s'administrent de manière conforme à la loi.
Son pouvoir de surveillance ne s'étend aux questions d'opportunité que lorsque l'intérêt général du canton ou des intérêts légitimes d'autres communes se trouvent directement en cause, ou lorsque la bonne administration de la commune est gravement menacée."
b) En matière d'autonomie communale, le Tribunal fédéral se reconnaît un pouvoir de libre examen lorsqu'il s'agit de
BGE 97 I 509 S. 513
l'interprétation de dispositions constitutionnelles cantonales, alors qu'il n'examine que sous l'angle restreint de l'arbitraire l'interprétation et l'application des dispositions légales ou réglementaires (RO 96 I 153 consid. 3, 94 I 545 consid. 3, 93 I 431 consid. 3 a).
3.
Il ressort clairement des dispositions précitées que la réglementation des heures d'ouverture et de fermeture des magasins, comme tâche traditionnelle de police locale (cf. IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3e éd. no 237 II a), entre dans la compétence de la commune; le Conseil d'Etat l'a d'ailleurs expressément reconnu dans une décision récente du 20 mai 1969 (publiée dans la RDAF 1970 p. 88). Les communes ne sont cependant pas obligées d'édicter des dispositions en cette matière. Si elles le font, elles doivent alors les soumettre à l'approbation du Conseil d'Etat, que ces dispositions figurent dans leur règlement général de police ou dans un texte à part, car il n'est pas douteux qu'il s'agit en tout cas de dispositions conférant des droits ou imposant des obligations au sens de l'art. 94 al. 2 LC.
Dans la décision attaquée, le Conseil d'Etat considère la décision prise le 17 décembre 1969 par le Conseil général de Romanel comme un règlement de police dont la validité est subordonnée à l'approbation de l'Exécutif cantonal. La recourante met en doute la qualité de règlement de ladite décision. Elle soutient qu'il s'agit d'une décision d'espèce, sans caractère de généralité et d'abstraction, et nullement d'un règlement de police, pas plus que d'une disposition d'un règlement qui devrait être soumis à l'approbation du Conseil d'Etat au sens de l'art. 94 al. 2 LC.
S'il est vrai que la décision du 17 décembre 1969 a été provoquée par l'installation future d'Hypermarché Romanel SA sur le territoire de la commune et avait principalement pour but de donner suite à la demande de cette entreprise tendant à l'ouverture de son magasin deux fois par semaine jusqu'à 22 heures, ladite décision n'en a pas moins posé le principe "d'autoriser l'ouverture nocturne des magasins qui en font la demande". Il s'agit là d'une disposition générale, valable pour un ensemble de cas et dont la portée est même plus grande qu'il n'apparaît à première vue. Comme la commune de Romanel, dont le règlement de police date de 1912, n'avait pas réglementé jusqu'ici les heures d'ouverture et de fermeture des magasins,
BGE 97 I 509 S. 514
les commerçants avaient toute liberté de fixer ces heures à leur gré, notamment de maintenir leurs magasins ouverts le soir, sans avoir d'autorisation à demander. Dorénavant, ils ne pourront plus le faire que moyennant une autorisation. La décision du 17 décembre 1969 a donc introduit dans la commune l'exigence de l'autorisation pour l'ouverture des magasins le soir; elle a ainsi introduit un régime d'interdiction de police avec réserve d'autorisation (cf. FLEINER, Les principes généraux du droit administratif allemand, trad. Eisenmann, p. 247). En raison de sa portée générale, une telle disposition ne peut être édictée que par la voie réglementaire, sans quoi la base légale communale ferait défaut.
D'ailleurs, la commune reconnaît expressément dans son recours qu'il ne s'agit pas d'une décision "ad personam", mais d'une disposition concernant tous les commerces qui en feront la demande. Elle a également précisé, dans d'autres écrits figurant au dossier, que cette décision "fera partie intégrante de notre futur règlement de police, lequel devra être ratifié par le Conseil d'Etat" (lettre du 26 décembre 1969 à la direction d'Hypermarché) ou qu'elle "sera incluse dans le nouveau règlement de police, actuellement à l'étude" et qu'en attendant elle "fait partie de notre ancien règlement" (lettre du 25 février 1970 accompagnant la décision du 17 décembre 1969, demandée par la Préfecture du district en vue de son approbation par le Conseil d'Etat).
Dans ces conditions, il n'était en tout cas pas arbitraire de considérer la décision litigieuse comme une disposition réglementaire soumise à l'exigence de l'approbation du Conseil d'Etat au sens de l'art. 94 al. 2 LC. S'agissant de l'application d'une disposition légale cantonale, le Tribunal fédéral peut se contenter de cette constatation, sans avoir à rechercher la portée et l'interprétation exacte de cette disposition. Le grief de violation de l'autonomie communale se révèle donc mal fondé sur ce point.
4.
L'art. 94 LC ne dit pas dans quelle mesure et selon quels critères le Conseil d'Etat peut contrôler le contenu des règlements communaux qui lui sont soumis pour approbation. En revanche, le pouvoir général de surveillance de l'Etat sur les communes est délimité par l'art. 137 LC; l'alinéa 2 prévoit que ce pouvoir ne s'étend aux questions d'opportunité que dans trois cas: si l'intérêt général du canton se trouve directement
BGE 97 I 509 S. 515
en cause, si des intérêts légitimes d'autres communes se trouvent directement en cause, enfin si la bonne administration de la commune est gravement menacée. On peut déduire de l'art. 137 al. 1 et, a contrario, de l'al. 2, que le pouvoir de contrôle du Conseil d'Etat porte en principe sur la légalité des règlements qu'il est appelé à approuver.
La recourante ne prétend pas que l'art. 137 CP ne soit pas applicable lors de la procédure d'approbation des règlements communaux par le Conseil d'Etat. Elle soutient en revanche que sa décision du 17 décembre 1969 était parfaitement conforme au droit constitutionnel et légal et que le Conseil d'Etat ne pouvait en examiner l'opportunité, car aucun des cas mentionnés à l'art. 137 al. 2 n'était réalisé.
a) La décision litigieuse du 17 décembre 1969 ne viole pas le droit cantonal, qui ne contient aucune disposition générale sur la fermeture des magasins. Le Conseil d'Etat ne prétend d'ailleurs pas qu'une disposition expresse du droit cantonal ait été violée.
En revanche, le Conseil d'Etat soutient que la décision litigieuse viole l'art. 31 Cst. Il n'en est rien.
Il est vrai que, dans sa jurisprudence relative à l'art. 31 Cst., le Tribunal fédéral a considéré que le souci de traiter de façon égale les concurrents et le rétablissement de l'égalité des chances troublée par une mesure de politique économique pouvaient servir de fondement à des prescriptions sur la fermeture des magasins (RO 88 I 236, 91 I 98). Mais lorsqu'un canton, renonçant à toute loi-cadre, laisse entièrement dans la compétence des communes la réglementation des heures d'ouverture et de fermeture des magasins, sans même leur imposer d'édicter une telle réglementation, il ne peut pas intervenir, à l'occasion de l'approbation d'un règlement communal en la matière, en prétextant qu'un tel règlement provoquerait par rapport aux commerçants d'autres communes des inégalités incompatibles avec l'art. 31 Cst. L'obligation de traiter de façon égale les commerçants d'une même branche ne s'adresse qu'au législateur compétent pour établir des restrictions de police à la liberté du commerce et de l'industrie et ne vise que le territoire soumis à sa législation. Du principe de l'égalité de traitement entre commerçants de la même branche, on ne peut tirer aucune obligation pour les cantons d'harmoniser entre eux leur législation, ni pour les communes d'harmoniser leur réglementation,
BGE 97 I 509 S. 516
dans les cantons où elles ont une certaine compétence en cette matière. Que l'égalité n'existe pas entre commerçants soumis à des réglementations différentes parce que domiciliés dans des cantons - ou des communes - différents, cela est évident et n'est pas incompatible avec la constitution fédérale (cf. RO 96 I 699 ss. consid. 4 b, 93 I 311 consid. 2 c, 336 consid. 5 a et 715
;
91 I 491
consid. 3 a). Si un canton estime nécessaire d'éliminer les différences qui existent entre communes en cette matière, il lui appartient d'édicter une réglementation uniforme, en limitant en conséquence les attributions des communes.
Ainsi la décision litigieuse de la commune de Romanel n'était contraire ni à la loi, ni à la constitution. Le Conseil d'Etat ne pouvait donc pas la critiquer sous l'angle de sa conformité au droit.
b) Des trois cas où la surveillance de l'Etat peut porter sur les questions d'opportunité, le troisième (menace pour la bonne administration de la commune) n'entre certainement pas en considération. Quant à l'intérêt général du canton, on ne peut pas prétendre avec quelque sérieux qu'il soit mis directement en cause par la décision litigieuse du 17 décembre 1969: en effet, d'une part les magasins sont ouverts le soir pendant la saison touristique dans les stations (Montreux compris), d'autre part les autres localités présentent des réglementations sensiblement différentes les unes des autres en raison de l'absence de prescriptions cantonales en la matière. Même si, en l'espèce, l'importance du commerce considéré et la proximité d'entreprises concurrentes soumises à une réglementation plus stricte donnent plus d'intérêt à la question en cause, on doit néanmoins reconnaître que l'intérêt général du canton n'est pas directement touché.
Il est en revanche évident que les intérêts d'autres communes peuvent être mis en cause par la réglementation adoptée par Romanel, notamment ceux des communes voisines (dont Lausanne) qui ne souhaitent pas autoriser la vente nocturne. Sans doute est-ce avant tout les commerçants de ces communes qui sont touchés dans leurs intérêts légitimes. Mais les personnes qui, dans les communes voisines, vivent du commerce de détail représentent tout de même une partie assez importante de la population pour que l'on puisse considérer certains de leurs intérêts comme étant finalement aussi des intérêts légitimes de ces communes. D'autre part, si l'ouverture nocturne des
BGE 97 I 509 S. 517
magasins est maintenue à Romanel, il faut s'attendre à ce que, dans un avenir plus ou moins rapproché, les communes voisines elles-mêmes se voient contraintes d'accorder aux entreprises concurrentes situées sur leur territoire une réglementation des heures d'ouverture semblable à celle qu'Hypermarché a obtenue de la commune de Romanel. Or à l'intérieur des localités, la fermeture des magasins le soir est une mesure de police qui tend avant tout à assurer la tranquillité nocturne des habitants. L'autorisation d'ouvrir les commerces le soir, que les communes voisines seraient aussi amenées à accorder, aurait notamment comme conséquence d'augmenter considérablement le bruit du trafic et de mettre sérieusement en danger la tranquillité nocturne.
Dans ces circonstances, il n'est en tout cas par arbitraire de considérer que des intérêts légitimes des communes voisines se trouvent mis directement en cause par la décision de la commune de Romanel d'autoriser l'ouverture nocturne d'un grand magasin situé sur son territoire; dès lors, le Conseil d'Etat pouvait sans arbitraire étendre à des questions d'opportunité l'examen du règlement communal qui lui était soumis pour approbation.
c) Si le Conseil d'Etat pouvait, sans arbitraire, se considérer légitimé à contrôler la décision litigieuse sous l'angle de l'opportunité, il reste encore à examiner s'il n'a pas violé la constitution en abusant de son pouvoir d'appréciation dans l'accomplissement de cette tâche (cf. RO 93 I 160, 94 I 545). Les considérations développées ci-dessus (consid. 4 b) permettent de répondre par la négative à cette question: on peut en effet soutenir par de bonnes raisons que la réglementation adoptée par la commune de Romanel aura des conséquences défavorables pour une région économique relativement vaste et qu'elle n'est dès lors pas opportune. De la circonstance que l'ouverture des magasins le soir soit autorisée dans des régions touristiques du canton de Vaud, comme d'autres cantons, en raison des conditions particulières que présentent ces régions, on ne peut tirer aucun argument déterminant pour critiquer l'effort du Conseil d'Etat en vue de protéger la réglementation existante en dehors des régions touristiques, notamment dans la région de Lausanne.
5.
La recourante conteste au Conseil d'Etat la compétence de modifier lui-même un règlement communal soumis à son
BGE 97 I 509 S. 518
approbation, aussi bien lorsqu'il peut en contrôler l'opportunité que simplement la légalité.
Il va de soi qu'en tant qu'autorité d'approbation des règlements communaux, le Conseil d'Etat peut refuser d'approuver tout ou partie d'un règlement contraire à la constitution ou à la loi ou jugé inopportun (dans les cas où son contrôle peut porter sur de telles questions). Il est clair également que le Conseil d'Etat a la faculté, dans les cas où il refuse d'approuver un règlement ou simplement telle ou telle de ses dispositions, d'indiquer à la commune sur quels points et dans quel sens elle devrait modifier son règlement pour qu'il puisse être approuvé. En partant du principe "qui peut le plus, peut le moins", on pourrait en conclure que le Conseil d'Etat peut également apporter lui-même directement la modification dont il fait dépendre son approbation; en particulier lorsque l'examen de l'opportunité se justifie en raison de la mise en cause directe d'intérêts légitimes d'autres communes, la solution la plus rationnelle et la plus sûre semble effectivement consister à faire apporter la modification nécessaire par le Conseil d'Etat luimême, mieux placé qu'une commune seule pour apprécier objectivement les intérêts en présence et en tenir convenablement compte. Sans doute une telle façon de procéder n'est-elle pas à l'abri de toute critique, car elle peut aboutir en fait à instituer par la voie d'un arrêté particulier du Conseil d'Etat, sans base légale, la réglementation cantonale subsidiaire qui fait défaut en une certaine matière. Comme il s'agit cependant, en l'espèce, d'un domaine que les communes n'ont pas l'obligation de réglementer, la recourante reste libre d'abroger les prescriptions préparées par elle mais modifiées par le Conseil d'Etat. Ainsi le Conseil général conserve la faculté de réglementer cette matière ou de renoncer à toute réglementation, soit que la solution modifiée par le Conseil d'Etat lui paraisse finalement acceptable et qu'il la maintienne en vigueur, soit qu'il la juge inacceptable et décide de l'abroger. On peut en conclure que, dans les circonstances particulières de l'espèce, il n'était pas arbitraire de la part du Conseil d'Etat de procéder à la modification d'une disposition jugée inopportune en fonction d'intérêts légitimes d'autres communes, et que partant l'autonomie n'a pas été violée.
6.
En raison de l'actualité de la question soulevée, on peut sans doute se demander si une interdiction complète de la vente
BGE 97 I 509 S. 519
du soir est compatible avec la liberté du commerce et de l'industrie, ou si au contraire une solution plus souple pour les heures de fermeture des magasins n'est pas commandée par les besoins actuels de la clientèle (cf. PATAKI, Die Öffnungszeiten im Detailhandel unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Verhältnissen, thèse St-Gall, 1968, notamment pp. 59 ss, 171, 175 ss., 191 ss.) Mais le Tribunal fédéral n'a pas à examiner ici cet aspect de la question, car la recourante ne peut invoquer elle-même la liberté du commerce et de l'industrie - et ne l'a d'ailleurs pas fait - dans la présente affaire. La Cour de céans doit donc se limiter à l'examen de l'autonomie communale (égalité de traitement comprise). Ainsi reste indécis le point de savoir si la décision attaquée, qui peut sans arbitraire se fonder sur le pouvoir légal d'intervention du Conseil d'Etat dans les affaires communales, est également compatible avec l'art. 31 Cst.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
99b1e9ec-2a4d-499d-a5dd-df8a6bca6a5e | Urteilskopf
136 IV 44
7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kanton Bern gegen Kanton Appenzell A.Rh. (Klage)
1E_1/2009 vom 21. Dezember 2009 | Regeste
Art. 120 BGG
,
Art. 104 ff. IRSG
,
Art. 342 StGB
,
Art. 29 Abs. 2 BV
; Vollzug eines ausländischen Strafurteils in der Schweiz; Verfügung des Bundes; öffentlich-rechtliche Streitigkeit zwischen Kantonen.
Das Bundesamt für Justiz verfügt nach Rücksprache mit dem betroffenen Kanton über die Übernahme des Strafvollzugs durch die Schweiz und durch den bestimmten Kanton (E. 1.2). Gegen die Verfügung des Bundesamts über die kantonale Zuständigkeit ist die Beschwerde des verpflichteten Kantons an das Bundesgericht im Sinne von
Art. 120 Abs. 2 BGG
zulässig, bevor das Exequaturverfahren nach Art. 105 f. IRSG durchgeführt wird (E. 1.3 und 1.4). | Sachverhalt
ab Seite 45
BGE 136 IV 44 S. 45
A.
Auf einem mit "Antrag auf Überstellung" bezeichneten Formular bekundete X. am 26. Juli 2007 sein Interesse, zur weiteren Strafverbüssung in die Schweiz überstellt zu werden. Nach den im genannten Formular enthaltenen Angaben verbüsste X. gestützt auf ein Urteil eines Madrider Gerichts in einem spanischen Gefängnis eine Freiheitsstrafe von 9 Jahren und einem Tag. In der Folge ersuchte das Bundesamt für Justiz das Departement Sicherheit und Justiz des Kantons Appenzell A.Rh., sich zum Überstellungsgesuch zu äussern. Das Departement (...) erklärte sich für unzuständig. X. habe weder Wohnsitz noch Bürgerrecht im Kanton Appenzell A.Rh. Er habe sich bereits am 25. August 2007 aus der Gemeinde Speicher abgemeldet.
B.
Hierauf richtete sich das Bundesamt für Justiz mit Schreiben vom 14. Juli 2008 an die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern mit der Frage, ob sie einer Überstellung von X. zustimme. Die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern erachtete (...) die Zuständigkeit des Kantons Appenzell A.Rh. als gegeben. Die formellen Voraussetzungen für eine Überstellung seien erfüllt. Nach
Art. 342 StGB
seien die Behörden des Wohnorts oder subsidiär des Heimatorts zuständig. X. sei in Kleindietwil/BE heimatberechtigt. Der Heimatort komme jedoch im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil X. seinen Wohnsitz nach wie vor in der Gemeinde Speicher/AR habe. (...)
BGE 136 IV 44 S. 46
C.
Mit Entscheid vom 6. Juli 2009 trat die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts auf das Gesuch des Kantons Bern, die Zuständigkeit für die Übernahme des Strafvollzugs im Zusammenhang mit der Überstellung des in Spanien verurteilten X. zu bestimmen, nicht ein. Zur Begründung seines Entscheids führte das Bundesstrafgericht im Wesentlichen aus, es gehe im vorliegenden Fall nicht um die Bestimmung des Gerichtsstands durch das Bundesstrafgericht im Sinne von
Art. 345 StGB
. Das Bundesamt für Justiz lege mit seinem Entscheid gemäss
Art. 104 Abs. 1 IRSG
(SR 351.1) über die Annahme des ausländischen Ersuchens die innerstaatliche Zuständigkeit fest. Ein solcher Entscheid könne beim Bundesstrafgericht nicht angefochten werden.
D.
Der Kanton Bern erhebt mit Rechtsschrift vom 7. Oktober 2009 gegen den Kanton Appenzell A.Rh. Klage beim Bundesgericht. Er stellt den Antrag, es sei festzustellen, dass der Kanton Appenzell A.Rh. in Sachen X. zum Vollzug der mit Urteil des Untersuchungsgerichts Madrid N. 15 vom 29. Mai 2007 ausgesprochenen und mit Entscheid des Gerichtskreises IV Aarwangen-Wangen vom 28. Oktober 2008 als vollstreckbar erklärten Freiheitsstrafe von neun Jahren und einem Tag zuständig sei. Der Kanton Bern beruft sich auf
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG
und macht geltend, es sei kein Rechtsmittel zum Entscheid über die Zuständigkeit gegeben.
E.
Das Departement Sicherheit und Justiz des Kantons Appenzell A.Rh. beantragt, die Klage sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht tritt auf die Klage nicht ein.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen und mit freier Kognition (
Art. 29 Abs. 1 BGG
).
1.1
Gemäss
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG
beurteilt das Bundesgericht auf Klage als einzige Instanz unter anderem öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. Nach
Art. 120 Abs. 2 BGG
ist die Klage jedoch unzulässig, wenn ein anderes Bundesgesetz eine Behörde zum Erlass einer Verfügung über solche Streitigkeiten ermächtigt. Gegen die Verfügung ist letztinstanzlich die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig.
1.2
Nach
Art. 104 Abs. 1 IRSG
entscheidet das Bundesamt nach Rücksprache mit der Vollzugsbehörde über die Annahme des
BGE 136 IV 44 S. 47
ausländischen Ersuchens. Nimmt es dieses an, so übermittelt es die Akten und seinen Antrag der Vollzugsbehörde und verständigt den ersuchenden Staat. Es kann die Übernahme des Strafvollzugs in sinngemässer Anwendung von
Art. 91 Abs. 4 IRSG
ablehnen. Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 104 Abs. 1 IRSG
entscheidet
das Bundesamt verbindlich über die Übernahme des Strafvollzugs durch die Schweiz und durch den bestimmten Kanton. Die kantonale Zuständigkeit ist nach den Regeln von
Art. 342 StGB
festzulegen (vgl.
Art. 105 IRSG
i.V.m.
Art. 342 StGB
in der Fassung des dritten Buchs StGB vom 13. Dezember 2002, in Kraft seit 1. Januar 2007 [AS 20063459, 3535]). Danach sind für Straftaten, die im Ausland begangenwurden, die Behörden des Wohnorts des Täters zuständig. Fehlt ein Wohnort in der Schweiz, so sind die Behörden des Heimatorts zuständig (
Art. 342 Abs. 1 StGB
).
Vor seinem Entscheid hat das Bundesamt mit dem von ihm als zuständig erachteten Vollzugskanton
Rücksprache
zu nehmen. Diese Rücksprache dient im Wesentlichen der Wahrung des rechtlichen Gehörs gegenüber dem Vollzugskanton vor Erlass der Verfügung über die Übernahme des Strafvollzugs (
Art. 29 Abs. 2 BV
). Hält sich ein angefragter Kanton für nicht zuständig, so ist je nach den konkreten Umständen noch mit einem oder mehreren anderen Kantonen Rücksprache zu nehmen (z.B. bei mehreren Heimatkantonen). Nach erfolgter Rücksprache hat das Bundesamt über das Übernahmegesuch betreffend den Strafvollzug eine Verfügung zu treffen. Stimmt es der Übernahme zu, so bestimmt es gleichzeitig nach den Regeln von
Art. 342 StGB
den Kanton, der für die Vollstreckung des ausländischen Urteils und die Durchführung des Exequaturverfahrens nach Art. 105 f. IRSG zuständig ist.
1.3
Ist die hier umstrittene Zuständigkeitsfrage erstinstanzlich durch den Erlass einer Verfügung zu entscheiden, so tritt an die Stelle der Klage nach
Art. 120 Abs. 1 BGG
die Beschwerde gemäss
Art. 120 Abs. 2 BGG
. In diesem Beschwerdeverfahren beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich die kantonale Zuständigkeit. Die Beschwerde nach
Art. 120 Abs. 2 BGG
betrifft im vorliegenden Zusammenhang lediglich die Frage der
Zuständigkeit
zur Durchführung des Exequaturverfahrens und zur Vollstreckung des ausländischen Strafurteils. Es handelt sich dabei um eine staatsrechtliche Streitigkeit, die in Bezug auf Anfechtungsgegenstand, Vorinstanz, Beschwerdelegitimation etc. nicht in jeder Hinsicht den Regeln einer der drei Einheitsbeschwerden des BGG unterliegt. Anfechtungsobjekt bildet die gemäss
Art. 104 Abs. 1 IRSG
erlassene Verfügung des Bundesamts für Justiz. Zur Beschwerde gegen diese Verfügung ist der
BGE 136 IV 44 S. 48
Kanton berechtigt, dem das Bundesamt die Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen überträgt. In Bezug auf Form und Frist sind die
Art. 42 und 100 Abs. 1 BGG
anwendbar.
1.4
Dem beschriebenen Rechtsweg zur Klärung der
Zuständigkeits
frage
steht
Art. 14 IRSV
(SR 351.11) nicht entgegen. Diese vor Erlass des BGG eingefügte Bestimmung bezeichnet Entscheide des Bundesamts über die Annahme oder die Weiterleitung eines Ersuchens an die ausführende Behörde im Sinne von
Art. 104 IRSG
als nicht selbstständig anfechtbar. Dies entspricht grundsätzlich der Praxis des Bundesgerichts zur Anfechtbarkeit von Vorprüfungsentscheiden des Bundesamts für Justiz (Urteil des Bundesgerichts 1A.53/2001 vom 26. April 2001; ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 3. Aufl. 2009, S. 730). Soweit jedoch mit dem Entscheid des Bundesamts auch über die innerstaatliche Zuständigkeit zum Exequaturverfahren nach Art. 105 f. IRSG entschieden wird, liegt ein Entscheid über eine Rechtsfrage vor, welche für das Exequaturverfahren von grundlegender Bedeutung ist und nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann. Nach rechtskräftiger Beurteilung der Zuständigkeitsfrage hat der als zuständig bezeichnete Kanton das Exequaturverfahren im Sinne von Art. 105 f. IRSG durchzuführen (Urteil 1A.53/2001 vom 26. April 2001 E. 2b). Der Entscheid des erstinstanzlichen Exequaturrichters unterliegt einem kantonalen Rechtsmittel (
Art. 106 Abs. 3 IRSG
). Der kantonale Rechtsmittelentscheid kann anschliessend mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht angefochten werden (
Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG
).
2.
Es ergibt sich, dass das Bundesamt für Justiz die Zuständigkeitsfrage gestützt auf
Art. 104 Abs. 1 IRSG
in einer Verfügung zu regeln hat, welche nach
Art. 120 Abs. 2 BGG
der Beschwerde durch den betroffenen Kanton an das Bundesgericht unterliegt. Auf die vorliegende Klage kann somit nicht eingetreten werden. (...) | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99b2daa2-0c6c-43b9-9a10-7c30a56f8ecb | Urteilskopf
104 Ia 201
35. Estratto della sentenza 7 giugno 1978 nella causa eredi fu Silvio Cattori c. Tribunale amministrativo del Cantone Ticino | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde; anfechtbare Verfügung.
Die Prüfungsbefugnis eines kantonalen Verwaltungsgerichts ist eine beschränkte, wenn es den Entscheid der untern Instanz nur auf Ermessensmissbrauch oder -überschreitung hin prüfen kann. In einem solchen Fall kann der Beschwerdeführer zusammen mit dem Entscheid der letzten kantonalen Instanz hinsichtlich der Ermessensbetätigung auch jenen der untern Instanz anfechten, welcher unbeschränkte Kognition zustand (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 1).
Art. 31ter und
Art. 32quater BV
; Bedürfnisklausel.
1. Voraussetzungen, unter denen nach
Art. 31ter und
Art. 32quater BV
einschränkende Massnahmen zulässig sind; Rechtslage im Kanton Tessin gemäss dem Gesetz über die Gaststätten vom 11. Oktober 1967 (E. 5a-c).
2. Muss dann, wenn die Verweigerung eines Wirtschaftspatents aus wirtschaftspolitischen Gründen in Frage steht, zweierlei geprüft werden, nämlich einmal, ob die Eröffnung der neuen Gaststätte eine Gefahr für die Existenz der bestehenden Betriebe schafft und, bejahendenfalls, zweitens, ob die Eröffnung einem Bedürfnis, d.h. einem überwiegenden öffentlichen Interesse, entspricht? Frage offen gelassen (E. 5d), da eine Gesetzgebung wie jene des Kantons Tessin, die eine solche doppelte Prüfung vorsieht, auf jeden Fall nicht verfassungswidrig ist (E. 5e und f).
Anforderungen an die Begründung eines Urteils, das weitgehend vom Ermessen der Behörde abhängt.
Wenn bei Anwendung einer Norm das Ermessen ausgeübt wird, so sind unter dem Gesichtspunkt des
Art. 4 BV
an die Begründung des Entscheids umso höhere Anforderungen zu stellen, je grösser der Spielraum des Ermessens ist und je zahlreicher die tatsächlichen Elemente sind, auf welche sich die Ermessensbetätigung bezieht (E. 5g). | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 104 Ia 201 S. 203
Gli eredi fu Silvio Cattori hanno richiesto la patente per aprire nel centro di Tenero un ristorante con mescita d'alcool e senza alloggio. Con risoluzione 27 novembre 1974, il competente Dipartimento cantonale di polizia l'ha loro rifiutata. La decisione è fondata sugli art. 6 e 7 della legge cantonale sugli esercizi pubblici, dell'11 ottobre 1967 (LEP): queste disposizioni sottopongono l'apertura di esercizi pubblici, con talune eccezioni, alla clausola del bisogno secondo gli
art. 31ter e 32quater Cost.
La risoluzione del Dipartimento è poi stata confermata, su ricorso, anche dal Tribunale amministrativo del Cantone Ticino, con sentenza del 30 luglio 1975. I giudici cantonali hanno nondimeno rilevato che, contrariamente all'assunto dipartimentale, il rifiuto della patente non poteva esser fondato su motivazioni di polizia (
art. 32quater Cost.
), ma si giustificava nel concreto caso poiché, dall'insieme delle circostanze, si doveva dedurre che la postulata apertura avrebbe determinato un eccesso di concorrenza dannoso per l'interesse
BGE 104 Ia 201 S. 204
pubblico ed una seria minaccia per l'esistenza economica di esercizi dello stesso genere (
art. 31ter Cost.
).
Con tempestivo ricorso di diritto pubblico fondato sulla violazione degli
art. 4 e 31 Cost.
, gli eredi Cattori hanno chiesto al Tribunale federale di annullare la decisione del Tribunale amministrativo e di invitare il Dipartimento di polizia a rilasciar loro il permesso postulato.
Il Tribunale federale ha accolto il gravame ed ha annullato tanto la sentenza del Tribunale cantonale, quanto la decisione del Dipartimento di polizia.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
Secondo la legge ticinese di procedura per le cause amministrative del 19 aprile 1966 (LPAmm), il ricorso al Tribunale amministrativo è ammissibile per la violazione del diritto (art. 61 cpv. 1 LPAmm) e, come specificato nel cpv. 2 di tale disposto, sono considerati violazione del diritto l'eccesso e l'abuso di potere. L'ultima istanza cantonale non può quindi sostituire il proprio apprezzamento a quello dell'istanza inferiore, ma può intervenire soltanto se questa ne abbia abusato o l'abbia ecceduto.
a) Allorquando è prescritto - come in casu - l'esaurimento delle istanze cantonali, il ricorso di diritto pubblico può esser rivolto solo contro la decisione dell'ultima istanza cantonale, se questa fruiva di libero esame e la sua decisione ha pertanto "sostituito" quella dell'istanza precedente (v.
DTF 80 I 308
consid. 1;
DTF 85 I 2
consid. 1;
DTF 88 I 3
consid. 4 a;
DTF 90 I 20
consid. 1, 107 consid. 1;
DTF 91 I 166
consid. 1, 281 consid. 1;
DTF 94 I 196
consid. 2, 220 consid. 1a, 462 consid. 2a).
b) Allorquando, invece, il potere d'esame dell'ultima istanza cantonale è limitato, il ricorrente può impugnare, insieme con la decisione di quest'ultima, anche la pronunzia dell'istanza inferiore a potere cognitivo pieno, che l'ha preceduta. Sino alla sentenza Bourgeoisie de Dorénaz (
DTF 94 I 459
e segg.), il Tribunale federale distingueva, a tal proposito, fra le censure che potevano esser sollevate davanti all'istanza cantonale di ricorso e quelle che, invece, non le potevano esser sottoposte. Per quest'ultima categoria, il ricorrente doveva impugnare immediatamente la decisione dell'istanza inferiore col ricorso di diritto pubblico; per le prime, invece, egli doveva adire preventivamente le vie di ricorso del diritto cantonale, salvo poi impugnare,
BGE 104 Ia 201 S. 205
in caso d'insuccesso, con nuovo gravame di diritto pubblico, la decisione presa dall'istanza di ricorso a potere cognitivo limitato ed eventualmente, insieme ad essa, la decisione dell'istanza inferiore (v.
DTF 94 I 462
consid. 2b, aa;
DTF 87 I 64
;
DTF 84 I 235
;
DTF 81 I 148
; FAVRE, Droit constitutionnel suisse, II ediz., pag. 478; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, ad
art. 86 OG
, pagg. 347/348). Questa esigenza di cumulare due ricorsi di diritto pubblico è stata abbandonata per ragioni di chiarezza, semplificazione ed economia processuale, con la citata sentenza Bourgeoisie de Dorénaz. Al ricorrente è ora permesso di impugnare con un solo gravame la decisione dell'ultima istanza cantonale a potere cognitivo limitato e, insieme con questa, la pronunzia dell'istanza cantonale inferiore munita di piena cognizione, tanto sui punti che potevano esser sottoposti all'autorità cantonale di ricorso, quanto sui punti che, invece, non le potevano esser sottoposti. Dal ricorso di diritto pubblico deve tuttavia emergere che il ricorrente postula l'annullamento di entrambe le decisioni; inoltre, il Tribunale federale - riservate le eccezioni relative alla ricevibilità di nuove impugnative - non entra in materia su quelle censure che il ricorrente, violando l'obbligo di esaurimento delle istanze cantonali, avesse omesso di presentare all'autorità cantonale di ricorso, pur avendone avuto la possibilità (v.
DTF 94 I 463
in fine;
DTF 84 I 235
). Da questa giurisprudenza, confermata in
DTF 95 I 114
/115,
DTF 97 I 119
/120,
DTF 98 Ia 156
consid. 3,
DTF 100 Ia 192
consid. 1, 267 consid. 2, non v'è ragione di scostarsi.
c) Circa le decisioni di tribunali amministrativi cantonali, che fruiscono di un libero esame del fatto e del diritto, il Tribunale federale ha in parecchie sentenze genericamente considerato che esse sostituiscono la decisione dell'istanza amministrativa precedente e che pertanto esse soltanto possono esser impugnate con ricorso di diritto pubblico (v.
DTF 94 I 220
;
DTF 98 Ia 156
;
99 Ia 148
;
DTF 100 Ia 192
). In altre sentenze, il Tribunale federale ha però più esattamente distinto fra le questioni di fatto e di diritto che il tribunale amministrativo può esaminare liberamente, da un lato, e quelle - in casu il controllo dell'esercizio dell'apprezzamento - in cui il tribunale amministrativo dispone di un potere limitato, dall'altro. In queste sentenze è stato precisato che, sulle questioni giudicate dal tribunale amministrativo con pieno esame, il ricorso di diritto pubblico può dirigersi esclusivamente contro la decisione del tribunale cantonale,
BGE 104 Ia 201 S. 206
mentre circa le altre, il ricorrente può impugnare nel contempo anche la precedente decisione dell'autorità amministrativa (v.
DTF 94 I 462
consid. 2b;
DTF 97 I 119
;
DTF 100 Ia 267
).
In
DTF 99 Ia 484
consid. 2a in fine, il Tribunale federale, senza peraltro motivare, ha però dichiarato che la circostanza per cui un tribunale amministrativo possa esaminare le questioni d'apprezzamento ("Ermessen") unicamente sotto il profilo dell'eccesso e dell'abuso, non costituisce una restrizione del suo potere d'esame ai sensi della citata giurisprudenza. Già posta in dubbio nella recente sentenza del 26 aprile 1978 in re Einwohnergemeinde Tägerig (
DTF 104 Ia 136
consid. 2a), questa opinione appare inesatta. Se il tribunale amministrativo non può controllare l'esercizio del potere d'apprezzamento dell'istanza amministrativa inferiore che sotto il profilo dell'eccesso e dell'abuso, ciò significa che su tal punto la sua cognizione è ristretta all'arbitrio; infatti, l'abuso e l'eccesso d'apprezzamento costituiscono in pratica una categoria dell'arbitrio (v. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, V ediz., vol. I, n. 67, pagg. 417/418; cfr. anche
DTF 93 I 160
, 433). Certo, l'equiparazione pura e semplice dell'abuso e soprattutto dell'eccesso di potere all'arbitrio (e quindi alla violazione dell'
art. 4 Cost.
) è oggi posta da taluni in dubbio quantomeno dal profilo teorico. La questione può rimanere del resto aperta: ai fini dell'impugnabilità della decisione dell'istanza inferiore occorre e basta, infatti, che il potere d'esame dell'istanza superiore sia limitato, ossia, in altre parole, che detta autorità non possa sostituire il proprio apprezzamento a quello dell'istanza precedente.
Non dare in questi casi al ricorrente la possibilità di censurare anche la decisione dell'autorità inferiore significherebbe sminuire i diritti del cittadino ed introdurre una disparità palese di trattamento rimpetto a quei casi in cui, trattandosi di questioni di mero diritto, la cognizione dell'ultima istanza cantonale è ristretta, o il suo potere decisionale ha altro oggetto (cfr. ancora il tipico caso di Dorénaz, ove l'istanza inferiore aveva, per una particolarità del diritto vallesano, il potere di modificare la nuova ripartizione particellare, l'ultima istanza, invece, solo quello d'accordare indennità pecuniarie). L'introduzione di una giurisdizione amministrativa da parte di un cantone, se è provvida per alleggerire il carico eccessivo del Tribunale federale, non deve comunque tradursi - per il cittadino
BGE 104 Ia 201 S. 207
che ha patito un torto nei suoi diritti costituzionali - in una diminuzione della tutela che il Tribunale federale è tenuto costituzionalmente ad assicurargli; il che accadrebbe se fosse impedito al Tribunale federale di esaminare direttamente - e non solo attraverso il "filtro" della decisione del Tribunale cantonale amministrativo - se l'autorità inferiore è caduta in un abuso o in un eccesso di potere.
5.
Giusta l'
art. 31ter Cost.
, i cantoni hanno il diritto di subordinare, in via legislativa, la gestione di caffè e ristoranti a requisiti di capacità personale ed il numero degli esercizi ("Betriebe", "établissements" e non "esercenti" come erroneamente stampato nella nuova Raccolta sistematica del diritto federale: cfr. RU 1947, pag. 1048) dello stesso genere al bisogno, se questo ramo dell'economia è minacciato nella sua esistenza da una concorrenza eccessiva. La disposizione costituzionale stessa precisa inoltre che le disposizioni dovranno adeguatamente tener conto dell'importanza dei diversi generi di esercizio per il benessere pubblico.
a) Tanto le restrizioni derivanti dall'
art. 31ter Cost.
, quanto quelle fondate sull'art. 32quater debbono esser introdotte "in via legislativa", cioè fondarsi su una legge in senso materiale, emanata da un organo competente secondo le regole del diritto pubblico: se tale organo non è il costituente stesso o il legislatore, ma un'autorità esecutiva, occorre che questa possa a sua volta fondarsi su una delegazione del potere legislativo conforme alle esigenze costituzionali (v.
DTF 98 Ia 52
consid. 2, 285/286 consid. 5, 591 consid. 3b; v. inoltre sul problema della riserva della legge in via generale
DTF 103 Ia 381
384, in particolare consid. 6b). Per il caso dell'art. 31ter, inoltre, è rilevante che la Costituzione stessa stabilisce delle direttive, cui i Cantoni nella loro legislazione debbono attenersi (
DTF 78 I 212
consid. 4 in fine e 214).
b) Della facoltà accordatagli dall'
art. 31ter Cost.
, il Cantone Ticino ha fatto uso solo con l'adozione della legge sugli esercizi pubblici dell'11 ottobre 1967 (LEP), che ha abrogato il "Testo unico" della precedente legge del 12 novembre 1931. L'
art. 6 cpv. 1 LEP
dispone che alla clausola del bisogno secondo gli
art. 31ter e 32quater Cost.
sottostanno gli esercizi pubblici, fatta eccezione (art. 6 cpv. 2) degli alberghi, dei ristoranti analcoolici, degli spacci di bevande alcooliche da trasportare e degli spacci di cibi e bevande connessi con le imprese pubbliche di
BGE 104 Ia 201 S. 208
trasporto. L'art. 7 soggiunge che il bisogno dev'esser accertato considerando il numero, l'importanza e la distribuzione degli esercizi pubblici dello stesso genere, comune per comune, nonché le esigenze locali e turistiche del comune interessato ed eventualmente dei comuni circostanti; e ciò non soltanto per ogni apertura, ma anche in caso di riapertura o di ampliamento, escluso il caso del trasferimento previsto dall'art. 19 della legge.
c) La circostanza per cui in una sola ed unica disposizione (
art. 6 cpv. 1 LEP
) vengano istituite tanto le restrizioni fondate sull'art. 31ter, quanto quelle fondate sull'art. 32quater, e che nella stessa disposizione (art. 6 cpv. 2) vengano stabilite identiche eccezioni all'assoggettamento può apparire criticabile sotto il profilo costituzionale. Infatti, premesse, ambito d'applicazione, scopi dell'uno e dell'altro disposto costituzionale sono essenzialmente diversi, e parrebbero di conseguenza esigere regolamentazioni diverse (su questi disposti, v.
DTF 79 I 155
segg. e AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, vol. I, n. 644 e vol. II, n. 1933). Non sollevata dai ricorrenti, la questione non ha tuttavia da esser esaminata ulteriormente. Analoga critica può muoversi all'
art. 7 LEP
, il quale nella sua lettera istituisce identiche direttive circa la determinazione del "bisogno", tanto nel caso delle limitazioni di polizia, quanto per le restrizioni di politica economica. Ma, come si vedrà in appresso, tanto dagli inequivoci lavori legislativi, quanto dalla pratica amministrativa e dalla giurisprudenza cantonale, si evince che - almeno per principio - i criteri unitariamente stabiliti dal testo legale dell'
art. 7 LEP
assumono, pur nell'univocità dei termini, un significato diverso a seconda che siano riferiti alle restrizioni fondate sull'art. 32quater, oppure a quelle fondate sull'
art. 31ter Cost.
Una differenziata interpretazione del testo dell'
art. 7 LEP
a seconda che le direttive in esso contenute siano riferite alle restrizioni di polizia (
art. 32quater Cost.
) oppure alle misure di politica economica (
art. 31ter Cost.
) risponde indubbiamente ai dettati costituzionali delle norme citate e, lungi dall'apparire contraddittoria, soddisfa il postulato dell'interpretazione costituzionale delle leggi. Sotto questo profilo, una questione di principio merita tuttavia accenno qui di seguito.
d) Tanto nella decisione del Dipartimento, quanto in quella del Tribunale amministrativo viene esposto - almeno in linea
BGE 104 Ia 201 S. 209
di principio - che il rifiuto della patente fondato sull'
art. 6 LEP
, nella misura in cui tale disposto si riferisce all'
art. 31ter Cost.
, deve esser preceduto da due distinte indagini. La prima, intesa ad accertare se l'apertura del previsto esercizio sia suscettibile di costituire concretamente un pericolo a seguito di concorrenza eccessiva per l'esistenza economica degli esercizi siti nel comprensorio entrante in linea di conto; la seconda indagine, da esperire soltanto se la prima ha avuto esito positivo, intesa ad accertare se, ciononostante, l'apertura del postulato esercizio risponda ad un bisogno, cioè ad un prevalente interesse pubblico. La delicata questione, intesa a sapere se l'autorità cantonale che intende avvalersi delle disposizioni legali emanate in virtù dell'art. 31ter, sia tenuta a tale doppio esame, e se il postulante lo possa richiedere, oppure se l'autorità possa, rispettivamente debba limitarsi ad accertare se l'apertura del nuovo esercizio risponda ad un bisogno, e quindi sia autorizzata a negare il permesso anche quando non è dimostrata concretamente alcuna messa in pericolo dell'esistenza economica dei concorrenti, non è ancora stata chiaramente risolta nella giurisprudenza e nella dottrina.
Questa seconda soluzione è adottata in decisioni cantonali pubblicate in ZBl 52/1951, pag. 239/240, 60/ 1959, pag. 513 segg., e 61/1960, pag. 333 segg., tutte relative al Cantone di Basilea Città. La sussistenza della premessa per l'introduzione della clausola del bisogno fondata sull'
art. 31ter Cost.
(minaccia per l'esistenza economica) sarebbe accertata una volta per tutte e definitivamente ("endgültig und abschliessend") dal legislatore cantonale, allorquando emana la legge. Chiamata ad applicare codesta legge, l'autorità amministrativa non sarebbe tenuta ad esaminare né se la minaccia per l'esistenza economica ancora sussista in genere, né se essa sussista nel caso concreto. L'inesistenza di una minaccia effettiva per l'esistenza economica dei concorrenti non escluderebbe pertanto il ricorso alla clausola del bisogno ed il rifiuto della patente in caso di risposta negativa circa il bisogno. Beninteso, e per converso, la constatata esistenza di una concreta messa in pericolo di concorrenti, non osterebbe al rilascio della richiesta patente, se un bisogno fosse riconosciuto (v. ZBl 60/1959, pag. 514 consid. 2 e riferimenti). Questa soluzione giurisprudenziale sembra esser accolta da MARTI (Die Wirtschaftsfreiheit der schweizerischen Bundesverfassung, Basilea 1976, pag. 161, n. 297 e nota 16), che
BGE 104 Ia 201 S. 210
la registra senza commento critico. Essa è invece combattuta da NEF/HUNZIKER (Handels- und Gewerbefreiheit, VI, Wirtschaftsgewerbe, SJK n. 621, B/II, con riferimento a Handels- und Gewerbefreiheit, V, Wirtschaftspolitische Massnahmen, SJK n. 620, C/II/1 e a
DTF 82 I 152
consid. 2,
DTF 93 I 127
consid. 2 e 224 consid. 1) e da L. SCHÜRMANN (Die rechtliche Tragweite der neuen Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung, in ZBl 49/1948, pagg. 33 segg., 57 segg., 89 segg., in part. 65/66). A favore del doppio esame, potrebbe addursi che il costituente federale ha considerato la messa in pericolo quale premessa indispensabile della deroga alla libertà di industria e commercio, e che la necessità di mantenere una situazione economica sana nel ramo degli esercizi pubblici è considerata dalla Costituzione stessa come un interesse pubblico sufficiente, ma anche necessario, alla limitazione della libertà di cui qui è discorso. In presenza della minaccia per l'esistenza del ramo economico, il permesso di apertura deve in linea di principio esser negato: per contro, esso dovrà esser rilasciato soltanto se altri interessi pubblici prevalenti (essenzialmente i bisogni dei consumatori) lo giustificano, e ciò nonostante che l'apertura del nuovo esercizio possa ledere i concorrenti. Rifiutare al postulante la possibilità di contestare in linea di massima la sussistenza di una minaccia per l'esistenza economica della categoria, equivarrebbe ad impedirgli di far valere che il legislatore cantonale si è posto in contrasto con la Costituzione e, rispettivamente, di addurre che alla normativa cantonale - costituzionalmente ineccepibile al momento dell'adozione - è venuto in seguito a mancare il supporto costituzionale per mutamento della situazione economica.
Ai fini del giudizio, questa delicata questione può tuttavia rimanere aperta per due motivi ben precisi: il primo, di carattere generale, è che un cantone il quale permette il citato doppio esame non viola affatto la Costituzione, poiché manifestamente non esorbita dal quadro fissatogli dal costituente con istruzioni impegnative per il legislatore (a codesta soluzione non può infatti ostare la sentenza 1o luglio 1977 in re Landwirtschaftliche Konsumgenossenschaft Wehntal -
DTF 103 Ib 227
segg., 231 consid. 6 - essendo in gioco in quel caso misure di polizia, ancorate in una legge di polizia). Il secondo motivo, più specifico, è che la situazione del Cantone Ticino è particolare ed ha indotto il legislatore ad istituire un esame pregiudiziale
BGE 104 Ia 201 S. 211
della messa in pericolo, seguito dall'accertamento concreto del bisogno, ovvero dell'interesse pubblico all'apertura di un nuovo esercizio.
e) Non solo nel Cantone Ticino l'autorità chiamata ad applicare la legge ammette - quantomeno in linea di principio - la necessità dell'accennato duplice esame, ma conclusione identica si deve trarre dai lavori legislativi, cui i ricorrenti ampiamente si riferiscono e che su tal punto sono perfettamente chiari ed univoci.
Il legislatore ticinese si è risolto a far uso della facoltà accordatagli dall'
art. 31ter Cost.
solo nel 1967, vent'anni dopo l'adozione della norma. E ciò non tanto perché avesse constatato che, in linea generale, l'esistenza economica degli esercizi pubblici fosse nell'intero Cantone minacciata da fenomeni di concorrenza eccessiva, quanto piuttosto per porsi in grado di intervenire, sulla scorta della base legale indispensabile, laddove simili distorsioni concorrenziali fossero accertate. Nel Messaggio del Consiglio di Stato del 25 febbraio 1966 accompagnante il disegno della LEP (pag. 10), si legge infatti "che le previste limitazioni vogliono costituire semplicemente quella necessaria base legale che permetta al Cantone di intervenire quando e là dove - e soltanto quando e là dove - ricorrano gli estremi che giustificano il ricorso all'una o all'altra restrizione". Pur essendo conscio che "il ramo dell'economia rappresentato dai caffè e ristoranti ai sensi dell'art. 31ter C.F., se preso nel suo assieme e se visto sul piano cantonale, non è ancora oggetto di quella concorrenza così eccessiva da minacciarlo nella sua esistenza", il Governo cantonale ha nondimeno rilevato che "le condizioni di fatto che si verificano e si riscontrano in alcuni Comuni... sono già oggi tali da rendere opportuno il ricorso alla limitazione di natura economica (art. 31ter), o quanto meno da consigliare la creazione di quella base legale che dispensi il Cantone dal rispetto, altrimenti assoluto e integrale, del principio della libertà di industria e di commercio...". E la Commissione della legislazione (si veda il Rapporto del 1o settembre 1967, pagg. 2 e 3) finì col fare adesione al Messaggio per il motivo che "una liberazione completa potrebbe significare un elemento di squilibrio in tutto il ramo economico in questione", perché non era da sottovalutare la possibilità di veder sorgere catene di ristoranti creati da grandi complessi finanziari, e perché, in determinati quartieri di città, il numero
BGE 104 Ia 201 S. 212
degli esercizi appariva eccessivo: il tutto con richiamo all'esplicita e solenne dichiarazione del Consiglio di Stato, testualmente riprodotta dal Messaggio nel Rapporto stesso.
Coerentemente con questa impostazione, né nella legge né nell'ordinanza sono stabiliti coefficienti concernenti il numero degli esercizi o delle varie categorie di esercizi per rapporto alla popolazione di un determinato comprensorio, superati i quali una saturazione è presunta ed il permesso deve per principio esser negato, salvo si dimostri un bisogno dettato da altri pubblici interessi.
f) Ne viene che le autorità ticinesi, chiamate al cennato doppio esame, godono di una libertà particolarmente grande nella valutazione delle circostanze di fatto, dalle quali deve dedursi dapprima la constatazione di una messa in pericolo per gli esercizi esistenti, poi, eventualmente, affermarsi o negarsi un bisogno. Trattandosi precipuamente della valutazione di circostanze di fatto e locali, meglio note all'autorità cantonale, il Tribunale federale - per costante giurisprudenza - interviene soltanto, nella sua veste di giudice costituzionale, se di codesto apprezzamento l'autorità ha abusato o l'ha ecceduto (v.
DTF 51 I 26
relativa al vecchio
art. 31c Cost.
, ora 32quater;
54 I 90
/91 consid. 3;
DTF 95 I 209
; ZBl 66/1965, pag. 269c; cfr., tuttavia,
DTF 98 Ib 229
, dove la questione di sapere se "i bisogni" dell'esercizio e del traffico ferroviario giustificano l'apertura di una farmacia in una stazione è stata considerata questione di mero diritto, questione d'apprezzamento, invece, quella di decidere se, affermato il bisogno, la farmacia debba aprirsi o meno; si veda inoltre la critica di IMBODEN/RHINOW, op.cit., vol. I, n. 66, pag. 406 lett. d e pag. 411 lett. b).
g) L'esercizio del potere di apprezzamento non si confonde tuttavia col beneplacito dell'autorità amministrativa. Questa è legata ai criteri che scaturiscono dal senso e dagli scopi della normativa applicabile, così com'è legata ai principi generali del diritto. Essa deve accertare tutti gli elementi di fatto suscettibili di determinare o concorrere a determinare la decisione, e comparare accuratamente gli opposti interessi che si affrontano (v.
DTF 98 Ia 463
464 e riferimenti;
99 Ia 41
;
99 Ib 136
; GRISEL, Droit administratif suisse, pag. 171; IMBODEN/RHINOW, op.cit., vol. I, n. 67, pagg. 416/417). Tra i principi cardinali che l'esercizio del potere di apprezzamento deve ossequiare rientrano il divieto dell'arbitrio e della disparità di trattamento, le
BGE 104 Ia 201 S. 213
regole della buona fede e quella della proporzionalità (v.
DTF 90 I 343
).
Anche sotto il profilo formale, l'autorità è tenuta a maggior rigore e disciplina, quanto più largo è lo spazio di apprezzamento che le è lasciato. Ciò concerne in modo speciale l'obbligo di motivazione. Mentre la giurisprudenza anteriore rifiutava di considerare, almeno in linea generale, la mancanza di motivazione come un diniego di giustizia formale, se l'obbligo di motivazione non era ancorato espressamente nella legislazione cantonale (cfr.
DTF 28 I 11
;
DTF 43 I 28
;
DTF 53 I 111
;
DTF 62 I 146
;
DTF 93 I 120
consid. 2 e riferimenti), la giurisprudenza più recente ha evoluto. In
DTF 96 I 723
/724, il Tribunale federale ha riconosciuto che i principi generali dello Stato di diritto esigono sì di massima che i motivi della decisione siano resi noti all'interessato al fine di consentirgli di far uso con efficacia delle impugnazioni previste dalla legge; ma ha soggiunto che, sotto il risvolto del diritto d'esser sentito, non devono esser poste a codesto obbligo esigenze troppo severe e che dall'
art. 4 Cost.
non si deduce immediatamente in quale forma il destinatario della decisione debba esser posto al corrente dei motivi. In ogni caso, una violazione dell'
art. 4 Cost.
è esclusa quando, non prevedendo il diritto cantonale una motivazione scritta, la decisione non la contiene, ma le parti hanno appreso per altra via i motivi, o comunque sono in grado, per la manifesta concludenza delle risultanze dibattimentali o probatorie, di individuare chiaramente perché la decisione sia stata presa in un senso piuttosto che nell'altro. Questa giurisprudenza è stata confermata, ma nello stesso tempo affinata e precisata in
DTF 98 Ia 464
/465 (consid. 5). In particolare, si è ivi riconosciuto che, allorquando la decisione deve esser presa dall'autorità in applicazione di norme che non le lasciano alcuna latitudine di giudizio o d'apprezzamento, il semplice riferimento alle norme applicate può apparire sufficiente a soddisfare il precetto della motivazione (v. anche sentenza inedita 28 ottobre 1977 in re Schneider, consid. 6a).
Da ciò deve dedursi a contrario che, allorquando l'applicazione della normativa implica esercizio d'apprezzamento, le esigenze che in virtù dell'
art. 4 Cost.
si pongono alla motivazione aumentano, e tanto più esse diventano rigorose, quanto maggiore è l'apprezzamento riservato all'autorità, e quanto più numerose sono le premesse fattuali su cui tale apprezzamento
BGE 104 Ia 201 S. 214
deve esercitarsi (v. MEYLAN, La motivation des actes administratifs en droit suisse, in Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe Congrès international de droit comparé, Basilea 1970, pag. 313 segg., in part. 334/335, lett. c; MEYLAN, La motivation des actes administratifs à la lumière de la jurisprudence récente du Tribunal fédéral, in RDAF 1973, pag. 369 e segg., in part. 374/375; IMBODEN/RHINOW, op.cit., vol. I, n. 85, pagg. 534/536, in part. III/e; v. anche, nella giurisprudenza più remota relativa alla libertà di commercio e d'industria,
DTF 51 I 26
ove l'assenza di indicazione dei motivi che avevano indotto l'autorità cantonale a negare l'esistenza di un bisogno non fu ritenuta come vizio della decisione unicamente perché questa decisione era stata preceduta da altre, concernenti lo stesso oggetto, rimaste incontestate e fondate su un esame minuzioso ed oggettivo delle circostanze, cui pertanto l'autorità poteva semplicemente riferirsi).
Se ne deve concludere che ambito, limiti, forma di una motivazione rispettosa dei postulati di uno Stato di diritto e conforme alle esigenze del diritto d'esser sentito garantito dall'
art. 4 Cost.
sono variabili. Il contenuto della motivazione può esser determinato - nel quadro dei principi generali - solo per riguardo alle particolarità del caso concreto, tenendo conto, da un lato, dell'insopprimibile esigenza di assicurare al cittadino un minimo di mezzi efficaci di difesa e, dall'altro, della necessità di garantire all'autorità chiamata ad esercitare un sindacato di costituzionalità la possibilità effettiva e non solo nominale di effettuarlo. Se codeste regole risultano nel caso concreto violate, il vizio formale comporta di norma l'annullamento della decisione, senza che il ricorrente debba dimostrare un interesse (cfr.
DTF 98 Ib 196
); tuttavia, il Tribunale federale ha fatto eccezione a questa regola rigida, allorquando, nonostante il vizio, il ricorrente ha potuto di fatto difendere pienamente i propri diritti in sede di ricorso (v.
DTF 99 Ib 99
consid. 2a; 135 consid. 2a in fine, e la critica di MEYLAN, op.cit., RDAF 1973, pag. 379, e IMBODEN/RHINOW, op.cit., vol. I, n. 85, pagg. 536/537, V). Per questa attenuazione del principio, il Tribunale federale procede con un ragionamento analogo a quello concernente la riparazione del diritto d'esser sentito davanti all'autorità di ricorso (v.
DTF 98 Ib 171
consid. 3 e riferimenti). | public_law | nan | it | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
99ba9657-4624-413f-a7fc-b594ca557509 | Urteilskopf
120 V 106
14. Urteil vom 25. April 1994 i. S. Migros-Pensionskasse Zürich gegen B. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
,
Art. 4 Abs. 1 IVG
.
Die Bindung der Vorsorgeeinrichtungen an den durch die Invalidenversicherung bei teilerwerbstätigen Personen aufgrund der gemischten Methode ermittelten Invaliditätsgrad beschränkt sich auf die Invalidität im erwerblichen Bereich. | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 120 V 106 S. 106
A.-
B. (geboren 1940) arbeitete seit Oktober 1975 im Teilzeitverhältnis bei der Migros-Genossenschaft und gehörte damit der Migros-Pensionskasse (nachfolgend: Pensionskasse) an. Nachdem sie auf den 1. Januar 1988 ihr Pensum von 30 auf 25 Wochenstunden reduziert hatte, war sie ab 24. Juli 1990 wegen eines Rückenleidens vollständig arbeitsunfähig.
Die Invalidenversicherungs-Kommission ermittelte aufgrund der gemischten Methode bei einer Einschränkung im erwerblichen Bereich von 70% und im Haushaltbereich von 25% einen Invaliditätsgrad von 52%, wobei sie die Versicherte zu 60% als Erwerbstätige und zu 40% als Hausfrau einstufte.
BGE 120 V 106 S. 107
Gestützt darauf sprach die Ausgleichskasse Migros der Versicherten mit Verfügung vom 21. August 1991 rückwirkend ab 1. Mai 1990 eine halbe Invalidenrente zu.
In der Folge teilte die Pensionskasse B. mit Schreiben vom 18. Oktober 1991 mit, sie werde aufgrund der reglementarischen Bestimmungen ab 1. Juni 1991 eine Teilinvalidenrente von 50% im Betrag von monatlich Fr. 395.-- ausrichten. Demgegenüber vertrat B. die Auffassung, sie habe Anspruch auf eine volle Invalidenrente, weil für die Pensionskasse einzig die Invalidität im erwerblichen Bereich von 70% massgebend sei und nicht der Gesamtinvaliditätsgrad von 52%, welcher sich unter Einbeziehung der Hausfrauentätigkeit ergebe.
B.-
Nachdem die Pensionskasse auf ihrem Standpunkt beharrt hatte, liess B. am 11. Mai 1992 Klage beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft einreichen mit dem Antrag, es sei ihr ab 1. Januar 1988 eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 19% und ab 1. Juni 1991 eine volle Invalidenrente von mindestens Fr. 790.-- im Monat zuzusprechen. Nach Beizug der Akten der Invalidenversicherung hiess das Versicherungsgericht mit Entscheid vom 2. September 1992 die Klage teilweise gut und verpflichtete die Pensionskasse, der Versicherten ab Erschöpfung der Lohnersatzleistungen eine volle Invalidenrente auszurichten; das Begehren um Zusprechung einer Teilrente ab 1. Januar 1988 wies es ab.
C.-
Die Pensionskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die halbe Invalidenrente zu bestätigen.
B. lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen, während sich das Bundesamt für Sozialversicherung der Argumentation des kantonalen Gerichts anschliesst und sich einer ausführlichen Stellungnahme enthält.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Zuständigkeit)
2.
(Kognition)
3.
a) Anspruch auf Invalidenleistungen haben gemäss
Art. 23 BVG
Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 50% invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert waren. Nach
Art. 24 Abs. 1 BVG
hat der Versicherte Anspruch
BGE 120 V 106 S. 108
auf eine volle Invalidenrente, wenn er im Sinne der Invalidenversicherung mindestens zu zwei Dritteln, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte invalid ist.
b) Das Reglement 1990 der Beschwerdeführerin enthält zur Invalidenrente u.a. folgende Bestimmungen:
"Art. 31 Voraussetzungen und Dauer der Invalidenrente
1. Wird der Versicherte vor dem ordentlichen Rücktrittsalter voll- oder teilinvalid und wird sein Anstellungsverhältnis deswegen aufgehoben oder abgeändert, so erhält er eine Invalidenrente.
2. Als vollinvalid gilt, wer infolge von Krankheit, Gebrechen oder Unfall mindestens zu zwei Dritteln voraussichtlich bleibend erwerbsunfähig ist.
3. Als teilinvalid gilt, wer mindestens zu einem Viertel, aber zu weniger als zu zwei Dritteln erwerbsunfähig ist. Eine Erwerbsunfähigkeit von weniger als 25% berechtigt nicht zu einer Invalidenrente.
4. Der Grad der Invalidität richtet sich nach der durch die Invalidität begründeten Einkommenseinbusse, unter Berücksichtigung der medizinischen Begutachtung durch den Vertrauensarzt.
5.-8. ...
Art. 32 Feststellung der Invalidität
1. Der Stiftungsrat entscheidet auf Grund des Zeugnisses eines von ihm besonders bezeichneten Vertrauensarztes über das Vorliegen und den Grad der Invalidität. Er berücksichtigt in der Regel auch den Entscheid der Eidg. Invalidenversicherung (IV), ist aber nicht daran gebunden.
2. ..."
c) Aus der engen Verbindung zwischen dem Recht auf eine Rente der Invalidenversicherung und demjenigen auf eine Invalidenleistung nach BVG ergibt sich, dass der Invaliditätsbegriff im obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge und in der Invalidenversicherung grundsätzlich der gleiche ist. Aufgrund von
Art. 6 BVG
steht es den Vorsorgeeinrichtungen frei, den Invaliditätsbegriff bereits in der obligatorischen Versicherung zugunsten des Versicherten zu erweitern oder Invalidenrenten schon bei einem Invaliditätsgrad von weniger als 50% auszurichten. Dabei bedeutet allerdings praxisgemäss die Gestaltungsfreiheit nach Art. 6 (und auch diejenige nach Art. 49 Abs. 2) BVG nicht uneingeschränktes Ermessen. Wenn die Vorsorgeeinrichtungen in ihren Urkunden, Statuten oder Reglementen einen bestimmten Invaliditätsbegriff verwenden, so haben sie bei der Interpretation darauf abzustellen, was in anderen Gebieten der Sozialversicherung oder nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen darunter verstanden wird. Die Vorsorgeeinrichtungen sind somit frei in der Wahl des
BGE 120 V 106 S. 109
Invaliditätsbegriffs; sie haben sich aber an eine einheitliche Begriffsanwendung zu halten. Gehen die Vorsorgeeinrichtungen ausdrücklich oder unter Hinweis auf das Gesetz vom gleichen Invaliditätsbegriff aus wie die Invalidenversicherung, sind sie hinsichtlich des versicherten Ereignisses an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherungs-Kommission gebunden, es sei denn, dass diese sich als offensichtlich unhaltbar erweist. Verwenden die Vorsorgeeinrichtungen demgegenüber einen anderen Invaliditätsbegriff als die Invalidenversicherung, rechtfertigt sich eine selbständige Prüfung, wobei sich die Vorsorgeeinrichtungen diesfalls auf die medizinischen und erwerblichen Abklärungen der IV-Organe stützen können. Diese Grundsätze über die Massgeblichkeit des Beschlusses der Invalidenversicherungs-Kommission gelten nicht nur bei der Festlegung der Höhe des Invaliditätsgrades, sondern auch bei der Entstehung des Rentenanspruchs, mithin dort, wo sich die Frage stellt, wann die Arbeitsfähigkeit sich erheblich verschlechtert hat (
BGE 118 V 39
Erw. 2b/aa,
BGE 115 V 208
und 215).
4.
a) Die Invalidenversicherungs-Kommission bemass die Invalidität der Beschwerdegegnerin nach der gemischten Methode (Anteil Erwerbstätigkeit: 60%) und ermittelte einen Invaliditätsgrad von 52%. Dabei ergab sich im Teilbereich Haushalt eine Invalidität von 25% und im erwerblichen Bereich eine solche von 70%.
Die beschwerdeführende Pensionskasse stellt sich auf den Standpunkt, angesichts des einheitlichen Invaliditätsbegriffes zwischen BVG und IVG sei für sie der aufgrund der gemischten Methode ermittelte Invaliditätsgrad von 52% massgebend. Demgegenüber vertreten kantonales Gericht und Beschwerdegegnerin die Auffassung, dass für die Invaliditätsbemessung einzig auf die für den erwerblichen Bereich festgestellte Invalidität von 70% abzustellen sei. Diese Auffassung wird auch vom Bundesamt für Sozialversicherung geteilt.
b) Bei der Auslegung der in
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
enthaltenen Wendung "im Sinne der IV invalid" ist davon auszugehen, dass das BVG (Art. 2 bis 4) im Gegensatz zur Invalidenversicherung lediglich die Erwerbstätigen versichert (BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, S. 286, N. 47 zu § 14). Die berufliche Vorsorge stellt einen Ersatz für den nach Eintritt des Versicherungsfalles (Rücktrittsalter, Tod, Invalidität) ausbleibenden Lohn dar (HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 5. Auflage, S. 143). Entsprechend knüpfen beim versicherten Personenkreis sowohl die
BGE 120 V 106 S. 110
obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer (
Art. 7 ff. BVG
) als auch die freiwillige Versicherung der Selbständigerwerbenden (Art. 44 f. BVG) an die Erwerbstätigkeit an. Dieser versicherungsmässige Ausgangspunkt kommt bei der obligatorischen beruflichen Vorsorge auch beim versicherten Lohn (
Art. 7 und 8 BVG
) zum Ausdruck. Wenn daher das BVG bei der Umschreibung der Anspruchsvoraussetzungen für Invalidenleistungen auf den Invaliditätsbegriff der Invalidenversicherung Bezug nimmt (
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
), so steht dies unter dem stillschweigenden Vorbehalt der Erwerbstätigkeit. Eine Invalidität, die nicht auf einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit beruht, kann damit nicht gemeint sein. Die unterschiedliche gesetzliche Regelung des Versichertenkreises der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge verbietet daher, den Invaliditätsbegriff der Invalidenversicherung ungeachtet erwerblich nicht relevanter Faktoren integral zur Anwendung zu bringen. Nach Sinn und Zweck der beruflichen Invalidenvorsorge können die Verweise in
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
einzig die Definition der Invalidität nach Massgabe der Erwerbsunfähigkeit gemäss
Art. 4 Abs. 1 IVG
im Auge haben. Entsprechend ist die Ausgangslage bei der Unfallversicherung, welche für die Bemessung der Invalidität einzig die Methode des Einkommensvergleichs (
Art. 18 Abs. 2 UVG
) kennt.
Der Auffassung des kantonalen Gerichts ist demzufolge beizupflichten, dass in Fällen von teilerwerbstätigen Versicherten, die neben der Erwerbstätigkeit einen Haushalt führen, der nach der gemischten Methode des
Art. 27bis IVV
ermittelte Invaliditätsgrad nicht in den Bereich der beruflichen Vorsorge übernommen werden kann. Der Entscheid der Organe der Invalidenversicherung ist mithin für die Vorsorgeeinrichtungen insoweit nicht verbindlich, als die Invalidität bzw. der Invaliditätsgrad nach andern Kriterien als der Erwerbsunfähigkeit bemessen wird. Es wäre in solchen Fällen unhaltbar, eine Bindungswirkung an die IV-rechtliche Betrachtungsweise anzunehmen. Die Koordination der zweiten mit der ersten Säule hat daher bei teilerwerbstätigen und damit nach der gemischten Methode des
Art. 27bis IVV
eingeschätzten Versicherten in der Weise zu geschehen, dass für die berufliche Vorsorge grundsätzlich nur der Invaliditätsgrad massgebend ist, der für den erwerblichen Bereich resultiert. Einzig insoweit ist eine Bindung an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung gegeben, unter dem Vorbehalt der offensichtlichen Unhaltbarkeit des Invaliditätsgrades. In diesem Sinne sind die Grundsätze der Rechtsprechung über die Verbindlichkeit der Invaliditätsschätzung durch
BGE 120 V 106 S. 111
die IV-Organe im Bereich der obligatorischen Vorsorge zu ergänzen (vgl.
BGE 118 V 39
Erw. 2 und 3, 115 V 208 und 215).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann von einer Besserstellung der von
Art. 27bis IVV
erfassten Teilerwerbstätigen nicht gesprochen werden. Das Korrektiv gegen überhöhte Vorsorgeleistungen liegt beim versicherten bzw. koordinierten Lohn, der entsprechend der nur teilzeitlichen Beschäftigung geringer ausfällt. Die Auffassung der Beschwerdeführerin führt im Gegenteil zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der in Teilzeit Beschäftigten mit bestimmtem Aufgabenbereich im Haushalt gegenüber den vollzeitlich Erwerbstätigen.
c) Keine für die Entscheidung des streitigen Rentenfalles andere Beurteilungsgrundlage ergibt sich nach der statutarischen Ordnung der Beschwerdeführerin. In Auslegung und Anwendung von Art. 31 Abs. 1 bis 4 der Statuten ist für die Bemessung der Invalidität grundsätzlich auf die Erwerbsunfähigkeit, ausgedrückt in der Einkommenseinbusse, abzustellen. Dies schliesst es aus, bei der Invaliditätsbemessung Behinderungen ausserhalb des beruflichen Bereiches miteinzubeziehen. Wohl berücksichtigt der Stiftungsrat in der Regel auch den Entscheid der Invalidenversicherung, ohne aber daran gebunden zu sein (Art. 32 Abs. 1 der Statuten). Es ginge jedoch nicht an, wenn der Stiftungsrat angesichts der statutarisch vorgegebenen Kriterien bei der Festlegung des Invaliditätsgrades bei einer teilzeitbeschäftigten Person unbesehen auf den aus der gemischten Methode der Invalidenversicherung resultierenden Invaliditätsgrad abstellen würde. Es kann in diesem Zusammenhang auf Erw. 5 des vorinstanzlichen Entscheides verwiesen werden. Die Berufung der Beschwerdeführerin auf
Art. 50 Abs. 3 BVG
ist ebenfalls unbehelflich, da sich einerseits beim BVG wie beim UVG - im Gegensatz zur Invalidenversicherung - der versicherte Personenkreis auf erwerbstätige Personen beschränkt und anderseits Art. 31 Abs. 1 bis 4 der Statuten selbst auf die Erwerbsunfähigkeit abstellt.
d) Nach dem Gesagten ist somit für die Invaliditätsbemessung einzig auf den von der Invalidenversicherung für den erwerblichen Bereich ermittelten Invaliditätsgrad von 70% abzustellen. Zu Recht hat daher das kantonale Gericht der Beschwerdegegnerin ab Erschöpfung der Lohnersatzleistungen (Art. 31 Abs. 5 der Statuten) einen Anspruch auf eine volle Invalidenrente eingeräumt. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
99bbc3a2-a32d-435a-8d2a-3b16c8a2944f | Urteilskopf
89 I 219
35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Mai 1963 i.S. Schweiz. Vereinigung für Tiefkühlung gegen Eidg. Amt für das Handelsreglster. | Regeste
Handelsregister.
Verwendung einer nationalen Bezeichnung im Namen eines einzutragenden Vereins (Art. 47 in Verbindung mit
Art. 45 HRegV
).
Fall einer Vereinigung von Firmen eines bestimmten Wirtschaftszweigs, die sich als "schweizerisch" bezeichnen will.
Voraussetzungen der Bewilligung. | Sachverhalt
ab Seite 220
BGE 89 I 219 S. 220
Am 29. November 1962 stellte die am 2. November 1962 als Verein gegründete Schweizerische Vereinigung für Tiefkühlung beim Eidg. Amt für das Handelsregister des Gesuch, es sei ihr die Führung der Bezeichnung "Schweizerische" zu bewilligen. Das Amt wies dieses Gesuch und am 25. März 1963 auch ein mit neuen Tatsachen begründetes Wiedererwägungsgesuch ab; letzteres mit der Begründung, unter den 36 Mitgliedern, welche die Vereinigung nun besitze, befänden sich zwar einige Firmen von Bedeutung, doch fehlten nach wie vor die bekanntesten Produzenten von Tiefkühlprodukten (Birds Eye und Frisco). Dieser Umstand wäre minder wichtig, wenn es sich um einen Verein mit vorwiegend ideeller Zielsetzung, d.h. zur allgemeinen Interessenwahrung, handeln würde. Da die Gesuchstellerin aber u.a. die Spezialwerbung und Absatzwerbung für Tiefkühlprodukte sowie die Einführung eines Gütezeichens bezwecke, werde sie unmittelbar in den Konkurrenzkampf eingreifen. An die Verwendung einer nationalen Bezeichnung seien deshalb erhöhte Anforderungen zu stellen. Der gewünschte Name könnte somit nur bewilligt werden, "wenn man es schlechthin mit der Landesorganisation dieses Wirtschaftsgebietes zu tun hätte". Dies sei solange nicht der Fall, als die beiden genannten Firmen sich daran nicht beteiligen. "Würde man trotzdem dem Verein die Verwendung eines nationalen Zusatzes gestatten, so käme dies einer Bevorzugung gleich, die speziell von jenen beiden als Willkür und Ungerechtigkeit empfunden werden müsste." Einstweilen dürfte der Name "Vereinigung für Tiefkühlung" den Tatsachen am besten
BGE 89 I 219 S. 221
entsprechen. Der Gesuchstellerin stehe es frei, bei veränderten Verhältnissen ein neues Gesuch einzureichen.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Gesuchstellerin gegen den Entscheid vom 25. März 1962 wird vom Bundesgericht abgewiesen.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
... (Zulässigkeit der Beschwerde).
2.
Einzutragende Vereine, die nicht ausschliesslich nichtwirtschaftliche Ziele verfolgen, insbesondere die als Vereine konstituierten Berufsverbände, stehen nach
Art. 47 HRegV
hinsichtlich der Verwendung nationaler und territorialer Bezeichnungen in ihrem Namen unter den Bestimmungen der
Art. 45 und 46 HRegV
. Die Beschwerdeführerin nimmt selber an, dass sie ein Verein dieser Art ist und dass sich daher nach
Art. 45 HRegV
bestimmt, ob sie in ihrem Namen die nationale Bezeichnung "Schweizerische" führen dürfe.
3.
Wie aus
Art. 45 HRegV
klar hervorgeht, bildet das Verbot der Verwendung nationaler Bezeichnungen in Firmen (und Namen von Vereinen im Sinne von Art. 47) die Regel. Ausnahmen dürfen vom Eidg. Amt für das Handelsregister nur bewilligt werden, wenn sie durch besondere Umstände gerechtfertigt sind.
Dem Amt ist darin beizustimmen, dass in Fällen wie dem vorliegenden besondere Umstände, die eine Ausnahme rechtfertigen könnten, nur vorhanden sind, wenn der in Frage stehenden Organisation im betreffenden Wirtschaftszweig für das ganze Gebiet der Schweiz repräsentative Bedeutung zukommt, m.a.W. wenn sie die Landesorganisation dieses Wirtschaftszweiges ist, oder wenn sie, wie in der Vernehmlassung beigefügt wird, eine offizielle oder offiziöse Tätigkeit entfaltet. Würde zugelassen, dass sich eine wirtschaftliche Organisation, die weder die eine noch die andere dieser Voraussetzungen erfüllt, als "schweizerisch" bezeichnet, so würde das Publikum getäuscht. Solche
BGE 89 I 219 S. 222
Täuschungen zu vermeiden, gehört zum Zweck der erwähnten Vorschrift (
BGE 72 I 360
).
Die Beschwerdeführerin übt weder eine offizielle noch eine offiziöse Tätigkeit aus und konnte auf Grund der Angaben, die sie selber dem Amt unterbreitet hatte, auch nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie die repräsentative schweizerische Organisation auf dem Gebiet der Tiefkühlung sei. Als Mitglieder fehlten ihr insbesondere die beiden unstreitig bedeutendsten Produzenten von Tiefkühlprodukten in der Schweiz, und ihre Mitgliederzahl war mit 36 noch sehr weit vom Ziel (ca. 1000-3000 Mitglieder) entfernt, das sie sich laut ihrem Gesuch vom 29. November 1962 selber gesetzt hatte. Die der Beschwerdeschrift beigelegte Liste, die den Stand der Mitglieder am 27. März 1963 (nach Erlass des angefochtenen Entscheides) angibt, ist aus prozessualen Gründen unbeachtlich und vermöchte im übrigen keine entscheidende Änderung der Sachlage darzutun.
4.
Zurückhaltung in der Bewilligung von Ausnahmen ist, wie das Amt zutreffend annimmt, besonders dann geboten, wenn es sich um eine Organisation handelt, die unmittelbar in den Konkurrenzkampf eingreift. Dies trifft hier zu. Die Beschwerdeführerin betreibt zwar nicht selber ein Fabrikations- oder Handelsgeschäft. Sie plant aber u.a. die Einführung eines Gütezeichens, das von ihren Mitgliedern soll gebraucht werden können. Darin liegt, wie das Amt in seiner Vernehmlassung richtig bemerkt, ein Instrument des Konkurrenzkampfes, das sich gegen die Nichtmitglieder richten wird. Dass einstweilen gerade auch die beiden bedeutendsten Hersteller von Tiefkühlprodukten in der Schweiz mit der Vereinigung und ihren Mitgliedern in einem Konkurrenzverhältnis stehen, ergibt sich aus den eigenen Ausführungen der Beschwerdeführerin im Wiedererwägungsgesuch und in der Beschwerdeschrift, wonach die Firmen Birds Eye und Frisco eine Konkurrenzierung durch die Bestrebungen der Beschwerdeführerin befürchten und diese Bestrebungen tatsächlich zu einer solchen Konkurrenzierung
BGE 89 I 219 S. 223
führen können. Durch die Verleihung der gewünschten nationalen Bezeichnung würde die Stellung der Beschwerdeführerin und ihrer Mitglieder in diesem Konkurrenzkampf unzweifelhaft gestärkt. Einen solchen Eingriff in den Wettbewerb hat das zuständige Amt zu vermeiden. Es kann keine Rede davon sein, dass der angefochtene Entscheid dazu beitrage, den beiden erwähnten Firmen eine Monopolstellung zu verschaffen, wie am Schluss der Beschwerdeschrift behauptet wird. Vielmehr ist es die Beschwerdeführerin, die mit ihrem Gesuch um Bewilligung einer Ausnahme vom Verbot der Verwendung nationaler Bezeichnungen eine bevorzugte Stellung zu erlangen sucht.
5.
Das Amt macht in seiner Vernehmlassung ausserdem noch geltend, bei Bewilligung der gewünschten nationalen Bezeichnung könnten die Käufer der mit dem Gütezeichen der Beschwerdeführerin versehenen Erzeugnisse in den falschen Glauben versetzt werden, es handle sich dabei um eine besondere, staatlich oder unter Aufsicht des Staates geprüfte Ware; die Bezeichnung "Schweizerische" könnte das Publikum unter den gegebenen Umständen zur Annahme verleiten, die Beschwerdeführerin sei mit öffentlichen Aufgaben betraut. Zu diesem Argument, das dazu führen könnte, dass der Beschwerdeführerin die gewünschte Bezeichnung entgegen der vom Amt im angefochtenen Entscheid geäusserten Auffassung selbst dann zu verweigern wäre, wenn sie als repräsentative Landesorganisation für den Wirtschaftszweig der Tiefkühlung gelten könnte, braucht heute nicht Stellung genommen zu werden; denn die übrigen vom Amt angeführten Gründe genügen, um seinen Entscheid zu stützen. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
99be3b07-d597-4d55-947b-afe5205a27dc | Urteilskopf
133 V 196
26. Auszug aus dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts i.S. Winterthur Versicherungen gegen A., C. und R. sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
U 266/06 vom 28. Dezember 2006 | Regeste
Art. 29 Abs. 2 BV
;
Art. 103 lit. a OG
;
Art. 61 ATSG
: Kantonales Beschwerdeverfahren.
Das kantonale Gericht hat dadurch, dass es zusammen mit der dem Versicherer für die Einreichung der Beschwerdeantwort angesetzten Frist keine Säumnisfolgen angedroht und die nach Ablauf dieser Frist verspätet eingereichte Beschwerdeantwort aus den Akten gewiesen hat, weder den verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 2 BV
) noch die bundesrechtlichen Minimalanforderungen an das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht (
Art. 61 ATSG
) verletzt (E. 1). | Erwägungen
ab Seite 197
BGE 133 V 196 S. 197
Aus den Erwägungen:
1.
Die Winterthur rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil die Vorinstanz ihre verspätet eingereichte Beschwerdeantwort aus den Akten gewiesen hat, obschon mit der hiefür angesetzten Frist keine Säumnisfolgen angedroht worden sind.
1.1
Gemäss
Art. 61 ATSG
richtet sich das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht unter Vorbehalt von
Art. 1 Abs. 3 VwVG
nach kantonalem Recht. Dieses hat den in lit. a-i statuierten Anforderungen zu genügen (Art. 61 Ingress Satz 2 ATSG).
Mit dem kantonalen Verfahrensrecht hat sich das Eidgenössische Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen. Denn die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist gemäss
Art. 104 lit. a OG
auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt. Es hat daher nur zu prüfen, ob die Anwendung des einschlägigen kantonalen Verfahrensrechts oder - bei Fehlen solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht geführt hat. Dabei fällt praktisch vor allem eine Prüfung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte und Grundsätze in Betracht (
BGE 120 V 413
E. 4a S. 416;
BGE 114 V 203
E. 1a S. 205, mit Hinweisen).
1.2
Der verfassungsrechtliche Gehörsanspruch (
Art. 29 Abs. 2 BV
) beinhaltet u.a. das Recht des Einzelnen, sich zu den ihn betreffenden hoheitlichen Anordnungen zu äussern und seinen Standpunkt zu allen relevanten Fragen des Falles vorgängig des Entscheides wirksam zur Geltung zu bringen (
BGE 117 Ia 262
E. 4b S. 268; THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör ?[
Art. 4 BV
], in: recht 1984 S. 10; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 135; MICHELE ALBERTINI, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Bern 2000, Abhandlungen zum Schweizerischen Recht, neue Folge, Heft 637, S. 259). Dieser wesentliche Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör stellt ein
BGE 133 V 196 S. 198
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar (
BGE 127 I 54
E. 2b S. 56;
BGE 126 V 130
E. 2b S. 131, je mit Hinweisen) und kann im Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren mit den Erfordernissen eines geordneten Verfahrensganges oder der Prozessökonomie kollidieren. Verfahrensstrenge und -ökonomie führen namentlich dann zu einer Vereitelung des im Gehörsanspruch enthaltenen Äusserungs- und Mitwirkungsrechts, wenn die entsprechenden Verfahrensvorschriften überspitzt formalistisch gehandhabt werden (COTTIER, a.a.O., S. 13). Mit dem Gehörsanspruch ist aber ohne weiteres vereinbar, dass dem Betroffenen für die Ausübung seines Äusserungsrechts eine bestimmte Frist gesetzt wird. Diese muss lediglich angemessen, d.h. so bemessen sein, dass dem Betroffenen eine gehörige Wahrung seines Äusserungsrechts - gegebenenfalls unter Beizug eines Rechtsvertreters - effektiv möglich ist (vgl.
BGE 86 I 2
ff.; COTTIER, a.a.O., S. 13; ALBERTINI, a.a.O., S. 341). Hingegen kann aus dem Gehörsanspruch nicht abgeleitet werden, dass die Folgen der nicht rechtzeitigen Ausübung des Äusserungsrechts (Säumnis) nur eintreten, wenn sie vorgängig explizit angedroht worden sind (KLAUS REINHARDT, Das rechtliche Gehör in Verwaltungssachen, Diss. Zürich 1967, S. 99; a.M. R. TINNER, Das rechtliche Gehör, in: ZSR 1964 II 337 f.).
1.3
Gemäss Art. 69 Ingress in Verbindung mit Art. 83 des bernischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 23. Mai 1989 (VRPG; BSG 155.21) hat das Verwaltungsgericht eine nicht offensichtlich unbegründete oder unzulässige Beschwerde so zu instruieren, dass es sie der Vorinstanz und den übrigen am Verfahren Beteiligten zustellt und den Schriftenwechsel durchführt. Die im Instruktionsverfahren angesetzten richterlichen Fristen können erstreckt werden, wenn vor Ablauf der Frist darum nachgesucht wird (Art. 43 Abs. 1 VRPG). Nicht vorgeschrieben ist, dass mit den im Instruktionsverfahren angesetzten Fristen die im Falle ihrer Nichtwahrung eintretenden Säumnisfolgen angedroht werden müssen. Das Verwaltungsgericht hat daher im vorliegenden Fall ein gesetzeskonformes Instruktionsverfahren durchgeführt, indem es der Winterthur weder mit der ersten Fristansetzung für die Einreichung einer Beschwerdeantwort noch zusammen mit der Fristverlängerung bis 9. Februar 2006 Säumnisfolgen angedroht und die erst nach deren Ablauf erstattete Beschwerdeantwort als unbeachtlich aus den Akten gewiesen hat. Das in dieser Weise und in
BGE 133 V 196 S. 199
Übereinstimmung mit dem kantonalen Verfahrensrecht durchgeführte Instruktionsverfahren sowie die der Nichteinhaltung der Beschwerdeantwortfrist beigemessene Rechtsfolge beinhalten auch keine Verletzung des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör.
1.4
Soweit sich die Winterthur auf die von KIESER (ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N. 70 zu Art. 61) vertretene Rechtsauffassung beruft, wonach im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht mit der Fristansetzung für die Erstattung der Beschwerdeantwort auch die bei Nichteinhaltung der Frist eintretenden Folgen anzudrohen sind, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:
Das kantonale Verfahrensrecht kann namentlich im Interesse der nicht rechtskundig vertretenen Parteien statuieren, dass auch die Ansetzung erstreckbarer behördlicher/richterlicher Fristen stets mit der Androhung der Säumnisfolgen zu verbinden ist, wie dies für die Bundesverwaltungsrechtspflege in
Art. 23 VwVG
und in § 196 des Gerichtsverfassungsgesetzes für den Kanton Zürich vom 13. Juni 1976 (GVG; LS 211.1) für die Zivil- und Strafrechtspflege der Fall ist. Dadurch werden die Parteien davor bewahrt, sich aus Unwissenheit prozessuale Nachteile zuzuziehen und Rechtskundige werden dadurch vor einem unverhältnismässigen Rechtsverlust geschützt (HAUSER/SCHWERI, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, Zürich 2002, N. 6 zu § 196). Es dürfte auf dem Vorbildcharakter der Bestimmungen von
Art. 23 VwVG
und
§ 196 GVG
/ZH beruhen, wenn auch für das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungsgerichtsverfahren generell die ausdrückliche Androhung der Säumnisfolgen bereits mit der Fristansetzung für die Erstattung einer Beschwerdeantwort postuliert wird (KÖLZ/ BOSSHART/RÖHL, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N. 3 zu § 12; CHRISTIAN ZÜND, Kommentar zum Gesetz über das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Diss. Zürich 1998, S. 137; KIESER, a.a.O., N. 70 zu Art. 61). Da aber
Art. 23 VwVG
nicht zu den nach
Art. 1 Abs. 3 VwVG
im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht anwendbaren Bestimmungen des VwVG gehört und auch die in
Art. 61 lit. a-i ATSG
statuierten Mindestanforderungen keine entsprechende Verfahrensgestaltung vorschreiben, sind die Kantone von Bundesrechts wegen nicht gehalten, den Schriftenwechsel im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht in dieser Weise durchzuführen. Eine solche Bedeutung kann den
BGE 133 V 196 S. 200
bundesrechtlichen Minimalanforderungen an das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht umso weniger beigemessen werden, als der in
Art. 61 lit. c ATSG
statuierte Untersuchungsgrundsatz die Säumnisfolgen im Vergleich zum Zivilprozess stark relativiert. Denn der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet den Richter von Amtes wegen, für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen (
BGE 125 V 193
E. 2 S. 195;
BGE 122 V 157
E. 1a S. 158, je mit Hinweisen). Gestützt darauf können daher die einer Partei aus der Nichteinhaltung einer Beschwerdeantwortfrist erwachsenden Säumnisfolgen dadurch gemildert werden, dass entscheidwesentliche Tatsachen oder Beweismittel nachträglich von Amtes wegen noch berücksichtigt oder zweifelhafte, aber nicht rechtzeitig bestrittene Sachbehauptungen von Amtes wegen abgeklärt werden (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 62; KÖLZ/BOSSHART/RÖHL, a.a.O., N. 2 zu § 12). Im vorliegenden Fall steht allerdings die aus dem Untersuchungsgrundsatz fliessende richterliche Pflicht zu amtswegiger Sachverhaltsergänzung oder -abklärung nicht zur Diskussion, weil die Beschwerdegegner A., C. und R. in ihrer vorinstanzlichen Beschwerde den (einfachen) Sachverhalt vollständig vorgetragen und dokumentiert haben und einzig Rechtsfragen streitig sind. Rechtsfragen unterstehen aber verfahrensrechtlich ohnehin dem Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen (iura novit curia), welcher bedeutet, dass der Richter an die Rechtsauffassungen der Parteien nicht gebunden ist; auch nicht an die von ihnen nach Massgabe des kantonalen Verfahrensrechts form- und fristgerecht vorgetragenen Rechtsbehauptungen.
1.5
Zusammenfassend hat somit der kantonale Richter dadurch, dass er zusammen mit der der Winterthur für die Einreichung ihrer Beschwerdeantwort angesetzten Frist keine Säumnisfolgen angedroht und die nach Ablauf dieser Frist verspätet eingereichte Beschwerdeantwort aus den Akten gewiesen hat, weder den verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 2 BV
) noch die bundesrechtlichen Minimalanforderungen an das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht (
Art. 61 ATSG
) verletzt. | null | nan | de | 2,006 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
99d736f4-a080-4ce3-a4bb-08828f33d430 | Urteilskopf
122 I 8
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. März 1996 i.S. P.H. gegen Obergericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, Art. 67 f. GebVSchKG; unentgeltliche Rechtspflege im SchKG-Beschwerdeverfahren.
Der aus
Art. 4 BV
abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung kann im SchKG-Beschwerdeverfahren nicht grundsätzlich mit dem Hinweis ausgeschlossen werden, gemäss Art. 67 f. GebVSchKG würden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen. Soweit das SchKG-Beschwerdeverfahren der Offizialmaxime untersteht, ist jedoch die Mitwirkung eines Rechtsanwaltes in aller Regel nicht erforderlich. | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 122 I 8 S. 8
Mit Verfügungen vom 6. bzw. 7. November 1995 erhöhte das Betreibungsamt Wasseramt (Solothurn) in der gegen P.H. laufenden Lohnpfändung den pfändbaren Einkommensteil per 1. April 1996 von Fr. 147.-- auf Fr. 341.-- pro Monat.
Dagegen beschwerte sich P.H. beim Obergericht des Kantons Solothurn als Aufsichtsbehörde über Schulbetreibung und Konkurs. Für das Beschwerdeverfahren ersuchte er um die Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, welches Gesuch vom Vizepräsidenten der Aufsichtsbehörde mit Verfügung vom 8. Januar 1996 abgewiesen wurde.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 22. Januar 1996 beantragt P.H. dem Bundesgericht im wesentlichen, die Verfügung der Aufsichtsbehörde aufzuheben.
BGE 122 I 8 S. 9
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wurde von der Aufsichtsbehörde mit der Begründung abgewiesen, die Praxis schliesse aus Art. 67 f. GebVSchKG (SR 281.35), dass im Beschwerdeverfahren vor der Aufsichtsbehörde kein Anspruch auf kostenlose Verbeiständung bestehe. Das Bundesgericht habe sich zu dieser speziellen Frage noch nie geäussert. Der Beschwerdeführer erachtet diese Auffassung für verfassungswidrig und hält dafür, dass die Aufsichtsbehörde gestützt auf
Art. 4 BV
die unentgeltliche Rechtsvertretung hätte bewilligen müssen.
a) Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon wird ein Mindestanspruch der bedürftigen Partei auf unentgeltliche Rechtspflege in einem nicht aussichtslosen Prozess direkt aus
Art. 4 BV
abgeleitet. Dieser Anspruch beinhaltet einerseits die Befreiung von den Verfahrenskosten und anderseits - soweit notwendig - das Recht auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (
BGE 121 I 60
E. 2a S. 61 f. mit Hinweisen).
b) Das SchKG-Aufsichtsverfahren ist gemäss Art. 67 GebVSchKG gebührenfrei. Soweit der Vizepräsident der Aufsichtsbehörde in der Kurzbegründung seiner Verfügung auf die Gebührenfreiheit anspielt und mit Hinweis auf Art. 67 GebVSchKG den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung ausschliesst, ist der Entscheid zum vornherein unhaltbar, weil die Gebührenfreiheit keinen Einfluss auf die Frage der Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes haben kann.
c) In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesgericht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung kontinuierlich ausgedehnt (vgl.
BGE 121 I 60
E. 2a/bb S. 62 und
BGE 121 I 314
E. 2b S. 315 f., je mit Hinweisen). Namentlich im Bereich des SchKG wurde der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung für das Konkursverfahren zufolge Insolvenzerklärung bejaht (
BGE 118 III 27
,
BGE 118 III 33
,
BGE 119 III 113
). Umgekehrt hat das Bundesgericht unter Hinweis auf die Gebühren- und Entschädigungsfreiheit des Beschwerdeverfahrens (Art. 68 Abs. 2 GebVSchKG) in bezug auf das Verfahren vor Bundesgericht gemäss
Art. 78 ff. OG
eine gesetzliche Grundlage für die Beiordnung eines Armenanwaltes nach Massgabe von
Art. 152 OG
verneint (
BGE 102 III 10
E. 1 S. 12 f.). Dieser letzte Entscheid wurde in der Literatur als allzu formalistisch kritisiert (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht,
BGE 122 I 8 S. 10
Band I, Zürich 1984, § 15 Rz. 14). Die neuere Literatur befürwortet die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege - und damit auch der unentgeltlichen Verbeiständung - im Betreibungsverfahren (ADRIAN STAEHELIN, Die betreibungsrechtlichen Streitigkeiten, in FS 100 Jahre SchKG, Zürich 1989, S. 81 f.; PIERMARCO ZEN-RUFFINEN, Assistance judiciaire et administrative: Les règles minima imposées par l'article 4 de la constitution fédérale in: JdT 137 [1989], S. 58 f.).
Gemäss Art. 68 Abs. 2 GebVSchKG wird im Beschwerdeverfahren keine Parteientschädigung zugesprochen; wer sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt, wird dessen Kosten ungeachtet des Verfahrensausgangs stets selber zu tragen haben. Im Lichte von
Art. 4 BV
darf die Möglichkeit des Beizugs eines Rechtsanwalts indessen nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Partei abhängen. Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung kann deshalb für das Beschwerdeverfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, sowenig als dies für das ebenso kosten- und entschädigungsfreie mietrechtliche Schlichtungsverfahren (
Art. 274d Abs. 2 OR
) zutrifft (
BGE 119 Ia 264
E. 4c S. 268).
Natur und Besonderheiten des Beschwerdeverfahrens, in welchem in gewissen Fällen von Bundesrechts wegen die Offizialmaxime gilt (
BGE 107 III 1
E. 1 S. 2), rechtfertigen es jedoch, an die Voraussetzungen, unter denen eine Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt sachlich geboten ist (
BGE 121 I 314
E. 2b S. 315 f. mit Hinweisen), wie in mietrechtlichen Schlichtungsverfahren einen strengen Masstab anzulegen (
BGE 119 Ia 264
E. 4c S. 269 mit Hinweisen). In einem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren - und bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens haben die Betreibungsbehörden die massgebenden tatsächlichen Verhältnisse von Amtes wegen abzuklären (
BGE 106 III 11
E. 2 S. 13 mit Hinweisen) - wird sich die Mitwirkung eines Rechtsanwalts in aller Regel als nicht erforderlich erweisen (
BGE 119 Ia 264
E. 4c S. 269).
d) Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Das Obergericht wird zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen zur unentgeltlichen Verbeiständung des Beschwerdeführers durch einen Rechtsanwalt im Beschwerdeverfahren erfüllt sind. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
99dbeb1f-a0b9-4397-b267-e096639af94c | Urteilskopf
84 II 168
25. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. April 1958 i.S. Frank A.-G. gegen Chemodrog A.-G. | Regeste
Prokura.
Die Vollmacht des Prokuristen erstreckt sich auf alle Geschäfte, die durch den Geschäftszweck nicht geradezu als ausgeschlossen erscheinen. | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 84 II 168 S. 168
A.-
Die Chemodrog A.-G. ist ein Handelsunternehmen mit Sitz in Zürich. Ihre sämtlichen Aktien befinden sich im Besitz der Eheleute Max und Lily Regli.
Die Frank A.-G. ist eine Speditionsfirma mit Sitz in Basel und einer Filiale in Chiasso. Prokurist in Chiasso war Giuseppe Engeler; er war bis zum 12. April 1948 einzelzeichnungsberechtigt.
Anfangs Februar 1948 erfuhr die Chemodrog A.-G. durch ihren Angestellten Oertly, dass sich Gelegenheit biete, in Verbindung mit einer Firma Italsuisse in Mailand Zuckerimporte nach Italien mit hohem Gewinn durchzuführen; es sei vorgesehen, die Geschäfte über die Frank A.-G. in Chiasso als Treuhänderin abzuwickeln. Die Chemodrog A.-G. erklärte sich zu einer Beteiligung bereit.
Am 17. Februar 1948 erhielt sie von der Frank A.-G. ein durch den Prokuristen Engeler unterzeichnetes Schreiben folgenden Wortlauts:
"Die Italsuisse in Mailand gibt uns den Auftrag, für sie und Ihre Firma treuhänderische Funktionen bei Lebensmittelimporten und Verkäufen auszuüben. Wir kommen diesem Gesuche gerne nach und spezifizieren unsere Aufgabe wie folgt:
Die Italsuisse hat Lizenzen in Italien zum Kauf und Verkauf von Kuba-Zucker für die Industrie und die ENAL. Wir übernehmen den Kauf und den Verkauf der einzuführenden Quantitäten Kuba-Zucker, der entweder in Italien oder Chiasso vorrätig ist. Zu diesem Zwecke geben Sie uns in Depot:
Fr. 75 000.-- (fünfundsiebzigtausend Franken)
Wir kaufen damit Kuba-Zucker zu Welthandels-Tagespreisen, geben denselben an die entsprechenden italienischen Kunden - halbstaatliche Organisationen - gegen bar weiter.
Wir übernehmen die absolute Garantie für die Bezahlung der
BGE 84 II 168 S. 169
Ware und verpflichten uns, Ihnen entweder den Gegenwert in Schweizerfranken, oder aber den Kuba-Zucker zu Welthandels-Tagespreisen in Chiasso zur Verfügung zu halten. Wir kaufen nur Zucker, wenn derselbe durch die genannten Institutionen bereits bestellt und auch bezahlt werden wird. Wir haben den Auftrag übernommen, Ihnen pro umgesetzte Tonne Kuba-Zucker Fr. 62.- (zweiundsechzig Franken) zu vergüten. Dieser Gewinnanteil ist beim erfolgten Umsatz auf jeden Fall zahlbar, auch wenn Preisschwankungen eintreten sollten. Ihre Beteiligung erfolgt mindestens für die Dauer von zwei Monaten, d.h. sie ist solange nicht kündbar. Erfolgt Ihrerseits am 15. April 1948 eine Kündigung der Beteiligung a n u n s n i c h t, so läuft dieselbe zu gleichen Bedingungen jeweils ein weiterer Monat. ...."
Am 19. Februar 1948 liess Max Regli in Durchführung der getroffenen Vereinbarungen der Filiale Chiasso der Frank A.-G. Fr. 75'000.-- überweisen.
Bis im Februar 1950 wurden der Chemodrog A.-G. aus Geschäften, die gemäss der oben erwähnten Vereinbarung abgewickelt wurden, insgesamt Fr. 54'000.-- an Gewinnanteilen ausbezahlt.
Schon am 1. August 1949 hatte Regli von der Frank A.-G. die Rückzahlung des Kapitals von Fr. 75'000.-- verlangt, jedoch ohne Erfolg.
In der Folge stellte sich heraus, dass bei den in Frage stehenden Zuckerimporten italienische Zollvorschriften verletzt worden waren; es waren durch Vortäuschung von Liebesgabensendungen die hohen italienischen Einfuhrzölle umgangen worden. Gegen Engeler und zahlreiche weitere Angeschuldigte wurde deswegen in Italien ein Strafverfahren wegen Schmuggels durchgeführt.
B.-
Mit Klage vom 24. März 1955 belangte die Chemodrog A.-G. die Frank A.-G. auf die Rückzahlung der Fr. 75'000.-- nebst 5% Zins seit 1. September 1949.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Sie bestritt ihre Passivlegitimation, weil Engeler beim Abschluss des Geschäftes seine Befugnisse überschritten habe, was für Regli erkennbar gewesen sei. Zudem sei das Geschäft wegen Widerrechtlichkeit und Verstosses gegen die guten Sitten nichtig, da es unter Vortäuschung von Liebesgabensendungen auf Schmuggel aufgebaut gewesen sei, was auch Regli gewusst habe.
BGE 84 II 168 S. 170
C.-
Das Zivilgericht und das Appellationsgericht von Basel-Stadt, dieses mit Urteil vom 13. Dezember 1957, schützten die Klage.
D.-
Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Beklagte erneut Abweisung der Klage; sie hält an der Einrede der mangelnden Passivlegitimation und der Nichtigkeit des Geschäftes fest.
Die Klägerin beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Prokurist gilt gutgläubigen Dritten gegenüber als ermächtigt, im Namen des Geschäftsherrn alle Arten von Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Zweck des Gewerbes oder Geschäftes des Geschäftsherrn mit sich bringen kann (
Art. 459 Abs. 1 OR
). Diese Generalvollmacht für den gesamten Betrieb erstreckt sich auf alle Rechtshandlungen, die objektiv betrachtet mit einem Gewerbe der betreffenden Art in Zusammenhang gebracht werden können (OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 459 N. 3). Gemäss dem Wortlaut des Gesetzes und dem Zweck der Prokura als einer typenmässigen Vertretungsmacht ist der Bereich der Befugnisse des Prokuristen weit zu fassen. Dieser ist im Gegensatz zum Handlungsbevollmächtigten im Sinne von
Art. 462 OR
nicht nur zu solchen Rechtshandlungen befugt, die ein Geschäft der in Frage stehenden Art gewöhnlich mit sich bringt, sondern darüber hinaus auch zu ungewöhnlichen Geschäften, sofern sie auch nur möglicherweise im Geschäftszweck begründet sind; es genügt, dass sie durch diesen nicht geradezu als ausgeschlossen erscheinen (
BGE 38 II 105
).
a) Bei der Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt sei, ist davon auszugehen, dass im Handelsregister als Geschäftszweck der Filiale Chiasso der Beklagten eingetragen ist: "... l'esercizio di trasporti di ogni genere, navigazzione e noleggio e in generale di tutti gli affari di spedizione e di magazzinaggio
BGE 84 II 168 S. 171
come anche la partecipazione a simili imprese". Dementsprechend wird auch in dem von der Beklagten verwendeten Briefkopf der Geschäftsbereich mit "Internationale Transporte, Schiffahrt und Befrachtung" umschrieben.
Es ist nun nicht streitig, dass dieser Speditionsbetrieb im vorliegenden Fall den äusseren Anlass für die Betrauung der Beklagten mit der in Frage stehenden Geschäftsbesorgung darstellte. Ein solcher rein äusserlicher Zusammenhang vermöchte jedoch an sich nicht auszureichen, um ein Handeln des Prokuristen im Rahmen seiner Vollmacht anzunehmen. Erforderlich ist vielmehr ein Zusammenhang mit dem Geschäftszweck des Unternehmens der Beklagten in dem Sinne, dass sich sagen lässt, die Übernahme eines derartigen Geschäftes durch eine Speditionsfirma erscheine objektiv betrachtet als möglich, als nicht geradezu ausgeschlossen. Dabei darf immerhin berücksichtigt werden, dass es sich um ein Geschäft handelte, das der Beklagten umfangreiche Speditionsaufträge einbrachte; in einem solchen Falle wird jede Speditionsfirma eher geneigt sein, auch ein für sie nicht alltägliches und ausserhalb des eigentlichen Geschäftsbereichs liegendes Geschäft einzugehen. Die entscheidende Frage geht deshalb dahin, ob die hier durch den Prokuristen übernommene Geschäftsbesorgung vom Geschäftszweck nicht derart weit ablag, dass trotz der damit verbundenen Speditionsaufträge deren Übernahme durch eine Speditionsfirma objektiv betrachtet als ausgeschlossen erscheinen musste.
b) Die Art der hier in Frage stehenden Geschäftsbesorgung ergibt sich aus dem Schreiben vom 17. Februar 1948, mit welchem der Prokurist Engeler namens der Beklagten der Klägerin die Übernahme des ihr durch die Firma Italsuisse erteilten Auftrags bestätigt hat. Es ist dort die Rede von "treuhänderischen Funktionen bei Lebensmittelimporten und Verkäufen". Die Betreuung fremder Interessen, die damit von der Beklagten übernommen wurde, ging recht weit. Es hatte offenbar die Meinung, dass die Beklagte als indirekte Stellvertreterin die Käufe und Verkäufe
BGE 84 II 168 S. 172
abzuschliessen, aus den ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellten Geldern die Zahlungen an die Verkäufer zu leisten, die Zahlungen der Käufer entgegenzunehmen und die Gewinnanteile an die Klägerin und die Italsuisse auszurichten habe. Die Aufgabe der Beklagten wurde indessen dadurch erheblich erleichtert, dass die Käufe und Verkäufe, wie sich aus dem Schreiben vom 17. Februar 1948 deutlich ergibt, weitgehend durch die Firma Italsuisse vorbereitet wurden. Die Beklagte brauchte nicht selber Ausschau nach Ware zu halten und Käufer für solche zu suchen. Sie hatte vielmehr, wie die Vorinstanz zutreffend sagt, nur formell als Warenhändlerin aufzutreten, während sie der Sache nach blosse Treuhänderin war. Zudem lief sie, obwohl sie die Rückgabe des ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellten Kapitals gewährleistete, bei Abwicklung der Geschäfte in der vorgesehenen Weise keine finanziellen Risiken: die Ware sollte erst erworben werden, wenn entsprechende Bestellungen der italienischen Abnehmer vorlagen, und die Abgabe an diese sollte nur gegen Barzahlung erfolgen. Wie die Vorinstanz sodann in anderm Zusammenhang feststellt, brauchte Regli, bzw. die Klägerin, auch nicht mit einem Schmuggelgeschäft zu rechnen, das durch den Geschäftsbetrieb der Beklagten nicht mehr gedeckt gewesen wäre.
c) Angesichts dieses Sachverhaltes kann nicht gesagt werden, die Übernahme der in Frage stehenden Geschäftsbesorgung durch die Beklagte erscheine bei objektiver Betrachtung als durch den Geschäftszweck ausgeschlossen. Diese Annahme drängt sich umsomehr auf, als auch schon mit dem gewöhnlichen Speditionsgeschäft meistens Nebenleistungen versch iedenster Art verbunden sind, wie der Abschluss von Versicherungen, die Verzollung der Ware, die Veranlassung von Expertisen, vor allem aber auch die Einziehung des Fakturabetrages (vgl. OCHSE, Der Speditionsvertrag im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1933, S. 67 ff., sowie die auf S. 136 ff. abgedruckten Allgemeinen Bedingungen des Schweiz. Spediteurverbandes, vom
BGE 84 II 168 S. 173
30. März 1922/29. Januar 1932, Art. 5, 6 Ziff. 5 und 7). Als während des zweiten Weltkrieges im internationalen Handel Waren in immer zunehmendem Masse nur gegen Dokumentarakkreditive erhältlich waren, gingen die Speditionsfirmen bisweilen sogar dazu über, im Interesse ihrer Kunden auch die Funktionen der Akkreditivstelle zu übernehmen, die ihrer Natur nach als ausgesprochene Bankgeschäfte zu betrachten sind (vgl. ZÖLLY, Bankgeschäfte durch den Speditionsunternehmer, Diss. Zürich 1954, S. 2 f., 11 f., 36 f.). In Anbetracht dieser Entwicklung bedeutete es daher lediglich einen weiteren Schritt in der bereits vorgezeichneten Richtung, zur Sicherung des eigentlichen Warenverkäufers den Spediteur formell als Partei des Warenhandelsgeschäftes einzuschalten, wie dies im vorliegenden Fall geschehen ist. Die Vorinstanz stellt denn auch fest, dass sich nach dem Kriege manche Speditionsfirma mit allen möglichen Warengeschäften befasst habe, und sie weist auf eine von ihr eingeholte Auskunft des Schweiz. Spediteurverbandes vom 20. August 1957 hin, die erkennen lasse, dass eigentlicher Warenhandel zwar nicht in den normalen Tätigkeitsbereich des Spediteurs falle, durch den üblichen Geschäftszweck aber auch nicht ausgeschlossen werde.
d) Ist somit eine Vollmachtsüberschreitung durch Engeler zu verneinen und demzufolge die Beklagte als zur Sache passiv legitimiert zu betrachten, so erübrigt sich eine Prüfung des von der Klägerin in der Berufungsantwort eingenommenen Standpunktes, dass die Beklagte auch im gegenteiligen Falle zur Rückgabe der auf ihr Konto einbezahlten Fr. 75'000.-- verpflichtet wäre.
2.
..... (Ablehnung der Einrede der Widerrechtbarkeit und Unsittlichkeit des Geschäfts.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 13. Dezember 1957 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99e1a456-9b78-4e58-829e-6020b6198963 | Urteilskopf
92 IV 33
10. Urteil des Kassationshofes vom 4. März 1966 i.S. Jörg gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. | Regeste
1.
Art. 45 Abs. 1 VRV
. Besondere Vorsichtspflicht des Strassenbahnführers beim Kreuzen auf schmalen Strassen und beim Fahren gegen die Richtung des übrigen Verkehrs. Zur besonderen Vorsicht gehört, dass der Strassenbahnführer sich vergewissert, ob ein in der Nähe des Geleises angehaltenes Motorfahrzeug nicht durch die beim Fahren in der Kurve sich vergrössernde Ausladung des Strassenbahnwagens gefährdet werde (Erw. 1 und 2).
2.
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
. Keine Ermessensüberschreitung in der Verneinung eines besonders leichten Falles (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 92 IV 33 S. 33
A.-
Jörg, Wagenführer der Forchbahn, führte am Abend des 3. Mai 1964, kurz nach 23 Uhr, einen Motorwagen durch die Gottfried Keller-Strasse in Zürich Richtung Stadelhoferstrasse. Gleichzeitig fuhr Leupp mit einem Personenwagen Simca von der Stadelhoferstrasse in die Gottfried Keller-Strasse ein in der Absicht, durch diese ca. 6 m breite Einbahnstrasse Richtung See weiterzufahren. Da am rechten Rande dieser
BGE 92 IV 33 S. 34
Strasse Autos abgestellt waren, blieb zum Kreuzen mit der Bahn nicht genug Platz. Leupp und Jörg hielten deshalb an, und Leupp fuhr, um der Bahn das Geleise freizugeben, rückwärts, bis er wegen andern Fahrzeugen, die hinter ihm folgten, anhalten musste. Darauf setzte Jörg den Motorwagen wieder in Bewegung und fuhr durch die Rechtskurve aus der Gottfried Keller-Strasse in die Stadelhoferstrasse ein. Er war fast mit der ganzen Länge seines Wagens durchgekommen, als das linke hintere Stossbalkenende des Bahnfahrzeuges den vordern linken Teil des Wagens von Leupp erfasste und diesen gegen ein dahinter stehendes Auto zurückschob. Der Vorfall war darauf zurückzuführen, dass das hintere Lichtraumprofil des Bahnwagens an jener Stelle 40 cm weiter hinausragte als das vordere.
B.-
Durch Verfügung vom 5. April 1965 büsste der Polizeirichter der Stadt Zürich Jörg wegen Übertretung von
Art. 45 Abs. 1 VRV
mit Fr. 20. -.
Auf Einsprache von Jörg bestätigte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich am 18. November 1965 die Busse.
C.-
Jörg führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen, eventuell straflos zu erklären.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 45 Abs. 1 VRV
haben die Führer von Strassenbahnen u.a. beim Kreuzen auf schmalen Strassen und beim Fahren gegen die Richtung des übrigen Verkehrs besonders vorsichtig zu fahren.
Unter schmalen Strassen sind sinngemäss auch solche zu verstehen, die wie die Gottfried Keller-Strasse an sich breit genug sind, dass normalerweise gefahrlos gekreuzt werden kann, wo aber das Kreuzen durch besondere Hindernisse, z.B. abgestellte Wagen, erschwert wird. Jedenfalls fuhr der Beschwerdeführer gegen die Richtung des übrigen Verkehrs, da die Gottfried Keller-Strasse andern Fahrzeugen als der Strassenbahn einzig von der Stadelhoferstrasse her seewärts offen stand und der vom Beschwerdeführer geführte Strassenbahnwagen in entgegengesetzter Richtung fuhr. Für diese Tatsache und damit auch für die Anwendbarkeit des
Art. 45 Abs. 1 VRV
ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ohne Bedeutung, ob sich der Unfall auch ereignet hätte, wenn der Wagen von Leupp
BGE 92 IV 33 S. 35
in der gleichen Richtung wie die Strassenbahn gefahren wäre. Die Verletzung von Verkehrsregeln des SVG und der Vollziehungsvorschriften ist als solche, um der Verkehrssicherheit willen, unter Strafe gestellt, ohne Rücksicht darauf, ob sie zu einem Unfall führt und ob es auch unter andern Umständen zu einem solchen gekommen wäre.
2.
Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz wurde das angehaltene Auto vom hintern linken Stossbalkenende des vorbeifahrenden Strassenbahnwagens erfasst, weil der hintere Teil des Bahnwagens um 40 cm weiter über das Geleise hinausragte als der Vorderteil. Das hängt damit zusammen, dass bei der Stelle, wo das Auto stand, das Strassenbahngeleise nach einer geraden Strecke einen Bogen nach rechts zu beschreiben begann, auf dem die Bahn aus der Gottfried Keller-Strasse in die Stadelhoferstrasse gelangte. Als der Bahnwagen jene Stelle erreichte, befand er sich noch auf der Geraden, was erklärt, dass zu Beginn der Vorbeifahrt seine seitliche Ausladung vorne wie hinten dem Normalmass von 70 cm entsprach. Nach der Einfahrt in die Biegung vergrösserte sich aber die Ausladung zwangsläufig, da in einer engen Kurve der äussere Geleisebogen von den Enden eines über 15 m langen Schienenfahrzeuges, namentlich wenn ihr Abstand zur Radachse verhältnismässig gross ist, notwendig stärker überragt wird, als wenn sich das Fahrzeug auf einer Geraden fortbewegt. Dass das linke hintere Ende des Bahnwagens um 1,1 m und damit um 40 cm weiter in den Lichtraum hinausragte als der Vorderteil, ist daher darauf zurückzuführen, dass alle Wagenräder bereits in der Rechtskurve rollten, als der hintere Teil auf der Höhe des Autos anlangte, während der Bahnwagen, als dessen Vorderteil die gleiche Stelle befuhr, sich noch auf dem geraden Stück befand.
Die Kenntnis der Tatsache, dass bei Schienenfahrzeugen die Ausladung in Kurven grösser ist als auf geraden Strecken, wird im allgemeinen schon durch die Lebenserfahrung, insbesondere die Beobachtung von Strassenbahnen erworben, ohne dass hiezu eine besondere technische Ausbildung erforderlich ist. Umsomehr darf von einem Strassenbahnführer, der wie der Beschwerdeführer bei den Zürcher Verkehrsbetrieben die Fahrprüfung abgelegt und einige Jahre Fahrpraxis hinter sich hat, erwartet werden, dass er die unterschiedliche Weite der Ausladung kennt. Auch der Automobilist, der sich im Strassenverkehr
BGE 92 IV 33 S. 36
vor kompliziertere Verhältnisse gestellt sieht, hat mit den Ausmassen seines Fahrzeuges und mit der Ausladung des hinteren Teils seines Wagens vertraut zu sein und kann, wenn er beim Vorwärts- oder Rückwärtsfahren das Steuer scharf abdrehen muss, sich nicht damit entschuldigen, dass er die Grösse des Einschlages der Vorderräder oder das Lichtraumprofil seines Fahrzeuges nicht gekannt habe. Dass der Beschwerdeführer auf die grössere Ausladung der Strassenbahnwagen in Kurven nicht aufmerksam gemacht worden sei, hat er übrigens im kantonalen Verfahren nicht geltend gemacht. Seine erst in der Beschwerde vorgebrachte Behauptung von der ungenügenden Instruktion ist somit neu und unzulässig (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
).
Der neue Einwand, selbst wenn er zutreffen sollte, könnte den Beschwerdeführer auch nicht wesentlich entlasten. Die grösstmögliche seitliche Ausladung, die von Strassenbahnwagen beim Befahren der erwähnten Rechtskurve erreicht werden kann, wird durch weisse Striche, die im entsprechenden Abstand vom äussern Geleise auf der Gottfried Keller-Strasse aufgetragen sind, gekennzeichnet. Diese Markierungslinie ist in erster Linie für die Bahnwagenführer bestimmt, damit sie feststellen können, ob beim Befahren der Rechtskurve keine Strassenfahrzeuge gefährdet werden. Der Beschwerdeführer, der mit den örtlichen Verhältnissen vertraut und über die Bedeutung der Markierung im Bilde war, hätte diese daher beachten müssen und bei pflichtgemässer Kontrolle schon beim Wiederanfahren erkennen können, dass der Wagen von Leupp über die Linie hinausragte. Nach
Art. 45 Abs. 1 VRV
, der vom Strassenbahnführer die Anwendung besonderer Vorsicht verlangt, war der Beschwerdeführer zur Vornahme der Kontrolle auch dann verpflichtet, wenn die Markierungslinie wegen Abnutzung und künstlicher Beleuchtung schlecht sichtbar gewesen sein sollte. Er kann die Vernachlässigung seiner Pflicht auch nicht mit dem Hinweis auf
Art. 38 Abs. 1 SVG
rechtfertigen. Wenn der Kassationshof in
BGE 90 IV 258
erklärte, der Strassenbahnführer müsse sich darauf verlassen können, dass sich kein anderes Fahrzeug näher als 1,5 m neben der nächsten Schiene aufhalte, so heisst das selbstverständlich nicht, dass der Strassenbahnführer seine eigene besondere Kontrollpflicht ausser acht lassen und unbekümmert darum, ob ein Strassenfahrzeug genügenden Abstand von der Schiene wahre, weiterfahren dürfe.
BGE 92 IV 33 S. 37
Der Beschwerdeführer hat daher, obschon er wegen des entgegenkommenden Autos anhielt und nach dess enAusweichbewegung langsam an ihm vorbeifuhr, dadurch, dass er die Prüfung unterliess, ob es ausserhalb der markierten Sicherheitsgrenze stehe, der vorgeschriebenen besonderen Vorsichtspflicht nicht genügt.
3.
Mag auch das Verschulden des Beschwerdeführers als leicht angesehen werden, so kann die Nichtberücksichtigung einer der Verkehrssicherheit dienenden Markierungslinie angesichts der in
Art. 45 Abs. 1 VRV
vom Bahnwagenführer geforderten besonderen Vorsicht kaum als besonders leichter Fall im Sinne des
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
bewertet werden. Jedenfalls wäre die Vorinstanz, auch wenn ein besonders leichter Fall angenommen werden könnte, nicht gehalten gewesen, von Strafe Umgang zu nehmen, sondern hätte die Strafloserklärung, ohne dadurch das ihr zustehende Ermessen zu überschreiten, ablehnen dürfen (vgl.
BGE 91 IV 152
).
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99e5ffc1-8723-4fcb-800d-e68792d11984 | Urteilskopf
116 Ia 236
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Juli 1990 i.S. B. und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde Kappel und Regierungsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 15 RPG
; Grösse der Bauzone, Nichteinzonung kleinerer Gebiete. | Erwägungen
ab Seite 236
BGE 116 Ia 236 S. 236
Aus den Erwägungen:
Im teilweisen Nichtgenehmigungsentscheid des Regierungsrats (vgl.
BGE 116 Ia 222
f.) kann unter dem Aspekt der Bauzonengrösse keine Verletzung verfassungsmässiger Rechte erblickt werden. Auch der Umstand, dass sich Land bisher in einer Bauzone befand, steht einer Nichteinzonung grundsätzlich nicht entgegen, wenn es darum geht, einen Zonenplan mit einer derart übergrossen Bauzone wie diejenige des Zonenplans der Einwohnergemeinde Kappel aus dem Jahre 1968 an die Planungsgrundsätze des Raumplanungsgesetzes anzupassen bzw. diesen anzunähern (
BGE 115 Ia 387
E. 4;
BGE 114 Ia 33
mit Hinweisen). Ein solches Vorgehen verstösst weder gegen das Gebot der Rechtssicherheit noch gegen das Prinzip von Treu und Glauben.
Die Beschwerdeführer erklären, durch die Einzonung ihrer hier umstrittenen Parzellen werde das Fassungsvermögen der Bauzone der Einwohnergemeinde Kappel lediglich um maximal 150 Einwohner erhöht. Das sei im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl und zum gesamten eingezonten Baugebiet der Gemeinde zu
BGE 116 Ia 236 S. 237
vernachlässigen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Um eine zu grosse Bauzone auf das in
Art. 15 RPG
vorgesehene Mass zu beschränken, sind regelmässig zahlreiche, zum Teil auch kleinere Gebiete umfassende Planungsmassnahmen notwendig. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
99ef2194-e5b8-4363-be02-228bcb750163 | Urteilskopf
104 IV 229
53. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 4 septembre 1978 dans la cause M. contre Ministère public du canton de Neuchâtel | Regeste
Grundsatz ne bis in idem.
Ein fortgesetztes Delikt wird unterbrochen durch jedes zwischen den gleichartigen Handlungen ergehende Urteil (Erw. 3).
Art. 292 StGB
, Art. 17 BG vom 13. Juni 1928 betreffend Massnahmen gegen die Tuberkulose.
Die gestützt auf eine dieser Bestimmungen erlassene Verfügung kann für jeden einzelnen Fall des Ungehorsams zur Bestrafung führen (Erw. 3).
Art. 34 StGB
, Notstand.
Der Richter kann über das Bestehen einer unmittelbaren Gefahr nur dort nach eigenem Ermessen entscheiden, wo die gesetzlichen oder reglementarischen Vorschriften ihm ein Ermessen belassen (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 104 IV 229 S. 230
Le 23 août 1976, le Service de la santé publique du canton de Neuchâtel a invité par écrit M. à faire passer à ses deux filles l'examen radiologique prévu par la législation relative à la lutte contre la tuberculose. Comme déjà par le passé, il n'en a rien fait, persuadé qu'il était qu'un tel contrôle pourrait nuire à la santé de ses enfants. Condamné pour ces faits à une amende de 150 fr., en application de l'art. 17 de la LF du 13 juin 1928 sur la lutte contre la tuberculose. M. a formé un pourvoi en nullité, dans lequel il conclut à libération.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le recourant fait valoir qu'il devrait être libéré en vertu du principe "ne bis in idem". Il estime en effet que l'acte pour lequel il a été condamné n'est pas le refus de se conformer à l'invitation qui lui a été adressée le 23 août 1976, mais bien le refus de soumettre ses enfants à l'examen radiographique prescrit
BGE 104 IV 229 S. 231
par la loi. Or ce refus, qui procède d'une même et unique décision, avait déjà fait l'objet d'une condamnation à 125 fr. d'amende par le Tribunal du district de Boudry le 5 juillet 1976. Selon lui, il ne saurait y avoir place pour un nombre illimité d'infractions entre chaque période où l'examen radiographique est déclaré obligatoire; il conviendrait d'admettre au contraire qu'en persistant dans son refus il s'est rendu coupable d'un délit successif ou continué.
Cette argumentation se heurte au fait que le délit successif est interrompu par tout jugement intervenant entre les actes identiques. Dans ce cas, la condamnation porte sur tous les actes antérieurs, ceux qui surviennent ensuite ne pouvant évidemment être compris dans la répression. Le fait que l'ensemble des actes procède d'une même et unique décision - ce qui paraît in casu au moins discutable - ne saurait rien changer à cela (SCHWANDER, no 330 p. 4; SCHÖNKE/SCHRÖDER, 19e éd., 1978, no 74 ad par. 52 ss.).
Conformément à l'art. 17 al. 1 LTub (teneur au 1er juillet 1974), une amende peut être infligée également à celui qui contrevient "à une décision à lui signifiée sous la menace de la peine". L'invitation adressée au recourant le 23 août 1976 constituait à l'évidence une telle décision. Comme il n'est pas contesté qu'elle émanait bien de l'autorité cantonale compétente au regard de la LTub, qu'elle contenait la commination d'une peine et qu'elle est parvenue au recourant, celui-ci ne saurait contester que l'art. 17 LTub lui était applicable. Certes la condamnation en cause porte-t-elle sur la violation de la même obligation de faire en vigueur durant la même période de contrôle médical et qui avait donné lieu au prononcé d'une amende de 125 fr. Cela demeure toutefois sans incidence, car la commination prononcée en application de l'art. 17 LTub, au même titre que celle fondée sur l'art. 292 CP, peut déployer ses effets et aboutir à une condamnation à chaque cas d'insoumission (ATF 73 IV 255, 74 IV 106; HAFTER, Partie spéciale, p. 727; LOGOZ, Partie spéciale, n. 4 ad art. 292; SCHWANDER, no 750). Selon STRATENWERTH (2e éd., p. 591), il est vrai, la répétition de condamnations ne serait possible que dans la mesure où, postérieurement à la première, subsisterait une situation contraire au droit. Au cas où l'on admettrait cette exigence, ce qu'il n'est pas nécessaire de décider ici, elle serait remplie: aussi longtemps qu'il n'est pas établi de manière sûre
BGE 104 IV 229 S. 232
- par le contrôle litigieux ou de toute autre manière équivalente - que la fille du recourant n'est pas atteinte de tuberculose.
4.
Le recourant se prévaut enfin de l'état de nécessité. Il avance que le contrôle radiographique, si réduit qu'il puisse être, mettrait en danger la santé non seulement de ses enfants, mais encore celle de leurs descendants et qu'il est par conséquent de son devoir de s'y opposer, cela d'autant plus que la nécessité et l'opportunité en seraient de plus en plus contestées, certains cantons ayant même renoncé à l'imposer.
Il n'est pas contestable que certaines des conditions posées à l'art. 34 ch. 1 al. 1 CP sont remplies in casu: le recourant agit en qualité de père pour sauvegarder la santé de sa postérité. Mais il faudrait encore établir que l'examen radiographique constitue une véritable mise en danger et que les risques inhérents à cette méthode d'investigation ne sont pas raisonnables au regard des risques que la tuberculose fait courir aux individus et à la collectivité. Or cette question ne peut in casu être résolue librement par le juge, selon les règles habituelles de l'art. 34 CP, car elle a été tranchée par l'autorité compétente pour édicter la règle applicable dont la volonté lie par conséquent le juge. Ce dernier ne peut en effet se fonder sur sa propre appréciation que là où les dispositions légales ou réglementaires en vigueur lui en laissent la possibilité. Tel n'est pas le cas en l'occurrence, le Conseil d'Etat ayant respecté, en édictant le règlement en cause, le cadre et les compétences qui lui étaient fixés par la loi et ayant précisé que le contrôle comprend "obligatoirement" la radiographie des poumons. Le recourant ne saurait donc se prévaloir de l'état de nécessité.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
99fe8b4d-31b9-42b4-8722-b9ba63e98a84 | Urteilskopf
124 II 132
19. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour de droit public du 20 mars 1998 dans la cause A. contre Office fédéral de la police (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 80p IRSG
; Überprüfung der mit der Auslieferung verbundenen Auflagen.
Anspruch auf rechtliches Gehör bei der Prüfung, ob die Antwort des ersuchenden Staates den verlangten Auflagen genügt (E. 2).
Tragweite der Auflagen, die dem ersuchenden Staat in Anwendung von
Art. 80p IRSG
auferlegt wurden; Tragweite der Obliegenheit des Bundesamts, wenn es prüft, ob die Antwort des ersuchenden Staats eine hinreichende Verpflichtung darstellt (E. 3).
Im vorliegenden Fall entsprachen die vom ersuchenden Staat abgegebenen Zusicherungen nicht vollständig den Auflagen, die an die Gewährung der Auslieferung geknüpft wurden (E. 4a-d). Wegen der besonderen Umstände der Angelegenheit ist es gerechtfertigt, dem ersuchenden Staat eine letzte Frist anzusetzen, damit er die verlangte Zusicherung abgeben kann (E. 4e). | Sachverhalt
ab Seite 133
BGE 124 II 132 S. 133
A.-
Le 26 janvier 1996, la République du Kazakhstan a demandé à la Suisse l'extradition de A., ressortissante kazakhe résidant à Genève. Selon cette demande, A., ancienne représentante de la Banque nationale de la République du Kazakhstan, est soupçonnée d'avoir établi de fausses garanties bancaires au nom de la Banque nationale, pour un montant de 2 milliards de dollars.
Le 9 avril 1997, l'Office fédéral de la police (ci-après: l'Office fédéral) a accordé l'extradition, sous diverses charges et conditions.
Par arrêt du 12 septembre 1997 (
ATF 123 II 511
), le Tribunal fédéral a rejeté, dans la mesure où il était recevable et au sens des considérants, le recours de droit administratif formé par A. (ch. 1 du dispositif). Il a modifié le dispositif de la décision du 9 avril 1997 notamment comme suit (ch. 2 du dispositif):
"1. L'extradition de A. est accordée à la République du Kazkahstan pour les faits mentionnés dans la demande d'extradition du 9 janvier 1996 aux conditions suivantes:
let. a. à e.
f. En sa qualité de chef d'Etat, le Président de la République du Kazakhstan s'engage, conformément aux
art. 2 et 5 Pacte ONU II
, à assurer le respect des garanties de procédure énoncées ci-dessus (let. b, c, d et e). Il s'engage en particulier à respecter le principe d'indépendance et d'impartialité des autorités judiciaires chargées de la procédure pénale dirigée contre A. pour les faits visés dans la demande d'extradition du 9 janvier 1996, tant dans la phase de l'instruction, qu'à l'audience de jugement ou devant l'instance de recours juridictionnel.
let. g. et h. (...)
2. L'extradition de A. ne sera pas exécutée et le mandat d'arrêt en vue d'extradition du 22 décembre 1995 révoqué, si la République du Kazakhstan ne confirme pas les garanties mentionnées sous lettres a-e et g-h et si le Président de la République du Kazakhstan ne fournit pas la garantie mentionnée sous lettre f, dans le délai qui lui sera imparti par l'Office fédéral.
ch. 3 et 4"
B.-
Le 13 octobre 1997, l'Office fédéral a invité l'Etat requérant, par l'entremise de son mandataire en Suisse, à fournir, dans un
BGE 124 II 132 S. 134
délai expirant le 20 novembre suivant, les assurances visées au ch. 2 du dispositif de l'arrêt du 12 septembre 1997. L'Office fédéral a précisé qu'il était indispensable que la déclaration fournie par l'Etat corresponde mot pour mot au libellé des conditions fixées.
L'Office fédéral a prolongé le délai imparti au 18 décembre 1997.
Par note diplomatique no 158 du 9 décembre 1997, l'Ambassade du Kazakhstan à Berne a remis à l'Office fédéral une déclaration émanant du Procureur général du Kazakhstan, daté du 4 décembre 1997. Selon ce document, l'Etat requérant s'engageait à se conformer aux conditions indiquées sous ch. 1 let. a, b, c, d, e, g et h du dispositif de la décision de l'Office fédéral du 9 avril 1997, tel que modifié à la suite du prononcé de l'arrêt du 12 septembre 1997. Ce document portait en outre l'indication suivante:
"Le respect des garanties de procédure énoncées ci-dessus (...) sera assuré conformément aux
art. 2 et 5 Pacte ONU II
. A cet égard sera respecté le principe d'indépendance et d'impartialité des autorités judiciaires chargées de la procédure pénale dirigée contre A. pour les faits visés dans la demande d'extradition du 9 janvier 1996, tant dans la phase de l'instruction, qu'à l'audience de jugement ou devant l'instance de recours juridictionnel".
Le 9 décembre 1997, l'Office fédéral a signalé à l'Ambassade du Kazakhstan à Berne, ainsi qu'au mandataire de l'Etat requérant et au Consul de Suisse à Almaty, que la déclaration du 4 décembre 1997 ne comportait pas l'engagement formel requis de la part du chef de l'Etat requérant selon le ch. 1 let. f du dispositif de sa décision du 9 avril 1997, dans sa teneur du 12 septembre 1997. L'Office fédéral a invité l'Etat requérant à fournir cet engagement dans un délai expirant le 22 décembre 1997.
Par note diplomatique no160 du 10 décembre 1997, l'Ambassade du Kazakhstan à Berne a communiqué à l'Office fédéral une note portant le no36-3-97, datée du 4 décembre 1997, émanant du Procureur général du Kazakhstan. Selon ce document, les conditions posées par la Suisse à l'extradition de A. ne pouvaient aller à l'encontre du droit interne de l'Etat requérant. Or, l'art. 83 de la Constitution kazakhe conférerait au seul Ministère public la tâche de conduire, indépendamment des autres pouvoirs étatiques, les procédures judiciaires, y compris dans le domaine de l'extradition.
Le 15 décembre 1997, l'Office fédéral a réitéré ses demandes antérieures. Il a prolongé au 7 janvier 1998 le délai imparti à l'Etat requérant pour sa réponse.
Le 23 décembre 1997, le Consul de Suisse à Almaty a transmis à l'Office fédéral une note émanant du Procureur général du Kazakhstan.
BGE 124 II 132 S. 135
Selon ce document, le chef de l'Etat requérant ne disposerait d'aucun moyen d'intervenir dans le déroulement d'une procédure pénale, dont la conduite serait placée sous la responsabilité exclusive du Procureur général du Kazakhstan, lequel serait totalement indépendant des autres pouvoirs.
Le 24 décembre 1997, le mandataire suisse de l'Etat requérant a confirmé à l'Office fédéral que l'engagement personnel exigé par la Suisse du chef de l'Etat requérant était contraire à l'ordre juridique de celui-ci. En revanche, l'engagement du Procureur général de la République du Kazakhstan, correspondant matériellement aux conditions posées à l'extradition, émanait de la seule autorité compétente, dans l'Etat requérant, pour la donner et pour engager ce dernier.
Par note no3 du 12 janvier 1998, l'Ambassade du Kazakhstan à Berne a confirmé le contenu des déclarations remises informellement les 23 et 24 décembre 1997, en joignant une traduction allemande des notes no36-3-97 émanant du Procureur général du Kazakhstan.
Le 14 janvier 1998, l'Office fédéral a informé l'Ambassade du Kazakhstan à Berne que les notes remises par l'Etat requérant, dans leur version originale rédigée en langue russe et leurs traductions française et allemande, divergeaient sur certains points et ne correspondaient pas intégralement sur d'autres points au libellé des garanties requises.
Le 14 janvier 1998, l'Office fédéral a invité A. à se déterminer. A. s'est opposée, le 26 janvier 1998, à son extradition en considérant que l'Etat requérant n'avait pas donné les assurances requises selon l'arrêt du 12 septembre 1997.
Par note diplomatique no 28/98 du 29 janvier 1998, l'Ambassade du Kazakhstan à Berne a remis à l'Office fédéral une note no 36-118-98 émanant du Procureur général du Kazakhstan, accompagnée d'une nouvelle traduction allemande, dont la teneur est notamment la suivante:
"1. à 5. (...)
6. Die Einhaltung der obererwähnten Verfahrensgarantien (Punkte 2, 3, 4, 5 dieses Briefes) wird gemäss den Art. 2 und 5 des UNO-Pakts II gewährleistet. Dabei wird das Prinzip der Unabhängigkeit und der Unvoreingenommenheit der Gerichtsbehörden gewahrt, die im Strafverfahren gegen Frau A. wegen Handlungen, die im Ausschaffungsgesuch vom 9.1.1996 aufgeführt sind, wie auch im Untersuchungsverfahren sowie in der Gerichtsverhandlung, oder vor den Appellationsbehörden zur Beschwerdeeinlegung involviert sind.
BGE 124 II 132 S. 136
7. et 8. (...)
Der Generalstaatsanwalt (ad interim) der Republik Kasachstan
(Unterschrift) A.W. Konstantinow
(...)"
Le 4 février 1998, l'Office fédéral a rendu une décision constatant que les garanties fournies par l'Etat requérant selon sa note du 29 janvier 1998 constitueraient un engagement suffisant au regard des conditions fixées dans l'arrêt du 12 septembre 1997. Selon l'Office fédéral, l'Etat requérant aurait fourni les assurances visées sous le ch. 2 let. a, b, c, d, e, g et h de l'arrêt du 12 septembre 1997 (
ATF 123 II 511
). Il n'y aurait pas lieu, sur le vu de la détermination du Département fédéral des affaires étrangères, de douter de la validité et de la crédibilité des garanties données. S'agissant de la condition visée au ch. 2 let. f du dispositif de l'arrêt du 12 septembre 1997, la déclaration de l'Etat requérant correspondrait aux exigences suisses, sous la seule réserve qu'elle émanait du Ministère public et non du Président de la République du Kazakhstan. Toutefois, seul le Ministère public étant compétent, selon le droit interne de l'Etat requérant, pour donner cette garantie et le Président de la République ne disposant pas de moyens d'intervenir dans le domaine d'action du Procureur général, il y aurait lieu de considérer que les conditions posées à l'extradition selon l'arrêt du 12 septembre 1997 seraient remplies d'un point de vue matériel.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit administratif, A. demande au Tribunal fédéral d'annuler la décision du 4 février 1998, de rejeter la demande d'extradition et d'ordonner sa libération immédiate. Elle requiert en outre l'assistance judiciaire. Elle invoque l'
art. 4 Cst.
et l'art. 80p de la loi fédérale sur l'entraide internationale en matière pénale, du 20 mars 1981 (EIMP; RS 351.1).
L'Office fédéral propose le rejet du recours dans la mesure où il serait recevable.
Invitée à répliquer, la recourante a maintenu ses conclusions.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La recourante reproche à l'Office fédéral de ne pas lui avoir donné l'occasion de s'exprimer, avant qu'il ne statue, sur les garanties données par l'Etat requérant, dans la dernière version de celles-ci, jointes à la note no 28/98 du 29 janvier 1998. Elle se plaint à cet égard d'une violation de son droit d'être entendue.
BGE 124 II 132 S. 137
a) Dans les domaines qui relèvent de la juridiction administrative fédérale, le recours de droit administratif permet aussi de soulever le grief tiré de la violation des droits constitutionnels en relation avec l'application du droit fédéral (
ATF 123 II 8
consid. 2 p. 11;
ATF 122 II 373
consid. 1b p. 375,
ATF 122 IV 8
consid. 1b p. 11;
ATF 120 Ib 379
consid. 1b p. 381/382;
ATF 118 Ia 8
consid. 1b p. 10;
ATF 116 Ib 8
consid. 1 p. 10, 175 consid. 1 p. 178, et les arrêts cités).
Si, dans l'exposé de ses motifs, la recourante reproche à l'Office fédéral d'avoir violé son droit d'être entendue, elle ne prend toutefois pas de conclusions univoques à ce propos, puisqu'elle s'en rapporte à l'appréciation du Tribunal fédéral en laissant à celui-ci le soin de tirer de la violation de son droit d'être entendue les conclusions qui s'imposent. Cela étant, il ressort de manière juste suffisante de sa démarche qu'elle conclut à l'annulation de la décision attaquée pour ce motif. Il convient d'examiner le grief sans inviter la recourante, en application de l'
art. 108 al. 3 OJ
, à préciser ses intentions, et cela quand bien même son attitude n'est pas dénuée d'ambiguïté.
b) La jurisprudence a déduit de l'
art. 4 Cst.
le droit du particulier de s'expliquer avant qu'une décision ne soit prise à son détriment, de fournir des preuves quant aux faits de nature à influer sur la décision, d'avoir accès au dossier, de participer à l'administration des preuves, d'en prendre connaissance et de se déterminer à leur propos (
ATF 123 I 63
consid. 2a p. 66;
ATF 123 II 175
consid. 6c p. 183/184;
ATF 122 I 53
consid. 4a p. 55, 109 consid. 2a et b p. 112;
ATF 122 II 274
consid. 6b p. 286, 464 consid. 4a p. 469;
ATF 122 V 157
consid. 1a p. 158). L'autorité qui verse au dossier de nouvelles pièces dont elle entend se prévaloir dans son jugement est tenue d'en aviser les parties (
ATF 114 Ia 97
consid. 2c p. 100;
ATF 112 Ia 198
consid. 2a p. 202;
ATF 111 Ib 294
consid. 2b p. 299).
Dans le domaine de la coopération judiciaire internationale en matière pénale, ces exigences sont concrétisées par les
art. 29ss PA
, applicables à la procédure devant les autorités administratives fédérales selon l'
art. 12 EIMP
, malgré le fait que, à la différence de ce qui prévaut en matière d'extradition (
art. 52 EIMP
), la loi ne dit pas expressément que la personne concernée a le droit d'être entendue avant que l'Office fédéral ne statue en application de l'
art. 80p EIMP
. Il incombe ainsi à l'Office fédéral, avant de décider si la réponse de l'Etat requérant constitue un engagement suffisant au regard des conditions fixées, d'inviter la personne visée à se déterminer à ce sujet, en lui impartissant un bref délai à cet effet. La thèse contraire,
BGE 124 II 132 S. 138
défendue par l'Office fédéral dans sa détermination du 2 mars 1998, n'est pas compatible avec les
art. 4 Cst.
et 29 PA. Le principe de célérité de la procédure, consacré à l'
art. 17a EIMP
, ne saurait en effet avoir pour conséquence de supprimer ou de restreindre le droit d'être entendu des parties, surtout dans une phase aussi délicate de la procédure que celle régie par l'
art. 80p EIMP
.
c) L'Office fédéral ne s'y est d'ailleurs pas trompé, puisqu'il a spontanément invité la recourante à lui faire part de ses observations. Le 14 janvier 1998, il a en effet communiqué au mandataire de la recourante plusieurs documents, parmi lesquels une copie des notes diplomatiques no158/97 et 3/98 et leurs annexes, remises par l'Ambassade de l'Etat requérant, avec un délai de dix jours pour présenter des observations éventuelles. Dans sa détermination du 26 janvier 1998, la recourante a émis l'avis que les assurances fournies par l'Etat requérant ne respectaient pas les conditions visées dans l'arrêt du 12 septembre 1997, en relevant en outre les divergences existant entre la version originale des notes du Procureur général de la République du Kazakhstan, rédigées en langue russe, et les traductions française et allemande de ces documents. Or, l'Office fédéral a reçu trois jours plus tard, le 29 janvier 1998, la note no28/98, à laquelle les autorités de l'Etat requérant ont joint la note no36-118-98 du Procureur général du Kazakhstan, relative aux garanties réclamées par la Suisse - remplaçant l'ancienne note no36-3-97 émanant de la même autorité, accompagnée d'une nouvelle traduction officielle. Cette nouvelle prise de position des autorités de l'Etat requérant avait pour but de mettre un terme à l'équivoque née de la remise antérieure de textes rédigés en russe présentant des divergences avec leurs traductions. En cela, les autorités de l'Etat requérant se sont conformées aux exigences formulées par l'Office fédéral dans sa note du 14 janvier 1998. Dès lors qu'il envisageait de statuer sur la base de ces pièces nouvelles, il incombait à l'Office fédéral de les porter à la connaissance de la recourante, en l'invitant à se déterminer à leur propos. En omettant de le faire, alors que l'Etat requérant avait complété sa réponse dans l'intervalle, il a violé le droit d'être entendue de la recourante.
d) Cette constatation n'entraîne pas l'admission du recours et l'annulation de la décision attaquée. En effet, le défaut affectant celle-ci peut être guéri dans le cadre du présent recours, le Tribunal fédéral disposant du même pouvoir d'examen que l'Office fédéral (
ATF 118 Ib 269
consid. 3a p. 275/276;
ATF 117 Ib 64
consid. 4 p. 87, et les arrêts cités). En l'occurrence, la recourante a eu l'occasion de se
BGE 124 II 132 S. 139
déterminer, tant dans l'acte de recours que dans la réplique du 10 mars 1998, sur tous les points de l'affaire, y compris ceux qui ne lui avaient pas été soumis par l'Office fédéral. La violation de son droit d'être entendue a ainsi été réparée dans le cadre du présent recours. Cela étant, la faculté pour le Tribunal fédéral de remédier aux défauts éventuels de la procédure antérieure, inspirée par des motifs de célérité et d'économie de la procédure (
art. 17a EIMP
), ne saurait être comprise par l'autorité inférieure comme une autorisation de méconnaître les droits procéduraux des parties, comme pourrait le laisser entendre la prise de position de l'Office fédéral du 6 mars 1998.
3.
Selon la recourante, l'Etat requérant n'aurait pas donné d'engagement suffisant s'agissant du respect de la condition visée au ch. 1 let. f du dispositif de la décision du 9 avril 1997, dans sa version du 12 septembre 1997, dans la mesure où cet engagement n'émane pas du chef de l'Etat requérant.
a) Dans son arrêt du 12 septembre 1997, le Tribunal fédéral est parvenu à la conclusion, comme l'Office fédéral avant lui, que l'extradition inconditionnelle de la recourante n'entrait pas en ligne de compte. Le système constitutionnel de l'Etat requérant, présentant les traits d'un régime présidentiel très accentué, confère au Président de la République des pouvoirs fort étendus, notamment dans ses relations avec le pouvoir judiciaire qu'il domine effectivement, au point qu'il existe incontestablement le risque de voir les juges placés dans une relation de dépendance à l'égard du Président de la République (
ATF 123 II 511
, consid. 5e/cc, p. 519). En outre, la situation des droits de l'homme, et notamment des détenus, est très mauvaise dans l'Etat requérant. Le Tribunal fédéral en a conclu que:
"(...) Ce tableau très sombre de la situation des droits de l'homme dans l'Etat requérant commande impérieusement de ne pas accorder sans conditions l'extradition de la recourante, compte tenu des risques qu'elle courrait de se voir infliger des mauvais traitements au cours de sa détention, ainsi que des graves lacunes dont souffre, du point de vue de la séparation des pouvoirs, l'organisation du système judiciaire de l'Etat requérant." (consid. 5f).
Ces constatations ont conduit le Tribunal fédéral à subordonner l'extradition de la recourante au respect, par l'Etat requérant, de conditions détaillées et précises, reproduites intégralement dans le dispositif de son arrêt de manière à prévenir toute équivoque à ce sujet.
Le Tribunal fédéral a considéré que, compte tenu des relations très particulières prévalant, dans l'Etat requérant, entre le pouvoir exécutif et le pouvoir judiciaire, il était indispensable de s'assurer
BGE 124 II 132 S. 140
que l'actuel chef de l'Etat requérant - ou son successeur - n'utiliserait pas ses attributions constitutionnelles - soit comme chef de l'Etat, soit, ultérieurement, comme membre de droit du Conseil constitutionnel - pour influencer le déroulement de la procédure pénale et, le cas échéant, les modalités d'application de la peine qui serait prononcée au terme du procès pénal (consid. 7c). Sans aller aussi loin que l'Office fédéral, qui avait exigé du chef de l'Etat requérant l'engagement de sa responsabilité personnelle quant au traitement réservé à la recourante, le Tribunal fédéral a modifié sur ce point le libellé de la condition mise à la charge de l'Etat requérant, selon le ch. 1 let. f du dispositif de la décision de l'Office fédéral, dans sa teneur du 12 septembre 1997.
Le sens et le but de cette condition sont clairs. Elle vise en premier lieu à obtenir, de la plus haute autorité de l'Etat requérant, un engagement formel quant au respect des garanties de procédure selon le Pacte ONU II, ainsi qu'à l'interdiction des tribunaux d'exception, de la peine de mort et de tout traitement pouvant porter atteinte à l'intégrité physique ou psychique de la recourante. En second lieu, elle porte sur l'assurance à donner par le chef de l'Etat requérant - précisément en raison de ses prérogatives constitutionnelles très étendues dans le domaine de la justice - quant à l'indépendance et à l'impartialité des tribunaux appelés à connaître de la cause concernant la recourante. Seul un engagement clair et net sur ce point serait en effet de nature à écarter tout risque d'intervention dans la procédure, que ce soit au stade de l'instruction, du jugement ou d'un recours juridictionnel, notamment sous la forme d'instructions adressées au tribunal.
Cette garantie est d'autant plus nécessaire que l'Etat requérant n'a pas ratifié le Pacte ONU II. Au demeurant, même dans les rapports extraditionnels avec des Etats parties à la CEDH et reconnaissant le droit de recours individuel et la juridiction obligatoire de la Cour européenne des droits de l'homme, la Suisse doit veiller à ce que l'extradition n'expose pas la personne remise au risque concret d'une violation de la Convention. En cas de besoin, la Suisse peut subordonner l'extradition à des conditions précises, et cela même à l'égard d'Etats parties à la CEDH, réputés respecter celle-ci (cf.
ATF 122 II 373
consid. 2d p. 379). Il n'y a donc pas lieu de se départir de cette pratique en l'occurrence.
b) Dans l'application de l'
art. 80p EIMP
, l'Office fédéral doit se borner à communiquer à l'Etat requérant les conditions auxquelles est soumise la coopération internationale, en lui impartissant un délai
BGE 124 II 132 S. 141
pour fournir un engagement précis et clair dans ce sens (
art 80p al. 2 EIMP
). Une fois cet ngagement reçu, l'Office fédéral en examine le contenu et rend une décision formelle quant à sa validité et à sa crédibilité (
art. 80p al. 3 EIMP
). En d'autres termes, la loi ne confère pas à l'Office fédéral la tâche de reformuler ou d'interpréter les conditions posées par le Tribunal fédéral à l'Etat requérant, qui sont intangibles (cf. le commentaire de l'
art. 80p al. 2 EIMP
dans le Message du Conseil fédéral du 29 mars 1995, FF 1995 III p. 34).
c) Ce point n'a d'ailleurs pas échappé à l'Office fédéral. Dans sa détermination du 13 octobre 1997, invitant l'Etat requérant à fournir les assurances requises, il a précisé que la déclaration demandée devait reprendre la formulation des conditions dans leur version arrêtée définitivement par le Tribunal fédéral le 12 septembre 1997, et cela mot pour mot. Lorsque l'Office fédéral a constaté, à réception de la note diplomatique no158 du 9 décembre 1997, que l'Etat requérant n'avait pas fourni les assurances exigées du Président de la République du Kazakhstan, il lui a imparti un nouveau délai pour remédier à ce défaut. Puis il semble que l'Office fédéral ait implicitement renoncé à cette exigence sur le vu de prises de position du Consul de Suisse à Almaty, du 23 décembre 1997, et du mandataire suisse de l'Etat requérant, du 24 décembre 1997, indiquant que selon les autorités de l'Etat requérant, la condition visant le Président de la République du Kazakhstan heurtait le droit interne de l'Etat requérant, seul le Procureur général du Kazakhstan étant apte - et disposé - à donner l'assurance requise. L'Office fédéral n'est plus revenu à la charge sur ce point. L'échande de correspondance ultérieur a en effet porté uniquement sur le libellé des garanties requises, ainsi que sur la traduction des documents remis par les autorités de l'Etat requérant.
Ce mode de procéder n'est pas conforme à l'
art. 80p al. 2 EIMP
. Placé devant le refus de l'Etat requérant de donner les assurances requises selon les formes prescrites, l'Office fédéral ne pouvait qu'en tirer les conclusions qui s'imposaient au regard de l'
art. 80p al. 3 EIMP
. Il n'était en tout cas pas habilité - dans le cas où les conditions dont dépend la coopération internationale ont été fixés par le Tribunal fédéral de manière aussi précise que dans son arrêt du 12 septembre 1997 - à modifier la position de la Suisse, comme Etat requis, et entrer dans une négociation à ce sujet. La situation peut se présenter différemment lorsque les conditions sont libellées d'une telle manière que l'Office fédéral dispose à cet égard d'une marge d'interprétation. Tel n'était pas le cas en l'espèce.
BGE 124 II 132 S. 142
En tenant pour valide une déclaration de l'Etat requérant qui ne reprenait pas intégralement et précisément les conditions posées par le Tribunal fédéral à l'extradition de la recourante, l'Office fédéral a violé l'
art. 80p al. 2 EIMP
.
4.
Il reste à examiner si la garantie fournie par l'Etat requérant sur ce point constitue un engagement suffisant au sens de l'
art. 80p al. 3 EIMP
, ce que conteste la recourante.
a) Pour admettre la validité de l'assurance fournie par l'Etat requérant conformément au ch. 1 let. f de la décision du 9 avril 1997 dans sa version du 12 septembre 1997, l'Office fédéral s'est fondé sur les documents joints à la note diplomatique no28/98 du 29 janvier 1998 et sur leur traduction allemande. Après avoir noté que cette déclaration n'émanait pas du Président de la République du Kazakhstan, mais du Procureur général de l'Etat requérant, l'Office fédéral l'a néanmoins tenue pour valide, aux motifs que seul le Procureur général, autorité judiciaire suprême de l'Etat requérant, était en mesure de garantir l'indépendance et l'impartialité du pouvoir judiciaire, que le Président de la République n'était pas compétent dans ce domaine et que le Procureur général, certes nommé par le Président de la République, était cependant indépendant de celui-ci, qui ne pouvait ni le révoquer, ni le destituer.
b) La solution retenue par l'Office fédéral ne tient pas compte du ch. 1 let. f, 1ère phrase, du dispositif de la décision du 9 avril 1997 dans sa teneur du 12 septembre 1997, par laquelle il a été demandé au Président de la République du Kazakhstan d'assurer le respect des garanties visées au ch. 1 let. b, c, d et e de ce dispositif. Ces garanties concernent le procès équitable, ainsi que l'interdiction des tribunaux d'exception, de la peine de mort et des traitements pouvant porter atteinte à l'intégrité physique et psychique de la recourante. Or, la déclaration du Procureur général du Kazakhstan, selon le ch. 6 de sa note no36-11-98 jointe à la note diplomatique no28/98 du 29 janvier 1998, ne saurait remplacer sur ce point précis celle requise du Président de la République comme chef de l'Etat requérant. Indépendamment de ce qui concerne le deuxième élément de la garantie requise, touchant à l'indépendance et à l'impartialité des tribunaux, la déclaration de l'Etat requérant ne satisfait pas à cet égard à une condition centrale de l'octroi de l'extradition de la recourante. On ne saurait, pour ce motif déjà, parler à ce propos d'un engagement suffisant au sens de l'
art. 80p al. 3 EIMP
.
c) L'arrêt du 12 septembre 1997 (consid. 7b, deuxième paragraphe) insiste sur les risques concrets d'une intervention du chef
BGE 124 II 132 S. 143
de l'Etat requérant dans une affaire touchant aux intérêts de la Banque nationale, compte tenu aussi de la crainte de la recourante d'être l'objet d'une vengeance du chef de l'Etat requérant. C'est précisément pour ce motif que le Tribunal fédéral, à l'instar de l'Office fédéral, a estimé indispensable de requérir du Président de la République l'engagement formel de ne pas user de ses prérogatives constitutionnelles en la matière. Le sens du ch. 1 let. f, deuxième phrase, de la décision du 9 avril 1997, dans sa version du 12 septembre 1997, n'était pas d'obtenir des garanties générales relatives à l'indépendance et à l'impartialité du pouvoir judiciaire de l'Etat requérant - auquel cas la déclaration du Procureur général de la République du Kazakhstan aurait sans doute suffi. Cette condition était destinée à prévenir toute ingérence du Président de la République dans la procédure.
Or, seul un engagement personnel de celui-ci est de nature à écarter ce risque. Une assurance quelconque donnée par un autre organe de l'Etat requérant ne saurait s'y substituer. Pour cette raison aussi, l'Office fédéral ne pouvait pas tenir la déclaration du Procureur général de la République du Kazakhstan comme satisfaisant aux exigences du ch. 1 let. f de la décision du 9 avril 1997, dans sa teneur du 12 septembre 1997.
d) Le grief de violation de l'
art. 80p al. 3 EIMP
est ainsi bien fondé. Le recours doit être admis sur ce point et la décision attaquée annulée.
e) Cela n'entraîne pas toutefois le refus de l'extradition et la levée immédiate de la détention extraditionnelle, car il n'est pas exclu d'emblée que l'Etat requérant puisse en fin de compte donner la garantie litigieuse.
L'attitude équivoque de l'Office fédéral - lequel a d'abord indiqué clairement à l'Etat requérant ses obligations avant d'infléchir sa position en acceptant un engagement qui ne correspondait pas aux exigences fixées dans l'arrêt du 12 septembre 1997 (consid. 3c ci-dessus) - a peut-être laissé accroire aux autorités kazakhes que la condition concernant le chef de l'Etat requérant pouvait être modifiée ou atténuée. L'Etat requérant n'a pas à pâtir de ce malentendu dont l'Office fédéral est responsable au premier chef. Il se justifie dans ces conditions, à titre tout à fait exceptionnel, d'offrir à l'Etat requérant une occasion ultime de fournir l'assurance visée au ch. 1 let. f de la décision du 9 avril 1997, dans sa version du 12 septembre 1997. A cet effet, l'Office fédéral, immédiatement après avoir reçu le présent arrêt, communiquera à l'Etat requérant, par la voie diplomatique, le texte de la condition litigieuse. Il prendra le soin d'indiquer
BGE 124 II 132 S. 144
aux autorités de l'Etat requérant la portée exacte de celle-ci, telle qu'elle vient d'être rappelée (consid. 4 ci-dessus). A cet égard, l'Office fédéral précisera d'emblée aux autorités de l'Etat requérant que la déclaration requise doit émaner du Président de la République du Kazakhstan, à l'exclusion de toute autre autorité de l'Etat requérant, et comporter tous les éléments nécessaires pour que l'Office fédéral soit en mesure de considérer les conditions à l'octroi de l'extradition comme intégralement et définitivement remplies. L'Office fédéral veillera en outre à faire attester, par un traducteur qu'il mandatera lui-même, l'exactitude du texte russe de la déclaration de l'Etat requérant, ainsi que de sa traduction. Afin d'éviter tout atermoiement supplémentaire dans la conduite de cette procédure, l'Office fédéral impartira à l'Etat requérant un délai de quarante jours pour donner expressément l'assurance requise, faute de quoi l'extradition ne sera pas accordée et la mesure de détention extraditionnelle immédiatement levée. Ce délai ne sera pas prolongé.
f) Eu égard à l'issue de la cause, il n'est pas nécessaire d'examiner pour le surplus si, dans l'Etat requérant, le Procureur général est effectivement indépendant du Président de la République. De même, il est superflu de vérifier s'il existe, entre la version originale de la déclaration de l'Etat requérant et sa traduction allemande, des divergences et des contresens, comme le prétend la recourante.
5.
Le recours est admis partiellement au sens du considérant 4d et e et la décision attaquée annulée. Le recours est rejeté s'agissant des conclusions de la recourante tendant au refus de la demande d'extradition et la levée immédiate de la détention extraditionnelle. Eu égard à l'issue de la cause, la demande d'assistance judiciaire présentée par la recourante a perdu son objet. | public_law | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
99ff7fa5-40a5-4a5e-b26c-1b22e81241d8 | Urteilskopf
105 Ia 349
63. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Juli 1979 i.S. Stauffacher gegen Kanton Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Anfechtung der Weisungen der Finanzdirektion an die Steuerbehörden über die Neueinschätzung der Liegenschaften.
1. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (E. 2 und 3).
a) Anfechtung von Verwaltungsverordnungen (Präzisierung der Rechtsprechung, E. 2a).
b) Legitimation zur Anfechtung von Verfügungen und Erlassen wegen Privilegierung Dritter (E. 3).
2. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (E. 4).
Erlasse der Verwaltung, die nach der verfassungsrechtlichen Ordnung zum vorneherein nicht der Volksabstimmung unterliegen, sind nicht mit Stimmrechtsbeschwerde anfechtbar. Zulässig ist einzig die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gewaltentrennung. Die Stimmrechtsbeschwerde kann auch nicht gegen Einzelverfügungen der Verwaltung ergriffen werden, mit der Begründung, dass die Verfügung im Ergebnis einer Gesetzesänderung gleichkomme. | Sachverhalt
ab Seite 350
BGE 105 Ia 349 S. 350
Nach dem Gesetz über die direkten Steuern des Kantons Zürich werden Einkommens- und Vermögenssteuern von natürlichen Personen erhoben. Zu den steuerbaren Einkünften gehören auch Naturaleinkünfte mit Einschluss der Eigennutzung von Liegenschaften. Die Vermögenssteuer wird vom Reinvermögen erhoben, wobei das Vermögen zum Verkehrswert zu bewerten ist.
Die Finanzdirektion des Kantons Zürich erliess letztmals am 28. Juli 1978 Weisungen über die Einschätzung der Liegenschaften. Die Ziffern 90 und 92 dieser Weisungen lauteten wie folgt:
90. Falls sich bei Wohn- und Geschäftshäusern sowie bei Stockwerkeigentum eine Erhöhung des Steuerwertes um mehr als 30% ergeben sollte, werden die Einschätzungsbehörden angewiesen, bei der Einschätzung für die Steuerjahre 1979 und 1980 die Erhöhung auf 30% des bisherigen Steuerwertes zu begrenzen. Die Anpassung an die gemäss dieser Weisung ermittelten Steuerwerte erfolgt bei der Einschätzung 1981.
92. Falls sich bei der Ermittlung des Mietwertes eines vom Eigentümer bewohnten Einfamilienhauses eine Erhöhung von mehr als 30% ergeben sollte, werden die Einschätzungsbehörden angewiesen, bei der Einschätzung für die Steuerjahre 1979 bis 1982 die Erhöhung auf 30% des bisherigen Eigenmietwertes zu begrenzen. Die Anpassung der Eigenmietwerte von Einfamilienhäusern erfolgt aufgrund der dannzumaligen Verhältnisse bei der Einschätzung 1983.
(Fassung gemäss Änderung vom 6. März 1979)
BGE 105 Ia 349 S. 351
Daniel Stauffacher erhebt gestützt auf
Art. 84 Abs. 1 lit. a und
Art. 85 lit. a OG
staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, die Ziffern 90 und 92 der Weisungen seien aufzuheben. Zur Begründung macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, die Liegenschaftsschätzungen hätten den gesetzlichen Vorschriften seit längerer Zeit nicht mehr entsprochen. Die Anwendung der früheren Weisungen vom 23. September 1970 habe zu weit unter den vergleichbaren Mietzinsen liegenden Eigenmietwerten und zu weit unter dem Verkehrswert liegenden Steuerwerten geführt. Dadurch seien einer bestimmten Kategorie von Steuerpflichtigen Privilegien eingeräumt worden, die
Art. 4 BV
widersprächen. Die angefochtenen Vorschriften hielten diese Privilegierung teilweise aufrecht. Mit den Ziff. 90 und 92 der angefochtenen Weisungen sei tatsächlich und rechtlich eine Gesetzesänderung vollzogen worden, die mindestens bis 1982 Bestand haben werde. Das Vorgehen der Finanzdirektion verstosse damit nicht nur gegen
Art. 4 BV
, sondern auch gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung und laufe auf eine Verletzung der politischen Rechte der Bürger hinaus.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Für die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
) und für die Beschwerde wegen Verletzung des politischen Stimmrechts (
Art. 85 lit. a OG
) gelten unterschiedliche Prozessvoraussetzungen, und zwar namentlich hinsichtlich der Legitimation des Beschwerdeführers. Im folgenden ist daher zuerst zu prüfen, ob auf die vorliegende Beschwerde eingetreten werden könne, soweit eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte (
Art. 4 BV
, Art. 19 Abs. 1 KV, Gewaltentrennung) gerügt wird. Anschliessend ist zu untersuchen, ob die Beschwerde zulässig sei, soweit sie eine Verletzung des politischen Stimmrechts zum Gegenstand hat. I. Staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
2.
a) Gemäss
Art. 84 Abs. 1 OG
kann sich die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger
BGE 105 Ia 349 S. 352
Rechte gegen kantonale Verfügungen (Entscheide) sowie gegen kantonale Erlasse richten. Gestützt auf diese Bestimmung schloss die ältere Rechtsprechung des Bundesgerichts die Anfechtung von sog. Verwaltungsverordnungen aus. Das Bundesgericht unterschied in seiner damaligen Praxis zusammen mit der herkömmlichen Verwaltungsrechtslehre zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen (häufig auch Dienstanweisungen, allg. Dienstbefehle, Dienstreglemente, Kreisschreiben, usw. genannt). Erstere enthalten nach der traditionellen Unterscheidung Rechtssätze, die die Bürger zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten, während letztere blosse Regeln für das verwaltungsinterne Verhalten der mit der Anwendung des objektiven Rechts betrauten und der Dienstaufsicht des Verordnungsgebers unterstellten Beamten aufstellen. Die Rechte und Pflichten der Bürger erfahren durch eine Verwaltungsverordnung nach der herkömmlichen Auffassung keine Veränderung. Der Verwaltungsverordnung fehlt die zweiseitige Verbindlichkeit, die Gesetzen und Rechtsverordnungen eigen ist (vgl. FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. A., 1928, S. 61 ff.; RUCK, Schweizerisches Verwaltungsrecht, 3. A., 1951, Bd. I, S. 22 f.; mit Einschränkungen auch: FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 1949, S. 772 ff.). Das Bundesgericht entschied daher in seiner älteren Praxis, dass einzig Rechtsverordnungen "Erlasse" im Sinne der erwähnten Gesetzesvorschrift seien. Auf Beschwerden, die eine Verwaltungsverordnung zum Gegenstand hatten, wurde nicht eingetreten, da sie weder einen "Erlass" noch eine "Verfügung" betrafen (
BGE 75 I 214
E. 1 mit Hinweisen).
Die Verwaltungsrechtslehre hat indes seit jeher erkannt, dass Verwaltungsverordnungen auf die Rechtsstellung der Bürger zumindest "zurückwirken" und für diese faktisch von erheblicher Tragweite sein können. Das gilt namentlich dann, wenn eine Verwaltungsverordnung nicht bloss das behördliche Handeln in organisatorischer Hinsicht regelt, sondern zuhanden der Beamten festlegt, wie die Bestimmungen des objektiven Rechts im Einzelfall auszulegen und anzuwenden sind (vgl. FLEINER, a.a.O., S. 63; GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, 1960, S. 157; vgl. dazu und zu den verschiedenen Arten von Verwaltungsverordnungen namentlich auch MANFRINI, Nature et effets juridiques des
BGE 105 Ia 349 S. 353
ordonnances administratives, Diss. Genf, 1978, S. 3 ff.). Die neuere Rechtsprechung lässt daher die Anfechtung von Verwaltungsverordnungen zu wenn diese "Aussenwirkungen" entfalten und die Rechtsstellung der Bürger wenn nicht direkt, so doch zumindest indirekt umschreiben (
BGE 98 Ia 510
E. 1 und seitherige Entscheide). Das Bundesgericht ist deshalb in jüngster Zeit auf Beschwerden eingetreten, die gegen Verwaltungsverordnungen gerichtet waren, welche die Todesfeststellung, Obduktion und Organentnahme in den kantonalen Krankenanstalten (
BGE 98 Ia 508
ff.), die Subventionierung privater Krankenhäuser (
BGE 102 Ia 387
ff.), die Vergebung öffentlicher Arbeiten (
BGE 102 Ia 533
ff.) und die Information der Öffentlichkeit durch Regierung und Verwaltung (
BGE 104 Ia 88
ff.) zum Gegenstand hatten.
An dieser Praxis ist grundsätzlich festzuhalten, doch bedarf sie einer Einschränkung und Verdeutlichung. Es ist nämlich nicht gerechtfertigt, die Anfechtung einer Verwaltungsverordnung unter der alleinigen Voraussetzung zuzulassen, dass die Dienstanweisung "Aussenwirkungen" im umschriebenen Sinne entfalte. Wie das Bundesgericht in
BGE 98 Ia 508
ff. zur Begründung seiner neueren Rechtsprechung ausgeführt hat, ist der Beamte, der Dienstanweisungen zu beachten und Verwaltungsverordnungen anzuwenden hat, nicht immer gehalten, eine auf dem Beschwerdeweg anfechtbare Verfügung zu treffen. Die Anwendung einer Verwaltungsverordnung kann formlos erfolgen, was z.B. dann zutrifft, wenn die Verordnung das Vorgehen des Spitalpersonals bei der Vornahme von Obduktionen und Organentnahmen regelt. Verhält es sich so, so bleiben die verfassungsmässigen Rechte der Bürger im Bereich der erwähnten Aussenwirkungen in der Tat schutzlos, wenn es den Betroffenen nicht möglich ist, die einschlägige Verwaltungsverordnung selber anzufechten. In diesem Falle sowie dann, wenn die Anfechtung von Anwendungsakten zwar an sich möglich, dieses Vorgehen dem Bürger aber nicht zuzumuten ist, drängt es sich im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes auf, die unmittelbare Anfechtung der für das Handeln der Behörden massgebenden Dienstanweisung zuzulassen. Das ist jedoch nicht geboten, wenn in dem durch die Verwaltungsverordnung geregelten Bereich Verfügungen ergehen, gegen die sich die Betroffenen ohne Nachteil auf dem üblichen Beschwerdeweg zur Wehr setzen können. Unter diesen Umständen kann nicht
BGE 105 Ia 349 S. 354
gesagt werden, dass die verfassungsmässigen Rechte der Bürger weitgehend schutzlos blieben, wenn ein Rechtsmittel zur Anfechtung der einschlägigen Verwaltungsverordnung fehle. Verwaltungsverordnungen sind nur für diejenigen Beamten verbindlich, die der Dienstaufsicht des Verordnungsgebers unterstellt sind. Beamte anderer Dienststellen und namentlich die Rechtsmittelbehörden sind an die Verwaltungsverordnungen nicht gebunden, auch wenn sie den darin enthaltenen Richtlinien in der Regel ein erhebliches Gewicht beimessen und von ihnen nicht ohne Grund abweichen werden (
BGE 99 Ib 373
, 310;
BGE 95 I 405
). Die bisherige Rechtsprechung ist daher in dem Sinne zu präzisieren, dass eine Verwaltungsverordnung nur dann mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann, wenn sie Aussenwirkungen entfaltet und wenn gestützt auf sie keine Verfügungen getroffen werden, deren Anfechtung möglich ist und den Betroffenen zugemutet werden kann.
b) Die angefochtene Weisung über die Neueinschätzung der Liegenschaften ist eine Verwaltungsverordnung, die Aussenwirkungen im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entfaltet. Die erste Bedingung für ihre Anfechtung ist daher erfüllt. Hingegen ist die zweite Voraussetzung (Fehlen anfechtbarer Hoheitsakte) nicht gegeben. Die Weisung der Finanzdirektion bezieht sich auf die Steuerveranlagung. Diese erfolgt auf dem Verfügungsweg, so dass die kantonalen Rechtsmittel und grundsätzlich auch die staatsrechtliche Beschwerde ergriffen werden können. Der hier zu beurteilende Fall weist freilich die Besonderheit auf, dass der Beschwerdeführer im wesentlichen eine Privilegierung anderer Steuerpflichtiger rügt und geltend macht, diese hätten nicht den vollen Verkehrs- und Mietwert ihrer Liegenschaften zu versteuern. Eine derartige Rüge könnte er gegen spätere Veranlagungsverfügungen nicht erheben, da ihm dazu die Legitimation fehlen würde (dazu näher E. 3a). Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass die Anfechtung der einschlägigen Verwaltungsverordnung zu ermöglichen sei. Wenn das Gesetz selber die Anfechtung der Einzelverfügungen ausschliesst und wenn demnach nicht bloss faktisch eine Beschwerdemöglichkeit fehlt, so muss es damit sein Bewenden haben. Es besteht kein Grund, als Ersatz für das ausdrücklich ausgeschlossene Beschwerderecht die Anfechtung der massgebenden Verwaltungsverordnung zuzulassen.
c) Anders verhielte es sich nur, wenn eine bestimmte Rüge
BGE 105 Ia 349 S. 355
zwar nicht im Anschluss an eine konkrete Verfügung, wohl aber bei direkter Anfechtung des einschlägigen Erlasses vorgebracht werden könnte (vgl.
BGE 102 Ia 538
E. 1d). Wenn demnach ein Erlass wegen unzulässiger Privilegierung Dritter angefochten werden könnte, so wäre die Anfechtung einer Verwaltungsverordnung zuzulassen, wenn behauptet wird, dass diese eine derartige Begünstigung einführe. In der Tat kann eine allgemein wirkende Privilegierung Dritter nämlich nicht nur durch ein Gesetz, sondern auch durch eine Dienstanweisung bewirkt werden. Die Anfechtung der Verwaltungsverordnung wäre in diesem Fall aus den gleichen Erwägungen zu gestatten, aus denen sie zugelassen wird, wenn im Bereiche einer Verwaltungsverordnung keine anfechtbaren Verfügungen ergehen (lit. b). Es liesse sich nämlich sagen, dass die verfassungsmässigen Rechte der Bürger schutzlos blieben, wenn kein Ersatz für das gegenüber eigentlichen Erlassen (Gesetzen, Rechtsverordnungen) bestehende Beschwerderecht geschaffen werde. Im folgenden ist daher näher zu prüfen, wie es sich mit der Legitimation zur Anfechtung von Verfügungen und Erlassen verhält, die angeblich zu einer unzulässigen Privilegierung Dritter führen.
3.
Gemäss
Art. 88 OG
steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erleiden. Das bedeutet, dass zur Erhebung staatsrechtlicher Beschwerde nur legitimiert ist, wer durch die behauptete Verfassungsverletzung in seinen eigenen, rechtlich geschützten Interessen - bei Anfechtung eines Erlasses wenigstens virtuell - beeinträchtigt ist. Die Rüge, es werde durch eine Verfügung oder einen Erlass in allgemeiner Hinsicht ein verfassungsmässiges Recht missachtet, ohne dass der Beschwerdeführer eine Beeinträchtigung seiner persönlichen Rechtsstellung dartut, vermag die Legitimation zur Erhebung staatsrechtlicher Beschwerde nicht zu begründen. Zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen wie auch zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde nicht gegeben (
BGE 105 Ia 272
f.;
BGE 105 Ia 353
;
BGE 93 I 177
;
BGE 85 I 54
mit Hinweisen).
a) Gestützt auf diese gesetzliche Regelung lässt das Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerden, mit denen geltend gemacht
BGE 105 Ia 349 S. 356
wird, die angefochtene Verfügung begünstige einen Dritten in gesetzwidriger Weise, grundsätzlich nicht zu (
BGE 93 I 177
;
BGE 85 I 54
mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer wird in diesem Falle nicht in seiner Rechtsstellung, sondern allenfalls in faktischen Interessen beeinträchtigt, wenn er nicht überhaupt ausschliesslich die Wahrung öffentlicher Interessen verfolgt. Eine Verletzung rechtlich geschützter Interessen liegt nur dann vor, wenn sich der Beschwerdeführer auf eine Rechtsvorschrift berufen kann, die nicht nur die Wahrung öffentlicher Interessen bezweckt, sondern daneben auch zum Schutze von Einzelinteressen (z.B. von Nachbarn, Konkurrenten, usw.) aufgestellt ist (
BGE 105 Ia 188
;
BGE 103 Ia 69
E. 1c;
BGE 102 Ia 93
E. 1;
BGE 101 Ia 543
;
BGE 99 Ia 254
E. 4). Einzig in diesem Falle ist auf eine gegen die Begünstigung Dritter gerichtete Beschwerde einzutreten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann grundsätzlich auch ein Erlass nicht wegen Privilegierung eines Dritten angefochten werden (
BGE 85 I 53
). Diese Praxis ist wiederholt kritisiert worden, und zwar namentlich mit der Begründung, dass ohne solche Anfechtungsmöglichkeiten das Verbot rechtsungleicher Behandlung gegenüber dem Gesetzgeber nicht durchgesetzt werden könne (vgl. H. HUBER, in ZbJV 96/1960, S. 353 ff.). Das Bundesgericht hat seine Praxis aufgrund dieser Kritik in
BGE 86 I 285
in dem Sinne präzisiert, dass die Legitimation zur Anfechtung einer durch Gesetz eingeräumten Vergünstigung nur demjenigen fehle, der an deren Anfechtung "nicht anders als jeder andere Angehörige seines Kantons" interessiert sei. Demjenigen, der in "besonderer Weise" interessiert sei, könne die Beschwerdelegitimation dagegen nicht abgesprochen werden. Es sei deshalb namentlich die Beschwerde als zulässig zu erachten, in welcher behauptet werde,dass die für die Ausübung des Berufs eines Zahnprothetikers geforderte Prüfung gewissen Personen erlassen werde und dass damit zwei Kategorien von Zahnprothetikern geschaffen würden (
BGE 86 I 286
). Die neuere Rechtsprechung hat an dieser Präzisierung indes nicht festgehalten. Sie lässt die Anfechtung eines Erlasses, der angeblich Dritte in verfassungswidriger Weise begünstigt, gleich wie im Falle der Anfechtung einer Verfügung, nur dann zu, wenn eine Rechtsvorschrift besteht, die neben der Wahrung öffentlicher Interessen auch den Schutz der Privaten vor Begünstigungen Dritter bezweckt (
BGE 103 Ia 69
E. 1c; in
BGE 102 Ia 207
wurde die Frage offen
BGE 105 Ia 349 S. 357
gelassen). Indes ist auch diese neuere Rechtsprechung wiederum auf Kritik gestossen (vgl. J.P. MÜLLER, in ZbJV 115/1979, S. 167). Ob daran bei erneuter Prüfung in ganzem Umfang festzuhalten ist, kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Selbst wenn man nämlich in Übereinstimmung mit der früheren Praxis annehmen wollte, ein Erlass könne wegen einer angeblichen Begünstigung Dritter angefochten werden, wenn der Beschwerdeführer an der Aufhebung der Begünstigung ein "besonderes Interesse" besitze, das jenes der übrigen Bürger übersteige, so wäre diese Voraussetzung im vorliegenden Falle nicht erfüllt.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die beanstandete Privilegierung der Eigenheimbesitzer habe zur Folge, dass die übrigen Steuerpflichtigen für den entsprechenden Steuerausfall aufzukommen hätten. Ob das zutrifft, ist zweifelhaft. Die Gesamtsteuereinnahmen stellen nicht eine feste Grösse dar. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass Rückgänge bei einzelnen Einnahmekategorien automatisch Erhöhungen bei andern zur Folge hätten. Eine schlechte Finanzlage des Staates, sei es infolge ungenügender Steuereinnahmen, sei es infolge hoher Ausgaben, kann zwar längerfristig zu Steuererhöhungen führen. Diese bloss mittelbare und in ihrer numerischen Grösse nicht feststellbare Auswirkung vermag aber keine Legitimation zur Erhebung staatsrechtlicher Beschwerde zu begründen (
BGE 101 Ia 543
; vgl. Urteil vom 18. Juli 1978 i.S. von Flüe, in ZBl 79/1978, S. 555). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die angefochtenen Erleichterungen nur für eine bzw. zwei Veranlagungsperioden Geltung haben. Sie beziehen sich damit nur auf einen Zeitraum, während dem aus entsprechenden Minder- oder Mehreingängen an Steuern keine Änderung der Steuerbelastung insgesamt zu erwarten ist. Unmassgeblich ist sodann, dass der Beschwerdeführer Eigentümer einer vermieteten Liegenschaft ist. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass ihn die beanstandeten Weisungen höchstens in seiner Eigenschaft als Steuerzahler treffen. Das vermag, wie bereits erwähnt, die Beschwerdelegitimation nicht zu begründen. In sonstiger Weise werden seine persönlichen Interessen nicht berührt.
c) An diesem Ergebnis vermag auch die Anrufung von Art. 19 Abs. 1 und 3 der zürcherischen Kantonsverfassung nichts zu ändern. Art. 19 Abs. 1 KV sieht vor, dass alle Steuerpflichtigen im Verhältnis der ihnen zu Gebote stehenden Mittel an die Staats- und Gemeindelasten beizutragen haben. Art. 19
BGE 105 Ia 349 S. 358
Abs. 3 KV bestimmt, dass Steuerprivilegien zugunsten Einzelner unzulässig sind.
Ob Art. 19 Abs. 1 KV ein verfassungsmässiges Recht gewährleiste, wurde in der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts bejaht (
BGE 48 I 83
ff.), später jedoch offen gelassen (
BGE 90 I 149
mit Hinweisen). Das Bundesgericht entschied indes unlängst im Hinblick auf den mit Art. 19 Abs. 1 der zürcherischen Kantonsverfassung vergleichbaren Art. 62 Abs. 4 der solothurnischen Verfassung, dass eine derartige Bestimmung nicht bloss als Weisung an den Gesetzgeber, sondern zugleich als verfassungsmässiges Recht der Bürger zu verstehen sei (
BGE 104 Ia 288
E. 3). Es erscheint deshalb richtig, in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung davon auszugehen, dass Art. 19 Abs. 1 KV ein verfassungsmässiges Recht enthalte. Wie es sich damit verhält, braucht indes nicht abschliessend erörtert zu werden, da der Beschwerdeführer diese Verfassungsgewährleistung nur dann anrufen könnte, wenn er durch die angefochtenen Weisungen in seiner eigenen Rechtsstellung beeinträchtigt würde. Das ist jedoch, wie bereits dargelegt, nicht der Fall.
Kein verfassungsmässiges Recht ist dagegen in Art. 19 Abs. 3 KV gewährleistet. Anlässlich der Beratungen über die zürcherische Verfassung wurde geltend gemacht, dass verschiedene Gemeinden trotz des im Gemeindegesetz enthaltenen Verbots mit einzelnen Steuerpflichtigen Abkommen über die Höhe des zu versteuernden Vermögens träfen. In der Folge wurde in die Verfassung ein ausdrückliches Verbot von Steuerprivilegien aufgenommen, welches das schon bestehende gesetzliche Verbot bekräftigen sollte. Art. 19 Abs. 3 ist daher anders als Art. 19 Abs. 1 KV nicht zum Schutze der einzelnen Steuerpflichtigen aufgestellt, sondern im öffentlichen Interesse zur Verhinderung von Missständen im Steuerwesen erlassen worden (vgl. STRÄULI, Verfassung des eidgenössischen Standes Zürich, S. 89; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Bd. I, N. 7 zu Art. 19 Abs. 3 KV; vgl. auch
BGE 86 I 285
;
BGE 85 I 55
E. 4). Der Beschwerdeführer kann sich deshalb nicht auf diese Verfassungsbestimmung berufen.
Gleich verhält es sich in bezug auf
Art. 5 BV
, den der Beschwerdeführer ebenfalls als verletzt bezeichnet. Diese Bestimmung stellt kein verfassungsmässiges Recht der Bürger dar (
BGE 101 Ia 372
;
BGE 98 Ia 69
E. 1).
BGE 105 Ia 349 S. 359
d) Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Finanzdirektion habe mit dem Erlass der angefochtenen Weisungen den Grundsatz der Gewaltentrennung verletzt. Dieser Grundsatz wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts durch sämtliche Kantonsverfassungen als Individualrecht der Bürger gewährleistet, selbst wenn er in einzelnen Verfassungsurkunden nicht ausdrücklich erwähnt ist (
BGE 93 I 44
mit Hinweisen). Auf den Grundsatz der Gewaltentrennung kann sich nach der Regel von
Art. 88 OG
jedoch nur berufen, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seiner persönlichen Rechtsstellung - nicht lediglich in seiner Eigenschaft als Stimmbürger - betroffen wird (
BGE 102 Ia 108
mit Hinweisen). Richtet sich die Beschwerde gegen einen Erlass, so genügt aber bereits, dass der angefochtene Rechtssatz auf den Beschwerdeführer künftig einmal angewendet werden könnte und dass sich dannzumal eine Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergeben würde (
BGE 104 Ia 307
E. 1a;
103 Ia 371
E. 1 mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer geltend, dass die Weisungen der Finanzdirektion Dritte in unzulässiger Weise privilegierten. Wie bereits ausgeführt, tut er damit keine Beeinträchtigung seiner eigenen rechtlich geschützten Interessen dar (E. 3a, b). Da die Weisungen der Finanzdirektion den Beschwerdeführer weder aktuell noch virtuell in seiner Rechtsstellung betreffen, erweist sich die Berufung auf den Grundsatz der Gewaltentrennung als unzulässig.
Das führt zum Ergebnis, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten ist, soweit sie sich auf
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
stützt und eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt wird. Die behauptete Privilegierung einer bestimmten Kategorie von Steuerpflichtigen kann nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden, und zwar weder im Falle der Anfechtung einer Einzelverfügung noch dann, wenn die Beschwerde unmittelbar gegen den begünstigenden Erlass gerichtet ist. Im folgenden ist daher zu prüfen, ob auf die Beschwerde eingetreten werden könne, soweit sie sich auf
Art. 85 lit. a OG
(Verletzung des politischen Stimmrechts) stützt. II. Stimmrechtsbeschwerde
4.
a) Gemäss
Art. 85 lit. a OG
beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung
BGE 105 Ia 349 S. 360
der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. Zur Erhebung der Stimmrechtsbeschwerde ist jeder an der fraglichen Abstimmung oder Wahl stimmberechtigte Bürger legitimiert, ohne dass er in seiner persönlichen Rechtsstellung beeinträchtigt sein muss. Die Legitimation zur Stimmrechtsbeschwerde bestimmt sich nicht nach Massgabe von
Art. 88 OG
, sondern ausschliesslich aufgrund von
Art. 85 lit. a OG
(
BGE 104 Ia 355
E. 5;
BGE 103 Ia 281
E. 1a;
BGE 102 Ia 108
;
BGE 98 Ia 108
).
Daniel Stauffacher ist im Kanton Zürich stimmberechtigt. Sofern die Stimmrechtsbeschwerde im vorliegenden Fall überhaupt ergriffen werden kann, ist er daher ohne Zweifel zur Beschwerdeführung legitimiert.
b) Ob mit der Stimmrechtsbeschwerde geltend gemacht werden kann, ein Hoheitsakt der Exekutive (Verordnung oder Verfügung) stehe mit dem Gesetz in Widerspruch und verletze daher die politischen Rechte der Bürger im Bereich der Rechtssetzung (fakultatives oder obligatorisches Referendum), wurde im Laufe der Rechtsprechung nicht einheitlich entschieden. Das Bundesgericht bejahte die Frage vorerst und führte zur Begründung aus, dass das Mitwirkungsrecht der Stimmbürger an der Gesetzgebung verletzt werde, wenn die Exekutive Vorschriften erlasse, die in Form eines Gesetzes hätten ergehen müssen. Ob diese Betrachtungsweise zutreffe, wurde jedoch in späteren Entscheiden in Zweifel gezogen, und zwar mit der Begründung, dass die Rüge, eine Verordnung oder Verfügung der Exekutive stehe mit dem Gesetz in Widerspruch, die inhaltliche Richtigkeit des betreffenden Hoheitsaktes und nicht die politischen Rechte der Stimmbürger betreffe. Wenn in einem solchen Falle die Stimmrechtsbeschwerde ergriffen werden könnte, so käme das einer Aushöhlung der Vorschrift gleich, dass nur derjenige einen Erlass oder eine Verfügung wegen deren Inhalts anfechten könne, der durch den Hoheitsakt in seiner persönlichen Rechtsstellung beeinträchtigt werde (
BGE 55 I 111
;
BGE 56 I 161
f.). Die aufgeworfene Frage wurde indes nicht endgültig entschieden, und in
BGE 89 I 260
E. 5 bezeichnete das Bundesgericht die früher geäusserten Zweifel als unbegründet. In der Folge wurde die Frage während längerer Zeit nicht mehr einlässlich geprüft. Das Bundesgericht kam auf sie erst wieder in
BGE 104 Ia 307
E. 1b zurück, wo es entschied, dass die Rüge, die Exekutive habe ihre Rechtssetzungskompetenz überschritten, nicht die Garantie des politischen Stimmrechts
BGE 105 Ia 349 S. 361
der Bürger betreffe, sondern auf das verfassungsmässige Recht der Gewaltentrennung Bezug habe. Die Rüge könne deshalb nicht von jedem stimmberechtigten Einwohner des betreffenden Gemeinwesens erhoben werden, sondern nur von solchen Personen, die durch den beanstandeten Hoheitsakt in ihrer persönlichen Rechtsstellung betroffen seien.
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die Stimmrechtsbeschwerde ist ein Rechtsbehelf, mit dem vorab durchgesetzt werden kann, dass ein Erlass oder Verwaltungsakt, der formell dem fakultativen oder obligatorischen Referendum unterliegt, diesem Mitwirkungsrecht des Volkes auch wirklich unterstellt wird. Mit der Stimmrechtsbeschwerde kann ferner durchgesetzt werden, dass die Abstimmung korrekt durchgeführt wird und dass die Behörde deren Ergebnis richtig ermittelt. Die gleiche Bedeutung hat die Stimmrechtsbeschwerde hinsichtlich der Anordnung und Durchführung von Wahlen und hinsichtlich der Ausübung des Initiativrechts. Sie ist aber nicht zur Anfechtung von Erlassen oder Einzelakten der Exekutive bestimmt, die nach der verfassungsrechtlichen Ordnung zum vorneherein nicht der Volksabstimmung unterliegen können und auch nicht die konkrete Durchführung einer Abstimmung oder Wahl betreffen. Enthält eine Verordnung oder ein Einzelakt der Verwaltung Vorschriften, die richtigerweise Gegenstand eines dem Referendum unterliegenden Gesetzes sein müssten, so ist nicht die Stimmrechtsbeschwerde, sondern gestützt auf
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gewaltentrennung zu ergreifen. Ziel der Beschwerde ist in diesem Falle nämlich nicht, eine Abstimmung herbeizuführen; die Beschwerde ist vielmehr auf die Aufhebung des fraglichen Hoheitsaktes gerichtet (vgl. KIRCHHOFER, Über die Legitimation zum staatsrechtlichen Rekurs, ZRS 55/1936, S. 153 f.). Dazu kann nur legitimiert sein, wer durch den Hoheitsakt in seiner persönlichen Rechtsstellung betroffen ist. Anders verhält es sich nur, wenn der fragliche Erlass selber das politische Stimmrecht regelt und er insbesondere durch die Schaffung einer Delegationsnorm die politischen Rechte der Bürger für die Zukunft beschränkt (
BGE 104 Ia 308
mit Hinweisen).
Zusammengefasst ergibt sich, dass die Stimmrechtsbeschwerde - soweit sie die politischen Rechte im Bereich der Rechtsetzung betrifft - nur gegen Erlasse des Grossen Rates,
BGE 105 Ia 349 S. 362
nicht aber gegen Verordnungen der Exekutive zulässig ist. Ebenso kann die Stimmrechtsbeschwerde nicht zur Anfechtung einer Einzelverfügung der Verwaltung ergriffen werden, mit der Begründung, dass die Verfügung im praktischen Ergebnis einer Aufhebung oder Änderung einer Gesetzesbestimmung gleichkomme. Die vorliegende, gegen die Weisungen der Finanzdirektion über die Einschätzung der Liegenschaften gerichtete Beschwerde erweist sich demnach auch als unzulässig, soweit sie auf
Art. 85 lit. a OG
gestützt wird. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
9a066800-fa45-4653-bd52-6e0340b421ef | Urteilskopf
137 III 522
76. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. SA contre Romande Energie Commerce SA (recours en matière civile)
4A_378/2011 du 10 octobre 2011 | Regeste
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
,
Art. 22 Abs. 2 lit. b StromVG
,
Art. 19 Abs. 2 StromVV
; Zwischenentscheid, nicht wieder gutzumachender Nachteil, Verfahren vor der Eidgenössischen Elektrizitätskommission.
Weigerung des Zivilrichters, bei einer Zahlungsklage des Netzbetreibers gegen einen Endverbraucher das Verfahren bis zum Entscheid der Eidgenössischen Elektrizitätskommission zu sistieren, bei der die angewendeten Tarife angefochten worden sind; der Endverbraucher erleidet keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil dadurch, dass er ohne Sistierung Gefahr läuft, rascher zur Zahlung verurteilt zu werden oder vorübergehend mehr bezahlen zu müssen, als die Eidgenössische Elektrizitätskommission letztlich als gerechtfertigt erachten könnte (E. 1.3-1.5). | Sachverhalt
ab Seite 523
BGE 137 III 522 S. 523
A.
X. SA, société anonyme ayant son siège à ..., exploite une fonderie et s'approvisionne en électricité auprès de Romande Energie Commerce SA, société anonyme ayant son siège à Morges.
Les parties sont en litige sur le prix de l'énergie facturé par Romande Energie Commerce SA depuis 2009.
B.
Par demande du 17 mars 2010, Romande Energie Commerce SA a ouvert une action en paiement devant le Tribunal cantonal vaudois contre X. SA, réclamant à cette dernière la somme de 354'855 fr. 25 avec intérêts, à titre de solde de factures impayées.
X. SA s'oppose à la demande en totalité.
X. SA a sollicité la suspension de la procédure jusqu'à décision de la Commission fédérale de l'électricité; elle a fait valoir qu'elle avait saisi cette commission de sa contestation sur les prix pratiqués et qu'une procédure avait été ouverte d'office. Il faut relever que la Commission fédérale a par deux fois refusé d'ordonner les mesures provisionnelles sollicitées par X. SA.
Par jugement incident du 14 décembre 2010, la Cour civile du Tribunal cantonal a rejeté la demande. Elle a considéré que la suspension n'était pas nécessaire au sens de l'art. 123 du Code de procédure civile vaudois du 14 décembre 1966 (CPC/VD; RSV 270.11), une décision de la Commission fédérale de l'électricité pouvant être apportée durant la procédure en tant que fait nouveau. Ce jugement a été communiqué aux parties avant l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2011, du Code de procédure civile suisse du 19 décembre 2008 (CPC; RS 272).
Statuant sur recours cantonal formé par X. SA, la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois, par arrêt du 20 avril 2011, a confirmé le jugement attaqué. Elle a adopté la motivation des premiers juges et elle a relevé, en outre, que la procédure devant la Commission fédérale de l'électricité était indépendante et que, si elle devait aboutir à une réduction du prix, les dispositions applicables prévoient alors la restitution du trop-perçu.
C.
X. SA exerce un recours en matière civile et un recours constitutionnel subsidiaire au Tribunal fédéral contre l'arrêt cantonal du 20 avril 2011. Invoquant une violation des
art. 9, 29, 49 Cst.
, 6 CEDH,
BGE 137 III 522 S. 524
ainsi qu'une violation de diverses dispositions du droit fédéral, elle conclut, sous suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée et au prononcé de la suspension jusqu'à décision définitive dans la procédure introduite devant la Commission fédérale de l'électricité; subsidiairement, elle demande l'annulation de la décision entreprise et le renvoi de la cause à l'autorité précédente. Sa requête d'effet suspensif, faute d'opposition, a été admise par ordonnance du 15 juillet 2011. (...)
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.1
Compte tenu des conclusions qui restent litigieuses sur le fond - et qui sont déterminantes également dans le cas d'une décision incidente (
art. 51 al. 1 let
. c LTF) -, il est manifeste que le recours en matière civile est en principe ouvert sous l'angle de la valeur litigieuse (
art. 74 al. 1 let. b LTF
), ce qui rend d'emblée irrecevable le recours constitutionnel dont parle également la recourante, puisque celui-ci est subsidiaire (
art. 113 LTF
).
En vertu de l'
art. 117 LTF
, les art. 90 à 94 LTF s'appliquent également par analogie à la procédure du recours constitutionnel. En conséquence, si le recours en matière civile devait être considéré comme irrecevable en vertu de ces dispositions, cela ne permettrait pas pour autant, à titre subsidiaire, un recours constitutionnel, puisque celui-ci est soumis aux mêmes règles.
1.2
La décision attaquée a pour seul objet de refuser la suspension de la procédure sollicitée par la recourante.
Que le juge accorde ou refuse la suspension, sa décision ne met pas fin à la procédure, puisque celle-ci doit de toute manière, tôt ou tard, se poursuivre. Il ne s'agit donc pas d'une décision finale au sens de l'
art. 90 LTF
.
Par la décision attaquée, la cour cantonale n'a pas statué sur une part de ce qui est demandé sur le fond, ni mis hors de cause une partie; il ne s'agit dès lors pas davantage d'une décision partielle au sens de l'
art. 91 LTF
.
La décision qui prononce ou refuse une suspension de la procédure doit être qualifiée de décision incidente (
ATF 123 III 414
consid. 1 p. 417).
La décision attaquée ne concerne ni la compétence, ni une demande de récusation (
art. 92 LTF
). La recourante, dans son argumentation,
BGE 137 III 522 S. 525
conteste certes la compétence du juge civil, mais la question de la compétence n'est pas tranchée dans le dispositif de l'arrêt attaqué, de sorte qu'il n'y a pas lieu de l'examiner ici. Au demeurant, la recourante ne soutient même pas qu'une voie de droit particulière permettrait à sa partie adverse d'obtenir, le cas échéant, une décision administrative exécutoire sur le montant à payer.
On se trouve donc en présence d'une autre décision incidente au sens de l'
art. 93 LTF
, de sorte qu'un recours immédiat au Tribunal fédéral n'est possible qu'aux conditions fixées dans cette disposition.
Il est évident qu'une décision inverse (la suspension de la procédure) ne mettrait pas fin à la procédure, de sorte que l'hypothèse de l'
art. 93 al. 1 let. b LTF
doit être d'emblée écartée.
Le recours n'est donc ouvert qu'à la condition que la décision attaquée puisse causer un préjudice irréparable (
art. 93 al. 1 let. a LTF
).
1.3
Selon la jurisprudence constante, le préjudice visé par l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
doit être d'ordre juridique (
ATF 136 IV 92
consid. 4 p. 95;
ATF 134 I 83
consid. 3.1 p. 87;
ATF 134 III 188
consid. 2.1 p. 190;
ATF 134 IV 43
consid. 2.1 p. 45). Il ne peut donc pas s'agir d'un inconvénient de fait découlant naturellement de la poursuite de la procédure. En particulier, il ne suffit pas que la décision attaquée ait pour effet de prolonger ou de renchérir la procédure (
ATF 134 III 188
consid. 2.2 p. 191;
ATF 133 III 629
consid. 2.3 p. 632).
Le préjudice doit encore être irréparable, ce qui n'est pas le cas lorsqu'une décision finale favorable à la partie recourante le ferait disparaître entièrement (
ATF 136 IV 92
consid. 4 p. 95;
ATF 134 I 83
consid. 3.1 p. 87;
ATF 134 III 188
consid. 2.1 p. 190).
Lorsqu'il n'est pas évident que le recourant soit exposé à un préjudice irréparable, il lui incombe d'expliquer dans son recours en quoi il serait exposé à un tel préjudice et de démontrer ainsi que les conditions de recevabilité de son recours sont réunies (
ATF 136 IV 92
consid. 4 p. 95).
1.4
Il résulte des principes qui viennent d'être rappelés que le seul fait de devoir mener la procédure ne donne pas lieu à un préjudice de nature juridique (cf. aussi
ATF 133 IV 288
consid. 3.1 p. 291).
Que la recourante doive ou non la somme qui lui est réclamée, le refus de la suspension ne modifie pas sa situation patrimoniale, puisque l'état de ses passifs reste inchangé.
BGE 137 III 522 S. 526
Par ailleurs, la décision attaquée ne prononce aucune condamnation à paiement qui pourrait valoir titre à la mainlevée définitive, de sorte que la situation de la recourante n'est pas non plus péjorée sous l'angle de l'exécution forcée.
Il est vrai qu'en l'absence de suspension la recourante risque d'être plus rapidement condamnée à payer. Toutefois, si la condamnation est infondée, on doit rappeler que la recourante disposera des voies de droit ouvertes et qu'un jugement final qui lui serait favorable supprimerait le préjudice, de sorte qu'elle n'est pas exposée à un préjudice irréparable. Si la condamnation est fondée, on ne saurait parler d'un préjudice d'ordre juridique, puisqu'il est conforme au droit que la recourante doive payer les sommes dont elle est débitrice.
La recourante fait valoir qu'elle est exposée à devoir temporairement payer davantage que ce qui pourrait finalement être considéré comme justifié par la Commission fédérale de l'électricité. Par cette argumentation - comme on va le voir -, la recourante crée une confusion avec la procédure pendante devant la Commission fédérale de l'électricité.
1.5
Selon l'art. 6 al. 1 de la loi fédérale du 23 mars 2007 sur l'approvisionnement en électricité (LApEl; RS 734.7), le gestionnaire du réseau de distribution (en l'occurrence: l'intimée) prend les mesures requises pour fournir en tout temps aux consommateurs captifs et aux autres consommateurs finaux de leur zone de desserte qui ne font pas usage de leur droit d'accès au réseau la quantité d'électricité qu'ils désirent au niveau de qualité requis et à des tarifs équitables. La recourante se caractérise, au sens de la législation sur l'approvisionnement en électricité, comme un consommateur final avec approvisionnement de base, qui n'est ni un consommateur captif, ni un consommateur ayant fait usage de son droit de choisir l'accès direct au réseau (cf. arrêt 2C_739/2010 du 6 juillet 2011 consid. 4).
Aucune disposition de droit fédéral ne prévoit que les prix pratiqués par le gestionnaire de réseau devraient recevoir l'approbation préalable d'une autorité. Il ressort au contraire de l'art. 18 al. 1 de l'Ordonnance du Conseil fédéral du 14 mars 2008 sur l'approvisionnement en électricité (OApEl; RS 734.71), qui concerne l'utilisation du réseau, qu'il appartient au gestionnaire du réseau de fixer les tarifs d'utilisation. Il faut donc en déduire que l'intimée est en principe habilitée à fixer la rémunération qui lui est due en échange de l'énergie qu'elle est tenue de fournir. La loi a cependant institué une
BGE 137 III 522 S. 527
commission de l'électricité (
art. 21 LApEl
) qui est compétente pour statuer en cas de litige et qui peut même vérifier d'office les tarifs et la rémunération pour l'utilisation du réseau ainsi que les tarifs de l'électricité. Les prix pratiqués par le gestionnaire de réseau sont ainsi soumis à un contrôle de l'autorité. La commission peut interdire une augmentation (
art. 22 al. 2 let. b LApEl
). Il ne ressort cependant pas des constatations cantonales - qui lient le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
) - qu'elle ait interdit l'augmentation litigieuse en l'espèce. La commission peut aussi ordonner une réduction (
art. 22 al. 2 let. b LApEl
). Il s'agit précisément de l'objet de la procédure actuellement pendante devant la commission, mais aucune réduction n'a été ordonnée à ce stade. Il ne ressort pas des dispositions applicables que le contrôle en cours devant la commission aurait un effet suspensif en ce sens qu'il dispenserait de payer le montant contesté jusqu'à décision définitive. Il serait d'ailleurs surprenant que le consommateur ne doive payer, durant la procédure de contrôle, que le montant qu'il reconnaît devoir selon sa propre appréciation, tandis que le gestionnaire reste tenu de lui fournir constamment de l'électricité. La recourante en est bien consciente puisqu'elle a sollicité des mesures provisionnelles que la commission lui a refusées.
Pour le juge civil, une éventuelle réduction qui serait ordonnée dans l'avenir par la commission ne constitue qu'un fait futur et incertain. Si une telle réduction était ordonnée, le droit administratif prévoit les mesures nécessaires pour la restitution du trop-perçu. Ainsi, l'
art. 19 al. 2 OApEl
prescrit que la commission ordonne la compensation par une réduction tarifaire des gains injustifiés dus à des tarifs d'utilisation du réseau ou à des tarifs d'électricité trop élevés.
En l'espèce, il résulte des constatations cantonales - qui lient le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
) - que la recourante a sollicité des mesures provisionnelles qui lui ont été refusées par la Commission de l'électricité. Le préjudice suggéré par la recourante découle entièrement de cette décision, laquelle ne fait pas l'objet du présent recours. D'ailleurs, si le juge civil admettait la suspension de la procédure pour ce motif, il accorderait en pratique un effet suspensif à la procédure initiée devant la Commission de l'électricité alors que l'ordre juridique ne le prévoit pas et il détournerait le refus des mesures provisionnelles décidé par la commission fédérale pour la procédure relevant de sa compétence.
De surcroît, si la Commission de l'électricité (ou une autorité de recours) parvenait à la conclusion que la rémunération fixée par
BGE 137 III 522 S. 528
l'intimée est injustifiée, elle devrait ordonner la restitution du trop-perçu sous la forme de compensation. La recourante soutient certes qu'une condamnation civile, selon elle infondée, aurait pour conséquence immédiate son insolvabilité et la cessation de son activité. Il appartenait toutefois à la recourante non seulement d'alléguer mais également d'établir la possibilité que la décision incidente lui cause un dommage irréparable (cf.
ATF 133 III 629
consid. 2.3.1 p. 632 et la référence); en l'occurrence, elle ne produit aucune preuve à l'appui de son allégation. Enfin, comme la recourante ne prétend pas que l'intimée serait menacée d'insolvabilité ou serait susceptible d'arrêter son activité, on ne voit pas, sous cet angle également, que le refus de la suspension expose la recourante à un préjudice juridique irréparable.
En conséquence, le recours est irrecevable. | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9a09c9f5-82a5-46f4-8116-53fd0ddcc941 | Urteilskopf
82 II 460
61. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. September 1956 i.S. Blatter gegen "Basler" Lebensversicherungsgesellschaft. | Regeste
Tragweite des direkten Forderungsrechtes des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer nach Art. 49 ff. MFG. Inwiefern hat der Versicherer Zins zu zahlen?
1. Schadenszins: nur im Rahmen der g mäss Art. 52 MFG vereinbarten maximalen Versicherungssumme (Erw. 1).
2. Verzugszins: nur bei eigenem Verzug des Versicherers. Dessen Eintritt bestimmt sich nach
Art. 41 VVG
in Verbindung mit
Art. 102 OR
, wobei die Besonderheiten der Haftpflichtversicherung mit direktem Forderungsrecht des Geschädigten zu berücksichtigen sind (Erw. 2).
3. Bereicherungszins? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 461
BGE 82 II 460 S. 461
A.-
Am 13. August 1952 stiess in Zürich Arnold Blatter, Primarlehrer in Winterthur, auf seinem Motorrad mit dem Lastwagen des Jakob Bischofberger zusammen. Er starb zwei Tage nachher an den Folgen des Unfalles und hinterliess die vier Kläger, nämlich die Frau aus zweiter Ehe und drei unmündige Kinder aus erster Ehe. Bischofberger ist bei der Beklagten für die Haftpflicht als Lastwagenhalter zu einem Deckungsmaximum von Fr. 50'000.-- für eine verunfallte Person versichert.
B.-
Der Verunfallte war sowohl Kantons- wie auch städtischer Beamter und gehörte der kantonalen wie auch der städtischen Versicherungskasse an. Am 1. September 1952 teilte die Finanzdirektion des Kantons Zürich der Beklagten mit, den Hinterbliebenen des Arnold Blatter stehe grundsätzlich ein Rentenanspruch an die Beamtenversicherungskasse zu; sie seien anderseits nach § 23 der Kassestatuten verpflichtet, der Kasse allfällige Schadenersatzansprüche an Dritte bis zur Höhe der Kassenleistungen abzutreten. Infolgedessen ersuchte die Behörde die Beklagte, mit den Schadenersatzberechtigten keine Vereinbarung über Entschädigungen ohne ihre Mitwirkung zu treffen. Sodann wurde auf die im Gang befindliche Untersuchung durch die Bezirksanwaltschaft hingewiesen.
Mit Schreiben vom gleichen Tage wies sich der Anwalt der Kläger als deren bevollmächtigten Vertreter zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus. Die Beklagte gab ihm von der Mitteilung der kantonalen Finanzdirektion Kenntnis.
Auch die Versicherungskasse der Stadt Winterthur erhob Anspruch auf die Haftpflichtversicherungssumme.
C.-
Mit Urteil vom 7. Juli 1953 erklärte das Obergericht des Kantons Zürich Jakob Bischofberger der fahrlässigen
BGE 82 II 460 S. 462
Tötung des Verunfallten schuldig. Hierauf schrieb der Vertreter der Kläger am 21. Oktober 1953 der Beklagten was folgt:
"Ich unterbreite Ihnen nachfolgend eine vorläufige Schadensberechnung. Dieselbe verfolgt lediglich den Zweck, Sie davon zu überzeugen, dass Sie die ganze Deckungssumme zu leisten haben, wobei dann die Aufteilung Sache der intern Beteiligten, der Hinterbliebenen, der Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich und der Pensionskasse der Stadt Winterthur ist.
Ich bitte Sie um Prüfung des Begehrens um Auszahlung der Versicherungssumme von Fr. 50'000.-- und um Ihren Bericht, damit eine Besprechung ... vereinbart werden kann."
Darauf antwortete die Beklagte am 29. gl. M.:
"Die Überprüfung der Angelegenheit ergibt, dass unser Deckungsmaximum von Fr. 50'000.-- offensichtlich nicht ausreicht, um den gesamten Schaden zu decken. Ohne zu Ihrer Schadensaufstellung materiell Stellung zu nehmen, teilen wir Ihnen mit, dass der erwähnte Betrag den Anspruchsberechtigten zur Verfügung steht. Wir ersuchen Sie, mit der kantonalen und der städtischen Pensionskasse eine Vereinbarung über die Aufteilung der Versicherungssumme zu treffen und uns eine Ausfertigung dieser Vereinbarung zuzustellen. Wir werden daraufhin die Anteile den Anspruchsberechtigten überweisen."
D.-
Eine solche Vereinbarung kam zwischen der kantonalen Finanzdirektion, der Versicherungskasse der Stadt Winterthur und den Klägern erst am 26. Januar 1955 zustande. Danach erhält die kantonale Kasse Fr. 14 000.--, und an die Kläger fällt die Restsumme von Fr. 36 000.-- unter Vorbehalt der Regressansprüche der städtischen Kasse und der mit ihr zu treffenden internen Verteilung. In Ziff. 3 wurde vereinbart, "dass die Hinterbliebenen die evtl. von der Haftpflichtversicherung erhältlichen Zinsansprüche ungeschmälert für sich beanspruchen können".
E.-
Am 10. Februar 1955 legte der Vertreter der Kläger diese Vereinbarung der Beklagten vor und ersuchte sie, die Versicherungssumme demgemäss auszuzahlen. Er bat ferner unter Hinweis auf Ziff. 3 der Vereinbarung, ihm auch das Zinsbetreffnis zu überweisen. "Da Sie seinerseit die Deckungssumme zur Verfügung gestellt haben, können wir m.E. keinen Verzugszins (zu 5%) beanspruchen.
BGE 82 II 460 S. 463
Dagegen haben wir zweifellos Anspruch auf Kapitalzins. Ich stelle mir einen Zinsfuss von 3 1/2% vor, indem ich annehme, der Durchschnitt Ihres Vermögensertrages sei mindestens so hoch."
F.-
Die Beklagte lehnte jedoch die verlangte Zinszahlung ab. Sie ersuchte die Kläger im übrigen, die Vereinbarung noch von der Verwaltung der Pensionskasse der Stadt Winterthur unterzeichnen zu lassen. Als dies geschehen war, zahlte sie die Versicherungssumme, davon Fr. 36'000.-- an die Kläger, aus.
G.-
Mit Klage vom 3. März 1955 (beim Friedensrichter) und 25. Juni 1955 (beim Bezirksgericht Zürich) forderten die Kläger folgende Zinse ein:
"a) den Betrag von Fr. 3020.85 als Zins zu 5% des Deckungskapitals von Fr. 50'000.-- für die Zeit vom 15. August 1952 bis 31. Oktober 1953,
b) den Betrag von Fr. 1562.50 als Zins zu 2 1/2 % von Fr. 50'000.-- für die Zeit vom 1. November 1953 bis 28. Februar 1955."
H.-
Gemäss dem Antrag der Beklagten wies das Bezirrksgericht Zürich die Klage am 7. Dezember 1955 ab, ebenso das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 27. März 1956.
I.-
Mit vorliegender Berufung erneuern die Kläger die erwähnten Zinsbegehren, während die Beklagte auf Bestätigung des angefochtenen Urteils anträgt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Kläger glauben die geltend gemachte Zinsforderung aus drei Gesichtspunkten begründen zu können: als Schadenszins, als Verzugszins und als Bereicherungszins.
1.
Schadenszins hat der Versicherer nur insoweit zu entrichten, als der bei ihm gegen die Folgen der Haftpflicht Versicherte selbst solchen Zins schuldet. Der Schadenszins bildet einen Teil des Schadens, für den der Versicherer auf Grund des Versicherungsvertrages einzustehen hat. Er wird vom Haftpflichtigen vom Tag hinweg geschuldet, auf den der Schaden ermittelt worden ist, und bildet den
BGE 82 II 460 S. 464
Ausgleich dafür, dass der Ersatzberechtigte den betreffenden Betrag erst später erhält, ihn also in der Zwischenzeit nicht nutzen konnte (vgl. VON TUHR, Allg. Teil des OR, § 10 III 2, c;
BGE 34 II 612
,
BGE 70 II 95
Erw. 6,
BGE 81 II 519
Erw. 6). Hier braucht jedoch nicht geprüft zu werden, von wann an und zu welchem Zinssatze der Haftpflichtige zu Schadenszins verpflichtet sei. Denn die Haftung des Versicherers für den Schadenszins kann nur innerhalb der mit dem Versicherer vereinbarten oder doch von diesem als Grundlage des Fahrzeugausweises nach Art. 7 MFG bescheinigten Versicherungssumme bestehen. Übersteigt wie hier schon der Kapitalschaden diesen Betrag, dann bleibt kein Raum für eine zusätzliche Haftung des Versicherers für den Schadenszins.
Nichts Abweichendes folgt aus der gesetzlichen Umschreibung des direkten Forderungsrechtes des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer in Art. 49 und 50 MFG. Gewiss setzt dieses Forderungsrecht nicht einmal unbedingt einen gültigen Versicherungsvertrag voraus, sondern der Versicherer wird bei der im Sinne von Art 7 MFG ausgestellten Bescheinigung über die Haftpflichtversicherung behaftet (
BGE 69 II 169
). Allein die dieser rechtsgeschäftlichen Erklärung (und den gesetzlichen Minimalansätzen nach Art. 52 MFG) entsprechenden Versicherungssummen begrenzen die Leistungspflicht des Versicherers, und diese bleibt eine solche aus Versicherungsrecht (vgl. OFTINGER, Haftpflichtrecht II 978; GUHL, OR § 124 II b). Daher kommt nicht etwa in Frage, dass der Versicherer seinerseits für die ihm obliegende Leistung Schadenszins zu zahlen habe, denn er schuldet nicht Schadenersatz, sondern hat nur für die Schadenersatzpflicht eines Andern bis zur deklarierten Maximalsumme einzustehen.
Für ihre gegenteilige Ansicht berufen sich die Kläger auf die Botschaft zum MFG-Entwurf (BBl 1930 II 875) und auf
BGE 56 II 212
ff. Beide Publikationen betreffen aber den vom Versicherer bei eigenem Verzug zu leistenden
BGE 82 II 460 S. 465
Verzugszins und erörtern die Frage, von welchem Zeitpunkt an der Versicherer als im Verzug befindlich betrachtet werden müsse. Dass der Versicherer die Folgen eines ihn selbst treffenden Verzuges wie ein anderer Schuldner zu tragen hat und nicht befugt ist, von ihm geschuldete Verzugszinsen in die Versicherungssumme einzurechnen, versteht sich von selbst.
2.
Verzug kann erst nach Fälligkeit der Verbindlichkeit eintreten und wird nach allgemeinen Grundsätzen, sofern ein bestimmter Verfalltag weder vereinbart ist noch sich infolge einer gültigen Kündigung ergibt, erst durch Mahnung herbeigeführt (
Art. 102 OR
). Für Leistungen aus Versicherungsvertrag gilt die besondere Vorschrift von
Art. 41 VVG
. Danach tritt die Fälligkeit mit dem Ablauf von vier Wochen ein, seitdem der Versicherer Angaben erhalten hat, aus denen er sich von der Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Ansprüche überzeugen konnte. Dieser Norm untersteht auch die Haftpflichtversicherung (
BGE 56 II 212
ff.). Freilich sind die Ausführungen dieser Entscheidung in der Literatur zum Teil kritisiert worden (STÄHELI in SJZ 27 S. 92 mit Hinweis auf KÖNIG, SJZ 26 S. 161 ff.), und das Bundesgericht selbst (I. Zivilabteilung) hat im Urteil vom 3. Juni 1947 i.S. "Zürich" und Berra c. Confédération suisse und Udry, Erw. 11, bemerkt, im Gebiete der Haftpflicht nach MFG könne der Lauf jener Frist nicht mehr, gemäss jenem vor Inkrafttreten des MFG ergangenen Entscheide, an die Anzeige einer gegen den Haftpflichtigen angehobenen Klage geknüpft werden. In der Tat ist nunmehr dem direkten Forderungsrecht des Geschädigten und anderer Anspruchsberechtigter gegen den Haftpflichtversicherer Rechnung zu tragen; denn oftmals sieht der Anspruchsberechtigte infolgedessen von jeglicher Klage gegen den Haftpflichtigen ab. Trotzdem bleibt aber Art.
Art. 41 VVG
für den Eintritt der Fälligkeit des Versicherungsanspruches auch bei der Haftpflichtversicherung massgebend, und zwar auch wenn sich diese auf eine Haftpflicht nach MFG bezieht. Nur ist der Versicherungsanspruch
BGE 82 II 460 S. 466
in diesem Falle nicht davon abhängig, dass der Haftpflichtige selber vom Anspruchsberechtigten belangt werde. Um die Frist des
Art. 41 VVG
in Gang zu bringen, genügt es vielmehr, dass der Anspruchsberechtigte dem Versicherer das Bestehen der Haftpflicht in einem bestimmten (Minimal-)Betrag darlege und sich als den Anspruchsberechtigten gehörig ausweise.
Im vorliegenden Falle vermochten die Kläger der Beklagten im Oktober 1953 zwar das Bestehen der Haftpflicht im vollen Betrag der Versicherungssumme einwandfrei nachzuweisen, was die Beklagte denn auch sogleich anerkannte. Es war aber damals noch nicht ausgemacht, wer die Versicherungssumme zu beziehen habe, d.h. in welchem Verhältnis die Kläger und die beiden beteiligten Pensionskassen berechtigt seien. Die Beklagte, die durch die früheren Mitteilungen der beiden Kassen gehindert war, den Klägern etwas auszuzahlen, blieb bis zum 10. Februar 1955 im Ungewissen darüber, wem sie die Zahlung zu leisten habe. Irgendeine Mahnung erfolgte bis dahin nicht. Als ihr dann die Vereinbarung der Kläger mit den beiden Kassen bekanntgegeben wurde und sie die nötigen Ausweise besass, zahlte sie die Summe ungesäumt aus.
Unter diesen Umständen war sie nicht in Verzug gekommen. Gewiss hätte ein Verzug bereits während des Prätendentenstreites herbeigeführt werden können (vgl. BECKER, N. 1 und 6 zu
Art. 168 OR
,
BGE 50 II 393
/4). Dazu wäre namentlich eine gemeinsam von allen Prätendenten an die Beklagte gerichtete Aufforderung geeignet gewesen, einem von ihnen (unter Vorbehalt ihrer Auseinandersetzung) oder einem Dritten zu treuen Handen zu zahlen. Eine solche Aufforderung ist aber vor dem Februar 1955 nicht ergangen. Zur Hinterlegung nach
Art. 168 OR
war die Beklagte zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet. Zu Unrecht berufen sich die Kläger auf den Kommentar OSER/SCHÖNENBERGER, N. 4 zu Art. 168 und N. 9-14 zu
Art. 92 OR
. Wohl heisst es an der ersten Stelle, dass den Schuldner "nur die Hinterlegung von den meisten Verzugsfolgen
BGE 82 II 460 S. 467
befreit". Was damit gemeint ist, ergibt sich jedoch aus der zweiten Stelle, wo u.a. gesagt wird, der vertragliche Zins laufe weiter, und die Gefahr gehe vor der Hinterlegung nicht auf den Gläubiger über. Das sind keine eigentlichen Verzugsfolgen, sondern rechtliche Nachteile, die sich an die Nichterfüllung knüpfen, gleichgültig ob diese einen Verzug in sich schliesst oder nicht. Etwas anderes sagt auch VON TUHR nicht an der von OSER/SCHÖNENBERGER zitierten Stelle (Allg. Teil des OR § 65 V 4); vielmehr wird dort richtig ausgefuhrt, der bei Eintritt des Gläubigerverzuges nicht selber im Verzug befindliche Schuldner werde gleichwohl weiterhin Zinsen schuldig, "die auf anderm Grunde" (als auf Verzug), "insbesondere auf Vertrag beruhen". Es kommt nicht in Frage, einen nicht im Verzug befindlichen Schuldner zur Zahlung von Verzugszinsen zu verpflichten. Und hier ist eben bis zum 10. Februar 1955 keine Aufforderung, die Versicherungssumme zu zahlen, somit keine Mahnung erfolgt, die die Beklagte zugleich im Sinne von
Art. 41 VVG
über die gebotene Art der Erfüllung orientiert hätte.
3.
Zur Zahlung von Bereicherungszins wäre die Beklagte nur verpflichtet, wenn ihr zum Nachteile der Kläger ein Zinsgenuss ungerechtfertigterweise zuteil geworden wäre. Davon kann aber keine Rede sein; denn wenn die Beklagte bis zur Zahlung einen Zinsertrag von der Versicherungssumme bezog, war dies ein rechtmässig ihr zufliessender Nutzen, da sie die Leistung während des Streites der Ansprecher, die ihr keinen zum Empfang der Zahlung Berechtigten bezeichneten, zurückhalten durfte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. März 1956 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9a0a71be-bac2-4453-ae04-72c18797933f | Urteilskopf
136 III 110
16. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause X. SA contre Y. SA (recours en matière civile)
5A_863/2009 du 15 janvier 2010 | Regeste
Wechselbetreibung und beneficium excussionis realis (
Art. 41 und 177 Abs. 1 SchKG
).
Der Grundsatz des
beneficium excussionis realis
(
Art. 41 Abs. 1
bis
SchKG
) ist in der Wechselbetreibung nicht anwendbar. Der Schuldner kann daher nicht mit Beschwerde die Vorausverwertung des Pfandes verlangen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 136 III 110 S. 110
Le 12 novembre 2009, l'Office des poursuites de Genève a enregistré une réquisition de poursuite pour effets de change dirigée par Y. SA contre X. SA en recouvrement de 4'551'037 fr. 50 au titre d'une lettre de change du 25 mars 2009, endossée notamment par X. SA.
La poursuivie a porté plainte contre cette poursuite, dont elle a requis l'annulation, estimant qu'en vertu de l'
art. 41 al. 1
bis
LP
elle était en droit d'exiger que la poursuivante, qui était au bénéfice d'un droit de gage, fasse d'abord réaliser le gage (principe du beneficium excussionis realis). Dans sa détermination sur la plainte, la poursuivante s'est prévalue de l'
art. 177 al. 1 LP
, disposition réservée par l'art. 41 al. 2 in fine LP et aux termes de laquelle "le créancier qui agit en vertu d'un effet de change ou d'un chèque peut, alors même
BGE 136 III 110 S. 111
que la créance est garantie par un gage, requérir la poursuite pour effets de change, lorsque le débiteur est sujet à la poursuite par voie de faillite".
Par décision du 17 décembre 2009, la Commission de surveillance des offices des poursuites et des faillites du canton de Genève a rejeté la plainte au motif que la poursuivante ayant choisi d'introduire contre une débitrice sujette à la poursuite par voie de faillite (
art. 39 al. 1 ch. 8 LP
) une poursuite pour effets de change, la poursuivie ne pouvait pas, en vertu du texte clair de l'
art. 177 al. 1 LP
, exiger par la voie de la plainte la réalisation du gage.
Le recours en matière civile interjeté par la poursuivie auprès du Tribunal fédéral a été rejeté.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Le texte de l'
art. 177 al. 1 LP
, expressément réservé par l'art. 41 al. 2 in fine LP, est parfaitement clair: le créancier qui agit en vertu d'un effet de change ou d'un chèque peut, alors même que la créance est garantie par un gage, requérir la poursuite pour effets de change, lorsque le débiteur est sujet à la poursuite par voie de faillite. Le droit que confère l'effet de change garanti par gage est donc assuré par une double sanction, à savoir la réalisation du gage, d'une part, et la poursuite spéciale aux effets de change, d'autre part, le créancier pouvant faire usage de l'une ou l'autre de ces sanctions à son choix (
ATF 67 III 114
consid. 1). Ce choix n'a d'ailleurs pas un caractère exclusif: le créancier peut, après avoir réclamé la réalisation du gage et aussi longtemps que l'exécution demeure soumise à sa seule volonté, y renoncer et recommencer la procédure en choisissant, s'il le veut, la voie qu'il n'a pas encore empruntée (même arrêt, consid. 3). Le poursuivi ne peut donc pas exiger, par la voie de la plainte, la réalisation préalable du gage. Il s'agit là d'une exception au principe du beneficium excussionis realis, lequel ne s'applique pas à la poursuite pour effets de change (
ATF 110 III 5
consid. 3c).
La doctrine partage unanimement cet avis (P.-R. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 4
e
éd. 2005, n. 523, 562 et 1471;
le même
, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. I, 1999, n° 67 ss ad
art. 41 LP
; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8
e
éd. 2008,
BGE 136 III 110 S. 112
§ 32 n° 14 § 37 n. 8; LOUIS DALLÈVES, in Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, n° 5 ad
art. 177 LP
; THOMAS BAUER, in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. II, 1998, n° 36 ss ad
art. 177 LP
; DOMENICO ACOCELLA, in même commentaire, vol. I, 1998, n
os
31 et 40 ad
art. 41 LP
; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, vol. II, 1993, § 37 n. 4; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. II, 4
e
éd. 1999, n° 6 ad
art. 177 LP
; INGRID JENT-SØRENSEN, in Kurzkommentar SchKG, 2009, n° 14 ad
art. 41 LP
; GERHARD ROTH, in même commentaire, n° 7 s. ad
art. 177 LP
; PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, vol. III, 3
e
éd. 2003, n. 2785; WALTER A. STOFFEL, Voies d'exécution, 2002, § 6 n. 20 in fine).
La recourante soutient en vain que l'interprétation de l'
art. 41 al. 1
bis
LP
imposerait une autre solution. En intercalant l'alinéa 1
bis
, le législateur a simplement codifié une pratique consacrée par la jurisprudence (
ATF 106 III 5
; Message concernant la révision de la LP du 8 mai 1991, FF 1991 73 in fine) et repris, s'agissant des gages immobiliers, l'art. 85 al. 2 de l'ordonnance du Tribunal fédéral du 23 avril 1920 sur la réalisation forcée des immeubles (ORFI; RS 281.42), qui a depuis lors été abrogé (RO 1996 2900). Il n'a nullement entendu modifier le système existant (cf. ACOCELLA, op. cit., nos 2 et 44 ad
art. 41 LP
).
A la lumière de ce qui précède, c'est à bon droit que la commission cantonale de surveillance a retenu que la recourante ne pouvait pas exiger par la voie de la plainte la réalisation préalable du gage et qu'elle l'a donc déboutée. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9a0bcbc0-51d0-4e87-ab90-ef4865c06eca | Urteilskopf
107 IV 211
60. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 17. Dezember 1981 i.S. W. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft (Beschwerde) | Regeste
Art. 52 Abs. 2,
Art. 217 BStP
.
Eine Haftbeschwerde gegen den Bundesanwalt nach
Art. 52 Abs. 2 BStP
in Verbindung mit
Art. 217 BStP
ist analog
Art. 28 Abs. 3 VStrR
innert 3 Tagen mit Antrag und Begründung einzureichen. | Erwägungen
ab Seite 211
BGE 107 IV 211 S. 211
Aus den Erwägungen:
2.
a) Bei Haftbeschwerden gegen den Bundesanwalt gelten nach
Art. 52 Abs. 2 BStP
die Verfahrensvorschriften der
Art. 215-219 BStP
betreffend Beschwerden gegen Amtshandlungen und Säumnis der Untersuchungsrichter. Nach
Art. 217 BStP
ist eine solche Beschwerde innert drei Tagen einzureichen und nach der Rechtsprechung der Anklagekammer auch zu begründen (nicht veröffentlichte Entscheide der Anklagekammer vom 6. Februar 1976 i.S. J.S. und vom 14. April 1975 i.S. E.v.D. c. Schweizer. Bundesanwaltschaft). Diese Begründungspflicht ergibt sich mittelbar schon aus
Art. 219 Abs. 1 BStP
, der vorschreibt, dass zu einer nicht offensichtlich aussichtslosen Beschwerde eine Vernehmlassung des Untersuchungsrichters einzuholen sei, was selbstverständlich nur dann einen Sinn hat, wenn die Beschwerde auch die
BGE 107 IV 211 S. 212
Gründe enthält, deretwegen sie erhoben wurde. Sie folgt sodann aber insbesondere aus der Tatsache, dass
Art. 52 Abs. 2 BStP
als Anhang zum VStrR erlassen und mit diesem in Kraft gesetzt wurde. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Beschwerde sollte offensichtlich der Haftbeschwerde des Art. 59 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 51 Abs. 5 und 26 Abs. 1 und 2 lit. a VStrR entsprechen, da beide im Hinblick auf
Art. 5 Abs. 4 EMRK
eingeführt wurden (s.
BGE 101 IV 254
). Diese letztere Beschwerde aber ist gemäss
Art. 28 Abs. 3 VStrR
innert drei Tagen mit Antrag und Begründung einzureichen, was nach dem Gesagten analog auch für die Haftbeschwerde des
Art. 52 Abs. 2 BStP
gelten muss. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
9a0f759b-55a9-42c9-9ed2-0363dd2238fe | Urteilskopf
114 V 292
54. Urteil vom 6. Mai 1988 i.S. B. gegen die dem Kantonalverband der Krankenkassen des Kantons X angeschlossenen Krankenkassen und Schiedsgericht des Kantons X | Regeste
Art. 25 Abs. 1 und 4 KUVG
,
Art. 58 BV
: Besetzung des Schiedsgerichts.
- In
Art. 25 Abs. 1 KUVG
ist der Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts mit eingeschlossen; das Schiedsgericht hat dieselbe Gewähr für Unparteilichkeit zu bieten wie andere staatliche Gerichte. Die Richter des Schiedsgerichts haben deshalb in Ausstand zu treten, wenn sie mit einer Partei in einer Weise verbunden sind, welche die Befürchtung der Befangenheit begründet (Erw. 3b und c).
- Begriff des neutralen Vorsitzenden im Sinne von
Art. 25 Abs. 4 KUVG
; bei der Beurteilung der Neutralität ist ein strenger Massstab anzulegen (Erw. 3d). | Sachverhalt
ab Seite 293
BGE 114 V 292 S. 293
A.-
Am 26. Mai 1983 reichte der Kantonalverband der Krankenkassen des Kantons X bei der Paritätischen Vertrauenskommission ein gegen Dr. med. B. gerichtetes Begehren um Rückerstattung von Fr. 131'653.-- wegen unwirtschaftlicher Behandlung ein. Mit Vorschlag vom 17. Oktober 1984 erkannte die Vertrauenskommission, dass die Forderung des Verbandes für das Jahr 1981 im Umfang von Fr. 36'319.-- zu Recht bestehe. Am 1. Februar 1985 erhoben die dem Kantonalverband angeschlossenen Krankenkassen gegen Dr. B. beim Schiedsgericht gemäss
Art. 25 KUVG
des Kantons X Klage auf Rückerstattung von Fr. 40'354.--.
B.-
Das Schiedsgericht hiess die Klage aufgrund von Beratungen vom 1. Mai und 4. Juni 1986 sowie 22. Januar 1987 gut, wobei als Vorsitzender Y amtete.
C.-
Dr. B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der Entscheid des Schiedsgerichts sei aufzuheben und die Forderung der Krankenkassen abzuweisen. Zur Begründung wurde unter anderem geltend gemacht, der Vorsitzende des Schiedsgerichts sei Mitglied des Leitenden Ausschusses des Konkordats der schweizerischen Krankenkassen, weshalb das Erfordernis der Neutralität nicht erfüllt gewesen sei.
BGE 114 V 292 S. 294
Die Krankenkassen beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Gutheissung und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung unter neutralem Vorsitz. In materieller Hinsicht beantragt es eventualiter ebenfalls Gutheissung. Das Schiedsgericht nimmt zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf deren Abweisung Stellung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitigkeiten zwischen Kassen einerseits und Ärzten, Apothekern, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen, Laboratorien oder Heilanstalten anderseits sind durch ein für das ganze Kantonsgebiet zuständiges Schiedsgericht zu entscheiden (
Art. 25 Abs. 1 KUVG
). Die Kantone bezeichnen das Schiedsgericht und regeln das Verfahren; der schiedsgerichtlichen Behandlung eines Streitfalles hat ein Vermittlungsverfahren vorauszugehen, sofern nicht schon eine vertraglich eingesetzte Schlichtungsinstanz geamtet hat. Das Schiedsgericht setzt sich zusammen aus einem neutralen Vorsitzenden und entsprechend den zu behandelnden Fällen aus je einer Vertretung der Kassen und der Ärzte, Apotheker, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen, Laboratorien oder Heilanstalten in gleicher Zahl (
Art. 25 Abs. 4 KUVG
).
2.
a) Der Vorsitzende des Schiedsgerichts gemäss
Art. 25 KUVG
des Kantons X war in der vorliegenden Streitsache Y. Der Beschwerdeführer wendet hiegegen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erstmals ein, dass dieser nicht als neutral gelten könne, weil er Mitglied des Leitenden Ausschusses des Konkordats der schweizerischen Krankenkassen sei. Tatsächlich gehört Y seit 1978 diesem Gremium an, in welches er aufgrund seiner Eigenschaft als Nationalrat gewählt worden ist.
b) (Rechtzeitigkeit der Einwendung.)
3.
a) Nach Art. 58 Abs. 1 (erster Teilsatz) BV darf niemand seinem verfassungsmässigen Richter entzogen werden. Diese Verfassungsnorm verleiht dem einzelnen einen Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts. Dazu gehört wesentlich, dass im konkreten Verfahren unvoreingenommene Richter mitwirken, welche die nötige Gewähr für eine unabhängige und unparteiische Beurteilung der Streitsache bieten (
BGE 112 Ia 292
Erw. 3,
BGE 108 Ia 50
Erw. 1
BGE 114 V 292 S. 295
und 53 Erw. 3, 105 Ia 159 Erw. 3 und 161 Erw. 5 sowie 175 Erw. 3a, 104 Ia 273 Erw. 3 mit Hinweisen).
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat mit Bezug auf Art. 101 lit. b und 113 Abs. 2 lit. b AVIG sowie
Art. 30bis Abs. 1 KUVG
entschieden, dass in diesen Bestimmungen ein bundesrechtlicher Anspruch auf eine richtige Besetzung des Gerichts bzw. einen unbefangenen Richter enthalten ist (nicht veröffentlichte Urteile B. vom 16. März 1988 und B. vom 29. September 1987 sowie G. vom 30. Dezember 1986). Das hat auch mit Bezug auf das Schiedsgericht gemäss
Art. 25 Abs. 1 KUVG
zu gelten, welches dieselbe Gewähr für Unparteilichkeit zu bieten hat wie andere staatliche Gerichte. Der in dieser Bestimmung eingeschlossene Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts stellt insofern eine gesetzliche Konkretisierung der obengenannten Verfassungsnorm dar. Darüber hinaus haben die Richter die Eigenschaften und personellen Voraussetzungen zu erfüllen, die
Art. 25 Abs. 4 KUVG
vorschreibt und deren Fehlen ebenfalls eine gesetzwidrige Besetzung des Gerichts darstellt.
c) Das Gebot der Unparteilichkeit gilt für den Vorsitzenden und die übrigen Richter in gleichem Masse (vgl. per analogiam
BGE 113 Ia 408
Erw. 2a, 105 Ia 247 und
BGE 92 I 276
Erw. 4). Diese haben deshalb in Ausstand zu treten, wenn sie mit einer Partei in einer Weise verbunden sind, welche die Besorgnis der Befangenheit begründet. Die Frage des unparteiischen Richters weist jedoch im Rahmen von
Art. 25 KUVG
spezielle Aspekte auf, indem unter anderem als besondere gesetzliche Auflage für den Vorsitzenden verlangt wird, dass er neutral sei.
Für das Verständnis des Begriffes "neutral" ist von der Vorschrift des
Art. 25 Abs. 4 KUVG
auszugehen, wonach die Krankenkassen und die Berufsgruppe oder Institution, denen im konkreten Streitfall die Gegenpartei der Kassen zuzuordnen ist, im Gericht in gleicher Zahl vertreten sein müssen. Neutralität kann daher nur heissen, dass der Vorsitzende keinem dieser Interessiertenkreise angehört und mit diesen auch anderweitig nicht in einer Weise verfochten ist, welche seine Unabhängigkeit als gefährdet erscheinen lässt. Bei der Beurteilung der Neutralität ist aus den nachstehend angeführten Gründen ein strenger Massstab anzulegen.
d) Die neben dem Vorsitzenden tätigen Richter erscheinen aufgrund ihrer Verbundenheit mit den interessierten Kreisen erfahrungsgemäss leicht als kaum ganz unabhängig (was nicht schon
BGE 114 V 292 S. 296
Parteilichkeit im Sinne einer unzulässigen einseitigen Parteinahme bedeutet; vgl.
BGE 113 Ia 408
Erw. 2a). Auch liegt es in der Natur der Sache, dass sie gegensätzliche Standpunkte einnehmen können, auch wenn sie unparteiisch handeln. In dieser Lage fällt praktisch die Entscheidung dem Vorsitzenden zu. Dieser bietet aber nur dann Gewähr für ein unabhängiges Erkenntnis, wenn er gegenüber den im Spiele stehenden Sach- und Gruppeninteressen streng neutral ist. Sodann ist wiederholt die Befürchtung geäussert worden, die neben dem Vorsitzenden tätigen Richter könnten sich als Parteianwälte im Richterkleid verstehen (PFLUGER, Die Neuordnung des Rechtsschutzes in der Krankenversicherung, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung, 1957, S. 53 f.; SCHWEIZER, Die kantonalen Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Ärzten oder Apothekern und Krankenkassen, Diss. Zürich 1957, S. 25 ff.; SCHÄREN, Die Stellung des Arztes in der sozialen Krankenversicherung, Diss. Zürich 1973, S. 364). Die der paritätischen Mitwirkung zugedachte Aufgabe besteht jedoch, wie die genannten Autoren zutreffend hervorheben, nicht in einer einseitigen Interessenwahrnehmung für eine Prozesspartei. Vielmehr will das Gesetz den in
Art. 25 Abs. 4 KUVG
angeführten interessierten Kreisen die Möglichkeit einräumen, Leute ihres Vertrauens in die Schiedsgerichte zu entsenden, um die notwendige Sachkunde zu vermitteln und die branchenspezifischen Gesichtspunkte zur Kenntnis zu bringen, so dass die für oder gegen die Parteien sprechenden Umstände voll zur Geltung kommen und sorgfältig gewürdigt werden können. Wenngleich dieser Beitrag wie auch die Stimmabgabe Unparteilichkeit verlangen, so nimmt doch der Vorsitzende eine entscheidende Stellung als Garant objektiver Rechtsfindung ein. Dieser Aufgabe kann nur strenge Neutralität gerecht werden.
4.
a) Das Konkordat bezweckt in der Hauptsache die Förderung der Krankenversicherung. Seine Aufgaben sind nach seinen Statuten u.a. die Wahrung der Interessen der Versicherten sowie der angeschlossenen Verbände und Kassen bei den Behörden, Versicherungsanstalten, Heilanstalten und Medizinalpersonen (Art. 3 lit. c). Es berät die Kassen in allen Fragen der Krankenversicherung, stellt verbindliche Richtlinien für den Abschluss von Verträgen mit Medizinalpersonen oder Heilanstalten auf und wirkt bei Vertragsverhandlungen und Abschluss von Landesverträgen mit (Art. 3 lit. d). Ferner schafft es Kontrollorgane für die Krankenpflegeversicherung (Art. 3 lit. n). Als besondere
BGE 114 V 292 S. 297
Dienstleistung erstellt das Konkordat für die einzelnen Kantone eine Behandlungsfallstatistik, welche den Kassen als Grundlage für die Feststellung unwirtschaftlicher Behandlung durch Ärzte (Polypragmasie) dienen soll. Der Leitende Ausschuss besteht statutengemäss aus dem Präsidenten und 24 Mitgliedern, die Vertreter der Konkordatsmitglieder sein müssen, sowie aus 4 bis 6 Mitgliedern, die den eidgenössischen Räten angehören und mit der sozialen Krankenversicherung verbunden sind (Art. 15 Abs. 1).
b) Mit der Zugehörigkeit zum Leitenden Ausschuss bringt Y gegenüber dem Konkordat und Dritten zum Ausdruck, dass er die Interessen der Krankenkassen fördern und unterstützen will. Dazu kommt, dass das Konkordat im vorliegenden Fall den Beschwerdegegnerinnen mit der Behandlungsfallstatistik ein wesentliches Beweismittel lieferte und durch seinen Vertrauensarzt wie auch seine Statistikabteilung die Gegenpartei des Beschwerdeführers wiederholt beriet. Die Verflechtung mit der Krankenkassenseite wird vollends deutlich, wenn mit bedacht wird, dass Y aufgrund seiner Kantonszugehörigkeit und als parlamentarischer Vertreter im Leitenden Ausschuss dem Konkordatsmitglied bzw. Krankenkassenverband seines Kantons ohne Zweifel nahestehen dürfte. Dieser Interessengemeinschaft gehören aber auch die Beschwerdegegnerinnen an, die zudem im vorliegenden Verfahren vom Verband vertreten werden. Ein Richter, der Krankenkassenkreisen so nahesteht, kann im Widerstreit der Interessen zwischen Kassen und Medizinalpersonen nicht als neutral im Sinne von
Art. 25 Abs. 4 KUVG
gelten.
Dagegen vermag nicht aufzukommen, dass Y gegenüber der Haltung des Konkordats in einzelnen Fragen durchaus kritisch eingestellt ist und für sich in Anspruch nimmt, als Vorsitzender des Schiedsgerichts trotz Zugehörigkeit zum Leitenden Ausschuss des Konkordats unparteiisch gerichtet zu haben und richten zu können. Ist die Neutralität im Sinne von
Art. 25 Abs. 4 KUVG
in Frage gestellt, bedarf es nicht des Nachweises, dass der Vorsitzende in der streitigen Angelegenheit subjektiv tatsächlich nicht zu neutralem Handeln fähig sei. Es genügt die Feststellung, dass der Vorsitzende nach den konkreten Umständen den am Falle interessierten Kreisen zuzurechnen oder mit diesen in einer Weise verbunden ist, die bei objektiver Betrachtung den Anschein fehlender Neutralität erweckt.
5.
Da die gemäss
Art. 25 Abs. 4 KUVG
erforderliche Neutralität des Vorsitzenden in der Person von Y nach dem Gesagten
BGE 114 V 292 S. 298
nicht gegeben und das Schiedsgericht mithin in gesetzwidriger Besetzung tätig war, ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die Sache in bundesrechtskonformer Zusammensetzung des Gerichts neu beurteile. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
9a0feaa4-64dc-4438-a703-de23b7e1c54f | Urteilskopf
99 II 332
46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1973 i.S. Spar- und Leihkasse des Amtsbezirkes Büren gegen Basellandschaftliche Hypothekenbank. | Regeste
Checkrecht.
1.
Art. 1128 OR
. Rückgriff des Checkinhabers gegen einen Indossanten. Einrede des Indossanten, der Inhaber habe den Auftrag, sich vor Einlösung der Checks nach der Deckung zu erkundigen und die Auskunft an ihn weiterzuleiten, nicht pflichtgemäss ausgeführt. Beweis. Pflichten des Beauftragten (Erw. 1-3).
2. Art. 1042 Abs. 6 undl143 Ziff. 10 OR. Benachrichtigung bei Unterbleiben der Zahlung (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 332
BGE 99 II 332 S. 332
A.-
Die Spar- und Leihkasse des Amtsbezirkes Büren (SLB) übernahm von ihrem in Frankfurt a./M. niedergelassenen Kunden Ryan vom September 1970 an wiederholt auf ausländische,
BGE 99 II 332 S. 333
besonders deutsche Banken gezogene Checks zum Inkasso und indossierte sie an die Zweigniederlassung Basel der Basellandschaftlichen Hypothekenbank (BLH). Diese liess ihr die Checkbeträge im Banken-Clearing gutschreiben, und die SLB schrieb sie ihrerseits Ryan gut oder führte für ihn Zahlungen aus.
Am 26. Oktober 1970 erhielt die SLB von Ryan drei Checks, die Sperber am 24. Oktober in der Höhe von zusammen DM 250 000.-- auf die Zweigstelle Kaiserstrasse der Commerzbank AG in Frankfurt a./M. gezogen hatte, sowie einen vom gleichen Aussteller auf die Frankfurter Volksbank gezogenen Check von DM 85 000.--. Die SLB übergab diese Papiere an die Adresse der BLH als Eilsendung der Post. In dem als Rimesse bezeichneten Begleitschreiben ersuchte sie die Adressatin, das Inkasso zu besorgen und den Gegenwert nach Eingang zu vergüten. Sie fügte bei: "Wir bitten Sie, betreffend Deckung dieser Checks per Telex bei den zuständigen Banken anzufragen und uns die Antwort telephonisch weiterzuleiten." Die Sendung traf um 13.40 Uhr des 26. Oktober 1970 bei der BLH ein. Die SLB hatte der Adressatin den Auftrag, sich bei den bezogenen Banken über die Deckung zu erkundigen, schon vorher auch telephonisch erteilt, wobei allerdings nicht bewiesen ist, dass sie schon damals Erkundigung "per Telex" verlangte.
Die BLH führte den Auftrag durch ihren Prokuristen Klüppelberg noch am gleichen Tage aus, wobei er die durch Fernschreiber nicht erreichbare Zweigstelle Kaiserstrasse der Commerzbank telephonisch ansprach. Klüppelberg erhielt von der Angestellten Simon der angerufenen Stelle die Zusage, es sei ein zur Honorierung der Checks genügendes Guthaben des Ausstellers vorhanden und die Checks könnten - unter banküblichem Vorbehalt - auf den Weg gebracht werden. Seine Frage, ob man in Frankfurt unter dem banküblichen Vorbehalt das gleiche verstehe wie in der Schweiz, nämlich Vorbehalt der Echtheit der Checkformulare und der Unterschrift, soll von Fräulein Simon weder bejaht noch verneint worden sein.
Klüppelberg will die erhaltene Auskunft erst am 27. Oktober telephonisch an die SLB weitergegeben und dabei auch erwähnt haben, dass sie unter banküblichem Vorbehalt erfolgt sei. Gleichzeitig kam er mit der SLB überein, über die Checkguthaben sofort abzurechnen. Die BLH liess ihr hierauf am 27. Oktober über Banken-Clearing für die vier Checkguthaben von DM 335 000.-- Fr. 398 717.-- gutschreiben.
BGE 99 II 332 S. 334
Die SLB ihrerseits schrieb dem Konto Ryan für die vier Checks am 27. Oktober Fr. 397 645.-- gut. Sie hatte indessen im Hinblick auf die erwartete Einlösung dieser Checks auf Anweisung Ryans schon am 26. Oktober Fr. 250 000.-- anderen Banken überwiesen. Am Abend des 26. Oktober erreichte der Passivsaldo des Kontos Ryan Fr. 696 088.80. Am Abend des 27. Oktober wies das Konto dagegen einen Aktivsaldo von Fr. 60 458.70 und am 29. Oktober, nach weiteren Gutschriften und Belastungen, einen solchen von Fr. 81 595.85 auf.
Die auf die Zweigstelle Kaiserstrasse der Commerzbank in Frankfurt gezogenen drei Checks wurden am 29. Oktober durch die Deutsche Bank AG zur Zahlung vorgelegt, von der Bezogenen aber nicht eingelöst, weil sie "vom Aussteller gesperrt" worden seien. Die Filiale Lörrach der Checkinhaberin meldete der BLH um 16.30 Uhr des gleichen Tages telephonisch, dass diese Checks unbezahlt geblieben seien. Klüppelberg will diese Nachricht unmittelbar nachher an die SLB weitergegeben haben. Die SLB will dagegen erstmals am 11. November telephonisch von der Nichteinlösung der Checks erfahren haben. Die BLH wandte sich am 12. November an die SLB und belastete diese am 13. November für die Rückchecks samt Provision mit Fr. 297 997.70.
In einem Schreiben vom 19. November an die SLB beharrte die Commerzbank darauf, dass sie die Sperre der Checks durch den Aussteller auf jeden Fall habe beachten müssen. Am 17. Dezember 1970 schrieb sie dagegen der BLH, nach ihrer Zusage vom 26. Oktober habe sie feststellen müssen, dass Sperber ihr aus nichteingelösten Checks einen Betrag schuldete, der das Guthaben auf seinem Konto der Zweigstelle Kaiserstrasse überstieg. Auch habe sie erfahren, dass mehrere Personen, zu denen auch Sperber und Ryan gehörten, aufeinander nicht gedeckte Checks gezogen hätten, um sich zum Nachteil von Banken zu bereichern. Um dieser internationalen Checkreiterei ein Ende zu bereiten, habe sie das Konto des Sperbers wegen der ihr zustehenden Forderung gesperrt, aber nicht verhindern können, dass ihr und auch anderen Banken Schaden entstanden sei.
B.-
Die BLH leitete gegen die SLB für Fr. 297 997.70 nebst Zins Wechselbetreibung ein. Der Appellationshof des Kantons Bern bewilligte am 22. April 1971 für Fr. 221 815.05 nebst Zins den Rechtsvorschlag, indem er die Rückgriffsforderung der BLH
BGE 99 II 332 S. 335
aus den drei Checks auf Fr. 297 626.20 bezifferte, aber als glaubhaft erachtete, dass die Betriebene gegen die Gläubigerin eine Schadenersatzforderung von Fr. 221 443.55 habe.
In der Folge bezahlte die SLB den Teilbetrag, für den sie im Verfahren um Bewilligung des Rechtsvorschlages unterlegen war.
Die BLH anderseits klagte gegen sie auf Zahlung der Fr. 221 815.05 nebst Zins, für die der Rechtsvorschlag bewilligt worden war.
Die Beklagte erklärte für Fr. 33 220.-- den Abstand, da sie am 5. März 1971 von Sperber Fr. 50 000.-- hatte einbringen können und das Konto Ryan deshalb am 13. September 1971 noch einen Aktivsaldo von Fr. 33 220.-- aufwies.
Soweit die Klage weiter ging, wies der Gerichtspräsident von Büren sie am 24. Mai 1972 ab.
Auf Appellation der Klägerin, die an den Klagebegehren festhielt, hiess der Appellationshof des Kantons Bern am 12. März 1973 die Klage im Betrage von Fr. 188 373.55 nebst 6% Zins seit 30. Oktober 1970 gut.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung erklärt. Sie beantragt, die Klage abzuweisen, eventuell soweit sie Fr. 69 806.10 übersteigt. Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte als Indossantin der drei nicht eingelösten Checks bestreitet weder die Voraussetzungen des checkrechtlichen Rückgriffsrechts der Klägerin (Art. 1128 f. OR) noch dessen dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Umfang. Sie streitet in der Berufung nur um den Bestand und die Höhe ihrer zur Verrechnung gestellten Schadenersatzforderung aus ihrem der Klägerin erteilten Auftrag.
Anderseits ficht die Klägerin das vorinstanzliche Urteil nicht an; sie beanstandet nicht, dass der Appellationshof die Klage nur im Betrage der eingeklagten Hauptforderung von Fr. 221 593.55 abzüglich die anerkannten Fr. 33 220.-- gutgeheissen, dagegen zu dem noch streitig gewesenen Teil von Fr. 221.50 der Provisionsforderung nicht Stellung genommen hat.
BGE 99 II 332 S. 336
Das Bundesgericht hat daher auf die checkrechtliche Rückgriffsforderung nicht weiter einzugehen.
2.
Mit dem Inkassoauftrag, den die Beklagte der Klägerin am 26. Oktober erteilte, verband sie den Auftrag, "betreffend Deckung dieser Checks per Telex bei den zuständigen Banken anzufragen und uns die Antwort telephonisch weiterzuleiten". Die Beklagte macht nicht geltend, die Klägerin habe sich unsorgfältig erkundigt. Sie wirft ihr aber Unsorgfalt bei der telephonischen Meldung der erhaltenen Auskunft vor. Im kantonalen Verfahren sah sie den Fehler im angeblichen Verschweigen der Tatsache, dass die Commerzbank die Auskunft, Deckung sei vorhanden und die Checks könnten auf den Weg gebracht werden, nur "unter banküblichem Vorbehalt" erteilt hatte. In der Berufung trägt sie dagegen vor, die Klägerin habe verschwiegen, dass die Commerzbank das Vorhandensein der Deckung erst nach dem dritten Anruf bestätigt, die verlangte Sperre des Kontos des Ausstellers nicht zugesagt und die Frage, ob man in Deutschland unter dem banküblichen Vorbehalt dasselbe verstehe wie in der Schweiz, nicht befriedigend beantwortet habe. Ferner wirft sie der Klägerin vor, diese hätte sie darauf aufmerksam machen müssen, dass sie Risiken laufe, wenn sie schon vor der Einlösung der Checks Verfügungen treffe.
a) Der Check enthält die unbedingte Anweisung, eine bestimmte Geldsumme zu zahlen (
Art. 1100 Ziff. 2 OR
; Art. 1 deutsches Checkgesetz), also die Ermächtigung des Ausstellers an den Bezogenen, diese Summe auf Rechnung des Ausstellers an den Inhaber des Checks zu leisten. Irgendwelche Rechte gegenüber dem Bezogenen verschafft er dem Inhaber nicht. Ein Forderungsrecht des Inhabers gegenüber dem Bezogenen entsteht nie, denn
Art. 1104 OR
und Art. 4 deutsches Checkgesetz schliessen die Annahme des Checks aus (Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes vom 23. Februar 1951 in Neue Juristische Wochenschrift 1951 S. 599 Spalte rechts und HEFERMEHL daselbst S. 598 Spalte rechts). Wenn der Bezogene den Check nicht einlöst, kann der Inhaber nur den in
Art. 1128 OR
und Art. 40 deutsches Checkgesetz umschriebenen Rückgriff gegen die Indossanten, den Aussteller und die anderen Checkverpflichteten ausüben. Der Inhaber kann daher vom Bezogenen auch nie verlangen, dass er das Guthaben des Ausstellers sperre, damit der Check im Zeitpunkt der Vorweisung eingelöst werden könne. Schon aus diesem Grunde kam ein Auftrag der Beklagten
BGE 99 II 332 S. 337
an die Klägerin, die Commerzbank zur Sperre des Guthabens Sperbers zu verhalten, nicht in Frage.
Die Beklagte hat denn auch der Klägerin eine solche Weisung nicht erteilt. Nach der Auffassung der Vorinstanz lautete der vorerst telephonisch und dann schriftlich erteilte Auftrag dahin, "die Deckung der in Frage stehenden Checks bei den bezogenen Banken abzuklären und die Antwort an die Beklagte telephonisch weiterzuleiten". Diese Feststellung widerspricht der auf der Rimesse vom 23. Oktober enthaltenen Formulierung des Auftrages nicht. Die Beklagte hat somit von der Klägerin nur verlangt, die Commerzbank nach dem Vorhandensein der Deckung zu fragen. Sie hat nie behauptet, die Klägerin hätte der Commerzbank zumuten sollen, keine Auszahlungen auf Rechnung Sperbers mehr vorzunehmen und dessen Guthaben auch nicht mit Forderungen der Bank zu verrechnen, so dass im Zeitpunkt der Vorweisung der Checks die Deckung noch vorhanden sein werde. Selbst in der Berufung behauptet sie das nicht. Sie macht nur geltend, Klüppelberg habe im Verfahren über die Bewilligung des Rechtsvorschlages ausgesagt, er habe die Commerzbank darauf aufmerksam gemacht, dass das Guthaben zu sperren sei, da die Beklagte darüber verfügen wolle, und diese Aussage entspreche auch den Angaben der Klägerin in ihrem Schreiben an die Commerzbank vom 18. November 1970. Der Appellationshof hält indessen die Aussagen Klüppelbergs für nicht zuverlässig, und auch die Angaben im zitierten Schreiben erbringen nicht Beweis, weil Klüppelberg und die Klägerin zu dieser Zeit bestrebt waren, die Verantwortung für den Schaden (untauglicherweise) der Commerzbank zuzuschreiben. Übrigens kommt nichts darauf an, was Klüppelberg von dieser Bank verlangt haben will. Entscheidend ist, welchen Inhalt der Auftrag der Beklagten hatte und rechtlich haben konnte.
Ist somit davon auszugehen, dass die Klägerin nicht beauftragt war, von der Commerzbank eine Sperre des Deckungsguthabens zu verlangen, so war sie auch nicht gehalten, der Beklagten zu melden, die Bezogene habe die Sperre nicht zugesagt. Die Beklagte hätte selber wissen sollen, dass die Checks weder sie noch die Klägerin berechtigten, eine solche Zusage zu erwarten. Die Klägerin hatte sie darüber nicht zu belehren, denn der Auftrag lautete nicht auf Erteilung von Rechtsauskünften.
b) Der Appellationshof erachtet die Aussage Klüppelbergs, er habe der Beklagten den von der Commerzbank gemachten
BGE 99 II 332 S. 338
"banküblichen Vorbehalt" mitgeteilt, als nicht zuverlässig. Er hält aber auch die Behauptung der Beklagten, der Bestand der Deckung sei ihr vorbehaltlos gemeldet worden, nicht für bewiesen. Wie die Beklagte anerkennt, ist das Bundesgericht an diese Beweiswürdigung gebunden.
Die Auffassung des Appellationshofes, die Beklagte habe zu beweisen, dass die Klägerin ihre vertraglichen Verpflichtungen verletzt und den erwähnten Vorbehalt nicht weitergemeldet habe, wird von der Beklagten nicht beanstandet, muss aber als Frage des eidgenössischen Rechts von Amtes wegen überprüft werden.
Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet (
Art. 8 ZGB
). Dem Gläubiger obliegt daher der Beweis des Inhaltes der Verpflichtung, dem Schuldner dagegen der Beweis, dass er sie erfüllt habe (
BGE 76 II 299
,
BGE 79 II 279
; VON TUHR/SIEGWART § 60 I; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 88 N. 1; BECKER Vorbem. zu Art. 68 - 96 N. 15; KUMMER Art. 8 N. 161). Wenn die Klägerin verpflichtet war, der Beklagten den "banküblichen Vorbehalt" zu melden, hatte daher die Klägerin den Beweis zu erbringen, dass sie es getan habe. Es traf nicht die Beklagte die Last des Beweises, dass der Vorbehalt in der Mitteilung der Klägerin fehlte. Die Beklagte befindet sich nicht in gleicher Lage wie z.B. der Käufer, der zunächst die Kaufsache als Erfüllung angenommen hat, nachträglich aber Mängel entdeckt haben will und diese, wie KUMMER Art. 8 N. 275 und 277 ausführt, daher beweisen muss. Die Unsicherheit darüber, ob die Klägerin den "banküblichen Vorbehalt" weitergemeldet habe, wirkt sich somit zu ihrem Nachteil aus; es muss davon ausgegangen werden, diese Meldung sei unterblieben.
c) Deshalb fragt sich, ob die Klägerin verpflichtet war, der Beklagten den erwähnten Vorbehalt zu melden und sie darauf aufmerksam zu machen, dass sein Sinn unsicher bleibe.
Diese Frage ist zu verneinen. Welchen Sinn der "bankübliche Vorbehalt" auch immer gehabt haben mag, verstand er sich unter Banken und damit auch im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten von selbst. Es war selbstverständlich, dass die Commerzbank die Checks nicht einlösen würde, wenn sie sich als gefälscht erweisen sollten. Es war aber auch selbstverständlich, dass sie anderweitige Verfügungen über das Guthaben Sperbers, namentlich dessen Verrechnung mit eigenen Forderungen,
BGE 99 II 332 S. 339
nicht vorzubehalten brauchte, um sie vornehmen zu dürfen. Das ergab sich aus der Natur des Checks, der dem Inhaber gegen den Bezogenen weder ein Forderungsrecht noch ein Recht auf "Sperrung" des Guthabens des Ausstellers verleiht. Die Beklagte als Bank, die Checks zu übernehmen pflegte und sie sogar bevorschusste, musste das selber wissen. Die Klägerin hatte sie darüber umso weniger zu belehren, als sie nicht beauftragt war, auf eine Sperre des Guthabens Sperbers zugunsten der Checkinhaberin hinzuwirken, sondern nur abzuklären hatte, ob die Checks gedeckt seien. Der erhaltene Auftrag verpflichtete die Klägerin auch nicht, die Beklagte auf Gefahren aufmerksam zu machen, die sie laufe, wenn sie Ryan vor der Einlösung der Checks befriedige. Übrigens führt die Beklagte selber aus, sie sei sich der Risiken des Checkverkehrs mit dem Ausland voll bewusst gewesen. Auch der Inkassoauftrag, den die Beklagte der Klägerin erteilte, brachte die Pflicht nicht mit sich, die Beklagte darüber zu belehren, dass die Deckungsmeldung die Einlösung der Checks nicht unbedingt gewährleiste.
Dass die Beklagte in der "Rimesse" vom 26. Oktober Vergütung des Gegenwertes "nach Eingang" verlangt hatte, ändert nichts. Abgesehen davon, dass die Beklagte diese Weisung fallen liess, indem sie sich am 27. Oktober mit der sofortigen Abrechnung und Überweisung des Betrages einverstanden erklärte, bedeutete die Wendung "nach Eingang" nur, dass die Klägerin der Beklagten die Checkbeträge erst gutzuschreiben brauche, wenn die bezogenen Banken die Checks wirklich eingelöst haben würden. Daraus konnte unmöglich abgeleitet werden, die Beklagte betrachte das Inkasso schon mit der Deckungsmeldung als vollständig gesichert. Eher war daraus zu schliessen, sie sei sich bewusst, dass erst die tatsächliche Einlösung der Checks den Erfolg des Inkassoauftrages gewährleiste.
Dass Klüppelberg den "banküblichen Vorbehalt" tatsächlich an die Beklagte weitergegeben haben will, führt nicht zu einem anderen Schluss. Nachdem der Klägerin vorgehalten wird, die Weitergabe dieses Vorbehaltes sei nicht bewiesen, muss auch bei der Beurteilung der Frage, ob er hätte weitergegeben werden sollen, unterstellt werden, die Klägerin habe ihn, weil überflüssig, verschwiegen.
d) Die Klägerin verletzte ihre Pflichten als Beauftragte auch nicht dadurch, dass sie der Beklagten verschwiegen haben soll, sie habe die telephonische Deckungsbestätigung der Commerzbank
BGE 99 II 332 S. 340
erst nach dem dritten Anruf erhalten. Eine Feststellung der kantonalen Instanzen, wonach die Klägerin die Commerzbank dreimal angerufen habe, fehlt. Gewiss hat Klüppelberg in diesem Sinne ausgesagt. Die kantonalen Urteile erwähnen seine Aussage, sagen jedoch nicht, ob sie Glauben verdiene. Unabgeklärt bleibt auch, warum angeblich drei Anrufe nötig waren. Aus den Aussagen Klüppelbergs zu schliessen, musste Fräulein Simon von der Commerzbank zuerst ihren Vorgesetzten befragen, der nicht sogleich zur Stelle war. Es fehlt jeder Anhaltspunkt, dass der behauptete dreimalige Anruf nötig gewesen sei, weil die Commerzbank sich überlegt hätte, ob sie die tatsächlich vorhandene Deckung bestätigen oder das Guthaben Sperbers mit eigenen Forderungen verrechnen wolle. Nach verbindlicher Feststellung des Appellationshofes stellte die Commerzbank erst nach der Bestätigung der Deckung fest, dass ihr eine das Guthaben übersteigende Forderung zustand. Die Beklagte bestreitet das nicht. Zudem zahlte sie zugunsten Ryans schon am 26. Oktober Fr. 250 000.-- aus, ohne die Deckungsmeldung abzuwarten. Hätte sie dem Umstande, dass diese so lange nicht eintraf, Bedeutung beigemessen, so wäre sie nicht so vorgegangen, sondern hätte sie mit der Auszahlung zugewartet und sich bei der Klägerin nach den Gründen der Verzögerung erkundigt. Das tat sie nicht einmal, als die telephonische Deckungsmeldung der Klägerin eintraf. Es widerspricht Treu und Glauben, dass die Beklagte nun der Klägerin aus der Nichterwähnung des angeblich dreimaligen Anrufens nach Frankfurt einen Vorwurf macht, nachdem sie selber die Beauftragte damals über die Gründe der Verzögerung der Auskunft nicht befragte.
3.
Da die Deckungsmeldung der Klägerin nicht mangelhaft war, kommt auf die Behauptung der Beklagten nichts an, sie hätte die Zahlungen vom 27. Oktober und vom 29. Oktober nicht vorgenommen, wenn Klüppelberg sie am Morgen des 27. Oktobers aufgeklärt hätte, sie dürfe nicht sicher mit der Einlösung der Checks rechnen. Soweit dieses Anbringen die Vergütungen vom 29. Oktober betrifft, ist es zudem neu und daher nicht zu hören. Im kantonalen Verfahren hat die Beklagte diese Zahlungen nur als Folge davon hingestellt, dass ihr die Klägerin die Nichteinlösung der Checks statt schon an diesem Tage erst am 11. November gemeldet habe.
4.
Die Beklagte hält daran fest, sie hätte die Zahlungen vom 29. Oktober von zusammen Fr. 118 567.45 nicht vorgenommen
BGE 99 II 332 S. 341
oder jedenfalls rechtzeitig widerrufen, wenn ihr die Klägerin von der Nichteinlösung der Checks durch die Commerzbank schon an diesem Tage Kenntnis gegeben hätte. Darauf stützt sich ihr Eventualbegehren um Abweisung der Klage, soweit sie Fr. 69 806.10 (188 373.55 - 118 567.--) übersteigt. Die Beklagte wirft dem Appellationshof vor, er habe dieses Begehren nicht beurteilt, weil er übersehen habe, dass die Fr. 118 567.45 erst ausbezahlt worden seien, nachdem die Commerzbank die Einlösung der Checks schon verweigert hatte.
a) Die beiden Zahlungen vom 29. Oktober ergeben sich aus dem Auszug der Beklagten über das Konto Ryan, auf den im übrigen auch die kantonalen Instanzen abstellen. Dass der Appellationshof sie nirgends erwähnt, geht offensichtlich darauf zurück, dass er sich der Auffassung der ersten Instanz anschliesst, wonach die vermögensmindernden Auszahlungen schon am 26. und 27. Oktober erfolgt seien und die behauptete Verspätung der Notifikation gemäss
Art. 1042 OR
keinen neuen, bei rechtzeitiger Benachrichtigung vermeidbaren Schaden verursacht habe. Von einem Übersehen der Zahlungen vom 29. Oktober kann daher nicht die Rede sein.
b) Materiell hält jedoch die erwähnte Begründung nicht stand. Sie war sinnvoll für den erstinstanzlichen Richter, der die Schadenersatzansprüche der Beklagten in vollem Umfange mit der Begründung schützte, die Auszahlungen zulasten des Kontos Ryan vom 26. und 27. Oktober hingen ursächlich zusammen mit der vorbehaltlosen und daher pflichtwidrigen Deckungsmeldung vom 26. Oktober. Von diesem Standpunkt aus war nicht zu untersuchen, ob die Beklagte auch durch die Auszahlungen vom 29. Oktober geschädigt worden sei. Der Appellationshof dagegen verneint eine Verantwortlichkeit der Klägerin für die Deckungsmeldung. Er hätte daher prüfen sollen, ob die Klägerin wegen pflichtwidriger Verzögerung der Meldung, die Commerzbank habe am 29. Oktober die Checks nicht eingelöst, dafür einstehen müsse, dass die Beklagte die Auszahlungen von diesem Tage vornahm und nicht widerrief und deshalb zu Schaden kommt.
c) Gemäss Art. 1143 Ziff. 10 in Verbindung mit
Art. 1042 OR
hat der Inhaber des nicht bezahlten Checks nach der Protesterhebung vier Werktage zur Verfügung, um seinen unmittelbaren Vormann zu benachrichtigen. Der Indossant seinerseits hat nach Empfang der Nachricht seinem unmittelbaren Vormann binnen
BGE 99 II 332 S. 342
zweier Werktage davon Kenntnis zu geben. Wer die rechtzeitige Benachrichtigung versäumt, verliert den Rückgriff nicht, haftet aber für den etwa durch seine Nachlässigkeit entstandenen Schaden bis zur Höhe der Checksumme (
Art. 1042 Abs. 6 OR
).
Die drei in Frage stehenden Checks nennen keine bestimmte Person als Zahlungsempfänger. Sie gelten somit als auf den Inhaber gestellt, umso mehr als der für die Einsetzung eines Zahlungsempfängers offen gelassenen Stelle die Worte "oder Überbringer" folgen (
Art. 1105 Abs. 2 OR
). Die Klägerin hat die Checks nicht indossiert. Sie nimmt den Rückgriff in ihrer Eigenschaft als Inhaberin. Um der Schadenersatzpflicht gemäss Art. 1042 Abs. 6 zu entgehen, hatte sie deshalb vier Werktage Zeit, um die Beklagte von der Nichteinlösung der Checks in Kenntnis zu setzen. Mit dem Vorwurf, die Benachrichtigung hätte schon am 29. Oktober stattfinden sollen, lässt sich daher eine Schadenersatzpflicht gemäss Art. 1042 Abs. 6 nicht begründen. Vor dem 3. November 1970 (der 1. November war ein Sonntag) hatte die Beklagte nicht Anspruch auf die Nachricht. Dass sie aber am 3. November die Zahlungen vom 29. Oktober noch hätte widerrufen können, behauptet sie nicht.
Sie macht auch nicht geltend, dass und inwiefern sie sie am 31. Oktober noch hätte rückgängig machen können. Es wäre ihr daher selbst dann nicht geholfen, wenn die Benachrichtigungsfrist nur zwei Werktage betragen hätte.
Der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens der Klägerin lässt sich auch nicht etwa mit dem Inkassoauftrag begründen, den die Beklagte ihr erteilt hat. Gegenstand des Auftrages war die Einziehung von Checkbeträgen. Mangels gegenteiliger Weisungen der Beklagten durfte die Klägerin daher davon ausgehen, hinsichtlich der Benachrichtigungspflicht gälten die checkrechtlichen Bestimmungen. Die Beklagte hat nicht behauptet, sie habe bei der Erteilung des Auftrages verlangt, die allfällige Nichtbezahlung der Checks sei ihr unverzüglich, d.h. noch am gleichen Tage zu melden. Das ergab sich auch nicht aus der "Rimesse" vom 26. Oktober, noch verstand es sich von selbst. Dass die Beklagte eine telephonische Deckungsmeldung wünschte, bedeutet nicht, es müsse ihr auch die Nichtbezahlung der Checks möglichst rasch und telephonisch gemeldet werden. Die Deckungsmeldung sollte ihr den Entschluss zu den von Ryan gewünschten vorzeitigen Auszahlungen erleichtern. Die Klägerin durfte am 29. Oktober davon ausgehen, diese Auszahlungen
BGE 99 II 332 S. 343
seien bereits erfolgt. Tatsächlich hatten sie schon am 26. Oktober stattgefunden. Am 29. Oktober konnten sie nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden. Unter diesem Gesichtspunkt drängte sich daher eine sofortige Benachrichtigung der Beklagten nicht auf.
Dass die Beklagte andere Gründe haben könnte, von der Nichteinlösung der Checks sofort Kenntnis zu erhalten, brauchte die Klägerin ebenfalls nicht anzunehmen. Den Stand des Kontos Ryan bei der Beklagten kannte sie nicht und musste sie nicht kennen. Dass Ryan und Sperber "Checkreiterei" getrieben haben sollen, erfuhr sie erst durch das Schreiben der Commerzbank vom 17. Dezember. Ihr Auftrag beschränkte sich auf das Inkasso von Checks, und das Verhältnis Ryans zur Beklagten ging sie nichts an; es verpflichtete sie nicht zu grösserer Sorgfalt als die
Art. 1143 und 1042 OR
. Die Beklagte leitet aus dem Inkassoauftrag denn auch nichts ab, sondern beruft sich nur auf diese Bestimmungen.
Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin der Beklagten schon am 29. Oktober mitteilte, die Checks seien nicht eingelöst worden, oder erst am 11. November, wie die Beklagte behauptet.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 12. März 1973 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9a1960d6-630f-4f5b-b7dc-fa64a55092f7 | Urteilskopf
136 II 274
25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn gegen Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus, A. und B.X. sowie Steueramt des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_372/2009 vom 14. April 2010 | Regeste
Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d BGG (i.V.m.
Art. 73 Abs. 2 StHG
); Beschwerdebefugnis einer Gemeinde betreffend Entscheide über das Hauptsteuerdomizil eines Einwohners.
Die Beschwerdebefugnis einer Gemeinde gestützt auf
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
i.V.m.
Art. 73 Abs. 2 StHG
setzt in jedem Fall eine ausdrückliche materiellrechtliche Ermächtigung voraus. Wo eine kantonale Steuer Streitgegenstand bildet, ist für die Bejahung der Beschwerdebefugnis sodann erforderlich, dass der Gemeinde bei der Erhebung dieser Steuer besondere Kompetenzen bzw. ein eigener Anwendungsspielraum zukommt (E. 3).
Auf die allgemeine Legitimationsklausel von
Art. 89 Abs. 1 BGG
kann sich ein Gemeinwesen berufen, wenn es durch den angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen ist. Diese Voraussetzung darf nur restriktiv bejaht werden, wenn ein Gemeinwesen mit einer Beschwerde hoheitliche, insbesondere fiskalische Interessen durchsetzen will (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 275
BGE 136 II 274 S. 275
A.
Die Ehegatten A. und B.X. wohnten seit 1993 in einem Eigenheim in der Stadt Solothurn. Im Jahr 2006 erwarb B.X. in der Gemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus/SO zusätzlich eine geräumige Attikawohnung. In der Folge pendelten die Eheleute X. zwischen der Stadt Solothurn und dem rund anderthalb Kilometer entfernten Feldbrunnen-St. Niklaus hin und her. Ende 2006 deponierten die Eheleute X. auch ihre Schriften in Feldbrunnen-St. Niklaus. Der
BGE 136 II 274 S. 276
Freundes- und Bekanntenkreis sowie die Freizeitaktivitäten der Steuerpflichtigen änderten sich durch den Kauf der nahegelegenen Eigentumswohnung kaum.
Mit Verfügung vom 21. Mai 2007 erkannte das Kantonale Steueramt Solothurn, das Hauptsteuerdomizil für die Steuerperiode 2006 befinde sich in der Stadt Solothurn. Diese Verfügung blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.
Am 15. Februar 2008 verlangte die Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus die Feststellung, dass sich das Hauptsteuerdomizil der Eheleute X. für die Steuerperiode 2007 in ihrer Gemeinde befinde. Eventuell sei ein alternierender steuerrechtlicher Wohnsitz zwischen der Stadt Solothurn und ihrer Gemeinde anzunehmen. Mit Verfügung vom 14. Mai 2008 erkannte das kantonale Steueramt Solothurn indessen, das Hauptsteuerdomizil der Eheleute X. befinde sich auch für die Steuerperiode 2007 in der Stadt Solothurn.
B.
Gegen diese Verfügung erhob die Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus Einsprache, welche vom Kantonalen Steueramt am 22. September 2008 abgewiesen wurde. In der Folge rekurrierte die Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus beim Steuergericht des Kantons Solothurn. Dieses hiess den Rekurs mit Entscheid vom 23. März 2009 gut und erkannte betreffend die Steuerperiode 2007 auf ein alternierendes Steuerdomizil von A. und B.X.: Das Steuergericht schloss auf eine je hälftige Besteuerung durch die Stadt Solothurn und die Gemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus.
C.
Mit Eingabe vom 5. Juni 2009 führt die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Sie beantragt, es sei das Urteil des Steuergerichtes aufzuheben und festzustellen, dass sich das Hauptsteuerdomizil von A. und B.X. für die Steuerperiode 2007 in der Stadt Solothurn befand. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
sind Personen, Organisationen und Behörden zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten befugt, wenn ihnen ein Bundesgesetz dieses Recht einräumt.
BGE 136 II 274 S. 277
3.1
Gemäss Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) unterliegen kantonal letztinstanzliche Entscheide, die eine in den Titeln 2-5 und 6 Kapitel 1 dieses Gesetzes geregelte Materie betreffen, nach Massgabe des Bundesgerichtsgesetzes der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Die Beschwerdebefugnis steht gemäss
Art. 73 Abs. 2 StHG
den Steuerpflichtigen, der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde und der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu.
3.2
Gemäss § 249
bis
des Gesetzes des Kantons Solothurn vom 1. Dezember 1985 über die Staats- und Gemeindesteuern (StG/SO; BGS 614.11) sind für die Folgen des Beginns, der Änderung und des Endes der subjektiven Steuerpflicht für die Gemeindesteuern die Bestimmungen des StHG und die bundesrechtlichen Grundsätze über das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung sinngemäss anzuwenden. Die Steuerausscheidung zwischen verschiedenen solothurnischen Gemeinden wird auf der Grundlage der Staatssteuerveranlagung vorgenommen und richtet sich im Wesentlichen ebenfalls nach den Grundsätzen des Bundesrechts über das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung (
§ 250 StG
/SO).
3.3
Bei Fragen um die subjektive Steuerpflicht besteht sowohl im Allgemeinen als auch im vorliegenden, konkreten Fall zumindest ein formaler Bezug zum Doppelbesteuerungs- und zum Steuerharmonisierungsrecht. Überdies sind die Fragen bezüglich der subjektiven Steuerpflicht im zweiten Titel des Steuerharmonisierungsgesetzes geregelt und betreffen mithin einen harmonisierten Bereich. Aus diesen Gründen steht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in solchen Angelegenheiten die Beschwerde gemäss
Art. 73 StHG
offen (
BGE 134 I 303
E. 1.2 S. 305 f.) und es sind die in
Art. 73 Abs. 2 StHG
genannten Personen und Behörden zur Beschwerdeführung legitimiert. Abzuklären bleibt, ob die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn von dieser Bestimmung erfasst wird.
3.4
Damit eine Gemeinde nach
Art. 73 Abs. 2 StHG
zur Beschwerde befugt ist, bedarf es in jedem Fall einer ausdrücklichen materiellrechtlichen Ermächtigung (
BGE 131 II 753
E. 4.2 S. 757;
BGE 127 II 32
E. 2c S. 37). Im Weiteren fällt die Legitimation der Gemeinde bei einer kantonalen Steuer nur in Betracht, wenn der Gemeinde besondere Kompetenzen bzw. ein eigener Anwendungsspielraum zukommt
BGE 136 II 274 S. 278
(Urteil 2P.204/2006 vom 21. Mai 2007 E. 5.3, 6 und 7). Bejaht wurde dies etwa bei der Erhebung der kantonalen Grundstückgewinnsteuer durch die Gemeinde im Kanton Zürich (Urteil 2C_776/2009 vom 25. Februar 2010). Vorliegend fehlt es bereits an einer Ermächtigung im kantonalen Recht: Dieses räumt den beteiligten Gemeinden zwar namentlich die Befugnis ein, gegen Einspracheentscheide über die Veranlagung und gegen Entscheide der kantonalen Steuerbehörden über die Steuerausscheidung Rekurs beim kantonalen Steuergericht zu erheben (
§ 160 Abs. 1 und
§ 251 Abs. 3 StG
/SO). Zur Beschwerde an das Bundesgericht erklärt es aber (nebst dem Steuerpflichtigen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung) nur das Kantonale Steueramt als befugt (
§ 164
bis
StG
/SO). Die Beschwerdelegitimation der Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn gestützt auf
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
(i.V.m.
Art. 73 Abs. 2 StHG
) scheidet somit aus.
4.
Die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn beruft sich sodann auf die allgemeine Legitimationsklausel von
Art. 89 Abs. 1 BGG
, wonach zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt ist, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist und überdies ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat.
4.1
Die allgemeine Beschwerdebefugnis ist auf Privatpersonen zugeschnitten; sie bezweckt in erster Linie den Schutz des Bürgers gegen fehlerhafte Verwaltungsakte und nicht den Schutz des Gemeinwesens (
BGE 133 II 400
E. 2.4.2 S. 406 f.). Verwaltungsverbände (Bund, Kantone, Gemeinden etc.) sind deshalb vorab dann zur Beschwerde an das Bundesgericht ermächtigt, wenn sie sich auf eine der in
Art. 89 Abs. 2 lit. a-d BGG
umschriebenen besonderen Legitimationsklauseln berufen können (vgl. E. 3 hiervor;
BGE 134 II 45
E. 2 S. 46 ff.;
BGE 133 II 409
E. 1.3 S. 413 f.). Auf die allgemeine Beschwerdebefugnis von
Art. 89 Abs. 1 BGG
kann sich das Gemeinwesen zudem dann stützen, wenn es durch den angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen ist (
BGE 134 II 45
E. 2.2.1 S. 46 f;
BGE 133 II 400
E. 2.4.2 S. 406 f. mit Hinweisen). Das ist hier indessen nicht der Fall.
4.2
Unbestrittenermassen berührt der angefochtene Entscheid die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn in ihren fiskalischen
BGE 136 II 274 S. 279
Interessen. Jedoch handelt es sich hierbei nur um eine Betroffenheit in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträgerin.
Zwar kann ein Gemeinwesen in bestimmten Fällen auch in hoheitlichen Interessen derart berührt sein, dass die Rechtsprechung von einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 BGG
ausgeht (
BGE 134 II 45
E. 2.2.1 S. 46 f.; zur Heranziehung der früheren Praxis bei der Auslegung
BGE 133 II 400
E. 2.4.1 S. 405 f.): Bei Eingriffen in spezifische eigene Sachanliegen wird die Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens etwa dann bejaht, wenn ein Hoheitsakt wesentliche öffentliche Interessen in einem Politikbereich betrifft, der ihm zur Regelung zugewiesen ist (
BGE 135 II 12
E. 1.2 S. 15 f.). Bejaht wurde das schutzwürdige Interesse sodann bei wichtigen vermögensrechtlichen Interessen wie dem interkommunalen Finanzausgleich, der für den Handlungsspielraum einer Gemeinde von zentraler Bedeutung ist (
BGE 135 I 43
E. 1.3 S. 46 f.), bei namhaften Subventionsbeträgen (
BGE 122 II 382
E. 2b S. 383 f.), wenn das Gemeinwesen in seiner Funktion als lohnzahlungspflichtiger öffentlicher Arbeitgeber berührt ist (
BGE 124 II 409
E. 1e S. 417 f.) oder wenn das kantonale Recht der Gemeinde den gesamten Ertrag einer Spezialsteuer überlässt und ihr besondere Kompetenzen bei deren Erhebung zuweist, wie es in einigen Kantonen bei der Grundstückgewinnsteuer vorgesehen ist (Urteil 2P.204/2006 vom 21. Mai 2007 E. 6; vgl. im Übrigen die Beispielkataloge bei SEILER UND ANDERE, Bundesgerichtsgesetz, 2007, N. 35 f. zu
Art. 89 BGG
; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 43 f. zu
Art. 89 BGG
; WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 40 ff. zu
Art. 89 BGG
).
Generell gilt jedoch, dass Gemeinwesen, wenn sie die Durchsetzung hoheitlicher Anliegen anstreben, nur restriktiv gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von
Art. 89 Abs. 1 BGG
zur Beschwerdeführung zugelassen werden dürfen (
BGE 135 I 43
E. 1.3 S. 46 f.). Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung oder der Einbezug in das Verfahren als Mitbetroffener oder -adressat reicht hierfür nicht aus (
BGE 134 II 45
E. 2.2.1 S. 46 f. mit Hinweisen). Ebenso wenig genügt das blosse Interesse an der Optimierung des Steuerertrages, um der Gemeinde ein hinreichendes Schutzinteresse zuzugestehen (Urteil 2P.204/2006 vom 21. Mai 2007 E. 5.2 und 7): In Steuerangelegenheiten, insbesondere im harmonisierten Bereich der direkten Steuern, hat der Gesetzgeber bereits durch die
BGE 136 II 274 S. 280
Bezeichnung der beschwerdeberechtigten Behörden im Sinne von
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
dafür gesorgt, dass das Gemeinwesen den öffentlichen Interessen wenn nötig auf dem Beschwerdeweg Nachachtung verschaffen kann (vgl. E. 3 und 4.1 hiervor;
Art. 73 Abs. 2 StHG
und
Art. 146 DBG
[SR 642.11]). Das allgemeine Beschwerderecht des Gemeinwesens i.S. von
Art. 89 Abs. 1 BGG
erscheint daher in solchen Fällen entbehrlich und scheidet regelmässig aus. Eine generell restriktive Handhabung der Legitimationspraxis bezüglich des bloss in fiskalischen Interessen betroffenen Gemeinwesens drängt sich auch deshalb auf, weil jedermann, dem die Beschwerdeberechtigung vor Bundesgericht zusteht, bereits unterinstanzlich Gelegenheit zur Ausübung der Verfahrensrechte erhalten muss (
Art. 111 Abs. 1 BGG
; vgl. DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, N. 3045 f.): Wollte man jede Betroffenheit in fiskalischen Interessen genügen lassen, um die Beschwerdeberechtigung eines Gemeinwesens zu bejahen, würde dadurch der Verfahrensablauf vor den Vorinstanzen über Gebühr erschwert. Im Regelfall muss es deshalb in Fiskalsachen mit der Beschwerdeberechtigung der vom Bundesgesetzgeber als vertretungsbefugt bezeichneten Behörden (
Art. 89 Abs. 2 BGG
) sein Bewenden haben.
4.3
Vorliegend geht es in der Sache um die innerkantonale Festlegung des Steuerwohnsitzes der Pflichtigen und daran anknüpfend um die Steuerausscheidung zwischen zwei Gemeinden. Die dazu massgebenden Vorschriften finden sich nicht im kommunalen, sondern ausschliesslich im übergeordneten Recht. Den betroffenen Gemeinden steht keine Regelungsbefugnis zu. Sie sind durch den Entscheid bloss in fiskalischen Interessen betroffen, und zwar nicht etwa als Hauptadressat (Steuerpflichtiger) oder zentral, sondern als Mitadressaten (Interessierte). Gemäss den obenstehenden Erwägungen berührt der angefochtene Entscheid die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn in ihren hoheitlichen Interessen nicht so qualifiziert bzw. so intensiv, dass ihr das allgemeine Beschwerderecht gemäss
Art. 89 Abs. 1 BGG
zustehen würde. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9a1abd32-40c7-4029-8508-9d501c440e0e | Urteilskopf
114 Ia 139
22. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 16 mars 1988 dans la cause R. contre Société X. et Cour suprême du canton de Berne (recours de droit public) | Regeste
Art. 58 Abs. 1 BV
,
art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Personelle Trennung von Überweisungsrichter und erkennendem Strafrichter im Berner Strafverfahren.
Dürfen im Appellationsverfahren dieselben Richter des Obergerichtsamten, die bereits am Entscheid der Anklagekammer über die Überweisung hinsichtlich derjenigen Anklagepunkte mitgewirkt haben, in denen sich Untersuchungsrichter und Generalprokurator nicht haben einigen können? Im konkreten Fall keine Verletzung von
Art. 58 Abs. 1 BV
und 6 Ziff. 1 EMRK (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 114 Ia 139 S. 139
Par ordonnance du 19 décembre 1984, le Juge d'instruction du district de Moutier a prononcé la clôture de l'instruction ouverte contre R.; il a proposé au Ministère public de renvoyer l'intéressé devant le Tribunal du district sous l'accusation d'escroquerie et de gestion déloyale, et de clore la procédure pour le surplus. Le Procureur suppléant du canton de Berne a considéré que
BGE 114 Ia 139 S. 140
l'escroquerie n'entrait pas en considération et que l'affaire devait être classée sur ce point. Le Juge d'instruction ayant maintenu son point de vue, l'affaire a été transmise à la Chambre d'accusation de la Cour suprême du canton de Berne.
Cette juridiction a prononcé que R. devait être renvoyé devant le Tribunal de district pour y être jugé non pour escroquerie, mais pour abus de confiance. Conformément à cet arrêt, le Juge d'instruction et le Procureur ont rendu conjointement une ordonnance de renvoi retenant l'abus de confiance et la gestion déloyale.
Le Tribunal du district de Moutier a reconnu l'accusé coupable relativement à certains actes constitutifs de gestion déloyale et l'a acquitté des autres charges retenues contre lui, notamment de celles qualifiées d'abus de confiance. R. a néanmoins appelé du jugement. L'appel devait être jugé par-devant la Ire Chambre pénale de la Cour suprême. La composition de cette section étant identique à celle de la Chambre d'accusation, R. a demandé la récusation de tous ses membres au motif qu'il était inadmissible, au regard des art. 58 al. 1 Cst. et 6 ch. 1 CEDH, que les juges qui avaient participé à l'arrêt de renvoi se prononcent ensuite sur l'action pénale en instance d'appel. Le plénum de la Cour suprême a rejeté la demande de récusation.
Agissant par la voie du recours de droit public, R. a demandé au Tribunal fédéral d'annuler cette décision pour violation des art. 58 al. 1 Cst. et 6 ch. 1 CEDH. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Les développements qui précédent montrent que la thèse défendue par le recourant a influencé certains droits positifs mais ne correspond pas à un principe généralement appliqué. Par ailleurs, la pratique du Tribunal fédéral et des autorités de Strasbourg confirme que l'impartialité des juges contestés par le recourant doit s'apprécier notamment en fonction de la nature procédurale de leur première intervention dans l'affaire, ainsi que des questions qui devaient alors être résolues. Un examen du droit cantonal applicable est donc nécessaire.
Au moment où le Juge d'instruction estime que l'enquête est complète, il en prononce la clôture (art. 183 CPP bern.). Dans les cas passibles de la réclusion à vie ou de réclusion à durée minimale
BGE 114 Ia 139 S. 141
déterminée, il transmet l'affaire à la Chambre d'accusation (art. 192 CPP bern.). Dans les autres cas, il la transmet au Ministère public avec une proposition d'abandon de la poursuite ou de renvoi en jugement (art. 184 CPP bern.). Il propose un renvoi en jugement si les charges relevées lui paraissent suffisantes pour rendre le prévenu suspect d'une action punissable (art. 184 al. 3 CPP bern.). Si le Procureur adhère à la proposition, celle-ci a les effets d'une ordonnance (art. 185 al. 1 CPP bern.). L'ordonnance de renvoi doit être communiquée à l'accusé (art. 186 al. 1 CPP bern.); elle doit indiquer notamment les faits mis à sa charge, en indiquant aussi exactement que possible le temps et le lieu de l'infraction et la partie lésée, ainsi que les dispositions visées de la loi pénale (art. 206 al. 1 ch. 2 et 3 CPP bern.). Elle n'est pas susceptible de recours (art. 191 al. 1 CPP bern.).
Si le Procureur n'adhère pas à la proposition du Juge d'instruction et que les deux magistrats ne puissent s'entendre, le Juge d'instruction saisit la Chambre d'accusation (art. 185 al. 2 CPP bern.). Cette autorité peut ordonner un complément d'enquête (art. 193 al. 1, 196 CPP bern.); le cas échéant, elle prononce elle-même le renvoi. Elle doit trancher uniquement les points sur lesquels le Juge d'instruction et le Ministère public n'ont pas pu aboutir à un accord; elle peut se rallier à l'une ou à l'autre de leurs positions ou encore retenir une autre solution (WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, ch. 1 ad art. 185 CPP bern.; JAEGGI, Das Überweisungsverfahren im bernischen Strafprozess, thèse Berne 1935, p. 35). Sur les points litigieux, elle peut ordonner un non-lieu ou donner des directives dans ce sens si elle estime que les conditions d'un renvoi ne sont pas réalisées. Au lieu de renvoyer la cause au tribunal qui est compétent en fonction des peines prévues par la loi pénale, elle peut désigner un tribunal habilité à juger des infractions moins graves si les circonstances permettent d'admettre que seule une peine entrant dans la compétence de ce tribunal entre en considération; elle peut, à cet égard, tenir compte des faits propres à atténuer la culpabilité ou la peine (art. 208 al. 1 CPP bern.; cf. WAIBLINGER, op.cit., ch. 1 ad art. 208 CPP bern.; PIQUEREZ, Traité de procédure pénale bernoise et jurassienne, t. I, p. 42 ss). La Chambre d'accusation siège à huis clos (art. 194 al. 1 CPP bern.).
En l'espèce, après la clôture de l'instruction, le Juge d'instruction et le Procureur suppléant ont été d'avis divergent quant au renvoi de R. pour escroquerie, tandis qu'ils admettaient
BGE 114 Ia 139 S. 142
tous deux que les charges relevées rendaient le prévenu suspect de gestion déloyale. La Chambre d'accusation devait seulement, dans ces conditions, examiner et trancher l'objet du désaccord, soit la question de l'escroquerie. Elle s'est prononcée sur ce point en retenant une autre qualification juridique des faits. En revanche, elle n'avait pas à examiner si le soupçon de gestion déloyale était justifié ou non et elle n'a pas pris position sur cet élément de l'affaire. Elle l'a certes mentionné, mais seulement pour préciser qu'il n'était pas litigieux et que le renvoi pour gestion déloyale était en fait déjà décidé; le dispositif de son arrêt ne se rapporte qu'à l'abus de confiance.
Le Tribunal de district a acquitté R. de l'accusation d'abus de confiance retenue par la Chambre d'accusation. Il en résulte que la Cour suprême ne doit se prononcer que sur la gestion déloyale et sur les frais du procès, questions que la Chambre d'accusation n'a précisément pas eu à examiner. Les points tranchés ou à trancher par ces deux organes sont donc tout à fait différents; ils ne sont ni interdépendants ni étroitement analogues. L'issue de la procédure d'appel apparaît aussi incertaine, et non prédéterminée par le résultat de la procédure de renvoi. Le prononcé rendu dans le cadre de cette procédure-ci ne se présente pas comme une circonstance qui, d'un point de vue objectif, donne aux juges de la Première Chambre pénale l'apparence de la prévention. A la différence du juge en cause dans l'affaire Ben Yaacoub (rapport de la Commission européenne des droits de l'homme du 7 mai 1985; Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, série A, vol. 127), ils ne statueront pas sur le bien-fondé d'une accusation qu'ils ont eux-mêmes retenue à un stade antérieur du procès. Ils trancheront certes un litige opposant les mêmes parties, mais dont l'objet est différent. Cette situation n'est pas contraire aux art. 58 al. 1 Cst. et 6 ch. 1 CEDH, de sorte que le plénum de la Cour suprême a pu rejeter la demande de récusation présentée par le recourant sans violer ces garanties constitutionnelles. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
9a231a11-7263-4c5b-b189-65185be7475b | Urteilskopf
108 V 215
46. Auszug aus dem Urteil vom 17. November 1982 i.S. Meier gegen Ausgleichskasse "Versicherung" und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 5 Abs. 1 VwVG
.
Die Fristansetzung zur Vornahme einer als zumutbar erachteten Selbsteingliederungsmassnahme verbunden mit der Androhung der Säumnisfolgen nach
Art. 31 IVG
stellt keine anfechtbare Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
dar. | Sachverhalt
ab Seite 215
BGE 108 V 215 S. 215
Gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten teilte die Ausgleichskasse "Versicherung" der Versicherten mit Schreiben vom 5. August 1980 folgendes mit:
"Die Erwerbsfähigkeit kann durch intensive Psychotherapie wesentlich verbessert werden. Die Versicherte wird daher verpflichtet, sich einer solchen zumutbaren medizinischen Vorkehr zu unterziehen. Diese Behandlungskosten gehen aber nicht zu Lasten der Invalidenversicherung.
Sollte sich die Versicherte nicht einer solchen Behandlung unterziehen, müsste die Invalidenversicherungs-Kommission prüfen, ob auf Grund von
Art. 31 IVG
die Rente zu entziehen wäre. Die Versicherte hat den behandelnden Psychiater unverzüglich dem Invalidenversicherungs-Sekretariat Zürich, Josefstrasse 59, Zürich, bekanntzugeben." Dieses Schreiben war als "Verfügung" bezeichnet und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.
BGE 108 V 215 S. 216
Nach Abweisung ihrer Beschwerde durch die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich erhebt die Versicherte Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei von der angeordneten Behandlung abzusehen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
b) Zu prüfen ist, ob es sich beim Verwaltungsakt vom 5. August 1980 um eine anfechtbare Verfügung handelt.
Bei der Eingliederung ist zu unterscheiden zwischen den von der Invalidenversicherung "angeordneten" Eingliederungsmassnahmen (
Art. 8 ff. IVG
) und der blossen Aufforderung zur Selbsteingliederung. Im ersteren Fall handelt es sich um Anordnungen der Behörden im Sinne von
Art. 5 VwVG
. Der Versicherte hat die Möglichkeit, sich gegen die Anordnung der Massnahme zu beschweren. Anders verhält es sich bezüglich der Selbsteingliederung.
Art. 31 IVG
enthält nur die Pflicht der Ausgleichskasse zur "Aufforderung" an den Versicherten, sich selbst einzugliedern, sowie zur "Androhung" der Rentenverweigerung oder des Rentenentzuges. Weil mit dieser Aufforderung keine konkrete Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung angeordnet, sondern lediglich eine vom Gesetz verlangte formelle Voraussetzung zur Rentenverweigerung oder zum Rentenentzug geschaffen wird, handelt es sich bei dieser "Aufforderung" nicht um eine verpflichtende Verfügung gemäss
Art. 5 Abs. 1 lit. a VwVG
. Anderseits liegt aber auch keine zulässige Feststellungsverfügung im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
vor, weil "Aufforderung" und "Androhung" keinen individualisierten Gehalt besitzen, sondern lediglich auf eine generelle gesetzliche Pflicht (Selbsteingliederung) und die generelle Folge einer entsprechenden Pflichtverletzung (Rentenverweigerung bzw. -entzug) hinweisen.
Zu einer anfechtbaren Verfügung wird es erst kommen, falls die Ausgleichskasse eine Verletzung der Pflicht zur Selbsteingliederung feststellen und androhungsgemäss im Sinne von
Art. 31 IVG
die Rente entziehen sollte.
Nach dem Gesagten hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde nicht eintreten dürfen mangels Vorliegens einer anfechtbaren Verfügung. Andererseits hat aber die Mahnung als solche weiterhin als Voraussetzung für einen allfälligen Rentenentzug oder eine Rentenherabsetzung Bestand. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
9a26e798-c018-45c2-af2e-2afe35f39a18 | Urteilskopf
111 II 81
19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. März 1985 i.S. X. SA gegen A., B., C. und D. (Berufung) | Regeste
Art. 756 Abs. 2 OR
und
Art. 260 SchKG
. Tragweite der Abtretung für die Aktivlegitimation im Verantwortlichkeitsprozess.
Dem im Konkurs rechtskräftig kollozierten Gesellschaftsgläubiger, der sich von der Konkursmasse das Klagerecht der Gesellschaft hat abtreten lassen, kann das auf Verantwortlichkeitsansprüche belangte Gesellschaftsorgan nicht entgegenhalten, die Kollokation sei zu Unrecht erfolgt. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 111 II 81 S. 81
A.-
Über die Intertest AG wurde am 27. April 1981 der Konkurs eröffnet. Die X. SA wurde gemäss Verfügung des Konkursamtes vom 16. Januar 1982 als Gläubigerin im 5. Rang mit einer Forderung von Fr. 201'000.-- kolloziert. Sie hatte sich diese Forderung am 9. November 1981 von einem Dritten abtreten lassen, der im November 1980 der Intertest AG ein Darlehen in der gleichen Höhe gewährt hatte, um der Gesellschaft eine Kapitalerhöhung und die Liberierung neuer Aktien zu ermöglichen.
Die X. SA verlangte von der Konkursverwaltung, dass ihr nach
Art. 260 SchKG
die "Schaden- und Verantwortlichkeitsansprüche gegen alle mit der Gründung, Verwaltung, Geschäftsführung oder Kontrolle betrauten Personen gemäss
Art. 753 ff. OR
" abgetreten werden; sie wollte diese Ansprüche anstelle der Masse geltend machen. Ihrem Gesuch wurde am 8. Juni 1982 entsprochen.
BGE 111 II 81 S. 82
B.-
Am 8. April 1983 klagte die X. SA beim Appellationshof des Kantons Bern gegen A., B., C. und D., welche stets oder zeitweise dem Verwaltungsrat der Intertest AG angehört hatten. Sie begehrte, dass die Beklagten solidarisch zu verpflichten seien, ihr einen richterlich zu bestimmenden Betrag von über Fr. 15'000.-- nebst Zins zu bezahlen.
Der Appellationshof beschränkte das Hauptverfahren auf vier Vorfragen. Dazu gehörte insbesondere die Einrede eines Beklagten, dass die Forderung der Klägerin zu Unrecht kolloziert worden sei, weshalb die Abtretung der eingeklagten Ansprüche durch die Konkursverwaltung als nichtig anzusehen und die Aktivlegitimation der Klägerin zu verneinen sei. Am 31. Januar 1984 wies der Appellationshof die Klage ab, weil die Klägerin nicht aktivlegitimiert sei.
C.-
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben, ihre Aktivlegitimation zu bejahen und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gegenstand der Klage sind Verantwortlichkeitsansprüche, welche die Klägerin als Gläubigerin und Aktionärin der Intertest AG aus
Art. 754 OR
gegen die beklagten Verwaltungsratsmitglieder der Gesellschaft ableitet. Sie macht ausschliesslich Schaden geltend, der durch pflichtwidriges Verhalten der Beklagten der Gesellschaft zugeführt worden sei. Die Klägerin hält sich selber zu Recht bloss für mittelbar geschädigt. Dass sie in anderem Zusammenhang behauptet, ihre Konkursforderung sei ein Schadenersatzanspruch, weil der Verwaltungsrat der Gesellschaft mit gefälschten Unterlagen ein Darlehen von Fr. 201'000.-- erwirkt habe, ändert daran nichts.
Im Konkurs der Aktiengesellschaft steht das Prozessführungsrecht zunächst der Konkursverwaltung zu; sie kann nach
Art. 756 Abs. 1 OR
nicht nur die Ansprüche der Gesellschaft geltend machen, sondern auch auf Ersatz des mittelbaren Schadens klagen, der den Aktionären oder Gläubigern durch die Schädigung der Gesellschaft verursacht worden ist. Verzichtet die Konkursverwaltung aber darauf, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, so darf jeder Aktionär und Gläubiger gemäss
Art. 756 Abs. 2 OR
die Abtretung verlangen (
BGE 97 II 409
,
BGE 86 III 160
E. 3). Einem
BGE 111 II 81 S. 83
solchen Verlangen hat die Konkursverwaltung hier am 8. Juni 1982 mit dem Hinweis entsprochen, dass die Klägerin im Konkurs der Intertest AG mit einer Forderung von Fr. 201'000.-- im 5. Rang als Gläubigerin zugelassen worden sei.
3.
Der Kollokationsplan ist von keiner Seite gemäss
Art. 250 SchKG
angefochten worden und in Rechtskraft erwachsen. Der Appellationshof hält aber die Kollokation der Forderung von Fr. 201'000.-- für offensichtlich ungerechtfertigt und den Zivilrichter für berechtigt, vorfrageweise darauf zurückzukommen, weil das Prozessführungsrecht als Nebenrecht der Konkursforderung mit der Abtretung auf den Gläubiger übergehe und das Schicksal dieser Forderung teile; es müsse verhindert werden, dass eine Forderung, die gar nicht bestehe, wegen falscher Kollokation bezahlt werden müsse.
a) Die Abtretung von Rechtsansprüchen gemäss
Art. 260 SchKG
unterscheidet sich vom gleichnamigen Institut der
Art. 164 ff. OR
dadurch, dass sie sich inhaltlich in einem Prozessführungsrecht erschöpft. Die abgetretenen Ansprüche gehören auch nach der Abtretung zur Konkursmasse. Der Gläubiger wird durch die Abtretung lediglich ermächtigt, die streitigen Ansprüche anstelle der Masse, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr geltend zu machen (
BGE 109 III 29
mit Zitaten). Er kann sich nach aussen auf diese Ermächtigung berufen und braucht sich von Dritten nur Einreden entgegenhalten zu lassen, die ihnen gegenüber der Konkursmasse zustehen (
BGE 106 II 145
mit Hinweisen).
Die Abtretung gemäss
Art. 260 SchKG
dient der Feststellung von streitigen Aktiven, der Kollokationsplan dagegen der Bereinigung von Passiven der Konkursmasse; die entsprechenden Verfahren sind auseinanderzuhalten, weshalb es insbesondere nicht angeht, dass derjenige, der von einem Gläubiger aufgrund einer Abtretung belangt wird, nachträglich die bereits in Rechtskraft erwachsene Kollokation des klagenden Gläubigers wieder in Frage stellen kann. Ein Konkursgläubiger darf eine Abtretung zwar selbst dann verlangen, wenn seine Konkursforderung angefochten ist, namentlich in bezug auf ihre Höhe oder ihren Rang; die Abtretung bleibt aber so lange bedingt, als die Forderung nicht endgültig kolloziert ist, weil das Prozessführungsrecht im Sinne von
Art. 170 OR
als Nebenrecht der Konkursforderung zu verstehen ist und vom Schicksal dieser Forderung abhängt (
BGE 109 III 29
). Das heisst nicht, dass im Abtretungsprozess sich auch die
BGE 111 II 81 S. 84
Gegenpartei auf dieses Nebenrecht berufen könne, um eine kollozierte Forderung und damit die Gültigkeit der Abtretung zu bestreiten. Das Recht, den Kollokationsplan anzufechten, ist gemäss
Art. 249 und 250 SchKG
vielmehr den Konkursgläubigern vorbehalten; einem Drittschuldner steht es nur zu, wenn er zugleich Gläubiger ist und im Konkurs als solcher auftritt (
BGE 103 III 50
/51).
Die Rechtsprechung hat freilich zugelassen, dass auf einen rechtskräftigen Kollokationsplan zurückgekommen werden darf. Das gilt insbesondere, wenn sich herausstellt, dass eine Forderung offensichtlich zu Unrecht kolloziert oder nicht kolloziert worden ist, ein Rechtsverhältnis sich seit der Kollokation geändert hat oder neue Tatsachen eine Revision rechtfertigen (
BGE 106 III 46
E. 4,
BGE 102 III 159
E. 3,
BGE 98 III 70
,
BGE 96 III 79
,
BGE 88 III 131
,
BGE 87 III 84
). Auch eine nachträgliche Änderung des Kollokationsplanes hat indes keine über den Konkurs hinausgehenden Rechtswirkungen, weil es im Kollokationsverfahren nicht um den Bestand oder Nichtbestand einer Forderung, sondern bloss um die Frage geht, inwieweit angemeldete Gläubigeransprüche bei der Verteilung der Aktivmasse zu berücksichtigen sind (
BGE 98 II 318
E. 4). Ein Dritter hat darauf keinen Einfluss; ist er Schuldner der Konkursmasse, so kann er sich daher seiner Verpflichtung gegenüber der Masse nicht mit dem Einwand entziehen, dass er von einem Nichtberechtigten belangt werde, weil dessen Konkursforderung zu Unrecht kolloziert worden sei.
b) In einem nicht veröffentlichten Urteil vom 7. Juli 1982 i.S. C. gegen C. hat die I. Zivilabteilung allerdings beiläufig angenommen, dass der Bestand einer kollozierten Forderung in einem Abtretungsprozess nachgeprüft werden dürfe. In andern Fällen ist das Bundesgericht dagegen stets davon ausgegangen, dass der Beklagte in einem solchen Prozess seine Schuldpflicht gegenüber der Masse nicht mit Einwänden gegen den Kollokationsplan bestreiten kann, weil sich daraus ergebe, wer Konkursgläubiger sei, und zwar mit welchem Betrag, in welchem Rang und mit welchen Vorzugsrechten (
BGE 98 II 318
E. 4,
BGE 65 III 30
E. 1). Mit dem Kollokationsplan stehe auch fest, wer überhaupt die Abtretung eines Prozessführungsrechts nach
Art. 260 SchKG
oder
Art. 756 Abs. 2 OR
verlangen könne, denn das Recht auf Abtretung folge aus der Stellung des Gläubigers im Konkurs und bestehe unabhängig davon, ob eine Forderung zu Recht kolloziert worden sei oder nicht; es gehe daher nicht an, den Bestand der Forderung gegen
BGE 111 II 81 S. 85
die Konkursmasse im Abtretungsprozess nachprüfen zu wollen (
BGE 55 III 65
E. 2; nicht veröffentlichte Urteile vom 5. Mai 1960 i.S. I. gegen B., vom 31. März 1977 i.S. I. gegen W. (ZR 78/1979 S. 187 ff.) und vom 14. März 1978 i.S. R. gegen S.). Aus
BGE 103 III 49
/50, wo die Kläger sich über den rechtskräftigen Kollokationsplan hinwegzusetzen suchten, ergibt sich nichts anderes; sie mussten sich entgegenhalten lassen, dass sie den Plan im Kollokationsverfahren nicht angefochten hatten.
Die Auffassung des Appellationshofes, wonach der Richter die Einrede des Beklagten, dass die zugunsten des Klägers kollozierte Forderung in Wirklichkeit nicht bestehe, im Abtretungsprozess berücksichtigen dürfe, überzeugt schon deshalb nicht, weil ein solcher Prozess bloss eine besondere Möglichkeit ist, der Konkursmasse zu Aktiven zu verhelfen, die zwar bestritten sind, aber zur Masse gehören. Dass das Ergebnis in erster Linie dem Kläger zugute kommt, der das Risiko der Prozessführung übernommen hat (
Art. 260 Abs. 2 SchKG
), ändert daran nichts. Die Abtretungsverfügung der Konkursverwaltung auf ihre Gültigkeit hin zu prüfen, ist zudem Sache der Aufsichtsbehörden, nicht des Richters; dieser hat bloss festzustellen, dass die Legitimation des Klägers, der nicht persönliche, sondern Rechtsansprüche der Masse geltend macht, sich aus einer solchen Verfügung (Formular Nr. 7) ergibt (M. BRIDEL, Contribution à l'étude de l'art. 260 LP, in JdT 87/1939 II 98, insbes. S. 120 ff.). Sind die Parteien mit Einwänden gegen den rechtskräftigen Kollokationsplan nicht zu hören, so fragt sich im Abtretungsprozess auch nicht, wer den Bestand oder Nichtbestand einer kollozierten Forderung zu beweisen habe.
Wer gestützt auf
Art. 269 Abs. 3 SchKG
belangt wird, kann zwar die Aktivlegitimation des Klägers bestreiten. Aber selbst diesfalls ist der Beklagte mit Kritik am Kollokationsplan ausgeschlossen; er kann bloss einwenden, der abgetretene Rechtsanspruch stelle kein Vermögensstück dar, das erst nach Konkursschluss entdeckt worden und der Konkursverwaltung vorher unbekannt geblieben sei, weshalb das Konkursamt darüber zu Unrecht verfügt habe (
BGE 90 III 45
,
BGE 74 III 74
,
BGE 73 III 156
). Trifft der Einwand zu, so ist der Abtretung die Grundlage entzogen, die Aktivlegitimation des Klägers folglich zu verneinen; geht er dagegen fehl, so bleibt es bei der aufgezeigten Rechtslage gemäss
Art. 260 SchKG
.
c) Entgegen der Annahme des Appellationshofes muss sich somit ein Konkursgläubiger, dem im Konkurs einer Aktiengesellschaft
BGE 111 II 81 S. 86
Verantwortlichkeitsansprüche im Sinne von
Art. 756 Abs. 2 OR
und
Art. 260 SchKG
abgetreten worden sind, in dem von ihm angehobenen Prozess nicht entgegenhalten lassen, seine Konkursforderung sei zu Unrecht kolloziert worden und es fehle ihm aus diesem Grunde die Aktivlegitimation. Die II. Zivilabteilung hat sich dieser Auffassung angeschlossen (
Art. 16 OG
).
Die Klägerin hat ihre Legitimation mit der Abtretungsverfügung belegt, die ihr von der Konkursverwaltung am 8. Juni 1982 ausgestellt worden und unangefochten geblieben ist. Ein weiterer Beweis für ihre Klageberechtigung darf nicht verlangt werden, da sie nach dem rechtskräftigen Kollokationsplan mit einer Forderung von Fr. 201'000.-- zugelassen worden ist und sich selber als Gläubigerin der Intertest AG bloss für mittelbar geschädigt hält; sie macht ausschliesslich Ersatzansprüche geltend, die ihr von der Konkursmasse abgetreten worden sind und angeblich auf einer direkten Schädigung der Intertest AG durch die Beklagten beruhen.
Das angefochtene Urteil ist daher gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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