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8f037878-6718-47e0-9a01-f25ad7205326 | Urteilskopf
108 Ib 389
68. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. November 1982 i.S. Küng AG gegen den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein (verwaltungsrechtliche Klage) | Regeste
Eintretensfrage; Art. 19 Verantwortlichkeitsgesetz.
Das Bundesgericht kann im verwaltungsrechtlichen Klageverfahren nur dann auf eine gegen den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein gerichtete Schadenersatzklage eintreten, wenn der Verein den behaupteten Schaden in Ausübung einer ihm übertragenen öffentlichrechtlichen Aufgabe zufügte. | Sachverhalt
ab Seite 389
BGE 108 Ib 389 S. 389
Die Küng AG mit Sitz in Horgen lieferte der VITA-Versicherungsgesellschaft für deren neues Verwaltungsgebäude an der Austrasse 46 in Zürich Saunaöfen, Temperatur-Steuergeräte und Temperatur-Begrenzer. Inspektor Iseli, Angestellter des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins (SEV), glaubte bei der Abnahmekontrolle der von der Küng AG gelieferten Apparate verschiedene Mängel festgestellt zu haben. Nach Angaben der Küng AG beruhen die angeblichen Mängel aber auf "Falschmessungen" Iselis; anderseits habe Iseli die angeblichen Mängel unbefugtermassen der VITA-Versicherungsgesellschaft mitgeteilt. Da
BGE 108 Ib 389 S. 390
die Küng AG auf Drängen der Bauherrschaft in der Folge die Anlagen habe auswechseln müssen, sei ihr ein Schaden von Fr. 3'076.55 entstanden, für den der SEV einzustehen habe.
Mit verwaltungsrechtlicher Klage vom 29. September 1981 gegen den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein beantragt die Küng AG dem Bundesgericht:
"Es sei der Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Fr. 3'076.55 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1981 zu bezahlen, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beklagten."
Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Art. 19 des BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (Verantwortlichkeitsgesetz; VG; SR 170.32). Auf die einzelnen Vorbringen der Klägerin wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Der Schweizerische Elektrotechnische Verein beantragt, es sei auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 116 lit. k OG
beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz Klagen in Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über "andere Angelegenheiten", soweit ein Bundesgesetz die verwaltungsrechtliche Klage vorsieht. Obwohl
Art. 10 VG
die verwaltungsrechtliche Klage für die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Schädigungen eines Organes oder eines Angestellten einer mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betrauten und ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehenden Organisation im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 VG
nicht vorsieht, geht die Praxis des Bundesgerichtes dennoch in Ausfüllung einer Gesetzeslücke davon aus, dass diese Ansprüche mit verwaltungsrechtlicher Klage beim Bundesgericht geltend zu machen sind (
BGE 94 I 637
E. 1); nach
Art. 19 Abs. 1 VG
haftet die Organisation und subsidiär der Bund dem Dritten für den ihm von einem Organ oder Angestellten der Organisation widerrechtlich zugefügten Schaden jedoch nur dann, wenn dies in Ausübung der der Organisation übertragenen öffentlichrechtlichen Aufgaben geschah. Nur wenn auch diese letztere Voraussetzung gegeben ist, vermag das Bundesgericht auf die verwaltungsrechtliche Klage einzutreten. Zu prüfen ist daher zunächst, ob der behauptete Schaden der Klägerin in Ausübung einer dem Schweizerischen Elektrotechnischen Verein übertragenen öffentlichrechtlichen Aufgabe zugefügt wurde.
BGE 108 Ib 389 S. 391
2.
Inspektor Iseli hat im Verwaltungsgebäude der VITA-Versicherungsgesellschaft eine Hausinstallationskontrolle durchgeführt, die auch von fachkundigen Privatpersonen hätte vorgenommen werden können. Tatsächlich ist die gemäss Art. 123 Abs. 1 der VO über die Erstellung, den Betrieb und den Unterhalt von elektrischen Stromanlagen vom 7. Juli 1933 (Starkstromverordnung; StV; SR 734.2) nach Vollendung der Hausinstallation vorzunehmende Kontrolle nicht vom Eidgenössischen Starkstrominspektorat vorzunehmen, welches eine öffentlichrechtliche Organisation ist und amtliche Funktionen ausübt, sondern vom "Betriebsinhaber der elektrischen Anlage, an welche die Hausinstallation angeschlossen ist" (Art. 26 BG betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen vom 24. Juni 1902; ElG; SR 734.0 in Verbindung mit
Art. 123 Abs. 2 StV
). Die Kontrolle hat der Betriebsinhaber mit Personen zu bewerkstelligen, die an der Errichtung der zu kontrollierenden Hausinstallation nicht beteiligt waren (
Art. 123 Abs. 3 StV
: Grundsatz, dass niemand sich selber kontrollieren soll), die fachkundig sind (
Art. 120ter StV
) oder eine Kontrolleurprüfung beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat bestanden haben. Letzteres führt lediglich die Oberaufsicht über die Kontrolle der Hausinstallationen (
Art. 123 Abs. 5 StV
); ihm gegenüber hat sich der kontrollpflichtige Betriebsinhaber über die Vornahme der Kontrolle auszuweisen (
Art. 26 ElG
,
Art. 123 Abs. 2 StV
). Art. 21 der VO über die Hausinstallationskontrolle vom 9. September 1975 (SR 734.221) präzisiert denn auch unter dem Randtitel "Kontrollbefugnis/Recht der Ausübung", dass die Kontrolle nur Fachleuten übertragen werden dürfe, welche die nötige Sachkunde aufwiesen, einen Ausweis des Eidgenössischen Starkstrominspektorats über die bestandene Kontrolleurprüfung besitzen oder schon vor dem 1. Januar 1950 vom Starkstrominspektorat anerkannte Hausinstallationen durchführten. Wesentlich ist somit die Fachkunde des Kontrolleurs; von vorliegend nicht zutreffenden Fällen abgesehen ist aber nicht vorgeschrieben, dass die Hausinstallationskontrolle nur durch Funktionäre einer mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Organisation durchgeführt werden können. So hat denn auch der Schweizerische Elektrotechnische Verein den Auftrag zur Durchführung der Abnahmekontrolle der Hausinstallationen im Verwaltungsgebäude der VITA-Versicherungsgesellschaft nicht in seiner Funktion als Inhaber des Eidgenössischen Starkstrominspektorates übernommen, sondern im Rahmen
BGE 108 Ib 389 S. 392
eines privatrechtlichen Vertrages: denn der Verein betreibt neben dem Eidgenössischen Starkstrominspektorat mit seinem öffentlichrechtlichen Charakter noch ein eigenes Starkstrominspektorat als technische Prüfanstalt im Sinne von Art. 2 Ziffer 3 und 19 Ziffer 1 der Vereinsstatuten und führt im Rahmen dieses vereinseigenen Inspektorats private Kontrollarbeiten aus.
Somit können die von der Klägerin im Zusammenhang mit der strittigen Hausinstallationskontrolle gegen den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein geltend gemachten Ansprüche nicht gestützt auf dessen Eigenschaft als Träger des Eidgenössischen Starkstrominspektorates, sondern - wenn überhaupt - nur gegen den Elektrotechnischen Verein als private Kontrollfirma durchgesetzt werden. Damit entfällt aber die Zuständigkeit des Bundesgerichts für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruches im verwaltungsrechtlichen Klageverfahren (vgl. dazu auch
BGE 94 I 638
ff.). Der Anspruch ist vielmehr beim zuständigen Zivilrichter geltend zu machen.
Auf die Klage ist somit nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f04a4e0-a7e4-4e7e-a47a-e25d239edeb9 | Urteilskopf
140 V 213
29. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen Stiftung Auffangeinrichtung BVG und Personalvorsorge X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_799/2013 vom 17. April 2014 | Regeste
Art. 41 Abs. 1 BVG
(in der seit 1. Januar 2005 gültigen Fassung); Verjährung von Invalidenleistungen.
Unter Versicherungsfall im Sinne des Nachsatzes in
Art. 41 Abs. 1 BVG
ist in Bezug auf Invalidenleistungen der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (
Art. 23 BVG
), zu verstehen (E. 4.4.2). | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 140 V 213 S. 214
A.
K. arbeitete (erneut) vom 1. Juli 1995 bis 31. Oktober 1998 bei der Firma B. AG. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses war sie bei der Personalvorsorge X. versichert. Vom 1. November 1998 bis 10. Januar 2000 bezog K. Taggelder der Arbeitslosenversicherung (Rahmenfrist vom 1. November 1998 bis 31. Oktober 2000). Damit war sie bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG vorsorgeversichert. Mit Verfügung vom 3. April 2001 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich K. mit Wirkung ab 1. Oktober 2000 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Als Folge des Hinschieds des Ehemannes wurde die Rente bei unverändertem Invaliditätsgrad ab 1. Dezember 2010 auf eine ganze Rente erhöht. Sowohl die Stiftung Auffangeinrichtung BVG, als auch die Personalvorsorge X. lehnten die Ausrichtung von Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge ab.
B.
Am 29. September 2011 erhob K. Klage gegen die Stiftung Auffangeinrichtung BVG mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr die BVG-Renten nach Massgabe von Gesetz und Statuten im Umfang von 50 % ab Beginn der IV-Rente und zu 100 % ab 1. Dezember 2010 zu bezahlen sowie die Prämienbefreiung nach Massgabe der 50%igen und ab 1. Dezember 2010 der 100%igen Arbeitsunfähigkeit zu gewähren. Nach Durchführung des Schriftenwechsels und Beiladung der Personalvorsorge X. zum Prozess wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. September 2013 die Klage infolge Anspruchsverjährung ab.
C.
K. hat Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht, mit welcher sie die Begehren in der Klage vom 29. September 2011 erneuert und um unentgeltliche Rechtspflege ersucht.
Die Personalvorsorge X. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, eventualiter insofern teilweise gutzuheissen, als die Stiftung Auffangeinrichtung BVG zu verpflichten sei, K. eine halbe Invalidenrente aus BVG auszurichten sowie ihr die Beitragsbefreiung zu
BGE 140 V 213 S. 215
gewähren. Die Stiftung Auffangeinrichtung BVG und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) haben sich nicht vernehmen lassen.
In einer weiteren Eingabe hat sich K. zur Sache geäussert.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss Vorinstanz war der Anspruch der Beschwerdeführerin gegenüber der Stiftung Auffangeinrichtung BVG (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge im Oktober 2000 mit Ablauf der einjährigen Wartezeit nach aArt. 29 Abs. 1 lit. b IVG (in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007) bzw. ein Jahr nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (
Art. 23 BVG
, in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung), entstanden (
Art. 26 Abs. 1 BVG
; Urteil 9C_140/2012 vom 12. April 2012 E. 3.2). Die dagegen vorgebrachten Einwendungen in der Beschwerde, soweit damit nicht unzulässige appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung geübt wird (
Art. 97 Abs. 1 BGG
;
BGE 137 II 353
E. 5.1 S. 356), sind nicht genügend substanziiert (
Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG
). Im Oktober 2000 hatte somit die zehnjährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen (
Art. 41 Abs. 1 BVG
, in der bis Ende 2004 geltenden Fassung; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 54/06 vom 16. Oktober 2006 E. 3.1, in: SVR 2007 BVG Nr. 22 S. 75). In diesem Zeitpunkt bestand indessen keine Versicherungsdeckung mehr; diese hatte mit dem letzten Taggeldbezug am 10. Januar 2000 bzw. spätestens 30 Tage danach aufgehört (aArt. 2 Abs. 1
bis
BVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2004 und
Art. 10 Abs. 2 BVG
, in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung sowie Verordnung vom 3. März 1997 über die obligatorische berufliche Vorsorge von arbeitslosen Personen [SR 837.174] in der damals geltenden Fassung; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 95/03 vom 29. Juni 2004 E. 3; Urteile B 110/06 vom 27. Dezember 2007 E. 6.1 und 6.3, in: SVR 2008 BVG Nr. 22 S. 87, und 9C_361/2011 vom 11. November 2011 E. 4 und 5, in: SVR 2012 BVG Nr. 16 S. 69).
3.
Die Beschwerdeführerin machte ihre Forderung (Invalidenleistungen, Prämienbefreiung) mit Klage vom 29. September 2011 geltend. In diesem Zeitpunkt waren seit der Entstehung des Anspruchs im Oktober 2000 bereits mehr als zehn Jahre vergangen und war somit
BGE 140 V 213 S. 216
jedenfalls nach aArt. 41 Abs. 1 BVG die Verjährung eingetreten. Nach Auffassung der Vorinstanz ergibt sich dieselbe Rechtsfolge auch aus dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen neu gefassten
Art. 41 BVG
, da im Oktober 2000 keine Versicherungsdeckung mehr bei der Beschwerdegegnerin bestanden habe. Die Beschwerdeführerin rügt diese Betrachtungsweise als bundesrechtswidrig.
4.
Im Zuge der 1. BVG-Revision gemäss Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 (AS 2004 1677, 1700) wurde
Art. 41 BVG
geändert. Nach der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung verjähren die Leistungsansprüche nicht, sofern die Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Vorsorgeeinrichtung nicht verlassen haben (Abs. 1). Forderungen auf periodische Beiträge und Leistungen verjähren nach fünf, andere nach zehn Jahren. Die Artikel 129-142 des Obligationenrechts sind anwendbar (Abs. 2). Mangels einer Übergangsbestimmung gilt die Änderung von
Art. 41 Abs. 1 und 2 BVG
auch für die bei ihrem Inkrafttreten noch nicht verjährten Forderungen (Urteil 9C_321/2007 vom 28. September 2007 E. 2.1 mit Hinweis, in: SVR 2008 BVG Nr. 14 S. 57). Es steht ausser Frage, dass der im Oktober 2000 entstandene Anspruch der Beschwerdeführerin auf Invalidenleistungen am 1. Januar 2005 noch nicht verjährt war. Ebenso ist unbestritten, dass die Bedingung im Nachsatz von
Art. 41 Abs. 1 BVG
("sofern die Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Vorsorgeeinrichtung nicht verlassen haben") nicht erfüllt ist. Bei wortlautgetreuer Auslegung des
Art. 41 Abs. 1 BVG
war somit bei Anhebung der Klage am 29. September 2011 der Anspruch auf Invalidenleistungen nach
Art. 41 Abs. 2 BVG
bereits verjährt, wie die Vorinstanz erkannt hat. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin verletzt dieses Ergebnis Bundesrecht. Sinngemäss entspreche der Wortlaut von
Art. 41 Abs. 1 BVG
nicht seinem wahren Sinn.
4.1
Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung bildet der Wortlaut. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist auch der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
BGE 140 V 213 S. 217
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 139 V 453
E. 3.2.2 S. 455; Urteil 2C_536/2013 vom 30. Dezember 2013 E. 3.2).
4.2
Der Wortlaut von
Art. 41 Abs. 1 BVG
ist klar. Danach ist die Bestimmung nur anwendbar, "sofern die Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Vorsorgeeinrichtung nicht verlassen haben" ("pour autant que les assurés n'aient pas quitté l'institution de prévoyance lors de la survenance du cas d'assurance" bzw. "purché gli assicurati non abbiano lasciato l'istituto di previdenza all'insorgere dell'evento assicurato" in der französischen und italienischen Textfassung). Dabei tritt der Versicherungsfall konkret ein bei Erreichen des Rentenalters, mit dem Tod oder wenn die betreffende Person invalid wird (Botschaft vom 1. März 2000 zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVG], BBl 2000 2637 ff., 2694 zu
Art. 41 Abs. 1 BVG
).
4.3
Im Rahmen der 1. BVG-Revision sollte das Recht der Versicherten auf jederzeitige Geltendmachung ihrer Ansprüche gesetzlich verankert werden. Für den ganzen (obligatorischen und überobligatorischen) Vorsorgebereich sollte der Anspruch auf Leistungen als solcher, d.h. das Stammrecht, unverjährbar ausgestaltet werden (BBl 2000 2680 f. Ziff. 2.9.3.2 und 2.9.3.3;
Art. 49 Abs. 2 Ziff. 6 BVG
). Diese klar beabsichtigte Ausdehnung des Vorsorgeschutzes wird durch den Nachsatz in
Art. 41 Abs. 1 BVG
für alle diejenigen Personen (wieder) eingeschränkt, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zum Tod oder zur Invalidität geführt hat, zwar versichert waren, bei denen der Anspruch auf Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen jedoch erst nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses entsteht (vgl.
Art. 18 lit. a und
Art. 23 lit. a BVG
;
BGE 134 V 28
E. 3.3 S. 31). Dies erscheint insbesondere dann stossend, wenn der Arbeitgeber gerade wegen der Krankheit des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis vor Entstehung des Leistungsanspruchs aufgelöst hat (vgl.
BGE 120 V 112
E. 2b S. 116), wie die Beschwerdeführerin vorbringt. Das wirft die Frage auf, ob der Gesetzgeber effektiv genau diejenigen Personen vom Grundsatz der Unverjährbarkeit des Anspruchs auf Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen als solchem ausnehmen wollte, bei denen er durch ausdrückliche gesetzliche Regelung (
Art. 18 und 23 BVG
) Lücken im Vorsorgeschutz verhindern wollte (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 63/99 vom 26. Oktober 2001 E. 4a).
BGE 140 V 213 S. 218
4.4
4.4.1
In der Botschaft des Bundesrates wurde zum neuen
Art. 41 Abs. 1 BVG
ausgeführt, analog zur bestehenden Regelung in der AHV solle auch in der beruflichen Vorsorge der Grundsatz der Unverjährbarkeit des Leistungsanspruchs auf eine Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenrente gelten. "Um dem Prinzip Rechnung zu tragen, dass der Versicherte beim Verlassen einer Vorsorgeeinrichtung erworbene Ansprüche mit sich nimmt, gilt dieser Grundsatz nur für Versicherte, welche bei Eintritt des Versicherungsfalles ihre Vorsorgeeinrichtung noch nicht verlassen haben" (BBl 2000 2694). Aus diesen Erläuterungen ergibt sich nichts zum (besseren) Verständnis des Sinnes der Ausnahmeklausel im Nachsatz von
Art. 41 Abs. 1 BVG
, soweit es um Hinterlassenen- und Invalidenleistungen geht.
Tritt eine Person aus der Vorsorgeeinrichtung aus, nimmt sie ihre gesamten erworbenen Ansprüche in Form der gesetzlichen und reglementarischen Austrittsleistung mit (Freizügigkeitsfall:
Art. 2 FZG
[SR 831.42]). Der betreffende Anspruch konnte schon unter dem früheren Recht nicht verjähren, solange die Pflicht zur Erhaltung des Vorsorgeschutzes bestand (
BGE 127 V 315
E. 6a S. 326). Tritt der Versicherungsfall Tod oder Invalidität später ein, ist der Vorsorgeeinrichtung die Austrittsleistung soweit zurückzuerstatten, als dies zur Auszahlung der Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen nötig ist (
Art. 3 Abs. 2 FZG
). In einem solchen Fall wird das Prinzip, wonach der Versicherte beim Verlassen einer Vorsorgeeinrichtung erworbene Ansprüche mit sich nimmt, nicht verletzt, da mit der Rückerstattung der Freizügigkeitsleistung die Zugehörigkeit zu jener möglich wird (Urteil 9C_1049/2010 vom 16. Mai 2011 E. 4, in: SVR 2011 BVG Nr. 41 S. 155). Auch sonst sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, welche es rechtfertigten, in Bezug auf die Verjährung von Ansprüchen auf Hinterlassenen- und Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge danach zu differenzieren, ob der Versicherungsfall, verstanden als Entstehung des Leistungsanspruchs, noch während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses (einschliesslich der Nachdeckungsfrist nach
Art. 10 Abs. 3 BVG
) eintritt oder erst nach Verlassen der Vorsorgeeinrichtung.
4.4.2
An der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 22. Februar 2002 wurde der Antrag eingebracht, die Formulierung "im Zeitpunkt des Versicherungsfalles" im Entwurfstext gemäss Botschaft durch "im Zeitpunkt der Entstehung des Leistungsanspruchs" zu ersetzen. Zur Begründung
BGE 140 V 213 S. 219
wurde u.a. ausgeführt, nach der heutigen Rechtsprechung stehe nicht eindeutig fest, wann bei einer Arbeitsunfähigkeit der Versicherungsfall der Invalidität eingetreten sei. In der anschliessenden Diskussion äusserte sich der Vertreter des BSV in dem Sinne, dass bei der Unterscheidung zwischen Versicherungsfall und Leistungsanspruch das Problem nicht bei der Invalidität liege, sondern beim Rentenalter. Leistungsberechtigung sei bei den Altersleistungen ein auslegungsbedürftiger Begriff, da unklar sei, ob das ordentliche Rentenalter gemeint sei oder das flexible, wenn das Reglement ein solches vorsehe. Es sei - mit der in Absatz 3 getroffenen Lösung - auch klar, dass der Eintritt des Versicherungsfalles Invalidität der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei. Auf die Frage, ob die beantragte Formulierung negative Auswirkungen hätte, entgegnete er, bei Invalidität entstehe der Leistungsanspruch in der beruflichen Vorsorge nicht bei Eintritt der Invalidität (recte wohl: Arbeitsunfähigkeit), sondern erst nach Ablauf der Wartefrist. In der Invalidenversicherung gelte als Versicherungsfall der Zeitpunkt des Leistungsanspruchs. In der beruflichen Vorsorge hätte das massive Probleme mit der Versicherungsklausel zur Folge, weil zum Zeitpunkt der Entstehung des Leistungsanspruchs praktisch niemand mehr versichert wäre; man müsse ein Jahr lang arbeitsunfähig gewesen sein, um den Anspruch geltend machen zu können. Der Eintritt der Invalidität sei daher die genauere Umschreibung als die Entstehung des Leistungsanspruchs.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass unter Versicherungsfall im Sinne des Nachsatzes in
Art. 41 Abs. 1 BVG
in Bezug auf Invalidenleistungen der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (
Art. 23 BVG
), gemeint sein sollte, in Abweichung vom sonst üblichen Begriffsverständnis somit nicht der Eintritt der Invalidität (
BGE 138 V 475
E. 3 S. 478;
BGE 134 V 28
E. 3.4.2 S. 32). Insbesondere sollte der so verstandene Versicherungsfall nicht erst nach Ablauf der Wartezeit nach aArt. 29 Abs. 1 lit. b IVG (seit 1. Januar 2008:
Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG
), d.h. gleichzeitig mit der Entstehung des Anspruchs auf die Rente der Invalidenversicherung eintreten, da in diesem Zeitpunkt praktisch niemand mehr versichert wäre. Im Übrigen bestand im damaligen Zeitpunkt offenbar auch beim BSV, welches die Gesetzesvorlage ausgearbeitet hatte, teilweise Unklarheit darüber, wann der Versicherungsfall Invalidität als eingetreten zu gelten habe (vgl.
BGE 134 V 28
E. 3.4.1 S. 31 f.).
BGE 140 V 213 S. 220
4.4.3
In den Räten gab der neu gefasste
Art. 41 Abs. 1 BVG
zu keinen Diskussionen Anlass (AB 2002 N 548 und S 1047 f.).
4.5
Es gibt somit triftige Gründe, dass der Wortlaut von
Art. 41 Abs. 1 BVG
("sofern die Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Vorsorgeeinrichtung nicht verlassen haben") nicht dem Rechtssinn entspricht und der Anspruch auf Hinterlassenen- und Invalidenleistungen als solcher auch dann nicht (nach 10 Jahren) verjähren kann, wenn er erst später nach Ablauf der Versicherungsdeckung bei der grundsätzlich leistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung entstanden ist (in diesem Sinne auch ISABELLE VETTER-SCHREIBER, BVG Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, 2009, N. 6 zu
Art. 41 BVG
). | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8f0529d9-65d2-4ea9-a8aa-6fc637acb6e2 | Urteilskopf
138 III 97
15. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_662/2011 vom 18. Januar 2012 | Regeste
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
; Ehegattenunterhalt während des Getrenntlebens; Konkubinat.
Auswirkungen eines nichtehelichen Zusammenlebens auf den Unterhaltsanspruch im Rahmen gerichtlicher Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 138 III 97 S. 97
X. (Ehemann und Beschwerdeführer), Jahrgang 1977, und Y. (Ehefrau und Beschwerdegegnerin), Jahrgang 1976, heirateten im April 2005. Sie wurden Eltern der Kinder T. und S., geboren im Februar 2006 und im Januar 2009. Die Beschwerdegegnerin lernte im Oktober 2009 einen anderen Mann kennen, mit dem sie seit Ende Januar 2010 zusammenlebt. Aus dieser Beziehung ist im Oktober 2010 das Kind K. hervorgegangen.
Am 1. Februar 2010 stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um Regelung des Getrenntlebens. Das Gerichtspräsidium stellte die Kinder T. und S. unter die Obhut der Beschwerdegegnerin, regelte das
BGE 138 III 97 S. 98
Besuchs- und Ferienrecht und verpflichtete den Beschwerdeführer, Kinderunterhaltsbeiträge von monatlich je Fr. 700.- zuzüglich Kinderzulagen und der Beschwerdegegnerin an den persönlichen Unterhalt monatlich Fr. 1'019.10 vom 1. Februar 2010 bis 30. Juni 2010 und von Fr. 1'045.30 ab 1. Juli 2010 zu bezahlen.
Der Beschwerdeführer focht seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beschwerdegegnerin an mit den Begehren, es sei festzuhalten, dass der erstinstanzlich festgesetzte Ehegattenunterhalt aufgehoben werde, solange die Beschwerdegegnerin in der heutigen Lebensgemeinschaft mit ihrem neuen Lebenspartner lebe, umgehend aber wieder auflebe, sofern das Konkubinat beendet werde. Das Obergericht wies die Beschwerde ab. Der Beschwerdeführer ist an das Bundesgericht gelangt, das seine Beschwerde abweist, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Vor Bundesgericht ist zur Hauptsache streitig, ob und wie sich das Zusammenleben der Beschwerdegegnerin mit einem neuen Partner auf ihren Unterhaltsanspruch im Rahmen gerichtlicher Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft auswirkt. Die rechtliche Ausgangslage zeigt sich unter Willkürgesichtspunkten wie folgt:
2.1
Wo die Ehegatten sich einig sind, den gemeinsamen Haushalt aufzuheben, hat das Eheschutzgericht die Berechtigung zum Getrenntleben förmlich zu bewilligen und dessen Folgen zu regeln. Unter dieser Voraussetzung wird dem Ehegatten, der zuvor den gemeinsamen Haushalt verlassen hat, um mit einem neuen Partner zusammenzuleben, der Anspruch auf Unterhalt nicht gleichsam von Gesetzes wegen aberkannt. Dasselbe gilt aber auch, wo die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes aus anderen Gründen berechtigt ist, insbesondere vom anderen Ehegatten herbeigeführt wurde, oder im Hinblick auf die spätere Scheidung verlangt wird. Ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes insoweit begründet, muss das Gericht auf Begehren eines Ehegatten, die Geldbeiträge, die der eine Ehegatte dem andern schuldet, festsetzen (
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
; vgl. SPYCHER/HAUSHEER, Handbuch des Unterhaltsrechts, 2. Aufl. 2010, N. 10.03 f. S. 675 f. und N. 10.23 ff. S. 687 f., und BRUNNER, im zit. Handbuch, N. 04.50 f. S. 194 f.; je mit Hinweisen).
2.2
Selbst wenn gemäss den Tatsachenfeststellungen des Sachgerichts mit einer Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushaltes nicht mehr
BGE 138 III 97 S. 99
ernsthaft gerechnet werden kann, bleibt
Art. 163 ZGB
die Rechtsgrundlage der gegenseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten im Rahmen gerichtlicher Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Ehegatten gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie sorgen (Abs. 1), dass sie sich über den Beitrag verständigen, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern (Abs. 2), und dass sie dabei die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände berücksichtigen (Abs. 3). Von der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Ehegatten, wie sie die Aufgaben und die Geldmittel unter sich aufgeteilt haben, hat das Eheschutzgericht bei der Festsetzung der Unterhaltsbeiträge gemäss
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
auszugehen. Es hat sodann zu berücksichtigen, dass der Zweck von
Art. 163 ZGB
, für den gebührenden Unterhalt der Familie zu sorgen, im Falle der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes (Art. 175 f. ZGB) einen jeden Ehegatten verpflichtet, nach seinen Kräften an die Bestreitung der Mehrkosten beizutragen, die das Getrenntleben verursacht. Daraus kann folgen, dass das Gericht die von den Ehegatten geschlossene Vereinbarung ändern muss, um sie den neuen Lebensverhältnissen anzupassen. Ist dabei in tatsächlicher Hinsicht erstellt, dass mit einer Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushaltes nicht mehr ernsthaft gerechnet werden kann, hat das Eheschutzgericht im Rahmen von
Art. 163 ZGB
die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien (
Art. 125 ZGB
) miteinzubeziehen und aufgrund der neuen Lebensverhältnisse zu prüfen, ob und in welchem Umfang vom Ehegatten, der bisher den gemeinsamen Haushalt geführt hat, davon aber nach dessen Aufhebung entlastet ist, erwartet werden kann, dass er seine Arbeitskraft anderweitig einsetze und eine Erwerbstätigkeit aufnehme oder ausdehne (vgl.
BGE 137 III 385
E. 3.1 S. 386 ff.).
2.3
Wie sich das Zusammenleben eines Ehegatten in einer neuen Partnerschaft unterhaltsrechtlich auswirkt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen. Es lassen sich dabei mehrere Tatbestände unterscheiden, die - unter Willkürgesichtspunkten - folgende Schlüsse gestatten:
2.3.1
Wird der unterhaltsberechtigte Ehegatte von seinem neuen Partner finanziell unterstützt, vermindert sich seine Unterhaltsforderung gegenüber dem anderen Ehegatten im Umfang der tatsächlich erhaltenen Unterstützungsleistungen. Lehre und Rechtsprechung lassen sich dabei vom Verbot des offenbaren Rechtsmissbrauchs leiten (vgl.
BGE 138 III 97 S. 100
SPYCHER/HAUSHEER, a.a.O., N. 10.26 S. 687; PICHONNAZ, Commentaire romand, 2010, N. 14 zu
Art. 163 ZGB
; für aArt. 145 Abs. 2 ZGB:
BGE 118 II 225
). Das gleiche Ergebnis kann auch in Anwendung von
Art. 163 ZGB
begründet werden, wonach sich ein Ehegatte als Einkünfte anrechnen lassen muss, was er für eigene Leistungen in der neuen Partnerschaft (z.B. durch Haushaltführung, Mithilfe im Beruf o.ä.) erhält. Ein Abstellen auf die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse und damit die momentan tatsächlich erbrachte Unterstützung des neuen Partners ist insofern gerechtfertigt, als der eheliche Unterhalt - im Gegensatz zum nachehelichen Unterhalt (vgl.
Art. 129 ZGB
) - unter erleichterten Voraussetzungen an veränderte Verhältnisse angepasst (vgl.
BGE 133 III 393
E. 5.1 S. 396; Urteil 5A_117/2010 vom 5. März 2010 E. 3.3, in: FamPra.ch 2010 S. 706) und auch ohne weiteres nachträglich erhöht werden kann (vgl. Urteil 5P.467/2004 vom 23. Februar 2005 E. 1 mit Hinweis auf BRÄM, Zürcher Kommentar, 1998, N. 11 zu aArt. 179 ZGB).
2.3.2
Erfolgt keine finanzielle Unterstützung oder sind entsprechende Leistungen des neuen Partners nicht nachweisbar, kann immerhin eine sog. (einfache) Wohn- und Lebensgemeinschaft ("communauté de toit et de table"; "comunione di tetto e di tavola") vorliegen, die Einsparungen in den Lebenshaltungskosten mit sich bringt. Entscheidend ist dabei nicht die Dauer der Partnerschaft, sondern der wirtschaftliche Vorteil, der daraus gezogen wird. In Anlehnung an die betreibungsrechtlichen Richtlinien tragen die Partner die gemeinschaftlichen Kosten (Grundbetrag, Miete usw.) anteilsmässig, selbst wenn die tatsächliche Beteiligung geringer sein sollte. Diese Kostenersparnis ist im Bedarf des unterhaltsberechtigten wie im Übrigen auch des unterhaltspflichtigen Ehegatten zu berücksichtigen (vgl. Urteil 5P.90/2002 vom 1. Juli 2002 E. 2b, zusammengefasst in: FamPra.ch 2002 S. 813; seither: Urteile 5D_94/2009 vom 16. September 2009 E. 2.2 und 5A_453/2009 vom 9. November 2009 E. 4.2.3, in: FamPra.ch 2010 S. 160).
2.3.3
Schliesslich ist auch im Rahmen des Eheschutzes nicht ausgeschlossen, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte in einem sog. qualifizierten oder gefestigten Konkubinat lebt. Darunter versteht die Rechtsprechung eine auf längere Zeit, wenn nicht auf Dauer angelegte umfassende Lebensgemeinschaft zweier Personen unterschiedlichen Geschlechts mit grundsätzlich Ausschliesslichkeitscharakter, die sowohl eine geistig-seelische als auch eine wirtschaftliche Komponente aufweist. Verkürzt wird diese etwa auch als Wohn-,
BGE 138 III 97 S. 101
Tisch- und Bettgemeinschaft ("communauté de toit, de table et de lit"; "comunione di tetto, di tavola e di letto") bezeichnet. Das Gericht hat diesbezüglich eine Würdigung sämtlicher massgebender Faktoren vorzunehmen, wobei für die Beurteilung der Qualität einer Lebensgemeinschaft die gesamten Umstände des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Der Unterhaltsanspruch fällt weg, wenn der Ehegatte in einer festen Beziehung lebt, die ihm ähnliche Vorteile bietet wie eine Ehe. Entscheidend ist dabei nicht (mehr) das Kriterium des Rechtsmissbrauchs, sondern vielmehr, ob der Unterhaltsberechtigte mit seinem neuen Partner eine so enge Lebensgemeinschaft bildet, dass dieser bereit ist, ihm Beistand und Unterstützung zu leisten, wie es
Art. 159 Abs. 3 ZGB
von Ehegatten fordert. Ob die Partner über die dazu notwendigen finanziellen Mittel überhaupt verfügen, ist unerheblich (vgl. für den Eheschutz: Urteile 5P.135/2005 vom 22. Juli 2005 E. 2.1, in: FamPra.ch 2005 S. 926, und 5P.485/2006 vom 20. Juni 2007 E. 2.3.1, zusammengefasst in: FamPra.ch 2007 S. 894, mit Hinweisen).
3.
Die Anwendung der dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt unter Willkürgesichtspunkten Folgendes.
3.1
Die Parteien sind sich im kantonalen Verfahren einig gewesen, den gemeinsamen Haushalt aufzuheben, hat doch der Beschwerdeführer am 1. Februar 2010 ein entsprechendes Gesuch gestellt, dem die Beschwerdegegnerin zugestimmt hat. Dass sie die eheliche Wohnung Ende Januar verlassen hat und zu ihrem neuen Partner gezogen ist, hat ihren Unterhaltsanspruch deshalb nicht beeinträchtigen können. Davon durfte das Gerichtspräsidium ausgehen. Dessen Befugnis, die Berechtigung der Parteien zum Getrenntleben festzustellen und über dessen Folgen zu entscheiden, hat der Beschwerdeführer vor Obergericht denn auch nicht angefochten (vgl. E. 2.1 hiervor).
3.2
Zur Vereinbarung der Ehegatten, wie sie die Aufgaben und die Geldmittel unter sich aufgeteilt haben, hat das Obergericht festgehalten, die Beschwerdegegnerin habe sich offenbar um die Kinder und den Haushalt gekümmert, während der Beschwerdeführer einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes die Beschwerdegegnerin ihren Beitrag an den Familienunterhalt durch Besorgung des Haushaltes und Betreuung der Kinder erbracht und er die Geldmittel beschafft hat. Da diese Mittel beschränkt sind und die getrennte Haushaltführung zusätzliche Kosten verursacht, ist zu prüfen gewesen, wie die Vereinbarung der Parteien über
BGE 138 III 97 S. 102
Aufgabenteilung und Geldleistungen angepasst werden kann. Dabei hat dasObergericht die Kriterien für den nachehelichen Unterhalt miteinbeziehen müssen, ist doch das Eheschutzverfahren zwecks Verhandlungen über eine Scheidungsvereinbarung vom 23. Dezember 2010 bis zum 10. Mai 2011 sistiert worden und insoweit auch unbestritten geblieben, dass mit einer Wiederaufnahme des gemeinsamenHaushaltes nicht mehr ernsthaft gerechnet werden kann. Auch nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes hat die Beschwerdegegnerin ihre heute drei und sechs Jahre alten Kinder zu betreuen, die gerichtlich unter ihre Obhut gestellt wurden. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit darf ihr insoweit nicht zugemutet werden (vgl.
BGE 115 II 6
E. 3c S. 10;
BGE 137 III 102
E. 4.2.2.2 S. 109), so dass der Beschwerdeführer weiterhin für ihren Unterhalt aufzukommen hat und die entsprechenden Geldbeiträge im Sinne von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
schuldet. Der angefochtene Entscheid erweist sich auch zu dieser Fragestellung (vgl. E. 2.2 hiervor) im Ergebnis als willkürfrei.
3.3
Vor Obergericht war streitig, ob die Beschwerdegegnerin von ihrem neuen Partner finanziell unterstützt wird oder für ihren Lebensunterhalt selber aufkommen und ihrem neuen Partner einen vertraglich vereinbarten Mietzins bezahlen muss (vgl. zu dieser Frage: E. 2.3.1 hiervor).
3.3.1
Das Obergericht ist davon ausgegangen, die Beschwerdegegnerin habe glaubhaft dargetan, dass sie ihren Lebensunterhalt mangels zureichender Unterhaltsleistungen des Beschwerdeführers im Wesentlichen mittels Unterstützungsbeiträgen ihrer Eltern bestritten habe und ihrem Lebenspartner einen monatlichen Mietzins für die Mitbenützung seines Einfamilienhauses bezahle. Die Darstellung der Beschwerdegegnerin, die Beziehung zwischen ihr und ihren Partner sei von keinem eheähnlichen Unterstützungswillen getragen, erscheine als plausibel.
3.3.2
Eine Verfassungsverletzung erblickt der Beschwerdeführer darin, dass das Obergericht im kantonalen Beschwerdeverfahren zusätzliche Beweisurkunden berücksichtigt habe, zu denen er nicht habe Stellung nehmen können. Dass sie von ihren Eltern regelmässig finanziell unterstützt werde und einen Anteil der Miete des gemeinsam mit dem neuen Partner bewohnten Hauses bezahlen müsse, hat die Beschwerdegegnerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren behauptet und in ihrer Beschwerdeantwort vor Obergericht mit zusätzlichen Belegen untermauert. Die Eingabe wurde dem
BGE 138 III 97 S. 103
Beschwerdeführer zugestellt (Verfügung vom 14. Dezember 2010) und das Verfahren anschliessend zwecks Vergleichsgesprächen sistiert (Verfügung vom 23. Dezember 2010). Spätestens nach der formellen Aufhebung der Sistierung (Verfügung vom 10. Mai 2011) hätte der Beschwerdeführer ausreichend Anlass und bis zum Ergehen des Entscheids am 15. August 2011 auch genügend Zeit und Gelegenheit gehabt, sich gegen eine Berücksichtigung der Beweisurkunden zu verwahren oder dazu vorsorglich Stellung zu nehmen (vgl.
BGE 133 I 100
E. 4.8 S. 105; Urteil 5A_705/2010 vom 14. März 2011 E. 2.2). Seine Rüge in einem Zeitpunkt, wo die Beweiswürdigung zu seinem Nachteil ausgefallen ist, kann nicht gehört werden (vgl.
BGE 127 II 227
E. 1b S. 230; Urteil 5A_92/2008 vom 25. Juni 2008 E. 3.3.1).
3.3.3
Inwiefern die obergerichtliche Annahme, die belegten Zahlungen der Eltern an die Beschwerdegegnerin seien für deren Unterhalt bestimmt, willkürlich sein soll, ist mit einem blossen Hinweis auf den Betreibungsregisterauszug der Beschwerdegegnerin nicht dargetan. Teilweise wird auf Quittungen vielmehr vermerkt "für Essen + Unterhalt". Die Feststellung über den Unterhaltszweck der Zahlungen kann nicht beanstandet werden. Aufgrund der erhobenen Rügen erscheint auch das obergerichtliche Beweisergebnis insgesamt nicht als willkürlich, wonach nicht glaubhaft gemacht ist, dass die Beschwerdegegnerin von ihrem neuen Partner finanziell unterstützt wird.
3.4
Hauptstreitpunkt war im kantonalen Verfahren, ob das Zusammenleben der Beschwerdegegnerin mit ihrem neuen Partner lediglich als sog. (einfache) Wohn- und Lebensgemeinschaft zu gelten hat oder als sog. qualifiziertes Konkubinat anerkannt werden muss (vgl. zu dieser Frage: E. 2.3.2 und 2.3.3 hiervor).
3.4.1
Das Obergericht hat festgehalten, das Zusammenleben der Beschwerdegegnerin in der neuen Partnerschaft habe Ende Januar 2010 begonnen und sei insoweit von nur kurzer Dauer. Da die Beschwerdegegnerin ihren neuen Partner erst im Oktober 2009 kennengelernt, ihm aber bereits am 15. Oktober 2010 eine gemeinsame Tochter geboren habe, erscheine ihre Darstellung einer ungeplanten Schwangerschaft nicht als abwegig. Schliesslich hat das Obergericht die Ansicht geteilt, der behördliche Abklärungsbericht vom 14. Juni 2010 habe nicht die neue Beziehung der Beschwerdegegnerin, sondern die neue Wohn- und Lebenssituation der bei ihr wohnhaften Kinder T. und S. beurteilt. Ihre im Abklärungsbericht wiedergegebenen Aussagen seien vor dem Hintergrund dieses Abklärungsgegenstandes zu
BGE 138 III 97 S. 104
würdigen und könnten weder Schlüsse auf die Qualität ihrer neuen Partnerschaft gestatten noch als Eingeständnis eines qualifizierten Konkubinats gelten. Ein gutes Einvernehmen und gewisse gemeinsame Interessen, wie sie im Abklärungsbericht zum Ausdruck kämen, seien sodann die Voraussetzung jeder Liebesbeziehung schlechthin. Mit Rücksicht auf sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls hat das Obergericht angenommen, die Beschwerdegegnerin lebe mit ihrem neuen Partner lediglich in einer (einfachen) Wohn- und Lebensgemeinschaft, die bloss reduzierte Lebenshaltungskosten der Beteiligten mit sich bringe. Der Beschwerdeführer rügt als willkürlich, dass das Obergericht ein qualifiziertes Konkubinat verneint habe, obwohl die Beschwerdegegnerin seit Ende Januar 2010 mit ihrem neuen Partner zusammenlebe, mit ihm eine Tochter habe und den Haushalt der Familie führe, bestehend aus der Beschwerdegegnerin und ihrem Partner, der gemeinsamen Tochter und den beiden Kindern der Parteien. Aus dem Abklärungsbericht vom 14. Juni 2010 gehe zudem hervor, dass die Beschwerdegegnerin selber von einer neuen Familie mit ihrem heutigen Partner und damit von einem qualifizierten Konkubinat ausgehe.
3.4.2
Die tatsächlichen Voraussetzungen, die rechtlich auf ein qualifiziertes Konkubinat zu schliessen gestatten, hat der Unterhaltsschuldner im ordentlichen Verfahren voll zu beweisen (
Art. 8 ZGB
; vgl.
BGE 118 II 235
E. 3c S. 238) und im Eheschutzverfahren glaubhaft zu machen (vgl.
BGE 118 II 376
E. 3 S. 377 und 378 E. 3b S. 381). Bei einem Konkubinat, das im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens bereits fünf Jahre gedauert hat, ist im Sinne einer Tatsachenvermutung grundsätzlich davon auszugehen, es handle sich um eine Schicksalsgemeinschaft ähnlich einer Ehe (vgl.
BGE 118 II 235
E. 3a S. 237). Auf diese Tatsachenvermutung kann sich der Beschwerdeführer, wie er das selber einräumt, nicht berufen, da die Beschwerdegegnerin erst seit Januar 2010 mit ihrem neuen Partner zusammenlebt. Die Geburt des gemeinsamen Kindes der Konkubinatspartner ändert an der den Beschwerdeführer treffenden Last der Glaubhaftmachung nichts (vgl. Urteil C.447/1987 vom 19. Januar 1988 E. 5, zit. bei BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, Ergänzungsband, 1991, N. 23 zu aArt. 153 ZGB).
3.4.3
Im erwähnten Urteil C.447/1987 vom 19. Januar 1988 hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Verantwortung für ein gemeinsames Kind die Eltern auch untereinander enger zu verbinden vermöge und dass eine solche engere Bindung vor allem bei einer
BGE 138 III 97 S. 105
Wunschelternschaft gegeben sein dürfte. Es bleibe aber zu beachten, dass die Verantwortung für ein gemeinsames Kind nicht auch notwendigerweise zu einer grösseren Solidarität und gegenseitigen Unterstützung unter den Eltern führen müsse (zit. Urteil C.447/1987 E. 5). In diesem Sinne bilden die Geburt des gemeinsamen Kindes und die Tatsache, dass die Beschwerdegegnerin zusammen mit ihrem Partner in einem Einfamilienhaus wohnt, blosse Indizien, aber noch keinen Beweis für eine entsprechend intensive eheähnliche Verbindung mit ihm (vgl. Urteil 5P.61/1992 vom 16. Juli 1992 E. 4). Davon ist das Obergericht ausgegangen. Es hat festgehalten, die Beschwerdegegnerin habe ihren neuen Partner im Oktober 2009 kennengelernt, sei Ende Januar 2010 mit ihren beiden Kindern zu ihm gezogen und habe ihm im Oktober 2010 eine gemeinsame Tochter geboren. Aufgrund der zeitlichen Verhältnisse hat das Obergericht eine ungeplante Schwangerschaft als nicht abwegig bezeichnet, so dass die Geburt des gemeinsamen Kindes nicht auf eine eheähnliche Beziehung schliessen lasse. Was der Beschwerdeführer dagegenhält, vermag keine Willkür zu belegen. Nicht jede ungewollte Schwangerschaft muss als Unglück bezeichnet werden und alsogleich zur Suche nach - wie der Beschwerdeführer meint - tragfähigen Lösungen (wie einem legalen Schwangerschaftsabbruch, einer Freigabe zur Adoption usw.) veranlassen. Die Beschwerdegegnerin war bereits Mutter zweier Kinder von einem und vier Jahren, als sie das Kind von ihrem neuen Partner empfangen hat. Es dürfte naheliegen, dass sie auch ein weiteres Kind gerne angenommen hat, auch wenn es ein "ungeplantes" Kind und keine Wunschelternschaft gewesen sein sollte. Richtig ist hingegen an der Betrachtungsweise des Beschwerdeführers, dass ein Kind für sich allein nicht - heute noch viel weniger als 1988 - auf eine feste Beziehung schliessen lässt. Ein Zusammenleben mit einem gemeinsamen Kind spricht deshalb weder für ein qualifiziertes Konkubinat noch gegen eine (einfache) Wohn- und Lebensgemeinschaft. Daran ändert die Haushaltführung der Beschwerdegegnerin nichts, hat sie doch drei Kleinkinder zu betreuen und zu erziehen, so dass ihre heutige Tätigkeit nicht als aussergewöhnlich erscheint.
3.4.4
Für den Entscheid über die Obhutszuteilung hat das Gerichtspräsidium einen Bericht zu den Fragen einholen lassen, wie die aktuellen Verhältnisse der Kinder T. und S. an ihrem neuen Wohnort seien und ob Kindesschutzmassnahmen notwendig seien. Der Abklärungsbericht wurde am 14. Juni 2010 erstattet und zu den Gerichtsakten genommen. In seiner abschliessenden Stellungnahme zum
BGE 138 III 97 S. 106
Beweisergebnis hat der Beschwerdeführer beanstandet, der Abklärungsbericht entbehre jeglicher Objektivität, sei als Grundlage für einen Entscheid kaum brauchbar und basiere einzig auf Grundlagen, die der Verfasser aus Erzählungen der Beschwerdegegnerin erhalten habe. Vor Obergericht hat sich der Beschwerdeführer auf den Bericht als Hauptbeweismittel für das Vorliegen eines qualifizierten Konkubinats berufen. Dass das Obergericht in diesem Punkt weder auf die Feststellungen im Bericht noch auf die darin wiedergegebenen Aussagen der Beschwerdegegnerin hat abstellen wollen, erweist sich nicht als willkürlich. Gegenstand des Abklärungsberichts waren die für die Obhutszuteilung entscheidenden Lebensverhältnisse der Kinder an ihrem neuen Wohnort und nicht die für die Unterhaltsregelung massgebende Beziehung zwischen der Beschwerdegegnerin und ihrem neuen Partner. Die Äusserungen und Feststellungen im Abklärungsbericht betreffen die Erziehungsfähigkeit der Eltern, die Möglichkeit der persönlichen Betreuung der Kleinkinder usw. (vgl.
BGE 136 I 178
E. 5.3 S. 180 f.), sagen aber unmittelbar nichts zum Gehalt der neuen Partnerschaft der Beschwerdegegnerin und durften deshalb willkürfrei als dafür nicht zur Glaubhaftmachung geeignet gewürdigt werden.
3.4.5
Unter Willkürgesichtspunkten kann die obergerichtliche Verneinung eines qualifizierten Konkubinats insgesamt nicht beanstandet werden (
Art. 9 BV
; vgl. zum Begriff:
BGE 136 III 552
E. 4.2 S. 560). Vor Obergericht unbestritten geblieben ist, dass der Beschwerdegegnerin die Einsparungen, die sich aus der (einfachen) Wohn- und Lebensgemeinschaft mit ihrem neuen Partner ergeben, im Bedarf anzurechnen sind.
3.5
Aus den dargelegten Gründen muss die Beschwerde abgewiesen werden, soweit der Beschwerdeführer beantragt, ihn zu Unterhaltsbeiträgen zu verpflichten, die einzustellen seien, solange das heutige Zusammenleben der Beschwerdegegnerin mit ihrem neuen Partner andauere. Da ein qualifiziertes Konkubinat willkürfrei verneint werden durfte, kann offenbleiben, ob die beantragte Vorgehensweise, die für den nachehelichen Unterhalt entwickelt wurde (vgl. Urteil 5A_81/2008 vom 11. Juni 2008 E. 5.1.1, in: FamPra.ch 2008 S. 945), auch für den Unterhalt im Rahmen von Eheschutzmassnahmen angezeigt ist, die bei Eintritt von Veränderungen jederzeit angepasst werden können (vgl. Urteil 5D_94/2009 vom 16. September 2009 E. 2.2, zit. bei SPYCHER/HAUSHEER, a.a.O., N. 10.27 S. 688). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f0c9b83-1cb4-4efa-9c46-8b6e82b851b3 | Urteilskopf
103 II 321
52. Arrêt de la IIe Cour civile du 15 décembre 1977 dans la cause Ferré contre Droz et Obermeier | Regeste
Beerbung einer in Frankreich wohnhaft gewesenen und dort verstorbenen Genferin. Pflichtteilsrecht der Geschwister und ihrer Nachkommen.
Art. 472 ZGB
, Art. 59 Abs. 2 SchlT, Art. 5 des Vertrages zwischen der Schweiz und Frankreich über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urteilen in Zivilsachen vom 15. Juni 1869.
1. Wenn hinsichtlich der Beerbung eines Schweizers mit letztem Wohnsitz im Ausland das schweizerische Recht anwendbar ist, beurteilt sich das Pflichtteilsrecht der Geschwister und ihrer Nachkommen gleich wie bei einem Schweizer, der in einem anderen als seinem Heimatkanton gewohnt hatte (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 2a und b).
2. Wenn Art. 5 Abs. 1 des schweizerisch-französischen Gerichtsstandsvertrages auf den "Heimatort" verweist, schliesst dies nicht ein, dass hinsichtlich des Pflichtteilsrechtes der Geschwister und ihrer Nachkommen in Anbetracht von Art. 59 Abs. 2 SchlT das kantonale Recht anzuwenden wäre (E. 2c, aa); anzuwenden ist das Schweizerische Zivilgesetzbuch, das allein bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die kantonalrechtlichen Regeln über das Pflichtteilsrecht der Geschwister und ihrer Nachkommen anwendbar sind (E. 2c, bb). | Sachverhalt
ab Seite 322
BGE 103 II 321 S. 322
Joséphine Angélique Héritier, célibataire, ressortissante suisse originaire de Genève, domiciliée à Paris, est décédée à Boulogne-Billancourt (banlieue parisienne) le 11 octobre 1974. Elle laissait deux héritières légales, ses soeurs Madeleine Droz et Germaine Obermeier.
Par testament olographe du 27 décembre 1973, Joséphine Héritier avait institué légataire universelle Elisabeth Ferré. Ce testament ne contenait pas de professio iuris.
La succession a été ouverte à Genève et, le 17 avril 1975, le testament a été communiqué aux héritières légales, qui, le 21 avril 1975, ont contesté les droits de l'héritière instituée. Le 30 juin 1975, dames Droz et Obermeier ont ouvert action en réduction, réclamant leur réserve légale, soit, pour chacune d'elles, le huitième des biens mobiliers de la succession. Le Tribunal de première instance du canton de Genève a rejeté l'action le 5 janvier 1976.
Sur appel des demanderesses, la Cour de justice a, le 24 juin 1977, réformé ce jugement et accueilli la demande.
Elisabeth Ferré a recouru en réforme au Tribunal fédéral, concluant au rejet de la demande.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 5 de la Convention entre la Suisse et la France sur la compétence judiciaire et l'exécution des jugements en
BGE 103 II 321 S. 323
matière civile, du 15 juin 1869, dispose que toute action relative à la liquidation d'une succession testamentaire d'un Suisse décédé en France sera portée devant le tribunal de son lieu d'origine en Suisse. Bien que le texte de la Convention ne prévoie que la compétence judiciaire, il est unanimement admis, tant en France qu'en Suisse, qu'il régit également la loi applicable (
ATF 99 II 25
; cf. B. SCHNEIDER, Lieu du décès et succession dans le traité franco-suisse du 15 juin 1869, Revue critique de droit international privé, 1975, p. 397 et les références citées à la note 2). En l'espèce, d'ailleurs, les parties ont admis la compétence de la juridiction genevoise et l'application de la loi nationale.
2.
La loi genevoise d'application du Code civil (art. 43) a supprimé la réserve des frères et soeurs. Le problème soulevé par le présent procès est de savoir si la succession mobilière de Joséphine Héritier est soumise, en cette matière, au droit fédéral, soit à l'
art. 471 ch. 3 CC
, ou au droit cantonal genevois.
a) Aux termes de l'
art. 472 CC
, la solution est claire: un canton ne peut déroger au droit fédéral que pour ses ressortissants ayant eu leur dernier domicile dans le territoire cantonal. Quand une personne n'est pas domiciliée dans son canton d'origine, le droit commun fédéral s'applique; il n'y a donc jamais conflit entre la loi cantonale du domicile et la loi du canton d'origine. Certes, l'art. 59 al. 2 Tit. fin., qui mentionne les conflits de lois cantonales et renvoie à l'
art. 22 LRDC
, a amené certains auteurs à penser que les limites assignées par l'
art. 472 CC
au droit cantonal particulier ne seraient plus en vigueur, de sorte que la succession d'une personne qui, lors de son décès, avait son domicile dans un autre canton serait soumise de par la loi au droit particulier du canton d'origine du défunt. Mais, dans l'arrêt Venerabile Arciconfraternità della Misericordia di Firenze contre Persichelli et consorts, du 16 décembre 1965 (
ATF 91 II 457
ss), le Tribunal fédéral, se ralliant à la doctrine dominante, a donné une autre interprétation du texte légal. Ensuite de circonstances connues depuis la découverte de documents ayant servi à l'élaboration du Code civil (cf. O. GAUYE, La genèse de l'
art. 59 al. 2 Tit. fin. CC
, RDS 1965 p. 127 ss), il apparaît que la rédaction de l'art. 59 Tit. fin. est maladroite, mais il faut s'en tenir à l'intention évidente du législateur: l'art. 59 al. 2 Tit. fin. a pour seul objet
BGE 103 II 321 S. 324
de permettre aux personnes non domiciliées dans leur canton d'origine de déroger par professio iuris au droit commun fédéral, qui les régit selon l'
art. 472 CC
, et de soumettre leur succession, en ce qui concerne la réserve des frères et soeurs, à la loi de leur canton d'origine. Si le droit suisse est applicable à la succession d'un Suisse dont le dernier domicile était à l'étranger, la solution, en ce qui a trait à la réserve des collatéraux, est la même que pour un Suisse domicilié dans un autre canton que son canton d'origine: sous réserve de la professio iuris, question non résolue et qui ne se pose pas en l'espèce, sa succession est régie par le droit fédéral, la double condition d'indigénat et de domicile posée par l'
art. 472 CC
n'étant pas réalisée (
ATF 91 II 464
ss).
Au vu de ces principes, la Cour de justice a correctement appliqué le droit fédéral en l'occurrence.
b) La recourante entend remettre en cause la jurisprudence fédérale. Mais elle n'apporte aucun élément nouveau de nature à amener le Tribunal fédéral à revenir sur un arrêt de principe approuvé par la doctrine dominante (cf. H. MERZ, RJB 1966, p. 487; P. PIOTET, Droit successoral, Traité de droit privé suisse IV, pp. 364/365). Elle se fonde exclusivement sur un article de JACQUES DROIN (La réserve des frères et soeurs des Suisses de l'étranger, RDS 1967, p. 339 ss), inspiré de préoccupations d'ordre téléologique et qui se borne, dans l'essentiel, à reprendre des arguments déjà examinés dans l'arrêt susmentionné (cf. la réfutation de K. P. HOTZ, Die Rechtswahl im Erbrecht, thèse Zurich 1969, pp. 40/41, approuvée par PIOTET, op.cit., p. 365 n. 15). L'art. 59 al. 2 Tit. fin., dans son imprécision et vu les circonstances de sa genèse, ne saurait l'emporter sur le texte formel de l'
art. 472 CC
.
c) La recourante fait également état d'une violation de la Convention franco-suisse de 1869; selon elle, en vertu de l'art. 5 de la Convention, le rattachement se fait, pour les successions des Suisses décédés en France, à un domicile fictif au lieu d'origine du défunt. C'est, dit-elle, l'opinion d'EUGENE HUBER, telle qu'elle résulte de deux avis de droit publiés par GAUYE (loc.cit., pp. 136/137).
Cette argumentation n'est pas pertinente.
aa) Dans ses avis de droit, HUBER estime que la succession du Suisse domicilié en France est régie par l'
art. 472 CC
. Cela ressort, dit-il dans le premier avis, de l'art. 5 de la Convention franco-suisse combiné avec l'art. 59 al. 2 Tit. fin., selon lequel
BGE 103 II 321 S. 325
les règles du droit cantonal sur la réserve des frères et soeurs sont considérées comme loi d'origine pour les ressortissants du canton. Dans le second avis, il écrit: "L'art. 59, al. 2, du titre final indique comment il faut comprendre cette législation du lieu d'origine."
Ainsi, l'opinion émise par HUBER revient à dire que le renvoi au "lieu d'origine", tel que le prévoit la Convention franco-suisse, implique, par le détour de l'art. 59 al. 2 Tit. fin., l'application du droit cantonal quant à la réserve des collatéraux. Or, ce point de vue, qui a également été soutenu par d'autres auteurs, a été examiné et réfuté de façon circonstanciée par le Tribunal fédéral (
ATF 91 II 469
ss consid. 6). Il n'est donc pas question de revenir sur une controverse désormais tranchée.
bb) Mais il y a plus. Le conflit d'application du droit cantonal et du droit fédéral en ce qui concerne la réserve des frères et soeurs est un conflit interne, dans le cadre du droit suisse. Le traité international ne fait que fixer la limite de l'application respective des droits des Etats parties à la convention; il ne détermine pas le contenu de ces droits respectifs, que chaque Etat est libre de modifier. Le conflit résultant de la coexistence de dispositions fédérales et cantonales en matière de successions collatérales n'intéresse en rien l'Etat étranger: peu importe à la France que la Suisse applique une règle ou une autre à la succession des Suisses, régie par le droit suisse. Un tel conflit doit être tranché par la norme contenue dans la législation suisse (Ch. E. RATHGEB, Professio juris et convention internationale, Recueil de travaux publié par la Faculté de droit de l'Université de Lausanne à l'occasion de l'assemblée de la Société suisse des juristes à Lausanne, du 4 au 6 octobre 1958, Lausanne 1958, pp. 79/80 et les références citées à la note 2; HOTZ, op.cit., p. 41).
La Convention franco-suisse renvoie à l'application de la loi du "lieu d'origine". Or, en Suisse, depuis le 1er janvier 1912, cette loi est le Code civil suisse. C'est cette loi, et elle seule, qui détermine à quelles conditions peuvent s'appliquer les règles de droit cantonal sur la réserve des frères et soeurs. Quand l'
art. 472 CC
limite l'application de ces règles aux ressortissants "qui ont eu leur dernier domicile dans le territoire cantonal", il s'agit de droit interne: c'est le domicile tel que le définit le Code civil. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f1069fd-6081-494f-adf6-43b2ddbd85e7 | Urteilskopf
117 Ib 216
27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. April 1991 i.S. A. gegen Gemeinderat Ingenbohl-Brunnen, Amt für Raumplanung des Kantons Schwyz und Regierungsrat des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 97 ff. OG
,
Art. 24 und
Art. 34 RPG
; Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gegen Revisions- oder Berichtigungsentscheide, mit denen nach Erlass einer Verfügung nach
Art. 24 RPG
eine Parteientschädigung zugesprochen wird, nicht zulässig. In diesen Fällen besteht kein enger Sachzusammenhang zwischen kantonalem Verfahrensrecht und Bundesrecht; die Gefahr einer Vereitelung von Bundesrecht besteht ebenfalls nicht. Bestimmungen über die Berichtigung oder Revision von Entscheiden über eine Parteientschädigung dienen auch nicht dem Vollzug von
Art. 24 RPG
(Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 217
BGE 117 Ib 216 S. 217
Das Amt für Raumplanung des Kantons Schwyz erteilte A. am 29. März 1989 eine mit Auflagen versehene Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 Abs. 2 RPG
für den Umbau einer Pferdepension in ein stilles Lagerhaus in der Gemeinde Ingenbohl-Brunnen. Mit Beschluss Nr. 524 vom 21. März 1990 wies der Regierungsrat des Kantons Schwyz eine gegen die verfügten Auflagen erhobene Beschwerde von A. ab. Diesen Beschluss zog A. am 18. April 1990 mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz.
Die am Verfahren vor dem Regierungsrat beteiligte und durch einen Anwalt vertretene Gemeinde Ingenbohl-Brunnen stellte darauf am 25. April 1990 beim Regierungsrat ein Revisionsgesuch, da dieser ihr - obwohl im Verwaltungsbeschwerdeverfahren obsiegend - keine Parteientschädigung zugesprochen hatte. Mit Beschluss Nr. 843 vom 1. Mai 1990 sprach ihr der Regierungsrat des Kantons Schwyz "in Berichtigung und Ergänzung von RRB Nr. 524 vom 21. März 1990" eine Parteientschädigung von
BGE 117 Ib 216 S. 218
Fr. 600.-- zu. Gegen diesen Beschluss führte A. am 14. Mai 1990 ebenfalls Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Schwyzer Verwaltungsgericht.
Noch bevor das Schwyzer Verwaltungsgericht über die beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden entschieden hatte, erhob A. am 14. Mai 1990 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht und beantragte die Aufhebung der Regierungsratsbeschlüsse Nr. 524 vom 21. März 1990 und Nr. 843 vom 1. Mai 1990. Mit Entscheid vom 31. Juli 1990 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz auf die beiden Beschwerden von A. nicht ein. Bezüglich der Beschwerde gegen den nachträglich eine Parteientschädigung zusprechenden Regierungsratsentscheid Nr. 843 vom 1. Mai 1990 führte das Verwaltungsgericht aus, in der Hauptsache sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig (Art. 24 i.V.m.
Art. 34 Abs. 1 RPG
). Die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht gegeben, denn sie beziehe sich auf einen Beschwerdeentscheid, welcher mit einem anderen Rechtsmittel als der staatsrechtlichen Beschwerde an eine Bundesbehörde weitergezogen werden könne (§ 53 lit. b der Verordnung des Kantons Schwyz über die Verwaltungsrechtspflege vom 6. Juni 1974). Der Entscheid des Verwaltungsgerichts Schwyz vom 31. Juli 1990 blieb unangefochten.
Das Bundesgericht trat auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Regierungsratsentscheid Nr. 843 vom 1. Mai 1990 nicht ein aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
5.
a) Der Beschwerdeführer hat mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch den Beschluss des Regierungsrates Nr. 843 vom 1. Mai 1990 angefochten. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob dieser Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar ist (
BGE 116 Ia 9
E. 1 und 79 E. 1;
BGE 114 Ib 216
E. 1).
b) Mit Beschluss Nr. 843 vom 1. Mai 1990 hat der Regierungsrat "in Berichtigung und Ergänzung" seines Beschlusses Nr. 524 vom 21. März 1990 nachträglich der Gemeinde Ingenbohl eine Parteientschädigung aufgrund ihres Revisionsgesuches zugesprochen. Nach
BGE 116 Ib 8
kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch die Verletzung des selbständigen kantonalen Verfahrensrechts gerügt werden, welches bei Ausnahmebewilligungen
BGE 117 Ib 216 S. 219
nach
Art. 24 RPG
angewendet wird. In diesem Entscheid ging es um die Frage, ob eine Bestimmung über eine Rechtsmittelfrist dem Vollzug von
Art. 24 RPG
dient und deren Verletzung deshalb mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar ist. Das Bundesgericht bejahte diese Frage.
Um Gegenstand einer Überprüfung mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu sein, muss die Anwendung einer kantonalen Verfahrensbestimmung "dem Vollzug von
Art. 24 RPG
dienen" (
BGE 116 Ib 10
). Dies trifft, im Gegensatz zu Normen über Rechtsmittelfristen, für Bestimmungen über die Berichtigung oder Revision von Entscheiden betreffend Zusprechung von Parteientschädigungen nicht zu. Ist die Anwendung einer Norm über eine Rechtsmittelfrist streitig, steht die Frage zur Diskussion, ob durch den Nichteintretensentscheid bzw. ob mit der angeblich willkürlichen Anwendung dieser Bestimmung die Anwendung von Bundesrecht (
Art. 24 RPG
) vereitelt wird. Diese Frage stellt sich aber nicht bei der Revision oder Berichtigung von Entscheiden über eine Parteientschädigung. Hier besteht grundsätzlich kein enger Sachzusammenhang zwischen kantonalem Verfahrensrecht und Bundesrecht, und für eine Vereitelung von Bundesrecht besteht ebenfalls grundsätzlich keine Gefahr (ALOIS PFISTER, Staatsrechtliche und Verwaltungsgerichts-Beschwerde: Abgrenzungsschwierigkeiten, ZBJV 121/1985 S. 562). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern solche Bestimmungen dem Vollzug von
Art. 24 RPG
dienen sollten. Die ganze Frage betrifft allein kantonales Verfahrensrecht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb nicht zulässig. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f1a2ce2-2d4d-4329-88b0-6d3904f1401a | Urteilskopf
122 V 394
60. Urteil vom 19. November 1996 i.S. Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen gegen M. und G., Erben des L. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 lit. b und f,
Art. 5 ELG
,
Art. 17 Abs. 1 und 4 ELV
,
Art. 745 ff. ZGB
. Wie ist die Nutzniessung EL-rechtlich zu erfassen, die sich der EL-Bezüger oder -Ansprecher bei der Abtretung seiner Liegenschaft hat einräumen lassen?
- Eine Gegenleistung ist dann noch als angemessen zu betrachten, wenn sich die Differenz von Leistung und Gegenleistung in einer Bandbreite von rund 10% der Leistung bewegt.
- Es ist nicht zulässig, den kapitalisierten Wert der Nutzniessung als Vermögen anzurechnen.
- Für die Anrechnung eines geldwerten Ausgleichs für den nach Einräumung der Nutzniessung nicht mehr möglichen Vermögensverzehr in die EL-Berechnung fehlt die rechtliche Grundlage. | Sachverhalt
ab Seite 395
BGE 122 V 394 S. 395
A.-
L., geb. 1909, gestorben am 7. Juni 1996, bezog seit 1. Januar 1990 Ergänzungsleistungen (damals Fr. 82.-- monatlich). Sein Haus war zunächst zum Bundessteuerwert von Fr. 118'800.-- und ab 1. Januar 1992 zum nunmehr massgebenden kantonalen Steuerwert von Fr. 99'000.-- eingesetzt worden, was ab 1. Januar 1992 eine Ergänzungsleistung (EL) von Fr. 218.-- im Monat ergab. Weil die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen nach Erlass der diesbezüglichen Verfügung (vom 6. Januar 1992) Kenntnis davon erhielt, dass L. seine Liegenschaft (welche am 3. Oktober 1991 mit einem amtlichen Verkehrswert [= kantonaler Steuerwert] von Fr. 145'000.-- neu eingeschätzt worden war) per 1. November 1991 seinem Sohn G. verschenkt hatte (dies gegen Einräumung einer lebenslänglichen und unentgeltlichen Nutzniessung für sich und seine Ehefrau M.; Schenkungsvertrag vom 25. Oktober 1991), nahm sie auf der Grundlage dieses neuen Wertes eine Neuberechnung vor, welche ab 1. Februar 1992 eine EL von Fr. 5.-- im Monat ergab (unangefochtene Verfügung vom 4. Februar 1992).
Anlässlich der Revision 1993 setzte die Ausgleichskasse die Liegenschaft wiederum zum Wert von Fr. 145'000.-- ein; im Hinblick auf Veränderungen bei andern Positionen resultierte ab 1. Januar 1993 eine monatliche EL von Fr. 39.-- (Verfügung vom 21. Januar 1993).
B.-
L. erhob gegen die Verfügung vom 21. Januar 1993 Beschwerde. Er stellte das Begehren um Ausrichtung einer höheren EL und rügte als unverständlich, dass die vor über einem Jahr dem Sohn übereignete Liegenschaft immer noch ihm als Vermögen angerechnet werde.
Mit Entscheid vom 21. Oktober/18. November 1993 hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Beschwerde unter Aufhebung der Kassenverfügung teilweise gut mit der Feststellung, dass L. ab 1. Januar 1993 eine EL von Fr. 287.-- im Monat zusteht. Das Gericht verneinte einen Vermögensverzicht, indem es den nach den Barwerttafeln von
BGE 122 V 394 S. 396
Stauffer/Schaetzle ermittelten kapitalisierten Nutzniessungswert (Fr. 105'924.--), welcher 73% des amtlichen Schatzungswerts der Liegenschaft ausmacht, als angemessene Gegenleistung betrachtete. Indessen müsse die erhaltene Gegenleistung L. in der Form des kapitalisierten Wertes dieser Nutzniessung als Vermögen angerechnet werden; massgebend sei dabei der kapitalisierte steuerliche Mietwert. Ferner müsse der Mietwert als Einkommen angerechnet und im Gegenzug dieser Mietwert auf der Ausgabenseite als Abzug zugelassen werden. Werde in diesem Sinne anstelle des Liegenschaftswertes von Fr. 145'000.-- nur die Gegenleistung von Fr. 105'924.-- berücksichtigt, so vermindere sich auf der Einnahmenseite der Vermögensverzehr von Fr. 10'500.-- auf Fr. 6593.--. Nach Auffassung der Vorinstanz erhöht sich somit der ungedeckte Bedarf um Fr. 3907.-- auf Fr. 44'023.--, was eine EL von Fr. 287.-- monatlich ergibt.
C.-
Die Ausgleichskasse (ab 1. Januar 1995: Sozialversicherungsanstalt) des Kantons St. Gallen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie auf Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu ergänzender Sachverhaltsabklärung und neuer Verfügung. Zur Begründung führt sie zunächst aus, dass bei einer Gegenleistung von bloss 73% ein Verzicht vorliege. Sodann müsse bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung gestützt auf
Art. 17 Abs. 4 ELV
vom Marktwert ausgegangen werden. Mangels gesetzlicher Grundlage sei eine Kapitalisierung der Nutzniessung und deren Anrechnung als Vermögen nicht zulässig. Anderseits dürfe aus der vorinstanzlichen Verneinung eines Verzichts auch nicht gefolgert werden, dass gar kein anrechenbares Vermögen mehr vorhanden sei. Denn mit dem Verzicht auf das Eigentum an der Liegenschaft habe L. "auch darauf verzichtet, sich den Lebensunterhalt zusätzlich durch einen Vermögensverzehr zu finanzieren". Das anzurechnende Verzichtsvermögen bestehe daher nicht nur aus der Differenz zwischen dem Marktwert der Liegenschaft und dem (tieferen) kapitalisierten Wert der Nutzniessung, sondern "zusätzlich auch noch im Kapitalwert der (weggefallenen) Verzehrmöglichkeit". Zur Ermittlung dieses Kapitalwertes müsse "der aktuelle Vermögensverzehr (1/10 des Handelswertes der Liegenschaft) auf der Grundlage der durchschnittlichen Lebenserwartung der Ehefrau des Beschwerdegegners kapitalisiert werden". Der Marktwert der Liegenschaft (Fr. 217'500.--; = 150% des amtlichen Steuerwertes) müsse um den kapitalisierten Vermögensverzehr von Fr. 172'175.-- erhöht werden,
BGE 122 V 394 S. 397
was einen Gesamtwert der Leistung von L. von Fr. 389'675.-- ausmache. Hievon sei die noch näher zu ermittelnde Gegenleistung (kapitalisierter Marktmietwert) abzuziehen.
L. liess sich nicht vernehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) nahm zu den von der Ausgleichskasse aufgeworfenen Fragen der Anrechnung des kapitalisierten Wertes der bei der Liegenschaftsabtretung eingeräumten Nutzniessung als Vermögen und der Anrechnung des kapitalisierten Wertes des Vermögensverzehrs als Verzichtsvermögen einlässlich Stellung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Als Anfechtungs- und Streitgegenstand ist, entsprechend der Verfügung vom 21. Januar 1993, der Anspruch auf EL ab 1. Januar 1993 zu betrachten. Nicht zur Diskussion steht, ob die Sozialversicherungsanstalt die EL ab Februar 1992 richtig berechnet hat, indem sie - in Kenntnis der Schenkung - die Liegenschaft als Vermögen so behandelt hatte, als wenn L. damals noch Eigentümer gewesen wäre.
2.
Gemäss
Art. 2 Abs. 1 und 5 ELG
haben in der Schweiz wohnhafte Schweizer Bürger, denen eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenenversicherung oder mindestens eine halbe Rente der Invalidenversicherung zusteht, Anspruch auf Ergänzungsleistungen, soweit ihr anrechenbares Jahreseinkommen einen bestimmten Grenzbetrag nicht erreicht. Dabei entspricht die jährliche Ergänzungsleistung dem Unterschied zwischen der massgebenden Einkommensgrenze und dem anrechenbaren Jahreseinkommen (
Art. 5 Abs. 1 ELG
).
Das anrechenbare Einkommen wird nach den Bestimmungen der
Art. 3 ff. ELG
berechnet. Als Einkommen anzurechnen sind danach u.a. Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (
Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG
in der hier anwendbaren, ab 1987 gültigen Fassung). Mit dieser neuen Regelung, welche die Verhinderung von Missbräuchen bezweckt, soll eine einheitliche und gerechte Lösung ermöglicht werden, indem sich die schwierige Prüfung der Frage fortan erübrigt, ob beim Verzicht auf Einkommen und Vermögen der Gedanke an eine Ergänzungsleistung tatsächlich eine Rolle gespielt hat oder nicht (
BGE 120 V 12
Erw. 1,
BGE 117 V 155
Erw. 2a mit Hinweisen).
3.
Gemäss novellierter Fassung von
Art. 17 ELV
sind seit 1992 für die Bewertung des Vermögens primär die Grundsätze der direkten kantonalen
BGE 122 V 394 S. 398
Steuer anwendbar (
Art. 17 Abs. 1 ELV
). Für Grundstücke ist demnach in der Regel der kantonale Steuerwert massgebend. Davon abweichend sieht Abs. 4 von
Art. 17 ELV
die Massgeblichkeit des (regelmässig erheblich höheren) Verkehrswertes vor, wenn das Grundstück dem Bezüger oder einer Person, die in der EL-Berechnung eingeschlossen ist, "nicht zu eigenen Wohnzwecken" dient.
a) Die Vorinstanz äussert sich nicht zur Anwendbarkeit von
Art. 17 Abs. 1 oder 4 ELV
. Sie beschränkt sich auf den Hinweis, dass die Bewertung sowohl der Liegenschaft (= Leistung) als auch der Nutzniessung (= Gegenleistung) auf gleicher Grundlage zu erfolgen habe. Dem pflichtet die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt mit Recht bei; ohne nähere Begründung vertritt sie aber in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Auffassung, dass in casu vom "Marktwert", d.h. vom Verkehrswert im Sinne von
Art. 17 Abs. 4 ELV
ausgegangen werden müsse. In der vorinstanzlichen Vernehmlassung hat sie diesbezüglich ausgeführt, dass
Art. 17 Abs. 4 ELV
bezwecke, das selbstbewohnte Liegenschaftsvermögen gegenüber andern Vermögensarten zu bevorzugen. Dieser Zweck könne indessen nicht mehr erreicht werden, wenn ein Grundeigentümer seine Liegenschaft verschenke. Diesfalls benötige er die Bevorteilung durch
Art. 17 Abs. 4 ELV
nicht mehr; L. sei daher gleich zu behandeln, wie wenn er die Liegenschaft zum Marktpreis verkauft hätte.
b) Die Sozialversicherungsanstalt übersieht, dass die Verordnung über die EL bei der Vermögensbewertung nicht danach unterscheidet, ob Vermögen tatsächlich noch vorhanden ist oder ob es an Dritte abgetreten worden ist (beispielsweise durch normalen Verkauf oder durch Schenkung). Vielmehr ist
Art. 17 ELV
praxisgemäss in beiden Fällen anwendbar (vgl.
BGE 120 V 184
Erw. 4b,
BGE 113 V 192
Erw. 4c/aa). Demzufolge beantwortet sich die Frage der Anwendbarkeit von Abs. 1 oder 4 danach, ob die Liegenschaft im Zeitpunkt der Handänderung dem Bezüger zu eigenen Wohnzwecken diente oder nicht. Der Begriff "eigen" in
Art. 17 Abs. 4 ELV
kann daher nicht im Sinne von "Eigentum" am Grundstück verstanden werden. Vielmehr bezieht er sich - als attributives Adjektiv - auf das Nomen "Wohnzweck" und kann nur bedeuten, dass der Bezüger (oder eine andere in die EL-Berechnung eingeschlossene Person) die Liegenschaft selber bewohnt (nichts anderes folgt aus der französischen und der italienischen Fassung der fraglichen Bestimmung). Demzufolge gelangt
Art. 17 Abs. 4 ELV
nur zur Anwendung, wenn die dem
BGE 122 V 394 S. 399
Bezüger gehörende Liegenschaft nicht von ihm selber (oder einer im Rahmen der EL-Berechnung mitzuberücksichtigenden Person) bewohnt wird (
BGE 120 V 185
Erw. 4c). Es ist daher an der seitherigen Rechtsprechung festzuhalten, dies jedenfalls so lange, als der Verordnungsgeber keine besondere Regel über die Bewertung des der Verminderung nach
Art. 17a ELV
unterliegenden Verzichtsvermögens, insbesondere von Liegenschaften, erlässt.
c) L. bewohnte die fragliche Liegenschaft mit seiner Frau seit Jahrzehnten, ab 1. November 1991 aufgrund der eingeräumten Nutzniessung. Demzufolge besteht kein Anlass dazu, die Liegenschaft nicht gemäss allgemeiner Regel von
Art. 17 Abs. 1 ELV
aufgrund des kantonalen Steuerwertes zu bewerten. Dafür spricht auch folgende Überlegung: Hätte L. die Liegenschaft nicht verschenkt und wäre er demzufolge nach wie vor Eigentümer gewesen, so wäre klar, dass
Art. 17 Abs. 1 ELV
anwendbar wäre. Der Umstand, dass er nach der Abtretung nicht mehr Eigentümer war, ändert daran nichts; denn wie erwähnt gibt
Art. 17 ELV
keine Grundlage dafür her, (evtl. durch Schenkung) abgetretenes Vermögen anders zu behandeln als noch vorhandenes Vermögen.
Unbestrittenermassen belief sich der kantonale Steuerwert der Liegenschaft im Zeitpunkt der Handänderung auf Fr. 145'000.--. Dies ist der Wert der Leistung von L.
4.
Somit fragt sich, wie hoch die Gegenleistung des Sohnes einzustufen ist. Da die Liegenschaft pfandfrei ist, stellt die Einräumung der lebenslänglichen und unentgeltlichen Nutzniessung die einzige Gegenleistung dar.
a) Praxisgemäss ist für die wertmässige Ermittlung der Gegenleistung vom Mietwert der Liegenschaft im Zeitpunkt der Handänderung resp. der Einräumung der Nutzniessung auszugehen; dieser Mietwert ist alsdann zu kapitalisieren (
BGE 120 V 186
Erw. 4e). Ist - wie gesagt - für die Bewertung der Leistung der kantonale Steuerwert massgebend, so ist folgerichtig auch beim Mietwert der kantonalsteuerrechtliche Ansatz heranzuziehen (wie dies auch aus
Art. 12 Abs. 1 ELV
hervorgeht). Dieser machte gemäss amtlicher Schätzung vom 3. Oktober 1991 im Zeitpunkt der Handänderung Fr. 10'920.-- aus.
b) Anders als noch in ZAK 1988 S. 195 Erw. 4c/bb dargelegt - und auch im Gegensatz zu dem von der Vorinstanz als zutreffend bezeichneten Vorgehen der Sozialversicherungsanstalt -, ist dieser Mietwert aber nicht nach STAUFFER/SCHAETZLE zu kapitalisieren, sondern gemäss neuerer und seither
BGE 122 V 394 S. 400
konstanter Rechtsprechung (
BGE 120 V 186
Erw. 4e; ferner RUMO-JUNGO, Kommentar zum ELG, S. 44) nach den Kapitalisierungstabellen der Eidg. Steuerverwaltung. Steht die Nutzniessung beiden Ehegatten zu, so ist der höhere der beiden Werte massgebend, die sich bei Anwendung des für den Mann und des für die Frau massgebenden Umrechnungsfaktors ergeben (unveröffentlichtes Urteil F. vom 28. Juli 1993).
Im Zeitpunkt der Handänderung war L. 82, seine Ehefrau 76 Jahre alt. Gemäss der seit 1991 gültigen und hier anwendbaren Tabelle (AHI 1994 S. 17) ergibt sich für L. ein Kapitalisierungsfaktor von 7,97 (1000/125.42) und für die Ehefrau von 11,92 (1000/83.84). Der kapitalisierte Wert der Nutzniessung beträgt für L. somit Fr. 87'033.-- (Fr. 10'920.-- x 7,97) und für seine Frau Fr. 130'167.-- (Fr. 10'920.-- x 11,92). Der massgebende Wert der Gegenleistung beläuft sich damit auf Fr. 130'167.--.
5.
a) Die Vorinstanz qualifiziert eine Gegenleistung von 73% des Wertes der Leistung "ermessensweise noch als adäquat". Dem hält die Sozialversicherungsanstalt entgegen, ein Ermessensspielraum sei nur dort gegeben, wo sich der Wert von Leistung und Gegenleistung nicht auf den Franken genau feststellen lasse. Bei einer Liegenschaft resp. bei einer Nutzniessung sei das Gegenteil der Fall. Demnach ist die Sozialversicherungsanstalt der Auffassung, dass bei jeder Differenz zwischen Leistung und (niedriger) Gegenleistung ein Verzicht vorliege. Das BSV seinerseits spricht sich für einen gewissen Spielraum aus, wenn es ausführt, die Gegenleistung müsse mindestens 90% der Leistung ausmachen, um als angemessen beurteilt werden zu können.
b) Nach den vorstehenden Berechnungen macht die Gegenleistung des Erwerbers mit Fr. 130'167.-- 89,7% (oder aufgerundet 90%) der Leistung des Veräusserers von Fr. 145'000.-- aus. Sie kann mit dem BSV als angemessen bezeichnet werden. Wenn die Praxis ein "angemessenes" Verhältnis verlangt, damit der EL-Bezüger oder -Ansprecher dem Vorwurf des Verzichts entgeht, so ist damit kein frankenmässig genaues Aufrechnen von Leistung und Gegenleistung gemeint. Im übrigen verkennt die Sozialversicherungsanstalt, dass auch die Schätzung einer Liegenschaft und die Nutzniessungskapitalisierung (welche von dem vom Schätzungswert abhängigen Mietwert auszugehen hat) mit gewissen Ungenauigkeiten verbunden ist. Zwar lassen sich Ergebnisse "auf den Franken genau" ermitteln. Bezüglich Angemessenheit oder Unangemessenheit des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung lässt sich aus solchen (schein)genauen Zahlen aber nichts
BGE 122 V 394 S. 401
ableiten. Aus diesem Grunde ist eine Gegenleistung noch als angemessen zu betrachten, wenn sie sich in einer Bandbreite von rund 10% zur Leistung bewegt.
Ist nach dem Gesagten in casu ein Verzicht zu verneinen, so entfällt praxisgemäss die Anrechnung eines Verzichtsvermögens, ebenso die Berücksichtigung eines darauf entfallenden hypothetischen Ertrages und eines hypothetischen Verzehrs.
6.
Es verbleibt aber noch zu prüfen, wie bei der Berechnung der laufenden EL die Nutzniessung zu berücksichtigen ist, die sich L. mit der Abtretung der Liegenschaft hatte einräumen lassen.
a) Nutzniessung ist das inhaltlich umfassende (dingliche) Nutzungs- und Gebrauchsrecht an einem fremden Vermögensobjekt. Der Nutzniesser hat dabei den vollen Genuss an der fremden Sache. Er wird aber nicht deren Eigentümer, weil er sie zwar gebrauchen und geniessen, nicht aber rechtlich oder tatsächlich darüber verfügen darf (
Art. 745 ff. ZGB
; ZAK 1989 S. 473 ff.; TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Aufl., Zürich 1995, S. 787 ff.). Daher kann grundsätzlich ein Vermögenswert, an dem Nutzniessung besteht, dem Nutzniesser nicht als Vermögen angerechnet werden (vgl. ZAK 1989 S. 474 unter Hinweis auf Rz. 2108 der Wegleitung über die EL zur AHV und IV [WEL] sowie auf
BGE 110 V 21
Erw. 3 und ZAK 1988 S. 255 Erw. 2b). Ebensowenig kann ein solcher Vermögenswert beim Eigentümer als Vermögen berücksichtigt werden (Rz. 2108 WEL), weil andernfalls auf dem Umweg über den Vermögensverzehr Einkommen angerechnet würde, das dem Eigentümer angesichts der dem Nutzniesser zustehenden Rechte gar nicht zufliessen kann. Indessen beinhaltet die Nutzniessung für den Nutzniesser einen wirtschaftlichen Wert, indem er eine Leistung erhält, die er sich ohne Nutzniessung mit andern Mitteln erkaufen müsste. Aus diesem Grunde ist der Ertrag der Nutzniessung bei der EL-Berechnung als Einkommen anzurechnen. Bei Nutzniessung an einer Liegenschaft ist deren Mietwert (nach den Grundsätzen der direkten kantonalen Steuer;
Art. 12 ELV
) als Einkommen zu erfassen.
b) Die Vorinstanz ist nun allerdings der Auffassung, dass nebst dem Mietwert der genutzten Liegenschaft auch der kapitalisierte Wert der Nutzniessung als Vermögen anzurechnen sei, "obwohl Nutzniessungsvermögen sonst grundsätzlich in der EL-Bemessung nicht als Vermögen anrechenbar ist". Dabei verweist sie auf Rz. 2108 WEL. Danach werden Vermögenswerte, an denen eine Nutzniessung besteht, weder dem Eigentümer noch dem Nutzniesser
BGE 122 V 394 S. 402
angerechnet; "vorbehalten bleiben Verzichte". Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt erblickt in der Argumentation der Vorinstanz zunächst einen Widerspruch: Denn wenn diese einen Verzicht verneine, gehe es nicht an, unter Berufung auf Rz. 2108 WEL Vermögen anzurechnen. Sodann wendet die Sozialversicherungsanstalt ein, dass es gar keine gesetzliche Grundlage dafür gebe, den kapitalisierten Wert der Nutzniessung als Vermögen anzurechnen.
Die Auffassung der Sozialversicherungsanstalt ist zutreffend. Der Nutzniesser darf - wie erwähnt - über das Nutzniessungsvermögen weder rechtlich noch tatsächlich verfügen. Und weil es nur "eine Art theoretisches Vermögen" darstellt, kann auch über den kapitalisierten Wert der Nutzniessung nicht verfügt werden. Das BSV hält daher zutreffend fest, dass der Kapitalwert einer Nutzniessung gar nicht dem EL-rechtlichen Vermögensbegriff entspricht. Daher entfällt eine Anrechnung als Vermögen sowohl nach lit. b als auch nach lit. f von
Art. 3 Abs. 1 ELG
. Denn auch als Verzichtsvermögen kann nur berücksichtigt werden, was dem Vermögensbegriff entspricht. Die Anrechnung des Kapitalwerts der Nutzniessung kommt daher unabhängig davon nicht in Frage, ob der EL-Bezüger nun beispielsweise auf dem Wege des alten Erbrechts (vor 1988) zur Nutzniessung gekommen ist oder ob er sich die Nutzniessung im Rahmen einer Abtretung der Liegenschaft als adäquate oder als blosse Teil-Gegenleistung hat einräumen lassen. Daher könnte im vorliegenden Fall der Kapitalwert der Nutzniessung selbst dann nicht angerechnet werden, wenn ein (Teil-)Verzicht auf Vermögen anzunehmen wäre.
Festzuhalten ist somit, dass es entgegen der Vorinstanz nicht zulässig ist, den kapitalisierten Wert der Nutzniessung als Vermögen anzurechnen. Folgerichtig ist damit - auf der Basis der bisherigen Praxis - bloss der jährliche Wert der Nutzniessung als Einkommen in die EL-Rechnung aufzunehmen, und zwar der auf dem jeweils aktuellen Liegenschaftswert berechnete Mietwert nach
Art. 12 ELV
(unveröffentlichtes Urteil W. vom 23. März 1992).
7.
a) Nach Auffassung der Sozialversicherungsanstalt und des BSV hatte L. mit der Abtretung der Liegenschaft nicht bloss auf das Eigentum daran, "sondern auch darauf verzichtet, sich den Lebensunterhalt zusätzlich durch einen Vermögensverzehr zu finanzieren". Beide vertreten die Meinung, dass der Einkommensbestandteil des Vermögensverzehrs EL-rechtlich zu erfassen sei, wenn zufolge Einräumung einer Nutzniessung oder eines Wohnrechts als
BGE 122 V 394 S. 403
Gegenleistung Vermögen aus der EL-Rechnung wegfalle. Während die Sozialversicherungsanstalt die Lösung darin erblickt, dass der aktuelle Vermögensverzehr (1/10 [vgl.
Art. 3 Abs. 1 lit. b ELG
] des Handelswertes) kapitalisiert und zum Wert der Liegenschaft hinzugerechnet werde, schlägt das BSV vor, die Einräumung der Nutzniessung als Gegenleistung ohne Vermögenswert zu betrachten und somit den Wert der Liegenschaft in vollem Umfange (allenfalls um die vom Erwerber übernommenen Hypotheken vermindert) als Verzichtsvermögen anzurechnen.
b) Die Rechtsprechung ist bisher bei der Ermittlung der Leistung immer bloss vom nach
Art. 17 ELV
massgeblichen Steuerwert einer Liegenschaft ausgegangen und hat auf der Gegenseite die Übernahme von Hypotheken und die Einräumung von Wohnrechten oder Nutzniessungen als Gegenleistung berücksichtigt (
BGE 113 V 190
; ZAK 1977 S. 235 Erw. 3b, 1967 S. 560; unveröffentlichte Urteile F. vom 28. Juli 1993, S. vom 15. Juli 1993, W. vom 23. März 1992, und G. vom 17. August 1989). Hingegen hat sie noch nie darin eine Verzichtshandlung gesehen, wenn mit der Einräumung einer Nutzniessung oder eines Wohnrechts der dieser Gegenleistung entsprechende Vermögensverzehr aus der EL-Rechnung wegfällt.
Es besteht keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung zu ändern und künftig auch in den umschriebenen Fällen einen Verzicht im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG
anzunehmen. Abgesehen davon, dass sie auf eine Kapitalisierung von Verzichtseinkommen und dessen Anrechnung als Verzichtsvermögen hinausliefe (die Frage eines solchen Vorgehens ist im Falle des Verzichts auf Unterhaltsbeiträge offengelassen worden; unveröffentlichtes Urteil B. vom 20. März 1995), kommt die Lösung der Sozialversicherungsanstalt deshalb nicht in Betracht, weil die Bewertung der Leistung klarerweise in Abweichung vom nach
Art. 17 ELV
massgeblichen Steuerwert zu erfolgen hätte und zu einem schlechthin unrealistischen Liegenschaftswert führen würde, indem bei einem kantonalen Steuerwert von Fr. 145'000.-- von einem Gesamtwert der Liegenschaft von Fr. 389'675.-- auszugehen wäre, d.h. von einem weit höheren Wert, als wenn die Liegenschaft überhaupt nicht abgetreten worden wäre. Gegen den Vorschlag des BSV spricht anderseits, dass der Liegenschaftswert nach
Art. 17 ELV
durch Einräumung einer Nutzniessung oder eines Wohnrechts nach Massgabe des Alters der berechtigten Personen eben doch mehr oder weniger erheblich vermindert wird und dass insofern eine wirtschaftlich relevante Gegenleistung des Erwerbers vorliegt, die im Rahmen der Beurteilung eines
BGE 122 V 394 S. 404
Verzichts (Vergleich der Leistung mit der Gegenleistung) nicht ausser acht gelassen werden kann. Für die Berücksichtigung eines geldwerten Ausgleichs für den nach Einräumung der Nutzniessung nicht mehr anrechenbaren Vermögensverzehr in die EL-Berechnung fehlt somit angesichts des geltenden
Art. 17 ELV
die rechtliche Grundlage.
8.
Zusammenfassend ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass ein adäquates Verhältnis zwischen der Leistung von L. und der Gegenleistung in Form der Nutzniessung zu bejahen und demzufolge ein Vermögensverzicht zu verneinen ist, dass der dem aktuellen Liegenschaftswert entsprechende Mietwert der Liegenschaft als Einkommen anzurechnen ist, und dass - was unbestritten ist - auf der Ausgabenseite nebst dem Mietzinsabzug ein Abzug für die von L. zu tragenden Gebäudeunterhaltskosten (
Art. 16 ELV
) zu gewähren ist.
Die Sozialversicherungsanstalt wird daher im Sinne der Erwägungen eine Neuberechnung der EL vorzunehmen haben. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8f21615b-03b3-4be5-84fb-339d71528d50 | Urteilskopf
115 Ib 206
29. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 19 juillet 1989 dans la cause B. contre Genève, Tribunal administratif (recours de droit administratif) | Regeste
Stillstand von Fristen;
Art. 34 OG
als stellvertretendes kantonales Recht.
Gegen einen nach kantonalem Recht ergangenen Entscheid, der die Anwendung von Bundesrecht ausschliesst, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Hat der kantonale Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnisse einen bestimmten Bereich geregelt, so sind auch bei einem allgemeinen Vorbehalt zugunsten des Bundesrechts dessen Bestimmungen nicht anwendbar (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 115 Ib 206 S. 207
B. a recouru auprès du Tribunal administratif du canton de Genève contre une décision de retrait de permis de conduire. Son recours a été déclaré irrecevable car tardif. Agissant par la voie du recours de droit administratif, il fait valoir qu'en l'absence dans la loi genevoise de procédure administrative d'une disposition relative à la suspension des délais, l'
art. 34 OJ
doit être applicable, conformément à l'art. 3 de la loi genevoise de procédure administrative qui réserve les dispositions de procédure du droit fédéral. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La question soumise au Tribunal fédéral est de savoir si c'est à tort ou à raison que le Tribunal administratif genevois n'est pas entré en matière sur le recours déposé par B.
2.
Le recourant soutient qu'en l'absence, dans la loi genevoise de procédure administrative, d'une réglementation relative à la suspension des délais, l'
art. 34 OJ
doit être appliqué en vertu de l'art. 3 de la loi genevoise de procédure administrative, qui réserve les dispositions de procédure du droit fédéral. C'est par conséquent à titre de droit cantonal supplétif que le recourant invoque l'application de l'
art. 34 OJ
. Selon la jurisprudence, doit être considérée comme ressortissant au droit cantonal une norme de droit fédéral qui ne trouve pas application en tant que telle, mais qui complète une réglementation cantonale présentant certaines lacunes que le droit fédéral n'impose toutefois pas de combler (
ATF 103 IV 78
consid. 1,
ATF 89 II 212
consid. 3). Il y a dès lors lieu de considérer que l'arrêt attaqué est fondé sur du droit cantonal de procédure.
BGE 115 Ib 206 S. 208
3.
La jurisprudence admet que la voie du recours de droit administratif est ouverte notamment contre une décision d'irrecevabilité fondée sur un motif de droit cantonal et qui empêche pratiquement l'application du droit fédéral. Toutefois, l'application du droit cantonal ne peut être revue que pour violation du droit fédéral (
art. 104 lettre a OJ
), y compris du droit constitutionnel fédéral, et non pas pour violation du droit cantonal, car un recours de droit administratif ne peut pas être formé pour violation du droit cantonal (
ATF 103 Ib 314
consid 2b et les arrêts cités). Cela implique pratiquement que le Tribunal fédéral examine non pas librement, mais uniquement sous l'angle restreint de l'arbitraire, l'interprétation et l'application du droit cantonal, comme il le ferait saisi d'un recours de droit public pour arbitraire dans l'application du droit cantonal (
ATF 100 Ib 370
; cf. également
ATF 112 Ib 413
consid. 2a,
ATF 99 Ib 394
,
ATF 98 Ib 336
). Un autre arrêt, paru aux
ATF 102 Ib 286
consid. 2, précise que c'est au regard du droit cantonal que le Tribunal fédéral doit rechercher si la décision attaquée était arbitraire ou non.
En vertu de l'art. 63 al. 1 lettre a de la loi genevoise de procédure administrative, le délai pour attaquer une décision finale est de trente jours. Cette même loi contient en outre des dispositions relatives à la computation des délais. Elle ne prévoit en revanche pas de suspension des délais. La réserve tout à fait générale du droit fédéral prévue par l'art. 3 a trait notamment à l'
art. 1er al. 3 PA
et n'implique nullement que soient applicables des dispositions spécifiques du droit fédéral dans un domaine qui est de la compétence cantonale et que le législateur cantonal a réglé dans une assez large mesure. Il y a au contraire lieu d'admettre que si le législateur genevois avait souhaité que les délais soient suspendus dans la même mesure qu'en vertu du droit fédéral il aurait expressément prévu une telle disposition, comme il l'a, au demeurant, fait à l'art. 30 de la loi de procédure civile. Il n'est dès lors pas arbitraire de considérer que la suspension des délais prévue à l'
art. 34 OJ
ne s'applique pas aux recours soumis à la loi genevoise de procédure administrative. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f259425-5a32-4fdf-a8f2-9cd3f4ba9a94 | Urteilskopf
97 V 70
18. Extrait de l'arrêt du 12 mai 1971 dans la cause Mathez contre Caisse maladie et accidents L'Avenir et Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg | Regeste
Art. 12 ff. KUVG
.
Verspätete Unfallmeldung, Vergleich mit einem Drittversicherer ohne Zustimmung der Krankenkasse über dessen Leistungspflicht für den selbstverschuldeten Versicherungsfall: Vereinbarkeit des sanktionsweisen Entzuges sämtlicher Kassenleistungen mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. | Erwägungen
ab Seite 70
BGE 97 V 70 S. 70
Extrait des considérants:
a) Le Tribunal fédéral des assurances a déjà jugé que la règle statutaire imposant à l'assuré l'obligation d'aviser la caisse de la survenance d'une maladie ou d'un accident n'est pas contraire
BGE 97 V 70 S. 71
au droit fédéral, du moins lorsque l'annonce peut raisonnablement être exigée de l'intéressé. D'autre part, l'avis donné à une compagnie d'assurances privée contre les accidents n'est pas opposable, en principe, à une caisse-maladie (RO 96 V 8 ss, consid. 2; ATFA 1967 pp. 131 ss). Il ne saurait en aller autrement lorsque cette compagnie est intéressée au litige comme assureur de la responsabilité civile du tiers impliqué dans le cas d'espèce, ou lorsque le cas a été annoncé à une autre caisse reconnue, sans lien quelconque avec celle également concernée par le règlement du sinistre.
En l'occurrence, l'annonce de l'assuré à la caisse intimée a eu lieu plus de 3 ans après l'accident et plusieurs mois après la fin du traitement ... La tardiveté de l'annonce est gravement fautive ... Souffre dès lors de rester ouverte la question de savoir si l'on aurait pu faire grief à l'assuré - ou à ses parents - de ne pas avoir requis expressément une feuille de maladie en annonçant l'accident, ce qui semblerait procéder d'un formalisme excessif.
b) Par convention avec une compagnie d'assurances privée, l'intéressé a abandonné une partie du dommage sans l'approbation préalable de la caisse, fait qui lui aussi entraîne perte du droit aux prestations suivant le règlement. Il a compromis ainsi les droits de la caisse, sans qu'il soit besoin d'examiner si la réduction (de 20% opérée par cette assurance pour transport gratuit et risque accepté) était justifiée ou non. Sauf circonstances exceptionnelles, on ne saurait en effet sanctionner la transgression d'une semblable règle seulement lorsque la caisse subit un préjudice direct: comme le relève l'Office fédéral des assurances sociales, il importe que cette dernière ait une possibilité de contrôle, afin de sauvegarder ses droits et de faire respecter le principe de subsidiarité prévu à l'art. 26 al. 3 LAMA. Or un tel contrôle suppose l'observation de règles d'ordre, dont la violation doit être réprimée (v., s'agissant de l'annonce du cas, RO 96 V 8 ss, consid. 2).
c) La gravité des fautes commises, qui viennent s'ajouter au fait d'avoir pris place dans un véhicule dont le conducteur présentait un taux d'alcoolémie de l'ordre de 1‰, est telle que le refus de toute prestation ne peut être tenu pour contraire au principe de la proportionnalité de la sanction (RO 96 V 1 ss; ATFA 1968 pp. 160 ss; 1967 pp. 57 ss, 139 ss). | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8f27a1b6-4159-473c-a219-3bfced61542b | Urteilskopf
109 II 428
90. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. November 1983 i.S. Konkursmasse der X. AG gegen A. und B. Y. (Berufung) | Regeste
Kauf, der gegen den Bundesbeschluss über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewB) verstösst; Klage des Verkäufers auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes (Grundbuchberichtigungsklage).
1. Das Klagerecht der zuständigen kantonalen Behörde im Sinne des heutigen
Art. 22 BewB
hat nicht zur Folge, dass der Private (Verkäufer) keinen Grundbuchberichtigungsanspruch geltend machen könnte (E. 2).
2. Dem klagenden Verkäufer kann nicht entgegengehalten werden, er berufe sich in rechtsmissbräuchlicher Weise auf die Nichtigkeit des Kaufvertrages (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 428
BGE 109 II 428 S. 428
Aus den Erwägungen:
1.
Durch den Entscheid des Verwaltungsgerichts ... vom 5. September 1979 wurde rechtskräftig festgestellt, dass der Kaufvertrag vom 26. August 1971 zwischen der X. AG (Käuferin) und den Klägern unter Verletzung des Bundesbeschlusses über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (in der Fassung vom 24. Juni 1970) zustande gekommen und demzufolge nichtig ist (vgl. dazu
BGE 105 II 312
E. 2). Während das Kantonsgericht der Auffassung ist, den Klägern stehe die Legitimation zur Grundbuchberichtigungsklage, d.h. zur Klage auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes,
BGE 109 II 428 S. 429
zu, stellt sich die Beklagte (Konkursmasse der X. AG) auf den Standpunkt, in den Fällen, da die Eigentumsübertragung bereits vollzogen sei, sei gemäss
Art. 13 BewB
einzig die "klageberechtigte kantonale Behörde" aktivlegitimiert.
2.
Der Text des BewB setzt sich aus drei Fassungen zusammen, die auf die Jahre 1961 (AS 1961 S. 203 ff.), 1965 (AS 1965 S. 1239 ff.) und 1970 (AS 1970 S. 1199 ff.) zurückgehen. Die mit der Revision von 1970 eingetretenen Änderungen sind für den vorliegenden Streit ohne Bedeutung und können deshalb von vornherein ausser acht bleiben.
Art. 11 Abs. 3 in der Fassung von 1961 sah vor, dass die Nichtigkeit von Amtes wegen zu beachten sei und dass unter den Parteien in diesen Fällen
Art. 66 OR
über den Ausschluss der Rückforderung keine Anwendung finde. Den gleichen Wortlaut hat Art. 12 Abs. 3 in der Fassung von 1965. Der BewB unterscheidet sodann zwischen nichtigen Rechtsgeschäften, die noch zu keiner Eintragung geführt haben, und solchen, die grundbuchlich vollzogen sind. Für den zweiten Fall sah die Fassung von 1961 ein Klagerecht der "klageberechtigten kantonalen Behörde" auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes vor, das innert Jahresfrist seit der Entdeckung, höchstens aber innert zwei Jahren seit dem Erwerb, geltend zu machen war (Art. 13 Abs. 1). In Absatz 2 wurden einige Fälle erwähnt, in welchen dieses Klagerecht entfiel. Die Fassung von 1965 hat den erwähnten Grundsatz bestätigt, darüber hinaus den Gerichtsstand präzisiert (Richter am Ort der gelegenen Sache) und die absolute Frist auf zehn Jahre ab Erwerb erstreckt. Ferner wurde bei Art. 13 neu ein Abs. 1bis eingefügt, wonach der Richter die öffentliche Versteigerung anordnen kann, wenn die Wiederherstellung sich als unmöglich oder untunlich erweist; dabei kann der Erwerber nur die Gestehungskosten beanspruchen; ein allfälliger Mehrerlös fällt dem Kanton zu. Die heute geltende Fassung des BewB (SR 211.412.41) entspricht im wesentlichen der Fassung von 1965. Allerdings wurde die absolute Verjährungsfrist derjenigen der Strafverfolgung gleichgesetzt (vgl. Art. 22 Abs. 1). Die privatrechtlichen Folgen einer Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit wurden insofern präzisiert, als an die Stelle der Verweisung auf
Art. 66 OR
folgende Fassung getreten ist: "Versprochene Leistungen können nicht gefordert und erbrachte Leistungen können binnen fünf Jahren, bei strafbaren Handlungen bis zur Verjährung der Strafverfolgung, zurückgefordert werden" (Art. 20 Abs. 3).
BGE 109 II 428 S. 430
Mit Bezug auf die hier streitige Frage der Klagelegitimation des Privaten ergibt sich entstehungsgeschichtlich folgendes: In der Botschaft vom 15. November 1960 (BBl 1960 II S. 1261 ff., insbes. S. 1286) führt der Bundesrat aus, Abs. 1 von Art. 13 des Entwurfes ergänze materiell
Art. 973 ff. ZGB
, und zwar in Anlehnung an Art. 44 des Bundesratsbeschlusses vom 19. Januar 1940 über Massnahmen gegen die Bodenspekulation (BS 9, 166); das dort statuierte Klagerecht des dinglich Berechtigten bleibe von der ergänzenden Klageberechtigung der Behörde unberührt. Anlässlich der Beratung von Art. 13 des Entwurfes im Nationalrat erklärte Nationalrat König: "Artikel 13 sieht die Klage des Staates vor, die einsetzt, falls ein an sich genehmigungspflichtiges Geschäft ohne Genehmigung im Grundbuch eingetragen wird. In diesem Falle haben nicht nur die Parteien, sondern auch der Staat das Recht zur Klage auf Löschung dieses ungerechtfertigten Eintrages. Damit ist jedermann einverstanden" (Sten.Bull. 1960 N, S. 766).
Wie die Vorinstanz mit Recht ausführt, hat das Klagerecht der Behörde seinen guten Sinn darin, dass es nicht dem Belieben der beteiligten Parteien überlassen bleibt, dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Bestimmungen des BewB auch hinsichtlich der zivilrechtlichen Folgen zum Durchbruch zu verhelfen (vgl.
BGE 106 Ib 13
E. 2). Daraus darf aber nicht gefolgert werden, der aus dem gemeinen Recht abgeleitete Grundbuchberichtigungsanspruch des Privaten werde ausgeschlossen und es sei diesem untersagt, die aus der Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes fliessenden zivilrechtlichen Ansprüche geltend zu machen. Die mit der Klagelegitimation der Behörde angestrebte Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes lässt sich ohne weiteres auch mit der Klage des Privaten erreichen (vgl.
BGE 107 Ib 188
E. 6b). Wo der BewB vom ordentlichen Recht abweichen soll, wurde dies ausdrücklich gesagt. Es sei in diesem Zusammenhang auf den Ausschluss der Anwendbarkeit von
Art. 66 OR
hingewiesen (Art. 12 Abs. 3 in der Fassung von 1965).
Die Klagelegitimation der Kläger wurde von der Vorinstanz nach dem Gesagten zu Recht bejaht. Dass die Durchsetzung des Anspruches über die Grundbuchberichtigungsklage des
Art. 975 ZGB
zu erfolgen hatte, hat das Kantonsgericht sodann überzeugend dargelegt. Auch weist die Vorinstanz zutreffend darauf hin, dass die Grundbuchberichtigungsklage - als die bei Grundstücken zur Anwendung gelangende Vindikationsklage = grundsätzlich unbefristet ist.
BGE 109 II 428 S. 431
3.
Die Beklagte wendet ein, die Kläger hätten zur Umgehung des BewB Hand geboten; ihrer Klage stehe somit
Art. 2 Abs. 2 ZGB
entgegen. Zur Gut- oder Bösgläubigkeit der Kläger hat die Vorinstanz keine Feststellungen getroffen. Weder aus dem verwaltungsgerichtlichen Entscheid vom 5. September 1979 noch sonst ergeben sich Umstände, die auf einen bösen Glauben der Kläger schliessen liessen. Im übrigen kann auf dem hier in Frage stehenden Rechtsgebiet der Geltendmachung der Nichtigkeit die Einrede des Rechtsmissbrauchs nicht entgegengehalten werden (vgl.
BGE 107 II 449
E. 2b am Ende;
BGE 105 II 316
E. 5e). Ob im vorliegenden Fall die Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes im öffentlichen Interesse stehe oder nicht, braucht nicht geprüft zu werden, ist doch die Nichtigkeit im BewB zwingend vorgeschrieben.
4.
Die Vorinstanz hat festgehalten, dass die Klage auch dann zu schützen gewesen wäre, wenn die Rückabwicklung des nichtigen Geschäftes nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen gehabt hätte, zumal ein solcher Rückforderungsanspruch im Zeitpunkt des Vermittlungsbegehrens noch nicht verjährt gewesen sei. Dabei ging sie davon aus, dass sich die Verjährung nach
Art. 67 OR
richten würde. Im vorliegenden Fall sei der Eintrag des nichtigen Kaufvertrages am 26. August 1971 erfolgt; die Klage sei am 22. Dezember 1980 ... eingereicht worden, somit vor Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist. Die sichere Kenntnis ihres Rückforderungsanspruches hätten die Kläger erst dann gehabt, als das am 9. Februar 1980 mitgeteilte verwaltungsgerichtliche Urteil vom 5. September 1979 in Rechtskraft erwachsen sei. Indem sie das Vermittlungsbegehren am 22. Dezember 1980 gestellt hätten, hätten sie auch die einjährige Frist von
Art. 67 Abs. 1 OR
gewahrt. Das Kantonsgericht hat es im übrigen abgelehnt, Art. 20 Abs. 3 der seit 1. Februar 1974 in Kraft stehenden Fassung des BewB (Begrenzung der Verjährung des Bereicherungsanspruches auf fünf Jahre seit Erbringen der Leistung) rückwirkend auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.
Ob die Verjährungsbestimmung des
Art. 20 Abs. 3 BewB
- gestützt auf
Art. 49 SchlT ZGB
- auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei, kann dahingestellt bleiben. Wie sich aus der Botschaft des Bundesrates vom 25. Oktober 1972 (BBl 1972 II S. 1263) und aus der Beratung im Nationalrat (Amtl.Bull. 1972 N, S. 2254 f.) nämlich eindeutig ergibt, ist die neue - fünfjährige - Verjährungsfrist dazu bestimmt, die einjährige, als zu kurz
BGE 109 II 428 S. 432
empfundene Frist des
Art. 67 OR
zu verlängern, und nicht die bisher zur Anwendung gekommenen Fristen zu verkürzen. Aus dem neuen Wortlaut des BewB kann die Beklagte mithin nichts für sich ableiten.
... | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f2830a7-adac-41e2-aeb2-616bb0eb573f | Urteilskopf
85 II 293
47. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 22 octobre 1959 dans la cause B. contre B. | Regeste
Ehescheidung.
Art. 142 ZGB
.
Inwiefern fallen als Grund zur Scheidung der Ehe auch Tatsachen in Betracht, die sich vor der Trauung ereignet haben, jedoch erst später, namentlich durch Geständnis eines Ehegatten, bekannt geworden sind? | Sachverhalt
ab Seite 293
BGE 85 II 293 S. 293
A.-
Jean-Pierre B. et Ruth B. se sont mariés le 19 octobre 1951. Ils entretinrent des relations sexuelles dès le printemps 1950. B. prétend que sa fiancée lui avait déclaré qu'elle était vierge, mais qu'elle avait dû subir une intervention chirurgicale anodine. Au printemps 1954, elle lui avoua qu'elle avait aimé, en 1945, un officier et avait conçu un enfant, expulsé par une interruption légale de la grossesse. Des différends surgirent dès 1955 entre époux. Une séparation s'ensuivit.
BGE 85 II 293 S. 294
B.-
Le mari a introduit action en nullité de mariage, éventuellement en divorce. Son épouse conclut d'abord à la séparation de corps, puis au divorce. Le demandeur abandonna ultérieurement sa conclusion principale.
La juridiction cantonale de dernière instance déclara le mariage dissous par le divorce, enjoignit à B. de payer une pension de 300 fr. par mois et une indemnité pour tort moral de 3000 fr., ordonna la liquidation du régime matrimonial et interdit au demandeur de se remarier dans un délai de deux ans.
C.-
Agissant par la voie du recours en réforme, le demandeur requiert le Tribunal fédéral de réformer ce jugement. La défenderesse et intimée propose le rejet du recours.
Erwägungen
Extrait des motifs:
En principe, selon la jurisprudence, ne constituent une cause de divorce que les faits postérieurs à la conclusion du mariage. Les conjoints ne doivent se conduire en époux, en effet, que dès cet acte juridique. Cette obligation leur est imposée même s'il existe des motifs de nullité (art. 132 CC), et l'on peut dissoudre par le divorce un mariage (matrimonium existens) entaché de nullité, mais qui n'a pas été annulé judiciairement (RO 70 II 4 sv.; cf. EGGER, Vorbemerkungen ad
art. 137 sv
. CC, no 20; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 1952, p. 9). Les motifs de nullité, en revanche, précèdent par définition la conclusion du mariage.
Exceptionnellement, toutefois, certains faits antérieurs au mariage entrent en considération s'ils sont une cause de divorce (spécialement la cause générale prévue à l'art. 142 CC). Ce peuvent être des motifs qui se rapprochent des moyens de nullité (GMÜR, ad art. 142 CC, IV 6, no 26), ou d'autres faits (EGGER, loc.cit. note 19; cf. BlZR 21 [1922], no 44; il n'est pas nécessaire d'examiner en l'espèce si l'arrêt déjà ancien RO 33 II 222, qui exclut les cas de nullité, est dépassé). La jurisprudence cependant
BGE 85 II 293 S. 295
- sans résoudre, semble-t-il, l'ensemble de la question - a posé, tant sous l'empire de l'ancien droit (art. 47 de la loi fédérale concernant l'état civil et le mariage, du 24 décembre 1874; RO 33 II 221-223) que depuis 1912 (art. 142 CC; Praxis des Bundesgerichts, vol. 2 [1913] p. 379 s., arrêt Kägi-Gelati, du 2 juillet 1913; BlZR 21 [1922] no 44), certaines conditions minimums pour que soit réalisée, dans ce cas, la cause générale de divorce - seule invoquée par le recourant.
Tout d'abord, les faits antérieurs au mariage ne sont pas pertinents en soi ou en raison de la faute qu'ils révèlent, mais seulement par l'effet qu'ils exercent après le mariage, comme cause objective de rupture du lien conjugal (cf. aussi EGGER, ad art. 142 CC, I 2, no 3). L'exemple le plus frappant est l'influence de la révélation, au cours du mariage, d'une faute ou de toute autre circonstance qui l'a précédé; la connaissance du fait ruine la confiance du conjoint informé trop tard de son infortune. On peut de même concevoir qu'un délit infamant ou une conduite déshonorante antérieure au mariage constituent une cause (spéciale: art. 139 CC) de divorce, lorsque l'espoir d'une amélioration s'évanouit - bien qu'on ait eu quelques raisons de le nourrir -, ou lorsqu'on ne peut plus - encore qu'on en ait eu l'intention sérieuse - supporter la déchéance du conjoint; cf. EGGER, Vorbemerkungen ad
art. 137 sv
. CC, no 19; ad art. 139 CC, no 5.
Il est nécessaire, d'autre part, que le lien conjugal soit atteint si profondément par l'effet produit que la vie commune en devienne insupportable. Le fait allégué par le demandeur doit donc être propre, en soi, à réaliser cette atteinte; ce sera, dans le premier exemple, la déception causée par la tromperie révélée et le mépris, voire l'injure grave que constitue l'absence de loyauté et de franchise. Il faut, en outre, que le fait ait réellement entraîné, en l'espèce, la rupture du lien conjugal.
Appliquant ces principes, les arrêts cités ont admis l'action en divorce lorsque la fiancée, enceinte d'un tiers
BGE 85 II 293 S. 296
lors du mariage civil, se tait et que le mari, sitôt informé, s'éloigne définitivement de son épouse (RO 33 II 221-223; BlZR 21 [1922] no 44). Dans un autre cas (Praxis, loc.cit.), la fiancée avait trompé systématiquement son futur mari sur son âge, ses ascendances, ses espérances et les relations et les titres de noblesse de sa famille, bien qu'elle sût que ces circonstances présentaient à ses yeux un grand intérêt; elle n'avait en outre montré aucun repentir.
En l'espèce, on ne saurait reconnaître le bien-fondé du moyen tiré des relations sexuelles entretenues par l'intimée en 1945, de l'interruption non punissable de la grossesse qui s'ensuivit et de l'aveu de 1954. Certes, le recourant prétend que l'intimée l'a assuré de sa virginité. Il ne lui a toutefois pas posé de question à ce sujet, lorsqu'il se rendit compte qu'elle était déflorée; sa fiancée s'est bornée à se taire; elle explique même son silence par le fait que son fiancé, noblement, ne voulait rien savoir de son passé. Quoi qu'il en soit, les effets de cette liaison, déjà lointaine, n'étaient plus à craindre. Quant à l'aveu de 1954, d'où serait né tout le mal, il procède uniquement, selon la cour cantonale, d'un souci de sincérité et de loyauté, l'intimée ayant été contrainte moralement de se libérer d'un poids devenu intolérable. Cette circonstance démontre, s'il est besoin, que la fiancée n'a pas caché intentionnellement à son futur mari des circonstances douloureuses pour elle. L'aveu, enfin, n'a pas rendu la vie commune insupportable; celle-ci s'est poursuivie normalement plusieurs mois encore. Il n'y a pas de raison de penser non plus qu'il a brisé l'union; le recourant, encore qu'il paraisse issu d'un milieu strict, n'est guère pointilleux en matière de morale sexuelle; il a entretenu des relations avec l'intimée bien avant de songer à des fiançailles et au mariage et a commis l'adultère. | public_law | nan | fr | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f2a4046-d43b-467f-bf6a-6436aa38fc08 | Urteilskopf
90 I 133
21. Auszug aus dem Urteil vom 5. Juni 1964 i.S. Bank X gegen Eidg. Bankenkommission | Regeste
1. Begriff der Bank nach Art. 1 Abs. 1 des Bankengesetzes. Bedeutung der in Abs. 2 daselbst vorgesehenen Ausnahmen. (Erw. 3).
2. Ist ein Unternehmen mit überwiegend bankgewerblicher Tätigkeit dem Bankengesetz unterstellt worden, so darf diese Unterstellung, wenn es sich später in stärkerem Mass als früher einer andersartigen Geschäftstätigkeit widmet, nur dann aufgehoben werden, wenn nunmehr diese andere Tätigkeit deutlich überwiegt. (Erw. 4).
3. Wie ist die überwiegende Geschäftstätigkeit zu ermitteln? (Erw. 5, a). | Erwägungen
ab Seite 133
BGE 90 I 133 S. 133
Aus den Erwägungen:
3.
Der Begriff der Bank wird in Art. 1 des Gesetzes nicht umschrieben. Dass das Gesetz aber nur Unternehmen,
BGE 90 I 133 S. 134
die "einen eigentlichen Bankbetrieb führen", als Banken anerkannt wissen will, ergibt sich aus Abs. 2 daselbst, wonach dem Gesetze nicht unterstellt sind "c. Börsenagenten und Börsenfirmen, die neben dem Handel mit Wertpapieren und den damit unmittelbar im Zusammenhang stehenden Geschäften keinen eigentlichen Bankbetrieb führen; d. Vermögensverwalter, Notare und Geschäftsagenten, die lediglich die Gelder ihrer Kunden verwalten und keinen eigentlichen Bankbetrieb führen". Im übrigen unterscheidet das Gesetz zwischen "bankähnlichen Finanzgesellschaften" und "industriellen und kommerziellen Finanzgesellschaften". Jene unterstehen dem Gesetze nach Art. 1 Abs. 1, wenn sie sich öffentlich zur Annahme fremder Gelder empfehlen, schlechthin, sonst aber nach Art. 1 Abs. 2 lit. a nur den Art. 7 und 8. Und die industriellen und kommerziellen Finanzgesellschaften unterstehen dem Gesetz überhaupt nicht, selbst wenn sie sich öffentlich zur Annahme fremder Gelder empfehlen (Art. 1 Abs. 2 lit. b).
Die in Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes enthaltene Aufzählung der Unternehmen, deren Tätigkeit derjenigen einer Bank einigermassen ähnlich ist, die das Gesetz aber nicht als Banken gelten lässt, darf nicht als abschliessend betrachtet werden (vgl. REIMANN, N. 7 zu
Art. 1 BankG
). Ein Unternehmen, das nicht im landläufigen Sinne des Wortes, also nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens, eine Bank ist, untersteht dem Gesetze nicht, auch wenn es in der Aufzählung des Abs. 2 daselbst nicht genannt ist (vgl. BRÜHLMANN, N. 2 zu
Art. 1 BankG
). So ist denn in
BGE 87 I 501
/2 eine Finanzgesellschaft nicht dem Bankengesetz unterstellt worden, obwohl sie keine "industrielle oder kommerzielle" war. Sie erwies sich eben gleichwohl nicht als "bankähnliche", weil sie sich hauptsächlich mit der Finanzierung des Baugewerbes ihres Hauptaktionärs befasste. Im vorliegenden Falle hat freilich die Beschwerdeführerin seit dem Jahre 1961 ihre geschäftliche Tätigkeit in einer Weise geändert, dass sie, was auch die Bankenkommission
BGE 90 I 133 S. 135
anerkennt, überhaupt nicht mehr als Finanzgesellschaft zu betrachten ist, die bloss einem bestimmten Unternehmen oder einem Konzern als "Hausbank" zu dienen hätte. Die Gründe, aus denen im Falle des erwähnten Präjudizes die Unterstellung unter das Bankengesetz aufzuheben war, treffen also hier nicht zu. Da es aber nicht entscheidend darauf ankommt, ob einer der in Art. 1 Abs. 2 genannten besondern Fälle oder ein analoger Fall vorliege, sondern darauf, ob die Beschwerdeführerin eine Bank im wahren Sinne des Wortes sei, gemäss dem grundlegenden Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes, hat die Bankenkommission mit Recht die gewerbliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin unter diesem Gesichtspunkte geprüft.
4.
Bei gemischter, teils bankgewerblicher, teils andersartiger Geschäftstätigkeit ist, wie in
BGE 87 I 500
/1 dargelegt wird, entscheidend, welcher der beiden Geschäftszweige überwiegt. Eine Frage für sich ist, wie es sich verhält, wenn die bankmässige und die andersartige Tätigkeit sich ungefähr die Waage halten. In Sachen I.B.Z. vom 13. Juli 1962 hat das Bundesgericht ausgesprochen, eine bisher dem Bankengesetz nicht unterstellte Finanzgesellschaft gemischten Charakters sei dem Gesetze nur dann nachträglich zu unterstellen, wenn der bankgewerbliche Zweig ihrer Tätigkeit bereits deutlich das Übergewicht erlangt hat. Im umgekehrten Fall eines seit Jahren dem Bankengesetz unterstellten Unternehmens, wie des vorliegenden, das denn auch - erlaubterweise - im Geschäftsverkehr als Bank aufgetreten ist, wäre es dagegen unangebracht, das Unternehmen nicht mehr als Bank gelten zu lassen, sobald neben die bankgewerbliche eine andere Tätigkeit von ungefähr gleichem Umfange getreten ist. Vielmehr ist in einem solchen Falle der Bankcharakter nur dann nachträglich zu verneinen, wenn nunmehr die bankfremde Betätigung deutlich überwiegt. Ist dies der Fall, so darf es dann allerdings nicht bei der Unterstellung unter das Bankengesetz bleiben, das die Verwendung des Ausdruckes "Bank" oder "Bankier" in der Firma, in
BGE 90 I 133 S. 136
der Bezeichnung des Geschäftszweckes und in Geschäftsreklamen ausschliesslich den wirklich das Bankgewerbe betreibenden Unternehmen vorbehält (Art. 1 Abs. 3).
5.
Ob die bankgewerbliche oder die andersartige Tätigkeit eines Unternehmens überwiegt, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen zu entscheiden (
BGE 87 I 498
). Die Fassung der Statuten, das äussere Auftreten des Unternehmens, die Bezeichnung des Gewerbes in Briefen, Zeitungsinseraten und dergleichen gibt nicht zuverlässig die wahre, namentlich nicht mit Sicherheit die überwiegende Tätigkeit des Unternehmens kund. Mit Recht hat daher die Bankenkommission diese Tätigkeit ermittelt, wie sie sich an Hand der auf Ende 1962 erstellten Jahresbilanz (verglichen mit der Bilanz des Vorjahres) darbietet. Grundsätzlich können zwar im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch neu in das Verfahren eingeführte Tatsachen berücksichtigt werden, selbst solche, die erst seit Fällung des angefochtenen Entscheides eingetreten sind (
Art. 105 OG
;
BGE 55 I 173
). Zur Entscheidung über die Unterstellung unter das Bankengesetz muss jedoch ein Stichtag gewählt werden, auf den sich die Geschäftsverhältnisse des Unternehmens zuverlässig überprüfen lassen. Das ist notwendigerweise der Zeitpunkt, auf den die der Bankenkommission unterbreitete Bilanz erstellt worden ist (vgl. das Urteil i.S. I. B.Z. vom 13. Juli 1962, Erw. 3).
a) Da indessen nicht der Stand der Jahresrechnungen an und für sich, sondern die ihnen zu Grunde liegende Geschäftsstätigkeit massgebend ist, darf nicht einfach auf die sich nach aussen im einen oder andern Sinne darbietenden Bilanzpositionen abgestellt werden. Es sind vielmehr weitere Auskunftsmittel (Briefe und andere Aktenstücke, namentlich aber der Bericht der Revisionsstelle) beizuziehen, aus denen sich ergibt, auf was für Geschäftsvorfällen die einzelnen Bilanzpositionen beruhen (vgl. GRANER, Der Geltungsbereich des Bankengestzes, S. 61). | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f2e32dc-9c22-4625-9abf-ba46207643f2 | Urteilskopf
126 II 86
10. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 24 février 2000 dans la cause A. contre Commission fédérale des banques (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 38 BEHG
; internationale Amtshilfe, verlangt von der "Commission française des opérations de bourse" (COB).
Die COB genügt als Aufsichtsbehörde über die Finanzmärkte den Anforderungen an die Vertraulichkeit (
Art. 38 Abs. 2 lit. b BEHG
; E. 3).
Anwendung eines
Art. 76 lit. c IRSG
ähnlichen Prinzips? Die vorliegend verlangten Massnahmen stünden mit einem solchen in Einklang (E. 4).
Das Gesuch der COB trägt dem Vehältnismässigkeitsprinzip Rechnung (E. 5).
Tragweite von
Art. 38 Abs. 2 lit. c BEHG
. Die Stellungnahme des Bundesamtes für Polizei darf nicht eine blosse Formsache sein (E. 6 u. 7). | Sachverhalt
ab Seite 86
BGE 126 II 86 S. 86
Le 16 septembre 1997, les sociétés B. AG et C. SCA - qui détenait 38,91% du capital et 56,18% des droits de vote de la société D. SA - ont conclu un accord portant sur l'achat par B. AG de l'entier du capital de C. SCA. Le prix proposé était de 521,20 FF par action, soit un montant supérieur de 18,9% au dernier cours coté en bourse.
La Commission française des opérations de bourse (ci-après: la COB) a ouvert une enquête pour s'assurer que les transactions réalisées avant la conclusion de cet accord n'avaient pas été effectuées en violation des dispositions légales et réglementaires françaises
BGE 126 II 86 S. 87
relatives, notamment, à l'usage d'une information privilégiée. Son attention avait en effet été attirée par le fait qu'entre le 2 juin et le 21 août 1997, le cours de l'action B. avait augmenté de 30% et qu'entre le 16 juin et le 7 août 1997, celui de l'action D. s'était apprécié de 10%. De plus, au cours de la même période, le volume des transactions concernant ces deux titres avait été, certains jours, plus important que celui traité habituellement. Ses investigations lui ont notamment permis de découvrir que, le 12 septembre 1997, la banque E., à Genève, avait acquis 6'700 titres D. au cours de 449,10 FF.
La COB a requis l'assistance de la Commission fédérale des banques (ci-après: la Commission fédérale) afin d'obtenir des informations sur l'identité du ou des clients de la banque E. pour le compte du ou desquels l'achat du 12 septembre 1997 avait été effectué; elle souhaitait également connaître les raisons de cette acquisition et, le cas échéant, la date et le prix de cession des titres.
Donnant suite à une demande de renseignements de la Commission fédérale, la banque E. l'a informée que l'achat du 12 septembre 1997 avait été réalisé pour le compte de A., domicilié en France, qui avait revendu les titres acquis au cours unitaire de 516 FF le 15 décembre 1997.
Dans ses déterminations sur la demande d'entraide de la COB, l'intéressé a soutenu en substance qu'il avait acquis les titres D. sur la base de recommandations figurant dans un hebdomadaire financier et avait agi de manière conforme à sa politique habituelle de placement.
Par décision du 26 août 1999, la Commission fédérale a accordé l'entraide administrative à la COB et a accepté de lui transmettre les informations communiquées par la banque E. de même que les déterminations de A. (chiffre 1 du dispositif). Elle a précisé que ces informations ne devaient être utilisées qu'à des fins de surveillance directe des bourses et du commerce des valeurs mobilières (chiffre 2 du dispositif). De plus, en accord avec l'Office fédéral de la police, leur éventuelle communication aux autorités pénales françaises compétentes était autorisée, l'autorité requérante devant toutefois leur rappeler que l'utilisation de ces informations était limitée à la poursuite du délit d'usage d'une information privilégiée (chiffre 3 du dispositif). En outre, en vertu de l'art. 38 al. 2 lettre c de la loi fédérale du 24 mars 1995 sur les bourses et le commerce des valeurs mobilières (LBVM; RS 954.1), leur transmission à des autorités tierces, autres que celles mentionnées au chiffre 3 du dispositif, ne pouvait se faire qu'avec l'assentiment préalable de la Commission fédérale (chiffre 4 du dispositif). Enfin, les chiffres 1 à 4 du dispositif ne seraient exécutés
BGE 126 II 86 S. 88
qu'à l'échéance d'un délai de trente jours après la notification de la décision à l'intéressé, si aucun recours n'était déposé dans ce délai auprès du Tribunal fédéral (chiffre 5 du dispositif).
Agissant par la voie du recours de droit administratif, A. demande au Tribunal fédéral de dire que la Commission fédérale doit s'abstenir de donner suite à la demande d'entraide administrative présentée par la COB et de lui faire interdiction de transmettre à cette autorité tout document et toute information contenant une référence ou une allusion quelconque à sa personne, notamment à son identité, à son domicile, à sa nationalité, à ses avoirs ou à ses opérations bancaires.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours et annulé le chiffre 3 du dispositif de la décision attaquée ainsi que les références à son contenu figurant aux chiffres 4 et 5; il a rejeté le recours pour le surplus.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) En vertu de l'
art. 38 al. 2 LBVM
, l'entraide administrative internationale peut être accordée à des autorités étrangères de surveillance des bourses et du commerce des valeurs mobilières, à condition, notamment, qu'elles utilisent les informations transmises exclusivement à des fins de surveillance directe des bourses et du commerce des valeurs mobilières (lettre a; principe de la spécialité) et qu'elles soient liées par le secret de fonction ou le secret professionnel (lettre b).
b) La COB est une autorité administrative indépendante qui veille à la protection de l'épargne investie dans les instruments financiers et dans tous autres placements donnant lieu à appel public à l'épargne; elle veille également à l'information des investisseurs et au bon fonctionnement des marchés d'instruments financiers (cf. art. 1er al. 1 de l'ordonnance no 67-833 du 28 septembre 1967 instituant une commission des opérations de bourse et relative à l'information des porteurs de valeurs mobilières et à la publicité de certaines opérations de bourse [ci-après: l'ordonnance no 67-833] ainsi que les art. 70 et 71 de la loi no 96-597 du 2 juillet 1996 de modernisation des activités financières [ci-après: la loi no 96-597]; cf. également RICCARDO SANSONETTI, L'entraide administrative internationale dans la surveillance des marchés financiers, thèse Genève, Zurich 1998, p. 313; THIERRY AMY, Entraide administrative internationale en matière bancaire, boursière et financière, thèse Lausanne 1998, p. 127-131).
Dans un courrier du 26 mars 1999, le Président de l'autorité requérante s'est expressément engagé à n'utiliser les informations fournies par la Commission fédérale que dans le cadre des activités mentionnées
BGE 126 II 86 S. 89
ci-dessus, "afin d'assurer l'application et le respect des lois et règlements relatifs à la protection de l'épargne investie en instruments financiers ou tout autre placement donnant lieu à appel public à l'épargne, à l'information des investisseurs et au bon fonctionnement des marchés d'instruments financiers".
Vu ces éléments, l'autorité intimée a estimé à bon droit que la COB est l'autorité de surveillance des marchés financiers au sens de l'
art. 38 al. 2 LBVM
à laquelle l'entraide administrative peut être accordée; l'intéressé ne le conteste pas. Rien n'indique en outre qu'elle ne respectera pas son engagement (cf. aussi consid. 6c ci-dessous).
c) Selon l'art. 5 de l'ordonnance no 67-833, les membres et les agents de la COB sont astreints au secret professionnel pour les faits, actes et renseignements dont ils ont pu avoir connaissance en raison de leurs fonctions, dans les conditions et sous les peines prévues par le code pénal (un an d'emprisonnement et 100'000 FF d'amende selon l'art. 226-13 du nouveau Code pénal français auquel renvoie l'art. 5 de l'ordonnance no 67-833).
L'exigence de confidentialité imposée par l'
art. 38 al. 2 lettre b LBVM
est ainsi également satisfaite.
4.
a) Les pouvoirs d'investigation de l'autorité requérante visent tous les intervenants sur les marchés qu'elle contrôle et toutes les personnes susceptibles de fournir des informations. Elle peut demander toutes les pièces et exiger toutes les indications utiles, même si elles sont couvertes par le secret bancaire français. Elle est également autorisée à accéder aux locaux professionnels et à entendre toute personne susceptible de lui fournir des informations. L'accord du Président du Tribunal de grande instance géographiquement compétent lui est toutefois nécessaire pour effectuer des perquisitions, saisir des documents ou faire séquestrer des fonds, valeurs, titres ou droits (cf. les art. 5B, 5ter et 8-1 de l'ordonnance no 67-833; cf. également SANSONETTI, op. cit., p. 313-314, notamment la note 93 p. 313).
b) De l'avis du recourant, la COB ne peut obtenir d'informations couvertes par le secret bancaire que si elle y est autorisée par le Président du Tribunal de grande instance. Comme elle n'a produit aucune autorisation délivrée par ce dernier, le principe de la "légalité de l'objet de l'entraide administrative" l'empêcherait de demander à la Commission fédérale de lui communiquer des informations qu'elle ne serait pas autorisée à se procurer en France.
c) Dans le domaine de l'entraide judiciaire en matière pénale, l'art. 76 lettre c de la loi fédérale du 20 mars 1981 sur l'entraide internationale en matière pénale (EIMP; RS 351.1) prévoit que les réquisitions
BGE 126 II 86 S. 90
de fouille, perquisition, saisie et remise d'objets doivent être accompagnées d'une attestation établissant leur licéité dans l'Etat requérant. Cette disposition empêche ce dernier d'obtenir par la voie de l'entraide des mesures de contraintes qu'il ne pourrait pas imposer sur son propre territoire (cf. ATF
ATF 123 II 161
consid. 3b p. 166). La question de savoir si, comme le soutient l'intéressé, un principe similaire - qui n'est pas mentionné à l'
art. 38 LBVM
- s'applique également en matière d'entraide administrative internationale (cf. dans ce sens, AMY, op. cit., p. 389-390; JEAN-PAUL CHAPUIS, Quelques réflexions à propos de l'entraide administrative internationale de la Loi fédérale sur les bourses et le commerce des valeurs mobilières, in Problèmes actuels de droit économique, Mélanges en l'honneur du Professeur Charles-André Junod, Bâle 1997, p. 65 ss, p. 68 et 82) peut demeurer indécise car, même s'il était applicable, il ne serait pas violé dans le cas particulier. En effet, l'autorité requérante demande uniquement à la Commission fédérale de lui communiquer l'identité du ou des clients pour le compte du ou desquels l'achat de titres D. a été effectué par la banque E. le 12 septembre 1997, les raisons justifiant cette opération ainsi que, le cas échéant, la date et le prix de cession de ces actions. Elle ne requiert ainsi aucune mesure d'investigation nécessitant qu'elle obtienne l'autorisation préalable du Président du Tribunal de grande instance (cf. lettre a ci-dessus; dans le même sens
ATF 121 II 153
).
5.
a) L'entraide administrative internationale ne doit être accordée que dans la mesure nécessaire à la découverte de la vérité recherchée par l'Etat requérant (principe de la proportionnalité). Selon l'
art. 38 al. 2 LBVM
, seuls lui sont en effet remis les informations et les documents liés à l'affaire. La question de savoir si les renseignements demandés sont nécessaires ou simplement utiles à la procédure étrangère est en principe laissée à son appréciation. L'Etat requis ne dispose généralement pas des moyens lui permettant de se prononcer sur l'opportunité de l'administration des preuves déterminées au cours de l'instruction menée à l'étranger, de sorte que, sur ce point, il ne saurait substituer sa propre appréciation à celle de l'autorité étrangère chargée de l'enquête. Il doit uniquement examiner s'il existe suffisamment d'éléments suspects pouvant justifier la demande d'entraide. La coopération internationale ne peut être refusée que si les actes requis sont sans rapport avec l'infraction poursuivie et manifestement impropres à faire progresser l'enquête, de sorte que ladite demande apparaît comme le prétexte à une recherche indéterminée de moyens de preuve ("fishing expedition";
BGE 126 II 86 S. 91
ATF 125 II 65
consid. 6 p. 73-74, 450 consid. 3b p. 457; HANS-PETER SCHAAD, in Kommentar zum Schweizerischen Kapitalmarktrecht, Bâle 1999, n. 90-91 ad art. 38 BEHG; ANNETTE ALTHAUS, Internationale Amtshilfe als Ersatz für die internationale Rechtshilfe bei Insiderverfahren?, in PJA 1999 p. 937-938).
b) Le recourant prétend avoir acquis les actions D. après avoir lu un article de l'hebdomadaire financier "G." daté du 8 septembre 1997 qui se faisait l'écho d'une rumeur d'O.P.A. de B. AG sur D. SA. Cette revue recommandait en outre à ses lecteurs le titre D. à titre d'"achat spéculatif". Dans ces conditions, il ne pourrait être soupçonné d'avoir commis un délit d'initié et l'octroi de l'entraide administrative à la COB violerait le principe de la proportionnalité.
Cette opinion ne peut être suivie. En effet, ayant constaté un mouvement inhabituel des cours des titres B. et D. - ce qui est décisif - ainsi qu'une augmentation du volume des transactions portant sur ceux-ci durant les trois mois précédant l'annonce officielle de la prise de contrôle de D. SA par B. AG, l'autorité requérante disposait d'éléments suffisants lui permettant de soupçonner l'existence d'un délit d'initié. Elle avait en outre découvert qu'un nombre important de titres D. (6'700) avait été acquis par l'intermédiaire d'une banque suisse quatre jours seulement avant cette annonce officielle. Vu ces éléments, elle pouvait légitimement demander à la Commission fédérale des précisions sur cette acquisition (cf. dans le même sens
ATF 125 II 65
consid. 6b/bb p. 74). Les raisons invoquées par l'intéressé pour expliquer son achat ne font pas obstacle à l'octroi de l'entraide. L'autorité chargée de se prononcer sur cette question n'est en effet pas tenue d'examiner si les soupçons justifiant la demande d'entraide sont confirmés ou infirmés par les informations et les explications recueillies à la demande de l'autorité requérante. Seule cette dernière pourra, sur la base de ses propres investigations et des informations transmises par la Commission fédérale, décider si ses soupçons initiaux étaient ou non fondés (cf. la jurisprudence citée in ALTHAUS, op. cit., p. 937-938). Le recourant critique ce point de vue mais ne fait valoir aucune raison convaincante de s'en écarter. En particulier, contrairement à ce qu'il pense, l'octroi de l'entraide au sens de l'
art. 38 LBVM
ne vide aucunement le secret bancaire suisse de sa substance (cf. dans ce sens
ATF 125 II 83
).
6.
a) Aux termes de l'art. 38 al. 2 lettre c LBVM, les informations reçues par l'autorité étrangère de surveillance des bourses et du commerce des valeurs mobilières ne peuvent être transmises à des autorités compétentes et à des organismes ayant des fonctions
BGE 126 II 86 S. 92
de surveillance dictées par l'intérêt public qu'avec l'assentiment préalable de l'autorité de surveillance suisse ou en vertu d'une autorisation générale contenue dans un traité international; lorsque l'entraide judiciaire en matière pénale est exclue, aucune information ne peut être transmise à des autorités pénales; l'autorité de surveillance décide en accord avec l'Office fédéral de la police.
b) L'
art. 38 al. 2 LBVM
poursuit l'objectif de faciliter l'entraide administrative dans toute la mesure compatible avec le respect des conditions de l'entraide judiciaire en matière pénale qui ne doivent pas être contournées. Les restrictions apportées à la transmission ultérieure des renseignements communiqués par la Suisse obligent concrètement la Commission fédérale à ne pas perdre le contrôle de l'utilisation des informations, en particulier après leur transmission à l'autorité étrangère de surveillance (principe dit du "long bras"; "Prinzip der langen Hand";
ATF 125 II 450
consid. 3b p. 457).
c) Les autorités étrangères ne sont pas tenues de faire une déclaration contraignante selon le droit international public, mais doivent s'engager à mettre tout en oeuvre pour respecter le principe de la spécialité (exigence qualifiée en anglais de "best efforts" ou de "best endeavour"). Aussi longtemps que l'Etat requérant respecte effectivement ce principe et qu'il n'existe aucun signe qu'il ne le fasse pas dans le cas concret, rien ne s'oppose à accorder l'entraide administrative. S'il devait s'avérer qu'une autorité étrangère ne puisse plus respecter ce principe en raison de sa législation interne ou d'une décision contraignante à laquelle elle n'a pas les moyens de s'opposer, la Commission fédérale devrait alors refuser l'entraide (cf.
ATF 125 II 450
consid. 3c p. 458 et la jurisprudence citée).
7.
a) Le 26 mars 1999, le Président de l'autorité requérante a adressé au Président de la Commission fédérale un courrier qui renferme notamment le passage suivant:
"Transmission à des tiers
La COB prend note que la [Commission fédérale] permet en principe que soient transmises à des autorités de régulation françaises partageant les missions de surveillance financière avec la COB et soumises au secret professionnel, des informations que la [Commission fédérale] aura communiquées à la COB en réponse à une requête.
La transmission d'information à une autorité tierce intervient après assentiment de la [Commission fédérale].
Conformément à la loi no 96-597 du 2 juillet 1996 de modernisation des activités financières et la loi no 83-1201 du 23 décembre 1988; les autorités de régulation susmentionnées avec lesquelles la COB coopère de
BGE 126 II 86 S. 93
manière régulière, sont:
- le Comité des établissements de crédit et des entreprises d'investissement (CECEI) est en charge de l'agrément des prestataires de services d'investissement après approbation de leur programme de travail par le CMF;
- la Commission bancaire, en charge de la surveillance prudentielle des établissements de crédits et des autres prestataires en services d'investissement,
- le Conseil des marchés financiers (CMF), qui édicte les règles de conduite applicables aux prestataires de services d'investissement, aux chambres de compensation et aux entreprises de marché; il vise les programmes d'activité des prestataires de services d'investissement français et européens établis dans un pays membre de l'EEE exerçant leurs activités en libre établissement ou en libre prestation de services; il habilite les personnes morales ou physiques établies dans un pays non membre de l'EEE à être membres d'un marché financier français; il veille au respect des règles de conduite applicables aux prestataires de services d'investissements,
- le Conseil de la gestion financière (CDGF), qui sanctionne toute infraction aux lois et règlements applicables aux OPCVM et aux services de gestion de portefeuille pour le compte de tiers.
Lorsque les informations portent sur des faits susceptibles d'être constitutifs d'un délit pénal, la COB l'indique préalablement à la [Commission fédérale] dans sa requête. La transmission à une autorité pénale intervient après assentiment de la [Commission fédérale]".
Dans sa demande d'entraide, l'autorité requérante a précisé que, dans l'hypothèse où les informations reçues révéleraient des faits susceptibles d'une qualification pénale, elle "pourrait avoir à les transmettre au Procureur de la République".
b) Selon l'autorité intimée, le courrier du 26 mars 1999 est un engagement de "best efforts" suffisant. Le recourant nie l'existence d'un tel engagement en rapport avec la transmission d'informations aux autorités pénales.
c) Le passage précité de la lettre du 26 mars 1999 peut laisser penser que la COB se considère comme autorisée à ne pas demander l'accord de la Commission fédérale avant de transmettre des informations aux "autorités de régulation" qu'elle énumère. Si tel devait être le sens de ce passage, il ne serait pas compatible avec l'art. 38 al. 2 lettre c 1ère phrase LBVM. L'autorité intimée semble toutefois l'avoir compris comme un engagement de l'autorité requérante à requérir son assentiment dans tous les cas où elle envisage une communication d'informations à une autre autorité (cf. consid. 5 de la décision entreprise). Le chiffre 4 du dispositif de sa décision rappelle en outre à la COB qu'elle devra obtenir son accord préalable avant toute communication d'informations à des "autorités tierces"
BGE 126 II 86 S. 94
non-pénales. Pour être conforme à l'art. 38 al. 2 lettre c LBVM, ce chiffre doit être compris comme obligeant l'autorité requérante à demander l'accord de la Commission fédérale avant toute transmission d'informations à n'importe quelle autorité non-pénale. Il ne semble toutefois pas nécessaire de demander à l'autorité intimée de le préciser, le sens des termes utilisés paraissant suffisamment clair. En outre, ni l'ordonnance no 67-833, ni les deux lois mentionnées dans le courrier du 26 mars 1999 (loi no 96-597 ainsi que loi no 83-1201 [recte: 88-1201] du 23 décembre 1988 relative aux organismes de placement collectif en valeurs mobilières et portant création des fonds communs de créance) ne contiennent de dispositions obligeant la COB à transmettre les informations fournies par la Commission fédérale à des autorités non-pénales (cf. également AMY, op. cit., p. 127-131). Enfin, rien ne permet de supposer que l'autorité requérante ne respectera pas l'obligation que lui rappelle expressément le chiffre 4 du dispositif de la décision attaquée (cf. consid. 6c ci-dessus); l'intéressé ne le prétend d'ailleurs pas.
d) aa) La COB peut être tenue de transmettre au Procureur de la République des informations révélant des faits susceptibles d'une qualification pénale (cf. art. 12-2 al. 3 de l'ordonnance no 67-833; cf. également AMY, op. cit., p. 600). Dans le courrier précité du 26 mars 1999, son Président a uniquement indiqué qu'une telle transmission d'informations n'interviendrait qu'après l'assentiment de l'autorité intimée. De telles déclarations générales ne permettent toutefois pas de prévoir le comportement de l'autorité requérante au cas où la Commission fédérale refuserait de donner son accord. Cette incertitude n'entraîne cependant pas le refus de l'entraide si l'autorité intimée - d'entente avec l'Office fédéral de la police - a valablement consenti à la transmission des données aux autorités étrangères chargées de la poursuite pénale (cf. chiffre 3 du dispositif de la décision attaquée). Dans le cas contraire, l'entraide devra être refusée jusqu'à l'obtention de toutes les assurances requises par le droit suisse (cf.
ATF 125 II 450
consid. 3c p. 458-459).
bb) L'art. 38 al. 2 lettre c 2ème phrase LBVM n'autorise la transmission d'informations aux autorités pénales étrangères que si les conditions de l'entraide judiciaire en matière pénale sont remplies. Toutes les conditions matérielles de cette dernière doivent dès lors être réunies, y compris l'exigence de la double incrimination prévue à l'
art. 64 EIMP
. A cet égard, il y a lieu d'exiger, de manière générale, qu'avant de donner son accord, l'Office fédéral de la police confirme que ces conditions sont respectées, soit en se ralliant à une
BGE 126 II 86 S. 95
prise de position détaillée de la Commission fédérale, soit en motivant lui-même son approbation (cf.
ATF 125 II 450
consid. 4b p. 459-460). Il est exclu qu'il se contente, comme en l'espèce, d'apposer une signature au bas d'une lettre de ladite Commission dont le contenu est des plus sommaire. Expressément voulue par le législateur dans plusieurs lois fédérales (cf. art. 23sexies al. 2 lettre c de la loi fédérale du 8 novembre 1934 sur les banques et les caisses d'épargne [LB; RS 952.0], art. 63 al. 2 lettre c de la loi fédérale du 18 mars 1994 sur les fonds de placement [LFP; RS 951.31] et art. 38 al. 2 lettre c LBVM), son intervention ne saurait en effet être purement formelle, mais doit garantir que les règles de l'entraide judiciaire en matière pénale ne sont pas éludées (cf. dans le même sens
ATF 125 II 450
consid. 4b p. 460).
cc) La décision attaquée doit dès lors être annulée dans la mesure où elle autorise la transmission des informations recueillies auprès de la banque E. aux autorités pénales françaises compétentes (cf. chiffre 3 du dispositif de cette décision). Même si cela n'a aucune incidence sur le plan pratique, les références au chiffre 3 du dispositif qui sont faites à ses chiffres 4 et 5 doivent également être annulées (cf.
ATF 125 II 450
consid. 4c p. 461). Comme une transmission des données requises par la COB aux autorités pénales françaises doit être exclue en l'état du dossier, l'octroi de l'entraide administrative dépend de l'assurance de l'autorité requérante qu'elle respectera cette exclusion. La Commission fédérale ne pourra ainsi lui transmettre les informations demandées qu'après obtention d'une telle assurance (cf.
ATF 125 II 450
consid. 4c p. 461).
dd) Vu ce qui précède, le grief du recourant, selon lequel l'exigence de la double incrimination ne serait pas satisfaite, n'a pas à être examiné plus avant. En effet, cette question devra tout d'abord être examinée par l'autorité intimée ainsi que par l'Office fédéral de la police lorsqu'ils se prononceront - dans une décision susceptible de recours (cf.
ATF 125 II 450
consid. 3b p. 457) et après avoir, au besoin, demandé des précisions à l'autorité requérante (cf.
ATF 125 II 450
consid. 4a p. 459) - sur la possibilité de transmettre aux autorités pénales françaises les renseignements fournis par la banque E. | public_law | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f2e6dcf-8493-47af-8c2d-77e17d4e0a01 | Urteilskopf
138 II 77
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Flughafen Zürich AG und Kanton Zürich gegen X. und Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 10 (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_100/2011 / 1C_102/2011 vom 9. Dezember 2011 | Regeste
Enteignung nachbarlicher Ansprüche infolge Fluglärms; schematische Beurteilung des fluglärmbedingten Minderwerts von Renditeliegenschaften (Mehrfamilienhäusern).
Für die gebotene schematische Beurteilung des fluglärmbedingten Schadens bei Mehrfamilienhäusern (vgl.
BGE 134 II 160
) darf die Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 10 (ESchK) das von einem ihrer Fachrichter entwickelte hedonische Bewertungsmodell (Modell ESchK) anwenden, an Stelle des im Auftrag der Enteigner entwickelten Modells MIFLU II.
Verfahrensrechtliche Anforderungen: Bei der Entwicklung eines Bewertungsmodells durch ein Expertenteam unter der Leitung eines Fachrichters der ESchK finden zwar die Bestimmungen über externe Sachverständigengutachten keine Anwendung, jedoch müssen die Transparenz und die Verfahrensrechte der Parteien gewährleistet werden (E. 3). Heilung der Verfahrensmängel im Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht (E. 4). Zur Doppelfunktion der Fachmitglieder der Schätzungskommission als Richter und Sachverständige (E. 5).
Kognition des Bundesgerichts (E. 6).
Gegenüberstellung der Modelle ESchK und MIFLU II (E. 7.1 und 7.2); zur hedonischen Methode (E. 7.3).
Zu den Einwänden der Enteigner, wonach das auf Transaktionspreise gestützte hedonische Modell ESchK für die Bewertung von Ertragsliegenschaften grundsätzlich ungeeignet sei (E. 8), auf einer ungenügenden Datenmenge beruhe (E. 9), nur den Fluglärm des Flughafens Zürich berücksichtige (E. 10) und den Strassenlärm nur rudimentär erfasse (E. 11).
Überprüfung des Modells ESchK anhand statistischer Gütekriterien (E. 12). | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 138 II 77 S. 79
A.
X. ist Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses in Glattbrugg, das sich im Bereich der Abflüge von Piste 16 des Flughafens Zürich-Kloten befindet. Am 16. November 1998 stellte X. ein Entschädigungsbegehren wegen übermässigen Fluglärms. Dieses wurde am 22. Juni 1999 - zusammen mit einer Vielzahl weiterer Forderungen aus der gleichen Gemeinde - der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 10 (nachfolgend: Schätzungskommission bzw. ESchK) überwiesen.
Am 29. November 2006 wies die Schätzungskommission die Minderwertforderung von X. (im Folgenden: die Enteignete) ab, weil ein Ertragsausfall nicht nachgewiesen worden sei. Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde am 28. April 2008 im Sinne der Erwägungen gut, hob den Entscheid der Schätzungskommission auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an diese zurück (Urteil 1E.9/2007). Es ging davon aus, dass sich die Ertragslage bei Mietobjekten, die Wohnzwecken dienen, bei Mehrlärm nur langsam verschlechtere. Für solche Ertragsliegenschaften sei die Minderwertermittlung im Einzelfall sehr schwierig, weshalb eine schematische Beurteilung des fluglärmbedingten Schadens zu erfolgen habe (vgl. auch
BGE 134 II 160
ff. zu einem anderen Pilotfall).
B.
Mit Entscheid vom 1. März 2010 sprach die Schätzungskommission der Enteigneten eine Minderwertentschädigung in Höhe von Fr. 326'000.- zu. Sie ging von einem Minderwert von 17,5 % des Verkehrswertes ohne Fluglärm aus (Fr. 388'216.-), von dem die Aufwendungen für Schallschutzmassnahmen (Fr. 62'241.-) abzuziehen seien. Die sich daraus ergebende Entschädigung von (gerundet) Fr. 326'000.- sei seit dem 1. Januar 2002 zu verzinsen.
BGE 138 II 77 S. 80
Bei der Berechnung der Minderwertentschädigung verwendete die Schätzungskommission ein hedonisches Berechnungsmodell, das von einem ihrer Fachmitglieder, Prof. Donato Scognamiglio, und dessen Unternehmung, der IAZI AG (Informations- und Ausbildungszentrum für Immobilien AG), entwickelt worden war (im Folgenden: Modell ESchK). Dieses basiert auf den in der Datenbank der IAZI AG erfassten Transaktionsdaten von Ertragsliegenschaften. Diese wurden statistisch ausgewertet, um den Einfluss der verschiedenen Faktoren und namentlich der Fluglärmbelastung zu ermitteln (vgl. dazu unten, E. 7.1).
Die Enteigner hatten ihrerseits von einem Expertengremium in Zusammenarbeit mit der Zürcher Kantonalbank (ZKB) ein Bewertungsmodell "MIFLU II" entwickeln lassen. Dieses ermittelt in einem ersten Schritt - ebenfalls mit einem hedonischen Modell - den Einfluss des Fluglärms auf die Mieten für eine Zeitdauer von 50 Jahren. Aus der so berechneten prozentualen Mietreduktion pro dB Fluglärm wird in einem zweiten Schritt der Minderwert der Ertragsliegenschaften infolge Fluglärms für das Jahr 1997 bestimmt (vgl. dazu unten, E. 7.2). Nach diesem Modell beträgt der Minderwert der Liegenschaft der Enteigneten nur 10,5 %. Die Enteigner gingen deshalb im Schätzungsverfahren davon aus, es fehle an der notwendigen Schwere des Schadens, weshalb keine Minderwertentschädigung geschuldet sei.
C.
Gegen den Entscheid der Schätzungskommission erhoben sowohl die Enteigner als auch die Enteignete am 19. bzw. 22. April 2010 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde der Enteigneten am 19. Januar 2011 im Kostenpunkt gut. Im Übrigen wies es beide Beschwerden ab: Die Verwendung des hedonischen Modells ESchK sei nicht zu beanstanden und es seien keine Gründe erkennbar, weshalb das Modell MIFLU II demjenigen der ESchK vorzuziehen sei. Die Schätzungskommission habe den lärmbedingten Minderwert der Liegenschaft der Enteigneten in sachgemässer Ausübung ihres Ermessens ermittelt.
D.
Gegen den bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheid haben sowohl die Enteigner als auch die Enteignete am 25. bzw. 28. Februar 2011 öffentlich-rechtliche Beschwerde ans Bundesgericht erhoben. Die Enteigner beanstanden das Modell ESchK und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und zur Neubeurteilung an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen. Die Enteignete ficht einzig den Zinsentscheid der Schätzungskommission an.
BGE 138 II 77 S. 81
Das Bundesgericht weist beide Beschwerden ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Formelle Rügen
(...)
3.
Im Folgenden ist zunächst zu prüfen, inwieweit das rechtliche Gehör der Enteigner in erster Instanz verletzt wurde (E. 3). In einem zweiten Schritt (E. 4) erfolgt die Prüfung, ob das Bundesverwaltungsgericht diese Verfahrensfehler heilen konnte. Anschliessend ist die Rüge der Verletzung der Garantie des verfassungsmässigen Richters zu behandeln (E. 5).
3.1
Grundsätzlich ist nicht zu beanstanden, dass die Schätzungskommission einen ihrer Fachrichter mit der Entwicklung des Modells beauftragt hat. Als Mitglieder der Schätzungskommission sind gemäss Art. 59 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG; SR 711) Personen zu wählen, die verschiedenen Berufsgruppen angehören und die für die Schätzung nötigen Fachkenntnisse besitzen.
Art. 49 der Verordnung vom 24. April 1972 für die eidgenössischen Schätzungskommissionen (VESchK; SR 711.1)
bestimmt, dass Gutachten von Seiten Dritter in der Regel nur einzuholen sind, wenn die Kommission nicht über eigene sachverständige Mitglieder verfügt. Gesetz und Verordnung gehen davon aus, dass die Schätzungskommission sich den notwendigen Sachverstand in erster Linie bei ihren Fachmitgliedern holt. Dementsprechend wies das Bundesgericht die Pilotfälle zur Entwicklung eines schematischen Bewertungsmodells an die Schätzungskommission zurück, unter ausdrücklichem Hinweis auf den Sachverstand der Fachrichter (Urteil 1E.9/2007 vom 28. April 2008 E. 13;
BGE 134 II 160
E. 14 S. 163).
Die Entwicklung des hedonischen Bewertungsmodells ESchK erfolgte unter der Verantwortung Prof. Scognamiglios, d.h. eines Fachrichters der Schätzungskommission. (...) Allerdings erarbeitete dieser das Modell nicht allein, sondern zog hierfür Experten der IAZI AG bei und verwendete deren Transaktionsdaten. Entscheidend ist jedoch, dass die Leitung des Projekts bei Prof. Scognamiglio verblieb, die IAZI AG also nicht als selbstständige, externe Sachverständige gegenüber der Schätzungskommission und den Parteien auftrat. Die Protokolle der Kommissionssitzungen (...) bestätigen,
BGE 138 II 77 S. 82
dass Prof. Scognamiglio mit den Abklärungen und der Verfassung des Berichts beauftragt wurde. Dieser stellte das Bewertungsmodell auch den übrigen Kommissionsmitglieder vor und beantwortete Fragen zum Modell.
Wie die Enteignete zutreffend darlegt, beauftragte die Schätzungskommission Prof. Scognamiglio im Wissen darum, dass dieser (als CEO und Verwaltungsrat der IAZI AG) über den für die Modellentwicklung unerlässlichen "Apparat" verfügte, d.h. über das Team, die Daten und das statistische Know-how der IAZI AG. Die eidgenössischen Schätzungskommissionen sind mit einer minimalen eigenen Infrastruktur ausgestattet, weshalb sie grundsätzlich darauf angewiesen sind, dass die Fachrichter ihre eigene berufliche Infrastruktur für die Kommissionsarbeit einsetzen.
Die Schätzungskommission hat vor Bundesverwaltungsgericht dargelegt, dass es sich bei der IAZI AG um ein privates Forschungsinstitut handelt, das statutarisch vom Immobilienhandel, von der Vergabe von Hypotheken (Finanzierung) und vom Portfolio Management von Immobilien ausgeschlossen ist, d.h. weder Partikularinteressen von Banken noch von Liegenschaftseigentümern vertritt; dies wurde von den Parteien nicht bestritten. Das hedonische Modell ESchK ist Eigentum der Schätzungskommission und wird nur von dieser angewendet. Insofern sind keine eigenen wirtschaftlichen Interessen der IAZI AG am Bewertungsmodell ersichtlich, die zu einem Interessenkonflikt hätten führen können.
3.2
Die Beauftragung eines Fachrichters unterliegt nicht den Regeln von
Art. 57 ff. BZP
(SR 273) über externe Sachverständigengutachten. Dennoch müssen, wie das Bundesverwaltungsgericht zu Recht festgehalten hat, die Transparenz gewährleistet und die allgemeinen, aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 1 und 2 BV
;
Art. 29 ff. VwVG
[SR 172.021]) abgeleiteten Verfahrensrechte der Parteien gewährleistet werden (so schon Urteil des Bundesgerichts 2A.587/2003 vom 1. Oktober 2004, E. 8.6 zum Beizug sachkundiger Berater durch Verwaltungsbehörden). Insbesondere muss es den Beteiligten möglich sein, allfällige Einwände gegen die vom Fachrichter beigezogenen Personen oder die Art ihrer Mitwirkung rechtzeitig zu erheben. Zudem müssen sie sich zu den Abklärungen äussern können, die unter Beizug von Dritten vorgenommen wurden. Dies bedingt eine genügende und rechtzeitige Information der Parteien.
BGE 138 II 77 S. 83
3.3
Vorliegend wurden den Parteien die Namen sämtlicher mit der Modellentwicklung befassten Personen erst am 10. März 2010 bei der Informationsveranstaltung der Schätzungskommission bekannt gegeben, d.h.
nach
dem erstinstanzlichen Entscheid vom 1. März 2010. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht mehr möglich, allfällige Einwände gegen die beigezogenen Personen oder die Art ihrer Mitwirkung rechtzeitig und verfahrensökonomisch zu erheben.
Allerdings ist der Vorinstanz zuzustimmen, dass die Enteigner auch nachträglich keine Ausstandsgründe gegen die am Projekt beteiligten Mitarbeiter der IAZI AG geltend gemacht haben; derartige Gründe sind auch nicht ersichtlich. Unstreitig ist zudem, dass weder Prof. Scognamiglio noch die IAZI AG enge Beziehungen zu den Parteien der Pilotfälle haben, die zu einer unsachgemässen, parteilichen Beeinflussung der Modellentwicklung hätten führen können (zur Doppelrolle von Prof. Scognamiglio als Experte und Fachrichter vgl. unten E. 5).
3.4
Näher zu prüfen ist, wann die Parteien über die Entwicklung eines eigenen, hedonischen Bewertungsmodells ESchK und dessen Ausgestaltung informiert wurden.
(...)
3.4.2
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zum Zeitpunkt der Aushändigung des Berichts am 12. Februar 2010 die Entscheidfällung unmittelbar bevorstand. Die Parteien hatten somit keine Zeit mehr, sich seriös mit dem Modell zu befassen, Einsicht in weitere Unterlagen zu verlangen und dazu Stellung zu nehmen. Vielmehr war das Vorgehen der Schätzungskommission darauf angelegt, die Diskussion um das Bewertungsmodell in das Rechtsmittelverfahren zu verlegen. Dies widerspricht dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Auch wenn die Wahl des Modells zur Bemessung des Minderwerts als Rechtsfrage zu qualifizieren ist (vgl. dazu unten E. 6), musste den Parteien dazu das rechtliche Gehör gewährt werden, da Art und Inhalt des Bewertungsmodells für sie nicht vorhersehbar waren.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung des Bewertungsmodells aufgrund der Rückweisungsentscheide des Bundesgerichts in vier Pilotfällen erfolgte, zu denen auch der vorliegende Streitfall gehört. Dem Bewertungsmodell kam zentrale Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens zu. Dessen Entwicklung und Auswahl waren daher (zumindest auch) Teil des Schätzungsverfahrens i.S. X. gegen Flughafen Zürich. Die Parteien dieses
BGE 138 II 77 S. 84
Verfahrens hätten daher so rechtzeitig über das in Aussicht genommene Modell informiert und angehört werden müssen, dass ihre Stellungnahmen noch effektiv von der Schätzungskommission hätten berücksichtigt und in deren Entscheid hätten einfliessen können.
3.4.3
Zweckmässigerweise hätte die Information schon vor dem Plenumsentscheid vom 3. November 2009 erfolgen müssen: Bei diesem Vorgehen hätte das Fachwissen der Projektgruppe MIFLU II der ZKB und ihres Expertengremiums schon frühzeitig in die Arbeiten der Schätzungskommission einfliessen können. Jedenfalls aber hätte beiden Parteien geraume Zeit vor der Zirkulation des Entscheidantrags unter den Fachrichtern die Möglichkeit zur Akteneinsicht, zum Studium des Modells und zur Stellungnahme gewährt werden müssen. (...)
4.
Nach der Rechtsprechung kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn der Mangel in der Rechtsmittelinstanz kompensiert wird (vgl. dazu unten E. 4.1). Zudem muss die obere Instanz die von der Gehörsverletzung betroffenen Aspekte mit derselben Kognition überprüfen können wie die Vorinstanz (vgl. unten E. 4.2). Schliesslich ist zu prüfen, ob die Heilung im vorliegenden Fall (Schwere der Gehörsverletzungen, Verfahrensdauer etc.) bejaht werden durfte (unten, E. 4.3).
4.1
(
Zusammenfassung:
Gewährung des rechtlichen Gehörs im Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht)
4.2
Den Enteignern ist einzuräumen, dass das Bundesverwaltungsgericht widersprüchliche Aussagen zu seiner Kognition getroffen hat (...).
4.2.1
Entscheidend ist aber nicht, welche Formel vom Bundesverwaltungsgericht zur Umschreibung seiner Kognition verwendet wurde, sondern inwiefern es den angefochtenen Entscheid im konkreten Fall überprüft hat. In den Erwägungen 12-21 prüfte das Bundesverwaltungsgericht alle Einwände der Enteigner gegen das hedonische Bewertungsmodell ESchK frei und legte sich keine Zurückhaltung auf. Ohnehin ging es in erster Linie um methodische/rechtliche Fragen (vgl. unten, E. 6).
4.2.2
Zur Angemessenheitsprüfung gemäss
Art. 49 lit. c VwVG
gehört allerdings die Prüfung, ob es eine zweckmässigere, angemessenere Lösung gibt (
BGE 130 II 449
E. 4.1 S. 452). Vorliegend stellte sich die Frage, ob das von den Enteignern entwickelte Modell
BGE 138 II 77 S. 85
MIFLU II demjenigen der Schätzungskommission vorzuziehen sei, auch wenn beide Modelle aus rechtlicher und tatsächlicher Sicht nicht zu beanstanden wären.
Es ist einzuräumen, dass diese Prüfung sehr knapp ausgefallen ist. Immerhin hat sie stattgefunden (...).
(...)
4.3
Das Bundesverwaltungsgericht entschied sich für eine Heilung der formellen Mängel im Beschwerdeverfahren, weil davon auszugehen sei, dass sich die Schätzungskommission nicht für ein anderes Modell entscheiden würde, die Rückweisung also einem formalistischen Leerlauf nahekäme. Die Rückweisung nach einem derart langen Verfahren widerspräche auch dem grundrechtlichen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (
Art. 29 Abs. 1 BV
). Schliesslich hätten die Enteigner noch die Möglichkeit, die streitigen Fragen zur Berechnung des Minderwertes durch Ergreifen eines Rechtsmittels an das Bundesgericht überprüfen zu lassen. Es entstehe ihnen daher kein Nachteil, der das Interesse an einer raschen Beurteilung des Verfahrens überwiegen würde.
Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden:
Die Verfahrensfehler in erster Instanz wiegen zwar nicht leicht. Sie sind aber auch nicht so schwerwiegend, dass eine Heilung ausgeschlossen wäre (...). Für die Heilung sprechen die ausserordentlich lange Dauer des Verfahrens (seit 1998) und die Notwendigkeit, auch die übrigen, bis zum rechtskräftigen Entscheid der Pilotfälle sistierten Enteignungsverfahren alsbald abzuschliessen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass es den Enteignern nicht darum geht, ihre Argumente noch einmal der Schätzungskommission vorlegen zu dürfen. Vielmehr zielen ihre Rügen darauf ab, das Bewertungsmodell ESchK aus formellen Gründen zu eliminieren, um damit ihrem eigenen Modell (MIFLU II) zum Durchbruch zu verhelfen. Ziel des Pilotfalls ist es jedoch, eine schematische Bewertungsmethode zu finden, die den durch Fluglärm bedingten Minderwert bei Ertragsliegenschaften nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen möglichst zuverlässig ermittelt. Sollte die hedonische Bewertungsmethode ESchK diesen Anforderungen entsprechen, darf sie nicht einzig aus verfahrensrechtlichen Gründen definitiv verworfen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher zu Recht, nach Heilung der formellen Mängel, materiell über die Anwendbarkeit des Bewertungsmodells ESchK entschieden.
BGE 138 II 77 S. 86
5.
Schliesslich rügen die Enteigner eine Verletzung des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter (
Art. 30 Abs. 1 BV
) durch die Doppelrolle von Prof. Scognamiglio. Dieser habe in zentraler Funktion am Entscheid der Schätzungskommission vom 1. März 2010 mitgewirkt, obwohl er im Rubrum nicht als mitwirkender Richter aufgeführt worden sei. (...) Als Projektverantwortlicher sei er jedoch zugunsten des von ihm bzw. seiner Firma erarbeiteten Modells voreingenommen gewesen und habe das Konkurrenzmodell MIFLU II nicht mehr neutral beurteilen können. (...)
5.1
Das Bundesverwaltungsgericht verwies auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 96 I 292
E. 2 S. 295 f.), wonach die Mitglieder der Schätzungskommissionen ihren Sachverstand nicht nur durch die Mitwirkung an Schätzungsentscheiden, sondern auch durch die Vorprüfung von Fragen zuhanden der Schätzungskommission einbringen. Es sei daher auch im vorliegenden Fall zulässig gewesen, ein zweistufiges Verfahren anzuwenden, indem zunächst die Gesamtkommission in abstrakter Weise einen Raster erstellte, der anschliessend vom ordentlichen Spruchkörper auf den Einzelfall angewendet wurde. Die Mitwirkung eines Fachrichters bei der Durchführung des Beweisverfahrens und die Erstattung begutachtender Berichte zuhanden der Kommission stelle praxisgemäss keinen Grund zum Ausstand wegen Befangenheit dar (
BGE 96 I 292
E. 2 S. 296; HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Bd. 1, 1986, N. 7 zu
Art. 60 EntG
). Umso weniger bestehe Anlass, an der Unbefangenheit einer Behörde zu zweifeln, wenn eines ihrer Mitglieder als Entscheidgrundlage einen Bericht oder einen Bewertungsraster verfasst habe. Es gehöre zu den Aufgaben von Mitgliedern einer Kollegialbehörde, sich mit den Anträgen und Ausführungen der übrigen Mitglieder kritisch auseinanderzusetzen und gegebenenfalls eine abweichende Meinung zu vertreten.
5.2
Diese Ausführungen lassen keine Verletzung von Bundesrecht erkennen.
Zwar ist den Enteignern einzuräumen, dass die Doppelfunktion der Fachmitglieder der Schätzungskommission als Richter und Sachverständige nicht dem typischen Bild eines Gerichts entsprechen. Es ist unter dem Blickwinkel von
Art. 30 Abs. 1 BV
auch nicht unproblematisch, wenn Fachmitglieder, die nicht zum Spruchkörper gehören, zur Vorprüfung von Fragen herangezogen werden, die entscheidende Bedeutung für den Ausgang hängiger Verfahren haben. Diese Funktionsweise ist jedoch in Gesetz und Verordnung
BGE 138 II 77 S. 87
angelegt. Die Eidgenössischen Schätzungskommissionen wurden bewusst als Fachkommissionen ausgestaltet, um den Rückgriff auf externe Sachverständige zu erübrigen (
Art. 59 Abs. 2 EntG
und Art. 49 VESchK). Ergänzend kann auf
Art. 81 EntG
hingewiesen werden, wonach das Bundesverwaltungsgericht die Oberschätzungskommission zur Beratung von allgemeinen Grundsätzen zu Gesamtsitzungen unter dem Vorsitz eines seiner Richter einberufen kann. Analog müssen auch die Eidgenössischen Schätzungskommissionen befugt sein, Gesamtsitzungen zu grundsätzlichen Schätzungsfragen durchzuführen.
Davon zu unterscheiden ist die Beurteilung konkreter Einzelfälle, gestützt auf die im Plenum angenommenen Grundsätze: An diesen Entscheiden wirken nur die jeweiligen der Besetzung angehörenden Richter mit (
Art. 60 EntG
). Sie tragen die Verantwortung für den Entscheid und müssen hierfür u.U. eine erneute Beschlussfassung des Plenums beantragen oder von dessen Beschluss abweichen, wenn sie - im Lichte der Vorbringen der Parteien - zur Überzeugung gelangen, dieser sei falsch.
Sofern die gebotene Transparenz gewahrt wird (vgl. oben, E. 3.2), ist diese Vorgehensweise mit den Verfahrensrechten der Parteien vereinbar, zumal diesen nach der Schätzungskommission noch zwei weitere Gerichtsinstanzen offenstehen, von denen eine (das Bundesverwaltungsgericht) über eine umfassende Kognition verfügt. (...)
5.3
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die formellen Rügen der Enteigner gegen den angefochtenen Entscheid als unbegründet erweisen.
Materielle Rügen zum Bewertungsmodell ESchK
6.
Materiell ist zwischen den Parteien streitig, nach welchem Modell der fluglärmbedingte Minderwert von Ertragsliegenschaften zu ermitteln ist. Während die Schätzungskommission und die Enteignete das hedonische Bewertungsmodell ESchK befürworten und davon ausgehen, das Modell MIFLU II entspreche nicht den Vorgaben des Bundesgerichts, halten die Enteigner einzig das Modell MIFLU II für richtig und massgeblich.
Vorab ist die Kognition des Bundesgerichts zu klären.
6.1
Bis zum 31. Dezember 2006 beurteilte das Bundesgericht gemäss aArt. 77 EntG i.V.m.
Art. 104 OG
(AS 1969 767) nicht nur die Rechtmässigkeit, sondern auch die Angemessenheit öffentlich-rechtlicher Entschädigungen. Daraus folgerte das Bundesgericht, dass es
BGE 138 II 77 S. 88
auch den Sachverhalt (trotz
Art. 105 Abs. 2 OG
) frei überprüfen könne (vgl.
BGE 119 Ib 447
E. 1b S. 451 ff.; zuletzt bestätigt in
BGE 132 II 427
E. 1.2 S. 432).
Dies hat sich mit Inkrafttreten des BGG geändert: Nunmehr obliegt es dem Bundesverwaltungsgericht, Entscheide der Schätzungskommission frei zu überprüfen; als zweite Rechtsmittelinstanz ist das Bundesgericht grundsätzlich auf eine Rechtskontrolle beschränkt (
Art. 95 BGG
). Den Sachverhalt kann das Bundesgericht gemäss
Art. 97 und 105 BGG
nur noch beschränkt, auf offensichtliche Unrichtigkeit, prüfen.
6.2
In Literatur und Rechtsprechung wird die Frage, ob die Entschädigung bzw. ihre Höhe methodisch richtig ermittelt und insoweit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf volle Entschädigung (
Art. 26 Abs. 2 BV
) hinreichend Rechnung getragen wurde, als Rechtsfrage erachtet, die vom Richter frei zu prüfen sei (OTTO WIPFLI, Bemessung immissionsbedingter Minderwerte von Liegenschaften mit besonderer Berücksichtigung des Fluglärms, 2007, S. 15-31; ROLAND GFELLER, Immissions- und Überflugsenteignungen am Beispiel des Flughafens Zürich, 2006, S. 97).
MARTINA FIERZ (Der Verkehrswert von Liegenschaften aus rechtlicher Sicht, 2001) differenziert: Zwar sei die Frage, ob eine zulässige und nachvollziehbare Bewertungsmethode herangezogen und in concreto richtig angewendet worden sei, eine Rechtsfrage (S. 37); die Beurteilung, welche Methode in concreto anzuwenden sei, setze aber oft umfassende und fachkundige Abklärungen voraus, welche besser in die Hände eines Sachverständigen gelegt würden. Ihres Erachtens sollte das Gericht deshalb den Entscheid über die anzuwendende Bewertungsmethode dem Experten überlassen und bei der Prüfung des Gutachtens in diesem Punkt Zurückhaltung üben (S. 40).
6.3
Für kantonalrechtliche Enteignungen hat das Bundesgericht in
BGE 122 I 168
(E. 2c S. 173 mit Hinweisen) festgehalten, dass ihm eine freie Prüfung zustehe, soweit es darum gehe, ob die Entschädigung bzw. ihre Höhe methodisch richtig ermittelt und insoweit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf volle Entschädigung (
Art. 22
ter
Abs. 3 aBV
; heute:
Art. 26 Abs. 2 BV
) hinreichend Rechnung getragen worden sei. Soweit sich die Kritik hingegen auf die bei der Anwendung dieser Methoden getroffenen tatsächlichen Feststellungen oder Annahmen beziehe, sei das angefochtene Urteil lediglich
BGE 138 II 77 S. 89
unter Willkürgesichtspunkten zu prüfen. Eine etwas andere Formulierung findet sich in
BGE 112 Ia 198
(E. 1b S. 201 mit Hinweisen): Danach überprüft das Bundesgericht, ob die Regeln des kantonalen Rechts oder die von den kantonalen Behörden zur Lückenfüllung angewendeten Regeln dem in
Art. 26 BV
verankerten Prinzip der vollen Entschädigung genügen. Die Anwendung dieser Regeln wie die Sachverhaltsfeststellungen der kantonalen Instanzen könnten dagegen grundsätzlich nur unter Willkürgesichtspunkten überprüft werden.
6.4
Vorliegend ist ein Modell für die
schematische
Beurteilung der immissionsbedingten Entwertung von Mehrfamilienhäusern streitig, das in einer Vielzahl von Fällen Anwendung finden soll. Insofern geht es um eine abstrakt-generelle Erfassung des nach
Art. 19 lit. b EntG
zu entschädigenden Minderwerts für Ertragsliegenschaften, unter Beachtung der Grundsätze der Rechtsgleichheit und der Rechtsicherheit sowie der Vorgaben des Bundesgerichts in seinen Rückweisungsentscheiden. Ob die von der ESchK verwendete Bewertungsmethode zur Bemessung des Minderwerts diesen rechtlichen Anforderungen genügt, ist eine Rechtsfrage (...), die vom Bundesgericht grundsätzlich frei zu prüfen ist. Es übt allerdings eine gewisse Zurückhaltung bei der Beurteilung von ausgesprochenen Fachfragen, wenn die verfügende Behörde über ein besonderes Fachwissen verfügt (
BGE 135 II 384
E. 2.2 S. 390 mit Hinweisen). Dies gilt jedenfalls, soweit sie die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte geprüft und die erforderlichen Abklärungen sorgfältig und umfassend durchgeführt hat (
BGE 131 II 680
E. 2.3.2 S. 683 f. mit Hinweisen).
Sollte sich das Bewertungsmodell ESchK als tauglich und gesetzeskonform erweisen, so liegt dessen Anwendung im Ermessen der Schätzungskommission, auch wenn das Modell MIFLU II ebenfalls geeignet wäre. Dieses ist daher (im Detail) nur zu prüfen, sofern sich das Bewertungsmodell ESchK als unzulässig erweist.
7.
Zur Berechnung des Einflusses des Fluglärms auf den Wert von Ertragsliegenschaften wurden zwei Modelle entwickelt: Das Modell ESchK und das Modell MIFLU II.
7.1
Das Modell ESchK basiert auf der Datenbank der IAZI AG, der umfassendsten Transaktionsdatenbank von Renditeliegenschaften in der Schweiz. Davon konnten insgesamt 1925 Daten über effektive Transaktionen von vermieteten Liegenschaften im Zeitraum
BGE 138 II 77 S. 90
1997 bis 2008 (ohne Übergänge durch Erbschaft oder Schenkung) für die Berechnung des hedonischen Modells verwendet werden. Jeder Transaktion wurden nach einem standardisierten Modell rund 50 Faktoren zur Immobilie (wie Grundstücksfläche, Servitute, Baujahr und Bauqualität, Wohnungsgrössen, Anzahl Nasszellen etc.), zur Mikrolage (Lage innerhalb der Gemeinde bzw. des Quartiers) und zur Makrolage (Lage der Gemeinde) zugewiesen. Die Fluglärmbelastung wurde anhand der EMPA-Daten hektargenau ermittelt.
Mit der statistischen Methode der Regressionsanalyse wurde aus den erfassten Daten der Einfluss der Fluglärmbelastung auf den Wert der Immobilie berechnet. Dabei wurden sechs verschiedene Lärmspezifikationen getestet, die jeweils mit 12 verschiedenen Kombinationen von Objekt- und Lagevariablen berechnet wurden (...).
Als statistisch signifikant erwiesen sich die Lärmspezifikationen Grundbelastung 45 und Grundbelastung 50, bei denen die Wertminderung (in Prozenten des Liegenschaftswerts) pro Dezibel Fluglärm (anhand des von 6 bis 22 Uhr gemittelten Dauerschallpegels Leq16) über der Grenze von 45 bzw. 50 dB berechnet wird. Die Berechnungen ergaben Werte zwischen -0,9 % bis -1,6 % pro dB über Grundbelastung 45 und von -1,2 % bis -2,4 % pro dB über Grundbelastung 50.
Die Schätzungskommission entschied sich für die Grundbelastung 45 dB und den minimalen Minderwert von -0,9 % pro dB, weil dieser in der Grössenordnung den mit dem Modell MIFLU I errechneten Minderwerten für Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentumseinheiten am nächsten komme. Dies ergab bei der Liegenschaft der Enteigneten einen Minderwert von 17,5 % des Verkehrswertes ohne Fluglärm.
7.2
Das von den Enteignern in Auftrag gegebene Modell MIFLU II beruht auf der Annahme, dass die Bewertung von Ertragsliegenschaften von den erzielten Erträgen auszugehen habe und dass für eine direkte hedonische Ermittlung des Fluglärmeinflusses zu wenig relevante Transaktionsdaten zur Verfügung stehen. Als Datengrundlage wurden daher die Angebotsmieten von 86'000 Inseraten von Mietwohnungen im Raum Zürich aus der Datenbank von homegate.ch verwendet. Diese wurden geokodiert und mit Daten des geografischen Informationssystems (GIS) der ZKB zur Mikro- und Makrolage angereichert (z.B. Hangneigung und Besonnung, Aussicht, Erreichbarkeit der Zentren Zürich und Winterthur, Strassen und Bahnlärm). Die Fluglärmbelastung wurde anhand der EMPA-Daten
BGE 138 II 77 S. 91
erfasst, wobei neben der Grundbelastung (Leq16 über 50 dB) auch der Spitzen- sowie der Morgen- und Abendlärm berücksichtigt wurden. Anhand dieser Daten wurden die Auswirkungen des Fluglärms auf die Mieten nach Altersklassen eruiert.
Aus den so berechneten Mindermieteinnahmen wird in einem zweiten Schritt, in Anlehnung an die Discounted Cash Flow-Methode (DCF), der Minderwert der Liegenschaft bestimmt. Hierfür muss zunächst die Restnutzungsdauer des Gebäudes und der erwartete Sanierungszeitpunkt (für die seit 1997 noch nicht sanierten Objekte) geschätzt werden. Anschliessend wird die nachhaltig erzielbare Bruttomiete vor und nach der tatsächlichen oder erwarteten Sanierung mit und ohne Fluglärm für alle Jahre der Nutzungsdauer bestimmt, wobei eine Mietteuerung von 1 % zugrunde gelegt wird. Die so kalkulierten Mindermieten werden mit einem Diskontsatz von 5,5 % für alle Jahre auf den Bewertungszeitpunkt 1997 abgezinst, um die geschätzte Preisminderung der Ertragsliegenschaft für das Jahr 1997 zu berechnen.
7.3
Beide Modelle verwenden somit die hedonische Methode (oder Methode der multiplen Regression), mit dem Unterschied, dass im Modell ESchK der Einfluss des Fluglärms auf den Liegenschaftswert ausgehend von effektiven Transaktionspreisen ermittelt wird, während im Modell MIFLU II der fluglärmbedingte Minderwert von Mieten gesucht wird, um anschliessend mit einem DCF-Ansatz den Minderwert der Ertragsliegenschaft zu berechnen.
Das Bundesgericht hat sich in
BGE 134 II 49
(E. 16.4 S. 82 f.) im Zusammenhang mit dem Modell MIFLU I für selbstgenutzte Wohnliegenschaften mit der hedonischen Methode auseinandergesetzt. Es hielt fest, dass es sich bei der Bewertung nach hedonischem Modell um eine Art Vergleichsverfahren handle. Verglichen würden jedoch nicht die Liegenschaften selbst, sondern deren preisbestimmende Eigenschaften, was den Kreis der möglichen Vergleichsobjekte, die nicht in der gleichen Gegend liegen müssten, beträchtlich erweitere. Die einzelnen Eigenschaften eines Grundstücks würden definiert, aber nicht von einem Schätzer benotet, sondern aufgrund der erfassten und ausgewerteten Vergleichsdaten, die auf effektiven Marktdaten beruhen, preislich bestimmt. Die hedonische Methode erlaube mithin als einzige der heute bekannten Schätzungsmethoden, auf einer weitgehend objektivierten Basis das Vorhandensein oder Fehlen eines bestimmten Liegenschaftsmerkmals direkt mit einem entsprechenden Preisaufschlag oder -abzug zu verbinden. Sie
BGE 138 II 77 S. 92
ermögliche damit auch eine gleichmässige Bewertung in einer Grosszahl von Fällen. Die Methode dürfe heute als in den schweizerischen Immobilienkreisen weit verbreitet gelten. Genüge ein Modell den wissenschaftlichen Anforderungen, so bestehe kein Grund, die Anwendung der hedonischen Methode bei Bewertungen im Rahmen von bundesrechtlichen Enteignungsverfahren abzulehnen.
Das Bundesverwaltungsgericht ergänzte im angefochtenen Entscheid, dass der Preis der einzelnen Eigenschaften mithilfe einer multiplen Regression geschätzt werde. Die Regressionsrechnung ermittle qualitative Zusammenhänge zwischen erklärenden bzw. unabhängigen Variablen und einer zu erklärenden bzw. abhängigen Variablen. Gesucht werde eine mathematische Funktion, die diese Zusammenhänge beschreibe. Bei einer einzigen unabhängigen Variablen spreche man von einfacher Regression, bei mehreren unabhängigen Variablen liege eine multiple Regression vor. Bei einer einfachen linearen Regression werde ein Streudiagramm erstellt, d.h. die Daten würden - bildlich gesprochen - in ein Koordinatensystem eingetragen (x-Achse = unabhängige Variable; y-Achse = abhängige Variable); anschliessend werde eine Gerade bestimmt, welche diesen Punkten möglichst entspreche. In der einfachsten Variante der Regression werde dazu die Summe der Quadrate der Abweichungen der Punkte von der Regressionsfunktion minimiert. Bei einer multiplen Regression würden die Werte in einem drei- oder mehrdimensionalen Koordinatensystem eingetragen und anstelle einer Geraden werde eine Ebene bzw. eine entsprechend mehrdimensionale Funktion gesucht, welche die Werte annähernd abbilde. Die Regression sei ein etabliertes statistisches Verfahren. Dagegen bestimme der hedonische Ansatz nicht, welche Eigenschaften das Güterbündel "Immobilie" ausmachen; dies müsse empirisch festgelegt werden.
8.
Die Enteigner kritisieren in erster Linie, das auf Transaktionspreise gestützte hedonische Modell ESchK sei für die Bewertung von Ertragsliegenschaften ungeeignet; insbesondere entbehre es einer theoretischen Grundlage.
8.1
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass hedonische Methoden in der Literatur auch im Zusammenhang mit der Bewertung von Ertragsliegenschaften genannt würden. Zwar stünden beim Entscheid eines Investors über den Kauf einer Ertragsliegenschaft der Ertrag und die Kosten im Vordergrund. Auch bei einer am Ertrag orientierten Bewertung könne sich jedoch die Fluglärmbelastung in Form von reduzierten Mieterträgen oder Potentialmieten,
BGE 138 II 77 S. 93
höheren Kosten oder Leerstandsrisiken auf den Liegenschaftswert auswirken. Sei dieser Effekt empirisch feststellbar, sei nicht zu beanstanden, wenn er mit geeigneten statistischen Methoden beziffert werde. Ziel des hedonischen Modells ESchK sei nicht zu erklären, wie und weshalb sich Fluglärm auf den Liegenschaftswert auswirke. Mit dem Modell solle dieser Effekt lediglich beschrieben und beziffert werden. Eine ökonomisch theoretische Begründung sei dazu nicht unerlässlich. (...)
Das Bundesverwaltungsgericht verwarf auch den Einwand der Enteigner, wonach die Mieterträge im Modell zwingend hätten berücksichtigt werden müssen. (...)
8.2
Die Enteigner halten dagegen - gestützt auf Gutachten von Prof. Philippe Thalmann vom 14. April 2010 sowie der Wüest & Partner AG Zürich vom 23. Februar 2011 - eine theoretische Grundlage für unerlässlich, um falsche Ergebnisse zu erkennen und Scheinkorrelationen auszuschliessen. (...)
Kerngedanke der hedonischen Theorie sei, dass nicht vordergründig das Gut (Wohnung oder Haus) erworben werde, sondern der damit verbundene Nutzen bzw. die nutzenstiftenden Eigenschaften. Als Finanzinvestition gehaltene Immobilien würden zur Erzielung von Mieterträgen und/oder zum Zwecke der Wertsteigerung erworben. Darin unterschieden sie sich von Wohneigentum, das selbst genutzt werde und das Grundbedürfnis Wohnen befriedige. Der direkte hedonische Ansatz, der den Transaktionspreis mit Qualitätsmerkmalen des Gebäudes korreliere, sei deshalb zur Bewertung von selbstgenutzten Wohnliegenschaften geeignet, nicht aber für Ertragsliegenschaften, weil es bei diesen nicht um den persönlichen Nutzen, sondern um die Erzielung von Ertrag gehe. (...)
Dies würde für die Berücksichtigung der Mieteinnahmen im hedonischen Modell sprechen. Diese seien allerdings ihrerseits von verschiedenen im hedonischen Modell ESchK verwendeten Faktoren abhängig, womit das Problem der Multikollinearität bei der Regressionsanalyse auftrete. Multikollinearität liege vor, wenn zwei oder mehr erklärende Variablen eine sehr starke Korrelation miteinander haben, und könne zu Über- oder Unterschätzungen der hedonischen Preise sowie zu Vorzeichenfehlern führen. Hier offenbare sich der Zielkonflikt des Modells ESchK: Die Modellspezifikation ohne die Mieterträge stehe im Widerspruch zur hedonischen Theorie; der Einbezug der Mieteinnahmen sei dagegen aufgrund des Problems der Multikollinearität nicht ohne weiteres möglich. (...)
BGE 138 II 77 S. 94
Offensichtlich unrichtig sei die Aussage der Vorinstanz, wonach direkte hedonische Modelle zur Bewertung von Renditeliegenschaften etabliert seien (...). Das Modell ESchK sei in der Schweiz einzigartig und geniesse "Exotenstatus". (...)
(...)
8.4
An der Instruktionsverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte Prof. Scognamiglio auf die Frage von Prof. Thalmann, ob die hedonische Methode auf Ertragsliegenschaften anwendbar sei, Folgendes aus: Das hedonische Verfahren basiere auf der multiplen Regression, einem weltweit bekannten statistischen Standardverfahren. Damit könne, basierend auf rund 2000 Fällen, der Einfluss von Fluglärm bestimmt werden. Die Rendite einer Liegenschaft hänge direkt von der erzielbaren Miete ab, welche wiederum direkt das Resultat der Eigenschaften der Immobilie und ihrer Lage sei. In der Praxis bewährten sich hedonische Modelle zur Bewertung von Mehrfamilienhäusern. Viele institutionelle Kunden (Banken, Versicherungen, Pensionskassen) wendeten diese in der Schweiz seit Jahren an. Die DCF-Methode werde insbesondere im Büro- und Gewerbebereich verwendet, wo nicht genügend Vergleichsdaten verfügbar seien. Die Erfahrung mit der DCF-Methode zeige, dass je nach getroffenen Annahmen zu den Parametern zwischen einzelnen Bewertern auf Ebene Einzelobjekte Abweichungen in der Grössenordnung von bis zu 20 % auftreten könnten.
Auf die Frage Prof. Thalmanns, warum die für den Investor entscheidenden Elemente (Kosten, Erträge, Risiken) ausgeklammert worden seien, erwiderte Prof. Scognamiglio, dass die Mieten die Gebäude- und Lagefaktoren widerspiegelten; das Modell habe daher statt den Mieten die mietpreisbestimmenden Faktoren verwendet. Die Kosten korrelierten mit dem Gebäudezustand. Die Zinsen würden durch die Timedummies berücksichtigt.
8.5
Unstreitig ist, dass die hedonischen Indizes der IAZI AG in der Praxis weitverbreitet und anerkannt sind, und zwar nicht nur für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen, sondern auch für Renditeliegenschaften (...). Dagegen erfolgt die Bewertung von Einzelobjekten bei Ertragsliegenschaften überwiegend gestützt auf die DCF-Methode. Immerhin bietet die IAZI AG auch für Mehrfamilienhäuser die Bewertung nach hedonischem Modell als preiswertere Alternative an. In seiner Dissertation (Methoden zur Immobilienbewertung im Vergleich, 1999, S. 196 ff., Zusammenfassung S. 205; vgl. auch LODERER/JÖRG/PICHLER/ROTH/ZGRAGGEN, Handbuch
BGE 138 II 77 S. 95
der Bewertung, 3. Aufl. 2005, Ziff. 26.7 S. 1066 f.) hat Prof. Scognamiglio ein hedonisches Modell für die Bewertung von Mehrfamilienhäusern entwickelt, das sich jedenfalls als genauer erwies als die traditionellen Bewertungsverfahren (Ertragswert- bzw. Realwertmethode).
Im Schweizerischen Schätzerhandbuch (Bewertung von Immobilien, Ausgabe 2005, Schweizerische Vereinigung kantonaler Grundstücksbewertungsexperten SVKG und Schweizerische Schätzungsexpertenkammer/Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft SEK/SVIT [Hrsg.], Ziff. 3.5 S. 93 f.) wird ausgeführt, die hedonische Bewertungsmethode ermögliche einfach und schnell taugliche Rückschlüsse auf den Verkehrswert, wenn das zu bewertende Vergleichsobjekt im Wesentlichen gleiche Haupteigenschaften aufweise wie die in der Statistik enthaltenen Objektarten. Dies treffe bei den am häufigsten gehandelten Objektarten wie Ein-und
Mehrfamilienhäusern
(Hervorhebung des Bundesgerichts) zu. Stünden dagegen bei dem zu bewertenden Objekt besondere Eigenschaften im Vordergrund (z.B. Seeanstoss, luxuriöse Villa in abgelegener Lage, gemischtes Objekt Wohnen/Gewerbe), so stehe erfahrungsgemäss nicht genügend statistisches Vergleichsmaterial zur Verfügung. In diesen Fällen seien brauchbare Rückschlüsse auf den Verkehrswert des Vergleichsobjekts mit Hilfe der hedonischen Methode nur sehr beschränkt möglich und mit entsprechender Vorsicht zu handhaben.
8.5.1
Vorliegend ist zu beachten, dass der Auftrag im Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts lautete, Kriterien für die schematische Beurteilung der immissionsbedingten Entwertung von
Mehr
familienhäusern
(und nicht für Ertragsliegenschaften anderer Art) zu entwickeln (Urteil 1E.9/2007 E. 13). Zudem soll nicht deren Verkehrswert bzw. der Einfluss des Fluglärms auf diesen im Einzelfall ermittelt werden, sondern es geht um eine
schematische
Ermittlung der fluglärmbedingten Werteinbusse
.
Für diese Betrachtungsweise erscheint die hedonische Methode grundsätzlich geeignet, sofern genügend Datensätze vorhanden sind und das Modell den für statistische Modelle dieser Art geforderten Gütekriterien genügt (vgl. dazu im Folgenden, E. 9 und 12).
8.5.2
Bereits aufgrund des verbindlichen Rückweisungsentscheids des Bundesgerichts ist davon auszugehen, dass sich übermässiger Fluglärm wertmindernd auf Mehrfamilienhäuser auswirkt, weshalb die im Modell ESchK festgestellte negative Korrelation zwischen Fluglärmbelastung und Transaktionspreis keine blosse Scheinkorrelation darstellt. (...)
BGE 138 II 77 S. 96
8.5.3
(
Zusammenfassung:
Die Nichtberücksichtigung der Mieteinnahmen als erklärende Variable im Modell ESchK ist nicht zu beanstanden, wenn die im Modell verwendeten mietzins- und kostenbestimmenden Faktoren wie Lage, Gebäude etc. die Transaktionspreise genügend genau erklären; vgl. dazu unten, E. 12).
9.
Die Enteigner rügen weiter, das Modell ESchK basiere mit insgesamt nur 143 Liegenschaften mit Fluglärmeinfluss auf einer viel zu kleinen Datenbasis. Ungenügend sei insbesondere die Anzahl stark belärmter Liegenschaften: Im entschädigungsrelevanten Bereich von mehr als 60 dB habe der Fluglärmeinfluss nur mit 13 Beobachtungen geschätzt werden können. Dies genüge nicht, da der Fluglärmeinfluss auch nach Auffassung der Vorinstanz nicht linear verlaufe. (...) Problematisch sei schliesslich, dass der überwiegende Teil der Transaktionsdaten nicht aus der Region Zürich stamme. Die Auffassung der Vorinstanz, es bestehe in der ganzen Schweiz ein einheitlicher Markt für Renditeliegenschaften, sei offensichtlich unrichtig.
9.1
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, es bestehe keine fixe Grenze für die bei einer Regressionsanalyse benötigte Anzahl Datensätze; diese hänge von den konkreten Umständen und verschiedenen Faktoren ab (z.B. Anzahl der Variablen, angestrebter p-Wert). Als Faustregel für eine grobe Schätzung der notwendigen Stichprobengrösse gelte, dass pro erklärender Variable mindestens zehn Elemente benötigt werden. Auch bei Annahme einer Mindeststichprobe von 20 Elementen pro Variable erweise sich die zur Verfügung stehende Datenmenge als bei weitem genügend. (...)
Zwar treffe es zu, dass sich Objekte in der Stadt Zürich erheblich von solchen beispielsweise im Jura unterscheiden könnten. Gerade im Bereich von Renditeliegenschaften könne aber deswegen noch nicht von verschiedenen Märkten gesprochen werden. Regionale Effekte würden im Modell berücksichtigt, so dass die geografische Heterogenität der Transaktionen nicht problematisch erscheine. Im Übrigen werde mit dem Modell nicht eine Liegenschaftsbewertung vorgenommen, sondern der Einfluss des Fluglärms ermittelt. Die Liegenschaftsbewertung sei bereits mittels anderer Schätzmethoden erfolgt. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht problematisch, wenn der Wert eines Parkplatzes in Delémont überbewertet, derjenige eines Parkplatzes in der Stadt Zürich unterbewertet und von einem Durchschnittswert ausgegangen werde. (...)
(...)
BGE 138 II 77 S. 97
9.3
Zwar besteht Einigkeit darüber, dass der Fluglärmeinfluss - zumindest in tieferen Bereichen - nicht linear verläuft, sondern einer Kurve mit zunehmendem Gefälle folgt. Die Vorinstanz erachtete es auch als wahrscheinlich, dass der Einfluss des Fluglärms ab einem bestimmten Wert wieder abnimmt, da ab einem bestimmten Schwellenwert eine vollständige Entwertung zu erwarten sei. Dennoch ging sie - zu Recht - davon aus, dass eine lineare Entwertung zumindest im Bereich der für einen Grossteil der betroffenen Liegenschaften zu erwartenden Lärmbelastung eine vertretbare Schematisierung darstelle. Auch die von den Enteignern erarbeiteten Modelle MIFLU I und MIFLU II gehen von linearen Entwertungen aus.
Die Berechnung der (linearen) Wertminderung stützt sich auf die Gesamtheit der Transaktionen über der gewählten Grundbelastung. Von den insgesamt verwendeten 1925 Transaktionsdaten wiesen immerhin 421 im Zeitpunkt der Transaktion eine Grundbelastung (Leq16) über 45 dB auf (...); bei 143 Transaktionen lag der Leq16 über 50 dB. Damit waren genügend Stichproben vorhanden, unabhängig davon, ob man die Grenze bei 10 bis 20 Datensätzen je Variable oder noch höher ansetzt.
9.4
Das Modell ESchK beruht auf Transaktionen aus der gesamten Schweiz, d.h. aus Regionen mit sehr unterschiedlichen Immobilienpreisen. Die regionalen Unterschiede werden jedoch durch die Variable MACRO berücksichtigt: In diese fliessen eine Vielzahl von geografischen und sozioökonomischen Faktoren der jeweiligen Gemeinde ein, die erfahrungsgemäss das Preisniveau für Immobilien beeinflussen, wie beispielsweise die Zentralität der Gemeinde oder deren Steuererträge (vgl. dazu SCOGNAMIGLIO, a.a.O., S. 149 ff.). Die einzelnen Faktoren wurden den Parteien (...) offengelegt und werden von den Enteignern und ihren Experten nicht substanziiert kritisiert.
9.5
(
Zusammenfassung:
Zu den Einwänden der Enteigner zur Repräsentativität der Daten)
10.
Die Enteigner rügen weiter, der Fluglärm sei bei den Vergleichsobjekten im Einzugsgebiet der Flughäfen Genf, Lugano, Basel und Bern nicht berücksichtigt worden.
10.1
Das Bundesverwaltungsgericht hielt fest, dass für die Ermittlung des Fluglärmeffekts nur die Liegenschaften im Einflussbereich des Zürcher Flughafens herangezogen worden seien; die Grundstücke im Einzugsbereich anderer Flughäfen seien somit nur zur Bewertung der übrigen Objekteigenschaften verwendet worden.
BGE 138 II 77 S. 98
Dennoch sei die Kritik der Enteigner in diesem Punkt grundsätzlich berechtigt: Die Nichtberücksichtigung des Fluglärms bei den übrigen Liegenschaften könne dazu führen, dass einzelne davon als nicht fluglärmbelastet erscheinen, obwohl sie ebenfalls eine fluglärmbedingte Wertminderung erlitten haben. Dies könne dazu führen, dass die übrigen Eigenschaften dieser Liegenschaften zu tief bewertet und dadurch der Wert der übrigen Eigenschaften im Modell insgesamt vermindert werde. Dies wiederum könne zu einer Unterschätzung des Fluglärms im Modell führen.
Allerdings ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass nur ein sehr kleiner Teil der Liegenschaften im Einflussbereich anderer Flughäfen liege und die Fluglärmbelastung aufgrund der Lage und der Grösse der übrigen Flughäfen deutlich geringer sein dürfte als im Bereich des Flughafens Zürich. Der Effekt sei somit vernachlässigbar; jedenfalls erscheine es vertretbar, ihn im Rahmen der unvermeidlichen Schematisierung eines solchen Modells nicht zu berücksichtigen.
10.2
Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Zwar ist nicht bekannt, ob und wie viele der im Modell ESchK berücksichtigten Objekte dem Lärm anderer Flughäfen ausgesetzt waren. Die Überlegung der Vorinstanz erscheint jedoch plausibel, da die Flughäfen Genf, Basel-Mulhouse und Bern-Belp lediglich über eine Piste verfügen und ein geringeres Verkehrsaufkommen haben als der Flughafen Zürich. Beim Flughafen Basel-Mulhouse liegen überdies die lärmbelasteten Liegenschaften ganz überwiegend in Frankreich; für das Modell ESchK wurden aber nur Transaktionen in der Schweiz berücksichtigt. Schliesslich ist zu bedenken, dass eine allfällige Verzerrung - wie die Vorinstanz dargelegt hat - zu einer
Unter
schätzung der fluglärmbedingten Wertminderung geführt, sich also zugunsten der Enteigner ausgewirkt hätte.
(...)
11.
Weiter bemängeln die Enteigner, im Modell ESchK werde der Strassenlärm ungenügend berücksichtigt. Während das Modell MIFLU II die geokodierten Strassenlärmdaten des Kantons Zürich verwende, begnüge sich das Modell ESchK mit einer rudimentären Berücksichtigung des Strassenlärms als Teil der Benotung der Mikrolage. Die Lagebenotung sei subjektiv und vermische den Strassenlärm mit anderen Lagefaktoren (Distanz zu Schulen, Einkaufsmöglichkeiten etc.). (...)
(...)
BGE 138 II 77 S. 99
11.3
Auch wenn die Verwendung geokodierter Strassenverkehrslärmdaten vom Bundesgericht im Rückweisungsentscheid nicht vorgeschrieben wurde, erscheint es sinnvoll, diese objektiven und präzisen Daten zu verwenden, sofern dies möglich ist. Allerdings machen die Enteigner selbst geltend, dass nicht für alle Kantone geokodierte Strassenlärmdaten in genügender Qualität zur Verfügung stehen. Im Modell ESchK - mit Transaktionsdaten aus der ganzen Schweiz - konnten deshalb geokodierte Strassenlärmdaten nicht verwendet werden. Zu prüfen ist daher, ob dies die Plausibilität und Zuverlässigkeit des Modells ESchK beeinträchtigt.
Im Modell ESchK wurde die Lage im Ort (MICRO) durch einen Schätzer mit einer Note zwischen 1 und 4 (sehr gut, gut, mittel und schlecht) beurteilt. Als sehr gut gilt eine bevorzugte ruhige Wohnlage mit Aussicht und guter Besonnung, in direkter Zentrumsnähe, mit kurzen Distanzen zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten und Schulen sowie zu Naherholungsgebieten. Als schlecht wird eine Lage in gemischter Bauzone ohne Aussicht oder genügende Besonnung bewertet, mit mässiger bis starker Lärmbelastung (Verkehr, Gewerbe) oder Geruchsimmissionen, in eher dezentraler Lage mit wenig Einkaufsmöglichkeiten oder längeren Wegen zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulen. Prof. Scognamiglio führte dazu an der Instruktionsverhandlung der Vorinstanz aus, Analysen hätten gezeigt, dass die Modelle nicht genauer würden, wenn weitere GIS-Faktoren berücksichtigt würden. Er wies darauf hin, dass auch potentielle Käufer lediglich eine qualitative Beurteilung der Grundstückslage vornehmen würden.
Dieses Argument leuchtet grundsätzlich ein. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass der Einfluss des Fluglärms auf den Wert einer Liegenschaft mit schlechter Lagenote unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem, ob die Note auf den starken Strassenverkehrslärm zurückzuführen ist (der den Fluglärm überlagern kann) oder auf Nichtlärmfaktoren wie z.B. die dezentrale Lage.
In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Lage im Ort nur eine Untervariable der Variablen BUILD ist. Um einen möglichen Einfluss der Wahl der Faktoren zum Gebäude und zur Lage auf die Signifikanz der Fluglärmgrössen auszuschalten, wurden im Modell ESchK für jede der sechs getesteten Lärmspezifikationen jeweils 12 verschiedene Modelle berechnet, mit jeweils unterschiedlichen Kombinationen von Objekt- und Lagevariablen (Bericht Hedonisches Bewertungsmodell für fluglärmbelastete
BGE 138 II 77 S. 100
Renditeliegenschaften vom 24. September 2009, Ziff. 4.1.2 S. 19). Für ihren Entscheid legte die Schätzungskommission von allen - statistisch gleichermassen signifikanten - Ergebnissen für die Grundbelastung45 dasjenige mit der
tiefsten
Preissensitivität pro dB (0,9 %) zugrunde. Sollte es daher in einem oder mehreren berechneten Modellen zu einer Überschätzung des Fluglärmeinflusses wegen überlagerndem Strassenverkehrslärm gekommen sein, hätte sich dies im Ergebnis nicht ausgewirkt.
12.
Aufgabe der Schätzungskommission war es, ein
schematisches
Modell für die Bewertung des fluglärmbedingten Minderwerts bei vermieteten Mehrfamilienhäusern zu erstellen, das praktikabel ist und die Gleichbehandlung der Enteigneten garantiert (zitiertes Urteil 1E.9/2007 E. 12 in fine). Ein derartiges Modell kann nicht auf die Besonderheiten des konkreten Falles zugeschnitten sein, muss aber die fluglärmbedingte Wertminderung von Ertragsliegenschaften genügend plausibel und zuverlässig berechnen, um als Basis für die künftigen Entscheide der Schätzungskommission dienen zu können. Die Vorinstanzen überprüften die Genauigkeit des Modells anhand von statistischen Gütekriterien. Dies erscheint grundsätzlich richtig, handelt es sich doch beim hedonischen Bewertungsmodell ESchK um ein statistisches Analyseverfahren.
12.1
Die Vorinstanzen stellten zunächst auf das Bestimmtheitsmass R
2
(bzw. adjustiertes R
2
) ab: Dieser Quotient zwischen der durch die Regression erklärten Streuung und der Gesamtstreuung diene als einfache Masszahl zur Beurteilung der Güte eines Regressionssatzes (FAHRMEIR/KÜNSTLER/PIGEOT/TUTZ, Statistik, Der Weg zur Datenanalyse, 7. Aufl., S. 498). Das hedonische Modell ESchK weise ein sehr hohes R
2
von über 0,95 auf, d.h. die berechneten Modelle erklärten über 95 % der Varianz der beobachteten Transaktionspreise, bzw. nur 5 % der analysierten Transaktionspreise der 1925 Renditeliegenschaften könnten nicht durch die gewählten Faktoren erklärt werden. (...)
Wie das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, darf allerdings nicht einseitig auf das Bestimmtheitsmass abgestellt werden; anzustreben ist vielmehr ein ausbalanciertes Modell mit durchwegs guten Gütewerten; unerlässlich ist insbesondere die Angabe der Signifikanz des Gesamtmodells, d.h. der Wahrscheinlichkeit, dass die Zusammenhänge - gesamthaft betrachtet - nur zufällig sind (ROMAN GÜNTER, Entwicklungsprozess, Methoden und Gütekriterien
BGE 138 II 77 S. 101
ökonometrischer Modelle, in: Kaspar Fierz, Der Schweizer Immobilienwert, 5. Aufl. 2005, Anh. XI S. 748). Die Vorinstanzen haben deshalbzu Recht zusätzlich auf den t-Wert und den p-Wert zur Beurteilung der Signifikanz der einzelnen Faktoren abgestellt.
12.2
Die Schätzungskommission führte hierzu im ergänzenden Bericht vom 14. Dezember 2010 aus, die Kolonnen t-value und p-value seien aus technischer Sicht sehr wichtig: Sie geben an, wie signifikant die einzelnen Faktoren für die Bestimmung des Preises seien. Eine Variable sei sehr signifikant, wenn eine kleine Änderung davon eine signifikante Änderung des Schätzpreises verursache. Die Signifikanz lasse sich mit dem t-value quantifizieren, der die Anzahl Standardabweichungen angebe, die den Regressionsparameter von der Null-Hypothese (die Variable erklärt den Preis nicht) unterscheide. Je grösser der absolute t-Wert, desto signifikanter die Variable. Wenig signifikante Variablen würden mit dem sogenannten Backward-Elimination-Standardverfahren aus dem Modell eliminiert. Das Vorzeichen des t-Werts gebe an, ob eine Zunahme der transformierten Variable eine Zunahme (+) oder Abnahme (-) des Preises verursache. Die signifikanteste transformierte Variable im Modell ESchK sei die Variable "IVol", die ein Mass für das Volumen der Liegenschaft darstelle, mit t = 48,47. Basierend auf dem t-Wert und der Anzahl Freiheitsgrade lasse sich der p-Wert (
probability value
) oder Signifikanzwert bestimmen. Dieser Wert sei eine Kennzahl zur Auswertung statistischer Tests. Ein p-Wert kleiner als 0,05 bedeute, dass die Variable mit einer Wahrscheinlichkeit von grösser als 95 % signifikant sei.
Die Schätzungskommission stellte anhand der t- und p-Werte des Modells eine hohe Signifikanz der erklärenden Variablen des Modells fest. Der Einfluss des Fluglärms auf den Wert der Immobilien werde äusserst genau gemessen: Mit durchschnittlichen t-Werten von 3,5 und p-Werten von 0,001 betrage das statistische Vertrauensniveau 99,9 %. Dies wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt: Es hielt im angefochtenen Entscheid fest, die Schätzungskommission habe die Qualität des Modells anhand sachgerechter und bewährter Kriterien beurteilt.
Diese Erwägungen werden von den Enteignern nicht (substanziiert) kritisiert und sind nicht zu beanstanden.
12.3
Schliesslich berücksichtigte die Schätzungskommission bei ihrem Entscheid, im Sinne eines Vergleichsmassstabs, den
BGE 138 II 77 S. 102
Entwertungssatz, der sich für die Pilotfälle gemäss dem Modell MIFLU I für selbstgenutztes Wohneigentum ergeben würde. Sie wählte, innerhalb der im Modell ESchK berechneten Bandbreite für die Grundbelastung 45, den geringsten Entwertungssatz (0,9 % pro dB), der leicht unter demjenigen liegt, der sich gemäss MIFLU I ergeben hätte. Dies entspricht den Erwägungen des Bundesgerichts im Rückweisungsentscheid (Urteil 1E.9/2007 E. 13.1): Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass selbstgenutztes Wohneigentum und Mehrfamilienhäuser durch Fluglärm in ähnlicher Weise beeinträchtigt werden.
12.4
Nach dem Gesagten durften die Schätzungskommission und das Bundesverwaltungsgericht das hedonische Modell als hinreichend plausibel und zuverlässig einstufen, ohne Bundesrecht zu verletzen.
12.5
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, im Detail auf die Kritik der Enteigneten und der Vorinstanzen am Modell MIFLU II einzugehen. (...)
Den Enteignern ist einzuräumen, dass MIFLU II auf einer weit grösseren Datenmenge (86'000 Inserate von Mietwohnungen) beruht und wichtige Lagefaktoren, wie namentlich den Strassenverkehrs- und Bahnlärm, aufgrund von GIS-Daten präziser ermittelt als das Modell ESchK. Diesen Vorteilen stehen dagegen erhebliche Unsicherheiten bei der Festsetzung des Diskontierungssatzes gegenüber. Dieser hat einen erheblichen Einfluss auf das Resultat, d.h. auf die fluglärmbedingte Wertminderung der Liegenschaft.
(
Zusammenfassung
: Kritik der Enteigneten an dem im Modell MIFLU II gewählten starren Diskontierungssatz und an dessen Höhe)
Da sich das Modell ESchK als bundesrechtskonform erweist, kann auf eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen verzichtet werden. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f335805-050e-4f02-baef-b8cd2e716c48 | Urteilskopf
122 I 130
22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Juni 1996 i.S. U. E. gegen Anwaltskammer und Verwaltungskommission des Kantonsgerichts des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Zulassung von Behinderten zum Anwaltsberuf; persönliche Freiheit; Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
).
Subsidiarität der persönlichen Freiheit gegenüber der Handels- und Gewerbefreiheit (E. 2)?
Die Handels- und Gewerbefreiheit gibt keinen Anspruch darauf, dass die Fähigkeitsanforderungen an die Zulassung zum Anwaltsberuf für Behinderte gesenkt werden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 122 I 130 S. 130
E., geboren 1967, leidet seit seiner Geburt an einer armbetonten spastischen Halbseitenlähmung links. Damit verbunden ist eine motorische Behinderung und eine "migraine accompagnée", die vor allem bei Prüfungsstress zum Teil höher dosierte medikamentöse Behandlung erforderlich macht. Er unterzog sich am 9. September 1993 der schriftlichen, am 13. September 1993 der mündlichen st. gallischen
BGE 122 I 130 S. 131
Anwaltsprüfung. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1993 teilte ihm die Prüfungskommission mit, dass seine schriftliche Arbeit ungenügend sei; er erhalte Gelegenheit, diese am 10. März 1994 zu wiederholen.
Am 10. März 1994 trat E. zur schriftlichen Nachprüfung an. Mit Schreiben vom 29. April 1994 teilte ihm die Prüfungskommission für Anwälte mit, dass seine schriftliche Nachprüfungsarbeit ungenügend sei und er demgemäss die Anwaltsprüfung nicht bestanden habe. Am 27. Mai 1994 reichte E. bei der Prüfungskommission ein Wiedererwägungsgesuch ein mit dem Hauptantrag, die schriftliche Arbeit bzw. schriftliche Nachprüfungsarbeit sei als genügend zu befinden; eventualiter sei ausnahmsweise die schriftliche Prüfung teilweise bzw. die schriftliche Nachprüfung zu erlassen. Zur Begründung führte er an, während der schriftlichen Strafrechtsprüfung am Vormittag des 9. Septembers 1993 aufgrund der durch behinderungsbedingte Kopfschmerzen gesteigerten Empfindlichkeit verstärkt das Wasserplätschern des Brunnens im Innenhof vor dem Prüfungsraum vernommen zu haben. Im Januar und Februar 1994 habe er infolge behinderungsbedingter Sehstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel sein Lernen unterbrechen müssen; vor der schriftlichen Nachprüfung habe er gegen aufkommende Kopfschmerzen Medikamente einnehmen müssen.
Am 1. Juli 1994 trat das neue st. gallische Anwaltsgesetz vom 11. November 1993 in Kraft, welches in Art. 13 die Bewilligung zur Berufsausübung als Rechtsanwalt vom Bestehen einer Prüfung abhängig macht. Gemäss Art. 47 des Anwaltsgesetzes wird, wer nach bisherigem Recht zur Berufsausübung berechtigt ist, ohne neue Bewilligung in das Berufsregister eingetragen.
Mit Schreiben vom 8. Juli 1994 lehnte die Anwaltsprüfungskommission den im Wiedererwägungsgesuch gestellten Hauptantrag ab und trat auf den Eventualantrag nicht ein, da nach dem neuen Anwaltsgesetz ein Erlass der Prüfung nicht mehr möglich sei. Hingegen erklärte sie sich bereit, einen zweiten Versuch für die Anwaltsprüfung in einem der Behinderung angepassten Ablauf durchzuführen.
Am 8. August 1994 stellte E. bei der Anwaltskammer den Antrag, er sei in Anwendung von Art. 47 des Anwaltsgesetzes in das Berufsregister einzutragen und es sei ihm gemäss Art. 13 die Bewilligung zur Berufsausübung zu erteilen. Zur Begründung führte er aus, vor Inkrafttreten des Anwaltsgesetzes habe das auf ihn angewendete Prüfungsreglement für Anwälte
BGE 122 I 130 S. 132
vom 22. Dezember 1988 keine genügende Rechtsgrundlage gehabt und sei deshalb nicht geltendes Recht gewesen. Aufgrund der damals geltenden Bestimmung von Art. 59 des Zivilrechtspflegegesetzes vom 20. März 1939 sei die Bewilligung zur Berufsausübung nicht an das Bestehen einer Prüfung, sondern nur daran geknüpft gewesen, dass der Bewerber die nötigen Fähigkeiten besitze. Er, der Gesuchsteller, besitze diese Fähigkeiten; dass die schriftliche Prüfungsarbeit im Strafrecht vom 9. September 1993 als ungenügend bewertet worden sei, sei nur darauf zurückzuführen, dass er durch behinderungsbedingten Stress kognitive Störungen erlitten habe, so dass er im Sachverhalt die Daten nicht richtig habe würdigen können. Im Lichte der Handels- und Gewerbefreiheit müssten diese behinderungsbedingten kognitiven Störungen bei der Prüfungsbewertung Berücksichtigung finden. Eine Wiederholung der Prüfung komme für ihn wegen der damit verbundenen abnormen Stressbelastung nicht in Frage.
Die Anwaltskammer lehnte mit Entscheid vom 28. November 1994 die Erteilung der Bewilligung zur Berufsausübung ab, gab aber E. die Gelegenheit, die schriftlichen Nachprüfungen 1995 zu wiederholen. Gegen diesen Entscheid erhob E. am 7. Februar 1995 Beschwerde an die Verwaltungskommission des Kantonsgerichts und stellte den Antrag, den Entscheid der Anwaltskammer aufzuheben und die Anwaltskammer anzuweisen, ihn in das Berufsregister einzutragen und ihm die Bewilligung zur Berufsausübung zu erteilen. Die Verwaltungskommission des Kantonsgerichts wies die Beschwerde mit Urteil vom 18. Mai 1995 ab.
E. erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 und 31 BV
, der persönlichen Freiheit,
Art. 27 und 30 KV/SG
sowie
Art. 6 EMRK
.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit, indem seine Gesundheit durch prüfungsbedingten Stress erheblich beeinträchtigt werde, wenn von ihm verlangt werde, zur Ausübung des Anwaltsberufs eine gleich anspruchsvolle Prüfung abzulegen wie ein Nichtbehinderter.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung tritt das Grundrecht der persönlichen Freiheit gegenüber den speziellen Verfassungsrechten zurück (
BGE 117 Ia 27
E. 5b S. 30, mit Hinweisen), so dass die Ausübung von Erwerbstätigkeiten nur durch die Handels- und Gewerbefreiheit, nicht aber
BGE 122 I 130 S. 133
durch die persönliche Freiheit geschützt ist (
BGE 99 Ia 504
E. 3 S. 509; WALTER HALLER, Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 99 zur persönlichen Freiheit). Ob die besondere Bedeutung der Berufswahlfreiheit für die Persönlichkeitsentfaltung eine kumulative Berufung auf beide Grundrechte rechtfertigen kann (so ETIENNE GRISEL, Liberté du commerce et de l'industrie, Berne 1993, vol. I, S. 112), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da den persönlichkeitsbezogenen Aspekten auch im Rahmen der Handels- und Gewerbefreiheit Rechnung getragen werden kann. Auf die Frage, wie weit infolge der Behinderung des Beschwerdeführers allenfalls ein Anspruch auf weniger strenge Beurteilung von Prüfungsarbeiten besteht, ist demnach im Rahmen der Rüge der Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit einzugehen. Das gilt nicht nur für das bundesverfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht der persönlichen Freiheit, sondern auch für die entsprechende Garantie von Art. 30 der st. gallischen Kantonsverfassung.
3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit und der Rechtsgleichheit.
a) Die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet das Recht, einen bestimmten Beruf, unter anderem auch den Anwaltsberuf, zu ergreifen oder auszuüben (
BGE 103 Ia 394
E. 2c S. 401;
BGE 116 Ia 237
E. 2d S. 240;
BGE 119 Ia 41
E. 4a S. 42, 374 E. 2a S. 375; GRISEL, a.a.O., S. 120 f.; RENÉ RHINOW, Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 79 zu Art. 31; CHRISTOPH ANDREAS ZENGER, Die Bedeutung der Freiheit wirtschaftlicher Entfaltung für eine freie Berufswahl, Diss. Bern 1985, S. 381 ff.). Einschränkungen müssen auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und die Grundsätze der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit beachten (
BGE 119 Ia 374
E. 2a S. 375;
BGE 120 Ia 126
E. 4a S. 132;
BGE 121 I 129
E. 3b S. 131 f., 326 E. 2b, S. 329).
b) Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer genügenden gesetzlichen Grundlage für das Erfordernis, eine Anwaltsprüfung abzulegen.
aa) Art. 59 des bis zum 30. Juni 1994 geltenden Gesetzes vom 20. März 1939 über die Zivilrechtspflege (ZP) lautete wie folgt:
"Das Kantonsgericht erteilt die Bewilligung zur Ausübung des Berufs eines
Anwaltes oder Rechtsagenten an Personen, welche die nötigen Fähigkeiten
besitzen, Schweizerbürger sind und in bürgerlichen Ehren und Rechten
stehen. Es kann die Bewilligung zur Berufsausübung nach Anhören der
Aufsichtskommission dauernd oder zeitweise zurückziehen.
BGE 122 I 130 S. 134
Es erlässt eine Anwaltsordnung, die der Genehmigung durch den
Regierungsrat untersteht... ."
Gestützt darauf erliess das Kantonsgericht am 2. Juni 1958 eine (vom Regierungsrat am 24. Juni 1958 genehmigte) Anwaltsordnung, deren Art. 1 wie folgt lautete:
"Die Bewilligung zur Ausübung des Anwalts- oder Rechtsagentenberufs wird
Schweizerbürgern und Schweizerbürgerinnen erteilt, die handlungsfähig, gut
beleumdet und zutrauenswürdig sind und in bürgerlichen Ehren und Rechten
stehen.
Der Bewerber muss vor der st. gallischen Prüfungskommission mit Erfolg
eine Fähigkeitsprüfung bestanden haben oder einen Fähigkeitsausweis im
Sinne von Art. 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung besitzen.
Die Fähigkeitsprüfung kann dem Bewerber ausnahmsweise ganz oder teilweise
erlassen werden, wenn die Fähigkeit zur Berufsausübung in anderer Weise
einwandfrei festgestellt ist... ."
bb) Eine Bewilligungspflicht für die Ausübung eines Berufes ist ein schwerer Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit und bedarf einer formell-gesetzlichen Grundlage (
BGE 104 Ia 196
E. 3b S. 200; vgl.
BGE 115 Ia 277
E. 7a S. 288). Das schliesst nicht aus, dass das formelle Gesetz sich auf die Regelung der Grundzüge beschränkt und die nähere Ausgestaltung der Einzelheiten einer nachgeordneten Instanz überlässt (
BGE 115 Ia 277
E. 7a S. 288). Vorliegend legt das formelle Gesetz als Voraussetzung für die Bewilligung u.a. das Erfordernis der nötigen Fähigkeiten fest und beauftragt das Kantonsgericht, eine (der regierungsrätlichen Genehmigung unterliegende) Anwaltsordnung zu erlassen. Diese gesetzliche Bestimmung kann nicht anders verstanden werden, als dass das Kantonsgericht in der von ihm zu erlassenden Anwaltsordnung auch die Anforderungen an die nachzuweisenden "nötigen Fähigkeiten" präzisiert. Das Bundesgericht hat wiederholt entschieden, dass das st. gallische Staatsrecht eine Rechtsetzungsdelegation nicht verbietet (
BGE 88 I 31
, S. 33 ff.;
BGE 118 Ia 305
E. 2b/3a S. 310 f.; Urteil i.S. B. vom 22. März 1996, E. 5a). Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargetan, inwiefern die Delegation nur an den Regierungsrat, nicht aber an das Kantonsgericht zulässig sein soll, oder inwiefern Art. 27 der st. gallischen Kantonsverfassung, wonach "die Gesetzgebung" Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit trifft (vgl. auch Art. 21 KV), eine solche Delegation verbieten würde. Es ist nicht zu beanstanden, sondern dient im Gegenteil dem Anliegen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit, wenn das
BGE 122 I 130 S. 135
Kantonsgericht die Kriterien, welche es seiner Bewilligungserteilung zugrundelegt, in generell-abstrakter Form festlegt.
Dasselbe gilt auch für das vom Kantonsgericht selbständig erlassene Prüfungsreglement. Art. 5 Abs. 2 der (vom Regierungsrat genehmigten) Anwaltsordnung ermächtigt das Kantonsgericht ausdrücklich, die Prüfungsbestimmungen zu erlassen, ohne hiefür eine Genehmigung durch den Regierungsrat vorzuschreiben. Selbst wenn darin nicht eine Konkretisierung eines Vollzugsauftrags, sondern eine Ermächtigung zu gesetzesvertretender Rechtsetzung erblickt wird (in diesem Sinne BERNHARD NOTTER, Die st. gallische Rechtsetzung in der Form des Gesetzes und der Verordnung, Diss. Freiburg 1967, S. 134 f.), so ist jedenfalls nicht dargetan, inwiefern eine solche Subdelegation nach st. gallischem Staatsrecht unzulässig sein soll (vgl.
BGE 118 Ia 245
E. 3 S. 247 ff.). Der blosse Einwand des Beschwerdeführers, die Prüfungsordnung von 1988 sei vom Regierungsrat nicht genehmigt worden, ist nach dem Gesagten unbehelflich.
cc) Freilich darf die Verordnung keine neuen Rechtsnormen enthalten, sondern muss sich darauf beschränken, diejenigen Bestimmungen, die im Gesetz bereits angelegt sind, auszuführen (
BGE 114 Ia 286
E. 5a S. 288;
BGE 115 Ia 277
E. 7a S. 288; vgl. auch Art. 65 KV). Aus der gesetzlichen Formulierung in Art. 59 des Gesetzes über die Zivilrechtspflege ergibt sich, dass das Kantonsgericht die Möglichkeit haben muss, das Vorhandensein der nötigen Fähigkeiten zu überprüfen. Die Durchführung einer Anwaltsprüfung ist ein geeignetes Mittel, um festzustellen, ob diese Fähigkeiten vorhanden sind. Das Erfordernis, eine Prüfung abzulegen, entspricht somit dem Sinn und Zweck des Gesetzes.
Für die Beurteilung der Frage, ob eine Ausführungsmassnahme vom Gesetz abgedeckt ist, kann auch darauf abgestellt werden, ob sie dem allgemein üblichen Standard entspricht oder völlig neue, bisher ungewohnte Anforderungen stellt (Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 1996 i.S. B., E. 5d aa/dd; BGE
BGE 121 I 22
E. 4a S. 27, 273 E. 5a S. 277 f.). Die meisten Kantone verlangen das Bestehen einer Anwaltsprüfung als Voraussetzung für die Berufszulassung (DOMINIQUE DREYER, L'avocat dans la société actuelle, ZSR 115/1996 II S. 395-519, 420; FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Diss. Bern 1986, S. 64). Das Bundesgericht hat sogar entschieden, dass im Normalfall das Ablegen einer Prüfung als Standardanforderung für die interkantonale Anerkennung von Anwaltspatenten gilt (
BGE 111 Ia 108
E. 2 S. 112).
BGE 122 I 130 S. 136
Wenn das Kantonsgericht von den Bewerbern um eine Berufsausübungsbewilligung das Ablegen einer Prüfung verlangt, so bewegt es sich deshalb innerhalb des Gesetzes. Das gilt um so mehr, als in der Anwaltsordnung das Bestehen einer Prüfung nicht zwingend vorgeschrieben ist; vielmehr ist vorgesehen, dass die Prüfung erlassen werden kann, wenn die Fähigkeit auf andere Weise festgestellt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass, wie der Beschwerdeführer vorbringt, das Vorhandensein der nötigen Fähigkeiten auch auf andere Weise als durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden kann. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass die vom Kantonsgericht erlassene Anwaltsordnung den Rahmen des Gesetzes sprengen und neue, vom Gesetz nicht abgedeckte Bestimmungen enthalten würde. Art. 1 der Anwaltsordnung von 1958 hält sich im Rahmen dessen, was in einer Vollziehungsverordnung zulässig ist, ohne dass dafür auf Gewohnheitsrecht zurückgegriffen werden müsste.
c) Ist es somit nicht zu beanstanden, dass das Kantonsgericht im Normalfall die Berufsausübungsbewilligung nur aufgrund einer bestandenen Prüfung erteilte, bleibt zu prüfen, ob, wie der Beschwerdeführer vorbringt, aufgrund seiner Behinderung an die Prüfungsarbeit ein weniger strenger Beurteilungsmassstab anzulegen sei.
aa) Verfassungsmässige Rechte schützen in erster Linie gegen staatliche Eingriffe. Darüberhinaus enthalten sie eine konstitutive oder programmatische Komponente (JÖRG PAUL MÜLLER, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, Bern 1982, S. 8 ff.). Das kann allerdings nichts daran ändern, dass die Menschen aufgrund ihrer faktischen Ungleichheit (Vermögen, Gesundheit, Begabung) in unterschiedlichem Masse in der Lage sind, von den ihnen rechtlich zustehenden Möglichkeiten und Rechten Gebrauch zu machen. Der Staat ist weder aufgrund der Rechtsgleichheit noch aufgrund spezifischer Grundrechte verpflichtet, sämtliche faktischen Ungleichheiten zu beheben. Das schlägt sich zwangsläufig auch in der Möglichkeit nieder, bestimmte Berufe zu ergreifen. Viele Berufe erfordern besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, die nicht alle Menschen im gleichen Masse besitzen. Der blosse Umstand, dass einzelne Personen ohne eigenes Verschulden diese Fähigkeiten nicht besitzen, kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen reduziert werden müssten. So können körperlich behinderte Personen bestimmte Berufe, die eine volle körperliche Leistungsfähigkeit verlangen (z.B. Polizist, Bergführer, Turnlehrer), nicht ergreifen. Die Handels- und Gewerbefreiheit kann keinen
BGE 122 I 130 S. 137
Anspruch darauf geben, dass solche Berufe von allen Personen ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten ergriffen und ausgeübt werden dürfen.
bb) Aus der menschenrechtlichen Komponente, die der Handels- und Gewerbefreiheit insbesondere in der Ausgestaltung der Berufswahlfreiheit innewohnt (ZENGER, a.a.O., S. 140 ff.), ergibt sich hingegen, dass der Staat die Berufszulassung nicht unnötigerweise von Voraussetzungen abhängig machen darf, die Behinderte nicht erfüllen können. Solange jedoch polizeilich gerechtfertigte Anforderungen zur Diskussion stehen, kann der blosse Umstand, dass einzelne Personen diese nicht zu erfüllen vermögen, noch kein Grund sein, die Anforderungen zu senken. So können zum Beispiel Personen, die infolge eines Gebrechens nicht in der Lage sind, ein Motorfahrzeug sicher zu führen, keinen Führerausweis erwerben, auch wenn sie dadurch in ihrem beruflichen Fortkommen behindert werden (
BGE 103 Ib 29
E. 1a S. 32). Dasselbe gilt auch für gewerbepolizeilich begründete Anforderungen an bestimmte Berufe.
cc) Das Erfordernis eines Fähigkeitsnachweises für Rechtsanwälte dient namentlich dem Schutz des rechtsuchenden Publikums (Ioanna Coveris, Certificat de capacité et liberté du commerce et de l'industrie, Thèse Lausanne 1988, S. 128 f.; WOLFFERS, a.a.O., S. 65 f.). Zu diesem Zweck ist es gerechtfertigt, hohe Anforderungen an die Fachkenntnisse eines Anwaltes zu stellen (
BGE 113 Ia 286
E. 4c S. 290; vgl. MICHAEL PFEIFER, Der Rechtsanwalt in der heutigen Gesellschaft, ZSR 115/1996 II S. 253-393, 356). Die blosse Bestätigung über ein absolviertes Praktikum kann in der Regel nicht als genügender Nachweis der Befähigung anerkannt werden (
BGE 111 Ia 108
E. 3 S. 112 f). Im Lichte dieser Überlegungen wäre es nicht zu rechtfertigen, mit Rücksicht auf bestimmte Eigenschaften einzelner Kandidaten weniger strenge Anforderungen zu stellen. Das rechtsuchende Publikum muss sich darauf verlassen können, dass der Anwalt über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, um seinen Beruf richtig auszuüben. Dazu gehört auch die Fähigkeit, unter Stressbedingungen richtig entscheiden und Sachverhalte zutreffend würdigen zu können. Es verletzt daher die Handels- und Gewerbefreiheit nicht, wenn die kantonalen Behörden es abgelehnt haben, mit Rücksicht auf die Behinderung des Beschwerdeführers die zu stellenden Anforderungen zu senken.
dd) Die kantonalen Behörden haben erwogen und berücksichtigt, dass die Wiederholung der ganzen Prüfung unter den gegebenen Umständen unzumutbar wäre, und aus diesem Grunde nicht die Wiederholung der gesamten Prüfung,
BGE 122 I 130 S. 138
sondern nur der schriftlichen Nachprüfung verlangt. Zudem haben sie sich bereit erklärt, den Prüfungsablauf der spezifischen Situation des Beschwerdeführers anzupassen. Sie haben damit durchaus auf die besondere Lage des Beschwerdeführers und seine individuelle Belastbarkeit Rücksicht genommen. Auch soweit sich aus der Handels- und Gewerbefreiheit ein Anspruch auf individuelle Gestaltung des Prüfungsablaufs ableiten lassen sollte, ist dieser Anspruch vorliegend jedenfalls nicht verletzt. Die Anforderungen, welche die kantonalen Behörden gestellt haben, können nicht als unverhältnismässig betrachtet werden. Die Rüge des Beschwerdeführers, eine Prüfung, die länger als acht Stunden dauere, sei im Reglement nicht vorgesehen und wäre für ihn mit zu grossem Stress verbunden, geht von vornherein fehl, weil die kantonalen Behörden den anzupassenden Prüfungsablauf noch gar nicht festgelegt haben. Vielmehr weigert sich der Beschwerdeführer grundsätzlich, überhaupt noch einmal eine schriftliche Nachprüfung abzulegen. Diese Weigerung erscheint um so weniger verständlich, als nach den von ihm nicht beanstandeten Feststellungen des Kantonsgerichts im Wiedererwägungsverfahren sein Vater vertretungsweise den Subeventualantrag gestellt hatte, eine Wiederholung der Prüfung mit einem angepassten Ablauf durchzuführen. Zwar hat die Prüfungskommission in ihrem Wiedererwägungsentscheid vom 8. Juli 1994 diesen Antrag abgelehnt; hingegen entspricht der Entscheid der Anwaltskammer vom 28. November 1994 im Ergebnis dem vom Beschwerdeführer selber (bzw. vertretungsweise von seinem Vater) gestellten Subeventualantrag.
d) Der angefochtene Entscheid verletzt nach dem Gesagten auch nicht die Rechtsgleichheit. Die kantonalen Behörden haben, indem sie dem Beschwerdeführer das Absolvieren nur der schriftlichen Nachprüfung mit angepasstem Ablauf zugestanden haben, seiner besonderen Situation Rechnung getragen und das verfassungsrechtliche Gebot, Ungleiches ungleich zu behandeln, beachtet. Dass sie die zu stellenden Anforderungen nicht reduziert haben, ist auch im Lichte der Rechtsgleichheit nicht zu beanstanden. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f33af4d-aa4b-4a22-9d8b-1e718f6ee554 | Urteilskopf
98 V 251
62. Auszug aus dem Urteil vom 7. November 1972 i.S. Ineichen gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Versicherungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 11 Abs. 1 AHVG
.
Massgebend für die Beurteilung von Gesuchen um teilweisen Erlass geschuldeter Beiträge ist die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Zeitpunkt, da er bezahlen sollte. | Erwägungen
ab Seite 251
BGE 98 V 251 S. 251
Aus den Erwägungen:
Ist einem obligatorisch Versicherten die Bezahlung der Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten, so können seine Beiträge auf begründetes Gesuch hin für bestimmte
BGE 98 V 251 S. 252
oder unbestimmte Zeit angemessen herabgesetzt werden (
Art. 11 Abs. 1 AHVG
). Die Voraussetzung der Unzumutbarkeit ist erfüllt, wenn der Beitragspflichtige bei Bezahlung des vollen Betrages seinen und seiner Familie Notbedarf nicht befriedigen könnte.
Gemäss ständiger Praxis (EVGE 1965 S. 202) beurteilt der Sozialversicherungsrichter die Gesetzmässigkeit der angefochtenen Verfügungen in der Regel nach dem Sachverhalt, der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war. Tatsachen, die jenen Sachverhalt seither verändert haben, sollen im Normalfall Gegenstand einer neuen Verwaltungsverfügung sein. Es fragt sich, ob diese Ordnung auch für die richterliche Kontrolle von Verwaltungsverfügungen über Erlass oder Herabsetzung von Forderungen des Versicherungsträgers wegleitend sein kann.
Da der ganze oder partielle Erlass solcher Forderungen eine wirtschaftliche Notlage des Schuldners voraussetzt (
Art. 11 und
Art. 47 Abs. 1 AHVG
), muss der endgültige Erlass- bzw. Herabsetzungsentscheid - unter Vorbehalt von Fällen missbräuchlicher Verzögerung - auf die ökonomischen Verhältnisse des Schuldners abstellen, die im Zeitpunkt gegeben sind, da er bezahlen sollte. Damit ist zugleich gesagt, dass weder weit zurückliegende noch durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse entscheidend sein können. Dennoch ist der im Erlassbzw. Herabsetzungsprozess erstmals angerufene Richter nicht verpflichtet, direkt und abschliessend zu überprüfen, ob und allenfalls wie weit sich die wirtschaftliche Lage des Schuldners seit Eröffnung der angefochtenen Verfügung über das Erlass- oder Herabsetzungsgesuch verändert hat. Der Richter kann sich gegebenenfalls auf die Feststellung beschränken, dass die Verwaltungsverfügung zur Zeit ihrer Eröffnung richtig war, und es der Partei, die seither veränderte erhebliche Tatsachen behauptet, überlassen, eine neue Verfügung zu provozieren. Es ist ihm aber auch nicht verwehrt, unter Umständen - aus prozessökonomischen Gründen - nach Gewährung des rechtlichen Gehörs seinem Urteil den neuen Sachverhalt zugrunde zu legen, wie er dies übrigens - obschon nur ausnahmsweise - auf andern Gebieten des Sozialversicherungsrechtes tut. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8f3655ed-550a-4ef1-910e-bb197982351e | Urteilskopf
101 Ib 25
5. Auszug aus dem Urteil vom 28. Februar 1975 i.S. Dettling & Maissen gegen Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | Regeste
Art. 7 Abs. 1 lit. a BB über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland; Art. 14 Abs. 1 VV.
Wenn es in einer Gemeinde an einer rechtsgültigen Ortsplanung sowie an einem generellen Kanalisationsprojekt fehlt, gilt als Bauzone im Sinne des Bundesrechtes jedenfalls das geschlossene und kanalisierte Siedlungsgebiet gemäss Art. 28 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung. | Sachverhalt
ab Seite 26
BGE 101 Ib 25 S. 26
Dettling und Maissen erstellten auf der Parzelle Nr. 142 in Sedrun (Gemeinde Tavetsch) das Wohn- und Geschäftshaus "En Canorta". Am 18. Januar und 7. März 1974 ersuchten sie das Grundbuchinspektorat Graubünden um die Bewilligung für den Verkauf von 4 Eigentumswohnungen dieses Hauses an Personen im Ausland. Obschon von der Gemeinde eine Zustimmung vorlag, lehnte das Grundbuchinspektorat die Gesuche mit der Begründung ab, dass die Gemeinde Tavetsch keine rechtskräftige Ortsplanung (Bauzonen) kenne und das generelle Kanalisationsprojekt erst in Planung stehe.
Einen hiegegen erhobenen Rekurs wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 2. Juli 1974 ab. Dettling und Maissen führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die nachgesuchte Bewilligung zu erteilen. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement sowie das Verwaltungsgericht von Graubünden beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur neuen Beurteilung an das Grundbuchinspektorat Graubünden zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Wohn- und Geschäftshaus "En Canorta" steht innerhalb des Dorfes Sedrun und ist auf drei Seiten von alten und neuen Bauten umgeben. Das Gebäude ist an der Hauptstrasse von Sedrun gelegen, die gleichzeitig die Durchgangsstrasse Disentis-Oberalp ist. Der Bau befindet sich zwar am östlichen Rand der Siedlung Sedrun, aber noch eindeutig innerhalb derselben. Er ist an die bestehende Kanalisation angeschlossen.
2.
Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a des Bundesbeschlusses über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961/21. März 1973 (BB) können Personen im Ausland keine Grundstücke erwerben, die ausserhalb einer Bauzone im Sinne des Bundesrechtes liegen. In Art. 14 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung zum genannten BB (VV) hat der Bundesrat bestimmt, dass als Bauzone, wenn es an einer rechtsverbindlichen Ortsplanung fehle, das durch das generelle Kanalisationsprojekt im Sinne von Art. 19 des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 umrissene Gebiet gelte.
BGE 101 Ib 25 S. 27
Der Sinn der bundesrechtlichen Regelung versteht sich nicht von selbst. Der Bundesbeschluss schreibt vor, dass von Ausländern nur Grundstücke erworben werden dürfen, die in einer Bauzone im Sinne des Bundesrechts liegen. Die Verordnung des Bundesrates verweist nun in erster Linie auf die rechtsverbindliche Ortsplanung, die jedoch kein Begriff des Bundesrechtes sondern ein solcher des kantonalen Orts- und Planungsrechtes ist. Man kann sich fragen, ob diese Bauzonen im Sinne des Bundesrechtes ausgestaltet worden sind, nachdem in der Botschaft zum Raumplanungsgesetz ausgeführt worden ist, dass in der Ortsplanung viel zu viel Land dem Baugebiet zugeteilt worden sei (BBl 1972 I 1460;
BGE 98 Ia 377
).
Die Vorarbeiten zu der Änderung des BB über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 21. März 1973 ergeben, dass nach dem Vorschlag des Bundesrates nur beabsichtigt war, den Erwerb von Grundstücken durch Ausländer in den Schutzgebieten, die als Freihaltegebiete verstanden wurden, auszuschliessen (BBl 1972 II 1259). Davon wären ausschliesslich nicht zur Überbauung bestimmte Gebiete betroffen worden, wie aus der Botschaft unmissverständlich hervorgeht.
Im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen ist gegen den anfänglichen Widerstand des Ständerates der Erwerb von denjenigen Grundstücken ausgeschlossen worden, die ausserhalb einer Bauzone im Sinne des Bundesrechtes liegen. Die Änderung ist darauf zurückzuführen, dass der Delegierte für Raumplanung dafür hielt, dass die Beschränkung des Verweigerungsgrundes auf die eigentlichen Schutzgebiete zu eng sei. Für solche Grundstücke bestehe erfahrungsgemäss keine grosse Nachfrage. Er schlug daher vor, den Ausschluss des Erwerbes auf Grundstücke ausserhalb einer Bauzone im Sinne des Bundesrechtes über die Raumplanung zu erstrecken. Hinzugefügt wurde, dass nach dem Entwurf zum Bundesgesetz über die Raumplanung (Art. 32) vorgesehen sei, dass innerhalb des Siedlungsgebietes als Bauzone nur Land ausgeschieden werden dürfe, das bereits weitgehend überbaut sei oder längstens innert 10 bis 15 Jahren für die Überbauung benötigt und innert dieser Frist erschlossen werde (Protokoll der nationalrätlichen Kommission vom 16./17. November 1972 S. 66; vgl. BBl 1972 I 1518, 1543).
BGE 101 Ib 25 S. 28
Danach sollten die Bauzonen das bereits bestehende weitgehend überbaute Siedlungsgebiet und das in einer Zeitspanne von 10 bis 15 Jahren zur Erschliessung und Überbauung bestimmte Gebiet umfassen (vgl. BBl 1972 I 1510, 1518, 1538, 1543).
Der Verweis auf das Raumplanungsrecht des Bundes wurde in der Folge fallen gelassen und nicht in die definitive Fassung aufgenommen, weil im Zeitpunkt der Beratungen (November 1972) das Raumplanungsgesetz erst im Vorschlag des Bundesrates vorlag. Man erachtete es daher als unlogisch, auf ein noch nicht geltendes Gesetz zu verweisen. Dem fügte Bundesrat Furgler bei, dass zwischen Raumplanungsgesetz und Gewässerschutzgesetzgebung in dieser Hinsicht Übereinstimmung werde bestehen müssen (S. 67 des vorerwähnten Protokolls der Kommission des Nationalrates). Verstanden wurde der Begriff der Bauzone zu Beginn der Verhandlungen somit im Sinne der Vorstellungen der im Entwurf bekannten Raumplanungsgesetzgebung (Amtl.Bull. N 1972 S. 2244). Später wurde zusätzlich auf die Gewässerschutzgesetzgebung verwiesen (Protokoll der nationalrätlichen Kommission vom 8. März 1973 S. 16).
3.
Das Gewässerschutzgesetz spricht zwar von Bauzonen (
Art. 19 GSchG
), umschreibt den Begriff aber nicht näher. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass damit die kantonal ausgeschiedenen Bauzonen gemeint sind. Das Gewässerschutzgesetz misst ihnen aber nicht die Bedeutung zu, dass darin unter dem Gesichtspunkt des Gewässerschutzes ohne weiteres gebaut werden dürfte. Vielmehr ist das nur dann der Fall, wenn ausserdem der Anschluss an eine Kanalisation gewährleistet ist (
BGE 100 Ib 209
E. 2a). Damit sind nicht einfach die kantonal ausgeschiedenen Bauzonen massgebend, sondern entscheidet zusätzlich die Anschlussmöglichkeit an eine bestehende Kanalisation.
Überhaupt befasst sich die Gewässerschutzgesetzgebung in
Art. 19 GSchG
, auf welchen die Vollziehungsverordnung des Bundesrates verweist, allein mit den Gebieten, in welchen Kanalisationen erst vorgesehen, aber noch nicht gebaut sind (
BGE 100 Ib 210
f.) Wo jedoch Kanalisationen, nicht aber Bauzonen noch ein generelles Kanalisationsprojekt bestehen, muss auf Art. 28 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 (AGSchV) gegriffen werden. Diese Bestimmung,
BGE 101 Ib 25 S. 29
die sich mit dem Siedlungsgebiet befasst, bringt die notwendige Ergänzung zu
Art. 19 GSchG
. Danach dürfen in Gemeinden, die weder über Bauzonen noch über ein generelles Kanalisationsprojekt verfügen, Baubewilligungen gemäss
Art. 19 GSchG
innerhalb des engeren Baugebietes, welches das erschlossene und vor der Erschliessung stehende Land umfasst, erteilt werden. Das geschlossene und kanalisierte Siedlungsgebiet gilt mithin auf alle Fälle auch nach dem Gewässerschutzrecht - nicht nur nach der vorgesehenen Raumplanungsgesetzgebung - als selbstverständlicher Bestandteil der Bauzonen.
Es kommt dazu, dass als Bauzonen nach Gewässerschutzrecht bereits Gebiete gelten können, für die vorläufig erst ein generelles Kanalisationsprojekt besteht, vorausgesetzt, dass der Anschluss der Abwässer an die Kanalisation gesichert ist. Es wäre unbegreiflich, warum zu den Bauzonen nicht die geschlossenen Siedlungsgebiete zählen sollten, bei denen nicht nur Kanalisationsprojekte, sondern fertige Kanalisationen bestehen. Geschlossene und kanalisierte Siedlungsgebiete müssen a fortiori als Bauzonen gelten. Es wäre nach der Logik und nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht einzusehen, warum Ausländer Grundstücke in noch nicht überbauten und noch nicht erschlossenen, aber zur Überbauung bestimmten Gebieten kaufen dürften, nicht aber Häuser in erschlossenen Gebieten. Für eine solche Auslegung findet sich im Zweck der gesetzlichen Regelung keine mit vernünftigen Gründen zu stützende Erklärung.
Diese Überlegungen führen zum Ergebnis, dass als Bauzonen im Sinne des Bundesrechtes erst recht die geschlossenen Siedlungsgebiete gelten müssen, die durch Kanalisationen erschlossen sind und an welche die bestehenden Bauten angeschlossen sind.
Ist dem aber so, kann der Erwerb der vier Eigentumswohnungen nicht unter Berufung auf Art. 7 Abs. 1 lit. a BB und Art. 14 Abs. 1 VV verweigert werden. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f38fa98-8720-4824-9c2c-15624ed2b11d | Urteilskopf
96 III 10
3. Entscheid vom 28. Januar 1970 i.S. Lotti. | Regeste
Verwertung eines gepfändeten Erbteils (
Art. 132 SchKG
,
Art. 9 ff. VVAG
).
1. Bestimmung des Verfahrens durch die Aufsichtsbehörde. Verhältnis zwischen
Art. 132 SchKG
und
Art. 9 ff. VVAG
. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (
Art. 19 Abs. 1 SchKG
). (Erw. 2).
2. Zweck der Vorschrift, dass die Versteigerung in der Regel nur angeordnet werden soll, wenn der Wert des Anteilsrechts annähernd bestimmt werden kann (
Art. 10 Abs. 3 VVAG
). Umstände, die ein ungünstiges Ergebnis der Versteigerung erwarten lassen. (Erw. 3).
3. Verwertung auf dem Wege der Auflösung der Gemeinschaft, insbesondere der Erbteilung unter Mitwirkung der nach
Art. 609 ZGB
zuständigen Behörde (
Art. 12 VVAG
). Vorteile dieser Lösung. Pflicht der Gläubiger, die Kosten der hiefür nötigen Prozesse vorzuschiessen. Sind einzelne Gläubiger hiezu bereit, so ist auch den andern zuzumuten, das Ergebnis der Erbteilung abzuwarten. Bedeutung der Vorschrift, dass die Aufsichtsbehörde "nach Anhörung der Beteiligten" zu entscheiden hat (
Art. 132 Abs. 3 SchKG
). Unmassgeblichkeit der Anträge von Beteiligten, die von der Behörde nur mangelhaft über die Sachlage unterrichtet wurden (Erw. 4).
4. Den Gläubigern den bestrittenen Anspruch des Schuldners auf Auflösung der Gemeinschaft und Liquidation des Gemeinschaftsvermögens zur Geltendmachung auf eigene Gefahr und in eigenem Namen anzubieten (
Art. 13 VVAG
,
Art. 131 Abs. 2 SchKG
), ist nicht zulässig, wenn das gepfändete Anteilsrecht ein solches an einer unstreitig noch nicht geteilten Erbschaft ist, an welcher der Schuldner unstreitig beteiligt ist. In solchen Fällen kann nur die zuständige Behörde (
Art. 12 VVAG
,
Art. 609 ZGB
) für den Schuldner handeln. Aus dem Ergebnis der von dieser Behörde zu führenden Prozesse sind die Auslagen und die Forderungen der Gläubiger, welche die Prozesskosten vorgeschossen haben (vgl. Ziff. 3 hievor), in entsprechender Anwendung von
Art. 131 Abs. 2 Satz 2 SchKG
vorweg zu decken. (Erw. 5).
5. Möglichkeit einer Einigung unter allen Beteiligten im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 VVAG
oder eines Vergleichs zwischen der nach
Art. 609 ZGB
bei der Teilung mitwirkenden Behörde und den Miterben des Schuldners. Verantwortlichkeit der für den Schuldner handelnden vormundschaftlichen Organe bzw. der nach
Art. 609 ZGB
mitwirkenden Behörde. (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 12
BGE 96 III 10 S. 12
A.-
Das Vermögen der Kollektivgesellschaft Lotti & Cie. in Liq., das zur Hauptsache aus vier Liegenschaften in Zürich besteht, gehört heute zu 40% den Erben des Modesto Lotti und zu 60% den Erben des Francesco Lotti. In beiden Erbengemeinschaften steht das Eigentum den Kindern, die Nutzniessung der Witwe des Erblassers zu. Die Liegenschaften sind mit etwa Fr. 1 900 000.-- hypothekarisch belastet. Als eines der Kinder des Francesco Lotti ist die seit 1966 gemäss
Art. 370 ZGB
bevormundete Jonia Lotti zu 20% am Gesamtvermögen beteiligt. In zahlreichen Betreibungen gegen sie, mit denen Forderungen von über Fr. 200 000.-- geltend gemacht werden, wurde ihr Anteil am Nachlass ihres Vaters gepfändet. Dieser Anteil, auf den nach den übereinstimmenden Angaben ihres Vormunds und ihrer Miterben Vorempfänge von nahezu Fr. 300 000.-- (Wert 31. Dezember 1968) anzurechnen sind, soll verwertet werden. Vom Betreibungsamt Zürich 6 nach erfolglosen Einigungsverhandlungen gemäss
Art. 132 Abs. 1 SchKG
um Bestimmung des Verfahrens ersucht, ordnete die untere Aufsichtsbehörde am 12. Mai 1964 in den Pfändungsgruppen Nr. 135, 220, 23 und 47 die Auflösung der Erbengemeinschaft und die Liquidation des Gemeinschaftsvermögens nach den für die Gemeinschaft geltenden Vorschriften an (
Art. 10 Abs. 2 VVAG
).
BGE 96 III 10 S. 13
Am 6. November 1964 bestätigte die obere kantonale Aufsichtsbehörde diesen Entscheid.
B.-
Die vom Betreibungsamt gemäss
Art. 12 VVAG
und
Art. 609 Abs. 1 ZGB
um Mitwirkung bei der Erbteilung ersuchte Behörde übertrug diese Aufgabe am 25. Januar 1965 dem Notar von Zürich-Aussersihl. Auf dessen Empfehlung ersuchte das Betreibungsamt die untere Aufsichtsbehörde am 8. November 1965, in Wiedererwägung des Beschlusses vom 12. Mai 1964 die Versteigerung des gepfändeten Anteilrechts anzuordnen, weil sich gezeigt habe, dass die Liquidation des Gemeinschaftsvermögens nicht ohne langwierige und kostspielige Prozesse, deren Kosten die Gläubiger vorzuschiessen hätten, erreicht werden könnte. Nach einer Besprechung mit den Erben und ihren Vertretern und nach einer schriftlichen Umfrage bei den Gläubigern (Rundschreiben vom 3. Februar 1966) ordnete die untere Aufsichtsbehörde am 8. März 1966 die Versteigerung des gepfändeten Anteilsrechts an und beauftragte das Betreibungsamt, dieses Anteilsrecht vor der Versteigerung durch einen oder mehrere Sachverständige schätzen zu lassen.
C.-
Diesen Entscheid zog der Vormund der Schuldnerin an die obere kantonale Aufsichtsbehörde weiter. Diese bemühte sich zunächst, durch Verhandlungen mit den Erben des Francesco Lotti eine Einigung über die Auflösung der Erbengemeinschaft bzw. über das Ausscheiden der Schuldnerin aus dieser Gemeinschaft herbeizuführen. Sie holte zu diesem Zweck zwei Gutachten über den Verkehrswert der vier Liegenschaften der Firma Lotti & Cie. in Liq. ein (Gutachten Rehfuss und Lamprecht). Bei der Vergleichsverhandlung vom 29. Mai 1969 ergab sich, dass zwischen der Witwe und den Kindern des Francesco Lotti ein am 10. Februar 1955 abgeschlossener Erbvertrag besteht, der u.a. vorsieht, die drei Kinder des Francesco Lotti verpflichteten sich, das zum Nachlass ihres Vaters gehörende Vermögen, soweit in der Firma Gebr. Lotti angelegt, solange nicht zu teilen, als eines der drei Kinder lebt. Die Miterben der Schuldnerin erklärten sich schliesslich im Sinne eines letzten Zugeständnisses bereit, die Schuldnerin auf der Basis des Mittels zwischen den beiden (auf insgesamt Fr. 3 612 000.-- bzw. 4 800 000.-- lautenden) Schätzungen der vier Liegenschaften abzufinden und sie an einem in den nächsten zehn (nicht zwanzig) Jahren allenfalls erzielten Mehrerlös zu beteiligen (Schreiben
BGE 96 III 10 S. 14
Dr. Glarner an den Vormund der Schuldnerin vom 16. Juni 1969 und 21. Juli 1969). Der Vormund hielt demgegenüber daran fest, dass dem Erbauskauf der Schätzungswert von Fr. 4 800 000.-- zugrunde zu legen sei, und bestand auf einem Gewinnanteilsrecht für die Dauer von zwanzig Jahren. Eventuell schlug er (wie schon früher) eine Realteilung vor (Schreiben des Vormunds an Dr. Glarner vom 10. September 1969).
Die obere kantonale Aufsichtsbehörde erachtete diese Meinungsverschiedenheit als zur Zeit nicht überbrückbar und nahm an, dem Notar könne im Hinblick auf seine Verantwortlichkeit nicht zugemutet werden, den von den vormundschaftlichen Organen abgelehnten Vorschlag der Miterben der Schuldnerin anzunehmen, so dass ihm nichts anderes übrig bliebe, als langwierige und kostspielige Prozesse mit ungewissem Ausgang zu führen; selbst wenn die Mittel für die Prozessführung beschafft werden könnten, dürfe den Gläubigern, von denen keiner der Versteigerung des Erbteils widerspreche, nicht zugemutet werden, weitere Jahre auf die Erledigung der Betreibungen zu warten, ohne die Gewissheit zu haben, dem Ziele der Betreibungen näherzurücken; daher dränge es sich auf, "trotz der ungünstigen Erfolgsaussichten der Versteigerung diese anzuordnen". Aus diesen Gründen bestätigte die obere kantonale Aufsichtsbehörde am 20. November 1969 den erstinstanzlichen Entscheid.
D.-
Gegen den Entscheid der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde hat der Vormund der Schuldnerin an das Bundesgericht rekurriert mit den Anträgen,
a) an der seinerzeitigen Anordnung, dass die Auflösung der Erbengemeinschaft und die Liquidation ihres Vermögens herbeigeführt werden soll, sei festzuhalten,
b) die Vorinstanz sei anzuweisen, die Verhandlungen zur Ablösung der Schuldnerin bzw. zur Durchführung einer Erbteilung durch Auskauf oder Realteilung fortzuführen,
c) eventuell sei diese Aufgabe dem Notar zu übertragen,
d) für den Fall des Scheiterns der Einigungsverhandlungen sei der Notar zu beauftragen, die Teilung namens der Schuldnerin durchzusetzen (
Art. 12 VVAG
).
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer heisst den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
BGE 96 III 10 S. 15
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die Rekurrentin beanstandet in erster Linie, dass die kantonalen Aufsichtsbehörden auf ihre früheren Entscheide zurückkamen. Sie macht geltend, eine untere Behörde könne den Entscheid einer oberen nicht in Wiedererwägung ziehen; zudem setze eine Wiedererwägung das Vorliegen neuer Tatsachen voraus; solche seien hier nicht vorhanden. Diese Rügen sind nicht zu hören; denn die damit aufgeworfenen Fragen werden vom kantonalen Verfahrensrecht beherrscht, während mit dem Rekurs im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 SchKG
nur geltend gemacht werden kann, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht (
Art. 81 und 43 OG
).
2.
Ist ein Anteil an einem Gemeinschaftsvermögen zu verwerten, so kann die vom Betreibungsamt nach
Art. 132 Abs. 1 SchKG
um Bestimmung des Verfahrens ersuchte Aufsichtsbehörde gemäss
Art. 132 Abs. 3 SchKG
"nach Anhörung der Beteiligten die Versteigerung anordnen oder die Verwertung einem Verwalter übertragen oder eine andere Vorkehrung treffen". Die VVAG, die nähere Bestimmungen darüber aufstellt, wie bei der Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen vorzugehen ist, damit die rechtlichen Interessen aller Beteiligten bestmöglich gewahrt werden (vgl. P. SCHWARTZ, BlSchK 1965 S. 173 f. Ziff. 3, und
BGE 93 III 119
E. 1), verlangt in Art. 10 Abs. 1, dass die pfändenden Gläubiger, der Schuldner und die Mitanteilhaber, wenn eine Einigung im Sinne von Art. 9 nicht zustande kommt, Gelegenheit erhalten, ihre Anträge über die weiteren Verwertungsmassnahmen zu stellen. Sie erlaubt der Aufsichtsbehörde, nochmals Einigungsverhandlungen anzuordnen (Art. 10 Abs. 1 a.E.), und schreibt in Art. 10 Abs. 2 vor, die Aufsichtsbehörde verfüge "unter möglichster Berücksichtigung der Anträge der Beteiligten, ob das gepfändete Anteilsrecht als solches versteigert, oder ob die Auflösung der Gemeinschaft und Liquidation des Gemeinschaftsvermögens nach den für die betreffende Gemeinschaft geltenden Vorschriften herbeigeführt werden soll". Die Versteigerung soll nach Art. 10 Abs. 3 "in der Regel nur angeordnet werden, wenn der Wert des Anteilsrechts gestützt auf die im Pfändungsverfahren oder beim Einigungsversuch gemachten Erhebungen annähernd bestimmt werden kann".
Diese Verordnungsvorschriften schränken das der Aufsichtsbehörde
BGE 96 III 10 S. 16
durch
Art. 132 Abs. 3 SchKG
eingeräumte Ermessen ein, heben es aber nicht auf (vgl.
BGE 93 III 119
E. 1). Auf welchem der erwähnten Wege ein Gemeinschaftsanteil zu verwerten sei, bleibt letztlich eine Frage der Angemessenheit (vgl.
BGE 87 III 109
Nr. 20). Das Bundesgericht, an das nach
Art. 19 Abs. 1 SchKG
nur gesetzwidrige Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden weitergezogen werden können, darf daher in diesem Punkte nur eingreifen, wenn die Vorinstanz die Grenzen ihres Ermessens überschritten hat (vgl.
BGE 93 III 119
E. 2 mit Hinweisen), was namentlich dann zutrifft, wenn ihre Entscheidung dem Grundgedanken der in Frage stehenden Vorschriften, insbesondere dem von ihnen verfolgten Schutzzweck nicht gehörig Rechnung trägt oder Umstände nicht beachtet, die unter diesem Gesichtspunkt wesentlich sind (vgl.
BGE 80 III 119
ff. und SIMOND, SJK Nr. 628, Ausgabe 1958, S. 4). Ausserdem hat das Bundesgericht auf Rekurs hin zu prüfen, ob die Vorschriften des Gesetzes und der Verordnung über die Anhörung der Beteiligten (vgl.
BGE 87 III 108
E. 2,
BGE 54 III 95
E. 2) und gegebenenfalls die Vorschriften über die zwecks Herbeiführung der Auflösung der Gemeinschaft zu treffenden Massnahmen (
Art. 12, 13 VVAG
) befolgt wurden.
3.
Die Vorinstanz geht angesichts der weit auseinandergehenden Schätzungen der beiden Sachverständigen mit Recht davon aus, dass es heute nicht möglich ist, den Wert des gepfändeten Anteilsrechts annähernd zu bestimmen. In solchen Fällen darf die Versteigerung nach
Art. 10 Abs. 3 VVAG
in der Regel nicht angeordnet werden.
Die eben erwähnte Vorschrift bezweckt, im Interesse des Schuldners und der Gläubiger eine Verschleuderung des gepfändeten Anteilsrechts zu verhüten (
BGE 80 III 120
). Die Gefahr, dass der Steigerungserlös weit unter dem Wert des Anteilsrechts bliebe, ist im vorliegenden Falle besonders gross. Ein aussenstehender Ersteigerer des Anteilsrechts der Schuldnerin am Nachlass von Francesco Lotti müsste vorerst die Teilung des Vermögens der Firma Lotti & Cie. in Liq. unter die beiden Erbengemeinschaften, der die Brüder der Schuldnerin und wahrscheinlich auch die Erben des Modesto Lotti widerstreben, zu erreichen suchen, was mit Schwierigkeiten verbunden wäre. Hierauf müsste er die zuständige Behörde um ihre Mitwirkung bei der Teilung des Nachlasses von Francesco Lotti ersuchen (
Art. 609 Abs. 1 ZGB
). Auch bei dieser Teilung ergäben sich
BGE 96 III 10 S. 17
Schwierigkeiten. Abgesehen davon, dass in der Lehre umstritten ist, ob die Behörde eingreifen kann, bevor sich die Erben selbst zur Teilung entschlossen haben (verneinend ESCHER, 3. Aufl., N. 6, bejahend TUOR/PICENONI N. 13 zu
Art. 609 ZGB
), wäre im vorliegenden Falle der Einwand zu erwarten, der Erbvertrag vom 10. Februar 1955 schliesse die Teilung aus, solange eines der Kinder von Francesco Lotti lebt; von dieser Regelung könne nur im Einverständnis aller Beteiligten abgewichen werden (vgl. Prot. der Vorinstanz S. 10). Für wie lange die Erbteilung vertraglich ausgeschlossen werden kann, insbesondere ob nur ein "vorübergehender" oder auch ein längerer Aufschub der Teilung gültig vereinbart werden kann, ist ebenfalls umstritten (vgl. einerseits ESCHER N. 6/7, anderseits TUOR/PICENONI N. 6/7 zu
Art. 604 ZGB
). Der Ersteigerer müsste also voraussichtlich zwei zeitraubende und kostspielige Prozesse mit ungewissem Ausgang führen lassen und finanzieren. Könnte er schliesslich erreichen, dass der Schuldnerin eine bestimmte Geldsumme oder bestimmte Gegenstände als der ihr nach Abzug der Vorempfänge verbleibende Erbteil zugeschieden würden, so wäre immer noch nicht sicher, dass er diese Summe bzw. den Erlös aus den betreffenden Gegenständen (vgl.
Art. 14 VVAG
) sofort beziehen könnte; denn am Erbteil der Schuldnerin steht deren Mutter, die heute 73 Jahre alt ist und noch eine beträchtliche Lebenserwartung hat, die lebenslängliche Nutzniessung zu. Bei dieser Sachlage ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unbeteiligte Dritte an der Steigerung teilnehmen würden, sehr gering. Auf jeden Fall aber kann angesichts der zahlreichen Unsicherheitsfaktoren, mit denen die Durchsetzung des bei einer Versteigerung erworbenen Anspruchs auf den Liquidationsanteil der Schuldnerin belastet ist, nicht erwartet werden, dass Dritte bei der Steigerung auch nur annähernd soviel bieten werden, wie für die pfändenden Gläubiger bei Annahme des Vergleichsangebots der Miterben der Schuldnerin gemäss den Schreiben Dr. Glarners vom 16. Juni und 21. Juli 1969 (lit. C hievor) verfügbar wird (20% des mit rund Fr. 4 200 000.-- eingesetzten, um die hypothekarische Belastung von rund Fr. 1 900 000.-- verminderten Werts der vier Liegenschaften = rund Fr. 460 000.--, abzüglich der Vorempfänge von rund Fr. 300 000.-- und des Kapitalwertes der Nutzniessung der Witwe Elvezia Lotti am Erbteil der Schuldnerin, welcher Wert nach einem Schreiben Dr. Glarners an den Vormund der Schuldnerin vom 27. September 1967
BGE 96 III 10 S. 18
"grob gerechnet ca. Fr. 65 000.--" ausmachen soll). Auch für die pfändenden Gläubiger ist der Anreiz zur Teilnahme an der Steigerung angesichts der bestehenden Unsicherheitsfaktoren gering, und die Miterben der Schuldnerin, die am Erwerb des Anteilsrechts ihrer Schwester am ehesten interessiert sein könnten, würden bei einer Steigerung wohl kaum mehr bieten, als nötig ist, um den Zuschlag an einen allfälligen anderen Interessenten zu verhindern. Die Versteigerung des gepfändeten Anteilsrechts würde also aller Voraussicht nach zu einer Verschleuderung dieses Vermögenswertes führen. Sie darf daher erst angeordnet werden, wenn sich eine rationellere Art der Verwertung als schlechthin ausgeschlossen erweist.
4.
Mit den geschilderten Schwierigkeiten ist auch zu rechnen, wenn die Behörde, welche anstelle der Schuldnerin bei der Teilung mitzuwirken hat, die Erbteilung und - dieser vorausgehend - mit Hilfe eines Erbenvertreters die Teilung des Vermögens der Firma Lotti & Cie. in Liq. auf dem Prozessweg zu erreichen sucht. Die Kosten der hiezu nötigen Verfahren müssten wie andere Verwertungskosten von den Gläubigern vorgeschossen werden, wobei sich die Höhe des Vorschusses nach den Beträgen bemessen würde, welche der wahrscheinlich beizuziehende Anwalt und die Gerichte ihrerseits als Vorschüsse verlangen würden (vgl.
BGE 80 III 121
E. 3). Diese Lösung dürfte für die Gläubiger aber dennoch vorteilhafter sein als die Versteigerung; denn sie kann dazu führen, dass sie auf den vollen Wert des gepfändeten Anteilsrechts greifen können, während ihnen im Falle der Versteigerung nur der diesen Wert voraussichtlich bei weitem nicht erreichende Steigerungspreis zufällt. (Die Auffassung der Rekurrentin, dass die Gläubiger im Falle der Versteigerung völlig leer ausgingen, wenn der Erlös den Betrag ihrer Vorempfänge nicht erreichen würde, trifft nicht zu; die Vorempfänge wären nicht aus dem Steigerungserlös zu decken und daher von diesem abzuziehen, sondern um die Vorempfänge würde sich der dem Ersteigerer zukommende Anteil der Schuldnerin am Ergebnis der Liquidation der Erbschaft ihres Vaters vermindern.)
Die Vorinstanz stellt allerdings fest, dass kein Gläubiger der Versteigerung widerspreche, und nimmt an, den Gläubigern sei nicht zuzumuten, weitere Jahre auf die Erledigung der Betreibungen zu warten, ohne die Gewissheit zu haben, dem Ziel der Betreibung näherzurücken. Demgegenüber wendet jedoch die
BGE 96 III 10 S. 19
Rekurrentin mit Recht ein, die Tatsache, dass sich die Gläubiger auf das Rundschreiben der unteren Aufsichtsbehörde vom 3. Februar 1966 hin ausdrücklich oder stillschweigend für die Versteigerung entschieden, dürfe der Entscheidung über ihre Beschwerde nicht zugrunde gelegt werden, weil das Rundschreiben die Gläubiger nur mangelhaft über die Sachlage unterrichtet habe. Das Rundschreiben wies die Gläubiger nur auf die Schwierigkeiten der Teilung und darauf hin, dass sie die hohen Kosten der hiefür nötigen Verfahren ("mindestens Fr. 20 000.--") vorschiessen müssten und während Jahren kein Ergebnis aus der Betreibung erhielten. Dagegen wurden die Gläubiger über die schlechten Aussichten einer Versteigerung nicht aufgeklärt. Im Rundschreiben fehlt namentlich ein Hinweis auf die hohen Vorempfänge der Schuldnerin und auf das lebenslängliche Nutzniessungsrecht ihrer Mutter. Unter diesen Umständen drängt es sich auf, den Gläubigern unter genauer und erschöpfender Darstellung der Lage nochmals Gelegenheit zu geben, sich über das weitere Vorgehen zu äussern und sich zugleich darüber auszusprechen, ob sie zur Sicherstellung der mit der Liquidation der Gemeinschaft verbundenen Kosten bereit wären. Es ist denkbar, dass die Gläubiger bei voller Kenntnis der Lage ihre Meinung ändern. Stellen einzelne Gläubiger die Kosten der Liquidation sicher, so ist auch den anderen zuzumuten, das Ergebnis der Erbteilung abzuwarten (
BGE 80 III 122
oben).
Indem das SchKG in Art. 132 Abs. 3 vorschreibt, die Aufsichtsbehörde könne die dort vorgesehenen Massnahmen "nach Anhörung der Beteiligten" treffen, verlangt es freilich nicht, die Behörde selbst habe die Beteiligten anzuhören. Die Einigungsverhandlungen werden vielmehr in der Regel vom Betreibungsamt geführt, und es ist demgemäss in der Regel auch dessen Sache, beim Scheitern dieser Verhandlungen die Anträge der Beteiligten über das weitere Verfahren einzuholen. Ob die Aufsichtsbehörde sich selbst um eine Einigung bemühen will, ist ihrem Ermessen anheimgestellt. Dass sie nach Anhörung der Beteiligten zu entscheiden hat, bedeutet demgemäss für sie grundsätzlich nur, dass sie deren Anträge nach Möglichkeit zu berücksichtigen hat (Art. 9/10 VVAG;
BGE 87 III 108
E. 2). Beantragt jedoch das Betreibungsamt der Aufsichtsbehörde die Wiedererwägung einer früheren Entscheidung über das Verwertungsverfahren, ohne hierüber die Meinungsäusserungen der Beteiligten eingeholt zu haben, und lässt sich die Aufsichtsbehörde
BGE 96 III 10 S. 20
auf diesen Antrag ein, wie es hier geschah, so muss die Aufsichtsbehörde die Beteiligten, die auch in einem solchen Falle vor der Entscheidung angehört zu werden verdienen, selbst anhören. Dass die Beteiligten dabei nicht bloss einseitig über die Sachlage orientiert werden dürfen, versteht sich von selbst.
5.
Da sich die Miterben der Rekurrentin für den nach Ansicht der Vorinstanz eingetretenen Fall, dass eine Einigung über den Auskauf der Rekurrentin nicht erzielt werden kann, auf den Erbvertrag vom 10. Februar 1955 berufen, der eine Teilung der Erbschaft des Francesco Lotti zu Lebzeiten eines der Kinder ausschliesst, könnte man versucht sein,
Art. 13 VVAG
anzuwenden, der lautet:
"Widersetzt sich einer der Mitanteilhaber der Auflösung der Gemeinschaft, so bietet das Betreibungsamt den Gläubigern den Anspruch auf Auflösung der Gemeinschaft und Liquidation des Gemeinschaftsvermögens zur Geltendmachung auf eigene Gefahr gemäss
Art. 131 Abs. 2 SchKG
an. Macht kein Gläubiger innert der angesetzten Frist von diesem Angebot Gebrauch, so wird das Anteilsrecht versteigert."
Diese Bestimmung lässt sich nach ihrem allgemein gefassten Wortlaut auf alle Arten von Gemeinschaften, also auch auf die Erbengemeinschaft beziehen. JAEGER hatte denn auch in seinem 1911 (also vor Erlass der VVAG vom 17. Januar 1923) erschienenen Kommentar zum SchKG bei Behandlung der Verwertung von gepfändeten Erbanteilen die Ansicht vertreten: "Da die Teilung von jedem Miterben erzwungen werden kann, sind die Gläubiger auf ihr Verlangen, alle oder nur einzelne, in die bezüglichen Rechte des Schuldners einzuweisen und können dann an seiner Statt Teilung verlangen und an der Teilung mitwirken" (N. 4 zu Art. 132, S. 432/33). Diese Auffassung verträgt sich jedoch nicht mit der Regelung des ZGB, wonach ein Dritter, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat oder gegen den Erben Verlustscheine besitzt, nicht berechtigt ist, sich unmittelbar in die Teilung einzumischen, sondern nur verlangen kann, dass die Behörde anstelle des betreffenden Erben bei der Teilung mitwirkt (Art. 609 Abs. 1 und 635 Abs. 2 ZGB;
BGE 63 II 234
oben: "Das Gesetz will die Auseinandersetzung über die Erbschaft als eine Angelegenheit der Erben behandelt wissen, an der kein Aussenseiter, sondern nur allenfalls die Behörde teilnehmen darf"; ESCHER N. 14 und 17, TUOR/PICENONI N. 5 und
BGE 96 III 10 S. 21
12a zu
Art. 609 ZGB
). Ist das gepfändete Anteilsrecht ein solches an einer Erbschaft, an welcher der Schuldner unstreitig beteiligt und welche unstreitig noch nicht geteilt ist, deren Teilung aber von den Miterben abgelehnt wird, so darf deshalb der Teilungsanspruch des Schuldners trotz der allgemeinen Fassung des
Art. 13 VVAG
(der das ZGB nicht abzuändern vermochte) nicht gemäss
Art. 131 Abs. 2 SchKG
den Gläubigern zur Geltendmachung auf eigene Gefahr und in eigenem Namen (vgl.
BGE 93 III 48
E. 1) überlassen werden. Vielmehr kann, wenn der Liquidationsanteil des Schuldners an einer solchen Erbschaft gepfändet ist, stets nur die vom Betreibungsamt gemäss
Art. 12 VVAG
um ihre Mitwirkung zu ersuchende Behörde anstelle des Schuldners handeln. Eine Überweisung gemäss
Art. 131 Abs. 2 SchKG
an den Gläubiger, zu dessen Gunsten ein Erbteil gepfändet wurde, kommt nur in Frage, wenn der Bestand bzw. der Fortbestand einer Erbengemeinschaft, an welcher der Schuldner beteiligt wäre, bestritten ist, wie es in den FällenBGE 61 III 95ff. undBGE 62 III 26ff. zutraf. In solchen Fällen kann der Gläubiger ermächtigt werden, anstelle des Schuldners auf Feststellung zu klagen, dass eine Erbengemeinschaft (noch) besteht (
BGE 61 III 99
,
BGE 62 III 28
). Weitergehende Rechte können ihm aber nicht übertragen werden. Wird das Bestehen einer Erbengemeinschaft auf seine Klage hin gerichtlich festgestellt, so hat er die Teilung unter Mitwirkung der nach
Art. 609 ZGB
zuständigen Behörde zu verlangen (
BGE 61 III 99
).
Muss den pfändenden Gläubigern die Überweisung des Teilungsanspruchs der Rekurrentin nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG
aus Gründen des materiellen Rechts versagt werden, so darf aber doch nicht unbeachtet bleiben, dass die Lage der Gläubiger, welche die zur Herbeiführung der Erbteilung nötigen Verfahren durch ihre Kostenvorschüsse finanzieren (vgl. Erw. 4 hievor), weitgehend der Lage von Gläubigern gleicht, die sich nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG
das Recht zur Eintreibung eines Anspruchs des Schuldners auf ihre eigene Gefahr übertragen lassen und zur Ausübung dieses Rechts einen Anwalt beiziehen. Den Gläubigern, welche die Kosten der erwähnten Verfahren vorschiessen, droht wie den Gläubigern, denen ein Anspruch des Schuldners nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG
zur Eintreibung überlassen wird, die Gefahr, dass sie die für Gerichts-, Anwalts- und Betreibungskosten aufgewendeten Beträge verlieren, wenn
BGE 96 III 10 S. 22
die getroffenen Massnahmen nicht zum gewünschten Ziel führen. Dass sie dieses Risiko übernehmen, darf von ihnen nur erwartet werden, wenn ihnen im Falle des Erfolgs der von ihnen finanzierten Verfahren ein entsprechender Vorteil winkt. Daher ist auf sie der zweite Satz von
Art. 131 Abs. 2 SchKG
, der den Empfängern einer Überweisung nach
Art. 131 Abs. 2 Satz 1 SchKG
ein Vorrecht auf das Ergebnis der Inkassobemühungen gewährt, entsprechend anzuwenden, d.h. aus dem Ergebnis des Teilungsverfahrens sind ihre Auslagen und ihre Forderungen vorweg zu decken (die Forderungen gegebenenfalls nach Massgabe ihrer Rangfolge). Auch hierüber sind die Gläubiger der Rekurrentin zu orientieren.
6.
Die Vorinstanz, an welche die Sache schon aus den bisher dargelegten Gründen zurückzuweisen ist, wird aber auch zu prüfen haben, ob nicht doch eine Verständigung über einen Auskauf der Rekurrentin herbeigeführt werden kann, sei es auf dem von ihr während langer Zeit verfolgten, schliesslich aber verlassenen Wege einer Einigung unter allen Beteiligten im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 VVAG
(d.h. zwischen den pfändenden Gläubigern, der Schuldnerin bzw. den für sie handelnden vormundschaftlichen Organen und den Miterben der Schuldnerin), sei es auf dem Wege eines Vergleichs zwischen der nach
Art. 609 ZGB
anstelle der Schuldnerin bei der Teilung mitwirkenden Behörde und den Miterben der Schuldnerin. Die Annahme der Vorinstanz, auf eine solche Verständigung könne nicht mehr gerechnet werden, weckt Bedenken, wenn auch aus anderen als den von der Rekurrentin bzw. von ihrem Vormund angeführten Gründen.
a) Der Vormund der Rekurrentin wendet sich gegen die Feststellung der Vorinstanz, die Vergleichsverhandlungen hätten deswegen nicht zum Ziel geführt, weil er verlangt habe, dass bei der Bestimmung der Auskaufssumme "den bei den Liegenschaften im Stadtzentrum bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten Rechnung getragen werde". Er macht geltend, er habe ein solches Ansinnen nicht gestellt. Die gegenteilige Annahme der Vorinstanz ist jedoch nicht unbegründet. Der Vormund hat nämlich verlangt (und verlangt heute noch), der Berechnung der Auskaufssumme dürfe kein unter Fr. 4 800 000.-- liegender Schätzungswert der Liegenschaften zugrunde gelegt werden. Diese Schätzung beruht aber auf der Voraussetzung, dass die drei im Stadtzentrum liegenden Liegenschaften neu überbaut
BGE 96 III 10 S. 23
werden (Gutachten Lamprecht S. 4/5), wovon die Miterben der Rekurrentin jedenfalls zur Zeit nichts wissen wollen. Den Wert, den die vier Liegenschaften nach Massgabe des heutigen Zustandes aufweisen, schätze Lamprecht auf etwas mehr als Fr. 4 300 000.--. Mit dem Begehren, die Auskaufssumme sei auf Grund eines Wertes von mindestens Fr. 4 800 000.-- zu berechnen, verlangt der Vormund also die Berücksichtigung einer künftigen Entwicklung. Hievon abgesehen hat er sich in seinem Schreiben an Dr. Glarner vom 10. September 1969 vorbehalten, auf die Bewertung der Liegenschaften zurückzukommen, wenn höhere Offerten eingehen sollten.
b) Der Vormund beanstandet ferner, dass die Vorinstanz die Verhandlungen abgebrochen habe, bevor die Miterben in der Lage gewesen seien, zu seinen Vorschlägen im eben erwähnten Schreiben Stellung zu nehmen. Die Vorinstanz durfte jedoch bei ihrer Entscheidung vom 28. November 1969 sehr wohl annehmen, dieses Schreiben (das die Miterben der Rekurrentin offenbar nicht beantworteten) biete keine geeignete Grundlage für neue Verhandlungen. Der darin u.a. vorgeschlagenen Realteilung (Zuweisung einer der vier Liegenschaften oder Zuweisung von Stockwerkseigentum) hatten sich die Miterben schon früher abgeneigt gezeigt.
c) Der Vorinstanz kann jedoch nicht ohne weiteres gefolgt werden, wenn sie annimmt, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den vormundschaftlichen Organen und den Miterben über den zwecks Festsetzung der Auskaufssumme zu ermittelnden Wert der Liegenschaften seien zur Zeit unüberbrückbar und dem Notar dürfe nicht zugemutet werden, ein Angebot anzunehmen, das die vormundschaftlichen Organe ablehnen. Die Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Umstand unberücksichtigt gelassen. Sowohl die vormundschaftlichen Organe, die bei einer Einigung unter allen Beteiligten im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 VVAG
anstelle der bevormundeten Rekurrentin mitzuwirken haben, als auch die nach
Art. 609 ZGB
zuständige Behörde (Notar), die zum Zuge kommt, wenn eine Einigung unter allen Beteiligten (z.B. mangels Zustimmung sämtlicher pfändenden Gläubiger) nicht zustande kommt und deshalb die Teilung unter Mitwirkung der zuständigen Behörde nach
Art. 12 VVAG
und
Art. 609 ZGB
ins Auge gefasst wird, werden nämlich bei der Beurteilung des vorliegenden Angebots der Miterben (das übrigens noch durch die genaue Bezifferung
BGE 96 III 10 S. 24
des Kapitalwerts der Nutzniessung der Mutter der Rekurrentin verdeutlicht werden muss) oder eines allfälligen verbesserten Angebots zu bedenken haben, dass unter Umständen nicht bloss die Annahme, sondern auch die Ablehnung eines Vergleichsvorschlags eine unsachgemässe Verfügung bilden kann, die Verantwortlichkeitsansprüche auszulösen vermag. Diese Gefahr darf im vorliegenden Falle nicht unterschätzt werden. Misslingt eine Verständigung, so lässt sich die Versteigerung des Anteilsrechts, die höchst wahrscheinlich weit weniger einbringt als der vorliegende Vergleichsvorschlag, nur vermeiden, wenn die Gläubiger oder einzelne von ihnen bereit sind, die Kosten des Teilungsverfahrens vorzuschiessen, was nicht mit Sicherheit erwartet werden kann. Der Umstand, dass die von den vormundschaftlichen Organen oder vom Notar zu treffende Entscheidung heikel ist, kann keinen Grund dafür abgeben, von vornherein die Verwertungsart (Versteigerung) zu wählen, die von allen in Frage kommenden Möglichkeiten die ungünstigste ist. Vergegenwärtigen sich die vormundschaftlichen Organe bzw. der Notar die möglichen Folgen eines Scheiterns der Vergleichsbemühungen und überlegen sich die Miterben ihrerseits, dass beim Fehlschlagen dieser Bemühungen immerhin ernstlich mit einem langen und kostspieligen Prozess zu rechnen ist, so dürfte sich eine Verständigung, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird, finden lassen. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f3938c8-aca6-4694-8285-412abb9c751a | Urteilskopf
89 I 324
49. Urteil vom 31. Mai 1963 i.S. Bucher und Mitbeteiligte gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. | Regeste
Milchstatut: Aufhebung einer Milchsammelstelle.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Legitimation zur Beschwerde.
2. Zusammenlegung von Milchsammelstellen (Errichtung einer Zentrale); Voraussetzungen. | Sachverhalt
ab Seite 324
BGE 89 I 324 S. 324
A.-
Romanshorn wurde bisher in der Hauptsache von fünf selbständigen Milchhändlern mit Konsummilch versorgt. Die Händler bezogen die Milch direkt von den Produzenten. Die Beziehungen zwischen den Händlern und dem Milchproduzentenverband Romanshorn und Umgebung waren durch einen Milchkaufvertrag geregelt, der von Jahr zu Jahr erneuert wurde. Der letzte Vertrag wurde am 1. Juli 1960 abgeschlossen. Eine weitere Erneuerung unterblieb, weil der Milchproduzentenverband Romanshorn beschloss, eine einzige, zentrale Milchsammelstelle im Hub zu errichten.
Einer der fünf Milchhändler, Anton Bucher, widersetzte sich der Durchführung dieses Vorhabens. Er wollte weiterhin die Milch für sein Geschäft in Haslen-Egnach direkt bei seinen bisherigen Lieferanten beziehen. Von diesen weigerten sich dreizehn ihrerseits, die Milch in die neue
BGE 89 I 324 S. 325
Milchzentrale Hub zu liefern. Die Abteilung für Landwirtschaft des eidg. Volkswirtschaftsdepartementes, welcher die Angelegenheit unterbreitet wurde, entschied am 22. November 1961, dass vom 1. Dezember 1961 an die bisherigen Lieferanten der fünf Milchhändler, namentlich auch Buchers, ihre Milch an die Milchzentrale Hub liefern müssten und den Händlern, insbesondere auch Bucher, die zur Bedienung ihrer Kundschaft erforderliche Milch von der Milchzentrale zugeteilt werde.
Bucher und die dreizehn Milchproduzenten erhoben hiegegen Beschwerde beim eidg. Volkswirtschaftsdepartement. Dieses trat auf die Beschwerde Buchers nicht ein; diejenige der Produzenten wies es ab (Entscheid vom 14. Mai 1962). Es führte aus, die fünf Milchhändler hätten die Funktion der Sammelstellen nicht selbständig ausgeübt, sondern im Auftrag des Milchproduzentenverbandes Romanshorn auf Grund der jährlich erneuerten Milchkaufverträge. Diese Funktion sei nicht durch den angefochtenen Entscheid der Abteilung für Landwirtschaft aufgehoben worden, sondern dadurch, dass der Milchkaufvertrag nicht erneuert worden sei. Daher bestehe für die Milchproduzenten tatsächlich keine Möglichkeit mehr, ihre Milch an die früheren Sammelstellen abzuliefern. Der Entscheid der Abteilung für Landwirtschaft entspreche der gesetzlichen Ordnung und sei sachlich richtig.
B.-
Bucher und die dreizehn Milchproduzenten haben gegen den Entscheid des Departements gleichzeitig Verwaltungsbeschwerde beim Bundesrat (entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im Entscheid) und Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen sie, der Entscheid des Departements sei aufzuheben und demzufolge die Verfügung der Abteilung für Landwirtschaft nichtig zu erklären, eventuell aufzuheben; demgemäss seien zwei weitere Milchproduzenten zu verpflichten, ihre Milch weiterhin dem Beschwerdeführer Bucher abzuliefern; eventuell sei die Angelegenheit zu neuer Entscheidung im
BGE 89 I 324 S. 326
Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurückzuweisen. Es wird geltend gemacht, Bucher übe die Funktion der Milchsammelstelle selbständig aus; von einem blossen Auftrag des örtlichen Milchproduzentenverbandes könne keine Rede sein. Es handle sich um eine angestammte Sammelstelle im Sinne der Art. 5 ff. des Milchbeschlusses (Milchstatuts) vom 29. September 1953 (MB). Sie sei in Art. 50 Abs. 2 ebenda anerkannt worden. Der Entscheid der Abteilung für Landwirtschaft laufe auf die Aufhebung dieser Sammelstelle und damit auf den Entzug einer Bewilligung im Sinne des Art. 107 des Landwirtschaftsgesetzes vom 3. Oktober 1951 (LandwG) hinaus, indem er die bisherigen Lieferanten Buchers verpflichte, die Milch an eine andere Stelle zu liefern.
Eine solche zwangsweise Umteilung sei nach der gesetzlichen Ordnung nicht zulässig. Ein Milchproduzent könne einer anderen Sammelstelle nur dann zugeteilt werden, wenn er es selber wünsche (
Art. 5 Abs. 4 MB
).
Die Milchzentrale Hub, die der Milchproduzentenverband Romanshorn am Standort einer alten Sammelstelle eröffnet habe, sei keine neue Sammelstelle. Läge eine solche doch vor, so wäre sie nicht ordnungsgemäss errichtet worden. Die erforderliche Bewilligung fehle; der regionale Milchproduzentenverband habe der Errichtung nicht zugestimmt, und Bucher, der zu den "beteiligten Verwerterkreisen" gehöre, sei nicht angehört worden (
Art. 8 MB
).
Die Abteilung für Landwirtschaft sei nicht berechtigt gewesen, die Sammelstelle Buchers aufzuheben. Nach
Art. 50 Abs. 2 MB
dürfe eine bestehende Sammelstelle ohne Zustimmung des Kantons, welche hier fehle, nicht aufgehoben werden.
Die von der Verwaltung vorgesehene Neuordnung der Milchversorgung Romanshorn sei auch den Verhältnissen völlig unangemessen. Der für die Milchzentrale gewählte Standort sei exzentrisch. Er sei insbesondere für die Beschwerdeführer ungünstig. Der Anschluss an die Zentrale Hub wäre für sie mit unzumutbaren neuen Belastungen
BGE 89 I 324 S. 327
(Verlängerung des Transportweges, Erhöhung der Kosten) verbunden. Auch der Sammeldienst, von dessen Einrichtung die Rede sei, wäre nicht unentgeltlich. Die Sammlung und Verteilung der Milch würde kompliziert und verteuert, was den Zielen des Milchstatuts zuwiderliefe.
Würde die Aufhebung der Milchsammelstelle Buchers als zulässig befunden, so müsste er dafür entschädigt werden.
C.-
Im Meinungsaustausch mit dem Bundesrat hat das Bundesgericht sich als zur Beurteilung des Falles zuständig erklärt. Der Bundesrat hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
D.-
Das eidg. Volkswirtschaftsdepartement beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
E.-
Der Instruktionsrichter hat dem Departement anheimgestellt, nachträglich die Zustimmung des Kantons zu der angefochtenen Anordnung nachzusuchen, für den Fall, dass diese Zustimmung als notwendig erachtet würde (
Art. 50 Abs. 2 MB
). Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat die erbetene Zustimmung erklärt.
Die Beschwerdeführer bestreiten, dass dieser nachträgliche Beschluss vom Bundesgericht berücksichtigt werden könne, und ferner, dass der Regierungsrat dafür zuständig gewesen sei. Sie machen geltend, zuständig wäre nach
Art. 8 Abs. 2 MB
der thurgauische Milchproduzentenverband. Mindestens wäre seine Zustimmung ebenfalls erforderlich. Der Regierungsrat setze sie zu Unrecht als gegeben voraus. Er habe gegen
Art. 4 BV
verstossen, indem er nicht alle massgeblichen Gesichtspunkte geprüft und den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör verweigert habe.
Das Departement erachtet diese Ausführungen der Beschwerdeführer als unbegründet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 26 Abs. 1 LandwG kann die Bundesversammlung zur Sicherung einer geordneten Versorgung des Landes mit Milch und Milchprodukten und zur Förderung
BGE 89 I 324 S. 328
des Absatzes der Milch zu angemessenen Preisen "a. Anordnungen über Erzeugung, ... Ablieferung und Verwertung von Milch und Milchprodukten treffen; ... d. ... Vorschriften über die zweckmässige und kostensparende Sammlung und Verteilung der Konsummilch erlassen, insbesondere auch durch Verhinderung einer übersetzten Zahl von Milchgeschäften. ..". Die Bundesversammlung hat von dieser Ermächtigung durch Erlass des Milchbeschlusses vom 29. September 1953 Gebrauch gemacht.
Vor dem Inkrafttreten dieser Ordnung, insbesondere unter der Herrschaft des dringlichen Bundesbeschlusses vom 28. März 1934 über die Fortsetzung der Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und der Verordnung des Bundesrates über Milchproduktion und Milchversorgung vom 30. April 1937 (BS 9 S. 177 und 190), war die Sammlung der Milch in weitem Umfange auf Grund des Privatrechts von den örtlichen Produzentenverbänden organisiert, welche in der Regel regionalen Verbänden - Sektionen des Zentralverbandes schweizerischer Milchproduzenten - angeschlossen waren. Der örtliche Verband schloss, wenn er nicht selbst den Verkauf und die Verarbeitung der Milch anhandnahm, einen Milchkaufvertrag mit einem Milchhändler oder Käser ab, welcher über die erforderlichen Räumlichkeiten verfügte. Es war Sache des Zentralverbandes, die Verwendung der Milch entsprechend dem allgemeinen Interesse durch Anweisungen an die regionalen und örtlichen Verbände näher zu ordnen. Um alle Milchproduzenten der gleichen Regelung zu unterstellen, ermächtigte indessen das öffentliche Recht des Bundes (Art. 6 des zit. BB und Art. 9 der zit. Verordnung) die Bundesverwaltung, Produzenten zum Anschluss an bestehende Milchverwertungsgenossenschaften und zu deren Belieferung sowie einzelstehende Milchgenossenschaften zum Beitritt zu einer Sektion des Zentralverbandes zu verpflichten. Gestützt auf die erwähnte Verordnung untersagte das eidg. Volkswirtschaftsdepartement
BGE 89 I 324 S. 329
durch Verfügung vom 30. September 1949 (AS 1949 S. 1361) grundsätzlich die Errichtung neuer Milchsammel- und Milchverwertungsstellen ohne Zustimmung der Abteilung für Landwirtschaft.
Der Milchbeschluss kennt das System des Anschlusszwangs nicht mehr. Dagegen bestimmt er, dass die Milchproduzenten ihre Verkehrsmilch in die angestammte oder nächstgelegene Milchsammel- oder Milchverwertungsstelle (Sammelstelle) abzuliefern und die Sammelstellen sämtliche in ihrem Einzugsgebiet produzierte Verkehrsmilch, die den Qualitätsvorschriften entspricht, abzunehmen haben (Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs 1). Diese Verpflichtungen beruhen auf öffentlichem Recht.
Der Begriff der Sammelstelle umfasst zwei Elemente, einerseits ein Lokal an einem bestimmten Standort, wo die Milch der Produzenten des Einzugsgebietes abgeliefert wird, und anderseits eine Unternehmung, deren Inhaber die Milch kauft und dann verkauft oder verarbeitet. Die Bestimmungen des Milchbeschlusses beziehen sich bald auf das eine, bald auf das andere Element.
Indem das öffentliche Recht alle Milchproduzenten zur Ablieferung ihrer Verkehrsmilch an eine bestimmte Sammelstelle und die Sammelstellen zur Abnahme der Milch verpflichtet, verleiht es einem Milchkäufer, der an einem bestimmten Ort ein Geschäftslokal hält, die Funktion der Sammelstelle. Soweit der Milchbeschluss nichts anderes vorsieht, unterliegen indessen die Ablieferung und die Übernahme der Milch den Bestimmungen des Privatrechts (
Art. 6 Abs. 6 MB
). Dasselbe gilt für den Verkauf und die Verarbeitung der Milch.
Mithin ist der Milchkäufer, der eine Sammelstelle hält, zwar ein privater Unternehmer, doch versieht er dadurch, dass er gemäss der ihm vom öffentlichen Recht auferlegten Verpflichtung die Milch seines Einzugsgebietes abnimmt, einen öffentlichen Dienst. Sofern das Gesetz es zulässt, kann einen solchen Dienst ein Privater versehen. Er bedarf dazu einer Verleihung (Konzession), die ihm vom Gesetz
BGE 89 I 324 S. 330
selbst oder von der nach Gesetz zuständigen Amtsstelle (vgl.
Art. 50 Abs. 2 MB
: "behördlich verfügt") erteilt werden kann (vgl.
BGE 88 I 310
ff.).
2.
Seit dem Inkrafttreten des Milchbeschlusses (1. Januar 1954) waren die Bestimmungen, welche einerseits die Produzenten zur Lieferung der Milch an eine Sammelstelle und anderseits die Sammelstellen zur Abnahme der Milch des Einzugsgebietes verpflichten, anwendbar und sind sie angewendet worden. Sammelstellen im Sinne des Milchbeschlusses, d.h. Träger des oben erwähnten öffentlichen Dienstes, sind in der Regel einfach die Einsammlungszentren geworden, die schon unter der Herrschaft der früheren Ordnung bestanden hatten.
Art. 50 Abs. 2 MB
bestimmt, dass "die bereits bestehenden, behördlich verfügten Sammelstellen" anerkannt und den Vorschriften dieses Erlasses unterstellt werden.
Neue Sammelstellen konnten schon nach dem früheren Recht (zit. Verordnung vom 30. September 1949) nur ausnahmsweise errichtet werden. Auch der Milchbeschluss schränkt die Schaffung neuer Stellen ein. Er lässt sie nur zu, wenn dafür ein Bedürfnis besteht und die rationelle Erfassung und Verwertung der Verkehrsmilch dadurch nicht beeinträchtigt werden (Art. 8 Abs. 1). Der regionale Milchproduzentenverband ist ermächtigt, auf Gesuch hin die Errichtung einer neuen Sammelstelle im Einvernehmen mit den beteiligten Verwerterkreisen zu bewilligen (Art. 8 Abs. 2). Entspricht er dem Gesuch nicht, so entscheidet die Abteilung für Landwirtschaft (Art. 9).
Die neue Sammelstelle, welche ein Gesuchsteller errichten will, kann zu den bereits bestehenden hinzutreten. In Betracht kommt aber auch, dass sie mittels Fusion zweier oder mehrerer bestehender Stellen, welche damit eingehen sollen, geschaffen werden soll. Die Fusion wird in der Botschaft des Bundesrates vom 13. Februar 1953 zum Entwurf des Milchbeschlusses (BBl 1953 I S. 432) als mitunter wünschbar erklärt. Indessen enthält der Milchbeschluss keine ausdrückliche Bestimmung darüber. Die
BGE 89 I 324 S. 331
Aufhebung einer Sammelstelle erwähnt er nur in einer Übergangsbestimmung: Art. 50 Abs. 2 untersagt, bereits bestehende und anerkannte Sammelstellen ohne Zustimmung des Kantons aufzuheben.
3.
Bis anhin haben der Beschwerdeführer Bucher und die anderen Milchhändler des Gebiets von Romanshorn die Milch für ihre Geschäfte direkt von Produzenten der Gegend bezogen. Nach der Darstellung der Beschwerde waren die Händler dazu nicht nur ermächtigt, sondern waren sie selbständige Inhaber von Sammelstellen im Sinne des Milchbeschlusses. Wenn es sich so verhält, waren kraft öffentlichen Rechts (
Art. 5 Abs. 1 und
Art. 6 Abs. 1 MB
) einerseits die Produzenten verpflichtet, ihre Verkehrsmilch den Händlern zu liefern, und anderseits die Händler, diese Milch abzunehmen, d.h. einen ihnen konzedierten öffentlichen Dienst zu versehen.
Trifft dies zu, so hat der von der Vorinstanz bestätigte Entscheid, der anordnet, dass die bisherigen Lieferanten Buchers und der anderen Milchhändler ihre Milch der neuen Milchzentrale Hub abzugeben haben, offensichtlich unmittelbar zur Folge, dass Sammelstellen im Sinne des Milchbeschlusses aufgehoben, durch eine neue solche Stelle ersetzt werden (Fusion).
Nach Art. 107 lit. b LandwG und
Art. 38 MB
ist gegen Entscheide des eidg. Volkswirtschaftsdepartementes, die den Entzug einer in Anwendung jenes Gesetzes erteilten Bewilligung bestätigen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Der Begriff der Bewilligung im Sinne dieser Bestimmungen umfasst auch die Konzession für den Betrieb einer Milchsammelstelle.
Art. 8 Abs. 2 MB
, welcher die Errichtung neuer Sammelstellen betrifft, verwendet denn auch den Ausdruck "bewilligt". Wenn Anton Bucher, wie die Beschwerde geltend macht, selbständiger Inhaber einer Sammelstelle im Sinne des Milchbeschlusses war, so ist ihm durch den angefochtenen Entscheid eine Bewilligung (Konzession) entzogen worden. Dieser Entscheid unterliegt daher der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
BGE 89 I 324 S. 332
In die Zuständigkeit des Bundesgerichts fällt auch die Beurteilung der Vorfrage, ob jene Darstellung der Beschwerde zutreffe (vgl.
BGE 84 I 250
Erw. 1 mit Hinweisen).
Es ist klar, dass Anton Bucher nach
Art. 103 OG
zur Beschwerde legitimiert ist, soweit der Entscheid des Departements die Sammelstelle aufhebt, die dieser Beschwerdeführer nach den Ausführungen der Beschwerdeschrift bisher als selbständiger Inhaber (Konzessionär) betrieben haben soll und weiter betreiben will.
Die Aufhebung einer Sammelstelle berührt auch unmittelbar die Rechtsstellung der beteiligten Milchproduzenten, da sie verpflichtet sind, ihre Milch in die Sammelstelle zu liefern, der sie zugeteilt sind. Die dreizehn rekurrierenden Produzenten sind daher nach
Art. 103 OG
zur Beschwerde gegen einen Entscheid, der eine von Bucher gehaltene Sammelstelle aufhebt, gleich wie dieser legitimiert.
Nach der Rechtsprechung unterliegt ein Entscheid des Departements, durch den ein Produzent verpflichtet wird, die bisher einer Sammelstelle gelieferte Milch einer anderen bestehenden Stelle abzugeben, nicht der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern der Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat (Urteil des Bundesgerichts vom 2. März 1956 und Entscheid des Bundesrates vom 21. Dezember 1956 i.S. Raboud). Hier handelt es sich indessen nicht um den gleichen Fall, sondern - nach der Darstellung der Beschwerdeführer - um die Aufhebung einer vordem bewilligten Sammelstelle und deren Ersetzung durch eine neue. Zwar wenden sich auch die dreizehn Produzenten, die neben Bucher Beschwerde führen, gegen eine Umteilung von einer Sammelstelle in eine andere; aber diese Umteilung ist nach Auffassung der Beschwerdeführer lediglich die Folge der Aufhebung der bisher von Bucher betriebenen Sammelstelle. Diese Stelle aufrecht zu erhalten, ist das Ziel nicht nur Buchers, sondern auch der dreizehn Produzenten. Mit der Entscheidung darüber, ob der mit der Beschwerde beanstandete Entzug einer Bewilligung
BGE 89 I 324 S. 333
gerechtfertigt sei oder nicht, ist zugleich auch die Frage beantwortet, an welche Stelle die Produzenten ihre Milch zu liefern haben. Das Bundesgericht, das hinsichtlich jener ersten Frage zuständig ist, hat daher die Beschwerde auch insoweit zu beurteilen, als sie von den dreizehn Produzenten erhoben wird.
4.
Es besteht Übereinstimmung darüber, dass in Romanshorn und Umgebung die Bestimmungen der
Art. 5 ff. MB
über die Sammelstellen schon vor der Schaffung der neuen Milchzentrale angewendet wurden, also einerseits jeder Milchproduzent zur Ablieferung seiner Verkehrsmilch in eine bestimmte Sammelstelle und anderseits die Sammelstelle zur Abnahme der Milch verpflichtet war. Unbestritten ist auch, dass die Funktionen der Sammelstellen von den fünf Milchhändlern der Gegend erfüllt wurden. Dagegen ist streitig, wer eigentlicher Inhaber der Sammelstellen war. Nach der Meinung der Beschwerdeführer waren es die fünf Händler selber. Demgegenüber nimmt die Verwaltung an, in Wirklichkeit sei stets der örtliche Milchproduzentenverband Sammelstelle gewesen; die fünf Milchhändler hätten die Sammlung lediglich in seinem Auftrag besorgt, nämlich auf Grund des mit ihm abgeschlossenen Milchkaufvertrages; ihre direkte Belieferung durch die Produzenten sei nur solange möglich gewesen, als dieses Vertragsverhältnis gedauert habe.
Die Auffassung der Verwaltung trifft jedoch nur für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Milchbeschlusses zu. Seither besteht eine neue Ordnung: Jeder Milchproduzent einer bestimmten Gegend ist ohne Rücksicht darauf, ob er einem Produzentenverband angeschlossen ist oder nicht, kraft öffentlichen Rechts verpflichtet, seine Verkehrsmilch einer Sammelstelle abzuliefern (
Art. 5 Abs. 1 MB
). Diese Verpflichtung beruht also nicht auf dem Privatrecht. Die Einsammlung der Milch bei den Produzenten wird nach
Art. 5 MB
von der "für das betreffende Heimwesen angestammten oder nächstgelegenen Sammelstelle" besorgt. Die Bezeichnung der Sammelstelle ist mithin durch das
BGE 89 I 324 S. 334
öffentliche Recht geregelt; sie kann nicht Gegenstand eines privatrechtlichen Vertrages sein. Ebenso beruht die Verpflichtung der Milchsammelstellen, sämtliche in ihrem Einzugsgebiet produzierte Verkehrsmilch abzunehmen, auf öffentlichem Recht (
Art. 6 Abs. 1 MB
). Es handelt sich also, wie oben ausgeführt wurde, um einen öffentlichen Dienst, den ein Privater nur kraft Verleihung seitens des Staates versehen kann. Dieser Dienst steht nicht von vornherein einem Produzentenverband zu. Wenn die Konzession nicht dem Beschwerdeführer Bucher erteilt worden ist, so folgt daraus nicht ohne weiteres, dass der Verband sie besitzt. Kein Produzent hat das Recht, von sich aus die Lieferung an die Sammelstelle einzustellen; weder eine Gruppe oder ein Verband von Produzenten noch die Gesamtheit der Produzenten einer Gegend sind befugt, durch einen privatrechtlichen Akt anzuordnen, dass die Milch einer anderen Sammelstelle abzuliefern ist.
Der Milchproduzentenverband Romanshorn verfügte bisher über keines der beiden Elemente, welche Kennzeichen einer Sammelstelle im Sinne des Milchbeschlusses sind. Weder besass er ein eigenes Sammellokal, noch war er Inhaber einer Unternehmung des Milchhandels; er vertrat lediglich die ihm angeschlossenen Produzenten beim Milchverkauf. Dagegen ist Bucher seit langem sowohl Eigentümer eines Sammellokals als auch selbständiger Inhaber des darin betriebenen Milchgeschäftes. Träger der in Frage stehenden Konzession kann daher nur er sein, nicht der Verband.
5.
Nach
Art. 50 MB
werden Sammelstellen (und Quartiereinteilungen), die beim Inkrafttreten des Milchbeschlusses bereits bestanden haben und "behördlich verfügt" worden sind, anerkannt und den Vorschriften dieses Beschlusses unterstellt. Es steht nicht fest, dass die Sammelstelle Buchers "behördlich verfügt" worden ist. Das ist jedoch nicht entscheidend. Es mag sein, dass nach
Art. 50 MB
die bereits bestehenden Quartiereinteilungen nur dann anerkannt sind, wenn sie von der Behörde verfügt
BGE 89 I 324 S. 335
worden sind. Aber hinsichtlich der Sammelstellen verhält es sich auf jeden Fall anders. Dies muss aus
Art. 5 Abs. 1 MB
geschlossen werden, welcher vorsieht, dass die Produzenten ihre Verkehrsmilch "in die für das betreffende Heimwesen angestammte (oder nächstgelegene) Sammelstelle" zu liefern haben. Demnach wird für Sammelstellen, die beim Inkrafttreten des Milchbeschlusses bereits im Betrieb waren, eine behördliche Verfügung nicht verlangt, sondern es wird in dieser Beziehung einfach der bestehende tatsächliche Zustand anerkannt. In
Art. 8 und 9 MB
ist eine Bewilligung nur für neue und nicht auch für alte Sammelstellen gefordert.
Es ist nicht bestritten, dass das Milchgeschäft in Haslen seit vielen Jahren, auch schon lange vor dem Inkrafttreten des Milchbeschlusses, die Milch direkt von Produzenten der Gegend erhielt. Dieses Zentrum war daher für diese Produzenten die "angestammte" Sammelstelle. Es ist ohne weiteres eine Sammelstelle im Sinne des Milchbeschlusses geworden. Bucher, der das Geschäft schon vor dem Inkrafttreten des Beschlusses übernommen hatte, ist mithin kraft Gesetzes Träger der Konzession für diese Sammelstelle.
6.
Daraus folgt, dass in der Tat eine von Bucher selbständig betriebene Sammelstelle durch den angefochtenen Entscheid aufgehoben worden ist.
Die Aufhebung einer Sammelstelle ist nach dem Milchbeschluss zulässig (Urteil vom 29. Juni 1956 i.S. Fumasoli und Ferrari, nicht publiziert). Das ergibt sich aus
Art. 50 Abs. 2 MB
, wonach bereits bestehende, behördlich verfügte Sammelstellen mit Zustimmung des Kantons aufgehoben werden können. Ferner aus Art. 8, wonach ausnahmsweise neue Sammelstellen errichtet werden können; denn die Schaffung neuer Stellen kann unter Umständen dazu führen, dass alte Stellen alle ihre Milchlieferanten verlieren und daher eingehen. Die Zulässigkeit der Aufhebung von Sammelstellen ergibt sich auch aus dem System des Milchbeschlusses: Da die Sammelstelle einen
BGE 89 I 324 S. 336
vom Staat verliehenen öffentlichen Dienst versieht, muss der Staat die Konzession entziehen können, wenn das öffentliche Interesse dies erfordert. Der Entzug ist jederzeit möglich. Dem Konzessionär ist nicht eine bestimmte Dauer der Konzession gewährleistet; er hat in dieser Beziehung kein wohlerworbenes Recht. Die Aufhebung betrifft nur die Konzession. Den Bestand der Unternehmung (des Milchgeschäfts oder der Käserei) berührt sie nicht. Freilich hat sie zur Folge, dass die Unternehmung die Milch nicht mehr direkt von den Produzenten beziehen kann, sondern sich bei einer anderen Sammelstelle eindecken muss. Anderseits ist die Unternehmung nicht mehr verpflichtet, die überschüssige Produktion abzunehmen und ihre Verwertung sicherzustellen.
7.
Der Milchbeschluss ordnet die Zuständigkeit zur Aufhebung einer Sammelstelle nicht ausdrücklich. Über die Aufhebung muss auf jeden Fall dann, wenn Streit entsteht, zunächst eine Verwaltungsbehörde entscheiden, da der Anstand durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden kann. Nach dem System des Milchbeschlusses ist anzunehmen, dass in erster Instanz die Abteilung für Landwirtschaft zuständig ist. Sie ist in
Art. 44 MB
allgemein zum Entzug von Bewilligungen (aus den dort genannten Gründen) ermächtigt. Nach Art. 9 entscheidet sie im Streitfall über Gesuche um Zulassung neuer Sammelstellen - und damit unter Umständen zugleich auch über das Schicksal bestehender Sammelstellen. In zweiter Instanz ist das eidg. Volkswirtschaftsdepartement zuständig (
Art. 37 MB
). Die kantonalen Behörden sind nicht zum Entscheid über die Aufhebung einer Sammelstelle berufen, sondern sind allenfalls nur anzufragen, ob sie der Aufhebung zustimmen (
Art. 50 Abs. 2 MB
).
8.
Nach dem Wortlaut des
Art. 50 Abs. 2 MB
ist die Zustimmung des Kantons für die Aufhebung solcher Sammelstellen notwendig, die beim Inkrafttreten des Milchbeschlusses bereits bestanden haben und "behördlich
BGE 89 I 324 S. 337
verfügt" worden sind. Wörtlich ausgelegt, würde diese Bestimmung die Zustimmung für die Aufhebung alter Sammelstellen, die nicht "behördlich verfügt" worden sind, nicht fordern.
Der Regierungsrat des Kantons Thurgau bemerkt, die Beschwerdeführer hätten nicht dargetan, dass die Sammeltätigkeit Buchers jemals behördlich bewilligt worden sei. Indessen nennen weder der Regierungsrat noch die Bundesverwaltung Fälle, in denen seinerzeit im Kanton Thurgau oder in einem anderen Kanton Sammelstellen "behördlich verfügt" worden wären, noch führen sie Bestimmungen an, welche eine solche Verfügung vorgesehen hätten. Immerhin hat das Bundesgericht im zit. Urteil Fumasoli und Ferrari angenommen, dass eine amtliche Bewilligung nicht ausdrücklich habe erteilt werden müssen und ihr Bestehen sich insbesondere daraus ergeben könne, dass der Milchkäufer der kantonalen Behörde periodisch über die Milchlieferungen der Produzenten an ihn Bericht erstattete. Gleich könnte es dann gehalten werden, wenn eine Sammelstelle beauftragt worden wäre, öffentliche Abgaben zu erheben.
Jedenfalls ist nicht völlig abgeklärt, ob die Sammelstelle Buchers "behördlich verfügt" worden ist und daher nach
Art. 50 Abs. 2 MB
nur mit Zustimmung des Kantons aufgehoben werden durfte. Wie es sich damit verhält, kann indessen offen bleiben, da die Zustimmung des Kantons - für den Fall, dass sie erforderlich sein sollte - nachgesucht und erklärt worden ist Sie ist allerdings erst während des Verfahrens vor dem Bundesgericht erteilt worden. Das Gericht kann jedoch bei der Beurteilung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch neue Tatsachen berücksichtigen, selbst solche, die erst seit der Fällung des angefochtenen Entscheids eingetreten sind (
BGE 55 I 173
; Urteil vom 13. Juli 1962 in Sachen I.B.Z.-Finanz AG, nicht publiziert).
9.
Die Beschwerdeführer machen geltend, dass nicht der Regierungsrat, sondern der kantonale Milchproduzentenverband
BGE 89 I 324 S. 338
zuständig sei, die Zustimmung zur Aufhebung der Sammelstelle zu erteilen. Eventuell bestreiten sie, dass die Zustimmungserklärung des Regierungsrates in einem einwandfreien Verfahren zustande gekommen sei. Diese Einwendungen betreffen Vorfragen, von deren Beurteilung - unter der Voraussetzung, dass die Zustimmung des Kantons hier erforderlich war - die Gültigkeit des angefochtenen Entscheids nach Bundesrecht abhängt. Sie sind vom Gericht auch insoweit zu prüfen, als sie Vorfragen des kantonalen Rechtes beschlagen (KIRCHHOFER, Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, S. 43).
Art. 50 Abs. 2 MB
verlangt die Zustimmung "des Kantons". Sie ist von dem Organ des Kantons auszusprechen, das nach der kantonalen Ordnung dafür zuständig ist. Der Regierungsrat erklärt, dass nach dem kantonalen Recht einzig seine Zuständigkeit in Frage kommt. Ein triftiger Grund, etwas anderes anzunehmen, wird nicht genannt und ist auch nicht ersichtlich. Der thurgauische Milchproduzentenverband ist kein Organ des Kantons Der Regierungsrat hatte nicht einen - der Rechtskraft fähigen - Entscheid zu fällen, sondern lediglich zu erklären, ob er namens des Kantons zustimme oder nicht. In bezug auf das zur Bildung seiner Meinung einzuschlagende Verfahren war er weitgehend frei. Er war nicht verpflichtet, irgend jemand - insbesondere die Beschwerdeführer - anzuhören. Der Entscheid war Sache der Bundesbehörden, und es war daher auch an ihnen, die Angelegenheit allseitig abzuklären. Die formellen Einwendungen der Beschwerdeführer gegen die Zustimmungserklärung des Regierungsrates sind durchweg unbegründet.
10.
a) Die in
Art. 44 Abs. 1 MB
genannten Gründe für den Entzug von Bewilligungen (Unterlassung des Gebrauchs der Bewilligung innerhalb zumutbarer Frist und schwere Verstösse gegen Vorschriften) fallen hier ausser Betracht.
Nach Art. 44 Abs. 2 können Bewilligungen gemäss Art. 5 Abs. 2 und 3 und Art. 7 Abs. 2 und 3 (Ermächtigung
BGE 89 I 324 S. 339
des Milchproduzenten, selber die Milch an den Konsumenten zu verkaufen oder zu verwerten) widerrufen werden, wenn die besonderen Voraussetzungen, unter denen sie erteilt wurden, dahingefallen sind. Solche Bewilligungen stellen Ausnahmen von der gewöhnlichen Ordnung der Milchsammlung (Ablieferung an Sammelstellen) dar. Man kann sich fragen, ob eine Änderung in der Verteilung der Sammelstellen auf das Produktionsgebiet, die ebenfalls die Art der Milchsammlung betrifft, in analoger Anwendung des Art. 44 Abs. 2 dann angeordnet werden könnte, wenn damit bezweckt wäre, die Erfassung und Verwertung der Milch rationeller zu gestalten. Die Frage kann jedoch offen gelassen werden.
b) In der Tat ist die Grundlage, welche die Aufhebung einer Sammelstelle in einem Falle wie dem vorliegenden rechtfertigt, in
Art. 8 und 9 MB
zu suchen.
Nach Art. 8 Abs. 1 ist die Errichtung neuer Sammelstellen nur zulässig, wenn dafür ein Bedürfnis besteht und die rationelle Erfassung und Verwertung der Verkehrsmilch dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Bestimmung soll in erster Linie eine nicht gerechtfertigte Zunahme der Zahl der Sammelstellen verhindern (vgl. Art. 26 Abs. 1 lit. d LandwG: "Verhinderung einer übersetzten Zahl von Milchgeschäften"). Sie ermöglicht aber auch, eine neue Sammelstelle durch Zusammenlegung zweier oder mehrerer bestehender Stellen zu schaffen, wenn die rationelle Erfassung und Verwertung der Verkehrsmilch durch die bisherige Zersplitterung der Sammelstellen beeinträchtigt war und durch die Fusion besser gewährleistet wird. Zweifellos lässt sich eine solche Verbesserung unter Umständen durch eine Fusion von Sammelstellen erreichen. Dadurch können die Kosten der Milchsammlung gesenkt und kann die Verwertung der überschüssigen Milch rationalisiert werden.
Die Ersetzung von Sammelstellen durch eine neue kann nach
Art. 8 Abs. 2 MB
vom regionalen Milchproduzentenverband, im Einvernehmen mit den beteiligten Verwerterkreisen
BGE 89 I 324 S. 340
(Milchkäufern, Milchhändlern, Milchkonservenfabriken), bewilligt werden (zit. Botschaft, BBl 1953 I S. 432). Ist ein Einvernehmen nicht zu erzielen oder will der regionale Verband dem Bewilligungsgesuch nicht entsprechen, so ist die Angelegenheit nach Art. 9 der Abteilung für Landwirtschaft zu unterbreiten, welche in erster Instanz darüber entscheidet. Einzig die Bundesbehörde ist danach zuständig, das Gesuch abzuweisen. Da sie zur Prüfung des Falles und zum Entscheid berufen ist, kann sie die Bewilligung auch erteilen, selbst wenn beteiligte Verwerterkreise oder der regionale Produzentenverband sich dem Gesuch widersetzt haben. Mit einem solchen auf Bewilligung lautenden Entscheid der Bundesbehörde hat man es hier zu tun.
11.
Ob die Voraussetzungen, unter denen nach
Art. 8 Abs. 1 MB
eine neue Sammelstelle mittels Fusion bestehender Stellen errichtet werden kann, im einzelnen Fall erfüllt sind, ist in weitem Umfang eine Ermessensfrage. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann aber nur geltend gemacht werden, der Entscheid des Departements verletze Bundesrecht. Das Bundesgericht kann daher nicht frei prüfen, ob die Verwaltung von dem ihr zustehenden Ermessen einen richtigen Gebrauch gemacht habe. Es kann nur bei Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens eingreifen, die als Rechtsverletzung gelten (
BGE 87 I 438
/9).
Unter diesem Gesichtspunkt kann im vorliegenden Fall die - vom Regierungsrat geteilte - Auffassung der Abteilung für Landwirtschaft und des eidg. Volkswirtschaftsdepartements, dass unter den gegebenen Verhältnissen die Schaffung einer Milchzentrale im Hub anstelle der bisherigen Sammelstellen des Gebietes (darunter derjenigen Buchers in Haslen) einem Bedürfnis entspricht und die rationelle Erfassung und Verwertung der Verkehrsmilch besser als der alte Zustand gewährleistet, nicht beanstandet werden. Die Beschwerdeführer bringen nichts vor, was eine andere Entscheidung rechtfertigen würde. Sie wenden
BGE 89 I 324 S. 341
vor allem ein, die neue Ordnung würde für sie den Transportweg verlängern und die Kosten vermehren. Indessen sind solche Unannehmlichkeiten für gewisse Beteiligte mit jeder Zusammenlegung von Sammelstellen verbunden. Sie sind hinzunehmen, wenn sie durch die Vorteile, welche die Zentralisation für die Gesamtheit der Produzenten und für die Allgemeinheit mit sich bringt, aufgewogen werden. Hier besteht kein Grund zur Annahme, dass die neue Regelung alle oder auch nur einzelne Beschwerdeführer in unzumutbarem Ausmasse benachteiligt. Nach Auffassung der Verwaltung können Sammeltransporte in der Weise organisiert werden, dass die rekurrierenden Produzenten nicht zu stark belastet werden. Dieser Standpunkt ist nicht widerlegt.
12.
Die gesetzliche Ordnung sieht weder ausdrücklich vor, noch lässt sich aus ihr durch Auslegung oder Analogie ableiten, dass im Falle der Aufhebung einer Sammelstelle deren bisheriger Inhaber Anspruch auf Entschädigung hat.
Wohl bestimmt
Art. 21 Abs. 2 MB
, dass die Bewilligung zum gewerbsmässigen Verkauf von Konsummilch bei Wechsel des Inhabers des Verkaufsgeschäftes nur verweigert werden kann, wenn die beteiligten Organisationen dem bisherigen Geschäftsinhaber eine angemessene Abfindung für den wirtschaftlichen Wert der Milchkundschaft leisten. Aber diese Vorschrift kann auf den Fall der Aufhebung einer Sammelstelle nicht analog angewendet werden, da sie einen ganz anderen Sachverhalt betrifft (Urteil vom 29. Juni 1956 i.S. Fumasoli und Ferrari, Erw. 6). Die Entschädigung, die sie vorsieht, soll die Übertragung eines Geschäftes verhindern, die zwischen seinem bisherigen Inhaber und dem Übernehmer frei vereinbart worden ist. Dagegen wird die Aufhebung einer Sammelstelle kraft öffentlichen Rechts, im Interesse der Allgemeinheit, angeordnet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen, wie hier, erfüllt sind. Sie kann nach dem Gesetz nicht durch Bezahlung einer Entschädigung abgewendet werden. Der Beschwerdeführer Bucher hat kein wohlerworbenes Recht des
BGE 89 I 324 S. 342
Inhalts, dass ihm, sei es auch nur für beschränkte Dauer, der Weiterbestand der bisher von ihm gehaltenen Sammelstelle garantiert wäre. Er behält sein Milchgeschäft; in dieser Beziehung wird er durch den Verlust der Sammelstelle nicht benachteiligt.
Der von ihm eventuell erhobene Anspruch auf Entschädigung ist daher unbegründet.
13.
Da die von Bucher gehaltene Sammelstelle aufgehoben ist, müssen die Produzenten, die ihr bisher angeschlossen waren, die neue Zentrale beliefern, durch die sie ersetzt wird. Diese Verpflichtung, die der angefochtene Entscheid festhält, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (
Art. 5 Abs. 1 MB
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f3ac2e6-d3a8-40c6-84aa-2b0d272ab68e | Urteilskopf
103 IV 202
59. Urteil des Kassationshofes vom 9. September 1977 i.S. J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau | Regeste
BG betr. Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht, Art. 2 Abs. 2.
1. Die Verwendung ohne Täuschungsabsicht einer Firma, die mit der im Handelsregister eingetragenen nicht übereinstimmt, bleibt straflos, wenn sie nicht geeignet ist, im geschäftlichen Verkehr eine Täuschung über eine erhebliche Tatsache zu bewirken (Erw. 1).
2. Die Verwendung der falschen Firma muss vorsätzlich erfolgen; hinsichtlich ihrer Eignung zu erheblicher Täuschung genügt Fahrlässigkeit (Erw. 2c und d). | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 103 IV 202 S. 203
Die S. AG hat ohne Zusatz der im Handelsregister eingetragenen Firma "S. AG" während Jahren bis ungefähr Mitte April 1975 unter verschiedensten Bezeichnungen intensive Werbung mit Prospekten, Flugblättern, Inseraten und dergl. betrieben.
J., Verwaltungsratsmitglied der S. AG, wurde vom Bezirksamt Arbon am 7. Januar 1976 gemäss Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht mit Fr. 500.-- gebüsst. Die Bezirksgerichtliche Kommission Arbon und die Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau haben am 2. September bzw. 20. Dezember 1976 diese Strafverfügung bestätigt.
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt J., das Urteil der Rekurs-Kommission des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Firma dient u.a. der Individualisierung des Unternehmens. Sie muss wahr sein und darf zu keinen Täuschungen über Identität und Natur des Geschäftes und zu keinen Verwechslungen mit andern Unternehmen führen. Der Firmenträger ist daher verpflichtet, die Firma unverändert so, wie er sie angenommen hat und wie sie im Handelsregister eingetragen worden ist, zu verwenden (sog. Firmengebrauchspflicht). Es würde nichts nützen, dass die Firma im Register in einer Form eingetragen ist, die eine Täuschung ausschliesst, wenn es nachher dem Unternehmen erlaubt wäre, eine Firma zu verwenden, die von der eingetragenen abweicht. Die einmal eingetragene Firma ist etwas Bestimmtes und Individuelles. Sie darf nicht von der eingetragenen Form abweichen und bald so, bald anders geschrieben werden. Insbesondere ist es nicht zulässig, den sogenannten Firmenkern wegzulassen und nur den Firmenzusatz zu verwenden. Unter Gebrauch der Firma ist jede Verwendung, die in unmittelbarer Beziehung zum geschäftlichen Verkehr steht, zu verstehen, so die Verwendung auf Geschäftsschildern und Geschäftspapieren wie Katalogen, Preislisten, Prospekten, Empfehlungskarten, der Gebrauch auf Briefköpfen, bei der Zeichnung der Firma und
BGE 103 IV 202 S. 204
in Adressbüchern oder Telefonverzeichnissen (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1921 III 261 ff.; FRITZ VON STEIGER, Handelsregister- und Firmenstrafrecht, 1942, SJK 249 S. 1/2; PATRY, Die Geschäftsfirmen, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII 1, S. 154 ff.).
Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht vom 6. Oktober 1923 (SR 221.414; im folgenden "Gesetz" genannt)
sanktioniert die Pflicht, die im Handelsregister eingetragene Firma im geschäftlichen Verkehr unverändert zu verwenden. Nach Abs. 1 wird zu Gefängnis bis zu sechs Monaten oder zu Busse bis zu Fr. 20'000.-- oder zu beiden Strafen verurteilt, "wer, um eine Täuschung zu bewirken, für ein im Handelsregister eingetragenes Geschäft eine Firma verwendet, die mit der im Handelsregister eingetragenen nicht übereinstimmt". Abs. 2 lautet:
"Wer ohne Täuschungsabsicht für ein solches Geschäft eine Firma verwendet, die mit der im Handelsregister eingetragenen nicht übereinstimmt, wird mit Busse bis zu 10'000 Franken bestraft. Der Täter bleibt straflos, wenn durch Verwendung dieser Firma eine erhebliche Täuschung nicht bewirkt werden kann."
Der Entwurf des Bundesrates ging weiter. Selbst wenn eine Täuschung durch die falsche Firma ausgeschlossen gewesen wäre, hätte eine Polizeibusse verhängt werden müssen. Diese in Art. 2 Abs. 3 des Entwurfes enthaltene Vorschrift wurde aber vom Ständerat gestrichen und durch einen zweiten Satz in Absatz 2 ersetzt, der wie folgt lautete: "Der Täter bleibt straflos, wenn durch Verwendung dieser Firma eine Täuschung nicht bewirkt werden kann." Im Nationalrat fand Huber, auch diese Fassung des Ständerates gehe noch zu weit. Irgendeine Täuschung sei stets denkbar. Wer solle den Beweis leisten, dass eine Täuschungsmöglichkeit stets ausgeschlossen sei? Die unbeabsichtigte Täuschung "über ganz unerhebliche Dinge" solle straflos bleiben. Gedacht wurde in beiden Räten vorab an den Fall, dass der in der Firma ausgeschriebene Vorname im geschäftlichen Verkehr abgekürzt werde, ohne dass dadurch über die Identität des Unternehmens Zweifel entstünden. In diesem Sinne wurde dann im definitiven Text gesagt, der Täter bleibe straflos, wenn durch die Verwendung dieser (falschen) Firma eine "erhebliche" Täuschung nicht bewirkt werden könne (Sten.Bull. 1923, N S. 346). Straflos soll
BGE 103 IV 202 S. 205
also bleiben, und das ergibt den richtigen Sinn des Gesetzes, die Verwendung der falschen Firma, die nicht geeignet ist, im geschäftlichen Verkehr eine Täuschung über eine erhebliche Tatsache zu bewirken.
2.
a) Die S. AG hat im Rahmen einer intensiven Werbung verschiedenste Firmen verwendet, welche mit der eingetragenen Firma nicht übereinstimmten. Diese Bezeichnungen waren beim Publikum, an das sich diese Reklame richtete, geeignet, erhebliche Täuschungen in geschäftlichen Belangen, insbesondere über die Identität der Firma, die hinter dieser Werbung stand, zu bewirken. Sie führten denn auch zu Beanstandungen und zu einem Zivilprozess wegen unlauteren Wettbewerbs.
b) Das alles steht fest und ist unbestritten. Der Beschwerdeführer will hingegen nicht gewusst haben, dass die Verwendung einer andern als der im Handelsregister eingetragenen Firma im geschäftlichen Verkehr verboten ist. Damit kann er aber nicht gehört werden, stellt doch die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) fest, der Beschwerdeführer habe im Rahmen des Zivilprozesses eindrücklich zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine Firma im Rahmen der Werbung keinen andern Namen als den eingetragenen verwenden dürfe.
Ein Irrtum hierüber schlösse im übrigen den Vorsatz nicht aus. Er würde sich als Rechtsirrtum im Sinne von
Art. 20 StGB
qualifizieren, für den der Beschwerdeführer nach den Umständen keine zureichenden Gründe gehabt hätte.
c) Was die Eignung der falschen Firma zu erheblicher Täuschung betrifft, muss Fahrlässigkeit genügen. Darüber war man sich schon in der parlamentarischen Beratung klar (Voten Huber und Bundesrat Häberlin, Sten.Bull. 1923 N S. 346 f.). Es besteht also zum vornherein kein Anlass, von der Vermutung des
Art. 333 Abs. 3 StGB
abzugehen, wonach die in andern Bundesgesetzen als dem Strafgesetzbuch unter Strafe gestellten Übertretungen strafbar sind, auch wenn sie fahrlässig begangen werden, sofern nicht nach dem Sinne der Vorschrift nur die vorsätzliche Begehung mit Strafe bedroht ist. Fraglich ist bloss, ob ein in dieser Richtung gehender einfacher oder Eventualvorsatz noch unter Absatz 2 von Art. 2 des Gesetzes vom 6. Oktober 1923 fallen würde. Da aber der Kassationshof nicht mit einem Antrag auf Anwendung
BGE 103 IV 202 S. 206
der strengeren in Absatz 1 enthaltenen Vorschrift befasst ist, kann die Frage offen bleiben.
d) Hingegen stellt sich die Frage, ob es zum subjektiven Tatbestand des Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes gehört, dass der Täter im Sinne des Vorsatzes von der Verwendung falscher Firmen wusste. Sie ist zu bejahen. Gemäss Art. 333
Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 334) StGB ist nicht nur nach dem eindeutigen Wortlaut, sondern auch nach dem Sinne des Gesetzes zu entscheiden.
Als das Gesetz geschaffen wurde, war Vorsatz erforderlich (Art. 7 Gesetz in Verbindung mit dem alten Bundesstrafrecht Art. 11; LUDWIG, ZSR n.F. 44/1925 S. 27a Anm. 2), soweit das Gesetz nicht ausdrücklich Fahrlässigkeit genügen lässt. Da sich das Gesetz über das Wissen um die falsche Firmierung nicht ausspricht (es handelt nur von der Täuschungsabsicht), muss daraus geschlossen werden, die falsche Firmierung selber (nicht weitere Folgen wie Täuschung, Schädigung) müsse vorsätzlich erfolgt sein. Dass mit dem Inkrafttreten des StGB daran etwas geändert werden sollte, ist nicht anzunehmen, zumal nun ergänzende eidgenössische Strafbestimmungen in Kraft traten, um schwere Fälle zu treffen (Betrug, unlauterer Wettbewerb, unwahre Angaben über Handelsgesellschaften usw.).
Absatz 2 des Art. 2 knüpft an den 1. Absatz an. Dort wird aber Vorsatz hinsichtlich der falschen Firmierung vorausgesetzt. Denn nur wenn der Täter sich dessen bewusst ist, kann er sie als Mittel der Voraussetzung der Täuschung, die ja in Absatz 1 bewusst ist, benützen. Absatz 2 hebt aber nicht diesen Vorsatz betreffend falsche Firmierung auf, sondern nur die weitergehende Täuschungsabsicht. Bezüglich der erstern gilt, wie in Absatz 1, Vorsatz.
Im übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass eine falsche Firmierung sehr leicht versehentlich erfolgen kann (Nichtausschreiben des in der Firma enthaltenen Vornamens usf.). Eine besondere Überwachungspflicht unter Strafdrohung auch insoweit zu statuieren, geht über das Nötige hinaus. steht Anlass zu Beanstandungen, so wird üblicherweise zuerst reklamiert; dann fehlt in der Regel für die Zukunft der gute Glaube. Ferner besteht die Möglichkeit von Ordnungsstrafen.
Die Vorinstanz stellt fest, durch Generalversammlungsbeschluss vom 20. November 1974 habe eine Aufteilung der
BGE 103 IV 202 S. 207
Geschäftsführung in dem Sinne stattgefunden, dass die Werbung dem damaligen Verwaltungsratspräsidenten T. übertragen wurde. Sie trifft jedoch keine Feststellungen darüber, ob der Beschwerdeführer wusste, dass auch nach diesem Delegationsbeschluss falsche (mit dem Handelsregister nicht übereinstimmende) Firmen verwendet wurden. Sie hat sich deshalb darüber auszusprechen und entsprechend neu zu urteilen. In diesem Sinne ist die Sache zurückzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 20. Dezember 1976 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8f3c1318-a711-4fa1-9d5e-9dca947a6296 | Urteilskopf
119 Ia 424
49. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Dezember 1993 i.S. Scheidegger Metallbau AG gegen ARGE Merkle/Roffler/Roffag (bestehend aus: Merkle Metallbau AG, Roffler & Co., Roffag Metallbau AG) und Regierung des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Submission: Arbeits- und Lieferungsvergebung.
1. Der in einem behördlichen Submissionsverfahren ergehende Zuschlag einer Arbeit oder Lieferung an einen Bewerber bzw. die Verweigerung des Zuschlags gegenüber einem anderen Bewerber stellt keine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
und
Art. 97 OG
dar. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ausgeschlossen (E. 3a, d).
2. Da Vergebungsentscheiden der Charakter eines hoheitlichen Aktes gemäss
Art. 84 OG
fehlt und kein rechtlich geschützter Anspruch auf den Zuschlag besteht, ist eine materielle Anfechtung der Vergebung mit staatsrechtlicher Beschwerde unzulässig. Mit staatsrechtlicher Beschwerde kann einzig eine formelle Rechtsverweigerung durch Verletzung der durch das kantonale Verfahrensrecht gewährleisteten oder unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden Parteirechte geltend gemacht werden (E. 3c).
3. Bei der Bestimmung des Kreises der im Submissionsverfahren geschützten formellen Befugnisse ist den Besonderheiten dieses Verfahrens Rechnung zu tragen; in Betracht fallen nur Ansprüche, welche den eigentlichen Verfahrensablauf betreffen. Soweit eine Verletzung von direkt aus
Art. 4 BV
fliessenden Regeln geltend gemacht wird, ist zu beachten, dass diese auf hoheitliche Verfügungsverfahren zugeschnitten und daher auf das Submissionsverfahren nur bedingt anwendbar sind (E. 4b; Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 425
BGE 119 Ia 424 S. 425
Mit Beschluss vom 9. März 1993 vergab die Regierung des Kantons Graubünden im Rahmen eines Submissionsverfahrens den Posten BKP 221.4 "Leichtmetallfenster, Verkleidung in Metall" für die Sanierung der Gebäudehülle des Verwaltungsgebäudes Strassenverkehrsamt/Kantonspolizei Chur an die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Merkle Metallbau AG, Chur/Roffler & Co., Klosters/Roffag Metallbau AG, Malans (ARGE Merkle/Roffler/ Roffag). Dieser Entscheid wurde den am Submissionsverfahren beteiligten Unternehmen mit Schreiben des Hochbauamtes Graubünden vom 16. März 1993 eröffnet; es enthielt einerseits eine kurze Begründung des Vergebungsentscheides und anderseits eine Liste der als "ungültig" betrachteten Offerten. Unter diesen war
BGE 119 Ia 424 S. 426
namentlich das Angebot der Scheidegger Metallbau AG, Kirchberg, aufgeführt, dessen Ungültigkeit wie folgt begründet wurde:
"Die Ausschreibung hat aufgrund der Preisanalyse ergeben, dass die Firma Scheidegger in den offiziellen Ausschreibungsunterlagen unter Pos. 4 (Paneelen) nicht devisgerecht offeriert hat, sondern einzig eine Unternehmervariante eingereicht hat.
Gemäss Weisungen des ASB (Bundesamt für Strassenbau) sowie Submissionsverordnung des Kantons Graubünden und den allgemeinen Bedingungen des kantonalen Hochbauamtes ist aber erforderlich, dass eine Variante nebst dem offiziellen Angebot eingereicht wird."
Die Scheidegger Metallbau AG hat mit zwei gesonderten Eingaben an das Bundesgericht sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht tritt auf die beiden Beschwerden nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Verordnung vom 24. März 1964 über die Nationalstrassen (SR 725.111) enthält im 4. Abschnitt (Art. 27-36) Vorschriften, welche die Kantone bei der Ausschreibung und Vergebung von Bauarbeiten und Materiallieferungen beim Bau der Nationalstrassen zu beachten haben (vgl. auch Art. 41 des Bundesgesetzes vom 8. März 1960 über die Nationalstrassen SR 725.11).
Für Hoch- und Tiefbauten der Bundesverwaltung und ihrer Regiebetriebe gelten die Vorschriften der Verordnung vom 31. März 1971 über die Ausschreibung und Vergebung von Arbeiten und Lieferungen bei Hoch- und Tiefbauten des Bundes (SR 172.056.12; eidgenössische Submissionsverordnung). Die Regeln der eidgenössischen Submissionsverordnung sind nach Art. 1 Abs. 2 dieses Erlasses, besondere Regelungen vorbehalten, "sinngemäss" auch anzuwenden "auf Arbeiten und Lieferungen für Bauten, zu deren Finanzierung der Bund beiträgt".
Für Arbeiten und Lieferungen, welche der Kanton Graubünden zu vergeben hat, gelten die Vorschriften der grossrätlichen Verordnung vom 28. Mai 1919 über das Submissionswesen (SubV).
b) Die Sanierung des Gebäudes der Kantonspolizei und des Strassenverkehrsamtes, welche Gegenstand des vorliegend zu beurteilenden Submissionsverfahrens bildet, wird vom Bund zu Lasten der Nationalstrassenrechnung mit 20,5% subventioniert. Ob und
BGE 119 Ia 424 S. 427
wieweit die Regierung des Kantons Graubünden beim Entscheid über die hier angefochtene Arbeitsvergebung, welcher das Bundesamt für Strassenbau am 22. März 1993 die Zustimmung erteilte, sich auch auf die erwähnten Vorschriften des Bundesrechtes stützte oder hätte stützen müssen und ob insofern die Voraussetzungen für das Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 97 OG
erfüllt wären, kann aufgrund der nachfolgenden Erwägungen dahingestellt bleiben.
3.
a) Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt der in einem behördlichen Submissionsverfahren ergehende Zuschlag einer Arbeit oder Lieferung an einen Bewerber bzw. die Verweigerung des Zuschlages gegenüber andern Bewerbern, keine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
und
Art. 97 OG
dar, welche mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden könnte; es handelt sich, auch wenn das Verfahren und die Voraussetzungen des Zuschlages öffentlichrechtlich geordnet sind, um eine auf den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausgerichtete Erklärung und nicht um eine auf staatlicher Befehlsgewalt beruhende autoritative Anordnung (grundlegend:
BGE 103 Ib 154
; vgl. auch
BGE 116 Ib 367
E. 1b S. 370;
BGE 115 Ia 76
E. 1b S. 78;
BGE 106 Ia 323
E. 3a S. 325;
BGE 101 IV 407
E. 1b S. 410 f.; Urteil vom 18. Februar 1991, in ZBl 92/1991 S. 560 E. 2b S. 561; Urteil vom 5. Dezember 1980, in Rep. 1980, S. 234 E. 2 S. 235; zur analogen Praxis des Bundesrates vgl. VPB 1981 Nr. 61 S. 337 sowie
BGE 103 Ib 154
E. 2b S. 157).
Zu einer Abweichung von dieser Rechtsprechung besteht kein Anlass. Auf die gegen den beanstandeten Vergebungsentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist mangels eines tauglichen Anfechtungsobjektes nicht einzutreten, ohne dass noch abzuklären wäre, wieweit sich dieser Entscheid auf Bundesrecht stützt.
b) Gemäss ständiger Rechtsprechung sind kantonale Vergebungsentscheide, da ihnen der Charakter eines hoheitlichen Aktes im Sinne von
Art. 84 OG
abgeht, grundsätzlich auch nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar (
BGE 115 Ia 76
E. 1b S. 78;
BGE 106 Ia 323
E. 3a S. 325;
BGE 101 IV 407
E. 1b S. 411; Urteil vom 18. Februar 1991, in ZBl 92/1991 S. 560 E. 2b S. 561).
Da regelmässig kein rechtlich geschützter Anspruch auf den Zuschlag besteht, fehlt dem nicht berücksichtigten Bewerber insoweit zugleich die nach
Art. 88 OG
erforderliche Legitimation zur materiellen Anfechtung des Vergebungsentscheides (
BGE 115 Ia 76
E. 1c S. 78 f., mit Hinweisen).
BGE 119 Ia 424 S. 428
c) Trotz fehlender Legitimation in der Sache kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wer in einem kantonalen Verfahren Parteistellung hatte, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm aufgrund des kantonalen Verfahrensrechtes oder unmittelbar aufgrund der Minimalgarantien von
Art. 4 BV
zustehen und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (
BGE 118 Ia 232
E. 1a S. 234 f., mit Hinweisen;
BGE 114 Ia 307
E. 3c S. 312 f.). Diese Rechtsprechung findet auch bei Submissionsverfahren Anwendung (
BGE 115 Ia 76
E. 1d S. 79;
BGE 106 Ia 323
E. 3c S. 327), obwohl dem übergangenen Bewerber zur Anfechtung des Vergebungsentscheides nach dem Gesagten nicht bloss die nach
Art. 88 OG
erforderliche Legitimation fehlt, sondern der Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde an sich schon der mangelnde hoheitliche Charakter des Sachentscheides entgegenstünde. Die Zulassung dieses Rechtsmittels wurde zum Teil damit begründet, dass dem Verfahren wenn nicht in bezug auf den zu treffenden Vergebungsentscheid, so doch bezüglich der öffentlichrechtlich gewährleisteten Parteirechte Verfügungscharakter zukomme (vgl.
BGE 115 Ia 76
E. 1d S. 79;
BGE 106 Ia 323
E. 3c S. 327; Urteil vom 18. Februar 1991, in ZBl 92/1991 S. 560 E. 4b S. 563). Das Fehlen eines anfechtbaren Hoheitsaktes darf der Geltendmachung einer formellen Rechtsverweigerung hier jedenfalls nicht entgegenstehen. Wer sich an einem kantonalen Submissionsverfahren beteiligt hat, kann gemäss bundesgerichtlicher Praxis zwar nicht den Vergebungsentscheid materiell anfechten, aber doch mittels staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung der durch das kantonale Verfahrensrecht gewährleisteten oder unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden Parteirechte rügen.
d) Einer analogen Betrachtungsweise bei der Anfechtung bundesrechtlich geordneter Submissionsverfahren durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wie sie vom Bundesgericht in einem Urteil vom 5. Dezember 1980 (Rep. 1980, S. 234) erwogen wurde (vgl. auch unveröffentlichtes Urteil i.S. W. vom 11. Juli 1984), steht
Art. 101 lit. a OG
entgegen. Danach kann dieses Rechtsmittel, wenn es gegen die Endverfügung ausgeschlossen ist, auch nicht gegenüber irgendwelchen Zwischenverfügungen oder zur Geltendmachung von Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung im betreffenden Verfahren ergriffen werden (Grundsatz der Einheit des Verfahrens;
BGE 111 Ib 73
;
BGE 119 Ib 414
E. 2a; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 106 f., 237). Da der im Submissionsverfahren ergehende Vergebungsentscheid, wie dargelegt
BGE 119 Ia 424 S. 429
(E. 3a), keine mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbare Verfügung darstellt, können auch damit verbundene Verfahrensfragen nicht Gegenstand dieses Rechtsmittels bilden.
e) Vorliegend ist somit die staatsrechtliche Beschwerde zulässig; und zwar allein zur Geltendmachung von Verfahrensverletzungen, die einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommen. Das Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist hingegen ausgeschlossen. Die miteingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher ebenfalls als staatsrechtliche Beschwerde zu behandeln (vgl.
BGE 118 Ib 145
E. 6 S. 153).
4.
a) Die Ausübung der in E. 3c umschriebenen, auf die Einhaltung von Verfahrensgarantien beschränkten verfassungsrichterlichen Kontrolle stösst dort auf keine besonderen Probleme, wo der im Submissionsverfahren erfolgte Zuschlag oder ihm vorangehende Anordnungen mit einem förmlichen kantonalen Rechtsmittel anfechtbar sind und die mittels staatsrechtlicher Beschwerde gerügten Parteirechtsverletzungen sich allein auf dieses kantonale Rechtsmittelverfahren beziehen. In einem solchen, an den Vergebungsentscheid anschliessenden individualrechtlichen kantonalen Anfechtungsverfahren besitzt der Beschwerdeführer ohne weiteres Parteistellung und kann sich damit auf die üblichen, durch das kantonale Prozessrecht gewährleisteten oder unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Verfahrensgarantien berufen.
b) Anders liegen die Verhältnisse indessen dort, wo sich die staatsrechtliche Beschwerde, mangels eines kantonalen Rechtsmittels, direkt gegen den Vergebungsentscheid oder im Vergebungsverfahren ergangene Anordnungen richtet oder wo das kantonale Recht zwar ein Rechtsmittel zur Verfügung stellt, die im Anschluss an einen solchen Rechtsmittelentscheid mittels staatsrechtlicher Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen sich aber nicht auf das kantonale Rechtsmittelverfahren, sondern unmittelbar auf das Submissionsverfahren selber beziehen (und die betreffenden Verfahrensverletzungen in Anbetracht der beschränkten Kognition der kantonalen Rechtsmittelinstanz nicht als geheilt betrachtet werden können). Hier stellt sich die Frage, welche Befugnisse der Teilnehmer am Submissionsverfahren im Sinne der in E. 3c erwähnten Rechtsprechung als Verfahrensrechte zu betrachten sind, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt, und wo die Grenze gegenüber den - der bundesgerichtlichen Überprüfung entzogenen - materiellrechtlichen Belangen der Vergebung zu ziehen ist.
BGE 119 Ia 424 S. 430
aa) Ob eine eingereichte Offerte die in den kantonalen Submissionsvorschriften oder in den konkreten Wettbewerbsbedingungen statuierten Voraussetzungen für den Zuschlag erfüllt, ist eine mit dem zu treffenden Vergebungsentscheid zusammenhängende materielle Frage, die nicht Gegenstand verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensgarantien bildet. Das gilt nicht nur für die Handhabung der Zuschlagskriterien im engeren Sinn (d.h. für die sogenannten Vergaberegeln wie Preiswürdigkeit, gerechte Abwechslung, Unbeachtlichkeit von Unterangeboten, Steuerdomizil in Kanton oder Gemeinde, Erhaltung von Arbeitsplätzen usw.), sondern auch für die Beurteilung, ob eingereichte Offerten den allgemeinen oder konkreten Submissionsbedingungen entsprechen (sogenannte Angebotsregeln, z.B. betreffend formelle Ausgestaltung, Eingabefrist, Übereinstimmung mit den Wettbewerbsvorgaben, Beitritt zu Abkommen über Arbeitnehmerschutz, Eintrag ins Berufsregister usw.); eine scharfe Abgrenzung zwischen formellen und materiellen Zuschlagsvoraussetzungen sowie zwischen Gültigkeitsvoraussetzungen einerseits und Zuschlagskriterien andererseits lässt sich oft gar nicht ziehen. All diesen Kriterien ist gemeinsam, dass ihre Handhabung durch die Submissionsbehörde mit dem zu fällenden Vergebungsentscheid verknüpft ist, welcher nach dem Gesagten mangels hoheitlichen Charakters wie auch mangels Legitimation des übergangenen Bewerbers in der Sache selber nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann; eine materielle verfassungsrichterliche Überprüfung des Zuschlages bzw. der Ablehnung oder Ungültigerklärung von Offerten kann nicht auf dem Umweg über die Anrufung von Verfahrensgarantien erwirkt werden. Auf Rügen, welche die Handhabung der Zuschlagsvoraussetzungen betreffen, ist nicht einzutreten, ohne dass es (im Sinne einer früheren, mit Urteil vom 18. Februar 1991, in ZBl 92/1991 S. 560, aber bereits entsprechend korrigierten Rechtsprechung) darauf ankäme, ob die betreffenden Bestimmungen für sich allein gesehen auch dem Schutz der Bewerber dienen. Zulässig ist einzig die Anrufung von Vorschriften, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Die bisherige Rechtsprechung ist in diesem Sinne zu präzisieren.
bb) Bei der Bestimmung des Kreises der geschützten formellen Befugnisse muss den Besonderheiten des Submissionsverfahrens Rechnung getragen werden: Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass es nicht zu einer verbindlichen hoheitlichen Verfügung führt, sondern allein der Einholung und Evaluation privatrechtlicher Offerten
BGE 119 Ia 424 S. 431
für eine vom Staat zu vergebende Arbeit dient; das Verfahren weist insofern keinen Zwangscharakter auf und steht grundsätzlich einem unbeschränkten Teilnehmerkreis offen. Die geschützten Verfahrensrechte können nach dem Gesagten nur den eigentlichen Verfahrensablauf betreffen. Dazu gehört namentlich das Recht, von den Wettbewerbsunterlagen Kenntnis zu erhalten, eine Offerte einreichen zu können (aber ohne Anspruch auf eine bestimmte Behandlung derselben), an der Öffnung der Offerten teilnehmen zu dürfen (soweit die betreffende Submissionsordnung dies vorsieht), vom Vergebungsentscheid bzw. vom Ergebnis des Submissionsverfahrens Kenntnis zu erhalten, ferner der Anspruch auf Befolgung von Ausstandsvorschriften. Gegen eine willkürliche Verletzung entsprechender kantonaler Verfahrensvorschriften kann sich jeder Submissionsteilnehmer mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr setzen.
cc) Zu den Verfahrensgarantien, welche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes unabhängig von der Beschwerdelegitimation in der Sache geltend gemacht werden können, gehören nebst den in den einschlägigen Verfahrensordnungen vorgesehenen Befugnissen auch die - subsidiär Platz greifenden - unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden minimalen Parteirechte (BGE
BGE 118 Ia 232
E. 1a S. 234 f., mit Hinweisen;
BGE 114 Ia 307
E. 3c S. 312 f.). Diese sind jedoch auf hoheitliche Verfügungsverfahren zugeschnitten und daher auf das Submissionsverfahren nur bedingt anwendbar. Es entspricht Zweck und Wesen dieses besonderen Verfahrens, dass die üblichen Parteirechte (Anspruch auf Teilnahme an Beweiserhebungen, auf Stellungnahme zum Beweisergebnis, auf Akteneinsicht, auf Begründung des Entscheides usw.) hier grundsätzlich nicht zum Zuge kommen können. Unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Minimalgarantien können immerhin auch in einem Submissionsverfahren etwa dann Platz greifen, wenn es um die von den Verwaltungsbehörden zu beachtenden Ausstandspflichten geht (vgl.
BGE 112 Ia 142
E. 2d S. 147;
BGE 107 Ia 135
E. 2b S. 137).
5.
a) Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung von
Art. 9 Abs. 3 SubV
. Danach dürfen von der vergebenden Instanz nur Angebote berücksichtigt werden, "welche den Anforderungen entsprechen, die der Ausschreibung zugrunde liegen". Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Annahme der Regierung, ihre Offerte sei nicht "devisgemäss", krass willkürlich und "überspitzt formalistisch". Die Beschwerdeführerin führt aus, sie sei wegen mangelhafter bzw. nicht erfüllbarer
BGE 119 Ia 424 S. 432
technischer Vorgaben der Ausschreibung gezwungen gewesen, ihre Offerte den Gegebenheiten anzupassen. Wenn ein Konkurrent aufgrund solcher Unzulänglichkeiten der Submissionsunterlagen Präzisierungen an den Konstruktionsplänen anbringe, dürfe ihm dies nicht zum Nachteil gereichen; es könne von ihm in einem solchen Fall nicht verlangt werden, zusätzlich noch eine den mangelhaften Ausschreibungsunterlagen entsprechende Offerte einzureichen, für die er gar keine Haftung übernehmen könne.
b) Die Regierung des Kantons Graubünden stellt in ihrer Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde in Abrede, dass die vorgeschriebene Konstruktionsart Mängel aufgewiesen habe und die Beschwerdeführerin damit zur Einreichung einer Variante gezwungen gewesen sei. Es habe denn auch keiner der übrigen zwölf Submittenten die geforderte Konstruktionsart bemängelt.
c) Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben. Ob eine Offerte den in der Ausschreibung formulierten technischen Anforderungen entspricht oder ob sie wegen Abweichung von den Vorgaben gemäss
Art. 9 Abs. 3 SubV
unberücksichtigt bleiben muss, ist eine den materiellen Vergebungsentscheid berührende Sachfrage, jedenfalls nicht eine Frage der Verletzung von eigentlichen Parteirechten, welche im Sinne der vorstehenden Darlegungen als formelle Rechtsverweigerung angefochten werden könnte. Es ist daher auf diese Rüge nicht einzutreten. Entsprechendes gilt für den Einwand der Beschwerdeführerin, sie sei in bezug auf die Handhabung von
Art. 9 Abs. 3 SubV
oder sonstiger Zuschlagskriterien gegenüber andern Bewerbern rechtsungleich behandelt worden.
d) Auch aufgrund der Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nicht erkennbar, dass und inwiefern eigentliche Verfahrensgarantien, die sich aus den allenfalls anwendbaren (bzw. zusätzlich anwendbaren) eidgenössischen Vergebungsvorschriften ergeben, durch das beanstandete Vorgehen der kantonalen Behörde verletzt worden wären. Ob die eingereichte Offerte den technischen Vorgaben entspricht, ist auch unter dem Gesichtswinkel der eidgenössischen Vorschriften vorab eine Frage der materiellen Beurteilung der Offerte. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8f3c87f6-02c7-481d-8602-add75a5b926d | Urteilskopf
93 I 65
8. Sentenza del 15 febbraio 1967 nella causa Comune di Mendrisio contro Ghioldi. | Regeste
Legitimation der Gemeinde zur staatsrechtlichen Beschwerde.
Art. 88 OG
.
Am Enteignungsverfahren nimmt die enteignende Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Trägerin öffentlicher Gewalt teil. Sie ist daher nicht legitimiert, den Entscheid, durch den die kantonale Behörde die Enteignungsentschädigung festgesetzt hat, mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten. | Erwägungen
ab Seite 65
BGE 93 I 65 S. 65
1.
Nel marzo del 1962 il Comune di Mendrisio aprì la procedura per l'espropriazione dei terreni necessari alla formazione del piazzale "Alla valle". L'espropriazione colpiva, tra le altre, anche la part. n. 2287 di Franco Ghioldi. Quest'ultimo non ha accettato l'indennità offerta dal Comune e, successivamente, è insorto anche contro l'indennità stabilita dalla Commissione distrettuale d'espropriazione. Mediante sentenza del 24 novembre 1966, il Tribunale cantonale delle espropriazioni, accogliendo parzialmente il gravame di Ghioldi, ha condannato il Comune di Mendrisio a versare all'espropriato un importo di Fr. 197 100.-- (pari a Fr. 300.-- il mq), a pagare parte delle spese giudiziarie e a rifondere all'espropriato le ripetibili di prima e di seconda istanza.
Il Comune di Mendrisio impugna questo giudizio mediante un tempestivo ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale; esso chiede l'annullamento della sentenza e il rinvio degli atti all'autorità cantonale per nuova decisione. Il ricorrente fa valere
BGE 93 I 65 S. 66
una violazione dell'art. 4 CF, che ravvisa nell'arbitraria applicazione delle norme della legge cantonale sull'espropriazione (e in particolare degli
art. 40, 45, 46 e 71
).
2.
Giusta l'
art. 88 OG
, il diritto di ricorrere spetta ai privati o agli enti collettivi che si trovano lesi nei loro diritti da decreti o da decisioni che li riguardano personalmente o che rivestono carattere obbligatorio generale. Il ricorso di diritto pubblico è un rimedio giuridico destinato a proteggere i titolari dei diritti costituzionali dagli abusi di potere di cui possono essere vittima. Lo Stato come tale, vale a dire nella sua qualità di detentore del potere pubblico, non può essere soggetto di diritti costituzionali; questi esistono precisamente contro di lui, destinati come sono a tutelare i privati dagli abusi di potere. Ne consegue che, quando l'ente pubblico interviene in questa sua qualità, non è legittimato ad impugnare con un ricorso di diritto pubblico una decisione resa contro di lui.
La giurisprudenza riconosce tuttavia che il Comune, come detentore del pubblico potere, ha veste per interporre ricorso di diritto pubblico quando difende la propria autonomia o quando insorge contro decisioni che mettono in causa la sua esistenza o la consistenza del suo territorio. D'altra parte, l'ente pubblico ha qualità per interporre un ricorso di diritto pubblico quando si mette sul terreno del diritto privato ed entra in relazione con altri soggetti giuridici su un piede di uguaglianza (RU 74 I 52, 83 I 121/122 e 269, 87 I 214 consid. 2, 88 I 108, 89 I 111 e 206, 90 I 337).
Nella fattispecie, il Comune non agisce per difendere la propria autonomia, nè, d'altra parte, la sentenza impugnata lo colpisce alla stregua di un privato.
Nel procedimento d'espropriazione, la quale è accordata all'ente pubblico per compiere opere di interesse generale, il Cantone o il Comune intervengono nella veste di detentori del pubblico potere. Il rapporto giuridico tra loro e l'espropriato poggia sul diritto pubblico, e sull'obbligo che ne deriva per l'ente espropriante di risarcire all'espropriato il danno causato dall'espropriazione. Il Cantone, rispettivamente il Comune non cessano di agire come detentori del pubblico potere, quand'anche la indennità sia stabilita in una procedura in cui ente espropriante ed espropriato abbiano uguali diritti.
L'ente pubblico non è pertanto legittimato ad impugnare con un ricorso di diritto pubblico per arbitraria violazione di norme
BGE 93 I 65 S. 67
cantonali il giudizio con cui l'autorità cantonale ha stabilito l'indennità d'espropriazione (cfr. BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, p. 364/65). Ne consegue che il presente ricorso interposto dal Comune di Mendrisio è irricevibile. | public_law | nan | it | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f3c88a1-bd83-4a0c-ab80-2f6cacb79a49 | Urteilskopf
87 I 420
69. Auszug aus dem Urteil vom 13. Oktober 1961 i.S. Thoma gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. | Regeste
Entzug der Bewilligung des Selbstausmessens von Konsummilch.
1. Zuständigkeit des Bundesgerichts. Umfang der Überprüfungsbefugnis (Erw. 1).
2. Eine Bewilligung kann auch dann nach Art. 44 Abs. 2 des Milchstatuts widerrufen werden, wenn sie schon vor dem Inkrafttreten des Statuts bestanden hat (Erw. 2).
3. Wird eine örtliche Milchsammelstelle geschaffen, so dürfen die an Produzenten der Gegend erteilten Bewilligungen des Selbstausmessens in der Regel widerrufen werden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 421
BGE 87 I 420 S. 421
A.-
Der Beschwerdeführer Beat Thoma ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Heimwesens in Amden, das er im Jahre 1953 von seinem Vater übernommen hat und seither selbst bewirtschaftet. Es besteht aus vier Gütern, welche Futter für 6-7 Grossvieheinheiten geben. Auf jedem Gut befindet sich ein Stall. Das Wohnhaus mit angebautem Stall und zwei weitere Ställe liegen unterhalb, der vierte Stall oberhalb des Dorfkerns. Schon der Vater des Beschwerdeführers hatte seit vielen Jahren einen Teil der auf dem Heimwesen produzierten Milch selber an Nachbarn ausgemessen. Der Beschwerdeführer hat diese Tätigkeit fortgesetzt.
B.-
Im Jahre 1959 wurde in Amden eine Milchverwertungsgenossenschaft gegründet, welche im November des gleichen Jahres den Betrieb einer Milchzentrale aufnahm. Sie besitzt in der Mitte des Dorfes ein Lokal für die Milchannahme und einen Verkaufsladen für Milch und Milchprodukte. Die eingelieferte Milch wird zum Teil als Konsummilch verwertet, sei es durch Verkauf im Laden oder durch Verteilung von Haus zu Haus; zum Teil wird sie zentrifugiert und der gewonnene Rahm an den Milchverband Glarus abgegeben.
Der Beschwerdeführer liess sich nicht dazu bewegen, auf das Selbstausmessen seiner Milch zu verzichten und diese in die Milchzentrale abzuliefern. Am 19. Februar 1960 entzog ihm die Abteilung für Landwirtschaft des eidg. Volkswirtschaftsdepartementes die Bewilligung des Selbstausmessens. Seine Beschwerde gegen diese Massnahme wurde vom Departement am 27. Februar 1961 abgewiesen.
C.-
Gegen den Entscheid des Departementes erhebt Beat Thoma Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass er für das Selbstausmessen keiner Bewilligung bedürfe; eventuell sei ihm das Selbstausmessen
BGE 87 I 420 S. 422
im bisherigen Rahmen und nach bisheriger Übung zu bewilligen.
Es wird geltend gemacht, das Recht zum direkten Verkauf der im Landwirtschaftsbetrieb des Beschwerdeführers produzierten Milch an die Konsumenten sei unter der Herrschaft der Verordnung über Milchproduktion und Milchversorgung vom 30. April 1937 (AS 1937 S. 544) anerkannt gewesen. Der Beschwerdeführer besitze daher ein wohlerworbenes Recht (
BGE 80 I 294
). Dieses Recht werde auch durch Art. 50 Abs. 1 des Milchstatuts (Milchbeschlusses) vom 29. September 1953 (MB, AS 1953 S. 1109) anerkannt. Der Beschwerdeführer könne deshalb seine Milch weiterhin selbst ausmessen, ohne einer Bewilligung nach Massgabe des MB zu bedürfen. Nur solche Bewilligungen könnten nach
Art. 44 MB
entzogen werden. Die Richtigkeit dieser Auffassung werde durch
Art. 5 und 21 MB
bestätigt.
Übrigens würde die Gründung einer Milchsammelstelle den Entzug der Bewilligung nicht rechtfertigen. Die Milchzentrale Amden liege für den Beschwerdeführer ausserhalb der "zumutbaren Entfernung" (
Art. 5 Abs. 2 MB
). Der angefochtene Entscheid führe nicht zu einem "zweckmässigen und kostensparenden Konsummilchvertrieb". Das Departement habe die örtlichen Verhältnisse nicht richtig gewürdigt und den Rahmen des Ermessens überschritten.
Der Beschwerdeführer hat gegen den Entscheid des Departements auch Beschwerde beim Bundesrat wegen Unangemessenheit eingereicht.
D.-
Das Departement beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Entsteht Streit darüber, ob die Bewilligung zum direkten Milchverkauf durch einen Produzenten an Konsumenten (Selbstausmessen) zu erteilen oder zu entziehen sei, so ist zum Entscheid die Abteilung für Landwirtschaft zuständig (
Art. 5 Abs. 2 und
Art. 22 MB
). Wenn sich in
BGE 87 I 420 S. 423
einem bestimmten Fall die Vorfrage stellt, ob eine Bewilligung notwendig ist oder nicht, so hat darüber die gleiche Behörde zu befinden (vgl.
BGE 79 I 105
). Der Entscheid der Abteilung für Landwirtschaft kann an das eidg. Volkswirtschaftsdepartement weitergezogen werden (
Art. 37 MB
und Art. 109 Abs. 1 des Landwirtschaftsgesetzes vom 3. Oktober 1951, LandwG), und der Entscheid des Departementes unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (
Art. 38 Abs. 2 MB
und Art. 107 LandwG;
BGE 80 I 293
Erw. 1). Nach dieser Ordnung ist im vorliegenden Fall die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig, was nicht bestritten ist.
Das Bundesgericht kann prüfen, ob der angefochtene Entscheid des Departementes auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des Sachverhaltes beruht. Es überprüft frei die Anwendung des Bundesrechts. Als Verletzung von Bundesrecht gelten auch die Überschreitung und der Missbrauch des der Verwaltung zustehenden Ermessens. Im übrigen hat das Bundesgericht sich hier mit Ermessensfragen nicht zu befassen.
Da das Bundesgericht zuständig ist, unterliegt der Entscheid des Departementes nicht - auch nicht in Ermessensfragen - der Beschwerde an den Bundesrat (
Art. 126 lit. a OG
).
2.
Nach
Art. 50 Abs. 1 MB
gilt der bei Inkrafttreten dieses Beschlusses nach Massgabe der bisherigen einschlägigen Vorschriften bereits betriebene Milchverkauf als bewilligt, mit der Auflage, dass der Bewilligungsinhaber angemessene Handelsmargen nicht überschreiten darf. Es ist nicht bestritten, dass der Beschwerdeführer die in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Daher war er nach dem Inkrafttreten des MB befugt, wie früher Milch direkt an Konsumenten zu verkaufen. Er befand sich seither in der gleichen Lage wie die Produzenten, denen die Bewilligung, ihre Milch selbst auszumessen, auf Grund der Bestimmungen des MB (Art. 5 Abs. 2, Art. 21 und 22) erteilt wurde. Er ist denselben
BGE 87 I 420 S. 424
Vorschriften wie diese Produzenten unterstellt. Insbesondere ist auch für ihn
Art. 44 Abs. 2 MB
massgebend, wonach Bewilligungen widerrufen werden können, wenn die besonderen Voraussetzungen, unter denen sie erteilt worden waren, dahingefallen sind (nicht publiziertes Urteil vom 29. Juni 1956 i.S. Fumasoli und Ferrari, Erw. 3).
Der Beschwerdeführer wendet ein, er besitze ein wohlerworbenes Recht zum Selbstausmessen, so dass Art. 44 MV auf ihn nicht anwendbar sei. Dieser Standpunkt ist jedoch unbegründet.
Insbesondere lässt er sich nicht auf den MB stützen. Er steht im Widerspruch zu
Art. 50 Abs. 1 MB
, wonach der bereits früher betriebene Milchverkauf "als bewilligt gilt", mit der gleichen Auflage, welcher "Bewilligungen gemäss Art. 21" unterworfen sind (Art. 25 Abs. 1). Der Sinn dieser Ordnung ist klar: Es soll so gehalten werden, wie wenn derjenige, der schon vor dem Inkrafttreten des MB Milch verkaufen durfte, für die Fortsetzung dieser Tätigkeit eine Bewilligung nach Massgabe der neuen Ordnung erhalten hätte. Damit wird er demjenigen gleichgestellt, welchem eine solche Bewilligung förmlich erteilt worden ist. Diese Bewilligung hat polizeilichen Charakter; sie ist im allgemeinen Interesse vorgesehen, nämlich zur Sicherstellung eines geordneten Konsummilchvertriebes. Eine Polizeibewilligung begründet aber, jedenfalls in der Regel, kein wohlerworbenes Recht, welches ihren Inhaber vor Beschränkungen schützen würde, denen ein neues Gesetz die bisher bewilligte Tätigkeit im öffentlichen Interesse unterwirft. Die Aufrechterhaltung der frühern Ordnung käme nur dann in Frage, wenn diese durch besondere Vorschrift des Gesetzes als unabänderlich erklärt wäre (vgl.
BGE 67 I 187
ff.,
BGE 77 I 144
ff.).
Der MB enthält jedoch keine Bestimmung, welche - im Gegensatz zum klaren Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 - demjenigen, der früher den Milchverkauf betrieben hat, ein wohlerworbenes Recht verleihen und ihn damit besser als den Inhaber einer unter der Herrschaft des neuen Rechts
BGE 87 I 420 S. 425
erteilten Bewilligung stellen würde. Insbesondere kann daraus, dass im deutschen Text des Art. 21 Abs. 1 nicht, wie in den romanischen Texten, einfach vom Selbstausmessen (vente au détail par le producteur, vendita al minuto di latte da parte del produttore), sondern von dessen "Aufnahme" die Rede ist, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht gefolgert werden, dass diese Tätigkeit nur dann der Bewilligungspflicht im Sinne des MB unterliege, wenn sie nicht schon vor dem Inkrafttreten dieses Beschlusses ausgeübt worden ist. Art. 21 Abs. 1 stellt im ersten Satz unmissverständlich den Grundsatz auf, dass der gewerbsmässige Verkauf von Konsummilch jeder Art, im Laden oder durch Lieferung ins Haus, stets bewilligungspflichtig ist. In der Aufzählung der verschiedenen Arten des Verkaufs, welche im zweiten Satz folgt, bezeichnet der Ausdruck "Aufnahme" lediglich den Zeitpunkt, in welchem die Bewilligungspflicht in einem bestimmten Fall eintritt. Diese Bestimmung ist nicht anwendbar, wenn die Bewilligung von vornherein, kraft gesetzlicher Vorschrift (
Art. 50 Abs. 1 MB
), als erteilt gilt und daher nicht noch erteilt werden muss. Aber der im ersten Satz des Art. 21 Abs. 1 ausgesprochene Grundsatz der Bewilligungspflicht ist für diesen Fall, der hier vorliegt, ebenfalls massgebend. Er wird denn auch in
Art. 5 Abs 2 MB
, worauf jener zweite Satz verweist, für das Selbstausmessen bestätigt.
Der Beschwerdeführer kann sich für seinen Standpunkt auch nicht auf
Art. 5 Abs. 1 MB
berufen. Diese Bestimmung ist auf alle Milchproduzenten anwendbar. Sie stellt die Regel auf, dass die Produzenten die Milch, die sie für den Konsum oder zur Verarbeitung in Verkehr bringen (Verkehrsmilch), "in die für das betreffende Heimwesen angestammte oder, bei Neuaufnahme der Lieferung, in die nächstgelegene Milchsammel- oder Milchverwertungsstelle (Sammelstelle)" abzuliefern haben. Unter "Neuaufnahme der Lieferung" ist hier die Aufnahme der Lieferung an eine Sammelstelle zu verstehen. Die Meinung ist, dass der Produzent,
BGE 87 I 420 S. 426
der bisher keine Sammelstelle beliefert hat, vom Standpunkt der Sammelstellen aus gesehen ein neuer Lieferer ist, auch wenn er bis anhin Selbstausmesser war. Er hat seine Milch nach Art. 5 Abs. 1 in der Regel an die nächstgelegene Sammelstelle abzuliefern. Ein solcher neuer Lieferer ist der Beschwerdeführer.
Ebensowenig kann aus der Verordnung über Milchproduktion und Milchversorgung vom 30. April 1937, welche bis zum Inkrafttreten des MB in Kraft war, abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer das von ihm behauptete wohlerworbene Recht besitzt. Sie bestimmte in Art. 12 Abs. 1: "Auch der direkte Verkauf von Milch eigener Produktion an Kunden fällt unter den Begriff der Milchverkaufsgeschäfte und bedarf somit der Bewilligung der Abteilung für Landwirtschaft." Gewiss konnte nach Abs. 4 ebenda auf die Einholung einer Bewilligung für das Selbstausmessen verzichtet werden, wenn die Gemeindebehörde, der Milchhandel und der Milchproduzentenverband des Einzugsgebietes mit dieser Tätigkeit einverstanden waren, doch ändert dies nichts daran, dass grundsätzlich die Bewilligungspflicht bestand. Das Erfordernis einer (polizeilichen) Bewilligung schliesst aber die Annahme eines wohlerworbenen Rechtes aus.
Der Beschwerdeführer versteht die Ausführungen in
BGE 80 I 294
Erw. 3 nicht richtig. Das Bundesgericht hat dort erklärt, dass die Beschwerdeführerin, welche seit 1933 ein Milchverkaufsgeschäft betrieb, durch das Inkrafttreten der neuen Ordnung des MB nicht in wohlerworbenen Rechten beeinträchtigt worden sei. Es hat nicht angenommen, dass der Gebrauch einer altrechtlichen Bewilligung ein wohlerworbenes Recht begründe.
3.
...
4.
Es bleibt zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer die Bewilligung zum Selbstausmessen gestützt auf
Art. 44 Abs. 2 MB
entzogen werden durfte.
Es ist eines der Ziele des Milchstatuts, die geordnete und kostensparende Konsummilchversorgung des Landes
BGE 87 I 420 S. 427
und eine zweckmässige Milchverarbeitung zu gewährleisten (MB Art. 10 usw.). Diesem Zweck dienen insbesondere die örtlichen Milchsammelstellen. So ist durch Schaffung einer Milchzentrale in Amden die Konsummilchversorgung dieses Ortes, welche früher der Initiative einzelner Produzenten überlassen war, verbessert und die Verwertung der überschüssigen Milchproduktion des Einzugsgebietes sichergestellt worden. Damit die Sammelstellen ihre Aufgabe erfüllen können, werden die Produzenten verpflichtet, die Milch, die sie in Verkehr bringen, in der Regel in eine solche Stelle abzuliefern (
Art. 5 MB
). Dergestalt tritt an die Stelle der individuellen Verwertung der Milch grundsätzlich eine kollektive, welche rationell organisiert und mit den auf Landesebene zur Sicherstellung der Konsummilchversorgung und Milchverarbeitung getroffenen Massnahmen koordiniert wird. Mit der Schaffung einer neuen Sammelstelle fallen daher die Voraussetzungen, unter denen an Produzenten der Gegend Bewilligungen zum Selbstausmessen erteilt worden sind, in der Regel dahin, so dass solche Bewilligungen im allgemeinen gemäss
Art. 44 Abs. 2 MB
widerrufen werden dürfen (zit. Urteil Fumasoli und Ferrari, Erw. 5). Insbesondere könnte die neu gegründete Zentrale in Amden ihren Zweck nicht erreichen, wenn allen 22 Produzenten, die dort bisher ihre Milch selbst ausmessen durften, die Bewilligung dazu belassen würde. Die Tatsache, dass ein Produzent bisher Selbstausmesser war, ist daher noch kein Grund, ihm diese Tätigkeit weiterhin zu gestatten. Dies gilt auch für den Beschwerdeführer. Er hat nicht Anspruch auf eine Vorzugsbehandlung. Seine Bewilligung könnte nur dann bestehen bleiben, wenn besondere Umstände vorlägen, welche dies rechtfertigen würden.
Der Beschwerdeführer will das Selbstausmessen hauptsächlich deshalb fortsetzen, weil es ihm mehr einbringt, als er von der Zentrale erhalten wird. Das ist aber offensichtlich kein besonderer Umstand, welcher die Aufrechterhaltung der Bewilligung des Beschwerdeführers zu begründen
BGE 87 I 420 S. 428
vermöchte; denn dasselbe Argument könnte von allen Produzenten, welche die Möglichkeit des Selbstausmessens hätten, geltend gemacht werden. Übrigens steht der Preiseinbusse, die der Beschwerdeführer erleidet, wenn er seine Milch in die Zentrale abliefern muss, der Vorteil gegenüber, dass ihm die Zentrale Sicherheit dafür bietet, Tag für Tag seine sämtliche verfügbare Verkehrsmilch absetzen zu können, Sicherheit, die er als Selbstausmesser nicht hatte und heute, nach der Gründung der Zentrale, noch weniger hat.
Der Beschwerdeführer möchte auch deshalb Selbstausmesser bleiben, weil er für den Gang in die Zentrale eine gewisse Zeit braucht, drei seiner vier Ställe zudem unterhalb der Zentrale liegen und ein Teil seiner Kundschaft in seiner Nähe wohnt. Er beruft sich auf
Art. 5 Abs. 2 Satz 2 MB
, wonach der direkte Milchverkauf an Konsumenten namentlich dann bewilligt werden soll, wenn in zumutbarer Entfernung vom Produzenten keine Sammelstelle und in der Nähe der Konsumenten keine Milchverkaufsstelle besteht. Indessen steht fest, dass die Zentrale von Amden imstande und bereit ist, den bisherigen Kunden des Beschwerdeführers die Milch ins Haus zu liefern. Die Verwaltung hatte daher noch zu untersuchen, ob der Weg, den der Beschwerdeführer bei der Lieferung der Milch in die Zentrale - und zwar nach deren Praxis bloss im Sommer täglich zweimal (morgens und abends), dagegen im Winter nur einmal - zurückzulegen hat, als zumutbar erscheint. Das ist in weitem Umfange eine Ermessensfrage, die vom Bundesgericht nur beschränkt überprüft werden kann (Erw. 1 hiervor).
Mit Recht hat die Verwaltung berücksichtigt, dass die Sammelstelle Amden von zahlreichen Milchproduzenten des Einzugsgebietes verhältnismässig weit entfernt ist. Angesichts dieser Sachlage darf die Distanz, von welcher an den Produzenten die Ablieferung der Milch in die Zentrale nicht mehr zugemutet werden kann, nicht allzu kurz bemessen werden, weil sonst die Zentrale ihre Aufgabe,
BGE 87 I 420 S. 429
im Gebiete der Gemeinde eine geordnete und kostensparende Konsummilchversorgung und eine zweckmässige Milchverarbeitung sicherzustellen, nicht erreichen könnte. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass 60% der Produzenten von Amden weiter von der Sammelstelle entfernt sind als er. Er macht lediglich geltend, dass nur ein Drittel der Produzenten, wie er, unterhalb der Zentrale wohnt. Auf jeden Fall befinden sich zahlreiche Produzenten des Ortes in einer ähnlichen Lage wie er, so dass die Distanz, die ihn von der Sammelstelle trennt, kein Grund sein kann, ihm eine Sonderbehandlung zuzugestehen.
Die Verwaltung durfte auch berücksichtigen, dass gewisse vom Beschwerdeführer bediente Konsumenten ziemlich weit von ihm entfernt wohnen. Der Zeitverlust, den ihm der Gang in die Zentrale verursacht, wird jedenfalls zum Teil ausgeglichen durch den Zeitgewinn, den ihm der Wegfall der direkten Bedienung jener Abnehmer verschafft.
Die Strasse, die der Beschwerdeführer zu benützen hat, um in die Zentrale zu gelangen, ist besser als die Wege, auf welche andere Produzenten angewiesen sind. Es wird zutreffen, dass auf ihr zu gewissen Zeiten ein lebhafter Verkehr herrscht. Darin, dass die Verwaltung auf diese Tatsache kein Gewicht gelegt hat, kann jedoch nicht eine Überschreitung oder ein Missbrauch des ihr zustehenden Ermessens gesehen werden; müssen doch heutzutage im ganzen Lande zahlreiche Produzenten ihre Milch auf stark befahrenen Strassen zur Sammelstelle transportieren.
Der Beschwerdeführer betrachtet es als widersinnig, dass er seine Milch eine halbe Stunde weit ins Dorf tragen und mit leerer Kanne zurückkehren müsste, während die Zentrale den gleichen Weg in umgekehrter Richtung zurückzulegen hätte, um die bisher von ihm belieferten Nachbarn zu bedienen. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die Verwaltung weist darauf hin, dass die Zentrale ohnehin regelmässig gewissen Nachbarn des Beschwerdeführers, insbesondere alle zwei Tage einem Hotelunternehmen, Milchprodukte ins Haus liefert und
BGE 87 I 420 S. 430
auch Konsumenten zu bedienen hat, die noch weiter unten als der Beschwerdeführer wohnen. Die Runde, welche der Hausdienst der Zentrale zu machen hat, würde also nicht verkürzt, wenn dem Beschwerdeführer das Selbstausmessen im bisherigen Umfange weiterhin gestattet würde. Überdies besteht die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer - wie es ihm vorgeschlagen worden ist und wie es andere Produzenten bereits tun - im Auftrage der Zentrale weiterhin direkt Konsumenten beliefert. Diesen Dienst würde er auf Rechnung der Zentrale besorgen, welche verpflichtet bliebe, seine direkten Lieferungen zu ergänzen, falls sie nicht genügen würden, und ihm die überschüssige Milch abzunehmen.
Aus allen diesen Gründen ist nicht zu beanstanden, dass die Verwaltung dem Beschwerdeführer gestützt auf
Art. 44 Abs. 2 MB
die Bewilligung zum Selbstausmessen entzogen hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f3d4879-09f4-4da5-9505-0421105a054b | Urteilskopf
116 Ib 65
8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Januar 1990 i.S. X. AG gegen Kommission für die Exportrisikogarantie sowie Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Leistungspflicht des Bundes aus einer gewährten Exportrisikogarantie. Bedeutung versehentlich falscher Angaben des Garantienehmers im Garantiegesuch. BG vom 26. September 1958 über die Exportrisikogarantie (SR 946.11).
1. Ist in der Garantieverfügung die Deckung einer Anzahlungssumme aufgrund der Angaben des Antragstellers im Garantiegesuch ausdrücklich ausgenommen worden, so ist dieser für einen durch Nichtleistung der Anzahlung eingetretenen Verlust nicht gedeckt, auch wenn seine Angaben versehentlich falsch waren (E. 2).
2. Eine Garantie entfällt überhaupt für das ganze Grundgeschäft, wenn der Garantienehmer die Bedingungen der Garantieverfügung nicht einhält, auch wenn diese auf seine versehentlich falschen Angaben zurückgehen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 116 Ib 65 S. 66
Am 17. November 1986 reichte die X. AG bei der Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie eine "Grundsätzliche Anfrage" ein betreffend den Bau eines schlüsselfertigen Postverwaltungsgebäudes in K. Der Lieferwert wurde mit Fr. 3'797'000.-- und eine Anzahlung (inkl. Subunternehmer) mit Fr. 1,5 Mio. deklariert. Am 26. November 1986 erfolgte seitens der Kommission für die Exportrisikogarantie die "Garantiezusage". Am 6. Februar 1987 stellte die X. AG das "Garantiegesuch".
Am 9. Februar 1987 ersuchte die Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie die X. AG um ergänzende Angaben. Unter anderem wurde die X. AG aufgefordert zu präzisieren, wie hoch die Anzahlung bei Vertragsabschluss sei, ob diese Fr. 1,5 Mio. oder 19% betrage. Beigelegt war dem Schreiben eine Kopie der die Zahlungsbedingungen betreffenden Passage in der "Grundsätzlichen Anfrage", wobei von der Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie die Zahl "19%" eingesetzt und die Worte "bei Vertragsabschluss" unterstrichen worden waren.
Im präzisierten Garantiegesuch vom 13. Februar 1987 gab die X. AG als Anzahlung "19%" der Vertragssumme (ohne ausländische Subunternehmer) oder Fr. 0,744 Mio. an; für den Zeitpunkt der Anzahlung unterstrich die X. AG die Worte "bei Vertragsabschluss" und strich die vorgedruckte Formulierung "... Tage nach Vertragsabschluss" durch.
Am 5. März 1987 erliess das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement auf Antrag der Kommission für die Exportrisikogarantie eine Garantieverfügung für eine Garantiesumme von Fr. 2'526'863.--, die wie folgt errechnet wurde:
BGE 116 Ib 65 S. 67
Fakturabetrag Fr. 4'698'000.--
Anzahlung Fr. 743'850.--
Nicht garantiert Fr. 585'000.--
Massgebender Betrag Fr. 3'369'150.--
Garantiesumme (75%) Fr. 2'526'863.--
Als "zusätzliche Bedingung" war angemerkt: "Die Anzahlungsgarantie ist nicht gedeckt."
Am 27. Oktober 1987 teilte die X. AG der Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie mit, sie habe die Bauarbeiten am 15. März 1987 begonnen, diese aber am 15. Mai 1987 eingestellt. Bisher sei noch keine Zahlung eingegangen; der Staat K. sei illiquid. Es werde um Zustimmung zur Vertragsauflösung und um Übernahme des Schadens ersucht.
Am 19. November 1987 antwortete die Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie in einem als "Verfügung" bezeichneten Schreiben, die Kommission sehe keine Möglichkeit, auf das Gesuch einzutreten. Die X. AG habe die Arbeiten begonnen, bevor die Anzahlung eingegangen sei, obwohl diese nach ihrem Gesuch "bei Vertragsabschluss" hätte erfolgen müssen und in der Garantieverfügung auch ausdrücklich von der Garantiesumme ausgenommen worden sei.
Auf ein Wiedererwägungsgesuch hin beschied die Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie der X. AG am 13. Januar 1988, die Kommission sei erneut zum Schluss gekommen, eine Vergütung komme nicht in Frage; auf das Gesuch könne nicht eingetreten werden.
Am 10. Februar 1988 erhob die X. AG Verwaltungsbeschwerde beim Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement mit dem Antrag, die Verfügung der Kommission für die Exportrisikogarantie vom 13. Januar 1988 sei aufzuheben, und es sei für Fr. 4'113'000.-- Deckung zum Garantiesatz von 75% zu gewähren unter Nachbelastung der Prämie für die in Abzug gebrachte Anzahlung von Fr. 743'850.--; im übrigen sei die Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie zu verpflichten, das weitere Vorgehen zur Schadenminderung mit der Beschwerdeführerin abzusprechen.
Mit Entscheid vom 8. Mai 1989 wies das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement die Beschwerde ab.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 2. Juni 1989 an das Bundesgericht beantragt die X. AG, der Entscheid des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements sei aufzuheben, und
BGE 116 Ib 65 S. 68
es sei ihr 75% des Schadens von Fr. 1'341'319.--, eventuell 75% des die Anzahlungssumme von Fr. 743'850.-- übersteigenden Schadensbetrages zu ersetzen.
Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement und die Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Nach Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. September 1958 über die Exportrisikogarantie (ERGG; SR 946.11) kann der Bund die Übernahme von Exportaufträgen, bei denen der Zahlungseingang mit besonderen Risiken verbunden ist, durch Gewährung einer Garantie erleichtern. Besondere Risiken sind nach
Art. 2 ERGG
diejenigen Gefährdungen des Zahlungseingangs, die sich aus längeren Fabrikations-, Zahlungs- oder Transferfristen in Verbindung mit politisch und wirtschaftlich unsicheren Verhältnissen ergeben. Die Garantie besteht darin, dass die teilweise Deckung eines allfälligen Verlustes oder Rückstandes im Zahlungseingang zugesichert wird (
Art. 3 ERGG
). Der Bund leistet den in der Garantieverfügung festgelegten Anteil am nachgewiesenen Verlust oder Zahlungsrückstand (
Art. 11 ERGG
).
b) Nach
Art. 5 Abs. 2 der Verordnung vom 15. Januar 1969 über die Exportrisikogarantie (ERGV; SR 946.111)
können An- und Vorauszahlungen von der Garantie ausgenommen werden. Dies ist in der Garantieverfügung vom 5. März 1987 geschehen, indem die Anzahlung von Fr. 743'850.-- bei der Berechnung der Garantiesumme vom Fakturabetrag abgezogen wurde. Die Kommission für die Exportrisikogarantie stützte sich dabei auf die von der Beschwerdeführerin in ihrem Gesuch gemachten Angaben (
Art. 8 ERGV
), die aber nicht mit den tatsächlichen Abmachungen zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Vertragspartner übereinstimmten. Danach hätte - nach Darstellung der Beschwerdeführerin - eine erste Zahlung erst 75 Tage nach Baubeginn erfolgen müssen.
Die Beschwerdeführerin meint, die unzutreffenden Angaben seien auf ein Versehen ihres Sachbearbeiters zurückzuführen, das durch die Rückfrage der Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie ausgelöst worden sei. Daraus kann die Beschwerdeführerin
BGE 116 Ib 65 S. 69
indessen nichts zu ihren Gunsten ableiten. Ihre zur Anzahlung in der "Grundsätzlichen Anfrage" gemachten Angaben waren unklar und mussten durch eine Rückfrage geklärt werden. Die Annahme der Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie, die Anzahlung betrage "19%" und sei "bei Vertragsabschluss" geschuldet, wurde von der Beschwerdeführerin in ihrem präzisierten Garantiegesuch bestätigt. Sie hat es sich selber zuzuschreiben, wenn sie diese Frage nicht anhand der Abmachungen mit ihrem ausländischen Vertragspartner überprüfte.
c) Gemäss dem bereinigten Gesuch der Beschwerdeführerin war die Anzahlung bei Vertragsabschluss zu leisten. Daraus, dass auf Seite 9 des Gesuchs vermerkt war "Erste Zahlung April 87", kann die Beschwerdeführerin nichts für sich ableiten. Sofern dies im Widerspruch zu den auf Seite 8 vermerkten Zahlungsbedingungen stehen sollte, hätte dies in erster Linie die Beschwerdeführerin selbst merken müssen. Seite 9 des Gesuchs handelt von den mutmasslichen Risiken während der Bauzeit. In diesem Zusammenhang hatten die Behörden keine - im Widerspruch zur vorhergehenden Seite stehenden - Angaben über den Zeitpunkt der Anzahlung zu suchen. Allenfalls konnte damit auch eine erste Teilzahlung (eben nach Baubeginn, wo man nicht mehr von "Anzahlung" spricht) gemeint sein.
Aus der Garantieverfügung vom 5. März 1987 ergibt sich eindeutig, dass gestützt auf das Gesuch der Beschwerdeführerin die Anzahlungssumme von der Garantie ausgeschlossen war. Aus der dort festgehaltenen Berechnung des massgebenden Betrags ist ohne weiteres ersichtlich, dass die Anzahlung neben dem weiteren nicht garantierten Betrag von Fr. 585'000.-- vom Fakturabetrag abgezogen wurde. Zudem wird unter den zusätzlichen Bedingungen noch ausdrücklich gesagt: "Die Anzahlungsgarantie ist nicht gedeckt." Wenn die Beschwerdeführerin die massgebliche Verfügung vom 5. März 1987 richtig gelesen hat, musste sie - noch vor Baubeginn am 15. März - über den beschränkten Umfang der Garantie im Bilde sein.
d) Bei dieser Sachlage ist der Verlust durch das Ausbleiben der ersten Zahlung von Fr. 743'850.-- von der Garantieverfügung nicht gedeckt, und die Kommission für die Exportrisikogarantie hat die Leistungspflicht des Bundes zu Recht abgelehnt.
3.
a) Die den Betrag von Fr. 743'850.-- übersteigenden Verluste sind demgegenüber Gegenstand der Garantieverfügung. Allerdings fragt sich diesbezüglich, ob die Leistungspflicht zu
BGE 116 Ib 65 S. 70
verneinen ist, weil die Beschwerdeführerin ihr obliegende Verpflichtungen nicht erfüllt hat (
Art. 18 ERGV
).
b) Nach
Art. 10 ERGG
und
Art. 16 ERGV
hat der Exporteur und Garantienehmer alle durch die Umstände gebotenen Massnahmen zu treffen, um einen Verlust zu vermeiden. Zu diesen Sicherungsmassnahmen gehören alle Vorkehren zur Verhütung oder Beschränkung von Verlusten im Sinne einer sorgfältigen Geschäftsführung, wie Teilzahlung vor Ablieferung, gestaffelte Lieferungen usw. Damit ist in erster Linie die Abwicklung des Geschäfts (nach der Garantieerteilung) gemeint. Eine fehlerhafte Abwicklung läge dann vor, wenn trotz der Vereinbarung einer - echten - Anzahlung vor deren Leistung mit den Bauarbeiten begonnen worden wäre.
Nun ist aus den Akten nicht ersichtlich, was diesbezüglich "vereinbart" war. Ein Vertrag liegt nicht vor, sondern lediglich ein Auszug aus dem Decret Nr. 86/903 vom 18. Juli 1986 der Republik K. Darin ist von "Acomptes" die Rede, es ist aber nicht klar, ob es sich dabei um "Anzahlungen" im Sinne des oben beschriebenen Verständnisses handelt, das heisst ob die entsprechenden Zahlungen vor Baubeginn zu leisten wären.
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, die Anzahlung sei zwar geschuldet, aber erst 75 Tage nach dem "Ordre de service", worunter der Baubeginn zu verstehen sei, fällig. Dies ergibt sich jedoch nicht aus den zitierten Dekretsbestimmungen.
Gemäss Schreiben der Beschwerdeführerin vom 27. Oktober 1987 erhielt sie den "Ordre de service pour commencer le travail" am 16. Februar 1987. Das Ausstellungsdatum dieses "Ordre de service" sei zugleich das Datum des offiziellen Baubeginns. Die Bauarbeiten respektive Bauinstallationen seien am 15. März 1987 begonnen worden. Der effektive Baubeginn fiel demnach mit dem "offiziellen" Baubeginn nicht zusammen. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin berechtigte der letztere (Ordre de service) zur Forderung der Anzahlung. Das Prozedere bis zur Bezahlung dauere aber im Normalfall circa 2 Monate (was aus den zitierten Dekretsbestimmungen abgeleitet wird). Nach Auffassung der Beschwerdeführerin konnte aufgrund ihrer vertraglichen Vereinbarungen mit der Bauherrin - die indes den Verwaltungsbehörden so wenig wie heute dem Bundesgericht vorlagen - nicht erst nach der Anzahlung mit dem Bau angefangen werden, nachdem die vertragsgemässe Bauzeit bereits offiziell zu laufen begonnen hatte. Ein solches Vorgehen
BGE 116 Ib 65 S. 71
hätte anscheinend vertraglich unzulässige Terminüberschreitungen mit sich gebracht.
Diese Darlegungen der Beschwerdeführerin sind schwer nachvollziehbar und jedenfalls auf der Grundlage der vorhandenen Akten nicht kontrollierbar. Wie es sich damit tatsächlich verhält, kann jedoch offen bleiben.
c) Gemäss
Art. 9 ERGG
sind Exporteur und Garantienehmer verpflichtet, die zur Beurteilung des Exportgeschäftes nötigen Angaben zu liefern. Nach
Art. 10 Abs. 2 ERGV
haben sie alle Umstände und Vorkommnisse zu melden, von denen sie annehmen müssen, dass sie für die Gewährung der Garantie von Bedeutung sind.
Dies trifft nun aber gerade für die Verabredung einer Anzahlung zu, und zwar nicht nur, weil die Anzahlung von der Garantie ausgenommen werden kann (
Art. 5 Abs. 3 ERGV
). Vielmehr ist die Vereinbarung - und spätere Durchsetzung - einer Anzahlung an sich ein Faktor, der das Risiko eines Garantiefalles günstig beeinflusst. Bleibt nämlich die Anzahlung aus, kommt es überhaupt nicht zum Baubeginn.
Zwar ist nicht bekannt, ob die Risikogarantie stets von der Verabredung einer Anzahlung abhängig gemacht wird, was gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Ebenfalls ist unbekannt, ob die Garantie im vorliegenden Fall nicht erteilt worden wäre, wenn klar gewesen wäre, dass die sogenannte Anzahlung erst 75 Tage nach Vertragsabschluss fällig wurde und dies nach den Umständen des Vertrags erst nach Baubeginn der Fall sein könnte. Dies ist indessen nicht von Belang. Im vorliegenden Fall gaben die zuständigen Behörden immer eindeutig zu erkennen, dass die Angaben im Garantiegesuch einen Bestandteil der Garantie selbst bildeten. Entsprechend lautete auch die Verfügung vom 5. März 1987.
d) Für die Beurteilung der vorliegenden Streitfrage ist einzig und allein die Garantieverfügung vom 5. März 1987 von Bedeutung. Im Gegensatz zum Privatversicherungsrecht ist die gesetzliche Regelung der Exportrisikogarantie rudimentär, und es gibt keine allgemeinen Vertragsbedingungen des "Versicherers". Auch wird bei der Exportrisikogarantie nicht eine unbestimmte Anzahl möglicher Schadenereignisse versichert, sondern es wird je für eine ganz konkrete Vertragsabwicklung die Garantie für die daraus fliessenden Zahlungsansprüche übernommen. Das Garantiegesuch hat daher nicht nur die Bedeutung eines Antrags zum Abschluss eines Versicherungsvertrags. Es spurt vielmehr die
BGE 116 Ib 65 S. 72
Sonderbestimmungen in der Garantie selbst vor, welche die Art regeln, wie der zu garantierende Vertrag abzuwickeln ist.
Im vorliegenden Fall deckte sich diese Regelung mit den Angaben im Gesuch. Daraus ergab sich, dass eine Anzahlung bei Vertragsabschluss zu leisten war. Selbst wenn man der These der Beschwerdeführerin folgt, dass die Anzahlung erst nach Vertragsabschluss hätte geleistet werden müssen, so hätte dies begriffsnotwendig vor oder spätestens mit der Gegenleistung, das heisst mit dem Baubeginn, geschehen sollen. Daran hatte sich die Beschwerdeführerin bei der Abwicklung des Geschäftes, für welches sie Garantie beanspruchen wollte, zu halten. Dies gilt unabhängig davon, ob die vertraglichen Abmachungen mit der Bauherrschaft allenfalls anders lauteten; denn nicht diese Vereinbarungen, sondern die diesbezüglich gemachten Angaben im Gesuch bildeten die Grundlage der Garantie.
e) Gemäss
Art. 18 Abs. 1 ERGV
prüft die Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie bei Anmeldung eines Verlustes insbesondere, ob der Garantienehmer die ihm obliegenden Verpflichtungen erfüllt hat. Zu diesen Verpflichtungen gehören nicht nur die Sicherungsmassnahmen im Sinne von
Art. 10 ERGG
und
Art. 16 ERGV
sowie die Auskunfts- und Anzeigepflicht gemäss
Art. 9 ERGG
und
Art. 10 Abs. 2 ERGV
, sondern auch die Einhaltung jener Verpflichtungen, die sich aus der Garantie und dem dieser zugrundeliegenden Gesuch ergeben. Werden diese Verpflichtungen nicht erfüllt, entfällt die Garantie.
Es kommt daher im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die unzutreffenden Angaben im Gesuch über die Anzahlung für die Erteilung der Garantie kausal waren, sondern dass diese zum Inhalt der Garantie wurden. Daran hatte sich die Garantienehmerin zu halten. Wenn dies die Beschwerdeführerin getan hätte, wäre ein Schaden nicht eingetreten, denn dann wäre die Illiquidität des Staates K. schon durch die Nichtleistung der Anzahlung manifest geworden und die Bauarbeiten wären gar nicht aufgenommen worden. Die Kausalität richtet sich demnach nicht danach, ob auch ohne Anzahlung eine Garantie erteilt worden und in der Folge bei entsprechender Vertragsabwicklung der Schaden eingetreten wäre. Sie richtet sich vielmehr danach, dass kein Schaden eingetreten wäre, wenn sich die Beschwerdeführerin an die Garantiebestimmung gehalten hätte, wonach eine Anzahlung bei Vertragsabschluss (beziehungsweise jedenfalls vor Baubeginn) zu leisten war.
BGE 116 Ib 65 S. 73
f) Da sich die Beschwerdeführerin nicht an die Garantiemodalitäten gehalten hat, entfällt folglich die Leistungspflicht des Bundes überhaupt. Damit hat die Beschwerdeführerin auch keinen Anspruch auf Deckung des über die Anzahlungssumme hinausgehenden Schadens. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f45916e-fc08-4a4e-98a3-9c3f5911356c | Urteilskopf
98 IV 65
12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Februar 1972 i.S. Bing gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 18 Abs. 2 StGB
. Willenselement beim einfachen (direkten) Vorsatz.
An den Nachweis des Willens sind beim einfachen Vorsatz die gleichen Anforderungen zu stellen wie beim Eventualvorsatz. Es genügt, dass der deliktische Erfolg mitgewollt ist; er braucht nicht das vom Täter erstrebte Ziel zu sein. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 98 IV 65 S. 65
Aus dem Tatbestand:
A.-
Arthur Bing schloss am 11. Juni 1965 einen Vertrag mit der Triscal AG, in welchem er dieser für das Gebiet der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein das ausschliessliche Recht zur Verarbeitung der von der Antiperporan AG hergestellten Kunststoffe übertrug. Dabei verschwieg er, dass er im Jahre 1962 das Alleinvertretungsrecht für einen Teil der Schweiz anderen eingeräumt hatte und diese Verträge noch gültig waren.
B.-
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte deshalb Bing am 14. Mai 1971 wegen Betruges zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe.
C.-
Die gegen dieses Urteil eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher der Verurteilte unter anderem bestritt, mit Täuschungsvorsatz gehandelt zu haben, wurde vom Kassationshof abgewiesen.
BGE 98 IV 65 S. 66
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Zu Unrecht bestreitet der Beschwerdeführer, die Triscal AG vorsätzlich getäuscht zu haben. Ob er, wie er behauptet, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Triscal überzeugt und im guten Glauben gewesen sei, die im Jahre 1962 mit andern Partnern abgeschlossenen Konzessionsverträge seien längstens untergegangen, ist als innerer Vorgang Tatfrage. Die Vorinstanz hat sie verneint und in Würdigung der gesamten Umstände erklärt, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass die früher geschlossenen Verträge, mindestens ein Teil von ihnen, noch gültig waren. Damit ist das für den direkten Vorsatz erforderliche Wissen verbindlich festgestellt und auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht überprüfbar (
BGE 90 IV 78
Erw. 3, 120 Erw. 4).
Nach der weitern verbindlichen Feststellung der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer gebilligt, dass er sich über die bestehenden Verträge hinwegsetzte. Das kann nur dahin verstanden werden, dass er die im Verheimlichen der Verträge liegende Täuschung der Triscal AG in seinen Willensentschluss einbezogen, den eingetretenen Deliktserfolg also gewollt hat. Dass das Wort "billigen" ebenso wie die sachlich annähernd gleichbedeutenden Ausdrücke "in Kauf nehmen", "sich abfinden" u. dgl. im allgemeinen bei der Umschreibung des Willenselementes beim Eventualvorsatz gebräuchlich sind, ändert nichts. Der Eventualvorsatz unterscheidet sich vom einfachen oder direkten Vorsatz einzig durch das Wissen des Täters, indem er im ersten Fall den Eintritt des deliktischen Erfolges bloss für möglich hält, im zweiten dagegen als sicher voraussieht, während das Willenselement bei beiden Vorsatzformen in gleicher Weise erfüllt sein muss (
BGE 96 IV 99
/100). Gilt aber beim Eventualvorsatz zum Nachweis des Willens als ausreichend, dass der Täter den Erfolg in Kauf genommen hat, so ist nicht einzusehen, warum beim einfachen Vorsatz an den Nachweis des Willensmoments höhere Anforderungen gestellt werden sollten. Hiefür liegt umso weniger ein Grund vor, als sowohl beim einfachen Vorsatz wie beim Eventualvorsatz der deliktische Erfolg mit dem vom Täter erstrebten Ziel nicht übereinstimmen muss, sondern genügt, dass der Täter den deliktischen Erfolg, magihm dieser gleichgültig oder sogar unerwünscht sein, als notwendige Folge oder als Mittel zur Erreichung des
BGE 98 IV 65 S. 67
verfolgten Zwecks in seinen Entschluss miteinbezogen hat (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 3. Februar 1967 i.S. Ulmann; SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch, S. 92 Nr. 188; SCHULTZ, ZBJV 1967 S. 420; GERMANN, Das Verbrechen, S. 177/178; HAFTER, Allg. Teil, S. 119 Ziff. 2; LOGOZ, Kommentar zu
Art. 18, N 5
lit. bb, S. 65). Gerade um die Fälle, in denen der deliktische Erfolg bloss "mitgewollt" ist, zu erfassen, wird denn auch in der Literatur das Willensmoment des einfachen Vorsatzes von verschiedenen Autoren mit dem Ausdruck des Inkaufnehmens umschrieben (GERMANN a.a.O., SCHWANDER a.a.O., HAFTER a.a.O.). Umso weniger ist zu beanstanden, dass die Vorinstanz das Wort "billigen" verwendet, das den Sinn der Zustimmung noch stärker zum Ausdruck bringt. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8f4f5bae-64fc-4ef2-9385-a6a236c8e3e7 | Urteilskopf
80 III 128
28. Entscheid vom 30. August 1954 i. S. Itzin. | Regeste
Die Aufnahme einer Retentionsurkunde (
Art. 283 SchKG
) für die im Mietvertrag ausbedungene Instandstellungsentschädigung darf nicht abgelehnt werden (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 80 III 128 S. 129
Am 9. Juli 1953 vermietete Frau Itzin der Frau Buser eine Wohnung zum jährlichen Mietzins von Fr. 946. § 15 des Mietvertrages ("Basler Mietvertrag", Ausgabe 1952) bestimmt unter der Überschrift "Instandstellungsvereinbarung":
"Bei Beendigung der Miete hat der Mieter das Mietobjekt in besenreinem Zustand zurückzugeben. Der Vermieter übernimmt die ortsüblichen Instandstellungs-Arbeiten. Der Mieter bezahlt hiefür an den Vermieter eine Entschädigung von 7% des beim Auszug geltenden Jahresmietzinses.
Die Entschädigung ist spätestens einen Monat vor Mietbeendigung zahlbar...
Die Behebung allfälliger durch den Mieter verschuldeter Beschädigungen am Mietobjekt oder am Hause ist bis zum Auszug vorzunehmen.
Die Feststellung allfälliger Mängel, für die der Mieter verantwortlich gemacht wird, muss innert Monatsfrist nach Schlüsselrückgabe erfolgen. Die rechtliche Geltendmachung einer bezüglichen Forderung hat innerhalb 2 Monaten nach Schlüsselrückgabe zu erfolgen, ansonst Verzicht angenommen wird."
Mit Schreiben vom 24. Juni 1954 teilte die Mieterin der Vermieterin mit, dass sie am 2. Juli ausziehen werde. Hierauf stellte die Vermieterin am 1. Juli 1954 beim Betreibungsamte Basel-Stadt das Begehren um Aufnahme einer Retentionsurkunde für "fällige Instandstellung per 30. Juni 1954 Fr. 66.20". Das Betreibungsamt lehnte dieses Begehren gleichen Tages ab mit der Begründung, Instandstellungskosten seien nicht retentionsberechtigt. Gegen diese Verfügung führte die Vermieterin Beschwerde mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, ihrem Retentionsbegehren Folge zu geben. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 19. Juli 1954 abgewiesen mit der Begründung, das Betreibungsamt habe sich richtigerweise an die durchBGE 72 III 36vorgezeichnete Praxis gehalten, wenn auch fraglich sei, ob dieser von LAUTNER (Die Instandstellungsvereinbarung und die Rechtsnatur der Instandstellungsentschädigung des Mieters, Zürich 1953, bes. S. 85 ff.) kritisierte Entscheid dem Gesetzessinn gerecht werde.
Mit ihrem Rekurs an das Bundesgericht erneuert die Vermieterin ihren Beschwerdeantrag.
BGE 80 III 128 S. 130
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
InBGE 72 III 36ff. wurde angenommen, für Forderungen der hier in Frage stehenden Art bestehe unzweifelhaft kein Retentionsrecht, sodass dafür kein Retentionsverzeichnis aufzunehmen sei. An dieser Auffassung kann bei erneuter Prüfung, zu der die daran geübte Kritik Anlass gibt, nicht festgehalten werden. Die Entschädigung, die § 15 Abs. 1 des Basler Mietvertrags durchaus im Rahmen der nach
Art. 19 OR
herrschenden Parteiautonomie vorsieht, ist eine genau bestimmte Geldleistung, die der Vermieter einen Monat vor Beendigung des Mietverhältnisses unmittelbar auf Grund des Vertrags, als Vertragserfüllung, fordern kann. Der Umstand, dass sie als Entgelt für die Übernahme der ortsüblichen Instandstellungsarbeiten durch den Vermieter bezeichnet ist, verbietet nicht, sie als einen Teil der Gegenleistung zu betrachten, die der Mieter dem Vermieter gemäss Vertrag für die Überlassung des Gebrauchs der Mietsache schuldet. Sie lässt sich daher ohne Zwang unter den Begriff des Mietzinses ziehen. Selbst wenn man aber nur die in § 2 des Vertrags ausdrücklich als Mietzins versprochene periodische Leistung als solchen gelten lassen will, lässt sich im Hinblick aufBGE 63 II 368ff. (insbesondere Erw. 9 S. 379 ff.) die Ansicht vertreten, dass für die Entschädigung im Sinne von § 15 Abs. 1 dennoch das Retentionsrecht zu gewähren sei. Gehört diese Entschädigung nicht zum Mietzins, so darf sie nämlich doch wohl wenigstens als mietzinsähnliche Leistung anerkannt werden. Gegen die Annahme, dass sie Schadenersatzcharakter habe, spricht die Tatsache, dass sie nicht infolge vertragswidrigen Verhaltens (wegen Beschädigung der Mietsache oder wegen Unterlassung von dem Mieter obliegenden Instandstellungsarbeiten) geschuldet wird, sondern dem Vermieter bei Beendigung des Mietverhältnisses nach Vertrag ohne weiteres und unter allen Umständen zukommt, und dass sich der
BGE 80 III 128 S. 131
Mieter, indem er sie zahlt, nicht von der Pflicht befreit, die durch unsorgfältige Behandlung der Mietsache entstandenen Schäden zu beheben bezw. dem Vermieter die Kosten dieser Reparaturen zu ersetzen (vgl. § 15 Abs. 3 und 4 des Vertrages). Da sie zum voraus ziffernmässig bestimmt ist, trifft auf sie auch die sachliche Erwägung nicht zu, die sich neben der Entstehungsgeschichte von
Art. 272 OR
gegen die Gewährung des Retentionsrechts für Schadenersatzforderungen ins Feld führen lässt: dass die Einräumung eines solchen Rechts für bestrittene Forderungen, die nicht vertraglich bestimmt sind, sondern vom Richter beziffert werden müssen, zu unerwünschten Schwierigkeiten bei der Anwendung von
Art. 274 OR
und Art. 283/284 SchKG führen könnte.
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, für die streitige Forderung bestehe unzweifelhaft kein Retentionsrecht. Dem Retentionsbegehren der Rekurrentin ist daher Folge zu geben (womit dem Entscheid, den der ordentliche Richter im Falle der Bestreitung des Retentionsrechts durch Rechtsvorschlag zu treffen haben wird, nicht vorgegriffen wird). Zu einem greifbaren Ergebnis kann der Retentionsvollzug freilich nur führen, wenn sich in den Mieträumen, welche die Mieterin nach ihrem Schreiben vom 24. Juni am 2. Juli zu verlassen beabsichtigte, noch retinierbare Gegenstände finden.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Betreibungsamt Basel-Stadt angewiesen, für die Instandstellungsentschädigung gemäs § 15 des Mietvertrags ein Retentionsverzeichnis aufzunehmen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f5126f4-6ec2-4549-8497-a366f7fa29bf | Urteilskopf
136 I 39
4. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bezirk K. und Mitb. gegen M. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_158/2009 vom 2. September 2009 | Regeste
Art. 66 Abs. 4 BGG
; Kostenpflicht des Gemeinwesens.
Das Gemeinwesen, welches als Arbeitgeber in seinen Vermögensinteressen betroffen ist, ist nicht von Gerichtskosten befreit (E. 8.1.4). | Erwägungen
ab Seite 40
BGE 136 I 39 S. 40
Aus den Erwägungen:
8.
8.1
8.1.1
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 f. BGG). Nach
Art. 66 Abs. 1 BGG
werden die Gerichtskosten in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie den mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis und, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist (
Art. 66 Abs. 4 BGG
). Es stellt sich demnach die Frage, ob den unterliegenden Bezirken und Gemeinden die Gerichtskosten aufzuerlegen sind.
8.1.2
Bereits unter dem alten Recht durften gemäss
Art. 156 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 574)
"dem Bund, Kantonen oder Gemeinden, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis und ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen, oder gegen deren Verfügungen in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist", in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden. Nach der Rechtsprechung hatten als Arbeitgeber in ihren Vermögensinteressen betroffene Gemeinden unter der Herrschaft des OG in personalrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich allfällige Gerichtskosten zu tragen (
BGE 124 I 223
E. 3 S. 230; 2P.137/2005 vom 17. Oktober 2005 E. 5; 2P.104/2004 vom 14. März 2005 E. 9.1.1; 2P.133/2001 vom 6. September 2001 E. 3). Eine Ausnahme bildete indessen beispielsweise
Art. 13 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151.1)
, welcher in der bis 31. Dezember 2006 gültig gewesenen Fassung ausdrücklich Kostenfreiheit vorsah. Kostenfrei waren zudem auch personalrechtliche Streitigkeiten, welche keine vermögensrechtlichen Interessen der Gemeinde tangierten (Urteil 2P.46/2006 vom 7. Juni 2006 E. 5).
8.1.3
Die Grundsätze der Kostentragungspflicht vor Bundesgericht (
Art. 66 BGG
) sind weitgehend vom bisherigen Recht übernommen
BGE 136 I 39 S. 41
worden (Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4202, 4305 Ziff. 4.1.2.10;
BGE 133 V 642
E. 5.3 S. 463). Kostenpflichtig ist gemäss
Art. 66 BGG
grundsätzlich die unterliegende (Abs. 1) oder die unnötig Kosten verursachende (Abs. 3) Partei. Diese Regel kennt ausdrücklich erwähnte Ausnahmen: Von den Gerichtskosten befreit sind Bund, Kantone und Gemeinden sowie - neu - die mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen, sofern sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis handeln und es nicht um ihr Vermögensinteresse geht (Abs. 4). Diese drei Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 23 zu
Art. 66 BGG
; THOMAS GEISER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 26 ff. zu
Art. 66 BGG
; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 48 zu
Art. 66 BGG
). Das Bundesgericht kann die Gerichtskosten anders verteilen oder auf die Kostenerhebung verzichten, wenn es die Umstände rechtfertigen (Abs. 1 zweiter Satz). Zudem kann es auf die Erhebung der Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichten, wenn ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt wird (Abs. 2).
8.1.4
Unter der Herrschaft von
Art. 66 Abs. 4 BGG
ist, soweit ersichtlich, kein Entscheid ergangen, welcher sich ausdrücklich mit der Kostenpflicht der in personalrechtlichen Streitigkeiten in ihren Vermögensinteressen betroffenen Gemeinden befasst hat. Im Urteil 1C_183/2007 vom 5. Februar 2008 E. 6, nicht publ. in:
BGE 134 I 204
, in welchem die Höhe des der Beschwerdegegnerin zugesprochenen Entschädigungsanspruchs zur Diskussion stand, hat das Bundesgericht von einer Erhebung von Gerichtskosten zu Lasten einer unterliegenden, Beschwerde führenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft abgesehen, ohne dies jedoch näher zu begründen. Es ist indessen kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, bezüglich eines als Arbeitgeber in seinen Vermögensinteressen betroffenen Gemeinwesens von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen (vgl. in diesem Sinne auch SEILER, a.a.O., N. 53 zu
Art. 66 BGG
). Im vorliegenden Fall haben sich die Beschwerdeführer in einer Sache ans Bundesgericht gewandt, in welcher sie bei Abweisung der Beschwerde dem Beschwerdegegner eine Entschädigung auszurichten haben. Da somit die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes von
Art. 66 Abs. 4 BGG
nicht erfüllt sind, haben die unterliegenden Beschwerdeführer die Gerichtskosten unter solidarischer Haftung zu tragen (
Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG
). | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f5ac5e3-b687-4c04-9c34-52779d6319db | Urteilskopf
89 I 1
1. Urteil vom 27. Februar 1963 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Basel-Landschaft. | Regeste
Armenrecht.
Art. 4 BV
.
Wird ein Kind von seinem Vater auf Anfechtung der Ehelichkeit belangt und ist ihm daher zur Wahrung seiner Interessen im Prozess gemäss
Art. 392 Ziff. 2 ZGB
ein Beistand zu ernennen, so ist dieses Amt einer Person zu übertragen, die den Prozess selber führen kann. Nur wenn eine solche im Vormundschaftskreise nicht zu finden ist, hat das Kind Anspruch auf Beigabe eines Armenanwaltes. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 89 I 1 S. 1
A.-
X. hat gegen seine Ehefrau und den von ihr am 19. März 1962 geborenen Knaben D. X., alle wohnhaft in Basel, beim Bezirksgericht Waldenburg (BL) als dem
BGE 89 I 1 S. 2
Gerichtsstand seiner Heimat Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes eingereicht. Zur Wahrung der Interessen des Kindes in diesem Prozess bestellte ihm die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt in Anwendung von
Art. 392 Ziff. 2 ZGB
einen Beistand in der Person des Amtsvormunds Y., welcher seinerseits den im Kanton Basel-Landschaft niedergelassenen Advokaten Z. mit der Prozessführung beauftragte. Dieser ersuchte das Bezirksgericht, ihn zum unentgeltlichen Rechtsbeistand des Kindes zu ernennen, wurde aber abgewiesen.
Eine Beschwerde hiegegen wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Beschluss vom 18. Dezember 1962 ab.
B.-
Gegen diesen Entscheid hat Advokat Z. namens des Kindes D. X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
erhoben mit dem Antrag, den Entscheid aufzuheben und dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Verbeiständung zu bewilligen. Er wirft dem Obergericht sowohl Verletzung des unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden bundesrechtlichen Armenrechtsanspruchs als auch willkürliche Anwendung des
§ 75 ZPO
vor.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Staatsrechtliche Beschwerden wegen (gänzlicher oder teilweiser) Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege haben rein kassatorische Funktion (
BGE 85 I 3
Erw. 1). Soweit der Beschwerdeführer das Bundesgericht nicht nur um Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern auch noch um Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung ersucht, ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten.
2.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die mittellose Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess unmittelbar auf Grund von
Art. 4 BV
einen Anspruch darauf, dass ihr ein unentgeltlicher Rechtsbeistand (Armenanwalt) beigegeben werde, wenn sie eines
BGE 89 I 1 S. 3
solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Rechte bedarf (
BGE 78 I 195
Erw. 2 und dort angeführte frühere Urteile,
BGE 85 I 3
Erw. 2). In ähnlicher Weise bestimmt § 75 der basellandschaftl. ZPO, dass die bedürftige Partei, deren Sache nicht zum vornherein als trölerisch erscheint (
§ 71 Abs. 1 ZPO
), Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand hat, soweit eine Vertretung zulässig und "angezeigt" erscheint. Die Anwendung des kantonalen Rechts kann das Bundesgericht nur auf Willkür hin nachprüfen. Dagegen überprüft es, soweit der bundesrechtliche Armenrechtsanspruch im Streite liegt, den angefochtenen Entscheid in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich frei (
BGE 78 I 195
Erw. 2).
3.
Es ist nicht streitig, dass der Beschwerdeführer mittellos ist, dass die Prozessführung jedenfalls zur Zeit für ihn nicht aussichtslos ist und dass er seine Rechte im Prozess nicht selber wahren kann. Streitig ist einzig, ob das Obergericht annehmen durfte, er bedürfe deshalb keines Armenanwaltes, weil die Vormundschaftsbehörde ihm einen Beistand gemäss
Art. 392 Ziff. 2 ZGB
bestellt habe und dieser fähig sei, den Prozess für ihn zu führen. Inwieweit das Bundesgericht diese Frage frei oder nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür prüfen kann (vgl. inbezug auf die Frage der Bedürftigkeit:
BGE 67 I 68
), kann dahingestellt bleiben, da die Beschwerde, wie die nachfolgenden Erwägungen ergeben werden, auch bei freier Prüfung nicht gutgeheissen werden kann.
4.
Da der Vater und gesetzliche Vertreter des unmündigen Beschwerdeführers in dem gegen diesen (und dessen Mutter) beim Bezirksgericht Waldenburg eingeleiteten Zivilprozess Interessen hat, die denen des Beschwerdeführers widersprechen, musste die Vormundschaftsbehörde seines Wohnsitzes Basel dem Beschwerdeführer nach
Art. 392 Ziff. 2 ZGB
für diesen Rechtsstreit einen Beistand bestellen. Angesichts dieser Beistandsbestellung hat das Obergericht das Bedürfnis des Beschwerdeführers nach
BGE 89 I 1 S. 4
einem Armenanwalt verneint in der Annahme, dass der eigens zur Prozessführung ernannte Beistand als zur Erfüllung dieser Aufgabe fähig betrachtet werden dürfe, zumal er Amtsvormund sei, in Ehelichkeitsprozessen "eine Art Offizialmaxime" herrsche und überdies
§ 97 Abs. 2 ZPO
Vorschriften zum Schutze der rechtsunkundigen Partei aufstelle.
a) Die Führung eines Ehelichkeitsanfechtungsprozesses in dem hier angeordneten schriftlichen und grundsätzlich von der Eventualmaxime (
§
§ 102 und 120 ZPO
) beherrschten Verfahren erfordert Rechtskenntnisse, über die in der Regel nur der Jurist verfügt. In einem solchen Prozess braucht die rechtsunkundige Person nur dann keinen Anwalt, wenn der Prozess keine besonderen Schwierigkeiten bietet und im Untersuchungsverfahren durchgeführt wird (
BGE 78 I 5
Erw. 3). Ob letzteres im Kanton Baselland zutrifft, erscheint nach den Ausführungen des Obergerichts als zweifelhaft. Nicht unbedenklich ist auch, dass das Obergericht trotz der Einwendung des Beistands, er sei rechtsunkundig und nicht in der Lage, Prozesse überhaupt und gar vor einem ausserkantonalen Gericht zu führen, ohne weiteres annimmt, er sei "mit der Materie weitgehend vertraut" und zur Prozessführung fähig. Ob diese Betrachtungsweise vor
Art. 4 BV
standhält, kann indessen dahingestellt bleiben, da die Beschwerde auch dann abzuweisen ist, wenn der zum Beistand des Beschwerdeführers ernannte Amtsvormund nicht fähig sein sollte, den Ehelichkeitsanfechtungsprozess selber zu führen.
b) Im Falle W. (Urteil des Bundesgerichts vom 14. November 1956, abgedruckt in BJM 1957 S. 126) hatte es das Obergericht abgelehnt, einen Anwalt, welcher Vormund der in Basel wohnhaften und entmündigten Partei war, dieser zum Armenanwalt zu bestellen. Eine hiegegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde, bei welcher es nicht mehr um den bundesrechtlichen Armenrechtsanspruch, sondern nur noch um die Anwendung von
§ 75
BGE 89 I 1 S. 5
ZPO
ging, wies das Bundesgericht ab, da jedenfalls ohne Willkür angenommen werden könne, dass eine Partei, deren gesetzlicher Vertreter (Vater des Kindes, Vormund des Mündels usw.) oder deren Beistand rechtskundig ist, keinen Anspruch auf einen Armenanwalt habe (Erw. 4). Hieraus lässt sich indes für den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres durch Umkehrschluss ableiten, dass dem Beschwerdeführer dann, wenn der gegen ihn eingeleitete Prozess von seinem Beistand nicht richtig geführt werden kann, ein Armenanwalt beigegeben werden muss.
Nach dem gemäss
Art. 397 Abs. 1 ZGB
auch auf die Beistandschaft anwendbaren
Art. 379 ZGB
ist als Beistand eine Person zu ernennen, die zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe geeignet ist. Der bei einer Interessenkollision gemäss
Art. 392 Ziff. 2 ZGB
zu bestellende Beistand hat den gesetzlichen Vertreter in der betreffenden Angelegenheit zu ersetzen (EGGER N. 25 zu
Art. 392 ZGB
). Im Falle eines Rechtsstreites eines Vaters mit seinem Kinde besteht daher die Aufgabe des Beistandes ausschliesslich in der Vertretung des Kindes in diesem Prozesse. Erschöpft sich aber die Tätigkeit des Beistandes in der Prozessführung (was für das Amt des Vormundes wie auch für die Aufgabe des dem ausserehelichen Kind nach
Art. 311 ZGB
zu ernennenden Beistands in der Regel nicht zutrifft), so versteht es sich von selbst, dass die Vormundschaftsbehörde als Beistand eine Person zu ernennen hat, die den Prozess selber führen kann, sofern eine solche im Vormundschaftskreis zu finden ist. Sie darf nicht einen zur Prozessführung zum vornherein unfähigen Beistand ernennen und es dem Gericht überlassen, zur gehörigen Wahrung der Interessen des Verbeiständeten im Prozess diesem einen Armenanwalt zu bestellen (abweichend ein Entscheid des Regierungsrats des Kantons Bern in MBVR 1939 S. 15). Das würde darauf hinauslaufen, eine nach
Art. 392 Ziff. 2 ZGB
der Vormundschaftsbehörde obliegende Aufgabe und die damit verbundenen Kosten in unzulässiger Weise auf eine andere
BGE 89 I 1 S. 6
Behörde, hier auf ein ausserkantonales Gericht, abzuwälzen.
Wie in der Beschwerde zugegeben wird und sich aus dem Staatskalender Basel-Stadt 1962 ergibt, verfügt die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt über eine Reihe rechtskundiger Amtsvormünder und Beamter. Selbst wenn ihre Zahl, wie der Beschwerdeführer behauptet, aber nicht näher belegt, nicht ausreichen sollte, um sie alle Vaterschafts- und Ehelichkeitsanfechtungsprozesse führen zu lassen, durfte die Vormundschaftsbehörde deshalb nicht einfach auf einen rechtsunkundigen Beamten greifen. Vielmehr hätte sie eine andere, im Vormundschaftskreis wohnhafte und zur Führung des Ehelichkeitsprozesses vor Bezirksgericht Waldenburg fähige Person zum Beistand ernennen sollen. Dies wäre zweifelhaft ohne weiteres möglich gewesen, ist es doch notorisch, dass zahlreiche basel-städtische Anwälte regelmässig vor den Gerichten des Nachbarkantons Basel-Landschaft Prozess führen. Gewiss sind Fälle denkbar, wo sich im Vormundschaftskreis kein geeigneter Beistand finden lässt, so z.B. wenn der Prozess in einem weit abgelegenen Kanton zu führen ist, mit dessen Prozessrecht kein im Vormundschaftskreis wohnender Anwalt vertraut ist. So mag es sich im FalleBGE 78 I 1ff. verhalten haben, wo die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt in einem vor Bezirksgericht Unterrheintal (SG) hängigen Ehelichkeitsanfechtungsprozess unmittelbar einen im Gerichtsbezirk wohnhaften Anwalt zum Beistand des in Basel wohnenden Kindes ernannt hatte. Das Bundesgericht hat die von diesem gegen die Verweigerung des Armenrechts erhobene Beschwerde zwar abgewiesen, weil der Prozess im Untersuchungsverfahren geführt werde und einstweilen keine Schwierigkeiten biete; es hat jedoch beigefügt, dass dem Gesuch um Bestellung eines Armenanwaltes im Falle des Eintritts von Komplikationen entsprochen werden müsse (obwohl der Regierungsrat des Kantons St. Gallen der Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt das Recht abgesprochen hatte, durch
BGE 89 I 1 S. 7
die Wahl eines Anwalts zum Beistand den Kanton St. Gallen zu dessen Honorierung zu zwingen). Hier liegt indes, wie ausgeführt, kein Grund vor, der den Beizug eines ausserkantonalen Anwaltes rechtfertigen könnte. Sollte der zum Prozessbeistand bestellte Amtsvormund zur Prozessführung nicht fähig sein und seine ganze Tätigkeit sich daher auf die Beauftragung eines Anwaltes mit der Prozessführung beschränken müssen, so hätte die Vormundschaftsbehörde entweder den vom Amtsvormund beigezogenen Anwalt selber zu entschädigen oder aber eine andere, für ihre Aufgabe besser geeignete Person aus dem Vormundschaftskreis zum Beistand zu ernennen. Sie kann sich ihrer Pflicht, einen zur Prozessführung geeigneten Beistand zu bestellen, und den damit gegebenenfalls verbundenen Kosten nicht dadurch entziehen, dass sie diese mit dem Begehren um Bestellung eines Armenanwaltes auf das ausserkantonale Gericht abwälzt, weshalb die angefochtene Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung weder den bundesrechtlichen Armenrechtsanspruch noch
§ 75 Abs. 1 ZPO
verletzt.
Die Frage, ob die Praxis des Obergerichts im Gegensatz zu derjenigen der Gerichte aller andern Kantone stehe, wie in der Beschwerde behauptet, jedoch (es wird nur ein einziges Beispiel genannt) nicht dargetan wird, ist unerheblich und kann daher offen bleiben. Auch wenn die Gerichte einiger oder aller andern Kantone weitherziger sein sollten, so ändert das nichts daran, dass jedenfalls im vorliegenden Falle die Nichtbewilligung eines Armenanwalts vor
Art. 4 BV
standhält und die Beschwerde sich als unbegründet erweist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8f5b8086-6a9f-4782-baa0-73e0724eee4a | Urteilskopf
124 IV 241
40. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 14 décembre 1998 dans la cause N. SA contre Tribunal d'accusation du Tribunal cantonal vaudois (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 7 Abs. 1 StGB
in Verbindung mit
Art. 138 und 146 StGB
; Ort der Begehung bei Veruntreuung oder Betrug.
Die Schädigung des Vermögens durch eine Veruntreuungs- oder Betrugshandlung stellt einen Erfolg im Sinne von
Art. 7 Abs. 1 StGB
dar. Dieser Erfolg ist in der Schweiz eingetreten, wenn das Opfer der Schädigung eine AG mit Sitz in der Schweiz ist, und zwar auch dann, wenn sich der Grossteil der deliktischen Handlung im Ausland abgespielt hat (E. 4c bis d). | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 124 IV 241 S. 241
N. SA se dit victime d'escroquerie ou d'abus de confiance dans le cadre de cargaisons de viande de poulet livrées à des sociétés russes à St-Pétersbourg. Le Juge d'instruction de l'arrondissement de Lausanne a refusé de suivre à la plainte de N. SA. Le Tribunal
BGE 124 IV 241 S. 242
d'accusation du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours de N. SA contre le refus de suivre, considérant que le résultat de l'infraction (dont la réalisation n'était pas exclue) ne s'était pas produit en Suisse.
Les faits sont décrits en détail aux considérants 2 et 3 ci-dessous.
Le Tribunal fédéral a admis la demande de restitution (
art. 35 OJ
), ainsi que le pourvoi en nullité dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Délai de recours).
2.
Le Tribunal d'accusation a constaté l'état de fait suivant.
La recourante, dont le siège est à Lausanne, a acheté environ 2'245 tonnes de poulet au Brésil, au mois de juillet 1997. Cette marchandise devait être acheminée à St-Pétersbourg pour y être vendue. Alors que le navire prévu pour le transport était déjà affrété, la compagnie française intéressée à la transaction s'est retirée. La plaignante a dû ainsi faire appel à la société russe A. Ltd, représentée par W. Il a été convenu, lors d'une réunion tenue le 18 juillet 1997 à Paris, que A. Ltd assumerait le déchargement, le dédouanement, la livraison et la facturation d'une partie de la cargaison aux clients russes de la plaignante; les sommes encaissées devaient ensuite être rétrocédées à celle-ci. Aux dires de cette dernière, A. Ltd aurait conservé indûment la majeure partie des montants encaissés.
De plus, W. a demandé à la plaignante d'organiser une seconde livraison de poulet destinée à la Russie, pour le mois d'octobre 1997. En raison de l'attitude équivoque de ses partenaires de A. Ltd, la plaignante a finalement choisi de vendre la marchandise de ce nouveau transport à d'autres sociétés russes. Le 20 novembre 1997, la cargaison est parvenue à St-Pétersbourg où elle aurait été saisie de force par la police, agissant sur un ordre de complaisance, puis remise à la société R.
En droit, l'autorité cantonale a considéré que les crimes d'abus de confiance, de vol, subsidiairement d'escroquerie au préjudice de la plaignante n'étaient pas exclus mais que ces infractions n'avaient pas été commises en Suisses. En effet W., ses éventuels complices et la police de St-Pétersbourg ont exercé l'essentiel de leur activité prétendument délictueuse en Russie. De même, l'enrichissement recherché et l'appauvrissement de la victime se seraient produits dans ce pays. Il ne serait pas possible d'admettre que le résultat s'est produit en Suisse, au sens de l'
art. 7 CP
, pour le seul motif que le
BGE 124 IV 241 S. 243
compte bancaire de la plaignante dans notre pays n'a pas été crédité des montants correspondant à la valeur des marchandises indûment livrées ou soustraites en Russie.
3.
La recourante invoque la violation des
art. 3 et 7 CP
, éventuellement de l'
art. 5 CP
. D'après elle, le résultat de l'abus de confiance ou de l'escroquerie dont elle est victime s'est produit en Suisse en ce sens que l'appauvrissement s'y est concrétisé. Elle cite l'
ATF 117 Ib 210
consid. 3b/cc et affirme que le considérant contraire du Tribunal d'accusation vide l'
art. 7 CP
de son sens et de son but.
Sur le plan des faits, la plaignante ajoute que le 10 juillet 1997 une réunion avait eu lieu à Zurich entre son président et W. représentant des sociétés A. Ltd et I.; C. y assistait également. Une seconde rencontre a eu lieu à Paris. Un contrat a été signé quelques jours plus tard. Il mentionne que I. Co Ltd se trouve à Londres et A. Ltd à Moscou. Lors des négociations contractuelles ces sociétés étaient représentées par Messieurs V. et S. père et fils. Les marchandises livrées aux clients de la plaignante ont permis à A. Ltd d'encaisser 3'870'000 $ US. Seuls 459'416,43 $ US ont été rétrocédés à N. SA. Le 5 janvier 1998, A. Ltd a admis tacitement avoir reçu cette somme, mais a estimé ses frais et coûts à 3,698 millions de $ US. La plaignante s'est aperçue que I. n'avais jamais été enregistrée à Londres et que A. Ltd n'a pas de siège social à Moscou. Le montage des sociétés a été effectué par B., citoyen russe domicilié à New York. Plusieurs personnes ont été tuées à St-Pétersbourg pour s'être opposées à A. Ltd et I. Le mandataire de la plaignante dans cette ville a vu son appartement dynamité; de graves menaces ont été proférées à l'égard d'un juge et d'un autre mandataire de N. SA. Aucun avocat n'a accepté de défendre celle-ci à St-Pétersbourg. Un avocat a été désigné à Moscou, après des interventions diplomatiques suisses. Le 10 septembre 1998, le Président de la Confédération et l'ambassadeur de Suisse à Moscou ont fait part au maire de St Pétersbourg de leur mécontentement pour le comportement ambigu de la police municipale, qui avait arraisonné arbitrairement une cargaison propriété d'une société suisse.
La recourante requiert ainsi l'assistance des autorités pénales suisses en raison de la situation désespérante qui mettrait en cause son existence même.
4.
a) Si la Cour de céans juge le pourvoi fondé, en ce qui concerne l'action pénale, elle annule la décision attaquée et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour qu'il soit statué à nouveau (
art. 277ter
BGE 124 IV 241 S. 244
al. 1 PPF
). Dans la mesure où la recourante demande davantage, soit l'ouverture d'une information pénale contre cinq personnes nommément désignées, le pourvoi est irrecevable.
b) Aux termes de l'
art. 277bis al. 1 PPF
, la Cour de céans est liée par les constatations de l'autorité cantonale. En tant que la recourante se fonde sur des éléments de fait qui ne figurent pas dans l'arrêt du Tribunal d'accusation, le pourvoi est également irrecevable.
c) La seule question à résoudre est celle de savoir si l'autorité cantonale a violé le droit fédéral en considérant que le résultat des infractions possibles ne s'était pas produit en Suisse.
Un crime ou un délit est réputé commis tant au lieu où l'auteur a agi, qu'au lieu où le résultat s'est produit (
art. 7 al. 1 CP
). D'après la jurisprudence, il faut entendre par "résultat" une modification du monde extérieur, imputable à l'auteur et faisant partie des éléments constitutifs de l'infraction. Il ne peut y avoir de résultat au sens technique que pour une seule catégorie d'actes punissables, à savoir les délits matériels (Erfolgsdelikte). L'escroquerie est un délit matériel à double résultat soit d'une part l'appauvrissement de la victime, d'autre part l'enrichissement, dont seul le dessein est un élément constitutif de l'infraction (
ATF 109 IV 1
consid. 3b et c).
La doctrine a souligné l'incertitude de la jurisprudence en la matière. Il a été proposé notamment d'ajouter au texte actuel de l'
art. 7 al. 1 CP
les termes "à moins que la survenance du résultat en Suisse ne contredise les prévisions de l'auteur". Il semble que cette adjonction ne rencontre pas un soutien suffisant pour être introduite prochainement (voir HURTADO POZO, Droit pénal, Partie générale I, 2e éd., Zurich 1997, p. 134 n. 384). Pour Stratenwerth, il convient d'interpréter restrictivement le principe de l'ubiquité car les justiciables doivent se conformer aux lois du pays où ils séjournent et ne connaissent pas nécessairement celles des autres Etats (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht A.T.I, 2e éd., Berne 1996, p. 98 n. 8). Colombini estime que si le bien juridique lésé se rattache directement à la protection des personnes et de leur patrimoine, il y a un résultat au sens de l'
art. 7 CP
si les conséquences de l'acte dirigé contre cette personne se sont immédiatement produites en Suisse; cela vaudrait notamment pour un abus de confiance commis à l'étranger aux dépens d'une personne domiciliée en Suisse, lorsque le résultat - soit la diminution du patrimoine - s'est immédiatement produit en Suisse (JEAN-LUC COLOMBINI, La prise en considération du droit étranger dans le jugement pénal, thèse Lausanne 1983, p. 30 let. c).
BGE 124 IV 241 S. 245
d) En l'espèce, le Tribunal d'accusation admet que la plaignante est peut-être victime d'un vol, d'un abus de confiance ou d'une escroquerie. Selon lui cependant, le seul motif que le compte bancaire de la plaignante à Lausanne n'ait pas été crédité des montants correspondant à la valeur des marchandises indûment livrées ou soustraites en Russie ne suffirait pas pour admettre que le résultat s'est produit en Suisse.
Ce considérant donne trop peu d'importance à l'appauvrissement subi par la victime. Or, d'après la jurisprudence, il s'agit de l'un des deux résultats de l'escroquerie (
ATF 109 IV 1
consid. 3c; voir FAVRE/PELLET/STOUDMANN, Code pénal annoté, Lausanne 1997, art. 7 n. 1.2 et 1.3, avec renvoi à un arrêt cantonal tessinois). Il en irait de même en matière d'abus de confiance, si l'on s'en tient à l'avis précité de Colombini, lorsque la diminution du patrimoine se produit immédiatement en Suisse.
Ici, ce résultat prend la forme d'une non-augmentation d'actif sur le compte de la plaignante en Suisse, cela résultant de l'infraction ou des infractions reprochées, telles qu'on peut les discerner à ce stade de l'instruction. Il s'ajoute le fait que ce compte est celui d'une entreprise dont le siège est en Suisse. Il ne s'agit pas d'un point de rattachement passager choisi pour les opérations concernées. Les cocontractants connaissaient cet élément et on ne saurait dire que ce résultat contredise les prévisions de l'auteur. Vu la nature des infractions contre le patrimoine en cause, connues dans les Etats concernés, l'auteur ne saurait prétendre qu'il ignorait le caractère délictueux de ces actes tant au regard du droit russe qu'américain ou suisse.
Dès lors, on doit admettre que l'appauvrissement subi par la plaignante en Suisse constituait un résultat au sens de l'
art. 7 al. 1 CP
. Le considérant contraire du Tribunal d'accusation viole le droit fédéral.
L'arrêt attaqué doit être annulé et la cause est renvoyée à l'autorité cantonale pour nouvelle décision (
art. 277ter PPF
).
5.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8f5d7c36-89cc-4385-97ce-08ed93d33a08 | Urteilskopf
120 II 133
28. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 7 avril 1994 dans la cause Vaudoise Assurances contre Marketing 2000 SA (recours en réforme) | Regeste
Umwandlung einer Vollkaskoversicherung in eine Teilkaskoversicherung: Abschluss eines neuen (
Art. 1 VVG
) oder Änderung eines bestehenden Vertrages (
Art. 2 VVG
)?
Das Ersetzen einer Vollkaskoversicherung durch eine Teilkaskoversicherung ist als Änderung eines bestehenden Vertragsverhältnisses zu behandeln. Antwortet der Versicherer nicht innert den vom Gesetz vorgesehenen 14 Tagen seit Erhalt des Änderungsvorschlages, so gilt die Änderung als angenommen (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 133
BGE 120 II 133 S. 133
Marketing 2000 SA (ci-après: Marketing) est propriétaire d'un véhicule pour lequel elle a souscrit, en 1986, une assurance casco totale auprès de la Vaudoise Assurances. Le 1er janvier 1992, elle a rempli une proposition
BGE 120 II 133 S. 134
prévoyant, dès cette date, le remplacement de l'assurance casco complète par une assurance casco partielle. La proposition est parvenue en mains de l'assureur le 6 janvier. Le 21 janvier, celui-ci a transmis à son assurée une nouvelle formule de proposition prévoyant une assurance casco partielle avec garantie pour les effets personnels jusqu'à 3'000 fr. et les dommages de parc. Cette proposition, qui devait prendre effet le 1er février suivant, n'a pas été retournée à l'assureur. Une police d'assurance, établie sur la base de la proposition du 1er janvier, a été envoyée au preneur le 31 janvier.
Entre-temps, le 26 janvier 1992, le véhicule assuré a subi un dommage total à la suite d'un accident. La Vaudoise Assurances a refusé de prendre en charge le sinistre pour le motif que la couverture casco complète n'était plus garantie dès le 1er janvier 1992.
Condamnée à payer par le Tribunal de première instance de Genève, dont le jugement fut confirmé par la Cour de justice civile du canton de Genève, la Vaudoise Assurances s'est adressée au Tribunal fédéral par la voie d'un recours en réforme. Le Tribunal fédéral a admis son recours, annulé l'arrêt de la Cour de justice et rejeté les conclusions de la demanderesse Marketing.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Consensuel, le contrat d'assurance est parfait lorsque les parties ont, réciproquement et d'une manière concordante, manifesté leur volonté (
art. 1er CO
). Mais l'offre et l'acceptation sont soumises à des règles particulières (
ATF 112 II 245
consid. II/1 p. 251/252).
Aux termes de l'
art. 1er LCA
(RS 221.229.1), celui qui fait à l'assureur une proposition d'assurance est lié pendant 14 jours s'il n'a pas fixé un délai plus court pour l'acceptation (al. 1), le délai commençant à courir dès la remise ou dès l'envoi de la proposition à l'assureur ou à son agent (al. 3), et le proposant est dégagé si l'acceptation de l'assureur ne lui parvient pas avant l'expiration du délai (al. 4).
En revanche, si la proposition tend à prolonger ou à modifier un contrat en force, ou à remettre en vigueur un contrat suspendu, le silence de l'assureur dans les 14 jours vaut acceptation, à moins qu'il ne s'agisse d'une proposition visant à augmenter la somme assurée (
art. 2 al. 1 et 3 LCA
). Par proposition au sens de cette disposition, on entend toute manifestation de volonté de l'assuré nécessitant un accord de l'assureur
BGE 120 II 133 S. 135
(ROELLI/KELLER, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, p. 56). N'entre pas dans cette catégorie, l'exercice d'un droit formateur que l'assuré peut faire valoir unilatéralement (cf. par exemple les
art. 23, 50 et 90 LCA
; KOENIG, Traité de droit privé suisse, vol. VII/2, p. 508 et MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, p. 221). Le délai de 14 jours de l'
art. 2 LCA
commence à courir dès la réception par l'assureur de la proposition de modification ou de prolongation (al. 1 in fine; MAURER, op.cit., p. 199/200).
4.
a) Pour la Cour de justice, la proposition d'assurance du 1er janvier, reçue le 6 par l'assureur, constituait une proposition de nouveau contrat, car elle avait pour conséquence de modifier la prime d'assurance en vigueur; comme l'assureur n'a pas accepté la proposition dans le délai légal de 14 jours (
art. 1er LCA
), le nouveau contrat n'a pas été conclu; dès lors, le jour du sinistre, l'assurance casco complète était toujours en vigueur.
La recourante voit ici, au contraire, un cas d'application de l'
art. 2 LCA
, car la proposition du 1er janvier visait à la transformation d'une assurance casco complète existante en une assurance casco partielle. Elle estime que la réponse à la question de savoir s'il s'agissait d'un nouveau contrat ou de la modification d'un contrat existant n'est pas déterminante, dès lors que la proposition d'assurance émanait de l'assureur et non pas de l'assurée, les dispositions générales du Code des obligations étant applicables dans ce cas, tant pour l'offre que pour l'acceptation. Or, en l'espèce, la proposition a été acceptée par l'assurée, qui l'a retournée signée à l'assureur; le nouveau contrat était donc parfait et l'assurance casco partielle est bien entrée en vigueur le 1er janvier 1992.
b) Le Tribunal fédéral n'est pas lié par les motifs que les parties invoquent (art. 63 al. 1, 2ème phrase, OJ).
Le remplacement d'une assurance casco complète par une assurance casco partielle doit être traité comme une modification d'un contrat d'assurance existant. En effet, on est en présence d'une réduction d'un risque déjà assuré (ROELLI/KELLER, op.cit., p. 58). Le fait que la prime d'assurance est modifiée n'y change rien; c'est la conséquence de la diminution de la couverture d'assurance existante. La jurisprudence cantonale citée par la Cour de justice (arrêt appenzellois du 14 janvier 1929 publié au Recueil des arrêts de tribunaux civils suisses dans des contestations de droit privé en matière d'assurance, vol. VI, no 130) n'est ni pertinente ni convaincante. Elle concerne d'ailleurs une situation différente de celle de la présente cause.
BGE 120 II 133 S. 136
Il est au demeurant inexact de prétendre que la proposition d'assurance du 1er janvier émanait de l'assureur et non de l'assurée. Outre que cette allégation s'écarte des constatations de fait de l'autorité cantonale, même si le proposant fait usage d'une formule de l'assureur et si celle-ci a été remplie avec l'aide d'un agent de ce dernier, l'offre émane néanmoins du preneur ou futur preneur d'assurance (VIRET, Droit des assurances privées, p. 76, KOENIG, op.cit., p. 505). L'assureur intervient comme proposant dans certains cas n'exigeant aucune sélection des risques, telles les assurances par tickets ou automates ("Coupon- oder Automatenpolicen") en usage dans l'assurance contre les accidents de voyage et des bagages (KOENIG, op.cit., p. 506 et FJS no 30a ch. 1; VIRET, op.cit., p. 77), ou lorsqu'il accepte la proposition du preneur sous condition, en la modifiant, ou avec retard. En pareil cas, seules les dispositions générales du Code des obligations sont applicables (KOENIG, op.cit., p. 506). En l'espèce, il n'est pas établi que la proposition du 1er janvier constituait une contre-proposition de l'assureur, qui n'aurait pas accepté une première proposition de son assurée. Il faut dès lors considérer que la proposition en cause émanait bien du preneur.
L'
art. 2 LCA
était donc applicable au cas particulier.
c) Selon les faits retenus par la Cour de justice, l'assureur a reçu la proposition le 6 janvier 1992 et n'a pas réagi dans le délai légal de 14 jours. Il est donc réputé avoir accepté tacitement la modification proposée. Ainsi, l'assurance casco partielle a remplacé, dès le 1er janvier de l'année en question, l'assurance casco complète. Le sinistre du 26 janvier n'était donc plus couvert par l'assurance casco complète.
L'envoi par l'assureur d'une nouvelle formule de proposition d'assurance le 21 janvier 1992 est sans influence sur la solution du litige. Outre qu'elle prévoyait une entrée en vigueur le 1er février 1992, à savoir après la date de l'accident, cette proposition n'a pas été renvoyée à l'assureur par le preneur, qui n'a dès lors jamais été lié par cette nouvelle offre. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f61497d-5059-4a04-b0db-6fca4d39dde8 | Urteilskopf
121 II 127
21. Urteil des Kassationshofes vom 26. April 1995 i.S. S. gegen Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 105 Abs. 2 OG
; richterliche Behörde.
Die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern ist eine richterliche Behörde. Ihre Feststellung des Sachverhalts bindet daher das Bundesgericht, soweit sie den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (E. 2).
Art. 32 Abs. 1 SVG
,
Art. 4a Abs. 1 VRV
; allgemeine Höchstgeschwindigkeit; Anpassen der Geschwindigkeit an die Umstände.
Mit der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit darf nur unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen gefahren werden (E. 4a).
Art. 16 Abs. 2 SVG
; Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts, leichter Fall, Führerausweisentzug/Verwarnung.
Eine übersetzte Geschwindigkeit stellt gerade innerorts, wo viele schwache Verkehrsteilnehmer (Fussgänger, Velofahrer) vorhanden sind, eine erhebliche Gefahr dar. Wer die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in Ortschaften an einer Stelle, die deutlich Innerortscharakter hat, um 27 km/h überschreitet, gefährdet den Verkehr nicht nur leicht. Wiegt auch das Verschulden nicht leicht, verletzt die Anordnung eines Führerausweisentzugs selbst bei ungetrübtem automobilistischem Leumund Bundesrecht nicht (E. 4b-d). | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 121 II 127 S. 128
A.-
S. überschritt als Lenkerin ihres Personenwagens am 2. Februar 1994 um ca. 0920 Uhr in Otelfingen/ZH innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 27 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h).
B.-
Am 6. Mai 1994 entzog ihr das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons Bern den Führerausweis für die Dauer eines Monats.
C.-
Eine von S. dagegen erhobene Beschwerde wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 3. August 1994 ab.
BGE 121 II 127 S. 129
D.-
S. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Rekurskommission aufzuheben; es sei auf einen Führerausweisentzug zu verzichten und eine Verwarnung auszusprechen.
E.-
Am 18. April 1994 hat der Statthalter des Bezirks Dielsdorf S. wegen der am 2. Februar 1994 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
(SR 741.01) mit einer Busse von Fr. 360.-- bestraft. Der Entscheid ist rechtskräftig.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Vorinstanz führt aus, das Verschulden der Beschwerdeführerin wiege nicht leicht. Die Strecke bei der Messstelle habe deutlich Innerortscharakter. Wie aus den Akten (Kartenausschnitt, Radarfoto, weitere Fotos) hervorgehe, sei die fragliche Stelle links dicht, rechts locker bebaut. Bei der Messstelle mündeten zudem von links und rechts Nebenstrassen ein; im übrigen sei an dieser Stelle ein Fussgängerstreifen markiert. In Anbetracht der örtlichen Verhältnisse habe die Beschwerdeführerin mit Fussgängern, Velofahrern und weiteren, beispielsweise aus den Nebenstrassen einmündenden Verkehrsteilnehmern rechnen müssen. Dass sie die beidseits der Fahrbahn aufgestellten und von weitem gut sichtbaren Geschwindigkeitssignale übersehen habe, lasse auf eine sehr unaufmerksame Fahrweise schliessen. Aufgrund der geschilderten Situation sei erwiesen, dass die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten eine recht schwere abstrakte Gefährdung für den übrigen Verkehr geschaffen habe. Eine Überschreitung der vorgeschriebenen Innerortsgeschwindigkeit um mehr als 50% dürfe unter diesen Umständen nicht mehr als leicht eingestuft werden. Da weder Verschulden noch Gefährdung gering seien, sei der Beschwerdeführerin der Ausweis gestützt auf
Art. 16 Abs. 2 SVG
für die Dauer von mindestens einem Monat zu entziehen, dies, obwohl bisher gegen sie keine Administrativmassnahmen hätten verhängt werden müssen.
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe
Art. 16 Abs. 2 SVG
verletzt. Es sei ein leichter Fall gegeben, weshalb lediglich eine Verwarnung auszusprechen sei.
2.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens gerügt werden (
Art. 104 Abs. 1 lit. a OG
).
BGE 121 II 127 S. 130
Die Vorinstanz ist eine verwaltungsunabhängige Rekursinstanz (Art. 3 des Gesetzes über den Strassenverkehr und die Besteuerung der Strassenfahrzeuge des Kantons Bern vom 4. März 1973 [BSG 761.11], Art. 1 des Dekrets des Grossen Rats des Kantons Bern über die Rekurskommission für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern vom 10. Mai 1972 [BSG 761.121]). Die Mitglieder des Regierungsrates sowie die Beamten und Angestellten der Polizeidirektion dürfen ihr nicht angehören (Art. 3 Abs. 2 des Dekrets vom 10. Mai 1972). Die Vorinstanz ist somit eine richterliche Behörde im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
. Die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz bindet daher das Bundesgericht, soweit sie den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat.
3.
a) Gemäss
Art. 32 Abs. 1 SVG
ist die Geschwindigkeit stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. Nach Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelnverordnung (VRV; SR 741.11) beträgt die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen in Ortschaften 50 km/h.
b) Gemäss
Art. 16 Abs. 2 SVG
kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
muss der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat. Die Dauer des Entzugs ist nach den Umständen festzusetzen. Sie beträgt jedoch mindestens einen Monat (
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
).
c) Die Administrativbehörde kann aufgrund von
Art. 16 Abs. 2 SVG
entweder auf jegliche Massnahme verzichten, eine Verwarnung aussprechen oder einen Führerausweisentzug anordnen. Welche dieser Möglichkeiten auszuwählen ist, richtet sich nach der Schwere des Falles (
BGE 118 Ib 229
E. 3). Auf den Ausweisentzug kann grundsätzlich nur verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
ist (BGE a.a.O.). Bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall gegeben sei, hat die Behörde in erster Linie die Schwere der Verkehrsgefährdung und die Schwere des Verschuldens,
BGE 121 II 127 S. 131
daneben aber auch den automobilistischen Leumund zu würdigen (
Art. 31 Abs. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr [VZV; SR 741.51]
;
BGE 105 Ib 255
E. 2c mit Hinweis).
Nach der Rechtsprechung ist bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ab 15 km/h eine Verwarnung und bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 30 km/h ein Führerausweisentzug auszusprechen, und zwar selbst dann, wenn die Verkehrsverhältnisse günstig waren und der automobilistische Leumund des Betroffenen gut ist (
BGE 119 Ib 154
E. 2a,
BGE 113 Ib 143
E. 3c,
BGE 108 Ib 65
E. 1).
Da es sich bei
Art. 16 Abs. 2 SVG
um eine Kann-Vorschrift handelt, ist die Behörde allerdings verpflichtet, die vorgesehene Massnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit zu prüfen. Dabei kann sich die Frage stellen, ob im Lichte einer sinnvoll verstandenen Verhältnismässigkeitsprüfung sich die Anordnung einer Massnahme zur Ermahnung und Besserung des fehlbaren Fahrzeuglenkers überhaupt noch rechtfertigen lässt (
BGE 118 Ib 229
E. 3 und 4).
Wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h überschritten, ist der Führerausweis ungeachtet der konkreten Umstände nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
zwingend zu entziehen (
BGE 119 Ib 154
E. 2a;
118 IV 188
E. 2b).
4.
a) Die Beschwerdeführerin hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 27 km/h überschritten. Durch diese Verkehrsregelverletzung hat sie eine erhebliche Verkehrsgefahr geschaffen. Die von ihr befahrene Strecke hat bei der Messstelle deutlich Innerortscharakter. Es münden an dieser Stelle von links und rechts je eine Nebenstrasse ein. Ausserdem ist ein Fussgängerstreifen markiert. Diesen Verhältnissen war die Geschwindigkeit der Beschwerdeführerin bei weitem nicht angepasst.
Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, musste die Beschwerdeführerin mit Velofahrern und Fussgängern sowie damit rechnen, dass Fahrzeuge aus den Nebenstrassen einbiegen würden. Diese anderen Verkehrsteilnehmer durften sich, auch soweit sie wartepflichtig waren, auf den Vertrauensgrundsatz berufen (
BGE 120 IV 252
E. 2d/aa). Sie mussten sich nicht darauf einstellen, dass ein Fahrzeug mit einer derart übersetzten Geschwindigkeit herannahen würde (vgl.
BGE 118 IV 277
, wonach auf Hauptstrassen ausserorts, wo die allgemeine Höchstgeschwindigkeit nach Art. 4a Abs. 1 lit. b VRV 80
BGE 121 II 127 S. 132
km/h beträgt, generell mit Geschwindigkeiten von über rund 90 km/h nicht gerechnet werden muss).
Ob sich die Beschwerdeführerin korrekt verhalten hätte, wenn sie mit 50 km/h gefahren wäre, kann dahingestellt bleiben. Hervorzuheben ist, dass eine Geschwindigkeit auch dann den Verhältnissen nicht angepasst sein und deshalb gemäss
Art. 32 Abs. 1 SVG
vorschriftswidrig sein kann, wenn sie im Rahmen der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit nach
Art. 4a Abs. 1 VRV
liegt. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit gemäss
Art. 4a Abs. 1 VRV
ist nicht die Geschwindigkeit, die unter allen Umständen ausgefahren werden kann; es ist die Geschwindigkeit, mit der unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen gefahren werden darf. So hat das Bundesgericht in
BGE 120 Ib 312
sogar eine schwere Verkehrsgefährdung nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
angenommen bei einem Fahrzeuglenker, der trotz starkem Regen auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h fuhr und infolge Aquaplanings ins Schleudern geriet (E. 4c). Entsprechendes gilt für den Innerortsbereich. Wer beispielsweise innerorts mit 50 km/h an einem nahe an der Strasse gelegenen Kindergarten vorbeifährt zu einer Zeit, wo es dort Kinder hat, hat seine Geschwindigkeit in der Regel den Umständen nicht angepasst.
b) Der Kassationshof hat im Herbst 1994 bei Experten eine schriftliche Stellungnahme zu Fragen im Zusammenhang mit der Verletzung von Geschwindigkeitsvorschriften eingeholt und am 16. Dezember 1994 eine Aussprache durchgeführt. Daran nahmen teil: Prof. Dr. Felix Walz, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich; Prof. Dr. Peter Niederer, Institut für biomedizinische Technik, ETH Zürich; Prof. Dr. Karl Dietrich, Institut für Verkehrsplanung, Transporttechnik, Strassen- und Eisenbahnbau, ETH Zürich; Herr Peter Hehlen, dipl. Ing. ETH, Direktor der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung, Bern; Dr. Raphaël Huguenin, Verkehrspsychologe, Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung, Bern; lic. iur. Hans-Peter Bloch, Abteilungschef, und Fürsprech Werner Jeger, Sektionschef, Bundesamt für Polizeiwesen. Aus den dem Kassationshof unterbreiteten Unterlagen ergibt sich, dass eine übersetzte Geschwindigkeit gerade innerorts eine erhebliche Gefahr darstellt. Die Zahl der vom Lenker zu verarbeitenden Reize ist innerorts grösser als ausserorts und auf der Autobahn, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfordert. Zudem sind innerorts viele schwache Verkehrsteilnehmer vorhanden (Fussgänger, Velofahrer), die - vor allem Kinder und ältere Menschen - einem besonderen
BGE 121 II 127 S. 133
Risiko ausgesetzt sind. Darüber hinaus besteht eine erhöhte Gefahr von Seitenkollisionen. Welch schwerwiegende Folgen selbst vermeintlich harmlose Geschwindigkeitsüberschreitungen in diesem Bereich, wo Fahrzeug-Fussgänger-Kollisionen häufig sind, haben können, zeigen physikalische Berechnungen: Fährt ein Auto mit einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 55 km/h statt mit einer solchen von 50 km/h, hat es dort, wo es mit 50 km/h stillstehen würde, immer noch eine Geschwindigkeit von 28,2 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h noch eine solche von 40,5 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h noch eine solche von 59 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h noch eine solche von 74,3 km/h. Derartige Aufprallgeschwindigkeiten können bei Fussgängern zu schwersten und tödlichen Verletzungen führen. Ab einer Kollisionsgeschwindigkeit von 20 km/h sind Becken- und Beinbrüche, ab einer solchen von 45 km/h tödliche Verletzungen sehr wahrscheinlich (Bericht von Prof. Dr. Felix Walz vom 17. November 1994 zu Handen des Kassationshofes).
c) Die von der Beschwerdeführerin geschaffene Verkehrsgefahr kann damit keinesfalls als leicht bezeichnet werden. Auch ihr Verschulden wiegt nicht leicht. Die von ihr befahrene Strecke hat an der Messstelle, wie dargelegt, deutlich Innerortscharakter. Schon deshalb hätte sie die Geschwindigkeit erheblich reduzieren müssen. Die beidseits der Fahrbahn angebrachten Signale "Höchstgeschwindigkeit 50" waren im übrigen von weitem erkennbar. Wenn sie diese Signale übersehen hat, lässt das auf eine sehr unaufmerksame Fahrweise schliessen.
d) Da sowohl die geschaffene Verkehrsgefahr als auch das Verschulden erheblich sind, hat die Vorinstanz auch in Berücksichtigung des ungetrübten automobilistischen Leumunds der Beschwerdeführerin Bundesrecht nicht verletzt, wenn sie einen leichten Fall verneint hat und von einem mittelschweren Fall nach
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG
ausgegangen ist.
Fragen kann man sich höchstens, ob hier nicht sogar ein schwerer Fall nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
anzunehmen gewesen wäre. Dies kann jedoch offenbleiben, da sich auch bei Bejahung der Frage am Ergebnis nichts ändern würde. Eine Erhöhung der Entzugsdauer fällt aus prozessualen Gründen ausser Betracht (
Art. 114 Abs. 1 OG
). Dass die Vorinstanz unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes von einem Führerausweisentzug hätte absehen müssen, ist nicht ersichtlich und macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. Die ausgesprochene Entzugsdauer entspricht dem gesetzlichen
BGE 121 II 127 S. 134
Minimum (
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
).
5.
Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände sind unbehelflich. Aufgrund der Akten (Kartenausschnitt, Fotos) ist nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz den Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt hätte. Daraus, dass der Strafrichter die Beschwerdeführerin in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 und nicht von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
verurteilt hat, kann sie nichts zu ihren Gunsten herleiten. Der Strafrichter hat von der Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
abgesehen und eine schwere Verkehrsgefährdung damit verneint. Das hat aber auch die Vorinstanz getan, da sie den Ausweis nicht gestützt auf Art. 16 Abs. 3 lit. a, sondern auf
Art. 16 Abs. 2 SVG
entzogen hat. Sie ist vom Strafurteil somit nicht abgewichen. Das wäre dann der Fall gewesen, wenn sie den Führerausweisentzug aufgrund von
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
, der mit
Art. 90 Ziff. 2 SVG
inhaltlich übereinstimmt (
BGE 120 Ib 285
), angeordnet hätte. Im übrigen ist die Verwaltungsbehörde in bezug auf die Rechtsanwendung an die rechtliche Qualifikation des Sachverhaltes durch das Strafurteil nur dann gebunden, wenn die rechtliche Würdigung sehr stark von der Würdigung von Tatsachen abhängt, die der Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde (
BGE 119 Ib 158
E. 3c/bb mit Hinweisen). Ob diese Voraussetzung für die Bindung der Verwaltungsbehörde hier überhaupt erfüllt gewesen wäre, kann offenbleiben.
6.
Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Kosten (
Art. 156 Abs. 1 OG
). | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f61fe24-ee99-4a11-8b02-bb492147fc9d | Urteilskopf
124 III 444
77. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. September 1998 i.S. Dreesmann-Gustafsson gegen Retail Holding AG in Liquidation (Berufung) | Regeste
Art. 54 Abs. 2 LugÜ
; Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach Übergangsrecht; Kontrolle der indirekten Zuständigkeit.
Die Anerkennung eines ausländischen Entscheids, der nach dem Inkrafttreten des Lugano-Übereinkommens ergangen ist, indessen auf einer Klage beruht, die davor angehoben wurde, kann nicht mit der Begründung verweigert werden, im Anerkennungsstaat sei eine identische Klage früher rechtshängig gewesen.
Art. 21 LugÜ
ist bei der Kontrolle der indirekten Zuständigkeit nicht zu berücksichtigen. | Sachverhalt
ab Seite 444
BGE 124 III 444 S. 444
Florentine und Reinardus Dreesmann-Gustafsson (Kläger) verkauften der Retail Holding AG mit Sitz in Glarus, nun in Liquidation (Beklagte), am 1. Dezember 1983 ihre insgesamt 6'218 Stammanteile der niederländischen Firma Vede B.V. zum Nennwert von je hfl. 1.-. Im Jahr 1985 klagten die Verkäufer vor dem Zivilgericht des Kantons Glarus, nachmals Kantonsgericht, auf Feststellung, dass der Kaufvertrag nicht zustande gekommen, eventuell wegen Willensmängeln dahingefallen sei. Ausserdem verlangten sie Rückabwicklung. Das Kantonsgericht wies die Klage am 6. Januar 1992 ab. Dagegen appellierten die Kläger beim Glarner Obergericht. In
BGE 124 III 444 S. 445
der Appellationsantwort vom 12. September 1996 erhob die Beklagte die Einrede der abgeurteilten Sache. Sie machte geltend, der Höchste Gerichtshof der Niederlande (Hoge Raad) habe eine identische Klage der Gegenseite am 6. September 1996 letztinstanzlich abgewiesen. Das Obergericht anerkannte das niederländische Urteil nach dem Lugano-Übereinkommen (LugÜ; SR 0.275.11), hiess die Einrede gut und trat auf die Appellation nicht ein.
Das Bundesgericht weist die von den Klägern dagegen erhobene Berufung ab, soweit es darauf eintritt,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die Kläger werfen der Vorinstanz vor, das Urteil des Hoge Raads zu Unrecht anerkannt zu haben. Insbesondere erblicken sie darin eine Verletzung des Lugano-Übereinkommens.
a) Nach dem angefochtenen Urteil reichten die Kläger am 11. Juni 1985, also am Tag, an dem sie in Glarus das Vermittlungsbegehren stellten, auch in den Niederlanden Klage ein. Neben der Beklagten wurde ausserdem die Vede B.V. ins Recht gefasst. Die Kläger verlangten, den Kaufvertrag vom 1. Dezember 1983 wegen ungenügender Vertretung der Beklagten bei Vertragsschluss ungültig zu erklären. Ausserdem machten sie geltend, sie seien von den Verantwortlichen der Käuferin über die Absicht getäuscht worden, die Vede B.V. an der Börse kotieren zu lassen. Das Landgericht Amsterdam wies die Klage am 5. August 1987 vollumfänglich ab. Darauf erhoben die Kläger Berufung ans Oberlandesgericht Amsterdam, das ebenfalls zum Schluss kam, die Beklagte sei bei Vertragsschluss gehörig vertreten gewesen. Indessen verfügte es ein Beweisverfahren zur Frage der Täuschung. Am 6. April 1995 wies das Oberlandesgericht die Klage auch in diesem Punkt ab. In der Frage der Vertretung der Beklagten erachtete es sich an das Teilurteil vom 25. Mai 1989 gebunden und lehnte es ab, auf diesen Punkt zurückzukommen. Diese Betrachtungsweise wurde vom Hoge Raad bestätigt, bei dem die Kläger beide Urteile des Oberlandesgerichts anfochten. Die übrigen Begehren wies der Hoge Raad ab. Der daraufhin ausgestellten Rechtskraftsbescheinigung vom 27. September 1996 ist zu entnehmen, dass das Urteil vom 6. September 1996 von der höchsten nationalen Instanz gefällt wurde und demnach kein weiteres Rechtsmittel mehr eingelegt werden konnte. Ausserdem werden die Urteile des Oberlandesgerichts Amsterdam vom 25. Mai 1989 und 6. April 1995 für vollstreckbar erklärt.
BGE 124 III 444 S. 446
b) Nach Ansicht der Kläger hätte das Urteil des Hoge Raads nach den übergangsrechtlichen Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens nicht anerkannt werden dürfen, weil die Klage in der Schweiz vor jener in den Niederlanden rechtshängig gewesen sei.
c) Das Übereinkommen folgt dem Grundsatz der Nichtrückwirkung (
Art. 54 Abs. 1 LugÜ
;
BGE 123 III 374
E. 1 S. 377;
BGE 119 II 391
E. 2 S. 393). Dieser kennt im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung indessen eine Ausnahme. So hält
Art. 54 Abs. 2 LugÜ
fest:
"Entscheidungen, die nach dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens
zwischen dem Ursprungsstaat und dem ersuchten Staat aufgrund einer vor
diesem Inkrafttreten erhobenen Klage ergangen sind, werden nach Massgabe
des Titels III anerkannt und zur Zwangsvollstreckung zugelassen,
vorausgesetzt, dass das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war,
die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II oder eines Abkommens
übereinstimmen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem
Ursprungsstaat und dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird,
in Kraft war."
Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die niederländischen Gerichte aufgrund von nationalen Verfahrensbestimmungen zuständig waren, die mit einem der in Art. 2 bis 18 LugÜ vorgesehenen Gerichtsstände übereinstimmen. Die Kläger sind jedoch der Auffassung, dass bei der Kontrolle der indirekten Zuständigkeit auch
Art. 21 LugÜ
zu berücksichtigen sei. Dieser Betrachtungsweise ist nicht zu folgen. Gemäss
Art. 54 Abs. 2 LugÜ
ist einzig zu prüfen, ob sich das Gericht, dessen Entscheidung anerkannt werden soll, auf einen Gerichtsstand des Lugano-Übereinkommen hätte berufen können, wenn dieses bei Klageeinleitung bereits in Kraft gewesen wäre. Dabei sind einzig jene Bestimmungen zu berücksichtigen, welche eine direkte Zuständigkeit festlegen. So soll vermieden werden, dass ein Entscheid nach dem vereinfachten Verfahren des Lugano-Übereinkommens anerkannt werden muss, der an einem verpönten, insbesondere exorbitanten Gerichtsstand (
Art. 3 Abs. 2 LugÜ
) erlassen wurde.
d)
Art. 21 LugÜ
begründet indessen selbst keine direkte Zuständigkeit. Die Bestimmung regelt vielmehr Zuständigkeitskonflikte, welche sich aus der Anwendung des Übereinkommens ergeben. Sie bestimmt für den Fall, dass bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht habe das Verfahren von Amtes wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit
BGE 124 III 444 S. 447
des zuerst angerufenen feststehe. Sobald das früher angerufene Gericht auf die Rechtssache eingetreten sei, habe sich das andere für unzuständig zu erklären. Die Bestimmung setzt demzufolge keinen Gerichtsstand, sondern weist den Richter an, wie er sich in einer bestimmten Situation zu verhalten hat.
Art. 21 LugÜ
gehört deshalb nicht zu den Zuständigkeitsvorschriften, welche übergangsrechtlich zu beachten sind, damit eine Entscheidung anerkannt werden kann, die nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens ergangen ist, aber auf eine Klage zurückgeht, die noch vor diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde.
e) Im Übrigen würde die Nichtbeachtung dieser Bestimmung selbst in Fällen, die nicht mehr dem Übergangsrecht unterliegen, nicht Grund bieten, die Anerkennung der entsprechenden Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat zu verweigern (HÉLÈNE GAUDEMET-TALLON, Les Conventions de Bruxelles et de Lugano, Paris 1996, N. 368). Nach
Art. 27 Ziff. 3 LugÜ
darf dies nur geschehen, wenn eine solche Entscheidung mit einer anderen unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im Staat ergangen ist, in dem die Anerkennung verlangt wird. Dabei ist nicht von Belang, welche der Klagen früher rechtshängig gewesen ist.
Die Kläger teilen diese Auffassung nicht. Sie vertreten den Standpunkt, die Vertragsstaaten hätten eine derartige Situation nicht bedacht, weshalb die Rechtsprechung durch Lückenfüllung einen neuen Anerkennungsverweigerungsgrund wegen früherer Rechtshängigkeit der Klage im Anerkennungsstaat schaffen müsse. Sie lassen indessen ausser Acht, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in ständiger Rechtsprechung den ausschliesslichen Charakter der Art. 27 und 28 des Brüsseler Übereinkommens (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968; EuGVÜ) betont hat (Urteil vom 4. Februar 1988 i.S. Hoffmann gegen Krieg, Rs. 145/86, Slg. 1988, S. 662, Rz. 27; Urteil vom 11. Juni 1985 i.S. Debaecker gegen Bouwman, Rs. 49/84, Slg.1985, S. 1792, Rz. 11; Urteil vom 16. Juni 1981 i.S. Klops gegen Michel, Rs. 166/80, Slg. 1981, S. 1602, Rz. 7). Das Bundesgericht hat diese Betrachtungsweise bei der Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens zu beachten (
BGE 124 III 188
E. 4b S. 191 f.;
123 III 414
E. 4 S. 420 f.). Eine richterliche Ergänzung der Anerkennungsverweigerungsgründe ist deshalb von vornherein auszuschliessen. Damit ist auch den übrigen Rügen der Boden entzogen, welche die Kläger in
BGE 124 III 444 S. 448
diesem Zusammenhang vorbringen. Im Ergebnis ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz das Urteil des Hoge Raads vom 6. September 1996 nach dem Verfahren des Lugano-Übereinkommens anerkannte. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f66bb8a-9b00-49c5-8c26-980a34d3590b | Urteilskopf
133 III 527
67. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. contre X. Assurances (recours en matière civile)
4A_168/2007 du 16 juillet 2007 | Regeste
Taggeldversicherung nach VVG und UVG; Recht des Versicherers, auf die Taggelder die Rente anzurechnen, die der Versicherte von der Invalidenversicherung geltend machten könnte;
Art. 61 VVG
,
Art. 156 OR
und
Art. 51 Abs. 2 UVV
.
Bei einer dem VVG unterstehenden und als Summenversicherung ausgestalteten Krankentaggeldversicherung beruht die Anrechnung der Leistungen, die der Versicherte gegenüber einem anderen Versicherer geltend machen könnte, nicht auf
Art. 61 VVG
, sondern kann in den allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgesehen sein (E. 3.2). Wenn diese das Recht des Versicherers vorsehen, die von einer Sozialversicherung effektiv erbrachten Leistungen anzurechnen, kann der Versicherte den Eintritt dieser Bedingung (
Art. 156 OR
) nicht dadurch verhindern, dass er ohne legitimen Grund gegenüber der Invalidenversicherung auf die Geltendmachung einer ihm zustehenden Rente verzichtet (E. 3.3).
Bei einer dem UVG unterstehenden Taggeldversicherung ergibt sich das Recht des Versicherers, seine Leistungen um den von der Invalidenversicherung geschuldeten Betrag zu reduzieren, aus
Art. 51 Abs. 2 UVV
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 528
BGE 133 III 527 S. 528
A.
A., née en 1945, bénéficie depuis 1997 auprès de X. Assurances (ci-après: l'assureur) d'une assurance-accidents obligatoire selon la loi fédérale sur l'assurance-accidents (LAA; RS 832.20) ainsi que d'une assurance-accidents complémentaire à la LAA, prévoyant le versement d'indemnités journalières en cas d'accident. Elle est en outre au bénéfice, auprès du même assureur, d'une "assurance collective d'une indemnité journalière en cas de maladie", soumise à la loi fédérale sur le contrat d'assurance (LCA; RS 221.229.1), qui prévoit le droit à des indemnités journalières correspondant à 80 % du salaire assuré (150'000 fr. par an) pendant 730 jours, moins le délai d'attente de 30 jours.
A la suite d'un accident survenu le 5 novembre 2002, l'assureur a versé à l'assurée des indemnités journalières sur la base de l'assurance-accidents obligatoire et complémentaire. Dès le 18 septembre 2003, il a considéré que les troubles persistants relevaient de la maladie et a versé à l'assurée des indemnités journalières sur la base de l'assurance perte de gain maladie.
Le 7 janvier 2005, l'assureur a invité son assurée à déposer une demande de prestations d'invalidité et à le lui confirmer avant le
BGE 133 III 527 S. 529
31 janvier 2005. Le 23 février 2005, il a informé son assurée que son droit aux indemnités journalières en cas de maladie serait épuisé le 1er septembre 2005; il a par ailleurs réitéré sa demande d'annoncer le cas à l'assurance-invalidité, tout en précisant qu'à défaut, il imputerait une "pseudo-rente d'invalidité" sur les prestations dues.
L'assurée ayant contesté l'obligation de former une demande de prestations d'invalidité, l'assureur a maintenu sa position et a calculé les prestations encore dues compte tenu de la déduction d'une rente d'invalidité hypothétique de 1'500 fr. dès le 1er novembre 2003.
Le 20 juin 2005, l'assurée a été victime d'un nouvel accident, pour lequel l'assureur a accordé des indemnités journalières sur la base de l'assurance-accidents obligatoire et complémentaire jusqu'au 30 septembre 2005, en déduisant toutefois de ces prestations une rente d'invalidité hypothétique de 1'479 fr. 30.
B.
Le 20 juillet 2006, l'assurée a actionné l'assureur en paiement de la somme de 49'239 fr., plus intérêts, à titre d'indemnités journalières de l'assurance-accidents complémentaire et de l'assurance perte de gain maladie pour la période du 18 septembre 2003 au 18 avril 2006.
Par arrêt du 4 avril 2007, le Tribunal cantonal des assurances sociales du canton de Genève a partiellement admis la demande et a condamné la défenderesse à payer à la demanderesse la somme de 3'772 fr. 05 plus intérêts.
C.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière civile interjeté par la demanderesse contre cet arrêt.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
Les juges cantonaux ont considéré que la défenderesse était en droit d'imputer sur ses prestations la rente AI hypothétique, correspondant au montant maximal prévu par la loi fédérale du 19 juin 1959 sur l'assurance-invalidité (LAI; RS 831.20), à laquelle la demanderesse aurait pu prétendre à compter du mois de mars 2004 si elle avait formé une demande AI en mars 2005, comme cela pouvait être exigé d'elle. Selon l'autorité cantonale, l'obligation de s'annoncer à l'assurance-invalidité - entraînant la réduction des prestations en cas de violation de cette obligation - pouvait en effet être imposée à l'assurée tant dans le cadre de l'assurance perte de gain
BGE 133 III 527 S. 530
maladie, en vertu de l'obligation de diminuer le dommage (
art. 61 al. 1 LCA
), que dans le cadre de l'assurance-accidents complémentaire, en vertu de l'art. 51 al. 2 de l'ordonnance du 20 décembre 1982 sur l'assurance-accidents (OLAA; RS 832.202), applicable par renvoi des conditions générales d'assurance.
2.2
Retenant, eu égard à l'évolution du degré d'incapacité de travail de la demanderesse et des conditions auxquelles une rente d'invalidité peut être révisée (
art. 88a al. 2 RAI
[RS 831.201]), que la demanderesse aurait eu droit à une rente d'invalidité entière de mars à juillet 2004, à une demi-rente d'août 2004 à février 2005, à trois-quarts de rente de mars à juillet 2005, à une rente entière d'août 2005 à janvier 2006 et à une demi-rente de février à avril 2006, les juges cantonaux ont calculé que, compte tenu des prestations déjà versées, la défenderesse devait encore à la demanderesse la somme de 3'772 fr. 05.
3.
3.1
S'agissant de l'assurance perte de gain maladie selon la LCA, la demanderesse reproche d'abord à l'autorité cantonale d'avoir déduit à tort de l'
art. 61 al. 1 LCA
une obligation pour l'assurée de s'annoncer à l'assurance-invalidité, alors que la jurisprudence relative à cette disposition ne prévoit pas une telle obligation. L'analogie faite par la cour cantonale avec la jurisprudence admettant une obligation de l'assuré de diminuer le dommage par un changement de profession ne serait pas pertinente, car on ne serait pas en présence d'une invalidité permanente ou de longue durée, la demanderesse ayant été victime d'un enchevêtrement de problèmes de santé de courte durée résultant de causes distinctes. La demanderesse estime en outre que l'on ne saurait admettre l'imputation d'une rente AI alors que l'on ne peut être certain qu'elle y aurait eu droit.
La demanderesse soutient ensuite qu'à supposer qu'elle ait eu l'obligation de s'annoncer à l'assurance-invalidité en vertu de l'
art. 61 al. 1 LCA
, les juges cantonaux auraient dû déterminer si l'assureur était en droit de réduire ses prestations en application de l'
art. 61 al. 2 LCA
. En n'examinant pas si la demanderesse avait agi d'une manière inexcusable au sens de cette disposition, soit si une faute grave pouvait lui être reprochée, l'autorité cantonale aurait violé son devoir minimum d'examiner et de traiter les problèmes pertinents, découlant de l'
art. 29 al. 2 Cst.
En tout état, la demanderesse conteste avoir commis une faute grave.
BGE 133 III 527 S. 531
Enfin, la demanderesse soutient qu'il résulterait des conditions générales d'assurance, interprétées selon les principes généralement reconnus en matière d'interprétation des contrats (cf.
art. 18 CO
), que les indemnités journalières doivent être versées, dans les limites de la durée maximale prévue, sans considération d'un quelconque droit à une rente AI, et que les parties n'ont prévu ni l'obligation pour l'assuré de s'annoncer à l'AI, ni le droit pour l'assureur d'imputer sur ses prestations des rentes hypothétiques.
3.2
3.2.1
L'
art. 61 LCA
dispose que lors du sinistre, l'ayant droit est obligé de faire tout ce qui est possible pour restreindre le dommage; s'il n'y a pas péril en la demeure, il doit requérir les instructions de l'assureur sur les mesures à prendre et s'y conformer (al. 1); si l'ayant droit contrevient à cette obligation d'une manière inexcusable, l'assureur peut réduire l'indemnité au montant auquel elle serait ramenée si l'obligation avait été remplie (al. 2).
Dans des arrêts qui concernaient comme ici une assurance collective d'indemnités journalières selon la LCA (arrêt 5C.211/2000 du 8 janvier 2001, consid. 4c non publié à l'
ATF 127 III 106
; arrêt 5C.176/1998 du 23 octobre 1998, consid. 2c), le Tribunal fédéral a considéré que l'
art. 61 LCA
était l'expression du même principe général dont le Tribunal fédéral des assurances déduisait, en matière d'assurance d'indemnités journalières soumise au droit des assurances sociales, l'obligation de l'assuré de diminuer le dommage par un changement de profession lorsqu'un tel changement peut raisonnablement être exigé de lui, pour autant que l'assureur l'ait averti à ce propos et lui ait donné un délai adéquat (cf.
ATF 111 V 235
consid. 2a;
ATF 114 V 281
consid. 3a; voir aussi VINCENT BRULHART, L'assurance collective contre la perte de gain en cas de maladie, in Le droit social dans la pratique de l'entreprise - questions choisies, 2006, p. 95 ss, 107). Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances, lorsque l'assuré doit envisager un changement de profession en regard de l'obligation de diminuer le dommage, la caisse doit l'avertir à ce propos et lui accorder un délai adéquat - pendant lequel l'indemnité journalière versée jusqu'à présent est due - pour s'adapter aux nouvelles conditions ainsi que pour trouver un emploi; dans la pratique, un délai de trois à cinq mois imparti dès l'avertissement de la caisse doit en règle générale être considéré comme adéquat (arrêt K 14/99 du 7 février 2000, publié in Assurance-maladie et accidents [RAMA] 2000 n° KV 112 p. 122,
BGE 133 III 527 S. 532
consid. 3a; voir aussi JEAN-LOUIS DUC, Assurance sociale et assurance privée, 2003, p. 109-111).
3.2.2
L'autorité cantonale s'est bornée à citer ces arrêts pour conclure qu'"il convient d'admettre que la défenderesse subit un dommage, du fait de l'absence d'annonce du cas à l'assurance-invalidité, pour autant que les conditions d'octroi d'une rente de cette assurance sont remplies".
Cette manière de voir est erronée. A la différence d'un changement de profession, qui permet à l'assuré de diminuer son dommage - car c'est bien le dommage subi par l'ayant droit qui est déterminant - en mettant à profit une capacité de travail qui n'existe plus dans sa profession actuelle, le fait de percevoir des prestations d'un tiers, telles qu'une rente d'invalidité, n'a pas pour effet de diminuer le dommage. Celui qui, bénéficiant d'une assurance d'indemnités journalières en cas de maladie ou d'accident selon la LCA, perçoit, en raison du même événement dommageable, des prestations d'un autre assureur, privé ou social, voire d'un tiers responsable, ne diminue pas son dommage. L'assureur ne saurait par conséquent invoquer l'obligation de diminuer le dommage selon l'
art. 61 al. 1 LCA
pour imposer à l'assuré de faire valoir les prétentions que celui-ci pourrait avoir contre un autre assureur, ou contre un tiers responsable, et pour réduire le cas échéant ses prestations en application de l'
art. 61 al. 2 LCA
.
3.2.3
Le fait que l'assuré dispose, à côté du droit à des indemnités journalières et en raison du même événement dommageable, de prétentions contre un autre assureur, privé ou social, ou contre un tiers responsable, soulève plutôt la question du cumul de prétentions, pouvant conduire à une surindemnisation (cf. JEAN-LOUIS DUC, Subrogation et surindemnisation en droit des assurances sociales, in Assurance sociale, responsabilité de l'employeur, assurance privée, 2005, p. 43 ss, 43-44;
le même
, L'assurance-invalidité, in Ulrich Meyer [éd.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, vol. XIV: Soziale Sicherheit, 2
e
éd. 2007, p. 1371 ss, n. 361 p. 1540).
3.2.4
Lorsque le contrat d'assurance prévoit le versement à l'assuré d'une indemnité journalière forfaitaire - constituant ce que l'on désigne en langue allemande par l'expression
Taggeld
- qui ne suppose pas que l'assuré subisse une perte effective sur le plan économique, mais qui est versée en fonction du seul degré de l'incapacité de travail de l'assuré, il s'agit d'une assurance de sommes (arrêt 4C.83/1998
BGE 133 III 527 S. 533
du 11 juin 1998, consid. 3d; ROLAND BREHM, L'assurance privée contre les accidents, 2001, n. 14 p. 42, n. 221 p. 126 et n. 376 p. 191; BRULHART, op. cit., p. 110; WILLY KOENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3
e
éd. 1967, p. 467; cf.
ATF 119 II 361
consid. 4).
3.2.5
Dans le cas d'une telle assurance de personnes conçue comme une assurance de sommes, l'assuré peut cumuler les prétentions en versement des indemnités journalières prévues par le contrat d'assurance avec d'autres prétentions en raison du même événement dommageable; la prestation de l'assureur de sommes est due indépendamment du point de savoir si l'ayant droit reçoit des prestations de la part d'autres assureurs ou d'un tiers responsable; la surindemnisation de l'ayant droit est possible et, conformément à l'
art. 96 LCA
, les droits que l'ayant droit aurait contre des tiers en raison du sinistre ne passent pas à l'assureur (CHRISTOPH GRABER, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, Basler Kommentar, 2001, n. 1 ad
art. 72 LCA
et n. 1 ad
art. 96 LCA
; ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3
e
éd. 1995, p. 410; BREHM, op. cit., n. 376 p. 191; BRULHART, op. cit., p. 109; DUC, Assurance sociale et assurance privée, p. 63). Les prestations versées par un assureur social ne peuvent pas être imputées sur les allocations journalières dues par l'assureur privé (BREHM, op. cit., n. 376 p. 191-192; cf. MAURER, op. cit., p. 410), à moins, évidemment, que les conditions générales d'assurance ne prévoient exceptionnellement une telle imputation (BREHM, op. cit., n. 376 p. 191-192).
3.3
3.3.1
En l'espèce, l'autorité cantonale a constaté qu'aux termes de l'art. B1 des conditions générales d'assurance applicables à l'assurance d'une indemnité journalière en cas de maladie, "[l]orsque, sur constatation du médecin, l'assuré est totalement dans l'incapacité de travailler, X. paie l'indemnité journalière mentionnée dans la police" (ch. 1); "[e]n cas d'incapacité partielle de travail, l'indemnité journalière est fixée proportionnellement au degré de cette incapacité; elle est supprimée si l'incapacité de travail est inférieure à 25 %" (ch. 2).
Il apparaît ainsi clairement que le droit à une indemnité journalière n'est nullement subordonné à ce que l'assuré subisse une perte effective sur le plan économique, dès l'instant où un montant journalier forfaitaire est prévu en fonction du seul degré de l'incapacité de
BGE 133 III 527 S. 534
travail de l'assuré. On est donc en présence d'une assurance de sommes (cf. consid. 3.2.4 supra), dans le cadre de laquelle la prestation de l'assureur est due indépendamment du point de savoir si l'ayant droit reçoit des prestations de la part d'autres assureurs, sous réserve de dispositions particulières des conditions générales d'assurances sur ce point (cf. consid. 3.2.5 supra).
3.3.2
L'autorité cantonale a ensuite constaté qu'aux termes de l'art. B4 des conditions générales d'assurance, "[l]orsque l'assuré a droit à des prestations servies par des assurances sociales ou des assurances de l'entreprise ou par un tiers responsable, X. complète ses prestations dans les limites de la prestation à sa charge jusqu'à concurrence de l'indemnité journalière assurée" (ch. 1); "[l]orsque le droit à la rente d'une assurance sociale ou d'une assurance d'entreprise n'est pas encore établi, X. paie l'indemnité journalière assurée en tant que prestation anticipée, à condition toutefois que l'assuré ait donné son accord, par écrit, pour que les montants soient compensés directement avec les sommes versées par les assureurs précités" (ch. 2).
Les juges cantonaux ont considéré qu'il ressort clairement de cette disposition que le simple droit hypothétique à une prestation d'une assurance sociale n'est pas suffisant pour que l'assureur puisse l'imputer sur les indemnités journalières dues; par conséquent, il ne saurait être déduit des conditions générales d'assurance que la défenderesse est en droit d'imputer sur ses prestations celles auxquelles l'assuré peut prétendre de la part des assurances sociales, s'il n'annonce pas le cas à celles-ci.
3.3.3
Force est de constater, avec l'autorité cantonale, que les conditions générales d'assurance ne prévoient pas l'obligation pour l'assuré qui aurait droit à une rente d'une assurance sociale ou d'une assurance d'entreprise de solliciter cette rente, ni le droit pour l'assureur d'imputer sur ses propres prestations la rente hypothétique à laquelle l'assuré pourrait prétendre. Seul est prévu le droit pour l'assureur d'imputer sur les indemnités journalières assurées les rentes effectivement servies par une assurance sociale ou par une assurance d'entreprise. Il s'agit ainsi d'un droit qui est soumis à la condition que l'assuré perçoive une telle rente. Cela étant, comme la condition est réputée accomplie quand l'une des parties en a empêché l'avènement au mépris des règles de la bonne foi (
art. 156 CO
), on peut se demander si la demanderesse s'est comportée de manière contraire
BGE 133 III 527 S. 535
à la bonne foi en refusant de solliciter une rente de l'assurance-invalidité.
Pour juger si un comportement déterminé enfreint les règles de la bonne foi, il convient de l'apprécier en tenant compte de toutes les circonstances du cas d'espèce, en particulier des motifs et du but poursuivi; il faut se garder d'interpréter trop largement l'
art. 156 CO
, car, en convenant d'une condition, les parties ont introduit dans leurs relations un élément d'incertitude qu'elles doivent assumer; elles n'ont pas l'obligation de favoriser l'avènement de la condition, et la bonne foi n'exige pas qu'elles sacrifient leurs propres intérêts à cette fin (arrêts 4C.281/2005 du 15 décembre 2005, publié in SJ 2006 I p. 174, consid. 3.5, et C.254/1987 du 16 novembre 1987, publié in SJ 1988 p. 158, consid. 2a, et les références citées; cf.
ATF 117 II 273
consid. 5c p. 281 et les arrêts cités).
En l'espèce, le refus de la demanderesse de solliciter une rente de l'assurance-invalidité, alors qu'elle y avait été invitée par la défenderesse et qu'elle y aurait eu droit selon les constatations de l'autorité précédente, n'apparaît guère compréhensible, et la demanderesse n'expose aucun motif digne de protection à l'appui de ce refus. Si elle affirme qu'un assuré peut avoir des motifs légitimes à ne pas solliciter une rente de l'assurance-invalidité, car cela empêcherait par exemple l'assuré d'obtenir le versement de son capital de prévoyance professionnelle, elle ne prétend pas que telle serait en l'espèce la raison de son refus, étant observé au surplus que l'institution de prévoyance peut prévoir dans son règlement que les ayants droit peuvent choisir une prestation en capital en lieu et place d'une rente de vieillesse, de survivants ou d'invalidité (
art. 37 al. 4 let. a LPP
[RS 831.40]).
Dans ces circonstances, il convient d'admettre que la demanderesse s'est comportée de manière contraire à la bonne foi en refusant sans motif légitime de solliciter une rente de l'assurance-invalidité, empêchant ainsi l'avènement de la condition à laquelle la défenderesse aurait pu réduire ses prestations, conçues selon les conditions générales d'assurance comme subsidiaires à celles de l'assurance-invalidité.
3.3.4
Il résulte de ce qui précède que l'arrêt attaqué est conforme au droit fédéral dans son résultat en tant qu'il retient que la défenderesse était en droit d'imputer sur ses prestations dues au titre de l'assurance d'indemnités journalières en cas de maladie la rente AI
BGE 133 III 527 S. 536
hypothétique à laquelle la demanderesse aurait pu prétendre à compter du mois de mars 2004.
4.
4.1
S'agissant de l'assurance-accidents complémentaire - sur la base de laquelle la défenderesse a accordé des indemnités journalières pendant la période allant de l'accident du 20 juin 2005 au mois de janvier 2006, sous déduction de rentes d'invalidité hypothétiques pour un total de 15'435 fr. -, l'autorité cantonale a considéré que la défenderesse avait le droit de réduire ses prestations du montant de la rente d'invalidité hypothétique en vertu de l'
art. 51 al. 2 OLAA
, aux termes duquel l'assureur tenu de fournir une prestation peut faire dépendre l'ampleur de celle-ci du fait que l'assuré communique ou non son cas à d'autres assurances sociales. Les juges cantonaux ont estimé que la défenderesse pouvait invoquer cette disposition, dès lors que les conditions générales d'assurance relatives à l'assurance-accidents complémentaire à la LAA prévoyaient expressément à leurs art. 1 ch. 3 et 3 que les dispositions de la LAA s'appliquaient.
4.2
La demanderesse reproche à l'autorité cantonale d'avoir appliqué à tort l'
art. 51 al. 2 OLAA
. Elle soutient que les conditions générales d'assurance applicables à l'assurance-accidents complémentaire à la LAA ne prévoient pas un renvoi général aux dispositions de la LAA. La disposition topique de renvoi général à la loi applicable à titre subsidiaire serait en réalité l'art. 24 des conditions générales d'assurance, qui renvoie à la LCA et non à la LAA. C'est donc la seule LCA qui serait applicable, à l'exclusion des dispositions de la LAA et de l'OLAA.
Ce grief est mal fondé. Les conditions générales d'assurance applicables prévoient clairement l'application des dispositions de la LAA. L'art. 24 desdites conditions générales n'est d'aucun secours à la demanderesse, puisqu'il ne prévoit l'application de la LCA qu'"en complément aux présentes dispositions". C'est donc à raison que l'autorité cantonale a appliqué l'
art. 51 al. 2 OLAA
, lequel autorise l'assureur à réduire ses prestations du montant des prestations qui seraient probablement dues par l'assurance-invalidité (JEAN-MAURICE FRÉSARD/MARGIT MOSER-SZELESS, L'assurance-accidents obligatoire, in Ulrich Meyer [éd.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, vol. XIV, Soziale Sicherheit, 2
e
éd. 2007, p. 825 ss, n. 404 p. 956). | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f683aea-abb9-4eb9-9b7a-ed4084fa968b | Urteilskopf
136 III 605
90. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause Alejandro Valverde Belmonte contre Comitato Olimpico Nazionale Italiano (CONI), Agence Mondiale Antidopage (AMA) et Union Cycliste Internationale (UCI) (recours en matière civile)
4A_234/2010 du 29 octobre 2010 | Regeste
Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG
; internationale Schiedsgerichtsbarkeit; Zusammensetzung des Schiedsgerichts; Ablehnung.
Die Erfordernisse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder eines Schiedsgerichts gelten sowohl für die von den Parteien bezeichneten Schiedsrichter als auch für den Präsidenten des Schiedsgerichts (E. 3.2 und 3.3.1). Das Bundesgericht überprüft die Beachtung dieser Anforderungen, selbst wenn der Schiedsentscheid einstimmig gefällt worden ist (E. 3.3.2). Es trägt dabei den Besonderheiten der Sportschiedsgerichtsbarkeit Rechnung (E. 3.3.3). Falls sich die auf
Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG
gestützte Rüge als begründet erweist, kann das Bundesgericht selbst über die Ablehnung des betreffenden Schiedsrichters befinden (E. 3.3.4). Beurteilung der Umstände des konkreten Falls (E. 3.4). | Sachverhalt
ab Seite 605
BGE 136 III 605 S. 605
A.
Par décision du 11 mai 2009, le Tribunale Nazionale Antidoping du Comitato Olimpico Nazionale Italiano (CONI) a interdit à Alejandro Valverde Belmonte, coureur cycliste professionnel de
BGE 136 III 605 S. 606
nationalité espagnole, reconnu coupable de violation des normes antidopage italiennes (les NSA), de participer, pour une durée de deux ans, à des compétitions organisées par le CONI ou d'autres fédérations sportives nationales sur le territoire italien.
B.
B.a
Le 16 juin 2009, Alejandro Valverde Belmonte a saisi le Tribunal Arbitral du Sport (TAS) d'un appel dirigé contre cette décision.
Par courrier du 30 juin 2009, le CONI a désigné Ulrich Haas, professeur de droit à Zurich, comme arbitre. Le Professeur Haas a accepté cette mission, par lettre du 9 juillet 2009, en précisant qu'il avait fait partie de l'équipe d'experts constituée sous l'égide de l'Agence Mondiale Antidopage (AMA) pour réviser le Code Mondial Antidopage en 2006/2007.
Aucune des parties n'ayant requis la récusation du Professeur Haas, une Formation arbitrale, composée de Me Romano Subiotto QC (président), avocat à Bruxelles et à Londres, de Me José Juan Pintó (arbitre désigné par l'appelant), avocat à Barcelone, et d'Ulrich Haas, a été constituée le 3 août 2009. L'arbitre Pintó a renoncé ultérieurement à sa fonction en raison de son indisponibilité; il a été remplacé par Me Ruggero Stincardini, avocat à Pérouse.
B.b
Le 4 septembre 2009, le CONI a déposé son mémoire de réponse, en y formulant une demande d'appel en cause de l'Union Cycliste Internationale (UCI) et de l'AMA. Par décision préliminaire du 12 octobre 2009, le TAS a invité ces deux personnes morales à participer à la procédure d'arbitrage en qualité de co-intimées.
Dans un courrier du 16 octobre 2009, l'appelant a mis en cause l'indépendance du Professeur Haas en raison de l'admission de l'AMA comme nouvelle partie à la procédure pendante. De ce fait, chaque arbitre a été invité à compléter sa précédente déclaration d'indépendance. Ulrich Haas l'a fait, le 23 octobre 2009, en indiquant qu'il avait dirigé, comme expert juridique, le groupe de neuf personnes choisies par l'AMA pour observer l'application du programme antidopage aux Jeux Olympiques d'Athènes, en 2004, et fournir au public un rapport écrit concernant le déroulement de ce programme.
Par lettre du 29 octobre 2009, l'appelant a déposé une demande de récusation visant le Professeur Haas. En sus des motifs déjà invoqués dans son courrier du 16 octobre 2009, il y faisait également valoir, documents à l'appui, la participation de cette personne à diverses réunions ou conférences en qualité de représentant de l'AMA.
BGE 136 III 605 S. 607
Après avoir donné à tous les intéressés l'occasion de prendre position sur la demande de récusation, le Bureau du Conseil International de l'Arbitrage en matière de Sport (CIAS) a rejeté cette demande par décision du 23 novembre 2009. A l'appui de cette décision, le Bureau du CIAS a constaté que le Professeur Haas n'avait jamais représenté l'une des parties, mais s'était uniquement vu confier deux missions en tant qu'expert neutre et indépendant, dont la seconde s'était achevée en novembre 2007. Fort de cette constatation, il a énoncé les motifs suivants sur le point controversé:
"36. Certes, il est possible qu'au vu de sa nomination par l'AMA à la fonction de Président des Observateurs Indépendants en 2004, de son obligation de rapporter ses observations à l'AMA, et de sa participation à la révision du Code établi sous l'égide de cette agence, le requérant ait pu avoir l'impression que le Professeur Ulrich Haas ne bénéficiait alors pas d'une indépendance absolue à l'égard de l'AMA et ce malgré la nature des missions qui lui étaient confiées. Le Bureau du CIAS estime toutefois qu'absolument aucun des motifs invoqués ne permet de douter de l'existence, aujourd'hui, d'un lien de subordination, économique ou encore affectif entre lui et cette partie susceptible d'entraver sa décision.
37. Après avoir dûment considéré les arguments des parties, les observations du Professeur Haas, la doctrine, la jurisprudence et, à titre purement indicatif les lignes directrices de l'IBA [International Bar Associa
tion], le Bureau du CIAS considère ainsi qu'il n'existe absolument au
cune circonstance qui, constatée objectivement, serait de nature à éveiller des soupçons quant à l'impartialité ou à l'indépendance du Professeur Ulrich Haas dans le présent arbitrage. Il convient dès lors de rejeter la requête."
B.c
Le 30 décembre 2009, l'appelant a interjeté un recours en matière civile au Tribunal fédéral en vue d'obtenir l'annulation de la décision du CIAS.
Par arrêt du 13 avril 2010, la I
re
Cour de droit civil a constaté l'irrecevabilité du recours, la décision sur une demande de récusation prise par un organisme privé, tel le CIAS, ne pouvant pas être attaquée directement devant le Tribunal fédéral (cause 4A_644/2009).
B.d
Une fois la question de la récusation du Professeur Haas liquidée, le TAS a instruit la cause sur le fond. Cela fait, le 16 mars 2010, il a rendu, à l'unanimité, une sentence par laquelle il a confirmé la décision de suspension pour une durée de deux ans, à compter du 11 mai 2009, prise à l'encontre du coureur cycliste espagnol.
C.
Le 28 avril 2010, Alejandro Valverde Belmonte, agissant par la voie du recours en matière civile, a demandé au Tribunal fédéral d'annuler la sentence du TAS et de prononcer la récusation de l'arbitre Ulrich Haas.
BGE 136 III 605 S. 608
Après avoir procédé à un double échange d'écritures, le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Dans un premier moyen, fondé sur l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
(RS 291), le recourant se plaint de la composition irrégulière de la Formation qui a rendu la sentence attaquée.
3.1
Le 29 octobre 2009, le recourant, se conformant aux prescriptions de l'art. R34 du Code de l'arbitrage en matière de sport (<http://www.tas-cas.org/arbitragereglement>; ci-après: Code), avait également déposé une demande de récusation visant l'arbitre Haas auprès du CIAS. Le Bureau de cet organisme a rejeté ladite demande par décision du 23 novembre 2009. Emanant d'un organisme privé, cette décision, qui ne pouvait pas faire l'objet d'un recours direct au Tribunal fédéral (cf., ci-dessus, let. B.c), ne saurait lier ce dernier. La Cour de céans peut donc revoir librement si les circonstances invoquées à l'appui de la demande de récusation sont de nature à fonder le grief de désignation irrégulière de la Formation du TAS comprenant l'arbitre incriminé (
ATF 128 III 330
consid. 2.2 p. 332).
3.2
3.2.1
Un arbitre doit, à l'instar d'un juge étatique, présenter des garanties suffisantes d'indépendance et d'impartialité (
ATF 125 I 389
consid. 4a;
ATF 119 II 271
consid. 3b et les arrêts cités). Le non-respect de cette règle conduit à une désignation irrégulière relevant de l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
(
ATF 118 II 359
consid. 3b). Pour dire si un arbitre présente de telles garanties, il faut se référer aux principes constitutionnels développés au sujet des tribunaux étatiques (
ATF 125 I 389
consid. 4a;
ATF 118 II 359
consid. 3c p. 361). Il convient, toutefois, de tenir compte des spécificités de l'arbitrage, et singulièrement de l'arbitrage international, lors de l'examen des circonstances du cas concret (
ATF 129 III 445
consid. 3.3.3 p. 454).
Selon l'
art. 30 al. 1 Cst.
, toute personne dont la cause doit être jugée dans une procédure judiciaire a droit à ce que sa cause soit portée devant un tribunal établi par la loi, compétent, indépendant et impartial. Cette garantie permet d'exiger la récusation d'un juge dont la situation ou le comportement est de nature à faire naître un doute sur son impartialité (
ATF 126 I 68
consid. 3a p. 73); elle tend
BGE 136 III 605 S. 609
notamment à éviter que des circonstances extérieures à la cause ne puissent influencer le jugement en faveur ou au détriment d'une partie. Elle n'impose pas la récusation seulement lorsqu'une prévention effective du juge est établie, car une disposition interne de sa part ne peut guère être prouvée; il suffit que les circonstances donnent l'apparence de la prévention et fassent redouter une activité partiale du magistrat. Seules les circonstances constatées objectivement doivent être prises en considération; les impressions purement individuelles d'une des parties au procès ne sont pas décisives (
ATF 128 V 82
consid. 2a p. 84 et les arrêts cités).
L'impartialité subjective - qui est présumée jusqu'à preuve du contraire - assure à chacun que sa cause sera jugée sans acception de personne (
ATF 129 III 445
consid. 3.3.3 p. 454;
ATF 128 V 82
consid. 2a p. 84 et les arrêts cités).
L'impartialité objective tend notamment à empêcher la participation du même magistrat à des titres divers dans une même cause (
ATF 131 I 113
consid. 3.4 p. 117) et à garantir l'indépendance du juge à l'égard de chacun des plaideurs (arrêt 4P.187/2006 du 1
er
novembre 2006 consid. 3.2.2).
3.2.2
La partie qui entend récuser un arbitre doit invoquer le motif de récusation aussitôt qu'elle en a connaissance. Cette règle jurisprudentielle, reprise expressément à l'art. R34 du Code, vise aussi bien les motifs de récusation que la partie intéressée connaissait effectivement que ceux qu'elle aurait pu connaître en faisant preuve de l'attention voulue (
ATF 129 III 445
consid. 4.2.2.1 p. 465 et les références), étant précisé que choisir de rester dans l'ignorance peut être regardé, suivant les cas, comme une manoeuvre abusive comparable au fait de différer l'annonce d'une demande de récusation (arrêt 4A_506/2007 du 20 mars 2008 consid. 3.1.2). La règle en question constitue une application, au domaine de la procédure arbitrale, du principe de la bonne foi. En vertu de ce principe, le droit d'invoquer le moyen tiré de la composition irrégulière du tribunal arbitral se périme si la partie ne le fait pas valoir immédiatement, car elle ne saurait le garder en réserve pour ne l'invoquer qu'en cas d'issue défavorable de la procédure arbitrale (
ATF 129 III 445
consid. 3.1 p. 449 et les arrêts cités).
3.3
Les arguments avancés de part et d'autre dans la présente procédure de recours justifient que le Tribunal fédéral apporte quelques précisions aux principes qui viennent d'être rappelés.
BGE 136 III 605 S. 610
3.3.1
Le CONI fait valoir, dans sa réponse au recours, que, nonobstant l'intitulé de son grief ("Manque d'indépendance et d'impartialité d'un arbitre"), le recourant ne se plaint, en réalité, que du manque d'
impartialité
de l'arbitre Haas. Or, poursuit cet intimé, selon la doctrine classique la plus autorisée, la condition d'impartialité ne s'applique pas aux arbitres nommés par les parties, mais exclusivement au président du tribunal arbitral ou à l'arbitre unique. Dès lors, l'intéressé invite le Tribunal fédéral à se prononcer sur la recevabilité du grief formulé par le recourant dans la mesure où il revient à contester, non pas l'indépendance, mais l'impartialité de l'arbitre Haas.
Dans sa jurisprudence antérieure à l'entrée en vigueur de la LDIP, le 1
er
janvier 1989, le Tribunal fédéral avait jugé que l'impartialité requise des membres d'un tribunal arbitral s'imposait aussi bien à ceux qui sont désignés par les parties qu'au surarbitre (
ATF 105 Ia 247
; voir aussi:
ATF 113 Ia 407
consid. 2a p. 409). Sous l'empire de la nouvelle loi, il a d'abord laissé la question ouverte (
ATF 118 II 359
consid. 3c). Dans deux décisions ultérieures non publiées, il a tiré argument de l'absence de mention de la notion d'impartialité à l'
art. 180 al. 1 let
. c LDIP pour en déduire que l'abandon de ce critère atténue l'assimilation que faisait la jurisprudence entre les statuts d'arbitre de partie et de président du tribunal arbitral ou d'arbitre unique (arrêts 4P.224/1997 du 9 février 1998 consid. 3a et 4P.292/1993 du 30 juin 1994 consid. 4). Par la suite, le Tribunal fédéral a derechef laissé la question indécise (arrêt 4P.188/2001 du 15 octobre 2001 consid. 2b), affirmant, dans le dernier arrêt publié sur ce point, que savoir s'il faut se montrer moins exigeant à l'égard de l'arbitre choisi par l'une des parties est une question qui n'a pas été tranchée (
ATF 129 III 445
consid. 3.3.3 p. 454; cf. BERNARD CORBOZ, Commentaire de la LTF, 2009, n° 91 i.f. ad
art. 77 LTF
qui y voit peut-être un rejet implicite de l'idée).
La doctrine est divisée sur le problème controversé. Certains auteurs, que l'on pourrait qualifier de réalistes ou de pragmatiques, considèrent qu'il serait illusoire, surtout en matière d'arbitrage international, de vouloir exiger d'un arbitre désigné par une partie le même degré d'indépendance et d'impartialité que celui qui est requis du président d'un tribunal arbitral ou d'un arbitre unique (cf. parmi d'autres:PIERRE LALIVE, Sur l'impartialité de l'arbitre international en Suisse, SJ 1990 p. 362 ss, 368 à 371; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, 1989,
BGE 136 III 605 S. 611
n° 4 ad
art. 180 LDIP
;ANDREAS BUCHER, Le nouvel arbitrage international en Suisse, 1988, n
os
168 à 170; FRANK VISCHER, in Zürcher Kommentar zum IPRG, 2
e
éd. 2004, n° 8 ad
art. 180 LDIP
; PATOCCHI/GEISINGER, Internationales Privatrecht, 2000, n° 5.5 ad
art. 180 LDIP
; PETER/BESSON, in Commentaire bâlois, Internationales Privatrecht, 2
e
éd. 2007, n
os
13 s. ad
art. 180 LDIP
; FRANK OSCHÜTZ, Sportschiedsgerichtsbarkeit, 2004, p. 125 ss). D'autres auteurs, qui en font une question de crédibilité de l'arbitrage, estiment, au contraire, que les garanties d'indépendance et d'impartialité doivent être les mêmes pour un arbitre désigné par une partie que pour le président du tribunal arbitral ou pour l'arbitre unique (cf. parmi d'autres: KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, Arbitrage international, 2
e
éd. 2010, n
os
362 s.; BERGER/KELLERHALS, Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 2006, n° 738; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, 2
e
éd. 1993, p. 173 s.; BERNARD DUTOIT, Droit international privé suisse, 4
e
éd. 2005, n° 4 ad
art. 180 LDIP
, p. 635; KNOEPFLER/SCHWEIZER, Arbitrage international, 2003, p. 613 s.; JENS-PETER LACHMANN, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3
e
éd. 2008, n
os
974 ss; FOUCHARD/GAILLARD/GOLDMAN, Traité de l'arbitrage commercial international, 1996, n° 1046 i.f.; THOMAS CLAY, L'arbitre, 2001, n
os
343 ss). Selon le dernier auteur cité, cette seconde conception, qu'il désigne par l'expression d'
indépendance monolithique
, pour l'opposer à l'
indépendance variable
, serait "majoritaire au point d'être presque universelle" (CLAY, op. cit., n° 343; voir aussi l'interprétation originale de la position suisse faite par cet auteur in n° 350). Cette conception a d'ailleurs été suivie par les directives de l'
International Bar Association
(IBA) sur les conflits d'intérêts en matière d'arbitrage (cf. KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, op. cit., n° 363). C'est également sur elle que reposent les dispositions du nouveau Code de procédure civile suisse (CPC; à partir du 1
er
janvier 2011 RS 272) relatives à la récusation en matière d'arbitrage interne, en particulier l'
art. 367 al. 1 let
. c CPC (RO 2010 1825), lequel énonce explicitement le critère de l'impartialité, pour plus de clarté et pour aligner le texte sur le droit étranger et international (Message du 28 juin 2006 relatif au Code de procédure civile suisse, FF 2006 7003 [ad art. 361 du projet] et 7004 [ad art. 365 du projet]), et s'applique indifféremment à tous les membres du tribunal arbitral (URS WEBER-STECHER, in Commentaire bâlois, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, n° 19 ad
art. 367 CPC
).
BGE 136 III 605 S. 612
L'absence de mention de la notion d'impartialité à l'
art. 180 al. 1 let
. c LDIP, sur laquelle faisaient fond les deux précédents invoqués par le CONI à l'appui de sa thèse, n'apparaît pas déterminante pour résoudre la question litigieuse. En effet, lorsqu'il se prononce sur le moyen pris de la composition irrégulière du tribunal arbitral (
art. 190 al. 2 let. a LDIP
), le Tribunal fédéral se réfère à une norme de rang supérieur - l'
art. 30 Cst.
- pour en déduire directement qu'un tribunal arbitral, à l'égal d'un tribunal étatique, doit présenter des garanties suffisantes tant d'indépendance que d'impartialité. Pour dire si un tribunal arbitral offre de telles garanties, la jurisprudence actuelle se réfère du reste aux principes constitutionnels développés au sujet des tribunaux étatiques (voir les arrêts cités au consid. 3.2.1 ci-dessus). Ce faisant, elle ne fait pas de distinction stricte entre les notions d'indépendance et d'impartialité, si tant est que cela soit possible en matière d'arbitrage, et paraît vouloir inclure la première notion dans la seconde, plus large, au titre de l'impartialité objective, par opposition à l'impartialité subjective (sur la distinction entre les deux types d'impartialité, voir les arrêts cités au consid. 3.2.1 in fine). En outre et surtout, cette jurisprudence ne fait plus de différence entre la situation d'un membre du tribunal arbitral et celle du président du tribunal arbitral (cf., parmi d'autres, l'arrêt 4A_458/2009 du 10 juin 2010 consid. 3.2 et 3.3), rejetant implicitement l'idée d'une telle distinction. Il convient de le faire ici de manière expresse. Force est, dès lors, d'admettre que l'indépendance et l'impartialité requises des membres d'un tribunal arbitral s'imposent aussi bien aux arbitres désignés par les parties qu'au président du tribunal arbitral. En énonçant ce principe, le Tribunal fédéral est certes conscient qu'une indépendance absolue de tous les arbitres constitue un idéal qui ne correspondra que rarement à la réalité. Aussi bien, le mode de désignation des membres du tribunal arbitral crée, qu'on le veuille ou non, un lien objectif, si ténu soit-il, entre l'arbitre et la partie qui l'a désigné, puisque celui-là, à l'inverse du juge étatique, ne tient son pouvoir et sa place que de la volonté de celle-ci. Il s'agit là toutefois d'une conséquence inhérente à la procédure arbitrale, dont il faut s'accommoder. Elle implique qu'un arbitre ne puisse pas être récusé du seul fait qu'il a été choisi par l'une des parties en litige. Doit être exclu, en revanche, le système dit de l'arbitre-partie dans lequel l'arbitre désigné par chacune des parties ne serait pas astreint à la même indépendance et à la même impartialité que l'arbitre appelé à présider le tribunal
BGE 136 III 605 S. 613
arbitral. L'idée que l'arbitre puisse n'être que l'avocat de "sa" partie au sein du tribunal arbitral doit être résolument écartée sous peine de mettre en péril l'institution de l'arbitrage comme telle. En ce sens, le Tribunal fédéral peut faire sienne la conclusion suivante, tirée voilà bientôt quinze ans déjà par des professeurs de droit français faisant autorité dans le domaine de l'arbitrage international: "compte tenu de la dégradation des moeurs parfois constatée dans l'arbitrage international et des manoeuvres auxquelles se livre parfois l'arbitre désigné par une partie, il n'est pas suffisant d'exiger de lui un comportement de bonne foi: il est préférable de s'en tenir aux principes, en espérant qu'ils permettront, en pratique, de tempérer les dérives des arbitres-partisans" (FOUCHARD/GAILLARD/GOLDMAN, ibid.).
3.3.2
Dans sa réponse au recours, l'AMA, relevant que la sentence attaquée a été rendue à l'unanimité, considère comme douteux que le recourant puisse se prévaloir de la prétendue partialité de l'arbitre Haas pour étayer son grief fondé sur l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
.
Les doutes exprimés par cette intimée ne sont pas de mise. En effet, le grief en question est de nature formelle, en ce sens que la LDIP n'exige pas de la partie recourante la démonstration que la sentence eût été différente si le tribunal arbitral avait été régulièrement composé (KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, op. cit., n° 798). On voit mal, d'ailleurs, comment une telle démonstration pourrait être faite concrètement, même s'il n'est pas exclu, en soi, que la participation d'un arbitre récusable à la prise de décision du tribunal arbitral ait eu une incidence déterminante sur le sort du litige, en dépit du fait que la sentence a été rendue à l'unanimité. Il est, en effet, parfaitement imaginable que semblable unanimité n'ait pu être acquise que grâce au pouvoir de persuasion de l'arbitre en question et à l'ascendant que cette personne a exercé, pour telle ou telle raison, sur le coarbitre (ou les deux coarbitres) qui n'était pas du même avis qu'elle au départ.
Dès lors, il sied tout au plus de concéder au TAS que l'annulation d'une sentence rendue à l'unanimité ne se justifiera qu'en dernière extrémité, eu égard aux conséquences pouvant en résulter. Elle n'en demeure pas moins la seule mesure envisageable lorsque le défaut d'indépendance ou d'impartialité de l'arbitre mis en cause est avéré.
3.3.3
A suivre le recourant, il conviendrait de poser des exigences accrues quant à l'indépendance et à l'impartialité des arbitres fonctionnant dans les Formations mises en oeuvre par le TAS, étant donné les spécificités de l'arbitrage sportif.
BGE 136 III 605 S. 614
Pourtant, tel n'est pas le sens de la jurisprudence en la matière, qu'il n'y a pas lieu de soumettre à un nouvel examen. Selon cette jurisprudence, l'arbitrage sportif institué par le TAS présente des spécificités, comme la liste fermée d'arbitres, dont on ne saurait faire abstraction, même si elles ne justifient pas en soi de se montrer moins exigeant pour l'arbitrage sportif que pour l'arbitrage commercial (arrêts 4A_458/2009, précité, consid. 3.1 et 4A_506/2007, précité, consid. 3.1.1 et les références). En d'autres termes, le respect des garanties d'indépendance et d'impartialité exigées de tout arbitre doit être examiné à la même aune dans l'un et l'autre domaine. Aussi ne se justifie-t-il pas de réserver un traitement spécial aux arbitres du TAS, c'est-à-dire de se montrer particulièrement strict dans l'examen de leur indépendance et de leur impartialité. A cet égard, KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI (op. cit., n° 368 p. 204) méconnaissent le sens de cette jurisprudence lorsqu'ils paraissent vouloir soutenir que, de l'avis du Tribunal fédéral, les spécificités en question, "dont on ne saurait faire abstraction", imposeraient un examen plus sévère des garanties offertes par les arbitres du TAS que de celles présentées par les arbitres appelés à trancher des litiges commerciaux. Il appert, au contraire, du passage cité par ces deux auteurs, et singulièrement de l'expression "même si", que s'il ne faut pas examiner avec plus d'indulgence l'indépendance et l'impartialité d'un arbitre du TAS, il ne faut pas non plus perdre de vue les particularités de cet arbitrage sportif à l'occasion de cet examen. Cela signifie, notamment, que, l'indépendance institutionnelle du TAS à l'égard de toutes les parties faisant appel à ses services ayant été admise dans un arrêt de principe (
ATF 129 III 445
consid. 3.3.4), il ne peut être fait abstraction des spécificités de cet arbitrage sportif lorsqu'il s'agit de vérifier la régularité de la composition d'une Formation du TAS; il faut donc prendre en considération le fait que le choix des arbitres est restreint, que ceux-ci doivent être au bénéfice d'une formation juridique et qu'ils sont tenus d'avoir une compétence reconnue en matière de sport (
ATF 129 III 445
consid. 4.2.2.2 p. 467). Ces particularités font que les arbitres du TAS peuvent être amenés à côtoyer des organisations sportives, des avocats spécialisés et d'autres experts en droit du sport sans que de tels contacts soient en eux-mêmes de nature à compromettre nécessairement leur indépendance. Ne pas prendre en compte ces particularités-là irait à fins contraires, car cela reviendrait à multiplier les possibilités de récusation et, partant, les incidents de procédure, alors que le but de la
BGE 136 III 605 S. 615
juridiction arbitrale sportive institutionnalisée consiste à favoriser la liquidation rapide des litiges en matière de sport par des tribunaux spécialisés présentant des garanties suffisantes d'indépendance et d'impartialité (cf.
ATF 133 III 235
consid. 4.3.2.3 p. 245). Quoi qu'il en soit, dire si la Formation considérée offrait de telles garanties dépendra toujours de l'analyse des circonstances du cas concret, de sorte qu'il serait vain de vouloir énoncer en ce domaine des principes immuables.
3.3.4
Le recourant demande au Tribunal fédéral de prononcer la récusation de l'arbitre Haas.
En matière d'arbitrage concordataire, l'admissibilité d'une telle conclusion ne fait pas problème, car il n'existe pas de disposition, tel l'
art. 77 al. 2 LTF
, qui exclurait l'application de l'
art. 107 al. 2 LTF
. Dès lors, conformément à cette dernière disposition, qui attribue un pouvoir de réforme au Tribunal fédéral, rien ne s'oppose à ce que celui-ci prononce lui-même la récusation d'un arbitre dans le cadre d'un arbitrage interne, s'il considère que l'autorité cantonale prévue à l'art. 3 let. b du concordat sur l'arbitrage du 27 mars 1969 (CA; RO 1969 1117) a rejeté à tort la demande de récusation (arrêt 4A_586/2008 du 12 juin 2009 consid. 1.1). De ce point de vue, la situation ne diffère pas de celle qui prévaut en cas d'annulation d'une décision rejetant une demande de récusation d'un juge étatique (cf. arrêt 1B_242/2007 du 28 avril 2008 consid. 3, non publié in
ATF 134 I 238
).
Dans le domaine de l'arbitrage international, la question est plus délicate du fait que la première disposition susmentionnée, en écartant l'application de la seconde, établit le caractère purement cassatoire du recours fédéral dirigé contre une sentence arbitrale internationale. Cette question a du reste été laissée ouverte dans les derniers arrêts rendus sur ce point (arrêts 4A_539/2008 du 19 février 2009 consid. 2.2, 4A_210/2008 du 29 octobre 2008 consid. 2.2 et 4P.196/2003 du 7 janvier 2004 consid. 2.2), alors qu'il était arrivé antérieurement au Tribunal fédéral de constater, à une occasion au moins et de manière incidente, qu'il pourrait prononcer lui-même la récusation de l'arbitre incriminé en cas d'admission du grief fondé sur l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
(arrêt 4P.263/2002 du 10 juin 2003 consid. 3.2).
Les auteurs qui ont abordé cette question paraissent favorables à la solution retenue dans le dernier arrêt cité, même s'ils ne sont pas tous aussi affirmatifs que celui-ci (cf. parmi d'autres:
BGE 136 III 605 S. 616
LALIVE/POUDRET/REYMOND, op. cit., n° 3.6 ad
art. 191 LDIP
; BUCHER, op. cit., n° 380; DUTOIT, op. cit., n° 7 ad
art. 182 LDIP
et n° 8 ad
art. 191 LDIP
; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, op. cit., n° 779a; BESSON, op. cit., p. 22 n° 50). L'un d'eux justifie son opinion en évoquant le risque que la sentence puisse être annulée par le Tribunal fédéral pour défaut d'indépendance d'un arbitre sans que le rétablissement de la régularité de la constitution du tribunal arbitral soit ensuite assuré (BESSON, ibid.).
Le caractère cassatoire du moyen de droit fédéral ouvert contre une sentence arbitrale internationale n'est pas absolu. Exception y avait déjà été faite, sous l'empire de l'ancienne loi fédérale d'organisation judiciaire, relativement à la compétence ou à l'incompétence du tribunal arbitral, que le Tribunal fédéral pouvait constater lui-même (
ATF 128 III 50
consid. 1b). Exception y est toujours faite, en ce domaine, depuis l'entrée en vigueur de la LTF (arrêt 4A_128/2008 du 19 août 2008 consid. 2.1, non publié in
ATF 134 III 565
). Il doit en aller de même en ce qui concerne la récusation d'un arbitre, pour des motifs relevant à la fois de la sécurité du droit et de l'économie de la procédure. En effet, si le Tribunal fédéral se contentait d'annuler la sentence attaquée, après avoir admis le grief fondé sur l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
, la nouvelle sentence devrait être rendue en principe par les mêmes arbitres (cf. LALIVE/POUDRET/REYMOND, ibid.), ce qui contraindrait la partie ayant obtenu gain de cause devant le Tribunal fédéral à déposer une nouvelle demande de récusation de l'arbitre incriminé au cas où celui-ci refuserait de se déporter spontanément. L'issue de la procédure arbitrale s'en trouverait différée d'autant et la possibilité de manoeuvres dilatoires ne pourrait être exclue dans une telle situation. Par conséquent, si elle venait à admettre le grief formulé par le recourant, la Cour de céans prononcerait elle-même la récusation de l'arbitre Haas.
3.4
Il y a lieu d'examiner, sur le vu de ces principes jurisprudentiels ainsi complétés, si le tribunal arbitral qui a rendu la sentence contestée était ou non irrégulièrement composé du fait de la présence du Professeur Haas en son sein.
3.4.1
Pour procéder à cet examen, le Tribunal fédéral s'en tiendra aux seuls faits constatés dans la décision prise le 23 novembre 2009 par le Bureau du CIAS au sujet de la demande de récusation de l'arbitre Haas. Aussi fera-t-il abstraction de l'allégation du recourant, étayée de surcroît par des pièces nouvelles, voulant que le
BGE 136 III 605 S. 617
Professeur Haas ait été nommé récemment comme arbitre par l'AMA, à trois reprises au moins, dans des affaires soumises au TAS. Il ne tiendra pas non plus compte, pour le même motif, de l'affirmation du recourant, ainsi que de la pièce y relative, selon laquelle ce serait "en qualité de délégué de l'AMA" qu'Ulrich Haas avait participé à diverses réunions et conférences ayant pour objet les règles antidopage, notamment à un congrès organisé par SportAccord en 2007. En effet, le CIAS retient à cet égard, dans la susdite décision, qu'"il n'est nulle part mentionné que le Professeur Ulrich Haas ait participé à la révision du Code ou à des réunions en tant que représentant de l'AMA". De même, le recourant s'écarte des constatations de la décision précitée lorsqu'il souligne l'"importance de l'AMA pour le marché des services juridiques en matière de lutte antidopage".
En définitive, les seules circonstances avérées qui entrent en ligne de compte pour l'examen de l'indépendance et de l'impartialité de l'arbitre mis en cause sont, d'une part, le fait que celui-ci a dirigé, comme expert juridique, le groupe de neuf personnes indépendantes choisies par l'AMA pour observer l'application du programme antidopage aux Jeux Olympiques d'Athènes en 2004 et fournir au public un rapport écrit concernant le déroulement de ce programme; d'autre part, l'appartenance de l'intéressé à l'équipe d'experts constituée sous l'égide de l'AMA pour réviser le Code Mondial Antidopage en 2006/2007 et sa participation, dans ce cadre-là, à la conférence SportAccord, en avril 2007, pour y présenter l'état des travaux de révision.
3.4.2
Comme on l'a déjà relevé, les règles de la bonne foi, dont l'art. R34 du Code est l'expression, exigent de la partie qui entend récuser un arbitre qu'elle invoque le motif de récusation aussitôt qu'elle en apprend l'existence ou qu'elle aurait pu l'apprendre en faisant preuve de l'attention voulue (cf. consid. 3.2.2. ci-dessus).
Dans sa réponse au recours, le TAS exprime des doutes quant au respect de ces règles par le recourant. Certes, à s'en tenir à la chronologie des faits que ce dernier expose dans ses observations et en prenant comme
dies a quo
le jour où l'intéressé a été informé officiellement que l'AMA participerait à la procédure arbitrale pendante (décision préliminaire du 12 octobre 2009), il apparaît que le recourant a réagi en temps utile en mettant en cause l'indépendance du Professeur Haas dans un courrier du 16 octobre 2009, puis en demandant formellement la récusation de cet arbitre, par requête du 29 octobre 2009, après avoir pris connaissance de la déclaration
BGE 136 III 605 S. 618
d'indépendance complétée le 23 octobre 2009 par celui-ci. Cependant, le problème est ailleurs. Force est, en effet, d'admettre qu'à la date à laquelle Ulrich Haas a accepté sa mission d'arbitre, soit le 9 juillet 2009, le recourant n'ignorait pas ou, à tout le moins, ne pouvait pas raisonnablement ignorer les deux circonstances qu'il a opposées ultérieurement à l'arbitre en question: la collaboration du Professeur Haas à la révision du Code Mondial Antidopage était relatée
expressis verbis
dans la déclaration d'acceptation du 9 juillet 2009; quant au fait que le prénommé avait dirigé le groupe d'observateurs indépendants aux Jeux Olympiques d'Athènes en 2004, il ressortait déjà du rapport publié par l'AMA, notamment sur son site internet (sur le devoir de curiosité incombant aux parties, voir l'arrêt 4A_506/2007, précité, consid. 3.2). Or, à ce moment-là, le recourant n'a pas requis la récusation du Professeur Haas, signe qu'il ne trouvait rien à redire à la présence de cette personne au sein de la Formation devant connaître de son appel. Il ne l'a fait qu'ensuite, après que l'AMA avait été invitée à participer à la procédure d'arbitrage sur appel en cause du CONI. C'est précisément cet atermoiement qui ne manque pas de surprendre. En effet, si, comme le recourant le soutient, les intérêts de l'AMA dans l'arbitrage "sont identiques à ceux du CONI" et "clairement opposés" aux siens, on peut s'étonner, avec le TAS, sur le vu des motifs de récusation invoqués, que l'appelant ait accepté, dans un premier temps, d'être jugé par une Formation comprenant un arbitre qui entretenait, selon lui, des rapports étroits avec l'organisation mondiale spécialisée dans la lutte contre le dopage et qui avait été choisi par le CONI, partie à la procédure arbitrale, lequel organisme, aux dires de l'intéressé, "joue en Italie le rôle d'agence nationale antidopage".
Quoi qu'il en soit, il n'est pas nécessaire de pousser plus avant l'analyse sur ce point, dès lors que, pour les motifs indiqués plus loin (cf. consid. 3.4.4), le grief considéré n'est pas fondé.
3.4.3
Relativement aux deux circonstances qu'il convient de retenir pour l'examen de ce grief (cf. consid. 3.4.1, 2
e
§), le recourant développe l'argumentation résumée ci-après.
Le Professeur Haas a été choisi par l'AMA pour présider le groupe d'observateurs indépendants aux Jeux Olympiques d'Athènes en 2004. Il a ainsi eu l'insigne honneur d'être désigné pour surveiller l'application d'un programme fondamental; de surcroît, cette désignation est intervenue lors de la première mise en oeuvre de ce
BGE 136 III 605 S. 619
programme dans le cadre d'une manifestation sportive majeure et à l'occasion de l'entrée en vigueur du Code Mondial Antidopage.
En outre, l'AMA a sélectionné le Professeur Haas pour faire partie du groupe d'experts chargé de rédiger le nouveau Code Mondial Antidopage. Ce mandat a duré au moins deux ans - 2006 et 2007 - et l'information y relative figure en bonne place dans le curriculum vitae de cet arbitre publié sur le site internet du TAS. Le Professeur Haas, qui a du reste participé à diverses conférences pour le compte et au nom de l'AMA dans le cadre de ce mandat, tel le congrès SportAccord en 2007, a ainsi pris une part très active dans l'élaboration de la réglementation antidopage de l'AMA, laquelle a été reprise par le CONI et a donc servi indirectement à résoudre le fond du présent litige. Le risque existe donc que le Professeur Haas ne se sente pas libre dans l'interprétation ou l'application des règles qu'il a contribué à élaborer.
Le Professeur Haas a été rémunéré pour les activités effectuées à la demande de l'AMA. Celles-ci lui ont été confiées en sa qualité de mandataire de cet organisme, dont il était tenu de suivre les instructions et auquel il devait faire rapport. Il est probable que l'AMA fasse derechef appel au Professeur Haas lorsqu'elle aura à nouveau besoin des services de ce spécialiste reconnu mondialement dans le domaine des règles antidopage. Ce lien entre l'AMA et le Professeur Haas et les expectatives de ce dernier quant à l'octroi de futurs mandats constituent des faits qui, examinés objectivement, sont susceptibles de faire naître chez toute personne raisonnable, tel le recourant, un doute légitime quant à l'impartialité de cet arbitre, ce que le CIAS a du reste retenu dans sa décision sans en tirer toutefois les conséquences qui s'imposaient. Il existe, à cet égard, une analogie particulièrement marquée entre le cas concret et ceux, tranchés par le Tribunal fédéral (
ATF 116 Ia 135
et 485), dans lesquels un avocat exerçant accessoirement la fonction de juge avait été appelé à statuer dans un litige opposant l'un de ses clients importants (une banque cantonale, resp. une grande ville) à un tiers. Il est, en effet, à craindre, ici aussi, qu'un arbitre ayant des liens étroits et durables avec une partie se trouve placé dans un conflit opposant l'intérêt d'une administration impartiale de la justice à l'intérêt d'un de ses clients importants, et qu'il ne privilégie cet intérêt-ci.
3.4.4
Le Professeur Haas a effectivement dirigé le groupe d'observateurs indépendants aux Jeux Olympiques d'Athènes en juillet-
BGE 136 III 605 S. 620
août 2004, c'est-à-dire quelque cinq ans avant le début de la procédure d'appel conduite par le TAS. Dans sa déclaration d'indépendance complétée du 23 octobre 2009, il a indiqué en quoi consistait une telle mission, insistant plus particulièrement sur le fait qu'il l'avait exécutée en ayant les coudées franches et sans jamais être soumis à des directives de l'AMA. Le recourant ne conteste pas la description que le Professeur Haas a faite de son activité dans le cadre de cette mission. Il met toutefois en doute l'indépendance du prénommé à l'égard de l'AMA au motif que, selon la définition que donne le Code Mondial Antidopage du programme des observateurs indépendants, ceux-ci travailleraient "sous la supervision de l'AMA". Cependant, semblable argument, fondé sur la seule définition abstraite du programme en question, n'infirme en rien la description concrète de la tâche des observateurs, faite en l'espèce, dont il appert que le Professeur Haas a exercé la mission qui lui avait été confiée en toute indépendance vis-à-vis de l'AMA. En outre, quoi qu'en dise le recourant, il n'est pas établi qu'Ulrich Haas se soit vu accorder autre chose qu'un simple défraiement pour l'exécution de ladite mission. Que l'intéressé ait pu être honoré du choix de sa personne pour diriger le groupe d'observateurs indépendants, comme le soutient encore le recourant, n'est sans doute pas à exclure, au demeurant, mais il ne s'agit pas là d'une circonstance qui était propre à le rendre dépendant de l'organisme ayant retenu son nom.
Le Professeur Haas a participé aux travaux de rédaction du Code Mondial Antidopage, version 2009, au sein du Code Project Team, en 2006/2007; il ne s'en est jamais caché, du reste, puisqu'il a révélé spontanément cette circonstance dans sa déclaration d'indépendance du 9 juillet 2009, en décrivant de manière détaillée l'objet de sa mission. En revanche, il n'est pas possible de suivre le recourant lorsqu'il suggère que cette activité relevait d'un mandat
stricto sensu
, de caractère durable et donnant lieu à rémunération. Premièrement, la tâche confiée à l'équipe d'experts s'est achevée en novembre 2007 et n'était donc pas destinée à durer au-delà de l'adoption du nouveau code; deuxièmement, il n'est nullement établi que le Professeur Haas ait été non seulement défrayé pour exécuter cette tâche, mais qu'il ait touché, en sus, une rémunération comparable aux honoraires d'un avocat. Troisièmement, rien, dans les faits, ne permet d'affirmer que l'expert ait été tenu de suivre les instructions de l'AMA dans l'accomplissement de cette tâche, à l'égal d'un mandataire. Pour
BGE 136 III 605 S. 621
le surplus, on voit mal comment l'arbitre Haas aurait pu se sentir limité dans sa liberté de décision du seul fait de sa participation aux travaux de révision du Code Mondial Antidopage, dès lors que la Formation a appliqué,
in casu
, les normes antidopage italiennes (NSA) en vigueur en mai 2006. Enfin, si le Professeur Haas a participé à une ou plusieurs conférences en 2007, il n'est nullement avéré qu'il l'ait fait au nom et pour le compte de l'AMA, voire en tant que délégué de cette dernière (cf. consid. 3.4.1 ci-dessus).
Le recourant tente d'extrapoler, à partir des deux circonstances qui viennent d'être examinées, pour en déduire l'existence de liens professionnels étroits entre l'AMA et le Professeur Haas et des expectatives de celui-ci quant à la continuation d'affaires avec un organisme jouissant, selon lui, d'un quasi-monopole sur le marché des services juridiques en matière de dopage. Il s'agit là, toutefois, d'une construction assez artificielle, qui ne repose pas sur de solides assises. Pour étayer sa thèse, le recourant assimile d'ailleurs à tort la position du Professeur Haas vis-à-vis de l'AMA à celle d'un avocat à l'égard d'un important client, auquel il conviendrait d'éviter de déplaire, et il le fait dans le but manifeste d'appliquer aux circonstances du cas concret des principes posés par le Tribunal fédéral dans un tout autre contexte (cf. les
ATF 116 Ia 135
et 485 précités). Il est, en effet, évident que la situation d'Ulrich Haas, qui exerce à plein temps la profession rémunérée d'enseignant universitaire, n'est pas comparable à celle d'un avocat tirant ses revenus des honoraires perçus de ses clients. Du reste, il n'est pas établi que le Professeur Haas se soit vu confier par l'AMA de nouvelles missions du type de celles que cette association lui avait demandé d'accomplir en 2004 et 2006/2007. Il est, au demeurant, erroné de soutenir, à l'instar du recourant, que les missions exécutées par le prénommé relèvent du chiffre 3.4.2 de la liste orange contenue dans les lignes directrices sur les conflits d'intérêts dans l'arbitrage international, édictées par l'
International Bar Association
(sur l'applicabilité de ces lignes directrices, cf. l'arrêt 4A_506/2007, précité, consid. 3.3.2.2 et les références). Aussi bien, cette disposition, selon la traduction libre qui en a été faite dans la réplique, vise "l'arbitre [qui] a été associé dans les trois dernières années avec une partie ou une filiale de l'une des parties à un titre professionnel, tel qu'un ancien employé ou associé". Il va de soi que l'on ne saurait assimiler le Professeur Haas à un ancien associé ou employé de l'AMA au sens de la disposition citée, sans compter que l'une des deux missions invoquées par le recourant s'est
BGE 136 III 605 S. 622
achevée à la fin des Jeux Olympiques d'Athènes en 2004, soit bien plus de trois ans avant la désignation des arbitres ayant statué sur le sort de l'appel formé par le recourant. De toute façon, il convient de rappeler que la liste orange envisage des situations intermédiaires qui doivent être révélées, mais ne justifient pas nécessairement une récusation. Or, en l'espèce, l'arbitre Haas n'a en rien méconnu son devoir de révélation (
disclosure
) lorsqu'il a établi, puis complété, sa déclaration d'indépendance dans laquelle figurent
expressis verbis
les deux circonstances susmentionnées.
Le recourant fait grand cas de la remarque - reproduite plus haut (cf. ci-dessus, let. B.b) - que le CIAS a formulée au n. 36 des considérants de sa décision du 23 novembre 2009. Il y voit apparemment le signe que, du propre aveu de cette autorité, les circonstances relatives à la personne du Professeur Haas, examinées objectivement, étaient susceptibles de faire naître chez lui, comme chez toute autre personne raisonnable, un doute légitime concernant l'impartialité de cet arbitre. Cependant, le recourant interprète à sa guise la remarque en question. Par cette remarque, le CIAS se borne, en effet, à faire état d'une hypothèse quant à l'impression qu'a pu avoir le recourant au sujet de l'indépendance du Professeur Haas à l'égard de l'AMA à l'époque où celui-là s'était vu confier par celle-ci les deux missions susmentionnées (années 2004 et 2006/2007). Il ne constate nullement qu'une telle impression eût encore été de mise au moment de l'ouverture de la procédure arbitrale dont il est ici question. Bien au contraire, dans le passage subséquent de sa décision (n. 37, également reproduit plus haut; ibid.), le CIAS expose que semblable impression subjective n'a plus de raison d'être dès lors qu'il n'existe aucune circonstance qui, constatée objectivement, serait de nature à éveiller des soupçons quant à l'impartialité ou à l'indépendance du Professeur Haas dans la procédure arbitrale pendante.
En définitive, si l'on s'en tient aux seules circonstances constatées objectivement, en faisant abstraction des impressions subjectives du recourant, mais en ayant égard aux particularités de l'arbitrage international sportif organisé par le TAS, il n'apparaît pas que la présence d'Ulrich Haas au sein de la Formation, suite à sa désignation par le CONI et non par l'AMA, soit de nature à fonder le grief tiré de la composition irrégulière du Tribunal arbitral, au sens de l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
. Les arbitres du TAS sont tenus de figurer sur une liste fermée; ils doivent être au bénéfice d'une formation juridique et avoir une compétence reconnue en matière de sport
BGE 136 III 605 S. 623
(
ATF 129 III 445
consid. 4.2.2.2 p. 467). De telles exigences ont pour corollaire la possibilité quasi inéluctable qu'un arbitre y satisfaisant ait eu, à l'occasion, des contacts avec une ou plusieurs fédérations sportives, voire qu'il ait exercé des activités pour l'une de celles-ci. Lorsque, comme c'est ici le cas, il ne s'est agi que de missions ponctuelles remontant à quelques années déjà et qui ont été accomplies par un professeur d'université n'ayant fait que mettre son expertise au service du monde sportif, dans un but d'intérêt général (i.e. la codification des règles antidopage et la surveillance de leur application) - enseignant dont le recourant lui-même se plaît d'ailleurs à louer les grandes qualités -, on doit présumer que cette personne, quand elle siégera au sein d'une formation arbitrale chargée de statuer sur un appel exercé par un athlète dans une cause opposant celui-ci à l'organisation sportive mondiale pour laquelle l'arbitre avait exécuté antérieurement des missions limitées, aura la capacité de s'élever au-dessus des contingences liées à sa désignation (
ATF 129 III 445
, précité, ibid.). Le bien-fondé d'une telle présomption s'est du reste vérifié en l'occurrence, puisque l'arbitre Haas s'est associé à ses deux coarbitres pour ne pas entrer en matière sur les requêtes de l'AMA et de l'UCI visant à obtenir la suspension du recourant au niveau mondial pour une période de deux ans.
Il va sans dire que le présent arrêt ne préjuge pas de l'appréciation qui pourrait être faite au sujet de l'indépendance et de l'impartialité du même arbitre à l'égard de l'AMA à la lumière d'autres circonstances, non retenues ici.
Cela étant, le premier moyen soulevé par le recourant se révèle infondé. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f699589-807b-4845-b085-16277ba5dd59 | Urteilskopf
104 Ib 100
18. Auszug aus dem Urteil vom 11. Juli 1978 i.S. Kobel gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Entzug des Führerausweises: Gesichtspunkte, nach denen die Frage des "leichten Falles" im Sinne des zweiten Satzes von
Art. 16 Abs. 2 SVG
zu beurteilen ist.
Gesetzmässigkeit des
Art. 31 Abs. 2 VZV
. | Sachverhalt
ab Seite 100
BGE 104 Ib 100 S. 100
Als Kobel am 29. Dezember 1975 gegen 22 Uhr seinen Personenwagen bei dichtem Nebel auf der Witikonerstrasse in Zürich stadtauswärts steuerte, kollidierte er mit einem Schutzinselpfosten. Dieser wurde durch den Anprall vom Sockel gerissen und auf die Gegenfahrbahn geschleudert. Kobel verliess sein Fahrzeug nicht und entfernte sich mit ihm von der Unfallstelle. Der Pfosten wurde sofort nach dem Unfall von zwei Passagieren eines in der Nähe haltenden Busses auf das Trottoir geschleppt. Die Polizeidirektion des Kantons Zürich nahm an, Kobel habe sein Fahrzeug nicht beherrscht und sich nach dem Unfall pflichtwidrig verhalten; dadurch habe er den Verkehr gefährdet. Sie entzog ihm deshalb den Führerausweis für die Dauer eines Monats. Hiegegen erhob er Rekurs, der vom Regierungsrat des Kantons Zürich abgewiesen wurde. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Kobel, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und von einem Führerausweisentzug sei abzusehen, da der Fall als "leicht" im Sinne des zweiten Satzes von
Art. 16 Abs. 2 SVG
zu qualifizieren sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
... Da Kobel durch Verletzung dieser Verkehrsregeln (Art. 31 Abs. 1 und 51 Abs. 1 SVG) den Verkehr gefährdet hat, sind die Voraussetzungen für eine Administrativmassnahme nach
Art. 16 Abs. 2 SVG
erfüllt. Freilich scheint es nicht, dass er durch sein Fehlverhalten andere Verkehrsteilnehmer einer
BGE 104 Ib 100 S. 101
konkreten Gefahr ausgesetzt hat. Für die Anwendung des
Art. 16 Abs. 2 SVG
genügt es aber, dass sein Verhalten nach den Umständen geeignet war, den Verkehr zu gefährden (sog. erhöhte abstrakte Gefährdung,
BGE 103 Ib 39
E. 3).
2.
a)
Art. 16 Abs. 2 SVG
bestimmt im ersten Satz, dass der Führerausweis entzogen werden kann, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat; nach dem zweiten Satz kann in leichten Fällen eine Verwarnung ausgesprochen werden. Hat jedoch der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet, so muss ihm nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
der Ausweis entzogen werden.
b) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Gesamtumständen, dass die kantonalen Behörden dem Beschwerdeführer nicht eine schwere Verkehrsgefährdung im Sinne von
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
vorwerfen. Andernfalls hätten sie ihm nach
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
den Führerausweis mindestens für die Dauer von sechs Monaten entziehen müssen; denn am 29. Dezember 1975 waren seit dem Ablauf des letzten Entzuges, den die Polizeidirektion Zürich am 7. Februar 1974 für die Dauer von sieben Monaten mit Wirkung ab 26. November 1973 verfügt hatte, noch nicht zwei Jahre verstrichen. Die Dauer des neuen Entzuges wurde auf das in
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
vorgesehene Mindestmass von einem Monat festgesetzt, was auf einen fakultativen Entzug im Sinne des ersten Satzes in
Art. 16 Abs. 2 SVG
schliessen lässt. Von dieser Auffassung hat auch das Bundesgericht auszugehen. Es hat nicht zu untersuchen, ob eine schwere Verkehrsgefährdung gemäss
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
vorliege; denn falls es diese Frage bejahte, könnte es die daraus nach Gesetz folgende Erhöhung der Entzugsdauer doch nicht anordnen, da ein dahingehender Antrag nicht gestellt worden ist (
Art. 114 Abs. 1 OG
).
c) Dagegen hat das Gericht zu prüfen, ob der Fall als "leicht" im Sinne des zweiten Satzes von
Art. 16 Abs. 2 SVG
zu qualifizieren sei, wie der Beschwerdeführer dies geltend macht.
Das Gesetz sagt nicht, nach welchen Gesichtspunkten diese Frage zu beurteilen ist. Ohne Zweifel sind die objektiven Tatumstände und das Verschulden des Fehlbaren in Betracht zu ziehen. Fraglich kann nur sein, ob auch sein Vorleben als Motorfahrzeugführer zu berücksichtigen sei.
BGE 104 Ib 100 S. 102
Die Vorinstanz bejaht dies. Ihre Auffassung, die vom Beschwerdeführer grundsätzlich nicht bestritten wird, entspricht der Praxis des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (VPB 39/1975 Nr. 24 S. 72) und der Ziff. 34 der von der Interkantonalen Kommission für den Strassenverkehr herausgegebenen Richtlinien über die Administrativmassnahmen; sie stimmt auch überein mit Art. 31 Abs. 2 der Verordnung des Bundesrates vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV), wonach eine Verwarnung verfügt werden kann, wenn die Voraussetzungen für einen fakultativen Führerausweisentzug nach
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG
erfüllt sind, der Fall aber "unter Berücksichtigung des Verschuldens und des Leumundes als Motorfahrzeugführer" als leicht erscheint.
Das Bundesgericht hatte indes im nicht publizierten Urteil Portugalli vom 18. Mai 1973 angenommen, das automobilistische Vorleben des Fehlbaren falle bei der Prüfung, ob ein leichter Fall im Sinne des
Art. 16 Abs. 2 SVG
vorliege, nicht ins Gewicht, sondern sei erst bei der Bemessung der Dauer eines allfälligen Entzuges zu berücksichtigen. In einem späteren Entscheid konnte das Gericht die Frage offenlassen, weil der damals beurteilte Fall ohnehin nicht als leicht anzusehen war (
BGE 103 Ib 41
E. 5). Im vorliegenden Fall ist die Auffassung, die das Gericht im Urteil Portugalli vertreten hat, zu überprüfen. Damit stellt sich zugleich die Frage, ob
Art. 31 Abs. 2 VZV
gesetzmässig sei.
d) Ein wegen Verletzung von Verkehrsregeln verfügter - fakultativer oder obligatorischer - Führerausweisentzug dient der Besserung des Führers und der Bekämpfung von Rückfällen (Warnungsentzug,
Art. 30 Abs. 2 VZV
). Auch er soll, wie der Entzug des Ausweises eines unfähigen Führers (Sicherungsentzug,
Art. 30 Abs. 1 VZV
), zur Sicherung des Strassenverkehrs beitragen (
BGE 102 Ib 60
f.
;
96 I 772
). Die Verwarnung, die in leichten Fällen anstelle des fakultativen Warnungsentzuges angeordnet werden kann, hat den gleichen Zweck wie dieser. Die eine wie die andere Massnahme muss Gewähr dafür bieten, dass ihr Zweck erreicht werden kann. Bei der Bemessung der Dauer eines Warnungsentzugs ist daher Rücksicht darauf zu nehmen, wie der Fehlbare sich bisher im Strassenverkehr verhalten hat; ist sein Leumund in dieser Beziehung getrübt, so muss daraus unter Umständen geschlossen werden, er
BGE 104 Ib 100 S. 103
würde sich durch einen Entzug von nur kurzer Dauer nicht davon abhalten lassen, den Strassenverkehr erneut durch Verletzung von Verkehrsvorschriften zu gefährden. Auch eine blosse Verwarnung anstelle eines Entzuges kommt nur in Betracht, wenn erwartet werden kann, sie werde zur Besserung des Führers und zur Vermeidung von Rückfällen genügen. Dieser günstigen Prognose kann aber mitunter das Vorleben des Fehlbaren als Motorfahrzeugführer entgegenstehen. Der Leumund, den er in dieser Hinsicht hat, ist demnach nicht nur bei der Festsetzung der Dauer eines allfälligen Warnungsentzuges zu berücksichtigen, sondern auch schon bei der Beurteilung der Frage, ob ein leichter Fall im Sinne des
Art. 16 Abs. 2 SVG
vorliege.
Art. 31 Abs. 2 VZV
entspricht somit dem Sinn dieser gesetzlichen Bestimmung.
e) Der Beschwerdeführer hat am 29. Dezember 1975 durch sein vorschriftswidriges Verhalten eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geschaffen. Sein Verschulden, das von der Vorinstanz als "verhältnismässig leicht" gewertet wird, kann jedenfalls nicht als ganz geringfügig betrachtet werden. Dazu kommt, dass er am 25. November 1973, wie auch schon neun Jahre vorher, in angetrunkenem Zustand gefahren war; wegen des zweiten Vorkommnisses war ihm durch Verfügung der Polizeidirektion Zürich vom 7. Februar 1974 der Führerausweis für die Dauer von sieben Monaten entzogen worden. Daraus durfte die Vorinstanz schliessen, es sei nicht zu erwarten, dass er durch eine blosse Verwarnung wegen des Vorfalls vom 29. Dezember 1975 dazu gebracht werden könne, sich künftig im Strassenverkehr wohl zu verhalten. Werden alle Umstände berücksichtigt, so kann dieser Fall nicht als leicht im Sinne des
Art. 16 Abs. 2 SVG
qualifiziert werden. Der angefochtene Führerausweisentzug für die Dauer eines Monats ist nicht zu beanstanden. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f6b319f-06ee-416b-b423-92d0faf77d40 | Urteilskopf
137 III 570
85. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Gorsira und Konkursmasse der Lehman Brothers Securities N.V. gegen Obergericht des Kantons Zürich (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_415/2011 vom 21. September 2011 | Regeste
Internationales Konkursrecht (
Art. 166 ff. IPRG
); Prozessführungsbefugnis einer ausländischen Konkursmasse.
Die Regelung gemäss
Art. 166 ff. IPRG
ist abschliessend (E. 2).
Eine ausländische Konkursmasse, der mangels Gegenrecht gemäss
Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG
in der Schweiz keine Prozessführungsbefugnis zukommt, kann diesen Mangel nicht dadurch beseitigen, dass sie in analoger Anwendung von
Art. 731b Abs. 1 Ziff. 2 OR
um Bestellung eines Sachwalters ersucht (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 570
BGE 137 III 570 S. 570
A.
Der "United States Bancruptcy Court for the Southern District" in New York eröffnete am 15. September 2008 über die Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc. (mit rechtlichem Sitz in Delaware) und weitere amerikanische Gesellschaften desselben Konzerns den Konkurs (sog. Chapter 11 Verfahren).
BGE 137 III 570 S. 571
Mit Verfügung vom 29. Oktober 2008 setzte die Eidgenössische Bankenkommission (heute FINMA) die Lehman Brothers Finance AG (nachfolgend: LBF) mit Sitz in Zürich in Liquidation und eröffnete am 19. Dezember 2008 den Konkurs (mit Wirkung ab dem 22. Dezember 2008, 08:00 Uhr).
Am 30. Januar 2009 eröffnete das erstinstanzliche Gericht der Niederländischen Antillen auf der Insel Curaçao den Konkurs über die Lehman Brothers Securities N.V. (nachfolgend: LBS) mit Sitz auf Curaçao und ernannte den dort ansässigen Michiel R. B. Gorsira zum Masseverwalter ("trustee in bancruptcy"). Die Niederländischen Antillen wurden am 10. Oktober 2010 (als abhängiges niederländisches Überseegebiet) aufgelöst, und die Insel Curaçao bildet seither ein autonomes Land im Königreich Niederlande.
Mit Eingabe vom 21. September 2010 stellten die Konkursmasse der LBS sowie Michiel R. B. Gorsira in seiner Eigenschaft als "trustee of bancruptcy" beim Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich ein Gesuch um Bestellung eines Sachwalters für die LBS (Rechtsbegehren Ziffer 1). Einmal bestellt, habe dieser Sachwalter alsdann Forderungen der LBS gegenüber der LBF geltend zu machen und einzuziehen (mittels Forderungseingabe und gegebenenfalls mittels Kollokationsklage), so dass ein allfälliger Erlös - via Michiel R. B. Gorsira - der LBS zugeführt werden könne. Als Sachwalter vorgeschlagen wurde Rechtsanwalt Franco Lorandi, eventualiter eine andere qualifizierte Person (Rechtsbegehren Ziffer 2). Ausserdem sei die Sachwalterbestellung zu befristen, und zwar entweder bis zur Beendigung des Konkursverfahrens der LBS oder aber bis zur Beendigung des Konkursverfahrens der LBF (Rechtsbegehren Ziffer 3).
Mit Verfügung vom 7. Januar 2011 wies der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich das Gesuch ab.
B.
Diesen Entscheid fochten Michiel R. B. Gorsira sowie die Konkursmasse der LBS mit Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich an. Mit Urteil vom 18. Mai 2011 wies dieses die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 21. Juni 2011 gelangten Michiel R. B. Gorsira (nachfolgend: Beschwerdeführer 1) sowie die LBS (nachfolgend: Beschwerdeführerin 2) an das Bundesgericht und erneuern ihre bereits vor erster Instanz gestellten Anträge (wobei sie das Rechtsbegehren Ziffer 1 um einen Eventualantrag auf Rückweisung an die Vorinstanz bzw. subeventualiter an die erste Instanz ergänzten).
BGE 137 III 570 S. 572
Es wurden die Akten, aber keine Vernehmlassung eingeholt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführer möchten im Konkursverfahren der LBF in Zürich eine Forderung von zurzeit rund 12 Milliarden (Schweizer) Franken sowie eine weitere Forderung von rund 98,6 Millionen Franken geltend machen. Gläubigerin dieser Forderung ist die Beschwerdeführerin 2. Im Hinblick darauf verlangen die Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren die Bestellung eines Sachwalters.
Das internationale Konkursrecht der Schweiz steht auf dem Boden des sog. "gelockerten" Territorialitätsprinzips (vgl. Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, BBl 1983 I 450 Ziff. 210.2; STEPHEN V. BERTI, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2007, Vorbem. zu
Art. 166 ff. IPRG
). Danach entfaltet ein im Ausland eröffneter Konkurs in der Schweiz nur unter gewissen, eng definierten Voraussetzungen Wirkung (anders das sog. Universalitätsprinzip). Im Einzelnen bedeutet dies:
Vermindert sich bei einer natürlichen Person mit Wohnsitz im Ausland zufolge Konkurses die Verfügungsbefugnis, wird dies in der Schweiz nach Massgabe von
Art. 35 IPRG
(SR 291) berücksichtigt. Beeinträchtigt ein Konkurs die Handlungsfähigkeit einer juristischen Person mit Sitz im Ausland bzw. verändern sich deren Organe, wird diesem Umstand in Anwendung von Art. 154 Abs. 1 bzw.
Art. 155 IPRG
Rechnung getragen.
Ob allerdings eine ausländische Konkursmasse (bzw. deren Konkursverwalter) auf Vermögen in der Schweiz greifen kann, beurteilt sich nach
Art. 166 ff. IPRG
und setzt namentlich voraus, dass das ausländische Konkursdekret in der Schweiz vorgängig anerkannt wurde.
Eine solche Anerkennung erfolgt unter drei kumulativen Voraussetzungen (
Art. 166 Abs. 1 lit. a-c IPRG
): Das Konkursdekret muss im Herkunftsstaat vollstreckbar sein, es darf kein Verweigerungsgrund im Sinne von
Art. 27 IPRG
vorliegen, und der ausländische Staat muss Gegenrecht halten. Zuständig für die Anerkennung ist das Gericht am Ort des Vermögens (
Art. 167 IPRG
mit weiteren Einzelheiten) bzw. - sofern es sich um eine Bank mit Sitz im Ausland handelt
BGE 137 III 570 S. 573
- die Bankenkommission (heute FINMA; aArt. 37g BankG mit weiteren Einzelheiten; die vorgenannte Bestimmung wurde per 1. September 2011 geändert, und zwar im Sinne einer weitergehenden Lockerung des Territorialitätsprinzips, was auf das vorliegende Verfahren allerdings von vornherein ohne Einfluss bleibt; vgl. Botschaft vom 12. Mai 2010 zur Änderung des Bankengesetzes, BBl 2010 3993 ff., insb. 4021).
Wird das ausländische Konkursdekret anerkannt, so unterliegt das in der Schweiz befindliche Vermögen des Schuldners den konkursrechtlichen Folgen des schweizerischen Rechts, vorausgesetzt das IPRG ordnet nichts Abweichendes an (
Art. 170 Abs. 1 IPRG
). Abgesehen von der Möglichkeit, eine paulianische Anfechtungsklage zu erheben (
Art. 171 IPRG
), bedeutet dies Folgendes: Das Konkursamt eröffnet über das in der Schweiz befindliche Vermögen einen sog. Hilfskonkurs (auch "Mini"-Konkurs oder Anschlusskonkurs genannt). Dieser weist die Besonderheit auf, dass in den Kollokationsplan einzig pfandgesicherte Forderungen sowie privilegierte Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz aufgenommen werden (nicht jedoch privilegierte Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz im Ausland;
Art. 172 Abs. 1 IPRG
).
Verbleibt nach Befriedigung der vorgenannten Gläubiger ein Überschuss, so wird dieser der ausländischen Konkursverwaltung (oder den berechtigten ausländischen Gläubigern) zur Verfügung gestellt, allerdings erst, nachdem auch der ausländische Kollokationsplan in der Schweiz anerkannt wurde, was namentlich voraussetzt, dass dieser die Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz angemessen berücksichtigt (
Art. 173 IPRG
); bei Nichtanerkennung des Kollokationsplans verbleibt der Überschuss den bisher nicht berücksichtigten weiteren Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz (
Art. 174 Abs. 1 IPRG
).
Das vorstehend erläuterte System ist abschliessend: Eine ausländische Konkursmasse, die in der Schweiz nicht vorgängig die Anerkennung des im Ausland ausgesprochenen Konkursdekrets erwirkt hat, ist folglich nicht befugt, in der Schweiz eine Klage gegen einen angeblichen Schuldner des Konkursiten zu erheben (grundlegend:
BGE 134 III 366
E. 9 S. 374 ff.; bestätigt in:
BGE 135 III 40
E. 2.4 S. 43 f.); ebenso wenig kann im Konkurs eines Schuldners in der Schweiz eine Forderung eingegeben werden (
BGE 135 III 40
E. 2.4 S. 43 f.).
BGE 137 III 570 S. 574
Wäre es nämlich zulässig, dass eine ausländische Konkursmasse auch ohne vorgängige Anerkennung Forderungen anmelden oder Klage erheben könnte, würde dadurch das vom IPRG in den Art. 166 ff. konzipierte System, das insbesondere eine Privilegierung von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz anstrebt, ausgehöhlt (
BGE 134 III 366
E. 9.2.4 in fine S. 378). Aus dem gleichen Grund kann die erwähnte Anerkennung auch nicht bloss vorfrageweise, etwa im Rahmen einer Betreibung oder Forderungsklage, sondern nur hauptfrageweise beurteilt werden (
BGE 134 III 366
E. 5.1.2 S. 373).
3.
Im vorliegenden Verfahren gehen die Beschwerdeführer davon aus, dass die Niederländischen Antillen (heute Curaçao) kein Gegenrecht im Sinne von
Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG
gewähren, weshalb eine Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets gemäss
Art. 166 ff. IPRG
von vornherein nicht in Frage komme.
Um die Forderungen der Beschwerdeführerin 2 im Konkursverfahren der LBF in Zürich gleichwohl geltend machen zu können, beantragen die Beschwerdeführer, dass ihnen - im Wesentlichen in analoger Anwendung von
Art. 731b Abs. 1 Ziff. 2 OR
- ein Sachwalter bestellt werde; dieser könne die Forderungen alsdann anmelden und gegebenenfalls mittels Kollokationsklage durchsetzen.
Art. 731b Abs. 1 Ziff. 2 OR
sieht die Bestellung eines Sachwalters zugunsten einer schweizerischen Aktiengesellschaft vor, wenn diese einen sog. Organmangel aufweist. Die Beschwerdeführer führen ins Feld, diese Bestimmung sei - kraft Richterrechts - analog anzuwenden, wenn eine ausländische Gesellschaft zufolge Konkurses zwar keinen eigentlichen Organmangel aufweise, in der Schweiz jedoch handlungsunfähig sei; daran ändere auch der Umstand nichts, dass zugunsten der LBS ein Masseverwalter bestellt worden sei, da ausländische Konkursverwaltungen in der Schweiz nicht zur Forderungseingabe im Konkurs berechtigt seien.
Die Beschwerdeführer betonen, die ersuchte Bestellung eines Sachwalters habe mit den Anerkennungsvorschriften gemäss
Art. 166 ff. IPRG
"überhaupt nichts zu tun"; dabei handle es sich um "zwei völlig verschiedene 'Paar Schuhe'". Dies zeige sich schon anhand eines Vergleichs der angestrebten Rechtswirkungen. Beim Gesuch um Bestellung eines Sachwalters gehe es - im Gegensatz zur Anerkennung des Konkursdekrets - nur um eine Forderungsanmeldung im Konkurs bzw. um eine Kollokationsklage. Weder Forderungsanmeldung noch Kollokationsklage seien aber - im Gegensatz zur Anerkennung - hoheitliche Akte.
BGE 137 III 570 S. 575
In der Tat ist weder die Forderungsanmeldung noch die Einreichung einer Kollokationsklage per se ein hoheitlicher Akt. Dies erhellt allein schon daraus, dass eine nicht-konkursite ausländische Gesellschaft eine solche Handlung in der Schweiz ohne weiteres vornehmen kann. Der Umkehrschluss, auch eine konkursite ausländische Gesellschaft sei folglich - zumindest vertreten durch einen Sachwalter - berechtigt, eine solche Handlung vorzunehmen, ist indes unzulässig. Wie dargelegt (s. E. 2), kommt einer konkursiten ausländischen Gesellschaft in der Schweiz nämlich nur dann eine Prozessführungsbefugnis zu, wenn sie das ausländische Konkursdekret vorgängig in der Schweiz nach Massgabe von
Art. 166 ff. IPRG
hat anerkennen lassen. Dass bzw. aus welchem Grund eine solche Anerkennung gegebenenfalls nicht möglich ist, ändert daran nichts. Ebenso wenig macht es einen Unterschied, ob der Konkursverwalter selbst in der Schweiz aktiv wird oder aber von einem erst noch zu bestellenden Sachwalter vertreten wird. Fehlt die Befugnis, Forderungen im Konkurs anzumelden oder diese klageweise geltend zu machen, so fehlt diese Befugnis auch zur Bestellung eines Sachwalters.
Wäre das von den Beschwerdeführern postulierte Vorgehen-trotz nicht gegebenem Gegenrecht (im Sinne von
Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG
) - zulässig, würden Konkursmassen von Staaten, die kein Gegenrecht gewähren im Vergleich zu Konkursmassen von Gegenrecht gewährenden Staaten bevorzugt, indem Letztere zur Forderungsanmeldung bzw. zur Erhebung einer Kollokationsklage vorgängig gar kein Verfahren gemäss
Art. 166 ff. IPRG
zu durchlaufen hätten. Dass der Gesetzgeber einerseits die Anerkennung des ausländischen Konkurses in der Schweiz von einem Gegenrechtserfordernis abhängig machte, gleichzeitig aber Staaten, die gerade kein solches Gegenrecht gewähren, besser stellen wollte, ist nicht anzunehmen (PAUL OBERHAMMER, Jäger des verlorenen Schatzes, in: Jurisprudenz zwischen Medizin und Kultur, 2010, S. 388 f., wonach die gegenteilige Ansicht "eine fast unvertretbare Gesetzesauslegung" bedeute;
ders.
, ZZZ 2008/2009 S. 433; a.M. NEURONI NAEF/NAEF, Droit suisse de la faillite internationale, AJP 2008 S. 1408 ff.; FRANCO LORANDI, Handlungsspielraum ausländischer Insolvenzmassen in der Schweiz, AJP 2008 S. 566, welcher es aber doch "im Sinne eines Wertungsentscheids störend" findet, dass diesfalls ein Sachwalter mehr Handlungsspielraum hätte als bei Durchführung eines Hilfskonkurses). Mit dem Gegenrechtserfordernis wollte der Gesetzgeber nämlich gerade einen internationalen Anreiz zur verstärkten Gewährung von Gegenrecht schaffen (Botschaft IPRG, BBl 1983 I 451 Ziff. 210.3).
BGE 137 III 570 S. 576
Inwieweit dieses gesetzgeberische Anliegen tatsächlich in Erfüllung gegangen ist und ob die Regelung gemäss
Art. 166 ff. IPRG
sinnvoll bzw. noch zeitgemäss ist (gerade auch im Lichte des soeben revidierten
Art. 37g BankG
), ist vorliegend nicht zu prüfen (vgl. OBERHAMMER, ZZZ 2008/09 S. 433 ff.; KREN KOSTKIEWICZ/KÄHR, Die Verwirklichung des Universalitätsprinzips im Internationalen Konkursrecht, in: Spuren des römischen Rechts, 2007, S. 389 ff., insb. S. 408). Hat der Gesetzgeber aber ein detailliertes und abschliessendes System geschaffen, geht es nicht an, dieses richterrechtlich in grundlegender Weise abzuändern. Ein solches Unterfangen fällt in die Kompetenz des Gesetzgebers. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f743bbc-8ab8-4b85-bdcf-e4afd4cb52b3 | Urteilskopf
113 Ib 299
47. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 21 août 1987 dans la cause X. et Y. contre commune de Puidoux et Conseil d'Etat du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 8 und 33 RPG
; Schutzplan für das Gebiet von Lavaux und Rechtsschutz.
Der Schutzplan für das Gebiet von Lavaux entspricht inhaltlich einem kantonalen Richtplan i.S. von
Art. 6 ff. RPG
und 3 ff. RPV. Der von
Art. 33 RPG
für den Erlass von Nutzungsplänen vorgeschriebene Rechtsschutz darf nicht mit dem Argument beschränkt werden, der Nutzungsplan vollziehe lediglich einen Richtplan. Der Eigentümer, der eine konkrete Planungsmassnahme anficht, darf dabei auch die Verfassungswidrigkeit des Richtplans rügen, auf dem die Massnahme beruht. Dies gilt auch dann, wenn die Planungsbehörde sich darauf beschränkt den Richtplaninhalt auf den Nutzungsplan zu übertragen. | Sachverhalt
ab Seite 300
BGE 113 Ib 299 S. 300
La loi vaudoise sur le plan de protection de Lavaux (LPPL), adoptée le 12 février 1979 par le Grand Conseil vaudois et entrée en vigueur le 9 mai de la même année, a réparti les biens-fonds compris dans le périmètre de protection en divers territoires (viticoles, agricoles, d'intérêt public, de villages et hameaux, etc.) et a fixé aux communes concernées un délai d'une année pour établir et adopter des plans d'extension dans lesquels les territoires protégés, avec les principes qui leur étaient applicables, seraient transposés, sous réserve de légères adaptations nécessitées par les conditions topographiques locales (art. 6 al. 1 et 7 al. 1 LPPL).
X. et Y. sont propriétaires, sur le territoire de la commune de Puidoux, non loin du Signal de Chexbres, de deux parcelles ayant resp. 7'815 m2 et 2'533 m2 et vouées jusqu'à ce jour à la culture céréalière. Classées dans l'ancien plan de zones communal de 1969/70 en zone sans affectation spéciale, puis incluses dans une zone protégée en vertu de l'arrêté fédéral du 17 mars 1972 instituant des mesures urgentes en matière d'aménagement du territoire, ces parcelles sont comprises, depuis l'entrée en vigueur de la LPPL, le 9 mai 1979, dans le périmètre du plan de protection de Lavaux.
BGE 113 Ib 299 S. 301
Le 2 mars 1982, la Municipalité de Puidoux a approuvé, pour l'ensemble du territoire communal, un plan d'extension destiné à remplacer celui de 1969/70 et classant les deux parcelles en question en zone agricole, mesure à laquelle X. et Y. se sont opposés. Leur opposition ayant été levée par le Conseil communal, les deux propriétaires ont saisi le Conseil d'Etat d'une requête au sens de l'art. 2 de l'arrêté cantonal du 19 octobre 1983 concernant la protection juridique en matière d'opposition au plan d'extension. Ils demandaient la modification de l'affectation donnée à leurs parcelles dans le nouveau plan et le transfert de celles-ci dans le territoire à bâtir. Le Conseil d'Etat a rejeté la requête. Contre cette décision, X. et Y. ont formé un recours de droit administratif et un recours de droit public, pour violation des
art. 8 et 33 LAT
et - implicitement - du principe de la force dérogatoire du droit fédéral, pour classement arbitraire de leurs terrains en zone agricole et violation de l'égalité de traitement.
Le Tribunal fédéral a déclaré le recours de droit administratif irrecevable et a rejeté le recours de droit public dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
b) Les recourants voient une violation des
art. 8 et 33 LAT
dans le fait que l'autorité intimée s'est estimée liée par le plan de protection de Lavaux sur lequel ils n'ont jamais été appelés à s'exprimer.
Ce plan de protection a été institué par une loi du 12 février 1979 entrée en vigueur le 9 mai 1979, c'est-à-dire avant l'adoption de la nouvelle loi fédérale sur l'aménagement du territoire qui définit, à son art. 8, le contenu minimum des plans directeurs des cantons. Cela n'empêche nullement le Tribunal fédéral d'examiner la nature juridique de ce plan au regard du nouveau droit. Si, par sa portée, il s'apparente à une zone réservée, il s'en distingue par la durée indéterminée de sa validité, les zones réservées ne pouvant en principe être prévues que pour cinq ans au plus en vertu de l'
art. 27 al. 2 LAT
. Le plan de protection de Lavaux détermine globalement l'affectation des divers secteurs territoriaux de la région. S'il lie les autorités de planification comme cela ressort des art. 6 et 7 LPPL, il ne fixe pas en revanche définitivement le sort des parcelles, dont le mode d'utilisation doit être précisé dans les plans d'affectation. Il en résulte que le plan
BGE 113 Ib 299 S. 302
de protection de Lavaux équivaut, matériellement, à un plan directeur cantonal au sens des
art. 6 ss LAT
et 3 ss de l'ordonnance d'exécution du 26 mars 1986 (cf.
ATF 107 Ia 82
,
ATF 105 Ia 235
consid. cc).
Compte tenu du rapport existant entre les plans directeurs et les plans d'affectation, et de leur portée respective, la protection juridique des propriétaires intéressés doit être assurée lors de l'adoption des plans d'affectation. L'
art. 33 LAT
dit que ceux-ci sont mis à l'enquête publique (al. 1) et fait obligation au législateur cantonal de prévoir à leur encontre une voie de recours au moins (al. 2), ouverte auprès d'une autorité ayant un libre pouvoir d'examen, qui soit accessible aux intéressés au moins dans les mêmes limites que le recours de droit administratif au Tribunal fédéral (al. 3). Cette protection juridique ne saurait naturellement être restreinte lorsqu'un plan d'affectation est adopté en exécution d'un plan directeur. Il est par conséquent loisible au propriétaire qui s'oppose à une mesure d'aménagement ou qui recourt contre elle, de mettre en discussion la constitutionnalité d'un plan directeur dans la mesure où l'autorité de planification devait se borner à en transposer le contenu dans son plan d'affectation; celui-ci actualise en effet simplement alors une lésion virtuelle des intérêts du propriétaire touché par une mesure d'aménagement dictée par le plan directeur que le lésé n'a pas eu la possibilité d'attaquer au moment de son adoption.
Contrairement à l'opinion des recourants, le Conseil d'Etat n'a pas méconnu en l'espèce ces exigences. Il a certes constaté qu'il n'avait pas la compétence de modifier lui-même le plan de protection de Lavaux, ce qui est évident puisque celui-ci a été adopté par le législateur cantonal. Il n'en a pas moins examiné librement le bien-fondé des mesures d'aménagement litigieuses et procédé à une pesée complète des intérêts en présence. Il n'a donc pas limité son pouvoir d'appréciation à la seule question de la conformité de ces mesures au plan de protection de Lavaux. Au regard de l'
art. 33 LAT
, il est sans importance qu'il se soit livré à cet examen en lieu et place de l'autorité communale qui, dans son avis motivé, s'était bornée à invoquer le plan de protection de Lavaux, pour rejeter les oppositions des recourants. Jouissant d'une pleine cognition, l'autorité intimée pouvait en effet apprécier librement s'il était plus opportun de renvoyer l'affaire à la commune ou de statuer elle-même sur le fond, réparant ainsi l'irrégularité formelle dont l'avis motivé était entaché.
BGE 113 Ib 299 S. 303
Le grief de violation de l'art. 2 Disp. trans. Cst., voire du droit d'être entendu garanti par l'
art. 4 Cst.
, est donc manifestement mal fondé. | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8f759bbe-eb12-4ecc-a347-f295a0c7dafb | Urteilskopf
119 IV 224
42. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 29 janvier 1993 dans la cause S. c. Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 21 Abs. 1 StGB
; Art. 187 aStGB; versuchte Notzucht.
Wer, nachdem er sein Opfer eingesperrt hat, um es zu missbrauchen, sehr aggressiv wird und unmittelbar bedroht, überschreitet den letzten entscheidenden Schritt zur Tatbegehung; er macht sich deshalb einer versuchten Notzucht schuldig (E. 2).
Art. 187 Abs. 2 aStGB;
Art. 190 Abs. 3 StGB
; qualifizierte Notzucht.
Eine qualifizierte Notzucht begeht, wer dem Opfer besondere Leiden zufügt, die weit über das hinausgehen, was zur Begehung des Grundtatbestandes notwendig ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter das Opfer mit einer derartigen Gewalt würgt, dass es um sein Leben fürchtet (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 119 IV 224 S. 225
A.-
Par jugement du 17 mars 1992, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné S., pour viol, tentative de viol, viol qualifié et appropriation d'objet trouvé, à la peine de quatre ans et demi de réclusion et à dix ans d'expulsion du territoire suisse, mettant à sa charge les frais de la procédure.
Ce jugement retient pour l'essentiel les faits suivants.
a) Le dimanche 19 août 1990, S., en recourant à des mensonges, réussit astucieusement à persuader Monique (prénom fictif) de l'accompagner dans un studio. Après avoir fermé la porte, il la poussa sur le lit. Elle perdit ses lunettes, mais essaya encore de téléphoner pour prévenir la police. S. l'en empêcha, ajoutant que, de toute façon, elle était venue volontairement chez lui. Monique s'est débattue et a crié; ses cris ont été perçus par une voisine. S. a alors serré fortement le cou de sa victime et lui a dit d'être "gentille, sinon cela finirait mal", lui demandant d'arrêter de trembler tout en continuant à entraver ses mouvements. La jeune femme a constaté que son agresseur était le plus fort et craignit d'être tuée si elle résistait davantage. S. la déshabilla, la caressa, la contraignit à une fellation, mit ses doigts dans le vagin de sa victime, puis la pénétra jusqu'à éjaculation. Monique fut gravement perturbée par ces événements.
b) Au début du mois de mai 1991 vers 23 heures, alors que Anne (prénom fictif) était au lit, dans le logement qu'elle occupait dans un foyer d'étudiants, S. a frappé avec insistance à sa porte et s'est précipité à l'intérieur, dès qu'elle eut ouvert, en fermant la porte à clé derrière lui. Il déclara avoir trop bu et être poursuivi par la police, sollicitant qu'elle l'héberge un moment. Après lui avoir signifié que cela ne lui convenait pas, mais constatant qu'il était très excité et pris de boisson, la jeune femme accepta à contrecoeur et lui fournit un training. Devenant de plus en plus agressif, il déclara à Anne que "lorsqu'il avait bu, il pouvait devenir violent, la cogner, voire la violer".
S. prit une cigarette que la jeune femme, sentant le danger imminent, lui avait proposée et accepta que celle-ci se rende aux toilettes, tout en faisant de même. Elle en profita pour sortir précipitamment
BGE 119 IV 224 S. 226
et aller demander de l'aide, ce qui amena S. à remettre ses vêtements et à quitter rapidement les lieux. Les juges ont tenu pour établi que S. avait l'intention d'obtenir par la contrainte des relations sexuelles avec la jeune femme et que seuls sa maîtrise de soi et son esprit d'initiative ont permis à celle-ci d'interrompre un processus qui se serait terminé par des violences sexuelles.
c) Dans la soirée du 17 au 18 mai 1991, S. persuada Denise (prénom fictif) de monter dans sa voiture pour la reconduire chez elle. Sa passagère lui demanda de s'arrêter lorsqu'ils arrivèrent à proximité de son lieu de destination, mais S. refusa et n'immobilisa son véhicule que plus haut, sur un parking, pour le motif qu'il entendait parler avec elle. Lorsque la jeune femme voulut sortir du véhicule, S. la saisit par le bras et, de l'autre main, lui serra le cou. Denise se mit à pleurer et insista pour rentrer. Il s'énerva et obligea sa victime à passer avec lui sur la banquette arrière. La tenant fermement et grâce à la peur qu'il lui inspirait, il réussit à obtenir d'elle qu'elle descende son collant; il la caressa, essaya de se faire masturber par elle, puis la pénétra et éjacula. Denise fut gravement perturbée par ces événements.
d) Dans la soirée passée avec Denise, S. a pris l'appareil photographique de la jeune femme et s'en est sans doute débarrassé, de peur d'être compromis par l'une des photos qu'elle avait prises durant la soirée, avant l'agression.
B.-
Statuant sur recours du condamné le 29 juin 1992, la Cour de cassation cantonale réforma le jugement entrepris en ce sens qu'elle accorda à S., en ce qui concerne l'expulsion, un sursis avec délai d'épreuve de cinq ans; les griefs du recourant furent rejetés pour le surplus.
C.-
Contre cet arrêt, S. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Contestant l'existence d'une tentative, au sens de l'
art. 21 al. 1 CP
, dans le cas d'Anne, et déniant qu'il s'agisse d'un viol aggravé, selon l'
art. 187 ch. 2 CP
, dans le cas de Monique, le recourant conclut, sous suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée et sollicite par ailleurs l'assistance judiciaire.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
Le recourant conteste que les actes qu'il a commis à l'encontre d'Anne puissent constituer une tentative inachevée.
BGE 119 IV 224 S. 227
Selon l'
art. 21 al. 1 CP
, il y a tentative inachevée lorsque l'auteur a commencé l'exécution d'un crime ou d'un délit, sans toutefois poursuivre jusqu'au bout son activité coupable.
Selon la jurisprudence, la tentative inachevée suppose, à la différence des actes préparatoires, un début d'exécution; il faut que les actes accomplis représentent, dans l'esprit de l'auteur, la démarche ultime et décisive vers l'accomplissement de l'infraction et après laquelle on ne revient normalement plus en arrière, sauf survenance de circonstances extérieures qui rendent l'exécution de l'intention plus difficile sinon impossible (
ATF 117 IV 384
consid. 9, 396 consid. 3,
ATF 114 IV 114
consid. bb et les arrêts cités).
Selon l'autorité cantonale, le recourant est entré dans la chambre d'Anne avec "l'intention d'obtenir par la contrainte des relations sexuelles avec la jeune femme". Déterminer ce que l'auteur sait, veut ou l'éventualité à laquelle il consent relève des constatations de fait qui lient la Cour de cassation saisie d'un pourvoi en nullité (
ATF 117 IV 286
,
ATF 116 IV 145
consid. c, 115 IV 223 consid. 1, 41 consid. 3a et les références citées). Il a également été retenu en fait qu'il avait fermé la porte à clé, de sorte qu'il se trouvait seul avec la jeune femme dans la chambre. Très excité, il est devenu de plus en plus agressif, passant même aux menaces, en déclarant à sa victime qu'il pouvait la frapper, voire la violer. Ainsi, non seulement il avait enfermé sa victime dans l'intention d'abuser d'elle, mais il avait passé au stade des menaces directes, étant devenu très excité et agressif. Seule la présence d'esprit de la jeune femme, qui a réussi à s'échapper à la faveur d'un prétexte, a pu lui éviter des violences sexuelles. Au vu d'un tel état de fait, qui lie la Cour de cassation, l'autorité cantonale n'a pas violé le droit fédéral en considérant que le recourant, ayant enfermé sa victime, devenant toujours plus agressif et la menaçant directement, avait franchi le pas ultime et décisif vers l'accomplissement de son intention délictuelle, après lequel on ne revient normalement plus en arrière, sauf - comme cela s'est produit en l'espèce - survenance de circonstances extérieures qui rendent l'exécution de l'intention plus difficile, sinon impossible. La cour cantonale n'a donc pas violé le droit fédéral en retenant l'existence d'une tentative inachevée de viol (art. 21 al. 1 et 187 al. 1 CP).
3.
Le recourant soutient que les actes qu'il a commis au préjudice de Monique ne constituent pas le cas aggravé de viol prévu et puni par l'
art. 187 al. 2 CP
.
Les dispositions du code pénal consacrées aux infractions contre l'intégrité sexuelle ont été modifiées le 21 juin 1991 (RO 1992
BGE 119 IV 224 S. 228
p. 1670 ss); cette révision législative est entrée en vigueur le 1er octobre 1992 (RO 1992 p. 1678). Il apparaît d'emblée que les faits litigieux se sont produits sous l'empire de l'ancien droit et qu'ils ont été jugés par l'autorité de répression statuant en dernière instance avant l'entrée en vigueur des nouvelles dispositions; dans un tel cas, l'ancien droit reste seul applicable (
ATF 117 IV 386
consid. 15,
ATF 101 IV 361
consid. 1).
Selon l'art. 187 al. 2 aCP, "celui qui aura fait subir à une femme l'acte sexuel hors mariage, après l'avoir, à cet effet, rendue inconsciente ou mise hors d'état de résister, sera puni de la réclusion pour trois ans au moins".
Le Tribunal fédéral a récemment revu sa jurisprudence relative à la notion de viol qualifié, au sens de l'
art. 187 al. 2 CP
(voir
ATF 118 IV 52
ss). Eu égard aux problèmes que pose la distinction entre le viol simple et le viol qualifié dans l'ancienne version de l'
art. 187 CP
et compte tenu de la modification de cette disposition, il a admis que l'art. 187 al. 2 aCP devait être interprété restrictivement; ainsi, le cas grave doit être retenu en particulier lorsque l'auteur a fait preuve de cruauté sur le plan physique ou psychique (
ATF 118 IV 56
consid. d). Une telle interprétation restrictive, qui s'impose notamment en raison de l'augmentation importante du minimum légal de la peine pour l'infraction aggravée par rapport à celui prévu pour l'infraction simple (ATF
ATF 118 IV 56
consid. d), implique que le cas grave ne soit retenu que si l'atteinte subie par la victime est nettement plus lourde que celle qui résulte inévitablement d'un viol. L'arrêt mentionne à ce propos que le viol est en soi un acte cruel de sorte que l'infraction prévue à l'al. 1 de l'art. 187 aCP constitue déjà pour la femme qui en est victime une très grave lésion, qui la touche au plus profond de son être.
La nouvelle disposition traite dans son premier alinéa du viol simple et du viol aggravé tels qu'ils étaient prévus par l'ancien droit; ces actes sont donc tous deux passibles de la même peine maximale de 10 ans de réclusion. Si en revanche l'auteur a agi avec cruauté, il doit être puni de la réclusion pour 3 ans au moins (
art. 190 al. 3 CP
). Dans son message, le Conseil fédéral mentionne que la cruauté, définie comme brutalité, absence de sentiments, torture, est une intensification de la violence au point de vue physique ou moral; il précise qu'il y a cruauté lorsque l'auteur, sciemment et volontairement, inflige à sa victime des souffrances particulières, excédant ce qui eût suffi à la réunion des éléments constitutifs du délit de base (FF 1985 II 1090 et l'arrêt cité).
BGE 119 IV 224 S. 229
La notion de cruauté à laquelle fait appel la nouvelle jurisprudence relative au viol qualifié, au sens de l'art. 187 al. 2 aCP, correspond à celle qui figure dans le nouvel
art. 190 al. 3 CP
, de sorte que le nouveau droit peut être pris en considération pour l'interprétation de cette notion.
Conformément au principe du droit pénal fondé sur la culpabilité telle qu'elle ressort de la commission de l'infraction, seuls entrent en considération pour déterminer si l'auteur a fait preuve de cruauté les actes liés à l'exécution du délit et les circonstances qui se trouvent en relation directe avec l'infraction (voir
ATF 117 IV 390
s.).
L'usage de la force, la menace et la contrainte font déjà partie des éléments constitutifs du viol simple, au sens de l'art. 187 al. 1 aCP. La cruauté n'est par conséquent à considérer comme un élément aggravant que si elle excède ce qui est nécessaire pour briser la résistance de la victime et donc pour parvenir à la réalisation de l'infraction; tel est le cas si l'auteur a recours à des moyens disproportionnés ou dangereux et inflige de cette manière à sa victime des souffrances particulières, qui vont au-delà de ce que la femme doit déjà endurer uniquement en raison du viol. Il s'agit donc de souffrances qui ne sont pas la conséquence inévitable de la commission de l'infraction de base, mais que l'auteur fait subir à sa victime par sadisme ou à tout le moins dans le dessein d'infliger des souffrances particulières (voir
ATF 106 IV 367
s. consid. f, relatif à la séquestration, au sens de l'ancien
art. 182 CP
) ou encore par brutalité ou insensibilité à la douleur d'autrui. Le viol qualifié n'est pas seulement réalisé si l'auteur est un pervers ou un sadique, mais dès que celui-ci fait preuve d'une cruauté qui ne s'impose pas pour parvenir à consommer l'infraction de base.
Aux termes de l'
art. 190 al. 3 CP
, agit notamment avec cruauté l'auteur qui fait usage d'une arme dangereuse ou d'un autre objet dangereux. De la même façon, celui qui serre fortement le cou de sa victime agit d'une manière qui est non seulement cruelle, mais dangereuse. Il inflige ainsi à la victime des souffrances physiques et psychiques particulières - notamment si celle-ci en vient à craindre pour sa vie - qui ne sont pas nécessaires pour la réalisation de l'infraction de base, de sorte qu'il doit être reconnu coupable de viol aggravé.
En l'espèce, le recourant a serré le cou de sa victime avec tant de force que des traces de strangulation ont par la suite été constatées par un médecin. En usant d'une telle violence physique, le recourant ne pouvait ignorer qu'il amènerait sa victime à craindre pour sa vie.
BGE 119 IV 224 S. 230
Cette manière d'agir, cruelle (et dangereuse), sort manifestement du cadre des actes qui apparaissent plus ou moins nécessaires pour la commission d'un viol. En imposant à sa victime de telles souffrances et en l'exposant à un tel danger, il a fait preuve de cruauté conformément à ce qui vient d'être exposé. Ainsi, sur la base des faits retenus - qui lient la Cour de cassation -, l'autorité cantonale n'a pas violé le droit fédéral en considérant qu'il s'agissait d'un viol aggravé au sens de l'art. 187 al. 2 aCP. Le pourvoi doit donc être rejeté. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8f7f3b75-c0d5-45bb-ada2-2c69454adc50 | Urteilskopf
81 II 189
34. Sentenza della II Corte civile 17 marzo 1955 nella causa Albeverio contro Donada. | Regeste
Wegrecht.
Art. 736 Abs. 1 ZGB
. Die Löschung ist zu verweigern, wenn ein Interesse an der Ausübung der Dienstbarkeit zwar zur Zeit nicht mehr besteht, jedoch in Zukunft wieder entstehen kann (Erw. 2).
Art. 740 ZGB
. Der Inhalt der Wegrechte wird durch das kantonale Recht und den Ortsgebrauch bestimmt (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 189
BGE 81 II 189 S. 189
A.-
Luigi Albeverio è proprietario del fondo mappale n. 1259 sito in territorio del Comune di Lugano. Tale fondo costeggia la via Roncaccio, la quale si diparte dalla strada cantonale denominata via Sorengo. Il mappale n. 1259 confina in parte con il mappale n. 1536 appartenente a Egidio Donada. Tra i due fondi esisteva una stretta striscia di terreno portante il numero di mappa 1262 che, dalla via Sorengo, si estendeva verso monte. Questa striscia era prevista, dal Piano regolatore comunale del 1932, quale tracciato della costruenda via Tassino. Nel 1952 una parte del mappale n. 1262 era acquistata da Donada ed incorporata nel fondo n. 1536, mentre la parte rimanente passava, nello stesso anno, in proprietà
BGE 81 II 189 S. 190
di Albeverio con il nuovo numero di mappa 2092. Dal 1946 risulta iscritto nel registro fondiario di Lugano un diritto di passo e accesso a favore del mappale n. 1536 ed a carico del mappale n. 2092. Questo è inoltre gravato da un onere di passo a favore dei fondi n. 1517, 1722 e 1804.
Nel 1950 Egidio Donada, che intendeva costruire una casa sul proprio fondo n. 1536, veniva a sapere che le autorità comunali avevano previsto di spostare il tracciato della costruenda strada verso monte, la quale sarebbe venuta in tal modo a tagliare l'angolo est della sua proprietà. Egli doveva pertanto modificare i piani e allineare la casa al nuovo tracciato.
B.-
Con petizione 28 agosto 1953 Luigi Albeverio chiedeva al Pretore di Lugano-Città che pronunciasse la cancellazione dell'onere di passo gravante il proprio fondo n. 2092 a favore di quello n. 1536 appartenente a Egidio Donada, adducendo sostanzialmente quanto segue: Il diritto di passo, di cui è al beneficio il fondo Donada, aveva lo scopo di consentire l'accesso alla già esistente strada comunale (via Roncaccio), che sfocia nella strada cantonale (via Sorengo). Dopo l'acquisto d'una parte della particella n. 1262, il convenuto può accedere direttamente ad ambedue le strade. Di conseguenza, il diritto di passo ha perso per lui ogni interesse.
Il convenuto proponeva la reiezione del gravame essenzialmente per i seguenti motivi: La servitù che grava la particella n. 2092 non fu iscritta a registro fondiario per consentire unicamente il passo e l'accesso dalla particella n. 1536 alle vie Roncaccio e Sorengo. A quanto pare, l'intero sedime del fondo serviente (allora parte del mappale n. 1262) doveva essere adibito a fondo stradale. È ovvio che con l'acquisto parziale del mappale n. 1262 il diritto di passo a favore del mappale n. 1536 non è diventato caduco. Eventualmente si potrebbe ritenere estinto il diritto di accesso, diventato privo di oggetto, ma non certamente quello di passo, che è un diritto di natura ben diversa. Prova ne sia che Albeverio non ha
BGE 81 II 189 S. 191
convenuto in giudizio il proprietario del fondo n. 1517 (Balmelli), che pure è al beneficio d'un diritto di passo a carico del fondo n. 2092. A torto l'attore sostiene che la servitù ha perso ogni utilità per il convenuto, il quale avrebbe ormai una possibilità di accesso diretto alle strade cantonale e comunale esistenti. Basti rilevare che attraverso la particella n. 2092 egli potrà raggiungere anche la nuova strada cantonale, che è progettata ad est del proprio fondo e verrà a congiungersi con la particella n. 2092 all'altezza del fondo n. 1804 (proprietà Gansser). Di conseguenza, il convenuto ha tuttora interesse, e maggiormente ne avrà in futuro, al mantenimento della servitù.
C.-
Con sentenza 10 giugno 1954 il Pretore ingiungeva all'Ufficio dei registri di Lugano di cancellare il diritto di passo a favore del mappale n. 1536, gravante il mappale n. 2092, mantenuto invariato il diritto di accesso.
D.-
Contro la sentenza pretoriale le parti si aggravavano alla Camera civile del Tribunale d'appello che, statuendo in data 24 novembre 1954, annullava il giudizio querelato e respingeva la petizione per i seguenti motivi: Il titolo costitutivo dell'impugnata servitù e la sua iscrizione a registro fondiario non consentono di stabilire che si tratti di due diritti distinti, i quali possano sussistere indipendentemente l'uno dall'altro. La discriminazione fatta dal Pretore fra passo e accesso non è quindi ammissibile; o sussistono entrambi questi diritti o entrambi vengono a cadere. Presupposto della cancellazione a'sensi dell'art. 736 cp. 1 CC non è il mancato esercizio attuale della servitù, ma la perdita definitiva di ogni suo interesse per il fondo dominante. Anche se indiscutibilmente la servitù non è attualmente esercitata dal fondo Donada, non si può dire che ha perso ogni interesse per quest'ultimo. Basterebbe, per dimostrare l'interesse del convenuto al mantenimento della servitù, che acquistasse il fondo sito al di là di quello dell'attore oppure che la nuova strada prevista dal Piano regolatore fosse construita in posizione tale da determinare un vantaggio del convenuto ad
BGE 81 II 189 S. 192
accedervi attraverso il fondo del vicino. Sul nuovo tracciato della costruenda strada nulla di definitivo è stato acquisito agli atti. Difficile appare stabilire se il fondo Donada, dal punto di vista altimetrico, avrà la possibilità e la convenienza di una comunicazione diretta con la progettata nuova strada. Allo stato attuale delle cose, in particolare dopo la costruzione della casa Donada e la sua comunicazione diretta con altra strada pubblica, si può tutt'al più affermare che l'interesse alla servitù è, in certa misura, diminuito. Il sopralluogo ha accertato che la proprietà dell'attore è delimitata ad est da una rete metallica sostenuta da pali in cemento e ad ovest da uno stabile; sulla striscia di terreno gravata dal diritto di passo esiste uno stenditoio pavimentato alla distanza di 3 m dalla rete; ma tale circostanza non basta per dedurne una rinuncia del convenuto all'esercizio della servitù. Questi non ha, comunque, frapposto alcun positivo ostacolo all'eventuale esercizio della servitù. Se ne postula il mantenimento, non esorbita dalla sfera dei suoi diritti, posto che l'iscrizione a registro fondiario appare formalmente ineccepibile e che servitù consimile risulta iscritta a favore delle particelle 1517 e 1804. La cancellazione può essere richiesta solo quando la servitù ha perso realmente e in modo durevole ogni interesse per il suo beneficiario. Non basta che non si abbiano da temere ostacoli da parte del proprietario attuale: la servitù non è un diritto personale, ma un diritto reale limitato che segue il fondo. In concreto l'interesse del fondo Donada alla servitù, attualmente diminuito, è suscettivo di rinascere (cf. Wieland, commentario, n. 5 all'art. 736 CC). La radiazione sarebbe quindi prematura e non giustificata dalla situazione dei luoghi e dall'attuale intavolazione giuridica dei fondi.
E.-
Con tempestivo ricorso per riforma al Tribunale federale l'attore ha chiesto che sia annullata la sentenza della seconda giurisdizione cantonale e ingiunto all'Ufficio dei registri di Lugano di cancellare il diritto di
BGE 81 II 189 S. 193
passo e accesso gravante il fondo n. 2092 a favore del fondo n. 1536.
Il convenuto ha concluso per la reiezione del ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Si poneva anzitutto il quesito se il valore litigioso della causa raggiungesse almeno 4000 fr., condizione cui l'
art. 46 OG
subordina la proponibilità del ricorso per riforma. Contrariamente a quanto prescrive l'art. 51 lett. a OG, anche la Camera civile d'appello, come già il Pretore, ha omesso ogni indicazione a siffatto proposito. Siccome a questa lacuna non suppliva il fatto che a richiesta dell'attore e sulle indicazioni da lui fornite la Pretura di Lugano-Città aveva determinato posteriormente (con decreto 24 dicembre 1954) il valore litigioso nell'importo di 9000 fr., pari al prezzo pagato dall'attore per l'acquisto della particella n. 2092, il Tribunale federale ha incaricato l'architetto Americo Marazzi, a Lugano, di accertare peritamente il valore della servitù litigiosa (art. 36 cp. 2 OG). Nel suo referto 24 febbraio 1955 egli espone che la cancellazione della servitù di passo e accesso aumenterebbe il valore della particella n. 2092 (fondo serviente) di 6000 fr. e ridurrebbe il valore della particella n. 1536 (fondo dominante) di 2500 fr. Sulla scorta delle ragionate conclusioni peritali si può ammettere che la cancellazione della servitù, chiesta dall'attore, rappresenta per lui un valore superiore a 4000 fr., ma inferiore a 8000 fr. Di conseguenza, il ricorso per riforma è ricevibile, ma non vi è dibattimento (
art. 46, 62 OG
).
2.
Giusta i fatti acquisiti dall'istruttoria cantonale, vincolanti per il Tribunale federale (
art. 63 OG
), l'onere di passo ed accesso gravante il fondo dell'attore (mappale n. 2092) in favore di quello del convenuto (mappale n. 1536) non è presentemente più esercitato. La Camera civile d'appello ne ha tratto implicitamente la conclusione che nelle circostanze attuali la servitù non ha più un interesse per il convenuto, atteso che dopo l'acquisto d'una
BGE 81 II 189 S. 194
parte del mappale n. 1262 può accedere direttamente alle vie Roncaccio e Sorengo e che non esiste per lui altro motivo e pertanto altro interesse di passare attraverso il fondo dell'attore. Questa conclusione deve essere condivisa.
La questione si riduce quindi a sapere se, agli effetti dell'interesse al mantenimento della servitù, si debba tener conto anche di un'eventuale futura utilità del diritto di passo e accesso. A quest'interrogativo la Camera civile d'appello ha risposto affermativamente, a motivo della situazione che risulterebbe pel convenuto qualora dovesse acquistare uno dei fondi vicini a quello serviente (mappali n. 1981, 1261, 2093, 1722) o qualora dovesse essere costruita la nuova strada cantonale.
L'art. 736 cp. 1 CC consente che una servitù sia cancellata quando "abbia perduto ogni interesse per il fondo dominante". La persistenza anche solo d'un interesse di lieve importanza, ridotto rispetto a prima, esclude quindi la cancellazione della servitù. A motivo della locuzione "ogni interesse" di tale disposto legale si deve inoltre ritenere che, in via di massima, la cancellazione dev'essere rifiutata anche quando un interesse all'esercizio della servitù sia pel momento cessato, ma possa rinascere in seguito. Orbene, se si esamina la fattispecie alla luce di questo principio, si deve convenire con la seconda giurisdizione cantonale che l'interesse del convenuto, attualmente latente, è suscettibile di rinascere in avvenire. Prescindendo anche dall'ipotesi ch'egli acquistasse uno dei terreni adiacenti a quello serviente e dall'interesse che avrebbe allora di raggiungerlo direttamente attraverso il fondo dell'attore anzichè essere costretto a fare il giro da via Roncaccio, rimane l'eventualità della costruzione della nuova strada cantonale prevista dal Piano regolatore comunale. Sebbene, giusta gli accertamenti vincolanti della Corte cantonale, nulla si sappia ancora di definitivo sull'epoca della costruzione e sul tracciato della nuova arteria è pensabile che, come lo prevede il progetto più
BGE 81 II 189 S. 195
recente, essa abbia a passare sul fondo del convenuto ad est della sua casa. È possibile che, a motivo della differenza altimetrica, il fondo del convenuto non avrebbe in tal caso un accesso diretto alla nuova strada, mentre un raccordo a livello sarebbe verosimilmente attuabile nella regione della proprietà Gansser, traversando il fondo serviente. In quest'eventualità il convenuto avrebbe indubbiamente un interesse al mantenimento del diritto di passo, che gli consentirebbe di accedere alla nuova strada.
Se è vero che l'iscrizione a registro fondiario par la nel caso concreto genericamente d'un "diritto di passo ed accesso" a favore del fondo n. 1536, altrettanto vero è che, entro i limiti dell'iscrizione, l'estensione della servitù può risultare dal titolo di acquisto o dal modo in cui fu esercitata per molto tempo, pacificamente e in buona fede (art. 738 cp. 2 CC). Un contratto di servitù, che precisasse gli estremi del diritto litigioso, non è stato prodotto. Dagli atti di causa risulta soltanto che per alcuni anni la servitù fu esercitata esclusivamente per accedere alle vie Roncaccio e Sorengo e che, all'epoca dell'iscrizione a registro fondiario (1946), un'altra modalità d'esercizio non era pensabile poichè già allora il fondo serviente era intercluso e aveva uscita soltanto sulle strade prementovate. Risulta dalla deposizione testimoniale dell'architetto Klauser che ancora nel 1950 la casa del convenuto era stata progettata parallelamente al tracciato della futura via Tassino, quale risultava dal Piano regolatore del 1932, e che solo in sede di approvazione del progetto egli era stato edotto della prevista modifica del tracciato, nel senso che la strada sarebbe venuta a intersecare il fondo Donada nell'angolo est. Questa modifica del tracciato essendo posteriore al 1946, è ovvio che all'epoca dell'iscrizione a registro della servitù le parti non possono aver pensato all'eventualità di esercitare il diritto di passo sul fondo serviente per raggiungere la via Tassino all'altezza della proprietà Gansser. Ma ciò non toglie che l'iscrizione a registro fondiario concede
BGE 81 II 189 S. 196
genericamente un "diritto di passo ed accesso", senza restrizione alcuna. In queste condizioni è senz'altro possibile che col tempo l'interesse del fondo dominante si modifichi e si riferisca piuttosto o esclusivamente ad un esercizio diverso da quello inizialmente previsto, semprechè non ne risulti un maggior onere pel fondo serviente (art. 739 CC). La circostanza che dal 1946 al 1952 il diritto di passo fu effettivamente esercitato solo per raggiungere le vie Roncaccio e Sorengo non implica una rinuncia alla portata più ampia della servitù. Che questa abbia conservato un interesse suscettibile di rinascere per il fondo dominante risulta peraltro anche dalla perizia giudiziale che ha valutato l'interesse al mantenimento del diritto in 2500 fr. Sebbene non vincoli il Tribunale federale, quest'apprezzamento da parte d'un professionista esperto in materia immobiliare è nondimeno significativo. Giudicando che la servitù non aveva perso definitivamente qualsiasi interesse per il fondo dominante e che, semmai, la domanda di cancellazione era prematura, la seconda giurisdizione cantonale non ha quindi violato l'art. 736 cp. 1 CC.
3.
Rimane da esaminare se sul giudizio possa influire il fatto che la servitù è iscritta a registro fondiario nella sua duplice accezione di "diritto di passo ed accesso". Il Pretore ha opinato che si dovesse distinguere tra il passo e l'accesso e che, la petizione avendo chiesto soltanto la cancellazione del diritto di passo, quello di accesso doveva rimanere invariato. In sede di appello l'attore ha esteso la domanda nel senso che fosse cancellato anche .
il diritto di accesso. Se questa modifica delle conclusioni fosse ancora ammissibile in sede di appello è questione che attiene alla procedura civile cantonale e che non soggiace quindi al sindacato del Tribunale federale. La Camera civile d'appello ha considerato siffatte conclusioni come ricevibili e, statuendo sul merito, ha ritenuto che in concreto non si trattava di due servitù distinte, suscettibili di esistere indipendenti l'una dall'altra. Essa ha giudicato
BGE 81 II 189 S. 197
che una distinzione delle due servitù potrebbe sussistere ed essere giuridicamente rilevante se risultasse dal loro titolo costitutivo: dovrebbe essere accertato che il diritto di accesso - a differenza di quello di passo - fu concesso per l'esercizio d'una determinata attività sul fondo serviente che non sia la semplice transitabilità, per esempio la facoltà di attingere acqua da una fontana o da un rivo, di sfruttare una cava, di cogliere dei frutti e via dicendo. In concreto nulla permetterebbe di ritenere che con l'iscrizione a registro si avesse inteso fare una distinzione iniziale e intenzionale tra passo e accesso, di modo che il secondo potesse sussistere nella caducità del primo.
A norma dell'art. 740 CC, l'estensione dei diritti di passo è regolata dal diritto cantonale e dall'uso locale. In quanto ha interpretato e delimitato nel suo contenuto il "diritto di passo ed accesso" litigioso la Camera civile d'appello ha dunque applicato il diritto cantonale, il quale sfugge al sindacato del Tribunale federale. L'accertamento della seconda giurisdizione cantonale, secondo cui nella fattispecie "passo" e "accesso" non significano cose diverse, appare quindi inoppugnabile.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto e la querelata sentenza 24 novembre 1954 della Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino è confermata. | public_law | nan | it | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8f8a66fe-715d-4e59-9866-aba3615b97d3 | Urteilskopf
105 IV 127
34. Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1979 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden | Regeste
1.
Art. 221 StGB
.
a) Zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes muss das Feuer derart stark sein, dass es vom Urheber nicht mehr bezwungen werden kann; auch ein Verglühen oder Verglimmen von erheblichem Ausmass genügt, wenn der Urheber das Feuer nicht mehr beherrschen kann (E. 1b). Als Feuersbrunst im Sinne der Gesetzesbestimmung ist ein Brand anzusehen, der starken Rauch entwickelt, bei dem ein Schaden von Fr. 8'000.- entsteht und über den der Täter die Kontrolle verloren hat.
b) Der Begriff der Brandstiftung verlangt bloss alternativ die Herbeiführung einer Gemeingefahr oder die Verursachung einer Feuersbrunst zum Schaden eines andern (E. 2).
2.
Art. 221 Abs. 2 StGB
.
a) Ein vom Täter in seiner Strafzelle spät in der Nacht gelegter Brand, der einen starken Rauch entwickelt, stellt damit für die übrigen Anstaltsinsassen angesichts des giftigen Kohlenmonoxyds eine nahe Gefahr für die Gesundheit von Menschen dar (E. 3).
b) Zur Anwendung der Gesetzesbestimmung genügt der Nachweis, dass der Täter die durch seine Tat herbeigeführte Gefahr gekannt hat, denn wer mit Wissen und Willen einen Zustand schafft, aus dem sich eine Gefahr ergibt, die er kennt, der will notwendig auch diese Gefahr (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 105 IV 127 S. 128
A.-
Der in der Strafanstalt Sennhof, Chur, untergebrachte X. verbarrikadierte in der Nacht des 3. November 1977 seine Zellentür mit Kleiderschrank, Bettgestell, Stuhl, Matratze und sämtlichem Bettzeug und legte daraufhin Feuer an die Wolldecke in der Absicht, sich das Leben zu nehmen. Durch den Zellennachbarn herbeigeläutet, stellte der Nachtwächter im Gang von der Zelle von X. stammenden Rauch fest. Mit dem im Zellentrakt befindlichen Schlauch spritzte er sogleich Wasser durch die Essklappenöffnung der Zellentür und konnte so das Feuer löschen. Die herbeigerufene Feuerwehr musste wegen des starken Rauches im Zellentrakt die Schutzmasken
BGE 105 IV 127 S. 129
aufsetzen. X. konnte unversehrt geborgen werden. Es entstand Sachschaden in Höhe von ca. Fr. 8'000.-.
B.-
Das Kantonsgericht von Graubünden sprach X. am 5. September 1978 deswegen und wegen anderer Delikte der Brandstiftung gemäss
Art. 221 Abs. 2 StGB
und des fortgesetzten Diebstahls schuldig und verurteilte ihn zu 20 Monaten Zuchthaus.
C.-
X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der Anklage der vorsätzlichen Brandstiftung gemäss
Art. 221 Abs. 2 StGB
und zur Neufestsetzung der auszufällenden Strafe zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach der Beschwerdebegründung ist der Antrag so zu verstehen, dass X. nicht nur die Freisprechung von der Anklage der qualifizierten Brandstiftung im Sinne von Abs. 2, sondern auch von derjenigen der einfachen Brandstiftung im Sinne von Abs. 1 des
Art. 221 StGB
verlangt. Er anerkennt insoweit zwar, das Feuer in der Zelle vorsätzlich gelegt zu haben, um Selbstmord zu begehen. Dagegen bestreitet er, eine Feuersbrunst verursacht zu haben. Nach
BGE 85 IV 227
müsse es sich um ein Feuer handeln, das vom Urheber selber nicht mehr bezwungen werden könne. Im vorliegenden Fall könne jedoch von einem "allzu grossen Feuer" nicht gesprochen werden, habe es doch vom Nachtwächter ohne weiteres mit Wasser gelöscht werden können. Abgesehen davon habe auch nicht "allzuviel Material" verbrannt werden können, weil nur das Zimmerinventar zur Verfügung gestanden sei. Nach dem Gesetz genüge nicht jedes beliebige Schadenfeuer zum Nachteil eines andern, vielmehr müsse es von einem gewissen und ungewöhnlichen Umfang sein. Es sei nicht bewiesen, dass der Beschwerdeführer, wenn er es hätte tun wollen, das Feuer nicht mehr hätte löschen können.
a) Wie das Bundesgericht in dem vom Beschwerdeführer angeführten Entscheid ausgeführt hat, genügt zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des
Art. 221 StGB
in der Tat nicht jedes unbedeutende Feuer, das ohne Gefahr beherrscht werden kann, sondern es muss sich um ein Feuer von solcher Stärke handeln, dass es vom Urheber nicht mehr bezwungen werden kann.
BGE 105 IV 127 S. 130
Anderseits muss aber der Brand auch nicht derart sein, dass dadurch eine Gemeingefahr geschaffen würde. Im Begriff der Feuersbrunst ist die Gemeingefahr nicht eingeschlossen, sondern im Gesetz als zusätzliches Element zu jener alternativ mit der Schädigung eines andern vorgesehen (
BGE 85 IV 227
mit Literaturnachweis; ebenso STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, BT II, S. 409). Immerhin macht das Erfordernis des Verlustes der Kontrolle durch den Urheber deutlich, dass es sich um einen Brand von einer gewissen Erheblichkeit handeln muss.
b) Im vorliegenden Fall stellt die Vorinstanz verbindlich fest, X. sei nicht mehr in der Lage gewesen, den Brand aus eigener Kraft zu löschen, und dieser habe nach den Feststellungen der Ermittlungsbeamten ein beträchtliches Ausmass erreicht und einen starken Rauch entwickelt; das Feuer habe, als es vom Nachtwächter entdeckt worden sei, bereits ein gefährliches Ausmass angenommen gehabt. Angesichts dessen sowie der Tatsache, dass immerhin ein Schaden von ca. Fr. 8'000.- entstanden war, kann nicht mehr bloss von einem unbedeutenden Feuer die Rede sein, sondern es handelte sich um einen erheblichen Brand, über den der Beschwerdeführer die Kontrolle verloren hatte. Die gegenteiligen Vorbringen des Beschwerdeführers gehen zur Hauptsache über die tatsächlichen und das Bundesgericht bindenden Feststellungen hinweg und sind deshalb unzulässig (
Art. 273 Abs. 1 lit. b und
Art. 277bis Abs. 1 BStP
).
Der Umstand aber, dass der Nachtwächter mit einem zum Feuerlöschen bestimmten Wasserschlauch des Feuers Herr werden konnte, schliesst nicht aus, dass der Beschwerdeführer, der in der Zelle eingeschlossen war und über kein Feuerlöschmaterial verfügte, aus eigener Kraft das Feuer nicht mehr hätte meistern können. Im übrigen war die Lage so bedrohlich, dass auch die Feuerwehr auf dem Platz erschien. Sodann kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob die offene Flamme ein grosses Ausmass erreicht hat; auch ein Verglühen oder Verglimmen (wie es namentlich bei Stoffen, Wolldecken, Matratzen usw. auftritt) kann genügen, wenn es vom Urheber nicht mehr beherrscht werden kann und ein erhebliches Ausmass angenommen hat (STRATENWERTH, a.a.O.). Die Vorinstanz hat demnach den Begriff der Feuersbrunst weder verkannt noch ihn in unzutreffender Weise auf den konkreten Sachverhalt angewandt.
BGE 105 IV 127 S. 131
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet sodann, eine Gemeingefahr herbeigeführt zu haben. Wie bereits angedeutet, gehört diese nicht zum Begriff der Feuersbrunst, sondern stellt ein zusätzliches Element dar. Als solches wird sie jedoch vom Gesetz bloss alternativ zur Schädigung eines andern genannt, mit der Folge, dass eine Brandstiftung im Sinne des
Art. 221 StGB
auch ohne Nachweis einer Gemeingefahr zu bejahen ist, sofern das Tatbestandsmerkmal des Schadens erfüllt ist. Das aber trifft hier nach den verbindlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils zu, ist doch ein Schaden an dem Beschwerdeführer nicht gehörenden Sachen in Höhe von ca. Fr. 8'000.- entstanden.
3.
Was die zum qualifizierten Tatbestand des
Art. 221 Abs. 2 StGB
gehörende Gefahr für Leib und Leben von Menschen anbelangt, so wird sie vom Beschwerdeführer erneut unter Bestreitung tatsächlicher Annahmen der Vorinstanz in Abrede gestellt, was unzulässig ist. Nach dem angefochtenen Urteil hatte nämlich das Feuer einen starken Rauch entwickelt, der bereits aus der Zelle des Beschwerdeführers heraus sich im Zellentrakt ausgebreitet hatte, in welchem andere Anstaltsinsassen untergebracht waren. Für diese lag schon hierin eine nahe Gefahr für Leib und Leben, wenn man berücksichtigt, dass der bei solchen Bränden entwickelte Rauch das für die Gesundheit des Menschen giftige Kohlenmonoxyd enthält, das der Beschwerdeführer ja auch als Mittel zur Begehung von Selbstmord benutzen wollte. Zudem ist verbindlich festgestellt, dass X. den Brand spät in der Nacht und damit zu einem Zeitpunkt gelegt hat, als zumindest ein Teil der übrigen Anstaltsinsassen schlief, die den Rauch unbemerkt hätten einatmen können. Dass der Brand aus Gründen, die dem Beschwerdeführer nicht zugute kommen, noch rechtzeitig entdeckt wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass der Beschwerdeführer die genannte Gefahr bereits geschaffen hatte. Durch das rasche Eingreifen des Nachtwächters wurde lediglich vermieden, dass sie sich im Sinne einer gesundheitlichen Schädigung der übrigen Anstaltsinsassen verwirklichte.
4.
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, er habe weder wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr gebracht noch eine solche Gefahr gewollt oder in Kauf genommen. Damit ist er nicht zu hören. Die Vorinstanz stellt ausdrücklich das Gegenteil fest, und diese Feststellung bindet den Kassationshof und kann mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht
BGE 105 IV 127 S. 132
bestritten werden. Was der Täter weiss oder will, ist eine den inneren Sachverhalt betreffende Tatfrage, deren Beantwortung allein dem kantonalen Sachrichter zusteht (
BGE 104 IV 36
,
BGE 101 IV 50
mit Verweisen). Im übrigen genügt nach
Art. 221 Abs. 2 StGB
der Nachweis, dass der Täter die durch seine Tat herbeigeführte Gefahr gekannt hat, denn wer mit Wissen und Willen einen Zustand schafft, aus dem sich eine Gefahr ergibt, die er kennt, der will notwendig auch diese Gefahr (
BGE 94 IV 63
,
BGE 73 IV 168
). In diesem Sinne bedürfen
BGE 85 IV 132
und
BGE 73 IV 229
der Präzisierung.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8f9393e0-010e-4b3c-bdbd-5540e115364c | Urteilskopf
121 III 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. März 1995 i.S. K. (Berufung) | Regeste
Legitimation des Dritten zur Erhebung einer Vormundschaftsbeschwerde gegen die Anordnung einer Beistandschaft für ein aussereheliches Kind (Art. 420, 392 Ziff. 2, 309 Abs. 2 ZGB).
Die Berufung ist zulässig gegen die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft (
Art. 44 lit. e OG
). Frage offengelassen für die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft (E. 1).
Ein Dritter ist zur Beschwerde gemäss
Art. 420 ZGB
legitimiert, wenn er sich auf die Interessen der schutzbedürftigen Person beruft oder die Verletzung eigener Rechte oder Interessen geltend macht (E. 2a). Der Präsumtivvater, der sich gegen die Anordnung einer Vertretungs- und Vaterschaftsbeistandschaft für das aussereheliche Kind wehrt, ist nicht zur Beschwerde legitimiert (E. 2b und c). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 121 III 1 S. 2
A.-
Am 30. Januar 1982 wurde M. Z. als Tochter von L. Z. geboren. Y. anerkannte am 3. März 1982 vor dem Zivilstandsamt X. die Vaterschaft. Nachdem sich Y. von L. Z. getrennt hatte und mit einer anderen Frau eine Ehe eingegangen war, verweigerte er gegenüber M. Z. die Erfüllung seiner väterlichen Pflichten, seit einiger Zeit insbesondere diejenige der Erbringung von Unterhaltsleistungen. In der Folge wandte sich L. Z. an die Vormundschaftsbehörde der Stadt Biel, damit diese im Interesse des Kindes dessen väterliche Abstammung kläre. Am 3. Oktober 1994 ordnete die Vormundschaftsbehörde der Stadt Biel die Errichtung einer Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft für M. Z. an und erteilte dem Beistand den Auftrag, namens des Kindes Klage auf Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft durch Y. sowie eine Vaterschaftsklage gegen K. einzureichen.
B.-
Gegen diesen Beschluss erhob K. Beschwerde beim Regierungsstatthalter des Amtsbezirkes Biel. Dieser trat mit Entscheid vom 2. Dezember 1994 auf die Beschwerde nicht ein. Der Appellationshof des Kantons Bern ist auf die dagegen erhobene Beschwerde vom 13. Dezember 1994 mit Entscheid vom 13. Januar 1995 nicht eingetreten.
C.-
Mit Berufung vom 23. Januar 1995 beantragt K. dem Bundesgericht, den Entscheid des Appellationshofes des Kantons Bern aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 44 lit. e OG
ist gegen die Anordnung einer Beistandschaft die Berufung zulässig. Diese Bestimmung bezieht sich aufgrund der gesetzlichen Verweise fraglos auf die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft im Sinn von
Art. 392 Abs. 2 ZGB
(POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi d'organisation judiciaire, Bern 1990, Rz. 2.5.4, S. 214). Heikel ist demgegenüber die Frage, ob auch eine Berufung, die sich gegen die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft im Sinn von
Art. 309 ZGB
richtet, zulässig ist (verneint in
BGE 95 II 298
E. 1 und von POUDRET/SANDOZ-MONOD, a.a.O., Rz. 2.5.4, S. 215; a.M. MESSMER/IMBODEN, Die
BGE 121 III 1 S. 3
eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, Ziff. 55, Fn. 15; vgl. auch
BGE 107 II 312
, wo stillschweigend auf eine Berufung gegen die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft eingetreten wurde). Vorliegend kann diese Frage jedoch dahingestellt bleiben, weil sich die Berufung auch gegen die Anordnung der Vertretungsbeistandschaft richtet. Auf die Berufung ist daher einzutreten.
2.
Der Kläger rügt, dass der Appellationshof des Kantons Bern ihm zu Unrecht die Legitimation zur Erhebung der Vormundschaftsbeschwerde abgesprochen habe. Seine Befugnis zur Beschwerdeführung sei einerseits deshalb zu bejahen, weil er durch die Anordnung der Beistandschaft für M. Z. in eigenen Rechten betroffen sei, da diese Massnahme die Beseitigung der bestehenden Vaterschaft und einen Vaterschaftsprozess gegen ihn bezwecke. Anderseits sei er auch zur Beschwerdeführung legitimiert, weil er damit die Interessen von M. Z. wahrnehme. Die Vorinstanz hätte daher auf jeden Fall auf seine Beschwerde eintreten und zumindest prüfen müssen, ob die Anordnung einer Vaterschaftsbeistandschaft im wohlverstandenen Kindesinteresse liege.
a)
Art. 420 Abs. 1 ZGB
räumt dem Bevormundeten, der urteilsfähig ist, sowie jedermann, der ein Interesse hat, das Recht ein, gegen Handlungen des Vormundes bei der Vormundschaftsbehörde Beschwerde zu führen. Nach
Art. 420 Abs. 2 ZGB
kann sodann gegen Beschlüsse der Vormundschaftsbehörde binnen zehn Tagen nach deren Mitteilung bei der Aufsichtsbehörde Beschwerde geführt werden. Das Recht des Dritten zur Beschwerdeführung ist eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes dient das Rechtsmittel in erster Linie dazu, die vormundschaftlichen Behörden zu einem gesetzmässigen Verhalten und zur Wahrung der Interessen derjenigen, für die sie tätig werden muss, anzuhalten (
BGE 103 II 170
E. 2, S. 174). Zur Beschwerde legitimiert ist nicht nur ein Dritter, der Mündelinteressen wahrnimmt, sondern auch derjenige, der eine Verletzung eigener Rechte geltend macht oder an der Beschwerdeführung selbst interessiert ist (
BGE 113 II 232
; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2. Auflage, Bern 1986, N. 987; ZVW 37, 1982, S. 32 f.). Demnach ist die Legitimation eines Dritten zur Beschwerdeführung gemäss
Art. 420 ZGB
zu bejahen, sofern dieser sich auf die Interessen der schutzbedürftigen Person beruft oder die Verletzung eigener Rechte oder Interessen geltend macht.
BGE 121 III 1 S. 4
b) Soweit der Kläger ausführt, dass seine Rechte und schutzwürdigen Interessen durch die Anordnung der Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft für M. Z. tangiert seien, kann seinen Ausführungen nicht gefolgt werden. Weder bei der Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft im Hinblick auf die Anfechtung der Vaterschaft (
Art. 392 Abs. 2 ZGB
in Verbindung mit
Art. 260a ZGB
) noch bei der Errichtung einer Vaterschaftsbeistandschaft (
Art. 309 Abs. 1 und 2 ZGB
) hat die Vormundschaftsbehörde Rechte oder Interessen des Präsumtivvaters zu berücksichtigen. Die Errichtung der Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft bezweckt einzig, dem ausserehelichen Kind die Mittel zu verschaffen, um ein Kindesverhältnis zum anerkennenden Vater aufzulösen bzw. die Rechtsbeziehung zum natürlichen Vater herzustellen. Dritten stehen im Vormundschaftsverfahren keine subjektiven Rechte zu. Ebensowenig besteht die Möglichkeit, deren Interessen zu berücksichtigen. Die Vorinstanz hält daher zutreffend fest, dass der Kläger erst im Rahmen eines allfälligen künftigen Vaterschaftsprozesses eigene Rechte und Interessen geltend machen kann. Da der Beschwerdeführer im vormundschaftlichen Verfahren somit weder über eigene Rechte verfügt noch sich auf eigene Interessen zu berufen vermag, wurde ihm von der Vorinstanz zu Recht die Legitimation zur Erhebung einer Vormundschaftsbeschwerde abgesprochen.
c) Die Frage, ob der Kläger legitimiert sei, eine Beschwerde gemäss
Art. 420 ZGB
zu erheben, beschränkt sich daher einzig auf die Frage, ob er berechtigte Interessen des Kindes wahrnehme. Diesbezüglich ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Anfechtung der Vaterschaft zum Registervater einerseits und der anschliessenden Feststellung des Kindesverhältnisses zum natürlichen Vater anderseits. Nur hinsichtlich der Anfechtung der Vaterschaft hat die Vormundschaftsbehörde zu prüfen, ob diese im Interesse des Kindes liege (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 4. Auflage, Bern 1994, N. 8.10 mit Verweis auf N. 6.07). Dabei ist abzuwägen, ob die Anfechtung des Kindesverhältnisses oder dessen Fortdauer für das Kind vorteilhaft ist (SJZ 69, 1973, S. 124 Nr. 77 E. 6). Bezüglich der Feststellung des Kindesverhältnisses nach erfolgreicher Anfechtung (
Art. 309 Abs. 2 ZGB
) ist demgegenüber nach Sinn und Wortlaut des Gesetzes ein Interesse des Kindes nicht erforderlich (HEGNAUER, Darf der Beistand von der Feststellung des Kindesverhältnisses zum Vater absehen?, ZVW 34, 1979, S. 101). Vielmehr ist auf jeden Fall ungeachtet von allfälligen Kindesinteressen eine Vaterschaftsklage zu erheben. Die Frage, ob ein
BGE 121 III 1 S. 5
Interesse des Kindes an der Anordnung der Beistandschaft besteht, ist somit zum vornherein auf die Anfechtung der Rechtsbeziehung zum anerkennenden Vater zu beschränken.
Der Kläger geht fehl in der Annahme, dass vorliegend die Erhebung einer Anfechtungsklage zur Beseitigung des bestehenden Kindesverhältnisses den Kindesinteressen zuwiderlaufe. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das aussereheliche Kind Anspruch auf die Feststellung des Kindesverhältnisses zum Vater hat (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, N. 27.30; vgl. auch
BGE 112 Ia 97
E. 6b; COTTIER, Die Suche nach der eigenen Herkunft: Verfassungsrechtliche Aspekte, Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 1987, insbes. S. 27 ff.; COTTIER, Kein Recht auf Kenntnis des eigenen Vaters?, recht 4, 1986, S. 135 ff.). An diesem grundsätzlichen Interesse des Kindes ändern die Ausführungen des Klägers nichts. Soweit er geltend macht, dass M. Z. von ihrer Mutter schon vor vier Jahren und seither immer wieder über die wahre biologische Vaterschaft aufgeklärt worden sei, scheint er zu übersehen, dass die Feststellung des Kindesverhältnisses sich durchaus nicht in der Kenntnis des biologischen Vaters erschöpft, sondern auch den Unterhaltsanspruch gegen den Vater sowie die Unterstützungs- und Erbberechtigung gegenüber der väterlichen Verwandtschaft mitumfasst. Ebenso unbehelflich ist der Einwand, dass die Beziehung zum Registervater durch eine Anfechtung tangiert werde, ist diese Beziehung doch bereits vor vier Jahren vollständig abgebrochen worden. Damit erweist sich ohne weiteres auch der Vorwurf des rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Kindesmutter und der Vormundschaftsbehörde als haltlos. Den Ausführungen der Vorinstanz ist daher beizupflichten, dass der Beschwerdeführer nicht Interessen von M. Z., sondern ausschliesslich eigene Interessen geltend macht. Diese können indessen wie dargelegt nicht im Vormundschaftsverfahren, sondern erst in einem künftigen Vaterschaftsprozess vorgetragen werden.
d) Der Appellationshof des Kantons Bern hat demnach die Legitimation des Klägers zur Erhebung einer Vormundschaftsbeschwerde gegen die Anordnung der Vertretungs- respektive Vaterschaftsbeistandschaft zutreffend verneint, weil dieser als Dritter sich weder auf eigene Rechte noch auf die Interessen von M. Z. zu berufen vermag. Die Berufung ist demnach abzuweisen. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8f9708db-7b00-4120-96b2-7ee57a1d1b67 | Urteilskopf
109 Ia 325
55. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Dezember 1983 i.S. Gemeinde Igis gegen Donatsch Söhne AG und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
und Gemeindeautonomie. Verlegung der Baukosten von Kanalisationen und Abwasserreinigungsanlagen.
Tragweite des Gleichbehandlungsgebotes bei der Setzung kommunalen Rechts und bei dessen Überprüfung (E. 4). Für die Verlegung der Baukosten muss ein Verteilungsschlüssel gefunden werden, der als gerecht erscheint, ohne dass der tatsächliche wirtschaftliche Vorteil für das einzelne Grundstück noch konkret zu bemessen wäre (E. 5). Der Brandversicherungswert der Gebäude ist eine geeignete Grundlage; die Höhe des Beitragsansatzes muss nicht unbedingt von der Art des Gebäudes abhangen. Der Versicherungsneuwert basiert auf dem Kubikmeter-Wert der Gebäude. Dieser ist aber im Mittel für Wohnbauten und Hotels höher als für Industriebauten (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 326
BGE 109 Ia 325 S. 326
Die Bündner Gemeinden Igis, Malans, Mastrils, Untervaz und Zizers haben sich zum Abwasserverband Landquart zusammengeschlossen mit dem Zweck, eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage (ARA) zu erstellen und zu betreiben. Der Kostenaufwand ist veranschlagt auf Fr. 20,4 Mio., wovon 6,15 Mio. für die Kanalisationen des Abwasserverbandes. Erneuerung und Ausbau des Kanalisationsnetzes der Gemeinde Igis werden nach dem Voranschlag Fr. 7 Mio. erfordern. Nach Abzug der Subventionen hat die Gemeinde Igis rund Fr. 12 Mio. aufzuwenden, wovon 11,5% für die ARA, 88,5% für die eigenen und verbandlichen Kanalisationen.
Diese Fr. 12 Mio. sollen wie folgt finanziert werden: Fr. 2 Mio. zulasten der Gemeinde, Fr. 7,5 Mio. durch sofort fällige Beiträge der Grundeigentümer, Fr. 1,5 Mio. durch später fällig werdende Beiträge der Grundeigentümer.
Am 1. Juli 1979 stimmte die Gemeinde Igis einem neuen Gesetz über die Abwasseranlagen zu (AbwG). Dieses verpflichtet die Grundeigentümer in Art. 43, an die Baukosten der öffentlichen Abwasseranlagen einen einmaligen Beitrag zu leisten in Höhe von 25%o des Gebäudeneuwertes gemäss Schätzung der kantonalen Gebäudeversicherungsanstalt (GVA) für Neubauten und solche Gebäude, die bis anhin nicht an das öffentliche Kanalisationsnetz angeschlossen waren, und von 20%o dieses Wertes für Liegenschaften, für die bereits früher Beiträge entrichtet worden sind oder die vor dem Jahre 1959 an das Kanalisationsnetz angeschlossen wurden. Neben diesem einmaligen Beitrag haben die Grundeigentümer für die Deckung der laufenden Betriebskosten eine jährliche Benützungsgebühr zu bezahlen, deren Höhe sich nach dem Umfang des Wasserverbrauchs richtet (Art. 45).
Die Donatsch Söhne AG, Stahl- und Metallbau, ist in der Gemeinde Igis Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses im "Ziegelgut" sowie eines grösseren Industrieareals in den "Riedlösern", auf welchem sich zwei Werkhallen, eine Lagerhalle, ein Büro- und ein Wohnungsanbau sowie Autounterstände befinden. Am 10. Februar 1980 stellte die Gemeinde Igis der Donatsch Söhne AG Beiträge an die Baukosten der öffentlichen Abwasseranlagen von
BGE 109 Ia 325 S. 327
insgesamt Fr. 90'473.- für die auf ihrem Gebiet gelegenen Gebäulichkeiten in Rechnung, wobei sie einen Ansatz von 20%o des Gebäudewertes anwandte. Gegen die Abweisung ihrer Einsprache durch die Gemeinde rekurrierte die Firma an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses hat den Rekurs am 2. Dezember 1980 teilweise gutgeheissen, die Beitragsverfügung aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde zurückgewiesen.
Die Gemeinde Igis führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie und des
Art. 4 BV
mit dem Antrag auf Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Das Verwaltungsgericht und die Donatsch Söhne AG beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Das in
Art. 4 BV
verankerte Gleichheitsprinzip und das daraus folgende Willkürverbot binden auch den Gesetzgeber. Nach der Rechtsprechung verstossen ausser den gesetzgeberischen Erlassen, die sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lassen oder sinn- und zwecklos sind (vgl.
BGE 107 Ib 182
E. 5a,
BGE 101 Ia 399
;
BGE 77 I 275
), jene Erlasse gegen
Art. 4 BV
, die rechtliche Unterscheidungen treffen, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist (Fall der unzulässigen Unterscheidung:
BGE 108 Ia 114
;
BGE 101 Ia 182
, 193;
BGE 100 Ia 75
, 77, 89; ;
BGE 99 Ia 154
, 351;
BGE 97 I 204
;
BGE 73 I 383
), und jene, die im Gegenteil Unterscheidungen unterlassen, die sich aufgrund dieser Verhältnisse aufdrängen (Fall der unzulässigen Gleichstellung:
BGE 94 I 654
,
BGE 88 I 238
und die Präzisierung in
BGE 103 Ia 88
,
BGE 82 I 281
).
Damit
Art. 4 BV
verletzt sei, ist indessen erforderlich, dass die vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung oder Gleichstellung als unhaltbar erscheine. In diesem Rahmen belässt
Art. 4 BV
dem kantonalen (und kommunalen) Gesetzgeber eine erhebliche Gestaltungsfreiheit, die ihm gestattet, bald auf die Gemeinsamkeiten zweier Sachverhalte abzustellen und sie gleich zu behandeln, bald sich auf ihre Verschiedenheiten zu stützen und sie unterschiedlichen Regelungen zu unterstellen. Entgegen der Annahme der beschwerdeführenden Gemeinde gewährleistet
Art. 4 BV
nicht die Gleichförmigkeit der Gesetze, weshalb von zwei entgegengesetzten gesetzlichen Regelungen derselben Frage die eine wie die andere
BGE 109 Ia 325 S. 328
mit dem Gleichheitsgebot vereinbar sein kann (vgl. z.B.
BGE 80 I 236
, 105 Ia 39/40 und AUBERT, Traité Nr. 1795 S. 648 und Supplément 1967/82 S. 224). Diese Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers muss vom Bundesgericht - und vom kantonalen Richter - bei der Prüfung der Frage, ob eine kantonale oder kommunale Vorschrift mit
Art. 4 BV
vereinbar sei, respektiert werden, denn die Verfassungsnorm schliesst nur unhaltbare Unterscheidungen aus, und der Richter würde in den Bereich des Gesetzgebers eingreifen und so den Grundsatz der Gewaltentrennung verletzen, wenn er sich eine weitergehende Kognition herausnähme. Zu dieser Zurückhaltung muss bei autonomer kommunaler Gesetzgebung sowohl für die kantonalen Verwaltungsbehörden, die die gesetzgeberischen Erlasse zu genehmigen haben, wie für die Gerichtsbehörden, die ihre Anwendung auf Beschwerde hin überprüfen, die Respektierung jener Autonomie treten, die die Gemeinde von einem blossen Verwaltungsbezirk unterscheidet und die allein der kantonale Verfassungs- oder Gesetzgeber allenfalls beschränken könnte.
In diesen zwischen den Extremen der unzulässigen Unterscheidung und der unzulässigen Gleichstellung angesiedelten Fällen, die zweifellos sehr zahlreich sind, ist die Verfassungsmässigkeit der vom Gesetzgeber gestalteten Ordnung zu bejahen (vgl.
BGE 104 Ia 295
,
BGE 102 Ia 46
,
BGE 77 I 102
). Solche Fälle können insbesondere bei öffentlichen Abgaben auftreten und bei der Verteilung der Last auf die Abgabepflichtigen, da sich, wie wiederholt entschieden wurde, für die Gestaltung des materiellen Rechts aus
Art. 4 BV
nur allgemeine Gesichtspunkte und Richtlinien gewinnen lassen und nicht bestimmte Methoden oder Systeme der Besteuerung, bzw. der Verteilung der Abgaben auf die Rechtsunterworfenen (
BGE 96 I 567
,
BGE 99 Ia 653
,
BGE 104 Ia 295
,
BGE 106 Ia 244
).
5.
Mit Recht betrachtet das Verwaltungsgericht die strittige Kausalabgabe als Vorzugslast; es stellt auch zutreffend fest, dass sich diese grundsätzlich nach der Höhe der zu deckenden Kosten und nach dem wirtschaftlichen Vorteil bemisst, den der Einzelne aus der betreffenden öffentlichen Einrichtung zieht. Ferner nimmt das Verwaltungsgericht zu Recht an, dass zur Bewertung des Vorteils die Verwendung schematischer Kriterien zulässig ist, weil sich dessen exakte Schätzung oft als schwierig oder gar unmöglich erweist (
BGE 98 Ia 174
E. 4b,
BGE 94 I 278
,
BGE 93 I 114
, analog für Kanalisationsanschlussgebühren
BGE 106 Ia 244
E. 3b a.E.). Diese letzte Frage - auf die sich der vorliegende Rechtsstreit zuspitzt -
BGE 109 Ia 325 S. 329
bedarf näherer Betrachtung. Das Problem der Vorzugslasten liegt in Fällen wie dem vorliegenden in der richtigen Verteilung der Nettokosten des Werkes - nach Abzug der Subventionen - auf alle Grundstücke im Einzugsgebiet der öffentlichen Kanalisation. Ausgangspunkt für die Verteilung muss vernünftigerweise die Annahme sein, dass den Eigentümern von Grundstücken im Einzugsgebiet, die sofort oder später Beiträge zu leisten haben, insgesamt ein wirtschaftlicher Vorteil erwächst, der grösser ist als der zu verteilende Kostenaufwand oder zumindest gleich gross. Diese Annahme ist realistisch, weil die Überbaubarkeit eines Grundstückes den Anschluss an eine Abwasserreinigungsanlage voraussetzt, wobei die Kosten ihren Ausgleich im Verkehrswert des Grundstückes finden. Daraus lässt sich folgern, dass ein Verteilungsschlüssel für den Kostenaufwand gefunden werden muss, der als gerecht erscheint, ohne dass der tatsächliche wirtschaftliche Vorteil für das einzelne Grundstück noch konkret zu bemessen wäre. Die Annahme, der so errechnete Betrag sei proportional zu dem dem Grundstück erwachsenen wirtschaftlichen Vorteil, ist genau besehen nur eine Präsumtion, die auf der Anwendung von Wahrscheinlichkeitsmassstäben für den tatsächlichen Vorteil beruht (Ersatz-, Hilfs- oder Ermittlungsmassstäbe), und nicht eine konkrete Bewertung aufgrund einer konkreten Bemessung des Vorteils (DIETER WILKE, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 117 f., 210 f. und die dort angeführte deutsche Rechtsprechung; KLAUS VALLENDER, Grundzüge des Kausalabgabenrechts, S. 115, 120/122 mit Hinweis auf
BGE 93 I 114
/115; IMBODEN/RHINOW, Nr. 111, III, a VII).
6.
Das Verwaltungsgericht vertritt die Meinung, der Neuwert der an die öffentliche Kanalisation angeschlossenen Bauten könne der Beitragsberechnung zugrundegelegt werden bei Wohnhäusern, in denen "normale" Abwassermengen entstehen; es findet aber,
Art. 4 BV
erfordere ein Korrektiv (in Form einer Herabsetzung des Belastungsansatzes oder des Beitrags) für Gebäude wie die hier in Frage stehenden Industriebauten, bei denen nur sehr geringe Abwassermengen anfallen. Aus den Erwägungen des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht anderseits der Meinung ist, bei Bauten wie Hotels, die einen starken Abwasseranfall aufweisen, müsse der Beitrag erhöht werden. Da das Abwassergesetz der Gemeinde Igis keine Differenzierung der Belastung nach Massgabe des Wasserverbrauchs kennt, verletzt es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts das Gleichheitsgebot des
Art. 4 BV
.
BGE 109 Ia 325 S. 330
Dem kann nicht gefolgt werden. Wie zu zeigen ist, hat das Verwaltungsgericht in das dem Gesetzgeber im allgemeinen sowie dem kommunalen Gesetzgeber im besondern zustehende Ermessen eingegriffen und damit die Autonomie der Gemeinde verletzt.
a) Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass der Gebäudewert eine geeignete Grundlage bildet für die Vorteils-Präsumtion, von der oben die Rede war; dies allein schon deshalb, weil jedes Gebäude (von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen) wegen des Gewässerschutzes an die Kanalisation und die ARA angeschlossen werden muss, unabhängig davon, in welchem Ausmass es diese Anlagen "beansprucht". Die Annahme ist daher nicht unvernünftig, der für das angeschlossene Gebäude erwachsende Vorteil stehe in einem bestimmten Verhältnis zu seinem Wert. Zu den Werten, die für den Gesetzgeber in Betracht fallen, gehört ohne Zweifel auch der bei der Brandversicherung geltende Neuwert. Er hat den Vorteil, dass er nach objektiven Kriterien in einem Verfahren bestimmt wurde, in welchem den Interessen der versicherten Hauseigentümer, nicht des Fiskus, Rechnung getragen wird; überdies ist er bereits vorhanden und braucht nicht erst in einem komplizierten und kostspieligen Bewertungsverfahren festgesetzt zu werden. Dass der Gebäudewert, namentlich der Brandversicherungswert, ein angemessener Massstab ist (sei es auch neben oder in Verbindung mit andern) für die Verlegung der Baukosten von Kanalisationen und Abwasserreinigungsanlagen, hat die Rechtsprechung stets anerkannt (vgl. Urteil vom 1. März 1967 Wert-Invest-Immobilien AG, publ. in BJM 1967, S. 143 f.; Urteil vom 21. Juni 1967 Zivy S.A. c. Oberwil;
BGE 93 I 114
f.,
BGE 94 I 278
,
BGE 106 Ia 248
) und zumindest teilweise auch die Lehre (vgl. R. KAPPELER, Die Festsetzung der Abwassergebühr, ZBl 69 (1968) S. 468 und N. 19 E. S. 493; Bericht über Grundeigentümerbeiträge und Gebühren an Erschliessungsanlagen, bearbeitet von R. STÜDELI, VLP Schriftenfolge Nr. 18, S. 71 N. 5e S. 61 f. Nr. 6).
b) Dass die Höhe des Beitragsansatzes von der Art des Gebäudes abhangen müsse, lässt sich nicht aus
Art. 4 BV
ableiten, wenn auch einzuräumen ist, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung natürlich nicht verletzt würde durch verschieden hohe Ansätze oder die Mitberücksichtigung weiterer Kriterien. Zum einen kann die Gemeinde beim Bau des Kanalisationsnetzes nicht auf die je nach den Bedürfnissen wechselnde Verwendung eines Gebäudes abstellen; das Kanalisationsnetz muss im Hinblick auf seine mögliche Höchstbelastung konzipiert werden. Der Baukostenbeitrag
BGE 109 Ia 325 S. 331
(im Unterschied zur wiederkehrenden und anpassungsfähigen Benützungsgebühr) ist, unter Vorbehalt der Gebäudevergrösserung, einmalig und kann nicht einer Erhöhung des Wasserverbrauchs und damit des Abwasseranfalls angepasst werden (Urteil Zivy & Cie S.A. vom 21. Juni 1967, wiedergegeben im zitierten Bericht über die Eigentümerbeiträge, S. 61/62). Zum andern ist, jedenfalls in dem von der beschwerdeführenden Gemeinde angewandten technischen System, Abwasser auch Meteorwasser, das auf Dächer und gepflasterte Plätze fällt. Auch dieses Wasser muss in die Kanalisation geleitet werden, die so dimensioniert werden muss, dass sie auch grosse Niederschlagsmengen aufzunehmen vermag. Industriegebäude (namentlich Lagerschuppen) breiten sich oft über grosse Bodenflächen aus; hinzu kommen nicht selten grosse asphaltierte Flächen im Freien (Park-, Lagerplätze). Auch die Niederschläge auf diesen Flächen müssen der Kanalisation zugeführt werden. Gewiss ist Meteorwasser weniger verschmutzt als Abwasser aus Toiletten und Küchen, die in Wohnhäusern und insbesondere, wie das Verwaltungsgericht hervorhebt, in Hotels zahlreich sind. Dieses Argument wiegt indes nicht sehr schwer; wie die Gemeinde darlegt, entfallen 88,5% der zu verlegenden Kosten auf die eigentlichen kommunalen und verbandlichen Kanalisationen und nur 11,5% auf die ARA.
Schliesslich trägt das Verwaltungsgericht dem Umstand nicht Rechnung, dass der Versicherungsneuwert auf dem Kubikmeter-Wert der Gebäude basiert. Dieser ist aber im Mittel für Wohnbauten und Hotels bedeutend höher als für Industriehallen und -schuppen. Das Vorhandensein sanitärer Installationen, elektrischer Haushaltgeräte usf., von denen nach der eigenen These des Verwaltungsgerichts das Abwasser herrührt, schlägt sich somit im Neuwert nieder und, wenn auch indirekt, im Beitrag. Der hohe Kubikmeter-Wert der Wohnbauten einerseits, die häufige Beanspruchung grosser Bodenflächen bei den Industriebetrieben anderseits zeigen, dass die fehlende Differenzierung des Beitrags entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht als Verletzung der Rechtsgleichheit zu betrachten ist. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8f9a27e8-7f31-4844-8aa8-e7073bfe218b | Urteilskopf
101 II 290
48. Estratto della sentenza 13 maggio 1975 della I Corte civile nella causa Janssen Pharmaceutica S.A. contro Istituto Biochimico IBSA. | Regeste
Fabrikmarken.
Art. 6 Abs. 1 MSchG
; Verwechslungsgefahr zwischen Marken pharmazeutischer Produkte.
Bei pharmazeutischen Produkten, die grundsätzlich rezeptpflichtig sind, aber vom Konsumenten in der Praxis ohne ausserordentliche Schwirigkeiten erworben werden können, beurteilt sich die Verwechslungsgefahr nach der Aufmerksamkeit des breiten Publikums. | Sachverhalt
ab Seite 291
BGE 101 II 290 S. 291
La marca internazionale STUGERON appartiene alla Janssen Pharmaceutica S.A., Beerse (Belgio), ed è usata in Svizzera dalla Cilag-Chemie S.A., Sciaffusa. Essa designa effettivamente un prodotto farmaceutico destinato alla terapia di disturbi circolatori cerebrali e periferici. La marca UGARON, depositata successivamente, appartiene all'Istituto Biochimico IBSA, Massagno, e si riferisce ad un prodotto - per la cura di affezioni ulcerose dello stomaco e del duodeno. Il 10 aprile 1969 la Janssen Pharmaceutica S.A. conveniva avanti il Tribunale di appello del Cantone Ticino la ditta IBSA, chiedendo la dichiarazione di nullità della marca UGARON ed il divieto alla convenuta di usarla nelle proprie relazioni commerciali e quale contrassegno dei suoi prodotti. Con sentenza 2 dicembre 1974 la Corte cantonale respingeva l'azione. Essa rilevava, tra l'altro, che i due prodotti sono sottoposti a ricetta medica, sicché un rischio di confusione deve essere negato già per questa ragione, potendosi esigere da un medico una capacità di distinzione superiore a quella del grande pubblico. La Janssen Pharmaceutica S.A., nel proporre ricorso per riforma, ha domandato l'annullamento della sentenza impugnata e l'accoglimento della petizione. Il Tribunale federale ha deciso in questo senso.
Erwägungen
Dai considerandi:
A mente dell'
art. 6 cpv. 1 LMF
la marca di cui viene effettuato il deposito deve distinguersi per caratteri essenziali da quelli che si trovano già iscritti.
Già la Corte cantonale ha rilevato che la differenziazione verbale delle due marche STUGERON e UGARON è di poca entità. Per costante giurisprudenza, il rischio di confusione deve essere apprezzato secondo l'impressione generale suscitata nell'ultimo acquirente delle marche in questione. Trattandosi
BGE 101 II 290 S. 292
di marche verbali, decisive sono l'assonanza e la figurazione (
DTF 98 II 141
,
DTF 95 II 358
e 465,
DTF 93 II 265
,
DTF 90 II 48
e le citazioni). A ragione l'attrice osserva che della marca UGARON cinque lettere su sei sono identiche alla marca STUGERON precedentemente inscritta, che la cadenza, il suono nonché la prima e l'ultima vocale sono pure identici e che una sufficiente distinguibilità non può essere fondata, dal profilo dell'impressione generale, sulla differenza delle vocali centrali (E-A), attenuata comunque dal comune prefisso UG e dal pure comune suffisso RON, o sull'esistenza del prefisso ST - in sé trascurabile - nel contrassegno dell'attrice. Occorre, quindi, ammettere che la marca della convenuta non si distingue per caratteri essenziali da quella dell'attrice, qualora "ultimo acquirente" sia il grande pubblico, dal quale, se il prodotto gli è destinato, non si può attendere che presti una particolare attenzione alle differenze esistenti tra le singole marche (
DTF 96 II 404
,
DTF 95 II 358
). Ciò vale anche, salvo circostanze speciali, per i prodotti farmaceutici ed i medicamenti posti in libera vendita (
DTF 78 II 382
).
Verosimilmente diverso sarebbe il giudizio se i prodotti delle parti fossero destinati unicamente al personale medico specializzato, dal quale, proprio per la sua formazione specifica, è lecito pretendere un'attenzione particolare ed al quale devono bastare anche differenze di minore importanza, onde distinguere una marca dall'altra ed evitare la confusione. Così, nella sentenza pubblicata nella
DTF 84 II 441
e riguardante le marche verbali Xylocain e Celecain designanti prodotti per iniezioni (anestetici), il Tribunale federale ha negato il rischio di confusione, attribuendo importanza decisiva al fatto che il prodotto era venduto unicamente al medico ed usato da quest'ultimo e che, di regola, il paziente non entrava in possesso né della ricetta né del prodotto in questione (cfr. anche TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2a ediz., vol. I pagg. 277-278; DAVID, Comm. della LMF, Supplem. pagg. 50 e 52; BAUMGARTNER, Le risque de confusion en matière de marques, tesi Losanna, pagg. 113-114). Nel caso in esame, i medicamenti STUGERON e UGARON richiedono, secondo il giudizio impugnato, una ricetta medica, "almeno la prima volta" o "perlomeno per il primo acquisto". Non si può tener conto della semplice ipotesi che, in futuro, l'obbligo della ricetta venga meno o che l'attrice abbia ad usare la marca per prodotti per
BGE 101 II 290 S. 293
i quali tale obbligo non sia prescritto. Ma la Corte cantonale non esclude che, nel prosieguo della cura, il paziente acquisti il prodotto direttamente, senza esibire la ricetta. In tal modo, il rischio di confusione deve essere commisurato al grado di attenzione del compratore comune, privo di formazione specialistica, né tale rischio appare diminuito, riguardo al compratore medio e al pubblico, dalla circostanza che i prodotti sarebbero destinati alla terapia di malattie totalmente diverse o dal fatto che il farmacista (ma spesso è il suo personale che serve il cliente) sarebbe in grado di correggere eventuali errori. La probabilità che il paziente chieda ed ottenga direttamente in farmacia, per la prosecuzione della cura, il medicamento prescrittogli è tanto più grande in quanto, per lo STUGERON ad esempio, secondo il prospetto in atti, non esistono contro-indicazioni, gli effetti secondari sono praticamente trascurabili (leggera stanchezza o sonnolenza che scompaiono rapidamente, diminuendo la dose) e la cura deve protrarsi per parecchie settimane o mesi. Più grande diventa, in tal modo, anche il rischio di confusione e la necessità, in casi del genere, mancando le circostanze speciali riservate nella sentenza
DTF 84 II 441
, di affidarsi unicamente al potere di discernimento del pubblico in genere (cfr., in senso conforme, per il diritto tedesco: BAUMBACH-HEFERMEHL, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 10a ediz., vol. II § 31 n. 29; REIMER, Wettbewerbsund Warenzeichenrecht, 4a ediz., vol. I pag. 424; VON GAMM, Das Warenzeichengesetz, § 31 n. 19). Già si è visto, però, che tale potere è insufficiente per distinguere prodotti designati rispettivamente con le marche STUGERON e UGARON. | public_law | nan | it | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fa78b13-e32a-42bb-a465-cfc40d163573 | Urteilskopf
117 V 121
12. Urteil vom 29. April 1991 i.S. E. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 33 Abs. 3 und
Art. 33bis Abs. 1 AHVG
.
Bei Ablösung einer bisherigen Rente durch eine neue Hauptrente schliesst die formelle Rechtskraft der früheren Rentenzusprechung die richterliche Prüfungszuständigkeit bezüglich der neu verfügten Hauptrente nicht aus (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 117 V 121 S. 121
A.-
Mit Verfügung vom 17. Juli 1987 sprach die Ausgleichskasse des Kantons Zürich Jacques E.-H. (geb. 9. September 1923) mit Wirkung ab 1. Dezember 1986 eine einfache ganze Invalidenrente samt Zusatzrente für seine 1928 geborene Ehefrau Antoinette zu. Der Rentenbestimmung hatte sie ein durchschnittliches Jahreseinkommen von Fr. 105'408.--, eine Beitragsdauer von 26 Jahren und 5 Monaten sowie die Teilrentenskala 32 zugrunde gelegt. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Nach Erreichen des AHV-rechtlichen Rentenalters durch Jacques E. ersetzte die Ausgleichskasse die Invalidenrente auf den 1. Oktober 1988 durch eine ordentliche einfache Altersrente. Bei deren Festsetzung ging sie von einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von Fr. 99'000.-- sowie einer Beitragsdauer von 28 Jahren und 5 Monaten aus. Ferner wandte sie erneut die Teilrentenskala 32 an (Verfügung vom 7. Oktober 1988).
B.-
Gegen diese Verfügung beschwerte sich Jacques E. bei der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich und beantragte die Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre mit der Begründung, er habe während seiner Studienzeit 1948 bis 1951 und während seines Überseeaufenthalts 1971/72 ebenfalls Beiträge bezahlt, die ihm jedoch zu Unrecht nicht angerechnet worden seien.
Die Rekurskommission trat mit Verfügung vom 22. November 1989 auf die Beschwerde nicht ein. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts könnten bei der Ablösung einer Invalidenrente
BGE 117 V 121 S. 122
durch eine Altersrente die Grundlagen, welche zur rechtskräftigen Bestimmung der Invalidenrente geführt haben, in einem Beschwerdefall betreffend die Altersrente vom Richter nicht abgeändert werden. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Streitfrage (Anrechenbarkeit der Beitragsjahre 1948 bis 1951, 1971 bis 1972) könne heute vom Richter nicht mehr geprüft werden, da diese mit der Verfügung vom 17. Juli 1987 betreffend Invalidenrente unangefochten in Rechtskraft erwachsen sei.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Jacques E. beantragen, es sei festzustellen, dass die Jahre 1971 und 1972 bei der Festsetzung der Altersrente als Beitragsjahre angerechnet werden müssten. Eventuell sei die Sache zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In der Begründung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im wesentlichen die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts beanstandet, wonach "bei der Ablösung einer Invalidenrente durch eine Altersrente die Grundlagen, welche zur rechtskräftigen Bestimmung der Invalidenrente geführt haben, im Beschwerdefall betreffend die Altersrente vom Richter nicht mehr abgeändert werden" dürfen. Für diese Praxis beständen bloss administrative, keinesfalls aber zwingende gesetzliche Gründe.
Art. 97 AHVG
über die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit von Kassenverfügungen sei in der Invalidenversicherung gemäss
Art. 81 IVG
bloss sinngemäss anwendbar. Bei dieser gesetzlichen Grundlage fehle "eine Berechtigung dafür, aus einer formell rechtskräftigen Verfügung über die Festsetzung einer Invalidenrente in einem späteren Verfahren betreffend eine Altersrente für den Versicherten negative Rückschlüsse zu ziehen". Die Ausgleichskasse habe in ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort anerkannt, dass die Jahre 1971/72 grundsätzlich als Beitragsjahre berücksichtigt werden müssten, weil sie in einem früheren Kontoauszug der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 11. März 1987 lediglich aus Versehen nicht aufgeführt gewesen seien.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) tragen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen den vorinstanzlichen Nichteintretensentscheid. Obwohl sie sich nur
BGE 117 V 121 S. 123
mit der materiellen Seite des Streitfalles befasst, ist darin der Antrag auf Eintreten praxisgemäss als miteingeschlossen zu betrachten. Es ist somit zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Beschwerde nicht eingetreten ist, während das Eidg. Versicherungsgericht auf die materiellen Anträge nicht eintreten kann (
BGE 109 V 120
Erw. 1,
BGE 105 V 94
Erw. 1).
2.
a) Für die Berechnung von Alters- oder Hinterlassenenrenten, die an die Stelle einer Rente gemäss dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung treten, ist auf die für die Berechnung der Invalidenrente massgebende Grundlage abzustellen, falls dies für den Berechtigten vorteilhafter ist (
Art. 33bis Abs. 1 AHVG
).
b) Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts können bei Ablösung einer Invalidenrente durch eine Altersrente die Grundlagen, welche zur rechtskräftigen Bestimmung der Invalidenrente geführt haben, in einem Beschwerdefall betreffend die Altersrente vom Richter nicht abgeändert werden (nicht veröffentlichtes Urteil F. vom 4. Februar 1980). Gleich verhält es sich dann, wenn sich die Beschwerde gegen eine Altersrente richtet, die eine Witwenrente ablöst (unveröffentlichtes Urteil K. vom 28. April 1980). In einem weiteren Fall ging es ferner darum, dass die ordentliche Ehepaar-Altersrente eine einfache Altersrente des Ehemannes ersetzte, die ihrerseits auf der gleichen Anzahl von Beitragsjahren basierte wie die vorangegangene Teil-Invalidenrente. Das Eidg. Versicherungsgericht hat entschieden, dass der kantonale Richter nicht befugt war, der Ehepaar-Altersrente eine von der Berechnung der Invalidenrente abweichende Anzahl Beitragsjahre zugrunde zu legen, obschon ihm jene Invalidenrenten-Verfügung in diesem Punkt unrichtig schien (unveröffentlichtes Urteil D. vom 27. Januar 1984). Und schliesslich hatte sich das Eidg. Versicherungsgericht auch mit dem Fall eines Versicherten zu befassen, dessen einfache Altersrente durch eine Ehepaar-Altersrente abgelöst wurde. Auch in diesem Fall erklärte das Gericht, dass die Kasse bei der Festsetzung der Ehepaar-Altersrente an die in der Verfügung betreffend die einfache Altersrente festgesetzten Beitragsjahre gebunden sei, selbst wenn jene Verfügung zweifellos unrichtig gewesen wäre (unveröffentlichtes Urteil B. vom 30. Mai 1989).
c) Die kantonale Rekurskommission ging in ihrem Entscheid von der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus. Insofern lässt sich der vorinstanzliche Entscheid nicht beanstanden.
BGE 117 V 121 S. 124
Es stellt sich indessen die Frage, ob an der bisherigen Rechtsprechung weiterhin festgehalten werden kann.
3.
Mit seiner Rechtsprechung ging das Eidg. Versicherungsgericht davon aus, dass einer Abänderung der auf den ursprünglichen Rentenberechnungsgrundlagen basierenden neuen Rentenart die formelle Rechtskraft der ursprünglichen Rentenverfügung entgegenstehe. Daran kann aus den folgenden Gründen nicht mehr länger festgehalten werden: Die Ablösung einer Invalidenrente bzw. einer Witwenrente durch eine Altersrente oder die Ablösung einer einfachen Altersrente durch eine Ehepaar-Altersrente beruht auf einem neuen Versicherungsfall (Erreichen des AHV-Rentenalters des Invaliden oder der Witwe bzw. der Ehefrau des Altersrentners). Entsprechend wird die ursprüngliche Rente durch eine neue Hauptrente abgelöst. Mit dem Eintritt des neuen Versicherungsfalles erfolgt somit die verfügungsweise Zusprechung einer andern Rentenart. Damit liegt ein neuer Anfechtungsgegenstand vor, dem die formelle Rechtskraft der ursprünglichen Rentenverfügung nicht entgegensteht, da sich die Rechtskraftwirkung nur auf die frühere Verfügung beziehen kann. Daraus folgt, dass bei der Berechnung der neuen Hauptrente sämtliche Berechnungsgrundlagen durch die Verwaltung und im Beschwerdefall durch den Richter umfassend zu überprüfen sind. Dies hat im Rahmen der Vergleichsrechnung gemäss Art. 33 Abs. 3 und 33bis Abs. 1 AHVG ebenfalls zu gelten, unabhängig davon, ob die seinerzeitige Rentenverfügung allenfalls durch den Richter überprüft worden war. Von der Ablösung einer ursprünglichen Rente durch eine neue Hauptrente sind die periodischen Rentenanpassungen innerhalb der gleichen Rentenart zu unterscheiden. Bei solchen Rentenerhöhungen steht im Beschwerdefall der richterlichen Überprüfung der Rentenelemente die Rechtskraft der früher verfügungsweise festgelegten Rentenberechnungsgrundlage entgegen (EVGE 1962 S. 198).
Aus dem Gesagten folgt, dass der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid aufzuheben und die Sache an die kantonale Rekurskommission zurückzuweisen ist, damit sie die Berechnung der Altersrente des Beschwerdeführers materiell überprüfe. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8fb16d55-afcd-4661-9d1a-e0c7080cebf5 | Urteilskopf
101 IV 80
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes von 25. April 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg. | Regeste
Art. 35 Abs. 3 SVG
.
Kein Verschulden trifft den vortrittsberechtigten Fahrzeugführer, der während des Überholens wegen fehlerhaften Verhaltens des zu Überholenden plötzlich in eine gefährliche Lage gerät und dabei von verschiedenen möglichen Massnahmen nicht diejenige ergreift, welche bei nachträglicher Überlegung als die zweckmässigste erscheint. | Sachverhalt
ab Seite 80
BGE 101 IV 80 S. 80
A.-
Am 12. Mai 1974, etwas nach 12.00 Uhr fuhr Frau Y. am Steuer ihres Personenwagens von Laupen über Liebistorf in Richtung Gurmels. Auf der 6 m breiten Ausserortsstrecke nach Liebistorf beabsichtigte sie, beim sog. Korberplatz nach links in den Kapitelwald abzubiegen. Nachdem sie zuvor auf
BGE 101 IV 80 S. 81
der geraden Strecke ein erstes Mal gebremst und ein nachfolgendes Fahrzeug hatte vorfahren lassen, betätigte sie nochmals die Bremsen und verlangsamte dabei auf 35-40 km/Std. In diesem Augenblick setzte der ihr folgende X. mit 90-100 km/Std. zum Überholen an. Als er schräg hinter dem Fahrzeug der Frau Y. fuhr, gewahrte er, dass diese ungefähr 20 m vor der linksseitigen Einmündung des in den Kapitelwald führenden Wegs den linken Blinker betätigte und nach links zu halten begann. X. leitete sogleich eine Vollbremsung ein, liess dann aber dem Fahrzeug wieder freien Lauf in der Hoffnung, noch links am vorausfahrenden Wagen vorbeizukommen. Das gelang ihm jedoch nicht. Es kam zu einer heftigen Kollision mit dem nunmehr nach links abbiegenden Fahrzeug, bei welcher Sachschaden entstand.
B.-
Am 11. November 1974 büsste der Oberamtmann des Seebezirkes Frau Y. wegen Widerhandlung gegen
Art. 34 Abs. 3 SVG
mit Fr. 40.-- und X. wegen Übertretung von
Art. 35 Abs. 3 SVG
mit Fr. 30.--.
Eine von X. gegen dieses Urteil eingereichte kantonale Kassationsbeschwerde wies der Strafkassationshof des Kantons Freiburg am 14. Januar 1975 ab, wobei er über den erstinstanzlichen Entscheid hinausgehend X. ausser einer Übertretung von Art. 35 Abs. 3 auch eine solche von
Art. 40 SVG
zur Last legte.
C.-
X. führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg hat sich dahin vernehmen lassen, dass der Beschwerdeführer zu Recht wegen Missachtung von
Art. 35 Abs. 3 SVG
, dagegen zu Unrecht wegen Übertretung von
Art. 40 SVG
verurteilt worden sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
...
2.
Die erste Frage, die sich hier stellt, ist, ob in jenem zweimaligen Bremsen der Frau Y. ein konkretes Anzeichen für ein mögliches Fehlverhalten ihrerseits liege. Der Begriff des Anzeichens im Sinne von
Art. 26 Abs. 2 SVG
ist nämlich ein Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung der Kassationshof überprüfen kann.
Nach dem angefochtenen Urteil steht fest, dass Frau Y. in einen Waldweg, also ausserhalb einer Strassenverzweigung
BGE 101 IV 80 S. 82
nach links abbiegen wollte. Nach Gesetz und Rechtsprechung hatte sie dabei alle Vorsicht walten und insbesondere den Längsverkehr durchfahren zu lassen. Dieser hatte ihr gegenüber den Vortritt. Das galt auch für den Beschwerdeführer, da die Überholstrecke übersichtlich war und kein Gegenverkehr herrschte. Der Beschwerdeführer war daher nicht zum vorneherein verpflichtet, wegen der vor ihm fahrenden Frau Y. die Geschwindigkeit zu mässigen und zu warnen (
BGE 96 IV 38
, 132;
BGE 97 IV 244
E. 1,
BGE 98 IV 275
,
BGE 99 IV 175
E. 3b). Daran ändert auch nichts, dass diese auf der geraden Ausserortsstrecke zweimal bremste. Das war noch kein konkretes Anzeichen dafür, dass sie unverhofft den linken Blinker stellen und gleichzeitig nach links halten würde (
BGE 92 IV 30
E. 1). Gegenteils durfte er aufgrund dieses Verhaltens annehmen, sie wolle ihn, wie das kurz zuvor mit einem andern Fahrzeug geschehen war, vorbeifahren lassen, sei es, dass sie selber aus einem Grunde nicht rascher fahren wollte oder konnte, sei es, dass sie eine Richtungsänderung beabsichtigte und diese bis nach der Durchfahrt des vortrittsberechtigten Längsverkehrs hinauszuschieben gedachte. Dass die genannte Fahrzeuglenkerin schon während des zweiten Bremsens den Blinker betätigt und nach links eingespurt hätte, ist nicht festgestellt und trifft nach dem angefochtenen Urteil auch nicht zu. Dann aber kann dem Beschwerdeführer nicht zur Last gelegt werden, er habe das Überholmanöver unzulässigerweise eingeleitet, wie das in der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft zum Ausdruck kommt.
3.
Es kann sich demnach nur noch fragen, ob der Beschwerdeführer während des Überholmanövers selber schuldhaft gegen Verkehrsregeln verstossen habe.
a) Nach ihrer eigenen Aussage betätigte Frau Y. den Blinker ca. 20 m vor der Kollisionsstelle und schwenkte gleichzeitig nach links. In diesem Augenblick musste der Beschwerdeführer, der bereits schräg hinter ihr fuhr und demnach im Überholen begriffen war, alles tun, um einen Zusammenstoss zu vermeiden. Tatsächlich hat er, was auch die Vorinstanz festhält, sogleich eine Vollbremsung eingeleitet, dann aber die Bremsen wieder gelöst in der Erwartung, noch links am Vorderwagen vorbeifahren zu können. Diese Beurteilung der Lage erwies sich allerdings als unrichtig. Sie kann jedoch dem Beschwerdeführer nicht zum Verschulden angerechnet werden.
BGE 101 IV 80 S. 83
Wohl trifft es zu, dass die Bremsspur seines Wagens 25 m vor der Kollisionsstelle beginnt und er - wie die Vorinstanz zutreffend folgerte - das Blinkzeichen und die seitliche Verschiebung des Vorderwagens schon früher hat wahrnehmen müssen; berücksichtigt man nämlich, dass er während der Reaktionssekunde bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von ca. 90 km/Std. 25 m zurücklegte (BRÜDERLIN, Die Mechanik des Verkehrsunfalls, Tabelle nach S. 113), so muss er, als er erstmals die Absicht der Frau Y. nach links abzubiegen, erkennen konnte, ca. 50 m von der Kollisionsstelle und rund 30 m vom vorausfahrenden Wagen entfernt gewesen sein. Indessen hätte der Beschwerdeführer unter diesen Umständen auch bei anhaltender Vollbremsung einen Zusammenstoss nicht vermeiden können, beträgt doch die Anhaltestrecke für eine Geschwindigkeit von 90 km/Std. bei guter Bremsverzögerung volle 65,5 m (Paravitkreisschieber). Ein wirksames Zurückfallenlassen wäre deshalb ausgeschlossen gewesen (s. ebenso BUSSY, RUSCONI, N. 2.6 zu Art. 35, Seite 133 linke Spalte unten).
b) Kein besserer Erfolg hätte von einem Warnsignal erwartet werden können. Zieht man in Betracht, dass einerseits nach Ablauf der Reaktionssekunde, welche dem Beschwerdeführer zustand, eine weitere Sekunde verflossen wäre, die Frau Y. zur Reaktion benötigt hätte, und berücksichtigt man anderseits die verhältnismässig geringe Entfernung der beiden Fahrzeuge sowie das grosse Geschwindigkeitsgefälle (90 km/Std.-35 bis 40 km/Std.), so ist nicht ersichtlich, wie unter den obwaltenden Umständen ein Unfall hätte vermieden werden können.
c) Selbst wenn jedoch anzunehmen wäre, der Beschwerdeführer habe in dieser zweiten Phase des Geschehens einen Fehler begangen, so könnte ihm dieser strafrechtlich nicht zum Verschulden angerechnet werden. Der Beschwerdeführer sah sich während des Überholens plötzlich wegen eines fehlerhaften Verhaltens der Frau Y. in eine gefährliche Lage versetzt, in welcher er augenblicklich eine Entscheidung treffen musste. Der Führer, der in einer solchen Notstandslage von verschiedenen möglichen Massnahmen nicht diejenige ergreift, welche bei nachträglicher Überlegung als die zweckmässigste erscheint, ist entschuldbar (
BGE 83 IV 84
,
BGE 95 IV 90
).
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und der Beschwerdeführer
BGE 101 IV 80 S. 84
von der Anklage der Widerhandlung gegen
Art. 35 Abs. 3 SVG
freizusprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8fb70a8a-102d-480b-bb6a-0d884ccd5334 | Urteilskopf
85 IV 84
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Mai 1959 i.S. Dönni gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 27 Abs. 1 und 2 MFG.
Wann liegt gleichzeitiges Eintreffen zweier Fahrzeuge vor, wenn der auf der Hauptstrasse Fahrende einen von rechts aus einer Nebenstrasse Einbiegenden einholt, wann ein Fall gewöhnlichen Überholens? Abgrenzung des Einmündungsgebietes. | Sachverhalt
ab Seite 84
BGE 85 IV 84 S. 84
A.-
In die von Emmen nach Eschenbach führende Kantonsstrasse mündet auf offener Strecke die von rechts kommende Inwilerstrasse ein, auf der das Vortrittsrecht durch ein Vortrittssignal (Nr. 7 SigV vom 17. Oktober
BGE 85 IV 84 S. 85
1932) zugunsten der Kantonsstrasse aufgehoben ist. Unmittelbar vor dem Zusammentreffen der beiden Strassen teilt sich die Inwilerstrasse in zwei getrennte Fahrbahnen, von denen die nach rechts Richtung Eschenbach abzweigende sich spitzwinklig mit der Kantonsstrasse vereinigt. Am 5. Juni 1958 gegen 19.55 Uhr bog Dönni mit seinem Motorroller von Inwil her mit mässiger Geschwindigkeit in die Hauptstrasse ein, um nach Eschenbach weiter zu fahren. Als er sich bereits in der rechten Fahrbahn der Hauptstrasse befand und korrekt rechts fuhr, wurde er von einem Personenwagen, der von Emmen kam, eingeholt und auf der linken Seite angefahren. Er und seine Mitfahrerin kamen dadurch zu Fall und wurden durch den Sturz leicht verletzt. Der Führer des Personenwagens, Lötscher, hatte den Motorroller aus Unaufmerksamkeit zu spät bemerkt.
B.-
Lötscher und Dönni wurden durch Strafmandat je zu einer Busse von Fr. 40.- verurteilt, Lötscher wegen fahrrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs nach
Art. 237 Ziff. 2 StGB
, Dönni wegen Verletzung des Vortrittsrechts gemäss Art. 27 Abs. 2 MFG. Lötscher nahm das Strafmandat an.
Gegenüber Dönni, der Einspruch erhob, bestätigte das Amtsgericht Hochdorf am 29. Januar 1959 die Verurteilung, mässigte aber die Busse auf Fr. 30.-.
C.-
Dönni führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen. Er bestreitet, das Vortrittsrecht verletzt zu haben, und macht geltend, der Zusammenstoss sei einzig darauf zurückzuführen, dass Lötscher aus Unaufmerksamkeit nicht ordnungsgemäss überholt habe.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die Inwilerstrasse, an sich eine Hauptstrasse mit Vortrittsrecht, wird durch das an der Einmündung in die Kantonsstrasse Emmen-Eschenbach aufgestellte Vortrittssignal im Verhältnis zu dieser Hauptstrasse Nebenstrasse
BGE 85 IV 84 S. 86
im Sinne des Art. 27 Abs. 2 MFG. Der in die Kantonsstrasse einbiegende Fahrzeugführer hat demnach den auf dieser Strasse verkehrenden Fahrzeugen, ob sie von rechts oder von links kommen, den Vortritt zu lassen. Voraussetzung ist auch in diesem wie im Falle des Art. 27 Abs. 1 MFG, dass das vortrittsberechtigte Fahrzeug gleichzeitig eintreffe.
Der Beschwerdeführer irrt, wenn er glaubt, es fehle das Erfordernis der Gleichzeitigkeit, weil er die rechte Fahrbahn der Hauptstrasse, und zwar ausserhalb des Schnittpunktes der beiden Strassen, schon erreicht hatte, bevor der Personenwagen Lötschers eintraf. Gleichzeitigkeit verlangt nicht, dass zwei Fahrzeuge im gleichen Augenblick den Schnittpunkt ihrer Fahrbahnen erreichen, noch dass sie im gleichen Zeitpunkt auf der Fläche der sich überschneidenden Strassen eintreffen. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung schon gegeben, wenn das vortrittsberechtigte Fahrzeug seine Fahrt im Einmündungsgebiet nicht gleichmässig und ungestört fortsetzen könnte, ohne mit dem einschwenkenden zusammenzustossen oder es oder sich zu gefährden (
BGE 77 IV 220
,
BGE 79 II 214
,
BGE 83 IV 97
). Diese Voraussetzung ist nicht bloss erfüllt, wenn der Vortrittsberechtigte im Verlaufe seiner Annäherung an die Einmündung genötigt ist, seine Fahrweise zu ändern, um einen Zusammenstoss innerhalb der Überschneidungsfläche beider Strassen zu vermeiden, sondern auch dann, wenn er es erst im Einmündungsgebiet tun muss, um nicht unmittelbar nach diesem mit einem Fahrzeug zusammenzustossen, das zwar noch einschwenken, mangels genügender Beschleunigung aber keinen so grossen Abstand gewinnen konnte, den ein später eintreffender Vortrittsberechtigter benötigt, um seine Fahrt im Bereiche der Einmündung gleichmässig und ungestört fortsetzen zu können (vgl.
BGE 62 I 195
,
BGE 64 II 324
,
BGE 66 I 320
, Urteil des Kassationshofes vom 14. Januar 1955 i.S. Eisenmann). Das gilt an eigentlichen Strassenkreuzungen und dort, wo sich zwei Strassen bloss vereinigen (Gabelungen und Einmüdungen),
BGE 85 IV 84 S. 87
in gleicher Weise. Art. 27 MFG ordnet das Vortrittsrecht für alle Arten des Zusammentreffens von Strassen einheitlich, und daher verträgt der Begriff der Gleichzeitigkeit keine unterschiedliche Auslegung, je nachdem, ob der aus der Nebenstrasse Kommende von rechts oder von links in die Fahrbahnhälfte des Vortrittsberechtigten einbiegt oder ob er diese kreuzt. Die gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers würde die Anwendung der Regeln über das Vortrittsrecht zu sehr erschweren und zu Unsicherheit führen.
Nicht richtig ist auch die Annahme des Beschwerdeführers, das Einmündungsgebiet sei beim Eintreffen Lötschers frei gewesen, der Zusammenstoss also ausserhalb der Einmündung erfolgt. Das Vortrittsrecht steht dem Berechtigten nicht bloss an einer bestimmten Stelle der Einmündung, z.B. im Schnittpunkt der beiden Strassenmittellinien, sondern auf der ganzen Fläche zu, auf der sich die zusammentreffenden Strassen überschneiden (
BGE 80 IV 199
). Die Ausdehnung dieser Fläche bestimmt sich nach den beiden Punkten, in denen die Randlinien der Hauptstrasse und der einmündenden Nebenstrasse zusammentreffen, und wo die Einmündung, wie im vorliegenden Falle, durch Abrundung der Randlinien trichterförmig ausgeweitet ist, stimmen diese Punkte mit der Stelle überein, wo sich die Hauptstrasse auszuweiten beginnt, nicht mit derjenigen, wo sich die verlängerten Randlinien bei theoretisch gleich bleibender Strassenbreite schneiden würden. Nach dem Situationsplan, auf den die Vorinstanz abgestellt hat, liegt die Kollisionsstelle rund 1,5 m vor dem Punkt, wo die Hauptstrasse wieder ihre normale Breite hat, somit noch innerhalb des Einmündungsgebietes. Damit steht eindeutig fest, dass der gleichmässig fahrende Wagen Lötschers gleichzeitig im Sinne des Art. 27 Abs. 1 MFG eingetroffen ist. Er hatte daher das Vortrittsrecht.
2.
War demnach der Beschwerdeführer verpflichtet, die Hauptstrasse dem herannahenden Wagen Lötschers
BGE 85 IV 84 S. 88
frei zu geben, so liegt entgegen seiner Ansicht nicht bloss ein Fall gewöhnlichen Überholens zweier auf der gleichen Strasse sich bewegender Fahrzeuge vor, mag auch der Motorroller nahe am Strassenrand gefahren und in der rechten Strassenhälfte der erforderliche Raum zum Vorfahren vorhanden gewesen sein. Lötscher hatte als Vortrittsberechtigter Anspruch darauf, in der gleichmässigen Fortsetzung seiner Fahrt nicht von einem aus der Inwilerstrasse Einbiegenden behindert zu werden. Es konnte von ihm nicht verlangt werden, dass er seine Fahrrichtung ändere, um dem Nichtberechtigten die Fahrbahn frei zu geben, so wenig ihm zugemutet werden durfte, seine Geschwindigkeit zu verlangsamen. Damit soll nicht gesagt werden, dass er nach den gegebenen Umständen unter dem Gesichtspunkt des Art. 25 Abs. 1 MFG nicht verpflichtet gewesen wäre, aufmerksam zu sein und einen Unfall zu verhüten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er zum Ausweichen oder zur Herabsetzung der Geschwindigkeit gezwungen gewesen wäre und demzufolge seine Fahrt nicht ungestört hätte fortsetzen können. Der Beschwerdeführer hat somit dessen Vortrittsrecht verletzt. Dass er pflichtgemäss langsam in die Hauptstrasse einbog und dieser Umstand dazu beitrug, dass er noch innerhalb des Einmündungsgebietes vom Personenwagen eingeholt wurde, entschuldigt ihn nicht. Er hätte nicht bloss die Entfernung des sich nähernden Fahrzeuges abschätzen, sondern auch dessen Geschwindigkeit und die eigene in Rechnung stellen sollen, und wenn es ungewiss war, ob er das beabsichtigte Einschwenkungsmanöver rechtzeitig werde beendigen können, damit zuwarten müssen.
3.
.....
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8fb9fd26-e667-4a1b-aa55-c8998a551d72 | Urteilskopf
123 II 16
4. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Januar 1997 i.S. X. + Co. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung und Eidgenössische Steuerrekurskommission sowie i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen X. + Co. und Eidgenössische Steuerrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerden) | Regeste
Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV; gastgewerbliche Leistung; Hauslieferung von Pizzas; Steuersatz.
Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 2).
Kognition des Bundesgerichts betreffend Mehrwertsteuerverordnung (E. 3).
Abgrenzung zwischen gastgewerblichen Leistungen (Steuersatz 6,5%) und der einem ermässigten Satz (2%) unterworfenen Abgabe von Ess- und Trinkwaren. Bejahung der Verfassungsmässigkeit von Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV, soweit darin das Vorhandensein von Einrichtungen für den Konsum an Ort und Stelle als Unterscheidungsmerkmal verwendet wird (E. 5 und 6).
Bei Hauslieferungen von Ess- und Trinkwaren aus Restaurants darf die Eidgenössische Steuerverwaltung die Gewährung des ermässigten Steuersatzes zulässigerweise davon abhängig machen, dass diese Tätigkeit vom übrigen Gastgewerbebetrieb organisatorisch getrennt erfolgt. Unverhältnismässigkeit der zusätzlichen Forderung nach getrennten Räumlichkeiten (E. 7-9).
Wettbewerbsneutralität dieser Regelung (E. 10). | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 123 II 16 S. 17
A.-
Die X. + Co., eine Kommanditgesellschaft mit Sitz in Y. (nachfolgend die "Steuerpflichtige" oder "Unternehmung"), betreibt verschiedene Restaurants und liefert auf Bestellung auch fertige
BGE 123 II 16 S. 18
Pizzas ins Haus. Sie ist seit 1. Januar 1995 bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung als Mehrwertsteuerpflichtige registriert (Art. 45 der Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 22. Juni 1994, MWSTV, SR 641.201).
Mit Schreiben vom 14. März 1995 an die Eidgenössische Steuerverwaltung ersuchte die Steuerpflichtige um einen Feststellungsentscheid (
Art. 51 Abs. 1 lit. f MWSTV
) in dem Sinn, dass ein gastgewerblicher Betrieb für Hauslieferungen ohne Service wie ein Ladengeschäft dem ermässigten Mehrwertsteuersatz von 2% unterstehe.
Mit Entscheid vom 27. März 1995, bestätigt auf Einsprache hin am 31. Mai 1995, stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung fest,
"dass Hauslieferungen durch Betriebe mit Konsumationseinrichtung zum Satz von 6,5% steuerbar sind, sofern der Verkauf nicht in räumlich und organisatorisch abgetrennten Verkaufsräumlichkeiten erfolgt."
B.-
Die Steuerpflichtige führte Beschwerde bei der Eidgenössischen Steuerrekurskommission. Sie machte geltend, Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV sehe eine Besteuerung zum Satz von 6,5% nur vor, wenn der Wirt seinen Gästen bei der Konsumation von Speisen und Getränken besondere Vorrichtungen (Tische, Bänke, Stühle) zur Verfügung stelle oder wenn er Speisen und Getränke bei den Gästen zubereite oder serviere. Hauslieferungen würden in der Vorschrift nicht erwähnt und seien keine Restaurationsleistungen im Sinne der Mehrwertsteuerverordnung, sondern stellten einfache Kaufverträge dar, die dem Satz von 2% unterlägen. Das von der Eidgenössischen Steuerverwaltung für die Besteuerung von Hauslieferungen zum ermässigten Satz zusätzlich eingeführte Erfordernis - Verkauf in vom Gastgewerbebetrieb räumlich und organisatorisch abgetrennten Verkaufsräumlichkeiten - stütze sich nicht auf das Gesetz, sei willkürlich und verletze das Gebot der rechtsgleichen Behandlung.
Mit Entscheid vom 23. Januar 1996 wies die Eidgenössische Steuerrekurskommission die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab, soweit darauf einzutreten war, und stellte fest, dass die Steuerpflichtige Hauslieferungen von konsumfertigen Pizzas zum Satz von 6,5% zu versteuern habe. Die Steuerrekurskommission erwog, das in Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV zur Abgrenzung der gastgewerblichen Leistungen von den Lieferungen von Ess- und Trinkwaren herangezogene Merkmal - Bereithalten von besonderen Einrichtungen zum Konsum unabhängig davon, ob sie benutzt würden oder nicht - stütze sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe und sei willkürlich; es führe überdies zu einer rechtsungleichen
BGE 123 II 16 S. 19
Behandlung, weil identische Leistungen zu verschiedenen Sätzen besteuert würden, je nachdem ob ein Lebensmittelhändler oder ein Gastwirtschaftsbetrieb sie erbringe. Es rechtfertige sich vielmehr, auf den wirtschaftlichen Gehalt des Vorganges abzustellen. Die Hauslieferung von Pizzas sei als gemischte Leistung zu qualifizieren, die sich aus der Lieferung eines Gegenstandes (Verkauf der Essware) einerseits und einer Dienstleistungskomponente (Aufwärmen, Warmhalten, Befördern usw.) andererseits zusammensetze. Die Art, wie das Geschäft sich abwickle, zeige, dass die Dienstleistungselemente die Lieferungskomponenten überwiegen. Der Vorgang sei folglich einheitlich als gastgewerbliche Leistung, steuerbar zum Satz von 6,5%, zu qualifizieren.
C.-
Gegen diesen Entscheid haben sowohl die Steuerpflichtige wie auch die Eidgenössische Steuerverwaltung Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben.
a) Die Steuerpflichtige beantragt u.a., der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Hauslieferung von konsumfertigen Pizzas durch sie der Mehrwertsteuer von 2% unterliege; eventuell sei festzustellen, dass Hauslieferungen von konsumfertigen Pizzas durch nicht-gastgewerbliche Betriebe der Mehrwertsteuer zum Satz von 6,5% unterlägen. Sie beschwert sich über eine ungenaue Feststellung des Sachverhalts und eine Verletzung von Bundesrecht. Sie anerkennt, dass sich Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV verfassungskonform auslegen lasse, doch verstosse die Interpretation, welche die Eidgenössische Steuerverwaltung dieser Vorschrift zugrunde lege - Erfordernis von vom übrigen Gastgewerbebetrieb räumlich und organisatorisch abgetrennten Geschäftsräumlichkeiten - gegen das Rechtsgleichheitsgebot sowie die Handels- und Gewerbefreiheit. Charakteristisch für die gastgewerbliche Dienstleistung sei einzig das Zurverfügungstellen von Konsumationseinrichtungen, was auf Hauslieferungen nicht zutreffe. Mit dieser Auslegung werde sowohl die Rechtsgleichheit wie auch die Wettbewerbsneutralität im Verhältnis zwischen Gastgewerbebetrieben und Lebensmittelhändlern hergestellt. - Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenleistungen anhand der Dienstleistungs- und Lieferungskomponenten der Leistung, wie die Vorinstanz sie vorgenommen habe, gehe deshalb fehl, weil den einzelnen Tätigkeiten bei der Hauslieferung nicht der Rang von Haupt- bzw. Nebenleistungen zukomme.
b) Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt, der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission sei aufzuheben und
BGE 123 II 16 S. 20
es sei festzustellen, dass Hauslieferungen von Ess- und Trinkwaren durch Betriebe mit Konsumationseinrichtungen zum Satz von 6,5% steuerbar seien, sofern der Verkauf nicht in räumlich und organisatorisch abgetrennten Verkaufsräumlichkeiten erfolge. Eventualiter sei diese Feststellung lediglich bezogen auf die Hauslieferung von Pizzas und für die Person der Steuerpflichtigen zu treffen, wobei dann gleichzeitig Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 Lemma 2 MWSTV als verfassungsmässig zu erklären und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen sei, damit diese über die Beschwerde der Steuerpflichtigen auch in bezug auf die Hauslieferungen von sonstigen Ess- und Trinkwaren entscheide.
c) Die Steuerpflichtige schliesst auf Abweisung der Beschwerde der Eidgenössischen Steuerverwaltung, soweit darauf einzutreten ist. Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde der Steuerpflichtigen insoweit gutzuheissen, als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides verlangt wird, und sie im übrigen abzuweisen. Die Eidgenössische Steuerrekurskommission hat auf Bemerkungen verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerden teilweise gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die beiden Beschwerden richten sich gegen den nämlichen Entscheid und betreffen den gleichen Streitgegenstand und die gleichen Parteien. Sie sind daher gemeinsam zu behandeln.
2.
a) Gemäss
Art. 97 OG
und
Art. 5 VwVG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, von einer der in
Art. 98 OG
genannten Vorinstanzen ausgehen und keinem Ausschlussgrund nach
Art. 99-102 OG
unterliegen. Die gegen den Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerden sind sowohl unter dem Gesichtswinkel dieser Bestimmungen wie auch des
Art. 54 MWSTV
zulässig.
b) Die Steuerpflichtige hat ein schutzwürdiges Interesse im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
an der Feststellung, dass die von ihr ins Haus gelieferten Pizzas der Mehrwertsteuer zum Satz von 2% und nicht dem ordentlichen Satz von 6,5% unterstellt werden. Sie ist daher legitimiert, den Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten, um eine für sie günstigere Besteuerung zu erwirken.
BGE 123 II 16 S. 21
Nicht zulässig ist indessen ihr Eventualbegehren, es sei festzustellen, dass die Hauslieferung von konsumfertigen Pizzas durch nicht-gastgewerbliche Betriebe der Mehrwertsteuer zum Satz von 6,5% unterliegen. Gemäss
Art. 51 Abs. 1 lit. f MWSTV
trifft die Eidgenössische Steuerverwaltung von Amtes wegen oder auf Antrag des Steuerpflichtigen einen Entscheid, wenn "für einen bestimmten Fall vorsorglich die amtliche Feststellung der Steuerpflicht, der Steuerschuld, des Anspruchs auf Vorsteuerabzug, der Grundlagen der Steuerbemessung, des anwendbaren Steuersatzes oder der Mithaftung beantragt wird oder als geboten erscheint." Diese Bestimmung ist offensichtlich dem Art. 5 Abs. 1 lit. a des Bundesratsbeschlusses vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer nachgebildet, zu welcher Vorschrift eine reiche Praxis besteht. Danach konnte der Steuerpflichtige einen Feststellungsentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung für einen bestimmten Fall bereits erwirken, wenn dieser in seinem Geschäftsbetrieb noch nicht eingetreten war (Eidgenössische Steuerverwaltung, 28. Juni 1955, ASA 24 S. 144). Hingegen konnte der Steuerpflichtige nicht losgelöst von einem konkreten Fall eine bestimmte Besteuerung eines ganzen Gewerbes verlangen (Bundesgericht, 22. Dezember 1976, ASA 46 S. 195). Das ergibt sich daraus, dass die Feststellungsverfügung ein konkretes und individuelles Rechtsverhältnis regeln muss (
BGE 102 V 148
E. 1; vgl. FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 144). Auf das an die Adresse der nicht-gastgewerblichen Betriebe gerichtete Feststellungsbegehren der Steuerpflichtigen kann daher nicht eingetreten werden. Diese Betriebe sind am vorliegenden Verfahren auch gar nicht beteiligt, weshalb es sich verbietet, ihnen gegenüber eine Verfügung zu treffen. Das schliesst nicht aus, dass die Steuerpflichtige eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu solchen Betrieben geltend machen kann.
c) Gemäss
Art. 103 lit. b OG
und 54 Abs. 2 MWSTV ist die Eidgenössische Steuerverwaltung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt. Diese Legitimation, die zum Zweck hat, eine richtige und einheitliche Anwendung des Bundesrechts zu sichern, ist nach dem Wortlaut an keine Voraussetzung gebunden. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat daher nicht darzulegen, dass sie ein schutzwürdiges Interesse im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides besitzt. Die Rechtsprechung hat dieser Legitimation dennoch gewisse Grenzen gesetzt, weil die Behördenbeschwerde nicht dazu dienen kann, private Interessen durchzusetzen oder zugunsten des Steuerpflichtigen benutzt
BGE 123 II 16 S. 22
zu werden. Die Beschwerdebefugnis setzt daher voraus, dass das öffentliche Interesse in einem konkreten Fall gefährdet erscheint (KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, S. 152 Rz. 249; GYGI, a.a.O., S. 164;
BGE 109 Ib 341
).
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid die Beschwerde der Steuerpflichtigen "im Sinne der Erwägungen" abgewiesen (soweit darauf einzutreten war), und festgestellt, dass die Unternehmung die Hauslieferung von konsumfertigen Pizzas zum Satz von 6,5% zu versteuern habe. Dieses Dispositiv berührt das rein fiskalische Interesse der Eidgenössischen Steuerverwaltung noch nicht, weil es an der Besteuerung der Hauslieferung von Pizzas durch die Steuerpflichtige zum Satz von 6,5% nichts ändert. Indessen erfolgte die Abweisung mit einer von den Erwägungen im Einspracheentscheid völlig abweichenden Begründung, auf die im Dispositiv hingewiesen wird. Diese Begründung hat die Vorinstanz denn auch dazu geführt, im Dispositiv ihre Feststellung bezüglich des anwendbaren Mehrwertsteuersatzes auf die Hauslieferungen von Pizzas - unter Ausschluss der Hauslieferungen von anderen Ess- und Trinkwaren durch die Steuerpflichtige - zu beschränken. Insofern besteht sowohl unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Rechtsanwendung als auch unter dem Gesichtswinkel der Verwaltungsökonomie ein öffentliches Interesse daran, dass die von der Vorinstanz aufgestellten Kriterien überprüft werden. Auf die Beschwerde der Eidgenössischen Steuerverwaltung ist daher ebenfalls einzutreten.
3.
Gemäss
Art. 104 Abs. 1 OG
kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden. Hingegen ist das Bundesgericht an die Sachverhaltsfeststellung gebunden, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
a) Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und frei, ob Bundesrecht - das auch die verfassungsmässigen Rechte umfasst (
BGE 118 Ib 417
E. 2a; ferner
BGE 122 IV 8
E. 1b) - verletzt worden ist. Selbständige (d.h. direkt auf der Verfassung beruhende) Verordnungen des Bundesrates prüft das Bundesgericht daraufhin, ob sie mit den sachbezogenen Vorgaben der Verfassungsvorschrift, auf welcher sie beruhen, harmonieren. Darüber hinaus ist auch zu untersuchen, ob die selbständige Verordnung nicht mit sonstigen Verfassungsnormen, besonders mit den Grundrechtsgarantien, kollidiert, soweit die ermächtigende
BGE 123 II 16 S. 23
Verfassungsnorm solche Abweichungen nicht selber anordnet oder bewusst in Kauf nimmt. Das bedeutet nicht, dass das Bundesgericht den dem Bundesrat eingeräumten Gestaltungsspielraum für sich selber in Anspruch nehmen kann; eingreifen darf es nur, wenn der Bundesrat die ihm eingeräumte Kompetenz überschritten hat, wobei das Bundesgericht auch den Umfang dieser Kompetenz zu ermitteln hat (vgl. dazu ANDREAS AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 115, N. 190-192; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. 1994, S. 25;
BGE 100 Ib 318
E. 3; siehe auch
BGE 122 IV 258
E. 2a).
b) Bei der Mehrwertsteuerverordnung handelt es sich um eine solche selbständige Verordnung des Bundesrates; sie stützt sich direkt auf Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV und stellt gesetzesvertretendes Recht dar, bis der Gesetzgeber das Mehrwertsteuerrecht in einem Gesetz geregelt hat. Anders als nach dem früher geltenden Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV, wonach die am 31. Dezember 1981 geltenden Bestimmungen über die Warenumsatzsteuer, direkte Bundessteuer (ehemalige Wehrsteuer) und die Biersteuer unter Vorbehalt des Erlasses von Bundesgesetzen in Kraft blieben und damit formell auf Gesetzesstufe gehoben wurden (
BGE 117 Ib 367
E. 1a; Urteil vom 5. Juli 1991, ASA 60 S. 608 E. 1b), ist das für die Mehrwertsteuerverordnung des Bundesrates nicht der Fall. Diese Verordnung ist somit vom Bundesgericht grundsätzlich auf ihre Verfassungsmässigkeit zu prüfen, besonders darauf hin, ob sie die Verfassungsprinzipien und die Grundrechte wie die Handels- und Gewerbefreiheit respektiert. Dabei ist auch zu kontrollieren, ob der Bundesrat die in Art. 8 ÜbBest.BV enthaltenen Grundsätze beachtet und sich an den Gegenstand, den Zweck und den Umfang der ihm eingeräumten Kompetenz gehalten hat (vgl. ULRICH CAVELTI, Verfassungsrechtliche Probleme der Mehrwertsteuerverordnung, Der Schweizer Treuhänder [ST] 69/1995 S. 1089; PAUL RICHLI, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Mehrwertsteuer, ST 69/1995 S. 355; JEAN-MARC RIVIER, L'interprétation des règles de droit qui régissent la Taxe à la Valeur Ajoutée, ASA 63 S. 355 f.).
4.
Die Steuerpflichtige rügt, dass die Vorinstanz gewisse Tatsachen offensichtlich unrichtig festgestellt habe (
Art. 105 Abs. 2 OG
). In Wirklichkeit würden die Pizzas durch Taxidienste ins Haus geliefert und nicht durch das Personal und die Transportmittel der Steuerpflichtigen. Diese trage auch nicht die Verantwortung dafür, dass die Pizzas während des Transportes warm blieben; es würden dafür keine Spezialbehälter verwendet. Die Steuerpflichtige liefere
BGE 123 II 16 S. 24
zudem die Pizzas nicht auf einen vorbestimmten Zeitpunkt, sondern nach Möglichkeit sofort. Schliesslich könne der Kunde die Zubereitung der Pizza nicht völlig frei bestimmen, sondern sei auf eine Auswahl von etwa 20 Sorten beschränkt.
Trotz dieser Ungenauigkeiten in der Feststellung des Sachverhalts stehen, wie sich zeigen wird, die für die Entscheidung der strittigen Fragen wesentlichen Punkte (auch unter Berücksichtigung der Vorbringen der Steuerpflichtigen) fest. Es erübrigt sich deshalb, die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5.
a)
Art. 41ter Abs. 1 lit. a BV
führt eine Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) ein. Gemäss seinem Abs. 3 belastet die Mehrwertsteuer nach dem Allphasenprinzip mit Vorsteuerabzug die Lieferungen von Gegenständen, die Dienstleistungen sowie die Einfuhren. Die Steuer beträgt 2% u.a. auf Ess- und Trinkwaren, mit Ausnahme der alkoholischen Getränke, und 6,5% auf den Lieferungen und der Einfuhr anderer Gegenstände sowie auf allen übrigen der Steuer unterstellten Gegenständen (Art. 8 Abs. 2 lit. e Ziff. 1 und 3, Art. 8bis lit. a und b ÜbBest. BV).
Die Verordnung zur Mehrwertsteuer (Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 zweites Lemma) präzisiert, die Steuer betrage 2% auf den Lieferungen und dem Eigenverbrauch u.a. folgender Gegenstände:
"Ess- und Trinkwaren, ausgenommen alkoholische(r) Getränke; der Steuersatz von 2 Prozent gilt nicht für Ess- und Trinkwaren aller Art, die im Rahmen von gastgewerblichen Leistungen abgegeben werden. Als gastgewerbliche Leistung gilt die Abgabe von Ess- und Trinkwaren nicht nur dann, wenn der Steuerpflichtige für deren Konsum an Ort und Stelle besondere Vorrichtungen bereithält, sondern auch dann, wenn er sie beim Kunden zubereitet oder serviert".
b) Die Vorinstanz erachtet diese Vorschrift als unvereinbar mit
Art. 4 BV
, weil zwischen dem Merkmal, dass der Leistungserbringer "besondere Vorrichtungen" für den Konsum an Ort und Stelle bereithalte, und der Leistung an sich kein sachlich relevanter Zusammenhang bestehe; es gebe nicht die geringste Kausalität zwischen den bereitstehenden Tischen und Stühlen bei der Steuerpflichtigen einerseits und der Hauslieferung von Pizzas andererseits. Das Kriterium lasse sich daher nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen und sei willkürlich. Es führe im Ergebnis auch zu einer Ungleichbehandlung zwischen Lebensmittelhändlern und Gastgewerbebetrieben, weil ein Lebensmittelhändler (ohne Konsumationseinrichtungen) die konsumfertig ins Haus des Kunden gelieferte Pizza zu 2% zu versteuern habe, während der Gastgewerbebetrieb für die genau gleiche Lieferung ins Haus dem Mehrwertsteuersatz von 6,5% unterstehe.
BGE 123 II 16 S. 25
Demgegenüber betrachtet die Eidgenössische Steuerverwaltung die Definition der gastgewerblichen Leistungen in Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV als verfassungsmässig. Diese Vorschrift erfasse zwei Arten von Leistungen, die nicht zum ermässigten Satz von 2% besteuert würden: Einerseits alle Leistungen eines Steuerpflichtigen, der Vorrichtungen zum Konsum an Ort und Stelle bereithalte (unabhängig davon, ob diese vom Kunden benützt würden oder nicht). Andererseits den - hier nicht streitigen - Fall, wo Speisen oder Getränke beim Kunden (oder an einem von ihm bezeichneten Ort) zubereitet oder serviert werden. Der Zweck dieser Ordnung bestehe darin, Betriebe der sogenannten Paragastronomie - wie Marktstände mit Tischen und Stühlen, Party-Servicebetriebe oder Hauslieferdienste - den Gastgewerbebetrieben gleichzustellen. Die Rechtsgleichheit sei gewahrt, indem der Gastwirt die Möglichkeit habe, die Hauslieferung und den Verkauf über die Gasse räumlich und organisatorisch getrennt vom Gastgewerbebetrieb zu tätigen; auf diese Weise gelange er ebenfalls in den Genuss des ermässigten Steuersatzes von 2% (Wegleitung für Mehrwertsteuerpflichtige, Ziff. 213-234, 244; Branchenbroschüre Nr. 10, "Gastgewerbe", Ziff. 2.20, 2.26).
Die Steuerpflichtige räumt ein, dass Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV verfassungsmässig ausgelegt werden kann. In dieser Hinsicht sei nicht zu beanstanden, dass für gastgewerbliche Leistungen darauf abgestellt werde, ob Konsumationseinrichtungen durch den Gastgewerbebetrieb zur Verfügung gestellt werden; dieses Kriterium erlaube, die gastgewerblichen Leistungen von der Lieferung von Lebensmitteln abzugrenzen. Erforderlich sei jedoch, dass die Kundschaft die Möglichkeit habe, diese Konsumationseinrichtungen zu benutzen. Im Falle von Hauslieferungen oder beim Verkauf über die Gasse sei dieses Erfordernis nicht erfüllt. Die Besteuerung solcher Lieferungen zum ordentlichen Satz von 6,5% verletze das Rechtsgleichheitsgebot sowie die Handels- und Gewerbefreiheit.
c) Weder die Vorinstanz noch die Parteien rügen indes, Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV sei mit
Art. 41ter BV
oder Art. 8 ÜbBest. BV unvereinbar.
6.
Es rechtfertigt sich, zunächst zu prüfen, ob die Umschreibung der gastgewerblichen Leistungen in
Art. 27 Abs. 1 lit. a MWSTV
dem Willkürverbot und dem Rechtsgleichheitsgebot des
Art. 4 BV
genügt. In Frage steht vor allem das vom Verordnungsgeber herangezogene Unterscheidungsmerkmal, das Bereitstellen von Konsumationseinrichtungen an Ort und Stelle, um die gastgewerblichen Leistungen von den übrigen Dienstleistungen und Lieferungen abgrenzen zu können.
BGE 123 II 16 S. 26
a) Ein Erlass ist willkürlich, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist; er verletzt das Rechtsgleichheitsgebot, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen, wenn also Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Vorausgesetzt ist, dass sich die ungerechtfertigte Gleich- bzw. Ungleichbehandlung auf eine wesentliche Tatsache bezieht (
BGE 118 Ia 1
E. 3a;
BGE 116 Ia 81
E. 6b, 113 E. 2c).
b) Die Abgrenzung zwischen den gastgewerblichen Leistungen und den Lieferungen von Esswaren hat bereits bei den vorbereitenden Arbeiten zur Mehrwertsteuerverordnung zu Diskussionen Anlass gegeben. Der Entwurf zur Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 28. Oktober 1993 bestimmte noch, dass Ess- und Trinkwaren zum ermässigten Satz besteuert würden mit Ausnahme der alkoholischen Getränke sowie der Lieferung konsumfertiger Mahlzeiten an Endverbraucher ("... à l'exclusion des boissons alcooliques, ainsi que les repas cuisinés, livrés au consommateur"). Umsätze auf konsumfertig zubereiteten Mahlzeiten an Endverbraucher sollten gemäss Kommentar zu diesem Verordnungsentwurf (Art. 28) somit durchwegs als gastgewerbliche Leistungen gelten, gleichgültig ob Einrichtungen zum Konsum an Ort und Stelle vorhanden seien und ob mit der Abgabe der Mahlzeit eine Serviceleistung verbunden sei oder nicht.
Mit dieser Umschreibung der zum Normalsatz steuerbaren Umsätze sollten - aus Gründen der Wettbewerbsneutralität - Betriebe der sogenannten Paragastronomie wie Marktstände, Party-Servicebetriebe, Hauslieferdienste usw. dem angestammten Restaurationsgewerbe gleichgestellt werden. Im Vernehmlassungsverfahren wurde von den interessierten Kreisen darauf hingewiesen, dass der Begriff "konsumfertig zubereitete Mahlzeiten" in der Praxis schwierig anzuwenden sei und zu willkürlichen Lösungen führen werde. Es wurde vorgeschlagen, den Begriff "(Mahlzeiten) zum Verzehr an Ort und Stelle" oder "... an Ort und Stelle in dafür bestimmten Einrichtungen" zu verwenden. Der Schweizerische Wirteverband und der Schweizer Tourismus-Verband traten dafür ein, den Begriff der "konsumfertigen Mahlzeit" unbedingt beizubehalten, und der Schweizer Hotelier-Verein fand, der Entwurf abstrahiere zu Recht vom Erfordernis einer Einrichtung zum Konsum an Ort und Stelle; als vorrangig wurde die steuerliche Gleichbehandlung
BGE 123 II 16 S. 27
von Gastronomie und Paragastronomie erachtet (Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements über das Vernehmlassungsverfahren zum Verordnungsentwurf über die Mehrwertsteuer vom 28. Oktober 1993). Der Bundesrat hat in der definitiven Fassung des Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV aus praktischen Gründen auf den Begriff "konsumfertig zubereitete Mahlzeiten" verzichtet und stattdessen das Merkmal der "besonderen Vorrichtungen" zum Konsum an Ort und Stelle herangezogen.
c) Im Vorentwurf zu einem Gesetz über die Mehrwertsteuer vom 28. August 1995 hat die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vorgeschlagen, die beiden letzten Sätze von Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 Lemma 2 MWSTV wie folgt zu fassen:
"... Der Steuersatz von 2 Prozent gilt nicht für Ess- und Trinkwaren aller Art, die im Rahmen von gastgewerblichen Leistungen abgegeben werden. Die Lieferungen von Ess- und Trinkwaren durch einen Steuerpflichtigen, ohne das Erbringen besonderer zusätzlicher Dienstleistungen am Ort des Konsums, gilt (recte gelten) nicht als gastgewerbliche Leistung" (Art. 34 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 des Entwurfs).
Diese Formulierung soll nach dem Bericht der Kommission zum Gesetzesentwurf eine Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen Steuerpflichtigen, die Ess- und Trinkwaren anliefern, verhindern; entscheidendes Kriterium für die gastgewerbliche Leistung sei der Service; der ermässigte Satz käme beispielsweise auch dann zur Anwendung, wenn ein Restaurationsbetrieb eine Lieferung "über die Gasse" vornehme. Diese Neufassung hat im Vernehmlassungsverfahren - abgesehen vom Wunsch nach einer eindeutigen Definition des Begriffs Ess- und Trinkwaren - zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass gegeben (Bericht der Expertenkommission über das Vernehmlassungsverfahren zum Entwurf des Gesetzes über die Mehrwertsteuer, vom 15. April 1996, abgedruckt in BBl 1996 V 833 S. 860).
d) Das deutsche Recht, auf das sich die Parteien berufen, sieht vor, dass der ermässigte Steuersatz auf "die Lieferungen, den Eigenverbrauch, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb" verschiedener Speisen und Getränke angewendet wird. Dies gilt jedoch nicht
"für die Lieferungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn sie nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden." (§ 12 Abs. 2 Ziff. 1 Umsatzsteuergesetz/UStG 1993).
BGE 123 II 16 S. 28
Nach der Doktrin setzt eine Lieferung von Speisen und Getränken zum "Verzehr an Ort und Stelle" voraus, dass (1) besondere Vorrichtungen für den Konsum an Ort und Stelle bereitgehalten werden, (2) die Speisen und Getränke nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sind, an Ort und Stelle konsumiert zu werden, und (3) ein räumlicher Zusammenhang zwischen dem Ort der Lieferung und dem Ort des Konsums besteht. Hauslieferungen von Speisen und Getränken fallen nicht darunter und profitieren vom ermässigten Steuersatz ebenso wie der Verkauf von Speisen und Getränken über die Gasse oder Verkaufsstände, sofern der Leistungserbringer keine Vorrichtungen zum Konsum bereitstellt (BIRKENFELD, Das grosse Umsatzsteuerhandbuch, § 142 N. 38-61; SÖLCH/RINGLEB/LIST, Umsatzsteuergesetz, § 12 N. 21-34; RAU/DÜRRWÄCHTER, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2, N. 90-107).
Das französische Recht sieht ebenfalls die Besteuerung von Ess- und Trinkwaren zu einem ermässigten Steuersatz vor mit Ausnahme der alkoholischen Getränke und von gewissen Produkten (Süsswarenprodukten, Schokolade, Margarinen, pflanzlichen Fetten, Kaviar usw., Art. 278bis Code général des impôts 1995). Der Verkauf über die Strasse wird ebenfalls zum ermässigten Satz besteuert. Andererseits stellt der Verkauf von Esswaren zum Konsum an Ort und Stelle eine zum ordentlichen Satz steuerbare Serviceleistung dar. Darunter fallen auch die Leistungen von Imbissrestaurants (Ministère du budget, Direction générale des impôts, Précis de fiscalité 1994, Band I, Rzn. 2335 ff.; JEAN-JACQUES PHILIPPE, La TVA à l'heure européenne, S. 190/191).
Das Gemeinschaftsrecht selbst enthält keine Richtlinienregelung zur Besteuerung von gastgewerblichen Leistungen.
e) Diese Übersicht zeigt, dass es offenkundig kein allgemein anerkanntes Kriterium gibt, um die gastgewerblichen Leistungen, die dem ordentlichen Mehrwertsteuersatz unterliegen, von den Lieferungen von Ess- und Trinkwaren, die zum ermässigten Satz besteuert werden, abzugrenzen.
Nach deutschem Recht kommen als "Speisen" im Sinne von § 12 Abs. 2 Ziff. 1 UStG insbesondere zubereitete Nahrungsmittel in Betracht, doch ist die Anwendung des allgemeinen Steuersatzes nicht auf die Lieferung solcher Speisen beschränkt; vielmehr fallen darunter alle Nahrungsmittel, die in konsumfertigem Zustand geliefert werden (SÖLCH/RINGLEB/LIST, a.a.O., § 12 N. 22-24). Der Bundesrat hat in der Mehrwertsteuerverordnung aus praktischen Gründen auf das Kriterium der "konsumfertig zubereiteten Mahlzeit"
BGE 123 II 16 S. 29
verzichtet. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal wird sowohl vom deutschen Gesetzgeber wie auch vom Bundesrat herangezogen: Es handelt sich um die besonderen Vorrichtungen für den Konsum an Ort und Stelle. Das französische Recht verweist auf den Begriff des Konsums an Ort und Stelle, ohne festzulegen, ob für den Konsum spezielle Einrichtungen zur Verfügung stehen müssen. Die Umschreibung im deutschen Recht schliesst die Paragastronomie weitgehend von der Besteuerung zum normalen Satz aus. Der Bundesrat will demgegenüber die Paragastronomie (im weiten Sinn des Wortes) ausdrücklich zum ordentlichen Satz besteuert wissen und hat zu diesem Zweck in Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV präzisiert, dass eine gastgewerbliche Leistung auch dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige Ess- und Trinkwaren beim Kunden zubereitet oder serviert.
Schliesslich trägt auch der Vorschlag der Steuerpflichtigen, die Überlassung von Ess- und Trinkwaren einheitlich entweder als "Lieferung von Gegenständen" (
Art. 5 MWSTV
) oder als "Dienstleistungen" (
Art. 6 MWSTV
) zu qualifizieren, nicht zur besseren Unterscheidung bei. Wie die Eidgenössische Steuerverwaltung mit Recht bemerkt, kann die Lieferung von Gegenständen auch Dienstleistungen umfassen (z.B. gestützt auf einen Werkvertrag oder einen Auftrag, vgl.
Art. 5 Abs. 2 MWSTV
). Die ausländischen Steuergesetze scheinen solchen Unterscheidung keine grosse Bedeutung beizumessen. Es genügt deshalb nicht, die Lieferung von Ess- und Trinkwaren einfach als "Lieferung von Gegenständen" zu qualifizieren, um den ermässigten Steuersatz anwenden zu können; zugleich muss sichergestellt sein, dass die Lieferung keine gastgewerblichen Leistungen enthält.
f) Im Lichte dieser Ausführungen kann nicht gesagt werden, dass das vom Verordnungsgeber gewählte Unterscheidungsmerkmal - das Bereitstellen von besonderen Vorrichtungen zum Konsum an Ort und Stelle - sinnlos sei. Im Gegenteil erscheint die Möglichkeit, Speisen und Getränke an Ort und Stelle konsumieren zu können, beispielsweise an einem Tisch, wie auch die Zubereitung der Speisen und Getränke oder deren Service beim Kunden als wesentliches Merkmal der gastgewerblichen Leistung.
Auch das Gebot der Gleichbehandlung im Sinne von
Art. 4 BV
ist nicht verletzt. Es trifft zwar zu, dass Detailhandelsgeschäfte den Verkauf von Lebensmitteln und nichtalkoholischen Getränken zum Satz von 2% zu versteuern haben, während Restaurationsbetriebe auf den bisweilen gleichen Ess- und Trinkwaren die Mehrwertsteuer
BGE 123 II 16 S. 30
zum Satz von 6,5% zu entrichten haben. Diese Lösung ist indessen bereits durch die Verfassung vorgezeichnet, indem sie unterschiedliche Steuersätze festlegt. In dieser Hinsicht trägt das in Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV gewählte Unterscheidungsmerkmal lediglich den Unterschieden zwischen Detailhandelsgeschäften und Gastgewerbebetrieben Rechnung.
Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV verletzt daher
Art. 4 BV
nicht. Aus diesem Grund ist nicht zu prüfen, ob die von der Vorinstanz zur Unterscheidung entwickelten Kriterien begründet sind. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass sie ihren Entscheid auf die Hauslieferung von Pizzas - unter Ausschluss anderer Esswaren - beschränken musste und für die Anwendung des ordentlichen Mehrwertsteuersatzes verlangt, dass es sich um konsumbereite Pizzas handle; dieses Unterscheidungsmerkmal ist in der Mehrwertsteuerverordnung nicht enthalten. Die Differenzierung nach der Art der gelieferten Ess- und Trinkwaren würde in der Praxis auch zu Unterscheidungen führen, die schwer zu handhaben sind.
7.
Zu prüfen bleibt, ob die Auslegung von Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV durch die Eidgenössische Steuerverwaltung, wie sie namentlich in der Wegleitung für Mehrwertsteuerpflichtige und in der Branchenbroschüre "Gastgewerbe" zum Ausdruck kommt, dem Bundesrecht entspricht. Diese Weisungen stellen Meinungsäusserungen der Verwaltung über die Auslegung der anwendbaren Verfassungs- und Verordnungsbestimmungen dar und sollen eine einheitliche Verwaltungspraxis schaffen, sie binden aber das Bundesgericht nicht (
BGE 121 II 473
E. 2b). Zunächst ist zu untersuchen, ob die Bestimmung selber, also
Art. 27 MWSTV
, durch die Eidgenössische Steuerverwaltung genügend beachtet worden ist (vorliegende E. 7). Sodann ist zu prüfen, ob die Auslegung des
Art. 27 MWSTV
durch die Eidgenössische Steuerverwaltung höherrangigem Recht, insbesondere den Prinzipen des
Art. 4 BV
, entspricht (E. 8, 9).
a) Gemäss der Wegleitung für Mehrwertsteuerpflichtige (Ziff. 21 f., 217, 224) wie auch der Branchenbroschüre "Gastgewerbe" (Ziff. 2.20) der Eidgenössischen Steuerverwaltung gilt die Abgabe von Ess- und Trinkwaren immer als gastgewerbliche Leistung, sofern eine Konsumationsmöglichkeit an Ort und Stelle besteht. Unerheblich ist, ob der Kunde von dieser Möglichkeit Gebrauch macht oder nicht oder überhaupt machen kann. Eine Ausnahme gilt nach den Weisungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung nur dann, wenn ein gastgewerblicher Betrieb die Hauslieferungen
BGE 123 II 16 S. 31
durch einen sowohl räumlich als auch organisatorisch abgetrennten "Kiosk" bzw. in separaten Verkaufsräumlichkeiten betreibt (Wegleitung Ziff. 244; Branchenbroschüre Ziff. 2.26); in diesem Fall unterliegen die Hauslieferungen der Mehrwertsteuer zum Satz von 2%. Die Steuerpflichtige wendet demgegenüber ein, dass Hauslieferungen in jedem Fall als "Lieferungen von Ess- und Trinkwaren" dem ermässigten Satz von 2% unterstehen müssen.
Weder dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV noch den Materialien zu dieser Bestimmung lässt sich entnehmen, ob die Anwendung des Begriffs "gastgewerbliche Leistung" - und damit des ordentlichen Steuersatzes von 6,5% - verlangt, dass der Kunde sich an den Ort des Gastgewerbebetriebes begibt, oder ob es genügt, dass Konsumationseinrichtungen am Ort des Betriebes zur Verfügung stehen. Eine Antwort auf diese Frage lässt sich indessen aus dem Zweck der Mehrwertsteuerverordnung und ihrer Systematik gewinnen.
b) Der Verfassungsgeber hat in Art. 8 Abs. 2 lit. e Ziff. 1 ÜbBest. BV gewisse lebensnotwendige Güter, die bereits in der Steuerfreiliste von Art. 14 des Bundesratsbeschlusses über die Warenumsatzsteuer enthalten waren, dem ermässigten Satz von 2% unterstellt (Amtl.Bull. N 1993 S. 343). Der Grundgedanke der Steuerbefreiung im Warenumsatzsteuerbeschluss war ein sozialpolitischer (vgl. DIETER METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer, N. 75 ff.). Es trifft zwar zu, dass die Verfassung damit auch die Lieferung von eigentlichen Luxusartikeln der Besteuerung zum ermässigten Satz unterstellt hat. Anders als im französischen Recht ist beispielsweise die Lieferung von Kaviar von der Besteuerung zum Satz von 2% nicht ausgenommen. Das bildet jedoch keinen Grund, den Geltungsbereich des ermässigten Steuersatzes auszuweiten. Im Hinblick auf den sozialpolitischen Gedanken, welcher der Einführung eines ermässigten Steuersatzes zugrundeliegt, erscheint es nicht notwendig, Hauslieferungen von Ess- und Trinkwaren dem ermässigten Steuersatz zu unterstellen. Die Auslegung durch die Eidgenössische Steuerverwaltung, wonach eine gastgewerbliche Leistung vorliegt, wenn eine Konsumationsmöglichkeit an Ort und Stelle besteht, erscheint mit dem Zweck der Vorschrift vereinbar.
Diese Auslegung erlaubt es auch, die sogenannte Paragastronomie weitgehend mit dem ordentlichen Steuersatz zu erfassen, was dem Willen der interessierten Kreise zu entsprechen scheint. In dieser Hinsicht beruft sich die Steuerpflichtige vergeblich auf das deutsche Recht, welches Hauslieferungen von Esswaren durch ein Restaurant
BGE 123 II 16 S. 32
dem ermässigten Steuersatz unterstellt. Sie übersieht dabei, dass § 12 Abs. 2 Ziff. 1 UStG ausdrücklich verlangt, dass der Ort der Lieferung mit dem Ort, wo die Essware verzehrt werden soll, in einem räumlichen Zusammenhang steht (vorne E. 6d). Was den Art. 34 des Entwurfs zum Mehrwertsteuergesetz vom 28. August 1995 betrifft, so stellt er ebenfalls eine Zusatzbedingung auf, indem am Ort der Lieferung zusätzlich eine Serviceleistung erfolgen muss (vorne E. 6c; gleich der nun vorliegende Gesetzesentwurf zum Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 28. August 1996, BBl 1996 V 906). Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV stellt in dieser Hinsicht keinerlei Bedingungen auf, so dass die Auslegung durch die Eidgenössische Steuerverwaltung auch der Systematik der Mehrwertsteuerverordnung nicht widerspricht.
8.
Es stellt sich damit die Frage, ob die Auslegung von Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV durch die Eidgenössische Steuerverwaltung vor
Art. 4 BV
standhält. Die Steuerpflichtige beschwert sich über eine Ungleichbehandlung, was
Art. 4 BV
verletze.
a) Es ist richtig, dass die Hauslieferung von Ess- und Trinkwaren durch ein Restaurant zum ordentlichen Satz besteuert wird, während ähnliche Lieferungen von Detailhändlern, Traiteuren und Pizza-Lieferanten, die keine besonderen Konsumationseinrichtungen zur Verfügung stellen, dem ermässigten Steuersatz unterstehen. Insofern rügt die Unternehmung zu Recht, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung bei der Anwendung der beiden Steuersätze ein subjektives Element einführt, indem Lieferungen durch ein Restaurant in jedem Fall dem ordentlichen Steuersatz unterliegen. Auf diese Weise bewirkt die Eigenschaft des Steuersubjekts die mehrwertsteuerrechtliche Qualifikation der Leistung. Die Mehrwertsteuerverordnung verbietet dies zwar nicht;
Art. 14 MWSTV
enthält zahlreiche Beispiele, wo die Eigenschaft des Steuerpflichtigen die steuerliche Behandlung der Leistung bestimmt. Die Eidgenössische Steuerverwaltung weist auch mit Recht darauf hin, dass Detailhandel und Pizza-Service einerseits und Restaurants andererseits und deren Leistungen nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Definitiv ist darüber jedoch nicht zu entscheiden, weil die Rüge der Unternehmung bereits aus einem anderen Grund nicht durchdringt.
b) Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV darf nicht für sich allein betrachtet, sondern muss im Zusammenhang mit den weiteren von der Eidgenössischen Steuerverwaltung erlassenen Weisungen gesehen werden. Die Steuerpflichtige hat ihre Hauslieferungen nicht mehr zum ordentlichen Satz von 6,5% zu versteuern, sobald sie
BGE 123 II 16 S. 33
diese Leistungen in einem räumlich und organisatorisch getrennten Geschäftslokal erstellt; in diesem Fall untersteht auch sie für Hauslieferungen dem ermässigten Satz von 2%. Diese Massnahme gewährleistet, dass sie gleich behandelt wird wie etwa ein Lebensmittelgeschäft, das eine gemischte Tätigkeit ausübt, d.h. einerseits Ess- und Trinkwaren verkauft oder liefert und andererseits Restaurationsleistungen erbringt (z.B. Bäckerei-Konditorei mit angegliedertem Tea-Room). Im einen wie im anderen Fall gelangen die Steuerpflichtigen für die Lieferung von Ess- und Trinkwaren in den Genuss des ermässigten Steuersatzes, wenn sie diese Tätigkeit getrennt ausüben. Eine Ungleichbehandlung liegt insofern nicht vor.
9.
Die Steuerpflichtige macht auch geltend, dass das Erfordernis des räumlich getrennten Ladengeschäfts, wie die Eidgenössische Steuerverwaltung es für gastgewerbliche Betriebe verlangt, damit der ermässigte Steuersatz angewendet werden kann, eine zur Durchsetzung der Steuerehrlichkeit nicht notwendige Massnahme darstelle. Sie beruft sich damit auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Die Eidgenössische Steuerverwaltung rechtfertigt demgegenüber diese Massnahme: Der Umstand, dass dasselbe Produkt einmal dem ordentlichen und dann wieder dem ermässigten Steuersatz untersteht, lasse die Anordnung als berechtigt erscheinen.
a) Gemäss
Art. 42 MWSTV
erhebt die Eidgenössische Steuerverwaltung die Steuer auf den Umsätzen im Inland. Sie erlässt alle hierzu erforderlichen Weisungen und Entscheide, deren Erlass nicht ausdrücklich einer anderen Behörde vorbehalten ist. Die Weisungen, Bestimmungen und Entscheide der Eidgenössischen Steuerverwaltung müssen, wie jede Verwaltungstätigkeit, dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen. Dieser verlangt, dass die Verwaltungsmassnahme das richtige Mittel zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Zieles ist. Zudem darf der Eingriff nicht schärfer sein, als der Zweck der Massnahme es verlangt; lässt sich das im öffentlichen Interesse liegende Ziel mit einem schonenderen Mittel erreichen, so ist dieses zu wählen. Schliesslich muss die administrative Anordnung durch ein hinreichend gewichtiges öffentliches Interesse gefordert sein (PIERRE MOOR, Droit administratif, Band I, S. 351 ff.; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Band I, Nr. 58 B IV, je mit Hinweisen).
b) Es steht ausser Zweifel, dass der Eidgenössischen Steuerverwaltung die Kompetenz zusteht, Weisungen und Bestimmungen zu erlassen, um eine wirksame Steuerkontrolle zu ermöglichen. Sie ist hierzu sogar verpflichtet, sofern die Art einer bestimmten Tätigkeit
BGE 123 II 16 S. 34
von Steuerpflichtigen es erfordert. Es wäre unhaltbar, wenn sich daraus Situationen ergäben, welche die einheitliche Anwendung des Gesetzes verhindern würden. Sofern es sich um Unternehmen handelt, die - wie die Steuerpflichtige - eine gemischte Tätigkeit ausüben, die teilweise dem ermässigten und teilweise dem ordentlichen Satz der Mehrwertsteuer unterliegt, und diese Sätze auf zum Teil identischen Leistungen und Produkten Anwendung finden, ist die Befürchtung der Eidgenössischen Steuerverwaltung begründet, dass sich bei den Abrechnungen Fehler einstellen können, die im einen oder anderen Fall die Buchhaltung zum Beweis als untauglich erscheinen lassen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung darf auch Vorschriften organisatorischer Art erlassen, damit die Abrechnungen und Bücher ordnungsgemäss geführt werden können. So kann sie die Erfassung der Verkaufsumsätze mit Registrierkassen aufgrund der Fehlermöglichkeiten verbieten, wenn der Steuerpflichtige für einen Teil seiner Umsätze einen ermässigten Steuersatz beansprucht; eine Ausnahme gilt für Scanner-Kassen (vgl. Branchenbroschüre "Gastgewerbe", Ziff. 2.26). Wenn daher die Eidgenössische Steuerverwaltung von Gastgewerbebetrieben, die auch Hauslieferungen ausführen, fordert, dass organisatorische Massnahmen getroffen werden, um die verschiedenen Tätigkeiten auseinanderzuhalten, so erscheint dies als verhältnismässig.
c) Das ist hingegen nicht der Fall, soweit die Eidgenössische Steuerverwaltung darüber hinaus verlangt, dass diese Tätigkeiten an räumlich getrennten Orten erfolgen. Getrennte Räumlichkeiten können zwar dazu beitragen, dass über die Art der verschiedenen Umsätze Klarheit herrscht. Indessen kann von einer Unternehmung mit gemischter Tätigkeit wie bei der Steuerpflichtigen nicht verlangt werden, dass sie einen Kiosk oder ein räumlich abgetrenntes Geschäft betreibt, um für Hauslieferungen den ermässigten Steuersatz beanspruchen zu können. Für Hauslieferungen stünde der Aufwand für solche Einrichtungen in keinem Verhältnis zu dem erstrebten Ziel, dem einer wirksamen Steuerkontrolle. Diese lässt sich bereits erreichen, wenn von der Steuerpflichtigen verlangt wird, dass sie die Hauslieferung von den übrigen Tätigkeiten organisatorisch getrennt erbringt. Der Eidgenössischen Steuerverwaltung stehen noch andere Möglichkeiten offen, um die gleichmässige Anwendung des Gesetzes zu erreichen. Die Steuerpflichtige, die in den Genuss des ermässigten Steuersatzes gelangen will, muss nachweisen, dass sie die Bedingungen erfüllt. Sie hat ihre Geschäftsbücher ordnungsgemäss zu führen und so einzurichten, dass sich aus ihnen die für die
BGE 123 II 16 S. 35
Feststellung der Steuerpflicht sowie für die Berechnung der Steuer und der abziehbaren Vorsteuern massgebenden Tatsachen leicht und zuverlässig ermitteln lassen (
Art. 47 Abs. 1 MWSTV
), und der Eidgenössischen Steuerverwaltung auf Verlangen über alle Tatsachen, die für die Steuerbemessung von Bedeutung sein können, Auskunft zu erteilen (
Art. 46 MWSTV
). Sie muss ihr ferner Zugang zu ihrer Buchhaltung gewähren (
Art. 50 Abs. 2 MWSTV
). Erfüllt sie diese Pflichten nicht, so schreitet die Eidgenössische Steuerverwaltung zu einer Ermessenseinschätzung (
Art. 48 MWSTV
). Diese kann gestützt darauf die Anwendung des ermässigten Steuersatzes auf einem Teil des Umsatzes verweigern, wenn die Steuerpflichtige nicht genügend nachweist, dass es sich um Hauslieferungen handelt.
d) Nach dem Gesagten ist somit nicht erforderlich, dass die Steuerpflichtige die Leistungen für die Hauslieferungen vom übrigen Gastgewerbebetrieb räumlich getrennt erbringt, um in den Genuss des ermässigten Steuersatzes von 2% zu gelangen. Die diesbezügliche Weisung der Eidgenössischen Steuerverwaltung geht in dieser Hinsicht über das Notwendige hinaus. Hingegen muss von der Steuerpflichtigen verlangt werden, dass sie organisatorische Massnahmen trifft, die es erlauben, die den verschiedenen Steuersätzen unterliegenden Umsätze auseinanderzuhalten und für die Steuer korrekt abzurechnen. Die Frage, welche Anforderungen beim Direktverkauf bzw. beim Verkauf "über die Gasse" gelten müssen - besonders ob die Bedingung von getrennten Räumlichkeiten nicht gerechtfertigt wäre -, ist hier nicht zu prüfen, weil sich das Feststellungsbegehren der Steuerpflichtigen nur auf Hauslieferungen bezieht.
10.
Die Steuerpflichtige beruft sich auch auf das Gebot der Wettbewerbsneutralität staatlicher Massnahmen. Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen, wie er nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 121 I 279
E. 4a) aus
Art. 31 BV
folgt, sind Massnahmen verboten, die den Wettbewerb unter direkten Konkurrenten verzerren bzw. welche nicht wettbewerbsneutral sind. Die zur Diskussion stehende Ungleichheit ist indessen bereits durch die Verfassung vorgezeichnet, die unterschiedliche Steuersätze festlegt und damit Abgrenzungskriterien der hier in Frage stehenden Art notwendig macht. Zu verlangen ist, dass keine unnötigen, vermeidbaren Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Von der Steuerpflichtigen wird nur verlangt, dass sie diejenigen organisatorischen Massnahmen trifft, die erforderlich sind, um eine korrekte Abrechnung
BGE 123 II 16 S. 36
der Steuer zu ermöglichen; eine Verletzung des Gebots der Wettbewerbsneutralität kann darin nicht erblickt werden.
11.
Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung in Anwendung von
Art. 51 Abs. 1 lit. f MWSTV
im Einspracheentscheid getroffene Feststellung ist nach dem Gesagten dahingehend zu präzisieren, dass die Steuerpflichtige für Hauslieferungen von Ess- und Trinkwaren der Mehrwertsteuer zum Satz von 6,5% untersteht, sofern sie diese Tätigkeit organisatorisch nicht vom übrigen Gastgewerbebetrieb getrennt ausübt. Mit dieser Feststellung dringt weder die Steuerpflichtige noch die Eidgenössische Steuerverwaltung vollständig durch. Die Beschwerde der Eidgenössischen Steuerverwaltung ist immerhin dem Grundsatz nach begründet. Die beiden Beschwerden sind folglich im Sinne der vorstehenden Erwägungen teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fc007c2-0362-494d-8264-ded18b8252a6 | Urteilskopf
104 II 65
12. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 20 avril 1978 dans la cause P. contre O | Regeste
Adoption.
Absehen von der Zustimmung eines Elternteils, wenn sich dieser um das Kind nicht ernstlich gekümmert hat (
Art. 265 c Ziff. 2 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 104 II 65 S. 65
Le 28 octobre 1969, le Tribunal de première instance du canton de Genève a prononcé le divorce des époux P.-K. L'enfant issue de cette union, Sandra, née le 7 août 1964, a été confiée à la mère.
Dame K., divorcée, s'est remariée, le 28 avril 1973, avec O., né le 15 juillet 1936. Les époux O. ont un descendant commun,
BGE 104 II 65 S. 66
né le 9 février 1975. Sandra P. vit avec eux; O. s'occupe d'elle depuis son mariage avec la mère.
Par requête du 1er avril 1977, O. a demandé de pouvoir adopter Sandra P. Le 11 novembre 1977, la Cour de justice du canton de Genève a prononcé l'adoption. Elle a pris cette décision en faisant abstraction du consentement du père sur la base de l'art. 265 c ch. 2 CC.
P. a recouru en réforme au Tribunal fédéral, demandant que la requête d'adoption fût rejetée, subsidiairement que la cause fût renvoyée à la Cour de justice pour complément d'instruction, puis nouvelle décision. Le Tribunal fédéral a admis le recours dans le sens des conclusions subsidiaires.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La Cour de justice s'est passée du consentement du père de l'enfant pour le motif qu'" il résulte du rapport d'enquête sociale du 1e septembre 1977 que depuis 1968 il n'a plus revu Sandra, ne s'est jamais soucié de savoir ce qu'elle devenait et ne verse aucune pension pour sa fille dont l'entretien est à la charge du requérant".
3.
L'art. 265 a al. 1 CC fait dépendre l'adoption du consentement du père et de la mère de l'enfant. Le consentement n'a pas comme condition l'exercice de l'autorité parentale, mais il est lié aux droits de la personnalité des parents: il doit donc être requis aussi du parent divorcé à qui l'enfant n'a pas été confié (cf. Message du Conseil fédéral à l'Assemblée fédérale concernant la révision du Code civil suisse, adoption et art. 331 CC, du 12 mai 1971, FF 1971 I, p. 1247). Il a d'autant plus d'importance que l'adoption plénière introduite par le nouveau droit supprime les liens de filiation antérieurs (art. 267 al. 2 CC).
Dans ces conditions, quand l'autorité cantonale applique l'art. 265 c ch. 2 CC, elle doit se montrer stricte dans le respect de l'exigence posée par l'art. 265 a al. 1 CC. On ne saurait admettre qu'elle fasse abstraction du consentement d'un des parents parce que, d'après un rapport d'enquête, il ne se serait pas soucié sérieusement de l'enfant, sans même lui avoir donné la possibilité de se déterminer. En effet, dans l'hypothèse visée au ch. 2 de l'art. 265 c CC, elle peut, non seulement renoncer au consentement, comme dans les cas énumérés au
BGE 104 II 65 S. 67
ch. 1, mais également passer outre au refus de consentement (Message, pp. 1249/1250; HEGNAUER, Die Adoption, n. 20 ad art. 265 c CC).
Au vu de ce qui précède, il y a lieu d'annuler le jugement attaqué et de renvoyer la cause à la Cour de justice pour nouveau jugement. Avant de prendre sa décision, l'autorité cantonale devra requérir le consentement du père et lui accorder la faculté de contester les faits allégués dans la requête, ou constatés dans le rapport d'enquête, et d'indiquer les motifs pour lesquels, à son avis, l'adoption par l'actuel mari de la mère n'est pas dans l'intérêt de l'enfant. | public_law | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fc5bda1-80be-4618-9ea4-eb2a11f69fb6 | Urteilskopf
126 III 481
83. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 28 septembre 2000 dans la cause M. (recours LP) | Regeste
Betreibung auf Grundpfandverwertung; anwendbares Verfahren im Falle einer Mietzinssperre, wenn zugleich die Forderung oder das Pfandrecht und das Pfandrecht an den Mietzinsen bestritten werden (
Art. 153a SchKG
und 93 VZG).
In Anwendung der unter dem alten Recht herrschenden, aber immer noch gültigen Rechtsprechung (
BGE 71 III 52
) muss der Pfandgläubiger nicht gleichzeitig mit seinem Begehren um Beseitigung des Rechtsvorschlags einen Prozess auf Feststellung seines Pfandrechts an den Mietzinsen in die Wege leiten; er kann zuwarten, bis das Rechtsöffnungsgesuch definitiv entschieden ist, und innert der vom Betreibungsamt anzusetzenden Frist von 10 Tagen die ordentliche Klage auf Feststellung seines Pfandrechts an den Mietzinsen einleiten (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 482
BGE 126 III 481 S. 482
Le 21 mars 2000, X. SA a introduit contre M. une poursuite en réalisation de gage portant sur un immeuble propriété du débiteur. Elle a expressément demandé la gérance légale de l'immeuble. Le débiteur a fait opposition à la poursuite et signalé à l'office des poursuites que les loyers n'étaient pas compris dans le gage.
Par avis du 9 mai 2000, l'office a informé la créancière de l'opposition du débiteur au commandement de payer et de sa contestation concernant la mesure prise à l'égard des loyers, et lui a fixé un délai de 10 jours pour soit ouvrir action en reconnaissance de dette ou en constatation de son droit de gage, soit demander la mainlevée de l'opposition et, si la mainlevée était refusée, intenter devant les tribunaux ordinaires, dans les 10 jours suivant la notification de la décision de refus de mainlevée, une action en constatation de la créance ou du droit de gage (
art. 153a LP
et 93 al. 1 de l'Ordonnance du Tribunal fédéral du 23 avril 1920 sur la réalisation forcée des immeubles [ORFI; RS 281.42]). L'avis précisait en outre que si la contestation n'avait trait qu'à la mesure prise à l'égard des loyers, la procédure de mainlevée d'opposition n'était pas applicable et que
BGE 126 III 481 S. 483
la créancière devait alors ouvrir directement action en constatation du droit de gage contesté sur les loyers (
art. 93 al. 2 ORFI
). La créancière a requis la mainlevée de l'opposition le 15 mai 2000.
Le 25 mai 2000, le débiteur a sollicité de l'office la levée immédiate de la gérance légale et la restitution des loyers encaissés jusque-là, au motif qu'aucune action en reconnaissance du droit de gage contesté sur les loyers n'avait été introduite dans le délai de 10 jours prévu par l'
art. 93 al. 2 ORFI
. L'office a refusé de lever la gérance légale, car la créancière avait agi dans le délai imparti pour demander la mainlevée d'opposition; une fois la mainlevée accordée et cette décision devenue définitive, il lui impartirait un autre délai pour agir en constatation du droit de gage contesté sur les loyers. Cette décision a été confirmée, sur plainte, par l'Autorité de surveillance des offices de poursuites et de faillites du canton de Genève, puis sur recours, par le Tribunal fédéral.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) L'autorité cantonale de surveillance, après avoir dûment rappelé le contenu des dispositions légales et réglementaires applicables à la procédure de réalisation d'immeubles loués ou affermés (
art. 152 al. 2 et 153a LP
,
art. 91 ss ORFI
, avec les références à GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Lausanne 1999, n. 8 ss ad art. 153a), a jugé que l'office avait procédé régulièrement en l'espèce, au regard des dispositions en question et de la jurisprudence du Tribunal fédéral traitant de la procédure applicable en cas d'immobilisation des loyers et de contestation du droit de gage sur ceux-ci (
ATF 71 III 52
ss).
Le recourant reproche en substance à l'autorité cantonale d'avoir méconnu que la procédure de l'
art. 93 al. 2 ORFI
en reconnaissance du droit de gage contesté sur les loyers et fermages est une procédure autonome, "totalement indépendante des procédures en mainlevée et en constatation de la créance ou du droit de gage". En présence d'une telle contestation, le poursuivant devrait saisir le tribunal compétent d'une action en reconnaissance du droit de gage contesté sur les loyers et fermages dans le délai péremptoire de 10 jours de l'
art. 93 al. 2 ORFI
, à défaut de quoi la gérance légale devrait être levée et les loyers ou fermages déjà encaissés devraient être restitués au bailleur (
art. 93 al. 3 ORFI
). C'est ce qu'il y aurait eu lieu de faire en l'espèce, la créancière n'ayant pas introduit en temps utile d'action en reconnaissance du droit de gage contesté sur
BGE 126 III 481 S. 484
les loyers et fermages de l'immeuble en cause. Le mode de procéder retenu par l'autorité cantonale serait ainsi en contradiction non seulement avec la lettre de la réglementation en vigueur, mais encore avec l'objectif du législateur de voir trancher au plus vite la contestation relative à la gérance légale, mesure conservatoire urgente susceptible de porter préjudice au propriétaire. Le recourant soutient à cet égard que la jurisprudence invoquée par l'autorité cantonale de surveillance (
ATF 71 III 52
), rendue sous l'empire de l'ancien droit, est incompatible avec le droit fédéral en vigueur et, de plus, étrangère au cas à juger en l'espèce.
b) L'
art. 93 ORFI
à propos duquel la jurisprudence en question a été rendue n'a pas subi de modification substantielle lors de la révision de l'ORI [ORFI] du 5 juin 1996 (cf. EDWIN WEYERMANN, Die Verordnungen des Bundesgerichts zum SchKG in ihrer geänderten Fassung, in: PJA 1996, p. 1374). Son contenu, dans la mesure où il relevait de la loi, a d'ailleurs été repris dans la disposition nouvelle de l'
art. 153a LP
(Message concernant la révision de la LP, du 8 mai 1991, p. 124; GILLIÉRON, op. cit., n. 3 ad art. 153a). Le droit déterminant est donc demeuré fondamentalement le même.
A part un auteur qui estime compliquée la procédure préconisée par la jurisprudence du fait qu'elle exclut la possibilité de contester l'immobilisation des loyers par la voie de l'opposition (CLAUS SCHELLENBERG, Die Rechtsstellung des Dritteigentümers in der Betreibung auf Pfandverwertung, thèse Zurich 1968, p. 117), on ne trouve personne en doctrine pour critiquer cette procédure découlant de l'
art. 93 ORFI
et concrétisée dans le formulaire ORFI 8 (cf. notamment E. BRAND, Poursuite en réalisation de gage, FJS 991, ch. I.2.c; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., p. 252 s.; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, vol. I, 3e éd., Zurich 1984, § 34 n. 33; JAEGER/WALDER/KULL/KLOTTMANN, SchKG, 4e éd. 1997, n. 1 ss ad art. 153a; GILLIÉRON, op. cit., n. 35 ad art. 152; MARC BERNHEIM/PHILIPP KÄNZIG, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, n. 11 s. ad art. 153a). Il y a ainsi quasi-unanimité en la matière.
Ladite jurisprudence a en outre le mérite de bien distinguer entre, d'une part, le cas - non réalisé en l'espèce - où le débiteur se borne à contester que les loyers soient compris dans le gage, le créancier devant alors impérativement ouvrir action dans les 10 jours au risque sinon d'encourir immédiatement les conséquences prévues par l'
art. 93 al. 3 ORFI
, et d'autre part le cas où la contestation du débiteur se rapporte également à la créance et au droit de gage: dans cette
BGE 126 III 481 S. 485
seconde hypothèse, réalisée ici, le créancier doit, dans le même délai, ou bien ouvrir action en reconnaissance de dette et en constatation du droit de gage, ou bien commencer par requérir la mainlevée de l'opposition et, en cas de rejet de cette requête, intenter dans un nouveau délai de 10 jours l'action en constatation de la créance ou du droit de gage. Il sied de préciser à cet égard que la sommation d'intenter action en constatation du droit de gage comporte aussi sommation d'intenter action en reconnaissance du droit de gage sur les loyers (
ATF 71 III 52
consid. 3 p. 57 s.): la contestation qui a trait à la mesure prise à l'égard des loyers ou fermages est en effet relative à l'étendue du gage dans la mesure où il comprend les loyers ou fermages à teneur de l'
art. 806 CC
(GILLIÉRON, op. cit., n. 13 ad art. 153a). Si au contraire la mainlevée de l'opposition est accordée, l'office doit, en vertu de l'
art. 93 al. 2 ORFI
, impartir au créancier un nouveau délai de 10 jours pour ouvrir action en reconnaissance du droit de gage sur les loyers (arrêt précité, p. 58).
c) Il résulte de ce qui précède que, contrairement à ce qu'affirme le recourant, la jurisprudence de l'
ATF 71 III 52
est parfaitement compatible avec le droit fédéral en vigueur et n'est pas du tout étrangère à la présente espèce. En application de cette jurisprudence, l'autorité cantonale a retenu à bon droit que la créancière gagiste n'avait pas à intenter simultanément à sa requête de mainlevée d'opposition un procès ordinaire pour faire constater son droit de gage sur les loyers, mais qu'elle pouvait attendre qu'il soit statué définitivement sur la requête de mainlevée pour introduire, dans le délai de 10 jours à impartir par l'office, l'action ordinaire tendant à la constatation de son droit de gage sur les loyers. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8fc5bfba-19cc-44fc-83e4-2199faabc38a | Urteilskopf
86 III 124
30. Entscheid vom 22. September 1960 i.S. Konkursamt Riesbach- Zürich. | Regeste
1. Welche Verfügungen unterliegen dem Rekurs an das Bundesgericht nach
Art. 19 SchKG
? (Erw. 1.)
2. Rekursbefugnis der Konkursverwaltung. (Erw. 2.)
3. Mit Vorbehalt der Vorschriften über die Bereinigung der Konkurspassiven (Kollokation;
Art. 250 SchKG
und 66 KV) hat über Führung eines Prozesses oder Abschluss eines Vergleiches in der Regel die Gesamtheit der Gläubiger zu entscheiden. Kann es auch in einem nicht dringlichen Falle die Konkursverwaltung ausnahmsweise von sich aus tun? Jedenfalls dann nicht, wenn die Masse nach dem Vorschlag des Gegners ohne Prüfung seiner Beweismittel auf einen Teil ihres streitigen Anspruchs verzichten müsste. - Art. 207, 237 Abs. 3 Ziff. 3, 240, 243, 253 Abs. 2, 260 SchKG. (Erw. 3.) | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 86 III 124 S. 125
A.-
Anlässlich des Konkurses der Conrad Sigg A.-G. erteilte die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich dem Konkursamt Riesbach-Zürich am 9. März 1960 die Weisung, "künftig in allen Fällen sowohl die Frage der Geltendmachung als des Verzichts auf streitige Ansprüche der Gläubigergesamtheit zu unterbreiten, sei es an der 2. Gläubigerversammlung, sei es - bei fehlender Beschlussfähigkeit und im summarischen Verfahren (hier ohne Aussonderungsansprüche, Art. 49 KV) - auf dem Zirkularweg."
B.-
In dem vom nämlichen Konkursamt im summarischen Verfahren durchzuführenden Konkurs der Firma Fluri & Cie ist streitig, ob der Restbetrag eines Guthabens, das die Gemeinschuldnerin seinerzeit einer Bank und hernach der Firma Hefti & Cie abgetreten hatte, nun zum Konkursvermögen gehöre oder aber der zweiten Zessionarin zustehe. Die Bank hat diesen Restbetrag von rund Fr. 1200.-- gemäss ihrer Abrechnung frei gegeben, doch erhebt nun die erwähnte zweite Zessionarin darauf Anspruch, mit der Begründung, die ihr erteilte Zession enthalte eine Abtretung auf den Überschuss.
C.-
Das Konkursamt hat diesen Sachverhalt der Verwaltungskommission
BGE 86 III 124 S. 126
des Obergerichts unterbreitet, um mit der Firma Hefti & Cie "in eigener Kompetenz", ohne Befragung der Konkursgläubiger, einen Vergleich abschliessen zu können. Es hält die Ansprache der erwähnten Firma zwar nicht für begründet: "Hefti & Cie nehmen offenbar an, die Zession an die Bank sei bedingter Natur; bis heute konnten aber keine Anhaltspunkte dafür gegeben werden." Dennoch erscheine es für die Konkursmasse als vorteilhaft, das Vergleichsangebot der Ansprecherin, die sich mit einem Teilbetrag von Fr. 700.-- begnügen würde, anzunehmen. Die Firma knüpfe dieses Angebot jedoch an die Bedingung, dass die Konkursverwaltung es vorbehaltlos annehme, ohne darüber einen Gläubigerbeschluss herbeizuführen. Das Konkursamt hält dies - entgegen der Weisung der Oberbehörde vom 9. März 1960 - für zulässig. Es weist ausserdem auf die ungefähr Fr. 200.-- betragenden Kosten eines Zirkulars an die Gläubiger hin und bezeichnet einen solchen Aufwand als ungerechtfertigt. Der Antrag an die Oberbehörde lautet:
"Sie möchten im Hinblick auf die in Ihrer Anweisung enthaltene Wendung "künftig in allen Fällen" präzisieren, dass die Anweisung nicht in absolutem Sinne gilt, sondern dass auf den Einzelfall abzustellen ist, und dass insbesondere der vorgenannte Fall Fluri & Cie nicht unter jene Anweisung (zur Befragung der Gläubiger) fällt."
D.-
Mit Bescheid vom 24. August 1960 hat die angegangene Behörde die nachgesuchte Erlaubnis nicht erteilt. Der Bescheid führt aus, ob die Zustimmung der Gläubiger zum Abschluss des vorgeschlagenen Vergleichs erforderlich sei, hange einzig von den gesetzlichen Bestimmungen ab. Eine von der Gegenpartei gestellte Bedingung könne daran nichts ändern. Die Behörde halte an ihrer Weisung vom 9. März 1960 fest. Es habe dabei nicht die Meinung, ein Gläubigerbeschluss sei nur in bedeutsameren Fällen erforderlich. Übrigens sei der in Frage stehende Anspruch nicht geringfügig.
E.-
Gegen diesen Bescheid hat das Konkursamt Riesbach-Zürich namens der Konkursmasse F. Fluri & Cie an
BGE 86 III 124 S. 127
das Bundesgericht rekurriert mit dem Antrag auf Feststellung, "dass wir für die Geltendmachung des eingangs genannten streitigen Anspruches durch die Masse keinen Gläubigerbeschluss benötigen."
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Allgemeine Weisungen, die eine kantonale Aufsichtsbehörde einem oder mehreren, allenfalls sämtlichen ihm unterstellten Ämtern erteilt, haben grundsätzlich nicht als weiterziehbare Entscheide im Sinne des
Art. 19 SchKG
zu gelten (
BGE 35 I 478
/79 = Sep.-Ausg. 12 S. 98/99;
BGE 82 III 77
Erw. 6 und
BGE 83 III 3
). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Aufsichtsbehörde, sei es auch ohne mit einer Beschwerde oder einem Rekurs befasst zu sein oder ausserhalb der mit einem solchen Rechtsmittel gestellten Anträge, kraft ihres Aufsichtsrechtes (
Art. 13 SchKG
) in ein hängiges Vollstreckungsverfahren eingreift (
BGE 43 III 279
). Das trifft hier zu; denn die Vorinstanz hat auf Gesuch der Konkursverwaltung eine bestimmte Anordnung getroffen, nämlich die Konkursverwaltung angewiesen, das Vergleichsangebot der Firma Hefti & Cie der Gläubigergesamtheit durch Zirkular zur Beschlussfassung zu unterbreiten.
2.
Um Interessen der Konkursmasse, d.h. der Gesamtheit der Gläubiger, zu verfechten, steht der Konkursverwaltung das Recht zu Beschwerde und Rekurs zu (
BGE 75 III 21
Erw. 1). Im vorliegenden Rekurs wird geltend gemacht, der angefochtene Bescheid verletze solche Interessen in gesetzwidriger Weise. Somit ist auf den Rekurs einzutreten.
3.
Die Vorinstanz ist der Ansicht, über die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen der Konkursmasse und ebenso über den Abschluss von Vergleichen über solche Ansprüche habe stets die Gläubigergesamtheit zu beschliessen, sei es in der zweiten Gläubigerversammlung, sei es (was im summarischen Verfahren die Regel bildet,
BGE 86 III 124 S. 128
Art. 96 lit. a KV) auf dem Zirkularwege. Die Konkursverwaltung ist damit einverstanden, dass ein Verzicht nur von der Gläubigergesamtheit beschlossen werden könnte (mit Vorbehalt von Abtretungen gemäss
Art. 260 SchKG
). Sie hält jedoch dafür, die gerichtliche Geltendmachung und ebenso der Abschluss eines Vergleiches, sei es im Prozess oder auch schon vor dessen Anhebung, stehe ihr in eigener Kompetenz zu. Diese Frage braucht indessen hier nicht näher geprüft zu werden. Zu bemerken ist dazu nur, dass jedenfalls normalerweise Veranlassung besteht, die Frage der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen und auch eines Vergleichsabschlusses der Gläubigergesamtheit zu unterbreiten, wie dies
Art. 207 SchKG
für die schon vor Konkurseröffnung hängig gewordenen, die Konkursmasse berührenden Rechtssachen "mit Ausnahme dringlicher Fälle" ausdrücklich vorschreibt. Das obligatorische Konkursformular Nr. 5 sieht im übrigen ganz allgemein die "Erteilung von Prozessvollmacht" als Traktandum der (ersten oder zweiten) Gläubigerversammlung vor. Und wenn nach
Art. 237 Abs. 3 Ziff. 3 SchKG
die Gläubigerversammlung einem allfällig ernannten Gläubigerausschuss die Befugnis zum Abschluss von Vergleichen erteilen kann (worauf die für Kollokationsprozesse geltende Vorschrift des Art. 66 Abs. 3 KV Bezug nimmt), so geht das Gesetz offensichtlich davon aus, jedenfalls in der Regel habe die Gläubigerversammlung selbst (bezw. die Gläubigergesamtheit durch Zirkularbeschluss) über den Abschluss eines Vergleiches zu befinden. Nichts Abweichendes folgt aus
Art. 240 SchKG
, wonach die Konkursverwaltung die Masse vor Gericht vertritt. Dies hat eben auch dann zu geschehen, wenn die Prozessführung von der Gläubigerversammlung beschlossen worden ist, und besagt nichts darüber, ob und wann die Konkursverwaltung aus eigenem Entschluss gerichtlich vorgehen dürfe.
Art. 243 Abs. 1 SchKG
bezieht sich sodann ausdrücklich nur auf unbestrittene fällige Guthaben der Masse und fasst keine andern rechtlichen Massnahmen als Betreibungen ins Auge (mit Einschluss
BGE 86 III 124 S. 129
der Einleitung betreibungsrechtlicher Zwischenverfahren, namentlich auf Rechtsöffnung; vgl. A. ZIEGLER in BlSchK 4 S. 71). Daraus endlich, dass Abtretungen nach
Art. 260 SchKG
nur zulässig sind nach einem von der Gläubigergesamtheit für die Masse beschlossenen Verzicht, lässt sich nicht folgern, der Entschluss zur Prozessführung durch die Masse brauche dagegen überhaupt nicht von der Gläubigergesamtheit (durch Mehrheitsbeschluss) gefasst zu werden. Vielmehr kann sich angesichts der umfassenden Entscheidungsbefugnis der zweiten Gläubigerversammlung (
Art. 253 Abs. 2 SchKG
) nur fragen, ob der Konkursverwaltung ein gewisses Ermessen zustehe, von der Herbeiführung eines Gläubigerbeschlusses auch in nicht dringlichen Fällen (wie der vorliegende einer ist, nach der einleuchtenden Begründung der Vorinstanz) dann abzusehen, wenn sie des Erfolges sicher ist und die für das geplante Vorgehen erforderlichen Mittel vorhanden sind. Selbst wenn man aber von einem solchen Ermessen der Konkursverwaltung ausgeht, lässt sich die vorinstanzliche Anordnung nicht beanstanden. Denn die Aufsichtsbehörde konnte und musste ihr eigenes Ermessen bei der ihr anheim gegebenen Entscheidung walten lassen. Und rechtswidrig war es keineswegs, die Gläubigerbefragung anzuordnen.
Im übrigen kann der Vergleichsabschluss, wie ihn die Konkursverwaltung vorhat, unter den gegebenen Umständen nicht als ernstliche Geltendmachung des streitigen Anspruches gelten. Freilich ist die gütliche Beilegung eines Streitfalles, zumal nach Beweisführung im gerichtlichen Verfahren, grundsätzlich als eine Art der Geltendmachung des Anspruches zu betrachten. Man hat es hiebei - abgesehen von Kollokationsstreitigkeiten, wofür die besondern Vorschriften des Art. 66 KV gelten - nicht mit einem Verzicht im Sinne des
Art. 260 SchKG
zu tun. Die Gläubigergesamtheit kann daher einem solchen Vergleich auch ohne Vorbehalt von Abtretungen an einzelne Gläubiger zustimmen (
BGE 52 III 67
unten; bisweilen wird gleichwohl die Möglichkeit von Abtretungen vorbehalten, etwa in der
BGE 86 III 124 S. 130
Weise, dass dahingehenden Begehren nur bei Sicherstellung des der Masse nach dem Vergleich zukommenden Betreffnisses entsprochen werde; vgl.
BGE 67 II 100
,
BGE 78 III 138
). Im vorliegenden Falle gedenkt die Konkursverwaltung nun aber den grössern Teil der streitigen Forderung von Fr. 1200.--, nämlich Fr. 700.--, kampflos, und ohne auch nur die gegnerischen Akten einzusehen und zu prüfen, preiszugeben, obwohl nach ihren eigenen Ausführungen in der Eingabe an die Vorinstanz und in der Rekursschrift (S. 2) für die "offenbare" Annahme der Gegnerin, die vorausgegangene Zession an die Bank sei bedingter Natur, "bis heute keine Anhaltspunkte gegeben werden konnten". Es liegt somit ein reiner (Teil-) Verzicht vor, wie ihn auf alle Fälle nur die Gläubigergesamtheit, und auch sie nur unter Vorbehalt von Abtretungen nach
Art. 260 SchKG
, aussprechen darf (
BGE 71 III 137
Erw. 2). Vollends ist bei dieser Sachlage nicht einzusehen, wieso in der auf Wahrung der Gläubigerrechte abzielenden Entscheidung der Vorinstanz eine Beschwerung eben der Gläubigergesamtheit und damit der Konkursmasse liegen soll. Vielmehr hätte jeder einzelne Gläubiger Grund gehabt, eine gegenteilige Entscheidung anzufechten.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammmer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8fc65c33-13f2-432d-aeb7-5d0d83791eb1 | Urteilskopf
97 I 685
99. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1971 i.S. Bürgerrat der Stadt Basel und Müller gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement. | Regeste
Erleichterte Einbürgerung (
Art. 27 BüG
).
Das Kind erwirbt das Kantons- und Gemeindebürgerrecht, das die Mutter besitzt oder zuletzt besass; der Geburtsort des Kindes oder dessen Wohnort zurzeit des Einbürgerungsgesuches fallen ausser Betracht, ebenso der Bürgerort der Adoptiveltern. Hat die Mutter nacheinander verschiedene Kantons- und Gemeindebürgerrechte besessen, ist das bestehende oder zuletzt besessene allein massgeblich. | Sachverhalt
ab Seite 685
BGE 97 I 685 S. 685
Am 4. Dezember 1954 gebar Adelheid Vogt, von Schönenberg und Rifferswil (Kanton Zürich), Tochter der Anna Maria Steinmann, ausserehelich den Sohn Kurt. Dieser erwarb das schweizerische Bürgerrecht seiner Mutter. Diese heiratete im Jahre 1955 den Vater des Kindes, einen deutschen Staatsangehörigen namens Helmut Stannek. Sie behielt ihr Schweizerbürgerrecht
BGE 97 I 685 S. 686
bei, Kurt dagegen wurde deutscher Staatsangehöriger; er erhielt den Geschlechtsnamen seines Vaters. Nach der Scheidung dieser Ehe kam Kurt Stannek zu den Pflegeeltern Walter und Maria Müller-Vogt nach Stäfa, welche ihn im Jahre 1960 adoptierten. Seither lebt Kurt bei ihnen. Die leibliche Mutter des Kindes heiratete im selben Jahr Christian Hans Küng; sie wurde damit Bürgerin von Mels und von Mels-Weisstannen (Kanton St. Gallen). Diese Ehe wurde am 16. November 1961 geschieden. Am 4. Juli 1969 verheiratete sich Adelheid Vogt in dritter Ehe mit René Thomas Meyer; sie wurde Bürgerin des Kantons Basel-Stadt und der Stadt Basel.
Auf Begehren der Adoptiveltern Müller vom 4. Dezember 1968 um erleichterte Einbürgerung ihres Adoptivsohnes Kurt in der Gemeinde Stäfa und nachdem die Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung geprüft sowie die Interessierten angehört worden waren, verfügte das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am 15. Juli 1971 die erleichterte Einbürgerung von Kurt Müller in das Bürgerrecht des Kantons Basel-Stadt und der Stadt Basel. Es stützte sich dabei auf Art. 27 des BG vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts (BüG).
Gegen diese Verfügung erhebt der Bürgerrat der Stadt Basel für die Bürgergemeinde Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, soweit damit Kurt Müller das Bürgerrecht der Stadt Basel erwirbt.
Zur Vernehmlassung aufgefordert, schliessen sich die Adoptiveltern von Kurt Müller der Ansicht des Beschwerdeführers an. Sie beantragen, Kurt Müller sei in das Bürgerrecht der Gemeinden Schönenberg und Rifferswil aufzunehmen, das er schon bei Geburt besessen habe. Natürlich wären sie auch einverstanden, wenn er das Bürgerrecht von Stäfa erwerben könnte.
Das EJPD beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Nach
Art. 27 Abs. 1 BüG
können Kinder einer gebürtigen Schweizerin, die wenigstens 10 Jahre in der Schweiz gelebt haben, erleichtert eingebürgert werden, wenn sie in der Schweiz wohnen und das Gesuch vor Vollendung des 22. Lebensjahres stellen. Kurt Müller (ehemals Vogt, dann Stannek)
BGE 97 I 685 S. 687
ist Kind einer gebürtigen Schweizerin. Seine Mutter war von Geburt an Bürgerin von Schönenberg und Rifferswil; sie wurde durch Heirat Bürgerin von Mels und Mels-Weisstannen; in dritter Ehe ist sie heute Bürgerin der Stadt Basel. Kurt ist in der Schweiz (als Bürger von Schönenberg und Rifferswil) geboren. Nachdem er deutscher Staatsangehöriger geworden war und in Deutschland gelebt hatte, wohnt er seit 1958 bei seinen Pflege-, heute Adoptiveltern, in der Schweiz. Er ersuchte um die erleichterte Einbürgerung, als er das 14. Altersjahr vollendet hatte. Die Erhebungen über seine Person sind günstig ausgefallen. Er erfüllt mithin alle Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung nach
Art. 27 Abs. 1 BüG
.
Nach
Art. 27 Abs. 2 BüG
erwirbt das Kind, das im erleichterten Verfahren nach Art. 27 Abs. 1 eingebürgert wird, das Kantons- und Gemeindebürgerrecht, das die Mutter besitzt oder zuletzt besass, und damit das Schweizerbürgerrecht. Die Mutter des Gesuchstellers lebt. Aufgrund ihrer gegenwärtigen Ehe mit René Thomas Meyer ist sie Bürgerin des Kantons und der Stadt Basel. In Anwendung der Bestimmung des
Art. 27 Abs. 2 BüG
hat das EJPD Kurt Müller daher im Kanton Basel-Stadt und in der Stadt Basel eingebürgert. Die Bürgergemeinde der Stadt Basel ficht diese Anwendung des
Art. 27 BüG
an. Im folgenden ist daher zu untersuchen, ob das, was der Beschwerdeführer gegen die Anwendung des
Art. 27 BüG
vorbringt, zu einer anderen Lösung führe. Die Frage ist gemäss
Art. 104 lit. a OG
frei zu prüfen.
3.
Der Wortlaut des
Art. 27 BüG
ist klar: Das Kind erwirbt das Bürgerrecht, das die Mutter besitzt oder zuletzt besass. Es kommt bei der erleichterten Einbürgerung nach
Art. 27 BüG
alles auf die Abstammung der Mutter, auf ihr Kantons- und Gemeindebürgerrecht an (vgl. hierzu Botschaft zum BüG, BBl 1951 II 700); dies im Unterschied zum ordentlichen Einbürgerungsverfahren, wo die Einbürgerung an einem beliebigen Ort stattfinden kann (
Art. 12 BüG
), oder auch zur Wiedereinbürgerung, die in jenes Kantons- und Gemeindebürgerrecht erfolgt, das der Gesuchsteller zuletzt besessen hat (
Art. 24 BüG
). Wenn der Beschwerdeführer aus dem Wortlaut und dem Sinn des
Art. 27 BüG
etwas anderes ableiten will, geht er fehl. Die ratio legis dieser Gesetzesbestimmung schliesst in unmissverständlicher Weise aus, dass auf ein anderes Kriterium als auf das Bürgerrecht der Mutter abgestellt wird. Der Geburtsort
BGE 97 I 685 S. 688
des Kindes oder dessen Wohnort zurzeit des Einbürgerungsgesuches fallen ausser Betracht. Ausgeschlossen ist auch, an den Bürgerort der Adoptiveltern anzuknüpfen; die Kindesannahme hat auf den Erwerb oder den Verlust des Bürgerrechtes nach geltendem Recht keine Wirkung (
Art. 7 BüG
; vgl. jedoch de lege ferenda die Botschaft des Bundesrates vom 12. Mai 1971 über die Änderung des ZGB [Adoption und
Art. 321 ZGB
], BBl 1971 I 1270).
Es kann sich lediglich fragen, was zu geschehen hat, wenn die Mutter - wie hier - nacheinander verschiedene Kantons- und Gemeindebürgerrechte besass. Der Gesetzgeber hat diese Frage eindeutig beantwortet. Er knüpft in
Art. 27 Abs. 2 BüG
an das Bürgerrecht an, das die Mutter "besitzt oder zuletzt besass". Das kann nur heissen, dass für die erleichterte Einbürgerung eines Kindes in einem Fall, wie dem vorliegenden, das im Augenblick der Einbürgerung bestehende Bürgerrecht der Mutter allein massgeblich ist. Alle andern "möglichen" und unter Umständen auch vernünftigen Lösungen scheiden einfach aus. Diese Ordnung entspricht dem traditionellen Prinzip der Einheit des Bürgerrechts (
BGE 69 I 142
f.), das u.a. auch in den
Art. 32 Abs. 1 und 33 BüG
zum Ausdruck kommt. Wohl wäre eine andere Regelung möglich. In den Vorarbeiten zum BüG sind denn auch andere Lösungen erwogen worden (vgl. Entwurf und Bericht zu einem BüG von Dr. M. Ruth, Art. 26, S. 139, und von Dr. J. Meyer, Art. 21, S. 154 f., beide aus dem Jahre 1949); Gesetz wurden sie nicht.
Es entspricht demnach vollends der geltenden Ordnung, dass Kurt Müller durch erleichterte Einbürgerung das Bürgerrecht erwirbt, das seine Mutter zurzeit besitzt.
4.
Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, diese starre Anwendung der geltenden Ordnung führe zu keinem vernünftigen Ergebnis. Es sei daher nur bei jenen Gemeindebürgerrechten anzuknüpfen, welche dem Kind eine echte Beziehung zur neuen Heimat verschaffen könnten. Dieser Einwand ist unbehelflich. Das Gesetz sieht keine Ausnahmen vor, die ein Abweichen von der in
Art. 27 BüG
vorgesehenen Regel erlauben würden.
An diesem Ergebnis kann auch nichts ändern, dass Kurt Müller bei seiner Geburt Bürger von Schönenberg und Rifferswil war (
Art. 1 lit. b BüG
). Diese Tatsache wäre bei einer Wiedereinbürgerung nach
Art. 18 ff. BüG
massgebend, weil
BGE 97 I 685 S. 689
dabei an das Bürgerrecht angeknüpft wird, das der Gesuchsteller zuletzt besessen hat (
Art. 24 BüG
). Kurt Müller kann jedoch nicht nach
Art. 18 ff. BüG
wiedereingebürgert werden, da für ihn keine der in den Art. 19, 20, 21, 22 und 23 BüG abschliessend aufgezählten Voraussetzungen zutrifft.
Das Einbürgerungsverfahren nach den Bestimmungen der Art. 26 ff. ist mithin das Richtige. Die Verfügung, durch welche Kurt Müller im erleichterten Verfahren und in Anwendung von
Art. 27 BüG
im Kanton Basel-Stadt und in der Stadt Basel eingebürgert wird, verletzt Bundesrecht nicht. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8fc8faeb-2431-4d67-911f-1ad93f5ed168 | Urteilskopf
106 IV 65
23. Sentenza della Corte di cassazione penale dell'11 febbraio 1980 nella causa X. c. Dipartimento di Polizia del Cantone Ticino (ricorso per cassazione) | Regeste
1.
Art. 30 Abs. 1 OG
. Die Unterschrift auf der Rückseite des Umschlags, in dem eine nicht unterzeichnete Rechtsschrift eingereicht wird, ersetzt rechtsgültig die fehlende Unterschrift (Bestätigung der Rechtsprechung) (Erw. 1).
2.
Art. 20 VRV
. Dass Motorfahrzeuge ohne Kontrollschilder geschleppt werden dürfen, heisst nicht, dass sie auch ohne Schilder auf öffentlichen Strassen oder Parkplätzen parkiert werden dürfen (Erw. 2).
3.
Art. 34 StGB
. Indessen kann sich auf Notstand berufen, wer wegen einer aufgetretenen Störung, die die sichere Fortsetzung der Schleppfahrt ausschliesst und nicht sogleich behoben werden kann, das geschleppte Motorfahrzeug ohne Schilder auf öffentlicher Strasse oder öffentlichem Parkplatz stehen lässt, solange die Behebung der Störung es erfordert (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 106 IV 65 S. 66
X. trainava il 14 agosto 1979 con una jeep a carrello un'autovettura accidentata di marca Citroën, che era stata ritirata a Lugano e doveva essere portata a Rancate. In seguito ad un guasto del carrello della jeep egli lasciava l'autovettura Citroën su un parcheggio pubblico sito in territorio di Melide. Il Dipartimento di polizia del Cantone Ticino infliggeva il 28 settembre 1979 a X. una multa di Fr. 40.-- per avere "abbandonato una vettura marca "Citroën" accidentata e sprovvista di targhe su area pubblica".
BGE 106 IV 65 S. 67
Adito dall'interessato, il Tribunale cantonale amministrativo ne respingeva il gravame con sentenza del 21 dicembre 1979.
Su denuncia della polizia, il Procuratore pubblico aveva iniziato altresì un procedimento penale per perturbamento colposo della circolazione pubblica ai sensi dell'
art. 237 n. 2 CP
; egli lo abbandonava tuttavia con decisione del 22 gennaio 1980, riconoscendo al denunciato l'esimente della causa di forza maggiore.
Con ricorso per cassazione X. ha impugnato la sentenza del Tribunale cantonale amministrativo, chiedendo il suo annullamento e il rinvio della causa a detto tribunale perché lo assolva.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il ricorrente ha presentato dapprima il 21 dicembre 1979 la dichiarazione di ricorso per cassazione, e, successivamente, il 22 gennaio 1980, la motivazione dello stesso; la dichiarazione di ricorso non conteneva alcuna motivazione. Mentre la dichiarazione era debitamente firmata, l'atto contenente la motivazione non era sottoscritto. Tale omissione non può tuttavia nuocere al ricorrente e implicare l'inammissibilità del suo gravame, dato che la sua firma manoscritta risulta apposta a tergo della busta in cui l'atto con la motivazione è stato trasmesso: secondo la giurisprudenza del Tribunale federale (
DTF 102 IV 143
;
DTF 77 II 352
), tale firma figurante sulla busta può validamente sostituire quella mancante nell'atto in essa contenuto.
2.
Nel suo gravame il ricorrente censura, come già aveva fatto nel corso della procedura in sede cantonale, una pretesa violazione dell'
art. 1 CP
, secondo il quale nessuno può essere punito per un fatto a cui non sia dalla legge espressamente comminata una pena. Il combinato disposto degli art. 20 e 96 dell'ordinanza sulle norme della circolazione stradale (ONCS), e dell'art. 103 cpv. 2 della legge federale sulla circolazione stradale costituisce tuttavia una base legale sufficiente per la punibilità del parcheggio su area pubblica di veicoli a motore sprovvisti di targhe. Né l'ambito di questa punibilità può essere limitato dall'assenza di una norma speciale che vieti il parcheggio senza targhe su area pubblica di veicoli a motore autorizzati ad essere rimorchiati su strada anche se sprovvisti di targhe. Che i veicoli a motore possano essere sprovvisti di targhe quando sono al traino con carrello non significa ancora che gli
BGE 106 IV 65 S. 68
stessi veicoli possano anche essere parcheggiati per una certa durata senza targhe su aree pubbliche.
3.
Neppure il richiamo all'
art. 18 CP
, rinnovato in questa sede dal ricorrente, può giovargli. Egli sapeva infatti, o avrebbe in ogni modo dovuto sapere, che non possono essere posteggiati su area pubblica veicoli a motore sprovvisti di targhe. Ne segue che egli ha comunque violato, intenzionalmente o per negligenza, l'art. 20 ONCS.
4.
Il ricorrente invoca altresì l'
art. 20 CP
, ossia fa valere l'errore di diritto. La sua censura va intesa nel senso che egli assume d'essere stato convinto che, nelle circostanze concrete, il posteggio senza targhe dell'autovettura gli fosse consentito. In realtà, egli non versava in un errore di diritto, bensì aveva apprezzato esattamente la situazione giuridica. Come emerge dal decreto d'abbandono della Procura pubblica sottocenerina, egli aveva agito per ragioni di forza maggiore. Non potendo proseguire la marcia a causa del guasto del carrello, il ricorrente, soppesando correttamente i contrapposti interessi, aveva scelto la soluzione meno rischiosa, ossia quella di parcheggiare l'autovettura in un posteggio, fuori della strada percorsa dal traffico. Né vi sono ragioni per dubitare di quanto egli afferma - la sua versione dei fatti è stata d'altronde accettata dal Tribunale cantonale amministrativo - allorché dichiara d'essersi sforzato di porre rimedio a questa imprevista situazione irregolare. Egli si trovava, in altre parole, in stato di necessità ai sensi dell'
art. 34 CP
. Non gli può nuocere che, profano di diritto, non abbia invocato espressamente nel suo ricorso lo stato di necessità; che ad esso egli nondimeno si riferisca sostanzialmente, è desumibile dalla sua motivazione e dall'esemplare del decreto di abbandono allegato al ricorso.
La decisione impugnata dev'essere pertanto annullata e la causa rinviata al Tribunale cantonale amministrativo perché assolva il ricorrente, potendo lo stesso beneficiare dell'esimente dello stato di necessità.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è accolto, la decisione impugnata è annullata e la causa è rinviata al Tribunale cantonale amministrativo perché assolva il ricorrente. | null | nan | it | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8fce10c6-56d0-40cb-a03c-869f8adf4fa1 | Urteilskopf
139 II 384
28. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause Makhlouf contre Département fédéral de l'économie, de la formation et de la recherche (recours en matière de droit public)
2C_721/2012 du 27 mai 2013 | Regeste
Verordnung über Massnahmen gegenüber Syrien; Verfahren zur Anfechtung einer Aufnahme in die Liste der Personen, gegen die sich die Zwangsmassnahmen richten.
Gesetzliche Grundlage und Rechtsnatur der Zwangsmassnahmen (E. 2.1 und 2.2). Wer sich gegen seine Aufnahme in den Anhang der Verordnung zur Wehr setzen will, kann nicht die Verordnung als solche anfechten, sondern muss beim zuständigen eidgenössischen Departement die Streichung seines Namens beantragen (E. 2.3). | Sachverhalt
ab Seite 384
BGE 139 II 384 S. 384
A.
Le 9 mai 2011, le Conseil de l'Union européenne (ci-après: le Conseil) a adopté la décision 2011/273/PESC concernant des mesures restrictives en raison de la situation en Syrie (JO L 121 du 10 mai
BGE 139 II 384 S. 385
2011 p. 11). Cette décision institue notamment une interdiction d'entrée et de transit sur le territoire de l'Union des personnes mentionnées dans une annexe (art. 3 par. 1) et le gel de tous les fonds et ressources économiques appartenant à l'ensemble des personnes physiques ou morales, des entités et des organismes énumérés dans cette annexe (art. 4 par. 1; voir également Règlement [UE] n° 442/2011 du Conseil du 9 mai 2011 concernant des mesures restrictives en raison de la situation en Syrie [JO L 121 du 10 mai 2011 p. 1]).
B.
Le 18 mai 2011, le Conseil fédéral suisse a édicté l'ordonnance instituant des mesures à l'encontre de la Syrie (RO 2011 2193; ci-après: aO-Syrie). Ces mesures de coercition comprenaient notamment le gel des avoirs et des ressources économiques appartenant à ou sous contrôle des personnes physiques, entreprises et entités mentionnées dans l'annexe 2 (art. 2 al. 1 aO-Syrie), ainsi que, pour les personnes physiques citées dans dite annexe, une interdiction d'entrée en Suisse et de transit par la Suisse (art. 4 al. 1 aO-Syrie).
L'annexe 2 a été modifiée à plusieurs reprises par le Département fédéral de l'économie - devenu entre-temps le Département fédéral de l'économie, de la formation et de la recherche (ci-après: le Département) -, la première fois le 24 mai 2011 (RO 2011 2285) et la dernière le 4 juin 2012 (RO 2012 3257).
Dans sa nouvelle teneur du 16 août 2011 (RO 2011 3807), l'annexe 2 mentionnait en 33
e
position "Mohammed Makhlouf (alias Abu Rami)", avec les informations d'identification "né à Latakia (Syrie) le 19.10.1932" et les indications suivantes sous la rubrique "Fonction resp. motifs":
"Proche associé et oncle maternel de Bachar et Mahir Al-Assad, associé d'affaires et père de Rami, Ihab et Iyad Makhlouf."
Par acte du 16 septembre 2011, Mohamad Makhlouf a recouru au Tribunal administratif fédéral contre la modification du 16 août 2011 de l'annexe 2 de l'aO-Syrie. Il a conclu principalement à ce qu'il soit ordonné à l'autorité compétente de le radier de ladite annexe et à ce que les mesures de blocage frappant ses avoirs soient levées.
C.
Le 8 juin 2012, le Conseil fédéral a édicté une nouvelle ordonnance instituant des mesures à l'encontre de la Syrie (RS 946.231. 172.7; ci-après: O-Syrie). Celle-ci est entrée en vigueur le lendemain, en abrogeant celle du 18 mai 2011. Elle prévoit des mesures similaires à celles de la précédente, à l'encontre des personnes mentionnées dans une annexe 7, où figure Mohamad Makhlouf.
BGE 139 II 384 S. 386
Par arrêt du 14 juin 2012, le Tribunal administratif fédéral est entré en matière sur le recours de Mohamad Makhlouf et l'a rejeté. Sur le plan de la recevabilité, il a considéré que Mohamad Makhlouf contestait son inscription respectivement dans l'annexe 2 de l'aO-Syrie et dans l'annexe 7 de l'O-Syrie. Bien qu'elle ait été effectuée dans l'annexe d'une ordonnance du Conseil fédéral, cette inscription avait pour effet de soumettre l'intéressé à des mesures de coercition (gel de ses avoirs, interdiction d'entrée et de transit sur territoire suisse) suffisamment individualisées et concrétisées pour qu'elle présente les caractéristiques matérielles d'une décision au sens de l'art. 5 de la loi fédérale du 20 décembre 1968 sur la procédure administrative (PA; RS 172.021). (...)
D.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, Mohamad Makhlouf demande au Tribunal fédéral (...) d'annuler l'arrêt du 14 juin 2012 ainsi que, dans la mesure où elles le concernent, l'aO-Syrie dans sa teneur du 16 août 2011 et l'O-Syrie et d'ordonner au Département et à toute autorité compétente de lever (...) les mesures prises à son encontre (...).
L'autorité précédente a renoncé à se déterminer sur le recours. Le Département a proposé de le rejeter.
Dans un premier temps, le Tribunal fédéral a examiné si l'autorité précédente était à bon droit entrée en matière sur le recours dirigé directement contre une ordonnance du Conseil fédéral. Il a tranché la question par la négative, mais a considéré qu'un renvoi de la cause à l'autorité compétente, à savoir le Département, ne s'imposait pas et qu'il pouvait ainsi revoir l'arrêt attaqué sur le fond.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
Comme l'aO-Syrie, l'O-Syrie fait partie des ordonnances du Conseil fédéral servant à mettre en oeuvre des sanctions internationales à l'égard d'Etats, de mouvements ou de personnes (pour une présentation chronologique et systématique de ces textes, voir ROLAND E. VOCK, Die Umsetzung wirtschaftlicher Embargomassnahmen durch die Schweiz, in Allgemeines Aussenwirtschafts- und Binnenmarktrecht, SBVR vol. XI, 2
e
éd. 2007, p. 239 ss n. 61 ss; ANDREA CLAUDIO CARONI, Finanzsanktionen der Schweiz im Staats- und Völkerrecht, 2008, p. 92 ss; JÖRG KÜNZLI, Vom Umgang des Rechtsstaats mit Unrechtsregimes, 2008, not. p. 530 ss).
BGE 139 II 384 S. 387
Au nombre de ces textes figure l'ordonnance du 2 octobre 2000 instituant des mesures à l'encontre de personnes et entités liées à Oussama ben Laden, au groupe "Al-Qaïda" ou aux Taliban (RS 946.203; ci-après: l'ordonnance sur les Taliban), qui a donné lieu à l'arrêt du Tribunal fédéral du 14 novembre 2007 en la cause Youssef Nada, publié aux
ATF 133 II 450
. A la suite de cet arrêt, Youssef Nada a porté sa cause devant la Cour européenne des droits de l'homme. Par arrêt de la Grande Chambre du 12 septembre 2012, celle-ci a considéré qu'il y avait eu violation par la Suisse de l'art. 13 combiné avec l'
art. 8 CEDH
(arrêt
Nada Youssef Mustapha contre Suisse
, § 209 ss).
Depuis le 1
er
janvier 2003, les ordonnances en question reposent sur la loi fédérale du 22 mars 2002 sur l'application de sanctions internationales (loi sur les embargos, LEmb; RS 946.231), entrée en vigueur à cette date.
Selon l'
art. 1 al. 1 LEmb
, la Confédération peut édicter des mesures de coercition pour appliquer les sanctions visant à faire respecter le droit international public, en particulier les droits de l'homme, décrétées par l'Organisation des Nations Unies, par l'Organisation pour la sécurité et la coopération en Europe ou par les principaux partenaires commerciaux de la Suisse. La compétence d'édicter des mesures de coercition appartient au Conseil fédéral (
art. 2 al. 1 LEmb
). Ces mesures prennent la forme d'ordonnances (
art. 2 al. 3 LEmb
), car il s'agit de normes abstraites de portée générale (Message du 20 décembre 2000 concernant la loi fédérale sur l'application de sanctions internationales [adoptée sous le nom de loi sur les embargos], FF 2001 1363 ch. 2.1.1). En vertu de l'
art. 16 LEmb
, le département compétent - à savoir le Département fédéral de l'économie, de la formation et de la recherche - peut adapter ("nachführen", "aggiornare") les annexes des ordonnances visées à l'art. 2 al. 3.
2.2
A propos de l'ordonnance sur les Taliban, certains auteurs considèrent que les mesures qu'elle prévoit sont de nature individuelle et abstraite (FELIX UHLMANN, in VwVG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2009, n
os
44 s. ad
art. 5 PA
; WIEDERKEHR/RICHLI, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, vol. I, 2012, p. 117 ss n. 378 ss, qui parlent d'acte normatif réglant une situation particulière ["Einzelfallgesetz"]). OESCH distingue entre les différentes sortes de mesures instituées par ce genre d'ordonnances: l'embargo "classique" consistant à interdire la fourniture de certains biens tels que des équipements militaires, l'interdiction faite à
BGE 139 II 384 S. 388
certaines personnes d'entrer en Suisse et de transiter par ce pays et le gel des avoirs de personnes déterminées. Selon cet auteur, alors que les premières ont le caractère général et abstrait d'un acte normatif, les deuxièmes sont de nature individuelle et concrète: elles règlent des droits et des obligations pour un nombre restreint de destinataires, nommément désignés, et au regard d'une situation précise, dans des limites temporelles et spatiales déterminables. Les mesures de gel des avoirs entrent elles aussi plutôt dans la catégorie des décisions individuelles et concrètes. Il est toutefois aussi concevable de les qualifier de mesures individuelles et abstraites, dès lors qu'elles touchent un nombre déterminé de personnes ou d'entités citées nommément, en se rapportant de manière générale à tous leurs avoirs se trouvant en Suisse - au lieu de se limiter par exemple à des comptes bancaires spécifiques - (MATTHIAS OESCH, UNO-Sanktionen und ihre Umsetzung im schweizerischen Recht, RSDIE 2009 p. 347 s.).
La catégorie des mesures individuelles et abstraites est mal connue en droit suisse et son régime peu clair (cf. MARKUS MÜLLER, in Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2008, n° 25 ad
art. 5 PA
). Les auteurs précités la rattachent aux décisions (UHLMANN, op. cit., n° 44 ad
art. 5 PA
; OESCH, op. cit., p. 348 note de bas de page 45), WIEDERKEHR/RICHLI précisant que cette assimilation répond à un besoin de protection juridictionnelle (op. cit., p. 806 n. 2252). UHLMANN relève que la forme de l'ordonnance n'est pas incontestable dans ces conditions et ne doit en tout cas pas conduire à exclure toute protection juridictionnelle (op. cit., n° 45 ad
art. 5 PA
).
Certains auteurs se réfèrent à l'
ATF 133 II 450
, qu'ils interprètent en ce sens que l'inscription d'une personne sur l'annexe de l'ordonnance sur les Taliban constituerait en elle-même une décision attaquable (OESCH, op. cit., p. 348; cf. aussi MOOR/POLTIER, Droit administratif, vol. II, 3
e
éd. 2011, p. 199 note de bas de page 111, selon lesquels cette qualification représenterait un cas-limite; CARONI, op. cit., p. 86 note de bas de page 361). Pourtant, il ressort plus exactement de cet arrêt que l'inscription d'une personne sur l'annexe de l'ordonnance sur les Taliban (ou sa radiation de ladite annexe) ne constitue pas en elle-même une décision au sens de l'
art. 5 PA
, mais, en tant qu'elle affecte les droits fondamentaux de cette personne, produit les mêmes effets qu'une décision. Lorsque l'autorité compétente est saisie d'une requête de l'intéressé tendant à sa radiation de
BGE 139 II 384 S. 389
l'annexe - ce qui revient il est vrai à demander la modification de l'ordonnance -, elle doit dès lors statuer sur celle-ci en rendant une décision sujette à recours, de manière à offrir une protection juridictionnelle (consid. 2.1 p. 454; dans ce sens: WIEDERKEHR/RICHLI, op. cit., p. 117 n. 380, p. 802 n. 2214 en rel. avec n. 2216; UHLMANN, op. cit., n° 9 ad
art. 5 PA
note de bas de page 24; cf. aussi WALDMANN/SCHMITT, La nature juridique controversée d'une ordonnance du Conseil d'Etat, Revue fribourgeoise de jurisprudence [RFJ] 2009 p. 130; GAZZINI/FELLRATH, La procédure de gestion des listes de personnes affectées par les sanctions des Nations Unies devant le Tribunal fédéral suisse, RDAF 2009 I p. 149, selon lesquels ce sont les décisions du Département concernant la gestion de la liste suisse qui sont sujettes à recours).
2.3
La LEmb prévoit expressément que le Conseil fédéral édicte les mesures de coercition sous la forme d'ordonnances (art. 2 al. 3), dont l'annexe mentionnant les personnes et entités visées est une partie intégrante. L'usage de cette forme crée l'apparence d'un texte normatif (selon l'
art. 182 al. 1 Cst.
, la forme de l'ordonnance est utilisée par le Conseil fédéral pour édicter des règles de droit), qui n'est pas attaquable en tant que tel - en l'absence d'un contrôle abstrait -, mais seulement à l'occasion du prononcé d'une décision fondée sur celui-ci. Faire abstraction de la forme d'un tel acte pour y voir une décision matérielle directement sujette à recours entraîne une insécurité juridique. Il convient plutôt d'admettre que l'ordonnance - y compris son annexe mentionnant les personnes et entités visées - ne peut être contestée en tant que telle. Comme dans l'affaire à la base de l'
ATF 133 II 450
, l'intéressé doit requérir sa radiation auprès du département compétent, lequel est tenu de statuer sur la requête en rendant une décision, afin d'offrir une protection juridictionnelle (consid. 2.1 p. 454). Il y a d'autant moins de raison de s'écarter de la procédure suivie dans ce précédent que la LEmb, qui est postérieure à l'ordonnance sur les Taliban, a en quelque sorte consacré la procédure de radiation de l'annexe d'une telle ordonnance, en prévoyant que le Département est compétent pour adapter lesdites annexes (
art. 16 LEmb
). Le Département en question étant l'autorité administrative spécialisée, qui a un accès aux sources d'informations plus large que les autorités judiciaires, la tenue d'une procédure devant lui permet de mener une instruction et de pallier le fait - dont le recourant se plaint précisément en l'espèce - que les listes originelles de personnes et d'entités visées par les mesures de coercition
BGE 139 II 384 S. 390
doivent souvent être établies sur la base d'informations relativement sommaires, fréquemment collectées par les organisations ou pays étrangers à l'origine des sanctions (voir à cet égard VOCK, op. cit., p. 2775 s. n. 167 s.).
Comme les mesures de coercition instituées par les ordonnances reposant sur la LEmb affectent des droits de caractère civil au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, cette disposition doit être respectée. Celle-ci garantit l'accès à un juge et les clauses d'irrecevabilité des art. 32 al. 1 let. a de la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal administratif fédéral (LTAF; RS 173.32) et 83 let. a LTF ne sont pas applicables (arrêt 2C_349/2012 du 18 mars 2013 consid. 1.1.1;
ATF 133 II 450
consid. 2.2 p. 454 s. s'agissant de la disposition de l'OJ correspondant à l'
art. 83 let. a LTF
). La décision rendue par le Département peut donc ensuite être déférée au Tribunal administratif fédéral et le prononcé de ce dernier au Tribunal de céans (cf. arrêt 2C_349/2012 précité, consid. 1.1.3).
Il découle de ce qui précède que le recourant ne pouvait directement interjeter un recours contre l'aO-Syrie en tant qu'elle le concernait, mais devait requérir sa radiation de l'annexe auprès du Département et attaquer la décision de ce dernier. Partant, le recours interjeté le 17 juin 2011 n'était pas recevable devant l'autorité précédente. Cela n'entraîne toutefois pas la nullité de l'arrêt du Tribunal administratif fédéral du 14 juin 2012 et il n'y a pas lieu non plus d'annuler celui-ci et de renvoyer la cause au Département, afin qu'il rende une décision sur le bien-fondé de l'inscription du recourant dans l'annexe de l'O-Syrie. L'annulation, en effet, ne s'impose pas, du moment qu'aucun des participants à la procédure - ni, en particulier, le recourant, qui a choisi de contester son inscription directement devant l'autorité précédente, ni le Département - ne la requiert; quant au renvoi à cette dernière autorité, il représenterait un détour procédural inutile, dès lors que ledit Département s'est amplement déterminé devant l'autorité précédente et le Tribunal de céans et que sa position est ainsi suffisamment connue (cf., par analogie, la jurisprudence rendue en matière d'assurances sociales, selon laquelle, pour des motifs d'économie de procédure, le Tribunal fédéral renonce à annuler la décision rendue par une autorité incompétente et à renvoyer le dossier à celle qui est compétente, lorsque les participants à la procédure ne se plaignent pas du vice affectant le prononcé et que la cause est en état d'être jugée: arrêts 9C_891/2010 du 31 décembre
BGE 139 II 384 S. 391
2010 consid. 2.2; I 232/03 du 22 janvier 2004 consid. 4.2.1, in SVR 2005 IV n° 39 p. 145; U 152/02 du 18 février 2003 consid. 2.1). Rien ne s'oppose par conséquent à ce que le Tribunal de céans examine l'arrêt attaqué sur le fond. | public_law | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fce5b01-61bd-47ee-ac32-c46da675eaa3 | Urteilskopf
84 I 18
4. Urteil vom 29. Januar 1958 i.S. Baumgartner gegen Kleiner Rat des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 31 BV
.
1. Nicht nur der Geschäftsinhaber, sondern auch der Angestellte kann sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 2).
2. Kann der Verkauf von Waren vor der Ladentüre bewilligungspflichtig erklärt werden? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 84 I 18 S. 18
A.-
Nach Art. 2 des bündnerischen Gesetzes über die Ausübung von Handel und Gewerbe (HGG) vom 7. April 1929 muss, wer im Kanton ein Hausier- oder Wandergewerbe ausüben will, zuvor ein kantonales Patent lösen. Unter den Begriff des Hausier- und Wandergewerbes fällt nach Art. 1 Ziff. 2 des Gesetzes auch "das vorübergehende Feilbieten eines Warenlagers ausserhalb des Geschäftslokals, sei es, dass die Waren von einer festen Verkaufsstelle aus feilgeboten oder von einem im Kanton befindlichen Depot aus auf dem Hausierwege verschleisst oder von Ort zu Ort gebracht werden (Wanderlager)". Die kantonale Patentgebühr beträgt je nach dem Umfang des betreffenden Hausier- oder Wandergewerbes 2 bis 1000 Franken im Monat (Art. 19). Verletzungen der Patentpflicht werden vom Kleinen Rat mit Bussen bis zu 1000
BGE 84 I 18 S. 19
Franken bestraft (Art. 41 Abs. 2); allfällig umgangene Gebühren sind nachzuzahlen (Art. 44 Abs. 1).
B.-
Das Schuhhaus Wergles & Co. in St. Moritz verkauft nebenbei Strumpfwaren, die es von der Firma Fischlin in Bern bezieht. Während der Sommer-Hochsaison errichtet es hiefür vor dem Schuhladen auf dem ihm gehörenden Vorplatz zwischen dem Haus und dem Gehsteig der Dorfstrasse einen Verkaufsstand, an dem ein von der Firma Fischlin zur Verfügung gestellter Verkäufer den Strumpfverkauf besorgt. Vom 15. Juli bis zum 12. August 1957 übte Walter Baumgartner diese Tätigkeit aus. Weil er dafür kein Patent gelöst hatte, verurteilte ihn die kantonale Polizeiabteilung am 5. September 1957 zu einer Busse von Fr. 20.-, zur Tragung der Kosten von Fr. 5.- und zur Nachzahlung einer Patentgebühr von Fr. 90.-. Die Einsprache, die Baumgartner dagegen erhob, hat der Kleine Rat des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 30. September 1957 abgewiesen.
C.-
Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung der
Art. 4 und 31 BV
beantragt Baumgartner, der Einspracheentscheid sei aufzuheben, eventuell aber sei ihm die Nachzahlung der Patentgebühr zu erlassen.
D.-
Der Kleine Rat des Kantons Graubünden schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Auffassung des Kleinen Rates erfüllt die Geschäftstätigkeit des Beschwerdeführers in klarer Weise den in Art. 1 Ziff. 2 HGG umschriebenen Tatbestand des Feilbietens eines Warenlagers ausserhalb des Geschäftslokals. Der Beschwerdeführer bezeichnet diese Feststellung insofern als willkürrlich, als die kantonale Instanz angenommen hat, das Warenlager sei "ausserhalb des Geschäftslokals" feilgeboten worden.
Bei Prüfung dieser Einwendung fällt in Betracht, dass Art. 1 HGG in Ziff. 1 das eigentliche Hausieren ("Feilbieten
BGE 84 I 18 S. 20
von Waren durch Umhertragen in den Strassen, auf öffentlichen Plätzen oder von Haus zu Haus") erfasst, in Ziff. 2 verschiedene Fälle des vorübergehenden Feilbietens eines Warenlagers ausserhalb des Geschäftslokals, in Ziff. 3 den gewerbsmässigen Ankauf oder Tausch von Waren im Umherziehen und in Ziff. 4 den sonstigen Betrieb eines Gewerbes im Umherziehen. Im Einklang mit dem gewöhnlichen Sprachgebrauch liegt das notwendige Merkmal des Hausier- und Wandergewerbes nach Ziff. 1, 3 und 4 darin, dass Ware im Umherziehen veräussert wird. Ebendas gilt von Ziff. 2, soweit diese den Fall betrifft, da "Waren ... von einem im Kanton befindlichen Depot aus auf dem Hausierwege verschleisst oder von Ort zu Ort gebracht werden (Wanderlager)". Eine gewisse Ausdehnung erfährt der Begriff des Hausier- und Wandergewerbes in der letztgenannten Ziffer dadurch, dass sie ausdrücklich auch das "Feilbieten eines Warenlagers ... von einer festen Verkaufsstelle aus" patentpflichtig erklärt, sofern es vorübergehend und ausserhalb des Geschäftslokals erfolgt. Die Tragweite dieser Vorschrift ist nicht ohne weiteres zu überblicken. Sie dürfte im Sinne einer Generalklausel jeden vorübergehenden, ausserhalb des Geschäftslokals ausgeübten Warenhandel erfassen, der aus einem der in Erw. 3 umschriebenen fiskalischen oder polizeilichen Gründe dem Hausier- und Wandergewerbe zugerechnet werden muss. Ob sie darüber hinaus, wie der Kleine Rat annimmt, stets schon Platz greife, wenn ein Ladeninhaber vor der Ladentüre (als der "einzigen logischen und eindeutigen Abgrenzung des Geschäftslokals") einen Verkaufsstand aufschlägt, und ob die Bestimmung demgemäss ohne Willkür auch auf den vorliegenden Fall angewendet werden könne, kann offen bleiben, da eine Vorschrift, die in diesem Sinne ausgelegt werden müsste, jedenfalls gegen
Art. 31 BV
verstiesse.
2.
Es fragt sich indes zunächst, ob der Beschwerdeführer sich auf diesen Verfassungssatz berufen könne. Er ist zweifellos nicht befugt, eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen
BGE 84 I 18 S. 21
Freiheit des Schuhhauses Wergles & Co. oder der Firma Fischlin zu rügen, die beide nicht Beschwerde führen; er kann sich vielmehr nur über eine Verletzung seiner eigenen, rechtlich geschützten Interessen beschweren (
Art. 88 OG
). Das Bundesgericht hat jedoch in früheren Urteilen nur den Geschäftsinhaber, nicht aber den Angestellten zur Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 31 BV
zugelassen, da nur der erstgenannte "Gewerbetreibender" sei (
BGE 63 I 229
Erw. 2,
BGE 64 I 25
Erw. 4).
Art. 31 BV
enthält indes keine Anhaltspunkte für die Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit auf Selbständig-Erwerbende; der Sinn dieses Freiheitsrechts - die Gewährleistung der Freiheit in der Erwerbstätigkeit - verlangt vielmehr auch den Schutz der unselbständigen Erwerbstätigkeit (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit, S. 60 ff.). Dass auch der Angestellte durch staatliche Eingriffe in seine Erwerbstätigkeit nicht nur in seinen tatsächlichen, sondern zudem in seinen rechtlichen geschützten Interessen verletzt sein kann, ist schon bei früherer Gelegenheit stillschweigend vorausgesetzt worden (vgl.
BGE 57 I 100
ff.,
BGE 81 I 18
ff.), und zeigt sich gerade in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem weder das Schuhhaus Wergles & Co. noch die Firma Fischlin unmittelbar von einem Rechtsnachteil betroffen worden ist, sondern allein der Beschwerdeführer, der gebüsst und zur Nachzahlung der Patentgebühr verpflichtet worden ist. Es muss ihm daher zustehen, wegen Verletzung des
Art. 31 BV
Beschwerde zu erheben.
Kann auch Art. 1 Ziff. 2 HGG selbst nicht mehr mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, weil die Frist dazu längst abgelaufen ist, so kann doch seine Verfassungswidrigkeit noch in jedem einzelnen Anwendungsfall gerügt und verlangt werden, dass die ihn anwendende Entscheidung deswegen aufgehoben werde (
BGE 81 I 25
und 182 Erw. 2;
BGE 82 I 222
;
BGE 83 I 113
/114 und 252 Erw. 1).
3.
Art. 31 BV
, der die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen
BGE 84 I 18 S. 22
über die Ausübung von Handel und Gewerben sowie deren Besteuerung vor; diese dürfen jedoch ihrerseits den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen. Auf Grund dieser Vorschrift - die inhaltlich mit dem früheren
Art. 31 lit. e BV
übereinstimmt - sind die Kantone nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts befugt, das Hausieren und ähnliche im Umherziehen ausgeübte Gewerbe, wie insbesondere die Veranstaltung von Warenlagern, der Patentpflicht und einer mit der Bewilligung verbundenen Sondersteuer zu unterwerfen. Diese Beschränkungen lassen sich damit rechtfertigen, dass solche Wanderbetriebe das Publikum eher der Gefahr der Übervorteilung und Belästigung aussetzen als das ortsansässige Gewerbe, und dass sie am Orte der gewerblichen Tätigkeit nicht der ordentlichen Steuerpflicht unterliegen, wofür ein Ausgleich in der Form einer besonderen fiskalischen Belastung als angemessen erscheinen mag (
BGE 64 I 10
mit Zitaten). Die erwähnte Gefahr und die dadurch bedingte Notwendigkeit einer Überwachung ist darin zu erblicken, dass der Händler die Kunden einzeln in deren Wohnstätten aufsucht, bzw. bei Veranstaltung eines Warenlagers sich an einer für einen bestimmten Personenkreis bequem gelegenen Stelle einfindet und so den Kunden besonders nahe tritt, nach Abschluss des Geschäfts für diese aber (insbesondere im Falle von Beanstandungen) meist schwer zu erreichen ist. Die Einführung der Patentpflicht lässt sich hingegen nicht schon damit begründen, dass ein Beruf in der Öffentlichkeit ausgeübt wird (
BGE 42 I 257
,
BGE 58 I 158
).
Wenn der Inhaber eines Ladengeschäfts einen Teil seiner Waren vor dem Laden aufstellt und feilbietet, statt sie im Schaufenster auszubreiten und im Innern des Ladens zu verkaufen, so besteht grundsätzlich kein Anlass, diese Tätigkeit der Bewilligungspflicht zu unterstellen und eine Sondersteuer darauf zu erheben. Es ist nicht einzusehen und wird auch vom Kleinen Rat nicht behauptet, dass das Publikum bei einem solchen Verkauf im Freien eher Gefahr
BGE 84 I 18 S. 23
laufe, belästigt oder übervorteilt zu werden, als wenn sich der Handel ganz im Geschäftslokal abspielt. Insbesondere weiss der Kunde im einen wie im andern Falle, mit wem er es zu tun hat, und an wen er sich wegen allfälliger Mängel zu halten hat. Mit Bezug auf die behördliche Überwachung des Gewerbes begründet der Verkauf vor oder hinter der Ladentüre gleichfalls keinen Unterschied. Gestützt auf die Strassenhoheit und aus verkehrspolizeilichen Gründen könnte jedoch die Errichtung eines Verkaufsstandes nur bewilligungspflichtig erklärt werden, wenn dafür öffentlicher Boden in Anspruch genommen würde, oder wenn mit einer Beeinträchtigung des Verkehrs auf einer öffentlichen Strasse zu rechnen wäre. Das war hier nicht der Fall, da der Verkaufstisch des Beschwerdeführers auf einem dem Schuhhaus Wergles & Co. gehörenden Vorplatz stand und nicht ersichtlich ist, dass die Bedienung der Kunden den Verkehr auf dem Gehsteig der Dorfstrasse behindert hätte. Da die Verkaufstätigkeit des Beschwerdeführers unbestrittenermassen im Auftrag und auf Rechnung des ortsansässigen Schuhhauses Wergles & Co. ausgeübt wurde und zu dessen dortigem Geschäftsbetrieb gehörte, unterlag sie mit diesem der ordentlichen Steuerpflicht. Es bestand daher kein Grund für eine besondere fiskalische Belastung; lag doch nichts vor, was durch eine solche hätte ausgeglichen werden können.
Zusammengefasst ergibt sich, dass die Gründe, die kantonale Beschränkungen des Hausier- und Wandergewerbes zu rechtfertigen vermögen, auf den vorliegenden Fall des Feilbietens von Waren vor dem Geschäftslokal des Händlers nicht zutreffen. Wenn Art. 1 Ziff. 2 diese Tätigkeit, wie die kantonale Instanz annimmt, der Patentpflicht und einer mit der Bewilligung verbundenen Sondersteuer unterwerfen sollte, so ginge er über den Rahmen dessen hinaus, was die Kantone gestützt auf
Art. 31 Abs. 2 BV
sowie kraft ihrer Strassenhoheit vorschreiben können. Sollte die Auslegung des Art. 1 Ziff. 2 HGG durch die kantonale Instanz richtig oder doch nicht willkürlich sein, so verstiesse
BGE 84 I 18 S. 24
mithin die Bestimmung selbst oder ihre ohne Willkür mögliche Anwendung gegen
Art. 31 BV
. Der angefochtene Entscheid verletzt damit wenn nicht Art. 4, so
Art. 31 BV
; er ist in jedem Falle verfassungswidrig.
Dispositiv
Demgemäss erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Entscheid des Kleinen Rates des Kantons Graubünden vom 30. September 1957 aufgehoben wird. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8fd384c8-ff2b-47eb-8407-761d8f97ee2c | Urteilskopf
109 V 82
17. Urteil vom 5. September 1983 i.S. Koch gegen Schweizerische Ausgleichskasse und Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen | Regeste
Art. 38 Abs. 2 AHVG
, 52 Abs. 3 und 4 AHVV.
Die von der Verwaltung für die Kürzung der Teilrenten aufgrund der unterschiedlichen durchschnittlichen Beitragsansätze getroffene Regelung ist bundesrechtskonform. Danach erfolgt die Kürzung, indem die Verhältniszahl zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denen seines Jahrganges mit der gemäss
Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVV
ermittelten Verhältniszahl vervielfacht wird. | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 109 V 82 S. 82
A.-
Der 1914 geborene deutsche Staatsangehörige Ernst Koch war in den Jahren 1955 bis 1961 in der Schweiz erwerbstätig gewesen und hatte während dieser Zeit Beiträge an die schweizerische Sozialversicherung geleistet.
Mit Verfügung vom 14. November 1979 sprach ihm die Schweizerische Ausgleichskasse ab 1. Dezember 1979 eine einfache Altersrente von Fr. 95.-- und eine Zusatzrente für die Ehefrau von Fr. 33.-- im Monat aufgrund eines durchschnittlichen Jahreseinkommens von Fr. 16'380.-- aus 5 Jahren und 6 Monaten gemäss Teilrentenskala 6 zu.
B.-
Ernst Koch liess gegen diese Verfügung Beschwerde einreichen mit der Begründung, das Verhältnis zwischen seinen vollen Beitragsjahren und denjenigen seines Jahrganges betrage 16,13 (5:31), so dass nach
Art. 52 Abs. 1 AHVV
Rentenskala 8 anwendbar sei. Entgegen der Auffassung der Schweizerischen Ausgleichskasse sei bei der Kürzung gemäss
Art. 52 Abs. 3 AHVV
von der massgebenden Teilrente bzw. der Teilrente in Prozenten der Vollrente und nicht vom Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denen seines Jahrganges auszugehen.
BGE 109 V 82 S. 83
Die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen stellte demgegenüber fest, dass die von der Verwaltung angewandte Berechnungsmethode gesetzeskonform und die Rentenberechnung in allen Teilen zutreffend sei (Entscheid vom 28. Oktober 1981).
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Ernst Koch die Zusprechung einer einfachen Altersrente von Fr. 106.-- und einer Zusatzrente von Fr. 37.-- im Monat beantragen. Die Schweizerische Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer nach Art. 4 des Abkommens zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964 und der anwendbaren schweizerischen Gesetzgebung mit Wirkung ab 1. Dezember 1979 Anspruch auf eine ordentliche einfache Altersrente sowie eine Zusatzrente für die 1923 geborene Ehefrau hat (Art. 21 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 29 Abs. 1 AHVG
;
Art. 22bis Abs. 1 AHVG
). Streitig und im folgenden zu prüfen ist die Berechnung der ihm zustehenden Teilrente.
2.
Nach
Art. 38 AHVG
entspricht die Teilrente einem Bruchteil der gemäss den Artikeln 34-37 AHVG zu ermittelnden Vollrente (Abs. 1). Bei der Berechnung des Bruchteils werden das Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten zu denjenigen seines Jahrganges sowie die eingetretenen Veränderungen der Beitragsansätze berücksichtigt (Abs. 2). Der Bundesrat erlässt nähere Vorschriften über die Abstufung der Renten; er kann für Fälle mit langer Beitragsdauer und verhältnismässig wenigen fehlenden Beitragsjahren besondere Regeln aufstellen (Abs. 3).
Die Abstufung der Teilrenten wird in
Art. 52 AHVV
näher geregelt. Absatz 1 der Bestimmung enthält eine Tabelle der 44 Rentenskalen und der nach dem Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denen seines Jahrganges abgestuften Teilrenten in Prozenten der Vollrente. Beträgt das Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denen seines Jahrganges mindestens 97,73 Prozent, so wird die Vollrente gewährt (Abs. 2). Ist die Verhältniszahl zwischen dem durchschnittlichen Beitragsansatz der Jahre, in denen der Versicherte
BGE 109 V 82 S. 84
Beiträge geleistet hat, und dem durchschnittlichen Beitragsansatz der Jahre, in denen sein Jahrgang Beiträge geleistet hat, kleiner als eins, so wird die Teilrente gekürzt, indem sie mit der genannten Verhältniszahl vervielfacht wird (Abs. 3). Bei der Ermittlung der durchschnittlichen Beitragsansätze gemäss Absatz 3 werden für die Jahre vor 1973 4 Lohnprozente und für die folgenden Jahre 7,8 Lohnprozente gerechnet (Abs. 4).
3.
a) Bei Entstehung des Anspruchs auf die einfache Altersrente am 1. Dezember 1979 wies der Beschwerdeführer eine Beitragsdauer von 5 Jahren und 6 Monaten auf. Das Verhältnis zwischen seinen vollen Beitragsjahren und denjenigen seines Jahrganges (1914) beträgt 16,13 (5:31). Dem entspricht nach
Art. 52 Abs. 1 AHVV
eine Teilrente von 18,18% gemäss Rentenskala 8. Weil der durchschnittliche Beitragsansatz der Jahre, in welchen der Beschwerdeführer Beiträge entrichtet hat (1955-1961), niedriger ist als derjenige der Jahre, in denen sein Jahrgang Beiträge geleistet hat, ist die Teilrente gemäss
Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVV
zu kürzen. Streitig ist die Berechnungsmethode dieser Kürzung. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass zunächst im Sinne von
Art. 52 Abs. 1 AHVV
aufgrund des Verhältnisses zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denen seines Jahrganges die Teilrente in Prozenten der Vollrente zu bestimmen und hierauf diese Zahl mit der Verhältniszahl gemäss
Art. 52 Abs. 3 AHVV
zu vervielfachen sei. Verwaltung und Vorinstanz haben demgegenüber nicht die Teilrente in Prozenten der Vollrente, sondern die Verhältniszahl zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denen seines Jahrganges in Prozenten mit der gemäss
Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVV
ermittelten Verhältniszahl multipliziert.
b) Der Beschwerdeführer stützt seine Auffassung vorab auf den Wortlaut des
Art. 52 Abs. 3 AHVV
, wonach unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen eine Kürzung der Teilrente vorzunehmen ist. Daraus folge, dass die "Teilrente in Prozenten der Vollrente" zu kürzen sei, da der Begriff "Teilrente" nur als relativer Anspruch gemäss
Art. 52 Abs. 1 AHVV
verstanden werden könne. Der absolute Anspruch "Teilrente" gemäss
Art. 38 Abs. 1 AHVG
könne nicht gemeint sein, da sich dieser erst durch Anwendung von
Art. 52 AHVV
ergebe.
Das BSV hält dem zu Recht entgegen, dass nach
Art. 38 Abs. 2 AHVG
bei der Berechnung des (die Teilrente bestimmenden) Bruchteils das Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des
BGE 109 V 82 S. 85
Versicherten zu denjenigen seines Jahrganges sowie die eingetretenen Veränderungen der Beitragsansätze zu berücksichtigen sind. Diese Formulierung spricht dafür, dass nicht zuerst die Teilrente in Prozenten der Vollrente zu berechnen und diese alsdann nach
Art. 52 Abs. 3 AHVV
zu kürzen ist; die Kürzung aufgrund der unterschiedlichen durchschnittlichen Beitragsansätze bildet vielmehr Bestandteil der Berechnung des Bruchteils, welcher somit in einem Rechenvorgang zu ermitteln ist. Auf dieser Grundlage beruhte auch die vom BSV im Rahmen der Verordnungsänderung vom 5. April 1978 vorgeschlagene Neuregelung zu
Art. 52 Abs. 3 AHVV
, woran in der Folge weder die Eidgenössische AHV/IV-Kommission noch der Bundesrat etwas geändert haben. Es entspricht daher offensichtlich dem Willen des Verordnungsgebers, wenn das BSV in den Erläuterungen zu der am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen Verordnungsänderung ausgeführt hat, dass die Lage der Beitragszeit und damit verbunden die Höhe der Beitragsansätze bei der Bestimmung der Rentenskala direkt berücksichtigt werden (ZAK 1978 S. 131; vgl. auch ZAK 1979 S. 97/98). Wie in den Verwaltungsweisungen zur 9. AHV-Revision auf dem Gebiete der Renten festgestellt wird, kann die Berücksichtigung der unterschiedlichen durchschnittlichen Beitragsansätze gemäss
Art. 52 Abs. 3 AHVV
zu einer niedrigeren Rentenskala führen, als der reinen Proratisierung entsprechen würde (Rz. 19 des Kreisschreibens I vom 28. April 1978). Die Kürzung erfolgt demnach, indem die Rente nach einer niedrigeren Rentenskala festgesetzt wird, als sich aus dem Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und den vollen Beitragsjahren seines Jahrganges ergeben würde. Dementsprechend sind die vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen, ab 1. Januar 1979 gültigen Skalenwähler ausgestaltet, so dass die anwendbare Teilrentenskala auch in den Fällen des
Art. 52 Abs. 3 AHVV
unmittelbar aufgrund des Skalenwählers bestimmt werden kann (Rz. 18 des Kreisschreibens IV vom 10. November 1978).
Die von der Verwaltung zu
Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVV
getroffene Regelung erweist sich mithin als gesetzeskonform. Sie verstösst nach dem Gesagten auch insoweit nicht gegen Bundesrecht, als in Absatz 3 der Verordnungsbestimmung von Kürzung der Teilrente die Rede ist. Selbst wenn sich die Auffassung des Beschwerdeführers vom Ergebnis her ebensogut vertreten liesse, kann ihr daher nicht gefolgt werden.
c) Der Beschwerdeführer macht des weitern geltend, bei der
BGE 109 V 82 S. 86
Berechnung der Verhältniszahl nach
Art. 52 Abs. 3 AHVV
seien auch die Beitragsmonate, im vorliegenden Fall somit 5 Jahre und 6 Monate zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des die Teilrente bestimmenden Bruchteils (und damit der anwendbaren Rentenskala) ist indessen stets von den vollen Beitragsjahren auszugehen. Dies gilt mangels einer gegenteiligen Vorschrift auch im Rahmen von
Art. 52 Abs. 3 AHVV
. Hieran ändert nichts, dass - im Gegensatz zu den Absätzen 1 und 2 der Bestimmung - in
Art. 52 Abs. 3 AHVV
lediglich von Jahren statt von vollen Beitragsjahren die Rede ist. Die Rentenberechnung erweist sich somit auch in diesem Punkt als zutreffend, was zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8fd54fbd-65ac-4a91-9061-6e1ae52dc03a | Urteilskopf
122 II 148
21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Juni 1996 i.S. X. gegen Fremdenpolizei des Kantons Bern und Richteramt VII von Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 13b Abs. 1 lit. c,
Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG
und Art. 2 der Schlussbestimmungen des Bundesgesetzes über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht; Untertauchensgefahr, Verhältnismässigkeit der Ausschaffungshaft bei hängigem Verfahren über die Aufenthaltsberechtigung (
Art. 7 ANAG
).
Wesentliche tatsächliche Vorkommnisse nach dem Inkrafttreten der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht dürfen bei der Prognose über die Untertauchensgefahr im Licht des früheren Verhaltens bewertet werden (E. 2).
Für die Anordnung der Ausschaffungshaft genügt nach
Art. 13b Abs. 1 ANAG
ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid. Mit dem Vollzug der Wegweisung muss aber in absehbarer Zeit zu rechnen sein, ansonsten die Haft unverhältnismässig ist. Verhältnismässigkeit vorliegend mit Blick auf den Stand des Verfahrens betreffend die Aufenthaltsberechtigung des mit einer Schweizerin verheirateten Ausländers verneint (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 122 II 148 S. 149
Der aus Bosnien-Herzegowina stammende X. (geb. 27. Mai 1962) reiste seit 1991 wiederholt illegal in die Schweiz ein. Er wurde hier in der Folge verschiedentlich verurteilt, unter anderem wegen Einbruchdiebstählen und Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20). Am 9. April 1991 ordnete das Bundesamt für Ausländerfragen gegen X. eine Einreisesperre bis 9. April 1996 an. Ein von ihm am 23. November 1992 eingereichtes Asylgesuch wies das Bundesamt für Flüchtlinge am 13. Mai 1993 ab. Am 24. März 1993 verurteilte der Gerichtspräsident X von Bern X. wegen Diebstahls und Widerhandlungen gegen das ANAG zu vier Monaten Gefängnis (bedingt) und zu einer unbedingten Landesverweisung von vier Jahren. Am 11. November 1994 wurde einem weiteren Asylgesuch keine Folge gegeben. Am 3. Februar 1995 heiratete X. die Schweizer Bürgerin Y.; am 6. November 1994 hatte diese eine gemeinsame
BGE 122 II 148 S. 150
Tochter geboren. X. ersuchte am 9. Februar 1995 um eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Familie. Am 5. April 1995 teilte ihm die Fremdenpolizei des Kantons Bern mit, dass sein Gesuch wegen des Verweisungsbruchs nicht an die Hand genommen werden könne. In der Folge ergingen mehrere Entscheide des Regierungsstatthalters von Bern und des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern im Zusammenhang mit dem Vollzug der am 24. März 1993 ausgesprochenen strafrechtlichen Landesverweisung. Ab 21. Dezember 1995 befand sich X. im vorzeitigen Strafvollzug; am 12. März 1996 verurteilte ihn der Präsident des Bezirksgerichts Courtelary wegen Einbruchdiebstahls und weiterer Delikte zu sechs Monaten Gefängnis; gleichzeitig widerrief er verschiedene bedingt ausgesprochene Gefängnisstrafen. Am 7. Mai 1996 schob der Regierungsstatthalter von Bern den Vollzug der strafrechtlichen Landesverweisung probeweise auf.
Die Fremdenpolizei des Kantons Bern wies am 10. Mai 1996 das Gesuch von X. um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ab: Er habe zu Klagen und gerichtlichen Verurteilungen sowie zu einer Landesverweisung Anlass gegeben und einen Ausweisungsgrund gesetzt, weshalb er auch als Ehemann einer Schweizerin keinen Anspruch auf eine Bewilligung mehr habe. Ein Eingriff in ein intaktes Familienleben liege nicht vor: die Ehefrau befinde sich in einer psychiatrischen Klinik und das Kind in einem Heim im Kanton Neuenburg. Die Fremdenpolizei ordnete an, dass er die Schweiz bis zum 30. Juni 1996 zu verlassen habe. Nach Entlassung aus dem Strafvollzug am 18. Mai 1996 wurde X. zur Sicherstellung der Wegweisung in Ausschaffungshaft genommen. Der Gerichtspräsident VII von Bern prüfte und bestätigte diese als Haftrichter am 21. Mai 1996.
Das Bundesgericht heisst die gegen dessen Entscheid eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und ordnet die Haftentlassung von X. an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen, wenn die Voraussetzungen von
Art. 13b ANAG
(in der Fassung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht [AS 1995 146 ff.]) erfüllt sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt (vgl.
BGE 121 II 59
E. 2 S. 61) und dessen
BGE 122 II 148 S. 151
Vollzug (z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich ist. Zudem muss einer der in
Art. 13b Abs. 1 ANAG
genannten Haftgründe bestehen. Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft sind innert 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu prüfen (
Art. 13c Abs. 2 ANAG
; vgl.
BGE 121 II 105
ff.). Dabei sind neben den Haftgründen insbesondere die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person und die Umstände des Haftvollzugs (Art. 13c Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 13d Abs. 2 ANAG
), die Einhaltung des Beschleunigungsgebots (
Art. 13b Abs. 3 ANAG
) sowie die tatsächliche und rechtliche Durchführbarkeit der Wegweisung (Art. 13c Abs. 3 und Abs. 5 lit. a ANAG) zu berücksichtigen.
2.
a) Der Haftrichter stützte seinen Entscheid auf
Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG
. Danach kann ein Ausländer in Haft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen und untertauchen will. Der Vollzug der Wegweisung muss erheblich gefährdet erscheinen (vgl.
BGE 122 II 49
E. 2a,
BGE 119 Ib 193
E. 2b S. 198). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich gestützt auf eine Prognose, die grundsätzlich nur auf Tatsachen beruhen darf, die nach dem 1. Februar 1995 eingetreten sind (Art. 2 der Schlussbestimmungen zum Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht). Solche wesentlichen haftbegründenden tatsächlichen Vorkommnisse können jedoch im Lichte des früheren Verhaltens bewertet werden (unveröffentlichte Urteile vom 10. Juni 1996 i.S. H.S., E. 2, vom 12. Dezember 1995 i.S. M.K., E. 2a, vom 20. Juni 1995 i.S. M.J., E. 4b); insofern dürfen auch weiter zurückliegende Tatsachen in die Beurteilung des Haftgrunds einfliessen (unveröffentlichtes Urteil vom 11. Juli 1995 i.S. F.B., E. 2).
b) aa) Der Beschwerdeführer reiste wiederholt, trotz Einreisesperre und strafrechtlicher Landesverweisung (vgl. zu deren Wirkungen das unveröffentlichte Urteil vom 11. Dezember 1995 i.S. A.D., E. 2c), illegal in die Schweiz ein und delinquierte hier, ohne sich durch die verschiedenen Strafverfahren und Verurteilungen beeindrucken zu lassen. Den Polizei- und Gerichtsbehörden gegenüber gebrauchte er jeweils falsche Namen und Geburtsdaten; zudem machte er widersprüchliche Angaben über seine Herkunft. Er erklärte schliesslich, auf jeden Fall in der Schweiz bleiben zu wollen, nötigenfalls werde er seine Reisepapiere zerstören. Diese Vorkommnisse gehen indessen alle auf Verhaltensweisen vor dem 1. Februar 1995 zurück und vermögen deshalb die Untertauchensgefahr an sich nicht zu begründen. Das Verhalten des Beschwerdeführers nach diesem Datum durfte aber in ihrem
BGE 122 II 148 S. 152
Lichte gewürdigt werden: Auch nach dem Inkrafttreten der Zwangsmassnahmen delinquierte der Beschwerdeführer weiter (Diebstahl, versuchter Diebstahl, Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch, Fahren ohne Führerausweis, Fahren in angetrunkenem Zustand usw. begangen in der Zeit vom 30. Juni bis 11. November 1995 in Saint-Imier, Fornet-Dessous, Le Locle, Laufen und La Chaux-de-Fonds). Am 12. März 1996 wurde er erneut zu einer Gefängnisstrafe (von sechs Monaten) verurteilt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist strafrechtlich relevantes Verhalten regelmässig ein Indiz für die Gefahr eines Untertauchens, da bei einem straffälligen Ausländer eher als bei einem unbescholtenen davon auszugehen ist, er werde künftig behördliche Anordnungen missachten (vgl.
BGE 122 II 49
E. 2,
BGE 119 Ib 193
E. 2b S. 198). Dies gilt insbesondere, wenn der Betroffene - wie hier - bereits vor dem 1. Februar 1995 ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das seit dem Inkrafttreten der Zwangsmassnahmen ohne weiteres auf eine Untertauchensgefahr schliessen liesse (vgl.
BGE 122 II 49
E. 2a).
bb) Der Beschwerdeführer wendet ein, es bestehe bei ihm keine Untertauchensgefahr, da er sich seit dem Inkrafttreten der Zwangsmassnahmen gerade darum bemühe, zu einer Bewilligung zu kommen; er habe zweimal um eine Aufenthaltsbewilligung nachgesucht und zudem ein Asylgesuch gestellt. Der Beschwerdeführer verkennt, dass seine Gesuche jeweils nicht an die Hand genommen bzw. abgewiesen wurden. Zwar ist gegen die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung und die Wegweisungsverfügung der Fremdenpolizei vom 10. Mai 1996 bei der Polizei- und Militärdirektion eine Beschwerde hängig. Für die Anordnung der Ausschaffungshaft genügt jedoch - wie dargelegt - bereits ein erstinstanzlicher Wegweisungsentscheid; dieser muss nicht rechtskräftig sein (vgl.
Art. 13b Abs. 1 ANAG
,
BGE 121 II 59
E. 2; unveröffentlichtes Urteil vom 21. Juni 1995 i.S. A.B., E. 4; Botschaft des Bundesrats vom 22. Dezember 1993 zum Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, BBl 1994 I 305ff. S. 323). Ob wegen des Bewilligungsverfahrens und der hiesigen familiären Beziehungen - trotz der verschiedenen Indizien - zurzeit dennoch keine konkrete Untertauchensgefahr besteht, kann aber dahingestellt bleiben, da die Beschwerde aus einem andern Grund gutzuheissen ist.
3.
Die Ausschaffungshaft darf nur angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Vollzug der Wegweisung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist (
Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG
); andernfalls lässt
BGE 122 II 148 S. 153
sie sich nicht mehr mit einem hängigen Ausweisungsverfahren rechtfertigen und verstösst sie gegen
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
. Die Haft ist im Sinne dieser Bestimmung unzulässig, wenn für die Undurchführbarkeit des Vollzugs der Wegweisung triftige Gründe vorliegen oder praktisch feststeht, dass er sich innert der gesetzlich vorgesehenen Haftdauer nicht realisieren lässt (unveröffentlichtes Urteil vom 11. Dezember 1995 i.S. A.D., E. 3; BBl 1994 I 316). Dies ist hier der Fall: Die Verfügung der Fremdenpolizei über das Anwesenheitsrecht des Beschwerdeführers ist äusserst knapp und summarisch begründet und enthält keine Zusammenstellung des beurteilten Sachverhalts. Auf die behauptete familiäre Beziehung geht die Fremdenpolizei nicht ein, obwohl der Regierungsstatthalter von Bern in seinem Entscheid vom 7. Mai 1996 festgestellt hat, dass der Beschwerdeführer "mit der Vaterschaft zu seiner Tochter [...] eine im Sinne von
Art. 8 EMRK
geschützte Beziehung vorweisen" könne. Die Entscheide betreffend den Aufschub des Vollzugs der strafrechtlichen Landesverweisung enthalten, auch wenn sie für die Fremdenpolizei an sich nicht verbindlich sind, relevante Ausführungen zu dieser Bestimmung. Die zur Beurteilung nötigen fremdenpolizeilichen Sachverhaltsabklärungen dürften demnach vermutlich eine gewisse Zeit beanspruchen. Die Beschwerde an die Polizei- und Militärdirektion hat wie die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung (vgl. Art. 68 und 82 des Berner Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege). Weder die Fremdenpolizei noch die Beschwerdeinstanz haben diese hier entzogen; die Polizei- und Militärdirektion hat vielmehr am 11. Juni 1996 ausdrücklich festgestellt, dass der Beschwerde mangels gegenteiliger Anordnung von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukomme, weshalb es sich erübrige, eine vorläufige Massnahme anzuordnen. Der Vollzug der Ausschaffung wird sich unter diesen Umständen voraussichtlich nicht innerhalb der gesetzlichen Haftdauer, die in der Regel nicht mehr als drei Monate dauern und nur bei besonderen Hindernissen (auf höchstens neun Monate) verlängert werden soll (vgl.
Art. 13b Abs. 2 ANAG
), realisieren lassen. Ist aufgrund des Standes des Bewilligungsverfahrens zurzeit nicht damit zu rechnen, dass die erstinstanzlich verfügte Wegweisung innert nützlicher Frist tatsächlich vollzogen werden kann, erweist sich die Ausschaffungshaft im Moment aber als unverhältnismässig.
4.
a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb gutzuheissen und der Beschwerdeführer unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Den kantonalen
BGE 122 II 148 S. 154
Behörden ist es nicht verwehrt, weiter die nötigen Vorkehren für dessen Ausschaffung zu treffen. Sie können ihn auch verpflichten, sich für zusätzliche Abklärungen zur Verfügung zu halten, und ihm beispielsweise einen festen Aufenthaltsort zuweisen (vgl. auch
Art. 13e ANAG
). Sie dürfen den Beschwerdeführer wieder in Ausschaffungshaft nehmen, wenn eine konkrete Untertauchensgefahr besteht und die übrigen Haftvoraussetzungen gegeben sind; der Stand des Bewilligungsverfahrens wird dabei zu berücksichtigen sein. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fd58e9a-550d-481d-800d-03224e9108de | Urteilskopf
124 II 559
54. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Oktober 1998 i.S. A. gegen Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug und Verwaltungsgericht des Kantons Zug (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Entzug des Führerausweises wegen Drogensucht (
Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG
,
Art. 16 Abs. 1 SVG
,
Art. 17 Abs. 1bis SVG
).
Schwierigkeiten der Feststellung einer Abhängigkeit von Cannabis (E. 3c).
Der Drogenabhängigkeit gleichzustellen ist der regelmässige Konsum von Drogen, der seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu beeinträchtigen (E. 3d).
Zur Beeinträchtigung der Fahrsicherheit durch die Einnahme von Cannabis (E. 4a-c).
Im vorliegenden Fall fehlen Feststellungen zu den Konsumgewohnheiten des Beschwerdeführers und zu seiner Persönlichkeit, ohne welche seine Fahreignung nicht beurteilt werden kann (E. 4d-g; E. 5a). | Sachverhalt
ab Seite 560
BGE 124 II 559 S. 560
Am 27. April 1997 wurde A. bei einer Personenkontrolle von der Stadtpolizei Zürich in seinem Wagen mit 8,7 g Haschisch und 0,8 g Kokain angetroffen. Er gab bei der polizeilichen Befragung an, seit zehn Jahren Haschisch zu konsumieren, und zwar ein- bis zweimal wöchentlich eine Menge von 0,3 g zu Fr. 3.--. Ausserdem konsumiere er einmal jährlich Kokain. In der Audienz vom 21. Mai 1997 bestätigte er den Haschischkonsum. Dagegen bestritt er, harte Drogen, namentlich Kokain, zu konsumieren: Er habe das Abhörungsprotokoll unterschrieben, ohne es genau durchgelesen zu haben.
Daraufhin musste sich A. einer amtsärztlichen Untersuchung bei der verkehrsmedizinischen Abteilung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich (im Folgenden: Institut für Rechtsmedizin) unterziehen, um seine gesundheitliche Eignung als Motorfahrzeugführer zu überprüfen. Bei der Begutachtung gab A. an, er habe als 20-jähriger drei- oder viermal Kokain konsumiert; aktuell gebe es nur den einmaligen polizeilich rapportierten Konsumversuch im April 1997. Ausserdem rauche er 20 Zigaretten am Tag und trinke zwei Flaschen Bier pro Woche. Die körperliche Untersuchung ergab keine Anzeichen für einen chronischen oder aktuellen Drogenkonsum. Dagegen wurde in den Urinproben vom 4. September und vom 3. Oktober 1997 Tetrahydrocannabinol (THC, der Hauptwirkstoff von Cannabis) nachgewiesen; die Urinprobe vom 3. Oktober 1997 fiel auch hinsichtlich Amphetaminen positiv aus. Daraufhin wurde ein neuerlicher Termin zur Abgabe von Urin in der Woche vom 3.- 7. November 1997 angekündigt mit dem Hinweis, dass ein nochmaliger THC-positiver Urintest den Entzug des Führerausweises nach
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sich ziehen werde. Am 23. Oktober 1997 gab A. telefonisch einen Ferienaufenthalt bekannt und teilte mit, er werde in diesen Ferien Haschisch rauchen, weshalb er um einen späteren Termin für die Abgabe seiner Urinprobe bitte. Der begutachtende Arzt zog daraus die Schlussfolgerung, dass A. seinen Haschischkonsum nicht beenden könne, weshalb der Verdacht eines vorliegenden süchtigen Konsums von Haschisch nicht ausgeräumt werden könne. Die amphetamin-positive Urinprobe vom 3. Oktober 1997 ergebe zusammen mit dem Kokainkonsum vom April 1997 das Bild eines zusätzlich zum Haschischkonsum getätigten, unkontrollierten Konsums von anderen Drogen.
Mit Verfügung vom 5. Dezember 1997 entzog die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug A. den Führerausweis auf unbestimmte Zeit. Die Wiederaushändigung des Ausweises und die Aufhebung des Fahrverbots wurden vom Nachweis einer mindestens einjährigen, strikt ärztlich oder fürsorgerisch kontrollierten Drogenabstinenz, dem Einreichen eines entsprechenden Zeugnisses und des Ergebnisses der Aktenbegutachtung durch die verkehrsmedizinische Abteilung des Instituts für Rechtsmedizin abhängig gemacht. Die hiergegen erhobene Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug blieb erfolglos.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. April 1998 erhob A. Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Er beantragt, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben; eventualiter sei die Angelegenheit zu neuer Beurteilung an die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) darf der Führerausweis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber dem Trunke oder anderen die Fahrfähigkeit herabsetzenden Süchten ergeben ist. Wird nachträglich festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen, ist der Führerausweis nach
Art. 16 Abs. 1 SVG
zu entziehen. Ein solcher Sicherungsentzug dient gemäss Art. 30 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) der Sicherung des Verkehrs vor Führern, die aus medizinischen oder charakterlichen Gründen, wegen Trunksucht
BGE 124 II 559 S. 562
oder anderen Süchten oder wegen einer anderen Unfähigkeit zum Führen von Motorfahrzeugen nicht geeignet sind. In solchen Fällen wird der Führerausweis gemäss
Art. 17 Abs. 1bis SVG
auf unbestimmte Zeit entzogen und der Entzug mit einer Probezeit von mindestens einem Jahr verbunden.
b) Voraussetzung für einen Sicherungsentzug gemäss Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG
ist das Vorliegen einer Sucht. Für die Trunksucht hat das Bundesgericht in
BGE 104 Ib 46
E. 3a S. 48 ausgeführt, diese sei gegeben, wenn der Betreffende regelmässig so viel Alkohol konsumiere, dass seine Fahrfähigkeit vermindert werde und er diese Neigung zum übermässigen Alkoholkonsum durch den eigenen Willen nicht zu überwinden vermag. Vergleichbares gilt auch für die Drogensucht: Die Abhängigkeit von der Droge muss derart sein, dass der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich ans Steuer eines Fahrzeugs in einem - dauernden oder zeitweiligen - Zustand zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet (
BGE 105 Ib 385
E. 1b S. 387;
BGE 120 Ib 305
E. 3c S. 308). Der Sicherungsentzug setzt den Nachweis einer derartigen Abhängigkeit voraus; der Verdacht einer Drogensucht rechtfertigt lediglich die vorsorgliche Aberkennung des Führerausweises während der Dauer der Abklärungen (
Art. 35 Abs. 3 VZV
; vgl.
BGE 120 Ib 305
E. 5a S. 311).
3.
a) Ob im konkreten Fall eine derartige Abhängigkeit besteht, ist eine Tatfrage (
BGE 120 Ib 305
E. 4a S. 308). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht angenommen, der Beschwerdeführer sei drogenabhängig. An diese Sachverhaltsfeststellung einer richterlichen Behörde ist das Bundesgericht gemäss
Art. 105 Abs. 2 OG
gebunden, soweit der Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde.
b) Der Beschwerdeführer rügt, weder im angefochtenen Entscheid noch in dem ihm zu Grunde liegenden Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin sei der Nachweis einer Drogenabhängigkeit erbracht worden. Die Schlussfolgerung des Gutachtens ist zugegebenermassen mehrdeutig: Einerseits geht der begutachtende Arzt davon aus, der Beschwerdeführer könne seinen Haschischkonsum nicht beenden, was für das Vorliegen einer Sucht spricht, andererseits kommt er zum Ergebnis, der Verdacht eines vorliegenden süchtigen Konsums von Haschisch habe nicht ausgeräumt werden können.
c) Diese Formulierung spiegelt die mit der Feststellung einer Drogensucht generell verbundene Unsicherheit wieder: Solange
BGE 124 II 559 S. 563
keine manifesten Folgeschäden vorliegen, ist es sehr schwierig, aus einer ein- oder sogar mehrmaligen Untersuchung des Betroffenen zuverlässige Schlüsse zu ziehen (vgl. RUDOLF HAURI-BIONDA, Drogen/Medikamente: Anlass und Möglichkeiten der Fahreignungsuntersuchung aus medizinischer Sicht, AJP 1994, S. 463). Den Angaben des Betroffenen, der um den Erhalt seines Führerausweises bangt, kann nicht ohne weiteres Glauben geschenkt werden.
aa) Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Feststellung einer Abhängigkeit von Cannabis. Grundsätzlich gibt es bei Cannabis keine physische Abhängigkeit; der regelmässige Konsum kann allerdings zu einer gewissen psychischen Abhängigkeit führen (SEPHAN HARBORT, Rauschmitteleinnahme und Fahrsicherheit, Indikatoren - Analysen - Massnahmen, Stuttgart (u.a.) 1996, S. 106 Rz. 221; HANS HARALD KÖRNER, Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, Kommentar, 4. Auflage, München 1994, Anh. CI, Rz. 237; THOMAS GESCHWINDE, Rauschdrogen, Marktformen und Wirkungsweisen, 3. Auflage, Berlin/Heidelberg/New York 1996 S. 51 Rz. 202 ff).
Die für eine Cannabis-Abhängigkeit typischen Symptome (Teilnahmslosigkeit, Problemverdrängung, allgemeiner Aktivitätsverlust; sog. "amotivationales Syndrom") können jedoch auch auf andere Ursachen zurückzuführen sein (GESCHWINDE, a.a.O., S. 53 Rz. 207 f.). Zwar kann es bei einem länger andauernden Konsum von Haschisch zu einer chronischen Schädigung der Atemwege, Beeinträchtigungen der Lungenfunktion, Herz-Kreislauf-Störungen und Leberschädigungen kommen (KÖRNER, a.a.O., Rz. 237; GESCHWINDE, a.a.O., S. 56 Rz. 277); derartige Schäden sind jedoch ebenfalls nicht cannabis-spezifisch und können z.B. auch die Folge eines übermässigen Tabakkonsums sein. Der Nachweis von THC (bzw. seiner Metaboliten) im Urin ist noch lange nach dem Konsum möglich (PETER X. ITEN, Fahren unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss, Forensische Interpretation und Begutachtung, Zürich 1994, S. 110 f.: fünf bis 30 Tage nach dem letzten Konsum), und lässt für sich allein keinen Rückschluss auf Zeitpunkt, Häufigkeit und Dosis des Haschischkonsums zu (THOMAS SIGRIST, Drogenschnelltests im Strassenverkehr, Kriminalistik 1996, S. 676). So wertete das Bundesgericht im unveröffentlichten Entscheid i.S. L. vom 31. Januar 1996 (E. 2c) den Umstand, dass alle Urinuntersuchungen des Betroffenen THC-positiv ausfielen, zwar als Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer auf den Drogenkonsum aus eigener Willenskraft nicht verzichten könne; mangels zusätzlicher, für eine
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Drogenabhängigkeit sprechender Indizien könne jedoch das Vorliegen einer Sucht nicht schlüssig beurteilt werden.
bb) Ähnlich liegen die Umstände im vorliegenden Fall. Zwar ist die Tatsache, dass der Beschwerdeführer seinen Haschischkonsum auch während der laufenden ärztlichen Untersuchung nicht eingestellt hat, trotz des Risikos, seinen Führerausweis und damit auch die in Aussicht gestellte Arbeitsstelle zu verlieren, ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Abhängigkeit. Diese Erklärung ist aber nicht zwingend: Denkbar ist auch, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit eines Führerausweisentzugs nicht ernst genug nahm oder die Nachweisdauer von THC im Urin unterschätzte und seinen Haschischkonsum deshalb erst kurz vor den angesetzten Terminen unterbrach.
d) Angesichts der Schwierigkeiten, eine Drogenabhängigkeit mit der gebotenen Sicherheit nachzuweisen, stellt sich die Frage, ob im Interesse der Verkehrssicherheit nicht der regelmässige Konsum von Drogen der Drogenabhängigkeit gleichzustellen ist, sofern dieser seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu beeinträchtigen (in diesem Sinne bereits
BGE 115 Ib 328
E. 1 S. 331; so auch Anhang III Ziff. 15 der Direktive 91/439/EWG vom 29. Juli 1991, wonach der Führerausweis nicht erteilt bzw. nicht erneuert werden darf, wenn der Bewerber oder Fahrzeugführer von psychotropen Stoffen abhängig ist oder, auch ohne abhängig zu sein, von solchen regelmässig übermässig Gebrauch macht; vgl. auch HAURI-BIONDA, a.a.O., S. 460; HARBORT, a.a.O., S. 240 Rz. 579). Auch in diesem Fall erscheint der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt, sich ans Steuer eines Fahrzeugs in einem - dauernden oder zeitweiligen - Zustand zu setzen, der das sichere Fahren nicht mehr gewährleistet. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer selbst eingeräumt, dass er seit zehn Jahren regelmässig - ein- bis zweimal in der Woche - Haschisch konsumiert. Die Urinproben und sein Verhalten während der Untersuchung verdeutlichen, dass er dieses Konsumverhalten auch in der Zukunft fortsetzen will, auch wenn möglicherweise keine Abhängigkeit von Cannabis besteht.
4.
Voraussetzung für einen Sicherungsentzug ist aber jedenfalls, dass der regelmässige Drogenkonsum die Fahreignung beeinträchtigt, d.h. der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich ans Steuer eines Fahrzeugs in einem - dauernden oder zeitweiligen - Zustand zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet.
BGE 124 II 559 S. 565
a) Zahlreiche Studien im In- und Ausland haben nachgewiesen, dass die Einnahme von Cannabis zu Beeinträchtigungen im Bereich der Wahrnehmung und der Psychomotorik, der kognitiven und affektiven Funktionen führt, welche die Fahrsicherheit aufheben können (vgl. ANDREA FRIEDRICH KOCH/PETER X. ITEN: Die Verminderung der Fahrfähigkeit durch Drogen oder Medikamente, Zürich 1994, S. 67; ITEN, a.a.O., S. 100; PETER SCHMIDT/NICOLE SCHEER/GÜNTER BERGHAUS, Cannabiskonsum und Fahrtüchtigkeit, Kriminalistik 1995, 243 ff.; IRMGARD MEININGER, Zur Fahruntüchtigkeit nach vorausgegangenem Cannabiskonsum, in: FS Hannskarl Salger, Köln/Berlin/Bonn/München 1995, S. 544 ff., insbes. 552; WERNER KANNHEISER/HERMANN MAUKISCH, Die verkehrsbezogene Gefährlichkeit von Cannabis und Konsequenzen für die Fahreignungsdiagnostik, in: Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht [NZV] 1995, S. 419 ff.; HARBORT, a.a.O., S. 108 f. Rz. 231 ff.; LOTHAR HANS SCHREIBER, Cannabisforschung - Der aktuelle Stand der Dinge, in: Kriminalistik 1995, S. 805 f.). Dies kann beispielsweise zu einer Beeinträchtigung der dynamischen Sehschärfe (d.h. dem Erkennen sich bewegender Objekte) führen, zu einer Verlängerung der Reaktionszeit, zur Veränderung der Koordinationsfähigkeit oder zur fehlenden Genauigkeit von automatisierten Bewegungsabläufen. Als typische Fahrfehler gelten Schwierigkeiten beim Spurhalten, Abkommen von der Fahrbahn, falsches Einschätzen von Überholvorgängen, Verwechslung der inneren und äusseren Strassenbegrenzung, Zunahme der Kollisionshäufigkeit und überhöhte Geschwindigkeit (HARBORT, a.a.O., S. 109 Rz. 235).
b) Allerdings ist die Wirkung von Cannabis sehr unterschiedlich, wobei nicht nur Quantität und Qualität des Stoffs eine Rolle spielen, sondern auch die körperliche und seelische Verfassung des Konsumenten, seine Rauschmittelerfahrenheit, sein Alter und seine Umgebung (HARBORT, a.a.O., S. 106 Rz. 220; GESCHWINDE, a.a.O., S. 35 f. Rz. 123 ff.; KÖRNER, a.a.O., Anh. CI Rz. 235). Es kann daher nicht ohne weiteres von der konsumierten Menge bzw. der THC-Konzentration im Blut auf fehlende Fahrfähigkeit geschlossen werden; Gefahrengrenzwerte, wie sie für die alkoholbedingte Fahrunfähigkeit existieren, fehlen für Cannabis wie für Drogen und Medikamente im Allgemeinen (FRANZ RIKLIN, Fahren unter Drogeneinfluss, strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und strafprozessuale Aspekte, Strassenverkehrsrechtstagung Freiburg 1998, S. 10; ITEN, a.a.O., S. 20 f.). Immerhin sind verkehrsrelevante Ausfallerscheinungen zumindest bei hohen Cannabisdosierungen mit hoher
BGE 124 II 559 S. 566
Wahrscheinlichkeit zu erwarten (vgl. MEININGER, a.a.O., S. 553; HARBORT, a.a.O., S. 109 Rz. 236); Gleiches gilt beim kombinierten Konsum von Alkohol und Cannabis infolge einer gegenseitigen Potenzierung beider Stoffe (GESCHWINDE, a.a.O., S. 29 Rz. 101; HARBORT, a.a.O., S. 109 Rz. 237; ITEN, a.a.O., S. 102; MEININGER, a.a.O., S. 552).
c) Zu signifikanten Leistungsverschlechterungen kommt es vor allem im akuten Rausch, d.h. in den ersten Stunden nach dem Haschischkonsum (SCHMIDT/SCHEER/BERGHAUS, a.a.O., S. 245 f.). Zur maximalen Zeitdauer der Fahruntüchtigkeit gehen die Meinungen auseinander (vgl. SCHMIDT/ SCHEER/BERGHAUS, a.a.O., S. 243 ff.: höchstens drei Stunden nach Einnahme; KANNHEISER/MAUKISCH, a.a.O., S. 423: bis zu sieben Stunden; HARBORT, a.a.O., S. 109 Rz. 236: mindestens sechs und höchstens 24 Stunden). Das Bundesamt für Strassen geht in seiner Vernehmlassung davon aus, dass der Cannabiskonsum die Fahrfähigkeit während insgesamt rund acht Stunden beeinträchtigen kann. Nicht abschliessend geklärt ist, inwieweit es beim Cannabiskonsum zu sogenannten «flash-backs» oder «Echorausch»-Effekten kommen kann, d.h. zu Episoden eines fiktiven Rauschzustands nach drogenfreien Intervallen ohne erneute Drogenzufuhr (Übersicht bei HARBORT, a.a.O., S. 243 ff. Rz. 589 ff. und KANNHEISER/MAUKISCH, a.a.O., S. 422 f.; vgl. auch Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1993, E. I3b/cc, NZV 1993, 413 ff., 415 = BVerfGE 89, 69 ff., insbes. S. 88 f.). Derartige Effekte scheinen zumindest beim reinen Cannabiskonsum selten zu sein (vgl. GESCHWINDE, a.a.O., S. 39 Rz. 136; KÖRNER, a.a.O., Rz. 242), d.h. sie sind eher bei Polytoxikomanie, insbesondere beim kombinierten Konsum von Cannabis und anderen Halluzinogenen zu erwarten (KANNHEISER/MAUKISCH, a.a.O., S. 423, HARBORT, a.a.O., S. 244 Rz. 591).
d) Im vorliegenden Fall haben die Urinproben den vom Beschwerdeführer nie bestrittenen regelmässigen Konsum von Haschisch bestätigt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass seine Angaben zu Dauer (seit zehn Jahren) und Häufigkeit (ein- bis zweimal wöchentlich) falsch sind. Als Dosis gab der Beschwerdeführer bei der polizeilichen Einvernahme 0,3 g Haschisch an, d.h. eine äussert geringe Menge. Auch wenn diese Angabe nicht zutreffen sollte, liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte für einen massiven Cannabiskonsum vor. Vielmehr ist - nach dem jetzigen Erkenntnisstand - von einem zwar regelmässigen, aber kontrollierten und mässigen Haschischkonsum auszugehen. Zwar liegen gewisse Indizien für die zusätzliche Einnahme anderer Drogen vor (Kokainfund im
BGE 124 II 559 S. 567
April 1997; einmalige amphetamin-positive Urinprobe). Nähere Feststellungen hierzu fehlen jedoch, insbesondere ergab die Untersuchung keine Anzeichen für den chronischen oder aktuellen Konsum weiterer Drogen. Im Folgenden sind daher nur die Auswirkungen des erwiesenen regelmässigen Haschischkonsums auf die Fahreignung zu prüfen.
e) Sollten die Angaben des Beschwerdeführers über die eingenommene Menge zutreffen, erscheint es bereits fraglich, ob überhaupt ein Einfluss des Cannabiskonsums auf die Fahrfähigkeit anzunehmen ist (vgl. SCHMIDT/SCHEER/BERGHAUS, a.a.O., S. 244), zumal keine Anhaltspunkte für einen gleichzeitigen Konsum von Alkohol bestehen. Aber selbst bei der Einnahme grösserer Cannabismengen, welche geeignet sind, die Fahrfähigkeit zu beeinträchtigen, kann nicht ohne weiteres auf eine fehlende Fahreignung geschlossen werden. Dies hängt vielmehr davon ab, ob der Beschwerdeführer in der Lage ist, Haschischkonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder ob die naheliegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (so auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23. August 1996, NZV 1996, 467, sowie Verwaltungsgerichtshof Mannheim, Beschluss vom 30. August 1993, NZV 1994, 47). Hierfür sind u.a. seine Konsumgewohnheiten (Ort und Zeit des Haschischkonsums; kombinierte Einnahme weiterer Drogen) und seine Persönlichkeit von Bedeutung: Erkennt der Beschwerdeführer die Gefährlichkeit von Cannabis für den Strassenverkehr und kann ihm zugetraut werden, nach dem Haschischkonsum auf das Autofahren zu verzichten? Es ist einzuräumen, dass derartige Feststellungen und Prognosen schwierig sind. Andererseits aber ist der Sicherungsentzug ein schwerwiegender Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen, der umfassende Abklärungen voraussetzt (
BGE 120 Ib 305
E. 4b S. 309;
BGE 104 Ib 46
E. 3a S. 48).
f) Bisher ist der Beschwerdeführer nie mit Drogen im Strassenverkehr auffällig geworden. Allerdings ist sein Leumund im Strassenverkehr insgesamt schlecht: Als Jugendlichem wurde ihm der Mofa-Führerausweis mehrfach entzogen. 1982 erfolgte der Entzug des Lernfahrausweises; 1984 kam es zu einem Warnungsentzug des Führerausweises für Personenwagen. 1985 entzog ihm die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug den Führerausweis wegen wiederholter Verkehrsregelverletzungen auf unbestimmte Zeit. Nach positivem Ausgang einer verkehrspsychologischen Eignungsuntersuchung wurde ihm der Führerausweis 1987 wieder ausgehändigt.
BGE 124 II 559 S. 568
Vier Jahre später erfolgte ein erneuter zweimonatiger Warnungsentzug des Führerausweises, diesmal wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (1,16-1,61%o). Dieser Vorfall lässt vermuten, dass der Beschwerdeführer - zumindest damals - mehr Alkohol konsumierte, als er bei seiner Begutachtung angegeben hat. Allerdings liegt der Vorfall sieben Jahre zurück; seither sind keine weiteren Vorkommnisse im Strassenverkehr bekannt. Es gibt auch keine Hinweise dafür, dass die Verkehrsregelverletzungen, die 1985 zum Sicherungsentzug führten (Missachtung eines Rotlichts; Nichtgewähren des Vortrittsrechts gegenüber Schulkindern, die auf einem Fussgängerstreifen die Fahrbahn überqueren wollten), unter Drogeneinfluss begangen wurden. Auch bei der Personenkontrolle im April 1997, bei welcher der Beschwerdeführer in seinem Fahrzeug angetroffen wurde, fanden sich keine Anzeichen für einen aktuellen Konsum von Haschisch.
g) Unter diesen Umständen kann nicht ohne weiteres vom Haschischkonsum des Beschwerdeführers auf die fehlende Fahreignung geschlossen werden. Nach dem Gesagten lassen die Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts keine abschliessende Beurteilung der Fahreignung des Beschwerdeführers zu. Sie erweisen sich damit als unvollständig.
5.
a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu weiteren Abklärungen und erneutem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Dieses wird ergänzende Abklärungen vornehmen (bzw. anordnen) müssen, insbesondere hinsichtlich der Persönlichkeit des Beschwerdeführers, seiner Vorgeschichte (früherer Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch? Straffälligkeit im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln?) und seinem bisherigen Verhalten im Strassenverkehr (insbesondere zu einem möglichen Zusammenhang der SVG-Vorfälle mit Drogenkonsum). Weiter wird es (soweit möglich) Feststellungen treffen müssen zu Menge, Häufigkeit und Umständen des Cannabiskonsums des Beschwerdeführers sowie zur Frage, ob dieser neben Cannabis regelmässig weitere Drogen und/oder Alkohol konsumiert. Hierzu ist der Beschwerdeführer - vom Gericht selbst und/oder von einem Experten - zu befragen. Daneben können weitere medizinische Untersuchungen angeordnet werden. Dabei muss dem Beschwerdeführer von vornherein klar gemacht werden, dass es nicht genügt, den Cannabiskonsum erst kurz vor dem Untersuchungstermin abzusetzen (ansonsten die Urinproben wiederum positiv ausfallen würden), sondern negative
BGE 124 II 559 S. 569
Testergebnisse nur bei völliger Abstinenz möglich sind. Der vollständige Verzicht auf Cannabis während der Untersuchungsperiode kann dem Beschwerdeführer umso eher zugemutet werden, als es sich um eine gesetzlich verbotene Droge handelt und kein anderes Mittel ersichtlich ist, um den bestehenden Verdacht einer Drogensucht zu entkräften. Verweigert der Beschwerdeführer seine Mitwirkung bei derartigen Untersuchungsmassnahmen, können daraus negative Schlüsse auf seine Fahreignung gezogen werden.
b) Durch die Rückweisung ans Verwaltungsgericht wird das Verfahren in das Stadium zurückversetzt, in welchem es sich vor Erlass des angefochtenen Urteils befand. Da der Beschwerde an das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung entzogen worden war, bleiben die vom Justiz- und Polizeidepartement angeordneten Massnahmen (Führerausweisentzug und Fahrverbot) somit bis zur allfälligen Anordnung anderer Massnahmen durch die Vorinstanz aufrecht. Dies wird zur Klarstellung im Urteilsdispositiv festgehalten. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fd92fb1-ed4a-4965-ba55-589d19bfcb2b | Urteilskopf
140 III 115
21. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. Versicherung S.p.A. gegen Y. Versicherungen AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_408/2013 vom 17. Januar 2014 | Regeste
Art. 1 Abs. 2 IPRG
und Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich LugÜ. Internationale Zuständigkeit.
Konventionsautonome Bestimmung des Gerichtsstands am Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung bei einem internationalen (Retro-) Rückversicherungsvertrag (E. 3-7). | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 140 III 115 S. 115
A.
Die X. Versicherung S.p.A. (Beschwerdeführerin) ist eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in A., Italien, die Y. Versicherungen AG (Beschwerdegegnerin) eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in B.
Die Beschwerdegegnerin beantragte am 2. November 2012 beim Handelsgericht des Kantons Zürich, die Beschwerdeführerin sei zu verpflichten, ihr Fr. 1'159'741.96 zuzüglich Verzugszinsen zu bezahlen. Sie stützte den geltend gemachten Anspruch auf einen angeblichen Rückversicherungsvertrag zwischen ihr (bzw. ihrer Rechtsvorgängerin) und der Beschwerdeführerin für die Versicherungsperiode zwischen dem 1. Oktober 1987 und dem 30. September 1988. Bei diesem Vertrag gehe es um die Deckung von Haftungsrisiken, welche die Beschwerdegegnerin aus dem Versicherungsprogramm des Erstversicherers Z. mit Sitz in C. übernommen habe und die P. AG beträfen.
BGE 140 III 115 S. 116
Die Beschwerdeführerin vertrat im Verfahren die Auffassung, das Handelsgericht sei örtlich nicht zuständig. Diese Unzuständigkeitseinrede wies das Handelsgericht mit Beschluss vom 13. Juni 2013 ab. Zwei Gerichtsmitglieder hielten in einem Minderheitsantrag dafür, auf die Klage sei nicht einzutreten.
B.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Beschluss vom 13. Juni 2013 sei aufzuheben, soweit damit ihre Unzuständigkeitseinrede abgewiesen wurde, und es sei die Unzuständigkeitseinrede gutzuheissen und auf die Klage nicht einzutreten. Eventuell sei das Verfahren zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
Erwägungen
2.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (
Art. 106 Abs. 1 BGG
; vgl. dazu
BGE 132 II 257
E. 2.5 S. 262;
BGE 130 III 136
E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (
Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG
), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (
BGE 137 III 580
E. 1.3;
BGE 133 II 249
E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen). Die Beschwerde ist dabei hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. Unerlässlich ist im Hinblick auf
Art. 42 Abs. 2 BGG
, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (vgl.
BGE 134 II 244
E. 2.1 S. 245 f.). Die Begründung hat ferner in der Beschwerdeschrift selbst zu erfolgen, und der blosse Verweis auf Ausführungen in andern Rechtsschriften oder auf die Akten reicht nicht aus (
BGE 133 II 396
E. 3.1 S. 400). Die selben Begründungsanforderungen gelten auch für die Beschwerdeantwort (Urteil 4A_347/2009 vom 16. November 2009 E. 4.1 in fine, nicht publ. in:
BGE 136 III 96
).
BGE 140 III 115 S. 117
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht (
Art. 105 Abs. 2 BGG
). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (
BGE 135 III 397
E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Soweit Feststellungen oder Schlüsse allerdings nicht auf der beweismässigen Würdigung von vorgebrachten Umständen oder konkreten Anhaltspunkten beruhen, sondern ausschliesslich aufgrund von Erfahrungssätzen getroffen wurden, die sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ableiten, und daher allgemein für gleich gelagerte Fälle Geltung beanspruchen, mithin die Funktion von Normen übernehmen, können sie vom Bundesgericht im Rahmen der Beschwerde in Zivilsachen frei überprüft werden (
BGE 136 III 486
E. 5 S. 489;
BGE 132 III 305
E. 3.5;
BGE 122 III 61
E. 2c/bb;
BGE 117 II 256
E. 2b;
BGE 115 II 440
E. 5b; je mit Hinweisen).
3.
Die Beschwerdegegnerin hat ihren Sitz in der Schweiz, während sich der Sitz der Beschwerdeführerin in Italien befindet. Es liegt damit eine internationale Streitigkeit vor (
Art. 1 Abs. 1 IPRG
[SR 291]). Sowohl Italien als Mitglied der Europäischen Union wie auch die Schweiz sind Vertragsstaaten des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12). Es liegt eine Zivil- und Handelssache im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 LugÜ
vor und die Klage wurde nach Inkrafttreten des revidierten LugÜ im Verfahrensstaat (1. Januar 2011) erhoben (
Art. 63 Abs. 1 LugÜ
; OETIKER/WEIBEL, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 3 zu
Art. 63 LugÜ
). Die Frage nach der internationalen örtlichen Zuständigkeit ist somit nach den Bestimmungen dieses Staatsvertrags zu beurteilen (
Art. 1 Abs. 2 IPRG
), und zwar - da die Parteien keine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von
Art. 23 LugÜ
getroffen haben - nach den übrigen Bestimmung über die Zuständigkeit. Dabei fallen die Sonderbestimmungen von
Art. 8 ff. LugÜ
für Versicherungssachen ausser Betracht, da Rückversicherungsverträge nicht in deren Anwendungsbereich fallen (OETIKER/JENNY, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 46 zu
Art. 8 LugÜ
; vgl. auch KROPHOLLER/VON HEIN, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl.
BGE 140 III 115 S. 118
2011, N. 6 zu Art. 8 EuGVO; DIRK LOOSCHELDERS, Grundfragen des deutschen und internationalen Rückversicherungsrechts, Versicherungsrecht 2012 S. 1 ff., 9, je mit weiteren Hinweisen). Dies hat die Vorinstanz zutreffend erkannt und ist vorliegend unbestritten.
Unumstritten ist ferner, dass es sich beim Rückversicherungsvertrag um einen Vertrag über die Erbringung einer Dienstleistung handelt und dementsprechend zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für Ansprüche daraus Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich LugÜ anwendbar ist (vgl. KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 44 zu Art. 5 EuGVO).
Die Bestimmungen über "Besondere Zuständigkeiten" nach
Art. 5-7 LugÜ
regeln, in welchen Fällen eine Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Vertragsstaat vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats verklagt werden kann (HOFMANN/KUNZ, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 1 f. zu
Art. 5 LugÜ
). Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich i.V.m. Art. 5 Nr. 1 Bst. a LugÜ bestimmt, dass für (sämtliche) Klagen aus Dienstleistungsverträgen die Gerichte am Ort in einem durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat zuständig sind, an dem die Dienstleistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen, mithin die Gerichte am Erfüllungsort der charakteristischen Vertragsleistung (HOFMANN/ KUNZ, a.a.O., N. 175, 212 ff., 220 zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ; DOMENICO ACOCELLA, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Anton K. Schnyder [Hrsg.], 2011, N. 1, 83, 105 ff. zu
Art. 5 LugÜ
).
Der vorliegende Streit dreht sich um die Frage, wo der Erfüllungsort der charakteristischen Leistung im Zusammenhang mit einem Rückversicherungsvertrag zu liegen kommt. Zu prüfen ist, worin die charakteristische Vertragsleistung bei einem Rückversicherungsvertrag besteht und welche Vertragspartei diese wo erbringt.
4.
Die Vorinstanz hielt vorab fest, der Dienstleistungserbringungsort sei konventionsautonom, d.h. unabhängig von dem in der Sache anwendbaren Recht zu eruieren, womit - gemäss den Zielen der Revision von Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ - insbesondere die komplexe materiellrechtliche Unterscheidung zwischen Hol-, Bring- und Versendungsschulden umgangen werden solle. Der Dienstleistungsort sei unabhängig vom auf den Vertrag anwendbaren Recht zu bestimmen und es sei folglich auch nicht zu prüfen, ob die Leistung des Rückversicherers aufgrund des einschlägigen Vertragsstatuts als Bringschuld zu qualifizieren sei.
BGE 140 III 115 S. 119
Die Beschwerdegegnerin hält dem entgegen, der Ort, wo der Vertrag erfüllt werden müsse, sei angesichts der in Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ festgehaltenen Formulierung "gemäss Vertrag" nach wie vor nach dem Vertragsstatut - der lex causae - zu eruieren. Materiellrechtliche Überlegungen zur Bestimmung des Erfüllungsortes dürften nicht ausgeschlossen werden. Im Vertrag sei Schweizer Recht vereinbart worden und gemäss Schweizer Recht seien Geldschulden Bringschulden. Folglich müsse am Ort des Gläubigers, in casu bei der Beschwerdegegnerin, erfüllt werden.
Diese Rüge geht fehl. Unter der Bestimmung von Art. 5 Ziff. 1 aLugÜ (AS 1991 2439) war die Zuständigkeit nach dem Erfüllungsort der konkret streitigen Verpflichtung zu eruieren (vgl. dazu
BGE 135 III 556
E. 3.1 S. 558 f.), für dessen Bestimmung es auf die anwendbare lex causae ankam. Daran hat sich nach der Revision des LugÜ für Vertragsklagen im Allgemeinen, d.h. für solche die unter Art. 5 Nr. 1 Bst. a LugÜ fallen, weil sie nicht Kaufverträge über bewegliche Sachen oder Dienstleistungsverträge betreffen, nichts geändert. In diesem Bereich ist der Erfüllungsort der streitgegenständlichen Verpflichtung nach wie vor nach der lex causae zu bestimmen (PAUL OBERHAMMER, in: Lugano-Übereinkommen, Dasser/ Oberhammer [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 27 f. zu
Art. 5 LugÜ
; HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 275 ff. zu
Art. 5 LugÜ
; WALTER/DOMEJ, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 5. Aufl. 2012, S. 220; ALEXANDER R. MARKUS, Vertragsgerichtsstände nach Art. 5 Ziff. 1 revLugÜ/EuGVVO - ein EuGH zwischen Klarheit und grosser Komplexität, AJP 2010 S. 971 ff., 975; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 29 ff. zu Art. 5 EuGVO).
Diese Lösung hat indessen Nachteile. Namentlich wird der Gerichtsstand am Erfüllungsort, wenn dieser bei praktisch dominierenden Zahlungsverpflichtungen aufgrund der lex causae am Sitz des klagenden angeblichen Gläubigers zu liegen kommt, von der Gegenpartei oftmals als überraschend und exorbitant empfunden. Ferner kann es durch ein Abstellen auf den Erfüllungsort der konkret strittigen Forderung zu einer Zersplitterung von Gerichtsständen für Ansprüche aus demselben Vertrag kommen und besteht bei divergierenden Lösungen für gleichgelagerte Situationen je nach anwendbarem Recht die Gefahr von Kompetenzkonflikten (OBERHAMMER, a.a.O., N. 29 zu
Art. 5 LugÜ
; ACOCELLA, a.a.O., N. 105 zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ; HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 166 zu
Art. 5 LugÜ
; MARKUS, a.a.O., S. 972; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 3 zu Art. 5 EuGVO; WALTER/
BGE 140 III 115 S. 120
DOMEJ, a.a.O., S. 217 und 221). Angesichts dieser Nachteile wurde für Klagen aus Kaufverträgen über bewegliche Sachen und aus Dienstleistungsverträgen mit Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ neu ein Erfüllungsortsgerichtsstand geschaffen, bei dem einerseits der Gerichtsstand neu übereinkommensautonom, also ohne Anknüpfung an die lex causae, zu bestimmen ist, und andererseits einheitlich für alle Klagen aus einem solchen Vertrag am Ort der charakteristischen Vertragsleistung (OBERHAMMER, a.a.O., N. 37 ff. zu
Art. 5 LugÜ
; HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 171, 223 f. zu
Art. 5 LugÜ
; MARKUS, a.a.O., S. 973, 975; ACOCELLA, a.a.O., N. 110 ff., 126 ff. zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ; ANDREA BONOMI, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 62 zu
Art. 5 LugÜ
; WALTER/ DOMEJ, a.a.O., S. 221; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 45 zu Art. 5 EuGVO).
Dementsprechend sprach sich der EuGH - was die hier strittige Frage betrifft - in sämtlichen einschlägigen Entscheidungen zum gleichlautenden Art. 5 Nr. 1 Bst. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung; EuGVO/EuGVVO; ABl. L 12 vom 16. Januar 2001 S. 1 ff.; in Kraft seit 1. März 2002) für eine "autonome" Bestimmung des Erfüllungsortes aus (s. MARKUS, a.a.O., S. 976 mit Hinweisen [neuere als die in dieser Publikation zitierten Entscheide sind vom EuGH zu dieser Frage bisher keine ergangen]; ACOCELLA, a.a.O., N. 110 zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ). Die vorherrschende Lehre stimmt dem zu (vgl. die vorstehend zitierten Autoren mit Hinweisen). Auch für das Bundesgericht besteht kein Anlass, der betreffenden Rechtsprechung des EuGH nicht zu folgen. Einzig zur Bestimmung eines
vertraglich vereinbarten
Erfüllungsortes wird von verschiedenen Autoren der Rückgriff auf die lex causae in Betracht gezogen, insbesondere auch von den seitens der Beschwerdegegnerin zitierten DOSS/SCHNYDER (in: Internationales Privatrecht, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Furrer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2012, N. 14 zu
Art. 113 IPRG
; s. auch: OBERHAMMER, a.a.O., N. 51 f. zu
Art. 5 LugÜ
; MARKUS, a.a.O., S. 977; BONOMI, a.a.O., N. 66 zu
Art. 5 LugÜ
). Entsprechend zu verstehen sind auch die relativ unbestimmten Ausführungen in der von der Beschwerdegegnerin zur Stützung ihrer Ansicht angerufenen Botschaft vom 18. Februar 2009 zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des
BGE 140 III 115 S. 121
revidierten Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BBl 2009 1777 ff., 1791 f. Ziff. 2.2.1.5; vgl. OBERHAMMER, a.a.O., N. 51 zu
Art. 5 LugÜ
Fn. 112). Da aber vorliegend nach den Feststellungen der Vorinstanz keine vertragliche Vereinbarung über den Erfüllungsort der charakteristischen Vertragsleistung getroffen wurde, braucht darauf nicht weiter eingegangen zu werden und bleibt es dabei, dass der Erfüllungsort jedenfalls in einem solchen Fall konventionsautonom zu bestimmen ist. Dies hat die Vorinstanz zutreffend erkannt.
5.
Das Bundesgericht folgt bei der Auslegung des LugÜ nach ständiger Praxis grundsätzlich der Rechtsprechung des EuGH zu dem von den Mitgliedern der Europäischen Union unterzeichneten Brüsseler Übereinkommen (Europäisches Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; EuGVÜ) sowie zu der dieses Abkommen für die Vertragsstaaten der EU (mit Ausnahme von Dänemark) ersetzenden EuGVVO. Soweit ein Entscheid des EuGH sich indessen massgeblich auf gemeinschaftsrechtliche Grundsätze stützt, die weder dem LugÜ noch den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten entnommen worden sind, ist diesem Umstand insofern Rechnung zu tragen, als diese Grundsätze und die sich daraus ergebenden Auslegungsfolgen nicht unbesehen auf die Auslegung des revidierten LugÜ zu übertragen sind (
BGE 139 III 345
E. 4 S. 347,
BGE 138 III 232
E. 2.2;
BGE 138 III 386
E. 2.1/2.2/2.6,
BGE 138 III 305
E. 5.3.1 S. 313;
BGE 135 III 185
E. 3.2; s. dazu auch die Präambel und Art. 1 zu Prot. Nr. 2 LugÜ).
6.
Nach einem Leitentscheid des EuGH vom 11. März 2010 (Urteil C-19/09
Wood Floor Solutions gegen Silva Trade
, Slg. 2010 I-02121) wird mit der Regel über den Gerichtsstand am Erfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 LugÜ (bzw. EuGVVO) das Ziel der räumlichen Nähe (enge Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht) verfolgt. Die autonome Bestimmung des Erfüllungsortes der Dienstleistungen (vertragscharakteristischen Leistungen) für die Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ unterstehenden Vertragsstreitigkeiten (E. 4 vorne) entspricht sodann den mit der EuGVVO und dem LugÜ angestrebten Zielen der Vereinheitlichung der Gerichtsstandsregeln und der Vorhersehbarkeit (zit. Urteil Randnrn. 21 ff.). Im Hinblick auf die Ziele der räumlichen Nähe und der
BGE 140 III 115 S. 122
Vorhersehbarkeit ist der Dienstleistungsort nach Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich LugÜ in erster Linie "nach dem Vertrag" zu bestimmen, d.h. ist die Vereinbarung eines Erfüllungsortes durch die Parteien massgebend. Kann der Ort der Leistungserbringung nicht anhand der Vertragsbestimmungen ermittelt werden, ist hilfsweise der Ort heranzuziehen, an dem die (hauptsächliche) Leistungserbringung tatsächlich vorgenommen wurde, vorausgesetzt, die Erbringungder Dienstleistungen an diesem Ort widerspricht nicht dem Parteiwillen, wie er sich aus den Vertragsbestimmungen ergibt. Kann der Ort der (hauptsächlichen) Leistungserbringung weder anhand der Bestimmungen des Vertrages selbst noch aufgrund von dessen tatsächlicher Erfüllung bestimmt werden, ist er "auf andere Weise" zu ermitteln, die den verfolgten Zielen der Vorhersehbarkeit und der räumlichen Nähe Rechnung trägt (zit. Urteil Randnrn. 38-41; vgl. zum Ganzen ferner: HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 223 ff.; OBERHAMMER, a.a.O., N. 70 zu
Art. 5 LugÜ
; ACOCELLA, a.a.O., N. 146 zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ; BONOMI, a.a.O., N. 88 f., 91 zu
Art. 5 LugÜ
; MARKUS, a.a.O., S. 983 f.; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 50a zu Art. 5 EuGVO S. 181).
6.1
Die Vorinstanz führte aus, es wäre vorliegend zu prüfen, wo der tatsächliche Erbringungsort der Dienstleistung zu liegen komme, nachdem die Parteien keine Parteivereinbarung über den Erfüllungsort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ ("nach dem Vertrag") getroffen hätten. Dieses Kriterium verfange hier aber nicht, da die Beschwerdeführerin gar keine Dienstleistung erbracht habe. Der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung sei in einem solchen Fall nach der Rechtsprechung des EuGH "auf eine andere Weise" zu ermitteln.
Weiter hielt die Vorinstanz fest, der Rückversicherer erbringe mit der Übernahme von Risiken vom Erstversicherer, die mit der Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme bei Verwirklichung des versicherten Risikos einhergehe, eine klassische Finanzdienstleistung im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ. Sie stufte diese Leistung bei einem Rückversicherungsvertrag als vertragscharakteristische Leistung ein. Dabei berücksichtigte sie, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11. März 2010 C-19/09
Wood Floor Solutions gegen Silva Trade
, Slg. 2010 I-02121) bei Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung und nicht die Gegenleistung massgeblich ist und sich auch das Bundesgericht schon in dem Sinn geäussert habe, dass die Prämienpflicht des Hauptversicherers nicht die charakteristische Leistung darstelle (
BGE 135 III 556
E. 3 S. 558).
BGE 140 III 115 S. 123
Zwar nehme die herrschende schweizerische Lehre im Zusammenhang mit der Ermittlung der charakteristischen Vertragsleistung zur Bestimmung des anwendbaren Rechts nach
Art. 117 IPRG
den Standpunkt ein, der Rückversicherungsvertrag lasse sich nicht nach dem Kriterium der charakteristischen Leistung anknüpfen. Denn beide Parteien erbrächten im Rahmen ihres Betriebes charakteristische Leistungen, indem sowohl die Deckung des Rückversicherers als auch die Geschäftsführung des Erstversicherers (Risikoauswahl, Schadenregulierung etc.), der in dieser weitgehend souverän sei, als charakteristische Leistungen betrachtet werden könnten (vgl. dazu KELLER/ KREN KOSTKIEWICZ, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, Girsberger und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2004, N. 156 ff. zu
Art. 117 IPRG
; ROLF NEBEL, Internationale Rückversicherungsverträge aus der Perspektive des schweizerischen Rechts [im Folgenden: Rückversicherungsverträge], SVZ 66/1998 S. 54 ff., 62 f.; GABOR-PAUL ONDO, Gerichtsstandsklauseln, Rechtswahl und Schiedsgerichtsbarkeit in Rückversicherungsverträgen, SVZ 63/1995 S. 39 ff., 45; AMSTUTZ/WANG, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2013, N. 58 zu
Art. 117 IPRG
). Dieser Auffassung sei auch die herrschende deutsche Lehre (vgl. dagegen LOOSCHELDERS, a.a.O., S. 8, wonach überwiegend anerkannt sei, dass der Rückversicherer die charakteristische Leistung erbringe). Auf der anderen Seite sei es nach der herrschenden Ansicht in der englischen und italienischen Rechtsprechung und Lehre der Rückversicherer, der die charakteristische Leistung ("payment in the event of claim") erbringe (vgl. dazu LOOSCHELDERS, a.a.O., S. 8). Da der englischen Rechtsprechung besonderes Gewicht zukomme, rechtfertige es sich, dieser und der italienischen Rechtsprechung zu folgen.
Ferner führte die Vorinstanz aus, der Rückversicherer übernehme bei der Retrorückversicherung (wie hier eine vorliegt [vgl. Sachverhaltvorne]), den sich rückversicherndenErstversicherer (im vorliegenden Fall: Retrozedenten) für bestimmte Vermögenseinbussen schadlos zu halten, die der Erstversicherer bzw. Retrozedent als Folge des Eintritts bestimmter von ihm in Deckung genommener Ereignisse erleide. Die eigentliche Kernleistung des Rückversicherungsvertrags, auf die es letztlich ankomme, beinhalte den Ausgleich des Rückversicherungsschadens. Von herkömmlichen Dienstleistungen unterscheide sich die Kernleistung des Rückversicherers mithin dadurch, dass diese nicht primär ein Tätigwerden, sondern die alleinige Erbringung einer Geldleistung beinhalte. Der Retrozedent (recte wohl:
BGE 140 III 115 S. 124
Retrozessionar) übernehme im Gegensatz zu klassischen Dienstleistungserbringern kein Bündel an Dienstleistungen. Der
Kern
seiner Dienstleistung bestehe in einer Geldleistung, die dazu diene, die Einbusse im Vermögen des Retrozedenten auszugleichen und die Liquidität desselben wiederherzustellen, damit dieser seinerseits seinen Verpflichtungen gegenüber dem Versicherten nachkommen könne. Dies setze voraus, dass die Zahlung dem Retrozedenten an dessen Sitz zugegangen sei. Erst durch die Überweisung der geschuldeten Geldsumme auf das Bankkonto des Retrozedenten an dessen Sitz habe die Zahlung befreiende Wirkung und sei die Erfüllung des Rückversicherungsvertrags zu bejahen. Der Erfüllungsort dieser Geldzahlung sei mithin aufgrund der Charakteristik des Rückversicherungsvertrags, dessen Kernleistung eine reine Geldzahlung beinhalte, am Sitz des (sich weiter) rückversichernden Retrozedenten anzusiedeln.
6.2
Die Vorinstanz traf - abgesehen davon, dass kein Erfüllungsort vereinbart worden sei - keine Feststellungen über die Ausgestaltung des konkret streitigen (behaupteten) Rückversicherungsvertrags. Ihre Beurteilung geht vielmehr von den Verhältnissen bei einem "typischen" oder "der Übung entsprechenden" Rückversicherungsvertrag aus, der keine vom Üblichen abweichende Vertragsklauseln enthält. Ihre Erwägungen über die Vertragsleistungen und über die charakteristische, hauptsächliche Leistung gründen allein auf der allgemeinen Lebenserfahrung und sind vorliegend frei überprüfbar (E. 2 vorne).
6.3
Mit einem Rückversicherungsvertrag in seiner Grundform nimmt der Rückversicherer einem Erstversicherer (auch Direktversicherer genannt) die ganze (Ausnahmefall) oder einen Teil der von diesem vom Versicherten übernommenen Gefahr ab. Er verspricht, ihm bei Eintritt des Versicherungsfalles (Verwirklichung des versicherten Risikos) eine entsprechende Versicherungsleistung in Form einer Geldleistung zu erbringen. Als Gegenleistung erhält er eine Prämie bezahlt. Die Vertragsleistungen bestehen damit, wie bei einem anderen Versicherungsvertrag, in der Bezahlung einer Prämie durch den Erstversicherer einerseits und in der Übernahme des Risikos und der Ersatzleistung durch den Rückversicherer im Schadenfalle andererseits. Zudem hat der Rückversicherer als Anteil an die Kosten des Erstversicherers eine Rückversicherungsprovision zu vergüten (vgl.
BGE 107 II 196
E. 2 S. 198 ff.; WILLY KOENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1967, S. 538; PETER NOBEL, Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationale Standards, 3. Aufl. 2010,
BGE 140 III 115 S. 125
§ 13 Rz. 64 f.; HEISS/MÖNNICH, in: Basler Kommentar, Versicherungsaufsichtsgesetz, 2013, N. 43 zu
Art. 2 VAG
; ROLF NEBEL, in: Basler Kommentar, Versicherungsaufsichtsgesetz, 2013, N. 4 zu
Art. 35 VAG
;
derselbe
, in: Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag [VVG], [im Folgenden: VVG], 2001, N. 14 zu
Art. 101 VVG
; STEPHAN FUHRER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2011, S. 441 Rz. 18.3; ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 557 und 562; CHRISTIAN SÖHNER, Der Rückversicherungsvertrag, ein synallagmatisches Vertragsverhältnis, SVZ 67/1999 S. 131 ff., 132).
Für das Rückversicherungsvertragsrecht fehlt in der Schweiz, wie auch in den meisten anderen Staaten, eine spezialgesetzliche Regelung. In der Schweiz sind Rückversicherungsverträge ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Versicherungsvertragsgesetzes ausgenommen (
Art. 101 Abs. 1 Ziff. 1 VVG
[SR 221.229.1]). Für diese Rechtsverhältnisse gilt das Obligationenrecht (
Art. 101 Abs. 2 VVG
). Die Verträge werden vollständig von der Rückversicherungspraxis geprägt und der privatautonomen Ausgestaltung durch die Parteien überlassen. Bei Unklarheiten oder Lücken im Vertragswerk spielen in der internationalen Rechtspraxis Usanzen und Handelsbräuche eine wichtige Rolle (
BGE 107 II 196
E. 2 S. 200; NEBEL, Rückversicherungsverträge, a.a.O., S. 58 ;
derselbe
,
VVG, a.a.O., N. 2 zu
Art. 101 VVG
; THOMAS LÖRTSCHER, Rückversicherung in der Rechts- und Schadenspraxis, in: Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen der Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht, 2010, S. 365 ff., 370; LOOSCHELDERS, a.a.O., S. 1; CORNEL QUINTO, Reinsurance arbitration from a Swiss law perspective, Jusletter 1. Dezember 2008 Rz. 3 ff.). Ein hoher Stellenwert in der Ausprägung der Rückversicherungspraxis kommt dabei der reichen Rechtsprechung englischer Gerichte bzw. der Praxis des Londoner Rückversicherungsmarktes zu (LÖRTSCHER, a.a.O., S. 370; NEBEL, Rückversicherungsverträge, a.a.O., S. 58).
6.4
Die Beschwerdeführerin beanstandet die vorinstanzliche Annahme nicht, dass es der Rückversicherer sei, der die vertragscharakteristische Leistung erbringe. Sie hält aber dafür, die Vorinstanz habe Art. 5 Nr. 1 Bst. b LugÜ verletzt, indem sie festgehalten habe, die vorliegend relevante Leistung des Rückversicherers sei eine reine Geldleistung, weshalb der Erfüllungsort für diese Leistung am Sitz des rückversicherten Erstversicherers die örtliche Zuständigkeit für die vorliegende Klage begründe. Massgebend für die
BGE 140 III 115 S. 126
Zuständigkeitsfrage sei die Leistung des Rückversicherers in ihrer Gesamtheit. Die Reduktion auf eine reine Geldleistung stelle eine nicht gerechtfertigte Simplifizierung der Leistung des Rückversicherers dar. Die massgebliche Dienstleistung der Risikoübernahme umfasse als Ganzes viel mehr als die reine Geldleistung, nämlich im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanz ein ganzes Bündel an Dienstleistungen, den Versicherungsschutz insgesamt. Dazu gehörten namentlich zuerst die Administration des Rückversicherungsvertrags an sich, die der Rückversicherer an seinem Sitz besorge. Vor einer Zahlung im Falle des Eintritts des Risikos prüfe der Rückversicherer, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Zahlung an den Erstversicherer vorlägen, was er auch grösstenteils an seinem Sitz besorge, zu einem gewissen Teil gegebenenfalls am Ort des Eintritts des Risikos irgendwo auf der Welt (Augenschein etc.). Erst wenn nach dieser Prüfung die Voraussetzungen zur Zahlung als gegeben erachtet würden, löse der Rückversicherer an seinem Sitz die Zahlung der Geldleistung aus, die dann schliesslich beim Erstversicherer eintreffe. Zu beachten sei auch, dass in der Rechtsprechung des EuGH bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit den Kriterien der Vorhersehbarkeit sowie der räumlichen Nähe zum Rechtsstreit besonderes Gewicht beigemessen werde. Da der Rückversicherer in Erbringung seiner Dienstleistungen zum grössten Teil an seinem Sitz tätig sein werde, rechtfertige es sich, die Zuständigkeit unter dem Aspekt der räumlichen Nähe zum Rechtsstreit am Sitz des Rückversicherers anzuknüpfen. Diese Anknüpfung erscheine auch unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit gerechtfertigt, da die Ermittlung des Sitzortes jederzeit problemlos möglich sei.
6.4.1
Werden Leistungen eines Dienstleisters an verschiedenen Orten bzw. in verschiedenen Mitgliedstaaten erbracht, so ist nach dem Leitentscheid des EuGH vom 11. März 2010 (C-19/09,
Wood Floor Solutions gegen Silva Trade
, Slg. 2010 I-02121 Randnrn. 27, 33, 36 und 41) unter Erfüllungsort grundsätzlich einheitlich der Ort der
hauptsächlichen
Leistungserbringung durch den Dienstleister als dem Erbringer der charakteristischen Leistung zu verstehen. Dort bestehe die engste Verknüpfung zwischen Vertrag und dem zuständigen Gericht. Dieser Grundsatz wurde vom EuGH für einen Handelsvertreter entwickelt, ist aber auch auf andere Dienstleistungsverträge anzuwenden (s. Randnr. 33 des zit. Urteils; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 50a zu Art. 5 EuGVO, S. 180 f.; HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 245 und 250 zu
Art. 5 LugÜ
; vgl. auch OBERHAMMER, a.a.O., N. 70 zu
Art. 5
BGE 140 III 115 S. 127
LugÜ
; ACOCELLA, a.a.O., N. 141 und 146 ff. zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ; BONOMI, a.a.O., N. 89 zu
Art. 5 LugÜ
).
Die Vorinstanz hat diese Rechtsprechung des EuGH insoweit korrekt umgesetzt, als der Ort zu ermitteln sei, an dem die
Kern
leistung des Rückversicherers erbracht wird. Dass der Rückversicherer über die von der Vorinstanz als Kernleistung angesehene Geldleistung hinaus überhaupt keine anderen vertragscharakteristischen Leistungen erbringe, wurde damit nicht gesagt und insoweit stösst die Kritik der Beschwerdeführerin am angefochtenen Entscheid ins Leere.
Nach einem der englischen Rechtsprechung entstammenden Urteil des England and Wales Supreme Court of Judicature/Court of Appeal vom 10. April 2006 ([2006] EWCA Civ 389), das der Vorinstanz vorgelegt wurde, stelle die charakteristische Leistung eines Rückversicherungsvertrags die Zahlung im Fall der Realisierung des Risikos dar ("...the characteristic performance of a reinsurance contract was payment in the event of claim..."). Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, der Rückversicherer prüfe vorher, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Zahlung an den Erstversicherer vorlägen, was er auch grösstenteils an seinem Sitz besorge und zu einem gewissen Teil gegebenenfalls am Ort des Eintritts des Risikos irgendwo auf der Welt (Augenschein etc.), ist dazu festzuhalten, dass es selbstverständlich erscheint, dass der Rückversicherer vor einer Zahlung prüft, ob die Voraussetzungen für eine solche erfüllt sind. Dem kommt aber nicht die Bedeutung der Hauptleistung des Rückversicherers zu. Zu den Prinzipien, die sich in der internationalen Rückversicherungspraxis herausgebildet haben, gehören die Grundsätze der Schicksalsteilung ("follow the fortunes"), des Geschäftsführungs- und Schadenregulierungsrechts des Erstversicherers und der Folgepflicht des Rückversicherers ("follow the settlements"). Das Prinzip der Schicksalsteilung besagt, dass der Rückversicherer am versicherungstechnischen Risiko des Erstversicherers nach Massgabe des Vertrages teilnimmt. Der Erstversicherer prüft, selektioniert und zeichnet die Risiken, er setzt die Prämie und die Versicherungskonditionen fest, und er reguliert die Schäden auch insoweit, als Risiken in die Rückversicherung abgegeben wurden. Das Geschäftsführungs- und Schadenregulierungsrecht gibt dem Erstversicherer die Befugnis, über die Regulierung der Schäden gegenüber dem Versicherten allein zu entscheiden, ohne Mitspracherecht des Rückversicherers. Nach dem Grundsatz der Folgepflicht hat der Rückversicherer sodann die Entscheide und Massnahmen des Erstversicherers grundsätzlich
BGE 140 III 115 S. 128
anzuerkennen und wird durch die Geschäftsführung des Erstversicherers grundsätzlich gebunden (vgl.
BGE 107 II 196
E. 2 S. 399; NEBEL, Rückversicherungsverträge, a.a.O., S. 58; NOBEL, a.a.O., § 13 Rz. 65; KOENIG, a.a.O., S. 539; LOOSCHELDERS, a.a.O., S. 5 f.; QUINTO, a.a.O., Rz. 41 ff.; KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., N. 156 ff. zu
Art. 117 IPRG
). Es soll keine ineffiziente Duplikation durch den Rückversicherer folgen. Der Rückversicherer setzt auf die Professionalität, Verlässlichkeit und Kredibilität des Erstversicherers, der die Sorgfalt anzuwenden hat, wie wenn er nicht rückversichert wäre, und anerkennt dessen in sorgsam wahrgenommener Geschäftsführung getroffenen Entscheide (LÖRTSCHER, a.a.O., S. 377).
Es kann demnach nicht davon gesprochen werden, dass der Rückversicherer bei Eintritt des Versicherungsfalles im Sinne einer Vertragsleistung die Schadenüberprüfung und Schadenbearbeitung übernimmt und insoweit eine vertragscharakteristische Leistung erbringt. Über die Risikotragung und die Geldzahlung bei Eintritt des Versicherungsfalles hinausgehende Dienstleistungen des Rückversicherers, wie namentlich Beratungsdienstleistungen, stellen sodann keine Rückversicherungsleistungen im engeren Sinne bzw. Essentialia des Rückversicherungsvertrags dar (SÖHNER, a.a.O., S. 132: vgl. dazu auch NEBEL, VVG, a.a.O., N. 16 zu
Art. 101 VVG
; NOBEL, a.a.O., § 13 Rz. 64; PETER KOCH, Die Rückversicherung aus der Sicht des Erstversicherers, SVZ 51/1983 S. 384 ff., 396 f.). Sie sind daher nicht als vertragscharakteristisch einzustufen. Es kann daher der Beschwerdeführerin darin nicht gefolgt werden, dass der Rückversicherer insofern vertragscharakteristische Dienstleistungen an seinem Sitz erbringt.
6.4.2
Das will allerdings nicht heissen, dass sich die charakteristische Leistung des Rückversicherers im Rahmen eines Rückversicherungsvertrags auf eine Geldzahlung im Schadenfall beschränkt, wie dies aus der vorstehend (E. 6.4.1) erwähnten und von der Vorinstanz zitierten englischen Rechtsprechung abgeleitet werden könnte.
Wie schon ausgeführt (E. 6.3), nimmt der Rückversicherer dem Erstversicherer die ganze oder einen Teil der von diesem vom Versicherten übernommenen Gefahr ab. Er verspricht, ihm bei Verwirklichung des versicherten Risikos eine entsprechende Versicherungsleistung in Form einer Geldzahlung zu erbringen. Insoweit ist die Feststellung der Vorinstanz zutreffend, wonach die vertragscharakteristische Dienstleistung des Rückversicherers in der Übernahme des Risikos
BGE 140 III 115 S. 129
vom Erstversicherer bestehe, die mit der Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme bei Eintritt des Versicherungsfalles einhergehe (vgl. dazu LOOSCHELDERS, a.a.O., S. 3; KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., N. 158 zu
Art. 117 IPRG
). Die Leistung des Rückversicherers umfasst - wie die Beschwerdeführerin zu Recht betont - sowohl die Gefahrtragung als auch die Geldleistung bei Verwirklichung der Gefahr. Das übernommene Risiko verwirklicht sich nun aber in der Mehrzahl der Fälle pro Versicherungsperiode nicht und es kommt dementsprechend in den meisten Fällen nicht zu einer Geldleistung des Rückversicherers. Richtig besehen besteht die (unbedingte) Leistung des Rückversicherers als Gegenleistung zur Prämie denn auch in erster Linie in der Gefahrtragung (Bildung einer Gefahrengemeinschaft mit dem Erstversicherer) bzw. in der Gewährung einer bestimmten Sicherheit als Dauerleistung. Dies bedingt den Unterhalt eines entsprechenden Verwaltungsapparates und vor allem die Aufrechterhaltung einer dauernden Liquidität zur Erfüllung der Geldleistungspflicht im Falle eines Versicherungsereignisses, wobei diese Liquidität den mit den abgeschlossenen Rückversicherungsverträgen übernommenen Risiken zu entsprechen hat. Diese Leistung des Rückversicherers ist für den Erstversicherer von grösster Bedeutung und ermöglicht es diesem erst, sein Prämienvolumen konkurrenzfähig auszubauen und dabei gesetzliche und/oder behördliche Auflagen zum Nachweis des geforderten Leistungsstandards in Form von Solvabilitätsspannen zu erfüllen; sie entlastet als flexibles Finanzierungsinstrument die Passivseite seiner Bilanz und dient als Substitution von Eigenkapital. Als
hauptsächliche
charakteristische Leistung oder Kernleistung des Rückversicherers erscheint danach - entgegen der Vorinstanz - nicht die Geldzahlung im Schadenfall, sondern die Übernahme der Gefahr bzw. das Vermitteln einer bestimmten Sicherheit durch den Rückversicherer unter Wahrung seiner darauf zugeschnittenen permanenten Leistungsbereitschaft (vgl. zum Ganzen SÖHNER, a.a.O., passim, mit zahlreichen Hinweisen; ferner: NEBEL, VVG, a.a.O., N. 7 und 16 zu
Art. 101 VVG
; NOBEL, a.a.O., § 13 Rz. 64; ULRIKE MÖNNICH, in: Basler Kommentar, Versicherungsvertragsgesetz, Nachführungsband, 2012, N. 22 zu
Art. 101 VVG
; MAURER, a.a.O., S. 558). In erster Linie dafür - und nicht bloss für die Geldzahlung im Schadenfall - leistet der Erstversicherer die Rückversicherungsprämie an den Rückversicherer.
Diese Leistung erbringt der Rückversicherer aller Wahrscheinlichkeit nach an seinem Sitz und nicht am Sitz des Erstversicherers, so dass
BGE 140 III 115 S. 130
der Sitzort des Rückversicherers als zuständigkeitsbegründender Erfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich LugÜ zu betrachten ist. Mit einer Anknüpfung der Zuständigkeit an diesem Ort wird dem in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Kriterium der engsten Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht bzw. den damit zu verfolgenden Zielen der räumlichen Nähe und der Vorhersehbarkeit am besten entsprochen (vgl. dazu Urteil des EuGH vom 11. März 2010 C-19/09
Wood Floor Solutions gegen Silva Trade
, Slg. 2010 I-02121, Randnr. 42; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 50a zu Art. 5 EuGVO, S. 181; HOFMANN/ KUNZ, a.a.O., N. 244 zu
Art. 5 LugÜ
; ACOCELLA, a.a.O., N. 146 f. zu Art. 5 - Nr. 1 bis 3 LugÜ; BONOMI, a.a.O., N. 91 zu
Art. 5 LugÜ
).
Nach dem Ausgeführten trifft die vorinstanzliche Annahme, die Beschwerdeführerin habe nach Sachdarstellung der Beschwerdegegnerin vorliegend keine tatsächliche Leistung erbracht, nicht zu. Indessen ist unbestritten, dass ein (vom Sitz der Beschwerdeführerin abweichender) Ort der tatsächlichen Leistungserbringung durch die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen ist. Damit bleibt es insoweit bei der Zuständigkeit an dem "auf andere Weise" ermittelten Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung gemäss den vorstehenden Erwägungen.
6.5
Die Beschwerdegegnerin meldet allerdings Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität eines Gerichtsstands am Sitz der Rückversicherungsgesellschaft an. Sie hält dafür, es würde keinen Sinn ergeben, wenn für den gleichen Fall, d.h. wenn der Erstversicherer für den gleichen Erstversicherungsfall mehrere Rückversicherungsverträge abschliesst, mehrere Gerichte zuständig wären. Sie plädiert daher in nicht leicht verständlichen Ausführungen dafür, es sei - wie von der vorherrschenden schweizerischen Lehre bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts (vgl. E. 6.1 vorne) - auch eine charakteristische Leistung des
Erstversicherers
anzunehmen. Die Anknüpfung an den Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung sei nach der Rechtsprechung des EuGH nur eine mögliche Variante, die nicht zwingend sei und von der im konkreten Fall bei weiteren wesentlichen Leistungsverpflichtungen abgewichen werden könne. Da der Rückversicherungsvertrag auf die Bedürfnisse des Erstversicherers zugeschnitten sei, bestehe die engste Verknüpfung zwischen dem Rückversicherungsvertrag und dem Gericht am Ort der Niederlassung des Erstversicherers.
BGE 140 III 115 S. 131
Dem kann nicht gefolgt werden. Wenn der Erstversicherer im Vertragsverhältnis auch wichtige Funktionen erfüllen mag, insbesondere was seine Geschäftsführung (Risikoauswahl, Risikoprüfung und Regelung von Schadenfällen) anbelangt, handelt es sich dabei nicht um eigentliche Leistungen im Synallagma des Rückversicherungsvertrages, deren Erbringungsort für die Bestimmung des hauptsächlichen Erfüllungsortes der charakteristischen Vertragsleistung entscheidend wäre, sondern in erster Linie um die Wahrnehmung von Rechten (insbesondere des Geschäftsführungsrechts) im Rahmen des Vertragsverhältnisses (offenbar a.M. KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., N. 156 ff. zu
Art. 117 IPRG
; NEBEL, Rückversicherungsverträge, a.a.O., S. 63; ONDO, a.a.O., S. 45). Dies gilt umso mehr für den vorliegenden Fall einer Retrorückversicherung, in dem die Beschwerdegegnerin nicht eine Erstversicherung, sondern ihrerseits eine Rückversicherung ist, die typischerweise gar keine entsprechenden Funktionen wahrnimmt, sondern selber gegenüber der Erstversicherung der Folgepflicht unterliegt (vgl. E. 6.1 und 6.4.1 vorne).
Es trifft zwar zu, dass die wohl herrschende schweizerische und ein Teil der kontinentaleuropäischen Lehre im Zusammenhang mit der Ermittlung des auf einen Rückversicherungsvertrag anwendbaren Rechts annimmt, beide Parteien würden vertragscharakteristische Leistungen erbringen (s. für die Schweiz
Art. 117 Abs. 2 IPRG
und dazu KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., N. 156 ff. zu
Art. 117 IPRG
; NEBEL, Rückversicherungsverträge, a.a.O, S. 63; ONDO, a.a.O., S. 45). In der herrschenden kontinentaleuropäischen Lehre wird aber - wie in der englischen Rechtsprechung und Lehre - doch anerkannt, dass der Rückversicherer die charakteristische Leistung erbringt bzw. der "Dienstleister" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. b Rom I (Verordnung [EG] Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht [ABl. L 177 vom 4. Juli 2008 S. 6 ff.]) ist. In der herrschenden schweizerischen und kontinentaleuropäischen Lehre wird dafürgehalten, es sei aus praktischen Gründen (bzw. in Anwendung der Ausweichklausel nach Art. 4 Abs. 3 Rom I) dennoch an das Recht am Sitz des Erstversicherers anzuknüpfen. Für eine Anwendung dieses Rechts spreche, dass der Vertrag am Sitz des Erstversicherers seinen wirtschaftlichen Schwerpunkt habe. Ausserdem würde die Regelanknüpfung bei einer Mehrheit von Rückversicherern zum Nebeneinander verschiedener Rückversicherungsstatute, d.h. zu einer nicht interessengerechten Vertragsspaltung führen (vgl. zum Ganzen
BGE 140 III 115 S. 132
LOOSCHELDERS, a.a.O., S. 8; E. 6.1 vorne). In der schweizerischen Lehre wird wegen der organischen Zugehörigkeit zum Erstversicherungsvertrag das Recht am Sitz des Erstversicherers als anwendbar betrachtet. Dabei wird allerdings eingeräumt, dass diese Anknüpfung nur als pragmatischer Entscheid auf der Grundlage einer Interessenabwägung begründet werden könne, die sich an den Gegebenheiten des praktischen Geschäfts orientiere. Die Geschäftsführung des Erstversicherers wäre beeinträchtigt, wenn er bei der Zeichnung von Risiken oder der Schadenregulierung jeweils nach verschiedenen Rechtsordnungen abzuklären hätte, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die einzelnen Rückversicherungsdeckungen beansprucht werden könnten (NEBEL, Rückversicherungsverträge, a.a.O., S. 62 f.; ONDO, a.a.O., S. 45; vgl. auch KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., N. 159 zu
Art. 117 IPRG
).
Die Optik bei der Bestimmung der Zuständigkeit ist nicht dieselbewie bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts, was die Vorinstanz zu Recht hervorgehoben hat. Bei der Letzteren ist zu klären, mit welchem staatlichen Recht der Vertrag am engsten zusammenhängt (
Art. 117 Abs. 1 IPRG
) bzw. zu welchem Staat der Vertrag (allgemein) die engste Verbindung aufweist (Art. 4 Abs. 3 Rom I). Demgegenüber knüpft Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich LugÜ für die Bestimmung der Zuständigkeit an den Erfüllungsort der hauptsächlichen charakteristischen Vertragsleistung an; eine Ausweichklausel enthält das LugÜ nicht. Diese Regelung lässt weniger Raum für Praktikabilitätsüberlegungen, wobei der EuGH ohnehin davon ausgeht, dass bei einem Dienstleistungsvertrag der Ort der hauptsächlichen Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung durch den Dienstleister auch der Ort ist, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht (Urteil des EuGH vom 11. März 2010 C-19/09
Wood Floor Solutions gegen Silva Trade
, Slg. 2010 I-02121, Randnr. 33).
Die Minderheit der Vorinstanz und die Beschwerdeführerin halten demnach zutreffend dafür, dass es sich nicht rechtfertigt, aus Praktikabilitätsüberlegungen vom Gerichtsstand am Sitz der Rückversicherung als dem Erbringer der hauptsächlichen charakteristischen Vertragsleistung abzuweichen. Es entging ihnen dabei nicht, dass Praktikabilitätsüberlegungen für einen Gerichtsstand am Sitz des Erstversicherers sprechen könnten, wenn dieser (im Zusammenhang mit dem gleichen Erstversicherungsfall) Forderungen gegen mehrere
BGE 140 III 115 S. 133
Rückversicherer habe, damit er nicht an verschiedenen Orten Klagen erheben müsse. Sie weisen aber darauf hin, dass Art. 6 Nr. 1 LugÜ eine Handhabe bieten könnte, um eine Zersplitterung von Gerichtsständen bei Klagen des Erstversicherers gegen mehrere Rückversicherungen im Zusammenhang mit dem gleichen Erstversicherungsvertrag zu vermeiden.
7.
Zusammenfassend bejahte die Vorinstanz ihre Zuständigkeit am Sitz der Erstversicherung bzw. vorliegend der Retrozedentin (Beschwerdegegnerin), an dem der Rückversicherer im Versicherungsfall seine Geldzahlung zu leisten habe, zu Unrecht. Sie hätte vielmehr den Ort der hauptsächlichen Erbringung der charakteristischen Vertragsleistung am Sitz des Rückversicherers bzw. vorliegend Retrozessionars (Beschwerdeführerin) ansiedeln und dementsprechend ihre Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 Bst. b zweiter Spiegelstrich LugÜ verneinen müssen.
Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und der angefochtene Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 13. Juni 2013 aufzuheben. Die Unzuständigkeitseinrede der Beschwerdeführerin ist zu schützen und auf die Klage der Beschwerdegegnerin nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG
).
Die Sache ist zum Entscheid über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens, über welche im angefochtenen Zwischenentscheid nicht befunden wurde, an das Handelsgericht zurückzuweisen (
Art. 67 und
Art. 68 Abs. 5 BGG
). | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8fdaa0cc-e48c-43b6-8b18-3f4742369c36 | Urteilskopf
115 V 368
50. Sentenza del 28 novembre 1989 nella causa X contro Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato e Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino | Regeste
Art. 62 Abs. 1, 73 und 74 BVG
: Abstrakte Normenkontrolle.
- Umschreibung der Rechtswege im Sinne von
Art. 73 BVG
bzw. von
Art. 62 Abs. 1 und 74 BVG
(Bestätigung der Rechtsprechung in
BGE 112 Ia 180
; Erw. 2).
- Ein Feststellungsbegehren ist im Verfahren nach
Art. 62 Abs. 1 und 74 BVG
zu beurteilen, wenn es ausschliesslich oder jedenfalls zur Hauptsache die abstrakte Normenkontrolle im Vorsorgebereich betrifft (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 115 V 368 S. 369
A.-
X è affiliata alla Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato del Cantone Ticino. Essa ha indirizzato alla Cassa un'istanza volta all'accertamento delle prestazioni che spetterebbero a lei stessa in caso di invalidità e al marito in caso di suo decesso. In via subordinata ha chiesto, nell'ipotesi in cui, in disattenzione del principio dell'uguaglianza tra i sessi sancito dall'
art. 4 cpv. 2 Cost.
, il diritto a prestazioni per superstiti a favore del marito fosse negato, la riduzione del contributo, lo stesso non essendo allora in proporzione alle prestazioni garantite dalla Cassa.
Con atto 26 gennaio 1988, munito delle indicazioni dei rimedi di diritto, l'amministrazione ha affermato che la legge cantonale sulla Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato (LCP) non prevede prestazioni a favore del vedovo e respinto la domanda di riduzione del contributo. La Cassa ha ritenuto che se vi poteva essere disparità di trattamento fra uomo e donna su questo punto, doveva essere osservato che nel suo insieme la posizione della donna nel vigente sistema previdenziale non era discriminata. Comunque, vista la stretta connessione fra LCP, LPP e LAVS, una migliore parificazione fra i sessi poteva avvenire solo nell'ambito di una revisione della LAVS.
B.-
L'assicurata ha interposto ricorso al Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino. Faceva valere la disparità di trattamento fra i sessi in quanto la normativa in vigore negava alle donne ciò che veniva riconosciuto agli uomini. Per quel che concerne i contributi, gli stessi avrebbero dovuto, se del caso,
BGE 115 V 368 S. 370
essere ridotti nella misura del rischio assicurato. Postulava quindi che "in annullamento dell'impugnata decisione" venisse accertato, in via principale, che la sua appartenenza alla Cassa pensioni comprendesse anche la corresponsione, in caso di sua morte, di una rendita vedovile al coniuge e, in via subordinata, che fosse proporzionalmente ridotto il premio addebitato dalla Cassa pensioni.
Il Tribunale cantonale delle assicurazioni, considerata l'istanza quale petizione, l'ha respinta mediante giudizio 14 luglio 1988. I primi giudici, pur ammettendo la disparità di trattamento fatta valere dall'assicurata, hanno ritenuto che non spettava al giudice, bensì al legislatore, porvi rimedio. Dal momento che la parità di trattamento doveva essere realizzata conseguendo la parità di prestazioni, non poteva peraltro essere accolta la richiesta di riduzione dei contributi.
C.-
L'interessata interpone ricorso di diritto amministrativo a questa Corte. Chiede l'annullamento del giudizio cantonale. Adduce che il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, dal momento che aveva ammesso la violazione dell'
art. 4 cpv. 2 Cost.
, avrebbe dovuto quantomeno fissare al legislatore un termine per adeguare la propria legislazione.
La Cassa pensioni e l'Ufficio federale delle assicurazioni sociali postulano la reiezione del gravame.
L'assicurata ha pure proposto ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale.
Erwägungen
Diritto:
1.
Con il ricorso di diritto amministrativo l'assicurata in sostanza contesta il giudizio cantonale nella misura in cui, pur ammettendo l'incostituzionalità del disciplinamento legale cantonale riconoscente il diritto alla pensione al solo congiunto superstite dell'assicurato di sesso maschile, ha convalidato l'accertamento dei diritti previdenziali fatto dalla Cassa pensioni in applicazione di esso ordinamento.
Si tratta di stabilire se l'autorità giudiziaria cantonale fosse competente a statuire sull'istanza d'accertamento dell'interessata. In effetti, il Tribunale federale delle assicurazioni esamina d'ufficio, trattandosi di questione di diritto, le condizioni formali di validità e regolarità della procedura (
DTF 113 V 203
consid. 3d,
DTF 112 V 83
consid. 1,
DTF 111 V 346
consid. 1a,
DTF 110 V 129
consid. 2 e
BGE 115 V 368 S. 371
149 consid. 2b 107 V 248 consid. 1b; GYGI Bundesverwaltungsrechtspflege 2a ediz., pag. 73 cpv. 3 e sentenze ivi citate).
2.
a) Giusta l'
art 73 cpv 1 LPP
ogni Cantone designa il tribunale che in ultima istanza cantonale decide le controversie tra istituti di previdenza, datori di lavoro e aventi diritto. Questo disposto si applica, da un lato, agli istituti di previdenza registrati di diritto pubblico - sia per quel che concerne le prestazioni minime obbligatorie che per quel che attiene alle prestazioni più estese di quelle minime (
art. 49 cpv. 2 LPP
) - e, d'altro lato, alle fondazioni di previdenza a favore del personale non registrate, nel campo delle prestazioni che eccedono il minimo obbligatorio (
art. 89bis cpv. 6 CC
). Per il cpv. 2 dell'
art. 73 LPP
i Cantoni prevedono una procedura semplice e spedita e di regola gratuita; il giudice accerta d'ufficio i fatti. Secondo l'
art. 73 cpv. 4 LPP
, poi, le decisioni dei tribunali cantonali designati dal cpv. 1 di questo disposto possono essere impugnate davanti al Tribunale federale delle assicurazioni con ricorso di diritto amministrativo.
Secondo l'
art. 61 cpv. 1 LPP
ogni Cantone designa un'autorità che vigila sugli istituti di previdenza con sede sul suo territorio. Il Cantone Ticino, in ossequio a questo disposto, ha designato il Dipartimento di giustizia (
art. 1o cpv. 1 del
regolamento provvisorio 29 novembre 1983 concernente la previdenza professionale). Ai sensi dell'
art. 62 cpv. 1 LPP
l'autorità di vigilanza veglia all'osservanza delle prescrizioni legali da parte dell'istituto di previdenza, in particolare verifica se le disposizioni regolamentari sono conformi alle prescrizioni legali (lett. a) e prende provvedimenti per eliminare i difetti accertati (lett. d). Per l'
art. 74 LPP
, il Consiglio federale istituisce una Commissione di ricorso indipendente dall'amministrazione (cpv. 1). Conformemente al cpv. 2 lett. a di questa norma la Commissione giudica i ricorsi contro le decisioni delle autorità di vigilanza. Il cpv. 4 del disposto prevede infine che le decisioni della Commissione di ricorso possono essere impugnate davanti al Tribunale federale con ricorso di diritto amministrativo.
b) In una sentenza pubblicata in
DTF 112 Ia 180
il Tribunale federale si è chinato sul tema dell'ambito d'applicazione delle vie di diritto dell'
art. 73 LPP
, da un lato, e degli
art. 62 cpv. 1 e 74 LPP
, d'altro lato.
Essa autorità ha così affermato che la procedura dell'azione di cui all'art. 73 era stata prevista principalmente ai fini di dirimere vertenze derivanti dall'applicazione della legge sulla previdenza
BGE 115 V 368 S. 372
professionale. Comunque, ha precisato quella Corte, tale procedura non concerne solo le controversie in cui sono litigiosi diritti attuali, bensì anche quelle relative a prestazioni future, in sostanza che possibili sono in questo campo non solo azioni d'esecuzione di prestazioni, ma anche azioni d'accertamento. La lettera dell'art. 73 cpv. 1 non esclude una procedura volta al controllo astratto di norme - ad esempio tramite un'azione d'accertamento -, ma deve essere osservato che la procedura introdotta con l'azione - la quale è essenzialmente intesa a dirimere liti in singoli casi d'applicazione - non si addice alla costatazione, indipendente da fattispecie litigiosa, della conformità di una determinata norma di un regolamento previdenziale alla Costituzione o ad altro diritto federale ed all'eliminazione della norma medesima (
DTF 112 Ia 184
consid. 2b).
Il Tribunale federale ha d'altro lato rilevato che pure l'ordinamento della procedura che fa seguito alla pronunzia dell'autorità giudiziaria di ultima istanza cantonale indica come l'azione ai sensi dell'
art. 73 LPP
non sia idonea al controllo astratto delle norme; in effetti, essi giudizi sono deferibili al Tribunale federale delle assicurazioni con ricorso di diritto amministrativo, per il quale, di regola, non è consentito il controllo astratto delle norme. Perché un giudizio di ultima istanza cantonale possa essere impugnato con ricorso di diritto amministrativo, deve avere come oggetto un provvedimento di un'autorità nel singolo caso ai sensi dell'
art. 5 cpv. 1 PA
- vertere cioè su una lite concreta - e non essere inteso al controllo di una norma, indipendentemente da fattispecie litigiosa. Il Tribunale federale ha concluso affermando che l'azione prevista dall'
art. 73 cpv. 1 LPP
e la conseguente procedura di ricorso di diritto amministrativo non permettono quindi il controllo astratto delle norme delle istituzioni previdenziali da parte del Tribunale federale delle assicurazioni (
DTF 112 Ia 185
consid. 2c e riferimenti ivi citati).
A tali considerazioni questa Corte ha dato piena adesione in occasione dello scambio di opinioni avuto con il Tribunale federale in sede della procedura conclusasi con la predetta sentenza (
DTF 112 Ia 186
consid. 2d).
Nella medesima sentenza il Tribunale federale ha affermato essere compito dell'autorità di vigilanza di procedere, su istanza delle persone che possono dimostrare un interesse degno di tutela all'eliminazione o alla modifica di disposizioni previdenziali, al
BGE 115 V 368 S. 373
controllo delle stesse e alla presa dei necessari provvedimenti. Con questo controllo l'autorità di vigilanza non si limita ad esaminare la conformità delle norme contestate al diritto in materia di previdenza professionale, bensì all'ordinamento legale in generale, vale a dire all'insieme del diritto federale privato e pubblico, segnatamente al diritto costituzionale. Concludendo, ha osservato il Tribunale federale, deve essere ritenuto che la procedura di cui agli
art. 62 cpv. 1 e 74 LPP
è precipuamente intesa al controllo, indipendente da una fattispecie litigiosa, di disposizioni regolamentari (
DTF 112 Ia 186
consid. 3b e riferimenti ivi citati).
3.
Giova rilevare ora come un'azione d'accertamento possa condurre al controllo astratto di norme (cfr. GYGI, op.cit., pag. 134). Ricordati i principi generali determinanti il campo d'applicazione delle vie di diritto di cui all'
art. 73 LPP
, da un lato, e agli
art. 62 cpv. 1 e 74 LPP
, d'altro lato, devono quindi ancora essere definiti i criteri ritenibili trattandosi di decidere quando un'istanza d'accertamento sia da esaminare dal profilo della prima e quando dal profilo della seconda delle suddette ricordate procedure.
È lecito chiedersi anzitutto se non ci si dovrebbe riferire ai criteri posti dalla giurisprudenza e dalla dottrina in materia di ricevibilità delle istanze d'accertamento. Una simile istanza esige l'esistenza di un interesse, vuoi di un interesse considerevole, attuale e degno di protezione all'immediato accertamento dell'esistenza o dell'inesistenza di un diritto o di un obbligo di diritto pubblico (cfr.
DTF 114 V 201
,
DTF 112 V 84
consid. 2a,
DTF 110 II 357
consid. 2,
DTF 109 Ib 85
consid. 1d,
DTF 108 Ib 546
consid. 3,
DTF 107 Ib 250
consid. 2a,
DTF 102 V 148
; GYGI, op.cit., pag. 144; KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, pag. 148 segg.; GUENG, Zur Tragweite des Feststellungsanspruchs gemäss Art. 25 VwG, RSJ 1971, pag. 369 segg.; GRISEL, Traité de droit administratif, pag. 867; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, pag. 207 segg.; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zum zürcherischen ZPO, pag. 123 segg.). Quando l'istanza sarebbe sufficientemente attuale, concreta, entrerebbe in linea di conto la via dell'
art. 73 LPP
, nel caso contrario quella degli
art. 62 cpv. 1 e 74 LPP
. Questa tesi non può essere ritenuta. Anzitutto ciò condurrebbe inevitabilmente ad un esame anticipato della ricevibilità dell'istanza di accertamento, esame questo cui si deve procedere solo una volta stabilita la via di diritto entrante in considerazione (sentenza del Tribunale federale 29 settembre 1989 in re GBH e llcc). Inoltre, essi
BGE 115 V 368 S. 374
criteri di ricevibilità dell'istanza non appaiono sufficientemente affidabili trattandosi di determinare la via di diritto applicabile.
Il legislatore con l'emanazione degli
art. 73 e 74 LPP
intendeva chiaramente definire le competenze (cfr. MEYER, Die Rechtswege nach dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, RDS 106 (1987) I, pag. 624; LANG, Aufsicht, Registrierung, Rechtspflege, in: HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 2a ediz., Berna 1984, pag. 306; LANG/HOLLENWEGER, Aufsicht und Rechtspflege in der beruflichen Vorsorge, in: Schriftenreihe der IST, N. 4, Zurigo 1985, pag. 27). Ora, lo scopo perseguito dal legislatore può essere raggiunto ritenendo essere esclusa la via di cui all'
art. 73 LPP
, e viceversa data quella dell'
art. 74 LPP
, quando sussistano elementi che indichino comportare l'istanza unicamente o comunque precipuamente il controllo astratto di norme. In altre parole, l'istanza deve essere evasa per la via dell'
art. 74 LPP
ogni qual volta l'accertamento richiesto presuppone esclusivamente o perlomeno principalmente l'esame astratto di una determinata norma. Questo criterio permette di evitare, illegittimamente e in contrasto con il principio della sicurezza del diritto, di confondere gli ambiti d'applicazione della procedura intesa alla decisione di casi concreti, da un canto, e di quella volta al controllo astratto delle norme, d'altro lato: in particolare si impedisce che, in occasione di modifiche di disposizioni di un istituto di previdenza, l'avente diritto abbia in pratica sempre la facoltà di chiederne il controllo tramite una procedura ai sensi dell'
art. 73 LPP
, il che non sarebbe conforme alla chiara definizione delle competenze voluta dal legislatore con l'emanazione degli
art. 73 e 74 LPP
.
A queste conclusioni il Tribunale federale delle assicurazioni è giunto a seguito di un nuovo scambio di opinioni sul tema con il Tribunale federale.
Non può certo essere disatteso che il predetto ordinamento è suscettibile di comportare comunque interferenze fra la procedura di cui all'
art. 73 LPP
e quella degli
art. 62 cpv. 1 e 74 LPP
, nel senso che una norma riconosciuta conforme alla legge dal Tribunale federale statuente in ultima istanza giusta la procedura di cui all'
art. 74 LPP
è suscettibile, viceversa, di essere considerata contraria alla legge medesima dal Tribunale federale delle assicurazioni nell'ambito di una procedura ai sensi dell'
art. 73 LPP
e quindi di non venir applicata (cfr.
DTF 112 Ia 191
consid. 4; MEYER, op.cit., pag. 624 seg.). Ma a questo inconveniente, che
BGE 115 V 368 S. 375
deriva direttamente dalla legge, non può essere ovviato in via giurisprudenziale nell'ambito della problematica relativa ai criteri da porre ai fini di stabilire la via giudiziaria applicabile.
4.
Nel caso concreto, l'accertamento dei diritti dell'assicurata in caso di suo decesso in favore del marito presuppone essenzialmente l'esame del tema della conformità alla legge del disciplinamento cantonale sulla Cassa pensioni, ossia un controllo astratto delle norme entranti in considerazione, questione questa da sottoporre all'autorità cantonale di vigilanza ai sensi della procedura degli
art. 62 cpv. 1 e 74 LPP
.
In queste condizioni, illegittimamente il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, dopo aver ritenuto a ragione costituire la "decisione" della Cassa una semplice determinazione e il "ricorso" dell'interessata un'azione (
DTF 115 V 224
e 239), si è pronunciato nel merito della stessa.
Questa Corte, ritenuto il ricorso di diritto amministrativo ricevibile nella limitata misura in cui deve essere costatata l'incompetenza del Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino a statuire, trasmette gli atti all'autorità cantonale ticinese di vigilanza in materia di previdenza professionale.
Dispositiv
Per questi motivi,
il Tribunale federale delle assicurazioni pronuncia:
In quanto ricevibile, il ricorso di diritto amministrativo è parzialmente accolto, nel senso che, in annullamento del giudizio cantonale, gli atti sono trasmessi per competenza all'autorità di vigilanza cantonale perché statuisca conformemente ai considerandi. | null | nan | it | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8fde75df-7686-46a3-9cc1-04bca06fb3ca | Urteilskopf
91 III 29
7. Entscheid vom 13. Mai 1965 i.S. Beta Holding SA | Regeste
1. Nach
Art. 17 SchKG
anfechtbare Verfügungen:
- eine nachträgliche Ausdehnung des Arrestbeschlages durch das Betreibungsamt (Erw. 1);
- die Ablehnung eines Gesuches um Zustellung der "definitiven" Arresturkunde (Erw. 2).
2. In der Arresturkunde ausdrücklich erklärte Ablehnung der Arrestierung weiterer Gegenstände, die unter die allgemeine Umschreibung derselben im Arrestbefehl fallen würden:
- diese Ablehnung wird nach unbenutztem Ablauf der Beschwerdefrist rechtskräftig (Erw. 4);
- sie kann, wenn eindeutig erklärt, auch nicht als "Rechtsverweigerung" noch später angefochten werden (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 91 III 29 S. 30
A.-
Für zwei Forderungen von Fr. 6'000,000.-- (Provision) und Fr. 60'000,000.-- (Schadenersatz) gegen die Italienischen Staatsbahnen, Rom, erwirkte die Rekurrentin am 22. Februar 1965 in Basel einen Arrestbefehl mit folgender Umschreibung der Arrestgegenstände:
"Sämtliche Guthaben, Beteiligungen, Depositen, Werttitel, Edelmetalle und überhaupt Valoren irgendwelcher Art der Schuldnerin bei
a) der Eurofima A. G. Europäische Gesellschaft für die Finanzierung von Eisenbahnmaterial, Parkweg 8, Basel;
b) der Interfrigo, Société Ferroviaire Internationale de Transports Frigorifiques, Hardstrasse 52, Basel."
BGE 91 III 29 S. 31
Das mit dem Vollzug des Arrestes beauftragte Betreibungsamt Basel-Stadt erliess vor Ausstellung der Arresturkunde Anzeigen an die Eurofima AG und an die Basler Zweigniederlassung (Generaldirektion) der Interfrigo (deren Hauptsitz in Brüssel ist) mit folgendem Zusatz: "Falls die Zahlung nicht umgehend erfolgt, ersuchen wir Sie innert 10 Tagen um schriftlichen Bericht, ob Sie die Forderung anerkennen, eventuell aus welchen Gründen Sie dieselbe bestreiten." Darauf teilte die Eurofima AG mit, sie besitze keine Vermögenswerte der angeführten Art, die der Arrestschuldnerin zustünden, ausser zwei gemäss
Art. 709 OR
hinterlegten Pflichtaktien Eurofima. Die Generaldirektion der Interfrigo verneinte ihrerseits den Besitz irgendwelcher der angeführten Vermögenswerte der Arrestschuldnerin; sie wies zugleich auf die massgebende Bedeutung ihres Hauptsitzes Brüssel hin.
Laut Arresturkunde vom 22./26. Februar 1965 wurden gestützt auf diese Berichte lediglich die zwei Pflichtaktien Eurofima nebst den aus dem Aktienbesitz fliessenden Erträgnissen auf die Dauer eines Jahres arrestiert. Die Arresturkunde hält im übrigen das negative Ergebnis der Anzeigen an die Eurofima AG und an die Generaldirektion der Interfrigo fest:
"Weitere Guthaben, Beteiligungen... besitzt die Eurofima gemäss Schreiben vom 25. Februar 1965 nicht. - Mit Schreiben vom 23. Februar 1965 erklärt die Generaldirektion der... Interfrigo, zugunsten der Arrestschuldnerin keine Guthaben, Beteiligungen... zu besitzen und bestreitet, dass zur Zeit irgendeine Forderung der Italienischen Staatsbahnen gegenüber der Interfrigo besteht."
B.-
Schon vor Empfang der Arresturkunde, am 24. Februar, hatte der Anwalt der Gläubigerin mit Hinweis auf telephonische Gespräche mit Beamten des Betreibungsamtes in einem Schreiben an dieses Amt geltend gemacht, die Beteiligung der Arrestschuldnerin an der Eurofima AG ergebe sich aus dem Aktienbuch; er behaupte ferner, die Aktien oder Aktienzertifikate der Arrestschuldnerin befänden sich bei der Eurofima. Unzweifelhaft sei, dass die Arrestschuldnerin sowohl bei der Eurofima wie auch bei der Interfrigo einen Dividendenanspruch habe. Die Arresturkunde sei daher sogleich auszustellen. - Beim Empfang dieser Urkunde am 26. Februar beharrte er auf den Ausführungen jenes Schreibens und verlangte, dass das Amt in das Aktienbuch der Eurofima Einsicht nehme und dort eine Sperre anlege. Und mit einem
BGE 91 III 29 S. 32
Schreiben vom 26. Februar an das Amt erklärte er, er halte daran fest, dass die Arrestschuldnerin nicht nur mit zwei Aktien am Kapital der Eurofima AG beteiligt sei, und dass das Betreibungsamt beim Vollzug des Arrestes Einsicht in das Aktienbuch zu nehmen habe, um die Beteiligung feststellen und dort zu Gunsten der Arrestgläubigerin sperren zu können. Ebenso habe das Amt in die Buchhaltung der Interfrigo Einsicht zu nehmen; der offizielle Sitz dieser Genossenschaft in Brüssel sei nur formeller Art. Er bitte das Betreibungsamt, "innerhalb der 10-tägigen Beschwerdefrist seit Zustellung Ihres Schreibens vom 16. ds. die notwendigen Schritte ... vorzukehren, damit die Ansprüche meiner Klientin bestmöglich gemäss Wortlaut des Arrestbefehls ... gesichert sind".
C.-
Das Betreibungsamt übermittelte der Eurofima AG sowie der Generaldirektion der Interfrigo die Bemerkungen der Arrestgläubigerin. Die Eurofima AG teilte mit, die Italienischen Staatsbahnen seien mit 1400 Namenaktien an ihrem Kapital beteiligt; doch seien nur jene zwei Pflichtaktien im Besitz der Eurofima. Die Interfrigo ging nicht von ihrer früheren Stellungnahme ab.
D.-
Am 9. März 1965 errichtete das Betreibungsamt einen Nachtrag zur Arresturkunde, des Inhaltes, gemäss Erklärung der Eurofima AG seien alle Erträgnisse aus dem gesamten Besitz der Italienischen Staatsbahnen an Eurofima-Aktien arrestiert; ein Widerspruchsverfahren werde allfällig erst bei Anmeldung von Ansprüchen eingeleitet.
E.-
Mit Eingabe vom 17. März verlangte die Arrestgläubigerin, das Betreibungsamt habe ihr "nunmehr die definitive Arresturkunde, worin alle verarrestierten Gegenstände im Detail angeführt sind, zuzusenden".
Hierauf liess ihr das Betreibungsamt am 24. März den unter D erwähnten Nachtrag zur Arresturkunde zugehen. Im Begleitschreiben bemerkte es auf das Ansuchen vom 17. März, "dass Ihnen die definitive Abschrift der Arresturkunde Nr. 25/65 am 26. Februar 1965 persönlich ausgehändigt wurde".
F.-
Mit Beschwerde vom 31. März, aufgegeben am 2. April 1965, stellte die Arrestgläubigerin den Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, bei der Eurofima, ... Basel, in deren Aktienbuch eine Sperre bezüglich sämtlicher im Eigentum der Italienischen Staatsbahnen stehenden Beteiligungen
BGE 91 III 29 S. 33
(Aktien) anzulegen, und es sei der Arrest auch bei der Interfrigo, ... Basel, zu vollziehen.
G.-
Auf diese Beschwerde ist die kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 26. April 1965 nicht eingetreten. In der Begründung wird erklärt, der am 9. März erstellte Nachtrag zur Arresturkunde enthalte keine neue Verfügung hinsichtlich des Arrestvollzuges. Gegenüber der am 26. Februar versandten Arresturkunde aber sei die Beschwerde verspätet. Diese Urkunde sei nicht als provisorische bezeichnet worden, und das Betreibungsamt habe sich nicht den Anschein gegeben, es werde den Arrestvollzug von sich aus ergänzen. Auf die in der Beschwerde erhobenen Vorwürfe der Willkür und des Verfahrensmangels sei somit wegen Versäumung der Beschwerdefrist nicht einzutreten. Sodann könne von Rechtsverweigerung nicht die Rede sein.
H.-
Mit vorliegendem Rekurs hält die Arrestgläubigerin an der Beschwerde fest.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Ansicht der Vorinstanz, der Nachtrag zur Arresturkunde gebe nur die Hauptpunkte eines Schreibens der Eurofima AG wieder und enthalte ferner eine blosse Mitteilung über die allfällige Einleitung eines Widerspruchsverfahrens, er bedeute aber keine neue Verfügung hinsichtlich des Arrestvollzuges, erweckt Bedenken. Durch diesen Nachtrag wurde der Kreis der arrestierten Gegenstände erweitert auf die Erträgnisse derjenigen Eurofima-Aktien der Arrestschuldnerin, die als solche, weil sie sich nicht wie die zwei Pflichtaktien im Besitz der Eurofima AG befinden, nicht arrestiert worden sind. Eine solche Erweiterung des Arrestbeschlages gilt nicht schon ohne weiteres dann, wenn ein Dritter (wie hier die Eurofima AG) sie gelten lassen will, sondern nur, wenn das Betreibungsamt sie anordnet, wie denn der Arrestvollzug in seiner Gesamtheit auf der Verfügung des damit beauftragten Amtes beruht. Kommt somit dem Nachtrag zur Arresturkunde der Charakter einer amtlichen Verfügung zu, so konnte er an und für sich auch den Gegenstand einer Beschwerde bilden. Er fällt aber für das vorliegende Beschwerdeverfahren ausser Betracht, weil er zum Vorteil der
BGE 91 III 29 S. 34
Gläubigerin gereichte und daher von dieser natürlich nicht angefochten wurde.
2.
Als Gegenstand der bei der Vorinstanz eingereichten Beschwerde erweist sich vielmehr der zweite Teil des Begleitschreibens, mit dem das Betreibungsamt jenen Nachtrag an die Gläubigerin gelangen liess. Darin erwiderte das Amt auf das Gesuch der Gläubigerin um Zusendung der "definitiven Arresturkunde", die definitive Abschrift der Arresturkunde sei ihrem Anwalte bereits am 26. Februar persönlich ausgehändigt worden. Das bedeutete eine Ablehnung jenes Gesuches mit der Begründung, schon die Arresturkunde vom 22./26. Februar habe den Arrestvollzug definitiv abgeschlossen, weshalb es dabei sein Bewenden haben müsse.
Die gegen diese Ablehnung des Gesuches vom 17. März 1965 geführte Beschwerde (die sich denn auch ausdrücklich gegen die in der Sendung vom 24. März 1965 enthaltene Verfügung richtete; Seite 6 unten der Beschwerdeschrift) war an und für sich rechtzeitig. Die Vorinstanz hätte deshalb darauf eintreten sollen.
3.
Das will jedoch nicht heissen, es sei in diesem Beschwerdeverfahren um die Beurteilung der von der Gläubigerin aufgeworfenen Frage gegangen, ob im Rahmen der Angaben des Arrestbefehls Nr. 25/65 noch weitere als die in der Arresturkunde vom 22./26. Februar 1965 aufgeführten Gegenstände (mit dem die Erträgnisse in grösserem Umfang einbeziehenden Nachtrag) zu arrestieren seien. Vielmehr war - zunächst - nur der vom Betreibungsamt ausgesprochene Ablehnungsgrund zu überprüfen, der die Rechtskraft jener am 26. Februar versandten (und dem Anwalt der Rekurrentin persönlich ausgehändigten) Arresturkunde zur Geltung brachte. Gerade dies aber hat die Vorinstanz getan; ihr Nichteintretensentscheid beruht im wesentlichen auf der Erwägung, in jener Arresturkunde habe das Betreibungsamt den Kreis der arrestierten Gegenstände auf Grund der Auskünfte der Eurofima AG und der Generaldirektion der Interfrigo festgelegt. Diesen Arrestvollzug habe die Gläubigerin nicht binnen gesetzlicher Frist angefochten; er sei daher rechtskräftig geworden und die erst am 31. März /2. April geführte Beschwerde nicht geeignet, die Frage zur Entscheidung zu bringen, ob dem Arrestbefehl in weiterem Umfang hätte entsprochen werden können und sollen.
BGE 91 III 29 S. 35
Angesichts dieser Begründung des angefochtenen Entscheides ist es bedeutungslos, dass er auf Nichteintreten statt auf Abweisung der Beschwerde lautet. Insofern übrigens, als die Beschwerdebegehren über das vom Betreibungsamt abgelehnte Gesuch hinausgingen, war das Nichteintreten, vom Standpunkt der Vorinstanz aus gesehen, gerechtfertigt.
4.
In der Sache selbst ist dem Betreibungsamt und der Vorinstanz darin beizustimmen, dass die Arresturkunde vom 22./26. Februar 1965 den Arrestbeschlag auf die darin verzeichneten Gegenstände begrenzt und zudem eine Arrestierung weiteren Vermögens durch den Hinweis auf die negativen Auskünfte der Eurofima AG und der Generaldirektion der Interfrigo ausdrücklich abgelehnt hat. Aus dem Briefwechsel zwischen dem Anwalt der Gläubigerin und dem Betreibungsamt lässt sich schliessen, dass diesem bei Abfassung der Arresturkunde die Argumente der Gläubigerin bereits bekannt waren (wie denn ein Schreiben der Gläubigerin vom 24. Februar vorlag und es auch zu mündlichen Besprechungen gekommen war). Deshalb leitete denn auch der Anwalt der Gläubigerin seine nochmaligen Darlegungen im Briefe vom 26. Februar an das Amt mit den Worten ein: "Ich halte (daran) fest ...". Im übrigen ergibt sich aus dem Schluss desselben Briefes, dass er sich des rechtlichen Charakters der Arresturkunde und der drohenden Rechtskraft derselben bewusst war. Sprach er doch die Bitte aus, das Betreibungsamt möge "innerhalb der 10-tägigen Beschwerdefrist seit Zustellung Ihres Schreibens vom 26. ds." Schritte zur Sicherung der Ansprüche der Gläubigerin unternehmen (oben B der Tatsachen, am Ende). Er spielte damit auf die Befugnis des Betreibungsamtes an, auf eine Verfügung zurückzukommen, solange sie nicht rechtskräftig ist (vgl.
BGE 76 III 87
; FRITZSCHE, SchK I 45/46).
Die Arresturkunde vom 22./26. Februar 1965 ist dann in der Tat rechtskräftig geworden. Der Umstand, dass das Betreibungsamt Eingaben der Gläubigerin zur Stellungnahme an die beiden Gesellschaften weiterleitete, vermochte daran nichts zu ändern. Und wenn das Amt in einem speziellen Punkte (hinsichtlich der Erträgnisse des Besitzes der Arrestschuldnerin an Eurofima-Aktien) dann doch den Arrestbeschlag erweiterte, so folgt daraus nicht, es sei noch in anderer Beziehung eine Ergänzung der Arresturkunde ins Auge zu fassen. Dies um so weniger, als das Betreibungsamt die Zulässigkeit
BGE 91 III 29 S. 36
jener erweiterten Ertragsarrestierung nachträglich bezweifelt hat.
5.
Mit Recht hat endlich die Vorinstanz den Vorwurf einer Rechtsverweigerung angesichts der Eindeutigkeit der Arresturkunde abgelehnt (
BGE 85 III 8
/9). Insbesondere die Frage, ob bei stark vinkulierten Namenaktien wie denjenigen der Eurofima AG die "Beteiligung" an einer Aktiengesellschaft getrennt von den Aktientiteln, und zwar am Gesellschaftssitz, arrestiert werden könne (abweichend von der Rechtsprechung betreffend die Arrestierung von Inhaberaktien,
BGE 88 III 142
/43), konnte daher mit dem Gesuch vom 17. März und mit der hernach eingereichten Beschwerde nicht mehr aufgeworfen werden.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8fe0d00a-bbfb-4b28-986b-005d7cb55180 | Urteilskopf
120 II 15
5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. März 1994 i.S. X. AG gegen E. und B. G. (Berufung) | Regeste
Art. 684 ZGB
. Durch Dancingbesucher verursachter Lärm.
Eine übermässige Einwirkung als Folge einer bestimmten Benutzung des Ausgangsgrundstücks kann auch erst ausserhalb desselben entstehen. Die Lärmverursacher sind nicht unbefugte Dritte, für die der Grundeigentümer nicht einstehen muss. | Sachverhalt
ab Seite 15
BGE 120 II 15 S. 15
A.-
E. und B. G. sind Eigentümer des Hotels A. an der Kantonsstrasse in F. Der X. AG gehört die nördlich desselben, ebenfalls an der Kantonsstrasse
BGE 120 II 15 S. 16
gelegene, durch ein Wohn- und Geschäftshaus sowie eine zum Postplatz führende Querstrasse vom Hotel getrennte Liegenschaft, in welcher das Dancing I. Club betrieben wird.
B.-
Das Bezirksgericht Imboden hiess die Klage der E. und des B. G. am 2. Dezember 1992 teilweise gut, verbot der X. AG, den I. Club länger als bis zu den ortsüblichen Schliessungszeiten des Gastgewerbes geöffnet zu halten und drohte für den Fall der Widerhandlung gegen dieses Verbot ihren Organen unter Hinweis auf
Art. 292 StGB
Haft oder Busse an.
Das Kantonsgericht von Graubünden wies die von der X. AG gegen dieses Urteil ergriffene Berufung am 13. Juli 1993 ab.
C.-
Die X. AG hat eidgenössische Berufung eingelegt mit dem Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Imboden gutzuheissen und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
E. und B. G. schliessen auf Abweisung der Berufung, soweit auf diese eingetreten werden könne. Das Kantonsgericht von Graubünden beantragt ebenfalls, die Berufung abzuweisen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Kantonsgericht stellt hinsichtlich Natur und Herkunft der von den Klägern beanstandeten Einwirkungen auf ihr Grundstück in tatsächlicher Hinsicht fest, die Gäste des Hotels A. seien während der Saison zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens in ganz erheblichem Masse Lärm ausgesetzt. Die Ruhestörung werde insbesondere durch den Motorenlärm an- und wegfahrender Autos, Lärm vom Zuschlagen der Türen, vom Betrieb der Radios und vom Quietschen der Reifen verursacht. Zudem würden die Hotelgäste wie auch die Anwohner - fährt das Kantonsgericht fort - von sich laut unterhaltenden, rufenden und schreienden, teilweise betrunkenen Dancingbesuchern aus ihrem Schlafe aufgeweckt. Diese Beeinträchtigungen seien zu einem wesentlichen Teil direkte Folge des Betriebes des I. Clubs, der zeitweise von bis zu 150 Personen besucht werde, welche die öffentlichen Abstellflächen um den Postplatz benützten, da die Beklagte keine eigenen Parkplätze besitze. Die Vorinstanz rechnet diese zwar von öffentlichem Grund ausgehenden - von ihr unwidersprochen als übermässig bezeichneten - Immissionen dennoch der Beklagten zu, da zwischen dem Betrieb des I. Clubs und diesen ein ursächlicher Zusammenhang bestehe.
BGE 120 II 15 S. 17
Die Beklagte bestreitet die Zurechenbarkeit im wesentlichen damit, der Lärm entstehe nicht im unmittelbaren Ein- und Ausgangsbereich des I. Clubs, sondern praktisch ausschliesslich auf entfernt liegendem, ihrer Herrschafts- und Einflussmöglichkeit entzogenem öffentlichem Grund. Die Ruhestörung stehe mit dem eigentlichen Betrieb des I. Clubs nicht in Verbindung. Die adäquate Kausalkette werde dadurch, dass sich die Gäste von ihrem Grundstück wegbegäben, unterbrochen. Die Beklagte wendet weiter ein, bei den Besuchern handle es sich nicht um ihre Hilfspersonen, sondern um unberechtigte Dritte, für deren Verhalten sie als Grundeigentümerin nicht einzustehen habe.
a) Nachbar im Sinne von
Art. 684 ZGB
ist nach allgemeiner Auffassung nicht nur der unmittelbare Anstösser, sondern jeder, der als Eigentümer eines Grundstücks von der Einwirkung betroffen wird (
BGE 109 II 304
E. 2 S. 309 mit Hinweisen). Die Kläger haben deshalb in bezug auf die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Immissionen als Nachbarn der Beklagten zu gelten. Unter "Einwirkungen auf das Eigentum der Nachbarn", die unter den in
Art. 684 ZGB
bestimmten Voraussetzungen verboten werden können, ist alles zu verstehen, was sich als eine nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge unwillkürliche Folge eines mit der Benutzung eines andern Grundstücks adäquat kausal zusammenhängenden menschlichen Verhaltens auf dem betroffenen Grundstück auswirkt (MEIER-HAYOZ, N. 67 zu
Art. 684 ZGB
; HAAB/SIMONIUS, N. 7 zu
Art. 684 ZGB
;
BGE 61 II 323
E. 4 S. 329). Die Immission muss nicht unbedingt von einer Benutzungshandlung ausgehen, die innerhalb der grundbuchlichen Grenzen des Ausgangsgrundstücks stattfindet; es genügt, dass sie als Folge einer bestimmten Benutzung oder Bewirtschaftung des Ausgangsgrundstücks erscheint, auch wenn die Störungsquelle ausserhalb des Grundstücks liegt. Deshalb ist der Lärm startender und landender Flugzeuge, auch soweit er nicht auf oder über dem Flugplatz entsteht, als Einwirkung des Flugplatzes anzusehen (MEIER-HAYOZ, N. 84 zu
Art. 679 ZGB
mit Hinweisen, N. 197 zu
Art. 684 ZGB
; STAUDINGER-ROTH, 12. Aufl., N. 102 zu § 906 BGB mit Hinweisen; SOERGEL-BAUR, 11. Aufl., N. 23a zu § 906 BGB mit Hinweisen), und der Grundeigentümer ist deshalb auch für die bei einem auf seinem Grundstück zu errichtenden Neubau durch die von der Belegung und Abschrankung des öffentlichen Strassenbodens hervorgerufene Verschlechterung des Zugangsweges zum nachbarlichen Ladengeschäft haftbar (
BGE 91 II 100
E. 2 S. 106). In entsprechender Weise geht der Lärm von Gaststättenbetrieben auch dann vom Gaststättengrundstück
BGE 120 II 15 S. 18
aus, wenn die Geräusche nicht auf dem Grundstück selbst oder dem dazugehörenden Parkplatz, sondern durch an- und abfahrende Personenwagen sowie aus der Unterhaltung der Gäste auf der öffentlichen Strasse in der Umgebung des Grundstücks erzeugt werden (STAUDINGER-ROTH, l.c.). Im Wesen einer Verursachungshaftung liegt es schliesslich, dass der Grundeigentümer nicht bloss für eigenes sowie für das Handeln eigentlicher Hilfspersonen einzustehen hat, sondern insbesondere auch für das Verhalten jener, die mit seiner Einwilligung das Grundstück oder dessen Einrichtungen benützen und daher nicht unbefugte Dritte sind (Keller, Haftpflicht im Privatrecht, Band I, 5. Aufl., S. 194; MEIER-HAYOZ, N. 63 zu
Art. 679 ZGB
;
BGE 83 II 375
E. 2 S. 380).
b) Das Kantonsgericht hat, indem es die durch das Verhalten der Gäste des I. Clubs ausserhalb der Grenzen des eigenen Grundstücks der Beklagten verursachten Immissionen auf die Liegenschaft der Kläger dem Gaststättengrundstück zurechnete, Bundesrecht demgemäss nicht verletzt. Die tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, der übermässige Lärm sei zu einem wesentlichen Teil direkte Folge des Betriebes des I. Clubs, wird von der Beklagten in unzulässiger Weise kritisiert (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
;
BGE 119 II 84
mit Hinweis). Wenn nach der von der Beklagten nicht als bundesrechtswidrig beanstandeten Erwägung des Kantonsgerichts es der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass Besucher von zur Nachtzeit geöffneten Gastwirtschaftsbetrieben durch lautes Sprechen, Singen, Grölen und beim Wegfahren mit ihren Autos unnötigen Lärm erzeugen, stellen die in Frage stehenden Lärmimmissionen auch adäquate Folge des Betriebes des I. Clubs dar. Eine Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhanges wird nach dem Gesagten auch nicht dadurch bewirkt, dass sich die Gäste, wenn sie die Nachtruhe stören, nicht mehr auf dem Grundstück der Beklagten aufhalten, wenn nur - wie hier - ein Bezug zur Benützung desselben eindeutig besteht. Ohne Belang ist mithin auch, ob die Besucher, wenn sie Lärm machen, sich noch im Herrschaftsbereich der Beklagten oder ausserhalb desselben befinden, und ob sie bereits auf der Liegenschaft der Beklagten Hotelgäste auf diese Weise belästigt haben. Ihr Tun ist offenkundig kein solches unberechtigter Dritter, das bloss in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Benützung der öffentlichen Verkehrsflächen steht, jedoch mit der Ausübung des Grundeigentums durch die Beklagte nicht verknüpft ist. Dass die Lärmimmissionen "bei Gebrauch des Grundstückes" hervorgerufen werden
BGE 120 II 15 S. 19
müssen, ist nicht zwingend, und dass sie "an dasselbe gebunden" sein müssen, trifft - wie dargelegt - ebenfalls nicht zu. Was die Beklagte zulässigerweise vorbringt, erweist sich insgesamt nicht als stichhaltig. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8fe1d03c-0c00-4f6e-aa39-67016462f581 | Urteilskopf
94 I 138
21. Auszug aus dem Urteil vom 24. Januar 1968 i.S. Zarotti gegen Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. | Regeste
1.
Art. 88 OG
. Der Baugesuchsteller, der nicht Eigentümer des Baugrundstücks ist und keine anderweitigen Rechte daran hat, kann gegen die Abweisung seines Baugesuches staatsrechtliche Beschwerde führen (Anderung der Rechtsprechung).
2. Eigentumsgarantie; Verweigerung der Baubewilligung für eine Tankstelle. Gewohnheitsrecht als gesetzliche Grundlage öffentlichrechtlicher Eigentumsbeschränkungen; die Normblätter der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachmänner beinhalten kein Gewohnheitsrecht. Bedeutung von
Art. 3 Abs. 4 SVG
. Voraussetzungen für den Erlass einer Polizeinotverfügung. | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 94 I 138 S. 139
Zarotti will auf der Westseite der Klettgauerstrasse in Neuhausen auf dem Grundstück GB Nr. 1954, das derzeit Heinrich Benz gehört, eine Benzintankstelle bauen. Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen hat das Baugesuch am 20. April 1967 "aus Gründen der Verkehrssicherheit" abgewiesen. Er hat dazu ausgeführt, im Baubewilligungsverfahren könnten unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Wohles Gründe der Verkehrspolizei berücksichtigt werden, ohne dass es dafür einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Die Verhinderung eines Bauvorhabens aus solchen Gründen verstosse weder gegen die Eigentumsgarantie noch gegen die Handels- und Gewerbefreiheit, wenn bei Erteilung der Baubewilligung mit offensichtlich unhaltbaren Zuständen gerechnet werden müsste, wie das hier zutreffe. Die projektierte Tankstelle käme an die stark befahrene Klettgauerstrasse und in den Vorsortierungsbereich einer sehr belasteten Verkehrskreuzung zu liegen. Aus Gründen der Verkehrssicherheit und um die Leistungsfähigkeit des Knotenpunktes nicht zu beeinträchtigen, sei das Baugesuch abzulehnen.
Zarotti hat hiergegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und des
Art. 4 BV
erhoben.
BGE 94 I 138 S. 140
Der Regierungsrat hat die Abweisung der Beschwerde beantragt. Das Bundesgericht hat nach einem Meinungsaustausch mit dem Bundesrat über die Zuständigkeit zur Beurteilung der Beschwerde diese gutgeheissen und den Beschluss des Regierungsrates vom 20. April 1967 aufgehoben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Grundstück GB 1954 in Neuhausen, worauf sich das vom Regierungsrat abgewiesene Baugesuch bezieht, gehört einem Dritten. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, es stehe ihm eine Dienstbarkeit (wie beispielsweise ein Baurecht) an der Liegenschaft zu, er habe einen obligatorischen Anspruch auf Übertragung des Grundstücks oder auf Einräumung eines Baurechts oder er besitze ein Kaufsrecht und könne sich durch dessen Ausübung das Eigentum am Grundstück verschaffen. Das Bundesgericht hat in
BGE 86 I 102
Erw. 3 erkannt, ein Baugesuchsteller, der weder Eigentümer des zu überbauenden Grundstücks ist noch einen der genannten weiteren Rechtstitel daran hat, werde durch die Abweisung seines Baugesuches nicht in seinen eigenen, rechtlich erheblichen Interessen berührt, weshalb er nicht befugt sei, gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Diese Betrachtungsweise ist kritisiert worden (vgl. HANS HUBER, ZBJV 97 S. 339); sie hält einer Überprüfung nicht stand. Räumt das kantonale Recht auch dem Nichteigentümer die Befugnis ein, mit Zustimmung des Eigentümers ein Baugesuch zu stellen, dann hat jener einen Anspruch darauf, dass die zuständige Behörde nach dem Gesetz und in pflichtgemässer Handhabung des ihr eingeräumten Ermessens über das Gesuch entscheidet. Hält die Behörde sich nicht daran, so wird der Baugesuchsteller dadurch in seinem Anspruch auf gesetzmässige und ermessensfehlerfreie Entscheidung verletzt. Hierin liegt eine Beeinträchtigung rechtlich erheblicher Interessen, gegen die der Baugesuchsteller sich mit der staatsrechtlichen Beschwerde zur Wehr setzen kann (vgl. ZSR 86 II S. 471/72). Er kann sich dabei nicht nur auf
Art. 4 BV
berufen, der die Interessen des Einzelnen auf allen Rechtsgebieten beschlägt, sondern kann zudem eine Verletzung der Eigentumsgarantie geltend machen, da die Baubewilligungsbehörde das Baugesuch auch nach Massgabe der Rechtsgrundsätze zu prüfen hat, die aus diesem Verfassungsrecht fliessen.
Der Beschwerdeführer hat das Projekt zur Überbauung der
BGE 94 I 138 S. 141
Parzelle GB Nr. 1954 in Neuhausen mit Zustimmung des Grundstückeigentümers ausgearbeitet und den Behörden unterbreitet. Nach kantonaler Verwaltungsübung stand ihm das Recht zur Einholung der Baubewilligung zu. Er ist mithin nach dem Gesagten befugt, die Verweigerung der Baubewilligung mit der staatsrechtlichen Beschwerde anzufechten.
2.
Der Regierungsrat geht im angefochtenen Beschluss selber davon aus, das kantonale Recht enthalte keine gesetzlichen Vorschriften, worauf sich die Verweigerung der Baubewilligung stützen liesse. Diese Annahme erweist sich als richtig.
a) Der Regierungsrat macht mit Fug nicht geltend, Art. 38 des kantonalen Baugesetzes erlaube das Verbot. Diese Bestimmung umschreibt die Anforderungen, die an "Ausmündungen und Ausgänge" auf öffentliche Strassen und Plätze zu stellen sind; sie sagt nicht, wie es zu halten ist, wenn keine Möglichkeit zur Anlegung verkehrsgerechter Zu- und Wegfahrten besteht.
b) Der Regierungsrat nimmt in der Vernehmlassung auf das Normblatt SNV 40 628 der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachmänner (VSS) Bezug. Diese von einem privaten Verein herausgegebenen Richtlinien vermöchten nur dann die gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Eigentum abzugeben, wenn ihr Inhalt Gewohnheitsrecht wäre (vgl.
BGE 81 I 34
,
BGE 88 I 176
). Das trifft indessen nicht zu, da die beiden Voraussetzungen für die Bildung von Gewohnheitsrecht - die lange dauernde, regelmässige Übung und die sie tragende allgemeine Rechtsüberzeugung (
BGE 81 I 34
mit Verweisungen,
BGE 83 I 246
/47,
BGE 84 I 95
Erw. 4) - fehlen. Das Bundesgericht würdigt denn auch in ständiger Rechtsprechung die Normblätter der VSS nicht als Ersatz für eine gesetzliche Grundlage, sondern lediglich als Hilfsmittel für die Prüfung der sich bei der Abklärung des öffentlichen Interesses stellenden Frage, ob eine bestimmte Anlage den Anforderungen der Verkehrssicherheit genüge (vgl.
BGE 83 I 151
/52,
BGE 87 I 353
/54; ZBl 1960 S. 83, 1961 S. 379, 1965 S. 254, 1966 S. 239 Erw. 5).
c) Die gesetzliche Grundlage des angefochtenen Beschlusses kann auch nicht in
Art. 3 SVG
erblickt werden. Laut Abs. 4 dieser Bestimmung können die Kantone den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr auf öffentlichen Strassen "Beschränkungen" und anderweitigen "Anordnungen" unterwerfen, "soweit die Sicherheit, die Erleichterung oder die Regelung des
BGE 94 I 138 S. 142
Verkehrs, der Schutz der Strasse oder andere in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe dies erfordern". Der Bundesrat, der auf Beschwerde hin zur Prüfung der Auslegung dieser Vorschrift des eidgenössischen Verwaltungsrechtes zuständig ist (
Art. 125 Abs. 1 lit. b OG
), hat im Meinungsaustausch festgestellt, dass sich die Gebote und Verbote gemäss
Art. 3 SVG
nur an die Verkehrsteilnehmer richten können. Die streitige Verweigerung der Baubewilligung ist gegenüber dem Beschwerdeführer als Bauinteressenten und nicht gegenüber den künftigen Benützern der Tankstelle ausgesprochen worden. Die Adressaten des angefochtenen Beschlusses sind demnach nicht die Verkehrsteilnehmer, was es nach der Auffassung des Bundesrates ausschliesst, die Verfügung als "Beschränkung" oder "Anordnung" im Sinne von
Art. 3 Abs. 4 SVG
aufzufassen.
3.
Die Ablehnung des Baugesuches lässt sich mithin weder auf kantonales noch auf eidgenössisches Gesetzesrecht stützen. Die Voraussetzungen, worunter der Regierungsrat auch ohne eine gesetzliche Grundlage kraft der allgemeinen Polizeiklausel der Verfassung (Art. 66 Ziff. 15 KV) auf dem Wege der Polizeinotverfügung (
BGE 83 I 118
,
BGE 88 I 176
; für den Kanton Schaffhausen: Urteil vom 18. Oktober 1961 i.S. Günter, Erw. 3) in die Baufreiheit eingreifen dürfte, sind nicht gegeben. Der Bundesrat weist im Meinungsaustausch darauf hin, dass die Gewährleistung der Verkehrssicherheit, die der Regierungsrat mit baupolizeilichen Mitteln anstrebt, auch mit Hilfe von Verkehrsmassnahmen erreicht werden kann, indem
Art. 3 Abs. 4 SVG
es gestattet, den Fahrverkehr "über die Grenze zwischen der Strasse und dem betreffenden Grundstück" zu untersagen, falls sich sonst eine untragbare Beeinträchtigung des Strassenverkehrs einstellen würde. Steht aber dem Regierungsrat dieses gesetzliche Mittel zur Verhinderung eines polizeilichen Notstandes zur Verfügung, so entfällt die Möglichkeit des Erlasses einer Polizeinotverfügung.
Der angefochtene Beschluss ist mangels gesetzlicher Grundlage verfassungswidrig. Er ist deshalb aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8fe4ab61-e8a5-46d3-9961-b00031064e0e | Urteilskopf
99 Ia 113
15. Urteil vom 6. April 1973 i.S. Rinderknecht gegen Gemeinderat Grüningen, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. | Regeste
Zürcherische Gesetzgebung über das Bauwesen und die Gewässer. Eidg. Gewässerschutzgesetz vom 8. Oktober 1971.
Befehl der kantonalen Behörde, einen Wohnwagen, den der Eigentümer ständig auf seinem Grundstück stehen lässt, samt Nebeneinrichtungen zu entfernen.
1. Die ausdrücklich bloss auf kantonales Recht gestützte Anordnung unterliegt insoweit, als sie der Sache nach in Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften über den Gewässerschutz ergangen ist, nicht der staatsrechtlichen Beschwerde, sondern der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
2. Neue Einwendungen, die in einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Willkür erhoben werden, sind in der Regel unzulässig (Erw. 4 a).
3. Übergangsrecht: Anwendbarkeit neuer Vorschriften auf ein im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits hängiges Verfahren (Erw. 4 b betr. das kantonale Recht; Erw. 9 betr. das eidg. Gewässerschutzgesetz).
4. Der Beseitigungsbefehl lässt sich ohne Willkür auf die kantonalen Vorschriften für Gebäude gründen, soweit er den Wohnwagen und die funktionell eng mit ihm verbundenen Nebeneinrichtungen betrifft, dagegen nicht in bezug auf eine Abwassergrube, die nach der Entfernung des Wohnwagens noch als Wasserspeicher für die Pflege eines Gartens verwendbar ist (Erw. 3 und 6).
5. Der Befehl, die Grube zu beseitigen, kann auch nicht auf die bundesrechtliche Ordnung des Gewässerschutzes gestützt werden (Erw. 10). | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 99 Ia 113 S. 114
Aus dem Tatbestand:
A.-
Peter Buser hatte seinen Wohnwagen früher am Ufer des Greifensees in der dortigen Schutzzone abgestellt, war aber weggewiesen worden. Darauf kaufte er im Jahre 1963 rund 12 a Wiesland im Forchholz in der Gemeinde Grüningen. Das
BGE 99 Ia 113 S. 115
Grundstück ist gemäss dem Zonenplan zur Bauordnung dieser Gemeinde vom 14. Juli 1961 (Bauo) dem Übrigen Gemeindegebiet zugeteilt. Buser stellte den Wohnwagen dort am Rande des angrenzenden Waldes ab, ohne eine baupolizeiliche Bewilligung einzuholen. Der Wagen steht auf "Sockeln", die nach der Darstellung der Beschwerdeführerin aus aufgeschichteten Steinplatten bestehen. Als Zufahrtsweg dient ein Waldsträsschen. Vor der Türe des Wohnwagens liegt hangabwärts ein mit Steinplatten belegter Vorplatz, der vom Waldrand her über drei steinerne Treppenstufen erreichbar ist. Er wird durch ein faltbares Vordach geschützt, das mit Holzstangen auf den Boden gestützt wird. Unter dem Vorplatz befindet sich eine betonierte Abwassergrube. Das Trink- und Brauchwasser wird mittels einer Leitung von einem benachbarten Bauernhof bezogen. Sein Eigentümer soll sich verpflichtet haben, die Abwassergrube regelmässig zu leeren. Am Waldrand hinter dem Wohnwagen liegt ein gedeckter Materialstapel.
B.-
Der Gemeinderat von Grüningen forderte mit Beschluss vom 26. Oktober 1965 Buser auf, den Wohnwagen und die zugehörigen Einrichtungen zu entfernen. Buser rekurrierte an den Bezirksrat Hinwil. Vor dessen Entscheid übernahm die von Buser geschiedene Ehefrau, nun Frau Rinderknecht, das Grundstück in Grüningen und den Wohnwagen zu Eigentum. Sie legte auf einem Teil der Liegenschaft einen Garten an und wollte den Wohnwagen weiterhin zu Wochenend- und Ferienaufenthalten benützen. Der Bezirksrat wies den Rekurs am 30. Dezember 1970 ab.
C.-
Eine Beschwerde der Frau Rinderknecht gegen den Entscheid des Bezirksrates hat der Regierungsrat des Kantons Zürich am 23. Dezember 1971 ebenfalls abgewiesen. Er nimmt an, der auf dem Grundstück in Grüningen abgestellte Wohnwagen der Beschwerdeführerin sei als Baute zu betrachten. Der Wagen müsse samt Nebeneinrichtungen entfernt werden, da seine Stationierung auf dem Grundstück gegen materielle baupolizeiliche Bestimmungen verstosse. Der Regierungsrat stützt sich in erster Linie auf Art. 14 Bauo (Heimatschutz) und auf die kantonale Verordnung über allgemeine und Wohnhygiene vom 20. März 1967 (HygieneV). Im weitern führt er aus, nach § 89 des kantonalen Gesetzes über die Gewässer und den Gewässerschutz vom 15. Dezember 1901/2. Juli 1967 (WasserG) könnte die Baute nicht an die öffentliche Kanalisation
BGE 99 Ia 113 S. 116
angeschlossen werden, da sie ausserhalb des Einzugsgebietes des generellen Kanalisationsprojektes - d.h. des im Zonenplan der Gemeinde ausgeschiedenen Baugebietes - liege und weder der Land- noch der Forstwirtschaft noch einem bestehenden Gewerbebetrieb diene. Für eine anderweitige Beseitigung des Abwassers sei nicht in genügender Weise gesorgt.
D.-
Frau Rinderknecht ficht den Entscheid des Regierungsrates, soweit er sich auf Gründe des Gewässerschutzes stützt, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an. Sie beantragt, "die diesbezüglichen Anordnungen aufzuheben".
Der Regierungsrat hat auf Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde verzichtet. Das Eidg. Departement des Innern stellt in seiner Vernehmlassung keinen bestimmten Antrag.
E.-
Frau Rinderknecht hat gegen den Entscheid des Regierungsrates auch Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich erhoben. Dieses hat den Beseitigungsbefehl mit Bezug auf die Wasserleitung, den mit Steinplatten belegten Vorplatz und die zugehörige Steintreppe aufgehoben; im übrigen hat es die Beschwerde abgewiesen. Der Begründung seines Urteils vom 23. Juni 1972 ist zu entnehmen:
Der Wohnwagen auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin sei ein Gebäude im Sinne der Bauo und des kantonalen Baugesetzes für Ortschaften mit städtischen Verhältnissen (BauG). Es fehle eine genügende Zufahrt im Sinne des § 46 BauG, und der Abstand des gegenwärtigen Standortes des Wagens vom Waldrand sei nach Art. 15 Bauo zu gering. Ferner seien die Anforderungen des § 25 HygieneV nicht erfüllt. Der Hahn der Wasserzuleitung befinde sich ausserhalb des Wohnwagens. Die Wasserzuleitung sei rechtlich nicht gesichert. Sie sei ohne Bewilligung der Wasserversorgungsgenossenschaft Grüningen erstellt worden. Die Bewilligung sei auch gar nicht erhältlich, weil eine einwandfreie Abwasserbeseitigung nicht gewährleistet sei (§§ 48, 89 WasserG). Da das Grundstück der Beschwerdeführerin ausserhalb des Einzugsgebietes des generellen Kanalisationsprojektes liege und der Wohnwagen weder der Land- noch der Forstwirtschaft noch einem bestehenden Gewerbebetrieb diene, sei der Anschluss an die Kanalisation der Gemeinde nicht zulässig, und für eine anderweitige nach Gesetz zulässige Abwasserbeseitigung - Versickerung, geschlossene Abwassergrube - fehle die notwendige
BGE 99 Ia 113 S. 117
Bewilligung der kantonalen Baudirektion (§§ 79, 89 WasserG). Die Stationierung des Wohnwagens sei somit in mehrfacher Beziehung materiell polizeiwidrig, weshalb er zu entfernen sei. Ob auch die Landschaftsschutzbestimmung des Art. 14 Bauo seine Beseitigung gebiete, könne offen bleiben.
Ausser der Baute seien auch die mit ihr eng verbundenen Einrichtungen zu beseitigen, wie die Sockel, die Holzstangen zur Befestigung des Vordaches und die Abwassergrube, diese auch deshalb, weil Gruben, die nicht mehr für die Aufnahme häuslicher Abwässer benützt werden, oft schlecht unterhalten seien und daher die umliegenden Gewässer gefährden könnten. Dagegen sei die Wasserleitung, obwohl funktionell mit dem Wohnwagen verbunden, doch insofern eine selbständige Einrichtung, als sie der Beschwerdeführerin auch nach der Entfernung der Baute dienlich sein könne. Sie sei daher zu belassen, wie auch der Vorplatz und die zugehörige Treppe, die keine Gebäudeteile seien und von der Beschwerdeführerin ebenfalls weiterhin verwendet werden könnten. Zu entfernen sei jedoch der ausgesprochen hässliche Materialstapel.
F.-
Frau Rinderknecht führt gegen das Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichtes staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, "es sei auch in bezug auf die abgewiesenen Beschwerdepunkte die Beschwerde gutzuheissen und die vorinstanzlichen Entscheidungen seien in diesem Umfange aufzuheben".
Das kantonale Verwaltungsgericht und der Gemeinderat Grüningen beantragen, die staatsrechtliche Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I.
Staatsrechtliche Beschwerde
1.
Das zürcherische Verwaltungsgericht hat seinen Entscheid vorab auf Vorschriften des kantonalen Baugesetzes, der Bauordnung der Gemeinde Grüningen und der kantonalen Hygieneverordnung gestützt. Daneben hat es auch § 48 Abs. 1 sowie §§ 79 und 89 des kantonalen Wassergesetzes herangezogen. Nach § 48 Abs. 1 dürfen öffentliche Unternehmungen für die Wasserversorgung an Neubauten, für die keine nach §§ 87-89 zulässige Möglichkeit der Beseitigung des Abwassers besteht, kein Wasser abgeben. Diese Norm ist - wie die vom kantonalen Verwaltungsgericht angewandten Vorschriften des BauG, der Bauo und der HygieneV - rein kantonalrechtlicher Art.
BGE 99 Ia 113 S. 118
Es ist Sache des kantonalen öffentlichen Rechtes, zu bestimmen, wann öffentlichen Unternehmungen die Pflicht zur Wasserlieferung auferlegt und wann ihnen eine solche Lieferung verboten ist. Kantonalrechtlicher Art bleibt die getroffene Regelung auch dann, wenn ihre Anwendung von der Beurteilung einer gewässerschutzrechtlichen Vorfrage abhängt. Dagegen haben die §§ 79 und 89 WasserG den Schutz der Gewässer zum Gegenstand. § 79 betrifft die Bewilligungspflicht für alle Vorkehren, durch welche Gewässer gefährdet werden können, und § 89 regelt insbesondere den Anspruch auf Anschluss an die öffentliche Kanalisation für das Abwasser aus Bauten sowie die Abwasserbeseitigung in geschlossenen Gruben. Die Beseitigung der Abwässer, welche Gewässer verunreinigen können, wird aber in erster Linie durch die Gesetzgebung des Bundes geordnet. Nach dem alten wie nach dem neuen eidgenössischen Gewässerschutzgesetz haben die kantonalen Bestimmungen über den Gewässerschutz nur die Bedeutung von Ausführungsvorschriften zum Bundesrecht (
BGE 96 I 760
f., 98 I b 244). Soweit sie mit dem Bundesrecht nicht übereinstimmen, sind sie nicht anwendbar. Wenn das Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichtes feststellt, der Wohnwagen müsse auch aus Gründen des Gewässerschutzes entfernt werden, nämlich deshalb, weil er nach § 89 WasserG nicht an eine öffentliche Kanalisation angeschlossen werden könne und weil für eine anderweitige Abwasserbeseitigung die nach § 79 erforderliche Bewilligung fehle, ist es der Sache nach in Anwendung von Bundesrecht ergangen. Ebenso hat das Verwaltungsgericht der Sache nach Bundesrecht insofern angewandt, als es angenommen hat, die Abwassergrube müsse auch deshalb beseitigt werden, weil sie eine Gefahr für die umliegenden Gewässer darstelle. In diesen Beziehungen ist nicht die staatsrechtliche Beschwerde, sondern die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht der gegebene Rechtsweg (
BGE 96 I 761
E. 1). Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde ist daher nur in dem Umfange zulässig, als die darin vorgebrachten Rügen nicht die Anwendung des Gewässerschutzrechtes betreffen. Die in dieser Beschwerde auch berührte Frage, ob die angefochtenen Anordnungen mit den Vorschriften über den Gewässerschutz vereinbar seien, ist - soweit notwendig - bei der Beurteilung der ebenfalls eingereichten Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu prüfen, und zwar ohne Einschränkung, nicht nur unter dem Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
.
BGE 99 Ia 113 S. 119
2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch das willkürliche Verbot, ihren Wohnwagen auf ihrem Grundstück zu belassen, werde gesetzwidrig ihr Eigentumsrecht verletzt.
Art. 22ter BV
gewährleistet das Eigentum und lässt öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen nur auf dem Wege der Gesetzgebung und bei Vorhandensein eines öffentlichen Interesses zu. Die vom zürcherischen Verwaltungsgericht angewandten Bestimmungen rein kantonalrechtlicher Art enthalten öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen, weil sie den Grundeigentümer in der Ausnützung seines Eigentums hindern. Die Beschwerdeführerin zieht indessen die Rechtsbeständigkeit dieser Vorschriften, insbesondere deren Verträglichkeit mit der Eigentumsgarantie, nicht in Zweifel und beruft sich überhaupt nicht auf
Art. 22ter BV
. Sie behauptet lediglich, die Vorschriften seien ihr gegenüber willkürlich angewandt worden. Das Bundesgericht überprüft die Anwendung kantonalen Gesetzesrechts auch nur auf Willkür hin, übrigens selbst dann, wenn neben
Art. 4 BV
noch die Eigentumsgarantie angerufen wird (
BGE 98 Ia 384
E. 1b).
3.
Die Beschwerdeführerin räumt ein, "dass ein Gebäude auf dem fraglichen Grundstück nach den heutigen Bestimmungen nicht erstellt werden könnte". Sie sieht jedoch Willkür darin, dass ihr Wohnwagen als Gebäude im Sinne der zürcherischen Baugesetzgebung qualifiziert worden ist.
Die Kantone können innerhalb der Schranken, die durch das Bundesrecht - insbesondere
Art. 4 BV
- gezogen sind, das Baurecht ordnen und auch Vorschriften über die rechtliche Behandlung der Wohnwagen aufstellen. Den Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt eine gesetzliche Regelung dann, wenn sie sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützt oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht zu finden ist (
BGE 97 I 782
E. 2 c), oder keine Unterscheidungen trifft, wo solche vernünftigerweise angebracht wären. Unter diesem Vorbehalt sind die Kantone befugt, gewisse für Bauten oder Gebäude geltende Bestimmungen auch auf Wohnwagen anwendbar zu erklären oder diese besonderen Vorschriften zu unterwerfen (vgl. § 9 des Baugesetzes des Kantons Schwyz vom 30. April 1970, wonach Wohnwagen ausserhalb der öffentlichen Zeltplätze nur an geeigneten, von der Baubewilligungsbehörde bezeichneten Standorten aufgestellt werden dürfen, und dazu Urteil des Bundesgerichts vom 27. September 1972 i.S. Waser;
BGE 99 Ia 113 S. 120
§ 10 Abs. 1 lit. c des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, wonach Wohnwagen, die länger als zwei Monate auf dem gleichen Grundstück abgestellt werden, als Bauten im Sinne dieses Gesetzes gelten; ZAUGG, Komm. zum Baugesetz des Kantons Bern vom 7. Juni 1970, S. 45, mit Hinweis auf die ähnliche Regelung in diesem Kanton; für den Kanton Zürich s. auch Urteil des Bundesgerichts vom 21. Februar 1968 betr. den Türlersee, Auszug in ZBl 70/1969 S. 102 ff.).
Der Begriff des Gebäudes ist weder im zürcherischen BauG noch in der Bauo der Gemeinde Grüningen umschrieben. Das kantonale Verwaltungsgericht versteht darunter jede im Boden eingelassene oder darauf stehende Anlage, die einen Raum zum Schutze von Menschen und Sachen gegen äussere, namentlich atmosphärische Einflüsse mehr oder weniger vollständig abschliesst. Diese Auslegung entspricht einer langen Verwaltungspraxis und wird auch in der Literatur vertreten (vgl. EGGER, Einführung in das zürcherische Baurecht, 3. Aufl., S. 12 f.; FRIEDRICH/SPÜHLER/KREBS, Bauordnung der Stadt Winterthur, S. 24). Sie ist keineswegs willkürlich.
Das kantonale Verwaltungsgericht betrachtet als Gebäude im Sinne des zürcherischen Baurechts auch Wohnwagen, die dauernd oder doch mit einer gewissen Regelmässigkeit - z.B. jedes Wochenende und/oder während der Ferienzeit - auf dem gleichen, eigens dafür hergerichteten Standplatz abgestellt werden, um dort als Unterkunft oder zur Unterbringung von Sachen zu dienen. Auch diese Auffassung ist vertretbar und daher nicht willkürlich. Sie berücksichtigt, dass ein Wohnwagen, der längere Zeit an einem bestimmten, besonders dafür vorbereiteten Platze stehen gelassen wird, die gleichen Funktionen erfüllt wie ein fest mit dem Untergrund verbundenes Gebäude, so dass es als gerechtfertigt erscheint, auf ihn die gleichen Regeln anzuwenden, die für Gebäude herkömmlicher Art gelten. In diesem Sinne ist es haltbar, davon abzusehen, dass die feste Verankerung im Boden ein Merkmal eines gewöhnlichen Gebäudes ist, und anzunehmen, es genüge, wenn eine Anlage, wie eben ein während längerer Dauer an der gleichen Stelle plazierter Wohnwagen, dazu bestimmt ist, vorwiegend ortsfest zu Wohnzwecken benutzt zu werden (SCHEERBARTH, Das allgemeine Bauordnungsrecht, 2. Aufl., S. 155). Dafür spricht auch die Erwägung, dass es sonst nicht schwer wäre, durch Aufstellen und ständiges Stehenlassen an
BGE 99 Ia 113 S. 121
sich transportabler Bauten die Vorschriften der Baugesetzgebung zu umgehen. Diesem Gesichtspunkt kommt in einer Zeit, in der Wohnwagen weite Verbreitung gefunden haben und die Tendenz gewachsen ist, sie als ortsfeste Dauerferienwohnungen zu benützen, besondere Bedeutung zu.
Es steht fest, dass der Wohnwagen der Beschwerdeführerin seit Jahren am gleichen, eigens dafür hergerichteten Standplatz abgestellt ist und dort von ihr als Unterkunft während des Wochenendes und der Ferien benützt wird. Er darf unter diesen Umständen ohne Willkür als Gebäude im Sinne der kantonalen Gesetzgebung betrachtet werden. Wenn er gelegentlich wegbewegt und für kürzere Zeit an eine andere Stelle des Grundstücks verbracht worden ist, so ist dies unerheblich. Es kommt auch nicht darauf an, ob er ohne grosse Anstalten in Fahrbereitschaft versetzt werden kann, so dass der deswegen beantragte Augenschein überflüssig ist. Massgebend ist das tatsächliche Verhalten der Beschwerdeführerin.
Aus der ausdehnenden Auslegung, die das kantonale Verwaltungsgericht dem Begriff des Gebäudes gibt, mögen sich hinsichtlich der Wohnwagen, die dazu bestimmt sind, für längere Zeit an einem gegebenen Ort - z.B. auf einem dazu hergerichteten Campingplatz - aufgestellt zu werden, Schwierigkeiten bei der Gesetzesanwendung ergeben. Das kann aber nicht ein Grund sein, jene Auslegung als willkürlich zu betrachten. Es ist Sache der kantonalen Praxis, aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts die erforderlichen Schlussfolgerungen für die Behandlung von Wohnwagen auf Campingplätzen usw. zu ziehen. Es ist deshalb überflüssig zu erheben, ob für Wohnwagen, die auf Campingplätzen abgestellt werden, die Einholung einer Baubewilligung verlangt wird oder nicht. Wenn Wohnwagen von Schaustellern usw. nicht als Gebäude qualifiziert werden, kann die Beschwerdeführerin daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Denn solche Wohnwagen lassen sich nach der Art ihrer Verwendung nicht mit dem der Beschwerdeführerin vergleichen; es fehlt ihnen die Ortsbezogenheit. Was die Schreberhäuschen anlangt, kann ebenfalls dahingestellt bleiben, ob die Vorschriften für Gebäude auch auf sie Anwendung finden. Übrigens nimmt das kantonale Verwaltungsgericht an, dass für Schreberhäuschen ausserhalb des Einzugsgebietes des generellen Kanalisationsprojektes der Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung und Kanalisation gleichfalls
BGE 99 Ia 113 S. 122
verweigert werden müsse. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge der rechtsungleichen Behandlung ist unbegründet.
4.
Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, die Vorschriften der HygieneV, die 1967 in Kraft trat, (und die im gleichen Jahr in Kraft gesetzten revidierten Bestimmungen des WasserG) hätten hier überhaupt nicht angewandt werden dürfen; denn das Verfahren vor den kantonalen Instanzen hätte noch vor dem Inkrafttreten dieser Vorschriften zum Abschluss gebracht werden können, wenn es rechtzeitig eingeleitet und ordnungsgemäss durchgeführt worden wäre. Das Verwaltungsgericht wendet ein, die Beschwerdeführerin habe vor ihm aus der langen Dauer des Verfahrens des Bezirksrates nichts abgeleitet, weshalb das Bundesgericht sich mit der Rüge nicht befassen könne.
a) Neue Einwendungen, die in einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Willkür erhoben werden, sind grundsätzlich unzulässig, selbst wenn die letzte kantonale Instanz freie Kognition besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte (
BGE 94 I 144
, 98 I a 52 E. 1). Ausnahmen werden für Vorbringen gemacht, zu deren Geltendmachung erst die Begründung des angefochtenen Entscheids Anlass gab, und für Gesichtspunkte, die sich aufdrängen und daher von der kantonalen Instanz offensichtlich von Amtes wegen hätten berücksichtigt werden müssen (
BGE 77 I 9
,
BGE 94 I 144
/145). Ob die Rüge, welche die Beschwerdeführerin aus der langen Dauer des kantonalen Verfahrens herleitet, unter eine dieser Ausnahmen falle, kann indessen offengelassen werden, da sie auf keinen Fall durchdringt.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es nicht willkürlich, wenn die entscheidende Behörde im Baubewilligungsverfahren das zur Zeit ihrer Entscheidung in Kraft stehende und nicht das alte, bei Einreichung des Gesuches gültige Recht anwendet, es sei denn, sie (oder eine Vorinstanz) habe die Beurteilung ungebührlich verzögert, um das Inkrafttreten der neuen Vorschriften abzuwarten (
BGE 95 I 125
). Im vorliegenden Fall äussert sich die Beschwerdeführerin jedoch nicht über die Gründe der langen Dauer des Verfahrens. Sie macht insbesondere nicht geltend, der Bezirksrat habe seinen Entscheid hinausgeschoben, um das Inkrafttreten der in Frage stehenden neuen Ordnung abzuwarten. Das ist um so weniger
BGE 99 Ia 113 S. 123
wahrscheinlich, als der Entscheid des Bezirksrates auch nachher noch jahrelang auf sich warten liess. Es kann somit keine Willkür darin gesehen werden, dass das während der Dauer des kantonalen Rekursverfahrens in Kraft getretene neue Recht angewandt worden ist. Selbst wenn das Gegenteil anzunehmen wäre, vermöchte dies übrigens am Ausgang des Beschwerdeverfahrens nichts zu ändern. Denn nach dem Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichtes ist der Wohnwagen auch mangels einer hinreichenden Zufahrt im Sinne des § 46 BauG aus dem Grundstück zu entfernen, und die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass diese Bestimmung keinesfalls - auch nicht unter der Voraussetzung, dass der Wohnwagen als Gebäude im Sinne des kantonalen Rechts zu betrachten ist - hätte angewandt werden dürfen.
5.
Die Beschwerdeführerin erachtet als stossend und willkürlich, dass die kantonalen Behörden, nachdem sie das Aufstellen des Wohnwagens in der Schutzzone am Greifensee untersagt hätten, ihn nun auch am neuen Standort nicht dulden wollen. Auch dieser Einwand hilft ihr nicht. Anders wäre allenfalls zu entscheiden, wenn die kantonalen Behörden seinerzeit den Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin veranlasst hätten, den Wohnwagen gerade auf das von ihm dann gekaufte Grundstück zu verbringen, und wenn er gestützt darauf das Land erworben hätte, um den Wagen dort zu plazieren. Dass es sich so verhalte, behauptet jedoch die Beschwerdeführerin nicht.
6.
Das kantonale Verwaltungsgericht nimmt an, dass bauliche Einrichtungen, die ausserhalb der Umfassungswände eines Gebäudes angebracht sind und für sich allein keine Bauten wären, als Teile des Gebäudes zu behandeln seien, wenn sie mit ihm räumlich, baulich und funktionell eng verbunden sind. Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz und ist nicht willkürlich, derartige Nebenanlagen das rechtliche Schicksal der Baute teilen zu lassen. Das Verwaltungsgericht hat angeordnet, dass ausser dem Wohnwagen auch die "Sockel", auf denen er stehe, die Holzstangen zur Befestigung des Vordaches und die Abwassergrube zu beseitigen seien, weil es sich um Gebäudeteile im erwähnten Sinne handle. Die Beschwerdeführerin wendet ein, ihr Wohnwagen werde gar nicht auf Sockel, sondern auf aufgeschichtete Steine abgestützt. Das Verwaltungsgericht erklärt in der Vernehmlassung, seine die Sockel betreffende
BGE 99 Ia 113 S. 124
Anordnung sei gegenstandslos, wenn dies zutreffe. Trifft es nicht zu, so ist die Anordnung nicht willkürlich, da zwischen einem abgestellten Wohnwagen und den ihn tragenden Sockeln eine enge funktionelle Verbindung besteht. Dasselbe gilt hinsichtlich der Stangen, die das Vordach tragen.
Anders verhält es sich dagegen mit der Abwassergrube. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sie die Grube unabhängig davon, ob der Wohnwagen entfernt werden müsse oder nicht, benützen könne, um das Regenwasser zu sammeln, das sie dann zum Begiessen ihres Gartens verwenden werde. Das ist einleuchtend. Die gleichen Überlegungen, die das Verwaltungsgericht veranlassten, die Beschwerde hinsichtlich der Wasserleitung gutzuheissen, gelten im wesentlichen auch für die Abwassergrube. Dass diese etwa Spaziergänger oder andere Personen, die das Grundstück der Beschwerdeführerin betreten, gefährden könnte, nimmt das Verwaltungsgericht offenbar nicht an. Die Anordnung, dass die Grube einzudecken sei, ist nicht haltbar und daher willkürlich - es wäre denn, dass sie sich auf Gründe des Gewässerschutzes stützen liesse, was bei der Prüfung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu untersuchen ist.
7.
Sollte sich die staatsrechtliche Beschwerde auch gegen das vom kantonalen Gericht geschützte Gebot der Beseitigung des Materialstapels am Waldrand richten, so ist auf sie in diesem Punkt mangels Begründung (
Art. 90 OG
) nicht einzutreten.
II.
Verwaltungsgerichtsbeschwerde
8.
Nach den vorstehenden Erwägungen sind die vom kantonalen Verwaltungsgericht bestätigten Anordnungen insoweit nicht zu beanstanden, als sie auf der Anwendung rein kantonalrechtlicher Vorschriften beruhen und nicht die Abwassergrube, sondern andere Anlagen und Einrichtungen betreffen. Daher ist die beim Bundesgericht aus Gründen des Gewässerschutzes erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur noch in bezug auf die Abwassergrube zu prüfen. Im übrigen ist sie gegenstandslos geworden.
9.
Während der Pendenz der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor dem Bundesgericht - am 1. Juli 1972 - ist das BG über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung vom 8. Oktober 1971 (GSchG 1971) in Kraft getreten. Wie es in Art. 45 Abs. 2 bestimmt, ist mit seinem Inkrafttreten das gleich
BGE 99 Ia 113 S. 125
betitelte BG vom 16. März 1955 (GSchG 1955) aufgehoben worden. Das GSchG 1971 enthält - abgesehen von dem hier ausser Betracht fallenden Art. 44 betreffend die Bundesbeiträge - keine Vorschriften über das Verhältnis zwischen dem alten und dem neuen Recht, insbesondere über die Frage, welches Recht auf bereits anhängige Verfahren anzuwenden ist. Weder in der Botschaft des Bundesrates (BBl 1970 II 425ff.) noch in den Verhandlungen der eidgenössischen Räte wurde das Problem erörtert, soweit es nicht die Bundesbeiträge betrifft. In den anderen Beziehungen sind mangels einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz die einschlägigen Vorschriften des Schlusstitels des ZGB heranzuziehen (
BGE 96 I 676
). Der Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung wird allgemein als vordringliche nationale Aufgabe betrachtet. Die Bestimmungen des GSchG 1971, die eine längst als notwendig erachtete Verschärfung der Gewässerschutzvorschriften bringen und eine möglichst rasche Verhinderung weiterer Gewässerverunreinigungen gewährleisten sollen, sind um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt (vgl. BBl 1970 II 426f.;
BGE 98 Ia 33
). Sie finden deshalb auf alle Tatsachen Anwendung, soweit das Gesetz eine Ausnahme nicht vorgesehen hat (
Art. 2 SchlT ZGB
). Das GSchG 1971 ist somit - unter Vorbehalt des Art. 44 - auch in Fällen massgebend, in denen das den Gewässerschutz betreffende Verfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechtes noch nicht abgeschlossen war (Urteil vom 30. März 1973 i.S. Gallusbach Immobilien AG).
10.
Die Abwassergrube auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin kommt für die Sammlung häuslicher Abwässer nicht mehr in Betracht, da der Wohnwagen zu entfernen ist. Gleichwohl hat das kantonale Verwaltungsgericht gefunden, sie müsse auch deshalb eingedeckt werden, weil Gruben, die nicht mehr für die Aufnahme häuslicher Abwässer benützt werden, erfahrungsgemäss schlecht unterhalten würden und daher eine Gefahr für die umliegenden Gewässer bildeten. Die Beschwerdeführerin will die Grube beibehalten, weil sie darin Regenwasser - und eventuell auch Leitungswasser - auffangen will, das sie für das Begiessen ihres Gartens zu verwenden gedenkt. Es ist nicht einzusehen, inwieweit durch das in der betonierten Grube angesammelte Regen- oder Leitungswasser selbst bei Undichtwerden der Grube eine Gefahr für Gewässer entstehen könnte. Das kantonale Gericht sagt auch nicht, welche ober-
BGE 99 Ia 113 S. 126
oder unterirdischen Gewässer in der Umgebung nach seiner Meinung gefährdet sein könnten. Das Gebot, die Grube einzudecken, lässt sich daher nicht auf das GSchG 1971 - übrigens auch nicht auf das GSchG 1955 - gründen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Soweit sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen das Gebot der Beseitigung der Abwassergrube richtet, wird sie im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Im übrigen wird sie abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.- Soweit sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Gebot der Beseitigung der Abwassergrube richtet, wird sie im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Im übrigen ist sie gegenstandslos geworden. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8ff3543e-9a1e-499c-b715-fc76e616aa3b | Urteilskopf
90 IV 114
24. Urteil des Kassationshofes vom 15. April 1964 i.S. Schmid gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 57 Abs. 1 lit. a BG über die berufliche Ausbildung.
Unberechtigte Lehrlingsausbildung im Elektro-Installationsgewerbe; Berechnung der zulässigen Zahl der Lehrlinge, die in einem Betrieb gleichzeitig gehalten werden dürfen. | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 90 IV 114 S. 114
A.-
Nach Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1930 über die berufliche Ausbildung (BAG) kann der Bundesrat die Zahl der Lehrlinge, die ein Betrieb gleichzeitig ausbilden darf, durch Verordnung für bestimmte Berufe beschränken. In Art. 7 Abs. 2 (in Verbindung mit Art. 2) der Verordnung I zum BAG vom 23. Dezember 1932 wird diese Kompetenz an das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) weiterdelegiert. Dieses erliess am 18. April 1946 ein Reglement über die Lehrlingsausbildung im Elektro-Installationsgewerbe (BBl 1946 II 831). Ziff. 2 dieses Reglements bestimmt in der durch Verfügung des EVD vom 11. Dezember 1956 abgeänderten Fassung:
"In einem Betrieb dürfen ausgebildet werden:
1 Lehrling, wenn der Meister allein oder mit 1 gelernten Arbeiter tätig ist; ein zweiter Lehrling darf seine Probezeit beginnen, wenn der erste ins letzte Lehrjahr tritt;
2 Lehrlinge, wenn der Meister 2 bis 3,
3 Lehrlinge, wenn der Meister 4 bis 6 gelernte Arbeiter ständig beschäftigt.
1 weiterer Lehrling auf jede weitere angebrochene oder ganze Gruppe von 3 ständig beschäftigten, gelernten Arbeitern.
.....
BGE 90 IV 114 S. 115
Bei Vorliegen besonderer Verhältnisse, wie Mangel einer geeigneten Lehrstelle oder Mangel an gelernten Arbeitskräften kann die zuständige kantonale Behörde im Einzelfall die vorübergehende Erhöhung der hiervor festgesetzten Lehrlingszahl bewilligen."
B.-
Schmid ist verantwortlicher Geschäftsführer der Elektro-Radio Schmid AG, die in Bern ein Elektro-Installationsgeschäft betreibt. Anfangs 1961 hatte die Firma Schmid AG drei Lehrlinge in Ausbildung, von denen einer die Lehre Mitte April 1961 beendete. Im Frühjahr 1961 schloss die Firma drei weitere Lehrverträge für die Zeit vom 4. April 1961 bis 3. April 1965 ab. Am 3. Juli 1961 verweigerte das Amt für berufliche Ausbildung des Kantons Bern die nach Art. 7 Abs. 3 BAG erforderliche Genehmigung der Verträge. Es erklärte, die Firma beschäftige nicht genügend gelernte Arbeitskräfte, um mehr als zwei Lehrlinge auszubilden. Schmid setzte ungeachtet der amtlichen Stellungnahme die Ausbildung der drei neuen Lehrlinge bis zum Herbst 1961 fort, beschäftigte also von Mitte April 1961 an insgesamt fünf Lehrlinge.
Am 4. Oktober 1961 beschwerte sich die Elektro-Radio Schmid AG bei der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion mit dem Begehren, ihr die Ausbildung von vier Lehrlingen zu gestatten und demgemäss zwei neue Lehrverträge zu genehmigen. Die Volkswirtschaftsdirektion wies die Beschwerde grundsätzlich ab, bewilligte der Beschwerdeführerin aber in Anwendung von Ziff. 2 Abs. 3 des erwähnten Reglementes des EVD ausnahmsweise ein drittes Lehrverhältnis mit Wirkung ab Frühjahr 1961. Ein gegen diesen Entscheid eingereichter Rekurs wurde vom Regierungsrat des Kantons Bern am 2. März 1962 abgewiesen.
Gegen den Entscheid des Regierungsrates führte die Elektro-Radio Schmid AG staatsrechtliche Beschwerde. Diese wurde vom Bundesgericht am 18. September 1963 abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.
C.-
Am 5. April 1963 erklärte das Obergericht des Kantons Bern in Bestätigung eines Urteils des Gerichtspräsidenten VIII von Bern Schmid der Widerhandlung
BGE 90 IV 114 S. 116
gegen Art. 5 Abs. 1 BAG schuldig und verurteilte ihn gestützt auf Art. 57 Abs. 1 lit. a BAG zu Fr. 150. - Busse.
D.-
Schmid führt gegen das obergerichtliche Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er die Lehrverträge für die Elektro-Radio Schmid AG abgeschlossen hat und als Organ dieser Aktiengesellschaft strafrechtlich verantwortlich ist (vgl.
BGE 82 IV 45
f.,
BGE 85 IV 97
ff.).
2.
Das Obergericht geht davon aus, die Frage, wieviele Lehrlinge in einem Betrieb ausgebildet werden dürfen, falle in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde, und deren Entscheid sei, wenn er nicht nur vorfrageweise, sondern in der Hauptsache ergangen sei, für den Strafrichter verbindlich. Der Entscheid des Regierungsrates vom 2. März 1962, wonach die Elektro-Radio Schmid AG im April 1961 nur zur Ausbildung von drei Lehrlingen, wovon einer auf Grund einer Sonderbewilligung, berechtigt gewesen sei, könne daher im Strafverfahren nicht mehr überprüft werden. Ob diese Auffassung zutreffe, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn nämlich der Strafrichter die Frage der zulässigen Lehrlingszahl frei zu entscheiden hätte (vgl.
BGE 85 IV 70
), wäre im vorliegenden Falle das Ergebnis kein anderes.
a) Massgebend für die Zahl der Lehrlinge, die in einem Betrieb gleichzeitig ausgebildet werden dürfen, muss nach dem Gesetz vor allem die Rücksicht auf die sorgfältige Ausbildung der Lehrlinge sein (Art. 5 Abs. 1 BAG, ebenso Art. 12 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Berufsausbildung vom 20. September 1963). Die Verordnung I wiederholt dies und stellt als weiteren Grundsatz auf, dass die Zahl der Lehrlinge zur Zahl der im Betrieb beschäftigten
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gelernten Arbeitskräfte in einem angemessenen Verhältnis stehen soll (Art. 7 Abs. 1, ebenso Art. 12 Abs. 2 des BG über die Berufsausbildung vom 20. September 1963). Das Reglement des EVD, das diese Verhältniszahl festlegt, stellt auf die Zahl der "ständig" beschäftigten gelernten Arbeitskräfte ab. Dabei ist richtigerweise von den Verhältnissen auszugehen, wie sie im Zeitpunkt des Lehrantritts bestehen. Denn nur diese Verhältnisse sind beim Abschluss des Lehrvertrages mit einiger Sicherheit überblickbar, und zudem verlangt der Ausbildungszweck, dass die gelernten Arbeitskräfte von Anfang an im Betrieb vorhanden sind.
b) Die Elektro-Radio Schmid AG beschäftigte anfangs April 1961 zwei gelernte schweizerische Monteure (Spycher und Meienberger), von Mitte April 1961 an ausserdem einen dritten (Kropf) sowie Weber, der am 15. April 1961 die Lehre abgeschlossen hatte und als Arbeiter weiterbeschäftigt wurde. Von den daneben beschäftigten fünf italienischen Arbeitern fallen vier als gelernte Monteure zum vorneherein ausser Betracht. Wie im Urteil der staatsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts vom 18. September 1963 näher ausgeführt wurde, verfügen zwei der erwähnten Italiener über gar keinen Fähigkeitsausweis und zwei weitere über keinen genügenden, da sie lediglich im Jahre 1959/60 einen Jahreskurs besucht hatten und diese Ausbildung zusammen mit der bis zum Frühjahr 1961 dauernden praktischen Tätigkeit offensichtlich nicht genügt, um sie der vierjährigen Lehrzeit eines schweizerischen Elektromonteurs gleichzustellen. Wollte man noch den fünften Italiener, der im Jahre 1953/54 einen Jahreskurs als Elektriker absolvierte, mit Rücksicht auf seine praktische Weiterausbildung als gelernten Arbeiter mitzählen, so würde die Zahl der gelernten Arbeiter im April 1961 insgesamt nur fünf betragen haben, was nach dem Reglement keinen Anspruch auf mehr als drei Lehrlinge gibt.
c) Damit steht objektiv fest, dass die Elektro-Radio Schmid AG von den fünf Lehrlingen, die sie vom April 1961 bis Herbst 1961 in ihrem Betrieb ausbildete, zwei im
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Sinne des Art. 57 Abs. 1 lit. a BAG unberechtigterweise gehalten hat.
3.
Der Beschwerdeführer macht erneut geltend, er habe angenommen, er sei zu seinem Vorgehen berechtigt gewesen. Damit beruft er sich auf Rechtsirrtum (
Art. 20 StGB
), jedoch zu Unrecht.
a) Zum vorneherein ist die Behauptung des Beschwerdeführers unrichtig, das BIGA habe ausländische Fähigkeitsausweise den schweizerischen generell gleichgestellt. Im Kreisschreiben vom 9. Februar 1962 stellt das BIGA im Gegenteil fest, dass die italienischen Fähigkeitsausweise den schweizerischen meistens nicht gleichwertig seien, und es erklärt denn auch im Bericht vom 31. Oktober 1962 an das Bundesgericht, es sei deshalb im Einzelfall auch die Weiterausbildung italienischer Arbeiter sowie ihre Stellung und Entlöhnung im schweizerischen Lehrbetrieb mitzuberücksichtigen. Was die Ausbildung und praktische Tätigkeit der in Frage stehenden fünf italienischen Arbeiter anbetrifft, ist bereits dargetan worden, dass mindestens vier von ihnen nicht den Anforderungen entsprachen, die in der Schweiz an einen gelernten Elektromonteur gestellt werden. Überdies waren die fünf Italiener auch mit bezug auf die Entlöhnung den schweizerischen Monteuren nicht gleichgestellt, denn sie bezogen in der Stunde Fr. -.80 bis 1.10 weniger als diese. Die Elektro-Radio Schmid AG hat auch nie nachgewiesen oder auch nur erklärt, ihre italienischen Arbeiter würden ebenso selbständig eingesetzt wie die schweizerischen Facharbeiter (vgl. das unter Ziff. 2 lit. b erwähnte Urteil des Bundesgerichts vom 18. September 1963, S.11).
b) Ebensowenig konnte sich der Beschwerdeführer darauf stützen, in Biel würden die italienischen Arbeiter bei der Berechnung der zulässigen Lehrlingszahl allgemein als gelernte Arbeitskräfte mitgezählt. Der Zeuge Fischer, auf den er sich beruft, hat die behauptete Praxis nicht bestätigt. Er erklärte vielmehr nur, dass ausländische Arbeitskräfte mitberücksichtigt werden, wenn sie "tüchtig
BGE 90 IV 114 S. 119
und gut ausgebildet" bzw. wenn die Italiener "gut ausgewiesen" seien.
c) Haltlos ist auch der Einwand des Beschwerdeführers, er habe annehmen dürfen, ein Lehrverhältnis komme erst mit der gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigung des Lehrvertrages durch die Behörde zustande, folglich könne vor diesem Zeitpunkt ein Lehrling nicht unberechtigt ausgebildet werden. Der Beschwerdeführer übersieht, dass das Lehrverhältnis mit der tatsächlichen Ausbildung beginnt und deshalb auch die behördliche Genehmigung des Lehrvertrages auf den Zeitpunkt, in dem die Lehre angetreten wird, zurückwirkt (vgl. Bericht des BIGA vom 31. Oktober 1962 an das Bundesgericht). Wäre die Auffassung des Beschwerdeführers richtig, könnten ungestraft Lehrlinge gehalten werden, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, was das Gesetz gerade verhindern will.
d) Schliesslich kann der Beschwerdeführer auch nicht einwenden, die gewerbliche Lehrlingskommission des Amtes Bern habe ihn der Möglichkeit, sich nach der zulässigen Zahl der Lehrlinge zu erkundigen, beraubt, weil sie am 19. Januar 1961 die vorzeitige Prüfung der Lehrverträge abgelehnt und ihn aufgefordert habe, die Verträge erst nach Ablauf der Probezeit einzureichen. Dieses Vorgehen der Behörde, das der gesetzlichen Vorschrift des Art. 7 Abs. 3 BAG entsprach, hinderte den Beschwerdeführer nicht, die städtischen oder kantonalen Behörden hinsichtlich der zulässigen Lehrlingszahl zu befragen. Er war übrigens im Besitze des roten Anmeldeformulars, auf dessen Rückseite die Lehrbetriebe ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Lehrlingskommissionen über die Voraussetzungen und die Zahl der zulässigen Lehrverhältnisse Aufschluss erteilen.
Jedenfalls konnte der Beschwerdeführer spätestens aus dem Schreiben der Lehrlingskommission vom 25. Mai 1961 ersehen, dass die in seinem Betrieb beschäftigten italienischen Arbeiter, bevor deren Berufsausbildung näher
BGE 90 IV 114 S. 120
abgekärt war, nicht als gelernte Monteure mitgezählt werden durften und dass die Elektro-Radio Schmid AG nicht davon ausgehen durfte, sie sei berechtigt, vier oder fünf Lehrlinge zu halten. Der Beschwerdeführer liess es jedoch darauf ankommen, sandte weder damals noch auf die zweite behördliche Aufforderung vom 16. Juni 1961 hin die verlangten Unterlagen ein und traf auch sonst keine Anstalten, um die Lehrverhältnisse gesetzlich zu ordnen, so dass am 3. Juli 1961 gegen ihn Strafanzeige erstattet werden musste. Was den 5. Lehrling (Bürki) betrifft, war sich übrigens der Beschwerdeführer, wie das Obergericht verbindlich feststellt, von allem Anfang an bewusst, dass er ihn ohne Berechtigung hielt.
4.
Der Beschwerdeführer hat vorsätzlich gehandelt, d.h. einen Teil der Lehrlinge mit Wissen und Willen unberechtigterweise ausgebildet. Diese Feststellung des Obergerichts ist in tatsächlicher Hinsicht für den Kassationshof verbindlich (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277 bis Abs. 1 BStP). Dass die Vorinstanz von einem rechtlich unzutreffenden Vorsatzbegriff ausgegangen sei, wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht, offenbar mit Recht nicht. Der Straftatbestand des Art. 57 Abs. 1 lit. a BAG ist daher auch subjektiv erfüllt.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ff4306c-93e7-4dba-aabb-ec38c9137e99 | Urteilskopf
103 III 40
9. Sentenza del 31 agosto 1977 nella causa R. contro S. | Regeste
Retentionsrecht des Vermieters (
Art. 283 SchKG
)
1. Befugnis der Betreibungsbehörden zu prüfen, ob der Vermieter ein sich aus
Art. 272 OR
ergebendes Retentionsrecht habe (E. 1).
2. Befugnis dieser Behörden, den Betrag der Mietzinsen und die Zeitabschnitte zu bestimmen, auf die sich diese beziehen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 41
BGE 103 III 40 S. 41
Ritenuto in fatto:
A.-
In data 17 maggio 1977, R. presentava all'Ufficio di esecuzione e fallimenti del Circolo di X. una domanda di ritenzione relativa alle cose mobili che si trovavano nei locali da lui appigionati a S., con contratto 29 agosto 1973. In particolare, egli chiedeva il rilascio di un atto di ritenzione per le rate della pigione scaduta, pari a Fr. 27'360.--, e concernenti il periodo 1o giugno 1976-1o giugno 1977, nonché per quelle del semestre in corso, relative al periodo 1o giugno 1977-1o dicembre 1977 e pari a Fr. 13'600.--.
L'istanza era tuttavia respinta con decisione del 20 maggio 1977.
B.-
Lo stesso 20 maggio, R. si aggravava alla Commissione del Tribunale cantonale dei Grigioni, quale Autorità di vigilanza sull'esecuzione e sui fallimenti, chiedendo l'annullamento della decisione dell'Ufficio di X. e postulando l'accoglimento dell'istanza di ritenzione.
Con decisione 6 luglio 1977, l'Autorità di vigilanza respingeva il gravame, rilevando in particolare che il preteso diritto di ritenzione era manifestamente inesistente poiché il locatore non aveva da tempo più adempiuto i suoi obblighi contrattuali.
C.-
Con ricorso del 22 luglio 1977, R. ha impugnato la decisione dell'Autorità di vigilanza, chiedendo al Tribunale federale di annullarla insieme con quella dell'Ufficio esecuzione e fallimenti, e postulando il rilascio - da parte di codesto Ufficio - dell'atto di ritenzione da lui richiesto con la domanda del 17 maggio. Dei motivi si dirà, in quanto necessario, nei considerandi di diritto.
D.-
Con decreto 29 luglio 1977, il Giudice-presidente della Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale federale, accogliendo la relativa domanda presentata dal ricorrente, ha conferito al gravame effetto sospensivo.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
L'Ufficio di esecuzione e fallimenti può rifiutare di erigere, per ragioni di diritto materiale, l'inventario degli oggetti sottoposti al diritto di ritenzione del locatore soltanto se l'inesistenza di questo diritto è manifesta e inequivocabile (v.
DTF 97 III 45
,
DTF 86 III 38
;
BGE 103 III 40 S. 42
v. anche, C. JAEGER, Kommentar, ad
art. 283 LEF
, n. 1; H. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweiz. Recht, II ediz., vol. II, pag. 252 e la giurisprudenza ivi citata). Ciò sarebbe il caso, nella fattispecie concreta, se il contratto di locazione del 29 agosto 1973 fosse stato risolto prima del 1o maggio 1976: in tali circostanze, infatti, sarebbe evidente la mancanza d'un credito dipendente da pigione ed il locatore non potrebbe prevalersi del diritto di ritenzione sancito dall'
art. 272 CO
.
Nel caso in esame, la situazione è tuttavia diversa. Risulta dalle numerose decisioni dell'istanza inferiore acquisite all'incarto che il 29 agosto 1973 le parti avevano concluso un "contratto preliminare di locazione" per la durata di 10 anni che, come rilevato dallo stesso ricorrente, non è mai stato validamente disdetto. Infatti, se è vero che, con scritto 2 dicembre 1975, la conduttrice aveva fatto valere l'inadempienza contrattuale del locatore e, richiamandosi all'
art. 254 CO
, aveva minacciato di recedere dal contratto con effetto al 31 marzo 1976 qualora il ricorrente non avesse rimesso la cosa locata in stato tale da servire all'uso determinato dal contratto, è altrettanto vero che le questioni relative ad un'eventuale risoluzione anticipata dello stesso sono tuttora litigiose e sembrano essere ancora pendenti dinnanzi al giudice civile (si noti di transenna che, contrariamente a quanto proposto dal ricorrente, la sentenza del Tribunale distrettuale dell'Unterrheintal non può essere considerata in questa sede poiché è stata resa il 13 luglio 1977, ossia dopo l'emanazione della decisione impugnata).
A fondamento della sua decisione, l'Autorità di vigilanza ha però addotto ulteriori fatti per dimostrare che il ricorrente non aveva adempiuto i suoi obblighi contrattuali ed in particolare aveva impedito alla conduttrice l'accesso ai locali appigionati. Nel caso concreto, queste allegazioni non sono tuttavia determinanti e può così rimanere indeciso se tali fatti siano debitamente comprovati (cosa che è contestata dal ricorrente e non risulta dall'incarto cantonale) e se il Tribunale federale sia vincolato, ed eventualmente in quale misura, dal loro accertamento: il locatore pretende infatti che, anche in questo caso, egli avrebbe il diritto di esigere il pagamento delle pigioni per tutto il periodo in cui i locali appigionati sono rimasti occupati da oggetti che appartengono alla resistente. Quest'ultima questione, di diritto materiale, sfugge però all'esame
BGE 103 III 40 S. 43
pregiudiziale delle autorità d'esecuzione e può essere risolta soltanto dal giudice civile.
Da quanto sopra risulta che l'impugnata decisione dell'Autorità di vigilanza (e con essa quella dell'Ufficio di esecuzione e fallimenti) dev'essere annullata. L'Ufficio del Circolo di X. dovrà pertanto rilasciare al locatore un atto di ritenzione "per le mercedi di un anno scaduto e del semestre in corso" (
art. 272 cpv. 1 CO
).
2.
La determinazione dell'ammontare delle pigioni e la fissazione dei periodi a cui dette pigioni si riferiscono sono problemi di diritto materiale, che devono essere risolti dal giudice civile. In linea di principio, le autorità esecutive devono fondarsi sulle richieste del creditore, a meno che queste ultime siano manifestamente inammissibili.
Nel caso concreto, l'Autorità di vigilanza s'é invece fondata su di un conteggio presentato a suo tempo dal ricorrente alla conduttrice, ove si desume (tra l'altro) che la superficie locata non è di 380 mq (come indicato sul contratto), bensì di soli 358,44 mq. Non essendo mai stato concretamente contestato dal ricorrente, questo dato assume la portata d'una constatazione di fatto che vincola il Tribunale federale: per le pigioni di un anno scaduto e del semestre in corso, giusta l'
art. 272 cpv. 1 CO
, sono pertanto determinanti gli importi e le date fissati dall'istanza inferiore al consid. 2 della decisione impugnata. In casi come quello in esame, è d'altronde normale che gli Uffici d'esecuzione e fallimenti e le rispettive Autorità di vigilanza abbiano la facoltà di determinare l'ammontare delle citate pigioni ed i periodi cui esse si riferiscono quando questi dati risultino in modo chiaro ed univoco dal contratto di locazione o da altri documenti acquisiti all'incarto (v.
DTF 97 III 46
consid. 3).
Dispositiv
La Camera di esecuzione e dei fallimenti pronuncia:
1. Il ricorso è accolto e l'impugnata decisione è annullata.
2. L'Ufficio di esecuzione e fallimenti del Circolo di X. è tenuto a rilasciare al ricorrente un atto di ritenzione per le pigioni scadute concernenti il periodo di un anno, ossia dal 1o maggio 1976 al 30 aprile 1977, pari a Fr. 21'506.40, nonché per quelle del semestre in corso, ossia relative al periodo 1o maggio 1977-31 ottobre 1977 e pari a Fr. 10'753.20. | null | nan | it | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8ff54b00-0477-424e-804f-8b7e4e33e122 | Urteilskopf
116 II 519
95. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1990 i.S. B. H. und J. H. gegen L. (Berufung) | Regeste
Haftpflicht des Arztes, Genugtuung (
Art. 49 OR
).
1. Anspruch von nahen Angehörigen auf Genugtuung infolge Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (E. 2).
2. Aufklärung des Patienten als Vertragspflicht des Arztes (E. 3).
3. Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs durch Mitverschulden eines Dritten? (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 519
BGE 116 II 519 S. 519
A.-
J. H. (Zweitklägerin) ist die Mutter der 1978 geborenen B. H. (Erstklägerin). Nach Darstellung der Mutter befand sich das Kind vom 8. Januar 1979 bis zum 24. März 1979 in Behandlung bei Kinderarzt L. (Beklagter). Als es in der Nacht vom 21. auf den 22. März 1979 an starkem Durchfall und Erbrechen gelitten habe, habe sie am Morgen des 22. März 1979 telefonisch um eine sofortige Untersuchung durch den Beklagten gebeten. Die Arztgehilfin habe dies abgelehnt, ihr empfohlen, die Diätvorschriften strikte einzuhalten, und ihr untersagt, vor dem 26. März 1979 erneut anzurufen. Der Gesundheitszustand des Kindes habe sich indessen
BGE 116 II 519 S. 520
weiter verschlechtert. Am 24. März 1979, 07.15 Uhr, sei B. H. bewusstlos gewesen und habe unter Krampferscheinungen gelitten. Die Eltern seien mit ihr zum Beklagten gefahren, auf welchen sie in der Praxis 3/4 Stunden hätten warten müssen. Das Kind habe in letzter Minute vor dem Tod gerettet werden können, die vorangegangene Dehydration habe indessen zu schweren Hirnschäden und einer dauernden Pflegebedürftigkeit geführt.
B.-
Mit Klage vom 25. Mai 1988 belangten die Klägerinnen den Beklagten auf Genugtuungsleistungen von Fr. 120'000.-- an das Kind und Fr. 60'000.-- an die Mutter.
Das Bezirksgericht Dielsdorf wies am 3. Mai 1989 die Klage ab, ebenso auf Berufung der Klägerinnen hin am 27. März 1990 das Obergericht des Kantons Zürich.
Eine Berufung der Klägerinnen heisst das Bundesgericht teilweise gut, soweit es darauf eintritt, und weist die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Obergericht geht mit den Parteien von einer vertraglichen Haftung des Beklagten aus, nimmt einen Vertrag zugunsten Dritter an und unterstellt diesen dem Auftragsrecht. Zu Recht kritisieren die Parteien diese Rechtsauffassung und Subsumtion nicht.
b) Schadenersatzansprüche liegen nicht im Streit. Mithin kann die Frage offenbleiben, ob die Mutter aus der behaupteten Vertragsverletzung und Schädigung des Kindes eigene Ansprüche unter diesem Titel geltend machen könnte, insbesondere inwieweit solche neben den Forderungen des Kindes und über deren Umfang hinaus ersatzfähig wären (für das deutsche Recht etwa BGHZ 89 S. 263 ff., 266/7 und NÜSSGENS im BGB-RGRK, Anhang II zu
§ 823, N 7
).
c) Im Bereiche des Deliktsrechts haben die nahen Angehörigen eines Verletzten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts Anspruch auf Genugtuung nach
Art. 49 OR
, wenn das schädigende Ereignis sie in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt (
BGE 112 II 220
Nr. 37). Das Vertragsrecht enthält keine Anspruchsnorm für eine Genugtuung, doch nimmt die Rechtsprechung an, die Verweisung von
Art. 99 Abs. 3 OR
erfasse ebenfalls
Art. 47 und 49 OR
(grundlegend
BGE 54 II 481
ff.; zustimmend BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl.
BGE 116 II 519 S. 521
1988, S. 349 Fn. 80 mit weiteren Hinweisen; MERZ, SPR VI/1 S. 241/2). Auf diese Rechtsprechung zurückzukommen, besteht unbesehen der Kritik in einem Teil der Literatur jedenfalls vorliegend keine Veranlassung, da die Zweitklägerin eine Verletzung in ihren persönlichen Verhältnissen und damit die Beeinträchtigung eines absoluten Rechtsguts geltend macht, welches auch im Schutzbereich der ausservertraglichen Verhaltensnormen liegt (zur Kritik etwa BREHM, N 75 zu
Art. 49 OR
oder KELLER/GABI, Haftpflichtrecht, S. 116). Die in
BGE 112 II 220
ff. entwickelten Grundsätze sind daher auf die Vertragshaftung anzuwenden und der Zweitklägerin die Aktivlegitimation an einem Genugtuungsanspruch, welcher auf der Verletzung in den persönlichen Verhältnissen gründet, zuzuerkennen. Zu bejahen ist mit der Vorinstanz auch die Berechtigung der Erstklägerin, aus der Beeinträchtigung ihrer körperlichen Integrität Genugtuung zu verlangen, selbst wenn die moralische Unbill ihr nicht bewusst geworden sein sollte (
BGE 108 II 422
).
3.
a) Die Besonderheit der ärztlichen Kunst liegt darin, dass der Arzt mit seinem Wissen und Können auf einen erwünschten Erfolg hinzuwirken hat, was jedoch nicht heisst, dass er diesen auch herbeiführen oder gar garantieren müsse. Die Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht lassen sich nicht endgültig festlegen; sie richten sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Ermessensspielraum und der Zeit, die dem Arzt im einzelnen Fall zur Verfügung stehe, sowie nach dessen objektiv zu erwartender Ausbildung und Leistungsfähigkeit. Dabei ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts die Haftung des Arztes nicht auf grobe Verstösse gegen Regeln der ärztlichen Kunst beschränkt. Er hat Kranke vielmehr stets fachgerecht zu behandeln, zum Schutz ihres Lebens oder ihrer Gesundheit die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt zu beachten und grundsätzlich für jede Pflichtverletzung einzustehen (
BGE 113 II 432
/3 mit Hinweisen).
b) Zu den ärztlichen Vertragspflichten gehört unter anderen die sachgerechte Aufklärung des Patienten, welche in mehrfacher Form rechtliche Bedeutung erlangt (NÜSSGENS, a.a.O., N 44 ff.). Einmal hat der Arzt den Patienten oder dessen Betreuer im Rahmen der Behandlung über ein therapiegerechtes Verhalten aufzuklären (sogenannte Sicherungs- oder therapeutische Aufklärungspflicht), sodann ihn auf wirtschaftliche Besonderheiten aufmerksam
BGE 116 II 519 S. 522
zu machen und schliesslich über bekannte Risiken, namentlich eines chirurgischen Eingriffs, Aufschluss zu geben (Aufklärungspflicht im engeren Sinn;
BGE 108 II 61
E. 2).
c) Bedient der Arzt sich zur Erfüllung seiner Vertragspflichten einer Hilfsperson, haftet er für deren Verhalten wie für ein eigenes (
Art. 101 OR
;
BGE 92 II 18
E. 2).
d) Die Schädigung der Erstklägerin ist nach der Sachverhaltshypothese der Vorinstanz auf eine Dehydration zurückzuführen. Darunter ist ein absoluter oder relativer Flüssigkeitsmangel im Extra- und Interzellularraum als Störung des Wasser-Elektrolythaushalts zu verstehen (ROCHE Lexikon Medizin, S. 327). Ein solcher Flüssigkeitsverlust ist die wichtigste Komplikation in Zusammenhang mit Diarrhoe, wobei ab Verlusten von 10% des Körpergewichts ein Schock und damit ein Schädigungs- oder gar Todesrisiko droht (Der Gesundheits Brockhaus, 3. Aufl. 1984, S. 156). Namentlich Kleinkinder sind besonders dehydrationsgefährdet. Dieses Wissen gehört zum objektiv voraussetzbaren Allgemeinwissen eines Kinderarztes.
aa) Nach der Sachverhaltshypothese der Vorinstanz hatte die Zweitklägerin am Morgen des 22. März 1979 in der Praxis des Beklagten angerufen und um eine sofortige Untersuchung gebeten, da die Erstklägerin an Durchfall und Erbrechen leide. Die Arztgehilfin habe ihr die strikte Einhaltung von Diätvorschriften empfohlen, sie angewiesen, wegen solcher Bagatellfälle nicht immer den Arzt zu stören und frühestens am 26. März 1979 wiederum anzurufen.
bb) Zu Recht erachtet die Vorinstanz die Auskunft der Arztgehilfin als ungenügend und erblickt darin eine Vertragsverletzung. Bei der Meldung der genannten Symptome eines Kleinkindes gehört zu den elementarsten ärztlichen Aufklärungspflichten, auf die Risiken einer Dehydration aufmerksam zu machen und den Betreuer anzuweisen, im Falle andauernden Wasserverlusts ärztliche Hilfe zu beanspruchen. Die gegebene Diätanweisung genügte dieser Aufklärungspflicht nicht. Dabei ist ohne Bedeutung, dass die ungenügende Auskunft nicht durch den Arzt selbst, sondern durch seine Gehilfin gegeben wurde; deren Verhalten ist vertragsrechtlich dem Geschäftsherrn zuzurechnen (
Art. 101 OR
). Ebensowenig wird der Beklagte dadurch entlastet, dass die Auskunft bloss telefonisch und ohne Untersuchung der Erstklägerin erfolgte. Die Anweisung wurde im Rahmen eines Behandlungsvertrages gegeben. Mit dessen Annahme hatte der Beklagte eine Garantenpflicht
BGE 116 II 519 S. 523
für die Patientin übernommen, die ihn zu sorgfältiger Diagnose, Therapie und therapeutischer Aufklärung verpflichtete. An eine Telefondiagnose und eine Telefontherapie aber sind grundsätzlich dieselben Anforderungen zu stellen wie an die ärztliche Sorgfaltspflicht bei persönlicher Kontaktnahme (NÜSSGENS, a.a.O., N 189). Wird einem Arzt telefonisch ein Krankheitsbild vorgetragen, hat er bei objektiv gegebenem Verdacht auf eine bestimmte Krankheit nach angenommenem Auftrag nötigenfalls die gebotenen Untersuchungen durchzuführen und bei Unvermögen des Patienten, die Praxis aufzusuchen, einen Hausbesuch vorzunehmen oder andere geeignete Massnahmen (Spitaleinweisung usw.) zu veranlassen (vgl. BGH in NJW 1979 S. 1248 ff.; MünchKomm-MERTENS, N 384 zu § 823 BGB). Mindestens aber ist er zur Aufklärung über die möglichen Risiken des ihm vorgetragenen Krankheitsbildes verpflichtet. Dieser Pflicht ist der Beklagte nicht nachgekommen. Angesichts des erheblichen Risikos und der allgemein bekannten Gefahren einer Dehydration wiegt dabei die Verletzung nicht leicht.
Als Vertragsverletzung erscheint weiter die - hypothetische - Weisung der Arztgehilfin, den Arzt deswegen nicht zu belästigen und frühestens in vier Tagen wieder anzurufen. Damit wurde die Gefahr verharmlost sowie beim vernünftig denkenden Anrufer der Eindruck erweckt, besondere Risiken beständen nicht, und bei Einhaltung der Diät könnten bedenkenlos mehrere Tage abgewartet werden, bevor wiederum ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen sei (vgl. BGH in NJW 1979 1249 E. b). Diesen Eindruck zu erwecken ist angesichts der konkret nicht näher abgeklärten, theoretisch aber erheblichen Dehydrationsgefahr bei Kleinkindern unverständlich. Auch diese Vertragsverletzung wiegt nicht leicht.
4.
a) Beizupflichten ist der Vorinstanz darin, dass für die Schädigung des Kindes und damit auch für die Verletzung der Zweitklägerin in den persönlichen Verhältnissen ebenfalls ein Fehlverhalten der Eltern ursächlich ist. Auszugehen ist dabei wiederum von den Sachbehauptungen der Klägerinnen, wonach in der Nacht vom 23. auf den 24. März 1979 eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes eingetreten ist und dieses am 24. März 1979, 07.15 Uhr bewusstlos war, worauf es zur Praxis des Beklagten gebracht und dort nach deren Öffnung um 8.00 Uhr behandelt wurde, die Schädigung aber nicht mehr vermieden werden konnte.
BGE 116 II 519 S. 524
Das allgemeine Gebot des vernunftgemässen Handelns hätte die Eltern jedenfalls im Zeitpunkt der wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes veranlassen müssen, unverzüglich einen Arzt oder die Notfallstation eines Spitals aufzusuchen. Unverständlich ist zudem, das bewusstlose und unter Krampferscheinungen leidende Kind um 07.15 Uhr in die Praxis des Kinderarztes zu bringen, von der nicht angenommen werden durfte, sie sei zu diesem Zeitpunkt bereits geöffnet, und dort 3/4 Stunden auf das Eintreffen des Arztes zu warten. Zu prüfen bleibt somit, ob das Fehlverhalten der Eltern die Vertragsverletzungen des Beklagten für die behaupteten Beeinträchtigungen der Erstklägerin in der körperlichen Integrität und der Zweitklägerin in den persönlichen Verhältnissen als inadäquat erscheinen lässt. Das Adäquanzproblem stellt sich dabei als vom Bundesrecht zu beurteilende Rechtsfrage (
BGE 113 II 56
E. 2, 351 E. a).
b) Das Verhalten des Geschädigten oder eines Dritten vermag im Normalfall den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verhalten des Schädigers nicht zu beseitigen, selbst wenn das Verschulden des Geschädigten oder des Dritten dasjenige des Schädigers übersteigt (
BGE 112 II 141
E. 3a). Auch wenn neben die erste Ursache andere treten und die Erstursache in den Hintergrund drängen, bleibt sie adäquat kausal, solange sie im Rahmen des Geschehens noch als erheblich zu betrachten ist, solange nicht eine Zusatzursache derart ausserhalb des normalen Geschehens liegt, derart unsinnig ist, dass damit nicht zu rechnen war (
BGE 102 II 366
; A. KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, 4. Aufl. 1979, S. 50/1 mit Hinweisen). Entscheidend ist die Intensität der beiden Kausalzusammenhänge; erscheint der eine bei wertender Betrachtung als derart intensiv, dass er den andern gleichsam verdrängt und als unbedeutend erscheinen lässt, wird eine sogenannte Unterbrechung des andern angenommen (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 1975, Band I, S. 108 ff.; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 1987, Band II/1, S. 70 Rz. 223; STARK, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl. 1988, S. 54/5 Rz. 218 ff.; BREHM, N 132 ff. zu
Art. 41 OR
; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, 2e éd. 1982, S. 63 ff. Rz. 60 ff.).
c) Ihr Fehlverhalten gereicht den Eltern ohne Zweifel zum Verschulden. Dennoch wird dadurch das nicht leicht zu nehmende Fehlverhalten des Beklagten oder seiner Hilfsperson nicht derart verdrängt, dass es nach der Sachverhaltshypothese des Obergerichts
BGE 116 II 519 S. 525
als adäquat kausale Ursache der zur Beurteilung stehenden Rechtsgutverletzungen ausser Betracht fiele. Von Bedeutung ist dabei namentlich, dass der Behandlungsvertrag in doppelter Hinsicht verletzt wurde (mangelnde therapeutische Aufklärung und Verharmlosung des Krankheitsbildes), und beide Verletzungen mindestens geeignet waren, das fehlerhafte Verhalten der Eltern zu veranlassen. Der Beklagte kann sich nicht im Nachhinein darauf berufen, das zwar weisungskonforme, aber dennoch fehlerhafte Verhalten der Geschädigten oder seiner Betreuer sei als alleinige Ursache des schädigenden Ereignisses zu betrachten (BREHM, N 136 zu
Art. 41 OR
). Die vorinstanzliche Annahme einer Inadäquanz des den Genugtuungsforderungen zugrunde gelegten Kausalzusammenhangs verletzt daher Bundesrecht. Insoweit ist die Berufung begründet und das angefochtene Urteil aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8ff6eaa5-0856-4e4f-961a-3321aa5ef7c1 | Urteilskopf
97 IV 124
26. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 14 mai 1971 dans la cause Simone Applegate contre Procureur général du canton de Genève. | Regeste
Art. 26 Abs. 2, 49 Abs. 2 SVG
; 47 Abs. 1 und 5 VRV
.
1. Ein Handzeichen enthebt den Fussgänger, der die Strasse ausserhalb von Fussgängerstreifen überquert, nicht der Pflicht, den Fahrzeugen den Vortritt zu gewähren (Erw. 2).
2. Das Vortrittsrecht des Automobilisten gegenüber einem die Strasse ausserhalb von Fussgängerstreifen überquerenden Fussgänger ist nicht absolut; es ist durch die Grundregel des
Art. 26 SVG
eingeschränkt (Erw. 4 a).
3. Im Fall des Zusammentreffens von Fussgängern und Fahrzeugen ist von einem weiten Begriff der Anzeichen, die die besondere Vorsichtspflicht des Automobilisten begründen, auszugehen (Erw. 4 b). | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 97 IV 124 S. 125
A.-
Le 8 avril 1969, aux environs de 17 h. 30, les époux Scherrer quittèrent le jardin botanique de Genève avec l'intention de regagner la ville en suivant la route de Lausanne. Le trottoir longeant cette artère du côté du parc était impraticable sur une longueur de quelque 120 m en raison de travaux; aussi, pour utiliser celui d'en face, le couple entreprit-il de traverser la chaussée, bien qu'à cet endroit elle ait 15 m de large et qu'elle soit dépourvue de passage pour piétons. Aucun véhicule ne survenant sur leur gauche, ils atteignirent sans encombre le milieu de la route, délimité par une double ligne de sécurité. Là, ils s'arrêtèrent un instant pour regarder sur leur droite. Bien qu'il aperçût, à une distance de 100 m environ, trois automobiles venant du BIT et s'approchant l'une derrière l'autre à une vitesse de l'ordre de 60 km/h, Kilian Scherrer estima pouvoir passer sans danger. Il fit un signe de la main et mena son épouse par le bras sur la moitié de la chaussée qui lui restait à franchir.
La première voiture de la colonne qui s'approchait était pilotée par Simone Applegate. Celle-ci remarqua le couple, au milieu de la route; elle vit également le signe de la main de Kilian Scherrer. Elle hésita d'abord sur le parti à prendre puis, voyant le couple poursuivre sa traversée de façon continue, le mari conduisant son épouse qui se déplaçait difficilement, décida de freiner énergiquement. Elle n'était toutefois à ce moment plus éloignée des piétons que d'une distance de 25 à 30 m, trop courte pour lui permettre d'arrêter à temps son véhicule roulant à 60 km/h. La voiture accrocha donc les
BGE 97 IV 124 S. 126
époux Scherrer, alors qu'ils ne se trouvaient plus qu'à 1 m 20 du trottoir. Ils furent blessés; Gertrude Scherrer subit des lésions corporelles graves laissant des séquelles permanentes.
B.-
Le 30 juillet 1970, le Tribunal de police du canton de Genève a condamné Simone Applegate, en vertu des art. 33 al. 1 et 90 ch. 2 LCR, ainsi que de l'art. 125 al. 1 CP, à une amende de 200 fr. avec un délai d'épreuve et de radiation d'un an.
Le 2 avril 1971, la Cour de justice a confirmé le jugement attaqué. Dans ses motifs, elle relève que l'autorité de première instance a omis par inadvertance d'indiquer dans le dispositif que l'art. 125 al. 2 était également applicable.
C.-
Simone Applegate s'est pourvue en nullité auprès du Tribunal fédéral; elle conclut à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
...
2.
Les époux Scherrer, ainsi que le relève la recourante, ont commis une faute. On ne peut certes reprocher à Gertrude Scherrer, âgée de 67 ans et malade du coeur, d'avoir renoncé à utiliser le passage souterrain situé à 150 m de la sortie du parc en direction de Lausanne; mais les époux avaient la faculté de rebrousser chemin et de passer par l'intérieur du jardin botanique. Se sachant incapables de se déplacer rapidement, ils auraient dû préférer cette solution. Ayant choisi celle, peu raisonnable, qui consistait à traverser une artère large et fréquentée en dehors des passages de sécurité, ils auraient dû, à tout le moins, accorder la priorité aux véhicules; un signe de la main ne les en dispensait pas. Contrairement à l'opinion exprimée par les autorités cantonales, les époux Scherrer ont donc manqué objectivement à leur devoir de prudence et violé le droit de priorité de la recourante (art. 49 al. 2 LCR; art. 47 al. 1 et 5 OCR). Le seul point douteux est de savoir si, subjectivement, ils ont commis une faute. Cette question peut toutefois rester indécise, car le comportement même illicite des piétons ne saurait atténuer ou supprimer une faute pénale de la recourante.
3.
...
4.
La recourante conteste avoir enfreint les règles de la circulation. Se fondant sur l'arrêt Catterini, du 15 novembre 1968, publié au RO 94 IV 140, elle affirme que les époux Scherrer,
BGE 97 IV 124 S. 127
en faisant irruption de façon soudaine et imprévue sur sa voie, ont violé la priorité qu'ils devaient lui accorder en vertu de l'art. 47 al. 5 OCR.
a) Comme le droit de priorité qui s'exerce entre véhicules aux intersections, celui dont bénéficie l'automobiliste à l'égard du piéton qui traverse la chaussée en dehors des passages de sécurité (art. 47 al. 5 OCR) n'est pas absolu (cf. art. 33 al. 1 LCR; art. 6 al. 3 et 14 al. 2 OCR); il est tempéré par le principe formulé à l'art. 26 LCR (RO 94 IV 141).
Si des indices donnent à penser au conducteur prioritaire que son droit ne sera pas respecté, il doit faire preuve d'une prudence particulière et tout entreprendre pour éviter un accident (RO 90 IV 90;
92 IV 139
;
93 IV 33
). Par contre, en l'absence de tels indices, il lui est loisible d'exercer son droit, dont il peut escompter l'observation par autrui; il n'a pas, en vertu du principe dit de confiance, à prendre des mesures particulières pour le cas où il n'en serait pas ainsi (RO 92 IV 139;
93 IV 34
). De même, il ne doit pas s'attendre qu'un piéton, lui refusant la priorité, traversera brusquement devant lui, en dehors d'un passage de sécurité. Il n'est même pas tenu de réduire sa vitesse en voyant un piéton s'engager sur la chaussée, à sa gauche, si rien ne fait prévoir un comportement incorrect. En effet, le piéton traverse souvent en deux temps: il marche tout d'abord jusqu'au milieu de la chaussée, s'y arrête et y attend le moment où il pourra continuer son chemin sans danger (RO 93 IV 142). Si, après avoir suspendu son mouvement, il décide de le reprendre, à courte distance d'un véhicule qui s'approche à une vitesse normale, aucun grief ne peut être fait à l'automobiliste qui, malgré une réaction immédiate, ne peut éviter une collision.
b) S'agissant de la rencontre de piétons et de véhicules, il convient de se montrer large quant à l'appréciation des indices qui doivent éveiller l'attention de l'automobiliste et le rendre circonspect; d'une part, les conséquences d'un accident sont presque toujours sérieuses dans cette éventualité et, d'autre part, la proportion des piétons qui ignorent les rudiments des règles de la circulation est plus grande que pour n'importe quelle autre catégorie des usagers de la route. Ainsi, lorsqu'il voit un piéton traverser la rue sans s'arrêter, le conducteur ne présumera pas que son droit de priorité sera respecté. De même, si, dans une colonne, il laisse un espace relativement grand entre son véhicule et celui qui le précède, il doit prévoir qu'un piéton
BGE 97 IV 124 S. 128
s'élance devant lui, en croyant pouvoir profiter de l'ouverture pour passer (RO 94 IV 142). De plus, en général et conformément à l'art. 26 al. 2 LCR, une prudence particulière s'impose à l'égard des enfants, des infirmes et des personnes âgées.
c) A la lumière des principes rappelés ci-dessus, le cas présent se distingue nettement du précédent évoqué par la recourante. Celle-ci avait en effet de multiples raisons de se douter que son droit de priorité ne serait pas respecté.
D'abord, les époux Scherrer n'ont pas fait une véritable halte au milieu de la chaussée; ils n'ont suspendu leur marche que le temps de regarder à droite. A ce moment, ils se trouvaient à 100 m environ de la recourante. Il tombait sous le sens qu'ils allaient profiter de cet espace, suffisant pour une personne ingambe, pour quitter leur position dangereuse au milieu de la route. Ensuite, Kilian Scherrer a fait de la main, avant de poursuivre son chemin, un geste non équivoque dont la recourante a compris la signification. Certes, un tel signe, en dehors d'un passage de sécurité, ne supprime pas le droit de priorité de l'automobiliste, mais il n'en constitue pas moins une indication claire dont ce dernier doit tenir compte. Enfin, les deux époux, qui se déplaçaient difficilement, étaient visiblement des vieillards; or ceux-ci sous-estiment souvent les périls de la circulation, dont beaucoup méconnaissent d'ailleurs les règles.
d) Devant inférer des circonstances que le couple Scherrer allait couper sa trajectoire, la recourante aurait dû soit ralentir immédiatement, de façon à pouvoir stopper le cas échéant, soit user de son avertisseur pour montrer clairement qu'elle entendait exercer son droit de priorité. Au lieu de cela, elle a hésité plusieurs secondes. De plus, ayant réagi trop tard, il est incompréhensible qu'elle ait continué sa course droit devant elle. En effet, son véhicule a happé les piétons à 1 m 20 seulement du bord du trottoir. C'est dire qu'elle disposait encore, sur la portion droite de la chaussée, d'un espace supérieur à 6 m, dans lequel elle aurait pu s'engager en obliquant légèrement à gauche. Elle a donc été condamnée à bon droit, car elle n'a pas réagi de façon adéquate.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ff794d0-d004-4d70-a7ec-3bb81cc43b06 | Urteilskopf
136 III 313
48. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_122/2010 vom 26. Mai 2010 | Regeste
Gratifikation; Lohnausweis; Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers (Art. 322d sowie
Art. 82 und 324 Abs. 1 OR
).
Wesen der Gratifikation (E. 2 Ingress).
Der Lohnausweis stellt keine Schuldanerkennung dar. Ob eine Gratifikation geschuldet ist, bestimmt sich nach der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung (E. 2.1).
Wurde das Ausrichten einer Gratifikation vereinbart, hat der Arbeitgeber diese nach billigem Ermessen festzusetzen. Die berechtigte Arbeitsverweigerung bei Zahlungsverzug bildet keinen zulässigen Herabsetzungsgrund (E. 2.2 und 2.3).
Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung wegen eines Rückstandes bei der Zahlung der Gratifikation, besteht keine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (E. 2.4). | Sachverhalt
ab Seite 314
BGE 136 III 313 S. 314
A.
X. (Beschwerdeführer) arbeitete ab 1. Juni 2007 bei Y. (Beschwerdegegner). Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2007 teilte der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner die Einstellung der Arbeitsleistung zufolge Lohnrückstandes mit. Daraufhin kündigte der Beschwerdegegner das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. Dezember 2007, welches dem Beschwerdeführer am 7. Januar 2008 zugestellt wurde. Mit Klage vom 28. Mai 2008 verlangte der Beschwerdeführer vor dem Arbeitsgericht Kulm im Wesentlichen, es sei der Beschwerdegegner zu verpflichten, ihm Fr. 24'494.70 nebst Zins zu bezahlen und die gegen ihn eingeleitete Betreibung über Fr. 45'000.- zurückzuziehen. Eventuell sei diese zu löschen. Ausserdem verlangte der Beschwerdeführer Rechtsöffnung in der von ihm gegen den Beschwerdegegner angestrengten Betreibung. Der Beschwerdegegner erhob Widerklage und beantragte, den Beschwerdeführer unter Strafandrohung zu verpflichten, ordnungsgemässe Arbeitsrapporte für die Monate Juni-Dezember 2007 einzureichen und die Betreibung zurückzuziehen.
BGE 136 III 313 S. 315
B.
Am 2. Juni 2009 sprach das Arbeitsgericht dem Beschwerdeführer Fr. 15'744.30 nebst Zins zu, erteilte für diesen Betrag und Kosten definitive Rechtsöffnung und wies die Widerklage ab. Es wies das Betreibungsamt an, die gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Betreibung über Fr. 45'000.- zu löschen. In teilweiser Gutheissung der Appellation des Beschwerdegegners verpflichtete das Obergericht des Kantons Aargau diesen mit Urteil vom 19. Januar 2010 zur Zahlung von Fr. 4'377.95 nebst Zins, beseitigte im Umfang von Fr. 197.90 nebst Zins den vom Beschwerdegegner erhobenen Rechtsvorschlag und auferlegte ihm, mit dem Urteil in Einklang stehende Lohnausweise auszustellen. Mit Bezug auf die Löschungsanweisung an das Betreibungsamt blieb es beim Urteil des Arbeitsgerichts.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht im Wesentlichen, den Entscheid des Arbeitsgerichts zu bestätigen. Der Beschwerdegegner schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, während das Obergericht auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Zwischen den Parteien war im kantonalen Verfahren umstritten, ob der Beschwerdeführer zufolge Verzugs des Beschwerdegegners mit der Lohnzahlung zur Verweigerung der Arbeitsleistung berechtigt war, ob der Arbeitgeber nach Ablauf der Probezeit einen höheren Lohn schuldete und ob der Beschwerdeführer anteilsmässig Anspruch auf einen 13. Monatslohn beziehungsweise eine Gratifikation hat.
1.1
Beide kantonalen Instanzen stellten auf eine E-Mail vom 28. März 2007 ab, mit welcher der Beschwerdegegner die Anstellung bestätigte. Dort ist unter dem Stichwort Anfangslohn festgehalten: "Fr. 6'500.-/Mt. plus Gratifikation". Die Behauptung des Beschwerdeführers, nach Ablauf der Probezeit sei ein höherer Lohn vereinbart gewesen, erachtete bereits das Arbeitsgericht nicht für erwiesen, was im kantonalen Rechtsmittelverfahren nicht mehr streitig war. Wie das Arbeitsgericht ging auch die Vorinstanz davon aus, der Beschwerdeführer sei aufgrund der ständig verspäteten Lohnzahlungen und der massiven Verspätung bei der Bezahlung des Novemberlohns 2007 ab dem 22. Dezember 2007 bis Ende Jahr zur Arbeitsverweigerung berechtigt gewesen, da der Lohn für November 2007 erst am
BGE 136 III 313 S. 316
24. Dezember 2007, also innerhalb der vom 23. Dezember 2007 bis zum 5. Januar 2008 dauernden Betriebsferien, beim Beschwerdeführer eingetroffen war. Da sich der Arbeitgeber am ersten Arbeitstag (Montag, 7. Januar 2008) mit dem Dezemberlohn in Verzug befand, war nach Auffassung der Vorinstanz auch im neuen Jahr die Arbeitsverweigerung gerechtfertigt bis zur Überweisung des Dezemberlohns am 22. Januar 2008. Ab diesem Zeitpunkt hätte der Beschwerdeführer nach Auffassung der Vorinstanz seine Arbeitsleistung wieder erbringen müssen, zumal er nicht freigestellt worden sei und der in diesem Zeitpunkt noch bestehende Lohnrückstand von Fr. 197.90 keine Arbeitsverweigerung rechtfertige.
1.1.1
In diesem Punkt war das Arbeitsgericht zu einem abweichenden Ergebnis gelangt. Es ging von einem höheren Ausstand aus, da es auf den Lohnausweis 2007 abstellte, in welchem ein Nettolohn von Fr. 44'997.- ausgewiesen wurde. Dieser Betrag ist höher als die tatsächlich erfolgten Auszahlungen von sieben Monatslöhnen für die Monate Juni 2007 bis Dezember 2007. Das Arbeitsgericht schloss daraus, dem Beschwerdeführer sei eine Gratifikation zugesprochen worden. Es sah im Lohnausweis eine Schuldanerkennung und sprach dem Beschwerdeführer für das Jahr 2007 den Differenzbetrag zwischen den im Lohnausweis ausgewiesenen und den tatsächlich erfolgten Zahlungen zu. Damit verblieb auch nach Zahlung des Dezemberlohns ein substantieller Ausstand, welcher in den Augen des Arbeitsgerichts die Arbeitsverweigerung rechtfertigte.
1.1.2
Die Vorinstanz erkannte demgegenüber, beim Lohnausweis handle es sich um eine letztlich an die Steuerbehörde gerichtete Wissenserklärung, die inhaltlich falsch sein könne. Aber selbst wenn man darin auch eine an den Arbeitnehmer gerichtete Willenserklärung erblicken wollte, wäre diese nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Diesbezüglich entspreche der ausgewiesene Bruttolohn von Fr. 49'292.- zwar exakt dem Bruttolohn für die sieben Anstellungsmonate zuzüglich eines pro rata temporis geschuldeten 13. Monatslohns. In der E-Mail vom 28. März 2007 sei aber von einer Gratifikation die Rede. Die Gratifikation stelle grundsätzlich eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers dar. Der Beschwerdegegner habe dem Beschwerdeführer den Dezemberlohn, mit welchem Gratifikationen häufig ausbezahlt würden, ohne Zulage ausgerichtet. Demgemäss habe der Beschwerdeführer von einem Versehen im Lohnausweis ausgehen müssen. Der Beschwerdeführer habe denn auch vor Arbeitsgericht nie behauptet, er habe den Lohnausweis als Anerkennung verstanden.
BGE 136 III 313 S. 317
1.2
Vor Bundesgericht vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, er habe Anspruch auf Auszahlung einer Gratifikation pro rata temporis für das Jahr 2007. Er verweist darauf, der Arbeitgeber sei
gegenüber dem Arbeitnehmer
zur Ausstellung des Lohnausweises verpflichtet, der eine Urkunde darstelle. Zudem sei der Ausweis ausgestellt worden, nachdem dem Beschwerdegegner aufgrund eines Schreibens des Beschwerdeführers und der eingeleiteten Betreibung habe klar sein müssen, dass dieser einen anteilsmässigen 13. Monatslohn forderte. Der Beschwerdeführer verweist sodann auf Aussagen des Beschwerdegegners vor dem Arbeitsgericht, aus denen sich seiner Meinung nach in aller Deutlichkeit ergibt, dass auch der Beschwerdegegner immer der Auffassung war, es sei für das Jahr 2007 eine Gratifikation zu zahlen.
1.3
Der Beschwerdegegner macht demgegenüber geltend, der Beschwerdeführer habe erkennen müssen, dass der Beschwerdegegner ihm keine Gratifikation habe ausrichten wollen. Begründet wird dies in der Beschwerdeantwort einerseits mit den schlechten Arbeitsleistungen des Beschwerdeführers und andererseits mit der Tatsache, dass der Lohnausweis ausgestellt wurde, nachdem der Beschwerdeführer seine Arbeitsleistung ungerechtfertigt verweigert habe.
2.
Bei einer Gratifikation im Sinne von
Art. 322d OR
handelt es sich um eine ausserordentliche Zulage, die zum Lohn hinzutritt und bei bestimmten Anlässen ausgerichtet wird. Sie hängt immer in einem gewissen Masse vom Willen des Arbeitgebers ab. Ein im Voraus festgesetzter und fest vereinbarter Betrag kann keine Gratifikation sein, sondern stellt Lohn dar (
BGE 129 III 276
E. 2 S. 278;
BGE 109 II 447
E. 5c S. 548). Ob es sich bei einer Gratifikation um eine vollständig freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt oder ob auf deren Ausrichtung ein Anspruch besteht, hängt von den Umständen ab. Die Verpflichtung zur Ausrichtung kann im schriftlichen oder mündlichen Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart worden sein. Sie kann aber auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses durch konkludentes Verhalten entstehen, wie beispielsweise durch die regelmässige und vorbehaltlose Ausrichtung eines entsprechenden Betrages (
BGE 129 III 276
E. 2 S. 278 mit Hinweisen). Betrifft die Einigung nur den Grundsatz, dass eine Gratifikation auszurichten ist, kann der Arbeitgeber unterschiedliche Beträge je nach der Qualität der Arbeitsleistung, dem Geschäftsgang und weiteren von ihm frei bestimmbaren Kriterien ausrichten (
BGE 129 III 276
E. 2 S. 279 mit Hinweis; Urteil des Bundesgerichts 4C.263/2001 vom 22. Januar
BGE 136 III 313 S. 318
2002 E. 4b). Ist die Gratifikation im Grundsatz vereinbart, darf der Arbeitgeber diese nicht gestützt auf Umstände kürzen, von denen der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht annehmen muss, sie seien für die Ausrichtung der Gratifikation beziehungsweise deren Umfang von Belang (Urteil des Bundesgerichts 4P.284/1996 vom 7. Oktober 1997 E. 2a). Verspricht der Arbeitgeber den Arbeitnehmern für ein Jahr eine Gratifikation von einer bestimmten Höhe, ist er an dieses Versprechen gebunden, sofern der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten nicht grob verletzt (Urteil des Bundesgerichts 4C.277/2000 vom 19. Dezember 2000 E. 3c, nicht publ. in:
BGE 127 III 86
).
2.1
Der Lohnausweis dient dem Arbeitnehmer als Bestätigung des von ihm erwirtschafteten Lohns. Dass er keine eigentliche Schuldanerkennung darstellt, ergibt sich schon daraus, dass die ausgewiesenen Beträge in der Regel bereits gezahlt wurden, so dass dem Lohnausweis nicht zu entnehmen ist, wie viel der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer schuldet. Im Lohnausweis kann immerhin ein Indiz dafür erblickt werden, wie viel der Arbeitnehmer nach Auffassung des Arbeitgebers in einem Jahr verdient hat. Der Beschwerdegegner hat denn auch an der vom Beschwerdeführer angegebenen Stelle ausgesagt, er sei davon ausgegangen, der im Lohnausweis angegebene entspreche dem ausbezahlten Lohn. Wie viel Lohn und ob eine Gratifikation geschuldet ist, ergibt sich indessen aus dem Vertrag, beziehungsweise den zwischen den Parteien getroffenen Abreden, wobei bezüglich der Gratifikation auch der in früheren Jahren gehandhabten Praxis Bedeutung zukommen kann (
BGE 129 III 276
E. 2 S. 278).
2.2
Wie der Beschwerdeführer den Lohnausweis nach dem Vertrauensprinzip hat verstehen müssen, prüft das Bundesgericht als Rechtsfrage frei (
BGE 133 III 61
E. 2.2.1 S. 67). Die Annahme, der Beschwerdeführer habe von einem Irrtum des Beschwerdegegners ausgehen müssen, überzeugt nicht. Objektiv bestand sowohl die Möglichkeit eines fehlerhaft ausgestellten Ausweises als auch einer unvollständigen Auszahlung der Ansprüche. Da gemäss der von der Vorinstanz selbst für massgeblich erachteten E-Mail das Ausrichten einer Gratifikation ausdrücklich vereinbart war, durfte der Beschwerdeführer nach Treu und Glauben davon ausgehen, er werde im Normalfall eine Gratifikation erhalten. Es wäre daher am Arbeitgeber gelegen, zu behaupten und nachzuweisen, dass ein Grund zur Kürzung (oder Streichung) der an sich vertraglich vereinbarten
BGE 136 III 313 S. 319
Gratifikation bestand (zitiertes Urteil 4P.284/1996 E. 2a). Selbst wenn man mit der Vorinstanz davon ausgeht, Gratifikationen würden häufig mit dem Dezemberlohn ausbezahlt, musste der Beschwerdeführer der Tatsache, dass mit dem Dezemberlohn keine Gratifikation ausbezahlt wurde, keine Bedeutung zumessen, zumal sich der Beschwerdegegner zum einen mit den Lohnzahlungen ständig in Verzug befand und überdies eine Schadenersatzforderung von Fr. 45'000.- gegenüber dem Beschwerdeführer in Betreibung gesetzt hatte. Der Frage, ob der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Ausstellung des Lohnausweises eine Gratifikation ausbezahlen wollte, kommt indessen von vornherein keine Bedeutung zu, soweit ohnehin ein Anspruch auf Auszahlung der Gratifikation pro rata temporis für das Jahr 2007 bestand. Das bleibt nachfolgend zu prüfen.
2.3
Gemäss der E-Mail erhält der Beschwerdeführer neben dem Lohn eine Gratifikation. Die Parteien haben also grundsätzlich das Ausrichten einer Gratifikation vereinbart, so dass der Beschwerdeführer Anspruch auf die Gratifikation hat (
Art. 322d OR
). Die Gratifikation steht damit nicht mehr vollständig im Belieben des Arbeitgebers, weshalb auch von einer "unechten" Gratifikation gesprochen wird (vgl. PORTMANN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 12 zu
Art. 322d OR
). Nur bezüglich der Höhe besteht ein Freiraum für den Beschwerdegegner und erlangt dessen Willen allenfalls Bedeutung (
BGE 129 III 276
E. 2 S. 279). Der Arbeitgeber darf seine Pflicht zur Ausrichtung der Sondervergütung aber nicht dadurch unterlaufen, dass er diese willkürlich tief festsetzt oder ganz entfallen lässt. Wurde eine Gratifikation vertraglich vereinbart, hat sie der Arbeitgeber nach billigem Ermessen festzusetzen (REHBINDER/STÖCKLI, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2010, N. 17 zu
Art. 322d OR
; PORTMANN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 322d OR
mit Hinweisen). Als Grund für die Verweigerung der Gratifikation führt der Beschwerdegegner die angeblich ungerechtfertigte Arbeitsverweigerung an sowie angeblich ungenügende Arbeitsleistungen.
2.3.1
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Arbeitnehmer in analoger Anwendung von
Art. 82 OR
befugt, die Leistung von Arbeit zu verweigern, solange der Arbeitgeber sich mit verfallenen Lohnzahlungen im Rückstand befindet (
BGE 120 II 209
E. 6a S. 211 f. mit Hinweisen). Bei berechtigter Arbeitsverweigerung bleibt dem Arbeitnehmer dabei (analog zu
Art. 324 Abs. 1 OR
) der laufende Lohnanspruch gewahrt, ohne dass er zur Nachleistung
BGE 136 III 313 S. 320
der Arbeit verpflichtet wäre (
BGE 120 II 209
E. 9a S. 213 mit Hinweisen).
2.3.2
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz befand sich der Beschwerdegegner mit dem Novemberlohn massiv in Verzug. Unter Berücksichtigung der Betriebsferien war damit der Beschwerdeführer zur Verweigerung der Arbeitsleistung bis zum Ende des Jahres 2007 berechtigt und zufolge des Rückstandes mit dem Dezemberlohn auch noch darüber hinaus. Dem Arbeitnehmer bleibt bei berechtigter Arbeitsverweigerung sein Lohnanspruch erhalten (
BGE 120 II 209
E. 9a S. 213 mit Hinweisen). Dies muss grundsätzlich auch für den vertraglich vereinbarten Anspruch auf Gratifikation gelten, da sich der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht mit Blick auf sein eigenes Fehlverhalten entschlagen kann. Der Arbeitnehmer muss sich nach Treu und Glauben nicht gefallen lassen, trotz berechtigter Arbeitsverweigerung seiner Gratifikation verlustig zu gehen. Hat der Arbeitgeber die fehlende Arbeitsleistung selbst verschuldet, begeht er einen Ermessensmissbrauch, wenn er deswegen die Gratifikation kürzt (REHBINDER/STÖCKLI, a.a.O., N. 17 zu
Art. 322d OR
). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Arbeitsverweigerung wie hier nur wenige Tage der für die Gratifikation massgeblichen Beschäftigungsperiode betrifft. Die Arbeitsverweigerung ist Folge des arbeitgeberischen Zahlungsverzugs, und dieser bildet keinen zulässigen Grund für die Herabsetzung einer vertraglich vereinbarten Gratifikation.
2.3.3
Zulässig wäre eine Herabsetzung mit Blick auf die Arbeitsleistung oder das Geschäftsergebnis (
BGE 129 III 276
E. 2 S. 279), sofern der Arbeitnehmer erkennen konnte, dass darin Herabsetzungskriterien liegen. Dass Herabsetzungsgründe bestehen, wäre vom Beschwerdegegner zu behaupten und zu beweisen. In der Beschwerdeantwort werden neben der Arbeitsverweigerung, welche im zu beurteilenden Fall keine Herabsetzung rechtfertigt, einzig die schlechten Arbeitsleistungen erwähnt. Ob diese tatsächlich ungenügend waren, kann indessen offenbleiben. Der Beschwerdegegner hat, wie der Beschwerdeführer aufzeigt, auf die Frage "ob wegen mangelnder Leistung kein 13. oder keine Grati ausbezahlt worden seien" geantwortet: "Nein, das wurde nicht vereinbart". Diese Erklärung zeigt, dass der Beschwerdegegner selbst die Leistung des Beschwerdeführers offensichtlich nicht als massgebliches Kriterium für eine Kürzung der Gratifikation betrachtete. Er kann daher die unterbliebene Auszahlung der Gratifikation nicht nachträglich unter Hinweis auf die Arbeitsleistungen des Beschwerdeführers
BGE 136 III 313 S. 321
rechtfertigen. Da keine zulässigen Kürzungsgründe dargetan sind, bleibt die vertraglich vereinbarte Gratifikation geschuldet, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdegegner ausrichten wollte oder nicht. Bezüglich der Höhe ist entsprechend dem Lohnausweis von einem Monatslohn pro rata temporis auszugehen. Insoweit erweist sich die Beschwerde als begründet.
2.4
Der Ausstand des Arbeitgebers war mithin um rund Fr. 3'435.90 höher als von der Vorinstanz angenommen (Nettolohn [Fr. 5'890.10]/12 x 7). Vom Gesamtausstand betrafen aber nur Fr. 197.90 die eigentliche Lohnzahlung. Das Bundesgericht hat die analoge Anwendung von
Art. 82 OR
insbesondere für Dauerschuldverhältnisse mit zeitlich verschobenen Fälligkeiten innerhalb der einzelnen Leistungspaare bejaht (
BGE 120 II 209
E. 6a S. 212). Das Leistungspaar, welches die analoge Anwendung von
Art. 82 OR
rechtfertigt, bildet beim Arbeitsverhältnis das dauerhafte Austauschverhältnis zwischen der Arbeitsleistung einerseits und dem Lohn zuzüglich Spesen andererseits. Die Gratifikation steht zwar mittelbar auch im Austauschverhältnis zur geleisteten Arbeit (STAEHELIN, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1996, N. 7 zu
Art. 322d OR
). Sie kann aber neben der Abgeltung der geleisteten Dienste auch die Motivation des Arbeitnehmers für die Zukunft bezwecken (STAEHELIN, a.a.O., N. 2 zu
Art. 322d OR
). Da sie zu besonderen Anlässen ausgerichtet wird und ihr ein freiwilliges Element innewohnt, steht nicht fest, in welcher Höhe sie im Folgejahr geschuldet sein wird. Die Gratifikation bildet daher kein Leistungspaar mit der laufenden Arbeitsleistung, weshalb es nicht gerechtfertigt erscheint, dem Arbeitnehmer diesbezüglich ein Leistungsverweigerungsrecht bei fortlaufender Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers einzuräumen. Demnach ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz davon ausging, der Beschwerdeführer sei ab dem 22. Januar 2008 wieder zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8ff79960-302d-489b-9cc8-c811f38f89a2 | Urteilskopf
116 Ib 362
45. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 7 décembre 1990 dans la cause Mendez-Lopez c. Département fédéral de justice et police (recours de droit administratif) | Regeste
Fremdenpolizei: Umwandlung einer Saisonbewilligung in eine Jahresbewilligung.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Bestätigung der Rechtsprechung (E. 1).
2. Art. 28 Abs. 1 lit. a V über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (BVO); Berechnung der massgebenden Aufenthaltsdauer innerhalb der letzten vier aufeinanderfolgenden Jahre, verstanden als Zeitraum von genau 48 Monaten. Eine Auslegung, die dazu führt, dass, ohne den besonderen Umständen des Falles Rechnung zu tragen, von der Zeit, während der sich der Saisonnier ordnungsgemäss zur Arbeit in der Schweiz aufgehalten hat, 18 Tage abgezogen werden müssen, widerspricht dem in
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
verfolgten Ziel, ausländische Arbeitskräfte zu integrieren (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 116 Ib 362 S. 363
Carlos Mendez, ressortissant espagnol, né en 1963, est arrivé en Suisse le 1er septembre 1985. Mis au bénéfice d'une autorisation de séjour saisonnière, il a travaillé pendant deux saisons au restaurant de la Navigation, à Lausanne, puis a été employé par le restaurant "Piazza San Marco", également à Lausanne, depuis le 12 décembre 1987. Son autorisation de séjour saisonnière a été renouvelée pour la dernière fois le 18 décembre 1988 avec échéance au 18 septembre 1989.
Au mois de juin 1989, son employeur a présenté une demande de transformation de l'autorisation saisonnière en autorisation annuelle.
Le 23 août 1989, l'Office cantonal vaudois de contrôle des habitants et de police des étrangers a informé l'employeur qu'en raison du mode de calcul imposé par l'autorité fédérale (36 mois de séjour saisonnier durant les 48 derniers mois), le relevé des séjours de l'intéressé, calculés du 19 septembre 1985 au 18 septembre 1989, s'établissait à 35 mois et 14 jours; partant, les conditions nécessaires à la transformation de l'autorisation saisonnière, posées par l'art. 28 al. 1 de l'ordonnance du Conseil fédéral limitant le nombre des étrangers du 6 octobre 1986 (OLE; RS 823.21), n'étaient pas remplies. L'Office fédéral des étrangers a confirmé ce point de vue par décision formelle du 7 novembre 1989.
Carlos Mendez a recouru contre cette décision auprès du Département fédéral de justice et police, sans comprendre tout d'abord le calcul de ses séjours sur 48 mois. En cours de procédure, il a cependant produit un certificat médical daté du 17 mars 1990, attestant qu'il avait été en traitement du 15 août au 29 novembre 1987 et qu'il avait donc été empêché, cette année-là, de commencer son travail au mois de septembre.
Par décision du 25 mai 1990, le Département fédéral de justice et police a rejeté le recours et déclaré que Carlos Mendez demeurait soumis aux mesures de limitation. Il a notamment retenu que l'argument tiré du certificat médical n'était pas pertinent, car il ne saurait être question "de tenir compte de circonstances particulières - même indépendantes de sa volonté - qui obligent un étranger à repousser le début d'une saison".
Carlos Mendez a formé un recours de droit administratif contre la décision du Département fédéral de justice et police du 25 mai 1990, en concluant à son annulation.
Le Tribunal fédéral a admis le recours, en tant qu'il demandait de constater le non-assujettissement du recourant aux mesures de
BGE 116 Ib 362 S. 364
limitation, et annulé la décision attaquée pour violation de l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
. Il a également renvoyé l'affaire à l'autorité cantonale pour qu'elle se prononce sur l'octroi d'une autorisation de séjour à l'année.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La voie du recours de droit administratif est ouverte contre les décisions relatives aux mesures de limitation, en particulier contre celles de l'Office fédéral des étrangers, confirmées sur recours par le Département fédéral de justice et police, qui portent sur la transformation d'une autorisation saisonnière en autorisation à l'année selon l'art. 13 lettre h OLE (
ATF 111 Ib 173
consid. 3a et les arrêts cités). Dans ce cas, le recours ne peut pas tendre à l'octroi d'une autorisation de séjour annuelle, qui est de la compétence de l'autorité cantonale, mais doit uniquement conclure au non-assujettissement du recourant aux mesures de limitation.
Le présent recours est dès lors recevable au regard des art. 97 et ss OJ, en tant qu'il demande au Tribunal fédéral de constater que les conditions de l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
, permettant de bénéficier de l'exception aux mesures de limitation prévue par l'art. 13 lettre h OLE, sont réalisées. La motivation succincte qu'il contient ne doit en effet pas porter préjudice au recourant, dans la mesure où le Tribunal fédéral n'est pas lié par les moyens invoqués par les parties (
art. 114 al. 1 OJ
), ni par les faits constatés dans la décision attaquée (
art. 105 OJ
).
2.
a) D'après l'art. 13 lettre h OLE, les saisonniers dont l'autorisation de séjour est transformée en autorisation à l'année ne sont pas comptés dans les nombres maximums des étrangers fixés périodiquement par le Conseil fédéral (
art. 12 OLE
). L'
art. 28 al. 1 OLE
précise que cette transformation peut intervenir "lorsque le saisonnier a travaillé en Suisse régulièrement comme saisonnier pendant 36 mois au total au cours des quatre dernières années consécutives" (lettre a) ou "lorsqu'il s'agit d'un cas d'extrême gravité" (lettre b, en sa teneur modifiée au 18 octobre 1989: RO 1989 p. 2235).
b) Dans le cas particulier, il n'est pas contesté que les séjours effectifs du recourant en Suisse s'établissent de la manière suivante:
- 1er septembre 1985 au 1er juin 1986: 9 mois,
- 1er septembre 1986 au 1er juin 1987: 9 mois,
BGE 116 Ib 362 S. 365
- 12 décembre 1987 au 14 septembre 1988: 9 mois,
- 18 décembre 1988 au 18 septembre 1989: 9 mois.
Le recourant a donc bien passé quatre saisons consécutives de neuf mois chacune en Suisse. Toutefois, selon l'autorité fédérale, ce séjour n'a pas été effectué régulièrement durant les quatre dernières années qui, dans l'interprétation restrictive qu'elle donne de l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
, équivalent à une période stricte de 48 mois. Le fait que l'on effectue le décompte des séjours du 19 septembre 1985 au 18 septembre 1989 ou du 1er septembre 1985 au 31 août 1989 est sans importance puisque, dans les deux cas, le recourant ne totalise que 35 mois et 14 jours en Suisse durant la période déterminante de 48 mois. Le Département fédéral de justice et police estime en outre que les circonstances particulières obligeant un étranger à repousser le début d'une saison n'ont pas à être prises en considération.
c) Dans son arrêt Ogando du 22 novembre 1985 (
ATF 111 Ib 169
et ss), le Tribunal fédéral avait constaté que le décompte des séjours saisonniers par années civiles introduisait une inégalité de traitement entre le saisonnier qui commençait son séjour en Suisse pendant les trois premiers mois d'une année civile et celui dont l'autorisation débutait plus tard, qui n'était pas compatible avec l'
art. 4 Cst.
Bien que le recourant Ogando ait effectué 36 mois de séjour durant les quatre dernières années (du 13 mars 1980 au 15 mars 1984, soit 48 mois et 2 jours), il se trouvait en effet pénalisé du seul fait que sa dernière saison avait débuté plus tard que la précédente, soit le 15 juin. Cette notion d'années civiles a ensuite été remplacée par celle d'années consécutives, dans l'ordonnance du Conseil fédéral du 6 octobre 1986.
Dans le cas particulier, la question du calcul par années civiles ne se pose donc plus, mais le problème demeure de savoir dans quelle mesure l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
autorise une période d'interruption entre deux saisons supérieure au délai minimum de 3 mois durant lequel le saisonnier est tenu de quitter la Suisse. L'interprétation donnée par le Département fédéral de justice et police à la notion des quatre dernières années consécutives implique en effet que les trois périodes d'interruption entre les quatre saisons de 9 mois ne dépassent en aucun cas 12 mois, sinon le saisonnier ne pourra jamais se prévaloir d'un séjour régulier de 36 mois au cours de la période fatidique des 48 mois. Une telle interprétation ne pose sans doute pas de problème pour les travailleurs de la construction, dont l'entrée en Suisse est fixée
BGE 116 Ib 362 S. 366
chaque année par l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (
art. 17 OLE
), exceptionnellement par les offices cantonaux de l'emploi (voir
art. 17 al. 2 OLE
en sa teneur modifiée au 24 octobre 1990: RO 1990 p. 1721). Il n'en va toutefois pas de même pour les autres branches de l'économie, en particulier pour l'hôtellerie et la restauration, qui doivent fréquemment employer du personnel pendant toute l'année, et pour lesquelles il peut se produire un certain décalage entre deux saisons, difficilement contrôlable pour le saisonnier qui, comme en l'espèce, change d'établissement après être tombé malade pendant les 3 mois de séjour dans son pays d'origine.
Ainsi, l'interprétation de la notion des quatre dernières années consécutives ne doit pas être rigide au point d'empêcher toute transformation des autorisations de séjour saisonnières en autorisations de séjour annuelles pour les travailleurs qui, sans faute de leur part, ne parviennent pas toujours à commencer leurs quatre saisons de manière à ce que le décompte de leurs séjours en Suisse s'opère strictement sur 48 mois. Le but d'intégration des travailleurs étrangers poursuivi par l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
impose au contraire à l'autorité fédérale de tenir compte des circonstances particulières qui peuvent se présenter, sous réserve des cas d'abus de droit.
d) En l'espèce, le recourant a bien travaillé régulièrement en Suisse pendant 36 mois, mais du 1er septembre 1985 au 18 septembre 1989, ce qui signifie qu'il dépasse de 18 jours la période des 48 mois. Le Département en a déduit qu'il ne remplissait pas la condition des quatre années consécutives de l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
pour bénéficier de l'exception aux mesures de limitation, alors que s'il avait commencé chacune de ses deux dernières saisons le 1er décembre, au lieu des 12 et 18 décembre, ces mêmes conditions auraient été réalisées. Une interprétation aussi peu flexible est contraire à l'esprit de cette disposition, dès lors qu'elle oblige l'autorité fédérale à soustraire du décompte des séjours saisonniers du recourant une période de 18 jours, pendant laquelle il a effectivement travaillé en Suisse au bénéfice d'une autorisation de séjour régulière. A cela s'ajoute que l'on ne saurait mettre en doute la bonne foi du recourant et de son employeur, lorsque la demande de transformation a été présentée puisque, par la suite, même leur avocat n'a pas compris les raisons du refus de l'autorité de première instance.
BGE 116 Ib 362 S. 367
Dans ces conditions, il n'est pas étonnant qu'ils aient produit tardivement un certificat médical daté du 17 mars 1990, attestant que le recourant avait été soigné en Espagne pour une bronchite, du 14 août au 29 novembre 1987. La question de savoir si cette maladie est la cause réelle du début tardif de la saison 1987/1988 peut toutefois demeurer indécise. Du moment que le recourant était de bonne foi, seul compte le fait qu'il a travaillé en Suisse de 1985 à 1989 pendant quatre saisons de neuf mois chacune, qui doivent être comprises comme un séjour régulier de 36 mois durant quatre années consécutives au sens de l'
art. 28 al. 1 lettre a OLE
. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8ff979ea-b907-4ab2-adba-68177d5a0036 | Urteilskopf
114 Ia 343
58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Dezember 1988 i.S. S. gegen B., T., Stadt Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4, 22ter BV
, § 238 Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich (PBG); Ästhetikklausel, gesetzliche Grundlage für die Verweigerung einer Baubewilligung.
1.
§ 238 PBG
ist eine positive ästhetische Generalklausel, die eine bauliche Gestaltung verlangt, welche sicherstellt, dass sowohl für die Baute selbst als auch für die Umgebung eine befriedigende Gesamtwirkung entsteht (E. 4b).
2. Es ist nicht willkürlich, wenn in Anwendung von
§ 238 PBG
die Errichtung eines Satteldaches auf eine bestehende Flachdachbaute verweigert wird mit der Begründung, die horizontale Symmetrie der Baute werde durch das Dach beeinträchtigt und dieses würde die umliegenden Häuser erheblich überragen und damit die Struktur des vorstädtischen Quartiers sprengen (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 114 Ia 343 S. 344
S. ist Eigentümerin zweier Mehrfamilienhäuser. Die beiden Flachdachbauten wurden Mitte der sechziger Jahre erstellt. Am 6. Februar 1987 bewilligte die Bausektion II des Stadtrates von Zürich, die Fassaden dieser Häuser zusätzlich zu isolieren. Gleichzeitig verweigerte sie die Errichtung von Satteldächern anstelle der bestehenden Flachdächer, da das Projekt die Gestaltungsvorschrift von
§ 238 PBG
verletze. Gegen die Verweigerung dieser Bewilligung gelangte S. an die Baurekurskommission I des Kantons Zürich, die ihren Rekurs guthiess. Die Bausektion II wurde angewiesen, die entsprechende Bewilligung zu erteilen. Die Nachbarn B. und T. zogen diesen Entscheid an das Verwaltungsgericht weiter, das die Beschwerde guthiess und die Bauverweigerung
BGE 114 Ia 343 S. 345
wiederherstellte. Das Bundesgericht weist die von S. erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
b) Das angefochtene Urteil stützt sich auf
§ 238 Abs. 1 PBG
. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im ganzen und in ihren Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird; diese Anforderung gilt auch für Materialien und Farben."
Diese Vorschrift ist eine positive ästhetische Generalklausel. Im Unterschied zu den entsprechenden negativen Klauseln, welche eine Verunstaltung eines Stadt- oder Quartierbildes verbieten, verlangt
§ 238 PBG
positiv eine kubische und architektonische Gestaltung, welche sicherstellt, dass sowohl für die Baute selbst als auch für die bauliche und landschaftliche Umgebung eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird. Die Anforderungen einer solchen Vorschrift gehen weiter als das blosse Verunstaltungsverbot, bei dessen Anwendung in einem Quartier mit fehlender Einheitlichkeit und den verschiedensten Bauformen kein allzu strenger Massstab angelegt werden darf. Eine von den gesetzlichen Massvorschriften abweichende Gestaltung darf wegen Verunstaltung nur abgelehnt werden, wenn sie nach Massstäben, die "in Anschauungen von einer gewissen Verbreitung und Allgemeingültigkeit gefunden werden", als erheblich störend zu bezeichnen ist (
BGE 82 I 108
). Verlangt hingegen das Gesetz ausdrücklich eine positiv gute Gestaltung zur Sicherstellung einer befriedigenden Gesamtwirkung, so dürfen strengere Massstäbe angelegt werden. Diese sind freilich sorgfältig zu begründen. Es ist nicht einfach auf ein beliebiges subjektives architektonisches Empfinden oder Gefühl abzustellen. Vielmehr ist im einzelnen darzutun, warum mit einer bestimmten baulichen Gestaltung weder für den Bau selbst noch die Umgebung eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird.
Der entsprechenden Beurteilung unterliegt jede Baute. Auch wenn sie den Bau- und Zonenvorschriften massstäblich entspricht, ist sie so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird. Für das Zürcher Recht ergibt sich dies unmissverständlich aus der Einordnung von
§ 238 PBG
in den Abschnitt "B. Grundanforderungen an Bauten und Anlagen". Die Einwendung
BGE 114 Ia 343 S. 346
der Beschwerdeführerin, das geplante Satteldach entspreche voll und ganz den Massvorschriften der städtischen Bauordnung, schliesst daher die Anwendung der positiven ästhetischen Generalklausel des
§ 238 PBG
nicht aus. Wohl dürfte diese Anwendung nicht dazu führen, dass generell - etwa für ein ganzes Quartier oder ein Baugeviert - die Zonenordnung ausser Kraft gesetzt würde. Hat der Gesetzgeber z.B. eine bestimmte Geschosszahl zugelassen, ginge es nicht an, generell nur ein Geschoss weniger zu bewilligen mit der Begründung, nur dadurch würde eine gute Gesamtwirkung erreicht. So verhält es sich jedoch im vorliegenden Falle klarerweise nicht. Es geht einzig um die Beurteilung einer baulichen Änderung an Wohnbauten, welche die Geschosszahl ausschöpfen. Auch wenn das nachträglich geplante Satteldach das zulässige Firsthöhenmass nicht überschreitet, so darf es gestützt auf
§ 238 PBG
abgelehnt werden, wenn es zufolge der baulich vorgegebenen Verhältnisse bei objektiver Beurteilung zu keiner befriedigenden Gesamtwirkung zu führen vermag. Die Einwendung der Beschwerdeführerin, es fehle eine gesetzliche Grundlage, ist bei dieser Sachlage unbegründet; auch eine freie Prüfung würde zu keinem andern Ergebnis führen (vgl.
BGE 97 I 641
E. 6).
c) Das Verwaltungsgericht führt aus, die von der Stadt Zürich vorgetragenen Bedenken, dass die geplante Überdachung mit einer Bauhöhe von zwei Dritteln der dreigeschossigen Fassadenhöhe und der allseitigen Übertragung den darunterliegenden Baukörper erdrücke, könne weit eher überzeugen als die Behauptung der Baurekurskommission I, die auf den Flachdächern errichteten Aufbauten seien gestalterisch unbegründet und eher unzulänglich, und es würde mit deren Ersetzung durch Satteldächer eine Verbesserung erzielt. Diese zurückversetzten Aufbauten nähmen vielmehr die Flucht der Untergeschosse und die Einschnürung der Fassaden auf; dadurch würden die Baukörper trotz ihres Volumens nicht klotzig, sondern fast wie schwebend wirken. Zur baulichen Umgebung hält das Verwaltungsgericht fest, mit den beiden Bauten sei mit beachtlichem Geschick ein relativ grosses Bauvolumen zwischen den beiden, wesentlich bescheideneren Häuserreihen im Norden und Süden untergebracht worden, ohne diese optisch zu dominieren oder zu erdrücken. Dies sei auf die gute Struktur der Baukörper und vor allem auf die Abhebung durch die zurückversetzten Untergeschosse zurückzuführen, die den Gebäuden eine gewisse Leichtigkeit verleihe. Dieser Eindruck ginge durch das vorgesehene Steildach verloren. Zudem nähme das im Vergleich
BGE 114 Ia 343 S. 347
zur baulichen Umgebung ohnehin schon grosse Bauvolumen erheblich zu; die grossen Satteldächer würden die Struktur des durch eher bescheidene Bauten gekennzeichneten vorstädtischen Quartiers sprengen.
Diese Ausführungen sind unter dem Gesichtswinkel der Willkür nicht zu beanstanden. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, überzeugt nicht.
Wie der Augenschein ergeben hat, sind die Gebäude geprägt durch ihre horizontale Fassadengestaltung. Diese Wirkung wird durch die zurückversetzten Untergeschosse noch verstärkt. Die neuen Satteldächer sollen die bestehenden Dachaufbauten aufnehmen, weshalb sie einen Neigungswinkel von 45o und eine Höhe von ca. 6,50 m aufweisen müssten. Den Plänen ist zu entnehmen, dass demgegenüber die Gebäudehöhen 9,60 m (ohne Aufbauten) betragen. Unter diesen Umständen ist die Feststellung des Verwaltungsgerichtes, die grossen Dächer würden die darunterliegenden Baukörper erdrücken, nicht unhaltbar. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, der Anblick eines behäbigen Satteldaches wirke wohltuend, kann angesichts der vorhandenen Fassadengestaltung und der bestehenden Proportionen nicht gefolgt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die horizontale Symmetrie der Gebäude durch die voluminösen Steildächer beeinträchtigt würde.
Zur Auswirkung der vorgesehenen Satteldächer auf die bauliche Umgebung bringt die Beschwerdeführerin vor, die beziehungslose Überbauung des fraglichen Vorstadtquartiers rechtfertige es nicht, besonders strenge Anforderungen an das Einordnungsgebot zu stellen. Das Satteldach füge sich überdies besser in die bestehende Dachlandschaft ein; in der näheren Umgebung seien verschiedentlich Häuser mit vergleichbaren Dächern bewilligt worden. Am Augenschein konnte festgestellt werden, dass die Bauten der Beschwerdeführerin in einem typischen Vorstadtquartier liegen. Sie sind umgeben von eher kleineren Gebäuden mit maximal drei Geschossen und weisen im Vergleich zu den Nachbarhäusern ein relativ grosses Volumen auf. Dieses würde durch die geplanten Dächer noch zusätzlich vergrössert. In der Umgebung sind zwar Häuser mit ähnlich geneigten Dächern vorhanden, doch liegen bei ihnen die Schnittlinien zwischen Fassade und Dachfläche wesentlich tiefer als bei den hier zur Diskussion stehenden Gebäuden. Die vorgesehenen Dächer würden daher die umliegenden Häuser erheblich überragen und könnten sich negativ auf diese auswirken.
BGE 114 Ia 343 S. 348
Zudem befinden sich im Quartier mehrere Flachdachbauten; die Gebäude der Beschwerdeführerin bilden somit keine Ausnahme. Angesichts dieser tatsächlichen Feststellungen und des Umstandes, dass bei der Anwendung von
§ 238 Abs. 1 PBG
von den bestehenden örtlichen Verhältnissen auszugehen ist, erscheint die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes, das Bauvorhaben sprenge die Struktur des vorstädtischen Quartiers und könne daher gestützt auf die erwähnte Bestimmung nicht bewilligt werden, nicht als willkürlich. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8ffb65f1-012d-4b36-859c-34ef5b9903f0 | Urteilskopf
102 Ia 397
57. Estratto della sentenza del 14 luglio 1976 nella causa Comune di Breganzona contro Consiglio di Stato del Cantone Ticino | Regeste
Gemeindeautonomie; Benützungsgebühren.
1. Vertretung der Gemeinde in Verwaltungsstreitigkeiten (E. 1).
2. Gemeindeautonomie: Autonomie der Tessiner Gemeinden hinsichtlich der Errichtung, der Organisation und der Verwaltung von Trinkwasserversorgungsbetrieben; direktes rechtliches Monopol solcher Betriebe (E. 3).
3. Ist ein von der Gemeindeexekutive - statt vom Gemeindegesetzgeber - erlassener Tarif eine genügende gesetzliche Grundlage? Frage offengelassen (E. 3).
4. Verwaltungsgebühren und Benützungsgebühren:
a) Wie die Verbrauchstaxe stellt auch die Gebühr für den Anschluss ans Trinkwasserversorgungsnetz eine Benützungsgebühr dar (E. 5a);
b) Anwendung des Kostendeckungsprinzips auf Verwaltungsgebühren, des Äquivalenz- oder Adäquanzprinzips auf Benützungsgebühren; Unterscheidungskriterien (E. 5b).
5. Benützungsgebühr und Beitrag. Unterscheidungskriterien im allgemeinen und für den besonderen Fall des Anschlusses an ein Versorgungsnetz (E. 6).
6. Kantonaler Entscheid, der den kommunalen Versorgungsbetrieb hindert, die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen; Verletzung der Gemeindeautonomie im konkreten Fall. Kann die Gemeinde auf die Erhebung von Vorzugslasten verwiesen werden? Frage offengelassen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 399
BGE 102 Ia 397 S. 399
Il dott. Censi ha costruito nel Comune di Breganzona uno stabile di 15 appartamenti, della cubatura di 6538 mc. L'Azienda comunale dell'acqua potabile gli ha chiesto il pagamento di una tassa d'allacciamento alla rete comunale dell'acqua potabile di Fr. 3'271.--, pari a Fr. 0,50 per mc di volume dell'edificio. Il dott. Censi si è aggravato al Consiglio di Stato, contestando il principio e l'ammontare del tributo impostogli. Con decisione 25 giugno/2 luglio 1974, il Consiglio di Stato ha accolto il ricorso e ha fatto tra l'altro ordine al Municipio di Breganzona di modificare la tariffa dell'acqua potabile e di sottoporgliela per approvazione.
Il Municipio di Breganzona si è aggravato contro la decisione governativa al Tribunale federale, con ricorso di diritto pubblico fondato sulla violazione dell'autonomia comunale e dell'
art. 4 Cost.
Nel ricorso di diritto pubblico si fa valere in sostanza che il Consiglio di Stato, chiamato ad un controllo di legalità, avrebbe arbitrariamente ritenuto che la tassa d'allacciamento costituisce soltanto il corrispettivo della formale autorizzazione comunale di allacciamento, e che è vietato al Comune di tener conto, per commisurarla, dei costi della rete idrica resa accessibile all'utente e dell'interesse di quest'ultimo. Il ricorrente rimprovera al Consiglio di Stato di aver erroneamente applicato il principio della copertura dei costi a tasse d'utilizzazione, e di aver arbitrariamente rinviato il Comune alla legge cantonale sui contributi di miglioria, che, inapplicabile nel caso concreto, non gli consentirebbe, d'altronde, di procacciarsi i mezzi finanziari per l'esercizio dell'azienda. Inoltre, il Consiglio di Stato avrebbe leso il principio dell'uguaglianza, e si sarebbe posto in contraddizione con sé stesso, avendo in precedenza avallato il modo di procedere della Municipalità.
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso.
BGE 102 Ia 397 S. 400
Erwägungen
Considerato in diritto:
1.
Il Municipio di Breganzona ha manifestamente inoltrato il ricorso, anche se ciò non è espressamente rilevato, per conto del Comune, del quale è organo. Quali facoltà di rappresentanza spettino agli organi di una corporazione di diritto pubblico, come il Comune, è questione retta dal diritto cantonale (
DTF 54 I 169
; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, ad
art. 88 OG
, pag. 367). Giusta l'art. 13 lett. a della legge ticinese sulla municipalizzazione dei servizi pubblici, del 12 dicembre 1907 (LMS), la Municipalità rappresenta l'azienda di fronte ai terzi ed in giudizio per gli oggetti dell'azienda stessa. Tuttavia, per stare in causa, dovrà aver ottenuto (tranne eccezioni che qui non ricorrono) l'autorizzazione dell'Assemblea, rispettivamente del Consiglio comunale, i quali deliberano a semplice maggioranza (art. 13 lett. a § 1 e § 2 LMS). D'altro canto, anche la legge organica comunale ticinese, del 1o marzo 1950 (LOC), prevede che, per stare in causa, il Municipio deve essere autorizzato dall'Assemblea o dal Consiglio comunale (art. 12 n. 10 e 35 LOC). Tuttavia, secondo costante giurisprudenza cantonale, nota al Tribunale federale (cfr. sentenza inedita 25 settembre 1974 nella causa Amministrazione patriziale di Lumino contro Carobbio, consid. 1), l'autorizzazione dell'Assemblea o del Consiglio comunale non è richiesta in vertenze di carattere amministrativo, come la presente. Non v'è quindi motivo di richiedere la produzione dell'autorizzazione del Consiglio comunale di Breganzona.
...
3.
a) La Costituzione ticinese non definisce, né delimita l'ambito dell'autonomia comunale: l'art. 50 contiene unicamente disposizioni circa le Autorità comunali. A livello legislativo il carattere di ente autonomo di diritto pubblico - con l'ordinamento ed i poteri stabiliti dalla Costituzione e dalle leggi - è riconosciuto al Comune ticinese dall'art. 1 LOC. Questa prevede all'art. 157 che ogni Comune è tenuto a disciplinare mediante regolamento le materie che rientrano nella sua competenza; tutti i regolamenti comunali e le loro modificazioni sono soggetti all'approvazione del Consiglio di Stato che li rende esecutivi (art. 158 e 159 LOC). Le attribuzioni dei Comuni in materia di servizi pubblici sono determinate dalla LMS. Questa dispone che è data facoltà ai Comuni di assumere
BGE 102 Ia 397 S. 401
l'esercizio diretto, anche con diritto di privativa, dei servizi di interesse pubblico. I Comuni sono pertanto autorizzati - segnatamente in materia di distribuzione dell'acqua potabile - ad istituire delle aziende che esercitano un monopolio legale diretto e non solo un monopolio di fatto (cfr.
DTF 88 I 64
consid. 3;
DTF 93 I 45
). Queste aziende debbono essere amministrate separatamente, in modo distinto dagli altri rami della gestione comunale, e separatamente possono anche essere organizzate (art. 2 LMS). Mentre il regolamento organico dell'azienda è adottato dall'Assemblea, rispettivamente dal Consiglio comunale (art. 7 lett. f, 15 e 16 LMS), gli altri regolamenti, tra cui la tariffa, sono adottati dal Municipio (art. 17 LMS). L'art. 18 LMS ricorda che, conformemente alla LOC, tutti i regolamenti, previa esposizione al pubblico, debbono essere approvati dal Consiglio di Stato.
b) Delle facoltà conferitegli dalla legge il Comune di Breganzona ha fatto uso, istituendo un'azienda dell'acqua potabile retta da un regolamento adottato dal Consiglio comunale il 10 luglio 1967, ed approvato dal Consiglio di Stato il 15 dicembre dello stesso anno. Detto regolamento istituisce un monopolio di diritto per la distribuzione dell'acqua potabile, astringendo tutti i proprietari sul territorio comunale a servirsi unicamente dell'acqua dell'azienda (art. 11 Reg.) e vietando loro di fornire acqua a terzi, se utenti di impianto proprio (art. 17 Reg.). Secondo l'art. 36 Reg., ogni allacciamento è soggetto a concessione, al pagamento di una tassa unica di allacciamento, ed a contratto di abbonamento. Con risoluzione 3 febbraio 1969, il Municipio ha stabilito di prelevare una tassa unica di allacciamento per nuove costruzioni di Fr. 0,50 al mc dello stabile.
c) Da quanto precede, si deduce che il Comune di Breganzona fruisce in tale materia dell'autonomia comunale, nel senso richiesto dalla giurisprudenza del Tribunale federale, che le surrichiamate disposizioni regolamentari e tariffarie costituiscono diritto comunale autonomo, e che il Comune può insorgere col ricorso di diritto pubblico contro una decisione dell'autorità di vigilanza, che abusi del proprio potere di controllo o violi il diritto autonomo comunale (
DTF 101 Ia 265
consid. 2;
DTF 100 Ia 203
consid. 2b e riferimenti). Trattandosi in casu dell'interpretazione e dell'applicazione di norme del livello legislativo e regolamentare e non del livello costituzionale, il Tribunale federale controlla l'operato
BGE 102 Ia 397 S. 402
dell'autorità cantonale solo sotto il profilo dell'arbitrio (
DTF 101 Ia 395
consid. 2a, 261 consid. 2 e riferimenti di giurisprudenza anteriore).
4.
Adito con ricorso del Comune, il Tribunale federale non è chiamato ad esaminare se a ragione il Consiglio di Stato ha considerato sufficiente la base legale del tributo. In particolare, esso non ha da controllare se sia compatibile con l'esigenza costituzionale di una base legale in senso formale, richiesta per i pubblici tributi, il fatto che la tariffa, sia pure in virtù di una norma di ripartizione delle competenze del diritto cantonale, sia emanata dall'esecutivo anziché dal legislativo comunale, quest'ultimo avendo solo fissato il principio del prelievo della tassa (cfr.
DTF 97 I 201
e seg., consid. 5, 804 consid. 7;
DTF 99 Ia 697
e seg.; 100 Ia pag. 66 consid. 2a;
DTF 100 Ia 138
consid. 6).
5.
a) Secondo l'impugnata decisione, mentre la tassa di consumo dell'acqua potabile (tassa minima di consumo + tassa per il maggior consumo, art. 33 e 34 Reg.) costituisce una tassa d'utilizzazione (Benützungsgebühr), la tassa d'allacciamento, prevista dall'art. 36 Reg., potrebbe essere concepita soltanto come una tassa amministrativa (Verwaltungsgebühr); a mente del Consiglio di Stato, la prestazione dell'ente pubblico, di cui essa costituisce il corrispettivo, si esaurirebbe infatti nella mera attività amministrativa di esame ed evasione della domanda e di collaudo.
Quest'opinione non resiste alla critica.
Contrariamente alla tesi del Consiglio di Stato, la prestazione dell'ente pubblico va oltre la mera attività amministrativa connessa con l'esame e l'evasione della domanda, come sarebbe il caso - ad esempio - per il rilascio di una licenza di costruzione. Essa comprende anche l'allacciamento vero e proprio, ovverosia la possibilità concreta aperta all'utente di utilizzare in ogni momento la rete di distribuzione. Ciò è d'altronde ammesso dallo stesso Consiglio di Stato, allorquando scrive che la tassa d'allacciamento è dovuta "... dal privato... per poter allacciarsi alla canalizzazione e per poter usarla". Ne viene che, contrariamente alla tesi del Consiglio di Stato, la tassa (unica) d'allacciamento e quella (ricorrente) di consumo costituiscono entrambe tasse d'utilizzazione (
DTF 92 I 455
/56 e riferimenti). D'altronde nessuna disposizione
BGE 102 Ia 397 S. 403
della legislazione cantonale e comunale addotta dal Consiglio di Stato nella decisione impugnata, permette di considerare la prima come semplice tassa amministrativa, la seconda invece come tassa d'utilizzazione.
b) Il principio della copertura dei costi (Kostendeckungsprinzip), inteso come doppio requisito di corrispondenza fra il gettito globale delle tasse e l'ammontare globale dei costi, da un lato, e di correlazione tra l'ammontare della singola tassa e la concreta prestazione dell'ente pubblico, dall'altro, è applicabile, secondo la giurisprudenza del Tribunale federale, in materia di tasse amministrative. In materia di tasse d'utilizzazione - e soprattutto in tema di tasse per i servizi industriali dei Cantoni e dei Comuni - esso non è applicabile, o quantomeno non lo è così rigidamente (
DTF 52 I 50
consid. 3;
53 I 485
consid. 3;
DTF 56 I 519
;
DTF 72 I 396
;
DTF 84 I 165
consid. 3, in principio;
100 Ia 140
consid. 6c; cfr. anche
DTF 100 Ia 239
consid. 3b). È vero, come si deduce dalle citate sentenze, che tali tasse sono soggette al principio dell'equivalenza, nel senso che debbono corrispondere al valore economico della prestazione effettuata dall'ente pubblico. Ma è ammesso che per la loro commisurazione può tenersi conto dell'interesse economico dell'utente indipendentemente dal loro gettito globale, e che questo gettito, diversamente da quanto avviene per le tasse amministrative, può superare l'onere assunto dall'ente pubblico, e quindi lasciare un utile. Certo, in tal caso queste tasse si avvicinano alle imposte ma, fuori del caso di una sproporzione manifesta, non si confondono con esse e non perdono la caratteristica di tributi causali. Di questa connotazione, che le avvicina alle imposte, devesi semmai tener conto dettando esigenze particolarmente severe in tema di base legale formale, specie quando, per la posizione di monopolio (legale o di fatto) detenuta dall'ente pubblico, fanno difetto parametri di libero mercato atti a misurarne il valore (
DTF 100 Ia 141
/42). Ora, come s'è visto (supra, consid. 4), la questione della base legale non è qui in discussione.
D'altronde, il principio per cui dalla gestione delle aziende municipalizzate possa ridondare un utile è ancorato nell'art. 4 LMS. Questa disposizione prevede che l'utile netto è destinato in primo luogo al pagamento degli interessi del capitale di impianto o di riscatto, mentre il residuo dev'essere versato a fondi di riserva, di ammortamento e di rinnovamento, ed impiegato in miglioramenti del pubblico servizio, e soltanto
BGE 102 Ia 397 S. 404
in seguito destinato alla riduzione delle tariffe e da ultimo elargito a favore dell'erario comunale. Quanto all'art. 16 LMS, esso dispone che il regolamento organico deve contenere le norme circa la "distribuzione degli utili". L'affermazione del Consiglio di Stato, per cui il principio della copertura dei costi sarebbe "espressamente sancito" dalla LMS, è quindi contraddetta dal testo legale.
Infine, anche se il principio della copertura dei costi fosse applicabile nella sua accezione stretta, va troppo lontano il Consiglio di Stato allorquando sembra ritenere che, per la commisurazione della tassa, non sia lecito tenere conto in una misura adeguata dell'interesse del contribuente e della sua capacità contributiva; la giurisprudenza l'ha già ammesso in materia di tasse meramente amministrative, fermo restando per esse il principio che il loro gettito globale non deve superare in modo rilevante le uscite globali (
DTF 97 I 204
, consid. 6, 208 consid. 8c;
72 I 396
;
53 I 486
/87).
6.
Secondo il Consiglio di Stato, il tributo richiesto non è più una tassa (Gebühr), ma un contributo (Beitrag), perché commisurato al volume (o al valore) dell'edificio di cui è richiesto l'allacciamento. Ora, argomenta il Consiglio di Stato, per il prelievo di contributi è esclusivamente applicabile la legge sui contributi di miglioria dell'8 marzo 1971.
Certo non è sempre agevole distinguere nettamente fra tassa d'utilizzazione e contributo. Secondo IMBODEN (Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung n. 412 I), vi è contributo e non tassa d'utilizzazione non solo quando l'utenza è dichiarata obbligatoria (assicurazioni sociali, assicurazioni cantonali contro gli incendi), ma anche quando il complesso delle cose oggetto dell'"utilizzazione" - sia questa spontanea o imposta - non può più identificarsi con un "istituto" (o un'"azienda"). Per quest'autore le tasse d'allacciamento ad una canalizzazione sono in realtà dei contributi. Ma le opinioni al riguardo sono, in dottrina e nella giurisprudenza, divise. Così il Tribunale amministrativo del Canton Berna considera i tributi d'allacciamento a canalizzazioni comunali come vere e proprie tasse d'utilizzazione, esigibili al momento in cui l'allacciamento è effettuato (ZBl 66 (1965) pag. 372 e seg.; ZBl 73 (1972) pag. 204) e nega (MBVR 1964 pag. 355), appoggiandosi tra l'altro a FLEINER (Institutionen, 8a ed. pag.
BGE 102 Ia 397 S. 405
417 e 425) e rifiutando le categorie più larghe di BLUMENSTEIN (System des Steuerrechtes, 2a ed., pag. 2 e MBVR 35 pag. 7), che esse rientrino nella categoria dei contributi.
Per distinguere se il tributo d'allacciamento richiesto sia un contributo o una tassa d'utilizzazione, si deve esaminare, in un caso come il presente, se lo stesso possa essere imposto al proprietario del fondo già in virtù della semplice possibilità d'allacciamento che gli è offerta, ed indipendentemente dall'allacciamento effettivo, oppure se l'obbligo di solvere il tributo insorga solo al momento dell'allacciamento effettivo, considerato come prestazione dell'ente pubblico. Nel primo caso, come la giurisprudenza del Tribunale federale ha già ammesso (cfr.
DTF 92 I 455
/56,
DTF 94 I 276
e sentenza inedita del 19 febbraio 1975 nella causa Comune di Malix contro Nüesch, consid. 4), si è di fronte ad un contributo di miglioria (Vorzugslast), giustificato dal vantaggio particolare e realizzabile ridondante al fondo della costruzione dell'opera di canalizzazione; nel secondo caso (cfr.
DTF 102 Ia 72
) trattasi di una tassa d'utilizzazione corrispettivo della prestazione consistente nell'allacciamento (cfr. anche ZBl 74 (1973) pag. 323 consid. 2a). Ne discende che, ricorrendo nella fattispecie i presupposti propri alla seconda ipotesi, il tributo imposto ha da essere considerato alla stregua di una tassa d'utilizzazione.
7.
Il Consiglio di Stato, vietando per principio al Comune ricorrente di prelevare tributi di allacciamento per i nuovi stabili nella forma di tasse d'utilizzazione, commisurate all'importanza della prestazione effettuata ed all'interesse del contribuente, viola l'autonomia comunale, impedendo all'azienda di svolgere le funzioni che la legge le attribuisce, e dev'essere annullata (
DTF 101 Ia 518
-520). Non è pertanto indispensabile esaminare se, come pretende il Consiglio di Stato, il Comune potrebbe far capo alla legge cantonale sui contributi di miglioria dell'8 marzo 1971 (LCM). Può tuttavia a tal proposito osservarsi, che la LCM presuppone (art. 4) l'esecuzione, l'ampliamento o il rifacimento di un'opera pubblica, ed una plusvalenza dei fondi in conseguenza di tale esecuzione (art. 8, 10, 11 LCM), e che il diritto di imporre contributi decade entro tre anni dal compimento dell'opera (art. 14 LCM). Ne viene che, per una canalizzazione esistente da tempo, il Comune non potrebbe rivolgersi alla LCM. Se gli fosse inibito di prelevare per i nuovi allacciamenti tasse d'utilizzazione,
BGE 102 Ia 397 S. 406
l'azienda dovrebbe coprire il proprio fabbisogno con l'aumento delle tasse di puro consumo. Ora, non vi sono motivi per ritenere che, emanando la LCM nel 1971 - la quale non fa che riprendere e precisare disposizioni già contenute nella cessata legge d'espropriazione - il legislatore abbia inteso modificare profondamente il regime delle aziende municipalizzate.
Dato l'esito, l'esame delle ulteriori censure ricorsuali è superfluo. Spetterà al Consiglio di Stato, eventualmente, di esaminare se la prevista tassa di Fr. 0,50 il mc non sia esorbitante. Riferita a stabili d'appartamenti, come nel concreto caso, ciò non parrebbe, almeno a prima vista. Se si ritiene che attualmente il costo cubimetrico di simili edifici si aggira sui Fr. 300.-- il mc, la tassa di Fr. 0,50 sul volume corrisponde ad una tassa dell' 1,66%o sul costo della costruzione. | public_law | nan | it | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
9008d976-0139-4e40-94d2-ea8ad1ac50bd | Urteilskopf
124 II 480
44. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. August 1998 i.S. Erben P. gegen Kantonales Steueramt Zürich und Bundessteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich (Revisionsgesuch) | Regeste
Art. 50 EMRK
,
Art. 53 EMRK
;
Art. 113 Abs. 3 BV
,
Art. 114bis Abs. 3 BV
;
Art. 139a OG
; Haftung der Erben für die vom Erblasser verschuldete Busse (
Art. 130 Abs. 1 BdBSt
); Revision des bundesgerichtlichen Urteils wegen Feststellung einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (i.c. Art. 6 Ziff. 2) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Art. 139a OG
ist auch anwendbar auf Entscheide, die vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung gefällt wurden, wenn die Frist zur Anfechtung solcher Entscheide mit dem Revisionsgesuch erst nach diesem Zeitpunkt abläuft (E. 1b).
Verhältnis von
Art. 139a OG
zu
Art. 50 EMRK
. Die Revision nach
Art. 139a OG
ist nur zulässig, wenn Wiedergutmachung nicht anderweitig möglich ist. Der Schuldvorwurf, der den Gesuchstellern nach dem Urteil des Gerichtshofes zu Unrecht gemacht wurde, weil sie für die vom Erblasser verschuldete Busse haftbar erklärt wurden (
Art. 130 Abs. 1 BdBSt
), kann nur durch Wiederaufnahme des staatlichen Verfahrens beseitigt werden (E. 2).
Die EMRK-widrige Norm ist nicht mehr anzuwenden, auch wenn der Gerichtshof nur den in Anwendung dieser Norm ergangenen individuell-konkreten Anwendungsakt als konventionswidrig bezeichnet hat. Verhältnis von
Art. 139a OG
zu Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV (E. 3).
Rückerstattung der Steuerbusse; Verzinsung (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 481
BGE 124 II 480 S. 481
P. starb im Jahre 1984. Er hinterliess als gesetzliche Erben seine Ehefrau und zwei Söhne. Nach seinem Tode ergaben sich Hinweise darauf, dass er Steuern hinterzogen hatte. Das kantonale Steueramt führte in der Folge das Verfahren gegenüber den Erben durch. Mit Verfügung vom 16. Januar 1990 setzte es die vom Erblasser in der Periode 1983/84 hinterzogene direkte Bundessteuer auf Fr. 8'870.40 und die von ihm verschuldete Busse auf Fr. 2'882.90 fest und erklärte die Erben für diese Beträge haftbar (Art. 130 Abs. 1 des Bundesratsbeschlusses
BGE 124 II 480 S. 482
vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer).
Am 19. September 1990 bestätigte die Bundessteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich diese Nachsteuer- und Bussenauflage. Eine gegen diesen Entscheid gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 5. Juli 1991 ab.
Die Erben erhoben gegen dieses Urteil eine Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte. Sie rügten darin, es werde ihnen ohne persönliches Verschulden eine Busse auferlegt; das verletze die Vermutung der Schuldlosigkeit gemäss
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
. Zudem beklagten sie sich darüber, dass ihnen die besonderen Verfahrensgarantien nach
Art. 6 Ziff. 1 und 3 EMRK
bisher nicht gewährt worden seien. Mit Bericht vom 18. April 1996 verneinte die Europäische Kommission für Menschenrechte eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
, weil die Beschwerdeführer nicht als "wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte" anzusehen seien. Eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
erblickte die Kommission jedoch in der fehlenden Öffentlichkeit der Verhandlung.
Die Sache wurde durch die Kommission beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte innerhalb der Frist von drei Monaten anhängig gemacht (
Art. 32 Ziff. 1, 47 EMRK
). Mit Urteil vom 29. August 1997 erkannte der Gerichtshof:
1. mit sieben zu zwei Stimmen, dass Art. 6 Ziff. 2 (der Konvention) im vorliegenden Fall Anwendung findet und verletzt worden ist;
2. einstimmig, dass die behauptete Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 und 3 der Konvention nicht zu prüfen ist;
3. einstimmig,
a) dass der beklagte Staat den Beschwerdeführern innert drei Monaten Fr. 7'000.- für die im Verfahren vor den Strassburger Organen erwachsenen Kosten und Auslagen zu bezahlen hat;
b) dass dieser Betrag nach Ablauf dieser Frist und bis zur Bezahlung um einen jährlichen Zins von 5% zu erhöhen ist.
Am 15. September 1997 ersuchten die Erben gestützt auf
Art. 139a OG
um Revision des Urteils des Bundesgerichts vom 5. Juli 1991 und um Rückerstattung der bezahlten Busse.
Das Bundesgericht heisst das Revisionsgesuch gut, hebt das Urteil vom 5. Juli 1991 auf und entscheidet über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde neu. Es heisst die Beschwerde gut, soweit sie sich gegen
BGE 124 II 480 S. 483
die Bussenauflage richtet, und verpflichtet die kantonale Behörde, die Busse zurückzuerstatten. Die Nachsteuerforderung wird vom Bundesgericht bestätigt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I.
Revisionsgesuch
1.
a) Das Bundesamt für Justiz hat dem Anwalt der Gesuchsteller das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 29. August 1997 am 2. September 1997 zugesandt. Mit dem Revisionsgesuch vom 15. September 1997 haben die Gesuchsteller die Frist von 90 Tagen, die
Art. 141 Abs. 1 lit. c OG
vorsieht, gewahrt.
b)
Art. 139a OG
, auf den das Revisionsgesuch sich stützt, wurde mit der Änderung vom 4. Oktober 1991 eingeführt und steht seit dem 15. Februar 1992 in Kraft. Die Vorschrift bildete im Zeitpunkt der Einreichung des Revisionsgesuchs (15. September 1997), nicht jedoch im Zeitpunkt, da das hier angefochtene Urteil des Bundesgerichts gefällt wurde (5. Juli 1991), geltendes Recht, so dass sich die intertemporalrechtliche Frage stellt.
Ziff. 3 Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 4. Oktober 1991 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) bestimmt:
Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts anwendbar, auf ein Beschwerde- oder Berufungsverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist.
Die Revision nach
Art. 139a OG
wird vom Vorbehalt, den die Schlussbestimmung für Beschwerden und Berufungen aufstellt, nicht erfasst. Revisionsgesuche sind somit auch dann nach neuem Verfahrensrecht zu beurteilen, wenn der angefochtene Entscheid unter dem alten Recht gefällt worden ist, die Frist zur Anfechtung dieses Entscheides jedoch erst unter dem neuen Recht abläuft. So verhält es sich hier. Dass Ziff. 3 Abs. 1 der Schlussbestimmung die Revisionsgesuche nicht ausdrücklich erwähnt, rechtfertigt es nicht, eine Lücke anzunehmen und Revisionsgesuche gleich zu behandeln wie Berufungen und Beschwerden. Mit der Änderung vom 4. Oktober 1991 wollten Bundesrat und Parlament die zur Entlastung des Bundesgerichts unerlässlichen Massnahmen, aber auch die für die Einhaltung der Konventionsgarantien notwendigen Anpassungen der Verfahrensgesetze des Bundes möglichst rasch einführen,
BGE 124 II 480 S. 484
nachdem eine erste Vorlage vom 23. Juni 1989 an der Volksabstimmung vom 1. April 1990 gescheitert war (vgl. BBl 1991 II 467, 471; AB 1991 N 1309, S 865). Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Revision nach dem neuen
Art. 139a OG
dann nicht zulassen wollte, wenn der angefochtene Entscheid noch unter altem Recht gefällt wurde, die Frist zur Anfechtung dieses Entscheides beim Inkrafttreten des neuen Rechts noch läuft oder noch gar nicht zu laufen begonnen hat. Verfahren vor den Strassburger Instanzen dauern oft sehr lange. Im vorliegenden Fall vergingen von der Einreichung der Individualbeschwerde bis zum Entscheid des Gerichtshofes mehr als fünf Jahre. Der Vorbehalt in Ziff. 3 Abs. 1 der Schlussbestimmungen bezüglich der Berufungs- und Beschwerdeverfahren bezweckt, Entscheide nicht beliebig nach altem oder neuem Verfahrensrecht anfechten zu lassen, wenn die Frist dazu erst unter dem neuen Recht abläuft (vgl. auch
BGE 115 II 97
ff., besonders E. 2c S. 101; ferner Urteil vom 30. September 1997 i.S. F., Pra 1998 Nr. 20 E. 3b in fine). Die Revision nach
Art. 139a OG
wurde indessen eingeführt, damit die Schweiz ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Konvention (
Art. 50 und 53 EMRK
) nachkommen kann. Auf ein Revisionsgesuch nach
Art. 139a OG
nur deshalb nicht einzutreten, weil das Verfahren vor den Strassburger Instanzen lange gedauert hat, würde deshalb dem Sinngehalt des Gesetzes widersprechen. Die Revision nach
Art. 139a OG
muss somit auch dann zulässig sein, wenn der angefochtene Entscheid vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts gefällt worden ist, die Frist zur Anfechtung dieses Entscheides aber erst nach diesem Zeitpunkt abläuft.
c) Auf das Revisionsgesuch, das auch den übrigen formellen Anforderungen genügt, ist somit einzutreten.
2.
a)
Art. 139a OG
hat folgenden Wortlaut:
1 Die Revision eines Entscheides des Bundesgerichts oder einer Vorinstanz ist zulässig, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder das Ministerkomitee des Europarates eine Individualbeschwerde wegen Verletzung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und deren Protokolle gutgeheissen hat und eine Wiedergutmachung nur durch Revision möglich ist.
2 Stellt das Bundesgericht fest, dass die Revision geboten, aber eine Vorinstanz zuständig ist, so überweist es ihr die Sache zur Durchführung des Revisionsverfahrens.
3 Die kantonale Vorinstanz hat auch dann auf das Revisionsgesuch einzutreten, wenn das kantonale Recht diesen Revisionsgrund nicht vorsieht.
BGE 124 II 480 S. 485
b) Die erste nach
Art. 139a OG
für die Gutheissung eines Revisionsgesuches erforderliche Voraussetzung, die Gutheissung einer Individualbeschwerde durch den Gerichtshof (oder das Ministerkomitee) wegen Verletzung der Konvention, ist erfüllt. Der Gerichtshof hat festgestellt, das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 5. Juli 1991, in welchem den Gesuchstellern ohne persönliches Verschulden eine Steuerbusse für die vom Erblasser begangene Steuerhinterziehung auferlegt worden sei, verstosse gegen das Recht auf Vermutung der Schuldlosigkeit, wie es in
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
garantiert sei. Damit hat der Gerichtshof eine Konventionsverletzung bejaht und den Standpunkt der Beschwerdeführer und heutigen Gesuchsteller geschützt.
c) Weitere Voraussetzung für eine Gutheissung des Revisionsgesuchs nach
Art. 139a Abs. 1 OG
ist, dass keine andere Möglichkeit der Wiedergutmachung (als jene der Revision) besteht. Diese Voraussetzung ist insbesondere im Zusammenhang mit
Art. 50 EMRK
zu sehen, wonach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Entschädigung zuspricht, wenn die innerstaatlichen Gesetze nur eine unvollkommene Wiedergutmachung gestatten. In den Materialien zu
Art. 139a OG
wird ausgeführt, in manchen Fällen werde das Urteil bzw. der Entscheid der europäischen Behörden, allenfalls zusammen mit der Leistung einer Geldsumme als Schadenersatz oder Genugtuung, genügen. Nur wenn dies nicht zutreffe, solle das schweizerische Verfahren wieder aufgerollt werden (Botschaft des Bundesrates vom 18. März 1991 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, BBl 1991 II 529; vgl.
BGE 123 I 283
E. 3a).
Der Schuldvorwurf, der den Gesuchstellern nach dem Urteil des Gerichtshofes zu Unrecht gemacht worden ist, kann auf dem Weg der Entschädigung nicht oder nur unvollkommen wieder gutgemacht werden. Vollkommene Gutmachung ist nur durch Verfahrenswiederaufnahme nach innerstaatlichem Recht möglich, wenn damit der Schuldvorwurf beseitigt werden kann. Der Gerichtshof hat in seinem Entscheid den Gesuchstellern lediglich eine Entschädigung für das Verfahren vor den Strassburger Instanzen zugesprochen, nicht jedoch für das Unrecht, das ihnen durch die Konventionsverletzung erwachsen ist. Er hat damit die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach
Art. 50 EMRK
zumindest vorläufig - implizit - verneint. Einer vollkommenen Wiedergutmachung durch Wiederaufnahme des innerstaatlichen Verfahrens steht damit nichts im Weg. Das Gesuch ist somit grundsätzlich begründet und die Revision nach
Art. 139a OG
zu gewähren.
BGE 124 II 480 S. 486
d) Nach
Art. 144 Abs. 1 OG
hat das Bundesgericht die frühere Entscheidung aufzuheben und aufs Neue zu entscheiden, wenn es zum Ergebnis gelangt, dass der Revisionsgrund zutreffe. Das Revisionsgesuch ist somit gutzuheissen und das Urteil des Bundesgerichts vom 5. Juli 1991 aufzuheben.
II.
Verwaltungsgerichtsbeschwerde 2A.431/1990
3.
Mit der Aufhebung des Urteils des Bundesgerichts vom 5. Juli 1991 steht das Verfahren zur Neubeurteilung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 21. Dezember 1990 wieder offen (
Art. 144 Abs. 1 OG
).
a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, die Haftung der Erben für die vom Erblasser verschuldete Steuerbusse verstosse gegen die Konvention. Diese Feststellung beschränkt sich zwar auf den im Einzelfall ergangenen "innerstaatlichen Vollzugsakt", das heisst auf das vor den Strassburger Organen angefochtene Urteil des Bundesgerichts, doch wurde dieses unmittelbar durch eine "bestimmte Gesetzeslage determiniert", nämlich
Art. 130 Abs. 1 BdBSt
, den das Bundesgericht anzuwenden hatte (vgl. JÖRG POLAKIEWICZ, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Berlin, Heidelberg usw. 1993, S. 215 ff., besonders 253 ff.). Gemäss dieser Vorschrift haften die Erben "bis zur Höhe ihrer Erbteile solidarisch für die vom Erblasser hinterzogene Steuer und von ihm verwirkten Bussen ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden." Diese Bestimmung erweist sich nach den Motiven, die der Gerichtshof seinem Entscheid zu Grunde gelegt hat, als konventionswidrig. Wortlaut und Sinn von
Art. 130 Abs. 1 BdBSt
sind klar, so dass ein mit der Konvention im Einklang stehendes Resultat sich auch nicht durch eine "konventionsfreundliche" Auslegung des Gesetzes erzielen lässt. Die Schweiz kann somit ihren Verpflichtungen aus
Art. 50 und 53 EMRK
nur nachkommen, wenn sie diese Norm nicht anwendet. Das muss gelten, obschon der Gerichtshof zum Gesetz nicht ausdrücklich Stellung genommen, sondern den individuell-konkreten Anwendungsakt als konventionswidrig bezeichnet hat. Nur in seltenen Fällen stellen nämlich die EMRK-Organe ausdrücklich fest, dass das Gesetz selbst die Konvention verletze (MARK E. VILLIGER, Die Wirkungen der Entscheide der EMRK-Organe im innerstaatlichen Recht, namentlich in der Schweiz, ZSR 104/1985 I S. 495). Es ist nicht anzunehmen, dass der Bundesgesetzgeber bei der Einführung von
Art. 139a OG
die Wiedergutmachung durch Revision auf die Fälle beschränkt haben
BGE 124 II 480 S. 487
wollte, wo der Gerichtshof die Konventionswidrigkeit des Gesetzes ausdrücklich festgestellt hat. Eine solche Absicht ergibt sich auch aus den Materialien nicht (BBl 1985 II 860 ff., 893;
1991 II 508
f., 529 f.; AB 1987 N 380; 1988 S 261
; 1991 N 1309
, S 868). Das Bundesgericht hat daher dem
Art. 130 Abs. 1 BdBSt
, soweit die Bestimmung sich auf Grund der Entscheidung des Gerichtshofes als konventionswidrig erwiesen hat, die Anwendung zu versagen.
Diese Auslegung von
Art. 139a OG
steht zu Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV nicht im Widerspruch. Nach diesen Bestimmungen ist das Bundesgericht nicht nur an die Bundesgesetzgebung, zu welcher auch der Bundesratsbeschluss vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer gehört (
BGE 117 Ib 367
E. 1a), sondern auch an die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge gebunden. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist somit für das Bundesgericht nicht weniger verbindlich als die Bundesgesetzgebung. Die Verfassungsbestimmungen lösen jedoch den Konflikt nicht, der sich ergibt, wenn ein Bundesgesetz einem Staatsvertrag, hier der Europäischen Menschenrechtskonvention, widerspricht (vgl.
BGE 117 Ib 367
E. 2). Insofern stellt
Art. 139a OG
eine Sondernorm dar, die nach ihrem Sinn und Zweck es dem Richter verbietet, ein Gesetz weiterhin anzuwenden, wenn auf Grund einer Entscheidung des Gerichtshofes oder des Ministerkomitees festgestellt worden ist, dass es der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht.
b) Ist aber
Art. 130 Abs. 1 BdBSt
auf Grund der Entscheidung des Gerichtshofes insoweit unanwendbar geworden, so können die Gesuchsteller und Beschwerdeführer nicht für die Bezahlung der vom Erblasser verwirkten Busse haftbar erklärt werden. Ihre Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gutzuheissen, soweit sie sich gegen die Steuerbusse richtet.
Hingegen ist die mit Entscheid der Bundessteuer-Rekurskommission vom 19. September 1990 auf Fr. 8'870.40 festgesetzte Nachsteuer zu bestätigen mit den Erwägungen, die das Bundesgericht bereits im Entscheid vom 5. Juli 1991 (E. 2a) angestellt hat. Auch der Gerichtshof konnte darin, dass die Erben für die Nachsteuer solidarisch haftbar erklärt wurden, keine Menschenrechtsverletzung erkennen. Insoweit wird der aufgehobene Entscheid durch den Revisionsgrund nicht berührt und ist das Bundesgericht an sein früheres Urteil und dessen Erwägungen gebunden. Die Beschwer-deführer verlangen denn auch - mit Recht - keine Revision des Entscheides in Bezug auf die Nachsteuern.
BGE 124 II 480 S. 488
4.
Die Gesuchsteller beantragen ferner, dass die kantonale Steuerverwaltung verpflichtet werde, den Gesuchstellern die bezahlte Busse von Fr. 2'882.90 samt Zins zurückzuzahlen. Es kann offen bleiben, inwieweit neue Tatsachen und Rechtsbegehren in einem Revisionsgesuch zuzulassen sind (vgl. Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire,
Art. 140 N 4
). Hebt das Bundesgericht sein früheres Urteil auf und entscheidet neu, dass den Beschwerdeführern keine Busse auferlegt werden dürfe, so haben die kantonalen Behörden die bereits bezahlten Beträge zurückzuerstatten. Dieses Vorgehen entspricht ständiger Praxis des Bundesgerichts in Steuersachen, weil Veranlagungsverfahren und Steuerbezugsverfahren verschiedene Verfahrensabschnitte darstellen. Die exakte Berechnung kann deshalb sinnvollerweise nicht durch das Bundesgericht vorgenommen werden. Im vorliegenden Fall kommt dazu, dass auf Grund der Vorbringen im Revisionsgesuch nicht feststeht, wer von den solidarisch haftbar erklärten Gesuchstellern welchen Betrag der Busse bezahlt hat und rückerstattungsberechtigt ist.
Art. 139a OG
schreibt auch nicht vor, dass die Wiedergutmachung zwingend durch das Bundesgericht zu erfolgen habe. Das ergibt sich daraus, dass
Art. 139a Abs. 1 OG
ein Revisionsgesuch nur insoweit zulässt, als die Wiedergutmachung "nur durch (diese) Revision möglich ist". Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, dass die zuständige kantonale Behörde über die Rückerstattung der Steuerbusse befindet. Sie wird dabei zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Forderungen regelmässig nach den jeweils geltenden landesüblichen Ansätzen zu verzinsen sind, auch wenn das Landesrecht die Verzinsung nicht vorsieht. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
901473f2-2fc5-4ae5-9756-0d6970b8b97d | Urteilskopf
125 II 105
11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Februar 1999 i.S. S. gegen Polizei- und Militärdirektion sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
und
Art. 11 Abs. 3 ANAG
in Verbindung mit
Art. 16 Abs. 3 ANAV
;
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
sowie
Art. 55 StGB
;
Art. 3 EMRK
; fremdenpolizeiliche Ausweisung eines Ausländers, der strafrechtlich unbedingt des Landes verwiesen worden ist.
Bei unbedingter Landesverweisung verbleibt zwar kein Raum für die Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung (vgl.
BGE 124 II 289
), doch ist weder zwingend die Anordnung einer fremdenpolizeilichen Ausweisung ausgeschlossen, noch wird der entsprechende Beurteilungsspielraum der Fremdenpolizeibehörden eingeschränkt (E. 2).
Voraussetzungen der Zulässigkeit der Ausweisung, insbesondere deren Verhältnismässigkeit, nach schweizerischem Recht sowie unter dem Gesichtspunkt des aus
Art. 3 EMRK
abgeleiteten Rückschiebungsverbots (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 125 II 105 S. 106
Der im Jahre 1952 geborene S., aus dem Kosovo stammender Jugoslawe serbischer Ethnie, zog 1974 in die Schweiz. Während einiger Zeit lebte er zunächst im Kanton Luzern, später, zusammen mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn, im Kanton Bern, wo er die Niederlassungsbewilligung erhielt. Inzwischen hält sich auch ein weiterer Sohn in der Schweiz auf. Die übrigen sieben Kinder leben in der Bundesrepublik Jugoslawien.
Am 23. Dezember 1993 verurteilte das Obergericht des Kantons Luzern S. wegen vorsätzlicher Tötung, mehrfachen vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung, alles begangen in Notwehrhilfeexzess, sowie wegen Raufhandels, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen verbotenen Waffentragens zu elf Jahren Zuchthaus und 15 Jahren Landesverweisung. S. erhob dagegen beim Bundesgericht je eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde, welche beide erfolglos blieben.
Am 5. August 1997 entschied das Justizdepartement des Kantons Luzern, S. bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen mit einer Probezeit von vier Jahren. Hingegen verweigerte das Justizdepartement den probeweisen Aufschub der Landesverweisung. Mit Urteil vom 26. November 1997 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern eine gegen die Verweigerung des Aufschubs der Landesverweisung gerichtete Beschwerde ab. Dagegen erhob S. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht, welches diese am 21. Januar 1998 abwies.
Am 12. Dezember 1997 wurde S. bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Am 26. Januar 1998 kündete die Fremdenpolizei des Kantons Bern S. an, sie beabsichtige, ihn aus der Schweiz auszuweisen. Mit Verfügung vom 23. Februar 1998 traf sie den entsprechenden Entscheid und wies S. aus der Schweiz aus. Am 11. Juni
BGE 125 II 105 S. 107
1998 wies die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern eine dagegen erhobene Beschwerde ab. S. führte Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, welches die Beschwerde am 9. Oktober 1998 jedoch ebenfalls abwies, soweit es darauf eintrat.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 12. November 1998 an das Bundesgericht beantragt S., der Entscheid des bernischen Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober 1998 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er nicht aus der Schweiz «wegzuweisen» (richtig: auszuweisen) sei.
Die Polizei- und Militärdirektion und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern sowie das Bundesamt für Ausländerfragen (für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) kann ein Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Die Ausweisung darf jedoch nur ausgesprochen werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint (
Art. 11 Abs. 3 ANAG
). Hierbei sind vor allem die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz und die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAV; SR 142.201).
Die Frage, ob die Ausweisung im Sinne der
Art. 11 Abs. 3 ANAG
und
Art. 16 Abs. 3 ANAV
«angemessen», d.h. verhältnismässig sei, ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde frei überprüft werden kann (
Art. 104 lit. a OG
). Dem Bundesgericht ist es jedoch verwehrt, sein eigenes Ermessen - im Sinne einer Überprüfung der Zweckmässigkeit (Opportunität; vgl.
BGE 116 Ib 353
E. 2b) der Ausweisung - an die Stelle desjenigen der zuständigen kantonalen Behörde zu setzen (
BGE 122 II 433
E. 2a S. 435;
BGE 114 Ib 1
E. 1b).
b) Verübt ein Ausländer ein Verbrechen oder Vergehen, hat bereits der Strafrichter die Möglichkeit, die strafrechtliche Landesverweisung
BGE 125 II 105 S. 108
anzuordnen (
Art. 55 StGB
). Sieht er hievon ab oder wird im Falle einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug die Landesverweisung probeweise aufgeschoben, steht dies der fremdenpolizeilichen Ausweisung nach
Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
nicht entgegen, wie das Bundesgericht in
BGE 122 II 433
E. 2b S. 435 mit Hinweis auf
BGE 114 Ib 1
festgehalten hat. Die Erwägungen im jüngeren Urteil bedeuten indessen nicht, dass die Anordnung der Ausweisung unzulässig ist, wenn die Landesverweisung mit unbedingtem Vollzug ausgesprochen bzw. der Vollzug nicht aufgeschoben wurde (vgl.
Art. 10 Abs. 4 ANAG
). Die Begründung in
BGE 114 Ib 1
ist denn auch allgemeiner gehalten, und die Zulässigkeit der parallelen Anordnung von Landesverweisung und Ausweisung wird darin nicht auf den Fall beschränkt, dass die erste nicht vollziehbar wird. Zwar sind die Fremdenpolizeibehörden nach der Rechtsprechung insoweit an eine unbedingte Landesverweisung gebunden, als es ihnen verwehrt ist, dem davon betroffenen Ausländer eine Anwesenheitsbewilligung zu erteilen (
BGE 124 II 289
). Die parallele Anordnung einer Ausweisung wird dadurch aber nicht ausgeschlossen. Häufig wird eine derartige doppelte Anordnung wohl wenig Sinn machen, und in solchen Fällen fragt es sich, ob der Ausländer noch ein aktuelles praktisches Interesse an der Anfechtung der einen Entfernungsmassnahme hat, wenn die andere rechtskräftig geworden ist. Unter Umständen rechtfertigt sich ein paralleles Vorgehen aber dennoch und ist auch das Interesse an der Anfechtung der zweiten Massnahme zu bejahen. Das kann etwa zutreffen, wenn die beiden Massnahmen von zwei verschiedenen Kantonen angeordnet oder vollzogen werden, oder wenn berechtigte Aussichten bestehen, dass die eine der beiden Massnahmen wieder dahinfällt oder deren Vollzug doch noch aufgeschoben wird, zum Beispiel durch Begnadigung im Falle der Landesverweisung oder durch Wiedererwägung im Falle der Ausweisung. Zu beachten ist auch, dass die strafrechtliche Landesverweisung im Normalfall befristet ist (vgl.
Art. 55 Abs. 1 StGB
), während die Ausweisung auch unbefristet ausgesprochen werden kann (vgl.
Art. 11 Abs. 1 ANAG
).
Im vorliegenden Fall haben die zuständigen Straf- und Strafvollzugsbehörden des Kantons Luzern die Landesverweisung ausgesprochen bzw. bei der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe den Aufschub des Vollzugs der Landesverweisung verweigert. Vollzogen wurde die Landesverweisung bis heute indes nicht. Der Beschwerdeführer hat die Niederlassungsbewilligung im Kanton
BGE 125 II 105 S. 109
Bern. Im Unterschied zur Ausweisung (
Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG
) lässt die Landesverweisung eine Niederlassungsbewilligung nicht ohne weiteres erlöschen; die Niederlassungsbewilligung erlischt mangels anderer ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in Anwendung von
Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG
erst, wenn sich der Ausländer nach vollzogener Landesverweisung während sechs Monaten tatsächlich im Ausland aufgehalten hat (PETER KOTTUSCH, Die Niederlassungsbewilligung gemäss
Art. 6 ANAG
, in ZBl 87/1986, S. 541; ANDREAS ZÜND, Strafrechtliche Landesverweisung und fremdenpolizeiliche Ausweisung, in: Festschrift für Dr. Kurt Eichenberger, Aarau 1990, S. 363 ff., insb. S. 369). Damit verbleibt im vorliegenden Fall ein Anwendungsbereich für die Anordnung einer fremdenpolizeilichen Ausweisung. Sie führt unmittelbar zum Erlöschen der bestehenden Niederlassungsbewilligung, und sie ermöglicht dem Kanton Bern eine Entfernung des Beschwerdeführers unabhängig vom grundsätzlich in der Zuständigkeit des Kantons Luzern stehenden (vgl.
Art. 374 Abs. 1 StGB
) Vollzug der Landesverweisung.
c) Die Vorinstanz leitet aus
BGE 124 II 289
E. 3a 292 ab, dass die Fremdenpolizeibehörden wegen der Bindung an die unbedingte Landesverweisung in einem allfälligen Entscheid über die Ausweisung des gleichen Ausländers nicht mehr frei seien; der Beurteilungsspielraum beschränke sich diesfalls auf diejenigen Fragen, die auch Gegenstand eines Verfahrens über die Vollstreckung der Landesverweisung bilden könnten; im verwaltungsgerichtlichen Verfahren seien somit lediglich noch die Zulässigkeit der Vollstreckung, namentlich unter dem Gesichtspunkt des Rückschiebungsverbots gemäss
Art. 3 EMRK
, und die Modalitäten derselben zu überprüfen. Nicht mehr durchzuführen sei hingegen die Interessenabwägung nach
Art. 11 ANAG
.
Mit dieser Begründung verkennt die Vorinstanz die Tragweite von
BGE 124 II 289
. Wie dargelegt, hat das Bundesgericht damit lediglich entschieden, dass bei unbedingter Landesverweisung kein Raum für die Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung verbleibt. Die Ausweisung bleibt daneben aber zulässig und kann je nach Einzelfall auch sinnvoll sein. Für ihre Anordnung müssen freilich sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen (nach
Art. 10 und 11 ANAG
) erfüllt sein und unabhängig von der Landesverweisung geprüft werden. Dies gilt umso mehr, als die Voraussetzungen für die beiden Entfernungsmassnahmen gerade nicht deckungsgleich sind. Namentlich beruhen sie auf unterschiedlichen Interessenlagen. Die strafrechtliche Landesverweisung ist vorab auf die Person des betreffenden
BGE 125 II 105 S. 110
Ausländers
ausgerichtet: So ist für den Entscheid über den bedingten Vollzug der strafrechtlichen Landesverweisung die Prognose über ein künftiges Wohlverhalten des Ausländers in der Schweiz entscheidend (vgl.
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
sowie
BGE 123 IV 107
E. 4a S. 111 f., mit Hinweisen). Für denjenigen über den probeweisen Aufschub nach
Art. 55 Abs. 2 StGB
ist einzig auf die Resozialisierungschancen abzustellen, wobei regelmässig die Aussichten auf Wiedereingliederung in der Schweiz denjenigen im Heimatland gegenüberzustellen sind (vgl.
BGE 122 IV 56
E. 3a S. 59 f., mit Hinweisen). Demgegenüber steht für den Entscheid über die fremdenpolizeiliche Ausweisung das allgemeinere Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Vordergrund. Der konkreten Prognose über das Wohlverhalten sowie dem Resozialisierungsgedanken des Strafrechts ist zwar im Rahmen der umfassenden fremdenpolizeilichen Interessenabwägung ebenfalls Rechnung zu tragen, die beiden Umstände geben aber nicht den Ausschlag (vgl.
BGE 122 II 433
E. 2b und c S. 435 ff. sowie die dort zitierte weitere Rechtsprechung und Literatur; BGE
BGE 114 Ib 1
E. 3a; vgl. auch
BGE 120 Ib 129
E. 5b S. 132).
d) Demnach hat die Vorinstanz ihren Beurteilungsspielraum zu Unrecht eingeschränkt und fälschlicherweise keine Interessenabwägung vorgenommen, womit sie an sich Bundesrecht verletzt und den Sachverhalt unvollständig festgestellt hat. Dennoch rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall nicht, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die unteren kantonalen Behörden haben sowohl die notwendigen tatsächlichen Erhebungen als auch die in
Art. 11 ANAG
vorgesehene Interessenabwägung vorgenommen (vgl. insb. den Beschwerdeentscheid der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern vom 11. Juni 1998). Die tatsächliche Ausgangslage ist damit erstellt und grundsätzlich auch nicht strittig. Einzelne Gesichtspunkte, die in der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, hat die Vorinstanz in anderem Zusammenhang gewürdigt. Im Übrigen kann das Bundesgericht einen unvollständigen Sachverhalt auch dann von Amtes wegen ergänzen, wenn wie im vorliegenden Fall eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden hat (vgl.
Art. 105 Abs. 1 und 2 OG
). Der Beschwerdeführer macht sodann auch gar nicht geltend, die Vorinstanz habe keine Interessenabwägung vorgenommen, sondern wendet sich einzig gegen die Beurteilung der Vollziehbarkeit der Entfernungsmassnahme (sei es als Landesverweisung, sei es als Ausweisung), insbesondere unter dem Gesichtspunkt des
BGE 125 II 105 S. 111
Rückschiebungsverbots in Anwendung von
Art. 3 EMRK
. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, dass das Bundesgericht in der Sache direkt entscheidet (vgl.
Art. 114 Abs. 2 OG
).
3.
a) Der Beschwerdeführer wurde letztinstanzlich vom Obergericht des Kantons Luzern wegen vorsätzlicher Tötung und anderen Delikten zu einer Zuchthausstrafe von elf Jahren verurteilt, sodass der Ausweisungsgrund von
Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
gegeben ist. Bei der Prüfung der Frage, ob die Ausweisung im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 ANAG
und
Art. 16 Abs. 3 ANAV
verhältnismässig erscheint, ist vorab festzustellen, dass der Beschwerdeführer unter anderem wegen sehr gravierenden Delikten verurteilt werden musste. Vorsätzliche Tötung und Tötungsversuch wiegen auch dann schwer, wenn sie wie im vorliegenden Fall in Notwehrhilfeexzess begangen wurden. Das Mass der verhängten Freiheitsstrafe und die Art der Straftaten - insbesondere die Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers - lassen erkennen, dass das strafrechtliche Verschulden des Beschwerdeführers sehr schwer wiegt und er zur Anwendung von Gewalt neigt. Damit besteht ein erhebliches sicherheitspolizeiliches Interesse, den Beschwerdeführer aus der Schweiz zu entfernen und von hier fernzuhalten.
Der Beschwerdeführer lebt seit geraumer Zeit, nämlich seit rund 25 Jahren, in der Schweiz. Seine Ehefrau und zwei seiner Kinder halten sich ebenfalls hier auf, allerdings in einem anderen Kanton, in welchem der Beschwerdeführer keine Anwesenheitsberechtigung erhält (vgl.
Art. 14 Abs. 3 ANAV
sowie
BGE 124 II 289
). Der Beschwerdeführer ist aber in seiner Heimat aufgewachsen und hat seine Beziehungen dorthin nie gänzlich abgebrochen. Nahe Verwandte, unter anderem sieben weitere Kinder, leben dort. Sodann haben die Straf- und Strafvollzugsbehörden festgestellt, die Resozialisierungschancen seien im Heimatland nicht kleiner als in der Schweiz (so insb. das Urteil des Kassationshofes des Bundesgerichts vom 21. Januar 1998). Bei dieser Sachlage überwiegt das sicherheitspolizeiliche Interesse an der Entfernung und Fernhaltung des Beschwerdeführers sein privates Interesse, in der Schweiz bleiben zu können. Die angeordnete Ausweisung verstösst somit nicht gegen eidgenössisches Gesetzesrecht.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die Gefährdung bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat wegen der ihm dort drohenden Blutrache unterschätzt. Ausserdem sei es widersprüchlich, beim Entscheid über die Landesverweisung das Schwergewicht darauf zu setzen, er könne in den Kosovo zurück, ihm bei
BGE 125 II 105 S. 112
demjenigen über die Ausweisung aber - wie dies die Vorinstanz getan habe - vorzuhalten, er könne sich als Serbe irgendwo in der Bundesrepublik Jugoslawien niederlassen. Im Ergebnis verletze der angefochtene Entscheid daher das Rückschiebungsverbot, wie es sich aus
Art. 3 EMRK
ergebe.
Es mag zutreffen, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien mit einer gewissen Gefährdung wegen der ihn eventuell erwartenden Blutrache der Familie des von ihm Getöteten verbunden ist. Die Gefährdung mag bei einer Rückkehr in den Kosovo allenfalls am grössten sein. Dem Beschwerdeführer steht es jedoch in der Tat frei, sich irgendwo in der Bundesrepublik Jugoslawien niederzulassen. Ginge es im vorliegenden Verfahren lediglich um den Vollzug der Landesverweisung, so stünde dieses Argument möglicherweise in einem gewissen Widerspruch zur Anordnung der Landesverweisung, bei der im Zusammenhang mit der Beurteilung der Resozialisierungschancen die Verhältnisse in der Schweiz mit denjenigen im Kosovo verglichen wurden. Dass der angefochtene Entscheid insofern widersprüchlich erscheint, hängt aber mit der Beschränkung des Beurteilungsspielraums zusammen, der sich die Vorinstanz fälschlicherweise unterzogen hat. Da bei der fremdenpolizeilichen Ausweisung die Wiedereingliederung nur einen von vielen Gesichtspunkten bildet und eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen ist, lässt sich dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ohne weiteres entgegenhalten, er könne als Serbe auch anderswo in der Bundesrepublik Jugoslawien leben. Nicht nur, aber auch in diesem Sinne gilt bei der fremdenpolizeilichen Ausweisung eben ein strengerer Massstab als bei der strafrechtlichen Landesverweisung (vgl.
BGE 120 Ib 129
E. 5b S. 132;
BGE 114 Ib 1
E. 3a). Es ist demnach nicht ersichtlich, dass die behauptete Gefahr der Blutrache in der Schweiz wesentlich kleiner wäre. Einer - gegebenenfalls illegalen - Einreise in die Schweiz zum Zweck der Rache stehen keine unüberwindbaren Hindernisse entgegen; sodann droht hier - offenbar im Gegensatz zur Bundesrepublik Jugoslawien - nicht die Todesstrafe für Blutrache (vgl. dazu das bereits genannte Urteil des Kassationshofes). Die Ausweisung des Beschwerdeführers verstösst somit nicht gegen
Art. 3 EMRK
. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
90156f9a-379a-4b2d-8229-e048c504e24c | Urteilskopf
100 III 30
9. Entscheid vom 16. April 1974 i.S. Novima AG | Regeste
Masseverbindlichkeiten im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung:
Art. 316 c Abs. 2 SchKG
.
1. Die ab Stundungsdatum geschuldeten Beiträge an Sozialversicherungseinrichtungen sind Masseverbindlichkeiten (Erw. 1).
2. Masseverbindlichkeiten werden vom Nachlassvertrag nicht erfasst und dürfen daher sofort bezahlt werden (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 100 III 30 S. 30
Der Novima AG, die einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung anstrebt, wurde am 18. September 1973 eine Nachlassstundung von 4 Monaten gewährt. Mit Schreiben
BGE 100 III 30 S. 31
vom 19. Dezember 1973 forderte der Sachwalter die Schuldnerin auf, die ab Stundungsdatum bis Ende 1973 geschuldeten Beiträge an die AHV/IV/EO und FAK bis 5. Januar 1974 abzurechnen und der Ausgleichskasse abzuliefern. Zwei Tage später ersuchte er sie, der SUVA einen Beitrag von Fr. 5365.-- als Vorausprämie für 1974 zu überweisen.
Gegen diese beiden Verfügungen des Sachwalters führte die Novima AG Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen mit der Begründung, sie seien den Verhältnissen nicht angemessen. Die Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde mit Entscheid vom 16. Januar 1974 ab.
Diesen Entscheid zieht die Novima AG an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weiter. Sie beantragt, ihrem Rekurs sei aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist zunächst, ob die während der Nachlassstundung aufgelaufenen Beiträge an die AHV/IV/EO und FAK sowie die SUVA-Prämien als Masseverbindlichkeiten zu betrachten seien. Da die Rekurrentin einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung anstrebt, beurteilt sich diese Frage nach
Art. 316c Abs. 2 SchKG
. Gemäss dieser Bestimmung sind diejenigen Verpflichtungen als Masseverbindlichkeiten anzusehen, die während der Nachlassstundung mit Zustimmung des Sachwalters eingegangen worden sind. Nun sind zwar die Beiträge an Sozialversicherungseinrichtungen keine Leistungen, zu denen sich ein Schuldner vertraglich verpflichten und denen der Sachwalter zustimmen könnte, sondern sie sind von Gesetzes wegen geschuldet. Auch solche öffentlich-rechtliche Verpflichtungen können indessen den Charakter von Masseverbindlichkeiten haben (
BGE 96 I 247
,
BGE 75 III 22
; BÖNI, Die Masseverbindlichkeiten im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, Diss. Freiburg 1959 S. 33 ff.; ders., BlSchK 1962 S. 70/71). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie unmittelbar mit einer Masseverbindlichkeit verknüpft sind. So hat das Bundesgericht z.B. entschieden, die Warenumsatzsteuerpflicht für Lieferungen, die der Schuldner während der Nachlassstundung
BGE 100 III 30 S. 32
mit Zustimmung des Sachwalters ausgeführt hat, sei eine Verbindlichkeit der Masse (
BGE 96 I 244
ff.). Gleich muss es sich verhalten bei Sozialversicherungsbeiträgen, wenn die Lohnschulden, nach denen sie sich bemessen (vgl. z.B.
Art. 13 AHVG
), ihrerseits Masseverbindlichkeiten sind.
Gerade dies scheint aber die Rekurrentin zu bestreiten, wenn sie geltend macht, dem Schuldner sei von Gesetzes wegen gestattet, während der Nachlassstundung sein Geschäft weiterzuführen, woraus hervorgehe, dass dazu die Zustimmung des Sachwalters nicht notwendig sei. Gewiss bedarf der Schuldner nicht der Zustimmung des Sachwalters, um sein Geschäft weiterzuführen. Er untersteht dabei aber dessen Aufsicht (
Art. 298 Abs. 1 SchKG
). Der Sachwalter kann dem Schuldner insbesondere Weisungen hinsichtlich der Geschäftstätigkeit erteilen, z.B. ihm verbieten, eine bestimmte Schuld einzugehen. Erteilt er in bezug auf das Personal keine Weisungen (z.B. Entlassungen, Kurzarbeit), so ist anzunehmen, er stimme den während der Fortführung des Geschäftes entstehenden Lohnschulden zu (die Zustimmung kann auch stillschweigend erfolgen; BÖNI, Diss. S. 42, BlSchK 1962 S. 77). Im vorliegenden Fall fehlt es an einer solchen Weisung. Die vom Stundungsdatum an geschuldeten Löhne und demzufolge auch die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Verpflichtungen gegenüber der Ausgleichskasse und der SUVA sind daher als Masseverbindlichkeiten zu betrachten. Im übrigen kann nach der Lehre die Zustimmung im Sinne von
Art. 316c Abs. 2 SchKG
auch nachträglich erteilt werden (BÖNI, Diss. S. 41, BlSchK 1962 S. 76). Die Aufforderung an die Rekurrentin, die Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen, brachte klar zum Ausdruck, dass der Sachwalter diesen Verpflichtungen zustimmte und dass er sie als Masseverbindlichkeiten behandelt wissen wollte.
2.
Masseverbindlichkeiten dürfen sofort bezahlt werden, denn sie werden vom Nachlassvertrag nicht erfasst. Anders liesse sich die Weiterführung des Geschäftes während der Stundung häufig gar nicht durchführen, werden doch die Geschäftspartner des Nachlassschuldners nur dann zu weiteren Lieferungen bereit sein, wenn ihnen sofortige Bezahlung zugesichert wird (CORADI, Der Sachwalter im gerichtlichen Nachlassverfahren nach
Art. 293 ff. SchKG
, Diss. Zürich 1973 S. 27; JAEGER, N. 1 zu
Art. 298 SchKG
). Die Massegläubiger
BGE 100 III 30 S. 33
können den Schuldner trotz der Stundung sogar betreiben, allerdings nur auf Pfändung (
Art. 316d Abs. 2 SchKG
; LUDWIG, Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, Diss. Bern 1970 S. 39/40, 101; BÖNI, Diss. S. 92, BlSchK 1962 S. 140; für die Masseschulden im Konkurs vgl. entsprechend
BGE 50 III 174
; JAEGER, N. 4 zu
Art. 206 SchKG
; FAVRE, Droit despoursuites, 3. Aufl. S. 299). Denn das Zwangsvollstreckungsverbot in
Art. 297 und 316a Abs. 2 SchKG
bezieht sich nur auf diejenigen Forderungen, die unter den Nachlassvertrag fallen, was bei den Masseverbindlichkeiten nicht der Fall ist (LUDWIG, a.a.O. S. 101; BÖNI, Diss. S. 93/94, BlSchK 1962 S. 141). Die sofortige Bezahlung von Masseschulden kann sich daher auch dann aufdrängen, wenn drohende Betreibungen abzuwenden sind.
3.
Ist die sofortige Bezahlung von Masseverbindlichkeiten als zulässig zu betrachten, so kann die Weisung des Sachwalters an die Rekurrentin, die ab Stundungsdatum aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen, nicht gesetzwidrig sein. Ob die Weisung unangemessen war, wie die Rekurrentin geltend macht, kann das Bundesgericht nicht überprüfen, da mit dem Rekurs im Sinne von
Art. 19 SchKG
Ermessensfehler nicht gerügt werden können (
BGE 97 II 126
,
BGE 96 III 16
,
BGE 93 III 119
,
BGE 91 III 57
). Der Rekurs ist daher abzuweisen, womit das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos wird.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9017c1a9-4bf9-4420-b3e9-3fc2fca9bebc | Urteilskopf
121 V 40
8. Urteil vom 9. Februar 1995 i.S. L. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Obergericht des Kantons Schaffhausen | Regeste
Art. 7 Abs. 2 und
Art. 37 Abs. 2 UVG
, Art. 31 und 69 lit. f des Übereinkommens IAO Nr. 102,
Art. 31 und 68 lit. f EOSS
: Kürzung bei Unfall auf dem Arbeitsweg.
Das Kürzungsverbot bei Grobfahrlässigkeit nach den angeführten internationalen Abkommen findet nur bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten Anwendung.
Ob der Begriff "Arbeitsunfälle" auch Wegunfälle umfasst, beurteilt sich mangels einer Definition in den Abkommen nach innerstaatlichem Recht.
Nach
Art. 7 Abs. 2 UVG
e contrario zählen die Wegunfälle in der Regel zu den Nichtberufsunfällen. | Sachverhalt
ab Seite 41
BGE 121 V 40 S. 41
A.-
L. (geb. 1943) arbeitete als Gruppenleiter in der Eingliederungsstätte X, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Betrieb. Am 14. Juni 1990 befand er sich mit seinem Fahrrad auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Dabei fuhr er aus einem vortrittsbelasteten Weg auf eine Strasse hinaus, wurde von einem Personenwagen erfasst und erlitt schwere Verletzungen, insbesondere ein schweres Schädel-Hirn-Trauma.
Die SUVA, welcher der Unfall gemeldet wurde, anerkannte grundsätzlich ihre Leistungspflicht, kürzte aber mit Verfügung vom 22. Januar 1992 die Geldleistungen um 10% wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Unfalls. Die hiegegen erhobene Einsprache lehnte sie mit Entscheid vom 24. März 1992 ab.
B.-
L. liess Beschwerde führen, die das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Entscheid vom 27. Mai 1994 abwies.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L. beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die SUVA sei zu verpflichten, ihm die gesetzlichen Leistungen ungekürzt auszurichten.
BGE 121 V 40 S. 42
Die SUVA und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz hat die von der SUVA verfügte Leistungskürzung in Anwendung von
Art. 37 Abs. 2 UVG
geschützt. Nach dieser Bestimmung werden die Geldleistungen gekürzt, wenn der Versicherte den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt hat.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, nach dem Übereinkommen Nr. 102 über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit vom 28. Juni 1952, für die Schweiz in Kraft seit 18. Oktober 1978, und der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 (EOSS), für die Schweiz in Kraft seit 17. September 1978, seien solche Leistungskürzungen bei Arbeitsunfällen nicht mehr zulässig. Der zur Diskussion stehende Unfall habe sich auf dem Arbeitsweg ereignet und müsse daher den Arbeitsunfällen im Sinne der genannten internationalen Abkommen zugeordnet werden.
2.
a) Gemäss Art. 31 des Übereinkommens Nr. 102 und
Art. 31 EOSS
hat jede Vertragspartei Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten gemäss den Bestimmungen in den erwähnten Abkommen zu gewährleisten. Nach
Art. 68 lit. f EOSS
kann eine Leistung, auf die eine geschützte Person nach einem der Teile II bis X Anspruch hätte, ruhen, d.h. sie kann verweigert, gekürzt oder entzogen werden (
BGE 120 V 130
Erw. 2a), wenn die betreffende Person den Fall vorsätzlich herbeigeführt hat. Wie das Eidg. Versicherungsgericht in Änderung seiner früheren Praxis (
BGE 111 V 201
) festgestellt hat, ist die Bestimmung des
Art. 68 lit. f EOSS
direkt anwendbar (self-executing;
BGE 119 V 176
ff.). Dieser Grundsatz gilt ebenfalls für Art. 69 lit. f des Übereinkommens Nr. 102. Daraus folgt, dass auch im Rahmen der obligatorischen Unfallversicherung Leistungskürzungen wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles (
Art. 37 Abs. 2 UVG
) ausgeschlossen sind (
BGE 120 V 131
Erw. 2b). Der staatsvertragliche Ausschluss der Leistungskürzung oder -verweigerung beschränkt sich indessen auf die Berufsunfallversicherung und findet auf die Versicherung von Nichtberufsunfällen keine Anwendung (
BGE 119 V 179
Erw. 4d,
BGE 118 V 309
Erw. 4b; RKUV 1994 Nr. U 207 S. 331 Erw. 2a).
b) Nach schweizerischer Rechtsauffassung sind Unfälle, welche ein Versicherter auf dem Weg zur oder von der Arbeit erleidet (sog.
BGE 121 V 40 S. 43
Wegunfälle), in der Regel keine Berufs-, sondern Nichtberufsunfälle (Botschaft zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung, BBl 1976 III S. 165 und 187; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 99; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Leistungskürzung oder -verweigerung gemäss
Art. 37-39 UVG
, Diss. Freiburg, 1993, S. 68; GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents, Lausanne 1992, S. 62; zur altrechtlichen Ordnung
BGE 95 II 628
Erw. 4c). Dies folgt aus
Art. 7 Abs. 2 UVG
, welcher nur bei Teilzeitbeschäftigten Unfälle auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle definiert.
Dementsprechend ist bei Unfällen auf dem Arbeitsweg eine Kürzung nach
Art. 37 Abs. 2 UVG
grundsätzlich möglich, es sei denn, die erwähnten, dem Landesrecht übergeordneten internationalen Abkommen würden unter dem Begriff "Arbeitsunfall" zwingend auch die Wegunfälle verstehen, was nachfolgend zu prüfen ist.
c) Die Auslegung eines Staatsvertrages hat in erster Linie vom Vertragstext auszugehen. Erscheint dieser klar und ist seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (
BGE 117 V 269
Erw. 3b mit Hinweisen). In diesem Rahmen waren nach der bisherigen Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts Wendungen und Begriffe, die in einem Sozialversicherungsabkommen Anwendung finden und für die Versicherungsleistungen einer schweizerischen Sozialversicherungseinrichtung massgeblich sind, stets direkt nach schweizerischem innerstaatlichen Recht auszulegen (
BGE 119 V 107
Erw. 6a,
BGE 112 V 149
Erw. 2a,
BGE 111 V 120
Erw. 1b). Das Eidg. Versicherungsgericht hat diese Rechtsprechung in
BGE 117 V 268
angesichts des am 6. Juni 1990 für die Schweiz in Kraft getretenen Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 relativiert.
Der Ausdruck "Arbeitsunfälle", der in bezug auf die Art der versicherten Unfälle unklar ist, wird weder in den Abkommen noch in den Materialien näher umschrieben (vgl. Rapport de la conférence internationale du Travail, Trente-cinquième session, Norme minimum de la sécurité sociale, Genève 1952, S. 119, gemäss welchem der Art. 31 zu keinen Bemerkungen Anlass gab).
BGE 121 V 40 S. 44
Offensichtlich sollte dies dem innerstaatlichen Recht der Vertragsparteien überlassen bleiben (CHARLES VILLARS, Le Code européen de sécurité sociale et le Protocole additionnel, Genf, 1979, S. 77). So ist denn auch in Art. 7 des von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommens Nr. 121 über die Leistungen im Falle von Berufsunfall und Berufskrankheit vom 17. Juni 1964 ausdrücklich geregelt, dass die Vertragsparteien den Arbeitsunfall zu definieren haben, wobei sie angeben müssen, unter welchen Bedingungen ein Wegunfall als Arbeitsunfall gilt (vgl. Bureau international du Travail, Introduction à la sécurité sociale, Genf 1986, S. 46). Eine derartige Regelung wäre entbehrlich gewesen, wenn bereits das Übereinkommen Nr. 102 den Wegunfall als Arbeitsunfall verstanden hätte.
Gestützt auf die zur Anwendung gelangenden internationalen Abkommen kann somit die Frage, ob der Begriff "Arbeitsunfälle" auch Wegunfälle umfasse, nicht beantwortet werden. Die Auslegung hat daher nach innerstaatlichem Recht zu erfolgen (RKUV 1989 Nr. U 63 S. 56 Erw. 4b). Nach
Art. 7 Abs. 2 UVG
e contrario ist aber der Unfall, welchen der Beschwerdeführer am 14. Juni 1990 mit seinem Velo auf dem Heimweg von der Arbeit erlitten hat, ein Nichtberufsunfall (oben Erw. 2b). Da das Übereinkommen Nr. 102 und die EOSS in diesem Bereich nicht zur Anwendung gelangen (
BGE 119 V 179
Erw. 4d), können die Geldleistungen gekürzt werden, wenn die Voraussetzungen des
Art. 37 Abs. 2 UVG
erfüllt sind.
3.
a) Die Vorinstanz führt dazu aus, der ortskundige Beschwerdeführer hätte angesichts der - insbesondere auch auf Augenhöhe eines Autofahrers - eingeschränkten Sicht nach Überwindung der Schlusssteigung, bei Erreichen der von Autos bekanntermassen regelmässig schnell befahrenen Strasse besonders vorsichtig sein und als Vortrittsbelasteter zumindest abbremsen und gegebenenfalls anhalten müssen. Da er dies nicht getan habe, sondern vielmehr aus der Beschleunigungsphase heraus ungebremst auf die Strasse hinausgefahren sei, habe er ein elementares Vorsichtsgebot missachtet. Auch wenn es sich nur um eine kurze Unaufmerksamkeit beziehungsweise Fehlbeurteilung gehandelt haben möge, müsse das Verhalten des Beschwerdeführers in der konkreten Situation grundsätzlich als grobfahrlässig bezeichnet werden. Massgebliche Entlastungsgründe seien nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen für eine Kürzung nach
Art. 37 Abs. 2 UVG
seien daher erfüllt. Die von der SUVA vorgenommene zehnprozentige Leistungskürzung entspreche dem praxisgemässen Kürzungsminimum.
BGE 121 V 40 S. 45
b) Diesen Erwägungen ist beizupflichten. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, was zu einem andern Ergebnis führen könnte. Grobfahrlässig handelt nach ständiger Rechtsprechung, wer jene elementaren Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte, um eine nach dem natürlichen Lauf der Dinge voraussehbare Schädigung zu vermeiden (
BGE 118 V 306
Erw. 2a,
BGE 114 V 190
Erw. 2a,
BGE 111 V 189
Erw. 2c; RKUV 1990 Nr. U 87 S. 56 Erw. 2a). In diesem Sinne hat das Eidg. Versicherungsgericht unter der Herrschaft der gleichlautenden Rechtsprechung zum KUVG die Missachtung der Vortrittsregel von
Art. 47 Abs. 5 VRV
durch einen Fussgänger im unveröffentlichten Urteil V. vom 6. Februar 1976 als grobfahrlässig betrachtet und eine von der SUVA aufgrund von
Art. 98 Abs. 3 KUVG
verfügte Leistungskürzung von 10% geschützt. Die Nichtbeachtung des Vortrittsrechts nach
Art. 36 Abs. 2 SVG
in Verbindung mit
Art. 14 Abs. 4 VRV
durch einen Radfahrer ist demnach ebenfalls als Verletzung einer elementaren Verkehrsvorschrift einzustufen, weshalb eine Kürzung wegen Grobfahrlässigkeit möglich ist (unveröffentlichtes Urteil R. vom 5. Oktober 1978). Die Kürzungsquote von 10% ist unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles und des dem kantonalen Gericht zustehenden Ermessensspielraums nicht zu beanstanden (vgl. dazu
BGE 114 V 316
Erw. 5a und b) und wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
90194b07-59f8-45d8-9c98-60a5e8c3f9a8 | Urteilskopf
118 IV 244
44. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 1er juillet 1992 dans la cause X. c. Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 159 StGB
; ungetreue Geschäftsführung.
Wer als Mitglied einer Behörde berechtigt ist, die Funktion eines Verwaltungsrates auszuüben, die Tantiemen aber dem Gemeinwesen abliefern muss, macht sich, wenn er dieser Verpflichtung nicht nachkommt, grundsätzlich nicht der ungetreuen Geschäftsführung schuldig, ausser wenn seine amtlichen Funktionen ihn dazu verpflichten, für die Eintreibung solcher Forderungen zu sorgen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 244
BGE 118 IV 244 S. 244
A.-
Elu conseiller municipal de la ville de L., X. a été chargé des Services industriels de juin 1981 jusqu'à sa démission peu avant le renouvellement des autorités communales en automne 1989.
Le règlement de la Municipalité de L. du 14 décembre 1965 prévoit, à son art. 11 al. 2, que les membres de cette autorité ne peuvent appartenir à l'administration d'aucune entreprise ou société poursuivant un but lucratif, sauf si la commune y a un intérêt manifeste. L'art. 13 al. 3 de ce règlement prescrit que "les tantièmes perçus par les membres de la Municipalité dans le cadre de l'activité prévue à l'art. 11 al. 2 sont versés à la caisse communale". Sur le plan pratique, il a été établi que certains conseillers municipaux encaissaient des tantièmes, puis en versaient le montant à la caisse communale; d'autres remettaient directement à l'administration des finances le chèque qu'ils avaient reçu; d'autres enfin avisaient la comptabilité
BGE 118 IV 244 S. 245
et demandaient à recevoir une facture pour effectuer leur versement. Seuls les tantièmes devaient être versés; les conseillers municipaux pouvaient conserver les jetons de présence, le remboursement des frais, ainsi que les sommes perçues comme membres d'un comité de direction.
Dès son accession à la Municipalité de L., X. est devenu administrateur ou membre du comité de direction de diverses sociétés à but lucratif; dans le cadre de ses activités, des tantièmes lui ont été versés.
Constatant qu'il n'avait restitué qu'une partie des tantièmes reçus, la comptabilité de la commune de L. avisa le syndic, qui, par lettres du 9 février 1989 et du 8 mars 1989, somma X. de payer les sommes dues. En plusieurs versements, celui-ci s'est acquitté du montant total, en capital, avec un excédent de 8'250 fr. 40.
Il a cependant été établi que dès 1984, X. avait accumulé un retard dans ses paiements qui est allé en s'accroissant, atteignant une somme totale de plus de 28'000 francs, jusqu'à ses versements importants d'avril à juin 1989. Il a été constaté que, pendant la période considérée, il ne disposait pas des fonds qui lui auraient permis de régler en tout temps ce qu'il devait à la caisse communale. Cette situation n'était pas due à un désordre dans ses affaires, mais à ses difficultés financières, qui l'avaient amené à procéder volontairement de cette façon pour s'assurer temporairement des liquidités.
B.-
Par jugement du 21 juin 1991, le Tribunal correctionnel du district de L. a condamné X., pour abus de confiance qualifié, à la peine de douze mois d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans; il a prononcé son incapacité de revêtir une charge ou une fonction officielle pour une durée de cinq ans; il l'a enfin condamné aux frais et dépens, réservant les prétentions civiles de la commune de L.
Statuant le 10 février 1992 sur recours du condamné, la Cour de cassation cantonale a modifié la qualification juridique de l'infraction, retenant la gestion déloyale en lieu et place de l'abus de confiance qualifié; elle a réduit la peine de douze mois à six mois d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans et a confirmé le jugement attaqué pour le surplus.
C.-
Contre cet arrêt, X. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Soutenant que les faits de la cause ne correspondent pas à la qualification de gestion déloyale, il conclut, sous suite de dépens, à l'annulation de la décision attaquée et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour prononcer son acquittement.
Le Ministère public a conclu au rejet du pourvoi.
BGE 118 IV 244 S. 246
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) La seule question litigieuse est de savoir si les faits retenus par la cour cantonale constituent une gestion déloyale au sens de l'
art. 159 al. 1 CP
.
Commet une gestion déloyale, selon cette disposition, celui qui, tenu par une obligation légale ou contractuelle de veiller sur les intérêts pécuniaires d'autrui, y aura porté atteinte.
L'
art. 159 CP
ne sanctionne pas la violation de n'importe quelle obligation de diligence relative à tout ou partie du patrimoine d'autrui, mais seulement celle qui est attachée à une gestion; il ne suffit ainsi pas que l'auteur ait eu l'obligation contractuelle ou légale de veiller sur le patrimoine d'autrui, il faut encore qu'il ait eu la position d'un gérant; seul peut avoir la position d'un gérant celui qui dispose d'une indépendance suffisante et qui jouit d'un pouvoir de disposition autonome sur les biens qui lui sont remis; ce pouvoir peut se manifester non seulement par la passation d'actes juridiques, mais également par la défense sur le plan interne d'intérêts patrimoniaux ou par des actes matériels; il faut cependant que le gérant ait une autonomie suffisante sur tout ou partie de la fortune d'autrui, sur les moyens de production ou le personnel d'une entreprise (
ATF 105 IV 311
consid. 2a,
ATF 102 IV 92
consid. 1b et les références citées voir également
ATF 113 IV 73
consid. 6a).
Une gestion déloyale peut aussi être commise par un membre d'une autorité ou un fonctionnaire, notamment lorsqu'il est chargé de gérer des fonds publics, l'
art. 314 CP
constituant toutefois une lex specialis (
ATF 88 IV 141
,
ATF 81 IV 230
s. consid. 1a; STRATENWERTH, Bes. Teil I, 3e éd., p. 282 No 9; REHBERG, Strafrecht III, 5e éd., p. 161).
b) En tant que conseiller municipal, le recourant était chargé, collégialement avec les autres membres du conseil, de gérer la commune de L.; par ailleurs, il était spécialement chargé d'administrer les Services industriels. Il n'est pas douteux, par les pouvoirs qui lui étaient dévolus, qu'il avait la position de gérant. Il faut toutefois préciser qu'à l'instar d'une position de garant, une telle position de gérant n'est évidemment pas absolue. Elle n'impose des obligations que dans les domaines où la personne revêt véritablement cette qualité, c'est-à-dire où elle jouit effectivement d'un pouvoir de disposition autonome (cf. SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht, Bes. Teil II, art. 159 No 24 avec un renvoi à l'art. 140 No 16; voir également
ATF 113 IV 73
s. et SCHMID, Einige Aspekte der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Gesellschaftsorganen, RPS 105 (1988), p. 168).
BGE 118 IV 244 S. 247
Ainsi, pour qu'il y ait gestion déloyale, il ne suffit pas que l'auteur ait été gérant ni qu'il ait violé une quelconque obligation de nature pécuniaire à l'endroit de la personne dont il gère tout ou partie du patrimoine. Le terme de gestion déloyale et la définition légale de l'infraction exigent que l'obligation violée soit liée à la gestion confiée (
ATF 105 IV 312
consid. 3a,
ATF 102 IV 92
consid. 1b,
ATF 81 IV 279
,
ATF 80 IV 247
; NOLL, Bes. Teil I p. 223; REHBERG, op.cit., p. 161; TRECHSEL, Kurzkommentar, ad art. 159 No 8).
c) Le recourant était chargé des Services industriels. S'il est vrai qu'il avait été désigné au conseil d'administration de diverses sociétés en raison de sa charge officielle, il n'apparaît nullement que l'activité qu'il y déployait constituait une partie intégrante de sa charge de conseiller municipal délégué aux Services industriels. Le fait qu'il ait pu conserver toutes les sommes versées par les sociétés en question dans la mesure où elles tendaient à rémunérer ou défrayer l'activité d'administrateur montre bien que l'accusé n'était pas rétribué par la commune pour cette activité et que celle-ci sortait donc du cadre de sa charge officielle. C'est pour récompenser son activité d'administrateur au sein des sociétés que celles-ci lui ont versé personnellement des tantièmes. Certes, le règlement communal l'obligeait, en raison de son statut de conseiller municipal, à restituer les tantièmes à la commune. Il ne s'agissait cependant que d'une dette à l'égard de la commune, découlant de son statut, et faisant suite à l'activité lucrative qu'il avait exercée, de façon licite, en dehors du domaine de sa charge. Dans un tel système, l'inexécution de l'obligation de restitution n'apparaît en aucune façon comme un acte de gestion des Services industriels.
On ne voit pas non plus, sur la base des constatations cantonales, que le recourant ait été chargé de recouvrer ce type de créances, puisqu'il n'était pas délégué aux finances; d'autre part, n'étant pas le syndic, il n'était pas tenu spécialement de veiller à ce que les conseillers municipaux respectent les devoirs de leur charge.
La cour cantonale a cependant considéré qu'étant membre du conseil municipal, il était chargé, collégialement, de veiller à ce que la commune encaisse ses créances. Cette conception est beaucoup trop large et ne peut être suivie.
Ainsi qu'il a été démontré, le recourant, en exerçant ses mandats d'administrateur, accomplissait de manière licite une activité lucrative accessoire, mais extérieure aux devoirs de sa charge. Son statut de conseiller municipal l'obligeait à restituer une partie des sommes reçues dans ce contexte, à savoir les tantièmes. Il s'agissait donc
BGE 118 IV 244 S. 248
d'une dette personnelle à l'égard de la commune, liée à une activité extérieure à la charge municipale. On ne voit pas qu'en tant que conseiller municipal le recourant ait eu un quelconque devoir de gestion dans le cadre duquel il aurait été tenu de procéder ou de faire procéder au recouvrement de sa propre dette personnelle. Il ne ressort pas des constatations de fait qu'il ait été chargé de façon générale de recouvrer les créances de la commune, ni qu'il ait été chargé de manière particulière de recouvrer ce type de créances. Il est notoire que les tâches sont réparties au sein d'un conseil municipal et on ne saurait faire appel à la notion de collégialité pour soutenir que n'importe quel conseiller municipal est tenu de gérer sa dette personnelle à l'égard de la commune et qu'il doit veiller à se faire notifier un commandement de payer à lui-même. On ne voit pas qu'en retardant le paiement d'une dette personnelle envers la commune, le recourant ait violé un devoir concret et précis de gestion qui lui était dévolu dans le cadre de la répartition des tâches au sein des autorités municipales.
Certes, on peut déplorer qu'un magistrat municipal ne s'acquitte pas ponctuellement de ses dettes à l'égard de la commune; cela ne suffit toutefois pas pour conclure à l'existence d'une gestion déloyale, en l'absence de toute violation de ses devoirs de gestion proprement dits; au demeurant, il semble que la commune pouvait parfaitement connaître la situation et qu'il lui appartenait de réagir rapidement, le cas échéant par les voies de la poursuite pour dettes, étant observé que sa mise en demeure s'est révélée en définitive efficace.
En qualifiant les faits retenus de gestion déloyale, la cour cantonale a violé l'
art. 159 al. 1 CP
. Le pourvoi doit donc être admis et l'arrêt cantonal annulé. | null | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
901e7fec-e6da-410b-bee2-a4081c34c8a3 | Urteilskopf
96 III 107
19. Entscheid vom 22. Dezember 1970 i.S. Schweizerische Bankgesellschaft. | Regeste
Arrestvollzug.
1. Beschwerdelegitimation Dritter (Erw. 1).
2. Zulässigkeit, Arrest auf Sachen und Guthaben zu legen, die dem Schuldner gehören, dem Namen nach aber Dritten zustehen (Erw. 2 und 3).
3. Anforderungen an die Spezifikation der Gegenstände im Arrestbefehl (Art. 274 Ziffer 4 SchKG) und in der Arrestnotifikation. Pflichten der Drittschuldnerin (Bank) (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 96 III 107 S. 108
A.-
Karl Baisch erwirkte am 7. April 1970 beim Einzelrichter des Bezirkes Zürich gegen die Medway Finance Ltd., Nassau/Bahamas, für eine Forderung von Fr. 1'656,200.-- einen Arrest auf folgenden Gegenständen:
"Guthaben der Arrestschuldnerin bei der Schweizerischen Bankgesellschaft, Bahnhofstrasse, Zürich, im eigenen oder fremden Namen, insbesondere Forderungen und Barschaft, Kontokorrentguthaben, Wertschriften, Namen-, Nummern- und Decknamenkonti, Safe- und Schliessfachinhalte unter eigenem oder fremden Namen, alles soweit verarrestierbar, bis zur Deckung der Arrestforderung nebst Zinsen und Kosten".
Der Arrest wurde am 8. April 1970 durch das Betreibungsamt Zürich 1 vollzogen. Die Schweizerische Bankgesellschaft verweigerte jede Auskunft.
B.-
Am 10. April 1970 erhob die Bank bei der untern kantonalen Aufsichtsbehörde Beschwerde und stellte die Anträge, die Arrestnotifikation sei aufzuheben, eventuell sei sie zu beschränken auf "1. Guthaben der Arrestschuldnerin, insbesondere Forderungen, Kontokorrentguthaben, Namen-, Nummern- und Decknamenkonti, 2. Barschaft, 3. Wertschriften und 4. Safeinhalte unter eigenem oder Decknamen". Zur Begründung brachte die Beschwerdeführerin vor, der Arrest sei ungültig, da der Arrestbefehl Guthaben und Safe-Inhalte der Arrestschuldnerin unter fremdem Namen nenne.
Sowohl die untere als auch die obere kantonale Aufsichtsbehörde, an die die Bank rekurrierte, wiesen die Beschwerde ab.
C.-
Mit vorliegendem Rekurs an das Bundesgericht hält die Schweizerische Bankgesellschaft an ihren Rechtsbegehren fest.
BGE 96 III 107 S. 109
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, bildet nicht der Arrestbefehl Gegenstand der Beschwerde, sondern dessen Vollzug, indem nämlich die Rekurrentin verlangt, es sei die Arrestnotifikation als Vollzugshandlung aufzuheben, allenfalls einzuschränken.
Während nun gegen den Arrestbefehl selber keine Beschwerde möglich ist (
Art. 279 Abs. 1 SchKG
), haben Lehre und Rechtsprechung eine solche gegen den Arrestvollzug anerkannt (
BGE 64 III 129
,
BGE 75 III 26
,
BGE 82 III 69
,
BGE 88 III 141
/142; JAEGER N 1 zu
Art. 275 SchKG
, FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II 2. A. S. 220). Fraglich ist bloss, ob das Beschwerderecht ausser den Parteien (dem Arrestgläubiger und dem Arrestschuldner) auch Dritten zustehen könne. Das Bundesgericht hat dies in einem Falle (
BGE 80 III 124
f.) zugunsten einer Bank, die Schuldnerin des Arrestschuldners war, bejaht, weil der Vollzug des Arrestes stark in ihren Geschäftsbetrieb eingriff. - In einer ähnlichen Lage befindet sich im vorliegenden Falle die Rekurrentin: Auch wenn sie bei Befolgung der Arrestnotifikation keineswegs gezwungen wäre, im Extremfalle sämtliche bei ihr bestehenden Konti, Depots, Tresorfächer usw. zu sperren, wie sie behauptet, so ist doch die Art des Arrestvollzuges geeignet, wesentliche Eingriffe in ihre Interessen zu bringen. Die kantonalen Aufsichtsbehörden haben ihr deshalb zu Recht die Beschwerdelegitimation zuerkannt.
2.
Gemäss
Art. 271 Abs. 1 SchKG
sind nur Vermögensstücke des Schuldners mit Arrest zu belegen. Gegenstände, die einem Dritten gehören, dürfen nicht verarrestiert werden. Hingegen ist es zulässig, Arrest auf Sachen und Guthaben zu legen, die dem Schuldner gehören, dem Namen nach aber einem Dritten zustehen (
BGE 82 III 70
und 151;
BGE 93 III 92
). Wenn in einem solchen Falle der Schuldner behauptet, Eigentümer oder Gläubiger der Sachen und Forderungen sei ein Dritter, oder wenn der Dritte selber diese Rechte beansprucht, so ist das noch kein Grund, den Arrestvollzug einzustellen oder aufzuheben; es gibt dies lediglich Anlass zur Einleitung eines Widerspruchsverfahrens (
Art. 106-109 SchKG
), welches zur Abklärung der angeblichen Rechte des Dritten dient (vgl. die zit. Entscheide). Diese Grundsätze, die unbestritten sind, haben die Vorinstanzen
BGE 96 III 107 S. 110
nicht verkannt, und es besteht kein Grund, heute davon abzuweichen.
3.
Die Rekurrentin macht indessen geltend, es sei im vorliegenden Falle gar nicht behauptet worden, die Arrestschuldnerin sei Gläubigerin von unter fremdem Namen gehaltenen Guthaben. Die im Arrestbefehl verwendete Formulierung "Guthaben der Arrestschuldnerin ... in fremden Namen" sei in sich widersprüchlich und unverständlich, jedenfalls nicht genügend klar, um den Schluss aufeine solche Behauptung zuzulassen. Auch fehle es an der namentlichen Bezeichnung der Drittpersonen, deren Guthaben verarrestiert werden sollten, so dass sich diese Guthaben überhaupt nicht spezifizieren liessen; Arrestbefehl und -notifikation seien deshalb unvollständig und unvollziehbar.
Nun kann aber der vorliegende Arrestbefehl sinnvoll nur so ausgelegt werden, dass der Gläubiger Arrest auf Guthaben legen will, die der Schuldnerin gehören, dem Namen nachjedoch Dritten zustehen. Wenn nämlich der Arrestbefehl von Guthaben der Arrestschuldnerin spricht, welche auf fremde Namen lauteten, so liegt darin die Behauptung, diese Guthaben gehörten nicht Drittpersonen, sondern der Arrestschuldnerin. Damit sind die Rechte Dritter bestritten, und nur ein Widerspruchsverfahren vermag deren allfällige Gläubigereigenschaft abzuklären (vgl.
BGE 82 III 70
,
BGE 93 III 92
). Strengere Anforderungen an die Spezifikation der Gegenstände im Arrestbefehl (
Art. 274 Ziff. 4 SchKG
) und in der Arrestnotifikation stellen hiesse die Möglichkeit von Arrestnahmen, insbesondere der Gattungsarreste (die die Rekurrentin selber als zulässig bezeichnet), erheblich einschränken; denn es ist - wenigstens für die Grosszahl der Fälle - nicht ersichtlich, auf welche Weise der Arrestgläubiger die Rechtsverhältnisse näher umschreiben könnte, denen zufolge der Arrestschuldner, und nicht der Dritte, als Eigentümer oder Gläubiger zu gelten hätte.
Schliesslich übertreibt die Rekurrentin stark, wenn sie von den Nachteilen und Risiken spricht, die die Arrestnahme bzw. Freigabe von Vermögenswerten ungenannter Drittpersonen mit sich bringe. Von ihr wird lediglich verlangt, dass sie jene Guthaben angebe bzw. sperre, von denen sie weiss oder wissen muss, dass sie dem Arrestschuldner gehören, auch wenn sie auf den Namen eines Dritten lauten. Insoweit ist der Arrestbefehl
BGE 96 III 107 S. 111
weder unbestimmt noch unvollständig, somit auch nicht unvollziehbar. Der Rekurs ist deshalb abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
902544bd-4e37-4419-b835-2c6aab942185 | Urteilskopf
119 III 32
10. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 11 février 1993 dans la cause Société de Banque Suisse (recours LP) | Regeste
Art. 261 ff. SchKG
; Reihenfolge der Befriedigung von Grundpfandgläubigern und Inhabern beschränkter dinglicher Rechte bei Abschlagsverteilungen aus dem Erlös für ein Grundstück; Wirkungen einer Vereinbarung über den Rangvorgang.
1. Ist ein Grundstück zuerst mit einer Nutzniessung oder einer anderen Dienstbarkeit und hernach mit einem oder mehreren Pfandrechten belastet worden, kann die Nutzniessung oder Dienstbarkeit den Pfandgläubigern im Augenblick der Verwertung aufgrund des Grundsatzes der Alterspriorität entgegengehalten werden. Dieser Grundsatz kann indessen durch Abschluss einer Vereinbarung über den Rangvorgang durchbrochen werden (E. 1).
2. Im vorliegenden Fall kann die Vereinbarung über den Rangvorgang, die nur zwischen der Nutzniesserin und der Pfandgläubigerin im 3. Rang abgeschlossen worden ist, der Pfandgläubigerin im 1. und 2. Rang nicht entgegengehalten werden. Die letztere muss deshalb mit ihrer ganzen Forderung in die provisorische Verteilungsliste aufgenommen werden, während die Gläubigerin im 3. Rang in der Höhe des restlichen Erlöses aufzunehmen und, wie auch die Nutzniesserin, für den ungedeckten Teil in die 5. Klasse des
Art. 219 SchKG
zu verweisen ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 119 III 32 S. 33
A.-
a) Dans le cadre de la faillite de X., l'Office des faillites d'Aigle a procédé, le 14 avril 1992, à la vente aux enchères publiques d'une parcelle grevée des gages immobiliers suivants:
- cédule hypothécaire au porteur de 70'000 francs, inscrite le 31 août 1984 en 1er rang,
- cédule hypothécaire au porteur de 50'000 francs, inscrite le 28 juin 1985 en 2e rang, avec profit des cases libres, intérêt maximal 10%,
- cédule hypothécaire au porteur de 165'000 francs, inscrite le 13 février 1990 en 3e rang, avec profit des cases libres, intérêt maximal 10%.
La Société de Banque Suisse (ci-après: SBS) était créancière garantie par les cédules en 1er et 2e rangs, la Banque Vaudoise de Crédit (ci-après: BVC) créancière garantie par la cédule en 3e rang. Au jour de la vente, le montant en capital et intérêts dû à ces créancières s'élevait à 150'607 francs pour la SBS et à 200'750 francs pour la BVC.
b) La parcelle en question était également grevée pour moitié d'un usufruit légal selon l'art. 462 anc. CC en faveur de la mère du failli. Cet usufruit avait été inscrit le 20 février 1984. Le 3 février 1990, dame X. consentit à la postposition de son usufruit par rapport à la cédule hypothécaire en 3e rang de la BVC.
c) L'état des charges de la parcelle, déposé comme partie intégrante de l'état de collocation le 8 janvier 1992, mentionnait, dans l'ordre, l'usufruit précité, les cédules hypothécaires en 1er et 2e rangs de la SBS, la cédule hypothécaire en 3e rang de la BVC, puis la postériorité de l'usufruit par rapport au droit de gage de la BVC en 3e rang et son antériorité par rapport aux droits de gage de la SBS en 1er et 2e rangs. L'état des charges ne fut pas contesté.
d) La BVC a demandé la double mise à prix de l'immeuble. A la première enchère, comprenant le droit d'usufruit, la SBS a offert, selon le procès-verbal de la vente, 156'000 francs. A la deuxième enchère, sans la charge, l'immeuble fut adjugé pour 293'000 francs.
BGE 119 III 32 S. 34
B.-
Le 24 juin 1992, l'office des faillites a dressé un tableau de répartition provisoire des deniers (295'275 francs, représentant le prix d'adjudication de 293'000 francs plus 2'275 francs d'intérêts à 5% jusqu'au jour du paiement). Ce tableau prévoyait le paiement des montants suivants:
- à dame X.: 72'180 francs, correspondant à la valeur capitalisée de son usufruit;
- à la SBS: 78'427 francs (total dû de 150'607 francs moins 72'180 francs, valeur de l'usufruit précité);
- à la BVC: le solde, soit 144'668 francs.
Le découvert de la SBS, par 72'180 francs, et celui de la BVC, par 56'082 francs, devaient être reportés en 5e classe.
La SBS a porté plainte contre ce tableau de distribution. Elle a conclu principalement au versement en sa faveur de 150'607 francs et à la radiation de l'usufruit, la créance de dame X. de 72'180 francs étant colloquée en 5e classe. Subsidiairement, elle a demandé la répartition suivante: 72'180 francs à dame X., 150'607 francs à elle-même (SBS) et 72'488 francs à la BVC, le découvert de cette dernière, par 128'262 francs, étant reporté en 5e classe.
Statuant le 17 septembre 1992 en qualité d'autorité inférieure de surveillance, le Président du Tribunal du district d'Aigle a rejeté la plainte. Sur recours de la SBS, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a confirmé le prononcé du président du tribunal de district, par arrêt du 10 décembre 1992, notifié à la SBS le 14 décembre.
C.-
Par acte du 23 décembre 1992, la SBS a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Invoquant une fausse application des art. 812 al. 2, 813 al. 1 et 817 CC, elle a conclu à ce que le tableau de distribution provisoire du 24 juin 1992 soit corrigé en ce sens que la SBS devait recevoir 150'607 francs.
Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé l'arrêt attaqué et ordonné la correction sollicitée.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Dans la faillite, la distribution du produit de la réalisation d'un immeuble entre les divers créanciers hypothécaires a lieu selon l'ordre de désintéressement prévu par le droit civil (art. 219 al. 3 LP), c'est-à-dire selon les art. 812 ss et 817 ss CC. Ainsi, le produit doit
BGE 119 III 32 S. 35
être distribué entre les créanciers gagistes selon leur rang (art. 817 al. 1 CC), rang qui est lié à la case hypothécaire que leur assigne l'inscription (art. 813 al. 1 CC). Tant que les créanciers d'un rang antérieur ne sont pas complètement payés, les créanciers d'un rang postérieur ne touchent rien (P.R. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2e éd., Lausanne 1988, p. 310 let. C; PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, t. III Berne 1992, p. 176/177 n. 2792). Entre créanciers gagistes de même rang, la répartition se fait au marc le franc, savoir proportionnellement au montant de leurs créances (art. 817 al. 2 CC). Pour le montant de leur découvert éventuel, les créanciers gagistes participent au produit de la réalisation des autres biens suivant l'ordre fixé par l'art. 219 LP (art. 219 al. 4 LP; GILLIÉRON, loc.cit.; STEINAUER, op.cit., p. 177 n. 2793b).
b) Il peut y avoir conflit entre servitudes et droits de gage (cf. PAUL PIOTET, Les droits réels limités en général, les servitudes et les charges foncières, in Traité de droit privé suisse, t. V, 3, p. 11 ss). Alors que le rang des droits de gage immobiliers est lié, ainsi qu'on vient de le relever (consid. a), à leurs cases hypothécaires, celui des droits réels limités est en général déterminé par le principe de la priorité dans le temps. Enoncé à l'art. 812 al. 2 CC pour les droits immobiliers, ce principe, en vertu duquel le droit constitué antérieurement l'emporte ("prior tempore, potior jure"), s'applique aussi aux rapports entre les servitudes et les droits de gage (STEINAUER, op.cit., t. II 1990, p. 271 n. 2148 et p. 272 n. 2151). Lorsque, comme dans le cas particulier, un immeuble a d'abord été grevé d'une servitude, puis est frappé d'un ou de plusieurs droits de gage, ceux-ci saisissent l'immeuble dans l'état où il se trouve au moment où ils sont constitués, c'est-à-dire avec la servitude créée précédemment. Cette dernière est par conséquent opposable aux créanciers gagistes. Lors de la réalisation de l'immeuble, la servitude doit être respectée: l'immeuble doit être vendu grevé de la servitude - même si cela doit diminuer le montant de la réalisation et si, de ce fait, ce dernier ne couvre pas la dette garantie par gages (STEINAUER, op.cit., t. II, p. 272/273 n. 2153; PIOTET, op.cit., p. 12 let. b).
c) Toutefois, le principe de la priorité dans le temps étant de droit dispositif, il peut y être dérogé, notamment par une convention de postposition. Par un tel acte, qui n'est soumis à aucune forme, le titulaire d'un droit réel limité peut renoncer au bénéfice du rang affecté à son droit et consentir ainsi à ce qu'il soit primé par un autre, postérieur (STEINAUER, op.cit., t. II, p. 275 n. 2162 et 2162a; PIOTET, op.cit., p. 15/16).
BGE 119 III 32 S. 36
2.
a) La cour cantonale a retenu que la servitude de dame X. était opposable à la SBS en vertu du principe de la priorité dans le temps. Elle a considéré également que dame X. avait, à la demande de la BVC, valablement accepté de postposer son usufruit au droit de gage de celle-ci en 3e rang. Elle en a déduit, en s'appuyant sur STEINAUER (op.cit., t. II, p. 273 n. 2154), que le droit de gage de la BVC l'emportait sur la servitude, sauf si, au cours d'une double mise à prix, il venait à être établi que la servitude n'avait pas porté atteinte à la valeur de l'immeuble.
La recourante déclare adhérer sans réserve à ces considérants. Elle conteste en revanche que l'accord de postposition passé entre l'usufruitière et la BVC puisse lui être opposé. A cet égard, la cour cantonale considère, après avoir relevé l'absence de toutes précisions dans l'ordonnance sur le registre foncier sur la façon d'annoter ou de mentionner les postpositions dérogeant à l'ordre légal des rangs, que la solution choisie par l'office est parfaitement applicable en l'espèce. Pour ce dernier, il n'est pas admissible de payer les différents créanciers hypothécaires en fonction de leurs rangs inscrits au registre foncier, à cause de la convention de postposition; s'il fallait néanmoins l'admettre, il serait inutile de conclure des conventions de postposition.
b) Le principe posé à l'art. 817 al. 1 CC est clair: le prix de vente de l'immeuble doit être distribué entre les créanciers gagistes selon leur rang. La coexistence d'une servitude et de plusieurs droits de gage requiert en outre, en l'espèce, l'application du principe de la priorité dans le temps (consid. 1b). L'ordre de répartition doit donc suivre celui qui résulte de l'état de collocation et de l'état des charges, entrés en force faute d'avoir été contestés en temps opportun et dont l'exactitude n'est d'ailleurs pas mise en doute. Il y a lieu dès lors de commencer par indemniser l'usufruitière, de payer ensuite la créancière en 1er et 2e rangs, puis de verser le solde à la créancière en 3e rang. Ce n'est qu'une fois le principe de répartition légale posé et appliqué qu'il convient de tenir compte de l'exception que constitue la convention de postposition.
Cet accord, passé seulement entre l'usufruitière et la créancière de 3e rang, ne peut avoir d'effets qu'entre ces parties; il n'est pas opposable à la créancière en 1er et 2e rangs, pour qui il est une res inter alios acta. Contrairement à ce que laisse entendre la cour cantonale, on ne peut reprocher à la recourante d'avoir omis de demander aussi la postposition de l'usufruit par rapport à ses propres droits de gage et d'avoir pris ainsi un risque qu'il lui appartiendrait d'assumer par
BGE 119 III 32 S. 37
une diminution de ses créances. Comme la SBS l'explique de manière pertinente dans son recours, rien ne l'obligeait à demander la postposition de l'usufruit lors de l'établissement de ses cédules hypothécaires. En réalité, c'est la BVC qui a pris un risque lors de la constitution de son gage en 3e rang, vu les droits de gage et l'usufruit préexistants, son droit de gage saisissant l'immeuble en cause dans l'état où il se trouvait alors (STEINAUER, op.cit., t. II, p. 272 n. 2153). C'est pourquoi, d'ailleurs, elle a préalablement demandé et obtenu la postposition de l'usufruit, opération qui était destinée à limiter le risque ainsi assumé et qui confirme, à l'intention de l'office des faillites qui en doute, l'utilité des conventions de postposition.
c) En conséquence, selon l'ordre légal rappelé ci-dessus, le prix d'adjudication de la parcelle doit être réparti entre l'usufruitière, à raison de 72'180 francs (sous réserve de postposition), la créancière en 1er et 2e rangs, à raison de 150'607 francs, et la créancière en 3e rang, pour le solde de 72'488 francs. Compte tenu cependant de la convention de postposition - l'exception -, la SBS recevra 150'607 francs et la BVC 144'668 francs. Le découvert de cette dernière, soit 56'082 francs, et la créance de l'usufruitière de 72'180 francs seront, conformément à l'art. 219 al. 4 LP et sous réserve de privilèges éventuels, reportés en 5e classe. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
902cbe20-b397-4f68-9ed2-40ffc75d9b80 | Urteilskopf
135 III 136
19. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause Compagnie X. SA contre Etat Y. (recours en matière civile)
4A_403/2008 du 9 décembre 2008 | Regeste
Anerkennung eines in Frankreich ergangenen Schiedsspruchs in der Schweiz (Art. V Ziff. 1 lit. e des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958).
Allein die Tatsache, dass im Ursprungsstaat ein Rechtsmittel auf Aufhebung eines Schiedsspruchs, dessen Anerkennung in einem Drittstaat beantragt wird, gegeben ist oder erhoben wurde, ändert grundsätzlich nichts am verbindlichen ("binding") Charakter dieses Schiedsspruchs (E. 2).
Die einstweilige Hemmung der Wirkungen eines Schiedsspruchs im Ursprungsstaat bildet nur dann einen Anfechtungsgrund im Sinne von Art. V Ziff. 1 lit. e des New Yorker Übereinkommens, wenn sie durch einen richterlichen Entscheid angeordnet wurde (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 137
BGE 135 III 136 S. 137
A.
A.a
A la requête de la Compagnie X. SA (ci-après: la Compagnie X.) à Genève, l'Office des poursuites de Genève a notifié le 27 février 2003 à l'Etat Y. un commandement de payer la somme de 1'185'600'000 CHF (poursuite n° ...), contre-valeur de la somme de 800'000'000 USD que l'Etat Y. s'était engagé à payer à la Compagnie X. en vertu d'un Protocole d'accord conclu le 31 juillet 2002 entre les parties.
Par jugement du 7 juillet 2003, le Tribunal de première instance de Genève a levé provisoirement l'opposition à cette poursuite formée par l'Etat Y.
La Compagnie X. et l'Etat Y. avaient inséré une clause d'arbitrage dans le Protocole d'accord en cause, selon laquelle tous les différends auxquels celui-ci pourrait donner lieu seraient soumis à un ou trois arbitres statuant selon le Règlement d'arbitrage de la Chambre de Commerce Internationale (CCI). Le siège de l'arbitrage a été fixé à Paris, le français étant choisi comme langue de la procédure arbitrale. Les parties avaient assujetti le Protocole d'accord susmentionné au droit luxembourgeois.
Par demande du 30 juillet 2003, l'Etat Y. a présenté le litige résultant du Protocole d'accord à la Cour internationale d'arbitrage de la CCI à Paris, conformément à la clause arbitrale dudit accord.
Le 19 octobre 2004, la Compagnie X. et l'Etat Y. ont signé un acte de mission, fixant les règles que le Tribunal arbitral, formé de trois arbitres, aurait à appliquer à la procédure arbitrale.
Le 5 juin 2007, le Tribunal arbitral a rendu une sentence à la majorité de ses membres, à teneur de laquelle notamment la créance visée par la poursuite n° ... en Suisse a été déclarée en l'état inexistante, faute de réalisation, à la date du prononcé de la sentence, de la condition à laquelle est subordonnée l'efficacité singulièrement du Protocole d'accord du 31 juillet 2002.
Le 5 juillet 2007, la Compagnie X. a déposé une requête en correction et interprétation de la sentence arbitrale rendue le 5 juin 2007.
BGE 135 III 136 S. 138
A.b
A la demande de l'Etat Y., la sentence arbitrale susrappelée a été revêtue de l'exequatur en France le 25 juin 2007 et signifiée à la Compagnie X. le 13 juillet 2007 à Genève, par l'intermédiaire du Parquet du Procureur général de Genève. Cette signification mentionnait en particulier le délai dans lequel un appel de la décision accordant l'exequatur pouvait être interjeté devant la Cour d'Appel de Paris, soit trois mois dès le 13 juillet 2007.
Dans un document appelé "Addendum", daté du 17 octobre 2007, le Tribunal arbitral a partiellement admis la requête en correction d'erreurs matérielles et rejeté la requête en interprétation qu'avait formées la Compagnie X. Aucune ordonnance d'exequatur de cet "Addendum", communiqué aux parties à une date indéterminée, n'a été signifiée à celles-ci.
A.c
Par requête du 8 janvier 2008, l'Etat Y. a demandé la reconnaissance en Suisse de la sentence arbitrale du 5 juin 2007.
La compagnie X. s'est opposée à cette requête. Se fondant sur un avis de droit rédigé par un professeur de droit français, elle soutient que la sentence du 5 juin 2007 n'a pas de caractère obligatoire.
A.d
Par jugement du 13 mars 2008, le Tribunal de première instance de Genève a reconnu le "jugement" rendu le 5 juin 2007 par la Cour internationale d'arbitrage de la CCI à Paris dans la cause divisant l'Etat Y. d'avec la Compagnie X.
B.
Saisie d'un appel interjeté par la Compagnie X. contre le jugement du 13 mars 2008, la 1
re
Section de la Cour de justice du canton de Genève, par arrêt du 7 août 2008, a confirmé cette décision.
C.
La Compagnie X. exerce un recours en matière civile au Tribunal fédéral contre l'arrêt précité. Elle conclut à la mise à néant de cet arrêt, l'Etat Y. devant être débouté de toutes ses conclusions.
L'intimé propose le rejet du recours et la confirmation de l'arrêt du 7 août 2008.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La recourante expose, dans un premier grief, que la sentence arbitrale rendue en France en matière d'arbitrage international peut uniquement faire l'objet du recours en annulation instauré par l'art. 1504 al. 1 du Nouveau Code de Procédure civile français
BGE 135 III 136 S. 139
(ci-après: NCPC). L'"Addendum" du 17 octobre 2007 faisant partie intégrante de la sentence du 5 juin 2007, le recours en annulation doit être dirigé contre l'ensemble formé par la sentence et son "Addendum". La Compagnie X. en infère que le délai pour recourir en annulation contre la sentence du 5 juin 2007 ne saurait commencer à courir avant que soit signifiée une nouvelle ordonnance revêtant d'exequatur l'ensemble constitué par cette sentence et son addendum. Pour ne pas l'avoir compris, la cour cantonale aurait enfreint l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York du 10 juin 1958 pour la reconnaissance et l'exécution des sentences arbitrales étrangères (RS 0.277.12; ci-après: la Convention de New York).
2.1
Il résulte de l'état de fait que les sentences incriminées dont la reconnaissance est requise en Suisse émanent d'un Tribunal arbitral dont le siège était à Paris. Ce n'est donc pas la LDIP (RS 291) qui est applicable à ce litige d'exequatur (cf.
art. 176 al. 1 LDIP
), mais bien la Convention de New York, comme le prescrit l'
art. 194 LDIP
.
L'art. V ch. 1 de ce traité indique les motifs d'opposition à l'exequatur, lesquels ne sont pris en compte que s'ils sont invoqués et prouvés par la partie qui conteste la reconnaissance de la sentence arbitrale dans l'Etat requis de l'exécuter (
ATF 110 Ib 191
consid. 2c p. 195; 108 Ib consid. 3 p. 88; arrêt 4P.173/2003 du 8 décembre 2003 consid. 3.1).
Les motifs d'opposition, énumérés aux let. a à e, sont exhaustifs (JAN PAULSSON, The New York Convention in International Practice - Problems of Assimilation, Bulletin Association suisse de l'arbitrage [Bulletin ASA], 1996, Special Series n° 9 p. 107-108; ALBERT JAN VAN DEN BERG, The New York Arbitration Convention of 1958, The Hague 1981, p. 264-265; POUDRET/BESSON, Droit comparé de l'arbitrage international, 2002, ch. 902 p. 880).
La recourante ne se prévaut que du motif d'opposition ancré à l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York. Cette norme a la teneur suivante:
"La reconnaissance et l'exécution de la sentence ne seront refusées, sur requête de la partie contre laquelle elle est invoquée, que si cette partie fournit à l'autorité compétente du pays où la reconnaissance et l'exécution sont demandées la preuve:
e. Que la sentence n'est pas encore devenue obligatoire pour les parties ou a été annulée ou suspendue par une autorité compétente du pays dans lequel, ou d'après la loi duquel, la sentence a été rendue."
BGE 135 III 136 S. 140
2.2
Il convient donc de vérifier si la sentence arbitrale du 5 juin 2007 et l'"Addendum" du 17 octobre 2007 sont dénués de caractère obligatoire au sens de la Convention de New York, comme le prétend la recourante.
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, la sentence arbitrale étrangère est obligatoire ("binding") pour les parties lorsqu'un recours ordinaire n'est pas ou plus ouvert à son encontre (arrêt 5P.292/2005 du 3 janvier 2006 consid. 3.2, reproduit partiellement in RSDIE 2007 p. 80). Cette conception est approuvée par la doctrine moderne (POUDRET/BESSON, op. cit., ch. 918 p. 895; PATOCCHI/JERMINI, Commentaire bâlois, LDIP, 2
e
éd. 2007, n° 116 ad
art. 194 LDIP
;
les
mêmes
, International Arbitration in Switzerland, The Hague 2000, ch. 116 ad
art. 194 LDIP
, p. 666/667).
Pour qu'elle soit qualifiée d'"obligatoire", la sentence étrangère n'a pas besoin d'être exécutoire dans le pays d'origine, la Convention de New York ayant voulu éviter le "double exequatur" (
ATF 108 Ib 85
consid. 4e; arrêt 5P.292/2005 du 3 janvier 2006 déjà cité, consid. 3.2; PATOCCHI/JERMINI, op. cit., n° 114 ad
art. 194 LDIP
; KURT SIEHR, Commentaire zurichois, LDIP, 2
e
éd. 2004, n° 26 ad
art. 194 LDIP
).
Le seul motif qu'un recours en annulation est possible ou a été déposé dans l'Etat d'origine contre la sentence dont la reconnaissance est requise dans un Etat tiers ne retire pas son caractère "obligatoire" à cette sentence (POUDRET/BESSON, op. cit., ch. 920 p. 897; PHILIPPE FOUCHARD ET AL., Traité de l'arbitrage commercial international, Paris 1996, ch. 1684 p. 992).
En l'espèce, la recourante affirme qu'une sentence arbitrale rendue en France en matière d'arbitrage international ne peut faire l'objet que du recours en annulation prévu par l'art. 1504 al. 1 NCPC. Or, à suivre les avis doctrinaux exposés ci-dessus, la possibilité d'intenter un tel recours ne suffit pas à rendre la sentence non obligatoire au sens de la Convention de New York. A cela s'ajoute que la recourante n'a pas démontré que le recours en annulation du droit français présenterait la caractéristique d'un recours ordinaire.
Il s'ensuit que la recourante a échoué à établir que la sentence du 5 juin 2007 et son "Addendum" ne sont pas devenus "obligatoires" selon l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York.
La critique doit être rejetée.
BGE 135 III 136 S. 141
3.
A l'appui d'un deuxième moyen, la recourante déclare que la Cour de justice a derechef violé l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York en admettant que l'effet suspensif d'un recours contre une sentence arbitrale n'est un motif d'opposition selon la norme précitée de ce traité qu'à la condition que la suspension résulte de la décision d'une autorité judiciaire. Pour la recourante, au contraire, l'effet suspensif découlant de l'art. 1506 NCPC suffirait pour empêcher l'exequatur de la sentence arbitrale. La position de l'autorité cantonale, basée sur des opinions de doctrine, ne serait pas conforme à la jurisprudence des tribunaux suisses. La Compagnie X. se réfère à ce propos à l'
ATF 110 Ib 191
consid. 2c p. 195 et à un arrêt rendu en 1987 par la Cour de justice genevoise se conformant à ce précédent.
3.1
La Compagnie X. ne soutient pas, à bon droit, que les sentences dont l'exequatur est demandé en Suisse ont été annulées par un tribunal français. Elle n'a de toute façon jamais prétendu avoir formé un recours en France contre lesdites sentences.
Elle se limite à faire valoir que les sentences ont été suspendues dans l'Etat du siège (i.e. en France) en raison de l'effet suspensif résultant de l'art. 1506 NCPC, norme qui dispose que le délai pour exercer notamment le recours en annulation de l'art. 1504 al. 1 NCPC suspend l'exécution de la sentence arbitrale, le recours exercé dans le délai étant également suspensif.
3.2
A l'
ATF 110 Ib 191
consid. 2c, cité par la recourante, le Tribunal fédéral a retenu, sans se rapporter à aucun avis de doctrine, que l'effet suspensif ex lege du pourvoi en cassation du droit français alors applicable constituait un motif d'opposition selon l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York.
Dans l'arrêt 5P.371/1999 du 21 mars 2000 consid. 2b, publié in Bulletin ASA 20/2002 p. 266 ss, spéc. p. 268, la juridiction fédérale a affirmé que le motif tiré de la norme conventionnelle précitée pour refuser l'exequatur d'une sentence arbitrale anglaise ne pouvait trouver application in casu, car les magistrats de la Cour d'appel de Londres n'avaient pas
suspendu formellement la sentence
. Les juges fédéraux ont étayé ce changement d'opinion en se reportant à ALBERT JAN VAN DEN BERG, The New York Convention: Summary of Court Decisions, Bulletin ASA, Special Series n° 9 p. 90 et PAULSSON, op. cit., p. 112, auteurs qui, tous deux, ont renvoyé à un arrêt de la
BGE 135 III 136 S. 142
Cour suprême suédoise du 13 août 1979 portant sur l'exequatur en Suède d'une sentence arbitrale rendue en France susceptible d'y faire l'objet d'un recours en nullité (cause
Götaverken Arendal AB
c/
General National Maritime Transport Company
, in Revue de l'arbitrage, Paris 1980, p. 555 ss).
Le 8 décembre 2003, le Tribunal fédéral a rendu un arrêt 4P.173/2003, dont le consid. 3.1 in medio spécifie que l'exequatur d'une sentence arbitrale étrangère doit être refusé "lorsque l'effet suspensif a été accordé à un recours en nullité par l'autorité compétente". Cette phrase est suivie d'une référence à PATOCCHI/JERMINI, in Commentaire bâlois, LDIP, 1
re
éd. 1996, n
o
117 ad
art. 194 LDIP
.
Dans son arrêt 5P.292/2005 du 3 janvier 2006, mentionné au consid. 2.2 ci-dessus, le Tribunal fédéral a confirmé implicitement les deux arrêts susrappelés non publiés au Recueil officiel, en écrivant que le motif d'opposition à l'exequatur de l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York était réalisé si les effets de la sentence "pour la durée d'une procédure d'annulation en cours ... ont été suspendus par l'autorité compétente". Cet arrêt renvoie, outre à l'avis précité de PATOCCHI/JERMINI, à ceux de SIEHR, op. cit., n° 26 ad
art. 194 LDIP
, et de BUCHER/BONOMI, Droit international privé, 2
e
éd. 2004, n. 1330.
La nouvelle opinion du Tribunal fédéral, selon laquelle la suspension de la sentence dans l'Etat d'origine ne constitue un motif d'opposition, tel que l'entend l'art. V ch. 1 let. e de la Convention de New York, que si elle a été octroyée par une décision de justice, mais non pas si elle résulte simplement de plein droit du recours ouvert contre la sentence, a été saluée par la doctrine (KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, Arbitrage international, 2006, ch. 895 p. 359; GIRSBERGER/VOSER, International Arbitration in Switzerland, 2008, ch. 1196 p. 359).
3.3
La jurisprudence initiée par l'arrêt 5P.371/1999 du 21 mars 2000 doit être confirmée.
Elle est tout d'abord en harmonie avec le texte même de la Convention de New York, qui, au regard du motif de refus en question, fait état d'une sentence "suspendue par une autorité compétente du pays dans lequel, ou d'après la loi duquel, la sentence a été rendue". Une suspension ex lege sort manifestement du cadre de cette norme.
Ensuite, les motifs de refus de l'art. V de la Convention de New York doivent être interprétés restrictivement pour favoriser l'exequatur de
BGE 135 III 136 S. 143
la sentence arbitrale (POUDRET/BESSON, op. cit., ch. 902, p. 881; VAN DEN BERG, The New York Arbitration Convention of 1958, p. 267/268).
Enfin, il semble délicat, au point de vue de la théorie du droit, de faire obstacle à une Convention internationale ayant pour but de faciliter la reconnaissance des sentences arbitrales étrangères en s'appuyant sur une simple règle de procédure de l'Etat du siège, qui suspend l'exécution de la sentence dans cet Etat tant qu'il est possible d'y attaquer celle-ci par un recours extraordinaire.
3.4
Au vu de ce qui précède, il y a lieu d'admettre que le caractère suspensif attaché par l'art. 1506 NCPC au recours en annulation ne constitue pas un moyen de défense permettant à la recourante d'empêcher l'exequatur en Suisse de la sentence du 5 juin 2007 et de l'"Addendum" du 17 octobre 2007.
Le moyen est infondé. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
90302624-5dde-48ea-b814-d97ca7729f63 | Urteilskopf
141 II 233
17. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz gegen Amt für Landwirtschaft und Natur, Jagdinspektorat und Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_1176/2013 vom 17. April 2015 | Regeste
Art. 12 Abs. 1 lit. b NHG
;
Art. 7 JSG
; Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention;
Art. 18 und 31 VRK
; Qualifikation einer Anordnung an eine Verwaltungseinheit, geschützte Vögel aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuschiessen.
Erteilt eine Verwaltungseinheit einem Privaten oder einer hierarchisch nachgeordneten Behörde eine Polizeibewilligung - in casu die Erlaubnis, eine nach
Art. 7 Abs. 1 JSG
an sich untersagte Tätigkeit aus polizeilichen Gründen auszuüben -, entscheidet sie über die Anwendbarkeit einer Rechtsregel auf sich selbst, weshalb eine Verfügung vorliegt (E. 4.1). Diese Qualifikation steht in Übereinstimmung mit der Vorgabe von
Art. 12 Abs. 1 lit. b NHG
, Anordnungen, die ein Schutzziel von
Art. 1 NHG
beeinträchtigen könnten, zwecks effektiver Ausübung des Verbandsbeschwerderechts in Form einer anfechtbaren Verfügung zu erlassen (E. 4.2.3). Die schweizerische Rechtsordnung gewährleistet einen den Anforderungen von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention genügenden Rechtsschutz (E. 4.3). | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 141 II 233 S. 234
Der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife (SVS) beantragte am 22. April 2011 beim Jagdinspektorat (JI) des Amts für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern (LANAT) den Erlass einer anfechtbaren Verfügung auf Feststellung seiner Beschwerdeberechtigung mit Bezug auf Abschussanordnungen des JI betreffend Graureiher und
BGE 141 II 233 S. 235
Gänsesäger an der Schüss wie auch an anderen Gewässern. Künftige Abschussanordnungen seien ihm zudem mindestens 30 Tage vor der Ausführung und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen schriftlich zu eröffnen.
Das JI stellte durch Verfügung fest, dass Regulationsmassnahmen nach
Art. 12 Abs. 4 JSG
sowie Anordnungen von mehreren geplanten Einzelabschüssen von geschützten Vogelarten nach
Art. 12 Abs. 2 JSG
dem SVS beschwerdefähig zu eröffnen seien. Im Übrigen werde das Gesuch abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden könne; dies bedeute insbesondere, dass Anordnungen ad hoc getroffener Einzelmassnahmen gemäss
Art. 12 Abs. 2 JSG
dem SVS so lange nicht zu eröffnen seien, als eine Grenze von 10 % der lokalen Population nicht überschritten werde.
Gegen diese Verfügung erhob der SVS Beschwerde bei der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern (VOL). Die VOL verneinte eine Eröffnungspflicht für sämtliche, auch weniger als mindestens 10 % der lokalen Population betreffende Abschussanordnungen und wies die Beschwerde ab. Mit Urteil vom 6. November 2013 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde des SVS ebenfalls ab. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Nach dem Wortlaut von
Art. 12 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451)
können mittels Verbandsbeschwerde
Verfügungen
angefochten werden. Als Verfügungen gelten autoritative, einseitige, individuell-konkrete Anordnungen der Behörde, die in Anwendung von Verwaltungsrecht ergangen, auf Rechtswirkungen ausgerichtet sowie verbindlich und erzwingbar sind (
BGE 135 II 38
E. 4.3 S. 45;
BGE 131 II 13
E. 2.2 S. 17). Um als Verfügung und demnach als Anfechtungsobjekt des Verbandsbeschwerderechts zu gelten, muss der angefochtene Akt insbesondere die Regelung von Rechten und Pflichten zum Gegenstand haben (
BGE 135 II 328
E. 2.1 S. 331; ausdrücklich RIVA, Die Beschwerdebefugnis der Natur- und Heimatschutzvereinigungen im schweizerischen Recht, 1980, S. 82). Vorhaben, welche das Verbandsbeschwerderecht auslösen, sind hinreichend präzis zu publizieren oder schriftlich zu eröffnen, ansonsten die Verwirklichung von
BGE 141 II 233 S. 236
Bundesrecht vereitelt wird (
BGE 121 II 224
E. 5e S. 234 f.;
BGE 116 Ib 119
E. 2c S. 123; MEYER, Das Beschwerderecht von Vereinigungen; Auswirkungen auf das kantonale Verfahren, in: Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, 1992, S. 167 ff.; siehe mittlerweile ausdrücklich
Art. 12b NHG
).
3.2
Nach Auffassung der Vorinstanz erfüllen verwaltungsinterne Anordnungen zum Abschuss geschützter Vögel mangels Regelung eines Rechtsverhältnisses die Strukturmerkmale des Verfügungsbegriffs nicht. In Anwendung der Verwaltungspraxis des Bundesamtes für Umwelt BAFU hat sie aus Gründen des Rechtsschutzbedürfnisses Abschussanordnungen, welche mindestens 10 % der Population betreffen, als durch anfechtbare Verfügung zu erlassende Regulierungsmassnahme (Art. 12 Abs. 4 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 [JSG; SR 922.0]) qualifiziert. Abschussanordnungen für weniger als 10 % der Population würden hingegen als Einzelmassnahmen (
Art. 12 Abs. 2 JSG
) gelten, welche wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis nicht in Form einer anfechtbaren Verfügung zu ergehen hätten und somit das Verbandsbeschwerderecht nicht auslösten. Aus diesem Grund bestehe für die umstrittenen Anordnungen keine Eröffnungspflicht.
4.
Im Folgenden ist daher zunächst zu prüfen, ob Anordnungen gestützt auf
Art. 12 JSG
als Verfügungen zu qualifizieren sind; sollte dies verneint werden, wäre zu fragen, ob der Beschwerdeführerin dennoch die Möglichkeit offensteht, derartige Massnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen.
4.1
Die Vorinstanz stützt ihre Unterscheidung zwischen formlos anzuordnenden Einzelmassnahmen (gemäss
Art. 12 Abs. 2 JSG
) einerseits und durch anfechtbare Verfügung zu erlassende Regulierungsmassnahmen (gemäss
Art. 12 Abs. 4 JSG
) anderseits auf
BGE 136 II 101
E. 5.5 S. 109 ff. (Urteil 2C_911/2008 vom 1. Oktober 2009, auszugsweise publ. in:
BGE 136 II 101
).
4.1.1
Dieser Schluss ist indessen nicht nachvollziehbar: In jenem Fall hatte das kantonale Amt Fischzüchtern, also Privatpersonen, die Bewilligung zum Abschuss von Vögeln, namentlich Graureihern, erteilt, da diese Schäden an ihren Fischzuchtkulturen anrichteten. Damit erteilte die Verwaltung Privatpersonen das Recht, eine an sich nach
Art. 7 Abs. 1 JSG
untersagte Tätigkeit aus polizeilichen Gründen auszuüben. Eine Polizeibewilligung ist zweifelsohne eine Verfügung, weshalb die umstrittenen Anordnungen ohne weiteres als
BGE 141 II 233 S. 237
dem Verbandsbeschwerderecht unterliegende Verfügungen zu qualifizieren waren (zur Erweiterung des individuellen Rechtsbestandes durch eine Polizeibewilligung vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2014, S. 422, zum Tier- und Artenschutz als Bundesaufgabe [Art. 79 f. BV]). Die zur Begründung der Verwaltungspraxis des BAFU zitierte Erwägung (
BGE 136 II 101
E. 5.5 S. 109 ff.) bezieht sich nur auf die Unterscheidung zwischen Einzel- (
Art. 12 Abs. 2 JSG
) und Regulierungsmassnahme (
Art. 12 Abs. 4 JSG
); ihr lässt sich jedoch hinsichtlich der Frage, ob diese Massnahmen durch eine anfechtbarer Verfügung anzuordnen sind, nichts entnehmen.
4.1.2
Die rechtliche Qualifikation einer behördlichen Anordnung, die den Abschuss von Tieren einer geschützten Art erlaubt, kann nicht davon abhängen, ob sie sich an Private oder an eine nachgeordnete Verwaltungseinheit richtet, denn die damit erzielten Aussenwirkungen unterscheiden sich weder von ihrer Art noch von ihrem Ausmass her. Bereits im Urteil
BGE 125 II 29
hat das Bundesgericht die Anordnung einer kantonalen Direktion an eine untergeordnete Verwaltungsstelle, eine nicht heimische, eingeschleppte Krebsart mit einem Insektizid zu bekämpfen, ohne weiteres als - letztinstanzlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht anfechtbare - Verfügung qualifiziert (
BGE 125 II 29
E. 1c S. 33). Erteilt eine Verwaltungseinheit einem Privaten oder einer hierarchisch nachgeordneten Behörde eine Polizeierlaubnis, also etwa - wie hier - die Bewilligung, eine nach
Art. 7 Abs. 1 JSG
an sich untersagte Tätigkeit aus polizeilichen Gründen auszuüben, ist vom Vorliegen einer Verfügung auszugehen. Wenn die Verwaltung über die (Nicht-)Anwendbarkeit einer Rechtsregel für sich selbst befindet, erlässt sie mit andern Worten nicht bloss eine interne Anweisung, sondern eine anfechtbare Verfügung (MOOR, Droit administratif, Bd. II, 3. Aufl. 2011, S. 193 f.).
4.2
Diese rechtliche Einordnung der strittigen Abschussanordnungen steht in Übereinstimmung mit der Vorgabe von
Art. 12 NHG
, wonach Vorkehren staatlicher Stellen oder von Privaten, die ein Schutzziel im Sinne von
Art. 1 NHG
beeinträchtigen könnten, in Verfügungsform zu ergehen haben.
4.2.1
Parteistellung und Legitimation hängen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts weitgehend vom Erfordernis eines
Rechtsschutzinteresses
ab; mit dieser Voraussetzung soll die unerwünschte
BGE 141 II 233 S. 238
Popularbeschwerde ausgeschlossen werden (
BGE 140 II 315
E. 4.3 und E. 4.4 S. 325; RIVA, a.a.O., S. 157 f.; GRIFFEL, Das Verbandsbeschwerderecht im Brennpunkt zwischen Nutz- und Schutzinteressen, URP 2006 S. 94; GADOLA, Beteiligung ideeller Verbände vor den unteren kantonalen Instanzen - Pflicht oder blosse Obliegenheit? Zugleich eine Auseinandersetzung mit
BGE 116 Ib 119
ff. und 418 ff., ZBl 93/1992 S. 107). Entsprechend ist der Anwendungsbereich der Rechtsweggarantie von
Art. 29a BV
nur bei einer im Zusammenhang mit einer
individuellen, schutzwürdigen Rechtsposition
stehenden Streitigkeit eröffnet (zu dieser Voraussetzung vgl.
BGE 140 II 315
E. 4.4 S. 326;
BGE 137 II 409
E. 4.2 S. 411;
BGE 136 I 323
E. 4.3 S. 328 f.; Urteil 2C_272/2012 vom 9. Juli 2012 E. 4.3).
4.2.2
Dieser Grundsatz kann indes nicht unbesehen auf das Verbandsbeschwerderecht übertragen werden. Wo ausschliesslich öffentliche Interessen des Heimat-, Natur-, Arten- und Pflanzenschutzes betroffen sind, hätte ein Festhalten am Erfordernis des Rechtsschutzinteresses im oben umschriebenen Sinn empfindliche Lücken im System der Rechtspflege zur Folge. Diese Lücke wird durch
Art. 12 ff. NHG
geschlossen. Das ideelle, spezialgesetzliche Beschwerderecht für gesamtschweizerische Organisationen des Natur- und Heimatschutzes zur Durchsetzung rein öffentlicher Interessen setzt, in Abweichung zu den allgemeinen Legitimationsvoraussetzungen, gerade weder ein schutzwürdiges persönliches (tatsächliches oder rechtliches) Interesse noch (im Gegensatz zur egoistischen Verbandsbeschwerde) die Wahrung der Interessen der Mitglieder voraus (GRIFFEL, a.a.O., S. 94; zu
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 69 zu
Art. 89 BGG
; MOSIMANN, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, in: Prozessieren vor Bundesgericht, 3. Aufl. 2011, N. 4.73 f.).
4.2.3
In Übereinstimmung mit dem Zweck von
Art. 12 NHG
, die aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Natur- und Heimatschutz fliessende Erhaltungs- und Schonungspflicht sowie den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt in ihrer umfassenden Tragweite sicherzustellen, wurde mit der im Jahr 2007 in Kraft getretenen Revision des ideellen Beschwerderechts nach
Art. 12 NHG
den beschwerdeberechtigten Organisationen
eine vollständige Parteistellung im Sinne des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren
eingeräumt (Parlamentarische Initiative zur Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsprüfung sowie zur Verhinderung von Missbräuchen durch eine
BGE 141 II 233 S. 239
Präzisierung des Verbandsbeschwerderechts, Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 27. Juni 2005, BBl 2005 5377). Das für die Parteistellung im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vorausgesetzte Rechtsschutzinteresse in Form eines Berührtseins in eigenen Rechten und Pflichten (
Art. 6 und
Art. 48 Abs. 1 VwVG
[SR 172.021]) wird demnach für beschwerdeberechtigte gesamtschweizerische Organisationen des Natur- und Heimatschutzes durch die spezialgesetzlich eingeräumte Beschwerdelegitimation in
Art. 12 NHG
zur Durchsetzung von öffentlichen Interessen auf dem Gebiet des Natur-, Heimat-, Tier- und Pflanzenschutzes ersetzt (MARANTELLI-SONANINI/HUBER, in: VwVG, Praxiskommentar [...], 2009, N. 12 zu
Art. 6 VwVG
;GADOLA, a.a.O., S. 113 f.). Aus
Art. 12 NHG
ergibt sich somit, dass Vorkehren staatlicher Stellen oder von Privaten, die ein Schutzziel im Sinne von
Art. 1 NHG
beeinträchtigen könnten, in Verfügungsform zu ergehen haben, was erst eine effektive Ausübung des Verbandsbeschwerderechts ermöglicht.
4.2.4
Zum selben Ergebnis führt ein Vergleich mit der Rechtslage bei anderen Massnahmen im Bereich des Natur- und Heimatschutzes, die nicht in jedem Fall schutzwürdige Interessen Privater beeinträchtigen. So darf gemäss
Art. 21 Abs. 1 NHG
die Ufervegetation weder gerodet noch überschüttet noch auf andere Weise zum Absterben gebracht werden, wobei die zuständige kantonale Behörde gemäss
Art. 22 Abs. 2 NHG
die Beseitigung der Ufervegetation unter gewissen Umständen bewilligen kann. Diese Massnahmen können, gleich wie Anordnungen zu Abschüssen von geschützten Tierarten gestützt auf
Art. 12 JSG
, zu einer Beeinträchtigung der Schutzziele des NHG führen. Sie werden ausdrücklich als bewilligungspflichtig bezeichnet, so dass sie ohne weiteres als Verfügungen anzusehen sind und dem Beschwerderecht nach
Art. 12 NHG
unterliegen. Der Gesetzgeber hat die Qualifikation als Verfügung nicht von irgend einem quantitativen Kriterium abhängig gemacht, was - gleich wie im hier strittigen Fall - weder sachlich begründet noch praktikabel wäre. Das Bundesgericht anerkennt die Beschwerdelegitimation der Schutzorganisationen gestützt auf
Art. 12 NHG
seit jeher ungeachtet des Ausmasses des geplanten Eingriffs (vgl. etwa bereits
BGE 98 Ib 13
). Gründe, die für den Abschuss von geschützten Tieren eine andere Praxis als richtig erscheinen liessen, sind nicht zu erkennen. Behördliche Abschussanordnungen gestützt auf
Art. 12 JSG
sind daher als Verfügungen zu verstehen, unabhängig davon, ob sie sich an Private oder an eine Verwaltungseinheit richten.
BGE 141 II 233 S. 240
4.3
Dieses Ergebnis rechtfertigt sich umso mehr, als es in Übereinstimmung steht mit den Verpflichtungen, die sich aus dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention; SR 0.814.07) ergeben, das für die Schweiz am 1. Juni 2014 in Kraft getreten ist.
4.3.1
Die Aarhus-Konvention beruht auf den drei Pfeilern Umweltinformation (Art. 4 und Art. 5 Aarhus-Konvention), Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren (Art. 6, Art. 7 und Art. 8 Aarhus-Konvention) und dem Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Art. 9 Aarhus-Konvention; vgl. Botschaft des Bundesrates vom 28. März 2012 zur Genehmigung und Umsetzung der Aarhus-Konvention und von deren Änderung, BBl 2012 4323 ff.; JANS, Judicial Dialogue, Judicial Competition and Global Environmental Law. A case study on the UNECE Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters, in: National Courts and EU Environmental Law, 2013, S. 145 ff.; WIESINGER, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung: eine rechtsvergleichende Studie am Beispiel der Aarhus-Konvention, 2013, S. 57 ff.; EPINEY, Zu den Anforderungen des EU-Rechts und der Aarhus-Konvention an den gerichtlichen Zugang für Umweltverbände [nachfolgend: Anforderungen], in: Staats- und Verwaltungsrecht auf vier Ebenen, Festschrift für Tobias Jaag, 2012, S. 599 ff.; HESELHAUS, Das Verbandsbeschwerderecht im Vorfeld der Ratifikation der Aarhus-Konvention durch die Schweiz, in: Verfahrensrecht am Beginn einer neuen Epoche, 2011, S. 1 ff.; EPINEY, Rechtsprechung des EuGH zur Aarhus-Konvention und Implikationen für die Schweiz [nachfolgend: Rechtsprechung], AJP 11/2011 S. 1505 ff.; SCHWERDTFEGER, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 286 ff.; PERNICE-WARNKE, Der Zugang zu Gericht in Umweltangelegenheiten für Individualkläger und Verbände gemäss Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention und seine Umsetzung durch die europäische Gemeinschaft - Beseitigung eines Doppelstandards?, Europarecht 2008 S. 410 ff.).
4.3.2
Das Urteil der Vorinstanz datiert vom 6. November 2013. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schweiz die Aarhus-Konvention bereits unterzeichnet und genehmigt (Bundesbeschluss vom 27. September 2013 über die Genehmigung und die Umsetzung der Aarhus-Konvention
BGE 141 II 233 S. 241
und von deren Änderung, BBl 2013 7403), jedoch noch nicht ratifiziert.
Das Abkommen war daher für die Schweiz noch nicht direkt verbindlich, aber als verpflichtender
Leitgedanke
oder
Interpretations maxime
für das innerstaatliche Recht bereits zu berücksichtigen (zur völkerrechtskonformen Auslegung
BGE 137 I 305
E. 3.2 S. 318 f.). Selbst wenn ein Staat einen Vertrag erst unterzeichnet hat und dieser vor seiner Ratifikation in der Rechtsordnung des betreffenden Staates noch keine Rechtswirkung zu entfalten vermag, begründet Art. 18 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111) für dieses Stadium zwischen Unterzeichnung und Ratifikation eine grundsätzliche Unterlassungspflicht des Staates für solche Handlungen, welche eine Verwirklichung des mit dem Vertrag anzustrebenden
Ziels oder Zwecks vereiteln
würden (BOISSON DE CHAZOURNES/LA ROSA/MBENGUE, in: Les Conventions de Vienne sur le droit des traités, Corten/Klein [Hrsg.], 2006, N. 45 zu
Art. 18 VRK
; VILLIGER, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties [nachfolgend: Commentary], 2009, N. 6 zu
Art. 18 VRK
; zu Verträgen über den Artenschutz BOISSON DE CHAZOURNES/LA ROSA/MBENGUE, a.a.O., N. 66 zu
Art. 18 VRK
). Diese Unterlassungspflicht kann auch positive, jedoch nur auf die Verhinderung einer Vereitelung des Vertragszwecks- oder -ziels gerichtete Handlungspflichten begründen; ausgeschlossen bleibt eine staatliche Verpflichtung, den Vertragsinhalt als solchen vor seiner Ratifikation zur Anwendung zu bringen (BOISSON DE CHAZOURNES/LA ROSA/MBENGUE, a.a.O., N. 66 zu
Art. 18 VRK
; VILLIGER, Commentary, a.a.O., N. 13 zu
Art. 18 VRK
). Die staatliche Pflicht, sich solcher Handlungen zu enthalten, welche den Vertragszweck oder das Vertragsziel vereiteln, erfordert, das innerstaatliche Recht im Sinne einer Eröffnungs- oder Publikationspflicht für solche Akte auszulegen, gegen welche
nach erfolgter Ratifikation
ein
abkommensrechtliches Verbandsbeschwerderecht
bestehen wird (vgl. zum Vertragsziel und -zweck des wirksamen Zugangs zu Gerichts- und Verwaltungsverfahren in Umweltangelegenheiten Botschaft des Bundesrates vom 28. März 2012 zur Genehmigung und Umsetzung der Aarhus-Konvention und von deren Änderung, BBl 2012 4323 ff.; JANS, a.a.O., S. 145 ff.; WIESINGER, a.a.O., S. 57 ff.; EPINEY, Anforderungen, a.a.O., S. 599 ff.; HESELHAUS, a.a.O., S. 1 ff.; EPINEY, Rechtsprechung, a.a.O., S. 1505 ff.; SCHWERDTFEGER, a.a.O., S. 286 ff.; PERNICE-WARNKE, a.a.O., S. 410 ff.).
BGE 141 II 233 S. 242
4.3.3
Gemäss Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention stellen die Vertragsstaaten sicher, dass umweltrechtlich relevante "actes et omissions des particuliers ou d'autorités publiques" [von Privatpersonen und Behörden vorgenommene Handlungen und begangene Unterlassungen] gerichtlich angefochten werden können. Das konventionsrechtliche Anfechtungsobjekt ist nach der gewöhnlichen Bedeutung zu interpretieren, die dem Wortlaut "actes et omissions" (Handlungen und Unterlassungen) nach Treu und Glauben zukommt (
Art. 31 Abs. 1 VRK
;
BGE 139 II 404
E. 7.2.1 S. 422 f.;
BGE 138 II 524
E. 3.1 S. 527; PETERS, Völkerrecht, 2. Aufl. 2008, Kap. 7 N. 20), d.h. ungeachtet der innerstaatlich definierten Handlungsform (spezifisch zur Aarhus-Konvention JANS, a.a.O., S. 156; LAVRYSEN, a.a.O., S. 665). Einen Rückgriff auf landesrechtliche Kriterien (vgl. zu dessen Zulässigkeit angesichts von
Art. 27 VRK
BGE 140 II 460
E. 4.1 S. 465) sieht Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention bloss hinsichtlich der Voraussetzungen vor, welche die Mitglieder der Öffentlichkeit zu erfüllen haben, um als ideelle Vereinigungen zu gelten. Eine Definition des konventionsrechtlichen Anfechtungsobjekts im Sinne der Vorinstanz (Erfordernis einer Regelung von öffentlich-rechtlichen Rechten und Pflichten gegenüber Privatpersonen) würde die Durchsetzung des objektiven Umweltrechts über wirkungsvolle gerichtliche Mechanismen als erklärtes konventionsrechtliches Ziel teilweise vereiteln.
4.3.4
Das Erfordernis, umweltrechtlich relevante staatliche Vorkehren ungeachtet der spezifischen Handlungsform gerichtlich anfechten zu können, geht auch aus einer gemeinsamen Übereinkunft (United Nations Economic Commission for Europe [UNECE], Meeting of 30 June and 1 July 2014 of the Parties to the Convention on Access to Information, Public Participation in Decisionmaking and Accessto Justice in Environmental Matters, Fifth session, Decision V/9b on compliance by Austria with its obligations under the Convention[ECE/MP.PP/2014/L.11])
sämtlicher
Vertragsstaaten zu Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention hervor. Diese (spätere) Übereinkunft zwischen den Vertragsstaaten vermittelt den Zusammenhang, in welchen der Wortlaut des konventionsrechtlichen Anfechtungsobjekt "Handlungen und Unterlassungen" zu setzen ist (
Art. 31 Abs. 3 lit. a VRK
). Einer selbst als völkerrechtlichen Vertrag zu qualifizierenden späteren Übereinkunft zwischen sämtlichen Vertragsparteien als Herren ihrer Verträge kommt bei der Auslegung eine gewichtige Bedeutung zu (VILLIGER, Commentary, a.a.O., N. 16 zu
Art. 31 VRK
).
BGE 141 II 233 S. 243
Die Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention halten regelmässig Tagungen ab und überprüfen mittels Konsensentscheidungen die Einhaltung des Übereinkommens (Art. 15 Aarhus-Konvention); dabei stützen sie sich insbesondere auf Berichte ab, die das Comité d'examen du respect des dispositions (eingesetzt durch Resolution I/7 ECE/MP.PP/2/Add. 8 der Vertragsstaaten vom 21.-23. Oktober 2002) verfasst. Anlässlich einer solchen Tagung vom 30. Juni 2014 bis 2. Juli 2014 haben die Vertragsstaaten beschlossen, dass das Fehlen eines Zugangs für Mitglieder der Öffentlichkeit (insbesondere für Nichtregierungsorganisationen) in einem Vertragsstaat zu einem auf Anfechtung von umweltrechtsverletzenden Handlungen oder Unterlassungen gerichteten verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren die Konvention verletze. Damit haben sie eine spätere Praxis über die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention im Sinne einer ideellen Verbandsbeschwerde gegen umweltrechtsrelevante Handlungen und Unterlassungen begründet (
Art. 31 Abs. 3 lit. a und b VRK
).
4.3.5
Die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention gemäss den Vorgaben von
Art. 31 VRK
führt somit zum Ergebnis, dass sich das konventionsrechtlich definierte Anfechtungsobjekt "actes et omissions" (Handlungen und Unterlassungen) nicht auf eine bestimmte umweltrechtsrelevante öffentlich-rechtliche Handlungsform gegenüber Privatpersonen beschränkt. Die umstrittenen Anordnungen zum Abschuss von geschützten Vögeln vermögen Schutzziele im Sinne von
Art. 1 NHG
zu beeinträchtigen und unterliegen demnach seit Inkrafttreten der Aarhus-Konvention dem konventionsrechtlichen Verbandsbeschwerderecht gemäss Art. 9 Abs. 3.
Der Bundesrat ist in seiner Botschaft zur Ratifikation der Aarhus-Konvention im Übrigen davon ausgegangen, dass die schweizerische Rechtsordnung einen den Anforderungen der Konvention genügenden Rechtsschutz gewährleistet. Er hat im Zusammenhang mit dem Erfordernis der gerichtlichen Überprüfbarkeit von behördlichen Handlungen und Unterlassungen gemäss Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention festgehalten, dass nach schweizerischem Recht beschwerdeberechtigte Organisationen nach
Art. 12 NHG
im Bereich des Natur- und Heimatschutzes an die Gerichte gelangen und entsprechende Entscheide überprüfen lassen können (Botschaft vom 28. März 2012 zur Genehmigung und Umsetzung der Aarhus-Konvention und von deren Änderung, BBl 2012 4323, 4348 Ziff. 3.1.4).
BGE 141 II 233 S. 244
4.3.6
Angesichts dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses erübrigt sich ein Rückgriff auf ergänzende Auslegungsmittel im Sinne von
Art. 32 VRK
(
BGE 139 II 404
E. 7.2.1 S. 423; Urteile 2C_436/2011 vom 13. Dezember 2011 E. 3.3; 2A.239/2005 vom 28. November 2005 E. 3.4.1) und damit insbesondere auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 12. Mai 2011 C-115/09
Trianel
, und vom 8. März 2011 C-240/09
Lesoochranárske zoskupenie VLK
), die als Praxis
eines Teils
der Vertragsstaaten bei der konventionsrechtlichen Auslegung subsidiär berücksichtigt werden könnte (Villiger, 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Collected Courses of the Hague Academy of International Law 2009, Bd. 344, S. 120; anders bei einer ausdrücklichen konventionsrechtlichen Vereinbarung ihrer Massgeblichkeit vgl.
BGE 140 II 460
E. 4.1 S. 465 f.). Dasselbe gilt für die Feststellungen des comité d'examen du respect des dispositions (ein von den Vertragsstaaten eingesetzter Überwachungsausschuss), das zum gleichen Ergebnis gelangt ist (vgl. Findings and recommendations of the Compliance Committee with regard to compliance by Belgium with the Convention, Addendum 2 of 28 July 2006 to the report of the 12
th
meeting of the Committee [ECE/MP. PP/2006/4/Add.2], N. 28 f.; vgl. auch - mit Bezug auf die Keulung von Krähen - Findings of the Compliance Committee with regard to compliance by Denmark with its obligations under the Convention, Addendum 4 of 29 April 2008 to the Report of the Compliance Committee to the 3
rd
meeting of the Parties [ECE.MP.PP/2008/5/Add.4], N. 24 und N. 28). | public_law | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
90305434-09d5-46dc-8ad7-571cc1c9beee | Urteilskopf
115 V 428
60. Arrêt du 20 octobre 1989 dans la cause Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail contre V. et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-chômage | Regeste
Art. 10 Abs. 2 lit. b, 11 Abs. 1 und 15 Abs. 1 AVIG;
Art. 5 und 14 Abs. 1 AVIV
: Anspruchsvoraussetzungen von teilweise Arbeitslosen auf Arbeitslosenentschädigung.
- Unter dem Gesichtspunkt des Mindestarbeitsausfalls muss die einem teilweise Arbeitslosen für eine Arbeitsaufnahme zur Verfügung stehende Zeit mindestens 20% einer Vollzeitbeschäftigung betragen (Erw. 2b).
- Mit Bezug auf die Vermittlungsfähigkeit erweist sich
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 AVIV
als gesetzwidrig, weil diese Bestimmung nicht auf einer besonderen Kompetenzdelegation beruht und den Entschädigungsanspruch eines teilweise Arbeitslosen im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 lit. b AVIG
einschränkt (Erw. 2c/aa). | Sachverhalt
ab Seite 429
BGE 115 V 428 S. 429
A.-
Gabriela V., veuve et mère de deux enfants âgés de 17 et 19 ans, a travaillé du 1er septembre 1978 au 31 juillet 1988, date à laquelle elle a été licenciée par son employeur, l'institution P. Elle accomplissait des travaux de nettoyage à raison de trois heures et demie chaque mardi et jeudi soir. Les autres soirs de la semaine, elle effectuait et effectue toujours des travaux de nettoyage, à raison de quarante heures par mois environ, au service de l'entreprise D. SA. Selon un certificat de travail du 27 mai 1988, la perte de l'emploi auprès de l'institution P. était due à une réorganisation du travail: l'employeur désirait que la personne chargée des tâches de nettoyage travaillât à raison de 15 heures par semaine, durée que l'assurée ne pouvait pas lui consacrer. N'ayant pas retrouvé, après ses vacances, au mois d'août 1988, une nouvelle occupation lui permettant de remplacer l'emploi perdu, Gabriela V. a présenté une demande d'indemnité de chômage. Lors d'un entretien avec un employé de l'Office cantonal genevois de l'emploi (ci-après: l'office cantonal), elle a déclaré n'être pas en mesure d'exercer une activité lucrative durant la journée, au motif qu'elle devait s'occuper de ses deux enfants.
Par décision du 5 octobre 1988, l'office cantonal a dénié le droit de Gabriela V. à une indemnité de chômage, à partir du 4 octobre 1988, motif pris que la prénommée était inapte au placement en raison de son manque de disponibilité.
B.-
Après avoir procédé à l'interrogatoire de l'assurée, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-chômage a admis le pourvoi formé par cette dernière contre la décision susmentionnée et a invité l'administration à examiner si les autres conditions du droit à l'indemnité étaient réalisées. Elle a considéré, en bref, qu'en dépit de sa disponibilité limitée, l'assurée était apte au placement, dans la mesure où l'emploi qu'elle recherchait est habituellement exercé le soir, à raison de 2 à 3 heures par jour (jugement du 15 décembre 1988).
C.-
L'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (ci-après: l'OFIAMT) interjette recours de droit administratif contre ce jugement, dont il demande l'annulation, en concluant à ce que la cause soit renvoyée à la juridiction cantonale pour instruction complémentaire et nouvelle décision concernant l'aptitude au placement de l'assurée.
Tandis que cette dernière s'est abstenue de répondre au recours, la Caisse cantonale genevoise d'assurance-chômage propose implicitement l'admission de celui-ci.
BGE 115 V 428 S. 430
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'
art. 8 al. 1 LACI
, l'assuré a droit à l'indemnité de chômage, entre autres conditions, s'il est sans emploi ou partiellement sans emploi (let. a), s'il a subi une perte de travail à prendre en considération (let. b) et s'il est apte au placement (let. f).
a) Est notamment réputé partiellement sans emploi l'assuré qui occupe un emploi à temps partiel et cherche à le compléter par une autre activité à temps partiel (
art. 10 al. 2 let. b LACI
).
b) Il y a lieu de prendre en considération la perte de travail lorsqu'elle se traduit par un manque à gagner et dure au moins deux journées de travail consécutives (
art. 11 al. 1 LACI
). Est réputée jour entier de travail, la cinquième partie de la durée hebdomadaire du travail que l'assuré a normalement accomplie durant son dernier rapport de travail (
art. 4 al. 1 OACI
). La perte de travail des assurés partiellement sans emploi est prise en considération lorsqu'elle s'élève au moins à deux jours entiers de travail en l'espace de deux semaines (
art. 5 OACI
).
c) Aux termes de l'
art. 15 al. 1 LACI
, est réputé apte à être placé, le chômeur qui est disposé à accepter un travail convenable et est en mesure et en droit de le faire. Les assurés qui étaient occupés à temps partiel avant de tomber au chômage ne sont réputés aptes au placement que s'ils sont disposés à accepter une occupation d'au moins 50% d'un emploi à plein temps et en mesure de le faire (art. 14 al. 1, 1re phrase, OACI). Lorsque la situation personnelle de l'assuré fait apparaître comme convenable une occupation à plein temps, celui-là n'est réputé apte au placement que s'il est disposé à accepter une telle occupation (
art. 14 al. 1, seconde phrase, OACI
).
2.
a) En l'occurrence, l'intimée a exercé, jusqu'au 31 juillet 1988, deux emplois à temps partiel, le premier à raison de trente heures par mois environ, au service de l'institution P., et le second, à raison de quarante heures par mois environ, au service de l'entreprise D. SA. Du moment qu'elle a perdu le premier de ces emplois et qu'elle recherche depuis lors une occupation à temps partiel pour le remplacer, l'assurée doit être considérée comme partiellement sans emploi au sens de l'
art. 10 al. 2 let. b LACI
.
b) Dans certains cas, des assurés qui exercent une occupation à temps partiel et qui cherchent à la remplacer par une activité à
BGE 115 V 428 S. 431
plein temps ou à la compléter par une autre occupation à temps partiel peuvent être considérés comme aptes au placement - et prétendre en principe une indemnité de chômage - en dépit du fait que leur disponibilité est très limitée. Le droit à l'indemnité en cause peut cependant être nié, parce que la condition selon laquelle la perte de travail doit durer au moins deux jours entiers de travail en l'espace de deux semaines (
art. 5 OACI
; cf. consid. 1b) n'est pas réalisée. Du point de vue de la durée minimale de la perte de travail, le temps dont un assuré partiellement sans emploi dispose pour exercer une occupation doit atteindre au moins 20% d'une activité à plein temps. Du moment qu'un assuré ne peut prétendre une indemnité en raison déjà du fait que la condition de la durée minimale de la perte de travail n'est pas réalisée, il n'est pas nécessaire, le cas échéant, d'examiner la question de l'aptitude au placement (GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, t. 1, p. 217, n. 68 ad art. 15).
En l'occurrence, l'intimée a perdu son emploi auprès de l'institution P. où elle travaillait à raison de trois heures et demie chaque mardi et jeudi soir. Cela étant, la condition de la durée minimale de la perte de travail au sens de l'
art. 5 OACI
est de toute manière réalisée (cf. GERHARDS, op.cit., p. 133, n. 14 ad art. 11, p. 134, n. 16 ad art. 11, p. 138, n. 31 ad art. 11).
c) Dans sa détermination sur le recours de droit cantonal, l'office cantonal s'est fondé sur l'
art. 14 al. 1 OACI
pour conclure au rejet dudit recours. Or, Gabriela V. n'est pas disposée à accepter une occupation d'au moins 50% d'un emploi à plein temps au sens de cette disposition. Par ailleurs, se fondant sur un certificat médical recueilli par la juridiction cantonale et selon lequel sa capacité de travail est de 50%, l'intimée a laissé entendre qu'on ne pouvait exiger d'elle qu'elle fût disposée à accepter une occupation à plein temps (au sens de l'
art. 14 al. 1, seconde phrase, OACI
), comme le lui avait instamment recommandé l'administration. Dans son recours de droit administratif, l'OFIAMT est d'avis que cette question devrait faire l'objet d'une instruction complémentaire.
aa) Il convient en premier lieu d'examiner la légalité de l'art. 14 al. 1, première phrase, OACI, selon lequel les assurés qui étaient occupés à temps partiel avant de tomber au chômage ne sont réputés aptes au placement que s'ils sont disposés à accepter une occupation d'au moins 50% d'un emploi à plein temps et en mesure de le faire. Or, il apparaît que cette disposition ne repose
BGE 115 V 428 S. 432
sur aucune délégation de compétence particulière et que, par ailleurs, elle limite d'une manière contraire à la loi le droit à l'indemnité de chômage d'un assuré partiellement sans emploi au sens de l'
art. 10 al. 2 let. b LACI
(cf. dans ce sens GERHARDS, op.cit., p. 202, n. 20 ad art. 15). Cela étant, l'art. 14 al. 1, première phrase, OACI n'est pas conforme à la loi. Certes, comme la Cour de céans l'a jugé dans un autre contexte (arrêt non publié A. du 28 septembre 1988), il faut éviter d'attribuer une valeur générale ou illimitée aux définitions légales du chômage, au risque d'aboutir, suivant les circonstances, à des résultats aberrants. Toutefois, la définition du chômage en tant que première condition du droit à l'indemnité a force normative, comme l'a jugé le Tribunal fédéral des assurances en ce qui concerne le calcul de l'indemnité journalière due à un assuré partiellement sans emploi (
ATF 112 V 233
consid. 2b in fine; cf. aussi 112 V 241 consid. 2c). Selon la méthode d'interprétation systématique, on devrait seulement exiger des chômeurs occupant un emploi à temps partiel ou recherchant un tel emploi qu'ils soient aptes au placement dans une mesure correspondant à la perte de travail alléguée et au manque à gagner s'y rapportant, pour autant évidemment que la perte de travail atteigne au moins 20% d'une activité à plein temps (GERHARDS, op.cit., p. 214, note 6 en bas de page, ad art. 15). C'est pourquoi on ne peut pas exiger de la part de chômeurs occupant un emploi à temps partiel, comme l'intimée, qu'ils soient disposés à accepter une occupation d'au moins 50% d'un emploi à plein temps et en mesure de le faire, au sens de l'
art. 14 al. 1 OACI
(GERHARDS, op.cit., p. 216, n. 66 ad art. 15). De ce point de vue, il est logique de considérer, avec GERHARDS (op.cit., p. 217, n. 70 ad art. 15) - dont l'opinion s'écarte de la pratique administrative - qu'il n'est pas nécessaire, pour admettre l'aptitude au placement de chômeurs occupant un emploi à temps partiel, que ceux-ci exercent cette activité durant des blocs horaires consécutifs.
bb) Cela étant, l'aptitude au placement de l'intimée ne peut être niée en vertu de l'art. 14 al. 1, première phrase, OACI - ni du reste en vertu de la seconde phrase de cette disposition réglementaire, du moment qu'en l'occurrence une occupation à plein temps n'apparaît pas convenable compte tenu de la situation personnelle de l'assurée. La question de la légalité de la seconde phrase de l'
art. 14 al. 1 OACI
peut dès lors rester indécise. Il y a lieu par conséquent d'examiner si la condition de l'aptitude au placement est réalisée au sens de l'
art. 15 al. 1 LACI
et de la
BGE 115 V 428 S. 433
jurisprudence. A cet égard, il faut bien entendu tenir compte du fait que l'intimée exerce déjà une occupation à temps partiel et que d'après ses propres dires, elle n'est disposée à accepter une autre occupation que dans la mesure où celle-ci remplit certaines conditions en ce qui concerne la durée et la période de son exercice. D'après la jurisprudence mentionnée dans la décision litigieuse, un assuré ne peut être considéré comme apte à être placé lorsque, pour des motifs personnels ou familiaux, il ne peut ou ne veut pas offrir à un employeur toute la disponibilité normalement exigible; l'aptitude au placement doit être admise avec beaucoup de retenue lorsque en raison de leurs tâches ménagères et familiales des assurées désirent seulement exercer une activité lucrative à des heures déterminées de la journée (DTA 1980 No 24 p. 50 consid. 1, 1977 No 27 p. 144). Se fondant sur ces principes, le Tribunal fédéral des assurances a admis l'aptitude au placement d'une assurée désirant uniquement travailler le soir en qualité de sommelière (DTA 1980 No 24 p. 50 consid. 2) et d'une assurée n'acceptant que d'être occupée durant cinq heures au milieu de la journée en qualité de serveuse auxiliaire dans un restaurant (DTA 1980 No 40 p. 99 consid. 2a). Cette jurisprudence est également applicable sous l'empire du nouveau droit (GERHARDS, op.cit., p. 209, n. 40 ad art. 15, et p. 211, n. 48 ad art. 15). Or, celui-ci règle expressément le cas du chômeur partiellement sans emploi et, en ce qui concerne la notion d'aptitude au placement, ne recourt plus à des critères spécifiquement liés au marche du travail, soit à des normes particulières suivant les secteurs économiques, les branches professionnelles ou les régions, mais se fonde sur les possibilités - subjectives - de l'assuré d'être placé sur le marché du travail en général (GERHARDS, op.cit., p. 198, n. 9 ad art. 15). Aussi, compte tenu de la jurisprudence susmentionnée, l'aptitude au placement de l'intimée ne peut-elle être niée. Il existe actuellement sur le marché du travail en général une offre importante et constante d'emplois de nettoyeuses du genre de celui que l'intimée recherche, de sorte que les possibilités de cette dernière d'obtenir une occupation sont tout à fait réelles. Compte tenu de cette situation particulière, on ne peut en l'occurrence parler d'une trop grande limitation dans le choix des postes de travail, ce qui, d'après la jurisprudence (
ATF 112 V 137
consid. 3, 217 consid. 1a et les références), conduirait à nier l'aptitude au placement. Cela étant, le fait que l'assurée pose certaines exigences au sujet de l'emploi à temps partiel qu'elle
BGE 115 V 428 S. 434
recherche ne saurait porter préjudice à ses droits du point de vue de son aptitude au placement.
3.
Vu ce qui précède, la juridiction cantonale était fondée à admettre l'aptitude au placement de l'intimée et à inviter l'administration à examiner si les autres conditions du droit à l'indemnité étaient réalisées, en particulier si l'assurée a satisfait aux exigences du contrôle en faisant tout ce qu'on peut raisonnablement exiger d'elle pour abréger le chômage. Le recours se révèle ainsi mal fondé. | null | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
90399ebf-9696-406b-9a7c-27cdb4e19ae0 | Urteilskopf
111 Ia 239
41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. November 1985 i.S. X. gegen Kantonsgericht Appenzell I.Rh. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 6 Abs. 2 i.V.m.
Art. 85 Ziff. 7 und
Art. 113 BV
. Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen durch das Bundesgericht?
Die akzessorische Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den von der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Rechten verfassungsrechtlichen Inhalts und mit dem übrigen Bundesrecht kann jedenfalls dann mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt werden, wenn das übergeordnete Recht im Zeitpunkt der Gewährleistung der Norm durch die Bundesversammlung noch nicht in Kraft getreten und deshalb bei der vorgängigen Prüfung nicht zu berücksichtigen war (E. 3; Präzisierung der Rechtsprechung).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Öffentlichkeit der Hauptverhandlung im Strafverfahren.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ist auf ein erstinstanzliches Strafverfahren grundsätzlich anwendbar (E. 6).
Der Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung im Strafverfahren ohne gewichtigen Grund ist mit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
unvereinbar (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 240
BGE 111 Ia 239 S. 240
X. ist im Kanton Appenzell I.Rh. wegen wiederholten Diebstahls und Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt. Zu Beginn des Verfahrens vor dem Kantonsgericht stellte er den Antrag, die Hauptverhandlung öffentlich durchzuführen. Das Kantonsgericht wies diesen Antrag in der Hauptverhandlung vom 13. Februar 1985 ab.
In der Sache selbst fällte das Gericht kein Urteil; es erachtete den Fall als nicht spruchreif und wies die Sache zur Ergänzung der Untersuchung an die anklagende Behörde zurück.
X. führt mit Eingabe vom 14. März 1985 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung von
Art. 4 BV
sowie von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und beantragt, den Beschluss des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh. vom 13. Februar 1985 aufzuheben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Umstritten ist die Zuständigkeit des Bundesgerichts.
Der angefochtene Beschluss stützt sich ausschliesslich auf Art. 43 Abs. 1 der Verfassung für den Eidgenössischen Stand Appenzell I.Rh. vom 24. Wintermonat 1872 (Fassung vom 24. April 1949; KV). Der Beschwerdeführer rügt diese Verfassungsnorm als unvereinbar mit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und mit
Art. 4 BV
. Das Kantonsgericht wendet ein, dass das Bundesgericht zur Überprüfung kantonaler Verfassungsnormen nicht zuständig sei.
a) In seiner bisherigen Rechtsprechung hat sich das Bundesgericht für unzuständig erklärt, kantonale Verfassungsbestimmungen
BGE 111 Ia 239 S. 241
auf ihre Vereinbarkeit mit den von der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Rechten mit verfassungsrechtlichem Inhalt sowie mit dem übrigen Bundesrecht zu überprüfen. Es erachtete eben diese Prüfung als eine Aufgabe der Bundesversammlung, welche diese vor dem Entscheid über die Gewährleistung kantonaler Verfassungen zu erfüllen habe (Art. 6 Abs. 2 lit. a i.V.m.
Art. 85 Ziff. 7 BV
;
BGE 104 Ia 221
/222 E. 1c mit Hinweisen). Die Vorschrift von
Art. 85 Ziff. 7 BV
sei im Verhältnis zu
Art. 113 BV
spezielleres Recht und entziehe dem Bundesgericht die Zuständigkeit zur Überprüfung der kantonalen Verfassungen (
BGE 104 Ia 219
E. 1b mit Hinweisen).
Diese Rechtsprechung ist in der Lehre zum kleineren Teil auf Zustimmung, mehrheitlich aber auf Ablehnung gestossen (vgl. die Zusammenstellung in
BGE 104 Ia 220
E. 1b; auf der Seite der Kritiker kommt ANDREAS AUER hinzu, La juridiction constitutionnelle en Suisse, Basel und Frankfurt 1983, Nrn. 267 ff., S. 150 ff.; deutsche Übersetzung von NANNI ROJAS, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, Nrn. 267 ff., S. 156 ff., Basel und Frankfurt 1984. Kritisiert haben diese Rechtsprechung auch JÖRG PAUL MÜLLER, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1978, in: ZBJV 1980, S. 292, und WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 63 ff., der in Anmerkung 172 u.a. zusätzlich auf folgende Kritiker verweist: HANS HUBER, Die staats- und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im Jahre 1963, ZBJV 1964, S. 421/422; MAX IMBODEN, Normkontrolle und Norminterpretation, in: Staat und Recht, Basel und Stuttgart 1971, S. 241/242. Eine umfassende Literaturübersicht findet sich schliesslich bei FRIDOLIN SCHIESSER, Die akzessorische Prüfung, Diss. Zürich 1983, Zürich 1984, S. 303, Anm. 17, der sich der allgemeinen Kritik anschliesst: S. 299 ff.).
b) Ob die erwähnte Rechtsprechung aufgrund dieser nahezu einhelligen und sachlich gewichtigen Kritik generell zu überprüfen ist, braucht für die Beurteilung des vorliegenden Falls nicht entschieden zu werden. Wie zu zeigen sein wird, geht es hier um ein Teilproblem, das unabhängig von der Beantwortung der allgemeinen Frage gelöst werden kann.
Die genannte Praxis beruht im wesentlichen auf der Überlegung, dass es dem Bundesgericht nicht zustehe, dieselben Fragen der Bundesrechtswidrigkeit einer kantonalen Verfassungsnorm zu beurteilen, über die sich schon die Bundesversammlung im Gewährleistungsverfahren ausgesprochen hat
BGE 111 Ia 239 S. 242
(
BGE 104 Ia 220
/221 E. 1b mit Hinweis). Diese Begründung trifft auf den vorliegenden Fall insoweit nicht zu, als sich der Beschwerdeführer auf die Europäische Menschenrechtskonvention beruft. Die umstrittene Vorschrift von Art. 43 Abs. 1 KV wurde an der Landsgemeinde vom 24. April 1949 angenommen. Die Bundesversammlung gewährleistete sie mit Beschluss vom 29. September 1949 (BBl 1949 II 587). Die Europäische Menschenrechtskonvention, auf deren Art. 6 Ziff. 1 der Beschwerdeführer sich in erster Linie beruft, wurde am 4. November 1950 abgeschlossen; sie trat für die Schweiz erst mit der Ratifikation am 28. November 1974 in Kraft (vgl. Liste über den Geltungsbereich der Konvention, SR 0.101, anschliessend an den Konventionstext). Die Frage, ob Art. 43 Abs. 1 KV mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sei, konnte daher bei der Gewährleistung der Verfassungsvorschrift noch nicht geprüft werden. Demzufolge kommt der Grund für die bundesgerichtliche Rechtsprechung, keine Prüfungskompetenz zu beanspruchen, die der Bundesversammlung zusteht, im vorliegenden Fall nicht zum Zug. Soweit übergeordnetes Recht erst nach der Gewährleistung kantonaler Verfassungsnormen in Kraft tritt, entfällt die sonst von der Bundesversammlung vorzunehmende Prüfung. Damit aber fällt der gemäss Praxis massgebende Unzuständigkeitsgrund für das Bundesgericht dahin. Würde sich das Gericht gleichwohl auch in einem solchen Fall zur Prüfung einer kantonalen Verfassungsvorschrift als unzuständig erklären, so könnte älteres kantonales Verfassungsrecht die Durchsetzung neueren übergeordneten Rechts, dem es nicht mehr entspricht, verhindern. Hiefür spricht kein triftiger Grund. Die Rechtsprechung ist deshalb dahin zu präzisieren, dass die Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den von der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Rechten verfassungsrechtlichen Inhalts und mit dem übrigen Bundesrecht jedenfalls dann mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt werden kann, wenn das übergeordnete Recht im Zeitpunkt der Gewährleistung durch die Bundesversammlung noch nicht in Kraft getreten und deshalb bei der vorgängigen Überprüfung nicht zu berücksichtigen war. Diese Präzisierung der Rechtsprechung führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Überprüfung von Art. 43 Abs. 1 KV zu bejahen ist.
4.
Die 30tägige Frist zur Anfechtung der umstrittenen Verfassungsvorschrift mit staatsrechtlicher Beschwerde ist längst abgelaufen
BGE 111 Ia 239 S. 243
(
Art. 89 OG
). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann jedoch die Verfassungs- bzw. Konventionswidrigkeit einer kantonalen Vorschrift auch noch bei der Anfechtung eines gestützt darauf ergangenen Anwendungsakts geltend gemacht werden. Erweist sich der Vorwurf als begründet, so führt das freilich nicht zur formellen Aufhebung der Vorschrift; die vorfrageweise Feststellung ihrer Verfassungs- bzw. Konventionswidrigkeit im konkreten Anwendungsfall hat nur zur Folge, dass die Vorschrift insoweit auf den Beschwerdeführer nicht angewendet und der gestützt auf sie ergangene Entscheid aufgehoben wird (
BGE 104 Ia 87
E. 5 mit Hinweisen). Das Bundesgericht kommt somit nicht in die Lage, eine kantonale Verfassungsvorschrift formell aufzuheben.
5.
Dem Beschwerdeführer geht es in der Sache selbst darum, im Strafverfahren vor dem Kantonsgericht eine öffentliche Hauptverhandlung zu erwirken. Er beruft sich dabei in erster Linie auf den in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
enthaltenen Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen. Das Kantonsgericht verweist demgegenüber auf Art. 43 Abs. 1 KV, wonach Parteiverhandlungen vor den appenzell-innerrhodischen Gerichten nicht öffentlich sind, soweit die Gesetzgebung nichts anderes bestimmt. Die Strafprozessordnung des Kantons Appenzell I.Rh. enthält keine vom Grundsatz des Art. 43 Abs. 1 KV abweichende Vorschrift. Im Kanton Appenzell I.Rh. sind daher Strafprozesse aufgrund einer kantonalen Verfassungsnorm nicht öffentlich. Es stellt sich somit die Frage, ob Art. 43 Abs. 1 KV - auf den konkreten Fall angewandt - mit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
vereinbar sei.
6.
Das Kantonsgericht wendet zunächst ein, dass
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nach einer neuesten Untersuchung gar nicht unmittelbar anwendbar sei (MIRKO ROS, Die unmittelbare Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention, Diss. Zürich 1984, S. 93 ff.).
Entgegen der Auffassung des Kantonsgerichts ist
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane sowie jener des Bundesgerichts auf ein erstinstanzliches Strafverfahren wie das hier in Frage stehende grundsätzlich anwendbar (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. Februar 1984 i.S. Sutter, in: Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Volume 74, § 28, S. 13, mit Hinweisen, deutsche Übersetzung in: EuGRZ 1985, S. 232;
BGE 108 Ia 92
E. 2c mit Hinweis). Auch die herrschende Lehre nimmt die unmittelbare Anwendbarkeit
BGE 111 Ia 239 S. 244
der speziellen Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention an (MICHEL HOTTELIER, La Convention européenne des droits de l'homme dans la jurisprudence du Tribunal fédéral, Diss. Genf 1985, S. 25; MARK E. VILLIGER, Die Wirkungen der Entscheide der EMRK-Organe im innerstaatlichen Recht, namentlich in der Schweiz, in: ZSR 104/1985 I, S. 471; LUZIUS WILDHABER, Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR 98/1979 II, S. 328 ff., 334 ff.; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz, ZSR 94/1975 I, S. 384). Der Hinweis des Kantonsgerichts auf die Arbeit von MIRKO ROS kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sich die zitierten Ausführungen auf den Staat Belgien beziehen. Soweit sich die Arbeit mit der Schweiz befasst, lässt sich daraus jedenfalls nicht generell der Schluss ziehen, dass
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nach der Auffassung des Autors nicht unmittelbar anwendbares Recht darstelle (MIRKO ROS, a.a.O., S. 149 ff., 178 ff.).
7.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
hat folgenden Wortlaut:
"1. Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während des gesamten Verfahrens oder eines Teiles desselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang."
a) Wie dargelegt, ist
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf ein erstinstanzliches Strafverfahren wie das vorliegende grundsätzlich anwendbar. Der in dieser Bestimmung enthaltene Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung bezieht sich ferner auf die Publikums- und nicht bloss auf die Parteiöffentlichkeit. Die Schweiz hat in bezug auf den in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
niedergelegten Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung einen Vorbehalt angebracht. Dieser bezieht sich indessen auf das Verfahren vor Verwaltungsbehörden sowie auf die Öffentlichkeit der Urteilsverkündung
BGE 111 Ia 239 S. 245
(Art. 1 Abs. 1 lit. a des Bundesbeschlusses über die Genehmigung der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 3. Oktober 1974, AS 1974 2148). Er kommt hier nicht zum Zug (
BGE 108 Ia 92
E. 2c).
b) Der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens bedeutet eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz. Er soll durch die Kontrolle der Öffentlichkeit dem Angeschuldigten und allen übrigen am Prozess Beteiligten eine korrekte und gesetzmässige Behandlung gewährleisten. Der Öffentlichkeit soll darüber hinaus ermöglicht werden, Kenntnis davon zu erhalten, wie das Recht verwaltet und wie die Rechtspflege ausgeführt wird. Durch die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung wird es der Allgemeinheit ermöglicht, den Strafprozess unmittelbar zu verfolgen. Die rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit im Strafprozess verbietet einen Ausschluss der Öffentlichkeit dort, wo nicht überwiegende Gründe der staatlichen Sicherheit, öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit oder schützenswerte Interessen Privater das vordringlich gebieten. In diesem Sinn sieht auch
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Ausnahmen vom Grundsatz der Öffentlichkeit vor (
BGE 108 Ia 92
E. 3a mit Hinweisen).
c) Die Vorschrift von Art. 43 Abs. 1 KV schliesst die Öffentlichkeit in Strafverfahren vor den appenzell-innerrhodischen Gerichten nicht nur dann von den Verhandlungen aus, wenn überwiegende Gründe das gebieten; sie lässt die Öffentlichkeit generell nicht zu.
Das Bundesgericht hat nicht zu prüfen, ob diese Vorschrift als solche konventionswidrig ist. Es stellt sich einzig die Frage, ob ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst. Wie ausgeführt, wäre dem nicht so, wenn in der vom Kantonsgericht zu beurteilenden Strafsache einer der erwähnten Gründe vorgelegen hätte, die den Ausschluss der Öffentlichkeit zu rechtfertigen vermögen. Das wäre etwa dann der Fall, wenn es um ein Sittlichkeitsdelikt ginge und der Schutz der öffentlichen Sittlichkeit oder der Schutz der Persönlichkeitssphäre des Opfers den Ausschluss der Öffentlichkeit geboten hätten. Solche besonderen Gründe werden aber vom Kantonsgericht nicht geltend gemacht und sind nicht zu erkennen. In der Anwendung auf den konkreten Fall erweist sich die Verfassungsregel des Art. 43 Abs. 1 KV somit als konventionswidrig. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, und der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Auf die Rüge der Verletzung des
Art. 4 BV
ist nicht mehr einzugehen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
9039a239-7b49-433b-88d1-0b3b3354ebf9 | Urteilskopf
117 II 570
105. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1991 i.S. Christoph N. gegen W., G. und K. (Berufung) | Regeste
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit; Organbegriff gemäss
Art. 754 Abs. 1 OR
.
1. Allgemeine Voraussetzungen der materiellen Organstellung im Sinne von
Art. 754 Abs. 1 OR
; insbesondere Abgrenzung zum Organ gemäss
Art. 55 ZGB
(E. 3).
2. Umstände, die im konkreten Fall gegen eine Haftung als materielles Organ sprechen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 570
BGE 117 II 570 S. 570
Im August 1984 verkaufte die K. Holding AG zwei ihrer Tochtergesellschaften. Der Verwaltungsrat der K. Holding AG bestand damals aus dem Präsidenten Ernst B. und den Mitgliedern Max N. sowie Josef S. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit den beiden anderen Verwaltungsräten wirkte Max N. nicht bei der Vorbereitung und dem Abschluss der Verträge mit.
Im Mai 1985 erhob Christoph N., Sohn von Max N., als Aktionär der K. Holding AG beim Bezirksgericht Zürich gegen B. und S. sowie gegen Rudolf W., Armin G. und Ronald K. Klage aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit. W. und G. waren gemäss Handelsregister zur Zeit der Vertragsschlüsse für die K. Holding AG kollektiv zeichnungsberechtigt. Beide hatten zusammen mit Ronald K., der ebenfalls zum Kader der K.-Unternehmensgruppe gehörte, an den Vorbereitungsarbeiten zum Verkauf der Tochtergesellschaften teilgenommen.
Der Kläger stellte im Hauptpunkt den Antrag, die Beklagten unter solidarischer Haftung zu verpflichten, der K. Holding AG rund zwölf Millionen Franken zu zahlen. Zur Begründung der Klage führte er im wesentlichen aus, die Beklagten seien dafür
BGE 117 II 570 S. 571
verantwortlich, dass die beiden Tochtergesellschaften zu weit unter ihrem wahren Wert liegenden Preisen verkauft worden seien; dadurch sei die K. Holding AG in Millionenhöhe geschädigt worden.
Mit Teil- und Vorurteil vom 30. Juni 1988 wies das Bezirksgericht die Klage gegenüber den Beklagten W., G. und K. mangels Passivlegitimation ab. Dieser Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 21. Juni 1990 bestätigt. Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es auf sie eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Gemäss
Art. 754 Abs. 1 OR
sind alle mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betrauten Personen der Gesellschaft gegenüber für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten verursachen. Als mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betraut im Sinne dieser Bestimmung gelten nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur Entscheidungsorgane, die ausdrücklich als solche ernannt worden sind, sondern auch Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen (
BGE 114 V 218
E. 4e,
BGE 112 II 185
E. 5a,
BGE 107 II 353
E. 5; FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., S. 205 ff. Rz. 638 ff.; BÜRGI/NORDMANN, N. 119 zu Art. 753/4 OR). In der neueren Literatur wird zudem darauf hingewiesen, dass die Organeigenschaft auch dann anzunehmen sei, wenn nach dem Vertrauensgrundsatz aus den äusseren Umständen auf eine solche Stellung geschlossen werden dürfe (FORSTMOSER, a.a.O., S. 214/5 Rz. 676 ff.).
Der Kläger beruft sich ausserdem auf Lehre und Rechtsprechung zum Organbegriff von
Art. 55 ZGB
. Als Organe im Sinne dieser Vorschrift gelten diejenigen Funktionäre einer juristischen Person, die nach Gesetz, Statuten oder einem davon abgeleiteten Reglement zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben berufen sind oder tatsächlich und erkennbar solche Aufgaben selbständig besorgen (OFTINGER/STARK, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/1, S. 274 Rz. 15; GUTZWILLER, SPR Bd. II, S. 489 ff.; RIEMER, N. 100 ff. zu
Art. 69 ZGB
). Organe sind nach der Rechtsprechung auch jene Personen, die unter der Aufsicht des obersten Verwaltungsausschusses einer juristischen Person deren eigentliche Geschäftsführung
BGE 117 II 570 S. 572
besorgen oder sich sonst in leitender Stellung betätigen (
BGE 104 II 197
mit Hinweisen).
Im allgemeinen wird der Kreis der gemäss
Art. 754 Abs. 1 OR
haftenden jenem der nach
Art. 55 ZGB
verantwortlichen Personen weitgehend gleichzusetzen sein. Eine Übereinstimmung ist jedenfalls dann anzustreben, wenn die für die Gesellschaft handelnde Person für Schaden verantwortlich gemacht wird, den sie unmittelbar einem Dritten verursacht hat. Denn in diesem Fall decken sich die Haftungsgrundlagen, sofern das beanstandete Verhalten nicht nur gesellschaftsintern pflichtwidrig ist, sondern auch eine unerlaubte Handlung darstellt (WATTER, Die Verpflichtung der AG aus rechtsgeschäftlichem Handeln ihrer Stellvertreter, Prokuristen und Organe, speziell bei sogenanntem "Missbrauch der Vertretungsmacht", Diss. Zürich 1985, S. 94 ff., Rz. 143 und 145). Nicht selbstverständlich ist dagegen die Gleichsetzung, falls es um den Ersatz von Gesellschaftsschaden und von mit diesem kongruentem mittelbarem Drittschaden geht (DRUEY, Organ und Organisation - Zur Verantwortlichkeit aus aktienrechtlicher Organschaft, SAG 53/1981, S. 77 ff.; WATTER, a.a.O., S. 91 Rz. 140). Die allgemeine Organhaftung beruht auf dem Gedanken der Verkörperung der juristischen Person nach aussen, der externen Vertretungsmacht. Sie dient vorab der Zurechnung vertretungsgemässen Handelns sowie der Abgrenzung zur Haftung für Hilfspersonen gemäss
Art. 101 OR
. Die Verantwortlichkeit für Gesellschaftsschaden und mittelbaren Gläubigerschaden gründet demgegenüber auf der Missachtung oder dem Missbrauch von Befugnissen und Pflichten des Innenverhältnisses, auf der Verletzung der gesellschaftsinternen Struktur- und Handlungsprinzipien, das heisst von Pflichten, die sich aus der gesellschaftsrechtlichen Stellung ergeben (dazu DRUEY, a.a.O., S. 81; WATTER, a.a.O., S. 98 Rz. 145).
Diese allgemeinen Gesichtspunkte sind im Einzelfall zu beachten. Sie müssen zu einer differenzierten Beurteilung führen und rechtfertigen es, dem verantwortlichkeitsrechtlichen Organbegriff in Berücksichtigung der konkreten Gesellschaftsstrukturen angemessene Grenzen zu setzen (DRUEY, a.a.O., S. 79). Die materielle Organstellung im Sinne von
Art. 754 Abs. 1 OR
bedingt zwingend eine tatsächliche oder allenfalls auch nur gegen aussen kundgegebene organisatorische Eingliederung in die Willensbildung der Gesellschaft. Zudem setzt die aktienrechtliche Verantwortlichkeit erst dort ein, wo die vertragliche, insbesondere arbeitsvertragliche Haftung aufgrund der organisatorischen und hierarchischen Stellung
BGE 117 II 570 S. 573
des Verantwortlichen nicht mehr als ausreichend oder sachgerecht erscheint (WATTER, a.a.O., S. 96 Rz. 144). Das ist in der Regel nur dann der Fall, wenn nicht eine blosse Führung der Geschäfte, sondern deren Leitung aufgrund selbständiger Entschlüsse vorliegt (DRUEY, a.a.O., S. 79).
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die aktienrechtliche Verantwortlichkeit an die Missachtung jener Pflichten anknüpft, welche dem Organ durch seine gesellschaftsrechtliche Stellung, durch das dadurch gegebene Sonderverhältnis auferlegt sind (DRUEY, a.a.O., S. 81). Deshalb soll dieser Verantwortlichkeit nur unterstehen, wer sich nach der internen oder nach aussen kundgegebenen Gesellschaftsorganisation in einem solchen Sonderverhältnis befindet und die sich daraus ergebenden Pflichten in eigener Entscheidungsbefugnis zu erfüllen hat. Eine blosse Mithilfe bei der Entscheidfassung genügt nicht. An weitreichenden gesellschaftsrechtlichen oder -politischen Entscheiden wirkt in grösseren Gesellschaften oder Konzernen in der Regel ein breiter Kreis von auch hierarchisch untergeordneten Angestellten mit. Zu denken ist etwa an die Vorbereitung der Entschlussfassung durch die Bereitstellung technischer, kaufmännischer oder juristischer Grundlagen. Werden dabei Fehler im Sinne gesellschaftsrechtlicher Pflichtwidrigkeiten begangen, so richten sich deren Folgen vorab nach dem konkreten Vertragsverhältnis zur Gesellschaft. Die aktienrechtliche, organschaftliche Verantwortlichkeit greift dagegen nur dann Platz, wenn die Kompetenzen der Beteiligten wesentlich über die Vorbereitung und Grundlagenbeschaffung hinausgehen und sich zu einer massgebenden Mitwirkung bei der Willensbildung verdichten. Richtig ist daher, dass die aktienrechtliche Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung grundsätzlich nur die oberste Leitung einer Gesellschaft, die oberste Schicht der Hierarchie trifft (DRUEY, a.a.O., S. 79).
4.
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist die Vorinstanz zu Recht zum Ergebnis gelangt, die Beklagten W., G. und K. seien mangels Organeigenschaft im Sinne von
Art. 754 Abs. 1 OR
nicht passivlegitimiert. Was der Kläger in rechtlicher Hinsicht dagegen vorbringt, erweist sich als unbegründet.
a) So kann aus dem Umstand allein, dass die Beklagten W. und G. gemäss Handelsregister für die K. Holding AG zeichnungsberechtigt waren, nicht ohne weiteres ihre Organeigenschaft abgeleitet werden, zumal der Eintrag keinerlei Hinweis auf eine leitende Stellung enthielt (FORSTMOSER, a.a.O., S. 209 Rz. 655 f.). Dass
BGE 117 II 570 S. 574
sodann alle drei Beklagten in den Tochter- und Enkelgesellschaften der K. Holding AG Organstellungen eingenommen haben sollen, ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Es entspricht zwar überwiegender Lehrmeinung, die herrschende Gesellschaft und ihre Organe bei Einmischung in die Verwaltung und Geschäftsführung der konzernmässig untergeordneten Gesellschaften ihnen gegenüber aus
Art. 754 Abs. 1 OR
verantwortlich zu machen (FORSTMOSER, a.a.O., S. 222/3 Rz. 708 ff.; DRUEY, a.a.O., S. 78; BÜRGI/NORDMANN, N. 123/4 zu Art. 753/4 OR). Diese Beurteilung lässt sich indessen nicht ohne weiteres auf den umgekehrten Fall übertragen, denn das hierarchische Konzernprinzip mag zwar oft zu einer Einmischung "von oben" führen, eine Einmischung "von unten" kennt es dagegen im allgemeinen nicht. Im vorliegenden Fall ist denn auch nicht erwiesen, dass die Organe der Tochter- und Enkelgesellschaften kraft ihrer Stellung einen entscheidenden Einfluss auf die Willensbildung der Holdinggesellschaft ausgeübt haben. Als gegenteiliges Indiz ist vielmehr der Umstand anzusehen, dass die drei Beklagten - obschon als Führungsgremium der untergeordneten Konzerngesellschaften amtierend - an den Verwaltungsratssitzungen der Holdinggesellschaft nur mit beratender Stimme oder als Gäste teilnahmen (FORSTMOSER, a.a.O., S. 211/2 Rz. 665/6). In die gleiche Richtung deutet ausserdem, dass das Gremium selbst bei der Führung der Tochter- und Enkelgesellschaften weisungsmässig stark an die Konzernspitze gebunden war und selbständige Entscheidungen lediglich innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, insbesondere des konzernmässig genehmigten Budgets treffen durfte.
b) Zu Recht hat das Obergericht sodann darauf hingewiesen, dass die von den Beklagten W., G. und K. für die Holdinggesellschaft allgemein ausgeübten Tätigkeiten nicht Handlungen betrafen, die gemeinhin den Gesellschaftsorganen vorbehalten sind. Im Vordergrund stand offensichtlich die subordinierte Führung der Geschäfte und nicht deren Leitung.
Die drei Beklagten sind zudem auch gesellschaftsintern nicht als Organe der K. Holding AG betrachtet worden. Das lässt sich mit der Vorinstanz daraus ableiten, dass sie am Déchargebeschluss vom 30. Oktober 1984 unangefochten mitgewirkt haben. Insbesondere ist nicht festgestellt, der Kläger habe sich dieser Mitwirkung widersetzt.
Dass die drei Beklagten bestimmte Grundlagen für die Verkaufsverhandlungen erarbeitet haben, reicht nach dem Gesagten
BGE 117 II 570 S. 575
ebenfalls nicht aus, um ihre Organeigenschaft zu begründen. Das gilt umso mehr, als vom Obergericht verbindlich festgestellt worden ist, diese Unterlagen seien im Hinblick auf die Beschlussfassung durch den Verwaltungsrat der K. Holding AG erstellt worden. Gleich verhält es sich mit den vom Beklagten G. vorgelegten Bilanzen, denn nichts deutet darauf hin, dass er diese nicht bloss in arbeitsvertraglicher, sondern in gesellschaftsrechtlicher Stellung angefertigt hat.
Nicht einzusehen ist schliesslich, warum die Anwendung seiner besonderen Kenntnisse bezüglich der elektronischen Datenverarbeitung die Organeigenschaft des Beklagten K. begründen soll. Erstellt ist einzig, dass alle drei Beklagten aufgrund ihrer Sachkenntnisse und wegen den ihnen unterstellten Sachbereichen im Konzern für die Grundlagenerarbeitung gesellschaftlicher Entscheide herangezogen worden sind, nicht aber auch, dass sie daran in massgebend leitender Stellung mitgewirkt haben. Das gilt nach den Feststellungen der Vorinstanz auch insoweit, als der Beklagte W. zusammen mit den Verwaltungsräten B. und S. der Verhandlungs- und Verkaufsdelegation angehört hat. Im angefochtenen Urteil wird festgehalten, zwar seien die Fachkenntnisse von W. für die Delegation wichtig gewesen, ausschlaggebend sei aber, dass die Verkaufsverträge lediglich von den zwei Verwaltungsräten unterzeichnet worden seien, die aufgrund ihrer eindeutigen Organstellung die Entscheide zu treffen und zu verantworten hätten. Auch in diesem Zusammenhang fehlen somit Feststellungen, welche auf eine Organstellung der Beklagten W., G. und K. schliessen liessen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
9043d0f5-74d8-4ee5-8741-1b9ef5028542 | Urteilskopf
98 Ib 417
61. Extrait de l'arrêt du 31 octobre 1972 dans la cause Commune d'Etagnières et consorts contre Commune de Lausanne et Département fédéral des transports et communications et de l'énergie | Regeste
Einsprache gegen die Enteignung, namentlich gegen die Enteignung für die künftige Erweiterung eines Werkes (vorsorgliche Enteignung, Art. 4 lit. a in fine EntG).
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 3 a und c).
Tragweite des Entscheids, der das Enteignungsrecht gewährt (Erw. 3 b).
Allgemeine Grundsätze für die Beurteilung vorsorglicher Enteignungen (Erw. 4).
Erscheint die Beschwerde des Enteigneten nicht als missbräuchlich, so sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Enteigner aufzuerlegen (Erw.11). | Sachverhalt
ab Seite 418
BGE 98 Ib 417 S. 418
Résumé des faits
A.-
La commune de Lausanne se propose d'aménager un nouvel aérodrome, celui qu'elle exploite à la Blécherette devant être désaffecté. Son intention est de créer un aérodrome se prêtant non seulement à l'aviation touristique, mais aussi au trafic commercial à la demande, voire à certains vols de ligne. Elle a porté son choix sur un emplacement situé au nord-ouest du village d'Etagnières, à une dizaine de kilomètres au nord de Lausanne. Sur la base d'un projet comportant une piste de 2200 m. et se fondant sur diverses dispositions de la loi fédérale du 21 décembre 1948 sur la navigation aérienne (LNA), le Département fédéral des postes et des chemins de fer (aujourd'hui Département des transports et communications et de l'énergie; ci-après: le département fédéral) a accordé la concession nécessaire le 1er novembre 1961. Par décision du 5 juillet 1963, le Conseil fédéral a accordé le droit d'expropriation à la commune de Lausanne, en considérant que, selonl'art. 50 LNA, la construction d'un aérodrome public constituait un but d'intérêt public.
Il était prévu que l'Etat de Vaud participerait au financement de l'ouvrage, mais le crédit voté par le Grand Conseil fut repoussé en votation populaire les 29 et 30 janvier 1966. La commune de Lausanne a alors décidé de réaliser son projet par étapes. Le département fédéral a prorogé la concession en prenant note que le projet serait réalisé par étapes, la première avec une piste de 1300 à 1500 m. au maximum. De son côté, le Conseil fédéral a décidé de maintenir de droit d'exproprier, sur la base de plans légèrement modifiés, comportant une piste de 2200 m.
B.-
A la requête de la Municipalité de Lausanne, le président
BGE 98 Ib 417 S. 419
de la Commission fédérale d'estimation du 1er arrondissement a ordonné l'ouverture de la procédure d'expropriation le 20 mai 1969.
Dans leur majorité, les propriétaires touchés de chacune des communes de Bioley-Orjulaz, de Cheseaux et d'Etagnières ont fait opposition. Ils ne contestaient pas le projet dans son principe, mais dans la mesure seulement où il comprenait déjà les emprises nécessaires à la réalisation de la seconde étape, c'est-à-dire au prolongement de la piste de 1500 à 2200 m.
Après une séance de conciliation et un échange d'écritures qui ont abouti au maintien des oppositions, le dossier a été transmis au département fédéral.
Après avoir consulté l'Office fédéral de l'air, fait compléter le dossier et procédé à une inspection locale, le département a rejeté les oppositions par prononcé du 11 juin 1971.
C.-
Agissant conjointement, les communes d'Etagnières, de Bioley-Orjulaz et de Cheseaux et 25 autres propriétaires forment un recours de droit administratif contre ce prononcé, dont ils demandent l'annulation. Tout en déclarant ne pas mettre en cause le principe même du nouvel aérodrome ni faire opposition à la piste de 1500 m., ils contestent avant tout la légitimité d'une expropriation préventive pour l'extension future de la piste à 2200 m.
D.-
Le département fédéral et la commune de Lausanne concluent au rejet du recours.
E.-
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
...
3.
a) Les parties sont en désaccord quant à l'étendue du pouvoir d'examen du Tribunal fédéral, notamment quant à la question de savoir si, et dans quelle mesure, celui-ci est aujourd'hui lié par l'octroi de la concession et par l'attribution du droit d'exproprier, telle qu'elle a été décidée et confirmée par le Conseil fédéral.
Selon la décision attaquée, ni l'octroi d'une concession d'aéroport, ni même la délégation du droit d'exproprier ne tranchent encore définitivement la question de savoir si le caractère d'utilité publique de l'ouvrage projeté est tel qu'il justifie dans un cas particulier le sacrifice par les expropriés de la propriété de leurs immeubles. Le pouvoir d'examen de l'autorité appelée à statuer
BGE 98 Ib 417 S. 420
en vertu de l'art. 55 LEx. n'est dès lors limité ni par la concession accordée, ni par l'arrêté du Conseil fédéral accordant le droit d'exproprier.
Toutefois, dans leur réponse au recours, puis dans leur duplique, les intimés soutiennent que l'organisationjudiciaire fédérale n'autorise qu'un contrôle très restreint des décisions du Conseil fédéral par le Tribunal fédéral, qu'en admettant le recours au sujet de la longueur de la piste, le second se mettrait en travers d'une décision d'ordre technique du premier, que le Tribunal fédéral ne doit intervenir qu'en cas d'abus ou d'excès du pouvoir d'appréciation, si bien que son contrôle se limite à l'arbitraire, que les questions tranchées par le département quant à la longueur de la piste n'étaient pas des questions de droit, et que la juridiction administrative ne saurait avoir pour effet "de remplacer la décision discrétionnaire de l'administration."
De leur côté, les recourants vont à l'autre extrême. Non seulement ils reprennent à leur compte, quant au pouvoir d'examen du tribunal fédéral, la manière de voir de la décision attaquée en ce qui concerne le rôle du département fédéral, mais ils soutiennent en outre que le pouvoir du Tribunal fédéral est aussi étendu que l'était celui du Conseil fédéral lorsque celui-ci avait à statuer en application de l'art. 55 LEx. Pour eux, la décision accordant le droit d'exproprier n'était qu'une décision préliminaire ayant pour seul effet d'autoriser l'ouverture de la procédure d'expropriation. Si l'on admettait qu'elle tranchait définitivement la question de l'existence d'un but suffisant d'intérêt public, on viderait la procédure d'opposition de sa substance. Et, quant à cette question, le Tribunal fédéral doit pour le moins aller aussi loin lorsqu'il juge sur recours de droit administratif que lorsqu'il statue sur recours de droit public.
b) Dans cette controverse, il faut distinguer deux questions: celle de la portée juridique des décisions antérieures du Conseil fédéral et du département, et celle du contrôle du Tribunal fédéral sur la décision prise par le département, à la place du Conseil fédéral, en vertu de l'art. 55 LEx.
Sur le premier de ces deux points, il est en tout cas certain qu'en l'absence de disposition contraire de la loi, l'octroi de la concession ne préjuge pas de l'existence d'un but d'intérêt public justifiant l'expropriation. La question est en revanche plus délicate en ce qui concerne les effets de la décision accordant le droit d'exproprier: de par son objet même, en effet, cette décision
BGE 98 Ib 417 S. 421
implique une prise de position positive quant à la légitimité de l'expropriation. Mais, et cela est décisif, elle intervient sans enquête préalable, c'est-à-dire sans que les propriétaires visés aient pu s'exprimer. Si elle était définitive, ces propriétaires n'auraient jamais eu l'occasion de contester en principe la légitimité de l'expropriation, ce qui serait contraire au système de la loi et même aux exigences de la constitution. Pour ce motif, il faut considérer que cette décision est prise prima facie en vue de déléguer en principe le droit d'exproprier et de permettre l'ouverture de la procédure d'expropriation. Il y a toutefois là un élément d'appréciation dont pourra tenir compte, sans être liée, l'autorité appelée à statuer plus tard sur les oppositions. En l'espèce, d'ailleurs, la question n'a qu'une portée limitée, étant donné que les recourants ne contestent en principe ni le projet ni l'expropriation, mais qu'ils se bornent pour l'essentiel à s'opposer à l'expropriation préventive en vue de l'extension future de la piste. Sur ce point particulier, le Conseil fédéral ne s'est en tout cas pas prononcé. Lorsqu'il a renouvelé le droit d'exproprier pour une durée indéterminée par décision du 21 avril 1967, il savait que le projet se réaliserait par étapes, avec pour commencer une piste de 1500 m au maximum. N'ayant rien dit à ce sujet, il a laissé indécise la question de savoir si l'expropriation se ferait en une fois pour le tout, ou en deux temps.
c) Quant au pouvoir de contrôle du Tribunal fédéral sur la décision prise sur opposition par le département fédéral compétent, il dépend de l'art. 104 OJ et de la jurisprudence qui s'y rapporte. Il comprend l'examen de l'application du droit fédéral, y compris l'excès et l'abus du pouvoir d'appréciation. Il s'étend aussi aux faits, lorsque comme en l'espèce la décision attaquée n'émane ni d'un Tribunal cantonal ni d'une commission de recours (art. 105 al. 2). Il ne va en revanche jusqu'au contrôle de l'opportunité que si la loi le prévoit expressément (art. 104 lit. c), ce qui n'est pas le cas en matière d'expropriation. Par conséquent, les recourants soutiennent à tort que le Tribunal fédéral a dans ce domaine un pouvoir équivalant à celui qu'avait autrefois le Conseil fédéral en vertu de l'art. 55 LEx. Le Tribunal fédéral ne peut en effet pas revoir les questions d'opportunité, alors que le Conseil fédéral le pouvait.
La question de la légitimité d'une expropriation est en principe une question de droit, ainsi que le Tribunal fédéral l'admet aujourd'hui lorsqu'il statue sur recours de droit public pour
BGE 98 Ib 417 S. 422
atteinte à la garantie de la propriété. Mais, dans une certaine mesure, c'est de par sa nature une question d'appréciation, qu'il s'agisse de se prononcer en principe sur la justification du but d'intérêt public à atteindre, ou sur l'emplacement et l'importance de l'ouvrage à construire. La notion d'intérêt public est en effet un concept juridique non défini. Il est certes faux de parler de pouvoir discrétionnaire, comme le font les intimés. Il n'en reste pas moins que l'on se trouve souvent à la limite du droit et de l'opportunité. Il faut reconnaître à l'administration une certaine marge d'appréciation en la matière, sans quoi le juge en viendrait à se substituer au gouvernement (cf. RO 98 I/b 216/217, 96 I 683 et les citations). Sans se limiter aucunement au simple contrôle de l'arbitraire, le juge doit donc s'imposer une certaine retenue, surtout lorsqu'il s'agit de questions très techniques que l'autorité mise en cause a tranchées après un sérieux examen avec le concours de spécialistes qualifiés (RO 98 I/b 217 lit. b et c, 97 I 585/586). Le pouvoir de contrôle du Tribunal fédéral est ainsi moins étendu que ne l'était autrefois celui du Conseil fédéral. Mais c'est une conséquence de ce qu'a voulu le législateur en admettant en 1968 - contrairement au projet qui lui était présenté - que le recours de droit administratif serait désormais ouvert en matière d'opposition à une expropriation (art. 99 lit. c OJ).
4.
Les recourants s'opposent à ce que le droit d'expropriation s'exerce d'ores et déjà sur les terrains nécessaires à l'extension future de la piste de 1500 à 2200 m. Ils contestent en d'autres termes la légitimité de l'expropriation dans la mesure où celle-ci doit être préventive.
En parlant de l'extension future des travaux, l'art. 4 lit. a LEx. admet en principe l'expropriation préventive, dans le cas qu'il vise tout au moins, en posant une règle qui lie le Tribunal fédéral (art. 114bis al. 3 Cst.). Celui-ci n'a jusqu'à maintenant pas eu l'occasion de se prononcer sur l'interprétation de cette règle, ni par conséquent sur les conditions dont dépend son application, étant donné que la question n'était pas de son ressort jusqu'au 1er octobre 1969. Pour la période antérieure, la jurisprudence publiée du Conseil fédéral est très peu abondante (JAAC fasc. 26, 1956, N. 123, p. 254; fasc. 29, 1959/1960, N. 175, p. 314). Il en ressort que la pratique était jusqu'à maintenant assez large; l'expropriation préventive a en effet été admise dans un cas où l'expropriant déclarait ne pas savoir quand, ni même si l'extension
BGE 98 Ib 417 S. 423
de l'ouvrage se réaliserait un jour; cette institution a en outre été considérée comme devant permettre de prévenir non seulement des constructions gênantes, mais aussi une hausse du prix des terrains qui pourrait rendre l'extension future de l'ouvrage plus onéreuse. Telle était d'ailleurs bien l'opinion du législateur, selon le Message (FF 1926 II 12) et les débats parlementaires (Bull.stén., CN 1928, p. 613/614, et CdE 1929 p. 144). Dans son commentaire (N. 4 ad art. 4), HESS se borne à constater que la règle n'était pas nouvelle, mais qu'elle était déjà appliquée auparavant et qu'elle trouve un correctif à d'éventuels abus dans l'art. 102 LEx. (droit de rétrocession).
C'est avant tout à propos d'interdictions de bätir destinées à réserver les terrains nécessaires à de futurs travaux publics que, statuant sur recours de droit public, le Tribunal fédéral s'est occupé du problème. C'est dans ce cadre-là qu'il a dit, dans un arrêt dont se prévalent les recourants (RO 94 I 136 b), que le besoin futur devait être déterminé avec précision et être propre à se réaliser un jour avec quelque certitude (mit einiger Sicherheit). On trouve des formules semblables dans des arrêts antérieurs (RO 77 I 224 consid. 5
;
79 I 230
; ZBl. 1963, p. 70/71 et 407; 1965, p. 344 consid. 4); il en ressort qu'une simple possibilité ne suffit pas; il doit apparaître que, selon toute probabilité, les travaux prévus seront tôt ou tard nécessaires. Ce qui n'est en tout cas pas admissible, c'est d'user de la puissance publique pour réserver d'importantes surfaces de terrain, sans en préciser l'affectation, à la seule fin de se créer une grande liberté de manoeuvre en vue de l'aménagement du territoire (RO 88 I 295/296). S'agissant d'expropriation, les arrêts sont rares, mais aujourd'hui (arrêt non publié S.I. route de Chêne 130 c. commune de Chêne-Bougeries, du 18 décembre 1957) comme au siècle dernier déjà (RO 20 I 299/300) leur tendance est favorable à l'expropriation préventive.
De façon générale, la doctrine récente s'exprime dans le même sens. Après avoir constaté que le Tribunal fédéral est à cet égard assez tolérant, SALADIN (Grundrechte im Wandel, p. 148/9) dit que c'est inévitable et justifié, du moment que l'on demande de plus en plus aux pouvoirs publics de se montrer prévoyants. De son côté, AUBERT (dans ZBl. 1963, p. 345 et suiv., ch. 11 p. 349/350) considère l'expropriation préventive comme hautement désirable, même si elle intervient accessoirement pour des raisons financières, et il voudrait que le délai pour demander la
BGE 98 Ib 417 S. 424
rétrocession soit long. IMBODEN (Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3e édition, N. 432.IV) semble en revanche plus restrictifet n'admet que l'extension justifiée par le développement prévisible avec précision dans un avenir point trop éloigné.
Le texte de l'art. 4 lit. a LEx. ne posant lui-même aucune condition restrictive s'agissant de l'extension future des travaux, et le législateur ayant admis qu'à cette fin l'expropriation préventive devait être possible pour des raisons financières notamment, on ne saurait se montrer trop exigeant, sans quoi l'institution perdrait sa raison d'être. Mais trop de tolérance se heurterait à la garantie constitutionnelle de la propriété (art. 22ter Cst.). Cela conduit à poser des principes nuancés et à retenir ceux que la Cour de droit public a posés en matière de restrictions préventives au droit de bâtir, c'est-à-dire à exiger, d'une part, que l'extension future des travaux soit aujourd'hui déjà d'une nature déterminée, et d'autre part, qu'elle apparaisse comme devant intervenir avec quelque certitude dans un avenir plus ou moins proche. Mais une nécessité absolue et déjà actuelle n'est pas nécessaire.
...
11.
Pour la procédure devant le Tribunal fédéral, l'art. 116 LEx. ne met à la charge de l'expropriant que les frais du recours contre une décision de la Commission d'estimation fixant l'indemnité d'expropriation. Il n'y a cependant pas de motifs de s'écarter de cette règle lorsque le recours vise la légitimité de l'expropriation. Les frais de la présente procédure seront donc supportés par l'expropriante. Il ne faut faire une réserve que pour le cas où le recours se révélerait abusif (cf. arrêt de ce jour dans la cause Vérolet), ce qui n'est pas le cas en l'espèce. | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
90440f75-8283-4bd8-9903-827153cbaf98 | Urteilskopf
114 II 396
76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. November 1988 i.S. H.-M. gegen H. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Familienwohnung (
Art. 145 und 169 ZGB
).
1. Eine im Zusammenhang mit
Art. 169 ZGB
stehende Rüge kann im Rechtsmittelverfahren nach dem 1. Januar 1988 vorgebracht werden, auch wenn die vor diesem Datum urteilenden kantonalen Gerichte die Bestimmung noch nicht angewendet haben (E. 4).
2. Ein Ehegatte kann sich auch während des Scheidungsprozesses auf
Art. 169 ZGB
berufen. Doch verliert der von dieser Bestimmung gewährte Schutz seine Berechtigung, wenn der Ehegatte die Familienwohnung endgültig verlassen hat oder verlassen muss und wenn keine Aussicht mehr besteht, dass die Ehegatten in der vormaligen Familienwohnung das Zusammenleben wieder aufnehmen werden (E. 5).
3. Es ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, wenn durch die vorsorgliche Massnahme nach
Art. 145 ZGB
der richterliche Entscheid über den triftigen Grund im Sinne von
Art. 169 Abs. 2 ZGB
schon vorweggenommen wird (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 397
BGE 114 II 396 S. 397
A.-
Mit Beschluss vom 1. Februar 1988 verpflichtete das Obergericht des Kantons Zürich, an welches die Ehefrau rekurriert hatte, den Ehemann zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 10'000.-- bis zum Auszug der Ehefrau aus der ehelichen Wohnung. Von diesem Zeitpunkt an sollte der Ehemann monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 7'000.-- entrichten. Ferner verlängerte das Obergericht die Frist zum Auszug aus der bisherigen Familienwohnung, die der Ehefrau in erster Instanz gesetzt worden war, bis zum 31. Juli 1988 und bestätigte die Aufhebung der zwei Jahre zuvor angeordneten Kanzleisperre über die im Eigentum des Ehemannes stehende Liegenschaft.
Eine Nichtigkeitsbeschwerde der Ehefrau gegen diesen Beschluss des Obergerichts wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 23. Juni 1988 abgewiesen.
B.-
Die Ehefrau erhob beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Diese wurde abgewiesen mit den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Vor dem Kassationsgericht des Kantons Zürich war einzig noch die Verpflichtung der Ehefrau, das eheliche Einfamilienhaus zu verlassen, streitig. Das Kassationsgericht hatte zu prüfen, ob dem Obergericht des Kantons Zürich insofern eine Verletzung klaren Rechts vorzuwerfen sei, als es dem am 1. Januar 1988 in Kraft getretenen
Art. 169 ZGB
keine Rechnung getragen habe.
Diese Frage hat das Kassationsgericht verneint, weil Gegenstand des Abänderungsverfahrens im Rahmen von
Art. 145 ZGB
vor Obergericht nur die Unterhaltsbeiträge an die Ehefrau und die Tochter sowie die Benutzung der bisherigen ehelichen Liegenschaft und deren Sicherung durch eine Kanzleisperre gewesen seien. In diesem Zusammenhang sei über eine Veräusserung oder eine andere Beschränkung von Rechten an der Familienwohnung nicht entschieden worden. Darum - das heisst um die Familienwohnung betreffende Rechtsgeschäfte - aber gehe es immer, wenn
Art. 169 ZGB
zum Zuge komme. Zwar sei eine Veräusserung der bisherigen ehelichen Liegenschaft schon in Aussicht genommen worden und habe der Beschwerdegegner beim Bezirksgericht um die Zustimmung gemäss
Art. 169 Abs. 2 ZGB
ersucht. Indessen müsse die Beschwerdeführerin ihre Einwände gegen den Verkauf des Einfamilienhauses in jenem Verfahren vorbringen; im
BGE 114 II 396 S. 398
vorliegenden Verfahren nach
Art. 145 ZGB
sei sie diesbezüglich nicht beschwert. Da
Art. 169 ZGB
im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen nicht zur Diskussion stand, konnte nach der Auffassung des Kassationsgerichts auch keine Rede von der Verletzung klaren (neuen) Rechts sein.
3.
Nach der Meinung der Beschwerdeführerin führt die Betrachtungsweise des Kassationsgerichts zu einem völlig sachfremden und damit willkürlichen Ergebnis. Wenn sich das Kassationsgericht weigere, im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen gemäss
Art. 145 ZGB
auch
Art. 169 ZGB
anzuwenden, so unterlaufe es damit die letztere, zum Schutz der Familienwohnung aufgestellte Bestimmung. Auch liege ein Zirkelschluss in den Überlegungen des Kassationsgerichts: Mit den vorsorglichen Massnahmen, die nach der Auffassung des Kassationsgerichts ohne Rücksicht auf
Art. 169 ZGB
anzuordnen seien, werde die Ehefrau zum Verlassen der ehelichen Liegenschaft gezwungen, und im folgenden Verfahren nach
Art. 169 Abs. 2 ZGB
werde die richterliche Zustimmung zur Veräusserung der Familienwohnung damit begründet, dass nach der Ausweisung der Ehefrau nicht mehr von einer Familienwohnung gesprochen werden könne.
4.
Obschon im vorliegenden Fall die Abänderung der vorsorglichen Massnahmen gemäss
Art. 145 ZGB
noch vor dem 1. Januar 1988 beantragt worden ist - also vor dem Inkrafttreten des neuen
Art. 169 ZGB
-, ist dem revidierten, in die Zukunft wirkenden Recht auch noch im Rechtsmittelverfahren Rechnung zu tragen (Art. 8 Abs. 1 SchlT zum ZGB;
BGE 114 II 14
f. E. 2). Eine im Zusammenhang mit
Art. 169 ZGB
stehende Rüge kann daher nach dem 1. Januar 1988 noch vorgebracht werden, auch wenn die vor diesem Datum urteilenden kantonalen Gerichte die Bestimmung noch nicht angewendet haben. Vorbehalten bleiben kantonale Verfahrensvorschriften hinsichtlich ausreichender Tatsachenbehauptungen, die indessen hier nicht in Frage stehen.
Es ist daher zu prüfen, ob das Kassationsgericht des Kantons Zürich aus materiellrechtlichen Gründen über
Art. 169 ZGB
hinwegsehen durfte, ohne dadurch in Willkür zu verfallen.
5.
a) Nach
Art. 169 ZGB
kann ein Ehegatte nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
BGE 114 II 396 S. 399
Damit soll verhindert werden, dass - insbesondere auch bei Spannungen in der Ehe - der Ehegatte, der die dinglichen oder obligatorischen Rechte an der Familienwohnung innehat, den anderen Ehegatten gegen dessen Willen der für ihn lebenswichtigen Wohnung beraubt (vgl. Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Ehegüterrecht und Erbrecht) vom 11. Juli 1979, Ziff. 217.221, BBl 1979 II S. 1191 ff.). Zu Recht geht daher das Kassationsgericht des Kantons Zürich davon aus, dass ein Ehegatte auch während des Scheidungsprozesses, also grundsätzlich bis zur Auflösung der Ehe bzw. bis zu deren Trennung durch den Richter, sich auf
Art. 169 ZGB
soll berufen können. Diese Bestimmung ist im übrigen zwingendes Recht; sie kann vertraglich zum voraus weder wegbedungen noch abgeändert werden (Kommentar HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 10 zu
Art. 169 ZGB
und
Art. 271a OR
).
b) Nach Sinn und Zweck von
Art. 169 ZGB
ist indessen vorauszusetzen, dass tatsächlich ein Ehegatte auf die Familienwohnung angewiesen ist. Von einer Familienwohnung kann daher nicht mehr gesprochen werden, wenn die vordem gemeinsame Wohnung von beiden Ehegatten endgültig aufgegeben wird. Das ist der Fall, wenn der Ehegatte, der an sich
Art. 169 ZGB
anrufen könnte, die eheliche Wohnung aus freiem Entschluss für unbestimmte Zeit verlässt (HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, Bern 1987, Rz. 17.21) oder wenn sich beide Ehegatten darauf einigen, dass die Familienwohnung aufgegeben werden soll (WESSNER, Mietrecht und neues Eherecht, in: Mietrechtspraxis 1987, S. 88 ff., 94; NÄF-HOFMANN, Das neue Ehe- und Erbrecht im Zivilgesetzbuch, Zürich 1986, N. 117 f., 122). Gleiches gilt, wenn die Ehegatten - allerdings nicht schon zum voraus - eine Vereinbarung treffen, wonach der nicht dinglich oder obligatorisch an der Familienwohnung berechtigte Ehegatte diese nicht nur vorübergehend verlässt, sondern sie endgültig dem anderen Ehegatten überlässt (GEISER, Neues Eherecht und Grundbuchführung, in: Schweiz. Zeitschrift für Beurkundungs- und Grundbuchrecht 68/1987, S. 15 ff., 17).
Einer solchen rechtsgeschäftlichen Einigung unter den Ehegatten ist nun aber auch eine Regelung vergleichbar, die zwar nicht vom freien Willen der Ehegatten getragen, aber angesichts von objektiven Umständen für diese dennoch verbindlich wird (RUOSS, Der Einfluss des neuen Eherechts auf Mietverhältnisse an Wohnräumen, in ZSR 107/1988 I, S. 75 ff., 83). Der dem Ehegatten
BGE 114 II 396 S. 400
von
Art. 169 ZGB
gewährte Schutz verliert somit überall dort seine Berechtigung, wo der Ehegatte die Familienwohnung endgültig verlassen hat oder verlassen muss und wo keine Aussicht mehr darauf besteht, dass die Ehegatten in der vormaligen Familienwohnung das Zusammenleben wiederaufnehmen werden (Kommentar HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 22 zu
Art. 169 ZGB
und
Art. 271a OR
).
c) Können somit schon die besonderen Umstände der Auflösung des gemeinsamen Haushalts dazu führen, dass von einer Familienwohnung nicht mehr gesprochen werden kann, so kann der Anordnung des Getrenntlebens im Rahmen von
Art. 145 ZGB
(wie unter Umständen auch im Rahmen von
Art. 176 ZGB
) im Hinblick auf
Art. 169 ZGB
massgebliche Bedeutung zukommen. Das trifft, wie der vorliegende Fall zeigt, selbst dann zu, wenn man mit einem anderen Teil der Lehre davon ausginge, dass die voraussichtlich endgültige Trennung des nicht dinglich oder obligatorisch berechtigten Ehegatten von der gemeinsamen Wohnung dieser die Eigenschaft als Familienwohnung im Sinne von
Art. 169 ZGB
nicht zu nehmen vermag (GROSSEN, La protection du logement de la famille, in: Mélanges en l'honneur de Henri Deschenaux, Fribourg 1977, S. 99 ff., 103; HASENBÖHLER, Verfügungsbeschränkungen zum Schutze eines Ehegatten, BJM 1986, S. 57 ff., 70; NÄF-HOFMANN, a.a.O., Rz. 120). Auch bei dieser Betrachtungsweise kann nämlich unter dem Gesichtswinkel von
Art. 169 ZGB
nicht darüber hinweggesehen werden, dass der aufgrund dieser Bestimmung geschützte Ehepartner die bisherige Familienwohnung auf Dauer verlässt.
6.
a) Nun ist zwar - jedenfalls dem Grundsatz nach - die Feststellung des Kassationsgerichts des Kantons Zürich nicht zu beanstanden, das Verfahren nach
Art. 169 Abs. 2 ZGB
setze eine konkrete rechtsgeschäftliche Verfügung über die Familienwohnung voraus und eine solche Verfügung sei im Zeitpunkt der Anordnung vorsorglicher Massnahmen nach
Art. 145 ZGB
nicht unbedingt schon getroffen. Indessen kommt, wie dargelegt, der auf
Art. 145 ZGB
gestützten Anordnung des Getrenntlebens im Hinblick auf
Art. 169 ZGB
eine erhebliche präjudizierende Wirkung zu, und dies nicht nur, wenn damit für den an der Familienwohnung nicht dinglich oder obligatorisch berechtigten Ehepartner eine voraussichtlich endgültige Trennung von der Familienwohnung herbeigeführt wird. Sodann ist zwar auch unter neuem Recht daran zu denken, dass Eheschutzmassnahmen - um eine solche
BGE 114 II 396 S. 401
handelt es sich auch bei
Art. 169 Abs. 2 ZGB
(DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, Bern 1987, S. 143; Kommentar HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 13 zu den Vorbemerkungen zu
Art. 171 ff. ZGB
, N. 8 und 65 zu
Art. 169 ZGB
und 271a OR) - nicht mehr angeordnet werden können, sobald die Scheidungsklage rechtshängig gemacht worden ist (SCHNYDER, Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen, in: Das neue Ehe- und Erbrecht des ZGB mit seiner Übergangsordnung, Berner Tage für die juristische Praxis 1987, Bern 1988, S. 11 f., 30; DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 156; Kommentar HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 17 ff. zu den Vorbemerkungen zu
Art. 171 ff. ZGB
, mit Hinweis auf
BGE 101 II 2
,
BGE 91 II 324
,
BGE 86 II 307
). Jedoch kann der Richter im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen nach
Art. 145 ZGB
auch solche treffen, die vom Gesetz beim Eheschutz vorgesehen sind (Kommentar HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 19 zu den Vorbemerkungen zu
Art. 17 ff. ZGB
). Insofern ist, entgegen der Auffassung des Kassationsgerichts des Kantons Zürich, bei Anwendung des
Art. 145 ZGB
auch den Anliegen der in
Art. 169 ZGB
verankerten Eheschutzmassnahme Rechnung zu tragen.
b) Im vorliegenden Fall ist die Anordnung, wonach die Ehefrau die Familienwohnung zu verlassen habe, aus sachlichen Gründen getroffen worden, lässt es sich doch nicht rechtfertigen, dass eine Familienwohnung beibehalten wird, die den finanziellen Verhältnissen der Ehegatten in keiner Weise mehr angemessen ist. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn im Ergebnis durch die vorsorgliche Massnahme nach
Art. 145 ZGB
der richterliche Entscheid über den triftigen Grund im Sinne von
Art. 169 Abs. 2 ZGB
schon vorweggenommen worden ist. Der angefochtene Entscheid müsste aber im Ergebnis unhaltbar sein, um wegen Verstosses gegen das Willkürverbot aufgehoben zu werden (
BGE 112 Ib 247
E. 3b).
Allerdings müsste die vom Obergericht des Kantons Zürich angeordnete und durch den Beschluss des Kassationsgerichts unausgesprochen bestätigte Anordnung, dass die Ehefrau das eheliche Einfamilienhaus bis 31. Juli 1988 zu verlassen habe, richtigerweise auf ein späteres Datum angesetzt werden. Indessen hat es die Beschwerdeführerin unterlassen, dieses (mit ihrem Begehren um aufschiebende Wirkung nicht zu vereinbarende) Ergebnis als willkürlich zu rügen. Daher und wegen der grundsätzlich kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde ist das Bundesgericht daran gehindert, in diesem Punkt eine andere Anordnung zu treffen. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
90517fc3-c8ca-4aa3-b25c-37f276589329 | Urteilskopf
100 IV 98
26. Urteil des Kassationshofes vom 19. April 1974 i.S. Bienz gegen Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt | Regeste
1. Voraussetzungen, unter denen die gemäss
Art. 35 Abs. 3 SSV
durch Signal Nr. 321 (Parkplatz mit Parkuhr) angezeigte Beschränkung der Parkzeit vor
Art. 37 Abs. 2 BV
standhält (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2).
2. Der Strafrichter ist unter gewissen Voraussetzungen zur Ü berprüfung der Rechtsbeständigkeit - unter Ausschluss der Angemessenheit - einer Verwaltungsverfügung (hier: Parksignalisation) befugt (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 100 IV 98 S. 99
A.-
Am 8. Juni 1973 parkierte Erich Bienz seinen Personenwagen während ungefähr zwei Stunden auf einem mit einem Parkingmeter und dem Signal Nr. 321 versehenen Parkfeld in der öffentlichen Parkgarage Elisabethen in Basel, ohne die vorgeschriebene Gebühr von Fr. 0.50 pro Stunde zu bezahlen.
B.-
Der Polizeigerichtspräsident von Basel-Stadt verurteilte ihn wegen vorschriftswidrigen Parkierens in Anwendung von
Art. 27 Abs. 1 und 90 Ziff. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 35 Abs. 3 SSV
zu einer Busse von Fr. 20.-.
Eine gegen diesen Entscheid beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt eingereichte Beschwerde wurde am 29. Januar 1974 abgewiesen.
C.-
Bienz führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt vorfrageweise Überprüfung der Verfassungsmässigkeit (
Art. 37 Abs. 2 BV
) des appellationsgerichtlichen Urteils und der Rechtsbeständigkeit der baselstädtischen Verordnung über den Strassenverkehr sowie Rückweisung der Sache zum Freispruch.
Das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Soweit Bienz die Auslegung von
Art. 37 Abs. 2 BV
zum selbständigen Gegenstand der Beschwerde erhebt (Verfassungsmässigkeit der Erhebung von Gebühren für die Benützung von Strassen und Parkflächen), ist er nicht zu hören. Hiefür ist die staatsrechtliche Beschwerde gegeben.
2.
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde kann die Verfassungsmässigkeit eines Entscheides nur als Vorfrage zu einer die Anwendung von eidgenössischem Verordnungsrecht beschlagenden Hauptfrage aufgeworfen werden. Eine vorfrageweise Prüfung der Verfassungsmässigkeit von
Art. 27 SVG
scheidet nach
Art. 113 Abs. 3 BV
zum vornherein aus.
Art. 35 Abs. 3 SSV
, der auf der Delegationsnorm des Art. 5 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 106 Abs. 1 SVG
beruht, kann auf seine Übereinstimmung
BGE 100 IV 98 S. 100
mit der Bundesverfassung hin überprüft werden, sofern die genannten Gesetzesbestimmungen den Bundesrat nicht ermächtigen, in der Verordnung von der Verfassung abzuweichen (BGE 99 I b 165,
BGE 94 I 397
mit Verweisungen). Da dies nicht der Fall ist, steht es dem Kassationshof zu, vorfrageweise zu prüfen, ob
Art. 35 Abs. 3 SSV
sich im Rahmen des
Art. 37 Abs. 2 BV
halte. Die Frage wurde vom Bundesgericht bereits dahin entschieden, dass die Erhebung von Parkingmetergebühren mit
Art. 37 Abs. 2 BV
vereinbar sei, sofern in angemessenem Abstand von den gebührenpflichtigen Parkflächen Parkplätze vorhanden sind, auf denen die Fahrzeuge unentgeltlich abgestellt werden können (
BGE 89 I 541
,
BGE 94 IV 31
).
a) Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was das Bundesgericht veranlassen könnte, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Zudem bestreitet er nicht, dass in angemessener Entfernung von der Parkgarage Elisabethen gebührenfreie Parkplätze vorhanden sind. Da die Zunahme der Motorfahrzeuge in den Stadtzentren bereits für den rollenden Verkehr schwierige Platzverhältnisse bringt, wäre übrigens der Begriff der angemessenen Entfernung nicht so eng zu fassen, dass das Gemeinwesen schon in unmittelbarer Nähe gebührenpflichtiger Parkfelder unentgeltliche Abstellplätze schaffen müsste. Sodann hat das Bundesgericht in
BGE 89 I 540
erkannt, dass, wenn auch der Begriff des Verkehrs in
Art. 37 Abs. 2 BV
nicht nur den rollenden, sondern innerhalb gewisser Grenzen auch den ruhenden Verkehr umfasst, das Verbot der Gebührenerhebung seinem Sinne nach nur für Strassenflächen gilt, die auch oder ausschliesslich dem rollenden Verkehr offen stehen; das treffe nicht zu für die als Parkfelder mit Parkuhren ausgeschiedenen Teile des Strassengebietes. Um solche von der dem rollenden Verkehr zustehenden Strassenfläche getrennte Parkplätze handelt es sich aber bei den Parkfeldern in der öffentlichen Parkgarage Elisabethen. Aus demselben Grunde hilft dem Beschwerdeführer auch der Hinweis auf
BGE 98 IV 270
nicht, wo Bedenken geäussert wurden wegen der Erhebung einer Abgabe von Fr. 40.- für die Benützung eines "Allmendparkplatzes". Dort ging es um Parkflächen auf sonst dem rollenden Verkehr zustehenden Strassenflächen, die auch nicht mit Parkuhren versehen waren. Hier aber stehen Parkfelder in Frage, die ausserhalb der Strasse angelegt wurden, um diese für den rollenden Verkehr freizuhalten.
b) Der Einwand, es sei unzulässig, aus einer mit staatlichen
BGE 100 IV 98 S. 101
Mitteln erstellten Verkehrsanlage "Profit zu schlagen", ist mutwillig. Die angefochtene Ordnung verfolgt offensichtlich einen verkehrsrechtlichen, nicht einen fiskalischen Zweck, worauf schon die geringe Höhe der Parkgebühr von Fr. 0.50 pro Stunde hinweist. Bereits 1955 (BGE 811 191) hat das Bundesgericht eine Gebühr von Fr. 0.70 pro Stunde als bescheiden bezeichnet. Umsomehr trifft das in Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Geldentwertung auf die Gebühr zu, die der Beschwerdeführer hätte entrichten sollen.
c) Mit dem Vorbringen, es seien die vormals reservierten untersten Geschosse der Parkgarage Elisabethen nach dem Urteil
BGE 98 IV 270
wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, jedoch den früheren Dauermietern Spezialbewilligungen für gebührenfreies Parkieren erteilt worden, ist der Beschwerdeführer nicht zu hören. Diese Rüge betrifft nicht mehr die Verfassungsmässigkeit des
Art. 35 Abs. 3 SSV
, sondern die angeblich ungleiche Anwendung von
Art. 27 SVG
. Rechtsungleichheit in der Anwendung einer bundesrechtlichen Vorschrift ist jedoch mit der staatsrechtlichen Beschwerde zu rügen.
Übrigens ginge der Einwand fehl. Wie sich aus der Vernehmlassung des Polizeidepartements ergibt, ist zwar die Dauerbenützung durch Bezahlung einer Pauschale möglich. Diese Zahlungserleichterung steht jedoch jedermann offen und entbindet den Berechtigten nur von der Pflicht zur Bedienung des Parkingmeters. Zudem kann auch der Benützer der Parkuhr auf unbegrenzte Dauer vom belegten Parkfeld Gebrauch machen, sofern er die Uhr nach Ablauf wieder in Gang setzt (§ 2 der Polizeilichen Vorschriften über die Benützung der Parkgaragen Elisabethen und Steinen vom 7. Mai 1973, Kantonsblatt vom 9. Mai 1973).
3.
Das Appellationsgericht hat bei der Prüfung der gesetzlichen Grundlagen für eine Parkzeitbeschränkung durch Parkingmeter auch auf die kantonale Verordnung (VO) über den Strassenverkehr vom 7. Dezember 1964 verwiesen und festgestellt, dass deren § 10 das Polizeidepartement zum Erlass von Vorschriften über das gebührenpflichtige Parkieren mit Parkuhren ermächtige, was mit Bezug auf das Parkhaus Elisabethen am 7. Mai 1973 geschehen sei.
a) Bienz wirft dem Appelationsgericht vor, es habe willkürlich nicht geprüft, ob für die VO des Regierungsrats eine gesetzliche Grundlage bestehe. Solche auf
Art. 4 BV
gestützte Rügen
BGE 100 IV 98 S. 102
können jedoch mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht vorgebracht werden.
b) Weiter macht der Beschwerdeführer gelten d, die Vorinstanz habe in ihrem Entscheid vom 3. Oktober 1969 (= BJM 1969 238), mit dem sie die kantonale Taxiverordnung als verfassungswidrig erklärt habe, selber festgehalten, dass
Art. 3 SVG
zwar den Kantonen im Rahmen des Bundesrechts die Strassenhoheit überlasse, dass aber entsprechende Erlasse nicht gestützt auf das eidgenössische Strassenverkehrsgesetz, sondern kraft kantonaler Gesetzeskompetenz ergingen. Dasselbe müsse auch hier gelten. Da indessen nach der Kantonsverfassung die Gesetzgebung beim Grossen Rat liege, während dem Regierungsrat bloss die Vollziehung und Handhabung der Gesetze zustehe (§§ 30, 39 lit. b und 42 KV-BS), stelle die Delegation der Rechtssetzungsbefugnis im vorliegenden Fall einen Verstoss gegen den verfassungsmässigen Grundsatz der Gewaltentrennung dar.
Diese Rüge kann nicht selbständigen Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde bilden. So aber wird sie vom Beschwerdeführer vorgebracht; jedenfalls stellt er sie nicht ausdrücklich in den Zusammenhang mit der Frage nach der Rechtsgültigkeit der Signalisation im Parkhaus Elisabethen.
Wollte man annehmen, der Einwand schliesse sinngemäss die Rüge der Ungültigkeit der Signalisation in sich und es wäre deshalb die Verfügung des Polizeidepartements vom 7. Mai 1973 vorfrageweise auf ihre Rechtsbeständigkeit (unter Ausschluss der Angemessenheit) zu prüfen (
BGE 98 IV 111
, 266;
BGE 99 IV 166
), so würde er nicht durchdringen.
Zwar hängt die Gültigkeit einer Allgemeinverfügung, wie sie hier in Frage steht, u.a. von der Zuständigkeit der sie erlassenden Behörde ab (BG E 99 IV 167). Da das Polizeidepartement seine Kompetenz aus § 10 der VO des Regierungsrats über den Strassenverkehr herleitet, dessen Befugnis zum Erlass der VO aber vom Beschwerdeführer bestritten wird, ist letztlich die Rechtsgültigkeit der Verfügung vom 7. Mai 1973 durch den Bestand einer Abfolge von Zuständigkeiten bedingt, die mit derjenigen des Regierungsrats beginnt. Diese aber ist gegeben.
Das SVG enthält selber die grundlegenden Bestimmungen über die zeitliche Beschränkung des Parkierens auf entsprechend signalisierten (Signal Nr. 321) gebührenpflichtigen Parkplätzen (
Art. 35 Abs. 3 und 4 SSV
) sowie über die Beachtung solcher
BGE 100 IV 98 S. 103
Signale (
Art. 27 SVG
) und die Ahndung von Widerhandlungen gegen signalisierte Verkehrsgebote oder -verbote (
Art. 90 SVG
). Die vom Regierungsrat erlassene VO über den Strassenverkehr stellt deshalb in diesem Umfang keine Gesetzesverordnung dar, die den Bestand einer Ermächtigung durch ein kantonales Gesetz voraussetzen würde. Vielmehr ist sie eine Vollziehungsverordnung und unterscheidet sich damit grundlegend von der kantonalen Taxiverordnung; denn diese wurde vom Appellationsgericht als verfassungswidrig erklärt, weil das SVG keine Bestimmungen über Taxiunternehmen enthält (s.
BGE 99 Ia 391
) und es überdies auch an einem entsprechenden kantonalen Gesetz bzw. an einer besonderen Ermächtigung des Regierungsrats zum Erlass einer gesetzesvertretenden VO fehlte. Da es sich bei den hier in Frage stehenden Vorschriften für das Parkieren von Transportmitteln (§§ 10 ff. der VO über den Strassenverkehr) um eigentliche Ausführungsbestimmungen handelt, war der Regierungsrat zu ihrem Erlass kraft der allgemeinen Zuständigkeitsnorm des § 42 KV des Kantons Basel-Stadt befugt, die ihn mit der Vollziehung und der Handhabung der Gesetze sowie mit dem Erlass der erforderlichen Verordnungen und Beschlüsse beauftragt (SR 131.222.1 S. 9). In diesen Ausführungsbestimmungen durfte er aber auch die konkrete Ordnung des Parkierens an Ort und Stelle dem Polizeidepartement übertragen (§ 2 Abs. 3 des Polizeistrafgesetzes BS). Das ist in § 10 der VO über den Strassenverkehr geschehen.
Da der Beschwerdeführer selber nicht geltend macht, dass die vom Polizeidepartement darauf gestützte Verfügung vom 7. Mai 1973 betreffend das gebührenpflichtige Parkieren im Parkhaus Elisabethen nicht in den gesetzlich vorgeschriebenen Formen erlassen wurde (§ 3 des Polizeistrafgesetzes BS,
BGE 99 IV 167
), noch dass sie den Rahmen von §'lo der VO über den Strassenverkehr überschreite, ist ihre Rechtsbeständigkeit erstellt.
4.
Somit wurde Bienz zu Recht wegen Übertretung von Art. 27 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 90 Ziff. 1 SVG
bestraft. Die Strafbestimmungen des kantonalen Polizeistrafgesetzes waren nicht anzuwenden.
Art. 3 Abs. 1 SVG
gewährleistet die Strassenhoheit der Kantone "im Rahmen des Bundesrechtes". Weil dieses die Materie im wesentlichen selber regelt, war es insoweit ausschliesslich anwendbar.
BGE 100 IV 98 S. 104
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
905239a2-58cb-4381-81a0-1fc1fe54534b | Urteilskopf
81 IV 123
25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. April 1955 i.S. Siegrist gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 237 StGB
.
Der Schutz des öffentlichen Verkehrs bezieht sich auch auf den Polizeimann, der auf der Strasse seinen Dienst versieht. | Erwägungen
ab Seite 123
BGE 81 IV 123 S. 123
Aus den Erwägungen:
Nach ständiger Rechtsprechung schützt
Art. 237 StGB
auch den Fussgängerverkehr, wobei hiefür ebenfalls gilt,
BGE 81 IV 123 S. 124
dass der Schutz des öffentlichen Verkehrs nicht eine konkrete Gemeingefahr, d.h. die Gefährdung eines grösseren Kreises von Personen voraussetzt; die Gefährdung eines einzelnen kann genügen (
BGE 75 IV 124
Erw. 3;
BGE 76 IV 124
Erw. 2, 245 ff.;
BGE 80 IV 183
). Dann ist aber schlechthin nicht einzusehen, warum ein Polizeimann, der auf der Strasse seinen Dienst versieht, dieses Schutzes nicht ebenfalls teilhaftig sein sollte. Die gegenteilige Auffassung, die KARMANN unter Hinweis auf ein vom Obergericht des Kantons Luzern bestätigtes Urteil des Amtsgerichtes Luzern-Land in der Schweizerischen Zeitschrift für Strafrecht, 65 S. 204, erwähnt, ist nicht haltbar. Dass der Polizist sich in Ausübung seiner Pflicht zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit auf der Strasse befindet, ist sicher kein Grund, ihn vom Schutze des öffentlichen Verkehrs im Sinne des
Art. 237 StGB
auszunehmen; er steht deswegen nicht ausserhalb dieses Verkehrs. Der Kassationshof hat denn auch bereits im Urteil vom 3. Mai 1952 in Sachen Walser Erw. 1 diesen Standpunkt eingenommen, und zwar ebenfalls zu Gunsten eines Polizeimannes, der in die Fahrbahn des angeklagten Automobilführers getreten war, um ihn mit dem Lichtzeichen einer Taschenlampe zum Anhalten aufzufordern. In diesem Urteil hat der Kassationshof die Rüge, dass
Art. 237 StGB
nicht angewendet werden könne, weil nur ein Polizeimann gefährdet worden sei, geradezu als mutwillig bezeichnet. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
9052e58d-9f45-43ea-a9d7-56cc86b37996 | Urteilskopf
100 IV 161
40. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 12 juillet 1974, dans la cause Passavanti contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 21, 22, 139 StGB
. Der Tatbestand des Raubes ist selbst dann gegeben, wenn das Opfer nicht während der ganzen Dauer des Angriffs zum Widerstand unfähig gemacht wurde. Die Frage, ob der Raub vollendet werden kann, wenn der Widerstand des Opfers nicht völlig gebrochen wurde, bleibt offen (Erw. 1).
Art. 139 Abs. 1 und 2 StGB
. Die blosse Tatsache der Gewalt, der Drohung oder des zum Widerstand unfähig Machens lässt für sich allein den Schluss auf besondere Gefährlichkeit des Täters nicht zu, doch heisst das nicht, dass die den Raub auszeichnenden Umstände nicht in der Art und Weise, wie der Täter die Gewalt verübt, wie er jemanden mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben bedroht oder wie er das Opfer zum Widerstand unfähig macht, gesehen werden dürfen (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 100 IV 161 S. 161
A.-
En juin 1973, Francesco Passavanti, ressortissant italien, et Margarita Martin, Espagnole, décidèrent de com mettre une agression pour se procurer de l'argent. Ils portèrent
BGE 100 IV 161 S. 162
leur dévolu sur la ferme habitée par la famille Henry au Mont-sur-Lausanne, que Passavanti connaissait. Le 14 juillet 1973, ils vinrent reconnaître les lieux.
Le surlendemain, 16 juillet 1973, Passavanti et sa compagne pénétrèrent dans la ferme, la tête recouverte de cagoules noires, qui avaient été confectionnées par Margarita Martin. Ils arrivèrent dans le salon où dame Henry, qui leur tournait le dos, était en train de passer l'aspirateur. Passavanti lui asséna un coup derrière la tête, la projetant dans un fauteuil. Les deux acolytes maintinrent ensuite leur victime immobilisée à plat ventre, l'un d'eux lui mettant la main sur la bouche pour l'empêcher de crier. A ce moment arriva l'enfant Frédéric Henry, âgé de 6 ans, qui voyant la scène se mit à hurler. Pour le faire taire, Passavanti lui recouvrit la tête d'une peau de poulain et Margarita Martin lui saisit les bras. Passavanti réclama alors de l'argent en brandissant un couteau à longue lame tout près des yeux de dame Henry, et comme les cadets de celle-ci, âgés de 4 ans et 2 ans, arrivaient à leur tour et se mettaient à hurler également, il lui déclara que si elle aimait ses enfants, elle avait intérêt à dire où était l'argent. Pour mieux terroriser sa victime, il ordonna à sa compagne de faire semblant d'emmener l'enfant Frédéric en otage, en l'entraînant de force dans la cuisine.
Dame Henry dit alors qu'elle n'avait point d'argent à la maison, ce qui était presque vrai. Après avoir cru qu'on allait la tuer, elle a remarqué un certain flottement chez ses agresseurs, qui ne paraissaient plus savoir que faire. Les trois enfants continuaient à hurler et Passavanti se montrait de plus en plus agité. Dame Henry a finalement déclaré que des ouvriers allaient arriver, ce qui a augmenté le désarroi des deux accusés.
Passavanti a exigé que dame Henry l'accompagne au premier étage, où il voulait couper les fils du téléphone. Elle a refusé mais, par contre, s'est laissé entraîner dans la cuisine.
Finalement, voyant qu'il ne pouvait rien obtenir, Passavanti a décidé de prendre la fuite. Il a déclaré à plusieurs reprises à dame Henry qu'elle ne devait pas avertir la police, faute de quoi il saurait la retrouver, puis il s'est enfui en voiture avec sa compagne.
La scène a duré vingt minutes pendant lesquelles Passavanti a sans cesse maintenu dame Henry en lui tordant le bras et en
BGE 100 IV 161 S. 163
la menaçant de son couteau, sous les yeux des enfants, qui ont été épouvantés.
Les sévices infligés à dame Henry lui ont causé des lésions, qui ont nécessité un traitement médicamenteux et une physiothérapie de plusieurs mois.
Passavanti n'a jamais été condamné. Les renseignements le concernant sont bons. Avant jugement, il a versé une indemnité à sa victime.
B.-
Par jugement du 31 janvier 1974, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné Passavanti, pour crime manqué de brigandage qualifié, à la peine de 4 ans de réclusion, sous déduction de 200 jours de détention préventive, et à 15 ans d'expulsion du territoire suisse. Margarita Martin a été de son côté condamnée, pour crime manqué de brigandage, à 3 ans de réclusion et à 15 ans d'expulsion du territoire suisse. Au titre de la qualification du brigandage, le Tribunal a retenu à la charge de Passavanti qu'il était particulièrement dangereux.
C.-
Par arrêt du 20 mai 1974, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté un recours de Passavanti et maintenu le jugement attaqué. Elle a retenu que Passavanti s'était rendu coupable du crime de brigandage consommé et non pas seulement du crime manqué de brigandage. Liée cependant par la qualification retenue par les juges de première instance, la Cour cantonale n'a pas modifié le jugement sur ce point. Elle a confirmé en outre la circonstance aggravante de l'auteur particulièrement dangereux.
D.-
Contre cet arrêt, Passavanti se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral; il demande à être condamné pour tentative de brigandage simple.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le recourant soutient qu'il aurait dû être condamné pour tentative de brigandage (art. 21 CP) et non pour délit manqué (art. 22). Selon lui, les juges de première instance ont admis que si dame Henry a été à la merci des deux auteurs pendant une vingtaine de minutes, "sa volonté de résistance n'a pas été annihilée". La victime n'aurait dès lors pas été hors d'état de résister, ainsi qu'elle l'a démontré en refusant à la fois de donner de l'argent et d'accompagner le recourant à
BGE 100 IV 161 S. 164
l'étage. Se référant à la doctrine, le recourant fait valoir qu'il n'y a que tentative et non crime manqué ou délit consommé si la victime s'est défendue ou si, de toute autre manière, elle a résisté de façon à faire échouer l'attaque.
b) Il y a brigandage, au sens de l'art. 139 CP, lorsque la violence ou la menace est exercée dans le dessein de commettre un vol. Le brigandage apparaît donc comme une contrainte exercée pour imposer un vol ou des actes tendant à un vol (RO 83 IV 68), et il peut y avoir brigandage consommé alors même que le vol envisagé n'a pas pu être réalisé (cf. RO 71 IV 122).
On peut hésiter sur le point de savoir si le crime de brigandage, de même que ceux réprimés aux art. 187 et 188 CP, ne peut être consommé que si la victime a été mise complètement hors d'état de résister (cf. RO 71 IV 122, 75 IV 115, 78 IV 232, 81 IV 224 et 98 IV 99), mais cette question n'a pas à être tranchée en l'occurrence.
En effet, c'est en vain que le recourant soutient que sa victime, dame Henry, n'aurait pas été incapable de résister. Il ressort des faits que durant près de vingt minutes dame Henry a été sans cesse maintenue par le recourant, le bras tordu et sous la menace d'un couteau. L'incapacité de résistance, durant ce laps de temps, a été totale, de telle sorte que cet élément constitutif de l'art. 139 CP est pleinement réalisé. Il ne saurait y avoir tentative ou délit manqué que si l'auteur ne parvient pas à annihiler ou à briser la résistance de sa victime (cf. GERBER, RPS 90 (1974), p. 146). Le fait que, comme l'ont admis les juges de première instance, la volonté de résistance de dame Henry n'a pas été annihilée n'empêche pas et n'a pas empêché que la résistance de la victime a été supprimée durant un certain temps; la volonté de résister, par exemple dès que pourrait se présenter une occasion favorable, peut parfaitement exister chez des personnes mises matériellement hors d'état de résister.
Il importe peu que par la suite, dès que Passavanti a manifesté son désarroi après avoir entendu dame Henry lui dire qu'il n'y avait pas d'argent, la victime ait pu exercer une certaine résistance en ne se pliant pas à toutes les exigences de l'auteur. Il peut arriver, dans une agression, qu'à un moment ou à un autre la victime puisse reprendre une certaine liberté d'action; il en est d'ailleurs nécessairement ainsi lorsque
BGE 100 IV 161 S. 165
l'attaque prend fin. Il n'en résulte évidemment pas que le crime de brigandage n'a pas été consommé, puisqu'il ne dépend pas de l'existence d'une soustraction mobilière, mais seulement du dessein de la commettre; il n'est enfin nullement nécessaire que la victime demeure incapable de résister aussi longtemps que l'auteur ne met pas volontairement un terme à ses menaces ou à ses violences.
C'est donc à juste titre que l'arrêt attaqué a refusé d'admettre que le recourant s'était seulement rendu coupable d'une tentative de brigandage.
2.
a) Le recourant conteste par ailleurs que l'on puisse le taxer d'auteur particulièrement dangereux. Il fait valoir qu'une telle qualification ne pourrait être fondée que sur des circonstances indépendantes de celles qui entraînent l'application de l'art. 139 ch. 1 et de l'art. 139 ch. 2 al. 1 à 3. Il se prévaut également des bons antécédents qui lui ont été reconnus.
b) La jurisprudence du Tribunal fédéral a posé que l'auteur d'un vol ou d'un brigandage devait être considéré comme particulièrement dangereux, au sens des art. 137 ch. 2 al. 4 et 139 ch. 2 al. 4 CP, si sa manière de procéder fait ressortir des traits de caractère permettant de conclure à une attitude foncièrement asociale et à une absence de scrupules telles qu'il y a lieu de redouter que, dans d'autres occasions, il ne reculera pas devant des infractions analogues ou semblables (RO 98 IV 145). Le caractère particulièrement dangereux peut ressortir de plusieurs éléments conjugués (RO 88 IV 61). Il sera donc le cas échéant déduit non seulement des actes d'exécution, mais aussi des actes préparatoires, de l'attitude du délinquant immédiatement après la commission du crime, dans la mesure où elle est en rapport avec ce dernier (RO 77 IV 159), voire des mobiles, des antécédents ou de tout ce qui peut fournir sur la personnalité de l'auteur des renseignements valables (RO 95 IV 165 consid. 1). Le juge n'en reste pas moins libre, dans les limites de son pouvoir appréciateur, d'estimer que la manière de procéder de l'auteur suffit à le qualifier de dangereux.
Certes, les seules circonstances de la violence, de la menace ou de la mise hors d'état de résister, prévues à l'art. 139 ch. 1 CP, ne permettent pas à elles seules de qualifier un auteur de particulièrement dangereux, sans quoi le délit simple de brigandage n'existerait pas. C'est pourquoi l'application du
BGE 100 IV 161 S. 166
chiffre 2, et notamment de son al. 4, exige quelque chose de particulier. Mais, comme l'a depuis longtemps précisé la jurisprudence, cela ne signifie pas qu'on ne puisse pas voir de circonstance aggravante dans la façon dont l'auteur a agi, dans les procédés qu'il a utilisés pour exercer des violences, dans la manière dont il a menacé une personne d'un danger imminent pour la vie ou l'intégrité corporelle ou encore dans les moyens dont il s'est servi pour mettre sa victime hors d'état de résister (RO 77 IV 158).
D'ailleurs, la forme générale du texte légal laisse au juge un large pouvoir d'appréciation (GERBER, RPS 90 (1974) p. 132).
c) En l'espèce, la façon dont le recourant a agi démontre amplement son caractère particulièrement dangereux, même si rien dans ses antécédents ne vient corroborer cette appréciation. Cette qualification résulte de la brutalité dont il a fait preuve pour maîtriser et menacer sa victime, des lésions qui en sont résultées, de l'usage d'une arme, de l'emploi de cagoules et de l'absence totale de scrupules en face de trois enfants en bas âge terrorisés et hurlants. Enfin, la façon de faire taire l'un des enfants, puis l'ordre donné de l'emmener dans une autre pièce pour simuler une prise d'otage. Ces circonstances permettent non seulement de constater que le recourant a très largement dépassé les bornes des éléments définis à l'art. 139 ch. 1 CP, mais encore de conclure sans hésitation à une attitude foncièrement asociale et à une absence de scrupules telles qu'il y aurait lieu, si son arrestation n'était pas intervenue, de redouter que dans d'autres occasions il ne recule pas devant des infractions analogues ou semblables.
Le fait qu'après s'être entendu dire qu'il n'y avait pas d'argent le recourant n'ait pas encore aggravé la situation en commettant d'autres actes délictueux ou en redoublant de brutalité n'enlève évidemment rien au caractère dangereux révélé et manifesté par l'acte de brigandage réalisé.
Le pourvoi est donc mal fondé.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
90558973-a48c-4719-b9aa-20a499fc2adc | Urteilskopf
116 Ia 81
15. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. April 1990 i.S. X. AG gegen Kantonales Steuergericht Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Besteuerung von stillen Reserven bei Verlegung des Geschäftsbetriebes einer Unternehmung in einen andern Kanton; Wegzugssteuer (
Art. 4 BV
; Willkürverbot, Rechtsgleichheitsgebot).
Bei Wegfall der Steuerhoheit wegen Verlegung des Geschäftsbetriebes einer Unternehmung aus dem Kanton ist es sachlich vertretbar und damit nicht willkürlich, wenn die zulasten früherer Erträge auf angefangenen Arbeiten gebildeten stillen Reserven der Liquidationsgewinnsteuer unterworfen werden. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 116 Ia 81 S. 81
A.-
Die X. AG verlegte im Frühjahr 1982 ihre Produktionsstätte (Maschinen und Einrichtungen) von Y. (Kanton Solothurn) nach Z. (Kanton Baselland). Den zivilrechtlichen Sitz dagegen beliess sie im Kanton Solothurn. Auf den Zeitpunkt der Betriebsverlegung erstellte sie keine Zwischenbilanz; die Buchwerte der Aktiven und Passiven wurden nicht verändert.
B.-
Im Rahmen der Veranlagung für das Steuerjahr 1983 erfasste die Kantonale Steuerverwaltung Solothurn nach § 59 lit. d
BGE 116 Ia 81 S. 82
des solothurnischen Steuergesetzes (in der pro 1983 massgeblichen Fassung vom 29. Januar 1961) einen steuerbaren Liquidationsgewinn im Betrage von Fr. ... Sie stellte anlässlich einer Buchprüfung der Geschäftsjahre 1981 und 1982 per 31. Dezember 1981 auf der Bilanzposition angefangene Arbeiten zulasten der jeweiligen Geschäftserträge gebildete stille Reserven in der Höhe von Fr. ... fest. Diesen Betrag erachtete sie wegen der Verlegung des Betriebes ausser Kanton als nicht realisierten Liquidationsgewinn. Sie unterwarf ihn daher pro 1983 mit Fr. ... einer Jahressteuer.
C.-
Mit seinem Urteil wies das Kantonale Steuergericht Solothurn einen Rekurs der X. AG ab. Zur Verfassungsmässigkeit der wegen des Wegzuges auf den stillen Reserven erhobenen Steuer (sog. Wegzugssteuer) führte es aus, die beanstandete Besteuerung verstosse nicht gegen
Art. 4 BV
. Die stillen Reserven könnten später steuerlich nicht mehr erfasst werden; dem Kanton Solothurn stehe als Sitzkanton nach der Geschäftsverlegung kein Anspruch auf eine quotenmässige Beteiligung am Gesamtgewinn einschliesslich der Gewinne aus Realisation von stillen Reserven mehr zu; vielmehr verbleibe ihm nur noch ein Vorausanteil von 10 Prozent.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde der X. AG ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
a) Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid verletze
Art. 4 BV
. Sie bringt in dieser Hinsicht vor, die Besteuerung sei willkürlich, weil bei der steuersystematischen Realisation gerade keine stillen Reserven realisiert würden; eine Realisation sei nur dann gegeben, wenn die stillen Reserven formell von einzelnen Aktiv- und Passivposten losgelöst und dem ausschüttbaren Eigenkapital zugeordnet würden. Die angefochtene Wegzugsbesteuerung entbehre einer sachlichen Begründung; ausser dem fiskalischen Interesse des Wegzugskantons seien keine erheblichen Gründe ersichtlich, die im Kanton verbleibenden Unternehmungen in bezug auf die unversteuerten Reserven gegenüber den aus dem Kanton wegziehenden Firmen unterschiedlich zu behandeln. Eine rechtsungleiche Behandlung sieht die Beschwerdeführerin auch darin, dass die stillen Reserven nur bei der Verlegung eines Geschäftes, nicht aber bei der Verlegung einer Betriebsstätte in einen andern Kanton besteuert werden; in beiden Fällen würden stille Reserven in einen andern Kanton transferiert.
BGE 116 Ia 81 S. 83
b) Ein Erlass verstösst gegen das Willkürverbot, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist; er verletzt das Rechtsgleichheitsgebot, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen, wenn also Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (
BGE 114 Ia 323
E. 3a, mit Hinweisen).
c) BLUMENSTEIN hat die Wegzugssteuer bei deren Einführung im Kanton Bern bereits im Jahre 1945 kritisiert (ASA 14 225 ff.). Seither haben mehrere Kantone entsprechende Normen erlassen (SPORI, ASA 57 85; REICH, Die Realisation stiller Reserven im Bilanzsteuerrecht, Zürich 1983 S. 133). Die Verletzung des Rechtsgleichheitsgebotes begründet BLUMENSTEIN damit, dass der Wegzug eines Geschäftsunternehmens aus dem Kanton angesichts der in
Art. 45 BV
und
Art. 62 BV
zum Ausdruck kommenden Wertungen keinen erheblichen Grund für die steuerliche Schlechterstellung der wegziehenden Unternehmung gegenüber der im Kanton verbleibenden bilden könne. Diese Ansicht fand in der neueren Doktrin im Ergebnis zum Teil Anerkennung; dabei wird etwa vorgebracht, es bestehe kein sachlicher Grund für die Besteuerung durch den Wegzugskanton, weil die Möglichkeit der Steuererhebung bei späterer Realisation durch den Zuzugskanton gewährleistet sei (REYMOND, L'imposition des transferts de siège et des fusions intercantonales de sociétés est-elle contraire à la Constitution fédérale?, SAG 46 123 ff.). Teilweise wird die Besteuerung stiller Reserven beim Wegzug zwar als sachlich unbefriedigend, nicht jedoch als offensichtlich sachwidrig oder verfassungswidrig erachtet (KÄNZIG, Unternehmungskonzentrationen, S. 195; REICH, a.a.O. S. 134 ff.).
Zur Begründung der Besteuerung stiller Reserven beim Wegzug wird demgegenüber angeführt, dass der steuerliche Zugriff auf diese Reserven entfalle bzw. dieses Steuersubstrat später nicht mehr erfasst werden könne (SPORI, ASA 57 84; KÄNZIG, a.a.O. S. 195; REICH, a.a.O. S. 137 ff.). Die Besteuerung der stillen Reserven beim Wegzug wird jedoch als mit dem Rechtsgleichheitsgebot vereinbar erachtet, weil es dem Hoheitsträger freigestellt sei, den Realisierungsbegriff so zu definieren, dass ihm die in seinem Hoheitsbereich entstandenen stillen Reserven in jedem Fall verhaftet sind (REICH, a.a.O. S. 135; SPORI, a.a.O. S. 88, mit Hinweis
BGE 116 Ia 81 S. 84
auf Knobbe-Keuk, wo für das internationale Verhältnis umgekehrt ausgeführt wird, kein Staat dürfe stille Reserven besteuern, die nicht unter seiner Hoheit entstanden, ihm wirtschaftlich somit nicht zurechenbar seien). Als steuersystematischer Realisationstatbestand scheint denn auch der Wegzug ins Ausland allgemein nicht bestritten zu sein, sofern jedenfalls keine anderen Möglichkeiten bestehen, den Besteuerungsanspruch später zu gewährleisten (SPORI, a.a.O. S. 83 ff.). Aus dieser Begründung ist indes ebensosehr abzuleiten, dass die Besteuerung von zulasten früherer Geschäftserträge gebildeten stillen Reserven sachlicher Begründung entbehrt, soweit die Steuerhoheit des Wegzugskantons erhalten bleibt (REYMOND, a.a.O. S. 127).
d) Die behauptete Verfassungswidrigkeit ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht schon daraus, dass keine handelsrechtliche, sondern nur eine steuersystematische Realisation vorliegt. Steuersystematische Realisationstatbestände sind nicht an sich schon willkürlich.
Der Beschwerde ist zudem nicht zu entnehmen, inwiefern die Gründung einer ausserkantonalen Betriebsstätte in bezug auf die hier umstrittene Frage mit der bei der Beschwerdeführerin gegebenen Sachlage vergleichbar sein soll; auch nicht, inwiefern eine derartige Situation - soweit sie vergleichbar wäre - bei der Anwendung der massgebenden Bestimmung des kantonalen Steuergesetzes tatsächlich von den zuständigen kantonalen Behörden ungleich behandelt worden sein soll.
Schliesslich kann die Verfassungsmässigkeit der Besteuerung bei rein fiskalischen Steuern, d.h. bei Steuern, die allein zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des betreffenden Gemeinwesens erhoben werden, nicht mit dem Einwand bestritten werden, die Steuern würden aus rein fiskalischen Interessen erhoben. Das fiskalische Interesse an der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs bildet im Gegenteil einen hinreichenden sachlichen Grund für die Besteuerung, sofern die sich aus
Art. 4 BV
ergebenden Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gewahrt sind (
BGE 114 Ia 323
E. 3b, mit Hinweisen). Bei Wegfall der Steuerhoheit ist es sachlich vertretbar und damit nicht willkürlich, zulasten früherer Erträge gebildete stille Reserven der Besteuerung zu unterwerfen. Es ist zwar unbefriedigend (REYMOND, a.a.O. S. 126), wenn der mit der Bildung von stillen Reserven verbundene
BGE 116 Ia 81 S. 85
Besteuerungsaufschub auch dann nur bis zur Beendigung der kantonalen Steuerhoheit gewährt wird, wenn die Steuerpflicht im Zuzugskanton im Falle handelsgerechter Realisierung gewährleistet wäre. Es ist deshalb im Entwurf zur Steuerharmonisierung vorgesehen, dass die Wegzugssteuern im interkantonalen Verhältnis aufgehoben werden sollen (SPORI, a.a.O. S. 83, Fn. 76). Dass aber die Wegzugssteuer, weil sachlich unbefriedigend, abgeschafft werden soll, genügt nicht, um die kantonale Eigenständigkeit in Frage zu stellen, d.h. die Besteuerung bei Beendigung der kantonalen Steuerhoheit als schlechterdings nicht haltbar zu erachten, weil die spätere Besteuerung durch einen andern Kanton möglich wäre. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
9057d3b9-33a2-4938-a609-733795333342 | Urteilskopf
120 Ib 431
58. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. November 1994 i.S. S. gegen Schweizerische Bundesbahnen, Kreisdirektion II, und Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Legitimation zur Einsprache gegen ein Eisenbahnprojekt.
Die Pflicht zur Begründung der Einsprache erstreckt sich auch auf die Frage der Legitimation.
Eine genügend nahe Beziehung zur Streitsache kann auch dann angenommen werden, wenn mit der projektierten Anlage ein besonderer Gefahrenherd geschaffen wird und die Anwohner erhöhten Risiken ausgesetzt werden. Voraussetzung für die Einsprachebefugnis ist in diesem Fall, dass das Gefährdungspotential besonders gross und der Einsprecher speziell stark exponiert ist. | Sachverhalt
ab Seite 432
BGE 120 Ib 431 S. 432
Im kombinierten Plangenehmigungs- und Enteignungsverfahren für die im Rahmen des Konzeptes "Bahn 2000" neu zu erstellende Eisenbahnstrecke Mattstetten-Rothrist fand die öffentliche Auflage der Pläne vom 18. Januar bis 8. März 1993 statt. Während der Auflagefrist gingen in den betroffenen Gemeinden insgesamt zwischen 6000 und 7000 Einsprachen ein, die zur Behandlung dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) überwiesen wurden.
Mit Entscheid vom 6. Dezember 1993 trat das EVED auf die von S. in der Gemeinde Langenthal gegen das Projekt erhobene Einsprache mangels Legitimation nicht ein. Das EVED führte hiezu im wesentlichen aus, S. gehöre zu den zahlreichen Einsprechern, die mit einer vorformulierten oder ähnlich lautenden Einsprache die Umweltunverträglichkeit des Bauvorhabens behaupteten. Zur Einsprache befugt seien jedoch nur jene Personen, die eine besonders nahe, vor allem räumliche Beziehung zum Streitgegenstand und ein unmittelbares, eigenes Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Verfügung hätten; zudem sei darzutun, inwiefern das Auflageprojekt im Bereich eines konkreten Grundstücks gegen Bundesrecht verstosse. Was S. anbelange, so wohne er zwar in der vom Projekt berührten Gemeinde Langenthal, jedoch südlich der bestehenden Bahnlinie Olten-Bern und damit in einer beträchtlichen Distanz zum geplanten Trassee. Es fehle daher einerseits an der räumlichen Nähe, derer es zur Einsprachebefugnis bedürfe, und sei andererseits ausgeschlossen, dass er von allfälligen Immissionen aus dem Bau oder Betrieb der neuen Strecke stärker betroffen werde als die
BGE 120 Ib 431 S. 433
Allgemeinheit. Eine besonders nahe Beziehung zum Projekt könne auch nicht aus der geltend gemachten möglichen Beeinträchtigung des Grundwassers bzw. der Trinkwasserversorgung hergeleitet werden. In der Einsprache werde einzig darauf hingewiesen, dass eine Verunreinigung des Grundwasservorkommens für die gesamte Region zu existentiellen Problemen führen könnte. Selbst wenn der Einsprecher sein Trinkwasser aber aus dem Grundwasservorkommen im Raum Bützberg/Roggwil beziehen sollte - was nicht einmal behauptet werde -, wäre er deshalb noch nicht zur Einsprache befugt, da die Erhaltung des Grundwassers bzw. der Wasserversorgung im öffentlichen Interesse liege, welches von den mit dieser Aufgabe betrauten Behörden oder Organisationen wahrgenommen werden müsse.
S. hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des EVED erhoben, dessen Aufhebung sowie die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur materiellen Behandlung verlangt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
In der Beschwerde wird zunächst geltend gemacht, das Departement habe bei der Prüfung der Legitimationsfrage nicht untersucht, ob der Beschwerdeführer allenfalls von den mit dem Bau der neuen Eisenbahnstrecke verbundenen Immissionen betroffen werde, und dadurch den Sachverhalt nur unvollständig festgestellt. Dieser Vorwurf ist jedoch offensichtlich unbegründet:
Zur Einsprache gegen ein Eisenbahnprojekt ist legitimiert, wer durch die Projektpläne berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (
Art. 48 VwVG
; SR 172.021). Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Natur sein, doch muss der Einsprecher durch das Projekt stärker als die Allgemeinheit betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen (BGE 116 Ib E. 1b S. 450,
BGE 115 Ib 387
E. 2a S. 389). Diese besondere Beziehung ist vom Einsprecher selbst darzulegen, da sich seine Begründungspflicht auch auf die Frage der Legitimation erstreckt (
BGE 119 Ib 458
nicht publ. E. 3b). Nun hat sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt, in seiner Einsprache zu erwähnen, dass er in Langenthal Wohnsitz habe. Weitere Angaben über seine Beziehung zum Streitobjekt enthielt seine Eingabe nicht. Dennoch hat das EVED im einzelnen untersucht,
BGE 120 Ib 431 S. 434
ob er allenfalls durch Immissionen betroffen werden könnte, wobei entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers auch mögliche Einwirkungen während der Bauphase in Betracht gezogen wurden. Eine solche Beeinträchtigung ist jedoch angesichts der Distanz zwischen dem Wohnort des Beschwerdeführers und dem geplanten Bahntrassee zu Recht ausgeschlossen worden. In der Tat ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an seinem Wohnort im Zentrum Langenthals, mehr als eineinhalb Kilometer vom geplanten Bahntrassee entfernt, unter Baulärm, Staub, Erschütterungen oder anderen Einwirkungen aus dem Bahnbau zu leiden haben wird.
Im weiteren lässt sich ein Beschwerderecht auch nicht aus der vermuteten Gefährdung des Grundwassers bzw. der Trinkwasserversorgung herleiten. Wohl kann eine genügend nahe Beziehung zur Streitsache auch dann angenommen werden, wenn von der projektierten Anlage zwar im Normalfall keine Immissionen ausgehen, mit dieser aber ein besonderer Gefahrenherd geschaffen wird und sich die Anwohner einem erhöhten Risiko ausgesetzt sehen. So hat der Bundesrat in seiner Rechtsprechung über die Teilnahme am Bewilligungsverfahren für Kernkraftwerke ausgeführt, legitimiert seien auch all jene, die den spezifischen Risiken von atomaren Anlagen - Freisetzung von radioaktiven Stoffen bei kleineren oder grösseren Betriebsunfällen oder gar den unmittelbaren Gefahren einer eigentlichen Katastrophe im Werk - in höherem Masse preisgegeben seien als die Allgemeinheit. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit sei auszugehen vom Gefährdungspotential als dem Risiko, das theoretisch mit einer solchen Anlage verbunden sei. Jedermann, der innerhalb eines Bereiches lebe, in dem dieses Gefährdungspotential besonders hoch einzuschätzen sei, habe ein schützenswertes Interesse daran, dass der Eigenart und der Grösse der Gefahr angemessene und geeignete Schutzmassnahmen ergriffen würden, und sei deshalb zur Teilnahme am Verfahren befugt. Dieses Recht finde indessen eine Schranke an der Unzulässigkeit der Popularbeschwerde. Erstrecke sich die Gefährdung auf einen so weiten Raum, dass ein grosser Teil der Bevölkerung einer ganzen Landesgegend davon betroffen sei, so könne der einzelne nur noch dann ein besonderes Interesse geltend machen, wenn er stärker exponiert sei als die übrigen Einwohner. Es seien daher rund um die Kraftwerke Zonen abzugrenzen, in denen von einer erkennbar stärkeren Gefährdung der Bewohner und daher von deren Beschwerderecht auszugehen sei, während ausserhalb dieser Zonen
BGE 120 Ib 431 S. 435
Wohnende ihre besondere Gefährdung nachzuweisen hätten (VPB 42/1978 Nr. 96 S. 429 ff.; VPB 46/1982 Nr. 54, 44/1980 Nr. 89).
Im vorliegenden Fall geht es weder um den Betrieb eines Atomkraftwerkes noch einer anderen Baute mit einem vergleichbaren Gefahrenpotential, sondern um eine Verkehrsanlage. Zudem weist der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Legitimation lediglich auf Risiken hin, die - vor allem beim Bau des Eisenbahntrassees - für die Trinkwasserversorgung entstünden. Nun ergeben sich beim Bau eines solchen Verkehrsstrangs kaum grössere Gefahren für das Trinkwasser als bei der Erstellung irgendeiner Baute oder Anlage in einem Gebiet mit Grundwasservorkommen: Weder besteht beim Eisenbahnbau eine besonders ausgeprägte Tendenz zur Verursachung von Gewässerverschmutzungen, noch zeitigen allfällige Eingriffe in Wasservorkommen in der Regel quantitativ oder qualitativ speziell schwere Folgen. Zwar kann bei Bau- wie auch bei Betriebsunfällen selbst bei grösster Sorgfalt nie ganz ausgeschlossen werden, dass der Grundwasserhaushalt gestört wird (vgl.
BGE 118 Ib 206
E. 14 S. 228). Eine ernst- und dauerhafte Beeinträchtigung der Wasserversorgung tritt jedoch kaum je ein. Es dürfte deshalb hier schon an der Voraussetzung eines besonders grossen Gefährdungspotentials fehlen. Im weiteren würde eine Störung des Grundwasservorkommens in erster Linie die für die Trinkwasserversorgung verantwortlichen Personen oder Behörden treffen und weisen diese daher eine viel engere Beziehung zum Projekt auf als die Trinkwasserbezüger. In diesem Sinne kann der Argumentation des EVED zugestimmt werden, dass für blosse Trinkwasserbezüger die für die Legitimation notwendige unmittelbare Berührtheit nicht gegeben sei. Jedenfalls macht der Beschwerdeführer nicht geltend, dass er stärker exponiert wäre als die übrigen Bezüger. Seine Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.
2.
Da nach dem Gesagten hier das Bundesgesetz über die Enteignung keine Anwendung finden kann, sind die Gerichtskosten dem Ausgang des Verfahrens entsprechend dem Beschwerdeführer zu überbinden. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
90586bd7-9063-476c-ab9b-f7644dd104ab | Urteilskopf
119 V 131
18. Arrêt du 3 février 1993 dans la cause K. contre Confédération suisse (Caisse fédérale d'assurance) et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 102 und 105 Abs. 1 OR
,
Art. 23 und 24 BVG
: Verzugszinse in der beruflichen Vorsorge.
Verzugszinse sind auch auf Invalidenleistungen geschuldet; Beginn des Zinslaufes und Zinsatz. | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 119 V 131 S. 131
A.-
Georges K., né en 1946, marié, père de deux enfants, a été engagé, le 11 août 1987, au service de l'administration fédérale. A ce titre, il a été affilié à la Caisse fédérale d'assurance (CFA), tout d'abord en qualité de déposant, puis comme membre assuré.
Par lettre du 19 avril 1988, l'employeur a résilié les rapports de service pour le 31 mai 1988 en invoquant une insuffisance de prestations et un manque d'intérêt à la liquidation des tâches confiées à l'intéressé.
Le 30 septembre 1988, Georges K. a écrit à la CFA que c'était en raison de son état de santé déficient qu'il n'avait pas été en mesure d'accomplir le travail qui lui avait été assigné. Le 23 novembre 1988, il a demandé à la CFA de lui allouer des prestations d'invalidité; à cette demande, était jointe la copie d'une décision par laquelle la
BGE 119 V 131 S. 132
Caisse cantonale vaudoise de compensation lui avait alloué une rente entière de l'assurance-invalidité dès le 1er juin 1988.
B.-
Par acte du 14 août 1989, Georges K. a ouvert action contre la CFA en concluant au paiement par celle-ci d'une rente d'invalidité complète pour lui-même et ses enfants.
Statuant le 18 juin 1991, le Tribunal des assurances du canton de Vaud a admis l'action et il a condamné la CFA à verser au demandeur des prestations d'invalidité à partir du 1er juin 1988; il a renvoyé le dossier à la CFA pour qu'elle en fixe l'étendue.
Le tribunal a rejeté une conclusion du demandeur tendant au paiement d'intérêts moratoires.
C.-
Contre ce jugement, Georges K. interjette un recours de droit administratif dans lequel il conclut au paiement d'un intérêt moratoire de 5 pour cent l'an sur les prestations d'invalidité dues par la CFA.
La CFA conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Est seul litigieux, en procédure fédérale, le point de savoir si le recourant peut ou non prétendre le paiement d'intérêts moratoires sur les rentes arriérées qui doivent lui être accordées à teneur du jugement cantonal.
2.
Un litige en matière d'intérêts moratoires concerne des prestations d'assurance au sens de l'
art. 132 OJ
(
ATF 101 V 117
consid. 2).
Le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral des assurances n'est ainsi pas limité à la violation du droit fédéral - y compris l'excès et l'abus du pouvoir d'appréciation - mais il s'étend également à l'opportunité de la décision attaquée. Le tribunal n'est pas non plus lié par l'état de fait constaté par la juridiction inférieure et il peut s'écarter des conclusions des parties, à l'avantage ou au détriment de celles-ci (
art. 132 OJ
).
3.
a) Selon la jurisprudence constante, des intérêts moratoires ne sont pas dus en matière d'assurances sociales, sauf disposition légale contraire (
ATF 117 V 351
,
ATF 113 V 50
consid. 2a et les références citées; GRISEL, L'apport du Tribunal fédéral des assurances au développement du droit public, in: Mélanges Alexandre Berenstein,
BGE 119 V 131 S. 133
p. 451 ss; MOOR, Droit administratif, vol. II, p. 44; SPAHR, L'intérêt moratoire, conséquence de la demeure, RVJ 1990 p. 380 s.). La principale raison réside dans le rôle dévolu à l'administration. Celle-ci se présente comme détentrice de la puissance publique chargée d'instruire, parfois longuement, les demandes de prestations émanant des particuliers et de leur appliquer le droit de manière objective. Lui imposer systématiquement des intérêts moratoires reviendrait à la pénaliser pour avoir accompli son devoir avec soin. Quant à l'assuré, la règle de l'égalité des parties commande de le dispenser lui aussi du paiement d'intérêts de retard lorsqu'il a défendu ce qu'il estimait être son droit (
ATF 108 V 15
consid. 2a,
ATF 101 V 118
).
b) Des exceptions à cette règle se justifient toutefois en présence d'actes ou d'omissions illicites de l'administration. C'est ainsi que le Tribunal fédéral des assurances a condamné une caisse de compensation à payer des intérêts moratoires à un assuré qui avait été privé pendant de très nombreuses années d'une somme considérable en raison d'un calcul erroné de sa rente; il a aussi été tenu compte des possibilités restreintes d'obtenir le paiement rétroactif des prestations arriérées, en raison de la péremption (RCC 1990 p. 45). La Cour de céans a également admis une telle exception en défaveur d'un assuré qui contestait une dette de cotisations d'assurance-maladie sans explication et sans chercher d'arrangement avec la caisse, provoquant ainsi des démarches administratives fastidieuses; il serait inéquitable, à l'égard des assurés qui paient régulièrement leurs cotisations, de faire supporter à la caisse toute la charge de ce contentieux (ATFA 1968 p. 21).
c) La jurisprudence a en outre admis le versement d'un intérêt compensatoire en dehors de tout acte ou omission de l'administration, dans le cadre de l'
art. 24 LAA
. Il peut arriver, en effet, que l'indemnité pour atteinte à l'intégrité ne puisse pas être allouée en même temps que la rente d'invalidité (malgré la règle de l'
art. 24 al. 2 LAA
), parce que, au moment de la fixation de la rente, il n'est pas encore possible de se prononcer avec certitude sur les conditions du droit à l'indemnité; en pareille hypothèse, l'assuré peut prétendre un intérêt de 5 pour cent l'an tant et aussi longtemps que la décision est différée (
ATF 113 V 48
).
4.
a) En matière de prévoyance professionnelle, il a été jugé que des intérêts moratoires sont dus en cas de paiement tardif de la prestation de libre passage (
ATF 116 V 112
,
ATF 115 V 35
consid. 8; SZS 1989 p. 214). L'intérêt à servir en première ligne est celui qui découle du règlement de l'institution. A défaut, l'
art. 104 al. 1 CO
est
BGE 119 V 131 S. 134
applicable, ce qui conduit à retenir un taux de 5 pour cent l'an; comme cette règle du code des obligations est de nature dispositive, les statuts peuvent prévoir un taux plus bas (
ATF 117 V 349
).
A vrai dire, il ne s'agit pas d'une exception supplémentaire au principe du non-paiement d'intérêts moratoires en droit des assurances sociales. En effet, avant l'entrée en vigueur de la LPP, il était admis que les employés assurés à une institution de prévoyance étaient liés à celle-ci par un contrat innomé (sui generis), distinct des rapports de travail et d'assurance, le contrat de prévoyance, cette convention étant soumise, notamment, à la partie générale du code des obligations et donc aussi aux
art. 102 ss CO
(
ATF 115 V 37
consid. 8c, 98 consid. 3b et les références citées). Ces dispositions du code des obligations sur la demeure étaient également applicables aux créances à l'encontre des institutions de prévoyance de droit public, en particulier aux créances de rentes et pensions des fonctionnaires (
ATF 93 I 666
; cf. GRISEL, Traité de droit administratif, p. 622; SPAHR, loc.cit., p. 379). Or, la LPP n'a pas remis en cause la réglementation qui, sur ce point, était applicable avant son entrée en vigueur (
ATF 115 V 37
consid. 8c; SZS 1989 p. 214); il n'est pas déterminant, à cet égard, que les rapports juridiques issus de la prévoyance obligatoire selon cette loi, qui reposent pour l'essentiel sur le droit public fédéral, ne soient généralement pas considérés comme étant de nature contractuelle (
ATF 115 V 98
consid. 3b et les références de doctrine citées).
b) Contrairement à l'opinion des premiers juges et de l'intimée, le paiement d'intérêts de retard en matière de prévoyance professionnelle ne saurait se limiter au paiement (tardif) de la prestation de libre passage. Les motifs - tirés de la pratique antérieure et de la nature juridique des relations entre les parties - qui ont conduit le Tribunal fédéral des assurances à allouer des intérêts en cas de demeure dans le paiement de la prestation de libre passage sont aussi valables en ce qui concerne d'autres prestations des institutions de prévoyance, voire en matière de cotisations. La jurisprudence fédérale a, par exemple, mis à la charge d'une institution de prévoyance un intérêt moratoire sur une prestation de vieillesse en capital (arrêt non publié L. du 31 juillet 1992). Dans le domaine de la prévoyance minimale selon la LPP, il a imposé la même obligation à un employeur en demeure pour le paiement de cotisations, lors même qu'aucune disposition statutaire ou réglementaire ne prévoyait le versement d'un intérêt moratoire (cf.
art. 66 al. 2 LPP
; SZS 1990 p. 155, plus spécialement 161 consid. 4). Dans les deux cas, le Tribunal s'est expressément référé aux dispositions du code des obligations.
BGE 119 V 131 S. 135
c) Pour ce qui est de la prestation de libre passage, l'intérêt moratoire est dû à partir du moment où la prestation devient exigible et sans qu'une interpellation de l'assuré créancier soit nécessaire, conformément à l'
art. 102 al. 2 CO
; il est cependant nécessaire que l'avertissement régulier au sens de cette disposition (en l'occurrence la communication par laquelle l'institution de prévoyance est avisée de la cessation prochaine des rapports de travail) contienne les indications nécessaires quant au destinataire du paiement.
Il en va différemment en matière de rentes, pour lesquelles il convient d'appliquer l'
art. 105 al. 1 CO
. Selon cette disposition, le débiteur en demeure pour le paiement d'intérêts, d'arrérages ou d'une somme dont il a fait donation, ne doit l'intérêt moratoire qu'à partir du jour de la poursuite ou de la demande en justice (cf. RJN 1977 I 22 sur la signification du terme "arrérages", rendu en allemand par le mot "Renten" et en italien par le mot "rendite"); la ratio legis de cette disposition est que le créancier, selon l'expérience générale, n'investit pas les prestations en cause pour en tirer des revenus, mais les utilise aux fins d'assurer son entretien (SPAHR, loc.cit., p. 370; WIEGAND, Obligationenrecht I, note 1 ad art. 105).
d) Il en résulte, en l'espèce, que l'intimée est tenue de verser un intérêt moratoire dès le 14 août 1989. Comme ses statuts (ordonnance concernant la Caisse fédérale d'assurance; RS 172.222.1) sont muets à ce sujet, le taux de l'intérêt sera de 5 pour cent l'an. Le jugement entrepris doit être réformé dans ce sens. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
905b5758-6bd7-49cb-b674-b2563c0ed11a | Urteilskopf
117 II 379
70. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. September 1991 i.S. O. gegen Regierung des Kantons Graubünden (Berufung) | Regeste
Aufhebung der Vormundschaft, Anhörung (
Art. 434 ff.,
Art. 374 ZGB
).
Im Verfahren der Aufhebung der Vormundschaft ist der Entmündigte von Bundesrechts wegen anzuhören. | Erwägungen
ab Seite 380
BGE 117 II 379 S. 380
Erwägungen:
2.
Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Bundesverfahrensrecht macht der Berufungskläger geltend, dass er in analoger Anwendung von
Art. 374 ZGB
hätte angehört werden müssen, was indessen nicht geschehen sei.
Nach
Art. 374 Abs. 1 ZGB
darf eine Person wegen Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels oder der Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung nicht entmündigt werden, ohne dass sie vorher angehört worden ist. Wie sich indirekt aus Abs. 2 dieser Bestimmung schliessen lässt, gilt die Anhörungspflicht auch bei der Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche gemäss
Art. 369 Abs. 1 ZGB
, es sei denn, die Anhörung sei aus medizinischen Gründen nicht geboten (
BGE 117 II 134
E. 1,
BGE 109 II 296
E. 2, mit Hinweisen). Dass der Entmündigte auch bei der Aufhebung der Vormundschaft angehört werden müsse, schreibt das Gesetz nicht ausdrücklich vor. Nach
Art. 434 Abs. 1 ZGB
ist die Ordnung des Aufhebungsverfahrens grundsätzlich den Kantonen überlassen. Von Bundesrechts wegen sind diese einzig verpflichtet, im Falle der Aufhebung einer wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche angeordneten Vormundschaft ein Gutachten einzuholen (
Art. 436 ZGB
). Dieser Verpflichtung ist der Regierungsrat im vorliegenden Fall nachgekommen, wobei der Gutachter zum Ergebnis gelangte, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Vormundschaft seien nicht gegeben.
Bereits EGGER hatte indessen die Auffassung vertreten, dass die Anhörung des Entmündigten trotz des Fehlens einer
Art. 374 ZGB
entsprechenden Regelung unerlässlich sei, wenn das Begehren um Aufhebung der Vormundschaft abgelehnt werden soll (N. 4 zu
Art. 436 ZGB
). Ob sich dieser Gehörsanspruch aus dem Bundesprivatrecht oder unmittelbar aus
Art. 4 BV
ergebe, ist freilich nicht klar. Das Bundesgericht hat in einem in ZVW 34/1979 S. 156 ff. publizierten Urteil vom 24. August 1977 offengelassen, ob bei der Aufhebung der Vormundschaft eine bundesrechtliche Anhörungspflicht bestehe. Diese Frage ist deswegen von Bedeutung, weil die Verletzung des sich aus
Art. 4 BV
ergebenden Gehörsanspruchs beim Bundesgericht nicht mit Berufung, sondern nur mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann (
Art. 43 Abs. 1 Satz 2
BGE 117 II 379 S. 381
OG
). In der neueren Lehre wird die analoge Anwendung von
Art. 374 ZGB
im Aufhebungsverfahren befürwortet (RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, S. 102 N. 200; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2. Aufl., S. 273 N. 1012; STRUB, Die Aufhebung der Entmündigung, Diss. Freiburg 1983, S. 150/151; vgl. auch REGOTZ, Das Ende der Bevormundung, Diss. Zürich 1981, S. 154). In der Tat wäre es nicht verständlich, wenn das Bundesrecht für das Aufhebungsverfahren geringere Garantien aufstellen würde als für das Entmündigungsverfahren, obwohl es im wesentlichen um den gleichen Sachverhalt geht. Ob einer Person die Handlungsfähigkeit entzogen oder ob ihr die Wiederherstellung der bereits entzogenen Handlungsfähigkeit verweigert wird, läuft unter dem Gesichtspunkt des Gehörsanspruchs auf dasselbe hinaus. In beiden Fällen dient die Anhörung nicht nur der Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Person, sondern sie bildet auch ein Mittel der von Amtes wegen erfolgenden Erforschungen des Tatbestandes, das der Behörde ein eigenes Urteil über die geistige Verfassung dieser Person und über die Notwendigkeit der Anordnung bzw. der Weiterführung einer vormundschaftlichen Massnahme ermöglichen soll (
BGE 117 II 138
E. 4a,
BGE 113 II 229
E. 6a,
BGE 109 II 296
E. 2; EGGER, a.a.O.). Die Anhörung des Entmündigten erscheint daher auch im Verfahren der Aufhebung der Vormundschaft von Bundesrechts wegen als geboten. Es handelt sich dabei um eine bundesrechtliche Verfahrensvorschrift, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren von Amtes wegen zu prüfen hat, unabhängig davon, ob im kantonalen Verfahren eine entsprechende Rüge erhoben worden ist (
BGE 96 II 16
,
BGE 87 II 131
/132). | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
905ce559-c2a2-468a-b93d-23cdb24849c3 | Urteilskopf
125 III 312
54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Mai 1999 i.S. Beretta gegen Zürich Versicherungs-Gesellschaft (Berufung) | Regeste
Art. 42 OR
. Kapitalisierter Schadenersatz für künftigen Erwerbsausfall; Kapitalisierungszinsfuss.
Entwicklung der Rechtsprechung zum Kapitalisierungszinsfuss (E. 2).
Stellungnahmen in der Lehre (E. 3).
Wirtschaftliches Umfeld (E. 4).
Massgeblichkeit des durchschnittlichen Realertrags (E. 5).
Zumutbare Anlagen (E. 6).
Festhalten am Zinsfuss von 3,5% (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 7). | Erwägungen
ab Seite 313
BGE 125 III 312 S. 313
Aus den Erwägungen:
1.
Im vorliegenden Berufungsverfahren ist einzig noch die Frage streitig, mit welchem Zinssatz der Schaden aus dem künftigen Verdienstausfall des Klägers zu kapitalisieren ist; in allen übrigen Punkten ist das Urteil des Kantonsgerichts unangefochten geblieben. Die Vorinstanz hat auf den Kapitalisierungszinsfuss von 3,5% abgestellt, den das Bundesgericht seit 1946 in konstanter Praxis anwendet. Der Kläger strebt eine Änderung der Rechtsprechung an. Er schlägt vor, den Kapitalisierungszinsfuss auf 1,5%, eventuell auf 2%, subeventuell auf 2,5% zu senken. Die Beklagte steht demgegenüber auf dem Standpunkt, der Satz von 3,5% sei nach wie vor angemessen, weshalb sich eine Praxisänderung nicht rechtfertige.
2.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Kapitalisierung von künftigem Erwerbsausfall reicht weit zurück. Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert berechnete das Bundesgericht den kapitalisierten Schadenersatz unter Anwendung eines Zinssatzes von 3,5% nach den Barwerttafeln, die Charles Soldan im Jahre 1895 vorgelegt hatte (La responsabilité des fabricants et autres chefs d'exploitations industrielles, Lausanne 1895, S. 87 ff., Anhänge II-IV, insbesondere Anhang III: «Table suisse de mortalité pour le sexe masculin»). Vom so ermittelten Betrag nahm es allerdings mit Rücksicht auf die Vorteile, welche die Kapitalabfindung für den Geschädigten hat, im Allgemeinen einen Abzug vor, den es im Regelfall auf 20%, zuweilen aber auch etwas höher oder niedriger ansetzte (vgl.
BGE 25 II 105
E. 3 S. 112 ff.;
BGE 31 II 405
E. 3 S. 410;
BGE 31 II 623
E. 6 S. 630 ff.). In den Jahren 1917 und 1918 erschienen die Barwerttafeln von PAUL PICCARD (Haftpflichtpraxis und Soziale Unfallversicherung, Zürich 1917, S. 146 ff.; Barwerttafeln zur Kapitalisierung von Unfall- und anderen Renten, Bern 1918, S. 9 ff.). Sie enthielten die Zahlen für die Kapitalisierung von auf Mortalität gestellten Annuitäten mit Zinssätzen von 3,5%, 4%, 4,5% oder 5%. Unter Hinweis auf die Ausführungen PICCARDS (a.a.O., Haftpflichtpraxis, S. 124 ff.) entschied sich das Bundesgericht im Jahre 1919 für einen Kapitalisierungszinsfuss von 4,5% (
BGE 45 II 215
ff.). Im Gegenzug gab es die Praxis pauschaler Abzüge für die Vorteile der Kapitalabfindung auf (
BGE 46 II 50
S. 53; vgl. auch
BGE 50 II 190
E. 3 S. 195). In einem Urteil aus dem Jahre 1927 schloss es allerdings angesichts der damaligen Geldmarktverhältnisse solche Abzüge auch bei mit 4,5% kapitalisierten Abfindungen nicht mehr zum Vornherein aus (
BGE 53 II 50
E. 4 S. 53). In der Folge nahm es vereinzelt wiederum Kürzungen von 10% vor (
BGE 54 II 294
E. 4 S. 300,
BGE 125 III 312 S. 314
367 E. 4a S. 371); in anderen Fällen verzichtete es weiterhin darauf (
BGE 53 II 419
E. 3d S. 429;
BGE 56 II 116
E. 5 S. 126). Anfangs der dreissiger Jahre senkte das Bundesgericht den Kapitalisierungszinsfuss auf 4% (PICCARD, A propos du taux de capitalisation, SJZ 29/1932/1933, S. 329 ff., insbes. 331 f.; vgl. auch
BGE 60 II 38
E. 4 S. 48). Zu einer weiteren Senkung des Zinssatzes auf 3,5% oder 3% vermochte es sich 1939 noch nicht zu entschliessen (
BGE 65 II 250
E. 3b S. 256 f.). Im Jahre 1946 kehrte es zum ursprünglichen Kapitalisierungszinsfuss von 3,5% zurück (
BGE 72 II 132
E. 4c S. 134), an dem es seither in ständiger Rechtsprechung festhält. Deren Änderung lehnte es mehrfach ab (so in
BGE 96 II 446
f., in
BGE 113 II 323
E. 3a S. 332 und in
BGE 117 II 609
E. 12b/bb S. 628 f.; siehe auch JdT 1958 I 450 Nr. 73). In einem amtlich nicht publizierten Urteil vom 13. Dezember 1994 (Pra 84/1995, Nr. 172 S. 548 ff.; JdT 1996 I 728) verwarf es die in der Urteilsberatung vorgeschlagene Senkung des Zinssatzes auf 2,5%, zumal sie sich angesichts des Alters der Geschädigten auf die Höhe des Gesamtschadens nicht wesentlich ausgewirkt hätte, so dass sich im zu beurteilenden Fall eine Praxisänderung nicht aufdrängte (vgl. ZBJV 131/1995, S. 39 ff.).
3.
Ein Teil der Lehre beanstandet den Kapitalisierungszinsfuss von 3,5% seit längerer Zeit als zu hoch (PETER STEIN, Die zutreffende Rententafel, SJZ 67/1971, S. 50 f.; derselbe, Die massgebende Rententafel, Juristische Schriften des TCS Nr. 8, Genf 1989, S. 26 ff.; PIERRE GIOVANNONI, Les nouvelles tables de capitalisation de STAUFFER/SCHAETZLE, Revue jurassienne de jurisprudence 1/1991, S. 7 f.; vgl. auch OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 4. Aufl. 1975, S. 223 ff.). Andere Autoren begrüssen demgegenüber die konstante bundesgerichtliche Praxis und treten namentlich mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit für ein Festhalten am Kapitalisierungszinsfuss von 3,5% ein (PAUL SZÖLLÖSY, Der Richter und die Teuerung: Die ausservertragliche Schadenersatzpraxis, ZBJV 112/1976, S. 33 ff., insbes. 35 f.; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 4. Aufl. 1989, S. 327 f. Rz. 1132 ff.; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 5. Aufl. 1995, S. 298 Rz. 150).
Seit Bekanntwerden der Urteilsberatung vom 13. Dezember 1994 (ZBJV 131/1995, S. 39 ff.; dazu auch MARC SCHAETZLE, Neuer Kapitalisierungszinsfuss im Haftpflichtrecht?, ZBJV 131/1995, S. 520 ff.) sind zahlreiche weitere Stellungnahmen veröffentlicht worden. Die Meinungen bleiben weiterhin geteilt. Ein allgemeiner Konsens über den «richtigen» Kapitalisierungszinsfuss vermochte sich nicht herauszubilden. Während verschiedene Autoren sich gegen eine Änderung
BGE 125 III 312 S. 315
des Zinssatzes von 3,5% stellen (ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 1998, S. 45 f.; BREHM, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1998, N. 61 vor
Art. 45 OR
; FELIX HUNZIKER, Zur erneuten Diskussion um den Kapitalisierungszinsfuss im Haftpflichtrecht, ZBJV 131/1995, S. 872 ff.; LUKAS WYSS, Gedanken zum Kapitalisierungszinsfuss bei Invaliditäts- und Versorgerschäden, AJP 1997, S. 848 ff.), schlagen Stephan Weber und Marc Schaetzle auf der Grundlage eines wirtschaftswissenschaftlichen Gutachtens von CHRISTOPH AUCKENTHALER und Andreas Zimmermann (veröffentlicht in AJP 1997, S. 1129 ff.) ein umfassendes neues Berechnungsmodell vor, in dessen Rahmen sie die Senkung des Kapitalisierungszinsfusses auf 2,5% postulieren (WEBER/SCHAETZLE, Von Einkommensstatistiken zum Kapitalisierungszinsfuss oder warum jüngere Geschädigte zu wenig Schadenersatz erhalten und ältere zu viel, AJP 1997, S. 1115 ff.; SCHAETZLE/WEBER, Barwerttafeln, Neue Rechnungsgrundlagen für den Personenschaden, in: Tercier (Hrsg.), Kapitalisierung - Neue Wege, Freiburg 1998, S. 81 ff. und 93 ff.). Dieser Vorschlag hat wiederum verschiedene kritische Reaktionen ausgelöst (LUKAS WYSS, Und nochmals Bemerkungen zur Berechnung von Invaliditäts- und Versorgerschäden, AJP 1998, S. 188 ff.; GUY CHAPPUIS, Les tables de capitalisation, Le calcul des dommages corporels en évolution, in: Kapitalisierung - Neue Wege, vgt., S. 164 f.; BREHM, a.a.O., N. 62 vor Art. 45).
4.
Die Kapitalisierung von künftigem Erwerbsausfall beruht zwangsläufig auf Hypothesen über Entwicklungen, die in der Zukunft liegen. Zu diesen Entwicklungen gehören die künftige Teuerung und die künftigen Kapitalerträge. Für die Frage des angemessenen Kapitalisierungszinsfusses sind demnach nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Gesichtspunkte von Bedeutung. Um sich näheren Aufschluss über das wirtschaftliche Umfeld, insbesondere über Erfahrungswerte zur vergangenen und begründbare Prognosen zur künftig zu erwartenden Teuerungs- und Kapitalertragsentwicklung zu verschaffen, hat die I. Zivilabteilung eine Reihe von Experten befragt. Im Rahmen dieser Befragung haben sich die folgenden Personen und Institutionen geäussert: die Herren Professoren Heinz Müller und Alex Keel (Universität St. Gallen), Baptiste Rusconi (Universität Lausanne) und Gaston Gaudard (Universität Freiburg), das Bundesamt für Sozialversicherung, das Bundesamt für Privatversicherungswesen, die Schweizerische Nationalbank und der Schweizerische Versicherungsverband. Den verschiedenen Stellungnahmen und Äusserungen lässt sich Folgendes entnehmen:
BGE 125 III 312 S. 316
a) In Bezug auf die Teuerung rechnen die Experten allgemein damit, dass die in den letzten Jahren eingetretene Beruhigung weiter anhalten wird, sofern nicht unvorhergesehene Ereignisse neue Teuerungsschübe auslösen. Dabei sind sich die Experten einig, dass der amtliche Index die effektive Teuerung eher überschätzt. Diese Überbewertung der Teuerung beziffert ein vom Bundesamt für Statistik in Auftrag gegebenes Gutachten auf rund 0,5 bis 0,6 Indexpunkte im Jahr. Zur Zeit befindet sich der Landesindex der Konsumentenpreise in Revision. Ab Anfang des Jahres 2000 soll ein neuer Index zur Anwendung kommen, der die tatsächliche Teuerung genauer wiedergeben soll.
b) Die künftige Zinsentwicklung hängt stark davon ab, ob und wieweit die Schweiz ihre Landeswährung an die europäische Einheitswährung anlehnen wird. Da darüber noch keine Klarheit besteht, ist es gerade im heutigen Zeitpunkt besonders schwierig, verlässliche Prognosen zur Zinsentwicklung zu stellen. Nach verbreiteter Ansicht würden sich bei einer Andockung des Schweizer Frankens an den Euro die Zinsen dem europäischen Niveau angleichen und mutmasslich um rund 2% steigen, wobei jedoch gleichzeitig auch die Teuerung eher zunehmen würde. In diesem Zusammenhang weisen die Experten darauf hin, dass die Realzinsen in den Ländern der Europäischen Union eher höher liegen als in der Schweiz.
c) Zu den Erträgen verschiedener Kapitalanlagen nennen die Experten unterschiedliche Zahlen. Nach dem Gutachten Müller/Keel beträgt der - aufgrund der Daten der Jahre 1930 bis 1997 errechnete - durchschnittliche Realertrag bei konservativer Anlagestrategie (10% Geldmarkt, 80% Obligationen, 10% Aktien) 1,65%, bei mittlerer Anlagestrategie (10% Geldmarkt, 60% Obligationen, 30% Aktien) 2,55% und bei aggressiver Anlagestrategie (10% Geldmarkt, 40% Obligationen, 50% Aktien) 3,45%. Das Bundesamt für Privatversicherungswesen geht für einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren davon aus, dass ein gemischtes Portfeuille (10% Geldmarkt, 45% in- und ausländische Obligationen, 45% in- und ausländische Aktien) im Durchschnitt jährlich mit nominal 7-8% rentiert, was teuerungs- und kostenbereinigt einem Realertrag von wohl über 4% entsprechen würde. Die Schweizerische Nationalbank gelangt gestützt auf den Aktienindex des Schweizerischen Bankvereins von Januar 1969 bis Dezember 1997 zu einer durchschnittlichen realen Aktienrendite von 2,26% im Jahr, wobei in der Zeit von 1972 bis 1985 mehrheitlich Verluste, seither mehrheitlich - zum Teil massive - Gewinne zu verbuchen waren. Für risikolose Anlagen rechnet die
BGE 125 III 312 S. 317
Nationalbank langfristig mit einer jährlichen realen Verzinsung von rund 2%. Nach den Angaben des Schweizerischen Versicherungsverbands liegen die durchschnittlichen realen Nettorenditen je nach Durchmischung des Portfeuilles zwischen 2,2 und 4,9%. All diese Berechnungen beruhen im Wesentlichen auf denselben statistischen Unterlagen aus den vergangenen Jahrzehnten. Die unterschiedlichen Resultate erklären sich aus den verschiedenen Beobachtungszeiträumen. Da sich der Aktienmarkt seit Mitte der Achtziger Jahre positiv entwickelt, ergibt sich für Anlagen mit einem massgeblichen Aktienanteil ein umso höherer Realertrag, je kürzer die Zeitachse gewählt und je weniger weit in die Vergangenheit zurückgegriffen wird.
d) Ein ähnliches Bild zeichnet übrigens auch die vorerwähnte, 1997 veröffentlichte Studie von CHRISTOPH AUCKENTHALER und ANDREAS J. ZIMMERMANN. Nach deren auf den Zahlen aus den Jahren 1970 bis 1997 beruhenden Berechnungen beträgt die reale Netto-Rendite eines gemischten Portfeuilles je nach eingegangenem Risiko zwischen 2,12 und 4,07% (AJP 1997, S. 1139).
5.
a) Mit der Ausrichtung von kapitalisiertem Schadenersatz erhält der Geschädigte einen Betrag, den er ohne den Schadenfall erst in Zukunft nach und nach verdient hätte. Er kann diesen Betrag ertragbringend anlegen und erlangt daraus einen Vorteil. Dass bei der Kapitalisierung eine Abzinsung eingerechnet wird, erscheint insofern als eine besondere Form des Vorteilsausgleichs. Dem Vorteil des Kapitalertrags steht aber der Nachteil der künftigen Geldentwertung gegenüber. Das Schadenersatzkapital wirft nicht nur Ertrag ab, sondern unterliegt auch der Teuerung, so dass dem Geschädigten nur die Differenz zwischen Kapitalertrag und Inflationsrate, mithin der reale Ertrag verbleibt. Soweit in früheren Entscheiden ausgeführt wurde, die Geldentwertung sei bei der Kapitalisierung nicht oder nur teilweise zu berücksichtigen (vgl.
BGE 117 II 609
E. 12b/bb S. 628 f.;
BGE 113 II 323
E. 3a S. 332;
BGE 96 II 446
S. 447), kann daran nicht festgehalten werden. Der Geschädigte erhält seinen Schaden aus Erwerbsausfall nicht voll ersetzt, wenn die betragsmässige Steigerung ausser Acht gelassen wird, die sein Einkommen ohne den Schadenfall zufolge Anpassung an den sinkenden Geldwert erfahren hätte. Der Kapitalisierungszinsfuss hat demnach grundsätzlich dem Ertrag zu entsprechen, der sich auf dem Schadenersatzkapital real erzielen lässt.
b) Die Kapitalerträge folgen den Konjunkturschwankungen. Der Kapitalisierungszinsfuss kann jedoch nicht laufend den wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. Andernfalls wären verlässliche
BGE 125 III 312 S. 318
Abschätzungen der Schadenssummen sowohl für die Haftpflichtigen wie für die Geschädigten nicht mehr möglich. Ein variabler Zinssatz würde im Übrigen auch dazu führen, dass die Höhe der zu leistenden Entschädigung im Streitfall unter Umständen durch Prozessverzögerung oder -beschleunigung beeinflusst werden könnte. Solches wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren. Gerade im Bereich des Schadenersatzrechts besteht ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Kalkulierbarkeit. Namentlich die Versicherungs-Gesellschaften sind für die Prämienberechnung darauf angewiesen, den Kapitalbedarf für künftige Schadenereignisse einigermassen zuverlässig veranschlagen zu können. Im Hinblick auf Rechtssicherheit und Praktikabilität verbietet es sich auch, bei der Bestimmung des Kapitalisierungszinsfusses auf die individuellen Verhältnisse der einzelnen Geschädigten Rücksicht zu nehmen (ebenso WEBER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 1118; SCHAETZLE/WEBER, a.a.O., S. 95). Der Umstand, dass nicht jede Person über das gleiche Geschick verfügt, mit Kapitalien umzugehen, hat daher ausser Betracht zu bleiben. Ebensowenig kann berücksichtigt werden, dass die Ertragsmöglichkeiten umso besser sind, je grösser das Schadenskapital und damit das Anlagevolumen, das dem Geschädigten zur Verfügung steht, und der ihm eröffnete zeitliche Anlagehorizont sind (vgl. AUCKENTHALER/ZIMMERMANN, a.a.O., S. 1138 f.). Abzustellen ist auf Durchschnittswerte. Massgebend ist, welcher reale Ertrag auf kapitalisierten Schadenssummen im Durchschnitt der Geschädigten und im Durchschnitt der Jahre und Jahrzehnte erzielt werden kann.
c) In der Lehre ist zum Teil die Forderung erhoben worden, auch den künftigen Reallohnerhöhungen mit dem Kapitalisierungszinsfuss Rechnung zu tragen (PETER STEIN, Die massgebende Rententafel, Juristische Schriften des TCS Nr. 8, Genf 1989, S. 17 f.; kritisch: GIOVANNONI, a.a.O., S. 8 f.; zu den verschiedenen Möglichkeiten, Reallohnerhöhungen generell zu berücksichtigen, vgl. MARC SCHAETZLE, Zur Kapitalisierung von Reallohnerhöhungen, plädoyer 5/1991, S. 42 ff.). Die Reallohnentwicklungen sind jedoch in den einzelnen Branchen und Bereichen möglicher Erwerbstätigkeit sehr unterschiedlich. Die individuelle Einkommensentwicklung hängt zudem stark vom Alter des Geschädigten ab (vgl. SCHAETZLE, a.a.O., S. 43 f.; WEBER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 1113 f.; SCHAETZLE/WEBER, a.a.O., S. 54). Die Praktikabilität gebietet es, bei der Festsetzung des Kapitalisierungszinsfusses nur jene Elemente zu berücksichtigen, die für alle Fälle künftiger Einkommenseinbussen gleich
BGE 125 III 312 S. 319
sind. Weiteren Umständen ist im Einzelfall auf andere Weise Rechnung zu tragen. Vorliegend haben die kantonalen Gerichte die reale Entwicklung des dem Kläger entgangenen Einkommens konkret geschätzt. Gegen dieses Vorgehen ist nichts einzuwenden.
6.
Der auf längere Sicht durchschnittlich erzielbare Realertrag ist von der Anlagestruktur abhängig. Es gibt ertragreichere und weniger ertragreiche Anlagen. Höher rentierende Anlagen sind allerdings regelmässig auch mit höheren Risiken verbunden. Damit stellt sich die Frage, welche Anlageformen und welche Anlagerisiken einem Geschädigten zugemutet werden dürfen und müssen. In diesem Zusammenhang ist Folgendes von Bedeutung:
a) Auf ein Leben ohne jedes finanzielle Risiko können Geschädigte, die für künftigen Erwerbsausfall eine Kapitalabfindung verlangen, nicht Anspruch erheben. Gewisse Anlagerisiken sind ihnen durchaus zuzumuten. Das rechtfertigt sich schon deshalb, weil auch voll erwerbstätige Personen erheblichen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt sind, insbesondere jenem der Arbeitslosigkeit. Auf der anderen Seite darf nicht vorausgesetzt werden, dass durchschnittliche Geschädigte in der Lage wären, besonders günstige Börsengeschäfte zu tätigen. Kapitalabfindungen sind grundsätzlich für den laufenden Verzehr bestimmt, so dass vorauszusetzen ist, dass die geschädigte Person dauernd - und so lange sie lebt - auf das Kapital und auf dessen Ertrag angewiesen ist, weshalb sie in Zeiten niedriger Börsenkurse nicht einfach auf die Auflösung von Anlagen verzichten und abwarten kann, bis sich die Märkte wieder erholt haben. Besonders risikoreiche und auf längere Sicht entsprechend gewinnträchtige Anlagen kommen deshalb nicht in Frage.
b) Das mit bestimmten, längerfristig ertragreicheren Anlagen, insbesondere mit Aktien, verbundene Risiko lässt sich allerdings mit einer angemessenen Diversifikation begrenzen. Es liegt nahe, der Ertragsschwäche risikoarmer Anlagen mit einem angemessenen Aktienanteil zu begegnen. Bundesanleihen sind entgegen dem, was der Kläger anzunehmen scheint, nicht die einzig zumutbaren Anlagen. Mit einem vernünftig gemischten, auf eine vorsichtige Anlagestrategie ausgerichteten Portefeuille lässt sich einerseits eine Risikoverteilung und damit ein Risikoausgleich schaffen, anderseits im Durchschnitt ein besserer Ertrag erwirtschaften. Diese Erkenntnis setzt sich denn in der Schweizer Bevölkerung auch mehr und mehr durch. Eine einseitige Anlehnung des Kapitalisierungszinsfusses an den Realzins der Bundesobligationen rechtfertigt sich deshalb nicht. Es ist notorisch, dass das Anlageverhalten der nicht institutionellen
BGE 125 III 312 S. 320
Anleger und namentlich auch der sogenannten Kleinsparer sich in den letzten Jahren entscheidend verändert hat. An die Stelle der herkömmlichen Sparguthaben und Kassenobligationen sind ertragreichere Anlageformen getreten. Verbreitet sind heute insbesondere Investitionen in Anlagefonds. Die Anzahl schweizerischer Anlagefonds ist von 1993 bis 1998 von 240 auf 356 gestiegen, ihr Vermögen in der gleichen Zeitspanne von rund 58,1 auf rund 107,4 Milliarden Franken angewachsen, und der Mittelzufluss an sie hat von 21,8 Milliarden Franken im Jahre 1993 auf 38,5 Milliarden Franken im Jahre 1998 zugenommen (Schweizerische Nationalbank, Statistisches Monatsheft 3/1999, S. 64). Anlagefonds erlauben breiten Bevölkerungskreisen den kostengünstigen Zugang zu den Kapitalmärkten und die Teilnahme an professionell verwalteten Vermögen. Entsprechende Anlagen sind auch Geschädigten zumutbar.
c) Das Gesetz äussert sich nicht dazu, ob Personenschaden in der Form eines Kapitals oder einer Rente zu ersetzen ist; es überlässt den Entscheid dem Richter (
Art. 43 OR
). Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung regelmässig der Kapitalabfindung den Vorzug gegeben und ist davon ausgegangen, dass Renten nur ganz ausnahmsweise dann zuzusprechen sind, wenn die Besonderheiten des Einzelfalls es rechtfertigen (
BGE 117 II 609
E. 10c S. 625 f., mit Hinweisen). Diese Praxis bedarf der Überprüfung. Die Rente ist an sich die geeignete Form des Ausgleichs von Dauerschäden. Die geschädigte Person erhält mit einer an den Lohn- oder Teuerungsindex angepassten Rente den Ausfall so, wie sie ihn erleidet, und solange, wie sie ihn erleidet, ersetzt (KELLER, a.a.O., S. 43; STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 225 Rz. 589; BREHM, a.a.O., N. 8 zu
Art. 43 OR
; OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 321 Rz. 218). Das Rückstellungsproblem, das damit für Haftpflichtige und Versicherungen entsteht, erscheint durchaus lösbar (WALTER GRESSLY, Schadenersatz in Form einer indexierten Rente?, Collezione Assista 1998, S. 250 f.; PIERMARCO ZEN-RUFFINEN, Le mensonge du nominalisme ou quelques réflexions sur l'indexation des rentes alimentaires et des rentes indemnitaires, in: FS Jeanprêtre 1982, S. 153 f.). Jedenfalls wird man die Unwägbarkeiten der Entwicklung des Geldwerts eher dem Haftpflichtigen oder seiner Versicherung als dem Geschädigten anlasten dürfen. Kapitalabfindungen haben zwar ebenfalls ihre Vorteile, insbesondere auch jenen der Praktikabilität (STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 225 Rz. 583 ff.; TERCIER, La capitalisation en question, in: Kapitalisierung - Neue Wege, vgt., S. 33; BREHM, a.a.O., N. 10 und 14 ff. zu
Art. 43 OR
). Das ist indessen kein Grund, anderslautende
BGE 125 III 312 S. 321
Begehren von Geschädigten ohne weiteres zu übergehen und künftigen Erwerbsausfall grundsätzlich nur in Kapitalform zu ersetzen. Wenn die geschädigte Person eine indexierte Rente beansprucht, ist ihr diese Form des Schadenersatzes zumindest im Regelfall nicht zu verweigern. Steht ihr aber grundsätzlich die Wahl zu, so kann sie - oder ihr gesetzlicher Vertreter - eigenverantwortlich bestimmen, ob sie einer langfristig wertsicheren Rente oder einer sofort verfügbaren Kapitalabfindung den Vorzug gibt. Die indexierte Rente erlaubt es dem Geschädigten, periodischen Ersatz seines realen Einkommensausfalls zu erhalten und damit seinen Lebensunterhalt langfristig sicherzustellen. Wählt er hingegen - wie im vorliegenden Fall der Kläger - die Kapitalabfindung, so ist ihm zuzumuten, sich im Rahmen des bei geeigneter Anlage erzielbaren Realertrags selbst gegen die Geldentwertung abzusichern.
7.
Die Änderung einer Rechtsprechung rechtfertigt sich nur, wenn sich dafür hinreichend ernsthafte Gründe anführen lassen. Das gilt namentlich, wenn diese Rechtsprechung während mehrerer Jahrzehnte konstant befolgt worden ist (
BGE 120 II 137
E. 3f S. 142, mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 122 I 57
E. 3c/aa S. 59). Die Gründe, die gegen die bisherige Praxis und zugunsten einer neuen Betrachtungsweise sprechen, müssen insgesamt gewichtiger sein als die nachteiligen Auswirkungen, welche die Praxisänderung insbesondere auf die Rechtssicherheit hat (THOMAS PROBST, Die Änderung der Rechtsprechung, Diss. St. Gallen 1992, S. 664). Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im Bereich der Schadenskalkulation besonders ausgeprägt ist (E. 5b hievor). Die bisherige, langjährige Rechtsprechung ist deshalb nur zu ändern, wenn hinreichend sichere Anzeichen dafür bestehen, dass ein Realertrag von 3,5% auf Kapitalabfindungen in absehbarer Zukunft nicht realisierbar ist, und sich mit hinreichender Gewissheit sagen lässt, dass der seit 1946 geltende Kapitalisierungszinsfuss mit dem Grundsatz des vollen Schadensausgleichs nicht zu vereinbaren ist.
In Würdigung der Aussagen der Experten ist davon auszugehen, dass ein realer Ertrag von 3,5% jedenfalls seit Mitte der achtziger Jahre im Rahmen dessen liegt, was sich mit einem angemessen gemischten Wertschriften-Portefeuille oder mit Anteilen an einem auf eine vorsichtige Anlagestrategie ausgerichteten Anlagefonds erzielen lässt. Dafür, dass sich die derzeitige Ertragslage solcher Anlagen in absehbarer Zukunft nicht mehr werde halten können, bestehen keine hinreichend gesicherten Anhaltspunkte. Eine Praxisänderung ist deshalb nicht angezeigt. Am Kapitalisierungszinsfuss
BGE 125 III 312 S. 322
von 3,5% ist festzuhalten. Ein entsprechender Realertrag erscheint mit zumutbaren Anlagen erreichbar. Die zu 3,5% kapitalisierte Abfindung, welche die Vorinstanz dem Kläger zugesprochen hat, bietet ihm vollen Ersatz seines Schadens aus Erwerbsausfall. Die Berufung erweist sich als unbegründet. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
905fe3ef-9f79-4ca9-b5ec-4d9458f9fddc | Urteilskopf
136 III 379
57. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. NML Capital Ltd. und EM Limited gegen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und Betreibungsamt Basel-Stadt (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_360/2010 vom 12. Juli 2010 | Regeste
Arrestbewilligung und Arrestvollzug (
Art. 271 ff. und 275 SchKG
); Immunität der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Abkommen vom 10. Februar 1987 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zur Regelung der rechtlichen Stellung der Bank in der Schweiz); Rechtsweggarantie (
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
,
Art. 29a BV
).
Überprüfbarkeit des Arrestbefehls im Arrestvollzug (E. 3).
Der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich anvertraute Werte ebenso wie Ansprüche gegen die Bank können ohne deren ausdrückliche vorherige Zustimmung nicht mit Arrest belegt werden. Vereinbarkeit mit der Rechtsweggarantie (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 380
BGE 136 III 379 S. 380
A.
A.a
Auf Begehren der NML Capital Ltd., mit Sitz in George Town/Cayman Islands, erliess der Arrestrichter Basel-Stadt am 5. November 2009 gestützt auf
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG
("Schuldner im Ausland") einen Arrestbefehl gegenüber der Republik Argentinien für die Forderungssumme von Fr. 290'564'577.- nebst Zinsen (Arrestbefehl Nr. 2009/217). Am gleichen Tag erliess der Arrestrichter auf Begehren der EM Limited, ebenfalls mit Sitz in Cayman Islands, einen weiteren Arrestbefehl gegenüber der Republik Argentinien für die Forderungssumme von Fr. 741'079'460.- nebst Zinsen (Arrestbefehl Nr. 2009/218). Als Grund der Forderung werden die Urteile Nr. 03 Civ. 8854 bzw. Nr. 03 Civ. 2507 des United States District Court, Southern District of New York, genannt. Als Arrestgegenstände werden in beiden Arrestbefehlen die bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel auf den Namen der Republik Argentinien oder der Zentralbank der Republik Argentinien lautenden Guthaben in in- oder ausländischer Währung, Forderungen, Wertschriften (Aktien, Obligationen, Schuldbriefe) sowie Barmittel aufgeführt.
A.b
Mit Anzeigen vom 5. November 2009 teilte das mit dem Arrestvollzug beauftragte Betreibungsamt des Kantons Basel-Stadt der BIZ die Zahlungs- und Verfügungssperren (gemäss
Art. 98 und
Art. 99 SchKG
) mit.
B.
B.a
Mit Eingaben vom 6. und 13. November 2009 wies die BIZ das Betreibungsamt und die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt darauf hin, dass sie eine internationale
BGE 136 III 379 S. 381
Organisation mit Sitz in Basel sei. Gestützt auf das Sitzabkommen aus dem Jahre 1987 sei sie von jeglicher Massnahme der Vollstreckung in der Schweiz befreit. Diese Befreiung erstrecke sich insbesondere auf die der BIZ anvertrauten Werte. Beim Arrestrichter erhob die BIZ keine Einsprache.
B.b
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Direktion für Völkerrecht, gelangte mit Schreiben vom 26. November/24. Dezember 2009 an die Aufsichtbehörde und bestätigte, dass die BIZ in der Schweiz Immunität für die eigenen und die ihr anvertrauten Vermögenswerte geniesse. Eine Meinungsverschiedenheit über die Immunität der BIZ sei gemäss Sitzabkommen durch Verhandlungen zwischen der Schweiz und der BIZ, allenfalls durch ein Schiedsgericht, jedoch nicht durch die Betreibungsbehörden zu entscheiden.
B.c
Die NML Capital Ltd. und die EM Limited antworteten mit Eingaben vom 30. November 2009/1. Februar 2010 der Aufsichtsbehörde, dass die Berufung auf die Immunität zweckwidrig bzw. missbräuchlich sei. Es sei bekannt, dass die Republik Argentinien nach der Einstellung ihrer Zahlungen über die von der Regierung abhängige Zentralbank Gelder in Milliardenhöhe bei der BIZ deponiert habe, um das Staatsvermögen dem Zugriff von Gläubigern aus Staatsanleihen zu entziehen. Sie hätten zudem Anspruch auf Zugang zu einem Gericht, welches über die Immunität entscheide.
C.
Mit Urteil vom 23. April 2010 stellte die kantonale Aufsichtsbehörde die Nichtigkeit der beiden Arrestbefehle (Nr. 2009/217 und Nr. 2009/218) vom 5. November 2009 fest.
D.
Die NML Capital Ltd. und die EM Limited führen mit Eingabe vom 10. Mai 2010 Beschwerde in Zivilsachen. Die Beschwerdeführerinnen beantragen dem Bundesgericht, das Urteil der kantonalen Aufsichtsbehörde aufzuheben und festzustellen, dass die beiden Arrestbefehle des Arrestrichters Basel-Stadt sowie die Anzeigen des Betreibungsamtes Basel-Stadt gültig seien. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, ferner seien lediglich die Anzeigen des Betreibungsamtes für nichtig zu erklären. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Auszug)
BGE 136 III 379 S. 382
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt der Arrestvollzug durch das Betreibungsamt. Die Beschwerdeführerinnen stellen die Kompetenz der Aufsichtsbehörde zur Prüfung und Feststellung der Nichtigkeit der Arrestbefehle in Frage.
3.1
Nach der Rechtsprechung fallen sämtliche Rügen, welche die materiellen Voraussetzungen des Arrestes zum Gegenstand haben, namentlich solche, die das Eigentum oder die Inhaberschaft an den zu arrestierenden Gegenständen oder mit denen Rechtsmissbrauch geltend gemacht wird, in die Zuständigkeit des Einspracherichters gemäss
Art. 278 SchKG
(
BGE 129 III 203
E. 2.2 und 2.3 S. 206 f.). Das Betreibungsamt hat einen Arrestbefehl daher grundsätzlich zu vollziehen, ohne die materiellen Voraussetzungen des Arrestes zu überprüfen. Nur wenn sich der Arrestbefehl als unzweifelhaft nichtig erweist, muss der Vollzug verweigert werden, denn der Vollzug eines nichtigen Befehls wäre nach
Art. 22 SchKG
ebenfalls nichtig (
BGE 129 III 203
E. 2.3 S. 207; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, § 51 Rz. 49 und 51).
3.2
Im kantonalen Verfahren hat sich die Beschwerdegegnerin auf ihre staatsvertraglich gewährte Immunität und die Befreiung der ihr anvertrauten Vermögenswerte von Vollstreckungsmassnahmen berufen. Auch mit Bezug auf die Immunität gilt, dass grundsätzlich der Arrestrichter, gegebenenfalls nach Neuüberprüfung im Rahmen des Einspracheverfahrens gegen den Arrestbefehl, zuständig ist, über die Zulässigkeit des Arrestes zu befinden, es sei denn, die Verletzung von Regeln über die Immunität bzw. des Völkerrechts sei für das Betreibungsamt offensichtlich (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 51 Rz. 50; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 4. Aufl. 2005, Rz. 2790 zweites Lemma; REISER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 1998, N. 34 zu
Art. 275 SchKG
). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen liegt demnach keine Rechtsverletzung vor, wenn die Aufsichtsbehörde sich zuständig erachtet hat, den Arrestbefehl mit Blick auf eine offensichtliche Verletzung von staatsvertraglichen Regeln über die Immunität der Beschwerdegegnerin zu prüfen. Insoweit ist die Beschwerde unbegründet.
4.
Die Beschwerdeführerinnen bestreiten im Wesentlichen, dass sich die Beschwerdegegnerin im Arrestverfahren gegenüber der
BGE 136 III 379 S. 383
Republik Argentinien auf die eigene Immunität als internationale Organisation berufen kann. Jedenfalls hätten sie Anspruch auf Zugang zu einem Gericht, welches über den behaupteten rechtsmissbräuchlichen Einsatz der Immunität der Beschwerdegegnerin zu entscheiden habe.
4.1
Zu Recht ist unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin eine internationale Organisation ist (SEIDL-HOHENVELDERN/LOIBL, Das Recht der Internationalen Organisationen, 7. Aufl. 2000, Rz. 3201). Im zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich abgeschlossenen Abkommen vom 10. Februar 1987 zur Regelung der rechtlichen Stellung der Bank in der Schweiz (SR 0.192.122.971.3; im Folgenden: Sitzabkommen) anerkennt die Schweiz (in Art. 1) die internationale Rechtspersönlichkeit der Beschwerdegegnerin. Im SchKG sind die völkerrechtlichen Verträge vorbehalten (
Art. 30a SchKG
). Für die Schweiz ergibt sich damit der Umfang der Immunität der Beschwerdegegnerin in erster Linie aus dem Sitzabkommen (KREN KOSTKIEWICZ, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, 1998, S. 94; zur Auslegung vgl. COMBACAU/SUR, Droit international public, 8. Aufl. 2008, S. 179 f.).
4.2
Im Sitzabkommen regelt Art. 4 die Befreiung der Beschwerdegegnerin von der Gerichtsbarkeit und von Massnahmen der Vollstreckung (im authentischen Text) wie folgt:
"1. La Banque bénéficie de l'immunité de juridiction, sauf:
a) dans la mesure où cette immunité a été formellement levée pour des cas déterminés par le Président, le Directeur général ou par leurs représentants dûment autorisés;
b) dans le cas d'actions civiles ou commerciales découlant de transactions bancaires ou financières, intentées par des cocontractants de la Banque, sous réserve des cas pour lesquels des dispositions d'arbitrage ont ou auront été prises;
c) dans le cas d'actions en responsabilité civile intentées contre la Banque pour dommage causé par tout véhicule lui appartenant ou circulant pour son propre compte.
2. Les litiges opposant, en matière de rapports de service, la Banque à ses fonctionnaires, anciens fonctionnaires ou à leurs ayants droit sont jugés par le Tribunal administratif de la Banque. (...)
3. La Banque bénéficie sur ses biens et avoirs, où qu'ils se trouvent et quels qu'en soient les détenteurs, de l'immunité d'exécution (notamment à l'égard de toute mesure de saisie, séquestre, blocage ou d'autres
BGE 136 III 379 S. 384
mesures d'exécution forcée ou de sûreté et, en particulier, de séquestre au sens du droit suisse), sauf: (...).
4. Les dépôts confiés à la Banque, toute créance sur la Banque, ainsi que les actions émises par la Banque, où qu'ils se trouvent et quels qu'en soient les détenteurs, ne pourront faire l'objet, sauf accord exprès préalable de la Banque, d'aucune mesure d'exécution (notamment de saisie, séquestre, blocage ou d'autres mesures d'exécution forcée ou de sûreté et, en particulier, de séquestre au sens du droit suisse)."
Nach dem Wortlaut des Sitzabkommens "geniesst die Bank Befreiung von jeglicher Gerichtsbarkeit" (Art. 4 Abs. 1 lit. a Ingress) und "können die der Bank anvertrauten Werte ebenso wie Ansprüche jeder Art gegen die Bank (...) nicht mit Vollstreckungsmassnahmen belegt werden, namentlich können sie nicht gepfändet, mit Arrest belegt, gesperrt oder mit anderen Zwangsvollstreckungs- oder Sicherungsmassnahmen, insbesondere nicht mit Arrest im Sinne des schweizerischen Rechts belegt werden" (Art. 4 Abs. 4). Im gleichen Sinne sind Immunitätsrechte bereits in Art. 10 des Abkommens vom 20. Januar 1930 über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (SR 0.192.122.971), in Art. 1 des Protokolls vom 30. Juli 1936 über die Immunitäten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (SR 0.192.122.971.1) sowie in Art. 55 der Statuten der Bank vom 20. Januar 1930 (in der Fassung vom 27. Juni 2005) zugrunde gelegt.
4.2.1
Die Beschwerdegegnerin kann - wie die Vorinstanz festgehalten hat - nach den Bestimmungen im Sitzabkommen wohl ihre Zustimmung zum Arrest erteilen. Ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung ("sauf accord exprès préalable") der BIZ können Werte, die ihr anvertraut worden sind, hingegen nicht mit Arrest belegt werden (Art. 4 Abs. 4 des Sitzabkommens). Dass hier die vorherige Zustimmung der Bank zur Verarrestierung von ihr anvertrauten argentinischen Werten vorliegt, ist weder festgestellt noch behauptet. Es ist offensichtlich unzutreffend (
Art. 105 Abs. 2 BGG
), wenn die Aufsichtsbehörde angenommen hat, die Zustimmung zum Arrest bzw. der Verzicht auf die Immunität sei offen. Die Beschwerdeführerinnen rügen zu Recht, bereits aus den kantonalen Akten gehe hervor, dass der Verzicht auf die Immunität von Seiten der Beschwerdegegnerin unmittelbar nach Empfang der Zahlungs- und Verfügungssperren gerade verweigert wird. Dies betont auch die Beschwerdegegnerin. Insoweit sind die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen zu berichtigen. Es steht fest, dass die Beschwerdegegnerin zu
BGE 136 III 379 S. 385
keinem Zeitpunkt - weder vorgängig noch nachträglich - die Zustimmung zur Verarrestierung der ihr anvertrauten argentinischen Werte gegeben hat.
4.2.2
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Anzeige des Arrestes (gemäss
Art. 99 SchKG
) an den Schuldner des Betriebenen (Drittschuldner) sei allgemein keine Gültigkeitsvoraussetzung des Arrestes (dazu
BGE 101 III 65
E. 6 S. 67; GILLIÉRON, a.a.O., Rz. 2275), weshalb der vorliegende Arrest zulässig sei. Dieses Argument geht fehl. Die Beschwerdegegnerin geniesst Gerichts- und Vollstreckungsimmunität. Aus den Bestimmungen im Sitzabkommen geht hervor, dass die der Beschwerdegegnerin anvertrauten Werte bzw. die Einlagen der Zentralbanken keine tauglichen Vollstreckungsobjekte darstellen und die Beschwerdegegnerin als Drittschuldnerin in der Schweiz nicht auf dem Zwangsvollstreckungsweg belangt werden kann (WENCKSTERN, Die Immunität internationaler Organisationen, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. II/1, 1994, Rz. 842; SZODRUCH, Staateninsolvenz und private Gläubiger, 2008, S. 391; DOMINICÉ, L'immunité des organisations internationales, in: Recueil des Cours, Académie de droit international [im Folgenden: Recueil], 1984, Bd. IV, S. 208). Da die der Beschwerdegegnerin anvertrauten Werte bzw. die Einlagen der Zentralbanken nicht mit Arrest nach schweizerischem Recht belegt werden können, ist sie insoweit von gerichtlichen und amtlichen Zwangsmassnahmen (WENCKSTERN, a.a.O., Rz. 842), d.h. von Anordnungen des Arrestrichters und des vollziehenden Betreibungsamtes befreit. Vorliegend hat sich im Arrestvollzug bzw. Verfahren vor der Aufsichtsbehörde ergeben, dass die Beschwerdegegnerin zu keinem Zeitpunkt die Zustimmung zur Verarrestierung der ihr anvertrauten argentinischen Vermögenswerte und Guthaben gegeben hat. Die Beschwerdegegnerin kann jedoch nicht gezwungen werden, Arresteinsprache zu erheben und im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, dass sie durch den Arrest in ihren Rechten bzw. ihrer Immunität betroffen sei. Aus diesem Grund musste die Aufsichtsbehörde feststellen, dass dem Arrestrichter die Befugnis gefehlt hat, die Beschlagnahme der Guthaben der Republik Argentinien bzw. der argentinischen Zentralbank bei der Beschwerdegegnerin oder anderer ihr anvertrauter Werte zu befehlen. Ebenso wenig ist es dem Betreibungsamt erlaubt, den entsprechenden Befehl durch Verfügungs- und Zahlungsverbote zu vollziehen. Die Aufsichtsbehörde hat die Arrestbefehle und deren Vollzug durch das Betreibungsamt
BGE 136 III 379 S. 386
mit Blick auf die Immunitätsbestimmungen im Sitzabkommen zu Recht als offensichtlich unwirksam betrachtet.
4.3
Die Beschwerdeführerinnen wenden ein, dass die im Sitzabkommen gewährte Immunität der Beschwerdegegnerin auf die Funktion bezogen sei; diese Voraussetzung zur Immunität sei für die Vermögenswerte Argentiniens nicht erfüllt.
4.3.1
Nach herrschender Auffassung geniesst ein Staat für seine Hoheitsakte (acta iure imperii) Immunität und unterliegt er für seine nichthoheitlichen Akte (acta iure gestionis) der Gerichtsbarkeit und Zwangsgewalt des anderen Staates. Hingegen geniessen internationale Organisationen für alle ihre Handlungen Immunität. Die grundsätzlich absolute Immunität erklärt sich daraus, dass infolge des funktionellen Charakters der Rechtspersönlichkeit einer internationalen Organisation alle ihre Handlungen eng mit ihrem Organisationszweck in Verbindung stehen müssen (
BGE 130 I 312
E. 2 S. 321;
BGE 118 Ib 562
E. 1b S. 564; Urteil des Bundesgerichts 4C.518/1996 vom 25. Januar 1999 E. 4b und c, teilweise publ. in: SZIER 2000 S. 642 f.; MULLER, International Organizations and their Host States, 1995, S. 151 ff.; SEIDL-HOHENVELDERN/LOIBL, a.a.O., Rz. 1908). Organisationszweck der Beschwerdegegnerin ist gemäss Art. 3 ihrer Statuten, die Zusammenarbeit der Zentralbanken zu fördern, neue Möglichkeiten für internationale Finanzgeschäfte zu schaffen und als Treuhänder (Trustee) oder Agent bei den ihr auf Grund von Verträgen mit den beteiligten Parteien übertragenen internationalen Zahlungsgeschäften zu wirken. Die Entgegennahme von Vermögenswerten von Zentralbanken durch die Beschwerdegegnerin entspricht demnach ihrem eigentlichen Zweck (vgl. auch Art. 21 lit. j der Statuten der Bank).
4.3.2
Die Beschwerdeführerinnen gehen von den Erwägungen der Vorinstanz aus, wonach zu prüfen sei, ob der Schutz einer internationalen Organisation vor Drittschuldnerpfändungen im Einzelfall wirklich erforderlich sei, um die Funktionsfähigkeit zu sichern. Häufig sei die Aufrechterhaltung der Immunität funktional nicht notwendig, weil eine internationale Organisation im Fall der Durchführung einer Drittschuldnerpfändung nur geringen Belastungen ausgesetzt sei (mit Hinweis auf TAUCHMANN, Die Immunität internationaler Organisationen gegenüber Zwangsvollstreckungsmassnahmen, 2005, S. 243 ff.). Dies kommt durchaus in den Bundesgerichtsurteilen 5P.464/1994 vom 22. Juni 1995 und 5P.156/2003 vom 7. Juli 2003
BGE 136 III 379 S. 387
(mit Hinweis auf
BGE 74 III 1
S. 4) - auf welche sich die Beschwerdeführerinnen berufen - zum Ausdruck (vgl. DOMINICÉ, a.a.O., S. 210). In diesen Fällen haben sich die betroffenen internationalen Organisationen den Dienstlohnpfändungen allerdings nicht widersetzt und hat sich das Bundesgericht nicht dazu geäussert, welche Auswirkungen sich für eine internationale Organisation ergeben können, wenn sie Schuldnerin des Betriebenen ist (vgl. TAUCHMANN, a.a.O., S. 153 ff.).
4.3.3
Mit der Belastung durch Pfändung bzw. Arrest für Dienstlohn lässt sich der hier erwirkte Arrest offensichtlich nicht vergleichen. Die Beschwerdegegnerin, welche als Bank der Zentralbanken dient und hierfür die Annahme von Einlagen der Zentralbanken vorsieht, wäre bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zweifellos im Kern betroffen, wenn die Guthaben einer Zentralbank in Milliardenhöhe verarrestiert oder die ihr anvertrauten Werte und Einlagen mit einem hoheitlichen Verfügungs- bzw. Zahlungsverbot belegt würden. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerinnen vermögen ihre Ausführungen zur funktionalen Notwendigkeit die im Sitzabkommen - mit klarem Wortlaut - gewährte absolute Immunität der Beschwerdegegnerin nicht in Frage zu stellen, sondern bestätigen vielmehr deren Notwendigkeit.
4.4
Sodann behaupten die Beschwerdeführerinnen, dass die im Sitzabkommen gewährte Immunität der Beschwerdegegnerin diese nicht vor dem Rechtsmissbrauch der Republik Argentinien und deren völkerrechtlich unerlaubten Handlung zu schützen vermöge.
4.4.1
Die Beschwerdeführerinnen stützen sich auf die Auffassung, wonach in massiven Vermögensverschiebungen eines Schuldnerstaates auf Konten der BIZ im Rahmen des Staatsnotstandes ein Verstoss gegen das völkerrechtliche Wohlverhaltensgebot zu erkennen sei, da entgegen dem Gebot transparenten Verhaltens die tatsächliche Vermögenslage des Schuldnerstaates verschleiert werde (vgl. SZODRUCH, a.a.O., S. 391). Weiter gibt die Insolvenz Argentiniens Anlass zu breiter Diskussion, wobei das Verhalten Argentiniens auch kritisch kommentiert wird (vgl. SZODRUCH, a.a.O., S. 116 ff. und 391 mit Hinweisen).
4.4.2
Die Vorinstanz hat zu Recht die Frage gestellt, wer überhaupt berechtigt sei, darüber zu entscheiden, ob die Immunität der Beschwerdegegnerin missbräuchlich benützt wird. Wenn nationale Gerichte darüber entscheiden können, welche Aktivitäten einer
BGE 136 III 379 S. 388
internationalen Organisation mit Blick auf das Funktionieren der Aufgabenerfüllung unbedingt notwendig oder gegenteils rechtsmissbräuchlich sind, so ist deren Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit in Frage gestellt (vgl. LALIVE, L'immunité de juridiction des Etats et des organisations internationales, in: Recueil, a.a.O., 1953, Bd. III, S. 311; REINISCH, International Organizations Before National Courts, 2000, S. 242). Aus diesem Grund und zur Vermeidung einer völkerrechtswidrigen Entscheidung über die Immunität ist die Ansicht der internationalen Organisation für den nationalen Richter massgeblich (vgl. WENCKSTERN, a.a.O., Rz. 270 und 482). Nichts anderes sieht das Sitzabkommen vor. Allerdings verweigert die Beschwerdegegnerin die Zustimmung zur Aufhebung der Immunität.
4.4.3
Über die Verhinderung eines allfälligen Missbrauchs von im Sitzabkommen vorgesehenen Immunitäten entscheiden die Beschwerdegegnerin und die schweizerischen Behörden in Zusammenarbeit (Art. 22), und im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Anwendung und Auslegung des Abkommens erfolgen direkte Verhandlungen (Art. 27 Abs. 1), was auf eine politische Einigung hinzielt. Bei Meinungsverschiedenheiten sind im Sitzabkommen (Art. 27 Abs. 1 und 2) rechtliche Verfahren vorgesehen, wonach die Vertragsparteien das Schiedsgericht (nach Art. 11 des erwähnten Abkommens vom 20. Januar 1930) oder ein ad-hoc-Schiedsgericht anrufen können. Diese Instanzen entscheiden darüber, ob der Beschwerdegegnerin im konkreten Fall Immunität zusteht oder nicht. Auch aus Art. 23 lit. a des Sitzabkommens lässt sich keine Kompetenz der Vorinstanz zum Entscheid über die Immunität ableiten, sondern legt diesen - wie im angefochtenen Entscheid zu Recht festgehalten wird - in die Zuständigkeit der Beschwerdegegnerin, in Fällen der Immunität nach Art. 4 Abs. 1 zweckdienliche Massnahmen zur Beilegung von Streitigkeiten zu treffen. Die Aufsichtsbehörde hat im Ergebnis daher zu Recht nicht über die Meinungsverschiedenheit zwischen den Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdegegnerin betreffend deren Immunität entschieden.
4.5
Die Beschwerdeführerinnen machen schliesslich eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 29a BV
bzw. ihrer Rechtsschutzgarantie geltend, weil weder die Vorinstanz noch ein anderes Gericht über die Wirksamkeit der Immunität der Beschwerdegegnerin entscheide. Nach dem Sitzabkommen (Art. 4 Abs. 1 lit. b und c sowie Abs. 2) sind für verschiedene Arten von Streitigkeiten (mit Vertragspartnern der Bank betreffend Bank- und Finanzgeschäfte,
BGE 136 III 379 S. 389
wegen Fahrzeugunfällen oder Dienstverhältnissen) die Verfahren vor den staatlichen oder organisationsinternen Instanzen vorgesehen. Hingegen haben die Beschwerdeführerinnen - was die Beschwerdegegnerin nicht in Frage stellt - nach dem Sitzabkommen kein eigenes Recht, gegen die Weigerung der Beschwerdegegnerin, auf die Immunität betreffend die der Bank anvertrauten Werte zu verzichten, an eine unabhängige Instanz zu gelangen.
4.5.1
Die Beschwerdegegnerin bestreitet die Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Diese Garantie ist jedoch auf Verfahren nach SchKG - also auch das Arrestverfahren - grundsätzlich anwendbar (Urteil des Bundesgerichts 1P.512/2004 vom 6. Januar 2005 E. 2.2, in: ZBl 2005 S. 327 ff.; vgl. Entscheid 61702/00 des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR]
Schweizer gegen Schweiz
vom 10. Juli 2006). Die Beschwerdeführerinnen wollen, dass die in den USA gerichtlich festgestellten Rechte der Beschwerdeführerinnen gegenüber der Republik Argentinien im vorliegenden Zwangsvollstreckungsverfahren wirksam werden (vgl. Urteil des EGMR
Pérez de Rada Cavanilles gegen Spanien
vom 28. November 1998,
Recueil CourEDH 1998-VIII S. 3244
§ 39; TAUCHMANN, a.a.O., S. 227). Sie können sich grundsätzlich auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
berufen.
4.5.2
Die Garantie von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
beinhaltet das Recht auf Zugang zu einem Gericht, und eine Beschränkung muss ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismässig sein. Nach dem Urteil des EGMR
Waite und Kennedy gegen Deutschland
vom 18. Februar 1999 (
Recueil CourEDH 1999-I S. 397
ff. § 63) gehört das Einräumen von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen zu den wichtigsten Massnahmen, um das ordnungsgemässe Funktionieren solcher Organisationen unabhängig von einseitigen Eingriffen einzelner Staaten zu gewährleisten (ebenso im Parallel-Urteil 26083/94 des EGMR
Beer und Regan gegen Deutschland
vom 18. Februar 1999; bestätigt im Entscheid 1742/05 des EGMR
Eiffage SA gegen Schweiz
vom 15. September 2009, Ziff. 2b; vgl. SHAW, International Law, 5. Aufl. 2003, S. 1028). Für die Frage der Verhältnismässigkeit ist nach dem Urteil
Waite und Kennedy
(§ 68) entscheidend, ob eine vernünftige Alternative für den Rechtsschutz zur Verfügung steht. Vorliegend besteht nach den Regeln des Sitzabkommens (unbestrittenermassen) für den Einzelnen kein direkter Zugang zu einem Rechtsschutz, mit welchem die Immunität der Beschwerdegegnerin für die ihr anvertrauten Werte überprüft werden
BGE 136 III 379 S. 390
kann. Den Beschwerdeführerinnen bleibt lediglich die Möglichkeit, sich an die schweizerischen Behörden zu wenden, damit die Schweiz als Partei des Sitzabkommens die Ansicht der Beschwerdegegnerin in Frage stelle.
4.5.3
Zu prüfen ist, ob diese Beschränkung verhältnismässig ist. Nach dem Urteil
Waite und Kennedy
(§ 72) kann die Verhältnismässigkeitsprüfung nicht dazu führen, eine internationale Organisation der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen; eine solche Auslegung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
würde nach dem Gerichtshof das ordnungsgemässe Funktionieren einer internationalen Organisation behindern und den Anstrengungen im Hinblick auf die Ausdehnung und Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zuwiderlaufen. Dies wäre hier der Fall, wenn nationale Gerichte und schweizerische Zwangsvollstreckungsbehörden über die Immunität betreffend die Einlagen von Zentralbanken bei der Beschwerdegegnerin sowie den ihr anvertrauten Werten entscheiden würden. Die BIZ verwaltet in ihrer Funktion als Bank der Zentralbanken Teile der Währungsreserven zahlreicher Länder und internationaler Finanzinstitutionen. Würden schweizerische Gerichte und Zwangsvollstreckungsorgane darüber entscheiden, ob und inwieweit Zentralbanken-Einlagen währungspolitisch gerechtfertigt sind, wäre die Beschwerdegegnerin in ihrer statutarisch vorgesehenen Funktion als internationale Zahlungsdrehscheibe für die Zentralbanken in entscheidender Weise behindert. Die Handlungsfreiheit der Beschwerdegegnerin und die Kontinuität des im Interesse der internationalen Finanzstabilität liegenden Zahlungsverkehrs der Zentralbanken wären nicht gewährleistet. Es kann daher nicht von einer Konventionsverletzung gesprochen werden, wenn die Vorinstanz sich im Ergebnis geweigert hat, über die Verweigerung des Immunitätsverzichts der Beschwerdegegnerin zu entscheiden.
4.5.4
Die Beschwerdeführerinnen berufen sich sodann vergeblich auf die Rechtsweggarantie nach
Art. 29a BV
. Wohl hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine internationale Organisation als Gegenleistung für die grundsätzlich absolut und umfassend zu verstehende Immunität einen Rechtsweg für Streitigkeiten mit Dritten zu schaffen (
BGE 118 Ib 562
E. 1b S. 565; dazu ODENDAHL
,
Immunität Internationaler Organisationen bei Dienstrechtsstreitigkeiten, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts [IPrax] 2007 S. 341). Das Bundesgericht hat konkretisiert, dass die Rechtsweggarantie nach BV mit Bezug auf die Immunität
BGE 136 III 379 S. 391
internationaler Organisationen auch Einschränkungen unterliegt und in diesem Zusammenhang auf die erwähnte einschlägige Rechtsprechung des EGMR abgestellt (
BGE 130 I 312
E. 4 S. 325). Die Beschwerdeführerinnen legen nicht dar, inwiefern die BV eine weiter als die EMRK gehende Rechtsweggarantie gewährleiste und diese durch den angefochtenen Entscheid verletzt sein soll (
Art. 106 Abs. 2 BGG
).
4.6
Schliesslich rügen die Beschwerdeführerinnen vergeblich eine Verletzung von Art. 17 bzw. 22 SchKG, weil die Aufsichtsbehörde die Eingaben des EDA nicht aus dem Recht gewiesen habe. Sie übergehen, dass die Aufsichtsbehörde im kantonalen Verfahren den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen hat (
Art. 20a Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
), und behaupten selber nicht, dass sie sich zu den Stellungnahmen des EDA, soweit diese entscheiderheblich sind, nicht haben äussern können (vgl.
Art. 29 Abs. 2 BV
). Von einer Verletzung von
Art. 191c BV
bzw. der Gewaltenteilung kann keine Rede sein, zumal die Aufsichtsbehörde insoweit entschieden hat, als die Sache in ihrer Kompetenz steht.
4.7
Nach dem Dargelegten stellen die der Beschwerdegegnerin anvertrauten argentinischen Werte und Guthaben nach den massgeblichen Immunitätsbestimmungen des Sitzabkommens keine tauglichen Vollstreckungsobjekte dar. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Aufsichtsbehörde diesbezüglich nicht über die Frage eines Missbrauchs der Immunität entschieden hat und zum Ergebnis gelangt ist, dass die Arrestbefehle und der Arrestvollzug nichtig sind. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
906240f9-9096-4115-9cd3-234e56b0af3d | Urteilskopf
81 II 9
2. Arrêt de la IIe Cour civile du 10 mars 1955 dans la cause Union vaudoise du Crédit contre Agence communale AVS de Vallorbe et consorts. | Regeste
Kollokationsklage im Konkurs.
Art. 250 SchKG
.
Klagt ein Gläubiger, dessen Anspruch im Kollokationsplan abgewiesen wurde, gegen die Masse, so kann er den Anspruch auch auf andere als die in der Konkurseingabe angerufenen Gründe stützen.
Gilt dies ebenfalls, wenn die Klage gegen einzelne Gläubiger als Zessionare der Masse gerichtet ist.? Frage vorbehalten.
In diesem zweiten Falle ist das Bundesrecht verletzt, wenn der Richter die Klage auf Grund eines andern als des in der Konkurseingabe geltend gemachten Rechtstitels schützt, obschon nur dieser im Prozess angerufen wurde.
Verpflichtung, die von der Ehefrau im Interesse des Ehemannes eingegangen und vom Manne verbürgt worden ist. Nichtigkeit der Hauptschuld mangels Zustimmung der Vormundschaftsbehörde (
Art. 177 Abs. 3 ZGB
). Will der Gläubiger dennoch Ansprüche aus
Art. 492 Abs. 3 OR
erheben, so hat er zu beweisen, dass dem Ehemanne das Erfordernis der Zustimmungder Vormundschaftsbehörde für die Verpflichtung der Frau nicht unbekannt war. | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 81 II 9 S. 10
A.-
Gottfried Schmid s'est installé à Vallorbe en 1949 et y exploita d'abord un café. En 1951, il y a acheté un immeuble sur lequel, grâce à une avance qui lui avait été accordée par le Crédit foncier vaudois, il a fait construire un bâtiment comprenant une boucherie chevaline. Cette avance, d'un montant primitif de 40 000 fr., portée le 7 janvier 1952 à 58 000 fr., était garantie par une hypothèque en premier rang. La construction achevée, un solde de 13 000 fr. environ restait dû aux maîtres d'état. Pour obtenir l'argent manquant, Schmid s'est adressé aux sieurs Gustave et André Jaillet, agents de l'Union vaudoise du Crédit à Vallorbe. Ceux-ci lui déclarèrent qu'ils obtiendraient probablement de cette banque un prêt en second rang et proposèrent de constituer Dame Schmid, femme du prénommé, en qualité de débitrice avec le cautionnement solidaire de son mari. Les époux Schmid étaient mariés depuis 1925 et avaient adopté le régime de la séparation de biens.
Par acte du 1er février 1952, l'Union vaudoise du Crédit a accordé à Dame Schmid un crédit d'un montant maximum en capital de 3500 fr. portant intérêt à 4%, plus une commission mensuelle de 1/8%, Dame Schmid se reconnaissant
BGE 81 II 9 S. 11
seule débitrice des montants qu'elle prélèverait. Aux termes de cet acte, Schmid, de son côté, déclarait s'engager comme caution solidaire de sa femme pour une somme de 4200 fr.
Par un second acte daté du même jour et dénommé "cédule", Dame Schmid s'est, d'autre part, reconnue débitrice de la somme de 10 000 fr., "valeur reçue à titre de prêt en espèces, ce jour", qu'elle s'obligeait à rembourser le 1er mai 1952. Ce prêt portait intérêt à 4% plus une commission mensuelle de 1 /8%. L'acte contenait une clause en vertu de laquelle Schmid se portait caution solidaire de sa femme jusqu'à complet payement et à concurrence de 12 000 fr.
Ces deux actes ont été signés tant par Dame Schmid que par son mari.
Le même jour, Gottfried Schmid constituait en faveur de l'Union vaudoise du crédit, en garantie de la dette de sa femme, une hypothèque du montant de 13 500 fr. venant en second rang après l'hypothèque de 58 000 fr. créée en faveur du Crédit foncier vaudois. Cette nouvelle hypothèque a été inscrite au registre foncier le 7 février 1952.
B.-
Gottfried Schmid a été déclaré en faillite le 27 avril 1953.
Le 3 juin 1953, l'Union vaudoise du Crédit a fait une production dans les termes suivants:
"Dans la faillite de Schmid Gottfried, boucher-charcutier à Vallorbe, intervient l'Union vaudoise du crédit à Lausanne pour être reconnue créancière et obtenir payement des valeurs ci-après qui lui sont dues par le prénommé, savoir:
Comme caution solidaire:
1) et 2) (n'intéressent pas le présent litige) 3) 9300 fr. (neuf mille trois cents) cédule du capital primitif de 10 000 fr. - réduit à 9300 fr. - à l'échéance du 1er mars 1953, souscrit le 1er février 1952 par Renée Schmid, à Vallorbe.
4) 5410 fr. (cinq mille quatre cent dix) solde débiteur d'un compte courant débiteur ouvert dans les livres de l'intervenante à Dame Renée Schmid prénommée, intérêt 4% l'an, commission de 1 /8% par mois et tous autres frais réservés dès l'échéance de la cédule sus-désignée sous chiffre 3 et dès le 31 décembre 1952 pour le compte courant débiteur sus-rappelé sous chiffre 4.
Il est précisé que cette cédule de 9300 fr. souscrite par Renée Schmid et ce solde de compte courant débiteur de 5410 fr. sont
BGE 81 II 9 S. 12
dus sur un crédit ouvert par l'intervenante à Dame Renée Schmid, épouse du failli Gottfried Schmid, boucher à Vallorbe, garanti par le cautionnement solidaire du mari, Gottfried Schmid prénommé. et par hypothèque constituée par ce dernier, selon acte notarié Jaillet, le 1er février 1952, grevant en second rang ses immeubles sis r /le territoire de la commune de Vallorbe, d'une surface de 2 a 49,8 ca estimés officiellement 90 000 fr.
L'intervenante revendique d'ores et déjà son droit de gage immobilier désigné ci-dessus."
Le 30 juillet 1953, l'Administration de la faillite a avisé l'Union vaudoise du Crédit qu'elle refusait de faire figurer à l'état de collocation les créances de 9300 fr. et de 5410 fr. "Des renseignements obtenus du failli et de son épouse - déclarait l'administration de la faillite - les fonds provenant de ces créances ont servi à payer des factures dues par le mari. En vertu de l'art. 177 CC al. 3, ces actes auraient dû être approuvés par l'autorité tutélaire, ce qui n'a pas été fait." L'administration de la faillite impartissait en conséquence à l'Union vaudoise du Crédit un délai au 10 août 1953 pour faire reconnaître ses prétentions faute de quoi elle serait considérée comme ayant accepté l'état de collocation.
C.-
Par demande déposée le 8 août 1953, l'Union vaudoise du Crédit a introduit action contre la Masse en concluant à ce qu'il plaise au Tribunal la reconnaître créancière des deux créances sus-indiquées et dire qu'en garantie de ces créances elle était au bénéfice d'une hypothèque en deuxième rang sur des immeubles du failli.
L'administration de la faillite a renoncé à défendre elle-même à l'action et, conformément à l'art. 260 LP, elle a fait cession de ses droits à l'Agence communale de l'AVS à Vallorbe et à dix-huit autres créanciers. Ceux-ci ont conclu au rejet des conclusions de la demanderesse et formé une demande reconventionnelle tendant à ce qu'il plaise au Tribunal dire:
"I. que l'Union vaudoise du Crédit n'est pas au bénéfice de l'hypothèque en second rang grevant les immeubles du failli Schmid à Vallorbe, jusqu'à concurrence de 13 500 fr. au total, selon acte de constitution d'hypothèque notarié
BGE 81 II 9 S. 13
Jaillet du 1er février 1952; que cette constitution d'hypothèque est nulle, annulée, caduque et de nul effet, qu'elle n'est pas opposable à la masse en faillite et aux créanciers cessionnaires.
" II. que, dans la réalisation des immeubles du failli, le montant de l'hypothèque en second rang de 13 500 fr. sera dévolu aux créanciers cessionnaires qui ont soutenu le procès au nom de la Masse en faillite et dont l'état nominatif est indiqué dans la réponse."
D.-
Par jugement du 13 octobre 1954, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a admis que la demanderesse était fondée à figurer à l'état de collocation pour les sommes de 9300 fr., d'une part, et 5410 fr., de l'autre, mais uniquement en qualité de créancière chirographaire. Elle a condamné solidairement les défendeurs à payer à la demanderesse la somme de 500 fr. à titre de dépens et rejeté les autres conclusions des parties.
E.-
L'Union vaudoise du Crédit a recouru en réforme en concluant à ce qu'il plaise au Tribunal fédéral prononcer qu'elle est en droit de figurer à l'état de collocation de la faillite pour les deux sommes de 9300 fr. et 5410 fr. et que ces sommes sont, à concurrence de 13 500 fr., garanties par l'hypothèque constituée par acte du 1er février 1952.
Les défendeurs se sont joints au recours en concluant à ce qu'il soit dit que les susdites sommes n'ont pas à figurer dans l'état de collocation.
Erwägungen
Considérant en droit:
La Cour cantonale a admis que la demanderesse était fondée à intervenir dans la faillite à un double titre c'est-à-dire:
soit en vertu des actes par lesquels le failli s'était porté caution des engagements souscrits par sa femme - actes qui, bien que garantissant des engagements nuls, faute d'avoir été approuvés par l'autorité tutélaire, n'en étaient pas moins opposables au failli en application de l'art. 492
BGE 81 II 9 S. 14
al. 3 CO, à concurrence du moins du montant des cautionnements,
soit encore en qualité de créancière directe du failli - les contrats conclus entre la demanderesse et le failli étant, selon la Cour, des contrats simulés, la volonté du failli ayant été, sous le couvert de cautionnements, de s'engager en réalité à titre de débiteur principal.
Il n'est pas nécessaire de trancher la question de savoir si les engagements pris par le failli envers la demanderesse étaient ou non simulés. Cette question ne présenterait un intérêt, en effet, que s'il était possible de reconnaître la demanderesse créancière à un autre titre que celui en vertu duquel elle avait produit ses créances, ce qui n'est pas le cas. La jurisprudence a admis, il est vrai, la possibilité pour le créancier dont la production a été rejetée par l'administration de la faillite ou la commission de surveillance d'invoquer à l'appui de sa prétention un titre différent de celui qu'il avait invoqué lors de sa production. Mais encore s'agissait-il alors de procès dans lesquels la masse était en cause, et l'on pouvait en effet admettre qu'en ce cas la masse se trouvait en mesure de se déterminer sur la validité du nouveau titre et de sauvegarder de façon uniforme les intérêts de tous les créanciers (cf. RO 29 II 334, 43 II 765). La question de savoir s'il y a lieu d'adopter la même solution lorsque le procès ne met en cause que quelques-uns des créanciers, à la suite d'une cession des droits de la masse, est plus discutable; cette solution pourrait en effet avoir des conséquences fâcheuses pour ceux des créanciers qui ne sont pas en cause et qui n'avaient eu à se déterminer que sur la créance telle qu'elle avait été produite. La question peut toutefois demeurer indécise en l'espèce, car le titre qu'a invoqué la demanderesse dans le procès était celui-là même en vertu duquel elle avait produit dans la faillite, autrement dit les cautionnements souscrits par le failli. La discussion entre les parties n'a d'ailleurs porté que sur ce point, et c'est le Tribunal qui, d'office, a cru pouvoir
BGE 81 II 9 S. 15
substituer au titre invoqué lors de la production, et dans la demande encore, l'engagement que, sous le couvert du cautionnement, la failli aurait pris envers la demanderesse en qualité de débiteur principal. Quoi qu'il en soit de la question de savoir si cette substitution était ou non admissible au regard de la loi de procédure cantonale, il est hors de doute qu'elle était en tout cas incompatible avec les principes qui régissent l'action en contestation de l'état de collocation. De même que l'administration de la faillite ne peut colloquer un créancier en vertu d'une autre créance que celle pour laquelle il a produit, pour un montant supérieur ou à un rang préférable, de même, en effet, le juge, qui est appelé à statuer en quelque sorte comme une juridiction de seconde instance (cf. RO 35 II 358/9) ne peut-il, lui non plus, dans un procès en contestation de l'état de collocation ou en modification de cet état, constater l'existence d'une créance qui n'aurait pas fait l'objet d'une décision préalable de l'administration ou sur le titre de laquelle la masse n'aurait pas eu tout au moins l'occasion de se prononcer au cours du procès. En tant que la Cour cantonale a reconnu le failli débiteur de la demanderesse à titre de débiteur principal, elle a donc violé le droit fédéral et sa décision ne saurait être maintenue. Si la demanderesse s'estime en droit de se mettre au bénéfice du nouveau titre en vertu duquel la Cour l'a reconnue fondée à intervenir dans la faillite, il lui sera loisible, aussi longtemps du moins que la faillite n'aura pas été liquidée, de faire une nouvelle production dans ce sens, production sur laquelle l'administration aura naturellement à se prononcer à nouveau.
Le jugement attaqué ne saurait être confirmé non plus en tant qu'il a reconnu le failli débiteur de la demanderesse en qualité de caution. C'est avec raison, il est vrai, que la Cour cantonale a considéré que les obligations que Dame Schmid avait assumées envers la demanderesse l'avaient été dans l'intérêt du mari, au sens de l'art. 177 al. 3 CC, du moment qu'il avait été constaté que les
BGE 81 II 9 S. 16
sommes que lui avançait la demanderesse devaient servir à payer les dettes personnelles du failli, et comme d'autre part, il a été établi également que la demanderesse savait qu'il en serait ainsi, il n'est pas douteux que, pour être valables, les engagements pris par Dame Schmid eussent nécessité l'approbation de l'autorité tutélaire (RO 54 II 410). C'est à tort toutefois que la Cour a cru pouvoir mettre la demanderesse au bénéfice de l'art. 492 al. 3 CO, en admettant que le failli connaissait, lorsqu'il s'engageait en qualité de caution de sa femme, le vice dont étaient affectés les engagements pris par celle-ci. Il ne suffisait pas, en effet, qu'il sût que les fonds empruntés par sa femme l'étaient dans son intérêt. Ce qu'il aurait dû savoir, pour qu'on pût le considérer comme engagé lui-même à concurrence du montant des cautionnements, c'est que les engagements pris par sa femme nécessitaient l'approbation de l'autorité tutélaire, et c'était à la demanderesse à le prouver. Or cette preuve n'a pas été rapportée. La Cour cantonale admet elle-même du reste qu'il a pu ignorer que sa femme ne pouvait s'engager valablement en sa faveur qu'avec l'approbation de l'autorité tutélaire. La demanderesse ne pouvait donc se prévaloir de la disposition de l'art. 492 al. 3. Cette approbation ayant fait défaut, la demanderesse n'était dès lors pas en droit de se prévaloir de l'art. 492 al 3 CO. La demande devait donc être rejetée en toutes ses conclusions.
Dispositiv
Le Tribunal fédéral prononce:
1.- Le recours principal est rejeté.
2.- Le recours joint est admis et le jugement attaqué réformé en ce sens que les conclusions de la demanderesse sont rejetées. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
90662605-fea0-4af6-a66d-6db1eb5b4089 | Urteilskopf
124 IV 53
9. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 27 janvier 1998 dans la cause V. contre Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 122 StGB
und
Art. 129 StGB
; Abgrenzung zwischen schwerer Körperverletzung und Gefährdung des Lebens.
Eine lebensgefährliche Verletzung im Sinne von
Art. 122 Abs. 1 StGB
ist nur gegeben, wenn die Verletzung, die das Opfer erlitten hat, zur Lebensgefahr führt. Die Strafbarkeit einer Lebensgefährdung, die nicht auf eine Verletzung zurückzuführen ist, beurteilt sich nach den Voraussetzungen von
Art. 129 StGB
(E. 2; Änderung der Rechtsprechung).
Wer sein Opfer lebensgefährlich würgt, ohne ihm jedoch schwerwiegende Verletzungen beizufügen, macht sich nicht der schweren Körperverletzung schuldig, sondern - wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind - der Gefährdung des Lebens. | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 124 IV 53 S. 53
A.-
V., né le 22 mai 1967, a noué une liaison sentimentale avec F. Après une année de vie commune, F. a rompu, au printemps 1989, à la suite d'une scène au cours de laquelle V., qui était fortement sous l'influence de l'alcool, a violemment frappé son amie.
Au mois de décembre 1994, F. s'est mise en ménage avec B. V. s'est alors de nouveau manifesté de façon déplaisante, rôdant à proximité du lieu de travail et du domicile de son ex-amie.
BGE 124 IV 53 S. 54
Le 27 mars 1995 entre 10 h. 15 et 10 h. 30, V., après avoir mis des gants de travail, s'est présenté à l'appartement de F., sachant que celle-ci avait congé ce matin-là. Lorsque F. a ouvert sa porte, il l'a violemment empêchée de refermer celle-ci et a pénétré dans les lieux bien que F. lui ait dit de s'en aller. V. l'a poussée et saisie à la gorge, avec ses deux mains, en repoussant la porte avec le pied. F. est tombée par terre, en heurtant au passage le mur qui se trouvait derrière elle avec l'arrière de la tête, et s'est retrouvée sur le dos. L'accusé est demeuré agrippé à elle, toujours serrant son cou des deux mains, et a suivi son mouvement. Dès lors, à califourchon sur elle, il a continué à lui serrer le cou toujours plus fort, mettant à un moment donné un genou sur son ventre. Ne pouvant plus ni respirer, ni crier, F. a tenté, avec ses mains, de desserrer l'étau formé par celles de son agresseur, tout en battant des jambes pour tenter de le désarçonner. A un moment donné, sans pouvoir expliquer comment, elle a réussi à le faire lâcher prise d'une main et à se redresser légèrement durant un instant. V. a toutefois immédiatement repris son étranglement et elle s'est trouvée à nouveau plaquée au sol, privée de respiration. Elle a pu se libérer une deuxième fois brièvement, mais l'accusé l'a immédiatement à nouveau plaquée au sol en continuant à l'étrangler toujours aussi fortement. Finalement, dans un ultime effort, elle a réussi à se dégager. S'étant levée, elle est parvenue à gagner le palier d'où elle a appelé au secours. V. est alors parti en lui disant: "cela ne se terminera pas comme cela".
F., qui a craint pour sa vie, gravement choquée, a appelé immédiatement son ami B., puis s'est rendue à la police et chez son médecin de famille. Celui-ci a constaté des égratignures et des ecchymoses pouvant correspondre à des traces de strangulation, ainsi qu'une contusion de la lèvre inférieure droite. Ce praticien a estimé que la vie de F. n'avait pas été mise concrètement en danger, sans pouvoir écarter formellement cette hypothèse. Dans un rapport d'expertise du 9 août 1995, les médecins K. et M., de l'Institut de médecine légale de l'Université de Lausanne, ont constaté que les lésions observées par le médecin étaient compatibles et fortement évocatrices d'une prise au cou avec strangulation. Ils ont affirmé que la violence décrite pouvait entraîner, bien que rarement, une mort par réflexe cardio-inhibiteur, et, si elle était suffisamment forte et durait suffisamment longtemps, elle pouvait provoquer le décès par asphyxie; le Dr K. a précisé que les traces constatées sont celles d'une strangulation d'une certaine importance et d'une certaine insistance; les experts ont conclu que la vie de la victime avait été mise concrètement en danger.
BGE 124 IV 53 S. 55
B.-
Par jugement du 15 mai 1997, le Tribunal correctionnel du district de Morges a condamné V., pour lésions corporelles graves, menaces et violation de domicile, à la peine de 3 ans de réclusion, statuant par ailleurs sur les conclusions civiles et les frais.
Par arrêt du 8 juillet 1997, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours formé contre ce jugement par le condamné.
C.-
V. se pourvoit en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral contre cet arrêt. Soutenant que les faits retenus ne constituent pas des lésions corporelles graves au sens de l'
art. 122 CP
, il conclut à l'annulation de la décision attaquée. Le Ministère public a conclu au rejet du pourvoi.
Le Tribunal fédéral a admis celui-ci.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le pourvoi, qui a un caractère cassatoire (
art. 277ter al. 1 PPF
), ne peut être formé que pour violation du droit fédéral, à l'exception de la violation directe d'un droit de rang constitutionnel (
art. 269 PPF
).
La Cour de cassation n'est pas liée par les motifs invoqués, mais elle ne peut aller au-delà des conclusions du recourant (
art. 277bis PPF
). Les conclusions devant être interprétées à la lumière de leur motivation (
ATF 123 IV 125
consid. 1 p. 127), le recourant a clairement limité l'objet du litige à la qualification de lésions corporelles graves.
Sous réserve de la rectification d'une inadvertance manifeste, la Cour de cassation est liée par les constatations de fait de l'autorité cantonale (
art. 277bis al. 1 PPF
). Le recourant ne peut pas présenter de griefs contre les constatations de fait, ni de faits ou de moyens de preuve nouveaux (
art. 273 al. 1 let. b PPF
). Dans la mesure où il présenterait un état de fait qui s'écarte de celui contenu dans la décision attaquée, il n'est pas possible d'en tenir compte (
ATF 121 IV 18
consid. 2b/bb p. 23, 131 consid. 5b p. 137, 185 consid. 2b p. 190 s.;
ATF 119 IV 202
consid. 2b p. 206).
2.
Le recourant conteste exclusivement sa condamnation pour lésions corporelles graves (
art. 122 CP
), soutenant que les faits ne correspondent pas à la définition de cette infraction.
La Cour de cassation étant liée par les constatations cantonales (
art. 277bis al. 1 PPF
), la qualification juridique doit être opérée exclusivement sur la base des faits contenus dans la décision attaquée.
BGE 124 IV 53 S. 56
Déterminer quelles sont les strangulations subies en l'espèce et quels sont les risques qui pouvaient en résulter concrètement, tenant compte des connaissances scientifiques, relève des constatations de fait. La cour cantonale n'est d'ailleurs pas tombée dans l'arbitraire lorsqu'elle a préféré à l'opinion plutôt indécise du médecin de famille celle des experts judiciaires spécialisés dans le domaine de la médecine légale, alors qu'aucun indice concret ne vient sérieusement mettre en doute leurs affirmations.
La cour cantonale a fondé sa qualification sur un arrêt ancien (
ATF 91 IV 193
ss), qui est critiqué par la doctrine (TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2e éd., Zurich 1997, art. 122 no 2; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7e éd., Zurich 1997 p. 34; SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht 1. Band, Berne 1982, art. 122 no 17; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, 5e éd., Berne 1995, Bes. Teil I § 3 no 37), de sorte qu'il ne peut être suivi sans autre examen.
Selon l'
art. 122 al. 1 CP
, il y a lésions corporelles graves lorsque l'auteur a "blessé une personne de façon à mettre sa vie en danger".
Les lésions corporelles graves, prévues et punies par l'
art. 122 CP
, constituent une infraction de résultat supposant une lésion du bien juridiquement protégé, et non une simple mise en danger. Il faut donc tout d'abord déterminer quelle est la lésion voulue (même sous la forme du dol éventuel) et obtenue (sous réserve de la tentative). Ce n'est qu'ensuite qu'il faut déterminer si ce résultat doit être qualifié de grave, afin de distinguer les hypothèses de l'
art. 122 CP
et celles de l'
art. 123 CP
(lésions corporelles simples). Cela résulte clairement de la formulation légale rappelée ci-dessus, selon laquelle l'auteur doit avoir "blessé une personne de façon à mettre sa vie en danger"; il faut donc qu'il y ait une blessure et que celle-ci soit de nature à mettre la vie en danger. Le danger n'intervient que pour qualifier la blessure de grave; il ne peut pas suppléer la blessure. Comme le relève la doctrine, le danger doit résulter de la blessure causée, et non pas directement du comportement de l'auteur (CORBOZ, Les principales infractions, Berne 1997, art. 122 no 8; REHBERG/SCHMID, op.cit., p. 33; SCHUBARTH, op.cit., art. 122 no 17; STRATENWERTH, op.cit., § 3 no 36 s.; HURTADO POZO, Droit pénal, Partie spéciale I, 3e éd., Zurich 1997, p. 127 no 453).
En l'espèce, les seules blessures constatées sont des égratignures, des ecchymoses et une contusion de la lèvre. Il est évident que de telles lésions ne créent pas un danger de mort immédiat. Le recourant n'a donc pas causé intentionnellement des blessures qui auraient
BGE 124 IV 53 S. 57
mis en danger la vie de sa victime, de sorte que les conditions de l'
art. 122 al. 1 CP
ne sont pas réunies.
L'
art. 122 al. 2 CP
cite d'autres hypothèses dans lesquelles les lésions corporelles graves doivent être retenues, mais nul ne prétend que l'une de ces hypothèses soit réalisée en l'espèce (l'arrêt attaqué parle d'une incapacité de travail de 3 à 5 jours; il évoque des troubles psychiques qui doivent être soignés, mais ne parle pas d'une maladie mentale permanente).
Il reste donc à examiner si les faits doivent être qualifiés de lésions corporelles graves en vertu de la clause générale contenue à l'
art. 122 al. 3 CP
. Selon cette disposition, il y a lésions corporelles graves lorsque l'auteur, agissant intentionnellement, a "fait subir à une personne toute autre atteinte grave à l'intégrité corporelle ou à la santé physique ou mentale". Cette norme générale a surtout pour but d'englober les cas de lésions du corps humain ou de maladie, qui ne sont pas cités par l'
art. 122 CP
, mais qui entraînent néanmoins des conséquences graves sous la forme de plusieurs mois d'hospitalisation, de longues et graves souffrances ou de nombreux mois d'incapacité de travail (TRECHSEL, op.cit., art. 122 no 9; CORBOZ, op.cit., art. 122 no 12; STRATENWERTH, op.cit., § 3 no 40). On peut ici se demander si l'interruption momentanée d'une fonction vitale, comme la respiration ou la circulation sanguine, ne pourrait pas être considérée comme une atteinte grave au sens de l'
art. 122 al. 3 CP
. De telles interruptions peuvent laisser des séquelles, qui constituent en soi des lésions. Rien de tel n'a cependant été constaté en l'espèce. Vouloir raisonner ici avec l'idée d'une tentative suppose des distinctions extrêmement subtiles sous l'angle de l'intention, qui se heurteraient à des difficultés de preuve quasiment insurmontables. On ne saurait d'ailleurs soutenir qu'entraver ou interrompre brièvement la respiration, par exemple en manipulant un appareil respiratoire ou un masque à gaz, suffit à réaliser l'infraction de lésions corporelles graves au sens de l'
art. 122 CP
. Le danger, qui confère à une telle situation sa gravité, réside bien plus dans le comportement de l'auteur, qui interrompt plus ou moins totalement et longuement la respiration, plutôt que dans une lésion.
La cour cantonale a perdu de vue que l'
art. 122 CP
prévoit une infraction de résultat supposant une lésion du bien juridiquement protégé, laquelle doit être qualifiée de grave. Ce que la cour cantonale a voulu stigmatiser en réalité, c'est le comportement dangereux de l'auteur, qui a serré longuement et fortement le cou de sa victime. La cour cantonale a vu la gravité non pas dans les lésions subies,
BGE 124 IV 53 S. 58
mais dans le comportement de l'auteur qui a mis en danger la vie d'autrui. Pour saisir correctement cet aspect, il fallait une infraction de mise en danger, et non de lésion. L'
art. 129 CP
(mise en danger de la vie d'autrui) est précisément conçu pour ce genre de situation et la cour cantonale doit examiner la question sous cet angle.
La victime a certes subi des lésions (égratignures, ecchymoses et contusions), mais celles-ci ne peuvent pas être qualifiées de graves au sens de l'
art. 122 CP
. Elle a également subi une perturbation psychique - qui est loin d'être négligeable et ne saurait être minimisée -, mais qui ne peut être qualifiée d'atteinte grave à la santé mentale au sens de l'
art. 122 CP
.
Ce changement de qualification ne modifie pas fondamentalement l'appréciation de la faute et on peut se demander s'il justifie d'annuler la décision attaquée (cf.
ATF 116 IV 233
consid. 2c p. 238). Cependant, même en tenant compte de l'aggravation de peine résultant du concours (
art. 68 ch. 1 al. 1 CP
) entre une mise en danger de la vie d'autrui (
art. 129 CP
) et des lésions corporelles simples (
art. 123 ch. 1 CP
), la peine encourue, dans l'hypothèse la plus défavorable pour le recourant, ne peut pas dépasser 7 ans et demi de réclusion, tandis que la qualification retenue (
art. 122 CP
) conduisait à une peine maximum de 10 ans de réclusion. Il n'est donc pas exclu que ce problème de qualification ait joué un rôle dans la fixation de la peine, de sorte que le pourvoi doit être admis; une solution différente conduirait d'ailleurs à refuser le plus souvent d'entrer en matière sur des problèmes de qualification, ce qui empêcherait le pourvoi en nullité de jouer son rôle en vue d'une application correcte et uniforme du droit fédéral.
3.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
906703cf-c510-44d1-9c86-f66a0609138f | Urteilskopf
126 V 450
75. Arrêt du 14 décembre 2000 dans la cause Caisse de compensation SPIDA contre 1. B. et 2. C. et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 52 AHVG
;
Art. 82 Abs. 1 AHVV
;
Art. 8a Abs. 1 SchKG
: Verwirkung; Schadenskenntnis.
Präzisierung der Rechtsprechung zur Obliegenheit der Ausgleichskasse, an der ersten Gläubigerversammlung teilzunehmen oder sich vertreten zu lassen (
BGE 121 V 240
).
Der Sorgfaltspflicht ist auch Genüge getan, wenn die Kasse ein Protokoll der ersten Gläubigerversammlung und den Bericht des Konkursbeamten verlangt. | Sachverhalt
ab Seite 451
BGE 126 V 450 S. 451
A.-
La faillite de la société X SA, dont le siège était à Y, a été prononcée le 15 février 1995. Le 31 mars 1995, s'est tenue la première assemblée des créanciers. Daté du 29 septembre 1997, l'état de collocation a été déposé le 3 octobre suivant et publié le même jour à la Feuille officielle suisse de commerce.
X SA était affiliée en qualité d'employeur auprès de la Caisse de compensation SPIDA qui a produit dans la faillite une créance de 111'489 fr. 70 correspondant à des cotisations paritaires impayées et des frais.
Le 22 octobre 1998, SPIDA a notifié des décisions en réparation du dommage à B. et C., administrateurs de la société faillie.
B.-
A la suite de l'opposition des prénommés, SPIDA a ouvert action le 26 novembre 1998 devant le Tribunal administratif du canton de Neuchâtel contre B., concluant au paiement de 108'069 fr. 70 sous réserve d'un dividende de faillite éventuel. Le 2 décembre 1998, elle a ouvert action contre C. en prenant les mêmes conclusions. Les demandes ont été jointes.
Par jugement du 11 août 1999, le tribunal administratif a rejeté les demandes au motif qu'elles étaient périmées. En bref, la juridiction cantonale a considéré qu'au regard de l'attention raisonnablement exigible, SPIDA pouvait connaître son dommage déjà lors de la première assemblée des créanciers.
C.-
SPIDA interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande l'annulation. Elle conclut sous suite de frais et dépens à l'admission de la demande, subsidiairement au renvoi de la cause à la juridiction cantonale pour jugement sur ses prétentions.
B. et C. ont conclu, sous suite de frais et dépens, au rejet du recours. L'Office fédéral des assurances sociales ne s'est pas déterminé.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen limité; cf.
ATF 125 V 34
consid. 1)
2.
a) L'
art. 82 RAVS
règle la prescription du droit de la caisse de compensation de demander la réparation du dommage. Un tel droit se prescrit lorsque la caisse ne le fait pas valoir par une décision de réparation dans l'année après qu'elle a eu connaissance du dommage et, en tout cas, à l'expiration d'un délai de cinq ans à compter du fait dommageable (al. 1). Lorsque ce droit dérive d'un acte punissable soumis par le code pénal à un délai de prescription de plus longue durée, ce délai est applicable (al. 2). En dépit de la terminologie dont use l'
art. 82 RAVS
, les délais institués par cette
BGE 126 V 450 S. 452
norme ont un caractère péremptoire (
ATF 121 III 388
consid. 3b,
ATF 119 V 92
consid. 3,
ATF 118 V 195
consid. 2b et les références).
Par moment de la "connaissance du dommage" au sens de l'
art. 82 al. 1 RAVS
, il faut entendre, en règle générale, le moment où la caisse de compensation aurait dû se rendre compte, en faisant preuve de l'attention raisonnablement exigible, que les circonstances effectives ne permettaient plus d'exiger le paiement des cotisations, mais pouvaient entraîner l'obligation de réparer le dommage (
ATF 121 III 388
consid. 3b,
ATF 119 V 92
consid. 3,
ATF 118 V 195
consid. 3a et les références).
La partie lésée peut toutefois, en raison de circonstances spéciales, acquérir la connaissance nécessaire avant le dépôt de l'état de collocation. Ainsi, selon la jurisprudence, on peut exiger d'une caisse qu'elle se fasse représenter à la première assemblée des créanciers, dès lors que son devoir de diligence lui commande de suivre l'évolution de la procédure de faillite (
ATF 121 V 240
consid. 3c/aa et les références). S'il apparaît à ce moment-là déjà qu'elle subira un dommage, le délai d'une année commencera à courir. Même la connaissance d'un dommage partiel est suffisante pour faire partir le délai prévu par l'
art. 82 al. 1 RAVS
(
ATF 121 V 243
consid. 3c/bb).
b) La recourante ne remet pas en cause le bien-fondé des incombances fixées par la jurisprudence précitée (
ATF 121 V 240
consid. 3c/aa), que le Tribunal fédéral des assurances a motivé comme suit:
Bien qu'en règle générale, le créancier n'ait aucune obligation de participer à l'assemblée des créanciers dans le cadre d'une procédure de faillite, sa présence est une incombance dont le respect peut être déterminant pour la sauvegarde de prétentions de droit public ou privé élevées contre le failli. Au surplus, l'
art. 52 LAVS
oblige la caisse de compensation, en qualité de créancière du droit à la réparation du dommage, à faire valoir celui-ci dans les délais, par le biais d'une décision. Selon la jurisprudence, on attend de la caisse qu'elle suive l'évolution de la procédure de faillite et qu'elle prenne connaissance du dépôt de l'état de collocation et de l'inventaire (
ATF 116 V 75
consid. 3b). Ce sont là deux étapes de la procédure de faillite qui sont annoncées publiquement (
art. 232 et 249 LP
). Il est donc logique que la caisse se fasse représenter à l'assemblée des créanciers dans la faillite de l'employeur affilié (voir aussi VSI 1995 p. 172 sv. consid. 4c).
c) Aux termes de l'art. 8a de la Loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite (introduit par la modification du 16 décembre 1994, entrée en vigueur le 1er janvier 1997), toute personne peut
BGE 126 V 450 S. 453
consulter les procès-verbaux et les registres des offices de poursuites et des offices de faillites et s'en faire délivrer des extraits à condition qu'elle rende son intérêt vraisemblable.
Selon cette disposition, le droit de consulter ne se limite pas aux procès-verbaux des opérations dont tiennent procès-verbal les offices des poursuites et les offices des faillites, aux procès-verbaux des réquisitions et déclarations qu'ils reçoivent, ainsi qu'aux registres qu'ils tiennent. Il s'étend à d'autres pièces telles les états de collocation, états des charges, tableaux de distribution, procès-verbaux des assemblées des créanciers, procès-verbaux des commissions de surveillance, livres comptables et pièces justificatives notamment. Ce droit de consulter appartient aussi bien aux personnes formellement parties à une procédure d'exécution forcée et à celles concernées par une telle procédure qu'à toute personne ayant un intérêt digne de protection, même en dehors d'une procédure pendante (PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, ad art. 8a no 6 et 7).
Ainsi, lorsque la caisse de compensation est partie à la procédure parce qu'elle a produit sa créance dans la faillite, un droit de consultation des pièces ou de s'en faire remettre des copies découle directement de l'
art. 8a LP
. Il n'y a dès lors pas d'obstacle à ce que, en temps utile, elle requière et obtienne notamment copie du procès-verbal de la première assemblée des créanciers et du rapport du préposé. Au regard de l'obligation de diligence assignée à la caisse de compensation par la jurisprudence précitée (cf. consid. 2b), il apparaît ainsi que cette incombance peut être satisfaite sous cette forme, sans que la présence ou la représentation par un tiers de la caisse de compensation soit systématiquement exigée. C'est dans ce sens que peut être précisée la jurisprudence publiée à l'arrêt
ATF 121 V 240
.
d) Dans le cas particulier, la caisse recourante n'a pas assisté à la première assemblée des créanciers et ne s'y est pas faite représenter. Elle n'a donc pas eu directement connaissance du rapport du préposé. Cela n'est cependant pas décisif dans le cadre de l'
art. 82 al. 1 RAVS
, dès lors qu'il suffit de déterminer si, au regard de ses incombances, elle aurait pu avoir connaissance de l'existence du dommage avant la date du dépôt de l'état de collocation. Cette question peut être tranchée, comme l'ont fait les premiers juges, en se référant au rapport écrit du préposé figurant au dossier de la faillite, dont la recourante pouvait, à tout le moins dès le 1er janvier 1997, demander et obtenir une copie.
BGE 126 V 450 S. 454
3.
a) Selon les faits retenus par les premiers juges et qui lient la Cour de céans, l'inventaire établi par l'office des faillites (les 29 et 31 mars 1995), faisait apparaître un actif provisoire présumé de 822'637 fr. 20 dont 709'000 francs représentant la valeur cadastrale d'un immeuble sis à Y. Les passifs, selon le bilan de la société faillie établi au 30 novembre 1994, étaient de 4'040'218 fr. 20. Les juges ont déduit de ces faits que la caisse de compensation aurait pu alors se rendre compte qu'elle allait subir un dommage, au moins partiel, d'autant que l'immeuble était grevé d'hypothèques pour un montant de 1'400'000 francs et que les salaires des 19 employés de la faillie (dont 110'707 francs pour le seul mois de janvier 1995) constituaient des créances privilégiées en 1ère classe.
b) Contestant le fait qu'elle aurait pu alors se rendre compte de l'existence d'un dommage, SPIDA soutient d'abord qu'elle était fondée à considérer sa créance comme couverte dès lors que les actifs de la société, au regard du bilan au 30 novembre 1994, étaient largement plus élevés que ceux résultant de l'inventaire établi par l'office. Selon le rapport de l'organe de révision toutefois, les postes débiteurs et travaux en cours étaient surévalués et le principe de la tenue régulière des comptes était violé, si bien que ce moyen n'est d'aucune utilité à la recourante, ce d'autant moins qu'elle n'avait pas connaissance des comptes en question à l'époque déterminante.
SPIDA soutient ensuite que l'inventaire de l'office ne prend pas en compte les créances pour travaux en cours dont elle pouvait s'attendre à ce qu'elles couvrent ses prétentions restées en souffrance. Ce moyen revient en réalité à reprocher aux premiers juges d'avoir procédé à une constatation manifestement inexacte ou incomplète des faits (
art. 105 al. 2 OJ
). Il est cependant infondé. Certes dans ses comptes au 30 novembre 1994, la société faillie avait fait figurer des créances de plusieurs centaines de milliers de francs pour des travaux en cours; mais, comme on l'a vu, celles-ci étaient à la fois surévaluées et non justifiées par des documents probants. La recourante ne saurait dès lors se prévaloir de l'existence de ces créances. De toute manière, l'absence de ces créances dans l'inventaire, même pour mémoire, était parfaitement fondée, dès lors que, selon un document en possession de l'office, X SA avait consenti une cession générale de toutes ses créances d'entrepreneur en faveur de la Banque cantonale neuchâteloise. On ne voit pas dès lors en quoi les premiers juges auraient failli dans la constatation des faits en ne prenant pas en considération des créances de la société qui faisaient l'objet d'une cession générale.
BGE 126 V 450 S. 455
C'est en vain finalement que la recourante prétend que la valeur de l'immeuble pouvait lui donner à croire que l'existence d'un dommage n'était ni connue ni certaine lors de la première assemblée des créanciers. Le jugement entrepris expose de manière convaincante les raisons pour lesquelles on ne pouvait raisonnablement s'attendre à ce que la liquidation de l'immeuble laisse un solde suffisant pour couvrir la totalité des créances privilégiées (1ère et 2ème classe).
Comme le relève enfin SPIDA dans son écriture de recours, les créances privilégiées produites avant la première assemblée des créanciers s'élevaient à 365'444 fr. 25.
Au vu de tous ces éléments, il apparaissait déjà lors de la première assemblée des créanciers que la recourante subirait, de manière certaine, un dommage. Par exception à la règle générale, elle était en mesure, comme on l'a vu, d'en avoir une connaissance suffisante plus d'une année avant la notification des décisions aux administrateurs, le 22 octobre 1998. Dans ces conditions, la péremption était effectivement encourue à la date de cette notification. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
906925f6-0dba-48fb-9f11-8a295598d10d | Urteilskopf
98 Ib 35
7. Auszug aus dem Urteil vom 10. März 1972 i.S. Schweizerischer Bäcker- und Konditorenmeisterverband gegen Beauftragten für die Stabilisierung des Baumarktes. | Regeste
Bundesbeschluss über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes und Verordnung über die Zuständigkeit und das Beschwerdeverfahren bei Bewilligungen im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes; Bewilligungspflicht für den Abbruch von Wohnhäusern.
- Das Abbruchverbot dient dem Zweck, jede nicht dringliche Inanspruchnahme des Baugewerbes zu verunmöglichen.
- Die Verwahrlosung eines Wohnhauses bis zur Unbewohnbarkeit vermag für sich allein keine Ausnahme vom Abbruchverbot zu begründen. | Sachverhalt
ab Seite 35
BGE 98 Ib 35 S. 35
A.-
Mit einem dringlichen Bundesbeschluss über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes vom 25. Juni 1971 (abgekürzt BB; AS 1971, 961) strebt der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden sowie den interessierten Wirtschaftskreisen eine Stabilisierung des Baumarktes an.
BGE 98 Ib 35 S. 36
Zu diesem Zweck werden für Regionen mit überforderter Baukapazität ein Abbruchverbot und eine befristete Ausführungssperre für Bauvorhaben geringerer Dringlichkeit vorgesehen.
Der BB ist sofort nach seinem Erlass in Kraft getreten (Art. 16 Abs. 1), wiewohl er noch der Annahme durch Volk und Stände bedarf (daselbst Abs. 2 und
Art. 89bis Abs. 3 BV
). Er gilt drei Jahre (Art. 16 Abs. 1 BB). Die Regionen mit überforderter Baukapazität wurden nach Anhören der Kantone (Art. 7 Abs. 1 BB) durch Bundesratsbeschluss vom 30. Juni 1970 (AS 1970, 973) erstmals bezeichnet. Das Verzeichnis wurde am 26. Juli 1971 erweitert (AS 1971, 1129) und am 26. Januar 1972 durch ein neues ersetzt (AS 1972, 158). Zu den unterstellten Regionen gehörte von Anbeginn an die Stadt Bern.
Art. 2 BB untersagt, in Regionen mit überforderter Baukapazität Wohn- und Geschäftshäuser abbrechen zu lassen. Vom
Abbruchverbot sind nach Art. 3 Abs. 1 BB jene Fälle ausgenommen, in denen ein Abbruch aus gesundheits- oder sicher heitspolizeilichen Gründen verfügt wird, ferner jene, in denen der Abbruch der Erstellung von preisgünstigen Wohnungen dient und schliesslich auch jene, in denen ohne Abbruch die Sanierung eines Wohnungsgebietes verunmöglicht würde. Bei Nachweis von besondern Umständen und zwingenden Gründen können Ausnahmebewilligungen erteilt werden (daselbst Abs. 2). Art. 4 enthält eine Ausführungssperre für bestimmte, einzeln aufgezählte Baukategorien. Von der Ausführungssperre ausgenommen sind Bauvorhaben, sofern sie integrierender Bestandteil der Baukategorien "preisgünstiger Wohnungsbau", "Gesundheit und Fürsorge", "Umweltschutz" oder "Erziehung und Bildung" sind und mit diesen ausgeführt werden (Art. 5 Abs. 1 BB) sowie Bauarbeiten zur Behebung von Schäden infolge höherer Gewalt und Bauvorhaben, deren Erstellungskosten weniger als 3'000 Franken betragen; dabei fallen allerdings Ferien- und Weekendhäuser mit mehr als 700 m3 umbauten Raumes oder über 2'000 Franken Erstellungskosten nicht unter diese Ausnahme (daselbst Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 lit. g BB). Zudem ist in Einzelfällen eine Ausnahmebewilligung zu erteilen, wenn ein zwingender Bedarf und die volle Ausführungsreife nachgewiesen werden können (Art. 5 Abs. 3 BB).
Für den einheitlichen Vollzug des Bundesbeschlusses in den unterstellten Regionen sorgt ein vom Bundesrat ernannter
BGE 98 Ib 35 S. 37
"Beauftragter" (Art. 7 Abs. 2 BB). Dieser arbeitet mit den Kantonen zusammen und zieht Sachverständige aus der Wirtschaft bei (daselbst Abs. 3 sowie Art. 14 Abs. 2 BB). Die Zuständigkeit und das Beschwerdeverfahren bei Bewilligungen im Zusammenhang mit den Massnahmen der Stabilisierung des Baumarktes sind in der am 26. Juli 1971 erlassenen Verordnung über die Zuständigkeit und das Beschwerdeverfahren bei Bewilligungen im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes (abgekürzt VZB; AS 1971, 1125) festgelegt. Aus ihr ergibt sich, dass die nach dem Bundesbeschluss erforderlichen Bewilligungen in den meisten Fällen von kantonalen oder kommunalen Stellen erteilt werden. Ausnahmebewilligungen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 3 BB erteilt der Beauftragte als erste Instanz (Art. 2 Abs. 2 lit. c und Art. 3 Abs. 2 lit. c VZB).
Im Kanton Bern ist nach einer Regierungsratsverordnung vom 20. September 1971 (Amtsblatt des Kantons Bern 1971, 1355) an Orten, wo der Bundesbeschluss anwendbar ist, für die in der Kompetenz des Kantons und der Gemeinde liegenden Bewilligungen ein regionales "Sachverständigengremium" zuständig. In der Stadt Bern ist dies das "Sachverständigengremium für die Stabilisierung des Baumarktes der Region Bern".
B.-
Der Schweizerische Bäcker- und Konditorenmeisterverband ist Eigentümer der Grundstücke GB Nrn. 143, 144, 147 und 148 an der Rodtmattstrasse in Bern. Es stehen darauf vier Wohnhäuser aus dem Jahre 1910, nämlich die Liegenschaften Rodtmattstrasse Nrn. 106, 108, 110 und 112. Sie enthalten 28 Wohnungen, die nicht modernisiert und in den letzten Jahren auch nicht mehr unterhalten wurden. Seit 1969 stehen sie leer. Der Eigentümer will sie abbrechen und durch ein Bürohaus im Kostenvoranschlag von Fr. 5'774'000.-- ersetzen. Zu diesem Zweck hat er am 10. August 1971 ein "Befreiungsgesuch vom Abbruchverbot" und zugleich ein Gesuch um "Dispens von der Bausperre" eingereicht.
Mit einem Entscheid vom 19. August 1971 hat das Sachverständigengremium für die Stabilisierung des Baumarktes der Region Bern die Gesuche um Abbruch und Neubau abgelehnt. Diesen Entscheid hat der Verband mit einer Verwaltungsbeschwerde an den Beauftragten des Bundesrates für die Stabilisierung des Baumarktes weitergezogen. Der Beauftragte hat die Beschwerde am 12. November 1971 abgewiesen.
BGE 98 Ib 35 S. 38
C.-
Gegen den Entscheid des Beauftragten erhebt der Schweizerische Bäcker- und Konditorenmeisterverband Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Gegenstand der Beschwerde ist nur das Gesuch um Abbruch der bestehenden Häuser. Der Beschwerdeführer beantragt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Abbruchbewilligung für die Gebäude an der Rodtmattstrasse 106 bis 112 zu erteilen.
Der Beauftragte für die Stabilisierung des Baumarktes schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Nach Art. 2 VZB ist für jeden Abbruch eines Wohn- oder Geschäftshauses und nach Art. 3 VZB für jeden Beginn von Bauarbeiten an Hochbauten eine Bewilligung erforderlich. Diese Vorschriften gehen über den Inhalt des BB hinaus. Dieser sieht nur Ausnahmebewilligungen vor für Abbrüche und Neubauten, die im Prinzip verboten sind (Art. 3 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 3 BB). Damit ist indessen nicht gesagt, dass die Verordnungsbestimmungen dem BB widersprechen. Mit der Vorschrift, dass Abbrüche und Neubauten in jedem Fall bewilligungsbedürftig sind, soll offenbar erreicht werden, dass die zuständigen Behörden Gelegenheit haben, sich zu sämtlichen Abbruch- und Neubauvorhaben zu äussern, bevor mit den Arbeiten begonnen wird. Es liegt auch im Interesse der Betroffenen, dass vor Arbeitsbeginn entschieden wird, ob ein Projekt zulässig ist oder nicht. Die Vorschrift der allgemeinen Bewilligungspflicht liegt damit im Bereich eines gesicherten Vollzugs des BB und bleibt insbesondere innerhalb seiner Zielsetzung (vgl. A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 83 f.). Das schliesst nun freilich nicht aus, dass bei der Anwendung des BB zwischen Ausnahmebewilligungen und andern Bewilligungen unterschieden wird. Bewilligungen, in denen festgestellt wird, dass das Vorhaben durch den BB selber erlaubt ist, sind Bescheinigungen, dass dem Vorhaben vom BB her nichts im Wege steht; dem Adressaten geben sie keine Befugnis, die er nicht ohnehin schon hätte. Anders die Ausnahmebewilligungen; durch sie wird dem Adressaten eine im Prinzip verbotene Tätigkeit gestattet (vgl. A. GRISEL, a.a.O., S. 195 f.).
3.
Der Beschwerdeführer hat mit seiner Eingabe vom
BGE 98 Ib 35 S. 39
10. August 1971 vom Sachverständigengremium eine "gewöhnliche" Bewilligung zum Abbruch der vier Häuser verlangt. Er bestreitet, einer Ausnahmebewilligung zu bedürfen, weil sein Vorhaben überhaupt nicht unter die Bestimmungen des BB falle, eventuell, weil es durch den BB erlaubt sei. Art. 2 BB verbietet in Regionen mit überforderter Baukapazität den Abbruch von Wohn- und Geschäftshäusern. Der Beschwerdeführer erklärt, die vier zum Abbruch bestimmten Häuser seien weder Wohnhäuser, noch Geschäftshäuser. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Klar ist, dass die vier Häuser keine Geschäftshäuser sind. Sie waren es nie. Fraglich ist, ob sie Wohnhäuser sind beziehungsweise noch sind.
Seit ihrer Errichtung im Jahre 1910 haben die vier Bauten dauernd als Wohnunterkünfte für Menschen gedient. Bis zur Auslogierung der 28 Mieter im Jahre 1969 konnte die Wohnhausqualität nicht zweifelhaft sein. Seither hat der Beschwerdeführer die Bauten verwahrlosen lassen. Dadurch, dass er die Haustüren offen stehen liess, dienten die Gebäude Landstreichern und Jugendlichen als Unterschlupf und wurden zum Objekt des Mutwillens und der Zerstörungslust beliebiger Dritter. Das führte die Gesundheitsdirektion der Stadt Bern am 25. Juni 1971 zur Feststellung, dass die Wohnungen im gegenwärtigen Zustand aus gesundheitspolizeilichen Gründen nicht mehr bewohnbar seien. Offensichtlich sind die vier Wohnhäuser Wohnhausruinen geworden. Es kann sich daher fragen, ob sie noch als Wohnhäuser im Sinne von Art. 2 BB zu betrachten sind. Diese Frage ist durch den gesundheitspolizeilichen Befund insofern nicht präjudiziert, als dem Begriff des Wohnhauses im polizeilichen Sinn eine andere Bedeutung zukommen kann als im wirtschaftspolitischen Sinn.
Der BB dient dem Zweck, in einer Zeit, da die personellen und technischen Kapazitäten nicht ausreichen, um alle Bauprojekte auszuführen, jede nicht dringliche Inanspruchnahme des Baugewerbes zu verunmöglichen. Auch das Abbruchverbot dient diesem Zweck, da auch die Abbrüche das Baugewerbe beanspruchen. Der Bundesrat spricht in der Botschaft allerdings speziell vom "Abbruch noch nutzbaren Wohnraums" (vgl. BBl 1971 I 1131); allein der Abbruch nicht mehr nutzbaren Wohnraums beansprucht das Baugewerbe nicht weniger. Vom Zweck des BB her ist daher die Unterstellung der vier Wohnhausruinen unter den in Art. 2 BB enthaltenen Begriff "Wohnhäuser"
BGE 98 Ib 35 S. 40
nicht zu beanstanden. Dies entspricht übrigens auch dem Willen des historischen Gesetzgebers (vgl. den Bericht des Kommissionsreferenten im Nationalrat, Sten Bull NR 1971, 755).
Dass der so umschriebene, weite Begriff des Wohnhauses dem Art. 2 BB zugrunde liegt, ergibt sich auch aus Art. 3 Abs. 1 lit. a BB. Nach dieser Vorschrift sind vom Abbruchverbot jene Abbrüche ausgenommen, die aus gesundheits- oder sicherheitspolizeilichen Gründen "verfügt" werden. Daraus folgt, dass die Verwahrlosung eines Wohnhauses bis zur Unbewohnbarkeit für sich allein noch keine Ausnahme vom Abbruchverbot zu begründen vermag. Erst wenn eine kantonale oder kommunale Behörde aus zureichenden polizeilichen Gründen den Abbruch "verfügt", wird er auch nach Massgabe des BB zulässig.
Den Abbruch der vier Wohnhausruinen hat keine Behörde in Bern "verfügt". Wohl hat die Gesundheitsdirektion der Stadt Bern in einem Brief vom 25. Juni 1971 erklärt, eine "Sanierung" der vier Bauten könne "nur durch Abbruch erfolgen"; allein dieser Brief ist nicht an den Beschwerdeführer, sondern an das städtische Bauinspektorat adressiert, welches am 31. August 1971 - also mehr als zwei Monate später - dem mit dem Neubau des Beschwerdeführers betrauten Unternehmen Stucki AG eine "Kleine Baubewilligung" für den Abbruch der Häuser erteilte, allerdings unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer Bewilligung gemäss BB. Das Bauinspektorat hat damit nicht den Abbruch der Häuser "verfügt", sondern bloss festgestellt, dass ihm kein polizeiliches Hindernis entgegenstehe. Die "Bewilligung" wurde auch so verstanden. Das Unternehmen Stucki AG bemühte sich weiter um eine Abbruchverfügung, bekam sie jedoch nicht. Das städtische Bauinspektorat hat das Unternehmen Stucki AG am 28. Oktober 1971 auf die "fürchterliche Unordnung" in den Häusern mit Zugang für jedermann sowie auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam gemacht; den Abbruch der Häuser hat es gleichwohl nicht "verfügt", sondern angeraten, "die Ruinen baldmöglichst mit einer soliden, entsprechend hohen Umzäunung gegen jeglichen Zutritt abzusichern". Auf weiteres Drängen des Unternehmens Stucki AG erklärte das Bauinspektorat am 4. November 1971, eine sofortige Bewilligung zum Abbruch der baufälligen Objekte wäre sicher für alle
BGE 98 Ib 35 S. 41
Beteiligten die beste Lösung; leider sei es jedoch nicht in der Lage, hiefür die Bewilligung zu erteilen.
Der Umstand, dass keine Behörde in Bern den Abbruch der Häuser aus gesundheits- oder sicherheitspolizeilichen Gründen "verfügt" hat, schliesst somit eine Bewilligung gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a BB aus. Die Beschwerde erweist sich mithin als unbegründet.
4.
...
5.
Der Beschwerdeführer legt im zweiten Teil seiner Beschwerde dar, dass ihm eine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 3 Abs. 2 BB nicht verweigert werden dürfe. Dazu mag er durch ein irrtümliches Zitat im angefochtenen Entscheid verleitet worden sein. Dort ist nämlich nicht nur Art. 3 Abs. 1 lit. a BB, sondern auch Art. 3 Abs. 2 lit. b BB angeführt. Art. 3 Abs. 2 BB betrifft die Ausnahmebewilligungen, doch gibt es innerhalb dieses Absatzes keine lit. b. Dagegen hat der Beauftragte im angefochtenen Entscheid klar hervorgehoben, dass seine Vorinstanz über kein Gesuch um eine Ausnahmebewilligung entschieden hat, und dass sie dazu auch nicht zuständig gewesen wäre (Art. 2 Abs. 2 lit. c VZB). Der Beauftragte hat lediglich über die Beschwerde gegen das Sachverständigengremium geurteilt. Im Streit stand nicht eine Ausnahmebewilligung, sondern eine "gewöhnliche" Abbruchbewilligung nach Art. 3 Abs. 1 lit. a BB. Nur weil es so ist, konnte der Entscheid des Beauftragten durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden.
Hätte der Beschwerdeführer eine Ausnahmebewilligung nach Art. 3 Abs. 2 BB erwirken wollen, hätte er das Gesuch beim Beauftragten als erster Instanz einreichen müssen. Gegen die Abweisung eines solchen Gesuchs ist vorerst nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern die Verwaltungsbeschwerde an das EVD zulässig (Art. 6 Abs. 1 VZB). Der Beauftragte hebt in seiner Vernehmlassung hervor, dass er seinen Entscheid über ein allfälliges Gesuch um Ausnahmebewilligung durch das, was er zum "gewöhnlichen" Gesuch erklärt hat, nicht für präjudiziert hält. Das muss erst recht auch gelten für das, was das Bundesgericht zur Abweisung der vorliegenden Beschwerde führt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
9073b7a3-01b2-4b74-904a-6c92b45e8946 | Urteilskopf
107 IV 34
11. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1981 i.S. M. und Kons. gegen Z. und Kons. (Nichtigkeitsbeschwerde). | Regeste
Art. 173 Ziff. 2 StGB
.
Anforderungen an den Beweis des guten Glaubens, wenn die ehrverletzende Äusserung im Prozess zur Wahrung berechtigter Interessen getan worden ist. | Erwägungen
ab Seite 34
BGE 107 IV 34 S. 34
Aus den Erwägungen:
4.
Das Kantonsgericht fand, Z. habe den Beweis der guten Treue erbracht. Die Beschwerdeführer bestreiten es.
a) Auszugehen ist von der Tatsache, dass der Beschwerdegegner die eingeklagten Äusserung als Parteivertreter, nämlich als Anwalt der A. AG in Zivilprozessen gegen die B. AG getan hat. Wie das Kantonsgericht in blosser Wiederholung der im Rahmen der Zulassungsfrage bereits rechtskräftig getroffenen Feststellungen ausführt, hatte der Beschwerdegegner dazu begründete Veranlassung; es bestand also - wenn vielleicht auch eine entfernte -, so doch eine für den Ausgang der Sache nicht völlig unerhebliche Beziehung zwischen den inkriminierten Äusserungen und dem Prozessgegenstand. Hat aber Z. in Wahrung der Interessen seiner Klientin gehandelt, dann ist an seine Sorgfaltspflicht, mit der er prüfen musste, ob zureichende Gründe zur Erhebung der Vorwürfe bestanden, kein allzu strenger Massstab anzulegen (
BGE 96 IV 56
,
BGE 86 IV 75
, 176). Indessen ist es auch dem Anwalt im Prozess untersagt, Anschuldigungen zu erheben, die nach Form und Inhalt über das hinausgehen, was er nach den ihm bekannten Tatsachen in guten Treuer für wahr halten durfte. Insbesondere darf er nicht als sichere Tatsachen hinstellen, wofür bloss Grund zu Verdächtigungen besteht (VON WERRA, Der Anwalt und die üble Nachrede, in Bulletin des SAV 1980 Nr. 70 S. 10). Dabei kann und muss von ihm mehr Sorgfalt verlangt werden, wenn er die Äusserungen in einer Rechtsschrift tut, als wenn die Vorwürfe in einer mündlichen Replik oder Duplik erhoben werden (
BGE 86 IV 75
). Auch kann der Beweis der guten Treue nicht mit Tatsachen geführt werden, die erst nach den ehrverletzenden Äusserungen eingetreten sind (
BGE 102 IV 182
). | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
907c455f-daec-4697-9247-099141ba518c | Urteilskopf
137 III 118
19. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_311/2010 vom 3. Februar 2011 | Regeste
Bemessung des Kinderunterhalts (
Art. 285 Abs. 1 ZGB
); Berücksichtigung eines hypothetischen Einkommens des unterhaltspflichtigen Elternteils.
Grundsätze für die Berücksichtigung eines hypothetischen Einkommens; Tat- und Rechtsfrage (E. 2.3). Insbesondere bei wirtschaftlich engen Verhältnissen sind an die Ausnützung der Erwerbskraft des unterhaltspflichtigen Elternteils besonders hohe Anforderungen zu stellen. Die für die Arbeitslosenversicherung geltenden Kriterien können nicht unbesehen übernommen werden. Es sind auch Erwerbsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern und sich im Tieflohnbereich befinden (E. 3.1). Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall (E. 3.2). | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 137 III 118 S. 119
A.
Y. und X. heirateten 2002. Sie sind die Eltern der Tochter Z. (geb. 2002). Während des Zusammenlebens betrieb die Ehefrau ein Fernstudium und der Ehemann arbeitete mit vollem Pensum als Laborant. Die Tochter Z. wurde zeitweise in einer Kinderkrippe untergebracht. Seit Frühjahr 2005 leben die Parteien getrennt. Die Tochter blieb in der Obhut des Vaters und die Mutter verbrachte ein- bis zweimal in der Woche einige Stunden mit dem Kind.
B.
Mit Urteil vom 10. November 2008 schied das Kreisgericht St. Gallen die Ehe und stellte Z. unter die elterliche Sorge des Vaters. Es regelte den persönlichen Verkehr der Mutter zum Kind und verpflichtete sie, ab August 2010 einen indexierten Kinderunterhalt von Fr. 850.- im Monat zu bezahlen. Mit Urteil vom 9. März 2010 regelte das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen das Besuchsrecht neu und bestätigte im Übrigen den angefochtenen Entscheid.
C.
X. (Beschwerdeführerin) gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen vom 23. April 2010 an das Bundesgericht. Sie beantragt rechtsgültig, die Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer Tochter sei aufzuheben. Eventuell sei das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Beurteilung ihrer Erwerbschancen bzw. zu diesbezüglichen Beweiserhebungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
In seiner Vernehmlassung vom 1. September 2010 beantragt Y. (Beschwerdegegner), die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Nach öffentlicher Beratung heisst das Bundesgericht die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintritt. Es hebt das
BGE 137 III 118 S. 120
kantonsgerichtliche Urteil mit Bezug auf den Kinderunterhalt auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Wie dargelegt ist vorliegend nur noch die Regelung des Kinderunterhalts streitig. Demgegenüber ist das kantonsgerichtliche Urteil, soweit es um die Kinderzuteilung und den persönlichen Verkehr geht, rechtskräftig geworden.
2.2
Gemäss den tatsächlichen und damit für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen des Kantonsgerichts hat die Beschwerdeführerin einen höheren Abschluss einer ausländischen Lehranstalt als Textilbetriebstechnikerin, der allerdings in der Schweiz nicht anerkannt ist. Sie ist seit der Geburt der Tochter nicht berufstätig und studiert seit zehn Jahren an verschiedenen Schulen ohne Prüfungserfolge, wobei sie das Studienende immer wieder hinausschiebt. Die Beschwerdeführerin kann auch kein Arbeitslosentaggeld mehr beziehen und ist bereits ausgesteuert. Sie lebt in bescheidenen Verhältnissen und benötigt für ihren Grundbedarf rund Fr. 2'400.- im Monat. Ihre wirtschaftlich gut gestellte Mutter finanziert den Lebensunterhalt.
Das Kantonsgericht hat sodann in rechtlicher Hinsicht festgehalten, es sei der Beschwerdeführerin zuzumuten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie sei in der Lage, ein Erwerbseinkommen im Umfang von Fr. 3'600.- im Monat zu erzielen. Sei ihr dies nicht möglich, so könne sie eine Invalidenrente beantragen, welche ungefähr das gleiche Einkommen bringe. Der Beschwerdeführerin sei deshalb zuzumuten, einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 850.- für die Tochter zu bezahlen.
2.3
Der Elternteil, der nicht mit dem Kind zusammenlebt, hat nach
Art. 285 Abs. 1 ZGB
grundsätzlich einen Beitrag in Geld an den Unterhalt des Kindes zu leisten. Der Beitrag bemisst sich nach den Bedürfnissen des Kindes, der Lebenshaltung der Parteien und der Leistungskraft des Pflichtigen, und es sind die Einkünfte und das Vermögen des Kindes zu berücksichtigen (
BGE 135 III 66
E. 4 S. 70).
Dabei ist grundsätzlich vom tatsächlich erzielten Einkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen. Soweit dieses Einkommen
BGE 137 III 118 S. 121
allerdings nicht ausreicht, um den ausgewiesenen Bedarf zu decken, kann ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden, sofern dieses zu erreichen zumutbar und möglich ist (
BGE 128 III 4
E. 4a S. 5;
BGE 127 III 136
E. 2a S. 139). Dabei handelt es sich um zwei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen. Damit ein Einkommen überhaupt oder höheres Einkommen als das tatsächlich erzielte, angerechnet werden kann, genügt es nicht, dass der betroffenen Partei weitere Anstrengungen zugemutet werden können. Vielmehr muss es auch möglich sein, aufgrund dieser Anstrengungen ein höheres Einkommen zu erzielen.
Mit Bezug auf das hypothetische Einkommen ist Rechtsfrage, welche Tätigkeit aufzunehmen als zumutbar erscheint. Tatfrage bildet hingegen, ob die als zumutbar erkannte Tätigkeit möglich und das angenommene Einkommen effektiv erzielbar ist (
BGE 126 III 10
E. 2b S. 13 oben;
BGE 128 III 4
E. 4c/bb S. 7; Urteil 5A_388/2010 vom 29. September 2010 E. 1).
3.
3.1
Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, sind im Verhältnis zum unmündigen Kind besonders hohe Anforderungen an die Ausnützung der Erwerbskraft zu stellen (CYRIL HEGNAUER, Berner Kommentar, 1997, N. 58 i.V.m. N. 56 zu
Art. 285 ZGB
). Dies gilt vorab in jenen Fällen, wo - wie hier - wirtschaftlich enge Verhältnisse vorliegen. Sodann können die im Zusammenhang mit der Arbeitslosenversicherung geltenden Kriterien nicht unbesehen übernommen werden. Namentlich ist die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin arbeitslos war und trotz entsprechender Bemühungen keine Stelle fand, kein Beweis dafür, dass es ihr tatsächlich nicht möglich ist, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Sodann dürfen auch Erwerbsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, die keine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern und sich im Tieflohnbereich befinden. Die Beschwerdeführerin hat mit Blick auf die nunmehr rechtskräftige Kinderzuteilung keine Betreuungsaufgaben wahrzunehmen und hatte offensichtlich bis anhin auch genügend Zeit, um dem Bedürfnis nach einer weiteren Ausbildung nachzugehen. In ihrer Beschwerde bezeichnet sie sich als gesund und uneingeschränkt arbeitsfähig. Um der Unterhaltspflicht gegenüber ihrer unmündigen Tochter nachzukommen, ist es der Beschwerdeführerin deshalb - wovon das Kantonsgericht zu Recht ausgegangen ist - grundsätzlich zuzumuten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
BGE 137 III 118 S. 122
3.2
Das Kantonsgericht äussert sich nicht konkret, welcher Erwerbstätigkeit die Beschwerdeführerin nachgehen könne. Es beschränkt sich auf die sinngemässe Aussage, bei Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten könne die Beschwerdeführerin mit Einkünften von "wenigstens Fr. 3'500.-" rechnen (und bei einem Bedarf samt Berufsauslagen von nicht mehr als Fr. 2'600.- einen Beitrag von Fr. 850.- an den Unterhalt des Kindes leisten). Selbst wenn das Kantonsgericht damit eine Erwerbstätigkeit im Tieflohnbereich gemeint hat, d.h. eine Stelle, die keine abgeschlossene Berufsausbildung erfordert, wäre es gehalten gewesen, z.B. auf der Basis von Lohnstrukturerhebungen des Bundesamtes für Statistik oder anderen Quellen (allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge; MÜLHAUSER, Das Lohnbuch 2010, Mindestlöhne sowie orts- und berufsübliche Löhne in der Schweiz, Zürich 2010) konkret festzustellen, welche Tätigkeiten (z.B. Sekretariats- oder Kanzleiarbeiten, Verkauf von Konsumgütern, Dienstleistungen im Detailhandel, Reinigung, gastgewerbliche oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten usw.) bzw. welche Stellen für die Beschwerdeführerin beim angenommenen Lohn tatsächlich möglich und der Beschwerdeführerin zumutbar sind.
Soweit das Kantonsgericht der Beschwerdeführerin ohne die erforderlichen Feststellungen ein hypothetisches Einkommen angerechnet hat, erweist sich das angefochtene Urteil als bundesrechtswidrig; es ist aufzuheben und zur Ergänzung des Sachverhalts und neuem Entscheid zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens erübrigt es sich, näher auf die Rügen im Zusammenhang mit der Invalidenversicherung einzugehen. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
9089673f-7dba-4910-afe4-4cdc7ce66964 | Urteilskopf
105 V 145
35. Auszug aus dem Urteil vom 28. August 1979 i.S. Hälg gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 5 Abs. 5 Satz 2 und
Art. 90 Abs. 3 und 4 IVV
.
Keine Anpassung einer Kostengutsprache an das ungünstigere neue Recht, wenn die Anpassung den Erfolg einer laufenden Eingliederungsmassnahme gefährden würde. | Erwägungen
ab Seite 145
BGE 105 V 145 S. 145
Aus den Erwägungen:
Zunächst ist streitig, ob Markus Hälg Anspruch darauf habe, dass ihm die Invalidenversicherung für die Unterkunft und Verpflegung im Pflegeheim bis Ende 1977 den Betrag von Fr. 48.-- täglich vergüte.
Am 1. Januar 1977 ist
Art. 5 Abs. 5 IVV
in Kraft getreten, der für Personen, die sich in erstmaliger beruflicher Ausbildung befinden, unter anderem bestimmt, dass die Invalidenversicherung bei auswärtiger Unterkunft und Verpflegung ausserhalb der Ausbildungsstätte die ausgewiesenen notwendigen Kosten, höchstens jedoch Leistungen gemäss
Art. 90 Abs. 3 und 4 IVV
übernimmt. Gemäss
Art. 90 Abs. 3 IVV
wird zu den Fahrauslagen
BGE 105 V 145 S. 146
und den notwendigen Nebenkosten ein Zehrgeld ausgerichtet. Dessen Höhe ist gestützt auf
Art. 90 Abs. 4 IVV
vom Eidgenössischen Departement des Innern in der Verordnung über die Kostenlimite bei erstmaliger beruflicher Ausbildung und das Zehrgeld in der Invalidenversicherung festgelegt worden. Pro Infirmis hält diese Ordnung für gesetzwidrig und insbesondere dem
Art. 16 IVG
widersprechend. Ob diese Auffassung richtig ist, kann aus den nachstehenden Überlegungen für heute offen gelassen werden.
Mit ihrer Verfügung vom 22. Dezember 1975 gewährte die Ausgleichskasse Kostengutsprache für die erstmalige berufliche Ausbildung ab Frühjahr 1976 bis zum 31. Dezember 1977. Diese Gutsprache umfasste nicht nur die eigentlichen Ausbildungskosten (Aufwendungen für die Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten), sondern nach der damaligen Regelung auch die "Kosten für die wegen der Ausbildung notwendige auswärtige Unterbringung und Verpflegung" (Art. 5 alt Abs. 3 IVV). Sie basierte auf dem Eingliederungsvorschlag der Regionalstelle vom 17. November 1975, die eine auf zwei Jahre beschränkte Anlehre befürwortet hatte. Diese Anlehre muss als eine einheitliche Eingliederungsmassnahme betrachtet werden. Als solche wurde sie von der Invalidenversicherungs-Kommission gebilligt und zugesprochen. Hätte die Verwaltung einen Teil dieser Massnahme vor deren Abschluss rechtskräftig widerrufen, so wäre dadurch die erfolgreiche Durchführung der ganzen Massnahme gefährdet worden. Damit wäre aber auch der mit der Massnahme verfolgte gesetzliche Zweck, nämlich die berufliche Eingliederung des Versicherten, in Frage gestellt worden. Demzufolge handelte die Verwaltung nicht gesetzeskonform, wenn sie ihre unter der Herrschaft des alten Rechts rechtskräftig zugesprochene Leistung an die Unterkunft und Verpflegung im Pflegeheim während der bis Ende 1977 bewilligten erstmaligen beruflichen Ausbildung in Wiedererwägung zog und in Anwendung neuen Rechts von Fr. 48.-- auf Fr. 18.-- täglich (bzw. Fr. 30.-- gemäss vorinstanzlichem Entscheid) reduzierte. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
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