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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
8a66e14e-3cb4-4d11-b449-c14751ca2359 | Urteilskopf
86 II 323
51. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. November 1960 i.S. S. gegen Vormundschaftsbehörde Seewis i. P. und H. sowie Kleinen Rat des Kantons Graubünden. | Regeste
1. Fälle der Berufung nach
Art. 44 lit. b und c OG
(Erw. 1).
2. Zum Begriff der bundesrechtlichen Zuständigkeitsnorm in
Art. 49 und 68 Abs. 1 lit. b OG
(Erw. 2).
3. Ortliche Zuständigkeit zur Bevormundung des in der Schweiz weilenden minderjährigen Kindes eines mit Wohnsitz im Ausland verstorbenen schweizerisch/venezolanischen Doppelbürgers, dem bei Scheidung der Ehe im Ausland die elterliche Gewalt zugewiesen worden war. -
Art. 30 NAG
ist eine selbständige,nicht an die Schranken des
Art. 28 NAG
gebundene Norm. Grundsätze der Anwendung. - In welchem Staate hat das Kind nach dem Tode des Inhabers der elterlichen Gewalt seinen Wohnsitz? (Erw. 3).
4. Steht der Bevormundung des Kindes die elterliche Gewalt entgegen, welche die Mutter in ihrem zweiten Heimat- und zugleich Wohnsitzstaat nach dem Tode des Vaters erwirkt hat? - Ortliche Zuständigkeit in internationaler Beziehung. - Auslegung des
Art. 28 NAG
. - Ein Urteil, das die Lebensumstände und Bedürfnisse des Kindes nicht berücksichtigt, verstösst gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz. (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 324
BGE 86 II 323 S. 324
A.-
Die Ehe des O. J. H., geboren 1899, von Seewis im Prättigau, mit Wohnsitz in Caracas und in Venezuela eingebürgert, mit A. S. von Schüpfen wurde am 2. September 1950 in Caracas gerichtlich getrennt und das am
BGE 86 II 323 S. 325
20. Januar 1947 geborene Kind Anna Maria H. dem Vater zugewiesen. Bei der am 13./21. April 1953 in Caracas auf Begehren des Ehemannes ausgesprochenen Scheidung der Ehe wurde seine väterliche Gewalt beibehalten. Ein Gesuch der geschiedenen Ehefrau um Zuweisung der elterlichen Gewalt wurde am 30. Juli/22. September 1953 vom zweiten Jugendgericht des Bundesbezirks in Caracas abgewiesen.
B.-
Mit Rücksicht auf die schwere Erkrankung des in Caracas wohnen gebliebenen O. J. H. ernannte der Präsident der heimatlichen Vormundschaftsbehörde Seewis am 8. Juli 1958 dem seit Ende 1957 in einem Institut in St. Moritz weilenden Kind Anna Maria H. einen Beistand. O. J. H. war bereits am 4. Juli 1958 gestorben, worauf die geschiedene Ehefrau A. S. beim zweiten Jugendgericht in Caracas ein Gesuch um Zuerkennung der elterlichen Gewalt über die Tochter stellte, dem das Gericht mit Urteil vom 31. Juli 1958 entsprach. Am 9. August 1958 verlangte Frau A. S. ferner beim Departement des Innern des Kantons Graubünden die Löschung des Eintrags der Scheidung ihrer Ehe mit dem Erblasser, weil dieser die Scheidung auf unrechtmässige Weise erwirkt habe. Das Departement entsprach diesem Gesuch und wies das Zivilstandsamt Seewis i.P. an, die Löschung vorzunehmen. Die Vormundschaftsbehörde Seewis anerkannte jedoch die in Caracas erfolgte Zuerkennung der elterlichen Gewalt an Frau A. S. nicht. Sie stellte das Kind am 4. September 1958 unter Vormundschaft und ernannte als Vormund eine Schwester seines verstorbenen Vaters, Fräulein Anny H. in Chur. Diese focht nun namens des Kindes die Löschungsverfügung des Departements des Innern beim Kleinen Rat des Kantons Graubünden an. Frau A. S. verneinte dagegen die Beschwerdelegitimation der Vormünderin, worauf der Kleine Rat das Beschwerdeverfahren in der Registersache einstellte, bis über die Rechtmässigkeit der Bevormundung entschieden sei. Gegen diese hatte Frau A. S. nämlich an den Bezirksgerichtsausschuss Unterlandquart rekurriert.
Über die Einstellung des Beschwerdeverfahrens betreffend
BGE 86 II 323 S. 326
Löschung des Eintrages der Ehescheidung beschwerte sich die Vormünderin beim Bundesgericht, das aber am 2. September 1959 auf die verwaltungsgerichtliche und staatsrechtliche Beschwerde nicht eintrat (
BGE 85 I 191
ff.).
C.-
Der Bezirksgerichtsausschuss Unterlandquart erklärte mit Entscheid vom 15. April 1959 die Bevormundung des Kindes als gerechtfertigt.
D.-
Gegen diesen Rekursentscheid führte Frau A. S. Beschwerde beim Kleinen Rat des Kantons Graubünden, mit dem Antrag, der Beschluss der Vormundschaftsbehörde sei in seiner Gesamtheit aufzuheben, und es sei festzustellen, dass das Kind unter ihrer elterlichen Gewalt stehe.
E.-
Mit Entscheid vom 11. April 1960 hat der Kleine Rat die Beschwerde abgewiesen.
F.-
Gegen den Entscheid des Kleinen Rates richtet sich die vorliegende Berufung und eventuelle Nichtigkeitsbeschwerde der Frau A. S. Die Anträge der Vormundschaftsbehörde, des Kleinen Rates und der Vormünderin lauten auf Nichteintreten, eventuell auf Abweisung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Berufung wird auf
Art. 44 lit. b OG
gestützt mit der Begründung, der angefochtene Entscheid bedeute, wenn er auch bloss die Bevormundung des Kindes bestätige, zugleich den Entzug der (der Mutter am 31. Juli 1958 in Caracas erteilten) elterlichen Gewalt, die ihr der Kleine Rat vorfrageweise abgesprochen habe. Dem ist nicht beizustimmen. Allerdings unterliegt der Berufung auch ein Entscheid, der die elterliche Gewalt nur stillschweigend durch Bevormundung der bisher unter solcher Gewalt lebenden Kinder aufhebt (
BGE 47 II 16
Erw. 1). Der angefochtene Entscheid will jedoch weder eine derzeit zu Recht bestehende elterliche Gewalt durch eine Vormundschaft ersetzen, noch verneint er die elterliche Gewalt auf Grund einer umstritten gebliebenen Auslegung des Scheidungsurteils wie im Fall des Präjudizes. Vielmehr geht der Kleine Rat von der Rechtslage aus, wie sie nach allseitig
BGE 86 II 323 S. 327
übereinstimmender Ansicht durch das Scheidungsurteil und den nachfolgenden Tod des O. J. H. eingetreten war, und er schenkt dem neuen venezolanischen Urteil über die Zuerkennung der elterlichen Gewalt an die überlebende Mutter einfach keine Beachtung, weil ein dahingehendes Begehren nach seiner Ansicht infolge des ständigen Aufenthaltes des Kindes in der Schweiz vor schweizerischen Gerichten anzubringen wäre. Darin liegt kein selbständiger schweizerischer Entscheid über die elterliche Gewalt, wie er den Gegenstand einer Berufung nach
Art. 44 lit. b OG
bilden müsste.
Der angefochtene Entscheid lässt sich auch nicht unter lit. c daselbst einreihen. Die Stellung eines Unmündigen unter Vormundschaft ist nicht "Entmündigung", und der Hinweis des
Art. 44 lit. c OG
auf die Bevormundungsfälle umfasst denn auch nicht den
Art. 368 ZGB
. Die Berufung ist somit nicht gegeben gegen Entscheide über die Bevormundung Minderjähriger. Auch das entsprechende Rechtsmittel der zivilrechtlichen Beschwerde nach Art. 86 aoG war in solchen Fällen ausgeschlossen. Die Miterwähnung des
Art. 368 ZGB
in Ziff. 3 daselbst beruhte auf einem Redaktionsversehen (
BGE 52 II 295
), das nun im neuen Gesetz behoben ist.
2.
Kann somit auf die Berufung nicht eingetreten werden, so ist dagegen die eventuelle Nichtigkeitsbeschwerde zulässig. Der angefochtene Entscheid ist in letzter kantonaler Instanz ergangen und betrifft eine Zivilsache (vgl.
BGE 83 II 185
.
BGE 86 II 142
oben). Gerügt wird im Sinne des
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
die Unzuständigkeit schweizerischer Behörden zur Bevormundung der minderjährigen Anna Maria H. Unter diesen Beschwerdegrund fällt in der Tat auch die Verletzung bundesrechtlicher Normen über die Abgrenzung der schweizerischen Gerichtsbarkeit gegenüber dem Ausland, wie z.B. die Verletzung des hier in Frage stehenden
Art. 30 NAG
, der die Behörden des Heimatkantons als zuständig bezeichnet, ohne in die innerhalb dieses Kantons geltende Zuständigkeitsordnung
BGE 86 II 323 S. 328
einzugreifen. Was in
BGE 85 II 159
über den Anwendungsbereich des
Art. 49 OG
ausgeführt ist, gilt auch für den entsprechenden Beschwerdegrund des
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
.
3.
Stirbt der Elternteil, dem die Kinder bei der Scheidung der Ehe zugewiesen worden sind, so erlischt die elterliche Gewalt und geht nicht von Gesetzes wegen auf den überlebenden Elternteil über. So verhält es sich sowohl nach schweizerischem Recht (
Art. 157 ZGB
) wie auch, was unbestritten ist, nach venezolanischem Recht. Eben deshalb ist die heutige Beschwerdeführerin nach dem Tode des Mannes an das Jugendgericht in Caracas gelangt, um sich nunmehr die elterliche Gewalt zuerkennen zu lassen.
Sie macht freilich geltend, die vormundschaftlichen Behörden hätten die im Ediktalverfahren erfolgte Ehescheidung als nichtig betrachten sollen. Von offensichtlicher, keine Zweifel zulassender Nichtigkeit kann jedoch nicht die Rede sein, wenn man bedenkt, dass die heutige Beschwerdeführerin, obwohl sie schon im Jahre 1953 von der Scheidung erfuhr, bis zum Tode des Mannes nichts gegen das Urteil vorkehrte, und dass nach einer brieflichen Ansichtsäusserung des Eidgenössischen Politischen Departements an sie vom 7. September 1953 der Mann auf alle Fälle zur Scheidung berechtigt war.
Der Kleine Rat ist somit zu Recht davon ausgegangen, die minderjährige Tochter sei infolge des Todes des die elterliche Gewalt innehabenden Vaters unter die Obhut der vormundschaftlichen Behörden gelangt. Es ist ihm auch darin beizustimmen, dass nach
Art. 30 NAG
die Behörden des Heimatkantons zuständig waren, vormundschaftliche Massnahmen zu treffen und insbesondere nach
Art. 368 ZGB
eine Vormundschaft zu errichten, sofern der abgeleitete Wohnsitz des Kindes in Caracas als fortbestehend erachtet wird. Denn in diesem Fall ist das Kind trotz dem seit längerer Zeit bestehenden Aufenthalt in der Schweiz als landesabwesende Bürgerin zu betrachten,
BGE 86 II 323 S. 329
was zur Anwendung des
Art. 30 NAG
führt. Dass sie ausser dem schweizerischen auch das venezolanische Bürgerrecht besitzt, spielt keine Rolle; für die schweizerischen Behörden fällt nur das Schweizerbürgerrecht in Betracht (vgl.
BGE 84 II 474
mit Zitaten). Es ist daher diesem Kinde der vormundschaftliche Schutz der Heimat ebenso zu gewähren, wie wenn es einzig Schweizerbürgerin wäre. Allerdings ist umstritten, ob
Art. 30 NAG
eine selbständige Norm sei oder nur im Rahmen des
Art. 28 NAG
gelte, d.h. nur dann, wenn der Wohnsitzstaat nicht selber nach dem Wohnsitzprinzip die Zuständigkeit für sich beansprucht (im ersten Sinne: KAUFMANN, N. 12 und 14 vor
Art. 376 ZGB
; STAUFFER, N. 2 zu
Art. 30 NAG
; ALEXANDER, Die Vormundschaft für Ausländer in der Schweiz und für Auslandschweizer, S. 91 ff.; im zweiten Sinne: MEILI, Handbuch I 342; HESS, Die Vormundschaft nach Schweizerrecht, N. 230; ISENSCHMID, Die Vormundschaft über Ausländer in der Schweiz und über Schweizer im Ausland, S. 30 ff.). Das Bundesgericht hat diese Frage bisher offen gelassen (vgl.
BGE 54 II 157
ff. und das in BlZR 34 Nr. 21 wiedergegebene Urteil vom 9. November 1934, das zwar von
Art. 28 NAG
ausgeht, dann aber auch die sich bei ausschliesslicher Anwendung der
Art. 30 NAG
ergebende Rechtslage erörtert). Grundsätzlich ist der ersten Ansicht zu folgen,
Art. 30 NAG
somit als selbständige Norm zu betrachten und auf das internationale Privat- und Prozessrecht des Wohnsitzstaates hinsichtlich der Bevormundung landesabwesender Schweizerbürger keine Rücksicht zu nehmen. Die gegenteilige Auslegung findet im Wortlaut des
Art. 30 NAG
keine Stütze. Nach dem klaren Gesetzestext haben vielmehr die heimatlichen Behörden immer dann einzuschreiten, wenn "die Bestellung einer Vormundschaft über eine auswandernde oder landesabwesende Person nötig wird", sofern es sich gemäss der Überschrift des die Art. 28 bis 31 umfassenden zweiten Titels des NAG um einen Schweizerbürger handelt. Es liegen auch keine zureichenden sachlichen Gründe vor, das Anwendungsgebiet
BGE 86 II 323 S. 330
des Art. 30 im Sinne des Art. 28 einzuschränken. Wie wenig zweckentsprechend dies wäre, zeigt gerade der vorliegende Fall eines abgeleiteten Wohnsitzes im Ausland, der als fortdauernd fingiert wird, während die betreffende Person sich seit längerer Zeit in der Schweiz aufhält und hier den tatsächlichen Mittelpunkt ihres Lebens hat.
Mitunter mögen sich freilich vormundschaftliche Massnahmen der schweizerischen Behörden auf Grund des
Art. 30 NAG
deshalb erübrigen, weil der schutzbedürftige Schweizerbürger im Ausland lebt und ihm die ausländischen Behörden genügenden Schutz gewähren und die Verhältnisse auch am besten zu beurteilen vermögen, ja unter Umständen eine in der Schweiz getroffene Massnahme sich gar nicht praktisch verwirklichen liesse. Dieser Gesichtspunkt ist in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gelangt (vgl.
BGE 54 II 234
ff., der zwar eine auf Entzug der elterlichen Gewalt gehende Klage betrifft, dessen Erwägungen jedoch den Bereich der Einwirkungsmöglichkeit der schweizerischen vormundschaftlichen Behörden erörtern; ferner den bereits erwähnten, in BlZR 34 Nr. 21 wiedergegebenen Entscheid). Das wie
Art. 30 NAG
grundsätzlich dem Heimatprinzip huldigende internationale Abkommen vom 12. Juni 1902 zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige (dem die Schweiz, nicht auch Venezuela beigetreten ist) gibt in den Art. 2 und 3 unter gewissen Voraussetzungen vormundschaftlichen Massnahmen des Staates Raum, in dessen Gebiet der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der schweizerische Bundesrat hat bereits im Jahre 1912 eine Revision des Abkommens angeregt in dem Sinne, dass sogar in erster Linie der Aufenthaltsstaat zur Anordnung der Vormundschaft zuständig sein solle, und ein derzeit in Diskussion stehender Konventionsentwurf erklärt grundsätzlich die Behörden des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, als zuständig (vgl. W. VON STEIGER in SJZ 56/1960, S. 256 ff.). Nichts steht entgegen, im Hinblick auf diese rechtspolitischen Tendenzen die
BGE 86 II 323 S. 331
"Notwendigkeit", gemäss
Art. 30 NAG
vormundschaftliche Massnahmen nun gerade in der Schweiz zu ergreifen, dann zu verneinen, wenn im Ausland, wo der Minderjährige lebt, wirksamer für ihn gesorgt werden kann (vgl. auch A. HEINI, SJZ 55/1959, S. 301 ff.). Dieser Gedanke rechtfertigt jedoch im vorliegenden Falle kein Abweichen von der grundsätzlich nach
Art. 30 NAG
gegebenen Zuständigkeit der schweizerischen Behörden. Anna Maria H. hat ja, wenn auch allenfalls nicht den rechtlichen Wohnsitz, so doch eben seit Ende 1957 (wie auch schon, mit Unterbrechung, in frühern Jahren) ihren Aufenthalt ständig in der Schweiz.
Übrigens ist fraglich, ob es gerechtfertigt sei, den abgeleiteten Wohnsitz der in der Schweiz lebenden minderjährigen Tochter nach dem Erlöschen der elterlichen Gewalt des Vaters als in Caracas fortbestehend zu fingieren, oder ob nicht vielmehr unter den gegebenen Umständen Wohnsitz im Aufenthaltsstaat anzunehmen sei (vgl. KAUFMANN, N. 7 zu
Art. 376 ZGB
; GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 56 N. 121). Auf dieser Grundlage wären die schweizerischen Behörden erst recht zuständig (
Art. 376 ZGB
). Dabei könnte offen bleiben, in welchem Kanton und an welchem Ort die Zuständigkeit gegeben sei; denn weder in interkantonaler noch in innerkantonaler Beziehung wird in der vorliegenden Beschwerde etwas eingewendet. Übrigens steht fest, dass der auf solche Weise (selbständig nach
Art. 23 ZGB
) zu bestimmende Wohnsitz sich bei Anordnung der Vormundschaft im September 1958 entweder in Chur (dem Wohnort der Tante, die das minderjährige Kind betreute) oder in St. Moritz (dem Ort des Erziehungsinstitutes) befand, also jedenfalls in Graubünden. Ob im übrigen nach kantonalem Recht gemäss dem Vorbehalt des
Art. 376 Abs. 2 ZGB
(vgl. ferner Art. 71 des kantonalen EG zum ZGB) die Zuständigkeit am Heimatort Seewis begründet wäre, steht dahin.
4.
Der Einwand der Beschwerdeführerin, die ihr
BGE 86 II 323 S. 332
durch Urteil vom 31. Juli 1958 in Caracas zuerkannte elterliche Gewalt schliesse eine Stellung des Kindes unter Vormundschaft aus, betrifft in erster Linie die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer solchen Bevormundung. Nur mittelbar wäre freilich aus einer als rechtmässig zu erachtenden elterlichen Gewalt, sofern sie nach dem ihr zukommenden Inhalt keinen Raum für eine Vormundschaft lässt, zu schliessen, eine Bevormundung könnte nur bei Entzug der elterlichen Gewalt Platz greifen, und auf dieser Grundlage könnte allenfalls der Standpunkt verfochten werden, es seien überhaupt keine vormundschaftlichen Behörden oder wenigstens nicht schweizerische zuständig. Die Beschwerdeführerin hat indessen nicht dargetan, dass die ihr in Venezuela nach dortigem Recht zuerkannte elterliche Gewalt gleichwie diejenige des schweizerischen Rechtes eine Vormundschaft ausschliesse (was bei weitem nicht für alle ausländischen Rechtsordnungen zutrifft; vgl. ALEXANDER, a.a.O. S. 20 ff.;
BGE 40 II 435
ff.). Wie es sich damit verhalte, ist im übrigen eine Frage des materiellen ausländischen Rechtes, die anscheinend in kantonaler Instanz gar nicht geprüft wurde. Was die vom Kleinen Rat erörterte internationale Abgrenzung der Zuständigkeit zur Zuerkennung der elterlichen Gewalt betrifft, so wird in der schweizerischen Rechtslehre im allgemeinen sowohl für den Entzug wie auch für die Wiederherstellung der elterlichen Gewalt
Art. 28 NAG
als zutreffende Kollisionsnorm betrachtet (ALEXANDER, a.a.O. S. 21; STAUFFER, N. 7 zu
Art. 30 NAG
; GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 54/55; anders ein Entscheid des bernischen Regierungsrates: Monatsschrift f. bern. Verwaltungsrecht 22 S. 451). Im vorliegenden Falle hat man es aber nicht mit einer Wiederherstellung der elterlichen Gewalt zu tun, wie sie das schweizerische Recht in
Art. 287 ZGB
vorsieht. Vielmehr ist das (in Caracas gestellte) Gesuch der Beschwerdeführerin, es sei ihr infolge Todes des geschiedenen Ehemannes nunmehr die elterliche Gewalt zuzuerkennen, unter
BGE 86 II 323 S. 333
dem Gesichtspunkt einer Klage auf Änderung des Scheidungsurteils hinsichtlich der Elternrechte zu betrachten, wie sie das schweizerische Recht in
Art. 157 ZGB
vorsieht. Es mag dahingestellt bleiben, ob eine solche Klage um des für die Entscheidung massgebenden Kinderschutzes willen analogieweise dem
Art. 30 NAG
zu unterstellen sei (worauf im Ergebnis die dem angefochtenen Entscheid zu Grunde gelegten Ausführungen von EGGER, N. 12 zu
Art. 157 ZGB
, hinauslaufen). Selbst wenn solche Klagen grundsätzlich dem
Art. 28 NAG
unterstehen sollten und an den ausländischen Wohnsitz der Gewaltansprecherin angeknüpft wird, durfte das in Caracas ergangene Urteil vom 31. Juli 1958 ohne Verletzung bundesrechtlicher Normen unbeachtet bleiben:
a) Laut dem Eingang des erwähnten Urteils hatte die Beschwerdeführerin im Juli 1958 zwar in Caracas Wohnsitz. Ungewiss ist dagegen, ob das dortige Gericht seine Zuständigkeit wirklich kraft Wohnsitzprinzips bejaht habe (was allein für die Anwendung des
Art. 28 Ziff. 2 NAG
in Betracht fiele, vgl.
BGE 78 II 200
). Sollte die Zuständigkeit bloss wegen des venezolanischen Bürgerrechts der Beschwerdeführerin anerkannt worden sein, also kraft Heimatprinzips, so müsste es beim schweizerischen Heimatgerichtsstand nach
Art. 28 Ziff. 2 NAG
bleiben.
b) Auch bei Bejahung der Zuständigkeit könnte das Urteil vom 31. Juli 1958 in der Schweiz nicht anerkannt werden, weil es (laut der in den Akten des Bezirksamtes Unterlandquart liegenden Übersetzung) der Beschwerdeführerin einfach wegen des Todes des O. J. H. die elterliche Gewalt übertrug, ohne dass die Bedürfnisse und Interessen des Kindes irgendwie untersucht und berücksichtigt worden wären. Falls das venezolanische Recht für die Neugestaltung der Elternrechte gegenüber der bei der Ehescheidung getroffenen Regelung ein Zweiparteienverfahren vorsieht, liegt in diesem Vorgehen eine Verletzung wichtigster Parteirechte. Die Klage hätte in diesem Fall entweder gegen die mit den Verhältnissen vertraute schweizerische
BGE 86 II 323 S. 334
Vormundschaftsbehörde oder gegen das (durch einen Beistand zu vertretende) Kind gerichtet werden müssen (vgl.
BGE 61 II 24
ff.; R. KEHL in ZbJV 84 S. 289 ff., besonders 310 ff.). Ist dagegen eine Entscheidung auf einseitigen Antrag des die elterliche Gewalt nunmehr beanspruchenden Elternteils vorgesehen (wogegen vom Standpunkt des materiellen schweizerischen Rechtes aus nichts einzuwenden wäre, vgl.
BGE 67 II 64
ff., Ende der Erwägungen), so wäre unerlässlich gewesen, die Interessen des Kindes, dessen Schicksal auf dem Spiele steht, durch amtliche Massnahmen nach der Offizialmaxime abzuklären. Zu diesen Massnahmen hätte hier vor allem die Einholung eines Berichtes der schweizerischen vormundschaftlichen Behörden gehört, unter deren Obhut das Kind tatsächlich steht (vgl. K. SPECKER in der Schweizerischen Zeitschrift für Vormundschaftswesen 3 S. 134; E. FRICK, Der Gerichtsstand bei der Abänderung von Scheidungsurteilen, Diss. 1954, S. 53). Das die Lebensumstände und Bedürfnisse des Kindes ausser acht lassende ausländische Urteil verstösst gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz, und es vermag daher die vormundschaftliche Fürsorge, wozu die schweizerischen Behörden an und für sich zuständig sind, nicht auszuschalten.
c) Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob das ausländische Urteil vom 31. Juli 1958 nicht selbst dann, wenn es an und für sich als einwandfrei zu gelten hätte, wegen der von den schweizerischen vormundschaftlichen Behörden zu wahrenden öffentlichen Interessen unbeachtet bleiben dürfte. Es mag bloss bemerkt werden, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Adressangabe den eigentlichen Wohnsitz in Venezuela behalten hat (was freilich durch die Erklärung des angefochtenen Entscheides, sie wohne "bekanntlich" in der Schweiz, in Frage gestellt wird) und kaum in der Lage wäre, sich des Kindes richtig anzunehmen, ganz abgesehen von den gegen ihre Eignung als Erzieherin vorgebrachten Bedenken und den Interessengegensätzen, wie sie im Hinblick auf den Streit um die
BGE 86 II 323 S. 335
Gültigkeit der Ehescheidung und auf die Auseinandersetzung über die Erbschaft des O. J. H. bestehen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten, und die eventuelle Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8a6846a1-5a9b-4227-bd27-deecb4b92c3e | Urteilskopf
140 III 501
75. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Obergericht des Kantons Bern (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_374/2013 vom 23. September 2014 | Regeste
Art. 106 ZPO
,
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
; Auferlegung der Parteientschädigung an den Kanton im Rechtsmittelverfahren um unentgeltliche Rechtspflege, Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.
Ob die ZPO in einem (Rechtsmittel-)Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege eine Grundlage für die Auferlegung der (vollen) Parteikosten an den Kanton als unterliegende Partei bietet, stellt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (E. 1.3).
Obsiegt die um unentgeltliche Rechtspflege nachsuchende Partei im Beschwerdeverfahren, ist ihr vom Kanton die volle Parteientschädigung auszurichten (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 502
BGE 140 III 501 S. 502
A.
Im Rahmen eines Mieterstreckungsverfahrens vor der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland reichte A. am 5. November 2012 ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ein. Mit Entscheid vom 2. April 2013 wies die Schlichtungsbehörde das Gesuch wegen Aussichtslosigkeit ab.
Dagegen erhob A. Beschwerde an das Obergericht des Kantons Bern. Sie beantragte zudem die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das Beschwerdeverfahren. Mit Entscheid vom 18. Juni 2013 hiess das Obergericht die Beschwerde gut und hob den Entscheid der Schlichtungsbehörde auf. A. wurde sowohl für das Schlichtungsverfahren als auch für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Fürsprecher Mark Schibler als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigeordnet. Für das Beschwerdeverfahren und das oberinstanzliche Gesuchsverfahren wurde die amtliche Entschädigung von Fürsprecher Mark Schibler, als amtlicher Rechtsbeistand von A., wie folgt bestimmt (Ziffer 6):
"amtliche Entschädigung 7.5 Stunden à CHF 200.00
CHF 1'500.00
Auslagen MWST-pflichtig
CHF 8.60
Mehrwertsteuer 8.0 % auf CHF 1'508.60
CHF 120.70
Auslagen ohne MWST
CHF 0.00
Total, vom Kanton Bern auszurichten
CHF 1'629.30
volles Honorar
CHF 1'725.00
Auslagen MWST-pflichtig
CHF 8.60
Mehrwertsteuer 8.0 % auf CHF 1'733.60
CHF 138.70
Auslagen ohne MWST
CHF 0.00
Total
CHF 1'872.30
nachforderbarer Betrag
CHF 243.00
Die Beschwerdeführerin hat dem Kanton Bern die ausgerichtete Entschädigung zurückzuzahlen sowie Fürsprecher Mark Schibler die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten, sobald sie dazu in der Lage ist (
Art. 123 Abs. 1 ZPO
)."
B.
Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht beantragt A. (nachfolgend: Beschwerdeführerin) im Wesentlichen, Ziffer 6 des Entscheides vom 18. Juni 2013 des Obergerichts des Kantons Bern sei aufzuheben und ihr sei für das Verfahren vor der Vorinstanz die volle Parteientschädigung gemäss eingereichter Honorarnote zu Lasten des Kantons Bern auszurichten. Die Vorinstanz beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut.
(Zusammenfassung)
BGE 140 III 501 S. 503
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
). Dieser Begriff ist restriktiv auszulegen (
BGE 133 III 493
E. 1.1 S. 495). Soweit es bei der aufgeworfenen Frage lediglich um die Anwendung von Grundsätzen der Rechtsprechung auf einen konkreten Fall geht, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (
BGE 135 III 1
E. 1.3 S. 4;
BGE 134 III 115
E. 1.2 S. 117). Die Voraussetzung von
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
ist hingegen erfüllt, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen (
BGE 138 I 232
E. 2.3 S. 236;
BGE 135 III 1
E. 1.3 S. 4). Die Frage muss von allgemeiner Tragweite sein (
BGE 134 III 267
E. 1.2 S. 269). Eine neue Rechtsfrage kann vom Bundesgericht beurteilt werden, wenn dessen Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann, namentlich, wenn von unteren Instanzen viele gleichartige Fälle zu beurteilen sein werden (
BGE 135 III 1
E. 1.3 S. 4).
Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, hat die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist (
Art. 42 Abs. 2 Satz 2 BGG
), ansonsten die Beschwerde in Zivilsachen unzulässig ist (
BGE 133 III 439
E. 2.2.2.1 S. 442).
1.3.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden, ob die ZPO (in einem Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege) eine Grundlage für die Auferlegung der (vollen) Parteikosten an den Kanton biete. Die Klärung dieser Rechtsfrage sei von grundsätzlicher Bedeutung, da es nicht sein könne, dass eine Partei trotz vollständigem Obsiegen zur Tragung der Parteikosten verurteilt und lediglich im Rahmen des reduzierten Tarifs für die unentgeltliche Prozessführung entschädigt werde. Es sei sehr wahrscheinlich, dass es in Zukunft noch viele gleich gelagerte Fälle geben werde.
1.3.2
Das Bundesgericht hat sich bereits in unterschiedlichen Konstellationen mit der Frage befasst, ob ein Kanton zur Tragung der
BGE 140 III 501 S. 504
Prozesskosten verurteilt werden kann: So hat es in
BGE 138 III 471
- allerdings ohne weitere Begründung - entschieden, dass die Gerichts- und Parteikosten eines kantonalen Verfahrens, die von keiner Partei veranlasst wurden, gestützt auf
Art. 107 Abs. 2 ZPO
("Verteilung nach Ermessen") dem Kanton auferlegt werden können (
BGE 138 III 471
E. 7 S. 483; kritisch: HEINZMANN/COPT, Le tribunal en tant que partie succombante, BR 2014 S. 143). Verschiedentlich hat das Bundesgericht auch bei Verfahrensmängeln, namentlich bei einer Rechtsverweigerung bzw. bei der Gutheissung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde (
Art. 319 lit. c ZPO
), den Kanton zur Zahlung einer Parteientschädigung verpflichtet (
BGE 139 III 471
E. 3.3 S. 475; Urteil 5A_378/2013 vom 23. Oktober 2013 E. 1.3 und E. 2.2 mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 5A_278/2013 vom 5. Juli 2013 E. 4.2).
Vorliegend wird dem Kanton jedoch weder ein Verfahrensfehler vorgeworfen, noch handelt es sich um eine Kostenauflage nach Billigkeit. Vielmehr ist zu entscheiden, ob ein Kanton in einem Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zufolge Unterliegens
gestützt auf die Zivilprozessordnung
zur Tragung der Parteikosten verurteilt werden kann, und falls dies zu bejahen ist, in welcher Höhe. Diese Frage wurde vom Bundesgericht noch nicht entschieden; auch nicht in
BGE 140 III 167
. Dieser Entscheid, in dem es um die Parteientschädigung an den unentgeltlichen Rechtsvertreter in einem Verfahren betreffend fürsorgerischer Unterbringung ging, war auf der Grundlage kantonalen Rechts zu beurteilen. Denn
Art. 450f ZGB
verweist für die nicht durch das ZGB geregelten Verfahrensfragen auf das kantonale Recht; die Bestimmungen der Zivilprozessordnung sind danach nur anwendbar, soweit das kantonale Recht nichts anderes bestimmt (Urteil 5A_327/2013 vom 17. Juli 2013 E. 3.1). Das massgebliche kantonale Recht (Art. 70 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Bern vom 1. Februar 2012 über den Kindes- und Erwachsenenschutz [KESG; BSG 213.316]) bestimmte in diesem Fall, die Kostenregelung richte sich nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (
BGE 140 III 167
E. 2.3 S. 169 f.).
1.4
Bei der aufgeworfenen Frage handelt es sich somit um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, deren Entscheidung für die Praxis mit Blick auf eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts wegleitend sein kann. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist daher unter Vorbehalt zulässiger (
Art. 95 BGG
) und hinreichend begründeter Rügen (Art. 42 Abs. 1 i.V.m.
Art. 106 Abs. 2 BGG
)
BGE 140 III 501 S. 505
einzutreten. Damit fällt die ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde ausser Betracht (
Art. 113 BGG
).
2.
Mit dem angefochtenen Entscheid hat die Vorinstanz die Beschwerde der Beschwerdeführerin gutgeheissen und den Entscheid der Schlichtungsbehörde vom 2. April 2013 aufgehoben. Der Beschwerdeführerin wurde sowohl für das Schlichtungsverfahren wie für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und Fürsprecher Mark Schibler als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigeordnet. Die Vorinstanz hielt fest, praxisgemäss würden die Parteikosten des oberinstanzlichen Verfahrens bei Beschwerden gegen ablehnende Entscheide betreffend die unentgeltliche Rechtspflege im Hauptverfahren liquidiert. Dies sei jedoch vorliegend nicht möglich, weil das Hauptverfahren bereits vor dem Entscheid der Schlichtungsbehörde betreffend unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos geworden sei. Ausnahmsweise seien daher die Parteikosten für das Beschwerdeverfahren oberinstanzlich zu liquidieren. Da die Gegenpartei im Hauptverfahren nicht förmliche Partei im Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sei, könnten ihr hierfür keine Parteikosten auferlegt werden. Für die Auferlegung der Parteikosten an den Kanton Bern biete die ZPO keine Grundlage. Folglich entschied die Vorinstanz, Fürsprecher Mark Schibler sei gemäss der auch für das Beschwerdeverfahren bewilligten unentgeltlichen Rechtspflege und gemäss der kantonalen Ausfallhaftung nach
Art. 122 Abs. 2 ZPO
angemessen zu entschädigen. Dabei legte die Vorinstanz die Entschädigung gemäss dem reduzierten Tarif für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung fest und verpflichtete die Beschwerdeführerin, dem Kanton Bern die ausgerichtete Entschädigung zurückzuzahlen sowie Fürsprecher Mark Schibler die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten, sobald sie dazu in der Lage sei (
Art. 123 ZPO
).
2.1
Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, dieser Entscheid verletze in stossender Weise den Gerechtigkeitsgedanken; es könne nicht sein, dass obwohl die Schlichtungsbehörde falsch entschieden habe, die Erhebung einer Beschwerde an die Vorinstanz demnach nötig gewesen sei, sie letztlich zur Tragung ihrer Parteikosten verurteilt werde. Prozesskosten seien gemäss
Art. 106 Abs. 1 ZPO
der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Partei sei, wer rechtsfähig sei oder von Bundesrechts wegen als Partei auftreten könne (
Art. 66 ZPO
). Unterliegende Partei im vorinstanzliche Verfahren sei
BGE 140 III 501 S. 506
somit die Schlichtungsbehörde; zumindest sei diese "
wie
eine Partei zu behandeln". Denn im Bewilligungsverfahren seien sich Schlichtungsbehörde und Beschwerdeführerin gegenüber gestanden. Es handle sich somit um eine Streitigkeit zwischen Schlichtungsbehörde und Beschwerdeführerin, in der die Schlichtungsbehörde im Rechtsmittelverfahren unterlegen sei. Diese Situation sei im Straf- und Verwaltungsverfahren alltäglich und dort werde der Staat (als unterliegende Partei) regelmässig zur Kostentragung verpflichtet. Konkrete Gründe, weshalb dies im Zivilverfahren anders sein sollte, seien keine ersichtlich. Auch im BGG werde die Vorinstanz nirgends als Partei bezeichnet; das Bundesgericht habe aber trotzdem in einem Beschwerdeverfahren gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege durch ein kantonales Obergericht dem Kanton eine Parteientschädigung gestützt auf
Art. 68 Abs. 2 BGG
auferlegt (Urteil 5A_649/2011 vom 3. Februar 2012 E. 6). Sollte der Parteibegriff in der ZPO aber derart eng ausgelegt werden, dass - im Gegensatz zum BGG, Straf- und Verwaltungsverfahren - das Gemeinwesen weder Partei noch wie eine Partei behandelt werden könne, wären die Parteikosten der Gegenpartei (in der Hauptsache) oder dem Kanton aus Billigkeitsgründen gemäss
Art. 107 Abs. 2 ZPO
aufzuerlegen.
2.2
Dem hält die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung entgegen, die ZPO selber halte für das Beschwerdeverfahren ausdrücklich fest, dass dem erstinstanzlichen Gericht keine Parteistellung zukomme: Während nach
Art. 322 ZPO
die "Gegenpartei" eine Beschwerdeantwort einreichen könne, ersuche die Rechtsmittelinstanz nach
Art. 324 ZPO
die "Vorinstanz" um eine Stellungnahme. Die Vorinstanz werde also nicht Gegenpartei, sondern bleibe Vorinstanz. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Urteil 5P.212/2005 vom 22. August 2005 E. 2.2) setze das Unterliegerprinzip (
Art. 106 ZPO
) begriffsnotwendig ein Zweiparteienverfahren voraus und sei die Behörde, die um Rechtsschutz angegangen werde, nicht Partei sondern urteilende Instanz. Der durch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege verursachte anwaltliche Aufwand sei vom Entschädigungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistands umfasst. Die Liquidation der Prozesskosten in Fällen der unentgeltlichen Rechtspflege sei abschliessend in
Art. 122 ZPO
geregelt, wobei daraus keine Grundlage ersichtlich sei, um der erstinstanzlich urteilenden Instanz im Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung aufzuerlegen. Die Analogie zum
BGE 140 III 501 S. 507
bundesgerichtlichen Verfahren überzeuge nicht. Zwar möge zutreffen, dass die kantonale Vorinstanz im bundesgerichtlichen Verfahren als Beschwerdegegner behandelt werde. Würde jedoch auch die Erstinstanz im Beschwerdeverfahren nach ZPO als Beschwerdegegnerin behandelt und entsprechend das auf das Zweiparteienverfahren zugeschnittene Unterliegerprinzip gemäss
Art. 106 ZPO
angewendet, hätte dies zur Folge, dass bei Obsiegen der Erstinstanz dieser eine Parteientschädigung zuzusprechen wäre und wäre dieser - angesichts des dadurch bestehenden Kostenrisikos - zu empfehlen, sich anwaltlich vertreten zu lassen. Dieses auf streitige Zweiparteienverfahren zugeschnittene Ergebnis könne vom Gesetzgeber indessen nicht gewollt sein; es würde aber eintreten, denn auf Stufe ZPO bestehe keine Norm wie
Art. 68 Abs. 3 BGG
, wonach dem Gemeinwesen in seinem amtlichen Wirkungskreis keine Parteientschädigung zugesprochen werden kann.
3.
3.1
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid zutreffend festgehalten, dass die formelle Gegenpartei des Hauptverfahrens bzw. die Vermieterin nicht als unterliegende Partei im Sinne von
Art. 106 Abs. 1 ZPO
qualifiziert werden kann, da sie mit Bezug auf die Sach- und Rechtsfrage der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht materiell am Verfahren beteiligt war und auch keine eigenen Anträge gestellt hat (
Art. 119 Abs. 3 ZPO
;
BGE 139 III 334
E. 4.2 S. 342 f.).
Zu prüfen ist daher, ob die (vollen) Parteikosten der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren dem Kanton Bern auferlegt werden können.
3.2
Dabei bringt die Beschwerdeführerin zu Recht vor, dass kein Verfahrensfehler vorliegt, der eine Entschädigungspflicht des Kantons gestützt auf
Art. 108 ZPO
(Verursachung unnötiger Kosten) auslösen könnte. So liegt auch kein Anwendungsfall von
Art. 107 Abs. 2 ZPO
vor, denn diese Bestimmung findet Anwendung bei einer Streitigkeit zwischen den beiden Parteien des Zivilprozesses und nicht, wenn sich das Rechtsmittel gegen den Kanton selber richtet (Urteil 5A_378/2013 vom 23. Oktober 2013 E. 1.3). Zu prüfen bleibt somit, ob der Kanton gestützt auf
Art. 106 ZPO
zur Ausrichtung einer Parteientschädigung verpflichtet werden kann.
4.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene
BGE 140 III 501 S. 508
Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zugrunde liegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, das heisst eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut, darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 137 III 470
E. 6.4 S. 472).
4.1
Entgegen der Vorinstanz lässt sich einzig aufgrund des Wortlauts, namentlich des Begriffs "Partei" in
Art. 106 Abs. 1 ZPO
eine Anwendung dieser Bestimmung auf die Erstinstanz nicht ausschliessen:
4.1.1
Das Bundesgericht erwog in
BGE 139 III 471
E. 3.3 für den Fall der Kostenauferlegung bei Rechtsverzögerung, in einem Zivilprozess - sei es in erster Instanz oder in der Rechtsmittelinstanz - könne der Kanton normalerweise nicht als unterliegende "Partei" im Sinne von
Art. 106 Abs. 1 ZPO
betrachtet werden, denn der Kanton sei nicht Partei nach
Art. 66 ff. ZPO
. Andererseits sei die in
Art. 319 lit. c ZPO
geregelte Rechtsverzögerungsbeschwerde, auch wenn diese Bestimmung unter dem Randtitel "Anfechtungsobjekt" stehe, gegen den Kanton als Gegenpartei gerichtet. Daher könne der Kanton trotzdem als unterliegende "Partei" im Sinn von
Art. 106 Abs. 1 ZPO
verstanden werden. Das Gericht hat daher dem Begriff (unterliegende) "Partei" eine weite, über die
Art. 66 ff. ZPO
hinausgehende Bedeutung zugemessen, weil
die Zivilprozessordnung selber
in einer anderen Bestimmung (
Art. 319 lit. c ZPO
) der Behörde Parteistellung zuerkennt.
4.1.2
Daraus folgt, dass entgegen der Vorinstanz jedenfalls aus den Formulierungen in
Art. 322 ZPO
("Gegenpartei") bzw.
Art. 324 ZPO
("Vorinstanz") nichts Entscheidendes abgeleitet werden kann. Das Verfahren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ist ein solches zwischen der Gesuchstellerin und dem Staat (
BGE 139 III 334
E. 4.2 S. 343.; vgl. auch Urteil 5A_381/2013 vom 19. August 2013 E. 3.2). Im erstinstanzlichen Bewilligungsverfahren handelt es sich - wie die Vorinstanz zu Recht ausführt - um ein Einparteiverfahren, bei dem Partei ist, wessen Sache behandelt wird. Ob das
BGE 140 III 501 S. 509
Verfahren deswegen der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist (so ALFRED BÜHLER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 6 zu
Art. 119 ZPO
), kann offenbleiben. Dies ändert sich jedoch, wie das Bundesgericht gerade im Hinblick auf Fälle der freiwilligen Gerichtsbarkeit entschieden hat, wenn gegen den erstinstanzlichen Entscheid Beschwerde erhoben wird. Dann liegt ein Zweiparteienverfahren vor (Urteile 5A_815/2009 vom 31. März 2010 E. 3.1 und 5P.212/2005 vom 22. August 2005 E. 2.2). Die Erstinstanz kann daher wie in den Fällen der Rechtsverzögerungsbeschwerde als Gegenpartei verstanden werden.
4.2
Aus den Materialien ergeben sich keine eindeutigen Aufschlüsse.
Art. 121 ZPO
, der das Rechtsmittel gegen einen die unentgeltliche Rechtspflege ablehnenden Entscheid der ersten Instanz regelt, war gleichermassen schon in Art. 110 des Vorentwurfs der Expertenkommission (Rekurs statt Beschwerde) und Art. 119 des Entwurfs des Bundesrats enthalten. In der Botschaft äusserte sich der Bundesrat namentlich zur Höhe der Entschädigung für den unentgeltlichen Rechtsbeistand, weil diesbezüglich der Vorentwurf (Art. 107 Abs. 3 VE-ZPO) eine Entschädigung zum vollen Tarif vorgesehen hatte. Dies sei in der Vernehmlassung jedoch stark kritisiert und entsprechend fallen gelassen worden (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7304 zu Art. 120). In der vorberatenden Kommission des Ständerats wurde einzig festgehalten, der Entwurf des Bundesrates kodifiziere etabliertes Recht, das durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts präzisiert worden sei, insbesondere auch, was die Höhe der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands betreffe. Daher sei auch die Entschädigung zum vollen Tarif gestrichen worden, denn sie hätte zu erheblichen Mehrbelastungen für die Kantone geführt. Aus der Diskussion der vorberatenden Kommission des Nationalrates ergeben sich keine weiteren Anhaltspunkte. So gab es auch in den parlamentarischen Beratungen keine diesbezüglichen Wortmeldungen (AB 2007 S 513; AB 2008 N 944).
4.3
Ob
Art. 106 Abs. 1 ZPO
vorliegend anwendbar und insbesondere, ob gestützt darauf eine volle Entschädigung geschuldet ist, hängt vielmehr von der Rechtsnatur des Verfahrens der unentgeltlichen Rechtspflege bzw. deren Regelung in der ZPO ab. Diesbezüglich gehen Beschwerdeführerin und Vorinstanz von einem grundsätzlich unterschiedlichen Verständnis aus. Die Vorinstanz ist der Auffassung,
BGE 140 III 501 S. 510
die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege umfasse nicht nur den Aufwand für die Zivilrechtsstreitigkeit, sondern auch den Aufwand für die Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege, mithin bei einem notwendigen Beschwerdeverfahren auch den Aufwand für dieses Beschwerdeverfahren. Entsprechend sei für alle diese Bemühungen der reduzierte Tarif anwendbar. Für die Beschwerdeführerin dagegen handelt es sich um einen Fall des Obsiegens, der wie jeder andere eine ungekürzte Entschädigung bewirkt und ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren selber gegenstandslos werden lässt.
4.3.1
Das Bundesgericht hielt in seiner Rechtsprechung zu früheren kantonalen Zivilprozessgesetzen fest, eine kantonale Praxis, nach welcher der Aufwand für die Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege - auch jener für ein allfälliges Beschwerdeverfahren - im Rahmen des Hauptprozesses entschädigt werde, verstosse nicht gegen
Art. 29 Abs. 3 BV
. Einem allfälligen für die Erlangung der Bewilligung notwendigen, ungewöhnlich hohen Aufwand könne bei der Festsetzung der Entschädigung für das Hauptverfahren Rechnung getragen werden (Urteile 5A_710/2008 vom 12. Januar 2009 E. 3.3.3; 4P.183/2000 vom 24. Oktober 2000 E. 4c). Soweit sich die Lehre überhaupt dazu äussert, wird die Auffassung vertreten, diese Praxis, die ausser bei ungewöhnlich hohem Aufwand zu
keiner Entschädigung
für den Aufwand im Zusammenhang mit dem Bewilligungsverfahren führt, sei unter der ZPO nicht mehr zulässig. Gleichzeitig wird aber ohne weiteres davon ausgegangen, dass der
Entschädigungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistands
auch den im Rechtsmittelverfahren geleisteten anwaltlichen Aufwand umfasst, wenn die unentgeltliche Rechtspflege erst von der Beschwerdeinstanz gewährt wird (ALFRED BÜHLER, a.a.O., N. 27 f. zu
Art. 121 ZPO
). Die Auffassung der Vorinstanz entspricht somit dieser Lehrmeinung.
4.3.2
Es scheint unbestritten, dass der öffentlich-rechtliche Entschädigungsanspruch aus der bewilligten unentgeltlichen Rechtspflege auch den anwaltlichen Aufwand für das
Gesuch
umfasst (ALFRED BÜHLER, a.a.O., N. 151 zu
Art. 119 ZPO
; LUKAS HUBER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 28 zu
Art. 119 ZPO
).
In
BGE 137 III 470
hat das Bundesgericht im Hinblick auf die Kostenlosigkeit des Verfahrens um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege indessen zwischen dem erstinstanzlichen
BGE 140 III 501 S. 511
Gesuchsverfahren und dem Beschwerdeverfahren unterschieden. Dies wurde in der Lehre zum Teil kritisiert mit dem Hinweis, das Beschwerdeverfahren sei ebenfalls "ein Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege" (ALFRED BÜHLER, a.a.O., N. 50a zu Art. 119 und N. 27 zu
Art. 121 ZPO
; vgl. auch FRANK EMMEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 19 zu
Art. 119 ZPO
). Es besteht aber kein Anlass, auf diese Rechtsprechung zurückzukommen. Dann jedoch ist es folgerichtig, auch hinsichtlich der Parteientschädigung zwischen dem Gesuchsverfahren und dem Beschwerdeverfahren zu unterscheiden und diese nicht wie die Vorinstanz als Einheit aufzufassen. Demzufolge ist die Beschwerdeführerin im Fall des Obsiegens so zu behandeln wie in jedem andern Fall des Obsiegens, das heisst, es ist ihr eine normale Parteientschädigung gemäss
Art. 106 Abs. 1 ZPO
zuzusprechen. Damit wird die um die unentgeltliche Rechtspflege beschwerdeführende Partei so gestellt, als wäre ihr diese von Anfang an bewilligt worden. Somit ist das volle Anwaltshonorar geschuldet.
4.4
Dem angefochtenen Entscheid lässt sich entnehmen, dass Fürsprecher Mark Schibler für das Beschwerdeverfahren sowie das oberinstanzliche Gesuchsverfahren ein Honorar von insgesamt Fr. 1'872.30 (Honorar Fr. 1'725.-, Auslagen Fr. 8.60, MWST Fr. 138.70) geltend gemacht hat. Dabei hielt die Vorinstanz fest, das Honorar von Fr. 1'725.- entspreche einem Zeitaufwand von 7,5 Stunden à Fr. 230.-. Dieser Aufwand erscheine zwar hoch, jedoch angesichts der Komplexität des oberinstanzlichen Verfahrens und der von Fürsprecher Mark Schibler getroffenen Abklärungen angemessen. Diese Ausführungen werden im bundesgerichtlichen Verfahren nicht beanstandet. Unter diesen Umständen ist das Bundesgericht in der Lage, dem reformatorischen Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausrichtung der vollen Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren zu entsprechen. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8a68c6ec-f929-4cb2-8217-3b216595837b | Urteilskopf
136 II 383
34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kanton Graubünden gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_382/2009 vom 5. Mai 2010 | Regeste
Art. 89 Abs. 1 BGG
; Legitimation einer Kantonsregierung zur Anfechtung eines Entscheides über kantonale Nachlasssteuern; analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das Gemeinwesen; Rechtsfolgen der Verletzung der Ausstandspflicht durch einen kantonalen Richter.
Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens im Rahmen der allgemeinen Beschwerdelegitimation (
Art. 89 Abs. 1 BGG
; E. 2.1-2.4). Der Kanton ist in Bezug auf die umstrittenen Übergangsbestimmungen zu den kantonalen Nachlasssteuern nicht qualifiziert in eigenen hoheitlichen Interessen betroffen, da er die Nachlasssteuer im Hauptanwendungsfall gerade abgeschafft hat (E. 2.5 und 2.6).
Keine analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das Gemeinwesen (E. 3).
Der Umstand, dass am vorinstanzlichen Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Befangenheit hätte in den Ausstand treten müssen, kann nicht als derart schwer wiegend bezeichnet werden, dass er die Nichtigkeit des angefochtenen Entscheids bewirkt (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 384
BGE 136 II 383 S. 384
A.
X. (geb. 1944) zog 1959 von Davos/GR in den Kanton Zürich, wo er seither wohnhaft und steuerpflichtig ist. Über mehrere Jahre erhielt er von seinem Vater Y. (geb. 1923), welcher im Kanton Graubünden wohnhaft und steuerpflichtig ist, diverse Erbvorbezüge in der Höhe von total Fr. 436'000.- (1982: Fr. 180'000.-; 1983/84: Fr. 70'000.-; 1997/98: Fr. 136'000.-; 1999/2000: Fr. 50'000.-). Für diese Zuwendungen leitete die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 das Veranlagungsverfahren ein. Mit Datum vom 6. November 2008 veranlagte die Steuerverwaltung basierend auf einem Vorempfangswert von Fr. 436'000.- eine Steuer von Fr. 17'440.-. Die Steuerverwaltung stützte sich dabei auf die Übergangsbestimmungen im kantonalen Steuergesetz zur - per 1. Januar 2008 erfolgten - Abschaffung der Nachlasssteuer für direkte Nachkommen. Gegen diese Veranlagungsverfügung erhob der Steuerpflichtige Einsprache und machte geltend, die Steuerforderung sei verjährt. Mit Entscheid vom 15. Januar 2009 wies die Steuerverwaltung die Einsprache ab und begründete dies damit, dass die Verjährung gemäss den erwähnten Übergangsbestimmungen erst am 1. Januar 2008 zu laufen begonnen habe.
BGE 136 II 383 S. 385
Dagegen erhob der Steuerpflichtige Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und machte wiederum geltend, die umstrittene Nachlasssteuer sei längst verjährt. Mit Urteil vom 12. Mai 2009 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut. Zur Begründung brachte es vor, die gesetzliche Grundlage für die Erhebung der Nachlasssteuer für die direkten Nachkommen sei per 1. Januar 2008 weggefallen.
B.
Mit Eingabe vom 11. Juni 2009 erhebt der Kanton Graubünden, vertreten durch die Regierung des Kantons Graubünden, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Bestätigung des Einspracheentscheids der Steuerverwaltung. Eventualiter sei das Urteil wegen Verletzung von Parteirechten aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Zu prüfen ist vorab die Beschwerdelegitimation des Kantons Graubünden. Wenn ein Kanton als Gemeinwesen als Rechtsmittelkläger handeln will, obliegt seine prozessuale Vertretung - entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners - in der Regel dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde, welche den Kanton von Verfassungs wegen nach aussen vertritt (
BGE 135 II 12
E. 1.2.3 S. 16 mit Hinweis; vgl. auch
Art. 42 Abs. 4 KV/GR
[SR 131.226]).
2.2
Im vorliegenden Fall stehen kantonale Nachlasssteuern zur Diskussion. Da in diesem Zusammenhang die Beschwerde nach Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) nicht gegeben ist, weil der angefochtene Entscheid keine in den Titeln 2-5 und 6 Kapitel 1 StHG geregelte Materie betrifft und weil auch kein anderes Bundesgesetz die Regierung des Kantons Graubünden zur Beschwerdeführung ermächtigt, kann sich die Legitimation des Kantons unbestrittenermassen einzig aus
Art. 89 Abs. 1 BGG
ergeben.
2.3
Nach dem allgemeinen Beschwerderecht von
Art. 89 Abs. 1 BGG
ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
BGE 136 II 383 S. 386
berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Diese Regelung ist zwar in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen wird. Das ist hier aber nicht der Fall; der Kanton ist durch die umstrittene Anwendung der Übergangsbestimmungen nicht wie eine Privatperson betroffen. Der Beschwerdeführer will seine Legitimation zwar aus dem Urteil (des Bundesgerichts) 2C_792/2008 vom 19. Februar 2009 E. 1.2, in: StE 2009 B 73.14 Nr. 3, ableiten. Dabei verkennt er jedoch, dass sich die hier zu beurteilende Angelegenheit von der im zitierten Entscheid behandelten wesentlich unterscheidet: Damals ging es im Rahmen der Nachlassliquidation der SAirLines um die Zuordnung einer Steuerforderung zu den Masseforderungen oder aber zu den Nachlassforderungen, womit der Kanton als Steuergläubiger in einer Gläubigerstellung wie eine Privatperson im Zwangsvollstreckungsverfahren betroffen war. Vorliegend steht aber nicht eine Gläubigerposition in Frage, sondern die Betroffenheit in der Steuerhoheit, d.h. in hoheitlichen Interessen.
2.4
Das Gemeinwesen kann in bestimmten Fällen auch in hoheitlichen Interessen derart berührt sein, dass die Rechtsprechung von einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 BGG
ausgeht (
BGE 135 II 12
E. 1.2.1 S. 15;
BGE 134 II 45
E. 2.2.1 S. 47; zur Heranziehung der früheren Praxis bei der Auslegung:
BGE 133 II 400
E. 2.4.1 S. 406). Das kann namentlich bei wichtigen vermögensrechtlichen Interessen der Fall sein (
BGE 135 I 43
E. 1.3 S. 47; vgl. die Beispiele bei HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 35 f. zu
Art. 89 BGG
; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 43 f. zu
Art. 89 BGG
; ALAIN WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 41 zu
Art. 89 BGG
). Bei Eingriffen in spezifische eigene Sachanliegen wird die Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens bejaht, wenn es in qualifizierter Weise betroffen ist (
BGE 135 I 43
E. 1.3 S. 47); dies ist dann anzunehmen, wenn ein Hoheitsakt wesentliche öffentliche Interessen in einem Politikbereich betrifft, der ihm zur Regelung zugewiesen wurde (
BGE 135 II 12
E. 1.2.2 S. 15 f.). In jedem Fall aber setzt die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen
BGE 136 II 383 S. 387
Interessen voraus; gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von
Art. 89 Abs. 1 BGG
dürfen Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zugelassen werden (
BGE 135 I 43
E. 1.3 S. 47). Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung verschafft dem Gemeinwesen noch keine Beschwerdebefugnis. Insbesondere ist die im Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht berechtigt, gegen den sie desavouierenden Entscheid an das Bundesgericht zu gelangen. Zur Begründung des allgemeinen Beschwerderechts genügt auch nicht jedes beliebige, mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe direkt oder indirekt verbundene finanzielle Interesse des Gemeinwesens (
BGE 134 II 45
E. 2.2.1 S. 47 mit Hinweisen).
2.5
Eine derartige spezifische und qualifizierte Betroffenheit des Gemeinwesens ist vorliegend nicht ersichtlich. Zwar geniessen die Kantone bei der Regelung der Erbschafts- und Schenkungssteuern einen erheblichen Gestaltungsspielraum, und es kann sich dabei auch um einen namhaften Teil der Staatseinnahmen handeln. Indessen hat der Kanton Graubünden mit dem Gesetz, dessen Übergangsbestimmungen hier umstritten sind, die Nachlasssteuer für die Nachkommen, also im häufigsten und wichtigsten Anwendungsfall, gerade abgeschafft. Er hat damit kundgetan, dass es sich insoweit um einen entbehrlichen Teil seiner Gesetzgebung handelt und damit um Einnahmen, auf die er in Zukunft ganz verzichten kann. Mithin geht es für den Kanton Graubünden nicht (mehr) um einen wichtigen Regelungsbereich. Hat er aber der Nachlasssteuer im Hauptanwendungsfall, also für die Nachkommen, selber im Hinblick auf die Alimentierung der Staatsfinanzen keine Bedeutung mehr zugemessen, so kann umso mehr auch der diesbezüglichen Übergangsbestimmung betreffend die noch nicht versteuerten Vorempfänge der Nachkommen keine grosse Bedeutung mehr zukommen. Der Umstand, dass es sich dabei um die Erfassung von recht zahlreichen Vorfällen mit einem Steueraufkommen von ca. 30 Mio. Franken handelt, vermag daran nichts zu ändern. Sind die Einnahmen aus einem bestimmten Bereich inskünftig überhaupt verzichtbar, so kommt auch den noch nicht erledigten Fällen aus früheren Jahren einnahmenseitig im Normalfall keine zentrale Bedeutung zu; spezielle Verhältnisse sind hier vom Kanton nicht dargetan worden.
2.6
Daraus folgt, dass der Kanton Graubünden durch die Auslegung und Anwendung der umstrittenen Übergangsbestimmung nicht qualifiziert in eigenen hoheitlichen Interessen und damit nicht in
BGE 136 II 383 S. 388
schutzwürdigen Interessen im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 BGG
betroffen ist. Er kann in der Sache selber keine Legitimation beanspruchen. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist insoweit nicht einzutreten.
3.
3.1
Der Beschwerdeführer führt weiter aus, dass - selbst im Falle der Verneinung der Legitimation in der Sache - praxisgemäss auf die Beschwerde einzutreten sei, soweit damit die Verletzung von Parteirechten gerügt werde, deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinauslaufe. Der Kanton Graubünden sei jedenfalls legitimiert, die Verletzung des rechtlichen Gehörs und die Befangenheit eines Verwaltungsrichters zu rügen.
3.2
Im Ergebnis verlangt der Kanton Graubünden damit die analoge Anwendung der sogenannten "Star-Praxis" auf das vorliegende Verfahren. Danach kann ein Beschwerdeführer, der in der Sache selbst nicht zur Beschwerdeführung berechtigt ist, dem aber im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, die Verletzung von Parteirechten rügen, die ihm von Verfassungs wegen zustehen (
BGE 114 Ia 307
E. 3c S. 312 f., auch zum Folgenden). Im Vordergrund stehen dabei Verstösse gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Ausgeschlossen sind aber Vorbringen, die auf eine Überprüfung des Sachentscheides abzielen oder hinauslaufen.
3.3
Die "Star-Praxis" wurde unter der Herrschaft des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Bundesrechtspflegegesetz, OG; BS 3 531) zur staatsrechtlichen Beschwerde entwickelt; sie ermöglichte privaten Beschwerdeführern, die keine materiellen "rechtlich geschützten Interessen" (vgl.
Art. 88 OG
und dazu
BGE 113 Ia 247
E. 2 S. 249) geltend machen konnten, die Durchsetzung von rechtlich geschützten Verfahrensinteressen. Bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, zu deren Ergreifung schon befugt war, wer durch einen Entscheid betroffen war und an dessen Aufhebung oder Änderung ein schutzwürdiges eigenes (rechtliches oder auch nur tatsächliches) Interesse geltend machen konnte (
Art. 103 lit. a OG
;
BGE 98 Ib 63
E. 2c S. 70 f.), erwies sich die "Star-Praxis" aber als entbehrlich. Dementsprechend hat das Bundesgericht im Bereich des öffentlichen Rechts nach der Einführung des BGG die "Star-Praxis" übernommen, wo die Beschwerdeführung vor dem Bundesgericht ein rechtlich geschütztes Interesse voraussetzt und nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zur
BGE 136 II 383 S. 389
Verfügung steht (
Art. 115 lit. b BGG
;
BGE 133 I 185
E. 6.2 S. 198 f.). Ausnahmsweise hat es die "Star-Praxis" aber analog angewendet, wenn die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offenstand. Dies war bei Popularbeschwerdeführern der Fall, die materiell keine hinreichend nahe Beziehung zur Streitsache aufwiesen, aber vorinstanzlich über besondere Verfahrensrechte verfügten (so für den Radio- und Fernsehbereich:
BGE 135 II 430
E. 3.2 S. 437; vgl. auch schon für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde:
BGE 123 II 115
E. 2c S. 120 f.).
3.4
Die "Star-Praxis" wurde jedoch - wie bereits oben erwähnt - im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde entwickelt, um den verfahrensrechtlichen Grundrechtsschutz für private Betroffene, die keine rechtlich geschützten Interessen geltend machen konnten, zu gewährleisten. Daraus lässt sich indessen nichts zu Gunsten der am Verfahren beteiligten Gemeinwesen ableiten. Die Rechtsmittel sind in erster Linie auf die betroffenen Privaten zugeschnitten. Die Beteiligung des Gemeinwesens am Verfahren ist denn auch nicht umfassender, sondern von vornherein beschränkter Natur; in öffentlich-rechtlichen Verfahren ist das Gemeinwesen in der Regel nicht Gegenpartei, sondern bloss als verfügende Behörde oder als zur Wahrung der öffentlichen Interessen berufene Instanz dazu befugt, am Verfahren teilzunehmen und - ähnlich einer Partei - Verfahrensrechte auszuüben. Eine analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das Gemeinwesen wäre somit nicht sachgemäss. Sie würde auf eine Ausdehnung der Beschwerdeberechtigung hinauslaufen, die der Bundesgesetzgeber nicht beabsichtigt hat (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4329 Ziff. 4.1.3.3.3).
Auf die Verfassungsrügen der Regierung ist daher auch unter diesem Gesichtswinkel nicht einzutreten.
4.
Fragen kann sich bloss noch, ob die von der Regierung des Kantons Graubünden geltend gemachte Verletzung der Ausstandspflicht die Nichtigkeit des angefochtenen Entscheids nach sich zieht.
4.1
Die Verletzung der Ausstandsregeln und somit der Garantie des unabhängigen Richters kann ausnahmsweise, in besonders schwer wiegenden Fällen, die Nichtigkeit des Entscheids zur Folge haben; die Nichtigkeit ist in solchen Fällen von Amtes wegen zu beachten und festzustellen. Zu den besonders schwer wiegenden Fällen ist dabei insbesondere die Verfolgung persönlicher Interessen zu zählen (
BGE 120 IV 226
E. 7b S. 241; vgl. auch
BGE 114 Ia 153
E. 3a/bb
BGE 136 II 383 S. 390
S. 156 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, N. 971; BREITENMOSER/SPORI FEDAIL, in: VwVG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2009, N. 104 zu
Art. 10 VwVG
; PIERRE MOOR, Droit administratif, Bd. II, 2. Aufl. 2002, S. 316). Selbst bei formell unzulässigen Beschwerden kann das Bundesgericht, wenn es mit einer nichtigen Verfügung befasst wird, eingreifen und diese von Amtes wegen aufheben (
BGE 94 III 65
E. 2 S. 71;
BGE 132 III 539
E. 3 S. 541).
4.2
Am angefochtenen Urteil vom 12. Mai 2009 hat mit Verwaltungsrichter V. ein Richter mitgewirkt, der offenbar selber ein abgeleitetes persönliches Interesse an der Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage hatte. Wenn die Vorinstanz der Sichtweise der kantonalen Behörden gefolgt wäre, müsste Verwaltungsrichter V. noch nicht abgesteuerte eigene Vorempfänge in beträchtlicher Höhe zur Versteuerung bringen und einen mutmasslichen Steuerbetrag in der Grössenordnung von über Fr. 40'000.- entrichten. Mit dem vorinstanzlichen Auslegungsergebnis fällt die Besteuerung der Vorempfänge von Verwaltungsrichter V. weg. Diese Vorbringen der Regierung sind unbestritten geblieben.
4.3
Gewiss kann nicht jede denkbare Mitbetroffenheit eines Richters dazu führen, dass er als befangen und voreingenommen und damit ausstandspflichtig gelten muss. Ein gewisses indirektes oder abstraktes persönliches Mitinteresse des mitwirkenden Richters am Ausgang eines Verfahrens muss gerade in Steuerangelegenheiten, in denen oft Vorschriften auszulegen sind, die eine Vielzahl oder die meisten Steuerpflichtigen betreffen, in Kauf genommen werden. Selbst wenn man aber eine gewisse Mitbetroffenheit der Richter in Steuersachen als systemimmanent und unvermeidlich bezeichnen will und davon ausgeht, ein Richter könne in der Regel von der eigenen persönlichen Lage abstrahieren und objektiv urteilen, muss doch in Fällen qualifizierter Betroffenheit durch einen Entscheid darauf geschlossen werden, dass ein persönliches Interesse des Richters gegeben ist, das ihn als befangen erscheinen lässt und seine Mitwirkung bei der Entscheidfindung ausschliesst.
4.4
Vorliegend steht eine solche Betroffenheit zur Diskussion: Der mitwirkende Verwaltungsrichter V. scheint durch die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegung der Übergangsbestimmung in bedeutendem Mass persönlich betroffen, weil er offenbar ein Veranlagungsverfahren zu gewärtigen hat, in dem die genau gleiche
BGE 136 II 383 S. 391
Rechtsfrage zu beantworten ist und die Antwort für ihn - je nach Ergebnis - mit beträchtlichen Steuerfolgen verbunden ist. In einem solchen Fall, in dem ein mitwirkender Richter am Ergebnis ein ableitbares und absehbares erhebliches eigenes Interesse hat, kann dieser Richter nicht mehr als unabhängig erscheinen. Es muss auf ein persönliches Interesse an der Beurteilung der Sache geschlossen werden, das ihn beeinflussen könnte und somit in den Ausstand zwingt. Daraus folgt, dass am vorinstanzlichen Entscheid anscheinend ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Befangenheit hätte in den Ausstand treten müssen.
Die weiteren Umstände schliessen die Möglichkeit unerlaubter Einflussnahme nicht aus. So hat die Regierung - wiederum unwidersprochen - darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis seine bisherige Praxis bezüglich des Zeitpunkts, in dem die Steuerpflicht für Vorempfänge entsteht bzw. entstand, geändert hat, was den persönlichen Interessen von Verwaltungsrichter V. entgegenkam. Das Verwaltungsgericht hat sein Ergebnis im Weiteren auf Argumente (Wegfall der gesetzlichen Grundlage) gestützt, die im unterinstanzlichen Verfahren und in den Rechtsschriften gar nicht vorgebracht worden waren (dort ging es nur um die Verjährung), sondern erstmals von ihm selber releviert worden sind.
4.5
Allerdings kann der gerügte Mangel - sollte er zutreffen - nicht als derart schwer wiegend bezeichnet werden, dass er geradezu die Nichtigkeit des angefochtenen Erkenntnisses bewirken muss (vgl.
BGE 133 II 366
E. 3.2 S. 367 mit Hinweis). Für den ausstandspflichtigen Richter ergibt sich kein direkter persönlicher Vorteil aus dem angefochtenen Urteil, sondern nur ein indirekter, abgeleiteter. Zudem muss in Steuerfällen, wie in E. 4.3 erwähnt, eine gewisse Reflexwirkung auf die persönlichen Interessen der mitwirkenden Richter von vornherein als systemimmanent und unvermeidlich in Kauf genommen werden. Weiter handelt es sich um eine Steuer, die aufgehoben wurde, weshalb den noch zu besteuernden Fällen keine besondere Bedeutung für die künftige Rechtsanwendung mehr zukommen kann. Schliesslich ist es den kantonalen Behörden unbenommen, in einem weiteren Fall eine neuerliche verwaltungsgerichtliche Beurteilung der interessierenden Fragestellung (Steuerfreiheit der bis Ende 2007 noch nicht besteuerten Erbvorbezüge) zu provozieren und dabei zu verlangen, dass Verwaltungsrichter V. in den Ausstand tritt. Diese Umstände sprechen letztlich gegen die
BGE 136 II 383 S. 392
Annahme der Nichtigkeit, auch wenn die gerügte persönliche Verflechtung das Mass des Hinzunehmenden deutlich überschreitet. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8a738a6d-2378-42a9-918e-775dfd3fa134 | Urteilskopf
98 Ia 537
80. Arrêt de la Chambre de droit public du 31 octobre 1972 dans la cause Chomé contre Gianturco. | Regeste
Art. 3 des schweiz.-italienischen Abkommens vom 3. Januar 1933 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen;
Art. 84 lit. c OG
; Anerkennung eines italienischen Urteils.
1. Bei Beurteilung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung eines Staatsvertrages prüft das Bundesgericht die Tat- und Rechtsfragen frei, doch beschränkt es seine Prüfung auf die in der Beschwerde erhobenen Rügen (Erw. 2).
2. Das schweiz.-italienische Abkommen unterscheidet zwischen der Anerkennung und der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Die Kantone haben die Möglichkeit, ein besonderes Verfahren vorzusehen, in welchem die Interessierten die Anerkennung der Rechtskraft eines nach ausländischem Recht ergangenen Feststellungsurteils verlangen können (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 538
BGE 98 Ia 537 S. 538
A.-
Bartolo Gianturco, avocat, occupait jusqu'en 1943 en qualité de locataire un appartement et un garage sis au Palais Doria d'Angri à Naples et appartenant à veuve Yvonne Doria née Schmitz. Au moment de l'occupation de Naples par les troupes anglo-américaines, les locaux furent réquisitionnés par l'autorité militaire alliée, puis ils furent donnés à bail par le gérant de l'immeuble à l'avocat Amedeo Pistolese.
B.-
Aux fins d'obtenir la restitution des locaux loués et la réparation du dommage résultant pour lui de leur occupation par un tiers, alors que son propre bail était encore en cours, Gianturco á intenté action devant le Tribunal civil de Naples contre Yvonne Doria, demeurant en Suisse, et contre Pistolese. Faisant élection de domicile à Naples, dame Doria est entrée en matière sans réserve sur le fond du litige.
Après que le Tribunal eut débouté Gianturco, la Cour d'appel de Naples a pour l'essentiel, les 4 avril-7 mai 1951, condamné les défendeurs à remettre les locaux litigieux au demandeur, admis que dame Doria devait à Gianturco des dommagesintérêts à fixer quant à la quotité dans une instance séparée
BGE 98 Ia 537 S. 539
et rejeté la demande de dommages-intérêts dirigée contre Pistolese.
Il ressort de jugements ultérieurs (jugement du Tribunal de Naples des 26 janvier-26 mars 1959, jugement de la Cour d'appel de Naples des 27 avril-23 juillet 1960, arrêt de la Cour de cassation des 21 avril-4 août 1961) que le jugement de la Cour de Naples des 4 avril-7 mai 1951 a été confirmé par la Cour de cassation les 14 mars-31 juillet 1951 dans un arrêt rejetant un recours formé par Pistolese.
C.-
Pistolese a, à la suite de cette procédure et après avoir bénéficié de prorogations du délai qui lui avait été imparti, évacué les locaux en 1956. Dès 1953, Gianturco avait introduit devant le Tribunal de Naples une nouvelle action dirigée à la fois contre Yvonne Doria et contre Alfonso Marino, acquéreur de l'immeuble.
Par jugement des 27 avril-23 juillet 1960, la Cour d'appel de Naples a condamné dame Doria à payer à Gianturco à titre de dommages-intérêts le montant de 18 millions de lires plus intérêts légaux; elle a débouté Gianturco de sa demande à l'encontre de Marino. Ce jugement a été rendu par défaut contre dame Doria; cette dernière, qui habitait à Lausanne, n'avait pas été assignée par citation personnelle, mais par voie édictale, et n'avait pas comparu.
La Cour de cassation, saisie d'un recours formé par Gianturco, a confirmé le jugement de la Cour d'appel (arrêt des 21 avril-4 août 1961).
D.-
Dame Doria est décédée pendant l'instance, le 12 août 1959. Son unique héritière est sa fille, Noëlle Chomé, à Lausanne.
E.-
Gianturco a fait notifier à dame Chomé le 3 avril 1968 un commandement de payer le montant de 133 821 fr. 80, plus intérêts à 5% du 27 avril 1960, cette somme étant due en vertu du "jugement définitif et exécutoire de la Cour d'appel de Naples du 27 avril 1960, confirmé en cassation, contre la marquise Yvonne Doria née Schmitz, décédée entre-temps, dont la débitrice est la fille unique et par conséquent l'unique héritière".
Opposition ayant été formée par Noëlle Chomé, le président du Tribunal du district de Lausanne, puis, le 27 novembre 1969, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal du canton de Vaud, statuant sur recours, ont rejeté la requête de mainlevée en application de l'art. 1er ch. 4 de la convention
BGE 98 Ia 537 S. 540
italo-suisse du 3 janvier 1933, dame Doria n'ayant pas été régulièrement citée devant les tribunaux italiens pour le second procès.
F.-
Gianturco, par requête du 1er juillet 1970, s'est adressé au Conseil d'Etat du canton de Vaud, lui demandant de prononcer l'exequatur du jugement de la Cour d'appel de Naples du 18 mai 1951 (recte: des 4 avril-7 mai 1951).
Par décision du 26 janvier 1972, le Conseil d'Etat a admis la requête d'exequatur "du jugement rendu le 18 mai 1951 par la Cour d'appel de Naples" et a "en conséquence déclaré exécutoire" ledit jugement dans le canton de Vaud. Dame Chomé a été condamnée en outre aux frais et dépens.
G.-
Noëlle Chomé forme contre cette décision un recours de droit public en application de l'art. 84 al. 1 litt. c OJ; elle se plaint de la violation de la convention italo-suisse du 3 janvier 1933 sur la reconnaissance et l'exécution de décisions judiciaires. Elle demande que la décision du Conseil d'Etat vaudois soit "réformée en ce sens que l'exequatur n'est pas accordé au jugement de la Cour d'appel de Naples du 18 mai 1951 dans la cause divisant l'avocat B. Gianturco d'avec dame Yvonne Doria-Schmitz". Le recours contient des conclusions complémentaires concernant les frais de l'instance fédérale et de la procédure cantonale, mais la recourante a renoncé à ces conclusions par lettre du 3 mars 1972.
H.-
Le Conseil d'Etat, tout en contestant le bien-fondé de l'argumentation de la recourante, déclare s'en remettre à justice. L'intimé conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recours de droit public, sous réserve d'exceptions dont les conditions ne sont pas réalisées en l'espèce, ne peut tendre qu'à l'annulation de la décision attaquée. La recourante demande au Tribunal fédéral de réformer la décision du Conseil d'Etat vaudois et de refuser l'exequatur au jugement de la Cour d'appel de Naples. Cette conclusion est irrecevable dans la mesure où elle demande au Tribunal fédéral de prononcer autre chose que l'annulation pure et simple de la décision cantonale. Si le recours devait être admis, il appartiendrait au Conseil d'Etat du canton de Vaud de prendre une nouvelle décision.
BGE 98 Ia 537 S. 541
2.
La recourante fait grief à l'autorité cantonale d'avoir violé un traité international. Son recours est fondé sur l'art. 84 al. 1 litt. c OJ, aux termes duquel le recours de droit public est recevable contre une décision ou un arrêté cantonal pour violation de traités internationaux, sauf s'il s'agit d'une violation de leurs dispositions de droit civil ou de droit pénal. L'art. 3 de la convention italo-suisse du 3 janvier 1933, dont la violation est alléguée, a trait à l'exécution forcée, de sorte qu'il ne relève ni du droit civil ni du droit pénal (RO 81 I 142).
Le moyen est ainsi recevable en principe au regard de l'
art. 84 OJ
. Le Tribunal fédéral, saisi d'un recours fondé sur la violation d'un traité international, examine librement les questions de fait et de droit (RO 98a I 230), mais il n'examine que les griefs qui sont formés dans le recours; il n'a pas à rechercher si la décision attaquée présente d'autres vices que ceux qui ont été allégués (RO 85 I 44; arrêt Gehrig du 17 mai 1972).
3.
Par sa requête adressée au Conseil d'Etat du canton de Vaud, l'intimé a affirmé qu'il demandait l'exequatur d'un jugement italien "devenu définitif et exécutoire en Italie". Il a déposé à l'appui de sa demande un certain nombre de documents, notamment le jugement de la Cour d'appel de Naples des 4 avril-7 mai 1951. Il n'a cependant pas produit l'une des pièces essentielles au regard de la convention de 1933 pour que soit prononcée la reconnaissance ou l'exécution d'une décision, soit "les pièces de nature à établir que la décision est passée en force de chose jugée et, s'il y a lieu, qu'elle est exécutoire" (art. 5 ch. 2 de la convention, RS 12 p. 338 ss.).
En effet, le jugement de la Cour de Naples n'est pas une décision de dernière instance; il a fait l'objet devant la Cour de cassation d'un recours qui, d'après les jugements ultérieurs, aurait été rejeté. Mais l'arrêt de la Cour de cassation ne semble pas avoir été produit devant l'autorité cantonale et ne figure pas dans le dossier soumis au Tribunal fédéral. Le Conseil d'Etat déclare dans sa décision que le jugement dont l'exequatur a été demandé "a été confirmé ultérieurement en cassation". Il ajoute que les pièces établissant que la décision est passée en force de chose jugée et qu'elle est exécutoire ont été produites en original. Bien qu'en fait, de tels documents originaux ne figurent pas au dossier, l'autorité cantonale pouvait cependant admettre comme suffisante la production des jugements ultérieurs, notamment de l'arrêt de la Cour de cassation des
BGE 98 Ia 537 S. 542
24 avril-4 août 1961, dans lequel il est dit que le jugement de la Cour d'appel de 1951 a été confirmé par la Cour de cassation.
De toute façon, le Tribunal fédéral n'a pas à examiner ce point d'une manière plus approfondie, car la recourante admet expressément que l'arrêt de la Cour de Naples des 7-18 mai 1951 (recte: 4 avril-7 mai 1951) a été "confirmé par la Cour de cassation italienne par un arrêt des 14 mars et 31 juillet 1952". 4. - Le jugement rendu en 1951 par la Cour d'appel de Naples a été rendu entre trois parties: Gianturco, Yvonne Doria et Pistolese. Son dispositif comprend les points suivants:
1o Condamnation de Pistolese et de dame Doria tendant à la remise à Gianturco des locaux occupés par Pistolese, via Roma 28, à Naples.
2o Condamnation de dame Doria au paiement de dommagesintérêts à l'égard de Gianturco, le montant de ces dommagesintérêts devant être fixé dans une instance séparée.
3o Rejet de la demande de dommages-intérêts formée par Gianturco à l'encontre de Pistolese.
4o Condamnation de dame Doria au paiement des frais et dépens du procès en faveur de Gianturco.
5o Compensation des frais et dépens entre Gianturco et Pistolese.
a) Dans sa requête adressée au Conseil d'Etat, Gianturco a déclaré agir contre dame Chomé, fille et héritière de dame Doria, et il n'a fait allusion qu'à la deuxième partie du judicatum contenu dans le jugement de la Cour de Naples, soit à la condamnation de dame Doria au paiement de dommagesintérêts d'un montant indéterminé. Il n'a rien dit en revanche des autres points du dispositif de l'arrêt, et notamment des points qui concernent Pistolese. Dame Chomé ayant répondu que la partie du jugement ordonnant la restitution des locaux à Gianturco a été exécutée peu après l'arrêt de la Cour d'appel, le Conseil d'Etat, dans sa décision du 26 janvier 1972, déclare que cet argument est "dénué de pertinence", car dame Chomé "passe sous silence le deuxième élément qui porte précisément sur la condamnation de dame Doria-Schmitz à des dommagesintérêts, ainsi qu'aux frais et dépens en faveur de Me Gianturco". A la suite de quoi le Conseil d'Etat, sans formuler de réserve, déclare exécutoire le jugement dans le canton de Vaud. Il a mis les frais et dépens à la charge de dame Chomé, en ajoutant - mais dans les considérants seulement - que "les
BGE 98 Ia 537 S. 543
frais de la procédure d'appel de Naples sont à ajouter" au montant des frais dus a l'administration vaudoise.
Cependant, ni devant l'autorité cantonale, ni devant le Tribunal fédéral, aucune des parties en litige n'a fait une allusion quelconque au point du dispositif de l'arrêt de la Cour de Naples relatif aux frais et dépens. Ni la recourante ni l'intimé n'ont commenté le passage de la décision du Conseil d'Etat relatif à ce point, et le dossier ne permet d'ailleurs pas de dire si les frais et dépens fixés par le jugement de 1951 ont été payés par dame Doria ou par la recourante.
b) Il convient dès lors de constater que l'arrêté du Conseil d'Etat - si, dans son dispositif, il prononce l'exequatur du jugement de 1951 sans réserve aucune - a entendu conférer l'exequatur à deux des points du dispositif: celui qui concerne la condamnation de dame Doria à des dommages-intérêts d'un montant indéterminé, et celui qui concerne sa condamnation au paiement des frais et dépens taxés par l'arrêt. En revanche, le Conseil d'Etat n'a pas entendu considérer que sa décision concernait la condamnation à l'évacuation des locaux, ce point du jugement ayant été exécuté, et il ne s'est dès lors pas préoccupé non plus de l'existence d'une troisième partie à la procédure italienne, Amedeo Pistolese.
5.
La recourante affirme que la décision attaquée viole l'art. 3 de la convention italo-suisse du 3 janvier 1933 sur la reconnaissance et l'exécution de décisions judiciaires.
Elle prétend que le Conseil d'Etat a violé cette disposition en accordant force exécutoire à un jugement en constatation de droit, alors qu'aux termes de l'al. 2 de l'art. 3 susmentionné, les décisions rendues en Italie ne peuvent être déclarées exécutoires en Suisse que si elles ont "pleine force exécutoire dans l'Etat où elles ont été rendues". Un jugement en constatation de droit, dit-elle, n'est pas susceptible d'exécution en utilisant les voies offertes par la loi sur la poursuite pour dettes. Le seul problème qui puisse se poser est celui de sa reconnaissance. Or la reconnaissance d'un jugement italien "devient automatique".
6.
La convention italo-suisse distingue entre d'une part la reconnaissance et d'autre part l'exécution des décisions judiciaires.
On entend par reconnaissance d'une décision rendue par une juridiction de l'un des Etats contractants le fait de reconnaître
BGE 98 Ia 537 S. 544
que celle-ci a "l'autorité de la chose jugée" sur le territoire de l'autre Etat (art. 1er). Lorsque la décision est non seulement reconnue, mais "déclarée exécutoire", elle peut donner lieu à exécution forcée et faire l'objet de formalités telles que l'inscription ou la transcription sur les registres publics (art. 3).
a) Le jugement auquel le Conseil d'Etat vaudois a conféré l'exequatur n'est pas uniquement un jugement en constatation de droit. Il l'est sans doute en ce qui concerne le deuxième point du judicatum, mais non pas en ce qui concerne les autres et notamment celui qui concerne la condamnation de dame Doria aux frais et dépens et que vise aussi le Conseil d'Etat dans les considérants de sa décision. Cette question, toutefois, n'a pas été soulevée par la recourante.
b) Quant au deuxième point du dispositif, seul en cause ici - soit la condamnation de dame Doria à des dommages-intérêts dont le montant n'a pas été déterminé - il ne peut évidemment donner lieu à exécution forcée. D'après le texte même du jugement, si le principe de la condamnation d'Yvonne Doria est acquis, le montant des dommages-intérêts à payer doit faire l'objet d'un autre jugement, et seul ce second jugement pourrait être mis à exécution. C'est d'ailleurs ainsi qu'a procédé Gianturco, qui, par le procès qu'il a introduit en 1953 devant le Tribunal de Naples, a voulu obtenir contre dame Doria une condamnation exécutoire, mais qui n'a pas fait citer régulièrement la défenderesse, de sorte que la mainlevée de l'opposition formée par Noëlle Chomé à la poursuite que Gianturco lui a fait notifier sur la base du jugement de 1960 n'a pas été prononcée.
c) Il y a donc lieu d'examiner si, en prononçant l'exequatur du jugement sur le deuxième point du judicatum, le Conseil d'Etat a violé la convention italo-suisse.
L'art. 3 al. 2 de la convention, qui déclare que "ne seront déclarées exécutoires dans l'Etat requis que les décisions qui ont pleine force exécutoire dans l'Etat où elles ont été rendues", a été de toute évidence inséré dans le texte conventionnel pour éviter que l'exécution forcée ne soit engagée sur la base d'un jugement qui n'a pas encore force exécutoire dans le pays où il a été rendu, par exemple parce que la loi nationale prévoit que cette force exécutoire ne prend effet qu'à l'expiration d'un certain délai après que ce jugement est passé en force de chose jugée (cf. STAUFFER, Die Verträge der Schweiz mit Österreich
BGE 98 Ia 537 S. 545
und mit der Tschechoslowakei über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen, p. 54; HAGENBÜCHLE, Prozessuale Probleme der formellen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit, RDS, vol. 67, 1948, p. 22) ou encore qu'elle ne soit engagée sur la base d'une décision qui a perdu le caractère exécutoire qu'elle avait précédemment acquis (Message du Conseil fédéral du 6 février 1933, FF 1933 I 248).
La distinction entre la reconnaissance et l'exécution des jugements qui a été faite dans les conventions conclues par la Suisse a notamment pour origine le texte du projet de convention sur la reconnaissance et l'exécution de décisions judiciaires adopté en 1925 par la Conférence de La Haye de droit international privé. La Conférence avait considéré qu'il était utile de prévoir la reconnaissance de l'autorité de la chose jugée par exemple pour les "sententiae declaratoriae ... qui peuvent servir de base à des nouvelles actions dans un autre pays" (rapport de la Deuxième Commission, Conférence de La Haye de droit international privé, actes de la 5e session, p. 184). L'art. 3 de la convention italo-suisse correspond dans sa substance à l'art. 2 du projet de la Conférence de La Haye, qui prévoit que "les décisions judiciaires rendues dans un des Etats contractants peuvent être mises à exécution dans l'autre Etat après y avoir été déclarées exécutoires" et que "l'exequatur est accordé, si la décision est exécutoire dans l'Etat où elle a été rendue et si elle remplit les conditions énumérées" pour l'obtention de la reconnaissance. La Deuxième Commission de la Conférence a inscrit dans le texte du projet la précision relative à la force exécutoire de la décision pour tenir compte du fait que "le moment où le jugement est passé en force de chose jugée et le moment où le jugement est exécutoire ne peuvent pas (recte: peuvent ne pas) être concordants", notamment d'après les législations de la Norvège et du Danemark (déclaration de M. Merz, président de la commission, loc.cit., p. 173/4).
La disposition de l'art. 2 du projet de La Haye, tout comme celle de l'art. 3 de la convention italo-suisse, n'a certainement pas eu pour but, en revanche, d'empêcher que force exécutoire ne soit donnée à des décisions de pure constatation - sententiae declaratoriae - puisque ces décisions ne peuvent, de par leur nature même, pas faire l'objet d'une exécution forcée.
d) En ce qui concerne la simple reconnaissance de l'autorité de la chose jugée, la convention italo-suisse (art. 1er al. 2)
BGE 98 Ia 537 S. 546
prévoit - comme d'ailleurs elle le fait pour la déclaration de force exécutoire (art. 3 al. 3) - qu'il appartient à chaque Etat de décider de la procédure à suivre pour cette reconnaissance. En Suisse, la procédure civile est régie en principe par le droit cantonal, et c'est la procédure cantonale qui est au premier chef déterminante à cet égard. La doctrine et la jurisprudence admettent que le prononcé d'une "déclaration de reconnaissance" n'est pas nécessaire, et que les tribunaux saisis d'un litige et devant lesquels un jugement répondant aux conditions posées par la convention est invoqué doivent admettre - sans déclaration préalable de reconnaissance - l'autorité de la chose jugée pour ce jugement (cf. ALEXANDER, Die internationale Vollstreckung von Zivilurteilen, insbesondere im Verhältnis zu den Nachbarstaaten, RSJB, vol. 67, p. 4; PETITPIERRE, Les conventions conclues par la Suisse avec l'Allemagne, l'Autriche et la Tchécoslovaquie concernant la reconnaissance et l'exécution des jugements civils, Société suisse de droit international, publication No 31 p. 37; SCHNITZER, Handbuch des internationalen Privatrechts, 4e éd., 1958, II p. 903; FJS No 967/1961, p. 1; LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3e éd., 1956, p. 395; RO 64 II 77). Les cantons peuvent néanmoins instituer une procédure spéciale pour qu'il soit dit droit sur les demandes tendant à la reconnaissance de la force de chose jugée (LEUCH, loc.cit.; GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, p. 94; RO 30 I 684).
e) Le code de procédure civile du canton de Vaud (CPC) du 20 novembre 1911 (qui était applicable à la demande d'exequatur, celle-ci ayant été déposée avant l'entrée en vigueur du nouveau code de 1966) ne par le pas de la reconnaissance mais seulement de la déclaration rendant exécutoire un jugement rendu hors du canton (
art. 586-587 CPC
). Cependant, cela n'exclut pas nécessairement que l'exequatur prononcé par l'autorité cantonale soit considéré aussi comme pouvant constituer simplement une décision de reconnaissance du jugement en cause. En effet, un certain nombre d'auteurs considèrent que l'exequatur peut s'entendre aussi d'une décision de reconnaissance de l'autorité de chose jugée d'un jugement (cf. PETITPIERRE, op.cit., p. 38; La reconnaissance et l'exécution desjugements civils étrangers en Suisse, p. 171 et 203; GULDENER,
BGE 98 Ia 537 S. 547
op.cit., p. 114; Schweiz. Zivilprozessrecht, 2e éd., 1958, p. 601 n. 27; LEUCH, loc.cit.).
D'après le code de procédure civile vaudois, tous lesjugements cantonaux passés en force de chose jugée sont revêtus de la déclaration d'exécuter prévue par l'
art. 590 CPC
(voir aussi JdT 1935 III 69). Le greffier du tribunal (le juge de paix pour les jugements de sa compétence) déclare exécutoires les jugements contre lesquels aucun recours n'a été formé ou en cas d'abandon du recours. La loi ne distingue pas à cet égard entre lesjugements de condamnation et les jugements de constatation. La distinction intervient au stade suivant, celui de l'exécution forcée. Les jugements de constatation de droit sont considérés comme des jugements qui emportent "exécution par eux-mêmes" (
art. 598 CPC
), tandis que pour les autres jugements la déclaration exécutoire est suivie de l'exécution forcée (art. 599 ss. CPC; GROSS, De l'exécution forcée des obligations non pécuniaires, thèse Lausanne 1934, p. 106).
Lorsqu'il s'agit d'un jugement rendu hors du canton, dans la mesure où ce jugement n'est pas susceptible d'être exécuté par la voie de la poursuite pour dettes, la déclaration de la force exécutoire est donnée par le Conseil d'Etat (
art. 586 CPC
).
f) Il résulte de là que, si même le Conseil d'Etat a "déclaré exécutoire" le jugement de la Cour d'appel de Naples, cela ne signifie pas que ce jugement puisse, en tant qu'il se borne à constater un droit, donner lieu à exécution forcée sur le territoire du canton de Vaud. S'il a utilisé les mêmes termes que ceux qui figurent dans l'art. 3 de la convention italo-suisse à l'égard des jugements qui sont exécutoires au sens propre du terme, il a évidemment entendu reconnaître à ce jugement l'autorité de la chose jugée. C'est d'ailleurs ainsi que le Conseil d'Etat lui-même interprète sa décision dans les observations qu'il a produites en réponse au recours: "En déclarant exécutoire dans le canton de Vaud un jugement dont il admettait par ailleurs qu'il était en constatation de droit, le Conseil d'Etat n'a pas fait autre chose que de lui reconnaître l'autorité de la chose jugée". Le Conseil d'Etat donne au terme "exécutoire" le même sens que celui qui résulte de l'
art. 61 Cst.
, qui se rapporte aux jugements civils définitifs rendus dans un canton; lorsque cette disposition porte que lesdits jugements sont "exécutoires", elle entend par là non seulement qu'ils doivent
BGE 98 Ia 537 S. 548
donner lieu à exécution forcée, mais aussi, notamment lorsqu'ils ne peuvent pas donner lieu à une telle exécution, qu'ils doivent être "reconnus" (RO 87 I 67, 95 II 644; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, I, p. 326; GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht, p. 84).
La décision du Conseil d'Etat ne pourrait violer la convention italo-suisse que si elle avait pour effet de donner à l'une des parties - soit à l'intimé - un droit que lui refuse cette convention. Or, en déclarant "exécutoire" un jugement qui, de par sa nature même, ne peut donner lieu à exécution forcée, le Conseil d'Etat n'a pu porter aucun préjudice à la recourante, puisque sa décision ne peut faire plus que de reconnaître au jugement italien l'autorité de la chose jugée.
Or non seulement la recourante ne conteste pas que toutes les conditions prévues par la convention italo-suisse pour la reconnaissance de l'autorité de la chose jugée au sens de l'art. 1er de la convention soient réunies en l'espèce, mais elle déclare que la reconnaissance du jugement italien "devient automatique". Bien plus, elle a admis devant l'autorité cantonale que "personne ne conteste la validité pleine et entière" de l'arrêt de la Cour de Naples.
Il résulte ainsi de l'argumentation de la recourante qu'elle considère la décision du Conseil d'Etat comme inutile. Peut-être, mais cela n'emporte pas qu'elle ait été rendue en violation de l'art. 3 de la convention italo-suisse.
7.
La recourante ne fondant son recours que sur la violation de l'art. 3 de la convention italo-suisse, il n'y a pas à décider si le Conseil d'Etat, en déclarant exécutoire le jugement de la Cour de Naples dans son ensemble, y compris la partie du dispositif relative aux frais et dépens, n'a pas violé l'
art. 81 LP
(cf. RO 93 I 270, 87 I 76, 61 I 277).
8.
La recourante soulève un deuxième moyen, en déniant l'existence pour sa partie adverse d'un intérêt juridique actuel à la constatation de son droit. Elle soutient en effet que la créance en cause n'a plus aucune portée juridique quelconque, puisqu'elle est prescrite. Elle ne dit cependant pas en quoi la convention italo-suisse - seul texte légal cité par elle - serait violée parce que l'intimé aurait obtenu du Conseil d'Etat une déclaration dépourvue d'intérêt pratique. Ce moyen est ainsi irrecevable au regard de l'
art. 90 OJ
.
Par ailleurs, le Conseil d'Etat, en se prononçant sur la reconnaissance
BGE 98 Ia 537 S. 549
de l'autorité de chose jugée du jugement de la Cour de Naples, n'avait pas à statuer sur le moyen tiré de la prescription. C'est dans le procès au fond, s'il est ouvert par l'intimé, que la recourante pourra, si elle s'y estime fondée, faire valoir cette exception, qui peut être invoquée même devant le juge de mainlevée (RO 35 I 466).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable. | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8a7397e8-c452-4977-8e4d-6a81e63168cc | Urteilskopf
87 I 479
77. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Dezember 1961 i.S. Schoch und Bernhard gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau. | Regeste
1. Anmeldung eines Kaufvertrages zur Eintragung in das Grundbuch (
Art. 963 ZGB
). Wegen der Abweisung der Anmeldung kann nur der Anmeldende Beschwerde führen (
Art. 103 Abs. 1 GBV
), dem es im übrigen anheim steht, die Anmeldung zurückzuziehen, solange die Hauptbucheintragung nicht vollzogen ist. Bestätigung der Rechtsprechung (Erw. 1).
2. Wirkungen einer gerichtlich angeordneten Verfügungsbeschränkung nach
Art. 960 ZGB
(Erw. 2).
3. Ob ein Kaufvertrag noch zu Recht bestehe und der sich daraus für den Käufer ergebende Anspruch auf Eigentumsübertragung dem Anspruch eines spätern Käufers desselben Grundstückes vorgehe, ist eine Frage des materiellen Rechtes. Eine für die Dauer des vom ersten Käufer angehobenen Rechtsstreites auf Grund des kantonalen Prozessrechtes getroffene richterliche Anordnung, wonach der zweite Kaufvertrag während der Prozessdauer nicht angemeldet werden dürfe oder eine schon erfolgte Anmeldung zurückgezogen werden solle oder wenigstens vorderhand unter Vorbehalt des Prozessausganges nicht durch Eintragung in das Hauptbuch vollziehbar sei, ist für das Grundbuchamt verbindlich. (Erw. 3.) | Sachverhalt
ab Seite 481
BGE 87 I 479 S. 481
A.-
Hans Schoch kaufte nach dem Brand des Hotels Glas in Baden am 3. März 1960 von Frau Ida Bernhard-Bühlmann die Liegenschaft Hotel Engel in Baden zum Preise von Fr. 700'000.--. Er hatte die Kaufrestanz von Fr. 250'000.-- "bis zum Antrittstermin" zu bezahlen, und zwar erst, "wenn er bzw. die Hotel Glas A.-G. den Hausplatz des abgebrannten Hotels Glas ... verkauft hat". Er konnte dann aber die Kaufliegenschaft mit Zustimmung der Verkäuferin nach Anzahlung von Fr. 50'000.-- schon am 1. Mai 1960 in Besitz nehmen. Seither betreibt er dort das Gastwirtschaftsgewerbe. Die Zahlung des Restbetrages von Fr. 200'000.-- verzögerte sich, da Schoch vorerst nicht die volle Brandversicherungssumme für das Hotel Glas erhielt. Frau Bernhard mahnte ihn mehrmals und setzte ihm am 6. Juli 1960 eine "letzte Frist" bis zum 12. desselben Monats. Auf die Zusicherung, der Käufer werde die Restzahlung bis zum 15. Juli erbringen, ging sie nicht ein, sondern teilte dem Grundbuchamt Baden am 11. Juli mit, nach dem 12. Juli dürfe eine Anmeldung des mit Schoch abgeschlossenen Vertrages nicht mehr entgegengenommen werden. Am 14. Juli 1960 verkaufte sie die Liegenschaft Hotel Engel einem Dritten, Paul Sprenger, zum Preise von Fr. 750'000.--.
B.-
Nach Überweisung des Restbetrages von Fr. 200'000.-- für Schoch meldete Notar Steidel gestützt auf eine Ermächtigung laut dem Kaufvertrag vom 3. März 1960 diesen am 15. Juli um 9.30 Uhr zur Eintragung an. Um 11.50 Uhr desselben Tages folgte die Anmeldung des Kaufvertrages Bernhard/Sprenger durch den beurkundenden Notar Meier. Den ersten Vertrag gab das Grundbuchamt dem anmeldenden Notar "bzw. der Überbringerin" sofort zurück, schrieb ihn aber gleichwohl unter dem erwähnten Anmeldedatum in das Tagebuch ein und wies die Anmeldung am 25. Juli 1960 ab. Der zweite Vertrag steht ebenfalls mit dem Datum der Anmeldung im Tagebuch; das Grundbuchamt Baden hat diese Anmeldung nicht beanstandet, jedoch die Eintragung mit Rücksicht
BGE 87 I 479 S. 482
auf gerichtliche Massnahmen einstweilen nicht vollzogen.
C.-
Zunächst verweigerte das Grundbuchamt freilich die Vormerkung von Verfügungsbeschränkungen, die das Gerichtspräsidium Baden auf Gesuche des Schoch vom 15. und 18. Juli 1960 sogleich an diesen Tagen vorsorglich anordnete (und mit Entscheiden vom 29. August 1960 bestätigte). Dagegen berücksichtigte es eine dritte gerichtliche Verfügung, die Schoch in einem weitern Befehlsverfahren "betreffend Suspendierung einer Anmeldung beim Grundbuchamt" am 30. August 1960 vorsorglich erwirkte.
Diese Verfügung lautet:
Es wird festgestellt, dass der Kläger einen Anspruch auf gerichtliche Zusprechung des Eigentums an GB. Baden Nr. 513, Kat. Pl. 62/519 erhebt. Die Rechtswirkungen (d.h. die mit der Anmeldung verbundene Eintragungsbewilligung) der Anmeldung des zwischen der Beklagten und Herrn Sprenger am 14. Juli 1960 abgeschlossenen Kaufvertrages über die Liegenschaft GB. Baden Nr. 513, Kat. Pl. 62/519 sind daher solange zu suspendieren, bis zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden ist, ob dem Kläger, gestützt auf seinen Kaufvertrag vom 3. März 1960 das Eigentum an Grundbuch Baden Nr. 513, Kat. Pl. 62/519 im Sinne von
Art. 665 ZGB
gerichtlich zugesprochen wird oder nicht."
Am 26. September 1960 bestätigte das Gerichtspräsidium Baden diese Verfügung unter Ansetzung einer Monatsfrist an Schoch zur Einreichung der Hauptklage. Das Grundbuchamt nahm von der gerichtlichen Verfügung Notiz und trug ihr Rechnung, indem es einstweilen von einer Eintragung des Vertrages Bernhard/Sprenger absah. Schoch erhob binnen der ihm dazu eingeräumten Frist beim Bezirksgericht Baden die Hauptklage gegen Frau Bernhard mit den Begehren:
"1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass gestützt auf den zwischen den Parteien am 3. März 1960 abgeschlossenen Kaufvertrag die Beklagte nicht mehr berechtigt war, das Grundstück GB. Baden Nr. 513, Kat. Plan 62/519 mit einem zweiten Kaufvertrag vom 14. Juli 1960 an Herrn Paul Sprenger, Baden, zu verkaufen.
2. Dementsprechend sei die Anmeldung des Kaufvertrages beim GB zwischen der Beklagten und Herrn Sprenger als rechtsunwirksam und zurückgezogen zu erklären und das GB Amt Baden sei zu verhalten, diese Anmeldung abzuweisen. Eventuell sei die Beklagte zu verpflichten, diese Anmeldung sofort zurückzuziehen.
BGE 87 I 479 S. 483
3. Es sei dem Kläger gestützt auf den Kaufvertrag vom 3. März 1960 das Eigentum an GB. Baden Nr. 513 Kat. Plan 62/519 zuzusprechen und das GB. Amt Baden sei richterlich zu verhalten, den Eintrag des Eigentums vorzunehmen."
D.-
Wegen der Abweisung der Anmeldung des Kaufvertrages vom 3. März 1960 wie auch wegen der Weigerung des Grundbuchamtes, die vom Richter am 15. Juli 1960 vorsorglich angeordnete Verfügungsbeschränkung vorzumerken, beschwerte sich Schoch bei der kantonalen Justizdirektion als Aufsichtsbehörde über das Grundbuchwesen. Frau Bernhard beschwerte sich ihrerseits bei derselben Behörde über die Berücksichtigung der vom Richter im dritten Befehlsverfahren angeordneten "Suspension", die dem eidgenössischen Grundbuchrecht widerspreche.
Ferner zog sie die gerichtlichen Entscheidungen betreffend Verfügungsbeschränkung und Suspendierung auf dem Beschwerdeweg an das Obergericht weiter. Dieses sistierte indessen mit Beschlüssen vom 28. Oktober und 25. November 1960 die Behandlung dieser Beschwerden bis zur Erledigung der von der Verkäuferin eingereichten Grundbuchbeschwerde.
Während anderseits die Justizdirektion des Kantons Aargau die Beurteilung der Grundbuchbeschwerden beider Parteien "bis zur rechtskräftigen Erledigung des zivilprozessualen Hauptverfahrens" aussetzte, fällte der Regierungsrat am 24. Februar 1961 folgenden Entscheid:
"1. (Aufhebung der Sistierungsverfügung der Justizdirektion.)
"2. Auf die Beschwerde des Herrn Hans Schoch gegen die grundbuchamtliche Abweisung des Vertrages Bernhard/Schoch wird nicht eingetreten.
"3. Die Beschwerde des Herrn Hans Schoch gegen die grundbuchamtliche Abweisung der richterlichen Verfügungsbeschränkung vom 15. Juli 1960 wird abgewiesen.
"4. Die Beschwerde der Frau Bernhard wird teilweise und in dem Sinne abgewiesen, als die mit richterlicher Verfügung vom 30. August 1960 ausgesprochene teilweise Kanzleisperre für vorläufig im Grundbuch Baden in der notierten Form zu verbleiben hat, unter dem Vorbehalt, dass nicht das Obergericht deren materielle Unzulässigkeit feststellt."
E.-
Beide Parteien haben Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben, Schoch gegen die
BGE 87 I 479 S. 484
Ziffern 2 und 3, Frau Bernhard gegen die Ziffer 4 des regierungsrätlichen Entscheides.
F.-
Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt Abweisung beider Beschwerden.
Frau Bernhard beantragt Abweisung der Beschwerde Schochs und dieser Abweisung der Beschwerde der Frau Bernhard.
Das eidgenössiche Justiz- und Polizeidepartement erachtet die kantonale Entscheidung als zutreffend und stellt deshalb den Antrag, "es seien die beiden Beschwerden nicht gutzuheissen".
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In Ziff. 2 des angefochtenen Entscheides mit zugehöriger Begründung spricht der Regierungsrat dem ersten Käufer Schoch das Recht zur Beschwerde wegen der Abweisung der Anmeldung des von Frau Bernhard mit ihm abgeschlossenen Kaufvertrages ab. Dieser Entscheidung ist zuzustimmen. Sie entspricht der Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 der Grundbuchverordnung, wonach sich über die Abweisung einer Anmeldung nur der Anmeldende beschweren kann, und der ständigen Rechtsprechung (
BGE 60 I 139
/42,
BGE 85 I 166
). Freilich hat auch der Käufer ein Interesse am Vollzug des Vertrages und insbesondere an dessen Eintrag im Hauptbuche, womit erst das Eigentum auf ihn übergeht,
Art. 972 Abs. 1 ZGB
(worauf neulich LIVER, ZbJV 96/1960 S. 449, hinweist). Allein das Beschwerderecht gegenüber einer die Anmeldung abweisenden Verfügung des Grundbuchamtes ist ein Ausfluss des der Anmeldung zu Grunde liegenden Verfügungsrechtes des Eigentümers. Findet sich dieser mit der Abweisung ab, ohne die Anmeldung allenfalls in verbesserter Form zu erneuern, so befindet sich der Käufer in derselben Rechtsstellung, wie wenn keine Anmeldung erfolgt oder die Anmeldung zurückgezogen worden wäre. Er kann den Verkäufer auf (bessere) Vertragserfüllung, gegebenenfalls auch auf gerichtliche Zusprechung des Eigentums belangen
BGE 87 I 479 S. 485
(
Art. 665 Abs. 1 ZGB
) und den Richter ferner um sichernde Massnahmen angehen (vgl.
Art. 960 ZGB
). Die Beschwerde gegen die Abweisung einer vom Verkäufer vorgenommenen Anmeldung steht ihm nicht zu, zumal der Verkäufer die Eintragung dann doch noch, solange sie nicht erfolgt ist, durch Rückzug der Anmeldung verhindern könnte. Letzteres wird von der Rechtsprechung und, damit übereinstimmend, von der vorherrschenden Lehre angenommen (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 55 zu
Art. 656 ZGB
mit Hinweisen; zweifelnd LIVER, a.a. O. S. 450). Daran ist festzuhalten, nicht nur deshalb, weil der Verkäufer, solange es nicht zur Eintragung in das Hauptbuch gekommen ist, das Eigentum am Grundstück behält (
Art. 972 Abs. 1 ZGB
, von Art. 1014 des Vorentwurfs eindeutig abweichend), sondern auch aus praktischen Gründen: Durch den Rückzug einer Anmeldung lässt sich die Eintragung (zum Beispiel wegen Willensmangels, oder auch weil die Vertragsparteien inzwischen den Vertrag aufgehoben haben) vermeiden, statt dass sie dann nachträglich rückgängig gemacht werden müsste. Gewiss bedeutet der Rückzug der Anmeldung mitunter eine Vertragsverletzung. Aber auch in einem solchen Fall ist er nicht unbedingt zu verpönen oder gar vom Grundbuchamte von vornherein nicht zuzulassen (das über das Vorliegen eines diese Rechtshandlung rechtfertigenden Grundes keinesfalls zu entscheiden hat). Das wird gerade durch den vorliegenden Fall dargetan. Der Hauptstreit der Parteien geht darum, ob der aus dem Kaufvertrag vom 3. März 1960 hergeleitete Anspruch des Schoch noch zu Recht bestehe, und zwar dem Anspruch des zweiten Käufers vorgehend (wie denn nach verbreiteter Lehre die zeitliche Folge der Entstehung beim Entscheid über die Rangfolge konkurrierender obligatorischer Ansprüche ins Gewicht fällt; vgl. BECKER, N. 11 der Vorbemerkungen zu den
Art. 32 - 40 OR
; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 6 zu
Art. 97 OR
; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 386, Ziff. III, 1). Sollte Schoch wirklich einen in diesem Sinne
BGE 87 I 479 S. 486
vorgehenden Anspruch haben, so könnte er den Rückzug der auf Erfüllung eines nachgehenden Anspruchs gerichteten, sein besseres Recht gefährdenden Anmeldung. verlangen. Ebenso kann die Verkäuferin der Liegenschaft, auch wenn der zweite Käufer damit nicht einverstanden ist, die Anmeldung freiwillig zurückziehen, was der Frau Bernhard allerdings, da sie den ersten Kaufvertrag als nicht mehr zu Recht bestehend betrachtet, fern liegt.
2.
In Ziff. 3 seines Entscheides schützt der Regierungsrat die Weigerung des Grundbuchamtes, die von Richter auf Gesuch Schochs angeordnete Verfügungsbeschränkung vorzumerken. Dies deshalb, weil sich der von Schoch mit der Vormerkung verfolgte Zweck der Sicherung seines eigenen Erwerbsanspruchs vor demjenigen des zweiten Käufers auf diesem Weg ja doch nicht erreichen liesse: Da nämlich die gerichtliche Anordnung später als die Anmeldung des zweiten Kaufvertrages auf dem Grundbuchamt eintraf, konnte sie nach Ansicht des Regierungsrates nicht mehr mit Wirkung gegenüber diesem Vertrage vorgemerkt werden. Das entspricht der verbreiteten, anscheinend auch durch Art. 26 der Grundbuchverordnung anerkannten Ansicht, Vormerkungen hätten gleich wie Eintragungen den dem Datum ihrer Anmeldung gemäss dem Tagebuch entsprechenden Rang einzunehmen (vgl. etwa HOMBERGER, N. 3 zu
Art. 972 ZGB
, wo freilich nur von der Vormerkung persönlicher Rechte gemäss
Art. 959 ZGB
die Rede ist; LIVER, ZbJV 96/1960, S. 449 unten). Wie es sich damit verhält, kann jedoch wie in
BGE 85 I 166
, Erw. 2 am Ende, offen gelassen werden, sofern es bei der von Frau Bernhard ihrerseits angefochtenen Ziff. 4 des regierungsrätlichen Entscheides zu bleiben hat. Denn in diesem Fall erhält Schoch den mit der Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung gewünschten Schutz auf anderem Wege.
Zwar vermöchte ihn eine im Grundbuch vorzumerkende Verfügungsbeschränkung auch bei dem vom Regierungsrat angenommenen Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit
BGE 87 I 479 S. 487
immerhin gegenüber spätern Verfügungen der Frau Bernhard zu schützen, so etwa bei Abschluss und Anmeldung eines dritten Kaufvertrages. Es geht also nicht an, einer solchen Vormerkung von vornherein jede praktische Bedeutung abzusprechen. Indessen will Schoch sich einzig gegen den Vollzug des am 15. Juli 1960 zur Anmeldung gelangten zweiten Kaufvertrages schützen. Es ist nicht die Rede davon, dass ernstlich mit andern Verfügungen der Verkäuferin zu rechnen sei, die jenen Anspruch Schochs ebenfalls gefährden könnten.
3.
Im Unterschied zur erwähnten Verfügungsbeschränkung will das Grundbuchamt die vom Richter angeordnete "Suspendierung" der Wirkungen der den zweiten Kaufvertrag betreffenden Eintragungsbewilligung der Frau Bernhard beachten, und es hat im Grundbuch eine Notiz in diesem Sinne angebracht. Der Regierungsrat billigt diese Stellungnahme unter Vorbehalt der noch ausstehenden obergerichtlichen Entscheidung über die Begründetheit der "Suspendierung" an sich. Besteht diese zur Verhinderung einer dem Gesuchsteller Schoch nachteiligen Veränderung des Gegenstandes des Hauptprozeses getroffene richterliche Verfügung nach kantonalen Prozessgrundsätzen zu Recht, so ist sie nach Ansicht des Regierungsrates von den Grundbuchbehörden zu respektieren, da keine Normen des eidgenössischen Grundbuchrechtes sie ausschliessen. Man habe es, wird zur Begründung des kantonalen Entscheides ausgeführt, mit einer bloss teilweisen Grundbuchsperre (Kanzleisperre) zu tun, wie sie eine Reihe von Autoren auf kantonaler Rechtsgrundlage zulassen wollen, namentlich zur Verhinderung von Änderungen eines Streitgegenstandes, im Gegensatz zu einer allgemeinen, jegliche Art grundbuchlicher Verfügung über ein Grundstück verbietenden Sperre (vgl. LEEMANN, Grundbuchsperren nach kantonalem Prozessrecht, SJZ 23/1927 S. 209 ff.; HOMBERGER, N. 2 und 7-9 zu
Art. 960 ZGB
; H. E. MÜLLER, Zur Frage der Grundbuchsperre, Diss. 1942, S. 104 ff., besonders S. 122/23).
BGE 87 I 479 S. 488
Diesen Standpunkt nimmt auch das zürcherische Obergericht in seinem Beschluss vom 20. August 1926 betreffend die gerichtliche Anordnung der Grundbuchsperre im Sinn einer vorsorglichen Massnahme ein (ZBGR 7 S. 348; zustimmend GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 251 und 386/87; ablehnend LEUCH, Kommentar zur bernischen ZPO, N. 4 zu N. 326).
Ob zum Schutz eines streitigen Anspruchs auf Grund des kantonalen Prozessrechts eine teilweise Grundbuchsperre, also das Verbot der Eintragung eines andern Rechtes, angeordnet werden könne - was über die Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung gemäss
Art. 960 ZGB
und deren Wirkungen nach dessen Abs. 2 hinausgeht - braucht hier nicht in umfassender Weise geprüft zu werden. Hervorzuheben ist, dass eine solche Sperre sich mit der Rechtsnatur und dem Zweck des Grundbuches durchaus verträgt. Das Bundesrecht kennt denn auch selbst Eintragungsverbote (vgl.
Art. 137 SchKG
, Art. 41/42 EntG). Im übrigen erscheint ein solches Verbot auf kantonalrechtlicher Grundlage jedenfalls dann als zulässig, wenn es sich als Reflexwirkung einer das materielle Recht betreffenden gerichtlichen Entscheidung oder Verfügung ergibt. So verhält es sich hier. Die vom Richter ausgesprochene "Suspendierung" der Wirkungen der den zweiten Kaufvertrag betreffenden Anmeldung richtet sich ihrem wahren Inhalte nach in erster Linie an die anmeldende Eigentümerin; sie gestaltet die materielle Rechtslage in einer dann ohne weiteres auch für das Grundbuchamt verbindlichen Weise, so dass sich die teilweise Kanzleisperre nicht als unmittelbarer Befehl an jenes Amt, sondern als Auswirkung einer an und für sich die Rechtsverhältnisse zwischen den in materieller Hinsicht Beteiligten betreffenden prozessualen Verfügung darstellt. Gegen derartige gerichtliche Massnahmen ist vom Standpunkt des eidgenössischen Grundbuchrechts aus nichts einzuwenden. Läge bereits ein rechtskräftiges Sachurteil zu Gunsten Schochs vor, so wäre dadurch der Rechtsgrund
BGE 87 I 479 S. 489
der Anmeldung des zweiten Kaufvertrages als den Ansprüchen Schochs nachgehend entkräftet, und es dürfte daher jene Anmeldung gerade auch nach den letztlich vom materiellen Recht beherrschten Regeln des Grundbuchrechts nicht vollzogen werden (
Art. 965 ZGB
). Es läuft aber diesen Regeln auch nicht zuwider, wenn der Richter zum Schutz eines noch nicht beurteilten, einstweilen streitigen Vorgangsanspruchs eines Klägers dem Beklagten für die Prozessdauer untersagt, die Eintragung eines Dritten zu bewilligen, oder wenn er ihn verpflichtet, eine bereits vorgenommene dahingehende Anmeldung mit Rücksicht auf die vom Kläger geltend gemachten angeblich vorgehenden Ansprüche zurückzuziehen, natürlich mit dem Vorbehalt, sie je nach dem Ausgang des Rechtsstreites zu erneuern. Solche richterliche Verfügungen darf der Grundbuchführer keineswegs unbeachtet lassen. Liegt in ihnen doch eine auf prozessrechtlicher Grundlage beruhende Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Beteiligten, wonach der im Vertrag mit dem Dritten bestehende Rechtsgrund der Eigentumsübertragung aufihn einstweilen nicht als vollgültig betrachtet werden darfund daher eine auf diesen Vertrag gestützte Anmeldung für die Dauer des Hauptprozesses als unzulässig und, wenn schon erfolgt, als unwirksam zu gelten hat. Im vorliegenden Fall ist freilich der Richter nicht so weit gegangen, der Verkäuferin den Rückzug der Anmeldung des zweiten, mit Sprenger abgeschlossenen Kaufvertrages aufzugeben. Er hat sich darauf beschränkt, die Rechtswirkungen der Anmeldung für die Prozessdauer einzustellen. Damit ist aber gleichermassen eine Feststellung über die einstweilige Unsicherheit des Rechtsgrundes dieser Anmeldung getroffen worden, und es ergab sich daraus für das Grundbuchamt ebenfalls die Unzulässigkeit der Eintragung in das Hauptbuch. Die "Suspendierung" war zweifellos als rückwirkend zu verstehen; wurde sie doch mit Rücksicht auf einen allenfalls wegen der zeitlichen Folge der Kaufverträge vorgehenden Erwerbsanspruch Schochs verfügt, einen Anspruch also, der, wenn
BGE 87 I 479 S. 490
überhaupt, so schon beim Abschluss des zweiten Kaufvertrages und bei dessen Anmeldung bestanden haben muss. Das in der "Suspendierung" der Anmeldungswirkungen enthaltene richterliche Gebot der Rücksichtnahme auf den Gegenstand der Hauptklage ist vom Grundbuchamt in richtiger Weise durch einstweilige Unterlassung der Eintragung in das Hauptbuch beachtet worden. Dabei wird es für die Prozessdauer zu bleiben haben, sofern das Obergericht die "Suspendierung" nach kantonalem Prozessrecht bestätigen sollte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde des Hans Schoch wird, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist, abgewiesen.
Die Beschwerde der Frau Ida Bernhard-Bühlmann wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8a88bd13-dd8d-40ad-8c6e-1fed29f7b781 | Urteilskopf
83 III 107
28. Auszug aus dem Entscheid vom 12. Oktober 1957 i.S. Brechbühl. | Regeste
Aufbewahrung der Betreibungsakten.
Sind diese Akten einzubinden? | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 83 III 107 S. 107
Bei der Berechnung des Kostenvorschusses, den es vor der Verwertung eines gepfändeten Schuldbriefs von der Gläubigerin einforderte, setzte das Betreibungsamt Romanshorn für das Einbinden der Akten Fr. 10.- ein. Das Bundesgericht streicht diesen Posten.
Erwägungen
Begründung:
Die kantonale Aufsichtsbehörde hält den Posten "Einband der Akten ca. Fr. 10.-" für etwas hoch bemessen, aber nicht für tarifwidrig, weil das Einbinden der Akten zur Aufbewahrung im Sinne der Verordnung des Bundesgerichtes über die Aufbewahrung der Betreibungs- und Konkursakten vom 14. März 1938 gehöre und gemäss Art. 11 des Gebührentarifs zum SchKG alle notwendigen Auslagen zu ersetzen seien. Die erwähnte Verordnung schreibt jedoch nur die sorgfältige Aufbewahrung der hier in Frage stehenden Akten vor, nicht deren Einbindung. Wieso zur sorgfältigen Aufbewahrung der wenigen Blätter, um die es sich im vorliegenden Falle nur handeln kann, ein Einband im Werte von ungefähr Fr. 10.- erforderlich sein soll, ist nicht einzusehen. Es genügt, wenn diese Akten zusammengeheftet und in einem Umschlag oder einem Kartonmäppchen aufbewahrt werden. In diesem Punkte ist der Rekurs also gutzuheissen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8a8f3bf0-73fd-4963-bda6-6886e734fbd5 | Urteilskopf
108 II 334
65. Estratto della sentenza 3 maggio 1982 della I Corte civile nella causa Comune di Muralto, Eredi fu Paolo Mariotta, Adolfo Zingrich e La Federale, Compagnia d'assicurazione (ricorsi per riforma) | Regeste
Art. 44 ff. OG
.
Keine Zivilsachen im Sinne dieser Bestimmungen sind Streitigkeiten bezüglich Materien, für welche das Zivilgesetzbuch das kantonale öffentliche Recht vorbehält, insbesondere solche hinsichtlich der ausservertraglichen Haftung der öffentlichrechtlichen Gemeinwesen, die gemäss
Art. 59 Abs. 1 ZGB
ausschliesslich vom kantonalen öffentlichen Recht geregelt wird. | Sachverhalt
ab Seite 334
BGE 108 II 334 S. 334
Durante la notte tra il 9 e il 10 settembre 1965 la regione del locarnese fu sconvolta da fortissimi temporali. Il negozio d'arredamenti interni e d'antiquariato di Adolfo Zingrich a Muralto, situato in uno stabile del quale l'architetto Paolo Mariotta - ora deceduto - era proprietario e progettista, fu allagato dalla fuoruscita delle acque del torrente "Gutta", incorporato nelle fondazioni dell'immobile. L'allagamento fu dovuto ad alcuni errori d'arte commessi durante i lavori di costruzione, che ridussero di quasi la metà la superficie
BGE 108 II 334 S. 335
utile allo scorrimento dell'acqua. Si trattava in particolare dell'inserimento nel cunicolo di una canalizzazione comunale, autorizzato dalle autorità di Muralto, e dell'allacciamento a questa fogna di un tubo di scarico dell'edificio che, protetto da una putrella, attraversava il canale sotterraneo.
Il 9 ottobre 1981, la II Camera civile del Tribunale di appello ticinese, in parziale riforma della sentenza del Pretore di Locarno-Città, condannò solidalmente i convenuti Comune di Muralto ed Eredi fu Paolo Mariotta a pagare all'attore Adolfo Zingrich Fr. 316'994.--, a titolo di risarcimento dei danni, e respinse la petizione nei confronti della convenuta Compagnia d'assicurazione La Federale. Gli eredi del professionista furono riconosciuti responsabili in applicazione degli
art. 41, 58 e 255 CO
, mentre l'ente pubblico soltanto in virtù degli
art. 41 e 58 CO
. Entrambi i convenuti presentarono ricorsi per riforma al Tribunale federale chiedendo, in via principale, la reiezione della petizione nei loro confronti; con ricorso adesivo l'attore chiese un maggiore risarcimento. Il ricorso del Comune di Muralto - il solo che qui interessa - venne respinto nella misura in cui era ammissibile.
Erwägungen
Considerato in diritto:
3.
La responsabilità per atto illecito degli enti pubblici cantonali, quindi del Comune, è retta esclusivamente dal diritto pubblico cantonale, nella misura in cui essa è in relazione con la funzione pubblica (
art. 59 cpv. 1 CC
). In assenza di testi di diritto pubblico cantonale non v'è responsabilità aquiliana dell'ente pubblico, contrariamente a quanto avviene per i funzionari, la cui responsabilità, in assenza di norme cantonali, è retta dal diritto federale (
art. 61 cpv. 1 CO
). I Cantoni possono definire liberamente le modalità della responsabilità degli enti pubblici. Essi possono segnatamente rinviare, con o senza riserve, al diritto privato federale; in questo caso il diritto federale non è applicato in quanto tale, ma solo a titolo di diritto pubblico cantonale suppletivo. Ciò assume importanza nel giudizio d'ammissibilità dei rimedi giuridici: poiché il ricorso per riforma è proponibile soltanto per violazione del diritto federale (
art. 43 cpv. 1 OG
), esso non è ammissibile contro le decisioni cantonali che coinvolgono la responsabilità degli enti pubblici - nell'esercizio delle loro sovrane funzioni - sulla base del diritto pubblico cantonale, anche qualora questo sia costituito dal diritto federale applicato a titolo suppletivo (
DTF 101 II 184
consid. 2b con i
BGE 108 II 334 S. 336
numerosi riferimenti, 96 II 343 consid. 3a; GRISEL, Droit administratif suisse, pag. 441; KNAPP, Précis de droit administratif, pagg. 263/4; OFTINGER, Haftpflichtrecht, II/1 pag. 126 n. 5).
La motivazione della sentenza impugnata non consente di comprendere se nei confronti del Comune di Muralto il Tribunale di appello abbia applicato le norme federali sulla responsabilità per atto illecito come tali oppure come diritto pubblico cantonale suppletivo. Certo quest'ultima ipotesi sarebbe conforme alla prassi cantonale, la quale, in assenza di un testo di legge esplicito, deduce il rinvio al diritto federale delle obbligazioni, in materia di responsabilità aquiliana dello Stato e degli enti pubblici in genere, dall'art. 21 della legge sull'ordinamento degli impiegati dello Stato e dei docenti del 5 novembre 1954, riguardante la responsabilità personale dei funzionari cantonali (cfr. Rep. 1960 pag. 286 consid. 1 e le critiche espresse contro questa prassi da BIANCHI, Ente pubblico e responsabilità per illecito, RDAT 1979 pag. 265 segg.). Tuttavia, il ricorso per riforma non è in ogni modo ammissibile. Secondo gli art. 44 segg. OG questo rimedio riguarda infatti solo le cause o i procedimenti civili, ossia le procedure che tendono all'ottenimento di un giudizio definitivo su rapporti di diritto civile, che si svolgono in contraddittorio dinanzi a un giudice o ad un'altra autorità avente potere decisionale, tra due o più persone fisiche o morali agenti come titolari di diritti privati oppure tra queste persone e un'autorità alla quale il diritto civile conferisce la qualità di parte (
DTF 106 II 366
e riferimenti,
DTF 101 II 368
consid. 2). Non sono cause civili in questo senso quelle concernenti materie per le quali il Codice civile riserva il diritto pubblico cantonale, anche se questo rinvia poi al diritto federale (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege,
art. 44 OG
pagg. 123 lett. d e 125 lett. g).
Nella fattispecie s'è detto che l'
art. 59 cpv. 1 CC
riserva il diritto pubblico cantonale per i rapporti giuridici degli enti pubblici, per cui la causa, nella misura in cui tocca la responsabilità per atto illecito del Comune di Muralto, non è civile e il ricorso per riforma non è ammissibile. | public_law | nan | it | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8a93ba21-4549-4913-9898-0dea5d5aff4a | Urteilskopf
139 I 180
17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_182/2013 vom 18. Juli 2013 | Regeste
Art. 1, 74 f., 81 Abs. 1 und
Art. 90 Abs. 3 StGB
,
Art. 7 und 10 BV
,
Art. 7 Ziff. 1 EMRK
; Arbeitspflicht im Straf- und Massnahmenvollzug.
Die Verpflichtung des Gefangenen zur Arbeit gilt unabhängig von seinem Alter (E. 1). Sie verletzt weder Bundes- noch Verfassungsrecht (E. 2).
Die Arbeitspflicht für Eingewiesene gemäss
Art. 90 Abs. 3 StGB
dient dem Vollzug der Massnahme und stellt keine zusätzliche Bestrafung dar (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 139 I 180 S. 180
A.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. am 4. Juli 2003 wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern und mehrfacher sexueller Nötigung zu vier Jahren und vier Monaten Zuchthaus als
BGE 139 I 180 S. 181
Zusatzstrafe zu einem Urteil des Pariser Appellationsgerichts vom 16. Juni 1995. Es schob den Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten einer Verwahrung auf und beschloss am 1. März 2010, diese nach neuem Recht weiterzuführen.
B.
X. beantragte am 6. Dezember 2011 unter anderem, er sei von der Arbeitspflicht zu befreien. Diesen Antrag wies das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich am 19. März 2012 ab.
Ein Rekurs von X. an die Justizdirektion des Kantons Zürich blieb ebenso ohne Erfolg wie die Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches das Rechtsmittel am 10. Januar 2013 abwies.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei von der Arbeitspflicht zu befreien. Zudem sei ihm für das vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Dies verlangt er auch vor Bundesgericht.
D.
Das Verwaltungsgericht und das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich wurden zur Vernehmlassung, beschränkt auf die Frage der unentgeltlichen Rechtspflege, eingeladen. Beide Behörden beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat nicht repliziert.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Hauptpunkt ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 1, 74, 75 und 81 StGB,
Art. 7 und 10 BV
sowie
Art. 7 Ziff. 1 EMRK
. Weil er das 65. Altersjahr überschritten habe und sich in Sicherheitsverwahrung befinde, dürfe er nicht mehr zur Arbeit verpflichtet werden.
1.1
Das vorinstanzliche Urteil betrifft eine Frage des Vollzugs von Strafen und Massnahmen, weshalb es der Beschwerde in Strafsachen unterliegt (
Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG
). Der Beschwerdeführer ist beschwerdeberechtigt, da er ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
).
1.2
Gemäss
Art. 123 Abs. 2 BV
sind die Kantone für den Straf- und Massnahmenvollzug zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Während die Grundzüge in
Art. 74-92 StGB
geregelt sind, hat die kantonale Gesetzgebung diese Grundsätze umzusetzen (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen
BGE 139 I 180 S. 182
Strafgesetzbuches und Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2108 Ziff. 214).
1.3
Die Vollzugsgrundsätze in
Art. 74 StGB
sehen vor, dass die Menschenwürde des Gefangenen oder Eingewiesenen zu achten ist. Seine Rechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern. Letzteres erfordert unter anderem eine Strukturierung des Tagesablaufs. Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Der Gefangene hat bei den Sozialisierungsbemühungen und den Entlassungsvorbereitungen aktiv mitzuwirken (
Art. 75 Abs. 1 und 4 StGB
). Neben dem allgemeinen Vollzugsziel der Wiedereingliederung legt
Art. 75 Abs. 1 StGB
vier besondere Vollzugsgrundsätze fest: das Normalisierungsprinzip, das Entgegenwirkungsprinzip (gegen die schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs), das Prinzip der besonderen Fürsorgepflicht (Betreuungspflicht) und das Sicherungsprinzip. Zwischen dem allgemeinen Vollzugsziel und den Vollzugsgrundsätzen hat der Gesetzgeber keine klare Prioritätenordnung vorgenommen. Die verschiedenen Interessen müssen unter Berücksichtigung der konkreten Situation gegeneinander abgewogen werden (vgl. ANDREA BAECHTOLD, Strafvollzug, Straf- und Massnahmenvollzug an Erwachsenen in der Schweiz, 2. Aufl. 2009, S. 103 ff. N. 4 ff.; BBl 1999 2109 f. Ziff. 214.21).
Im Straf- und Massnahmenvollzug befindet sich der Insasse in einem besonderen Rechtsverhältnis, welches nicht mit jenem in Freiheit vergleichbar ist. Namentlich hat er teilweise erhebliche Einschränkungen in seiner persönlichen Freiheit hinzunehmen. Diese sind stets rechtmässig, wenn sie notwendig und sinnvoll sind, um ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt zu gewährleisten, den Anspruch des Schutzes der öffentlichen Sicherheit genügend berücksichtigen und nicht unverhältnismässig sind (BENJAMIN F. BRÄGGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 9 zu
Art. 74 StGB
).
1.4
Nach
Art. 81 Abs. 1 StGB
ist der Gefangene zur Arbeit verpflichtet. Die Arbeit hat so weit als möglich seinen Fähigkeiten, seiner Ausbildung und seiner Neigung zu entsprechen. Unter der Marginalie "Vollzug von Massnahmen" wird in
Art. 90 Abs. 3 StGB
bestimmt, dass arbeitsfähige Eingewiesene zur Arbeit angehalten werden, soweit ihre stationäre Behandlung oder Pflege dies erfordert oder zulässt. Dabei sind
Art. 81-83 StGB
sinngemäss anwendbar. Gemäss § 103 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Zürich vom 6. Dezember 2006 (JVV; LS 331.1) sind die verurteilten Personen im
BGE 139 I 180 S. 183
geschlossenen oder offenen Straf- und Massnahmenvollzug verpflichtet, die ihnen zugewiesene Arbeit zu verrichten. Bei der Zuweisung wird ihren Fähigkeiten soweit möglich und sinnvoll Rechnung getragen. Auch die Hausordnung der Justizvollzugsanstalt Pöschwies (Ausgabe 2009) bestimmt in § 22 Abs. 1, dass die Gefangenen verpflichtet sind, die ihnen zugewiesene Arbeit zu verrichten.
1.5
Nach
Art. 4 Ziff. 3 lit. a EMRK
verstösst die Arbeitspflicht nicht gegen das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit, wenn die Person unter den Voraussetzungen von
Art. 5 EMRK
verurteilt wurde (vgl. MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 123 mit Hinweisen). Gemäss dieser Bestimmung darf die Freiheit unter anderem durch rechtmässige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht entzogen werden. Der Begriff der Verurteilung ist weit auszulegen. Die von einem Gericht zusätzlich oder anstatt einer Freiheitsstrafe angeordnete Sicherheitsverwahrung gilt grundsätzlich als "Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht" (Urteile des EGMR
M. gegen Deutschland
vom 17. Dezember 2009 § 102, in: EuGRZ 2010 S. 25;
Grosskopf gegen Deutschland
vom 21. Oktober 2010 § 46-53; FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 45 zu
Art. 5 EMRK
; MEYER-LADEWIG, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, N. 26 zu
Art. 5 EMRK
; BBl 1999 2192 Ziff. 281.2). Folglich ist die Arbeitspflicht von Gefangenen und Eingewiesenen grundsätzlich menschenrechtskonform.
1.6
Die Arbeitspflicht im Straf- und Massnahmenvollzug dient dazu, den Personen Fähigkeiten zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern, die eine Eingliederung in die Erwerbstätigkeit nach der Entlassung ermöglichen. Sie fördert das Vollzugsziel, das soziale Verhalten und die Fähigkeit, straffrei zu leben. Sinn der Arbeit im Straf- und Massnahmenvollzug ist ebenso, die Personen zu beschäftigen, deren Alltag zu strukturieren sowie den geordneten Anstaltsbetrieb zu gewährleisten (vgl. BBl 1999 2115 Ziff. 214.27).
Während bei jüngeren Personen die Resozialisierung im Vordergrund steht, verschieben sich mit zunehmendem Alter der Insassen die Schwerpunkte, wobei schliesslich der besonderen Fürsorgepflicht und dem Entgegenwirkungsprinzip Vorrang zukommt. Bei älteren Gefangenen und Eingewiesenen dient die Arbeit dazu, Haftschäden wie Vereinsamung sowie psychische und physische Degeneration zu vermeiden. Dabei hat die Arbeit stets den Fähigkeiten, der Ausbildung
BGE 139 I 180 S. 184
und den Neigungen der konkreten Person zu entsprechen (vgl.
Art. 81 Abs. 1 StGB
und § 103 JVV). Damit wird eine übermässige Belastung der Insassen verhindert. Für körperlich und geistig minder leistungsfähige Personen kann die Arbeit auch in einer arbeitstherapeutischen Beschäftigung bestehen. Unabhängig von Alter und Fähigkeiten der Insassen dient die Arbeitspflicht im Straf- und Massnahmenvollzug stets dazu, den Anstaltsbetrieb aufrechtzuerhalten (vgl. zum Ganzen BRÄGGER, a.a.O., N. 8 ff. zu
Art. 81 StGB
; TRECHSEL/AEBERSOLD, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 f. zu
Art. 81 StGB
).
1.7
Das Institut der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) bezweckt, Menschen in der freien Wirtschaft, die wegen ihres Alters nicht mehr im Stande sind zu arbeiten, finanziell zu unterstützen, damit sie weiterhin für ihren Lebensunterhalt aufkommen können (vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 29. August 1929 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1929 II 169 ff. Ziff. I.2, 175 Ziff. II.B.).
1.8
Der Arbeitseinsatz im Straf- und Massnahmenvollzug ist nicht mit einem Arbeitsverhältnis auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar. Es handelt sich um einen Einsatz in einem geschlossenen System (vgl. Urteil 8C_176/2007 vom 25. Oktober 2007 E. 4.2). Während die Arbeit im Vollzug den Fähigkeiten der Personen angepasst wird, müssen die Arbeitnehmer in Freiheit stets dafür Sorge tragen, dass sie über das in ihrem Arbeitsbereich erforderliche Wissen verfügen. Zudem existiert im Vollzug kein Konkurrenzdruck. Der Eingewiesene oder Gefangene muss nicht um seine finanziellen Verhältnisse besorgt sein, da grösstenteils der Staat für Kost und Logis aufkommt (vgl. jedoch
Art. 380 Abs. 2 StGB
). Demnach unterscheiden sich die Arbeitsanforderungen in Freiheit wesentlich von jenen im Vollzug, der eine "geschützte Werkstatt" darstellt. Die Arbeit im Straf- und Massnahmenvollzug dient der Resozialisierung, der Vermeidung von Haftschäden und der Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung, während die Arbeit in Freiheit und die anschliessende AHV die Finanzierung des Lebensunterhaltes bezwecken. Im Unterschied zur Arbeitspflicht im Strafvollzug besteht auf dem freien Arbeitsmarkt keine Verpflichtung, einer Arbeit nachzugehen. Die AHV korrespondiert deshalb nicht mit einer vorausgegangenen Arbeitspflicht und ist auch nicht dazu gedacht, diese in einem fortgeschritteneren Alter abzulösen. Das Rechtsinstitut der Altersrente ist nicht in das
BGE 139 I 180 S. 185
Vollzugssystem übertragbar, da die Arbeit im Vollzug nicht dazu dient, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Angesichts ihres Zwecks ist die Arbeitspflicht im Vollzug altersunabhängig.
2.
2.1
Der Beschwerdeführer macht geltend, bezüglich der Arbeitspflicht im AHV-Alter liege eine echte Gesetzeslücke vor, die vom Gericht geschlossen werden müsse. Die Vorinstanz verletze
Art. 81 StGB
, indem sie den Sinn dieser Bestimmung nicht durch Auslegung ermittle.
Im Sonderrechtsverhältnis des Straf- und Massnahmenvollzugs stellt sich die Frage der Befreiung von der Arbeitspflicht ab einem bestimmten Alter nicht (E. 1). Demnach liegt keine Gesetzeslücke, sondern ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vor. Die Rüge ist unbegründet.
2.2
Der Beschwerdeführer rügt weitere Verletzungen von Bundes- und Verfassungsrecht (
Art. 74 und 75 StGB
sowie
Art. 7 und 10 BV
).
Nach
Art. 190 BV
sind Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Damit kann Bundesgesetzen weder im Rahmen der abstrakten noch der konkreten Normenkontrolle die Anwendung versagt werden. Zwar handelt es sich dabei um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot (
BGE 137 I 128
E. 4.3.1 S. 132 f. mit Hinweisen; YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], Bd. II, 2. Aufl. 2008, N. 8 zu
Art. 190 BV
), und es kann sich rechtfertigen, vorfrageweise die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes zu prüfen. Wird eine solche festgestellt, muss das Gesetz dennoch angewandt werden, und das Bundesgericht kann lediglich den Gesetzgeber einladen, die fragliche Bestimmung zu ändern (
BGE 136 II 120
E. 3.5.1 S. 130 mit Hinweisen).
Vorliegend rechtfertigt es sich, die übrigen Rügen in der gebotenen Kürze zu prüfen.
2.3
Der Beschwerdeführer rügt, die Verpflichtung eines über 65-Jährigen zur Arbeit verletze
Art. 74 und 75 StGB
.
Die Rüge ist unbegründet. Während bei jüngeren Insassen die Resozialisierung im Vordergrund steht, sind bei älteren Personen in erster Linie Haftschäden zu vermeiden und der Alltag zu strukturieren (E. 1.6).
BGE 139 I 180 S. 186
2.4
Der Beschwerdeführer macht geltend, ein Gefangener im Rentenalter müsse von der Arbeitspflicht befreit werden (
Art. 74 StGB
und
Art. 7 BV
).
Er legt nicht dar, inwiefern seine Würde durch die Arbeitspflicht verletzt und der angebliche Eingriff unverhältnismässig sein soll (vgl.
Art. 36 BV
). Auf die Rüge ist nicht einzutreten.
2.5
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Argumentation der Vorinstanz, bei der Arbeitspflicht gemäss
Art. 81 Abs. 1 StGB
handle es sich um einen Arbeitseinsatz in einem geschlossenen System, der mit der Arbeit im Erwerbsleben nicht vergleichbar sei. Er erblickt darin eine Verletzung von
Art. 75 StGB
und der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Deren Ziff. 26.15 und 105.2 seien eine Konkretisierung des allgemeinen Normalisierungsgrundsatzes in Bezug auf die Arbeitspflicht der Strafgefangenen.
Die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates sind nicht in der Weise völkerrechtlich verbindlich, dass deren Missachtung für sich allein als Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte der Bürger oder wegen Verletzung eines Staatsvertrages mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden könnte, und sie begründen insofern keine subjektiven Rechte und Pflichten (vgl.
BGE 122 I 222
E. 2a/aa S. 226;
BGE 118 Ia 64
E. 2a S. 70; je mit Hinweisen). Dies gilt auch bezüglich der neuen Strafvollzugsgrundsätze des Ministerkomitees vom 11. Januar 2006 (Rec[2006]2; vgl. die gemeinsame Übersetzung für Deutschland, Österreich und die Schweiz, Mönchengladbach 2007; vgl. Urteil 1C_229/2008 vom 18. August 2008 E. 2.3).
Weil die Strafvollzugsgrundsätze keine subjektiven Rechte begründen, kann deren Verletzung nicht mit Beschwerde in Strafsachen angefochten werden. Wie der Beschwerdeführer selbst anerkennt, konkretisieren die Empfehlungen den allgemeinen Normalisierungsgrundsatz. Da dieser bei älteren Insassen in den Hintergrund rückt, verlieren auch die Empfehlungen entsprechend an Gewicht.
2.6
Der Beschwerdeführer sieht in der Verpflichtung zur Arbeit eine unverhältnismässige Verletzung seiner persönlichen Freiheit (
Art. 10 BV
). Im Hinblick auf die Resozialisierung müsse ein 65-Jähriger bereits vor seiner Entlassung lernen, mit der freien Zeit umzugehen. Die gebotene Strukturierung des Anstaltsalltages könne durch weitere Beschäftigungsmöglichkeiten (Kurse, Seminare und körperliche Betätigung) erreicht werden. Sofern das bestehende Angebot der Justizvollzugsanstalt nicht ausreiche, müsse es ausgebaut und auf die Bedürfnisse der pensionierten Inhaftierten angepasst werden.
BGE 139 I 180 S. 187
2.6.1
Nach
Art. 36 BV
muss der Eingriff in ein Grundrecht auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse erfolgen und verhältnismässig sein. Nach der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangt das Gebot der Verhältnismässigkeit, dass eine behördliche Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden Zieles geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen als zumutbar erweist. Erforderlich ist eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation. Eine Massnahme ist unverhältnismässig, wenn das Ziel mit einem weniger schweren Eingriff erreicht werden kann (vgl.
BGE 134 I 140
E. 6.2 S. 151 f.;
BGE 133 I 77
E. 4.1 S. 81; je mit Hinweis). Betreffend die Haftbedingungen hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Beschränkung der Freiheitsrechte nicht über das hinausgehen darf, was zur Gewährleistung des Haftzwecks und zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebs erforderlich ist (vgl.
BGE 124 I 336
E. 4c S. 340;
BGE 123 I 221
E. I/4c S. 228; je mit Hinweisen).
2.6.2
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Arbeitspflicht grundsätzlich einen rechtmässigen Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt. Er erachtet sie bei einem über 65-jährigen Insassen als unverhältnismässig und zeigt Alternativen auf, die ebenfalls der Strukturierung des Anstaltsalltags und der Vorbeugung von Haftschäden dienen sollen, jedoch sein Freiheitsrecht weniger stark einschränken würden.
Die Arbeitspflicht ist geeignet, erforderlich und grundsätzlich zumutbar, um die im Alter überwiegenden Vollzugsgrundsätze (Anstaltsordnung, Vermeidung von Haftschäden, Strukturierung) zu gewährleisten (E. 1.6 und 1.8). Die vom Beschwerdeführer aufgezeigte Alternative zur Arbeitspflicht erscheint nicht geeignet, die angestrebten Ziele zu garantieren. Sie würde die ordnungsgemässe Anstaltsführung erschweren. Diese setzt unter anderem eine Strukturierung des Alltags der Insassen voraus. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten müssten freiwillig sein, ansonsten sie einer (ebenfalls verpönten) Verpflichtung gleichkämen. Stellt man den Gefangenen frei, ob und wann sie an einem Beschäftigungsprogramm teilnehmen wollen, wäre es unmöglich, die Anstalt geordnet zu führen. Ebenso wenig könnten Haftschäden vermieden werden, da es ihnen freistehen würde, den Tag in ihrem Zimmer zu verbringen, was zu einer Vereinsamung oder psychischen und physischen Degeneration führen könnte.
2.7
Die altersunabhängige Arbeitspflicht nach
Art. 81 Abs. 1 StGB
verletzt weder Bundes- noch Verfassungsrecht.
BGE 139 I 180 S. 188
3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 1 StGB
und
Art. 7 Abs. 1 EMRK
. Während die Freiheitsstrafe der Vergeltung schuldhaft begangener Straftaten diene, bezwecke die Sicherheitsverwahrung die Verhinderung künftiger Straftaten. Der notwendige Abstand in den Vollzugsformen werde in
Art. 90 Abs. 3 StGB
geregelt. Demnach werde der Verwahrte lediglich zur Arbeit angehalten, womit keine entsprechende Pflicht bestehe, und das Fernbleiben von der Arbeit keine disziplinarrechtlichen Folgen haben könne. Indem zwischen dem Strafvollzug und der Sicherheitsverwahrung nicht klar unterschieden werde, komme der Massnahme Strafcharakter zu.
3.1
Der Wortlaut von
Art. 90 Abs. 3 StGB
("ist der Eingewiesene arbeitsfähig, so wird er zur Arbeit angehalten, soweit seine stationäre Behandlung oder Pflege dies erfordert oder zulässt") ist nicht identisch mit jenem von
Art. 81 Abs. 1 StGB
("der Gefangene ist zur Arbeit verpflichtet"). Daraus kann nicht geschlossen werden,
Art. 90 Abs. 3 StGB
statuiere keine Verpflichtung.
Das Strafgesetzbuch (in der am 1. Januar 1942 in Kraft getretenen Fassung) sah vor, dass die Gefangenen "zur Arbeit angehalten" werden (aArt. 37 Abs. 3 Satz 1 StGB). Der Beschwerdeführer selbst bezeichnet dies als Arbeitspflicht. Die entsprechende Bestimmung für die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern lautete damals beinahe gleich (aArt. 42 Ziff. 3 StGB). Für die Haftstrafe sah aArt. 39 Ziff. 3 StGB vor: "Der Haftgefangene wird zur Arbeit angehalten. Es ist ihm gestattet, sich angemessene Arbeit selbst zu beschaffen. Macht er von dieser Befugnis keinen Gebrauch, so ist er zur Leistung der ihm zugewiesenen Arbeit verpflichtet."
Nach der am 1. Juli 1971 in Kraft getretenen Teilrevision lauteten die Bestimmungen für Gefangene und Verwahrte identisch: "Der Gefangene (bzw. Verwahrte) ist zur Arbeit verpflichtet, die ihm zugewiesen wird" (aArt. 37 Ziff. 1 Abs. 2 und aArt. 42 Ziff. 3 Abs. 1 StGB [Version in Kraft bis 31.12.2006]). Gemäss Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 stellt
Art. 90 Abs. 3 StGB
(Version in Kraft seit 01.01.2007) eine Relativierung der in
Art. 81 Abs. 1 StGB
festgehaltenen Verpflichtung dar, weil ein Teil der Eingewiesenen gar nicht arbeitsfähig ist (BBl 1999 2123 Ziff. 214.4). Hingegen ergibt sich weder aus der Botschaft noch aus den Protokollen von National- und Ständerat, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die Arbeitspflicht für Verwahrte abzuschaffen (vgl. BBl 1999 2123 Ziff. 214.4; AB 2002 S 1060 f., 1306; AB 2002 N 1178 ff., 1185 ff., 2171; AB 2001 S 507 ff.; AB 2001 N 531 ff., 560 ff., 591 ff.; AB 1999 S 1104 ff.).
BGE 139 I 180 S. 189
Der Gesetzgeber verwendet die Begriffe "anhalten" und "verpflichten" damals wie heute synonym. Folglich enthält
Art. 90 Abs. 3 StGB
eine "eigentliche Arbeitspflicht", wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil 6B_376/2011 vom 30. Juni 2011 E. 3; vgl. MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 33 zu
Art. 90 StGB
).
3.2
Der Beschwerdeführer rügt, da er seine Strafe bereits verbüsst habe, verletze die Arbeitspflicht das Rückwirkungsverbot.
Der Verwahrung kann ein gewisser Strafcharakter nicht abgesprochen werden, weshalb das Rückwirkungsverbot zu beachten ist (vgl.
BGE 134 IV 121
E. 3.3.3 S. 128 f.; vgl. Urteil
M. gegen Deutschland
, a.a.O., § 146). Da die Arbeitspflicht der Erfüllung der Vollzugsgrundsätze dient, stellt sie keine (zusätzliche) Bestrafung dar (E. 1 und 2.6). Die Rüge ist unbegründet. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8a947ca7-e8aa-4e5d-abbe-79fd83305545 | Urteilskopf
89 IV 157
31. Urteil des Kassationshofes vom 21. Junl 1963 i.S. Wullschleger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 3 SVG
.
Widerhandlung gegen die Vorschriften über das zulässige Gesamtgewicht, fahrlässig begangen dadurch, dass der den Holztransport veranlassende Angestellte einer Holzfirma dem Führer des Anhängerzuges das spezifische Gewicht des zu verladenden Holzes zu niedrig angab. | Sachverhalt
ab Seite 157
BGE 89 IV 157 S. 157
A.-
Wullschleger ist Prokurist und Disponent einer Holzfirma. Am 23. Februar 1962 begab er sich nach Flühli LU, um dort für seine Arbeitgeberin von einer Sägerei 25-30 Kubikmeter Bretter und Balken aus Tannenholz zu übernehmen, das Holz zu messen und bei dessen Verlad auf einen Lastzug, den er für den Abtransport des Holzes bestellt hatte, anwesend zu sein. Dem Führer des Lastwagens erklärte er, das Gewicht des Tannenholzes betrage je Kubikmeter ca. 500 kg, worauf der Lastzug mit insgesamt 26-27 m3 beladen wurde. In Wirklichkeit wog das Holz durchschnittlich 700 kg je m3.
Bei der Kontrolle des Transportes, die von der Polizei am gleichen Tage in Wolhusen vorgenommen wurde, ergab sich, dass der Lastwagen mit 2070 kg und der Anhänger mit 3500 kg überladen war. Die Polizei erstattete deshalb gegen Wullschleger Strafanzeige.
B.-
Das Amtsgericht Entlebuch erklärte am 11. September 1962 Wullschleger der Widerhandlung gegen
Art. 11 MFV
schuldig und verurteilte ihn in Anwendung von Art. 58 MFG zu einer Busse von Fr. 40.-. Es wirft ihm vor, er habe dadurch, dass er dem Lastwagenführer
BGE 89 IV 157 S. 158
das Gewicht des Holzes zu niedrig angab, die Überladung der Fahrzeuge fahrlässig verursacht.
C.-
Wullschleger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Mit der Beschwerde wird geltend gemacht, Art. 58 MFG bedrohe nur den Führer des Fahrzeuges mit Strafe, so dass der Beschwerdeführer.als Täter ausscheide. Als Anstifter könne er nicht bestraft werden, weil er nicht vorsätzlich gehandelt habe (
Art. 24 Abs. 1 StGB
), und Gehilfenschaft falle ausser Betracht, da sie nach dem MFG nicht strafbar sei (
BGE 75 IV 189
).
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Es ist unbestritten, dass die im Fahrzeugausweis eingetragenen Gesamtgewichte von Zugwagen und Anhänger zusammen um mehr als 5,5 t überladen waren. Nach Art. 2 Abs. 6 lit. b des BRB über Masse und Gewichte vom 21. Oktober 1960, der vom 1. November 1960 bis 31. Dezember 1962 Geltung hatte, durften bei Anhängerzügen die im Fahrzeugausweis eingetragenen Gesamtgewichte von Zugwagen und Anhänger zusammen um höchstens 1,5 t überschritten werden.
2.
Die Widerhandlung fällt unter die Strafbestimmung des
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 3 SVG
, der mit Haft oder Busse bedroht, wer die mit dem Fahrzeugausweis verbundenen Beschränkungen oder Auflagen, namentlich über das zulässige Gesamtgewicht, missachtet (vgl.
BGE 89 IV 30
). Diese Bestimmung ist am 1. Januar 1960 in Kraft getreten (Art. 61 Verordnung über Haftpflicht und Versicherungen im Strassenverkehr vom 20. November 1959). Insoweit ist Art. 58 MFG nicht mehr anwendbar (
Art. 107 Abs. 3 SVG
).
Gemäss
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 3 SVG
fällt als Täter nicht bloss der Führer des Fahrzeuges in Betracht, sondern jeder, der dazu beiträgt, dass ein Fahrzeug in Missachtung der Vorschriften über das zulässige Gesamtgewicht in Verkehr gebracht wird (vgl. Randtitel). Strafbar ist nach
Art. 100
BGE 89 IV 157 S. 159
Ziff. 1 Abs. 1 SVG
, in Kraft seit 1. November 1960 (Art. 30 des erwähnten BRB vom 21. Oktober 1960), auch die fahrlässige Widerhandlung.
3.
Den Holztransport, so wie er durchgeführt wurde, hat der Beschwerdeführer veranlasst. Er bestellte den Lastzug und wies die Transportfirma an, wie gross dessen Fassungsvermögen sein müsse. Der Beschwerdeführer war beim Verlad in Flühli anwesend, mass das übernommene Holz aus und machte dem Führer des Anhängerzuges die Angabe, dass das spezifische Gewicht des Holzes, das für die Berechnung des Gewichts der Ladung massgebend war, ca. 500 kg betrage. Somit hat der Beschwerdeführer das Gewicht der Ladung bestimmt, und auf seine Anordnung ist zurückzuführen, dass der Anhängerzug mit 27 Kubikmeter Holz beladen auf der Strasse verkehrte.
Der Beschwerdeführer war unter diesen Umständen verpflichtet, dem Führer des Anhängerzuges über das spezifische Gewicht des zu verladenden Holzes richtige Angaben zu machen. Er wusste, dass das Gesamtgewicht der Holzmasse nach dem spezifischen Gewicht des Holzes berechnet wird und dass dieses je nach der Holzart verschieden gross ist und durch weitere Umstände beeinflusst werden kann. Er hat denn auch in der Untersuchung nie behauptet, dass er hievon nichts verstehe, sondern im Gegenteil darauf hingewiesen, dass es sich bei dem in Flühli übernommenen Holz ausschliesslich um Nadelholz (Fichte/Tanne) gehandelt habe, das gelagert worden sei, und dass für solches Holz erfahrungsgemäss ein spezifisches Gewicht von 500 kg pro m3 angenommen werde. War ihm aber bekannt, worauf es ankam, so hätte er diese zu niedrige Gewichtsangabe bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können. Als erfahrener Fachmann, der seit mehr als 14 Jahren in der Holzbranche tätig war, hätte er das zutreffende spezifische Gewicht kennen sollen oder nötigenfalls, wenn er nicht sicher war, sich hierüber rechtzeitig erkundigen müssen. Er kann sich daher nicht auf Irrtum berufen, der die Folge seiner Pflichtwidrigkeit war. Dem
BGE 89 IV 157 S. 160
Beschwerdeführer ist infolgedessen Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
4.
Hat sich der Beschwerdeführer nach
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 3 SVG
strafbar gemacht, so hält die ausgefällte Busse vor dem Gesetze stand. Die Beschwerde ist daher trotz unrichtiger Begründung des angefochtenen Urteils abzuweisen (
BGE 79 IV 89
/90).
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8a95b954-1cd1-4299-99d3-4df3033022d6 | Urteilskopf
102 II 176
27. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 10 juin 1976 dans la cause Mercier-Mandrot contre succession de Roger Mandrot et Cst. | Regeste
1.
Art. 46 OG
: Die Auseinandersetzung über die Ermittlung des Liquidationsanteils eines ausscheidenden Gemeinders stellt eine Zivilrechtsstreitigkeit über vermögensrechtliche Ansprüche im Sinne dieser Bestimmung dar, und zwar auch dann, wenn das Verfahren vor der kantonalen Instanz nach den Regeln über die freiwillige Gerichtsbarkeit durchgeführt wurde (Erw. 1).
2.
Art. 346 ZGB
: Ausser in dieser Bestimmung gibt das Gesetz keinerlei Anweisung über die Art der Teilung des Gemeinschaftsgutes. Diese Frage kann Gegenstand einer Vereinbarung zwischen den Parteien bilden (Erw. 3 lit. a und b).
3.
Art. 344, 651 und 617 Abs. 2 ZGB
:
a) Der Anwendungsbereich von
Art. 617 Abs. 2 ZGB
und die Bemessung nach dem Ertragswert sind nicht auf eigentliche bäuerliche Nachlasse beschränkt; der Richter, der bei der Teilung nach den
Art. 344 und 651 ZGB
diese Regel für die Schätzung von Immobilien sinngemäss anwendet, verstösst nicht gegen Bundesrecht (Erw. 3 lit. c und d).
b) Erst beim Vollzug der Teilung wird das Gesamteigentum zu Individualeigentum. Die Schätzung des Gemeinschaftsgutes ist auf diesen Zeitpunkt vorzunehmen (Erw. 4 lit. a).
c) Der ausscheidende Gemeinder hat erst von jenem Zeitpunkt an, da die Liquidation tatsächlich durchgeführt wird, Anspruch auf Verzugszinsen; bis dahin wird er am Ertrag der Gemeinderschaft teilhaben (Erw. 5).
d)
Art. 617 Abs. 2 ZGB
ist nicht zwingendes Recht, namentlich dann nicht, wenn er - sinngemäss - ausserhalb eines eigentlichen bäuerlichen Nachlasses zur Anwendung gelangt (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 177
BGE 102 II 176 S. 177
A.-
Par acte authentique du 17 décembre 1919, et acte rectificatif du 12 octobre 1929, Adrien Mandrot a fait donation à ses
BGE 102 II 176 S. 178
quatre enfants Roger, Léon, Bernard et Gérald Mandrot, "par égales portions entre eux et pour les posséder à titre d'indivision de famille", des immeubles lui appartenant, situés sur le territoire des communes d'Echichens, Bremblens, Lonay et Saint-Saphorin-sur-Morges. Il est décédé le 29 octobre 1952, sa femme, Marie-Caroline Mandrot, le 7 août 1953.
Ses héritiers se sont partagé par des conventions successives l'ensemble des biens meubles, des créances et des espèces de la succession ainsi que les droits relatifs à diverses sociétés immobilières, mais ils n'ont en revanche pas pu s'entendre sur le partage des immeubles de l'indivision.
Le 28 novembre 1963, Anne Mercier-Mandrot fille de Léon Mandrot, a ouvert une procédure en partage successoral, qui, par accord des parties, a été considérée comme une dénonciation de l'indivision de famille pour la part concernant la demanderesse.
Depuis la naissance du litige, plusieurs experts ont été commis, par les parties et le Président du Tribunal de Morges, pour estimer la valeur vénale et de rendement des immeubles.
B.-
Dans son mémoire du 20 mars 1973, Anne Mercier-Mandrot avait conclu au paiement par les membres de l'indivision Mandrot de 2'250'000 fr. en capital. Elle n'a obtenu en instance cantonale qu'une somme de 472'000 fr., portée sur recours à 480'000 fr. Elle forme devant le Tribunal fédéral un recours en réforme dans lequel elle conclut pour l'essentiel au versement de 1'315'125 fr. Les défendeurs quant à eux ont déposé un recours joint dans lequel ils demandent en substance que la part de la recourante principale soit réduite à 446'000 fr.
Erwägungen
Considérant en droit
A. Recours principal
1.
Le présent litige concerne la détermination de la part liquide d'un indivis sortant. Le caractère contradictoire de la procédure et le règlement définitif des droits civils existant entre les parties font de ce litige une contestation civile portant sur des droits de nature pécuniaire au sens de l'
art. 46 OJ
. Cette notion relevant du droit fédéral (
ATF 98 II 170
, 275), il importe peu que devant les instances cantonales la procédure se soit déroulée, à tout le moins en partie, selon les règles applicables en matière de juridiction gracieuse.
BGE 102 II 176 S. 179
La valeur litigieuse dépasse largement les montants fixés par les
art. 46 et 62 OJ
. En seconde instance cantonale, la recourante avait conclu à un paiement de 2'250'000 fr. alors que les intimés reconnaissaient devoir 308'000 fr.
2.
La recourante soutient qu'en application des accords intervenus entre les parties, seule la valeur vénale des biens immobiliers de l'indivision devait être prise en considération pour déterminer le montant de sa part, la valeur de rendement devant intervenir non pas comme une alternative et comme base unique d'estimation pour les parcelles reconnues inconstructibles, mais uniquement comme un élément pondérateur et d'appréciation. Du même coup, les parties auraient écarté l'application des
art. 617 et 619 CC
, qui, selon la doctrine et la jurisprudence, ne seraient applicables qu'à la procédure de partage successoral, et au cas où il y aurait attribution d'immeubles.
3.
L'
art. 346 CC
mis à part ("Le partage de l'indivision a lieu ou les parts de liquidation s'établissent sur les biens communs, dans l'état où ils se trouvaient lorsque la cause de dissolution s'est produite"), la loi ne donne aucune indication quant à la manière de procéder au partage de l'indivision. Cette question peut faire l'objet d'un accord des parties (EGGER, No 1 à l'
art. 346 CC
).
a) A cet égard, la recourante invoque quatre accords, qui seraient selon elle intervenus respectivement les 19 novembre 1962, 24 janvier 1964, 4 avril 1967 et 24 juillet 1968.
En vertu de l'accord du 19 novembre 1962, l'architecte Laurent d'Okolski à Lausanne était chargé d'une expertise hors procès portant sur la valeur vénale des immeubles. Dans celui passé à l'audience du 24 janvier 1964, les parties déclaraient "s'en remettre en principe au rapport établi par M. Laurent d'Okolski le 25 juin 1963", dans le sens "qu'elles ne demandaient pas une nouvelle évaluation totale des immeubles dépendant de la succession", mais qu'elles se réservaient "d'établir les éléments d'une évaluation différente pour telle ou telle parcelle, le cas échéant". On ne saurait voir là des conventions destinées à fixer les bases d'estimation de la part d'indivision de la recourante, déjà pour le motif que les accords en question sont intervenus à un moment où les parties croyaient constituer une communauté héréditaire (la recourante a ouvert action en partage successoral en décembre 1963).
BGE 102 II 176 S. 180
En effet, l'existence d'une indivision de la famille n'a été constatée qu'à fin 1965. Or les intimés relèvent avec pertinence que, s'agissant d'une communauté héréditaire, il suffisait d'établir des lots d'égale valeur, en procédant à une estimation uniforme et que, faute d'attributaire désigné par la loi ou par une disposition de dernière volonté, la distinction entre valeur vénale et valeur de rendement était sans portée. La déclaration du 24 janvier 1964, au surplus, ne contenait même pas l'engagement d'accepter les estimations de l'expert d'Okolski, mais elle visait uniquement à simplifier la procédure, en évitant une nouvelle expertise d'ensemble. Enfin, la recourante a elle-même admis, le 24 juillet 1968, le principe d'une nouvelle expertise judiciaire portant sur la valeur vénale et la valeur de rendement.
De toute manière, dans la mesure où l'accord passé à l'audience du 24 janvier 1964 relève de la procédure cantonale, son interprétation échappe au Tribunal fédéral siégeant comme cour de réforme (
art. 43 al. 1 OJ
). Quant au prétendu accord du 4 avril 1967, la recourante reconnaît qu'une partie n'y a pas participé et il n'est pas prouvé que les autres défendeurs l'aient ratifié. Il concernait d'ailleurs également des sociétés immobilières, qui ne sont pas comprises dans l'indivision.
b) La recourante se fonde avant tout sur la convention passée le 24 juillet 1968 devant le Président du Tribunal de Morges.
Cette convention avait, selon sa teneur, un double objet:
- la détermination de la valeur vénale des immeubles de l'indivision, rapportée, autant que possible, à la date du 28 novembre 1963;
- la détermination de la valeur de rendement desdits immeubles, rapportée à la même date, parcelle par parcelle, "dite valeur pouvant jouer un rôle, s'agissant de surfaces grevées d'interdiction de bâtir ou qui, sur le plan économique, ne seraient pas propres à être bâties dans un avenir prévisible".
L'expertise devait avoir valeur de "première expertise judiciaire au sens de l'art. 214 du Code de procédure civile, chaque partie se réservant de requérir un complément d'expertise ou, selon le cas, une seconde expertise".
Dans la mesure où il s'agit d'une convention de procédure
BGE 102 II 176 S. 181
relative à l'objet et à l'étendue d'une preuve à administrer, son interprétation ne peut pas, on l'a vu, être soumise au Tribunal fédéral par la voie du recours en réforme, qui n'est ouvert que pour violation du droit fédéral.
Au demeurant, supposé que le texte de la convention contienne un accord de fond quant aux modalités de liquidation, il ne permet nullement d'inférer que les parties sont convenues d'un mode d'estimation de la part de liquidation de l'indivision, en ce sens que, même pour les parcelles inconstructibles, la valeur de rendement ne devait intervenir que comme élément pondérateur. La convention prescrit au juge uniquement de tenir compte de la valeur de rendement dans l'estimation des parcelles inconstructibles, mais ne précise pas le "rôle" que cette valeur est appelée à jouer. Sur ce point, il n'y a eu aucun accord entre les parties et c'est à tort que la recourante prétend que l'autorité cantonale aurait écarté un mode d'estimation qui aurait été convenu. Il appartient dès lors au juge de dire si, dans le cas d'une parcelle frappée d'interdiction de bâtir, il y a lieu de tenir compte, dans l'estimation, d'une valeur autre que celle de rendement et, le cas échéant, de faire une moyenne entre les deux valeurs, vénale et de rendement, ou si cette dernière joue un rôle prépondérant et fournit l'unique base d'estimation. C'est bien ainsi que les instances cantonales ont, en réalité, même si elles sont parties apparemment de points de vue différents, compris, interprété et appliqué la convention du 24 juillet 1968. Cette interprétation peut être revue par la cour fédérale de réforme dans la mesure où elle est fondée sur les règles de la bonne foi et l'expérience générale de la vie et pour autant qu'elle ne concerne pas la volonté dite interne des parties (
ATF 99 II 285
consid. 2) et ne relève pas exclusivement du droit cantonal de procédure. Elle n'est en tout cas pas contraire au texte même de l'accord.
c) Le Tribunal cantonal a retenu comme critère déterminant celui de l'
art. 617 al. 2 CC
relatif au partage successoral, selon lequel les immeubles ruraux sont estimés à leur valeur de rendement, les autres à leur valeur vénale. Cette solution remonte au premier avant-projet d'E. Huber de 1895, dont l'art. 606 al. 1 était ainsi formulé: "Les biens-fonds seront comptés pour leur valeur eu égard à la destination qu'ils ont au moment du partage". C'est dire que, pour les biens-fonds à
BGE 102 II 176 S. 182
affectation agricole, l'imputation devait avoir lieu à la valeur de rendement. Supprimée dans un premier temps par la commission d'experts, cette disposition a été définitivement réintroduite, dans la teneur actuelle, par les Chambres fédérales.
Contrairement à l'opinion de la recourante, le champ d'application de l'
art. 617 al. 2 CC
et le calcul à la valeur de rendement ne sont pas limités aux successions paysannes proprement dites.
Certes, selon la doctrine et la jurisprudence (ESCHER, Nos 3 et 32 et TUOR/PICENONI, No 7 à l'
art. 617 CC
;
ATF 94 II 252
), les
art. 617 ss CC
ne sont en principe applicables qu'à la procédure de partage successoral. De plus, la règle étant le partage en nature, où chaque héritier possède un droit égal sur tous les biens de la succession (
art. 610 al. 1 CC
), l'attribution des biens à l'un des héritiers a un caractère exceptionnel, ce qui appelle une application restrictive des dispositions de droit successoral à d'autres espèces même analogues. En revanche, les mêmes auteurs admettent notamment l'application de l'
art. 617 CC
à la liquidation de l'indivision en participation de l'
art. 622 CC
. La jurisprudence fait de même (cf. les arrêts cités dans
ATF 94 II 252
), lorsqu'il s'agit de déterminer le caractère gratuit ou partiellement gratuit de la cession d'un immeuble à un héritier, du vivant du de cujus.
EGGER, No 3 à l'
art. 346 CC
, préconise l'application des règles de partage successoral, en particulier de celles concernant les immeubles ruraux (
art. 617 CC
) au partage de l'indivision de famille. Il ne limite pas l'estimation à la valeur de rendement au cas où le patrimoine indivis est une exploitation agricole. ALTHERR se prononce dans le même sens (Das Gemeinderschaftsrecht, thèse Berne 1916, p. 118).
Il existe, en effet, une analogie certaine et étroite entre l'attribution d'un immeuble à un héritier, en vertu de la loi, d'une disposition pour cause de mort ou d'une convention, et l'
art. 344 CC
, qui reconnaît aux coïndivis, en cas de dénonciation de l'indivision, le droit de conserver (de "s'attribuer") les immeubles de l'indivision, après avoir liquidé la part du dénonçant. L'
art. 344 CC
ne prescrit pas le partage en nature ou la vente, mais réserve l'attribution aux indivis qui continuent l'indivision, des biens de celle-ci. En l'espèce, l'analogie est encore renforcée par le caractère successoral de la donation du 17 décembre 1919, faite, selon la formule utilisée dans
BGE 102 II 176 S. 183
le contrat, à titre d'avancement d'hoirie. Avec raison, les intimés relèvent qu'en instituant l'
art. 617 al. 2 CC
le législateur a voulu éviter que l'attributaire ne soit contraint de vendre les immeubles ruraux, pour désintéresser ses cohéritiers, au cas où l'estimation serait faite sur une autre base que la valeur de rendement (ESCHER, No 9 et TUOR/PICENONI, No 26 à l'
art. 617 CC
). L'
art. 344 CC
poursuit un but analogue, qui serait compromis ou rendu beaucoup plus difficile à atteindre si les indivis qui entendent maintenir l'indivision étaient astreints à désintéresser l'indivis sortant sur la base d'une estimation qui ne tient pas compte de l'affectation des biens-fonds agricoles appartenant à l'indivision au moment du calcul de la part de liquidation et s'ils se voyaient, de ce fait, acculés à des morcellements et à des ventes. Il importe peu, dès lors, si l'application par analogie de l'
art. 617 al. 2 CC
est justifiée, que les biens-fonds agricoles soient dans la règle vendus à une valeur (la valeur vénale) qui est supérieure à la valeur de rendement.
d) Le résultat ne serait d'ailleurs pas différent si la liquidation devait avoir lieu selon les règles de l'
art. 651 CC
, applicables à la propriété commune en vertu du renvoi de l'
art. 654 al. 2 CC
. Puisque les intimés sont en droit d'invoquer le mode de partage de l'
art. 344 CC
(qui coïncide avec celui de l'art. 651 al. 1 in fine CC: acquisition que l'un ou plusieurs des copropriétaires font des parts des autres; Auskauf), il appartiendrait au juge uniquement de fixer les modalités de la liquidation, restées controversées entre les parties, en tenant compte équitablement de la nature et du caractère de l'indivision. Il ne violerait alors pas le droit fédéral en appliquant par analogie, comme l'a fait en l'espèce l'autorité cantonale, la règle de l'
art. 617 al. 2 CC
à l'estimation des immeubles. Une telle application se justifierait en effet eu égard à la nature des biens-fonds de l'indivision litigieuse (dans le même sens: WIELAND, n. 3 b in fine; LEEMANN, n. 17 in fine et MEIER-HAYOZ, n. 22 à l'
art. 651 CC
), puisque les surfaces agricoles jugées non constructibles dans un avenir prévisible représentent la grande majorité des biens-fonds de l'indivision.
e) La recourante critique enfin l'application par la cour cantonale du correctif de l'
art. 619 CC
. Le Tribunal fédéral peut cependant se dispenser de statuer sur ce point, puisque
BGE 102 II 176 S. 184
l'application de cette disposition résulte d'une offre des défendeurs et que la recourante, au profit de laquelle la participation au gain est prévue, n'en subit aucun préjudice.
4.
a) La recourante soutient qu'en vertu de l'
art. 346 CC
, l'estimation des biens et, par conséquent, de la part de l'indivis sortant doit se faire au jour où la cause de dissolution s'est produite et non pas à celui de l'indemnisation.
L'
art. 346 CC
précise cependant uniquement que le partage en nature ou la liquidation de la part de l'indivis sortant ont lieu sur la base du patrimoine existant au moment de la dissolution, par opposition à celui existant lors de la constitution de l'indivision. En revanche, il ne fixe pas la date de l'estimation. C'est également la solution de l'
art. 236 al. 1 CC
relative à la communauté de biens prolongée, dont les auteurs soulignent l'analogie avec l'
art. 346 CC
: les deux dispositions ne concernent que la masse des biens à partager ou à liquider (EGGER, No 4 à l'art. 344 et No 2 à l'
art. 346 CC
; LEMP, Nos 9 et 10 à l'
art. 236 CC
; ALTHERR, p. 115).
L'
art. 346 CC
vise aussi bien le partage en nature que la détermination de la part de l'indivis sortant. Dans le premier cas, seule l'application par analogie de la règle de l'
art. 617 al. 1 CC
(attribution des immeubles pour leur valeur à l'époque du partage) est en mesure d'assurer une égalité de traitement entre les coïndivis et une répartition équitable des pertes et des profits durant l'intervalle qui sépare la dissolution de l'indivision et le partage effectif. C'est en effet seulement au moment de ce dernier que la propriété commune se transforme en propriété individuelle pour chaque héritier et coïndivis. Il en résulte que les variations de valeur vont au bénéfice et sont à la charge de chacun, proportionnellement à sa part (cf. TUOR/PICENONI, No 10 à l'
art. 617 CC
). Dans la seconde hypothèse (celle de l'indivis sortant titulaire d'une créance), et par identité de motifs, l'
art. 346 CC
ne saurait avoir une portée différente. On ne voit pas comment l'estimation pourrait dans ce cas intervenir au moment de la dénonciation, indépendamment de tout changement ultérieur intervenu dans les biens de l'indivision, alors que l'indivis sortant demeurerait propriétaire commun de ces biens jusqu'à la fixation du montant de l'indemnité par le juge, soit jusqu'au partage effectif. Par ailleurs, la part de l'indivis sortant ne
BGE 102 II 176 S. 185
saurait être calculée exclusivement sous l'angle de la liquidation, puisque celle-ci n'intervient que partiellement, mais aussi en tenant compte des intérêts légitimes des autres membres qui continuent l'indivision. Or ces intérêts seraient sérieusement compromis si l'estimation devait ignorer les changements du statut juridique des immeubles intervenus après la dénonciation de l'indivision (EGGER, No 4 à l'
art. 344 CC
). Le fait que l'indivis sortant ne participe plus à la gestion de l'indivision, dès l'instant qu'il l'a dénoncée et que les autres coïndivis ont décidé de la continuer sans lui, ne constitue pas une raison suffisante pour le dispenser d'avoir à supporter sa part des variations de valeur de la masse en liquidation, surtout lorsque, comme en l'espèce, la variation n'est pas imputable à une mauvaise gestion, mais à des mesures de police des constructions et d'aménagement du territoire.
Dans le cas de l'
art. 580 CO
relatif à la sortie de l'associé d'une société en nom collectif, le juge détermine, certes, le montant de la somme due à l'associé sortant en tenant compte de l'état de l'actif social lors de la sortie (
art. 580 al. 2 CO
), mais néanmoins, jusqu'à son désintéressement, l'associé sortant demeure propriétaire indivis des biens sociaux, et il participe aux profits et aux risques des affaires en cours (SIEGWART, Nos 19, 24, 25 et 28; HARTMANN, Nos 4 et 18 à l'
art. 580 CO
;
ATF 93 II 255
); aussi la sortie n'acquiert-elle un caractère définitif qu'au moment où le montant de la part de liquidation est versé. Jusque-là, les rapports de droit fondés sur le contrat de société subsistent, avec un contenu diffèrent (
ATF 97 II 231
).
b) La recourante affirme que les parties, en invitant l'expert, dans la convention du 24 juillet 1968, à déterminer la valeur (vénale ou de rendement) des immeubles au 28 novembre 1963, jour de la dénonciation de l'indivision, auraient d'un commun accord considéré cette date comme déterminante pour l'estimation. Cet argument tombe à faux. Etant appelées à définir et à préciser la mission de l'expert, les parties devaient nécessairement fixer une date pour l'estimation des immeubles. Elles avaient d'autant moins de raisons de s'écarter de la date de dénonciation de l'indivision qu'elles pouvaient considérer la situation de 1968 - ainsi que le juge de première instance le relève - comme n'étant guère sensiblement différente de celle de 1963. La convention du 24 juillet 1968
BGE 102 II 176 S. 186
ne saurait cependant les lier définitivement quant à la date de l'estimation, dès lors que de nouvelles mesures et restrictions en matière de propriété foncière sont venues modifier profondément et de façon imprévisible le statut juridique des immeubles litigieux et, par conséquent, les bases mêmes de leur estimation et de leur valeur sur le marché immobilier au moment de la liquidation effective.
c) Enfin, la recourante prétend à tort que ses intérêts auraient été lésés par le comportement des intimés, qui auraient fait traîner la procédure pendant des années. En effet, selon les constatations de l'autorité cantonale, la lenteur du procès est imputable aux deux parties. L'autorité cantonale n'a donc pas violé le droit fédéral en estimant la part de l'indivise sortante à une date la plus proche possible du jugement (fin 1973). Sa décision se justifie également sous l'angle de l'équité.
5.
La recourante réclame le paiement d'intérêts moratoires à partir du 28 novembre 1963, date de la dénonciation de l'indivision. Cette prétention n'est cependant pas fondée, puisque la dénonciation entraîne uniquement la formation d'une masse en liquidation. La créance de l'indivis sortant est certes exigible, mais les coïndivis qui continuent l'indivision ne sont pas en demeure tant que le partage ou la liquidation n'intervient pas matériellement. En revanche, l'indivis sortant participe au revenu de l'indivision jusqu'à ce moment. On relève d'ailleurs, au surplus, qu'en vertu de l'
art. 338 CC
, la dénonciation de l'indivision n'a eu d'effet que le 28 mai 1964 et même, en ce qui concerne les immeubles agricoles, que le 1er novembre 1964 (art. 86 LVCC).
Dans l'arrêt publié au
ATF 97 II 230
, le Tribunal fédéral a reconnu à l'associé sortant d'une société en nom collectif le droit au paiement de l'intérêt contractuel sur sa part à l'actif social, parce que les rapports de droit fondés sur le contrat de société subsistent, avec un contenu diffèrent, jusqu'au désintéressement complet de l'associé sortant, ce qui exclut en même temps la demeure de l'associé restant et les intérêts moratoires qui en seraient la conséquence.
Dans l'arrêt publié au
ATF 100 II 376
, le principe du paiement d'un intérêt aux héritiers d'un associé décédé n'était, en réalité, pas litigieux (cf. le consid. 3, 1re phrase). Si le Tribunal fédéral a fixé le point de départ des intérêts au jour
BGE 102 II 176 S. 187
de la dissolution, c'est parce que, d'une manière générale, en matière commerciale, les intérêts sont dus même sans convention et que les associés restants pouvaient "travailler" avec la part de l'associé sortant et bénéficier seuls des profits. Ce n'étaient donc, là non plus, pas des intérêts moratoires mais seulement le loyer de l'argent mis à disposition des associés restants.
Au cas particulier, la situation est fondamentalement différente. L'indivision litigieuse n'est pas une entreprise commerciale; la part de l'indivise sortante est calculée au jour de son désintéressement et non pas à celui de la dénonciation; enfin, pendant la phase de liquidation, l'indivise sortante participe aux revenus (aux fruits) des biens communs, au même titre que les indivis restants. Contrairement à l'opinion de la recourante, la solution n'est pas inéquitable. Les biens indivis étant gérés par un administrateur désigné par le juge, les intimés qui ne sont pas responsables de la gestion perçoivent, proportionnellement, les mêmes montants.
6.
a) La recourante soutient que l'indemnité qui lui est due doit être calculée sur la base de la valeur vénale des biens de l'indivision. Elle prétend que le dossier contiendrait les éléments nécessaires pour effectuer ce calcul et, à cet égard, se réfère notamment à l'estimation de l'expert Jaccottet.
Ce grief n'a pas à être examiné, dès lors que les critères d'estimation retenus par l'autorité cantonale ont été maintenus. De toute manière, l'estimation de l'expert Jaccottet n'a trait qu'à la valeur vénale, alors que, de l'avis même de la recourante, pour les parcelles jugées inconstructibles, la valeur de rendement devrait intervenir au moins comme élément pondérateur. Il s'agirait dès lors d'examiner, parcelle par parcelle, s'il y a lieu d'appliquer la valeur vénale, celle de rendement ou de pondérer les deux valeurs. Il est exclu que la cour fédérale de réforme puisse se livrer à un tel examen. Si le point de vue de la recourante quant aux critères d'estimation avait été fondé, l'affaire aurait dû être renvoyée à l'autorité cantonale pour nouveau jugement, conformément d'ailleurs aux conclusions subsidiaires du recours.
b) La recourante entreprend ensuite de démontrer que, pour certaines parcelles (La Loge, Au Grand Record, En Fornet, Au Verney, etc.), les estimations de l'autorité cantonale devraient être revues. Elle propose des valeurs supérieures
BGE 102 II 176 S. 188
à la valeur de rendement, tenant compte également de la valeur vénale, et elle critique l'appréciation que l'autorité cantonale a faite de certaines pièces du dossier. Ces griefs - dirigés contre l'appréciation des preuves par le juge du fait - sont cependant irrecevables en instance de réforme (
ATF 100 II 27
litt. a et citations).
c) La recourante reproche aussi à la cour cantonale d'avoir qualifié d'inconstructible une parcelle frappée certes d'une interdiction de bâtir, mais indiquée comme provisoire, "sans que l'on sache quand cela prendra fin".
La décision attaquée est cependant strictement conforme, sur ce point, à la convention du 24 juillet 1968, qui faisait intervenir la valeur de rendement pour les parcelles "qui ne seraient pas propres à être bâties dans un avenir prévisible".
Le recours principal doit ainsi être rejeté sur tous les points.
B. Recours joint
7.
Dans le recours joint, les intimés affirment que les bâtiments de ferme des deux domaines agricoles de la Loge et du Grand Record constituent des immeubles ruraux au sens de l'
art. 617 al. 2 CC
, qui, contrairement à la décision attaquée, doivent être estimés à leur valeur de rendement et non à leur valeur vénale. L'autorité cantonale considère, en revanche, qu'en vertu de la convention du 24 juillet 1968, la valeur de rendement ne trouve application qu'aux terrains inconstructibles, à l'exclusion des bâtiments existants. L'application par analogie de l'
art. 617 al. 2 CC
ne se justifie que dans la mesure où les parties n'y ont pas dérogé de façon précise, dans la convention précitée.
A l'appui de son opinion, l'autorité cantonale peut invoquer, en effet, le texte de la convention du 24 juillet 1968, qui n'introduit la notion de la valeur de rendement qu'à l'égard des "surfaces" grevées d'interdiction de bâtir ou qui ne seraient pas propres à être bâties dans un avenir prévisible. L'autorité cantonale pouvait dès lors admettre, par une interprétation objective fondée sur les règles de la bonne foi, que les parties avaient voulu, par un accord au fond sur les modalités de liquidation, limiter le calcul basé sur la valeur de rendement aux seuls terrains inconstructibles, à l'exclusion des bâtiments agricoles. L'
art. 617 al. 2 CC
, appliqué de surcroît
BGE 102 II 176 S. 189
par analogie, n'est pas de droit impératif. L'estimation à la valeur de rendement des bâtiments nécessaires à l'exploitation agricole ne se justifie, en principe, que s'agissant d'une succession paysanne. Au surplus, l'arrêt attaqué constate - et c'est décisif - que les bâtiments en question pourraient recevoir une autre affectation et être utilisés à d'autres fins. Contrairement à l'opinion des intimés, il n'est pas contradictoire de faire bénéficier la demanderesse d'une participation au gain selon l'
art. 619 CC
, tout en limitant l'application de l'
art. 617 al. 2 CC
aux seuls terrains, en vertu de la convention de 1968, du moment que cette participation, qui résulte d'une offre des mêmes intimés, est également limitée à la vente des seules parcelles estimées à la valeur de rendement.
8.
Selon les intimés, la décision de l'autorité cantonale qui a accordé des intérêts à 5% l'an dès le 1er janvier 1974 est dépourvue de base légale. Jusqu'au jugement définitif, la demanderesse n'aurait droit qu'à sa part des revenus de l'indivision. Ce point de vue est justifié. Conformément à ce qui a été exposé plus haut en examinant le recours principal, la part de la demanderesse est calculée au jour de son désintéressement, les défendeurs ne sont en demeure et ne doivent par conséquent un intérêt de retard qu'à partir du moment où ils sont en présence d'un jugement définitif et exécutoire. Quant à un intérêt représentant le loyer de l'argent correspondant à la part de la demanderesse, il ne se justifie pas aussi longtemps que celle-ci peut bénéficier de sa part des revenus de l'indivision. Tel est le cas aussi longtemps qu'une décision exécutoire n'a pas été rendue, permettant les transferts de propriété nécessaires.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Rejette le recours principal.
2. Admet partiellement le recours joint. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8a97f2de-0afb-4fc3-a113-38ea74b91bc0 | Urteilskopf
96 V 134
38. Auszug aus dem Urteil vom 8. September 1970 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Büsser und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 29 Abs. 1 IVG
: Beginn des Rentenanspruchs.
Bei der Beurteilung der Frage, ob und wieweit der amputierte Versicherte bleibend erwerbsunfähig sei, muss auch das voraussichtliche Ergebnis weiterer Angewöhnung an die Prothese mit berücksichtigt werden. | Erwägungen
ab Seite 134
BGE 96 V 134 S. 134
Aus den Erwägungen:
Im vorliegenden Fall ist umstritten, ob der Versicherte ab 1. Januar 1969 im Sinne der Variante 1 von
Art. 29 Abs. 1 IVG
bleibend invalid ist. Vom medizinischen Standpunkt aus gesehen, war der Gesundheitszustand des Versicherten nach der Amputation und nach Abschluss der postoperativen Behandlung stabil und irreversibel. Das Bundesamt für Sozialversicherung macht indessen unter Hinweis auf EVGE 1964 S. 173 geltend, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung der Ausgleichskasse (12. Mai 1969) noch nicht zuverlässig habe beurteilt werden können, ob dieser Zustand eine bleibende Erwerbsunfähigkeit von mindestens 50% zur Folge haben würde. Er müsse auch hinsichtlich des rentenbegründenden Einflusses auf die Erwerbsfähigkeit Dauercharakter haben. Bei Amputationen könne nicht ohne weiteres eine Dauerinvalidität
BGE 96 V 134 S. 135
angenommen werden, weil durch Angewöhnen an die Prothese oftmals eine Geschicklichkeit und Fertigkeit erworben werde, die es dem Invaliden erlaube, sogar im angestammten Beruf eine teilweise, wenn nicht gar volle Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit wieder zu erlangen.
Dieser Argumentation ist beizupflichten. Allerdings wird im vom Bundesamt für Sozialversicherung zitierten Entscheid ausgeführt: "...eine mögliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Laufe der Zeit (z.B. wegen vermehrter Angewöhnung oder wegen eines geeigneteren Tätigkeitsgebietes) schliesst insbesondere bei jüngeren Versicherten die Annahme bleibender Erwerbsunfähigkeit nicht aus". Nach diesem Urteil wäre also vermehrte Angewöhnung im Laufe der Zeit als blosse Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu betrachten. Es zeigt sich im vorliegenden Fall jedoch, dass dieses Urteil wenigstens hinsichtlich der Angewöhnung präzisiert werden muss. Der Rechtsbegriff der Invalidität bedeutet die durch einen versicherten Gesundheitsschaden verursachte dauernde oder während längerer Zeit bestehende durchschnittliche Verringerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten, für den Versicherten in Betracht fallenden Arbeitsmarkt. Im Falle der Amputation eines Gliedes muss daher bei der prognostisch zu beurteilenden Frage, ob daraus eine dauernde Erwerbsunfähigkeit entstehe, mit berücksichtigt werden, ob und inwieweit der Versicherte durch Angewöhnung an die Prothese seine anfänglich beeinträchtigte Erwerbsfähigkeit werde verbessern können. Wenn zur Zeit des Erlasses der Verfügung der Ausgleichskasse damit gerechnet werden muss, dass der Versicherte sich in zunehmendem Masse so gut an die Prothese werde gewöhnen können, dass er in absehbarer Zeit nicht mehr in rentenbegründendem Masse erwerbsunfähig sein werde, so liegt keine Dauerinvalidität im Sinne der Variante 1 von
Art. 29 Abs. 1 IVG
vor. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8a9bc6fd-679c-49aa-b798-3e3fef38ccc0 | Urteilskopf
102 V 148
34. Urteil vom 16. September 1976 i.S. Ausgleichskasse Basel-Stadt gegen Triplan Ingenieur AG und Kantonale Rekurskommission Basel für die Ausgleichskassen | Regeste
Gegenstand und Zulässigkeit der Verfügung (
Art. 5 VwVG
), insbesondere der Feststellungsverfügung (
Art. 25 VwVG
).
Feststellungsverfügung über das Beitragsstatut (
Art. 128 AHVV
). | Sachverhalt
ab Seite 148
BGE 102 V 148 S. 148
A.-
Mit Schreiben vom 28. April 1975 teilte die Ausgleichskasse Basel-Stadt der Firma Triplan Ingenieur AG mit, dass deren sogenannte "freie Mitarbeiter" AHV-rechtlich unselbständig erwerbend und abrechnungsmässig den sogenannten "eigenen Arbeitskräften" gleichgestellt und beitragspflichtig seien. Die Firma habe anhand ihrer buchhalterischen Unterlagen diejenigen freien Mitarbeiter festzustellen, auf welche die von der Ausgleichskasse umschriebenen Kriterien zutreffen. Dieser Brief war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, aber nicht als Verfügung bezeichnet.
BGE 102 V 148 S. 149
B.-
Die Firma Triplan Ingenieur AG beschwerte sich gegen die "Verfügung vom 28. April 1975", indem sie geltend machte, ihre freiberuflichen Mitarbeiter seien als Selbständigerwerbende zu qualifizieren.
Die Kantonale Rekurskommission Basel für die Ausgleichskassen hat die Beschwerde am 3. Oktober 1975 gutgeheissen und die erwähnte Kassen-"Verfügung" aufgehoben.
C.-
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und Bestätigung ihrer "Verfügung".
Demgegenüber stellt die Firma Triplan AG den Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt die Frage offen, ob unter den gegebenen Umständen eine Feststellungsverfügung überhaupt zulässig wäre. Abgesehen davon hält das Amt die Anforderungen, welche die Rechtsprechung an eine beschwerdefähige Verfügung im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 VwVG
stellt, als nicht erfüllt ...
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Eidg. Versicherungsgericht beurteilt letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 des VwVG auf dem Gebiet der Sozialversicherung (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 128 OG
).
Nach
Art. 98 lit. g OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen letzter Instanzen der Kantone, soweit nicht das Bundesrecht gegen die Verfügungen zunächst die Beschwerde an eine Vorinstanz gemäss
Art. 98 lit. b-f OG
vorsieht. Die kantonale Rekurskommission, deren Entscheid im vorliegenden Verfahren angefochten wird, ist letzte kantonale Instanz im Sinne dieser Bestimmung. Zu prüfen bleibt, ob es sich bei deren Entscheid um eine den Anforderungen der
Art. 97 Abs. 1 OG
bzw.
Art. 5 VwVG
entsprechende Verfügung handelt.
Gemäss
Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten als Verfügungen "Anordnungen der Behörden im Einzelfall", die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und zum Gegenstand haben die "Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten" (lit. a) sowie die "Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten"
BGE 102 V 148 S. 150
(lit. b). Ferner ist
Art. 25 VwVG
zu beachten, dessen Abs. 1 als Gegenstand der Feststellungsverfügung ebenfalls "den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlichrechtlicher Rechte oder Pflichten" bezeichnet. Unter Rechten und Pflichten der zitierten Bestimmungen sind konkrete und individualisierte oder mindestens eindeutig und zweifelsfrei bestimmbare Rechte und Pflichten zu verstehen. Rechtsverhältnisse, welche für den Einzelfall verschiedene Lösungsmöglichkeiten offen lassen, fallen nicht darunter. Dementsprechend regelt die Verfügung "ein konkretes und individuelles Rechtsverhältnis des Verwaltungsrechtes durch einseitigen hoheitlichen Akt in verbindlicher Weise" (GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, 2. Aufl., S. 97;
BGE 98 Ib 463
).
Ordnen die
Art. 5 Abs. 1 und
Art. 25 Abs. 1 VwVG
die Anforderungen, die ein Verwaltungsakt zu erfüllen hat, um als Verfügung zu gelten, so nennt
Art. 25 Abs. 2 VwVG
die grundsätzliche Voraussetzung, unter der einem Begehren um Erlass einer Feststellungsverfügung entsprochen werden darf. Nach der zitierten Bestimmung ist die Feststellungsverfügung zulässig, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse nachweist. Das bedeutet, dass der Anspruch auf Erlass einer Feststellungsverfügung nur dann gegeben ist, wenn der Gesuchsteller ein rechtliches und aktuelles Interesse an der sofortigen Feststellung seines Rechtes hat (
BGE 100 Ib 327
; GYGI S. 67).
2.
Mangels genügender Individualisierung und Konkretisierung des Streitgegenstandes kann beim angefochtenen Entscheid der kantonalen Rekurskommission nicht von "Begründung" oder "Feststellung des Bestehens ... von Rechten oder Pflichten" die Rede sein. Zwar nennt die Vorinstanz gewisse rechtliche Kriterien, die in Fällen der vorliegenden Art für die beitragsrechtliche Abgrenzung der selbständigen von der unselbständigen Erwerbstätigkeit massgebend sind. Dadurch werden aber konkrete Rechte oder Pflichten weder begründet noch festgestellt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, der angefochtene Entscheid umfasse einfach alle jene Personen, die durch einen bestimmten "Rahmenvertrag" erfasst würden, der von der Beschwerdegegnerin als Werkvertrag bezeichnet wird. Im Einzelfall, welcher durch die Verfügung unmissverständlich und verbindlich
BGE 102 V 148 S. 151
geregelt werden soll, wäre die Frage dann immer noch offen, ob dieser Vertrag das konkrete Arbeitsverhältnis auch wirklich vollumfänglich ordnet und seinem Wortlaut entsprechend gehandhabt wird. Jedenfalls müsste dies im Falle einer nachträglichen Veranlagungsverfügung bezüglich jedes einzelnen Mitarbeiters geprüft werden. Dazu kommt, dass die obligationenrechtliche Regelung des Arbeitsverhältnisses an sich überhaupt nicht entscheidend ist für die beitragsrechtliche Qualifikation der Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin. Ferner ist zu beachten, dass die Frage des Beitragsstatuts der sogenannten freien Mitarbeiter in besonderem Mass Komplikationen in sich schliesst, weil es sich bei diesen Mitarbeitern um ausländische Staatsangehörige und ausserdem teils um juristische und nicht bloss um natürliche Personen, teils um solche Personen handelt, welche entweder die Arbeit allein oder aber mit eigenen Angestellten ausführen, wie in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde dargelegt wird. Umso weniger kann unter derart differierenden Voraussetzungen die von der Vorinstanz getroffene generelle Beurteilung des Beitragsstatus als ausreichende Individualisierung und Konkretisierung betrachtet werden.
Ergibt sich somit, dass der Entscheid der Rekurskommission keine Verfügung im Sinn von
Art. 5 Abs. 1 lit. a oder b VwVG
darstellt, so braucht nicht noch geprüft zu werden, ob ein schutzwürdiges Interesse an jenem Entscheid bestand und demnach der Erlass einer blossen Feststellungsverfügung überhaupt zulässig war.
3.
Die Frage, ob ein konkreter hoheitlicher Akt die gesetzlichen Anforderungen einer Feststellungsverfügung erfüllt, stellt sich nicht nur für den Entscheid der kantonalen Rekurskommission, sondern in vermehrtem Masse noch für den dem Beschwerdeentscheid vorangehenden Verwaltungsakt der Ausgleichskasse, obschon
Art. 5 Abs. 1 lit. a und b VwVG
auf die Ausgleichskassen nicht direkt anwendbar ist. Es würde zu unhaltbaren Konsequenzen führen, wenn für die anfechtbaren Feststellungsverfügungen der Ausgleichskasse andere Voraussetzungen gelten würden als für jene der letzten kantonalen Instanz. Wären an die Kassenverfügung und an den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid nicht dieselben Anforderungen zu stellen, so wäre es möglich, dass eine Kassenverfügung
BGE 102 V 148 S. 152
zwar durch den kantonalen Richter überprüft und gegebenenfalls bestätigt würde, worauf dann der letztinstanzliche kantonale Entscheid in Ermangelung der erwähnten Voraussetzungen als unzulässig bzw. als dem VwVG nicht konform erklärt werden müsste. Daher rechtfertigt es sich, den Begriff der beschwerdefähigen Kassenverfügung in Analogie zu
Art. 5 VwVG
zu bestimmen.
4.
Nach der Rechtsprechung hat der Richter Anordnungen ohne Verfügungscharakter nicht zu überprüfen. Wird ihm dennoch ein solcher hoheitlicher Akt unterbreitet, so hat er das Rechtsmittel von der Hand zu weisen (EVGE 1968 S. 224). Somit hätte die Rekurskommission auf die Beschwerde der Triplan Ingenieur AG gegen den Verwaltungsakt der Ausgleichskasse Basel-Stadt vom 28. April 1975 nicht eintreten dürfen. Und da auch der Rekursentscheid vom 3. Oktober 1975 keine beschwerdefähige Verfügung darstellt, muss die dagegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ebenfalls durch Nichteintreten erledigt werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten mit der Feststellung, dass weder der angefochtene Entscheid der Rekurskommission für die Ausgleichskassen vom 3. Oktober 1975 noch der Verwaltungsakt der Ausgleichskasse vom 28. April 1975 beschwerdefähige Feststellungsverfügungen sind. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8aa876b3-ce2a-4faf-b1ae-4fecc3b56079 | Urteilskopf
91 I 4
2. Urteil vom 24. März 1965 i.S. Mattmann und Schnider gegen Obergericht des Kantons Zug. | Regeste
Es verletzt
Art. 4 BV
nicht, wenn Mitglieder einer Überweisungskommission, welche die Strafsache zur Beurteilung überwiesen hat, bei der nachfolgenden Beurteilung der Strafsache durch eine Appellationsinstanz mitwirken. | Erwägungen
ab Seite 4
BGE 91 I 4 S. 4
1.
Gegen die Beschwerdeführer ist vor den Strafbehörden des Kantons Zug ein Strafverfahren anhängig. Die Untersuchung wurde durch Verfügung des Verhörrichteramtes am 15. Dezember 1961 abgeschlossen und die Überweisung an das Strafgericht angeordnet. Die Beschuldigten beschwerten sich dagegen bei der Justizkommission des Kantons Zug. Diese hat die Beschwerde mit Entscheid vom 24. Januar 1962 abgewiesen. Schon vorher hatten die Beschwerdeführer sich wiederholt über die Führung der Strafuntersuchung beschwert, jedoch ohne Erfolg. Bei den
BGE 91 I 4 S. 5
Entscheiden wirkten u.a. die Mitglieder St. und F. mit. Das Strafgericht Zug verurteilte die Beschwerdeführer am 10. Juli 1964 zu 18 bzw. 10 Monaten Gefängnis. Die Angeschuldigten appellierten an das Obergericht und verlangten den Ausstand der Oberrichter St. und F. als Mitglieder des Obergerichts. Das Obergericht wies die Ablehnungsbegehren mit Beschluss vom 29. Dezember 1964/21. Januar 1965 ab.
Die Betroffenen führen staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben. Sie behaupten eine Verletzung von
Art. 4 BV
. Nach § 41 Ziff. 5 des zugerischen Gerichtsverfassungsgesetzes (GOG) könne ein Richter sein Amt nicht ausüben, wenn er im Prozess als Richter unterer Instanz bereits gehandelt oder noch zu handeln habe. Die beiden abgelehnten Richter hätten anlässlich der Überweisung der Strafsache an das Strafgericht und anlässlich von Beschwerden gegen die Untersuchungsorgane gehandelt und hätten deshalb bei Beurteilung der Strafsache durch das Obergericht den Ausstand zu wahren.
2.
Nach
§ 80 zug
. StPO ist gegen den Überweisungsbeschluss des Verhörrichters die Beschwerde an die Justizkommission zulässig. Es können damit alle formellen und materiellen Einreden erhoben werden (
§ 36 Satz 3 StPO
). Der Entscheid der Justizkommission ist nicht weiterziehbar. Über Appellationen in Strafsachen hat das Obergericht zu entscheiden, dem auch die drei Mitglieder der Justizkommission als Mitglieder angehören.
Die Beschwerdeführer machen geltend, auf die Mitglieder der Justizkommission treffe, falls die Strafsache im Appellationswege an das Obergericht gelangt, § 41 Ziff. 5 GOG zu, d.h. sie hätten den Ausstand zu wahren, da sie bereits als Richter unterer Instanz gehandelt hätten.
Die gegenteilige Auffassung des Obergerichts lässt sich jedoch mit sachlichen Gründen rechtfertigen und verstösst deshalb nicht gegen
Art. 4 BV
.
Die Justizkommission ist gegenüber dem Obergericht als Appellationsinstanz nicht eine untere Instanz im Sinne von § 41 Ziff. 5 GOG. Ihr Entscheid darüber, ob der Überweisungsbeschluss des Verhöramtes zu bestätigen oder ob die Strafsache einzustellen sei, ist nicht an eine obere Instanz weiterziehbar. Der Entscheid der Justizkommission ist definitiv, soweit bei Überweisungs- oder Einstellungsverfügungen überhaupt von einem endgültigen Entscheid gesprochen werden kann. Eine
BGE 91 I 4 S. 6
andere Vorschrift des kantonalen Rechts, das die Mitglieder der Justizkommission verpflichten würde, in den Fällen, in denen diese die Überweisung angeordnet hat, bei der materiellen Beurteilung der Sache den Ausstand zu wahren, wird in der Beschwerde nicht namhaft gemacht und läge nicht vor. Es fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe die Mitglieder der Justizkommission als unter § 41 Ziff. 5 GOG fallend betrachten wollen oder er sei sonst davon ausgegangen, die Mitglieder der Justizkommission hätten bei der Beurteilung der Strafsache durch das Obergericht den Ausstand zu wahren. Schon im bisherigen kantonalen Recht fehlte eine derartige Vorschrift (§§ 22, 55 und 89 lit. f GOG vom 20. Juli 1905), d.h. weder der Strafgerichtspräsident, der die Überweisung erstinstanzlich vornahm, noch die Rekurskommission des Obergerichtes hatten bei Behandlung der Strafsache in erster und zweiter Instanz den Ausstand zu wahren. Wenn es die Meinung gehabt hätte, dass dieser Rechtszustand geändert werden müsse, wäre das bei der Revision des Gesetzes sicher zum Ausdruck gekommen. Von willkürlicher Anwendung von § 41 Ziff. 5 GOG kann deshalb nicht die Rede sein.
Auch aus
Art. 4 BV
kann die Forderung nach Ausstand der Mitglieder der Überweisungsbehörde bei Beurteilung der Strafsache nicht abgeleitet werden. Die kantonalen Rechte sind in diesem Punkte nicht einheitlich (vgl. darüber BUCHMANN, Das Zwischenverfahren im Schweiz. Strafprozessrecht S. 90 f.).
Während z.B. nach zürcherischem Recht im bezirksgerichtlichen Verfahren der über die Zulassung der Anklage entscheidende Präsident von der Mitwirkung im weitern Verfahren nicht ausgeschlossen ist, wird die Ausstandspflicht der Mitglieder der Anklagekammer für das obergerichtliche Verfahren entgegen der bisherigen Praxis gegenwärtig bejaht (Blätter für zürcherische Rechtsprechung, Bd. 62 [1963] S. 2 ff.), jedoch bei einer von derjenigen des zugerischen Organisationsgesetzes abweichenden gesetzlichen Ordnung, weil gegen Beschlüsse der Anklagekammer das Rechtsmittel des Rekurses an das Obergericht, sowie die Aufsichtsbeschwerde zulässig sind. Nach der Rechtsprechung der aargauischen Gerichte dagegen ist
§ 41 Ziff. 3 StPO
(Ausstandspflicht des Richters, der in der gleichen Sache in einer andern amtlichen Stellung am Verfahren teilgenommen hat) nicht anwendbar auf die Mitglieder des Obergerichtes als Beschwerdeinstanz gegen die Anordnung der Fortführung der
BGE 91 I 4 S. 7
Untersuchung oder die Anklageschrift.
Art. 4 BV
lässt eine unterschiedliche Ordnung dieser Frage durchaus zu und steht nicht entgegen, dass die Kantone ihren Bedürfnissen und persönlichen Gegebenheiten bei der Besetzung der Gerichte Rechnung tragen. Die Mitwirkung im Verfahren der Zulassung der Anklage hat nicht notwendig Befangenheit des Richters bei der materiellen Beurteilung zur Folge. Indem die Anklagebehörde eine Überweisung verfügt, verpflichtet sie den Beschuldigten, sich wegen der gegen ihn erhobenen Anschuldigung vor dem erkennenden Richter zu verantworten, d.h. stellt sie fest, dass die formellen Voraussetzungen für die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses gegeben sind; indem sie die Überweisung ablehnt, stellt sie fest, dass die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Strafverfahrens nicht gegeben sind. Es ist nicht streitig, dass die Justizkommission in diesem Fall bloss darüber entscheidet, dass die gerichtliche Beurteilung ohne jeden Zweifel zu einem Freispruch führen würde, etwa weil Verjährung eingetreten sei, bei Antragsdelikten kein oder kein rechtzeitig gestellter Strafantrag vorliege, der Beweis für die Tat voraussichtlich nicht erbracht werden könne usw. Jedenfalls bei derartiger Beschränkung fällt die Überweisungsbehörde kein Urteil über Bestehen oder Nichtbestehen des Strafanspruchs, auch wenn im übrigen der Beschuldigte mit der Überweisung als der Begehung eines Vergehens verdächtig bezeichnet wird.
Die Mitwirkung der Mitglieder der Justizkommission im nachfolgenden obergerichtlichen Strafverfahren verletzt deshalb auch nicht allgemeine Rechtsgrundsätze, wie sie sich aus
Art. 4 BV
über die Mitwirkung von Gerichtspersonen oder die Zusammensetzung des Gerichtes ergeben würden.
Dass einzelne Mitglieder der Justizkommission abgesehen hievon befangen seien, weil frühere Beschwerdeentscheide eine gewisse Würdigung des Verhaltens der Beschuldigten im Untersuchungsverfahren enthalten, - von der übrigens nicht behauptet wird, dass sie unsachlich sei -, durfte das Obergericht ohne Willkür verneinen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8ab3b3c8-f57b-4af2-966e-de2887066c26 | Urteilskopf
111 III 63
15. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 29. November 1985 i.S. B. (Rekurs) | Regeste
Art. 68 Abs. 1 und 144 Abs. 3 SchKG (Leistung und Rückerstattung des Kostenvorschusses).
Der Kostenvorschuss ist von jenem Gläubiger zu leisten, der das Verwertungsbegehren gestellt hat. Hat ein Gläubiger einer nachgehenden Pfändungsgruppe das Verwertungsbegehren gestellt, so sind nach der Regel von
Art. 144 Abs. 3 SchKG
vorab die Kosten der Verwertung und Verteilung zu bezahlen und ist somit auch der geleistete Kostenvorschuss zurückzuerstatten; lediglich der Nettoerlös, der nach Abzug der Kosten verbleibt, kommt den Gläubigern der vorangehenden Pfändungsgruppen zugute (E. 2).
Die Erwartung, dass die Kosten der Verwertung und Verteilung ohne weiteres durch den Erlös gedeckt werden können, befreit den die Verwertung begehrenden Gläubiger nicht von der Leistung eines Kostenvorschusses (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 63
BGE 111 III 63 S. 63
A.-
In verschiedenen Betreibungen - darunter der Betreibung des B. - gegen N. wurde am 25. Januar 1985 die Pfändung vollzogen. Das die Pfändung vollziehende Betreibungsamt nahm Aktiven zum Schätzungswert von insgesamt Fr. 31'440.-- in die Pfändungsurkunde auf, vermerkte aber, dass die aufgenommenen Vermögensgegenstände bereits vorgepfändet seien und erneut
BGE 111 III 63 S. 64
gepfändet würden. Die Pfändungsvorgänge zugunsten von Pfändungsgruppen, denen der Gläubiger B. nicht angehörte, wurden vom Betreibungsamt mit total ca. Fr. 114'000.-- angegeben. Die Pfändungsurkunde diente als provisorischer Verlustschein im Sinne von
Art. 115 Abs. 2 SchKG
.
Am 26. April 1985 stellte der Gläubiger B. das Verwertungsbegehren für den Betrag von Fr. 4'842.-- plus 5% Zins seit 7. September 1984 und die Betreibungskosten. Das veranlasste das Betreibungsamt am 29. April 1985, von ihm einen Kostenvorschuss von Fr. 1'200.-- zu fordern, dies unter der Androhung, dass das Verwertungsbegehren als zurückgezogen betrachtet werde, sofern der Kostenvorschuss nicht innert der Frist von zehn Tagen geleistet werde.
Nachdem B. das Betreibungsamt um Wiedererwägung der Verfügung ersucht hatte, hielt dieses an der Forderung des Kostenvorschusses fest. Das wurde dem Gläubiger durch eine zweite Verfügung (mit erneuter Fristansetzung) am 4. Juni 1985 eröffnet.
B.-
Vom Gläubiger B. gegen die Auferlegung des Kostenvorschusses erhobene Beschwerden wurden von der unteren und der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs abgewiesen. Ebenso wies die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts den Rekurs des Gläubigers ab mit den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 68 Abs. 1 SchKG
sind die Betreibungskosten vom Gläubiger vorzuschiessen und kann das Betreibungsamt, wenn der Vorschuss nicht geleistet wird, die Betreibungshandlung einstweilen unterlassen. Der Rekurrent bestreitet diese Obliegenheit zur Leistung eines Kostenvorschusses dem Grundsatz nach nicht mehr.
2.
Indessen hält der Rekurrent den Kostenvorschuss für entbehrlich, weil gemäss
Art. 144 Abs. 3 SchKG
aus dem Erlös vorab die Kosten der Verwertung und der Verteilung zu bezahlen seien. Nach der Meinung des Rekurrenten wird aus der Verwertung der gepfändeten Aktiven im Schätzungswert von total Fr. 31'440.-- ohne Zweifel ein Erlös resultieren, aus dem die Kosten der Verwertung gedeckt werden können.
BGE 111 III 63 S. 65
Die obere kantonale Aufsichtsbehörde stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, der zu erwartende Verwertungserlös werde vollumfänglich an dem Rekurrenten vorangehende Pfändungsgruppen fallen; da diese jedoch selber kein Verwertungsbegehren gestellt hätten, könnten sie nicht zur Tragung der Kosten der Verwertung herangezogen werden. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Selbstverständlich kann von keinem Gläubiger der vorangehenden Pfändungsgruppen, der kein Verwertungsbegehren gestellt hat, ein Kostenvorschuss gefordert werden. Das ändert aber nichts daran, dass in dem Moment, wo es zu einer Verwertung kommt - und sei dies auf Verlangen eines Gläubigers einer nachgehenden Pfändungsgruppe, was nach Massgabe von
Art. 117 Abs. 2 SchKG
durchaus möglich ist -, aus deren Erlös entsprechend
Art. 144 Abs. 3 SchKG
vorab die Kosten der Verwertung und der Verteilung zu bezahlen sind. Lediglich der Nettoerlös, der nach Abzug dieser Kosten verbleibt, kommt den Gläubigern der vorangehenden Pfändungsgruppe zugute - dies unabhängig davon, ob sie die Verwertung verlangt haben oder nicht (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, § 32 Rz. 6; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibung- und Konkursrechts, § 29 N. 11). Werden indessen die Kosten der Verwertung durch den Erlös nicht gedeckt, so können sie nur jenen Gläubigern auferlegt werden, die das Verwertungsbegehren gestellt haben (
BGE 55 III 122
ff.; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O.). Umgekehrt sind in dem Fall, wo die Kosten durch den Erlös gedeckt werden, diese vorweg dem Gläubiger zurückzuerstatten, der sie vorgeschossen hat (JÄGER, Schuldbetreibung und Konkurs, I. Band, S. 485). Deshalb irrt die kantonale Aufsichtsbehörde, wenn sie meint, die Kosten der Verwertung und der Verteilung könnten dann, wenn ein Gläubiger einer nachgehenden Pfändungsgruppe die Verwertung verlangt hat, nicht vom Erlös abgezogen werden, bevor die Gläubiger vorangehender Pfändungsgruppen vollständig befriedigt sind. Diese Gläubiger vorangehender Pfändungsgruppen haben erst Anspruch auf Beteiligung am Verwertungserlös, nachdem - wie
Art. 144 Abs. 3 SchKG
es verlangt - die Kosten der Verwertung und der Verteilung bezahlt bzw. jenem Gläubiger zurückerstattet sind, der sie vorgeschossen hat.
3.
Nun übersieht aber der Rekurrent, dass
Art. 144 SchKG
einerseits und
Art. 68 SchKG
anderseits zwei verschiedene Dinge regeln (vgl.
BGE 90 III 36
ff.). Ungeachtet dessen, dass nach dem
BGE 111 III 63 S. 66
Gesagten die Kosten vorab zu bezahlen sind, kann das Betreibungsamt einen Vorschuss fordern für die Gebühren und Auslagen, welche die Verwertung voraussichtlich mit sich bringen wird (vgl. zu den einzelnen Posten JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten der Schweiz, S. 230). Daran ändert auch die Erwartung nichts, dass die Kosten der Verwertung und Verteilung ohne weiteres durch den Erlös gedeckt werden können. Der Anspruch des die Verwertung verlangenden Gläubigers besteht diesfalls nicht auf Befreiung von der Bezahlung eines Kostenvorschusses, sondern nur - wie dargelegt - auf dessen Rückerstattung nach durchgeführter Verwertung.
Wenn also der Rekurrent im vorliegenden Fall auf der Verwertung besteht und einen definitiven Verlustschein erlangen möchte, muss er dem Betreibungsamt den geforderten Kostenvorschuss leisten. Er darf damit rechnen, dass ihm dieser zurückerstattet wird, bevor die Gläubiger vorangehender Pfändungsgruppen aus dem Erlös befriedigt werden. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8ab472d2-c2c6-43a1-86b6-72dd53b87af0 | Urteilskopf
116 II 407
75. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1990 i.S. X. gegen Kanton Y. (Zivilklage) | Regeste
Fürsorgerische Freiheitsentziehung; Frist für die Verantwortlichkeitsklage nach
Art. 429a ZGB
.
Die Klagefrist für Verantwortlichkeitsansprüche gemäss
Art. 429a ZGB
beträgt ein Jahr. Wo die fürsorgerische Freiheitsentziehung einen Bevormundeten betroffen hatte, beginnt der Fristenlauf erst mit der Aufhebung der Vormundschaft. | Sachverhalt
ab Seite 408
BGE 116 II 407 S. 408
M. X. wurde am 11. Oktober 1983 auf eigenes Begehren gestützt auf
Art. 372 ZGB
unter Vormundschaft gestellt. Am 29. Oktober 1984 verfügte der Vormund, dass er im Sinne von Art. 406 Abs. 2 in Verbindung mit den
Art. 397a und 397b ZGB
(fürsorgerische Freiheitsentziehung) in einer Anstalt untergebracht werde. Einen von M. X. hiergegen erhobenen Rekurs wies die zuständige kantonale Instanz durch Urteil vom 14. Dezember 1984 ab. Bis Ende August 1985 hielt sich M. X. in der Anstalt A. auf. Im Sinne einer neuerlichen fürsorgerischen Freiheitsentziehung wurde er - wiederum auf Anordnung seines Vormunds - am 12. November 1985 in der Anstalt B. untergebracht; er verliess diese am 22. April 1986, nachdem ein Entlassungsgesuch am 22. Januar 1986 abgewiesen worden war.
In seinem (Schluss-)Rechenschaftsbericht vom 6. Januar 1987 stellte der Vormund von M. X. den Antrag, es sei dessen Wunsch nach Aufhebung der Vormundschaft zu entsprechen. Am 12. Januar 1987 genehmigte die Vormundschaftsbehörde Schlussbericht und Schlussrechnung des Vormundes; gleichzeitig beschloss sie, dass die Vormundschaft mit Wirkung ab 31. Dezember 1986 gemäss
Art. 438 ZGB
aufgehoben werde.
Mit einer vom 25. Januar 1988 datierten und beim Bundesgericht am 29. Januar 1988 eingetroffenen Eingabe hat M. X. gegen den Kanton Y. Klage erhoben mit dem Antrag, der Beklagte sei zu verpflichten, ihm wegen rechtswidriger fürsorgerischer Freiheitsentziehung als Schadenersatz mindestens Fr. 32'000.-- und als Genugtuung Fr. 116'350.-- zu zahlen.
In seiner Klageantwort vom 19. September 1988 hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Bundesgericht weist die Klage zufolge Verjährung ab.
BGE 116 II 407 S. 409
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a)
Art. 429a ZGB
bestimmt, dass derjenige, der durch eine widerrechtliche (fürsorgerische) Freiheitsentziehung verletzt wird, Anspruch auf Schadenersatz und, wo die Schwere der Verletzung es rechtfertigt, auf Genugtuung hat (Abs. 1) und dass der Kanton haftbar ist (Abs. 2). Eine besondere Regelung bezüglich der Verjährung der entsprechenden Klage enthält das Gesetz nicht.
Für die Verantwortlichkeitsklage gegen den Vormund und die unmittelbar haftenden Mitglieder der vormundschaftlichen Behörden sieht
Art. 454 Abs. 1 ZGB
eine Verjährungsfrist von einem Jahr ab Zustellung der Schlussrechnung vor. Gegenüber den anderen Mitgliedern der vormundschaftlichen Behörden und gegenüber den Gemeinden oder Kreisen sowie ferner gegenüber dem Kanton verjährt die Klage mit Ablauf eines Jahres, nachdem sie erhoben werden konnte (
Art. 454 Abs. 2 ZGB
). Die Verjährung der Klage gegen die Mitglieder der vormundschaftlichen Behörden oder gegen die Gemeinden, die Kreise oder den Kanton beginnt in keinem Fall vor dem Aufhören der Vormundschaft (
Art. 454 Abs. 3 ZGB
). Unter Vorbehalt noch längerer Strafklagefristen legt
Art. 455 ZGB
eine ausserordentliche Verjährungsfrist von zehn Jahren fest.
b) Die Verantwortlichkeit gemäss
Art. 429a ZGB
unterscheidet sich von den in den
Art. 454 und 455 ZGB
geregelten Tatbeständen insofern, als hier eine direkte Haftung einzig des Kantons vorgesehen ist. Diesem wird freilich die Möglichkeit eingeräumt, auf Personen zurückzugreifen, die den widerrechtlichen Freiheitsentzug absichtlich oder grobfahrlässig verursacht haben (
Art. 429a Abs. 2 ZGB
). Zu beachten ist auch, dass die Verantwortlichkeit zufolge widerrechtlicher fürsorgerischer Freiheitsentziehung im Gegensatz zu derjenigen im Zusammenhang mit der Führung der Vormundschaft nicht notwendigerweise auch bei der Vermögensverwaltung anknüpft und somit nicht in jedem Fall von der Zustellung der Schlussrechnung ausgehen kann. Der - durch
Art. 5 Ziff. 5 EMRK
vorgegebene - verschuldensunabhängige Tatbestand des
Art. 429a ZGB
ist in der Tat auf die Person, und nicht auf das Vermögen, zugeschnitten, auch wenn nicht nur Genugtuung, sondern auch Schadenersatz in Betracht fällt. Es kommt hinzu, dass die fürsorgerische Freiheitsentziehung sich zwar als vormundschaftliche Massnahme versteht, indessen nicht in jedem Fall auch zu einer Bevormundung führen muss.
BGE 116 II 407 S. 410
In Anbetracht der angeführten Umstände können die
Art. 454 und 455 ZGB
, die vom Aufhören der Vormundschaft ausgehen (
Art. 454 Abs. 3 ZGB
), hier von vornherein nur sinngemäss zur Anwendung gelangen.
c) Das Bundesgericht hatte schon vor dem Inkrafttreten der Gesetzesnovelle vom 6. Oktober 1978 (
Art. 397a ff. ZGB
) festgehalten, die Verjährungsbestimmung des
Art. 454 ZGB
beziehe sich nicht nur auf die Verantwortlichkeit aus der Führung der Vormundschaft im engern Sinne, sondern erstrecke sich auch auf weitere vormundschaftliche Massnahmen, ungeachtet des Umstandes, dass beispielsweise nicht von einer Schlussrechnung ausgegangen werden könne. Auf jeden Fall sei es in diesem erweiterten Bereich der Vormundschaft nicht angezeigt, die gemeinrechtliche Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäss
Art. 127 OR
zur Anwendung zu bringen. Das Bundesgericht führte weiter aus, dass der Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit vormundschaftlichen Massnahmen oder deren Unterlassen eine unerlaubte Handlung zugrunde liege, so dass ausserhalb der Sonderbestimmungen des Vormundschaftsrechts letztlich auf
Art. 60 OR
, und nicht auf
Art. 127 ff. OR
, zurückgegriffen werden müsste (vgl.
BGE 68 II 353
f.).
d) In der Lehre dreht sich die Diskussion ebenfalls einzig darum, ob die Verjährungsfrist für die Verantwortlichkeitsklage im Bereiche der erweiterten Vormundschaft durch sinngemässe Anwendung der Art. 454 f. ZGB bestimmt werden könne oder ob die massgebende Regel direkt
Art. 60 OR
zu entnehmen sei (vgl. MATTMANN, Die Verantwortlichkeit bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, Diss. Freiburg 1988, S. 222 f.; SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, § 297, S. 701, Anm. 30; dazu auch AEPLI, Die Verantwortlichkeit der vormundschaftlichen Organe, Diss. Freiburg 1979, S. 69).
e) Von praktischer Bedeutung ist die erwähnte Frage allerdings insofern kaum, als sowohl im Rahmen von
Art. 454 ZGB
als auch aufgrund von
Art. 60 OR
grundsätzlich von einer Frist von einem Jahr seit Kenntnis des Schadens und des Schädigers auszugehen ist.
Art. 454 ZGB
müsste im übrigen auf jeden Fall dort neben
Art. 60 OR
beachtlich bleiben, wo - wie hier - die fürsorgerische Freiheitsentziehung einen Bevormundeten betrifft. Der Vormundschaft als solcher ist bei einer derartigen Sachlage insofern eigens Rechnung zu tragen, als die fürsorgerische Freiheitsentziehung vor ihr
BGE 116 II 407 S. 411
beendet sein kann. Auch wenn sich schon vor dem Ende der Vormundschaft die Kenntnis eines Schadens (bzw. der Gesetzwidrigkeit eines Freiheitsentzugs) und des Ersatzpflichtigen (bzw. Schädigers) eingestellt hat, muss
Art. 454 Abs. 3 ZGB
angewendet werden, wonach die Verjährung der Verantwortlichkeitsklage in keinem Fall vor dem Aufhören der Vormundschaft beginnt. Der hinter dieser Regelung stehende Grundgedanke kommt übrigens auch in
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 2 OR
zum Ausdruck, wonach die Verjährung für eine Forderung des Mündels gegen den Vormund oder gegen die vormundschaftlichen Behörden nicht beginnt während der Dauer der Vormundschaft, d.h. des Abhängigkeitsverhältnisses (dazu MATTMANN, a.a.O., S. 224 f.; ferner auch
BGE 68 II 354
und
BGE 65 II 211
ff.).
f) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Klagefrist für den hier in Frage stehenden Verantwortlichkeitsanspruch aus
Art. 429a ZGB
ein Jahr beträgt und grundsätzlich mit dem Hinfall der freiheitsentziehenden Massnahme zu laufen beginnt. Solange noch eine Vormundschaft besteht, wird indessen der Fristenlauf - ungeachtet der Kenntnis von Schaden und Schädiger - nicht ausgelöst.
... | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8ab4c3d5-d222-4672-b9d0-d4a0b43491ae | Urteilskopf
81 IV 67
14. Entscheid der Anklagekammer vom 11. Januar 1955 i. S. Stutz gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 350 Ziff. 1 StGB
.
Der Kanton, der nach dieser Bestimmung zuständig ist, darf die in einem anderen Kanton verübten Handlungen ohne dessen Ermächtigung mitverfolgen. | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 81 IV 67 S. 67
Dr. Schulthess erhob gegen Heinrich Stutz beim Untersuchungsrichteramt Bern Ehrverletzungsklage wegen Äusserungen, die Stutz als Zeuge vor dem Gerichtspräsidenten III in Bern und in einem von Hombrechtikon (Kanton Zürich) aus an den Anwalt des Klägers gerichteten Brief getan hatte. Der Generalprokurator des Kantons Bern anerkannte am 15. Dezember 1954 gestützt auf
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
den bernischen Gerichtsstand. Stutz ficht diesen Entscheid bei der Anklagekammer des Bundesgerichts mit Bezug auf die im Kanton Zürich begangene Handlung an. Er anerkennt, dass beide Handlungen, die Gegenstand der Klage bilden, mit der gleichen Strafe bedroht sind, bestreitet jedoch, dass er mit Bezug auf die im Brief getane Äusserung im Sinne des
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
"verfolgt" werde; denn nur die Behörden des Kantons Zürich seien zuständig, die Verfolgung dieser Handlung aufzunehmen.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
Art. 350 Ziff. 1 StGB
ordnet den Gerichtsstand beim Zusammentreffen strafbarer Handlungen. Indem der zweite Absatz dieser Norm die Behörden des Ortes, wo die Untersuchung zuerst angehoben wird, für die Verfolgung aller mit der gleichen Strafe bedrohten Handlungen zuständig erklärt, bestimmt er, dass diese Behörden auch berechtigt und verpflichtet sind, den Täter wegen der im anderen Kanton verübten Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
BGE 81 IV 67 S. 68
Ihnen steht daher auch zu, zu befinden, ob deren Verfolgung überhaupt stattzufinden hat. Dies jedenfalls in dem hier zutreffenden Falle, dass im anderen Kanton über diese Handlungen weder ein Urteil noch ein Einstellungsbeschluss ergangen ist, der Grundsatz "ne bis in idem" durch Aufnahme der Verfolgung in dem nach
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zuständigen Kanton also nicht verletzt werden kann. Den Kläger an die Behörden des Tatortes zu weisen, obschon feststeht, dass diese nach der genannten klaren Bestimmung zur Verfolgung nicht zuständig sind, weil ein anderer Kanton wegen einer mit gleicher Strafe bedrohten und in seinem Gebiete verübten Handlung bereits eine Untersuchung angehoben hat, wäre unsinnig. Die Behörden des nach Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 unzuständigen Kantons müssten sich darauf beschränken, ihre Unzuständigkeit festzustellen, zumal wenn die Tat nur auf Antrag zu verfolgen ist und daher die blosse Übermittlung der Akten an den anderen Kanton diesen nicht notwendigerweise (von Bundesrechts wegen) verpflichtet, das Verfahren fortzusetzen (vgl.
BGE 73 IV 207
). Daran ändert der Umstand nichts, dass der erste Absatz von Art. 350 Ziff. 1, an den der Wortlaut des zweiten Absatzes anknüpft, mit den Worten beginnt: "Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, ....." Das heisst nicht, dass Art. 350 Ziff. 1 erst gelte, wenn an verschiedenen Orten Strafverfahren hängig sind. Es genügt, dass der Beschuldigte an verschiedenen Orten strafbare Handlungen begangen hat und die zuständige Behörde sie verfolgen will. Welche Behörde zuständig ist, sagt aber gerade Art. 350. Einer Ermächtigung der Behörde des Tatortes, die Verfolgung aufzunehmen, bedarf sie nicht; weder Art. 350 noch eine andere Bestimmung sieht das vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den in
BGE 73 IV 205
ff. und
BGE 75 IV 139
ff. veröffentlichten Entscheiden, auf die Stutz sich beruft. Ersterer betrifft einen Fall, in dem ein Kanton einen anderen nach
Art. 346 StGB
zur Übernahme einer Strafverfolgung verhalten wollte, in der
BGE 81 IV 67 S. 69
Meinung, dessen Behörden hätten ihre Zuständigkeit bestritten, während sie die Verfolgung lediglich abgelehnt hatten, weil bei ihnen nicht nach den Vorschriften ihres Prozessrechts Strafantrag gestellt worden war. Ein Streit um den Gerichtsstand lag dort überhaupt nicht vor. In
BGE 75 IV 139
ff. sodann wurde lediglich in Bezug auf den Fall eines negativen Gerichtsstandskonfliktes, wie er dort zu beurteilen war, ausgeführt, dass die Entscheidung darüber, ob ein Strafverfahren stattfinden solle, den Behörden des Tatortes zustehe. Das heisst nach dem Zusammenhange nur, dass den Behörden eines Kantons nicht eine Gesamtverfolgung nach
Art. 350 Ziff. 1 StGB
aufgenötigt werden kann im Hinblick auf eine in diesem Kanton verübte Tat, die sie nicht verfolgen wollen, sei es, dass sie die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt, sei es, dass sie die Verfolgung - bevor der andere Kanton die Untersuchung wegen der anderen Handlungen angehoben hat (
BGE 76 IV 206
Erw. 3) - eingestellt haben. Diese Auslegung des Gesetzes versteht sich. Ein Kanton soll nicht wegen Handlungen, die weder nach Art. 350 noch nach Art. 346 seiner Gerichtsbarkeit unterstehen und die der zuständige Kanton nicht verfolgen will, sich der Pflicht zur Verfolgung anderer, im eigenen Gebiete verübter Handlungen entziehen können. Daraus darf nicht abgeleitet werden, dass er auch nicht befugt sei, eine im andern Kanton verübte Handlung ohne dessen Ermächtigung gestützt auf Art. 350 Ziff. 1 zusammen mit den im eigenen Kanton verübten Handlungen zu verfolgen. Diesen Schluss haben denn auch die kantonalen Behörden in ihrer Praxis trotz der allgemeinen Fassung von
BGE 75 IV 141
nie gezogen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Das Gesuch wird abgewiesen, und die Behörden des Kantons Bern werden zuständig erklärt, den Gesuchsteller auch für die im Kanton Zürich verübte Tat zu verfolgen und zu beurteilen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ab5f962-0edc-4800-beed-c2406d6f2f22 | Urteilskopf
86 IV 217
56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1960 i.S. Michel gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 310 Ziff. 1 StGB
.
Beihilfe zur Flucht eines Gefangenen, der als Patient in ein Spital eingewiesen worden ist. | Erwägungen
ab Seite 217
BGE 86 IV 217 S. 217
Nach
Art. 310 Ziff. 1 StGB
wird bestraft, wer mit Gewalt, Drohung oder List einen Verhafteten, einen Gefangenen oder einen andern auf amtliche Anordnung in eine Anstalt Eingewiesenen befreit oder ihm zur Flucht behilflich ist. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, Sonderegger sei nur als Patient im Spital und nicht in einer Anstalt im Sinne des Art. 310 interniert gewesen, ist haltlos. Die Untersuchungshaft kann nicht bloss in einem Gefängnis, sondern auch in einem Spital oder in einer Heil- und Pflegeanstalt erstanden werden; der in eine solche Anstalt Eingewiesene gilt jedenfalls dann als Untersuchungsgefangener, wenn er dort, was den Entzug der persönlichen Freiheit betrifft, einer Ordnung unterworfen ist, die derjenigen im Untersuchungsgefängnis im wesentlichen gleichkommt (
BGE 85 IV 124
). Das trifft im Falle Sonderegger zu. Er unterstand im Spital annähernd den gleichen Lebensbedingungen wie vorher im Untersuchungsgefängnis, indem ihm nach seiner Überführung in ein gesichertes Zimmer des Bürgerspitals die Kleider abgenommen wurden und ihm untersagt war, das Zimmer zu verlassen und Besuche zu empfangen. Die Beschwerdeführerin hat daher einem Gefangenen im Sinne des Art. 310 zur Flucht geholfen. Dass das Pflegepersonal das Zimmer Sondereggers aus Nachlässigkeit nicht immer abgeschlossen hat, ändert nichts. Massgebend ist die Ordnung, die Sonderegger auferlegt wurde, nicht die Art, wie die Vorschriften vom Anstaltspersonal befolgt wurden.
Ob die Anwendung von Gewalt, Drohung oder List
BGE 86 IV 217 S. 218
nur bei der eigentlichen Befreiung eines Gefangenen oder auch bei der Beihilfe zur Flucht notwendig ist, kann dahingestellt bleiben. List liegt auf alle Fälle darin, dass die Beschwerdeführerin, als sie bei ihren heimlichen Besuchen betroffen wurde, dem Spitalpfleger vorgab, sie sei die Braut Sondereggers bzw. dessen Schwester und nur für kurze Zeit in der Schweiz auf Besuch. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ab9b3ec-a73c-49de-8ce6-f4ac7cf0a4e3 | Urteilskopf
97 I 143
24. Urteil vom 17. März 1971 i.S. Sommacal gegen Oberauditor der Armee und Eidgenössisches Militärdepartement. | Regeste
Kompetenzkonflikt nach
Art. 223 MStG
.
Voraussetzungen, unter denen der vor einem Militärgericht Angeklagte das Bundesgericht anrufen kann. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 1 und 2).
Tragweite von
Art. 2 Ziff. 4 MStG
, wonach Dienstpflichtige ausserhalb des Dienstes "mit Bezug auf ihre militärische Stellung" dem Militärstrafrecht unterstehen. Anwendung dieser Bestimmung auf Ehrverletzungen, die einem Soldaten deshalb vorgeworfen werden, weil er kurz nach der Entlassung aus dem Wiederholungskurs einen Zeitungsartikel veröffentlicht und darin dienstliche Vorkommnisse sowie seinen Regimentskommandanten kritisiert hat (Erw. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 97 I 143 S. 143
A.-
Das aus Schwyzer Truppen zusammengesetzte Geb. Inf. Rgt. 29 war vom 10. bis 29. November 1969 im Wiederholungskurs
BGE 97 I 143 S. 144
und stand dabei erstmals unter dem Kommando von Oberst Carlo Baumann, Instruktionsoffizier und Schulkommandant in Losone. Der Dienst war wegen des schlechten Wetters und der hohen Anforderungen, die der neue Kommandant an die Truppe stellte, verhältnismässig streng. Gegen Ende des Wiederholungskurses und vor allem nach ihm veröffentlichten mehrere regionale Zeitungen Einsendungen, die den Dienstbetrieb kritisierten. So erschien in der Zeitung "Bote der Urschweiz" am 5. Dezember 1969 unter der Ueberschrift "Unliebsame Erinnerungen an den WK 69" ein mit dem Pseudonym "Füsilier Päng" unterzeichneter Artikel, der über verschiedene Vorkommnisse berichtete, den Kommandanten Oberst Baumann mehrmals namentlich nannte und sein Verhalten beanstandete. Verfasser dieses Artikels war, wie sich später ergab, Füsilier Carlo Sommacal, der eine Versicherungsagentur betreibt, im Nebenberuf Journalist ist und den Wiederholungskurs 1969 in der Stabskompagnie des zum Rgt. 29 gehörenden Bat. 86 geleistet hatte. Unter Hinweis auf diesen und andere Artikel reichte ein Mitglied des Schwyzer Kantonsrats am 16. Dezember 1969 eine Interpellation ein, mit der er den Regierungsrat bzw. das Militärdepartement um genaue Abklärung der Sache ersuchte.
Am 4. Februar 1970 wies die Direktion der Eidg. Militärverwaltung den a.o. Untersuchungsrichter des Divisionsgerichts 9A an, eine vorläufige Beweisaufnahme zur Abklärung der in den Zeitungsberichten erwähnten Tatbestände sowie des allfällig ehrverletzenden Charakters der darin aufgestellten Behauptungen und zur Antragstellung auf Erledigung durchzuführen. Der Untersuchungsrichter holte von allen Einheitskommandanten und von Fachoffizieren des Regiments Berichte ein, befragte zahlreiche Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten als Zeugen und erstattete hierauf am 31. März 1970 einen ausführlichen Bericht. Darin kam er zum Schluss, dass die in Zeitungsartikeln aufgestellten Behauptungen im wesentlichen tatsachenwidrig oder übertrieben seien und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass militärische Führer oder Wehrmänner strafbare Handlungen begangen hätten. Bei den vornehmlich gegen Oberst Baumann erhobenen Vorwürfen handle es sich meist um ehrverletzende Aeusserungen, doch dürfte deren Beurteilung in die Zuständigkeit der bürgerlichen Gerichte fallen, da die Voraussetzungen von
Art. 2 Ziff. 4 MStG
nicht erfüllt seien.
BGE 97 I 143 S. 145
Der Untersuchungsrichter beantragte daher, es sei der Sache hinsichtlich der behaupteten Vorkommnisse im WK 69 des Geb. Inf. Rgt. 29 keine weitere Folge zu geben und es sei Oberst Baumann zu überlassen, ob und gegebenenfalls gegen wen er Strafantrag wegen Ehrverletzung stellen und die Durchführung einer entsprechenden Untersuchung verlangen wolle.
Die Direktion der Eidg. Militärverwaltung stellte indessen Strafantrag wegen Ehrverletzung und wies den Untersuchungsrichter, der die vorläufige Beweisaufnahme durchgeführt hatte, am 17. Juni 1970 an, gegen Sommacal eine Voruntersuchung durchzuführen. In dieser wurde Sommacal wiederholt einvernommen. Dabei zog er einzelne Aeusserungen als (ganz oder teilweise) unwahr zurück, hielt dagegen an andern, als auf eigenen Wahrnehmungen und auf Berichten von Kameraden beruhend, fest und bot Beweise an. Der Untersuchungsrichter vernahm noch einen Zeugen ein und schloss dann die Untersuchung am 10. November 1970 ab.
Am 24. November 1970 erhob der Auditor beim Divisionsgericht 9A gegen Sommacal Anklage wegen übler Nachrede (
Art. 145 MStG
) und Nichtbefolgung von Dienstvorschriften (
Art. 72 MStG
). Gegenstand der Anklage sind 7 näher bezeichnete Stellen des Zeitungsartikels, die "gegen die jeweils verantwortlichen Kommandanten, insbesondere Oberst Baumann" gerichtet und in ihrer Gesamtheit und im Einzelfall geeignet seien, deren Ruf zu schädigen. Es handelt sich um Aeusserungen wie
es sei im WK zu viel verlangt worden und das Programm überladen gewesen,
es sei vorgekommen, dass Soldaten in diesem WK ein einziges Mal Ausgang gehabt hätten,
die Trainsoldaten seien teilweise bis zu vier Tagen ohne Schlaf und ohne warme Verpflegung gewesen,
entgegen den Dienstanweisungen seien Lastwagenführer der Stabskompagnien bis zu 22 Stunden im Einsatz gewesen,
bei einer Nachschubübung über den Kinzigpass, bei dem Pferde abgestürzt seien, habe man den Bezug zur Realität verloren, indem man auf die unsinnige Idee gekommen sei, sämtliche Post über den Kinzig zu schieben, weshalb die Soldaten eine volle Woche keine Post erhalten hätten und der Inhalt von Paketen völlig verdorben gewesen sei,
bei einer WK-Orientierung im Hotel Adler in Arth habe Oberst Baumann erklärt, wenn er einen Befehl erteile, und sei er noch so widersinnig, so werde er ausgeführt, was der Untergebene denke, sei ihm völlig "wurscht",
BGE 97 I 143 S. 146
nach einem noch im WK erlassenen Befehl stehe bereits fest, dass es im WK 1970 wieder praktisch keinen Ausgang geben werde, Kompagnieabende unmöglich sein würden usw.
Mit Verfügung vom 15. Dezember 1970 setzte der Grossrichter des Divisionsgerichts 9A die Hauptverhandlung auf den 29. Dezember 1970 fest, ordnete dem Angeklagten einen amtlichen Verteidiger bei und liess diesem die Akten zustellen.
B.-
Am 27. Dezember 1970 reichte Carlo Sommacal beim Bundesgericht Kompetenzkonfliktsbeschwerde nach
Art. 223 MStG
ein mit dem Antrag, das Divisionsgericht 9A sei hinsichtlich der ihm zur Last gelegten üblen Nachrede im Sinne von
Art. 145 MStG
als unzuständig zu erklären. Er macht geltend, dass die Zuständigkeit der Militärgerichte sich nur auf
Art. 2 Ziff. 4 MStG
stützen könnte, dass die dort genannten Voraussetzungen aber nicht gegeben seien. Der Beschwerdeführer habe mit den eingeklagten Aeusserungen keine dienstlichen Pflichten verletzt. Ebensowenig bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Aeusserungen und seiner persönlichen militärischen Stellung. Er habe den Zeitungsartikel nicht wegen seiner militärischen Stellung geschrieben, sondern als Journalist zur Befriedigung eines legitimen Informationsbedürfnisses. Was er geschrieben habe, hätte auch jeder andere Schweizer, ob damals im Dienst oder nicht, schreiben können, denn die einzelnen Vorkommnisse seien im ganzen Regiment mehr oder weniger bekannt gewesen. Wie im Falle
BGE 61 I 113
ff. beziehe sich der Zeitungsartikel auf eine allgemeine, ebensosehr politische wie militärische Angelegenheit.
C.-
Der Oberauditor der Armee beantragt Abweisung der Beschwerde und bringt vor: Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten stehe mit dem von ihm geleisteten Militärdienst in jenem engen zeitlichen und thematischen Konnex, den der Gesetzgeber von 1927 bei der Fassung von
Art. 2 Ziff. 4 MStG
dem Militärstrafrecht habe unterwerfen wollen. Der Beschwerdeführer habe den Stoff zu seinem Zeitungsartikel im Wiederholungskurs gesammelt. Der Artikel stelle die geschilderten Vorgänge als von einem Füsilier selber erlebt oder beobachtet dar, berühre somit das dienstliche Verhältnis des Beschwerdeführers zu seinen militärischen Vorgesetzten und beziehe sich, anders als im Falle
BGE 61 I 113
ff., ausschliesslich auf rein militärische Vorgänge. Die "militärische Stellung" des Beschwerdeführers sei in jeder Hinsicht Anlass, Ausgangspunkt
BGE 97 I 143 S. 147
und Inhalt der inkriminierten Aeusserungen gewesen. Die Unterstellung unter die Militärgerichtsbarkeit sei auch im Interesse einer sachgerechten Beurteilung geboten, da die Militärrichter über eigene dienstliche Erfahrung verfügten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Es liegt kein aktueller (sei es positiver oder negativer) Kompetenzkonflikt zwischen militärischer und bürgerlicher Gerichtsbarkeit vor. Zu den Kompetenzkonflikten, die nach
Art. 223 MStG
vom Bundesgericht zu entscheiden sind, gehört nach der Rechtsprechung indessen auch der sog. virtuelle Konflikt, d.h. der hier vorliegende Fall, wo der Angeschuldigte geltend macht, in Wahrheit sei nicht die gegen ihn vorgehende, sondern die andere Behörde zuständig (
BGE 61 I 123
/24),
BGE 63 I 183
E.1,
BGE 66 I 61
/62, 163 E. 4;
BGE 80 I 256
E. 1). Die Beschwerde, mit welcher der Angeschuldigte diesen Konflikt dem Bundesgericht unterbreitet, ist an keine Frist gebunden, steht ihm aber gegenüber dem Militärrichter nur bis zur Hauptverhandlung vor Divisionsgericht offen (
BGE 66 I 62
E. 2, 161 E. 2;
BGE 71 I 30
,
BGE 80 I 257
E. 1). Auf die vorliegende, vor dieser Verhandlung erhobene Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Bei Kompetenzkonflikten nach
Art. 223 MStG
prüft das Bundesgericht nicht nur Rechts-, sondern auch Tatfragen frei, jedoch nur, soweit sie für den Entscheid über die Zuständigkeit von Bedeutung sind (vgl.
BGE 67 I 340
,
BGE 71 I 31
/32,
BGE 76 I 194
E. 3,
BGE 79 I 151
E. 2). Im vorliegenden Falle kann sich die Zuständigkeit der Militärgerichte nur auf
Art. 2 Ziff. 4 MStG
stützen, wonach dem Militärstrafrecht und damit auch der Militärstrafgerichtsbarkeit (
Art. 218 MStG
) unterstehen "Dienstpflichtige und Hilfsdienstpflichtige ausserhalb des Dienstes mit Bezug auf ihre militärische Stellung und ihre dienstlichen Pflichten". Der Beschwerdeführer ist dienstpflichtig. Auch ist nicht streitig, dass er den Zeitungsartikel, der die ihm als ehrverletzend zur Last gelegten Aeusserungen enthält, ausserhalb des Dienstes verfasst hat. Da der Artikel wenige Tage nach der Entlassung aus dem Dienst erschien, ist es freilich nicht ausgeschlossen, dass er ihn noch vorher geschrieben hat. Indessen wird dies von keiner Seite behauptet noch enthalten die Akten Anhaltspunkte dafür, so dass diese Möglichkeit nicht in Betracht fällt. Zu prüfen ist nur, ob die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen
BGE 97 I 143 S. 148
Ehrverletzungen sich auf seine militärische Stellung oder seine dienstlichen Pflichten bezogen.
3.
Mit dem Inkrafttreten des MStG vom 13. Juni 1927 sind die Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit, welche die im übrigen weiterhin geltende Militärstrafgerichtsordnung in den Art. 1-8 enthielt, aufgehoben (
Art. 233 Abs. 2 Ziff. 2 MStG
) und durch Bestimmungen des MStG ersetzt worden.
Art. 2 Ziff. 4 MStG
ist an die Stelle von Art. 1 Ziff. 5 MStGO getreten. Während nach dieser früheren Bestimmung Dienstpflichtige ausserhalb des Dienstes nur "mit Bezug auf ihre dienstlichen Pflichten" dem Militärstrafrecht und der Militärstrafgerichtsbarkeit unterworfen waren, sind sie es nach
Art. 2 Ziff. 4 MStG
auch "mit Bezug auf ihre militärische Stellung". Mit diesem Zusatz, der selbständige Bedeutung hat (COMTESSE N. 24 zu
Art. 2 MStG
), wollte der Gesetzgeber die militärgerichtliche Zuständigkeit gegenüber dem bisherigen Rechtszustand offensichtlich erweitern, und zwar, wie in
BGE 61 I 124
Erw. 4 aufgrund der Entstehungsgeschichte dargelegt wurde, gerade auch inbezug auf ausserdienstliche Ehrverletzungen. Die Formulierung "mit Bezug auf ihre militärische Stellung" ist freilich, wie schon im genannten Urteil (S. 127) festgestellt worden ist, sehr unbestimmt. Die sich daraus bei der Anwendung der Bestimmung auf den Einzelfall ergebenden Schwierigkeiten lassen sich auch nicht durch die in jenem Urteil befürwortete Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte beseitigen. Der Umstand, dass eine vorberatende Expertenkommission eine zunächst vorgesehene Sonderbestimmung über die Zuständigkeit bei Ehrverletzungen (Art. 2 Ziff. 6, wiedergegeben in
BGE 61 I 126
) wieder fallen liess, da Ziff. 4 genüge, erlaubt nicht schon den Schluss, der Gesetzgeber habe mit dieser Bestimmung alle Fälle dem Militärstrafrecht unterstellen wollen, die nach jener Sonderbestimmung darunter gefallen wären, zumal da weder in der Botschaft zum MStG (BBl 1918 V 349ff.) noch bei der Beratung des Gesetzes in den eidgenössischen Räten auf diese Entstehungsgeschichte hingewiesen wurde. Massgebend ist vielmehr die Tragweite, die der Bestimmung nach ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck zukommt (vgl. zur Bedeutung der Gesetzesmaterialien
BGE 95 I 510
/11 und dort angeführte frühere Urteile). Dabei gilt der Grundsatz, dass das Militärstrafrecht als Sonderrecht im Zweifelsfall vor dem bürgerlichen Recht zurückzutreten hat (
BGE 61 I 127
; COMTESSE N. 7 zu
Art. 2 MStG
).
BGE 97 I 143 S. 149
4.
Daraus, dass nach Art. 2 Ziff. 4 Dienstpflichtige ausserhalb des Dienstes "mit Bezug auf ihre militärische Stellung" dem Militärstrafrecht unterstehen, folgt, dass Aeusserungen solcher Dienstpflichtiger nicht schon dann nach Militärstrafrecht als Ehrverletzungen verfolgt werden können, wenn sie sich auf dienstliche Vorgänge beziehen oder gegen militärische Kommandanten richten. Es kann nicht der Sinn der Bestimmung sein, dass ein Soldat, der sich nach der Entlassung aus dem Dienst, sei es am Stammtisch oder am Arbeitsplatz, sei es in der Presse, kritisch über selbst erlebte oder ihm berichtete Vorkommnisse der vergangenen Dienstzeit äussert, dafür, und zwar auf unbestimmte Zeit, gegebenenfalls wegen Ehrverletzung vor Militärgericht und nach Militärstrafrecht zur Verantwortung gezogen werden kann. Erforderlich ist eine unmittelbare Beziehung zwischen der persönlichen militärischen Stellung des ehrverletzenden Angreifers und derjenigen des Angegriffenen. Eine solche Beziehung ist, wie COMTESSE (N. 25 zu
Art. 2 MStG
) im Anschluss an
BGE 61 I 127
und an ein Urteil des Militärkassationsgerichts (MKGE 1936-1940 Nr. 62) zutreffend ausführt, dann anzunehmen, wenn der Angriff sowohl hinsichtlich seiner Veranlassung wie auch seines Inhaltes in direktem Zusammenhang mit dem militärischen Unterordnungsverhältnis, d.h. mit der Eigenschaft des Angreifers als militärischen Untergebenen des Angegriffenen steht. Hieran fehlte es in dem vom Bundesgericht in
BGE 61 I 113
ff. beurteilten Falle, wo ein Subalternoffizier unter Berufung auf seine Offizierseigenschaft die politische Haltung des Korpskommandanten, dem er dienstlich unterstellt war, einer scharfen Kritik unterzogen hatte, da diese mit seiner eigenen militärischen Stellung und seinem Verhältnis zum Angegriffenen in keinem Zusammenhang stand. Dagegen bestand die Beziehung in den verschiedenen, in der Folge vom Militärkassationsgericht beurteilten Fällen, wo die ehrverletzenden (und in einem Falle überdies drohenden) Aeusserungen eines Wehrmanns sich jeweils gegen seinen direkten militärischen Vorgesetzten oder einen Offizier, der ihn angeblich zu Unrecht disziplinarisch bestraft hatte, gerichtet hatten und ihre Veranlassung in dieser Bestrafung, in der dem Wehrmann vom Vorgesetzten im Militärdienst zuteil gewordenen Behandlung oder in persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen während des Dienstes hatten (MKGE 1936-1940 Nr. 52 und 62, 1941-1944 Nr. 19, 1958-1964 Nr. 24).
BGE 97 I 143 S. 150
Im vorliegenden Falle hat sich der Beschwerdeführer zwar dadurch, dass er den wenige Tage nach dem Ende des Wiederholungskurses erschienenen Artikel mit "Füsilier Päng" unterzeichnete und darin von "Wir Schwyzer" sprach, als Wehrmann zu erkennen gegeben, der diesen Wiederholungskurs als Soldat absolviert hatte. Auch war er in diesem Dienst dem einzigen, im Artikel namentlich genannten Offizier, Oberst Baumann, dienstlich unterstellt. Dagegen kann nicht gesagt werden, dass die im Artikel enthaltenen Angriffe auf Oberst Baumann und weitere Kommandanten hinsichtlich ihrer Veranlassung und ihres Inhalts in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der persönlichen militärischen Stellung des Beschwerdeführers, mit seiner Eigenschaft als Untergebenen der angegriffenen Offiziere stand. Aus dem Bericht ist in keiner Weise ersichtlich, ob und inwieweit der Beschwerdeführer selber durch die geschilderten Vorkommnisse, bei denen gewissen Soldaten zu viel zugemutet worden sein soll, betroffen wurde. Auch ist dem Bericht nicht zu entnehmen, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer und Oberst Baumann sich im Wiederholungskurs je begegnet wären. Der Beschwerdeführer kritisiert nicht Massnahmen, die gegen ihn persönlich getroffen worden wären, sondern allgemeine Verhältnisse. Veranlassung dazu war offenbar, wie aus dem Artikel hervorgeht, dass der Wiederholungskurs in der Presse im allgemeinen günstig besprochen worden war und der Beschwerdeführer nun auch über seine Schattenseiten berichten wollte. Was er dabei ausführte, sind, und zwar auch soweit es Oberst Baumann betrifft, Begebenheiten und Vorkommnisse, wie sie, ob wahr, übertrieben oder unwahr, nach jedem Dienst von denjenigen, die ihn mitmachten, erzählt und von Dritten weiter verbreitet zu werden pflegen. Dabei fehlt regelmässig und so auch hier die enge Beziehung zwischen der persönlichen militärischen Stellung des Erzählers und derjenigen der im Bericht erwähnten Offiziere, die nach dem Gesagten Voraussetzung ist für die Anwendung des Militärstrafrechts und die Unterstellung unter die Militärgerichtsbarkeit. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Bericht des Beschwerdeführers in der Presse erschien und damit weitere Verbreitung fand als mündliche Aeusserungen, da dies für die Frage der Zuständigkeit der Militärgerichte bedeutungslos ist. Für diese kommt es auch nicht darauf an, ob die Militärgerichte bessere Gewähr für eine sachgerechte Beurteilung
BGE 97 I 143 S. 151
bieten. Uebrigens kann ein bürgerliches Gericht ebenso gut wie ein Militärgericht beurteilen, ob in einem Falle wie dem vorliegenden eine Aeusserung ehrverletzend, der Beschuldigte zum Wahrheitsbeweis zuzulassen und dieser Beweis erbracht sei. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und das Divisionsgericht 9A hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten üblen Nachrede im Sinne von
Art. 145 MStG
als unzuständig zu erklären.
5.
Soweit der Beschwerdeführer wegen Nichtbefolgung von Dienstvorschriften im Sinne des
Art. 72 MStG
angeklagt wird, hat er die Zuständigkeit des Divisionsgerichts in der Beschwerde weder ausdrücklich noch dem Sinne nach bestritten. Wie es sich mit der Zuständigkeit inbezug auf diesen Anklagepunkt verhält, hat das Bundesgericht daher nicht zu prüfen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Divisionsgericht 9-A hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten üblen Nachrede als unzuständig erklärt. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8abe9bcc-133f-491a-93c0-218451cdd355 | Urteilskopf
116 II 634
112. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. November 1990 i.S. E. AG gegen K. Ltd. und IHK-Schiedsgericht Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. c OG
und
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Ordre public.
Auf Beschwerden wegen Verletzung des Ordre public tritt das Bundesgericht nur insoweit ein, als in der Beschwerdeschrift konkret geltend gemacht wird, gegen welchen fundamentalen Rechtsgrundsatz das angefochtene Schiedsurteil im Ergebnis verstösst. Selbst klare Rechtsverletzungen und offensichtlich falsche Tatsachenfeststellungen genügen für sich allein nicht, um einen Schiedsspruch wegen Verletzung des Ordre public aufzuheben (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 635
BGE 116 II 634 S. 635
A.-
Mit Werkvertrag vom 18. April 1977 (Hauptvertrag) beauftragte das Emirat R. (Bauherrin) die österreichische E. AG (Unternehmerin) mit der Errichtung eines Kraftwerks. Mit Vertrag vom 17. Mai 1977 (Subvertrag) übertrug die Unternehmerin der englischen K. Ltd. (Unterakkordantin) die Durchführung von Bauarbeiten zum Preis von 38'122'027 Dirham (DH), wovon 15% als Anzahlung vor Arbeitsbeginn und weitere Beträge nach Massgabe des Baufortschritts zu zahlen waren. Gemäss Ziffer 3e des Subvertrags sollten die Zahlungen der Unternehmerin an die Unterakkordantin innert 7 Tagen nach Erhalt der Zahlungen der Bauherrin durch die Unternehmerin erfolgen; weiter vereinbarten die Parteien, dass verspätete Zahlungen der Bauherrin an die Unternehmerin nach Empfang durch diese an die Unterakkordantin weiterzuleiten seien (Pay-when-paid-Klausel). Nach Ziffer 9 des Subvertrags übernahm die Unterakkordantin sämtliche Risiken aus dem Hauptvertrag und wurde so gestellt, wie wenn sie mit der Bauherrin kontrahiert hätte (Risk-shifting-Klausel). Schliesslich vereinbarten die Parteien, dass über Streitigkeiten ein IHK-Schiedsgericht mit Sitz in Zürich in Anwendung schweizerischen Rechts entscheide.
Nachdem die Unternehmerin von der Bauherrin eine Anzahlung von DH 62'826'947 erhalten hatte - weitere Zahlungen blieben wegen finanzieller Schwierigkeiten der Bauherrin aus -, leitete die Unternehmerin davon DH 5'718'304 (15% des Werklohns von DH 38'122'027) als Anzahlung an die Unterakkordantin weiter. Nach dieser Zahlung und weiteren Zahlungen an andere Unterakkordanten verblieben der Unternehmerin noch DH 19'780'626.
Von 1977 bis Mitte 1979 erbrachte die Unterakkordantin Arbeitsleistungen und erhielt von der Unternehmerin "payment certificates" über DH 15'250'037 sowie für "design work" ein - allerdings später wegen angeblich fehlerhafter Pläne widerrufenes - "payment certificate" über DH 786'956. Wie die Unterakkordantin stellte auch die Unternehmerin ihre Arbeiten erst Mitte 1979 ein. Am 14. Juni 1980 gelang es der Unternehmerin, mit einem anderen Emirat einen Ersatzvertrag abzuschliessen, an dem die Unterakkordantin aber nicht beteiligt war.
B.-
Am 29. April 1988 klagte die Unterakkordantin gegen die Unternehmerin beim IHK-Schiedsgericht mit Sitz in Zürich auf
BGE 116 II 634 S. 636
Zahlung von DH 10'318'689 Werklohn (15'250'037 plus 786'956 abzüglich Anzahlung von 5'718'304) nebst Zins. Mit Ausnahme einer Korrektur bei der Zinsberechnung hiess das Schiedsgericht die Klage am 4. Mai 1990 vollumfänglich gut.
Die Beklagte ficht das Schiedsurteil erfolglos mit staatsrechtlicher Beschwerde an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Schliesslich beruft sich die Beklagte auf den Beschwerdegrund der Verletzung des Ordre public (
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
). Im Vergleich zu Art. 36 lit. f des Schiedsgerichtskonkordats (SR 279), der die Anfechtung von Schiedsurteilen wegen Willkür durch offensichtlich aktenwidrige Tatsachenfeststellungen oder klare Verletzung des Rechts oder der Billigkeit vorsieht, schränkt die neue Ordnung - dem Willen des Gesetzgebers entsprechend - die Anfechtungsmöglichkeiten erheblich ein. Selbst eine offensichtlich falsche Tatsachenfeststellung oder Rechtsanwendung reicht für sich allein nicht aus, um ein Schiedsurteil aufzuheben (
BGE 115 II 105
E. 3a, 291 f. E. 2b und 3a). Die materiellrechtliche Überprüfung durch das Bundesgericht ist auf die Frage begrenzt, ob der Schiedsspruch vor dem Ordre public standhält. Gegen den Ordre public verstösst die materielle Beurteilung eines streitigen Anspruchs nur, wenn sie fundamentale Rechtsgrundsätze verletzt und daher mit der Rechts- und Wertordnung schlechthin unvereinbar ist. Zu diesen Grundsätzen gehören der Grundsatz pacta sunt servanda, das Rechtsmissbrauchsverbot, der Grundsatz von Treu und Glauben, das Verbot der entschädigungslosen Enteignung, das Diskriminierungsverbot und der Schutz von Handlungsunfähigen (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Oktober 1989 i.S. S., E. 3a, publiziert in: Bulletin der Schweiz. Vereinigung für Schiedsgerichtsbarkeit 1990, S. 51 ff., S. 55 f.; ROBERT BRINER, Die Anfechtung und Vollstreckung des Schiedsentscheids, in: Die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 99 ff., S. 105; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, N. 1, N. 5e und 6 zu
Art. 190 IPRG
, S. 421, 427 und 430; ANDREAS BUCHER, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, Basel 1989, S. 130 f. N. 352).
Weil der neue Beschwerdegrund der Verletzung des Ordre public weniger weit geht als der konkordatsrechtliche Anfechtungsgrund
BGE 116 II 634 S. 637
der Willkür, muss unter der neuen Ordnung erst recht gelten, dass sich analog zur Rechtsprechung zu
Art. 4 BV
die Aufhebung eines Entscheids nur dann rechtfertigt, wenn er im Ergebnis gegen den Ordre public verstösst, nicht aber bereits dann, wenn bloss die Begründung als ordre-public-widrig erscheint (
BGE 113 Ib 311
f. E. 2a mit Hinweisen; mit Bezug auf
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
LALIVE/POUDRET/REYMOND, a.a.O. N. 6 zu
Art. 190 IPRG
, S. 430).
Ob schliesslich für die Beurteilung des Ordre public die schweizerische, eine ausländische oder eine supranationale Wert- und Rechtsordnung massgebend ist, kann vorliegend wie im erwähnten Urteil vom 23. Oktober 1989 offenbleiben, da das angefochtene Urteil offensichtlich keine fundamentalen Rechtsgrundsätze verletzt.
a) Die Beklagte bezeichnet das Schiedsurteil als unlogisch, unsinnig, unverständlich, willkürlich, unhaltbar, vollkommen falsch, unbillig, absurd, abstrus, grenzenlos lebensfremd, unvernünftig, gegen den gesunden Menschenverstand verstossend, aktenwidrig und als mit dem elementaren Gerechtigkeitsempfinden unvereinbar. Diese Einwendungen verkennen samt und sonders, dass nur das Ergebnis und nicht die einzelnen Erwägungen des Schiedsurteils als mit dem Ordre public unvereinbar angefochten werden kann und dass selbst klare Rechtsverletzungen und offensichtlich falsche Tatsachenfeststellungen für sich allein nicht geeignet sind, den Beschwerdegrund von
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
zu setzen. Auf all diese Einwendungen ist deshalb nicht einzutreten.
Unzulässig ist auch der Einwand, das Schiedsgericht habe nur zum Schein das vereinbarte schweizerische Recht angewendet und sich in Wirklichkeit von Billigkeitserwägungen leiten lassen. Ein aufgrund von Billigkeitserwägungen statt des vereinbarten Rechts gefällter Entscheid verstösst jedenfalls dann nicht gegen den Ordre public, wenn das Ergebnis nicht grundlegend vom Ergebnis abweicht, zu dem das vereinbarte Recht geführt hätte, sich die Abweichung also mit dem Ordre public vereinbaren lässt (LALIVE/POUDRET/REYMOND, a.a.O. N. 6 zu
Art. 190 IPRG
, S. 431). Eine ordre-public-widrige Abweichung im Ergebnis macht die Beklagte aber nicht geltend, wenn sie sich damit begnügt, dem Schiedsgericht nebst groben Rechtsverletzungen krasse Unbilligkeit vorzuwerfen. Im übrigen kann von Unbilligkeit keine Rede sein: Nach den im Beschwerdeverfahren nicht auf ihre Richtigkeit zu überprüfenden Tatsachenfeststellungen des Schiedsgerichts hat die Beklagte
BGE 116 II 634 S. 638
von der Bauherrin Zahlungen erhalten, von denen ihr nach Abzug der an ihre Unterakkordanten weitergeleiteten Zahlungen und ohne Berücksichtigung des Erlöses aus dem Ersatzvertrag noch DH 19'780'626 verblieben sind; nach dem Schiedsspruch hat sie der Klägerin von diesem Geld den Werklohn von DH 10'318'689 oder umgerechnet £ 2'265'951 für - mit Ausnahme der "design work" - unstreitig mängelfrei erbrachte und durch "payment certificates" anerkannte Arbeiten zu bezahlen.
b) Nur zwei Einwendungen der Beklagten haben den konkreten Vorwurf zum Gegenstand, im Ergebnis verstosse der Schiedsspruch gegen fundamentale Grundsätze des Ordre public:
Der eine dieser Vorwürfe geht dahin, die Zusprechung des Werklohns von £ 2'265'951 nebst Zins verletze den Grundsatz pacta sunt servanda, da die Parteien in der Pay-when-paid-Klausel i.V.m. der Risk-shifting-Klausel vereinbart hätten, die Klägerin erhalte als Unterakkordantin den Werklohn erst dann von der Beklagten ausbezahlt, nachdem diese ihrerseits von der Bauherrin befriedigt worden sei. Dieser Einwand ist jedoch unbegründet. Wohl sind Verträge einzuhalten. Einzuhalten ist aber nur das, was die Parteien vereinbart haben. Durch Auslegung der beiden Klauseln im Subvertrag vom 17. Mai 1977, die das Bundesgericht nach dem Gesagten nicht überprüfen kann, gelangt das Schiedsgericht zum Schluss, die Bedingung des Zahlungsempfangs hänge unbekümmert darum, für welche Leistungen die Bauherrin Zahlungen erbracht habe, allein davon ab, ob die Beklagte von der Bauherrin ausreichende Zahlungen empfangen habe, um die Klägerin befriedigen zu können. Weil die so ausgelegte Bedingung nach den ebensowenig zu überprüfenden Tatsachenfeststellungen des Schiedsgerichts eingetreten ist, hat die Beklagte keinen vertraglichen Anspruch mehr darauf, der Klägerin den Lohn für die geleisteten Arbeiten vorzuenthalten. Der Grundsatz pacta sunt servanda wäre nur dann verletzt, wenn das Schiedsgericht den Eintritt der Bedingung für die Zahlungsverpflichtung der Beklagten verneint und der Klägerin trotzdem den Werklohn zuerkannt hätte.
Zulässig ist sodann der Einwand, die Zusprechung des Werklohns verletze den Grundsatz von Treu und Glauben, da die Klägerin mit der Risk-shifting-Klausel nicht nur das volle Risiko der Beklagten auf sich genommen, sondern dazu noch in Kenntnis der Zahlungsschwierigkeiten der Bauherrin ihre Arbeiten fortgesetzt habe und sich deshalb nicht in guten Treuen bei der Beklagten
BGE 116 II 634 S. 639
schadlos halten dürfe. Auch dieser Einwand ist unbegründet. Im Schiedsurteil wird einmal festgestellt, dass beide Parteien erst Mitte 1979 ihre Arbeiten eingestellt hätten. Sodann wird aufgrund der Aussagen des Zeugen P., auf den die Beklagte selbst grosses Gewicht legt, festgestellt, die Klägerin habe im Vertrauen darauf, dass die Verhandlungen zwischen der Beklagten und der Bauherrin doch noch zu einem Ergebnis führen würden, ihre Arbeiten fortgesetzt; die Klägerin, "widely at the mercy" der Beklagten, sei von dieser weitgehend im dunkeln gelassen worden und nur sporadisch über ihre Verhandlungen mit der Bauherrin und dem neuen Auftraggeber informiert worden. Ob diese Feststellungen zutreffen, hat das Bundesgericht wiederum nicht zu prüfen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8abfa70a-28a2-4693-bacc-2b0f88a72387 | Urteilskopf
110 Ib 287
50. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. November 1984 i.S. Y. B.V. gegen Eidg. Steuerverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Rückerstattung von Verrechnungssteuern auf Dividenden. Art. 9 Abs. 2 lit. a des schweizerisch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommens vom 12. November 1951/22. Juni 1966.
1. Auslegung eines Staatsvertrages bei veränderten äusseren Umständen (E. 4).
2. Wann gilt die Verbindung zwischen einer niederländischen und einer schweizerischen Gesellschaft als in erster Linie in der Absicht hergestellt, sich die volle Rückerstattung der auf den Dividenden entrichteten Verrechnungssteuern zu sichern? (E. 5)
3. Missbrauchsabsicht bei einer reinen Domizilgesellschaft in Amsterdam, der im Rahmen des gesamten Konzerns keine eigenständige Bedeutung zukommt (E. 6 und 7). | Sachverhalt
ab Seite 288
BGE 110 Ib 287 S. 288
Die Beschwerdeführerin Y. B.V., eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Amsterdam und einem autorisierten Gesellschaftskapital von hfl. 250'000.--, wovon ausgegeben ("issued capital") hfl. 100'000.--, ist eine Tochtergesellschaft der Y. N.V. in Curaçao, die ihrerseits der X. S.A. in Vaduz gehört. Die niederländische Y. B.V. besitzt 3747 Aktien der in Zug domizilierten Z. AG, an der daneben noch die P. Inc., USA, mit 1248 Aktien beteiligt ist. Die Z. AG in Zug dient dem Verkauf von Lastwagen der Marke "Z" nach Saudi-Arabien. Diese Lastwagen werden von der P. Inc. hergestellt. Verantwortlich für den Verkauf waren die von der X.-Gruppe der Z. AG zur Verfügung gestellten Direktoren M. und S.
Die Y. B.V. in Amsterdam erhielt am 20. Juni 1980 auf ihren Z.-Aktien einen erstmaligen, hohen Dividendenertrag, auf dem die Z. AG in Zug die Verrechnungssteuern entrichtete. Gestützt auf das schweizerisch-niederländische Doppelbesteuerungsabkommen vom 12. November 1951/22. Juni 1966 (SR 0.672.963.61; DBA-NL) machte die Y. B.V. die volle Rückerstattung dieser Verrechnungssteuern geltend.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung gewährte der Y. B.V. indessen nur eine Verrechnungssteuerrückerstattung von 20% des Dividendenbetrages. Die Rückerstattung der restlichen 15% verweigerte sie mit der Begründung, die Verbindung zwischen der niederländischen Muttergesellschaft (Y. B.V.) und der schweizerischen Tochtergesellschaft (Z. AG) sei in erster Linie in der Absicht hergestellt worden, sich die volle Rückerstattung zu sichern. Wirtschaftlich betrachtet wäre es naheliegender gewesen, die Beteiligung an der Z. AG in Zug direkt durch die X. S.A. in Vaduz, und nicht über die Y. B.V. in Amsterdam und die Y. N.V. in Curaçao, zu halten.
Das Bundesgericht weist eine Beschwerde der Y. B.V., Amsterdam, gegen den Einsprache-Entscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung ab aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL kann die Steuer auf Dividenden, die einer der beiden Staaten im Abzugswege
BGE 110 Ib 287 S. 289
an der Quelle erhebt, von dem im andern Staat wohnhaften Einkommensempfänger mit dem vollen Betrag zurückgefordert werden, wenn der Empfänger der Dividenden eine Kapitalgesellschaft ist, die mindestens 25% des Gesellschaftskapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft besitzt, vorausgesetzt, dass die Verbindung zwischen den beiden Gesellschaften nicht in erster Linie in der Absicht hergestellt worden ist oder beibehalten wird, sich diese volle Rückerstattung zu sichern. In allen andern Fällen kann nur der 15% der Dividenden über steigende Betrag zurückverlangt werden (Art. 9 Abs. 2 lit. a (ii)).
a)
Art. 9 Abs. 2 DBA-NL
besteht in dieser Fassung erst seit der Änderung dieses Abkommens vom 22. Juni 1966 (AS 1966 S. 1631). In der ursprünglichen Fassung vom 12. November 1951 war vorgesehen, dass derselbe Betrag zurückgefordert werden kann, den der Staat, gegen den sich der Rückerstattungsanspruch richtet, den in seinem Gebiet wohnhaften Einkommensempfängern auf die direkten Steuern anrechnet, sofern der Wohnsitzstaat des Einkommensempfängers Erträgnisse gleicher Art ebenfalls der Besteuerung an der Quelle unterwirft (AS 1952 S. 183). Nach der damaligen Rechtslage führte dies dazu, dass die in der Schweiz erhobene Verrechnungssteuer von einem in den Niederlanden ansässigen Einkommensempfänger in jedem Fall voll zurückgefordert werden konnte (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a des Bundesratsbeschlusses über die Ausführung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Rückerstattung der Quellensteuern von Kapitalerträgen) vom 28. März 1952, AS 1952 S. 326, in der damaligen Fassung; IRENE BLUMENSTEIN, Die Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz mit dem Königreich der Niederlande, ASA 21, S. 171 ff., spez. S. 174/5); es verblieb damals die Belastung mit der schweizerischen Couponsteuer von 5%, die auf den 1. Januar 1967 entfiel. Als das Abkommen von 1951 abgeschlossen wurde, teilten beide Staaten die Ansicht, die Erträgnisse aus beweglichem Kapitalvermögen seien ausschliesslich im Wohnsitzstaat des Empfängers zu besteuern (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung des Abkommens zur Änderung und Ergänzung des Abkommens zwischen der Schweiz und den Niederlanden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern
BGE 110 Ib 287 S. 290
vom Einkommen und vom Vermögen vom 8. Juli 1966, BBl 1966 I 1328).
Mit der im Jahre 1966 beschlossenen Änderung von
Art. 9 Abs. 2 DBA-NL
wurde der inzwischen geänderten Auffassung der Niederlande Rechnung getragen, wonach das Besteuerungsrecht für Dividenden zwischen dem Wohnsitzstaat des Empfängers und dem Staat der Einkommensquelle aufzuteilen sei (Botschaft vom 8. Juli 1966, BBl 1966 I 1328). Diese geänderte Fassung folgte damit zumindest in den Grundprinzipien dem im Juli 1963 von der OECD herausgegebenen Muster eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (vgl. dazu allgemein RIVIER, Droit fiscal suisse, Le droit fiscal international, S. 221 ff.). Art. 10 Abs. 2 dieses Musterabkommens sah - ebenso wie dieselbe Bestimmung im neuen Musterabkommen von 1977 - vor, dass der Vertragsstaat, in dem die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nicht mehr als 5% des Bruttobetrages der Dividenden als Steuer erheben darf, wenn der Empfänger eine Kapitalgesellschaft ist, die unmittelbar über mindestens 25% des Kapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft verfügt. In den anderen Fällen darf die Steuer nicht mehr als 15% betragen. Eine Missbrauchsbestimmung ist im Musterabkommen nicht vorgesehen.
b) Dieser Tendenz sind in der Zwischenzeit die meisten der von der Schweiz mit andern Staaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen gefolgt. Eine Ausnahme bildet nur das Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Königreich Dänemark vom 23. November 1973, das in Art. 10 Ziff. 1 für Dividenden die ausschliessliche Besteuerung im Wohnsitzstaat des Dividendenempfängers vorsieht (RIVIER, a.a.O., S. 221). Alle andern Doppelbesteuerungsabkommen sehen eine Aufteilung der Besteuerung zwischen den Vertragsstaaten vor, wobei aber in 15 Abkommen in Anlehnung an das Musterabkommen der OECD Dividendenempfänger begünstigt werden, sofern sie eine gewisse (in einzelnen unterschiedliche) Mindestbeteiligung an der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft halten (vgl. Steuerentlastungen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen (Ordner, herausgegeben von der Eidgenössischen Steuerverwaltung), Reg. 39; RIVIER, a.a.O., S. 222-224; HÖHN, Doppelbesteuerungsrecht, S. 241; HÖHN, Überblick über die Besteuerung von Vermögen, Vermögensertrag und Vermögensgewinn, in Handbuch des internationalen Steuerrechts der Schweiz, S. 303 ff.). Die Begünstigung für Dividendenempfänger
BGE 110 Ib 287 S. 291
mit einer gewissen Mindestbeteiligung geht aber in keinem Abkommen so weit wie im DBA-NL (vgl. Steuerentlastungen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen, Reg. 39).
c) Es liegt auf der Hand, dass diese geltende Rechtslage zu Missbräuchen führen kann. Da sich die steuerliche Entlastung für Dividendenempfänger mit einer gewissen Mindestbeteiligung nur für in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaften auf den vollen Betrag der Verrechnungssteuern beläuft, in andern Ländern aber geringer ist oder - mangels eines Doppelbesteuerungsabkommens - überhaupt nicht gewährt wird, besteht ein besonderer Anreiz, die Beteiligung an einer schweizerischen Gesellschaft rein zur Steuerersparnis über eine in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft zu halten. Im immer mehr verbreiteten System der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen Wohnsitzstaat und dem Staat der Einkommensquelle bildet die im DBA-NL vorgesehene vollständige Entlastung von der schweizerischen Verrechnungssteuer für Dividendenempfänger mit einer Mindestbeteiligung von 25% ein Relikt aus der Zeit, in der die Besteuerung der Dividendenerträge grundsätzlich dem Wohnsitzstaat des Empfängers zugewiesen worden war. Naturgemäss bedarf eine derartige Regelung einer Missbrauchsklausel, wie sie Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL enthält. Dies ist um so mehr notwendig, wenn der andere Vertragsstaat seinerseits mit weiteren Staaten sehr weitgehende Entlastungen in Doppelbesteuerungsabkommen geregelt hat, wie dies bei den Niederlanden der Fall ist.
4.
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, eine allenfalls wünschbare Begrenzung der Rückerstattung dürfe nicht durch eine strengere Anwendung der staatsvertraglichen Bestimmungen, sondern nur über eine Revision des Abkommens erwirkt werden, ist nicht haltbar. Bei veränderten äusseren Umständen darf ein Staatsvertrag gegebenenfalls strenger ausgelegt und angewendet werden als früher, zumindest soweit dabei der Rahmen des Wortlautes nicht verlassen wird (vgl. zur Auslegung nach dem Wortlaut
BGE 97 I 363
E. 3, mit weiteren Hinweisen; umfassender die Auslegungsregel in Art. 31 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969; siehe auch HÖHN, Funktion, Begriff und Rechtsquellen des internationalen Steuerrechts, in Handbuch des internationalen Steuerrechts der Schweiz, S. 71 ff.; RIVIER, a.a.O., S. 99 ff.). Der Einwand der Beschwerdeführerin, seit dem Abschluss des schweizerisch-holländischen DBA hätten zahlreiche nicht-holländisch beherrschte niederländische Gesellschaften
BGE 110 Ib 287 S. 292
wesentliche Beteiligungen an schweizerischen Domizilgesellschaften gehalten, ohne dem Vorwurf des Missbrauches ausgesetzt zu sein, so dass auch sie sich auf diese etablierte Praxis habe verlassen können, ist daher nicht stichhaltig. Selbst wenn die Behauptung der Beschwerdeführerin zutreffen sollte, stünde die bisherige Praxis einer künftig strengeren Auslegung des Wortlautes von Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL nicht im Wege.
5.
Das Bundesgericht hatte sich bisher nie mit der Auslegung von Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL zu befassen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung ihrerseits hat nur einen Einsprache-Entscheid vom 25. April 1979 i.S. X. veröffentlicht (ASA 48, S. 271 ff.), der diese Bestimmung zum Gegenstand hat. Im vorliegenden Fall hat daher das Bundesgericht erstmals die Tragweite von Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL zu ermitteln.
a) Ob im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL die Verbindung zwischen den beiden betroffenen Gesellschaften in erster Linie in der Absicht hergestellt worden ist oder beibehalten wird, sich die volle Rückerstattung zu sichern, ist unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Das subjektive Moment der Absicht kann naturgemäss nur anhand objektiver Gegebenheiten ermittelt werden, wobei die Gesamtheit der für oder gegen das Vorliegen der Missbrauchsabsicht sprechenden Umstände entscheidend ist. "In erster Linie" bedeutet dabei, dass keines der anderen, in Betracht fallenden Momente für die Herstellung einer Verbindung zwischen den beiden betroffenen Gesellschaften für sich genommen das gleiche Gewicht hat wie die Absicht, sich die volle Rückerstattung zu sichern. Dass die rein missbräuchlichen Motive alle anderen Gründe bei weitem überlagern müssten, trifft entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführerin nicht zu. Im übrigen muss für die Auslegung dieser Bestimmung die vom Bundesgericht entwickelte Praxis zur Steuerumgehung nicht herangezogen werden. Erforderlich ist allein das subjektive Moment der Missbrauchsabsicht. Im Vertragstext ist weder von einer ungewöhnlichen Gestaltungsweise noch von einer effektiven Steuereinsparung die Rede. Derartigen Umständen kommt keine selbständige Bedeutung zu; sie spielen allenfalls zusammen mit anderen Aspekten bei der Feststellung der Missbrauchsabsicht eine Rolle.
b) Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL schliesst grundsätzlich niederländische Kapitalgesellschaften, deren Aktionäre nicht in den Niederlanden Wohnsitz haben, keineswegs von der vollen Rückerstattung der an der Quelle erhobenen schweizerischen Steuer aus.
BGE 110 Ib 287 S. 293
Handelt es sich bei einer solchen niederländischen Kapitalgesellschaft um ein Fabrikations- oder Handelsunternehmen der gleichen oder einer ergänzenden Branche, so werden im allgemeinen sachlich einleuchtende Gründe für die Herstellung der Verbindung zwischen den beiden Gesellschaften bestehen, die eine Missbrauchsabsicht von vornherein als wenig wahrscheinlich erscheinen lassen. Dasselbe wird in der Regel bei niederländischen Dienstleistungsunternehmen der Fall sein, die mit einer schweizerischen Tochtergesellschaft zusammenarbeiten.
c) Anders ist dagegen meist die Sachlage, wenn es sich bei der niederländischen Muttergesellschaft, deren Aktionäre ihren Wohnsitz nicht in den Niederlanden haben, um eine reine Holdinggesellschaft handelt. Die Beteiligung einer solchen niederländischen Holdinggesellschaft an einer schweizerischen Aktiengesellschaft kann zwar sachlich begründet sein, etwa aus betriebswirtschaftlichen Gründen - z.B. zur regionalen oder branchenweisen Zusammenfassung bestimmter Unternehmungen unter einheitlicher Leitung - oder wegen wirtschaftspolitischer Massnahmen von Drittstaaten. Motive "allgemein unternehmenspolitischer Art" oder gar die sogenannte Steuerplanung eines Konzerns dagegen genügen nicht, um die für das Vorliegen einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der vollen Quellensteuerrückerstattung sprechenden Indizien zu entkräften.
Auf jeden Fall wird in der Regel die Verbindung zwischen einer schweizerischen und einer niederländischen Gesellschaft dann in erster Linie in der Absicht hergestellt oder beibehalten, sich die volle Rückerstattung zu sichern, wenn die niederländische Gesellschaft in den Niederlanden selbst keine effektive Geschäftstätigkeit ausübt und auch die Verwaltung, die Leitung der laufenden Geschäfte und die Unternehmensführung nicht in den Niederlanden besorgt werden. Eine derart als reine Domizilgesellschaft ausgestaltete Holdinggesellschaft mit nicht in den Niederlanden ansässigen Aktionären verfügt in den Niederlanden bloss über einen formellen Sitz. Im Sinne der Missbrauchsklausel von Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL ist einer solchen reinen Domizilgesellschaft im Zweifel die volle Rückerstattung der an der Quelle erhobenen schweizerischen Verrechnungssteuer zu versagen.
6.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich ganz offensichtlich um eine solche reine Domizilgesellschaft, der im Rahmen des gesamten Konzerns keine eigenständige Bedeutung zukommt.
BGE 110 Ib 287 S. 294
a) Wie sich den Akten entnehmen lässt, verfügt die Beschwerdeführerin in Amsterdam offenbar weder über eigene Büroräumlichkeiten noch über eigenes Personal. Für die Geschäftsleitung wurden pro Jahr nur feste hfl. 20'000.-- als Aufwand ausgewiesen. Selbst die für die Beschwerdeführerin tätigen Direktoren M. und S. stehen nicht mit ihr, sondern mit der X. S.A. in einem arbeitsvertraglichen Verhältnis. Auch die Einnahmenstruktur der Y. B.V. ist dementsprechend äusserst einseitig, weisen doch die Gewinn- und Verlustrechnungen seit 1978 als Ertrag vorwiegend die von der Z. AG ausgeschütteten Dividenden aus.
b) Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Sie hat in keiner Weise substantiiert, inwiefern ihre angeblichen Dienstleistungen mit der Z. AG etwas zu tun hatten und deshalb die Beteiligung hätten rechtfertigen können. Ob sie überhaupt irgendwelche Dienstleistungen erbracht hat, ist zweifelhaft, da ihre Betriebsrechnungen keine entsprechenden Erträge ausweisen. Die Zweigstellen in Brüssel und Madrid dienten der X. S.A. und dem Konzern als Büros und Adressen. Sie hatten keinerlei Kompetenzen, irgendwelche Geschäfte zu bearbeiten oder gar abzuschliessen, so dass sie nicht geeignet sind, den Beweis für eine effektive Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin zu erbringen.
c) Als reine Domizilgesellschaft ohne eigene Geschäftstätigkeit hatte die Beschwerdeführerin im Rahmen des gesamten Konzerns offenkundig nur eine Art "Durchlauffunktion". Mit einem "issued capital" von nur hfl. 100'000.-- war sie nicht in der Lage, die ihr zufallenden Aktien der Z. AG im Nominalbetrag von SFr. 3'750'000.-- zu liberieren. Sie war nach ihren eigenen Angaben für die Gründung der Z. AG auf Darlehen von der X.-Gruppe angewiesen. Die einzelnen, von der Z. AG geleisteten Zahlungen in der Form von Darlehen, die im Jahre 1980 mit der erstmals ausgeschütteten Dividende verrechnet wurden, hat sie jeweils unmittelbar nach Erhalt an ihre Muttergesellschaft, die Y. N.V. in Curaçao, weitergeleitet.
d) Auffallend ist auch die kurze Zeitspanne, die zwischen den Gründungsdaten der Beschwerdeführerin und der Z. AG liegt. Die Beschwerdeführerin ist offensichtlich im Hinblick auf die in Zug zu gründende Z. AG errichtet worden. Dass die Aktien der am 16. März 1977 gegründeten Z. AG erst am 27. August 1978 übernommen worden sein sollen, steht dem nicht entgegen, da die Beschwerdeführerin selbst zugibt, Gründerin der Z. AG zu sein und bereits am 24. Mai 1977 mit der anderen Aktionärin der
BGE 110 Ib 287 S. 295
Z. AG, der P. Inc., USA, einen Aktionärbindungsvertrag abgeschlossen hat.
7.
Eine Würdigung aller Umstände, die die Eidgenössische Steuerverwaltung einlässlich abgeklärt und im angefochtenen Einsprache-Entscheid dargelegt hat, lässt keinen anderen Schluss zu als die Annahme, die Verbindung zwischen der Beschwerdeführerin und der Z. AG sei in erster Linie - wenn nicht ausschliesslich - in der Absicht hergestellt worden, die volle Rückerstattung der in der Schweiz erhobenen Verrechnungssteuern auf den Dividenden der Z. AG zu sichern. Die Beschwerdeführerin hat im ganzen Verfahren ausser steuerlichen Gründen und (nicht näher erläuterten) Motiven "allgemein unternehmenspolitischer Art" keine Momente vorgebracht, die für die Herstellung ihrer Beziehung zur Z. AG im Rahmen der X.-Gruppe sachlich einleuchten würden. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat daher die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Rückerstattung von Verrechnungssteuern zu Recht in Anwendung von Art. 9 Abs. 2 lit. a (i) DBA-NL verweigert. In der Hauptsache ist somit die Beschwerde abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8ac17828-65ec-4b39-afbe-2da4a65a058b | Urteilskopf
101 II 69
15. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 29 avril 1975 dans la cause X. et Y. S.A. contre A. S.A. | Regeste
Art. 41 f. OR, Haftung wegen Ausstellung eines falschen Arbeitszeugnisses. Unerlaubte Handlung durch Ausstellung eines falschen Zeugnisses zugunsten des Angestellten einer Aktiengesellschaft. Solidarische Haftung der Gesellschaft und ihres Verwalters (Erw. 2).
Adäquater Kausalzusammenhang zwischen dieser unerlaubten Handlung und dem Schaden, den der neue Arbeitgeber erlitten hat (Erw. 3).
Herabsetzung der Ersatzpflicht wegen Mitverschuldens des Geschädigten (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 101 II 69 S. 69
A.-
C. a travaillé du 1er octobre 1961 au 31 décembre 1965 au service de la société D., qui contrôle l'association Z. dont X. est président. Il a été engagé dès le 1er janvier 1966, en qualité de sous-directeur administratif, par Y. S.A., dont X. est administrateur délégué et président du conseil d'administration. En janvier 1968, C. a prélevé auprès de la Société de banque suisse, sur le compte de Y. S.A., la somme de 25'000.-- fr.
BGE 101 II 69 S. 70
au moyen d'un bon de caisse de cette banque signé en blanc par X. et un directeur commercial, et a utilisé cette somme à des fins personnelles. Y. S.A. n'a pas porté plainte, mais elle a muté C. à un autre poste et lui a fixé un délai au 31 juillet 1968 pour trouver un autre emploi. C. s'est engagé envers elle à rembourser sa dette par mensualités de 500 fr. Dans une lettre du 22 mai 1968, Y. S.A. l'a assuré que s'il remplissait ponctuellement ses obligations selon les arrangements financiers conclus, elle n'en ferait pas état auprès de ses nouveaux employeurs. A la demande de C., X. lui a délivré le certificat suivant:
"Nous attestons que
Monsieur C.
a été au service de D., du 1er octobre 1961 au 31 décembre 1965. Il nous a quitté à cette époque pour entrer au service de Y. S.A., société à la création de laquelle notre Association a participé et à laquelle il a très activement collaboré.
Engagé d'abord comme "Contrôleur" appelé à vérifier le respect des obligations de nos Sociétaires, Monsieur C. s'est vu confier ensuite d'autres tâches administratives, tant de D. que de l'association, notamment la tenue de leur comptabilité.
Intelligent, actif, dynamique, bilingue, Monsieur C. a rempli ses différentes tâches à notre entière satisfaction. Il a préféré poursuivre sa carrière avec Y. S.A. qui s'est ainsi attaché un collaborateur de valeur. Monsieur C. nous a quitté à l'époque, libre de tous engagements.
Apte à remplir des fonctions supérieures, il rendra, nous en sommes persuadés, d'éminents services à qui s'assurera sa collaboration. C'est avec plaisir que nous le recommandons vivement. Nos meilleurs voeux l'accompagnent.
Le 10 juin 1968.
ASSOCIATION Z.
Le Président:
(signé) X."
C. n'ayant pas trouvé d'emploi au terme fixé, Y. S.A. lui a imparti un nouveau délai au 31 décembre 1968, date à laquelle son activité a pris fin. X. lui a délivré un certificat daté du 31 décembre 1968 dont la teneur est la suivante
"Nous attestons que
Monsieur C.
a été au service de notre Société dès sa création en janvier 1969 (recte: 1966) jusqu'à ce jour.
Chargé d'abord de la résolution des problèmes comptables, il fut, dès le 1er janvier 1965 (recte: 1966), nommé sous-directeur et chargé de
BGE 101 II 69 S. 71
la direction des services administratifs. Dès janvier 1968 et à la suite d'une réorganisation de nos services, Mr C. a été appelé à prendre la direction d'un nouveau département.
Nous nous faisons un plaisir de rendre hommage à la compétence et à l'assiduité de Mr C. qui dispose d'une formation commerciale et industrielle complète. Son activité nous a toujours donné complète satisfaction et c'est en toute conscience que nous pouvons le recommander. Monsieur C. nous quitte libre de tous engagements et nos voeux l'accompagnent dans sa nouvelle carrière.
Y. S.A.
Le Président,
(signé) X."
Après avoir quitté Y. S.A. et occupé un autre emploi durant quatre mois, C. a cherché une nouvelle situation par voie d'annonce. A., administrateur unique de A. S.A., a répondu à l'annonce et a eu une entrevue avec C., qui lui a présenté les certificats délivrés par D. et Y. S.A. A. S.A. l'a engagé à l'essai dès le 5 mai 1969 en qualité de responsable administratif.
De juillet 1969 à février 1970, C. a commis des détournements pour plus de 500'000.-- fr. au préjudice de A. S.A. Il a notamment prélevé dans deux banques des sommes qui ne sont pas entrées en caisse, pour un montant total de 366'000.-- fr. Il se faisait généralement remettre les fonds et délivrait ensuite à la banque une quittance signée par A., à qui il indiquait la destination des sommes prélevées. A. n'a jamais contrôlé si l'argent retiré par C. et destiné à un but précis avait bien été utilisé conformément à ce but. Il n'a pas non plus vérifié les soldes trimestriels que lui envoyaient les banques, du fait que C. lui donnait une situation mensuelle. Il a contrôlé les soldes des comptes bancaires et les bilans, mais pas les extraits en compte d'une manière détaillée; il n'a pas vérifié le bilan d'après ces extraits de compte. A. avait entière confiance en C. qui, dès le début de son emploi, s'était montré particulièrement qualifié.
A. S.A. a eu connaissance en janvier-février 1970 des actes délictueux commis à son préjudice par C. Elle a déposé plainte pénale contre lui. Le 23 décembre 1970, C. a été condamné à quatre ans d'emprisonnement pour abus de confiance et faux dans les titres, en raison notamment des infractions commises au préjudice de A. S.A. Par transaction du 22 décembre 1970, il avait reconnu devoir à celle-ci 404'000.-- fr. et s'était engagé à
BGE 101 II 69 S. 72
lui rembourser 400 fr. par mois dès le cinquième mois après sa libération.
B.-
Après des poursuites frappées d'opposition, A. S.A. a ouvert action contre X. et Y. S.A. en concluant, principalement, à la condamnation solidaire des deux défendeurs à lui payer 297'000.-- fr. avec intérêt, subsidiairement à la condamnation de X. seul à lui payer cette somme. En tout état de cause, la demanderesse donnait acte aux défendeurs "que moyennant paiement par eux des dommages-intérêts qui lui seront alloués par le Tribunal, A. S.A. leur fera cession, jusqu'à due concurrence, des droits qui lui ont été conférés par C. dans la convention-transaction du 22 décembre 1970".
Les défendeurs ayant conclu à libération et contesté le caractère illicite de leurs agissements, la demanderesse a porté plainte pénale contre X. Celui-ci, libéré en première instance, a été condamné le 14 février 1973 en deuxième instance à 1'000.-- fr. d'amende pour faux dans les certificats. Le Tribunal fédéral a rejeté un pourvoi en nullité formé par X.
A. S.A. a récupéré 107'000.-- fr. de la part de C., qui avait commencé à rembourser sa dette après sa libération. Décédé le 8 avril 1974, il devait encore 392'478 fr. 75 à A. S.A. Sa succession a été répudiée.
Après déduction de 100'000.-- fr. qui lui avaient été versés par deux banques, la demanderesse a réduit ses conclusions à 292'000.-- fr.
Par jugement du 4 novembre 1974, le Tribunal cantonal a admis partiellement la demande et condamné les défendeurs à payer solidairement à la demanderesse 150'000.-- fr. avec intérêt à 5% dès le 23 mars 1971.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en réforme principal des défendeurs et le recours joint de la demanderesse, et confirmé le jugement attaqué.
Erwägungen
Extraits des considérants:
2.
Les défendeurs ne contestent plus, avec raison, le caractère illicite des agissements de X. Celui-ci a manifestement transgressé une injonction de l'ordre juridique en établissant un faux certificat et en commettant par là l'infraction réprimée par l'art. 252 CP. Il savait que C. avait détourné 25'000.-- fr. au préjudice de Y. S.A. et que cet abus de confiance
BGE 101 II 69 S. 73
avait été déguisé par la suite en un contrat de prêt, garanti par la cession de deux polices d'assurance-vie et remboursable par mensualités de 500 fr. au moins dès février 1968, le débiteur autorisant d'ores et déjà le créancier à retenir ce montant sur son traitement. C'est ainsi contrairement à la vérité que X. a déclaré, dans le certificat daté du 31 décembre 1968, que l'activité de C. lui avait toujours donné complète satisfaction, qu'il pouvait le recommander en toute conscience et que C. quittait Y. S.A. libre de tous engagements. X. a agi avec conscience et volonté.
Y. S.A. ne conteste pas qu'elle réponde de l'acte illicite de son administrateur ni qu'il y ait entre eux solidarité (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2e éd., I p. 300; cf. RO 48 II 157).
3.
Les défendeurs nient l'existence d'un rapport de causalité adéquate entre l'acte illicite retenu à leur charge et le dommage subi par la demanderesse à la suite des détournements commis par C.
Le Tribunal fédéral doit se limiter à examiner si la causalité naturelle constatée par l'autorité cantonale est adéquate (RO 96 II 396, 98 II 290 s. consid. 3).
a) La causalité est adéquate si, d'après le cours ordinaire des choses et l'expérience de la vie, le fait considéré était propre à entraîner un effet du genre de celui qui s'est produit, la survenance de ce résultat paraissant de façon générale favorisée par une telle circonstance (RO 89 II 250, 93 II 337, 96 II 396, 98 II 291).
Le juge appelé à se prononcer sur l'existence d'un rapport de causalité adéquate doit se demander, en face d'un enchaînement concret de circonstances, s'il était probable que le fait considéré produisît le résultat intervenu. A cet égard, ce n'est pas la prévisibilité subjective mais la prévisibilité objective du résultat qui compte (RO 81 II 444 s., 87 II 127 s., 307 s.).
b) En l'espèce, le certificat établi par X., en qualité d'administrateur de Y. S.A., était manifestement propre à provoquer l'engagement de C. par la demanderesse, selon le cours ordinaire des choses et l'expérience de la vie. D'ailleurs, la juridiction cantonale constate en fait que c'est sur la foi des certificats de D. et d'Y. S.A. que C. a été engagé.
L'acte illicite de X., dont répond Y. S.A., était en outre
BGE 101 II 69 S. 74
propre à faire croire à l'administrateur et directeur de la demanderesse, suivant le cours ordinaire des choses et l'expérience de la vie, qu'il pouvait faire confiance à C. et qu'il n'y avait pas lieu de le contrôler ni de le surveiller d'une manière particulièrement attentive, même pendant la période d'essai de huit mois prévue lors de son engagement. En effet, dans le certificat de Y. S.A., X. atteste que C. avait été chargé d'abord de la solution de problèmes comptables, qu'il avait été nommé sous-directeur administratif et qu'il disposait d'une formation commerciale et industrielle complète. Mais il ne se borne pas à donner ces renseignements objectivement exacts. Il affirme faussement que c'est à la suite d'une réorganisation des services de Y. S.A. que C. avait été appelé à prendre la direction d'un nouveau département, alors qu'il avait été muté à ce poste à cause du détournement de 25'000.-- fr. dont il s'était rendu coupable. Y. S.A. déclare en outre se faire un plaisir de rendre hommage à la compétence et à l'assiduité de C., affirme contrairement à la vérité que son activité lui a toujours donné complète satisfaction, qu'il la quitte libre de tous engagements et qu'elle peut le recommander en toute conscience, et termine en formant pour lui des voeux dans sa nouvelle carrière. Comme C. était qualifié, intelligent, qu'il inspirait confiance et qu'il avait d'emblée donné satisfaction dans son travail de responsable administratif, l'administrateur de la demanderesse s'est trouvé confirmé dans les assurances que lui avaient données les certificats très élogieux établis par X. C'est à la suite de cet ensemble de circonstances que C. a pu commettre des importants détournements de fonds au préjudice de la demanderesse. Les certificats rédigés par X. au nom de maisons connues, lui-même étant un industriel de renom, ont permis à C. de se faire engager par la demanderesse et ont amené l'administrateur et directeur de cette entreprise à lui faire entière confiance. Le rapport de causalité entre l'acte illicite de X. et le dommage subi par la demanderesse est donc adéquat.
c) Les défendeurs prétendent à tort que la causalité adéquate a été interrompue par la faute concomitante de la demanderesse. Certes, en ne contrôlant pas C., celle-ci a contribué à la survenance du dommage. Mais elle avait d'autant moins de raison d'exercer une surveillance particulière que les qualifications professionnelles de C., constatées d'emblée par A., avaient corroboré les certificats établis par X.
BGE 101 II 69 S. 75
Quant à la passion du jeu de C. invoquée par les défendeurs, pour autant qu'elle existât, rien ne permet d'admettre que la demanderesse ait pu la connaître. Il n'a pas non plus été prouvé que C. aurait eu un genre de vie incompatible avec sa situation professionnelle, et de nature à attirer l'attention de la demanderesse.
Si les négligences de celle-ci ont contribué à produire le dommage, elles n'ont pas interrompu la causalité adéquate entre l'acte illicite de X., dont répond Y. S.A., et ce préjudice.
La faute de la demanderesse n'est pas prépondérante au point de rejeter à l'arrière-plan l'acte illicite du défendeur: l'une et l'autre ont joué un rôle causal dans la survenance du dommage.
5.
Dans son recours joint, la demanderesse conteste avoir commis une faute concurrente qui justifie une réduction des dommages-intérêts, selon l'art. 44 al. 1 CO. Se prévalant du principe de la confiance, elle allègue qu'elle n'avait aucune raison d'exercer sur C. une surveillance particulière.
Certes, les certificats établis par X. ont joué un rôle déterminant dans l'engagement de C. et ont fait croire à A., qui y a accordé foi, qu'il pouvait avoir entière confiance dans ce nouveau collaborateur, si chaudement recommandé par ses précédents employeurs. Les excellents renseignements contenus dans ces certificats, la confiance que C. inspirait, la bonne impression qu'il avait faite à A. et le fait qu'il avait d'emblée manifesté ses réelles qualifications professionnelles dans l'accomplissement de son travail de responsable administratif expliquent qu'une certaine liberté lui ait été laissée et qu'un contrôle rigoureux n'ait pas été exercé sur lui.
D'autre part, la période d'essai de huit mois prévue lors de l'engagement visait vraisemblablement non pas à permettre à la demanderesse de s'assurer de l'honnêteté de C. et de sa correction dans l'emploi des fonds de son employeur, qualités dont les certificats semblaient être garants, mais à déterminer s'il était bien à sa place dans le poste de responsable administratif qui lui était confié.
La demanderesse a toutefois fait preuve de négligence en omettant toute surveillance efficace à l'égard de son employé pendant des mois. S'il est compréhensible que l'administrateur unique d'une entreprise industrielle, surchargé de travail, ne vérifie pas personnellement les relevés bancaires mensuels et
BGE 101 II 69 S. 76
trimestriels, ni ne les compare lui-même avec la comptabilité et les fonds en caisse, il doit cependant organiser ses différents services de façon à ce que les opérations bancaires et l'utilisation des fonds qui en proviennent soient réellement contrôlées. On peut aussi concevoir qu'A. ait signé les quittances pour les fonds prélevés en banque en vue du but précis indiqué par C., parce qu'il avait confiance en lui. Mais il n'est pas normal qu'aucune vérification n'ait été opérée pendant des mois sur l'utilisation de ces fonds conformément à leur destination. L'omission de contrôler C. à cet égard constitue une négligence qui a joué un rôle causal incontestable dans la survenance du dommage consécutif aux détournements de fonds commis au préjudice de la demanderesse.
L'acte illicite de X., dont Y. S.A. répond, et la négligence imputable à la demanderesse, en raison du manque de surveillance sur C., constituent ainsi des causes adéquates concurrentes du préjudice.
La détermination des parts respectives de responsabilité des défendeurs, d'un côté, et de la demanderesse, de l'autre, est une question de droit qui relève toutefois dans une large mesure de l'appréciation. La juridiction cantonale n'a pas mésusé de son pouvoir d'appréciation, ni violé l'art. 44 al. 1 CO, en admettant que ces parts étaient à peu de chose près égales et en considérant que, compte tenu du dol initial des défendeurs lors de l'établissement des certificats, il était justifié de les condamner à payer à la demanderesse 150'000.-- fr., soit un peu plus de la moitié du dommage qu'elle subit. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8ac2413e-02a7-4161-8f97-907b0bc96ecb | Urteilskopf
110 V 351
58. Arrêt du 21 décembre 1984 dans la cause A. contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 45 Abs. 1 und 2 VwVG
. Der Rechtsuchende hat einen formellen Anspruch darauf, von dem im Gesetz bezeichneten Richter beurteilt zu werden. Daraus folgt, dass immer dann, wenn ein Richter durch einen Zwischenentscheid über seine Zuständigkeit befindet - sei es, dass er sich als zuständig erklärt und eine Partei seine Zuständigkeit bestreitet, sei es, dass er sich als unzuständig erklärt und die Prozessakten einem andern Richter überweist -, ein Entscheid vorliegt, der für die Partei, die ihn bestreitet, einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil formeller und ideeller Natur bewirken kann (Erw. 1).
Art. 32 Abs. 4 des schweizerisch-französischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 3. Juli 1975, Art. 1 und 46 der Verwaltungsvereinbarung vom 3. Dezember 1976 zur Durchführung des Abkommens. Die schweizerisch-französische Erklärung vom 1. Februar 1913 betreffend die Übermittlung von gerichtlichen und aussergerichtlichen Aktenstükken sowie von Requisitorien in Zivil- und Handelssachen ist, wenn in AHV-Sachen erlassene Verfügungen der Ausgleichskassen nach Frankreich zuzustellen sind, nicht anwendbar, auch nicht analog oder als ergänzendes Recht. In solchen Fällen sind allein die vorgenannten staatsvertraglichen Bestimmungen anwendbar (Erw. 3).
Art. 64 Abs. 2 AHVG
, Art. 81 Abs. 3 und 117 Abs. 2 und 3 AHVV. Massgebendes Kriterium, wenn es im Rahmen des
Art. 81 Abs. 3 AHVV
zu wählen gilt zwischen der Rekursbehörde des Kantons, in welchem eine Unternehmung ihren Hauptsitz, und derjenigen des Kantons, in welchem sie ihre Zweigniederlassung hat. Zuständig ist die Rekursbehörde desjenigen Kantons, dessen kantonaler Ausgleichskasse die Unternehmung angeschlossen ist. Diese Lösung entspricht
Art. 200 Abs. 4 AHVV
(Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 352
BGE 110 V 351 S. 352
A.-
La Caisse de compensation du canton de Genève a, en se fondant sur l'
art. 52 LAVS
, produit une créance de ... francs dans la faillite de l'entreprise X S.A. dont le siège principal se trouvait dans le canton du Valais mais dont l'exploitation était située dans le canton de Genève où la société anonyme possédait une succursale inscrite au registre du commerce. Selon un acte de défaut de biens, délivré à la créancière par un office des faillites valaisan, le montant resté impayé de la créance produite dans la faillite s'élève à ... francs.
Par décision du 28 janvier 1982, la caisse a sommé A., ancien administrateur de la faillie, de lui verser la somme précitée à titre de réparation du dommage qu'elle subissait, tout en le rendant attentif à la possibilité de former opposition contre cette décision. Envoyée sous pli recommandé à l'adresse de l'appartement que A.
BGE 110 V 351 S. 353
possédait à Megève (France), la décision fut renvoyée à son expéditeur, le 22 février 1982, avec la mention "non réclamé". Considérant que A. n'avait pas fait opposition à sa décision en temps utile, la caisse lui fit notifier, le 4 mai 1982, par l'Office des poursuites de Lausanne-Est, un commandement de payer la somme de ... francs plus intérêt à 6% dès le 1er février 1982, auquel le poursuivi fit opposition. Par arrêt du 26 août 1982, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois annula la décision de mainlevée prononcée par le président du Tribunal du district de Lausanne et maintint l'opposition formée par A. La juridiction cantonale a considéré que la notification en France par la voie postale de la décision administrative du 28 janvier 1982 n'était pas valable au regard de l'art. 2 de la Déclaration entre la Suisse et la France relative à la transmission des actes judiciaires et extrajudiciaires et les commissions rogatoires en matière civile et commerciale du 1er février 1913, entrée en vigueur le 1er mai suivant (RS 0.274.183.491).
Le 19 novembre 1982, la caisse rendit une nouvelle décision par laquelle elle réclamait derechef à A. la somme de ... francs. Conformément à la Déclaration franco-suisse précitée, elle s'adressa au Procureur général de Genève pour qu'il fasse notifier cet acte administratif à l'adresse française de son destinataire, ce qui se révéla impossible, ce dernier ne se rendant que rarement dans l'appartement qu'il possédait à Megève. De même, une tentative de notification à son adresse à Pully par l'intermédiaire du Tribunal du district de Lausanne échoua, l'intéressé ayant apparemment quitté cette localité le 19 août 1974.
Simultanément, la caisse expédia un second exemplaire de sa décision du 19 novembre 1982 à l'adresse de A. à Lausanne, où il est titulaire d'une case postale. Ce pli fut remis à l'ayant droit le 22 novembre 1982.
Par lettre du 16 décembre suivant, Me D., avocat à Genève, déclarant agir au nom de A., informa la caisse que son mandant, domicilié effectivement à Megève, mais effectuant de fréquents voyages à l'étranger, faisait opposition totale à la réclamation dont il était l'objet.
B.-
Par acte du 21 décembre 1982, la caisse porta le cas devant la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS, en concluant au rejet de l'opposition formée contre sa décision par A.
BGE 110 V 351 S. 354
Agissant par son mandataire, ce dernier conclut à l'annulation de la décision litigieuse. Outre divers arguments ayant trait au fond, il fit valoir que la notification de l'acte administratif en cause était irrégulière faute d'avoir été faite à l'adresse de son domicile et de sa résidence principale, à Megève. Il contestait également la compétence ratione loci de la juridiction genevoise, arguant que selon l'
art. 58 Cst.
il devait être recherché devant son juge naturel, à savoir le juge français de son domicile ou, éventuellement, le juge vaudois si l'autorité de recours parvenait à la conclusion qu'il était domicilié à Lausanne.
Par décision incidente du 16 février 1984, les premiers juges, sans se prononcer sur l'argument tiré de l'irrégularité prétendue de la notification de l'acte administratif litigieux, ont estimé que la jurisprudence en la matière les dispensait de déterminer le domicile de A. Considérant, d'une part, que le centre d'exploitation de la faillie était situé dans le canton de Genève et, d'autre part, que le litige concernait une caisse genevoise, ils se sont déclarés compétents pour examiner l'affaire au fond "parce qu'ils se trouvaient matériellement et géographiquement les plus proches de l'objet du litige".
C.-
Toujours représenté par Me D., A. interjette recours de droit administratif contre ce jugement incident et conclut à son annulation. Il demande au Tribunal fédéral des assurances de dire, d'une part, que la décision de la caisse est nulle et de nul effet pour ne lui avoir pas été notifiée valablement et, d'autre part, que la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS n'est pas compétente pour statuer sur la demande de la caisse du 21 décembre 1982.
La caisse intimée conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales dans son préavis.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Aux termes de l'
art. 97 al. 1 OJ
, applicable en vertu de l'
art. 128 OJ
, le Tribunal fédéral des assurances connaît en dernière instance des recours de droit administratif contre des décisions au sens de l'
art. 5 PA
. En ce qui concerne les décisions incidentes, le deuxième alinéa de cette disposition renvoie à l'
art. 45 PA
, de sorte que le recours de droit administratif n'est recevable - séparément d'avec le fond - que contre les décisions de cette nature qui peuvent causer un préjudice irréparable au recourant. Il faut, au
BGE 110 V 351 S. 355
surplus, conformément à l'art. 129 al. 2 en liaison avec l'
art. 101 let. a OJ
, que le recours de droit administratif soit également ouvert contre la décision finale (
ATF 109 V 231
consid. 1, GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2e éd., p. 140 ss; KNAPP, Précis de droit administratif, 2e éd., p. 288 No 1246).
b) Parmi les décisions incidentes qui peuvent être déférées au Tribunal fédéral des assurances par la voie du recours de droit administratif, en vertu des dispositions légales susmentionnées, figurent, selon l'
art. 45 al. 2 let. a PA
, les décisions sur la compétence, c'est-à-dire celles par lesquelles l'autorité inférieure soit constate qu'elle est compétente si une partie conteste sa compétence (
art. 9 al. 1 PA
), soit au contraire prend une décision d'irrecevabilité si elle se tient pour incompétente et qu'une partie prétend qu'elle est compétente (
art. 9 al. 2 PA
).
c) Ainsi qu'il est rappelé au consid. 1a ci-dessus, une décision incidente n'est séparément susceptible de recours qu'à la condition qu'elle puisse causer un préjudice irréparable au recourant (
art. 45 al. 1 PA
), condition dont le Tribunal fédéral examine si elle est réalisée dans tous les cas de recours formés contre des décisions incidentes (
ATF 109 V 231
consid. 1).
Selon la jurisprudence, la notion de dommage irréparable n'est pas exactement la même dans la procédure du recours de droit administratif et dans celle du recours de droit public. Saisi d'un recours de droit administratif, le Tribunal fédéral ne juge pas de l'existence d'un dommage irréparable selon un critère unique, mais il adopte celui qui s'accorde le mieux avec la nature de la décision attaquée. En particulier, il ne se borne pas à considérer comme irréparable le seul dommage qu'une décision finale favorable au recourant ne peut faire disparaître complètement (
ATF 99 Ib 416
; RJAM 1983 No 528 p. 94; GRISEL, Traité de droit administratif, p. 870-871; GYGI, op.cit., p. 142).
d) Il s'agit, dans le cas particulier, d'un litige relatif à la compétence ratione loci de l'autorité cantonale de recours (
art. 9 al. 1 PA
en relation avec l'
art. 45 al. 2 let. a PA
). Cette compétence est réglée par des dispositions du droit fédéral (
art. 200 et 200bis RAVS
) auxquelles il n'est pas possible de déroger et que le juge des assurances sociales applique d'office (cf. GYGI, op.cit., p. 81).
Or, chaque justiciable a une prétention formelle à être jugé par le juge que désigne la loi. Il s'ensuit que chaque fois qu'un juge, par une décision incidente, statue sur sa compétence - soit qu'il se déclare compétent alors qu'une partie conteste sa compétence,
BGE 110 V 351 S. 356
soit qu'il se déclare incompétent et, le cas échéant, transmet le dossier de la cause à un autre juge - on se trouve en présence d'une décision qui peut causer un préjudice irréparable de nature formelle et idéale à celui qui la conteste. Au surplus, le Tribunal fédéral des assurances a déjà eu l'occasion d'admettre l'existence d'un tel préjudice dans des cas d'application de l'
art. 45 al. 2 let. b PA
(
ATF 104 V 176
consid. 1b). Or, ce qui a été dit à propos de la récusation vaut aussi, par analogie, pour la compétence de l'autorité inférieure de recours.
Le recours de droit administratif est, partant, recevable.
2.
La décision litigieuse n'ayant pas pour objet l'octroi ou le refus de prestations d'assurance, le Tribunal fédéral des assurances doit se borner à examiner si les premiers juges ont violé le droit fédéral, y compris par l'excès ou par l'abus de leur pouvoir d'appréciation, ou si les faits pertinents ont été constatés d'une manière manifestement inexacte ou incomplète, ou s'ils ont été établis au mépris de règles essentielles de procédure (art. 132 en corrélation avec les
art. 104 let. a et b et 105 al. 2 OJ
;
ATF 104 V 6
consid. 1).
3.
Le recourant persiste à soutenir que la décision litigieuse, rendue le 19 novembre 1982 par la caisse intimée, aurait dû lui être notifiée à son domicile français de Megève, en suivant la procédure prescrite par la Déclaration franco-suisse du 1er février 1913 déjà citée, comme l'avait jugé la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois par arrêt du 26 août 1982.
Cette question est sans rapport avec le problème de la compétence ratione loci de l'autorité cantonale genevoise de recours. C'est en réalité un moyen de fond que la juridiction cantonale n'avait pas à examiner dans la décision incidente qui est l'unique objet de la contestation déférée au Tribunal fédéral des assurances dans le cadre de la présente procédure. Sur ce point, les conclusions du recourant sont donc irrecevables.
Néanmoins, il paraît opportun de préciser que, contrairement à ce qu'a jugé la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois, la Déclaration franco-suisse du 1er février 1913 relative à la transmission des actes judiciaires et extrajudiciaires et des commissions rogatoires en matière civile et commerciale est inapplicable, même par analogie ou à titre supplétif, à la transmission en France d'une décision rendue par une caisse de compensation en matière d'AVS. En effet, dans un tel cas, il y a lieu d'appliquer exclusivement les dispositions de la Convention de
BGE 110 V 351 S. 357
sécurité sociale entre la Confédération suisse et la République française, conclue le 3 juillet 1975 et entrée en vigueur le 1er novembre 1976. Or, aux termes de l'art. 32 al. 4 de ladite convention, pour l'application de cette dernière, les autorités administratives et les institutions compétentes de chacun des Etats contractants communiquent directement entre elles ainsi qu'avec les personnes intéressées ou leurs mandataires. De plus, si une entraide internationale s'avère nécessaire, c'est, aux termes de l'art. 32 al. 1 de la convention, complété par les art. 1er et 46 de l'Arrangement administratif concernant les modalités d'application de la convention, conclu le 3 décembre 1976 mais entré en vigueur avec effet rétroactif au 1er novembre 1976, par l'intermédiaire des autorités administratives ainsi que des institutions compétentes de chacun des Etats contractants qu'elle doit avoir lieu.
Au demeurant, il est établi qu'en l'espèce la caisse intimée a vainement tenté la notification de ses deux décisions du 28 janvier et du 19 novembre 1982 à l'adresse du recourant en France soit par voie postale, soit par l'intermédiaire des autorités judiciaires françaises. De même est-il constant que le recourant, selon les renseignements donnés à la caisse intimée par la Direction d'arrondissement postal à Lausanne, est titulaire d'une case postale à Lausanne et qu'il a reçu et pris connaissance de la décision du 19 novembre 1982 contre laquelle, par l'intermédiaire de son mandataire, il a formé opposition en temps utile. Cela suffit pour admettre la régularité de la notification de la décision litigieuse. Dans cette mesure, le point de savoir où se trouve effectivement le domicile du recourant n'a pas besoin d'être tranché.
4.
a) Aux termes de l'
art. 81 al. 3 RAVS
, si la caisse de compensation maintient - malgré l'opposition formée par l'employeur - sa décision en réparation du dommage - prise en application de l'
art. 52 LAVS
- elle doit, dans les trente jours à compter du moment où elle a eu connaissance de l'opposition, sous peine de déchéance de ses droits, porter le cas par écrit devant l'autorité de recours du canton dans lequel l'employeur a son domicile.
Selon une jurisprudence constante, l'obligation imposée par l'
art. 52 LAVS
à l'employeur fautif de réparer le dommage causé à la caisse de compensation s'étend, lorsque l'employeur est une personne morale, aux personnes qui ont agi en son nom; le juge des assurances sociales - et non le juge civil - est compétent pour
BGE 110 V 351 S. 358
statuer sur la décision en réparation du dommage, qu'elle soit prise contre la personne morale ou contre ses représentants (
ATF 108 V 194
consid. 2e, 103 V 122 consid. 3).
b) Selon la jurisprudence, lorsque la caisse de compensation prend une décision en réparation du dommage non pas contre la personne morale qui était l'employeur débiteur des cotisations paritaires impayées, mais contre des personnes physiques qui en étaient les organes, elle doit, si elle entend maintenir sa décision, porter le cas par écrit devant l'autorité de recours du canton dans lequel l'employeur a, ou avait jusqu'à la faillite, son siège et non pas devant l'autorité de recours du ou des cantons de domicile des personnes physiques auxquelles la décision en réparation du dommage a été notifiée (
ATF 109 V 101
in fine).
C'est dès lors à tort que le recourant invoque, à l'appui de ses conclusions tendant à nier la compétence de l'autorité genevoise de recours, la garantie constitutionnelle du juge naturel qui résulte de l'
art. 58 al. 1 Cst.
, en soutenant que, du moment qu'il est domicilié en France, c'est devant les tribunaux français dans le ressort desquels se trouve son domicile que la caisse intimée aurait dû "engager l'action". Il n'est, en effet, pas contesté que l'entreprise X S.A. avait son siège en Suisse et que, par conséquent, seul un juge de ce pays est compétent pour trancher le litige qui oppose le recourant à la caisse intimée.
5.
a) Il reste à déterminer devant quelle autorité cantonale de recours la caisse intimée devait porter le cas. Considérant que l'entreprise X S.A., tout en ayant son siège principal en Valais, avait une succursale dans le canton de Genève et que c'est à cet endroit que se trouvait le centre de son exploitation - toutes constatations de fait qui lient la Cour de céans (cf. consid. 2 ci-dessus) - les premiers juges en ont déduit qu'ils étaient compétents pour statuer parce que matériellement et géographiquement les plus proches de l'objet du litige, ce qui est précisément l'un des critères sur lesquels se fonde la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances pour déterminer le for (
ATF 109 V 102
,
ATF 102 V 241
consid. 3a).
Le recourant objecte à cela qu'en vertu de cette jurisprudence la caisse intimée aurait dû porter le cas non pas devant l'autorité de recours genevoise mais devant celle du canton du Valais où la faillie avait son siège principal.
b) Aux termes de l'
art. 642 al. 1 CO
, les succursales de la société anonyme sont inscrites sur le registre du commerce du lieu où elles
BGE 110 V 351 S. 359
ont leur siège, avec référence à l'inscription de l'établissement principal. Le troisième alinéa de cette disposition ajoute que l'inscription crée, pour les affaires de la succursale, un for à son siège, en sus du for de l'établissement principal.
La loi ne définit pas la succursale mais, selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, cette notion juridique vise tout établissement commercial qui, dans la dépendance d'une entreprise principale dont il fait juridiquement partie, exerce d'une façon durable, dans des locaux séparés, une activité similaire, en jouissant d'une certaine autonomie dans le monde économique et celui des affaires (
ATF 108 II 124
consid. 1). Toutefois, cette définition ne permet pas de résoudre la question du critère déterminant lorsqu'il s'agit de choisir, dans le cadre de l'
art. 81 al. 3 RAVS
, entre le for du siège de l'établissement principal et celui du siège de la succursale lorsque ces sièges se trouvent dans des cantons différents.
En vertu des
art. 64 al. 2 LAVS
et 117 al. 2 RAVS, les employeurs qui ne sont pas membres d'une association fondatrice sont affiliés à la caisse de compensation de leur canton de domicile ou du canton dans lequel l'entreprise a son siège. La deuxième phrase de l'
art. 117 al. 2 RAVS
précise que si le domicile ou le siège et le lieu de l'administration ou de l'entreprise sont différents, le lieu où est située l'administration, l'entreprise ou une partie importante de l'entreprise peut être choisi d'entente entre les caisses de compensation intéressées. Quant aux succursales, elles sont affiliées à la même caisse que l'établissement principal mais, en cas de circonstances particulières, l'Office fédéral des assurances sociales peut autoriser des dérogations (
art. 117 al. 3 RAVS
;
ATF 101 V 35
).
c) En l'espèce, on peut déduire du dossier que les caisses de compensation valaisanne et genevoise ont choisi d'affilier l'entreprise X S.A. à la caisse du canton où elle avait sa succursale et le centre de son exploitation, c'est-à-dire le canton de Genève, ce qui était sans doute de nature à faciliter les relations avec l'administration de l'AVS.
Or, dans des situations de ce genre, il y a lieu d'admettre que, lorsqu'une décision en réparation du préjudice est prise par une caisse de compensation cantonale, l'autorité de recours compétente au sens de l'
art. 81 al. 3 RAVS
est celle du canton dans lequel ladite caisse, à laquelle l'employeur est affilié, a son siège. Cette solution est en harmonie avec l'
art. 200 al. 4 RAVS
aux termes duquel l'autorité compétente pour connaître des recours interjetés contre
BGE 110 V 351 S. 360
des décisions d'une caisse de compensation cantonale est dans tous les cas l'autorité de recours du canton dont relève la caisse cantonale en question. Il n'est pas nécessaire, pour la solution de la présente affaire, de décider si, dans l'éventualité où un employeur affilié à une caisse de compensation professionnelle possède une ou plusieurs succursales situées dans d'autres cantons que celui du siège principal, la réglementation légale (
art. 200 al. 1 RAVS
) permet d'envisager un for alternatif.
Au vu de ce qui précède, le jugement entrepris est juste dans son résultat, quand bien même sa motivation ne peut être entièrement confirmée.
6.
(Frais.)
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8ac35f17-53be-4bd2-b61e-fc55e12b7c96 | Urteilskopf
107 II 100
14. Arrêt de la IIe Cour civile du 12 février 1981 dans la cause N.P. (recours en réforme) | Regeste
Übertragung der elterlichen Gewalt im Falle des Todes des Ehegatten, dem der Scheidungsrichter die Kinder zugewiesen hatte (
Art. 157 und
Art. 315a Abs. 3 ZGB
).
Können die vormundschaftlichen Behörden die elterliche Gewalt in einem solchen Fall dem überlebenden Ehegatten übertragen? Frage offen gelassen, da die Zuständigkeit dieser Behörden keine ausschliessliche sein kann. Der Ehegatte, dem die elterliche Gewalt entzogen ist, behält das Recht, gestützt auf
Art. 157 ZGB
die Zuweisung der Kinder an ihn zu erwirken. | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 107 II 100 S. 101
A.-
Le 30 mai 1972, le Tribunal civil du district d'Orbe a prononcé le divorce des époux R.G. et N. née P. Il a confié les trois enfants mineurs à leur père et lui a attribué la puissance paternelle. R.G. est décédé le 24 juin 1979. La Justice de paix du cercle de Vallorbe, autorité tutélaire, a nommé alors un tuteur à l'enfant A.G., le seul encore mineur.
B.-
Le 16 novembre 1979, N.P. a saisi le Tribunal civil du district d'Orbe d'une action en modification du jugement de divorce. Elle a demandé l'attribution de l'autorité parentale sur son fils A.G. La Justice de paix du cercle de Vallorbe, défenderesse, a contesté la compétence du Tribunal à raison de la matière.
Par jugement sur incident rendu le 4 mars 1980, le Président du Tribunal du district d'Orbe a rejeté l'exception déclinatoire.
Statuant le 20 octobre 1980 sur recours de la défenderesse, le Tribunal cantonal du canton de Vaud a réformé le jugement attaqué et dénié au Tribunal civil du district d'Orbe la compétence pour connaître de la demande formée par N.P.
C.-
La demanderesse a interjeté un recours en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut à la reconnaissance de la compétence du Tribunal civil du district d'Orbe pour statuer sur l'action ouverte le 16 novembre 1979.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'autorité parentale, après le divorce, appartient à l'époux à qui le juge a confié les enfants (
art. 297 al. 3 CC
).
BGE 107 II 100 S. 102
Celui des parents auquel cette autorité n'est pas attribuée la perd comme telle, et non pas seulement son exercice. Il ne la récupère pas de plein droit à la mort de son ex-conjoint (
ATF 86 II 328
consid. 3;
ATF 47 II 380
ss). Il peut certes, en pareil cas, obtenir que ses enfants lui soient confiés, à moins qu'il ne se trouve dans l'une des situations où les père et mère investis de l'autorité parentale doivent en être déchus (
ATF 82 II 474
s. consid. 3). L'exercice de ce droit suppose toutefois l'introduction d'une instance, au terme de laquelle l'autorité rend une décision de nature formatrice.
2.
Avant la modification du code civil par la loi du 25 juin 1976, les autorités de tutelle avaient le pouvoir d'intervenir en vertu des anciens art. 283 ss contre l'époux que le juge avait investi de la puissance paternelle. L'ouverture d'une action en modification du jugement de divorce ne leur ôtait pas cette compétence, à moins que le juge saisi ne fût amené, sur le fond, à ordonner des mesures en conformité des articles précités ou, exeptionnellement, à prendre des mesures provisoires selon l'
art. 145 CC
(
ATF 89 II 12
ss;
ATF 69 II 130
s.). La modification du rapport d'attribution, en revanche, ne pouvait être obtenue que par la voie prévue à l'
art. 157 CC
(
ATF 89 II 14
;
ATF 56 II 79
ss). L'époux à qui le juge du divorce n'avait pas confié la puissance paternelle devait, s'il entendait l'obtenir, intenter une action à son ex-conjoint, et ce même lorsque les enfants étaient placés sous tutelle (
ATF 67 II 64
ss). Le demandeur pouvait actionner l'autorité tutélaire si l'autre époux était décédé et que le droit cantonal imposât le recours à une procédure contradictoire (
ATF 67 II 68
ss consid. 3;
ATF 61 II 24
ss).
L'
art. 157 CC
n'a pas été modifié par la loi du 25 juin 1976. Le législateur a toutefois introduit dans le code un nouvel art. 315a qui délimite les compétences du juge du divorce et celles des autorités de tutelle. L'alinéa 3 de cette disposition permet aux autorités de tutelle, si les circonstances changent après le prononcé du divorce, de modifier les mesures de protection ordonnées par le juge; leur pouvoir d'intervention se limite cependant aux actes qui n'affectent que la position d'un seul des parents et ne touchent pas les droits et obligations de l'autre. De l'avis de la cour cantonale, l'alinéa précité donne aux autorités de tutelle la compétence exclusive de transférer l'autorité parentale à l'époux survivant, après le décès du conjoint auquel le juge du divorce avait confié les enfants. Le législateur aurait, par mégarde, omis de modifier
BGE 107 II 100 S. 103
l'
art. 157 CC
en conséquence. La recourante soutient que cette opinion est incompatible avec la lettre et l'esprit de la loi.
3.
Le pouvoir reconnu aux autorités de tutelle de modifier l'oeuvre du juge du divorce ne porte, selon le texte même de l'art. 315a al. 3, que sur "les mesures de protection de l'enfant" (le misure prese per la protezione del figlio, Kindesschutzmassnahmen). Dans le projet du Conseil fédéral, il s'étendait certes à toutes "les mesures prises par le juge" (art. 316 al. 3, FF 1974 II p. 132). L'amendement rédactionnel provient d'une proposition faite par la commission du Conseil des Etats, qui entendait préciser ainsi que la disposition en cause ne devait s'appliquer qu'aux mesures prévues aux art. 307 ss, à l'exclusion de tous autres prononcés affectant le sort de l'enfant, telle la réglementation du droit de visite. Le Conseil des Etats et le Conseil national ont adhéré sans discussion à cette modification (Bulletin officiel de l'Assemblée fédérale, 1975, Conseil des Etats p. 139, Conseil national p. 1788). Le législateur a donc voulu restreindre la portée de l'art. 315a al. 3 aux mesures de protection des art. 307 ss et il a exprimé sa pensée dans le texte de la loi. On peut certes envisager une application de l'art. 315a à des mesures analogues, notamment celles que prévoient l'art. 324 et l'art. 325. En l'étendant en revanche à toutes dispositions prises par le juge du divorce, on s'écarterait de la volonté clairement reconnaissable du législateur. Or l'attribution de l'autorité parentale à l'un des époux, dans le prononcé du divorce, ne peut être considérée comme une mesure de protection de l'enfant, au sens des
art. 307 ss CC
ou au sens de dispositions analogues. Les mesures visées à l'art. 315a sont en effet celles qui doivent remédier à des situations dans lesquelles les parents, même sans faute de leur part, ne peuvent fournir ou ne fournissent pas à leurs enfants les soins et la protection dont ils ont besoin. Le juge du divorce, lui, doit en principe confier l'autorité parentale à l'une des parties et en priver l'autre, quand bien même les père et mère seraient tous deux en mesure d'élever leurs enfants dans les meilleures conditions. La décision d'attribution n'est pas la conséquence ou la sanction d'une quelconque carence dans l'éducation; elle tient à l'impossibilité d'un exercice commun de l'autorité parentale par des époux divorcés (
ATF 82 II 474
s. consid. 3). Il s'ensuit que l'art. 315a al. 3, applicable aux seules mesures de protection de l'enfant, ne règle pas le transfert de l'autorité parentale
BGE 107 II 100 S. 104
à l'autre conjoint, même en cas de prédécès de l'attributaire. La décision relève dès lors du juge, que l'
art. 157 CC
charge de prendre, sur requête de l'autorité tutélaire ou de l'un des parents, les mesures commandées par des faits nouveaux tels que la mort du père ou de la mère (DESCHENAUX ET TERCIER, Le mariage et le divorce, 2e éd. p. 130 s).
L'
art. 315a al. 3 CC
habilite les autorités de tutelle à intervenir dans les rapports entre l'enfant et l'époux auquel le juge du divorce l'a confié. Ces autorités peuvent même être amenées à retirer l'autorité parentale à l'époux attributaire, en conformité de l'art. 311 et de l'
art. 312 CC
, et à placer en ce cas l'enfant sous tutelle. Elles doivent de même pourvoir l'enfant d'un tuteur lorsque l'époux attributaire décède ou est interdit, à moins que n'intervienne alors un changement d'attribution. La compétence leur fait en revanche défaut pour prendre des mesures qui affecteraient directement la position juridique de l'autre époux, celui à qui le juge du divorce n'a pu confier les enfants. Or cet époux a le droit, à certaines conditions, d'obtenir l'attribution de l'autorité parentale (
ATF 82 II 474
s consid. 3). Les autorités de tutelle ne sauraient donc prendre une décision qui aurait pour objet ou pour effet de le priver de cette faculté. L'époux non attributaire peut dès lors, par une action en modification du jugement de divorce, demander que ses enfants lui soient confiés lorsque son ex-conjoint est décédé, a été interdit ou déchu de l'autorité parentale. L'ouverture de son action n'entraîne pas la caducité des mesures ordonnées par les autorités de tutelle, notamment la nomination d'un tuteur; elle les laisse subsister, mais à titre provisoire.
Le message du Conseil fédéral, il est vrai, reconnaît aux autorités de tutelle le pouvoir de transférer elles-mêmes l'autorité parentale en cas de décès ou d'interdiction du conjoint attributaire (FF 1974 II 88 s). Une telle compétence peut se justifier par des avantages pratiques indéniables, mais on peut se demander si elle se concilie avec la portée restrictive que l'Assemblée fédérale a voulu donner à l'
art. 315a al. 3 CC
. Ce point n'a toutefois pas à être tranché: la compétence des autorités de tutelle, si elle était admise, ne saurait avoir un caractère exclusif, car la décision prise pourrait alors affecter la situation de l'époux non attributaire, en le privant de son droit virtuel d'obtenir l'autorité parentale. Or selon le texte clair de l'art. 315a al. 3, les mesures qui assortissent des effets
BGE 107 II 100 S. 105
de cette nature relèvent du juge. L'époux non attributaire conserverait donc, de toute manière, le droit de s'adresser au juge pour demander que ses enfants lui soient confiés.
4.
La cour cantonale a supposé que le législateur avait omis, par mégarde, de modifier l'
art. 157 CC
. Aucun indice n'étaie ce point de vue qui est d'ailleurs sans pertinence. Les lois qui ne sont pas abrogées ni modifiées subsistent dans leur teneur primitive, à moins qu'elles ne soient incompatibles avec la lettre ou l'esprit de textes postérieurs. Or l'
art. 315a al. 3 CC
ne s'applique pas à l'ensemble des dispositions prises par le juge du divorce. Sa portée se limite aux mesures de protection prévues par les
art. 307 ss CC
, ou aux mesures analogues. La règle de compétence de l'
art. 157 CC
subsiste sur tous les autres points. Elle est au demeurant indispensable dès qu'une intervention doit affecter la position juridique du conjoint à qui les enfants n'ont pas été confiés. L'
art. 157 CC
apparaît donc, logiquement, comme le complément nécessaire de l'
art. 315a al. 3 CC
. Il est resté en vigueur après l'entrée en force de la loi du 25 juin 1976 modifiant le code civil.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule l'arrêt attaqué et rejette l'exception d'incompétence soulevée par la défenderesse et intimée à l'encontre du Tribunal civil du district d'Orbe. | public_law | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8ac771fb-e860-49b0-b1da-09ca32e6f521 | Urteilskopf
118 Ia 259
36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. März 1992 i.S. Sch. gegen Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich sowie Kanton Zürich und Mitbeteiligte (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
: Regierungsratswahl im Kanton Zürich; Wahlpropaganda im "Kirchenboten".
1. Zulässigkeit von behördlichen und privaten Informationen vor Wahlen im allgemeinen (E. 3).
2. Stellung der Evangelisch-reformierten Landeskirche im Kanton Zürich (E. 4a). Hinweise zur Zulässigkeit politischer Stellungnahmen der Landeskirche vor Wahlen und Abstimmungen (E. 4b). Bedeutung des "Kirchenboten für den Kanton Zürich" im vorliegenden Fall (E. 4c).
3. Die der Landeskirche zuzurechnende Wahlpropaganda zugunsten eines einzigen Kandidaten erweist sich unter dem Gesichtswinkel von Kirchenrecht und politischen Rechten als fragwürdig (E. 4d), hat den Wahlausgang indessen gesamthaft gesehen nicht entscheidend beeinflusst (E. 4e). | Sachverhalt
ab Seite 260
BGE 118 Ia 259 S. 260
Am 6./7. April 1991 fand im Kanton Zürich die Erneuerungswahl für die Mitglieder des Regierungsrates für die Amtsdauer 1991-1995 statt und ergab (gemäss Feststellung des Kantonsrates) folgendes Wahlresultat:
Absolutes Mehr 104 837
Gewählt sind:
Honegger Eric mit 178 133 Stimmen
Lang Hedi mit 163 306 "
Hofmann Hans mit 163 296 "
Wiederkehr Peter mit 152 325 "
Leuenberger Moritz mit 149 267 "
Homberger Ernst mit 145 618 "
Gilgen Alfred mit 137 797 "
Ferner erhielten Stimmen:
Maurer Ueli 136 259 Stimmen
Diener Verena 110 711 "
Wiederkehr Roland 100 116 "
Molinari Lorenzo 4 035 "
Vereinzelte Stimmen 26 846 "
In der Folge erhob Sch. in verschiedenen Eingaben staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von
Art. 85 lit. a OG
und verlangte die Aufhebung der Regierungsratswahl. Er rügt hierfür u.a. eine Verletzung des Stimmrechts und macht insbesondere geltend, eine einseitige Wahlempfehlung im "Kirchenboten" vom 28. März 1991 und weitere Vorkommnisse stellten Unregelmässigkeiten dar, welche das Wahlergebnis verfälscht hätten.
Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
BGE 118 Ia 259 S. 261
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer bezieht sich in seiner Beschwerde in erster Linie auf eine Ausgabe Nr. 7 des "Kirchenboten" vom 28. März 1991, mit der in unzulässiger Weise auf den Wählerwillen eingewirkt worden sein soll. In einem Kommentar zu den Kantons- und Regierungsratswahlen stellte der Chefredaktor des "Kirchenboten" Überlegungen an zum Thema: "Sind Realpolitiker illusionär und Visionäre realistisch?". Er kommt dabei zum Schluss, dass eine sogenannte Realpolitik, die nicht visionär ist und nicht langfristig und global denkt, oft illusionär sei. Umgekehrt seien visionäre Politiker, die sich an Leitwerten und langfristigen Zielen orientieren, wohl die besten Realpolitiker. Wir brauchten Politiker mit einer Vision der Zukunft. - In derselben Ausgabe des "Kirchenboten" erschien weiter ein Auszug aus einer Ansprache, die Nationalrat und Regierungsratskandidat Moritz Leuenberger an einer Maturitätsfeier gehalten hatte, zusätzlich mit einem Bild und einer redaktionellen Anmerkung, wonach sich dieser für Benachteiligte einsetze, etwa als Anwalt für die Rückgabe der Marcos-Millionen an das philippinische Volk oder für die Anliegen der Mieter. - Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend, der Artikel im "Kirchenboten" stelle eine einseitige Wahlaufforderung dar. Die andern Kandidaten hätten nicht mehr rechtzeitig reagieren können, da der "Kirchenbote" am Gründonnerstag, dem 28. März 1991, und damit lediglich vier Arbeitstage vor der Wahl zugestellt worden sei. Der "Kirchenbote" sei mit einer Auflage von 320 000 Exemplaren unzweifelhaft von einer grossen Zahl von Stimmbürgern gelesen und beachtet worden und habe damit sicher Auswirkungen auf das Wahlergebnis gezeitigt; das zeige sich auch daran, dass in den Fahrzeugen der Verkehrsbetriebe der Städte Zürich und Winterthur mittels Werbung auf den "Kirchenboten" hingewiesen worden sei. Da der "Kirchenbote" das Presseorgan der reformierten Landeskirche und zugleich Publikationsorgan der Kirchgemeinden des Kantons Zürich sei und überdies durch Steuergelder finanziert werde, handle es sich bei der beanstandeten Veröffentlichung um eine unzulässige staatliche Einflussnahme auf die Wahlen...
3.
Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimm- und Wahlrecht räumt dem Bürger allgemein den Anspruch darauf ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass
BGE 118 Ia 259 S. 262
jeder Stimmbürger seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen kann (
BGE 117 Ia 46
, 455 E. a, mit Hinweisen).
Das Ergebnis eines Urnenganges kann unter anderem durch eine unzulässige Beeinflussung der Willensbildung der Stimmbürger verfälscht werden. Dies trifft insbesondere bei gewissen Informationen im Vorfeld von Urnengängen zu. Die Praxis hat die Zulässigkeit von solchen Informationen in verschiedener Hinsicht differenziert.
In bezug auf Sachabstimmungen hat das Bundesgericht erkannt, dass behördliche Informationen in Form von Abstimmungserläuterungen zulässig sind und dass die Behörden im Sinne einer Ausnahme zum Eingreifen in den Abstimmungskampf befugt sind, soweit besondere triftige Gründe für eine solche Intervention gegeben sind. Jede darüber hinausgehende Beeinflussung ist hingegen unzulässig; es stellt insbesondere eine unerlaubte Beeinflussung dar, wenn die Behörde ihre Pflicht zu objektiver Information verletzt und über den Zweck und die Tragweite der Vorlage falsch orientiert oder wenn sie in unzulässiger Weise in den Abstimmungskampf eingreift und positive, zur Sicherung der Freiheit der Stimmbürger aufgestellte Vorschriften missachtet oder sich sonstwie verwerflicher Mittel bedient (
BGE 117 Ia 455
E. b, mit Hinweisen). - Auch private Informationen im Vorfeld von Sachabstimmungen können nach der Rechtsprechung die Willensbildung der Stimmbürger verfälschen und werden dann als unzulässig bezeichnet, wenn mit ihnen in einem so späten Zeitpunkt mit offensichtlich unwahren und irreführenden Angaben in den Abstimmungskampf eingegriffen wird, dass es dem Bürger nach den Umständen nicht mehr möglich ist, sich aus andern Quellen ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu machen (
BGE 117 Ia 456
f., mit Hinweisen).
In bezug auf Wahlen hat das Bundesgericht ein behördliches Eingreifen in den Wahlkampf grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. zum ganzen
BGE 117 Ia 457
, mit Hinweisen). Bei den Wahlen kommt den Behörden keine Beratungsfunktion zu wie bei Sachentscheiden. Hier haben sie nicht von Rechts wegen mitzuwirken und ihre Auffassung der öffentlichen Interessen zu wahren. Es ist zu verhindern, dass sich der Staat im Wahlkampf auch nur indirekt in den Dienst parteiischer Interessen stellt. Eine Intervention kommt daher höchstens dann in Frage, wenn sie im Interesse der freien und unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler als unerlässlich erscheint. So kann z.B. eine Richtigstellung
BGE 118 Ia 259 S. 263
offensichtlich falscher Informationen, die im Verlaufe eines Wahlkampfes verbreitet werden, als zulässig erscheinen; indessen dürfte die Behörde bei einer solchen Gelegenheit nicht selber Wahlpropaganda betreiben oder einen Kandidaten verunglimpfen (
BGE 113 Ia 296
f.,
BGE 114 Ia 433
). Eine allfällige mittelbare Hilfeleistung des Gemeinwesens vor einem Wahlgang fällt nur in Betracht, wenn sie sich als neutral erweist; dies war zu beurteilen in einem Fall, in dem das Gemeinwesen mittels öffentlicher Gelder gewisse Insertionskosten übernommen hatte (
BGE 113 Ia 294
).
Stellt das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte solche Mängel fest, so hebt es die Wahl nach den gleichen Grundsätzen auf wie im Falle von mangelhaften Abstimmungen infolge unzulässiger Informationen. Die Wahl wird demnach nur aufgehoben, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Die Auswirkung braucht vom Beschwerdeführer nicht nachgewiesen zu werden; vielmehr genügt es, wenn eine derartige Beeinflussung im Bereiche des Möglichen liegt. Mangels einer ziffernmässigen Feststellung der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist dessen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nach den gesamten Umständen und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen. Dabei wird namentlich auf die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung sowie auf die Grösse des Stimmenunterschiedes abgestellt. Erscheint die Möglichkeit, dass die Wahl ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt, so kann von der Aufhebung des Urnenganges abgesehen werden (
BGE 117 Ia 456
und 457, 113 Ia 59, 112 Ia 338, mit Hinweisen).
Schliesslich hat das Bundesgericht schon Angelegenheiten beurteilt, in denen die Rechtmässigkeit von Einwirkungen auf Wahlen von privater Seite in Frage standen (vgl. zum Ganzen
BGE 117 Ia 457
f. sowie
BGE 117 Ia 46
f., mit Hinweisen). Es hat dazu allgemein festgehalten, dass gewisse unsachliche, übertreibende oder gar unwahre Behauptungen im Wahlkampf kaum vermieden werden könnten und diese trotz ihrer Verwerflichkeit die nachträgliche Kassation einer Wahl in der Regel nicht rechtfertigten. Private Äusserungen stehen grundsätzlich unter der Meinungsäusserungs- und der Pressefreiheit. Insbesondere bei Medien mit nationaler, regionaler oder lokaler Monopolstellung ist erwünscht, dass sie den jeweiligen politischen Gegnern ebenfalls Gelegenheit zur Äusserung einräumen. Immerhin
BGE 118 Ia 259 S. 264
darf den Stimmbürgern zugetraut werden, zwischen verschiedenen bekundeten Meinungen zu unterscheiden, offensichtliche Übertreibungen als solche zu erkennen und sich aufgrund ihrer eigenen Überzeugung zu entscheiden. Aus praktischen Gründen ist auch hier für die Aufhebung einer Wahl grösste Zurückhaltung geboten. Eine Wiederholung kann daher - gleich wie bei Abstimmungen - nur bei ganz schwerwiegenden Verstössen verlangt werden und unter der Voraussetzung, dass die Auswirkung des Mangels auf den Ausgang der Wahl ausser Zweifel steht oder zumindest als sehr wahrscheinlich erscheint (
BGE 102 Ia 269
,
BGE 98 Ia 79
, vgl. auch
BGE 113 Ia 302
). Eine derartige schwerwiegende Beeinflussung einer Wahl auf Gemeindeebene hat das Bundesgericht darin erblickt, dass ein Kandidat in letzter Stunde des Stimmenkaufs beschuldigt worden war, und dementsprechend hat es die Wahl aufgehoben (Urteil vom 3. Februar 1939 i.S. Thomann, in einer Zusammenfassung wiedergegeben in: ZBl 40/1939 S. 249).
4.
Im folgenden ist zu prüfen, welches im Kanton Zürich die Stellung der Evangelisch-reformierten Landeskirche ist und ob und in welchem Ausmasse sie - entsprechend den Rügen des Beschwerdeführers - in den Wahlkampf um die Regierungsratswahl eingreifen durfte.
a) Nach der Verfassung des Kantons Zürich ist die Evangelisch-reformierte Landeskirche eine staatlich anerkannte Person des öffentlichen Rechts (Art. 64 Abs. 2 KV; § 2 Abs. 2 Kirchengesetz). Sie ordnet ihre innerkirchlichen Angelegenheiten selbständig, untersteht im übrigen aber der Oberaufsicht des Staates. Ihre Organisation und ihr Verhältnis zum Staat wird durch das Gesetz über die Evangelisch-reformierte Landeskirche (KG) geordnet (vgl. Art. 64 Abs. 3 KV). In diesem Gesetz wird u.a. die Art der durch den Regierungsrat und den Kantonsrat auszuübenden Oberaufsicht umschrieben (§ 4 im allgemeinen und zahlreiche Hinweise bei speziellen Bestimmungen). Es wird die (demokratische) Organisation von Kirchgemeinden, der kirchlichen Bezirke sowie von Kirchensynode und Kirchenrat festgelegt. Der Staat übernimmt die Besoldung der Pfarrer und leistet einen Beitrag an die Aufwendungen der kirchlichen Organe (
§ 5 KG
); hierfür erheben die Kirchgemeinden eine Kirchensteuer (§ 150 des Gesetzes über die direkten Steuern). Für ihre innerkirchlichen Angelegenheiten geniesst die Landeskirche Autonomie und gibt sich hierfür eine Kirchenordnung (Kirchenordnung der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Kirchenordnung). Darin ist u.a. ihr Bekenntnis
BGE 118 Ia 259 S. 265
sowie ihr Verständnis als Volkskirche umschrieben (Art. 4 und 5 Kirchenordnung). In Ausführung von
§ 8 KG
, wonach grundsätzlich jeder evangelische Einwohner des Kantons als Glied betrachtet wird, setzt die Kirchenordnung in Art. 7 ff. die Einzelheiten der Mitgliedschaft fest. Als eigentliche innerkirchliche Angelegenheit wird in Art. 44 ff. der Kirchenordnung der Gottesdienst (Sonntags-, Feiertags- und Wochengottesdienste, Taufe und Abendmahl, Trauung und Abdankung, Sonntagsschule und Jugendgottesdienst), der Unterricht und die Konfirmation und das kirchliche Gemeindeleben geordnet.
b) In der Rechtslehre wird die Frage, ob und in welchem Ausmasse Kirchen in einem Wahl- oder Abstimmungskampf Partei nehmen dürfen, unterschiedlich beurteilt. Es wird etwa die Auffassung vertreten, die Kirchen hätten ihre Anliegen in den öffentlichen und demokratischen Meinungsbildungsprozess einzubringen und sie dürften sich bei Fragen von erheblicher ethischer Relevanz nicht auf eine Neutralität verpflichten lassen, wenn sie ihr Wesen als Kirche nicht aufgeben wollten (vgl. PETER SALADIN, Die Beteiligung der Kirchen an politischen Entscheidungsprozessen, in: Festschrift für Kurt Eichenberger, Basel 1982, S. 473; FELIX HAFNER, Die Beteiligung der Kirchen an der politischen Gestaltung des pluralistischen Gemeinwesens, Diss. Basel 1985, S. 184; STEPHAN WIDMER, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, Diss. Zürich 1989, S. 292 f.; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, Kirche - Gewissen des Staates?, Bern 1991, S. 93 ff., 202 ff., sowie in der Kurzfassung "Staat, Kirche und Politik", S. 45 und 56 f.). Weiter wird in der Doktrin ausgeführt, dass nur die Kirche selber, nicht aber der Staat, über die Grenzen der öffentlichen und damit politischen Tätigkeit zu befinden habe (HANS KLEIN, Die Beeinflussung politischer Wahlen durch Verbände, insbesondere die Kirchen, in: DÖV 1967 S. 615 ff., 620 f.); der Kirche als gesellschaftliche Kraft komme ein Raum für die Beteiligung zu (DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 252 f., 258 f.). Auch Befürworter kirchlichen Engagements anerkennen als Grenze, wo Kirchenangehörigen allfällige Nachteile angedroht werden (vgl. KLEIN, a.a.O., S. 621 f.; Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 14. Februar 1962, in: JZ 1962 S. 767, zitiert bei WIDMER, a.a.O., S. 291 f.). Zusätzlich stellt sich die Frage, wer oder welches Organ innerhalb einer Kirche zu entsprechenden Stellungnahmen berufen wäre (vgl. SALADIN, a.a.O., S. 475; HAFNER, a.a.O., S. 58 f.; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 215 ff. sowie Kurzfassung S. 45 f.). Auf der andern Seite gibt es Stimmen, die öffentlichrechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften
BGE 118 Ia 259 S. 266
in gleicher Weise wie Behörden auf eine weitgehende Neutralität verpflichten und sie gleich wie diese behandeln möchten (CHRISTOPH HILLER, Die Stimmrechtsbeschwerde, Diss. Zürich 1990, S. 118 Fn. 131).
Es kommt bisweilen vor, dass Kirchen und ihre Vertreter vor Urnengängen Stellungnahmen abgeben oder klar Position beziehen, welche in der Öffentlichkeit zuweilen zu Diskussionen Anlass gaben (vgl. die Hinweise bei SALADIN, a.a.O., S. 461 ff. und HAFNER, a.a.O., S. 183 Fn. 9 mit schweizerischen Beispielen zu Volksabstimmungen; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 11-114, Kurzfassung S. 11, 17, 21; vgl. ferner die Hinweise bei WIDMER, a.a.O., S. 291 f. mit einem deutschen Beispiel betreffend eine Wahl). - Die Gerichte in der Schweiz haben sich mit derartigen Fragen - soweit ersichtlich - noch nie befasst; bekannt ist aus Deutschland das erwähnte Beispiel des Oberverwaltungsgerichts Münster.
c) Im vorliegenden Fall steht keine offizielle Äusserung eines Organes der Evangelisch-reformierten Landeskirche zur Diskussion. Stein des Anstosses bildet vielmehr ein Artikel, den der Chefredaktor im "Kirchenboten" erscheinen liess. Der Kirchenrat des Kantons Zürich verwahrt sich denn auch ausdrücklich gegen die Annahme, er bzw. die Evangelisch-reformierte Landeskirche sei für die Publikation verantwortlich.
Träger des "Kirchenboten" ist der Zürcher Pfarrverein, welcher als eigene juristische Person nach
Art. 60 ZGB
organisiert ist. Auf der Zeitung steht denn auch ausdrücklich aufgedruckt: "Herausgeber: Reformierter Pfarrverein". Auf die Gestaltung und Ausrichtung des "Kirchenboten" kann daher ausschliesslich der Zürcher Pfarrverein Einfluss nehmen. Es handelt sich somit beim "Kirchenboten" grundsätzlich um ein privates Periodikum, das nicht offizielles Organ der Landeskirche ist.
Aus der Sicht des Bürgers erscheint die Trennung zwischen der Landeskirche bzw. den Kirchgemeinden einerseits und dem "Kirchenboten" andererseits weniger eindeutig. Der Vermerk, dass der Reformierte Pfarrverein Herausgeber ist, vermag die Annahme nicht ohne weiteres zu beseitigen, dass es sich um ein mehr oder weniger offizielles Organ der Landeskirche handeln könnte. Die relativ grosse Verbreitung und der Vermerk "Kirchenbote für den Kanton Zürich" mögen diese Auffassung noch verstärken. Der Kirchenbote wird grundsätzlich durch Kollektivabonnemente allen reformierten Haushaltungen zugestellt; wer die Zustellung nicht wünscht, kann den "Kirchenboten" abbestellen. Weiter kommt dazu, dass der
BGE 118 Ia 259 S. 267
"Kirchenbote" tatsächlich als offizielles Organ verwendet wird, indem zahlreiche Kirchgemeinden - entsprechend der Empfehlung in Art. 103 der Kirchenordnung - dem "Kirchenboten" ein Einlageblatt mit ihren amtlichen Verlautbarungen beifügen. Die Finanzierung erfolgt im wesentlichen über die Kirchgemeinden und durch die freiwillige Bezahlung der Abonnementsgebühr.
Bei dieser Sachlage kann der "Kirchenbote" aus der Sicht des Bürgers und unter dem Gesichtswinkel des Stimmrechts nicht als rein private Zeitung betrachtet werden. Er hat vielmehr in dieser Hinsicht einen offiziösen Charakter. Und dementsprechend müssen sich die Landeskirche bzw. die Kirchgemeinden den Inhalt des "Kirchenboten" und insbesondere auch die streitigen Artikel grundsätzlich selber zurechnen lassen, weshalb deren Zulässigkeit und Einfluss auf das Wahlresultat im folgenden zu prüfen ist. Immerhin kann die juristische und journalistische Selbständigkeit des "Kirchenboten" bei der Abwägung im einzelnen mitberücksichtigt werden.
d) Die Prüfung der im "Kirchenboten" erschienenen Artikel im einzelnen ergibt, dass der abgedruckte Maturanden-Vortrag des Regierungsratskandidaten Leuenberger keinerlei Hinweise auf die Wahlen enthält. Der Kandidat erschien mit einem Bild. Andere Anwärter auf einen Regierungsratssitz sind nicht vorgestellt worden. Darüber hinaus ist Moritz Leuenberger in einer redaktionellen Anmerkung als derjenige dargestellt worden, der sich für Benachteiligte einsetze, zum Beispiel als Anwalt für die Rückgabe der Marcos-Millionen an das philippinische Volk und für die Anliegen der Mieter. Auch die Ausführungen über die visionären Politiker stehen in engem Zusammenhang mit dem einzig vorgestellten Kandidaten. All dies kann nicht anders als klare Wahlempfehlung zugunsten von Moritz Leuenberger verstanden werden. Die Aufmachung und der Zeitpunkt des Erscheinens kurz vor der Regierungsratswahl lassen die Absicht des Chefredaktors erkennen, die Leser auf diesen einen Kandidaten hinzuweisen und ihn zur Wahl zu empfehlen. Nach den obigen Ausführungen muss sich die Landeskirche diese Wahlpropaganda zugunsten von Moritz Leuenberger als eigene Stellungnahme zurechnen lassen.
Es ist bereits oben dargelegt worden, dass die Landeskirche des Kantons Zürich öffentlichrechtlich anerkannt ist. In ihrem eigenen Selbstverständnis stellt sie eine Volkskirche dar; sie will ihren Dienst nach ihrer eigenen Ordnung als Gesamtkirche in der Offenheit gegenüber dem ganzen Volke leisten (Art. 5 Kirchenordnung). So ist denn auch die Kirchenzugehörigkeit "volkskirchlich" umschrieben.
BGE 118 Ia 259 S. 268
Als Glied der Landeskirche wird jeder evangelische Einwohner des Kantons betrachtet, der die in der Kirchenordnung umschriebenen kirchlichen Erfordernisse erfüllt und nicht ausdrücklich seinen Austritt oder seine Nichtzugehörigkeit erklärt hat (
§ 8 KG
, Art. 7 Kirchenordnung; JOHANNES GEORG FUCHS, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, in: Aus der Praxis eines Kirchenjuristen, Zürich 1979, S. 125; JOHANNES GEORG FUCHS, Offenheit der Schweizerischen Volkskirchen, a.a.O., S. 146 f. und 149 f.; JOHANNES GEORG FUCHS, Kirche und Staat in demokratischer Verbindung, a.a.O., S. 302 f.). Angesichts dieser volkskirchlichen Offenheit und zusätzlich der demokratischen Ausrichtung (vgl. FUCHS, a.a.O., S. 123) erscheint eine partei-politische Stellung- und Parteinahme in einem Wahlkampf, wie sie vom Beschwerdeführer beanstandet wird, als unhaltbar. Es liegt darin ein Verstoss gegen die innere Kirchenordnung, wie sie oben dargestellt worden ist. Ein solcher stellt gleichzeitig die öffentlichrechtliche Stellung der Landeskirche in Frage.
Mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der Landeskirche wird diese zu einer "Potenz des öffentlichen Rechts" (vgl. FUCHS, a.a.O., S. 116 und 302; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 236). Sie ist in der Lage, erheblichen Einfluss auch hinsichtlich politischer Fragen auszuüben und damit das Stimmverhalten der Bürger zu beeinflussen bzw. das Ergebnis eines Urnenganges zu verfälschen. Aus der Sicht des Stimmrechts gebietet demnach die rechtliche Stellung der Landeskirche mindestens für Wahlen Zurückhaltung. Wie es sich mit politischen Stellungnahmen der Landeskirche oder ihrer Exponenten im Vorfeld insbesondere von Sachabstimmungen verhält, braucht nicht in grundsätzlicher Hinsicht geklärt zu werden.
Besonders problematisch erscheint das kirchliche Eingreifen in den Wahlkampf im vorliegenden Fall aus dem besondern Umstand, dass die Wahl des Regierungsrates in Frage stand. Der Regierungsrat ist nämlich in vielfacher Weise direkte Aufsichtsbehörde der Landeskirche und gestaltet die Ordnung der Landeskirche - in Absprache mit den kirchlichen Gremien - wesentlich mit. So genehmigt er etwa das Verfahren bei Neuwahlen von Pfarrern (
§ 16 KG
), setzt die Mitgliederzahl der Bezirkskirchenpflegen fest (
§ 25 KG
), erteilt seine Zustimmung zur Besoldung von Vikaren im Falle von Urlauben und zur Besoldung bei Einstellungen im Amt (
§ 41 und 47 KG
), kann Pfarrämter für besondere Dienste schaffen (
§ 45 KG
), setzt die Besoldung der Pfarrer mittels Verordnung fest (
§ 51 KG
)
BGE 118 Ia 259 S. 269
und erlässt eine Verordnung über die Amtswohnungen der Pfarrer (
§ 53 KG
). Angesichts dieser Rechtslage kann es den Staatsbürger in besonderem Masse befremden, dass die Kirche direkt und gewissermassen aus einer besonders gelagerten Interessenlage heraus in die Wahl der Aufsichtsbehörde eingreift und Propaganda betreibt.
Damit erweist sich der im "Kirchenboten" erschienene und klare Wahlpropaganda betreibende Artikel unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte entsprechend der Auffassung des Beschwerdeführers tatsächlich als fragwürdig. Es stellt sich daher die Frage, welche Folgen daran zu knüpfen sind (vgl. oben E. 3).
e) Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich in einem Punkte wesentlich von andern Stimmrechtsbeschwerden, mit denen Wahlen wegen unzulässiger Beeinflussung angefochten werden. In den meisten Fällen stehen Benachteiligungen der Bewerber (vgl.
BGE 113 Ia 291
) oder aber negative Äusserungen in Frage, mit denen einzelne Kandidaten in einem oftmals späten Zeitpunkt verunglimpft werden (vgl.
BGE 117 Ia 452
,
BGE 102 Ia 264
, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall sind in keiner Weise gegenüber einzelnen Kandidaten oder Parteien negative Äusserungen gemacht, sondern ohne jeglichen Bezug auf eine bestimmte Partei einzig zugunsten von Moritz Leuenberger Wahlpropaganda betrieben worden. Ein solches Eingreifen hat bei einer Vielzahl von Bewerbern und beim grossen Bekanntheitsgrad des Kandidaten Leuenberger zum vornherein eher geringe Auswirkungen auf das Wahlergebnis.
Der "Kirchenbote" mit dem streitigen Artikel ist eine gute Woche vor den Wahlen erschienen; zwischen dem Erscheinen und dem Wahlwochenende lagen zusätzlich noch der Karfreitag und der Ostermontag. Das Blatt erreichte die Leser daher in einem Zeitpunkt, in dem eine allfällige Richtigstellung im "Kirchenboten" selber, der lediglich alle zwei Wochen herausgegeben wird, nicht mehr möglich war. Der Zeitpunkt war indessen nicht so spät, dass die betroffenen Kreise nicht mehr hätten reagieren können. Zum einen hat sich der Kirchenrat mit einer Richtigstellung an die Medien gewandt, den einseitigen Artikel und die Wahlpropaganda im "Kirchenboten" bedauert und missbilligt und zusätzlich auf die Verantwortlichkeit der Herausgabe des "Kirchenboten" hingewiesen. Die Medien haben dem Vorfall sowie der Berichtigung eine grosse Publizität eingeräumt. Wie der Kantonsrat unwidersprochen ausführt, haben auch die politischen Parteien rasch und mit erheblicher Publizität reagiert. Der "Kirchenbote" ist somit nicht so spät herausgekommen, dass eine Reaktion nicht mehr möglich gewesen wäre. Angesichts dieser
BGE 118 Ia 259 S. 270
Reaktionen kann der Einfluss der im "Kirchenboten" erschienenen Wahlempfehlung nicht sehr gross veranschlagt werden. Es wäre umgekehrt sogar denkbar, dass der Artikel dem Regierungsratskandidaten Leuenberger nicht nur genützt, sondern sogar geschadet haben könnte.
Es ist oben ausgeführt worden, dass aus den gesamten Umständen heraus der streitige Artikel der Landeskirche zugerechnet werden muss. Trotz dieses Umstandes ist anzunehmen, dass eine Reihe von Wählern zwischen der Landeskirche und dem Pfarrverein als Herausgeber des "Kirchenboten" sowie der Redaktion des Blattes zu unterscheiden wussten; dem kommt um so grössere Bedeutung zu, weil darauf insbesondere in den Reaktionen und der Mitteilung der Landeskirche hingewiesen worden ist. Demnach kann auch unter diesem Gesichtswinkel der Einfluss des "Kirchenboten" nicht als sehr erheblich bezeichnet werden.
Moritz Leuenberger (SP) erzielte 149 267 Stimmen, der erste Nichtgewählte, Ueli Maurer (SVP), 136 259, d.h. 13 008 (rund 8,7%) Stimmen weniger. Angesichts des grossen Bekanntheitsgrades Leuenbergers schon vor der Wahl und der oben angeführten Umstände kann nicht angenommen werden, diese Stimmendifferenz sei allein auf die Wahlpropaganda im "Kirchenboten" zurückzuführen. Wenig einleuchtend ist in dieser Hinsicht die Meinung des Beschwerdeführers, ohne den streitigen Artikel hätten viele Wähler statt für Moritz Leuenberger für Ueli Maurer gestimmt und diesem damit ermöglicht, den letzten der Gewählten, den parteilosen Alfred Gilgen (mit 137 797 Stimmen und einem Stimmenunterschied zu Ueli Maurer von 1538) zu schlagen. Dieser Zusammenhang zwischen den beiden Kandidaten Leuenberger und Maurer erscheint recht spekulativ und unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte als wenig wahrscheinlich.
Gesamthaft gesehen zeigt sich somit, dass die gerügten Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit dem "Kirchenboten" den Wahlausgang nicht entscheidend beeinflusst haben. Die Möglichkeit, dass die Wahl von Moritz Leuenberger bzw. das Wahlresultat von Ueli Maurer ohne den streitigen Artikel anders ausgefallen wäre, erscheint in Anbetracht der gesamten Umstände als derart gering, dass unter diesem Gesichtswinkel eine Aufhebung des Wahlganges ausser Betracht fällt. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8acdb36a-b788-48ae-81a8-3db1fbabc1b8 | Urteilskopf
138 I 97
7. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause X. contre Ministère public du canton de Vaud et consorts (recours en matière pénale )
6B_118/2009 / 6B_12/2011 du 20 décembre 2011 | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 und 3 EMRK
;
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
;
Art. 5 Abs. 3 BV
; Anspruch auf einen Verteidiger; Schweigerecht und Anspruch auf Belehrung über das Schweigerecht; Grundsatz von Treu und Glauben.
Tragweite des durch
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
gewährleisteten Anspruchs auf einen Verteidiger, namentlich bei den ersten polizeilichen Einvernahmen; Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäss
Art. 5 Abs. 3 BV
bei der Berufung auf diesen Anspruch; Fall, in dem eine Verletzung des Anspruchs auf einen Verteidiger zu einer Aufhebung der Verurteilung führen kann; Pflicht zur Begründung eines Antrags auf Aufhebung (E. 4.1); Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben bei der Berufung auf eine Verletzung des Schweigerechts; Fall, in dem eine solche Verletzung zur Aufhebung der Verurteilung führen kann (E. 4.2). | Sachverhalt
ab Seite 98
BGE 138 I 97 S. 98
A.
Par jugement du 27 juin 2008, le Tribunal criminel de l'arrondissement de l'Est vaudois a notamment condamné X. pour meurtre et assassinat à la peine privative de liberté à vie sous déduction de la détention préventive effectuée. Le recours interjeté contre ce jugement a été rejeté par arrêt de la Cour de cassation pénale du canton de Vaud du 29 octobre 2008. X. a formé un recours en matière pénale contre cet arrêt auprès du Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de cet arrêt, subsidiairement à son acquittement et au rejet des conclusions civiles prises à son encontre.
B.
Avant que ce dernier recours n'ait été tranché, une première demande de révision de la part du condamné a toutefois été admise et la cause renvoyée au Tribunal criminel de l'arrondissement de Lausanne pour nouvelle instruction et nouveau jugement.
Suite à une nouvelle instruction complète de la cause, cette autorité a, par jugement du 18 mars 2010, maintenu la condamnation pénale prononcée le 27 juin 2008. Le recours formé contre cette décision a été rejeté par arrêt de la Cour de cassation pénale du canton de Vaud du 4 octobre 2010. En bref, cette autorité a estimé que les preuves finalement retenues à charge de X. étaient adéquates et pertinentes et constituaient un faisceau d'indices convergents permettant de considérer qu'il ne subsistait aucun doute, considérable et irréductible, quant au fait qu'il avait tué le 24 décembre 2005 sa mère B. et C., en les frappant de manière répétée avec une violence extrême, ainsi que sa soeur A.
X. a formé un recours en matière pénale contre le jugement du 18 mars 2010 et l'arrêt du 4 octobre suivant. Il conclut à l'annulation de ces décisions, à son acquittement et au déboutement des autres opposants. Subsidiairement, il requiert l'annulation de ces décisions, le
BGE 138 I 97 S. 99
renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision et le déboutement des autres opposants.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Le recourant soulève le grief de violation du droit à un procès équitable au sens des
art. 6 et 13 CEDH
.
4.1
Concrètement, il invoque dans un premier moyen que la Cour de cassation aurait appliqué arbitrairement l'
art. 411 al. 1 let
. g du Code de procédure pénale vaudois du 12 septembre 1967 (CPP/VD), dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 2010, et violé l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH en déclarant irrecevable son grief de violation de cette dernière disposition. Subsidiairement, à supposer que la Cour de cassation n'ait pas été compétente pour connaître de cette violation, le recourant estime que celle-ci, invoquée à l'encontre du jugement du 18 mars 2010, doit conduire à l'annulation de cette dernière décision.
4.1.1
En vertu de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH, tout accusé a droit de se défendre lui-même ou d'avoir l'assistance d'un défenseur de son choix. Cette garantie constitue un aspect particulier du droit au procès équitable au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. L'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH confère à l'accusé le droit de bénéficier de l'assistance d'un avocat dès les premiers stades des interrogatoires de police, sauf à démontrer, à la lumière des circonstances particulières de l'espèce, qu'il existe des raisons impérieuses de restreindre ce droit. Même dans ce dernier cas, pareille restriction ne doit pas indûment porter atteinte aux droits de l'accusé découlant de l'
art. 6 CEDH
. Il est en principe porté une atteinte irrémédiable aux droits de la défense lorsque des déclarations incriminantes, faites lors d'un interrogatoire de police subi sans assistance possible d'un avocat, sont utilisées pour fonder une condamnation (arrêts de la CourEDH
Salduz contre Turquie
du 27 novembre 2008 § 50 ss;
Lopata contre Russie
du 13 juillet 2010 § 130).
4.1.2
Le Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (CPP; RS 312.0), entré en vigueur le 1
er
janvier 2011, consacre le droit à un "avocat de la première heure" à son art. 158. Tel n'était toutefois pas le cas avant cette date dans le canton de Vaud, sa législation n'autorisant pas à l'époque, sauf exceptions non réalisées en l'espèce, le défenseur à assister le prévenu lors des interrogatoires menés par le juge d'instruction et la police (
art. 191 al. 2 CPP
/VD, également applicable aux auditions faites par la police en vertu du renvoi prévu par l'
art. 171 al. 1 CPP
/VD).
BGE 138 I 97 S. 100
Que ce soit dans son recours cantonal ou dans son recours en matière pénale, le recourant ne conclut pas à la constatation de la violation de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH, mais uniquement à l'annulation des décisions entreprises. Dans la mesure où cette conclusion ne peut être admise pour les motifs qui suivent, la question de savoir si le fait pour le recourant d'avoir été entendu par la police et par le juge d'instruction en l'absence d'un défenseur est compatible avec l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH peut rester ouverte.
4.1.3
La Cour de cassation a déclaré le grief de violation de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH irrecevable, d'une part parce qu'il s'agissait d'une irrégularité de procédure antérieure à l'arrêt de renvoi, pour laquelle le recours en nullité n'était pas ouvert (
art. 411 al. 1 CPP
/VD), d'autre part car le fait de soulever un tel grief au stade du recours cantonal seulement était contraire au principe de la bonne foi. Elle a en outre ajouté que le recourant n'avait pas été privé d'un procès équitable, dans la mesure où il avait été condamné sur la base de plusieurs éléments de preuve concordants et non pas exclusivement sur ses déclarations alors qu'il n'était pas accompagné d'un avocat.
4.1.4
La décision de la Cour de cassation est fondée sur une triple motivation. Les deux premières, principales, conduisent à l'irrecevabilité du grief. La dernière, subsidiaire, conduit à son rejet sur le fond.
Dans un tel cas, lorsque la décision attaquée comporte plusieurs motivations indépendantes, alternatives ou subsidiaires, toutes suffisantes pour sceller le sort de la cause, la partie recourante doit, sous peine d'irrecevabilité, démontrer que chacune d'elles est contraire au droit (
ATF 136 III 534
consid. 2 p. 535;
ATF 133 IV 119
consid. 6.3 p. 120 s.).
En l'espèce, le recourant, qui n'invoque pas la violation de l'
art. 5 al. 3 Cst.
consacrant le principe de la bonne foi, n'établit pas conformément aux exigences posées par l'
art. 106 al. 2 LTF
(cf. consid. 3.1 non publié) que la Cour de cassation aurait méconnu ce principe. Sa déclaration selon laquelle "cela étant, le principe de la bonne foi, certes applicable en procédure également, ne saurait faire obstacle à la recevabilité du grief, étant souligné que le recourant a été condamné à la prison à perpétuité" est à cet égard insuffisante. Pour cette raison déjà, le grief soulevé contre la décision d'irrecevabilité rendue par la Cour de cassation est lui-même irrecevable. Dans ces circonstances, la question de savoir si la Cour de cassation a appliqué arbitrairement l'
art. 411 al. 1 let
. g CPP/VD peut rester ouverte.
4.1.5
Pour le surplus, l'
art. 5 al. 3 Cst.
impose aux parties au procès pénal de se comporter conformément aux règles de la bonne foi. Ces
BGE 138 I 97 S. 101
règles s'appliquent notamment aux droits procéduraux des parties découlant de la CEDH (cf. arrêts 1C_461/2010 du 31 janvier 2011 consid. 3.2; 6B_9/2011 du 10 janvier 2011 consid. 2). Ainsi, la partie qui s'aperçoit qu'une règle de procédure est violée à son détriment ne saurait laisser la procédure suivre son cours sans réagir, dans le but, par exemple, de se réserver un moyen de nullité pour le cas où le jugement à intervenir ne la satisferait pas. Les manoeuvres dilatoires de cette sorte sont inadmissibles. Aussi la partie qui renonce sciemment à faire valoir la violation d'une règle de procédure devant un juge qui serait en mesure d'en réparer les conséquences est en principe déchue du droit de se prévaloir de cette violation devant le Tribunal fédéral (cf.
ATF 135 III 334
consid. 2.2 p. 336 et les références citées; plus récemment arrêts 1C_461/2010 du 31 janvier 2011 consid. 3.2; 6B_61/2010 du 27 juillet 2010 consid. 1.2).
4.1.5.1
A de multiples reprises entre le 5 janvier 2006 et le 27 juillet 2007, le recourant a été entendu par la police et le juge d'instruction sans l'assistance d'un défenseur.
Le recourant a consulté un avocat dès le 12 janvier 2006. Il aurait pu, s'il souhaitait invoquer la violation durant l'instruction de son droit à l'assistance d'un avocat, recourir contre l'arrêt de renvoi du 29 janvier 2008 (
art. 294 let
. f CPP/VD). Il ne l'a pas fait. Il lui appartenait, s'il estimait que des procès-verbaux établis en l'absence de son avocat pouvaient lui porter préjudice dans l'examen de sa culpabilité, de requérir du Tribunal d'arrondissement de l'Est vaudois qu'il retire ces pièces du dossier (cf. arrêt 1B_77/2010 du 19 avril 2010 consid. 4.2). Conformément aux
art. 361 ss CPP
/VD, il devait pour ce faire agir par la voie incidente et formuler ses conclusions par écrit. Il ne l'a pas fait.
Le jugement rendu par cette autorité le 27 juin 2008 cite diverses déclarations faites par le recourant en cours d'enquête et en tire plusieurs réflexions. Ces éléments ont été repris quasiment à l'identique par le Tribunal d'arrondissement de Lausanne dans son jugement du 18 mars 2010. Le recourant le reconnaît. Dès lors, s'il estimait que la prise en compte de ces éléments par une autorité de jugement violait l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH, le recourant devait invoquer ce grief non pas seulement dans son recours cantonal contre le jugement du 18 mars 2010, mais déjà dans son recours contre le jugement du 27 juin 2008. Il ne l'a pas fait. Il n'a pas non plus soulevé ce moyen à l'appui de son recours contre l'arrêt de la Cour de cassation du 29 octobre 2008.
BGE 138 I 97 S. 102
En réalité, ce n'est que suite à l'admission de sa première demande de révision que le recourant a soulevé, en deuxième instance au cours de son deuxième procès, ce grief. Or, le principe de la révision n'a été admis que sur la base d'un seul fait nouveau, à savoir le témoignage de P. qui déclarait avoir vu B. et A. en vie le 24 décembre 2005, en fin d'après-midi. Le fait que le recourant n'ait pas été assisté durant certaines auditions menées durant l'enquête était en revanche connu bien avant le début même du premier procès et n'était pas l'objet de la demande en révision. Dans ces circonstances, le recourant ne saurait détourner l'institution de la révision et exploiter la phase du rescisoire afin de soulever un grief soumis au principe d'allégation (
art. 106 al. 2 LTF
), qu'il connaissait déjà avant la clôture de l'enquête, mais qu'il n'a invoqué ni lors de son premier jugement, ni dans les recours formés à l'issue de celui-ci. Son comportement viole le principe de la bonne foi.
4.1.5.2
Par ailleurs, lors du deuxième procès devant le Tribunal d'arrondissement de Lausanne, le Ministère public a demandé que le jugement du 27 juin 2008 soit porté à la connaissance du Tribunal. Le recourant ne s'y est pas opposé. Il n'a pas non plus requis de l'autorité de première instance que les procès-verbaux litigieux soient retranchés, tout au moins pas dans les formes requises par le droit cantonal. On ne saurait à cet égard retenir qu'il aurait, comme il l'invoque sans plus de précision, pris une telle conclusion lors des plaidoiries. En effet, le procès-verbal du jugement du 18 mars 2010 indique uniquement qu'à ce stade le premier conseil du recourant a conclu à son acquittement et au rejet des conclusions civiles et que son deuxième conseil a pris les mêmes conclusions. Le fait qu'il n'ait pas demandé au cours des débats, dans les formes requises, le retranchement de pièces qu'il estime aujourd'hui contraires à l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH est d'autant plus frappant qu'il a procédé par cette voie durant l'audience de jugement du 2 mars 2010 afin d'obtenir le retranchement d'un rapport et de ses annexes, ce qui lui a été accordé. Cette démarche était donc possible, le recourant la connaissait et ne l'a pas utilisée. Ce n'est ainsi en définitive que devant l'autorité de recours cantonale qu'il s'est plaint, dans les formes requises, de ne pas avoir été assisté d'un avocat lors des auditions menées durant l'enquête.
Au vu de l'ensemble de ces éléments, la Cour de cassation a à juste titre considéré que le recourant avait soulevé de manière tardive et partant irrecevable le grief de violation de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH (cf. arrêts 6B_61/2010 du 27 juillet 2010 consid. 1.2; 6B_967/2008
BGE 138 I 97 S. 103
du 6 juillet 2008 consid. 1.4 et 1.5). Ce moyen, invoqué dans le recours en matière pénale dirigé contre le jugement du 18 mars 2010, est également, pour ce même motif, irrecevable. La question de savoir si cette décision pouvait encore être attaquée peut rester ouverte.
4.1.5.3
Le recourant soutient également que son droit d'être entendu a été violé, la Cour de cassation ne s'étant pas déterminée sur la question de savoir si la défense avait effectivement plaidé la question de la validité des moyens de preuve collectés en violation de l'
art. 6 CEDH
, question pertinente selon le recourant pour juger de sa bonne foi.
Il résulte de ce qui précède (cf. supra consid. 4.1.5.1 s.) que le fait de savoir si le recourant avait ou non formulé un tel grief dans le cadre de sa plaidoirie, lors du deuxième procès, n'est pas de nature à influer sur le sort de la cause, ce qui exclut toute violation du droit d'être entendu du recourant (sur ce droit, cf. consid. 6.1 non publié).
4.1.6
Eût-il été recevable, le grief de violation de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH n'aurait de toute façon pas justifié l'annulation des décisions entreprises.
4.1.6.1
A l'instar du droit de se taire et du droit à être informé de ce droit, également au coeur de la notion de procès équitable (arrêts de la CourEDH
Bykov contre Russie
du 10 mars 2009 § 92;
Murray contre Royaume-Uni
du 8 février 1996 § 45), le non-respect du droit à l'assistance d'un avocat n'entraîne pas nécessairement l'annulation de la condamnation pénale. L'accusé peut avoir validé, alors qu'il était assisté d'un avocat, les déclarations faites sans ce dernier. Dans ce cas, il ne semble pas inéquitable de lui opposer ces déclarations (cf. arrêts 6B_188/2010 du 4 octobre 2010 consid. 2.2; 6P.67/2003 du 14 août 2003 consid. 3.1.2). L'annulation d'un jugement rendu suite à une procédure au cours de laquelle l'accusé a été entendu sans pouvoir être assisté d'un avocat ne se justifie pas non plus, si les faits retenus ne sont pas établis seulement par ces déclarations mais aussi, de manière suffisante, par d'autres moyens de preuve (cf. arrêt 6B_61/2010 du 27 juillet 2010 consid. 1.2; également arrêts 6B_993/2010 du 10 février 2011 consid. 1.2; 6B_188/2010 du 4 octobre 2010 consid. 2.2). Dans ce cas, le renvoi de la cause à l'autorité précédente en raison de cette seule circonstance n'aurait pas de sens et conduirait seulement à prolonger la procédure (cf.
ATF 137 I 195
consid. 2.3.2 p. 197 et 198;
ATF 136 V 117
consid. 4.2.2.2 p. 126 et les arrêts cités).
BGE 138 I 97 S. 104
Une telle appréciation est conforme à la volonté du législateur. Celui-ci a en effet expressément subordonné la possibilité d'obtenir la révision d'un arrêt du Tribunal fédéral pour violation de la CEDH, constatée par un arrêt définitif de la Cour européenne des droits de l'homme, à la condition qu'une telle révision soit nécessaire pour remédier aux effets de la violation (
art. 122 let
. c LTF, ayant remplacé au 1
er
janvier 2007 l'
art. 139a al. 1 et 2 OJ
).
Le recourant, qui conclut à l'annulation de sa condamnation en arguant d'une violation de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH, doit donc, sous peine d'irrecevabilité, démontrer que la décision a été viciée du fait même de l'irrégularité qu'il invoque (cf. arrêts 4A_66/2007 du 13 juillet 2007 consid. 2.3; 2P.20/2005 du 13 avril 2005 consid. 3.2; 4P.189/2002 du 9 décembre 2002 consid. 3.2.2 et les références citées).
4.1.6.2
En l'occurrence, le recourant, qui n'a jamais avoué les faits, n'indique pas quelle déclaration précise, faite sans l'assistance d'un avocat, aurait eu une influence sur son droit à un procès équitable et, au final, sur sa condamnation. Pour ce motif encore, sa conclusion en annulation des décisions entreprises, fondée sur une prétendue violation de l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH, ne peut qu'être écartée.
4.1.6.3
Au demeurant, le jugement du 18 mars 2010, auquel se réfère l'arrêt du 4 octobre 2010, reprend certes longuement les déclarations du recourant faites durant l'enquête sans ses conseils puis en présence de ces derniers. Il termine toutefois l'exposé de ces allégations en concluant non pas que celles faites sans avocat et non confirmées par la suite en présence des conseils du recourant constituent une preuve à charge de ce dernier, mais, seulement, que celui-ci a menti et que le drame peut être considéré comme ayant eu lieu le 24 décembre 2005 sur la base d'autres éléments. La lecture de cette première décision permet en effet de constater que le Tribunal d'arrondissement de Lausanne s'est déclaré convaincu de la culpabilité du recourant sur la base d'autres preuves, en particulier les témoignages recueillis, dont ceux de l'avocate Q., de R. et du banquier S., les écrits collectés par les enquêteurs et enfin les traces de l'ADN du recourant retrouvées sur le col de la chemise de nuit portée par sa mère le jour du drame et sur la lame des ciseaux retrouvés sous son corps sans vie.
En outre, le recourant passe sous silence le fait qu'il a confirmé, en détail et alors qu'il était assisté de ses conseils, les deux versions - contradictoires - fournies à la police et au juge d'instruction. Il a en
BGE 138 I 97 S. 105
particulier affirmé lors de la reconstitution, en présence de ses deux avocats, s'être rendu au domicile de sa mère et de sa soeur le 24 décembre 2005, vers 13 h ou 14 h et avoir vu sa soeur, sa mère et C., ces dernières étant toutes deux déjà mortes. Durant cette reconstitution, il a également indiqué que sa soeur, le 24 décembre 2005, saignait et qu'elle s'était à cette occasion agrippée à son t-shirt, un transfert de sang ayant pu se faire à ce moment-là. Rien n'aurait empêché les autorités cantonales de retenir à charge du recourant ses déclarations, ce alors même qu'elles confirmaient celles faites sans l'assistance d'un avocat. Les autorités précédentes étaient également fondées à retenir que le recourant avait varié dans ses déclarations.
Dès lors, si les déclarations faites par le recourant sans l'assistance d'un avocat ont été largement citées dans les décisions entreprises, force est de constater, d'une part, que les faits retenus à sa charge reposent sur d'autres moyens de preuve, et, d'autre part, que les autorités cantonales pouvaient s'y référer dans la mesure où le recourant les a répétées, en détail, alors qu'il était assisté de ses conseils. Dans ces circonstances, il ne se justifie pas d'annuler les décisions entreprises au seul motif que le recourant n'était pas accompagné d'un défenseur lors d'auditions menées durant l'enquête.
4.1.6.4
Le recourant invoque l'arrêt de la CourEDH
Salduz contre Turquie
du 27 novembre 2008. Dans cette affaire, le prévenu, encore mineur, avait été arrêté par la police et toute l'instruction s'était faite à charge lors de sa détention sans qu'il ait eu la moindre possibilité de consulter un avocat. La Cour européenne des droits de l'homme a jugé dans ce cas que les droits de la défense avaient été irrémédiablement restreints, car l'Etat avait fait de l'aveu de l'intéressé devant la police la preuve essentielle justifiant sa condamnation, les déclarations faites par ses coaccusés à sa charge n'ayant pas été maintenues au procès. Le recourant ne peut manifestement rien déduire de cet arrêt, dans la mesure où d'une part il n'a jamais avoué les faits, d'autre part il a confirmé, en présence de ses défenseurs, les déclarations faites par devant la police et le juge d'instruction et enfin, et surtout, sa condamnation repose sur d'autres preuves que ses déclarations.
4.2
Le recourant invoque également qu'il n'aurait pas été informé de son droit de se taire lors de son audition du 5 janvier 2006. Il estime que la Cour de cassation aurait violé les
art. 411 al. 1 let
. g CPP/VD, 6 par. 1 et 13 CEDH en déclarant ce grief irrecevable. Subsidiairement, s'en prenant au jugement du 18 mars 2010, il soutient que la
BGE 138 I 97 S. 106
violation répétée de son droit de se taire doit conduire à l'annulation des décisions entreprises.
4.2.1
La notion et la portée du droit de se taire ont été rappelées récemment par la jurisprudence (arrêt 6B_188/2010 du 4 octobre 2010 consid. 2), à laquelle on peut se référer.
4.2.2
La Cour de cassation a déclaré ce grief irrecevable, d'une part, parce qu'en tant que moyen relatif au déroulement de l'enquête, elle n'était pas, aux termes de l'
art. 411 al. 1 let
. g CPP/VD, compétente pour en connaître et, d'autre part, car le fait de soulever un tel grief au stade du recours cantonal seulement était contraire au principe de la bonne foi.
4.2.3
Faute pour le recourant de démontrer que la Cour de cassation aurait méconnu l'
art. 5 al. 3 Cst.
, sa critique est irrecevable (cf. supra consid. 4.1.4).
4.2.4
Au demeurant, le recourant expose avoir dénoncé la violation, lors de l'audition du 5 janvier 2006, de son droit de garder le silence dans son recours, déposé le 22 avril 2010 seulement. Il n'indique pas avoir soulevé ce grief avant cette date. La Cour de cassation pouvait dès lors considérer, dans les circonstances d'espèce, que ce moyen était tardif et partant irrecevable (cf. supra consid. 4.1.5). Par surabondance, ce grief n'était pas propre, eût-il été recevable, à conduire à l'annulation de l'arrêt du 4 octobre 2010, dans la mesure où la culpabilité du recourant se fonde sur d'autres éléments de preuve que l'audition du 5 janvier 2006, au cours de laquelle - le recourant l'omet - il n'a jamais admis les faits, même pas sa présence dans la villa le 24 décembre 2005 (cf. supra consid. 4.1.6.3).
Il en va de même concernant le grief de violation du droit de garder le silence soulevé contre le jugement du 18 mars 2010, le recourant ne démontrant notamment pas que l'une ou l'autre des déclarations faites durant l'une des auditions citées aurait été utilisée pour fonder sa condamnation (cf. supra consid. 4.1.6.2).
4.3
Pour le surplus, faute de motivation répondant aux exigences posées par l'
art. 106 al. 2 LTF
(cf. consid. 3.1 non publié), les griefs de violation des
art. 31 al. 2 Cst.
et 13 CEDH sont irrecevables. | public_law | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8ad45222-fb64-4e3e-a24e-b31bf980473d | Urteilskopf
98 IV 273
55. Urteil des Kassationshofes vom 1. Dezember 1972 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Hauser. | Regeste
Art. 26 Abs. 2 SVG
.
Der vortrittsberechtigte Fahrzeugführer ist dann zur Herabsetzung einer an sich zulässigen Geschwindigkeit verpflichtet, wenn sich aus der Unklarheit oder Ungewissheit einer bestimmten Verkehrslage (die nach allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit fremden Fehlverhaltens unmittelbar in die Nähe rückt) ergibt, dass er durch einen andern Strassenbenützer in seiner Fahrt behindert werden könnte. | Sachverhalt
ab Seite 274
BGE 98 IV 273 S. 274
A.-
1) Die Europabrücke in Zürich ist in vier Fahrspuren aufgeteilt, von denen zwei dem Verkehr in Richtung Höngg, zwei dem Gegenverkehr in Richtung Altstetten dienen. Die Mitte der Europabrücke hält eine einen langen Streifen bildende Verkehrsinsel. Auf der Höhe der Würzgrabenstrasse, die in Richtung Höngg gesehen nach rechts abzweigt, ist die genannte Verkehrsinsel unterbrochen, so dass in Richtung Altstetten verkehrende Fahrzeuge nach links über die Fahrspuren des nach Höngg fliessenden Verkehrs in die Würzgrabenstrasse abbiegen können.
2) Am 24. Mai 1971, um 16.40 Uhr, führte Hauser seinen Personenwagen auf der äusseren rechten Fahrspur in Richtung Höngg. Während er sich der Abzweigung der Würzgrabenstrasse näherte, vor welcher ein Fussgängerstreifen die Europabrücke überquert, hielt vor diesem Streifen auf der Spur zu seiner Linken eine Fahrzeugkolonne. Er fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit an dieser vorbei und stiess in die Einmündungszone der Würzgrabenstrasse vor, um die Fahrt geradeaus fortzusetzen. Im gleichen Augenblick bog Stöcklin am Steuer seines Personenwagens aus der Gegenfahrbahn vor ihm in Richtung Würzgrabenstrasse ab. Obschon Hauser sogleich bremste, konnte er den Zusammenstoss nicht mehr vermeiden. Stöcklin und seine Mitfahrerin Marie Nikles wurden infolge des heftigen Aufpralls tödlich verletzt.
B.-
Am 18. April 1972 verurteilte das Bezirksgericht Zürich Hauser wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 3 Monaten und zu einer Busse von Fr. 800.--.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach Hauser am 19. September 1972 von Schuld und Strafe frei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Verurteilung des Beschwerdegegners wegen fahrlässiger Tötung.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass Hauser gegenüber Stöcklin vortrittsberechtigt gewesen ist. Des weitern hat die Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht und daher für den Kassationshof verbindlich festgestellt (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
), dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder in der
BGE 98 IV 273 S. 275
Anklage geltend gemacht seien, dass der Beschwerdegegner das entgegenkommende, im Linksabbiegen begriffene Fahrzeug Stöcklins innert der für ein Anhalten notwendigen Zeit gesehen habe oder hätte sehen können. Die Sicht nach links sei für Hauser durch die stehende Kolonne auf der Nebenfahrbahn wesentlich beeinträchtigt gewesen. Gleich wie im Falle
BGE 93 IV 33
habe der Beschwerdegegner das Fahrzeug, dessen Lenker sein Vortrittsrecht zu missachten im Begriff gewesen sei, auch bei ausreichender Sorgfalt nicht wahrnehmen können. Im übrigen dürfe von der nur in einer Richtung befahrbaren Würzgrabenstrasse nicht in die Europabrücke eingebogen werden, so dass Hauser auch nicht mit einem ihm gegenüber vortrittsberechtigten Fahrzeug von dieser Seite her habe rechnen müssen.
Danach steht fest, dass Hauser es nicht an der gebotenen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen, noch dass er wegen eines einem anderen Fahrzeuglenker zustehenden Vortrittsrechtes anders hätte fahren müssen, als er es tatsächlich getan hat. Etwas Gegenteiliges wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Für die Staatsanwaltschaft steht denn auch einzig die Frage zur Entscheidung, ob nicht die auf der linken Fahrspur haltende Fahrzeugkolonne vom Beschwerdegegner als ein konkretes Indiz dafür hätte gewertet werden müssen, dass sein Vortrittsrecht missachtet werden konnte.
2.
Nach ständiger Rechtsprechung darf der sich ordnungsgemäss verhaltende vortrittsberechtigte Führer sich darauf verlassen, dass andere Strassenbenützer sein Recht achten werden. Er hat deshalb seine Fahrt nicht zum vorneherein zugunsten Nichtberechtigter zu verlangsamen, und dies selbst bei unübersichtlichen Verzweigungen nicht. Denn die Unübersichtlichkeit geht zu Lasten des Wartepflichtigen. Zur Verminderung einer an sich zulässigen Geschwindigkeit ist deshalb der Vortrittsberechtigte erst gehalten, wenn bestimmte konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass er durch einen anderen Strassenbenützer in seiner Fahrt behindert werden könnte (
BGE 93 IV 34
/5;
BGE 96 IV 38
E. 3, 132;
BGE 97 IV 127
). Solche Anzeichen können sich entweder aus einem sichtbaren Verhalten eines andern oder aus der Unklarheit oder Ungewissheit einer bestimmten Verkehrslage ergeben, die nach allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit fremden Fehlverhaltens unmittelbar in die Nähe rückt (
BGE 97 IV 244
).
BGE 98 IV 273 S. 276
Ein auf eine mögliche Missachtung des Vortrittsrechtes des Beschwerdegegners hinweisendes erkennbares Verhalten eines anderen Strassenbenützers steht hier nicht in Frage. Wie bereits oben ausgeführt, ist einzig zu prüfen, ob im Umstand, dass vor dem die Europabrücke querenden Fussgängerstreifen eine Wagenkolonne anhielt, als Hauser sich diesem näherte, ein Anzeichen im Sinne des
Art. 26 Abs. 2 SVG
gelegen habe, das dem Beschwerdegegner den Gedanken an eine mögliche Missachtung seines Vortrittsrechtes durch einen (noch) nicht sichtbaren Strassenbenützer hätte aufdrängen müssen.
a) Die Vorinstanz hat die Frage verneint, weil Hauser lediglich durch logische Überlegungen auf die Möglichkeit einer solchen Gefährdung hätte schliessen können. "Kombinationen" solcher Art dürften jedoch einem vortrittsberechtigten Automobilisten nicht zugemutet werden, ansonst das Vortrittsrecht entwertet und ein zusätzliches Unsicherheitsmoment in den Verkehr hineingetragen werde. Im übrigen habe das Stocken der Kolonne auf der Nebenspur seinen Grund nicht nur in der Rücksichtnahme auf Fussgänger oder auf linksabbiegende Automobilisten haben können. Vielmehr komme es verhältnismässig oft vor, dass Kolonnen zum Anhalten gezwungen seien, wobei die verschiedensten Gründe (z.B. Motorpanne des ersten Wagens usw.) im Spiele sein könnten.
Demgegenüber macht die Staatsanwaltschaft geltend, der Beschwerdegegner habe die stillstehende Kolonne gesehen, und er habe selber anerkannt, nicht gewusst zu haben, "ob die Gefahr, deretwegen die Kolonne anhielt, schon vorbei war oder nicht". Er habe also mit der Möglichkeit einer konkreten Gefahrenlage gerechnet, daraus aber nicht die sich aufdrängenden Schlussfolgerungen gezogen, habe er doch seine Fahrt unvermindert fortgesetzt und nicht einmal Bremsbereitschaft erstellt. Er habe es deshalb an der Vorsicht fehlen lassen, die am Platze sei, wenn Anzeichen dafür bestünden, dass sich ein anderer Strassenbenützer nicht richtig verhalten werde.
b) Dem Obergericht ist insoweit beizupflichten, als die in
Art. 26 Abs. 2 SVG
für den Vortrittsberechtigten geforderte Vorsichtspflicht nicht überspannt werden darf, soll das Vortrittsrecht seinen vollen Sinn bewahren. Aus diesem Grunde hat denn auch die Rechtsprechung zu
Art. 26 Abs. 2 SVG
verlangt, dass konkrete Anzeichen auf das mögliche Fehlverhalten eines andern hinweisen müssen, und sie hat insbesondere erklärt,
BGE 98 IV 273 S. 277
dass dort, wo nicht ein sichtbares Verhalten eines andern auf die Gefahr hinweist, sondern eine unklare und ungewisse Verkehrslage in Frage steht, dieser Unsicherheitsfaktor dem Erfordernis des konkreten Anzeichens nur genügt, wenn er nach allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit fremden Fehlverhaltens unmittelbar in die Nähe rückt (
BGE 97 IV 244
). Wo das zutrifft, bedarf es seitens des Führers keiner komplizierten logischen Ueberlegungen, um die Gefahr zu erkennen und sich darauf einzurichten. Dass aber der Fahrzeuglenker mit einiger Ueberlegung reagiere, ist ihm als eine selbstverständliche Vorsichtspflicht zuzumuten.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Aussagen des Beschwerdegegners im kantonalen Verfahren, dass ihm die Verhältnisse auf der Europabrücke geläufig waren. Vor der Bezirksanwaltschaft hatte Hauser erklärt, die fragliche Stelle auf der Höhe der Würzgrabenstrasse sei ihm als gefährlich bekannt. Weiter steht fest, dass er die auf der Nebenspur vor dem Fussgängerstreifen haltende Kolonne schon von weitem gesehen hat. Auch ergibt sich aus seinen eigenen Aussagen im kantonalen Verfahren, dass er sich wegen dieser Kolonne, die aus acht bis zehn Fahrzeugen bestanden haben soll, "stark darauf konzentriert" hatte, ob wohl irgendein Fahrzeug seine Fahrbahn überqueren wolle; er habe deshalb nach links geschaut, wo der vorderste Wagen der Kolonne stand, dabei jedoch nichts gesehen. Vor Bezirksgericht hat Hauser zudem erklärt, er habe, weil er nichts gesehen habe, nicht wissen können, ob die Gefahr, deretwegen die Kolonne angehalten habe, vorbei gewesen sei oder nicht. Aus diesen Aussagen erhellt, dass der Beschwerdegegner sich darüber Rechenschaft gegeben hat, dass aus dem durch die Kolonne seinem Blick entzogenen Bereich ein anderer Strassenbenützer auftauchen und ihm die Fahrbahn abschneiden könnte. Damit ist aber auch gesagt, dass Hauser die haltende Wagenkolonne tatsächlich als konkretes Anzeichen für ein mögliches Fehlverhalten eines Dritten verstanden hatte. Die durch jene Aussagen belegte Ungewissheit der Verkehrslage hätte ihm überdies eine solche Möglichkeit nach allgemeiner Erfahrung unmittelbar nahelegen müssen. Das ergibt sich einerseits daraus, dass der mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Beschwerdegegner wusste, dass sich in der Einmündungszone der Würzgrabenstrasse keine optische Signalanlage befindet, welche die auf der
BGE 98 IV 273 S. 278
Nebenspur stehende Kolonne allenfalls durch ein Rotlicht zum Halten gezwungen hätte. Anderseits fehlte ihm die Gewissheit, dass der Grund des Haltens der Kolonne bloss in einer Motorpanne des vordersten Fahrzeuges zu suchen war. Unter diesen Umständen war die Verkehrslage für ihn völlig unklar und die Möglichkeit des Fehlverhaltens eines linksabbiegenden Fahrzeugführers nach allgemeiner Erfahrung in unmittelbare Nähe gerückt.
Im übrigen wäre der Beschwerdegegner auch deswegen zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen, weil die Wagenkolonne vor einem Fussgängerstreifen angehalten hatte. Er hätte unter solchen Umständen auch mit einem den Uebergang benützenden und unvorsichtig in seine Fahrbahn heraustretenden Fussgänger rechnen müssen. Indem er mit unverminderter Geschwindigkeit an der auf der Nebenspur haltenden Kolonne vorbeifuhr und in die Einmündungszone der Würzgrabenstrasse vorstiess, hat er es damit an der gebotenen Sorgfalt fehlen lassen. Solange er nämlich nicht sicher war, dass der Halt der Kolonne durch einen andern Grund als die Rücksichtnahme auf ein linksabbiegendes Fahrzeug oder auf einen Fussgänger bedingt war (z.B. durch eine Panne), durfte er nicht sehenden Auges in die ungewisse Verkehrslage hineinfahren, darauf vertrauend, dass die andern ihre Sorgfaltspflicht gewissenhaft erfüllen und damit die Verkehrssicherheit ausreichend gewährleisten würden. Vielmehr hätte er sich durch entsprechende Mässigung der Geschwindigkeit seines Fahrzeuges darauf einrichten müssen, dass er den Gefahren, welche bei jenen Verkehrsverhältnissen nach allgemeiner Erfahrung nahelagen, nach Möglichkeit wirksam begegnen konnte. Das hat Hauser nicht getan, weshalb ihm der Vorwurf einer Übertretung von
Art. 26 Abs. 2 SVG
nicht erspart werden kann.
Fällt aber dem Beschwerdegegner nach dem Gesagten ein Verstoss gegen die Verkehrsordnung zur Last, so ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Da diese sich zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen jener Hauser zur Last fallenden Übertretung einerseits und dem Tod Stöcklins und der Marie Nikles anderseits im angefochtenen Urteil nicht ausgesprochen hat, wird sie dies nachholen und je nach dem Ausgang der Sache in diesem Punkte Hauser nach
Art. 117 StGB
oder nach
Art. 90 SVG
bestrafen müssen.
BGE 98 IV 273 S. 279
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes - II. Strafkammer - des Kantons Zürich vom 19. September 1972 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ad469be-b6e3-41bb-8070-f832e450a52a | Urteilskopf
119 Ib 202
24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Oktober 1993 i.S. Kotb c. Bundesamt für Flüchtlinge (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internierung eines Ausländers.
1. Voraussetzungen der Internierung gemäss
Art. 14a und 14d ANAG
(E. 2).
2. Vereinbarkeit mit
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
(E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 119 Ib 202 S. 203
Der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren ist gegenüber den Behörden unter verschiedenen Namen aufgetreten. So nannte er sich Samir Kotb, Hassan Ali, Ali Aboucharaf und Mohamed Aboucharaf. Auch über das Datum seiner Geburt - er soll am 7. September 1967, 1968, 1970 oder 1972 geboren sein - und über seine Herkunft machte er unterschiedliche Angaben. So gab er an, palästinensischer Herkunft zu sein, bezeichnete sich aber auch als libanesischen oder dann wieder als marokkanischen Staatsangehörigen. Seine wahre Identität steht bis heute nicht fest.
Der Beschwerdeführer wurde am 4. Juni 1990 von der Kantonspolizei Genf mittellos und ohne Identitätsausweis aufgegriffen. Mit Urteil vom 22. Juni 1990 wurde er wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu 5 Tagen Gefängnis und 3 Jahren Landesverweisung verurteilt. Eine weitere Verurteilung zu 7 Tagen Gefängnis wegen Ladendiebstahls erfolgte am 25. Juli 1990. Da eine Ausschaffung vorläufig nicht möglich war, wurde er am 9. August 1990 auf Antrag der Behörden des Kantons Genf durch Verfügung des Bundesamtes für Flüchtlinge vorläufig aufgenommen. Am 14. Februar 1991 sowie am 6. August 1991 reichte er unter zwei verschiedenen, zuvor nicht benutzten Namen Asylgesuche ein, wobei er beide Male dem Kanton Zürich zugewiesen wurde. Das Bundesamt für Flüchtlinge trat mit Verfügung vom 7. August 1992 auf die beiden Gesuche nicht ein und wies den Ausländer an, unverzüglich in den Kanton Genf zurückzukehren, wo er vorläufig aufgenommen worden war.
Sowohl vor wie auch nach Erlass dieser Verfügung wurde der Beschwerdeführer immer wieder in der Zürcher Drogenszene aufgegriffen. Mehrfach wurde er der Fremdenpolizei des Kantons Genf zugeführt, kehrte aber jeweils umgehend wieder nach Zürich zurück. Mit Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 22. Dezember 1992 wurde er wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 30 Tagen Gefängnis bedingt verurteilt. Wegen Diebstahlversuchs und Nichtanzeigens eines Fundes wurde er mit Strafbefehl vom 12. Januar 1993 erneut mit 30 Tagen Gefängnis bedingt bestraft. Am 20. März 1993 erfolgte eine weitere Verzeigung wegen Konsums und Vermittlung von Heroin. Ein Strafurteil liegt diesbezüglich nicht bei den Akten.
BGE 119 Ib 202 S. 204
Auf Antrag der Fremdenpolizei des Kantons Zürich ordnete das Bundesamt für Flüchtlinge mit Verfügung vom 21. April 1993 die Internierung an, und zwar vorerst für sechs Monate bis zum 15. Oktober 1993. Die Verfügung erwuchs in Rechtskraft.
Mit einer weiteren Verfügung vom 27. September 1993 verlängerte das Bundesamt für Flüchtlinge die Internierung um sechs Monate bis zum 15. April 1994.
Das Bundesgericht weist die gegen diese Verfügung gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gegen Verfügungen über die Internierung von Ausländern nicht ausgeschlossen (vgl.
Art. 100 lit. b OG
). Sie kann unmittelbar gegen den erstinstanzlich vom Bundesamt für Flüchtlinge erlassenen Entscheid erhoben werden (
Art. 98 lit. c OG
in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 1bis des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG, SR 142.20]
in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juni 1986). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten.
2.
a) Das Bundesamt für Flüchtlinge verfügt die vorläufige Aufnahme oder Internierung, wenn der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist (
Art. 14a ANAG
). Die Internierung in einer geeigneten Anstalt setzt gemäss
Art. 14d Abs. 2 ANAG
voraus, dass der Ausländer die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz oder die innere Sicherheit eines Kantons gefährdet (lit. a) oder dass er durch seine Anwesenheit die öffentliche Ordnung schwer gefährdet (lit. b).
Die Internierung stellt nach dieser Regelung eine Ersatzmassnahme für den Fall dar, dass der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung undurchführbar ist. Sie setzt damit voraus, dass der Ausländer zur Ausreise verpflichtet ist, dies aber zwangsweise (vorläufig) nicht durchgesetzt werden kann. Zudem muss von der weiteren Anwesenheit des Ausländers eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgehen.
b) In seiner ersten Internierungsverfügung führte das Bundesamt für Flüchtlinge aus, der Beschwerdeführer sei von der Fremdenpolizei des Kantons Genf weggewiesen worden. Ob dies zutrifft, lässt sich den vom Bundesamt eingereichten Akten nicht entnehmen.
BGE 119 Ib 202 S. 205
Hingegen ist aktenkundig, dass gegen den Beschwerdeführer eine strafrechtliche Landesverweisung vorliegt. Diese verpflichtet den Ausländer, das Land zu verlassen und es für die angeordnete Dauer nicht mehr zu betreten. Sie ist insoweit der fremdenpolizeilichen Ausweisung gleichzusetzen. Ist ihre zwangsweise Vollstreckung nicht durchführbar, so kommt die vorläufige Aufnahme und - sofern der Ausländer die öffentliche Ordnung schwer gefährdet - die Internierung in Betracht.
Die Identität des Beschwerdeführers ist bis heute nicht geklärt. Er verfügt über keine Papiere, benutzte verschiedene Namen und machte unterschiedliche Angaben zu seiner Herkunft. Er war bisher nicht bereit, Angaben zu seiner Person zu machen, welche es erlaubt hätten, die erforderlichen Papiere zu beschaffen. Die Vollstreckung der Landesverweisung ist damit vorläufig unmöglich. Insoweit ging das Bundesamt für Flüchtlinge zutreffend davon aus, dass nichts anderes verbleibt, als die weitere Anwesenheit des Beschwerdeführers durch vorläufige Aufnahme oder Internierung zu regeln.
c) Es stellt sich damit die Frage, ob der Beschwerdeführer, wie das Bundesamt annimmt, im Sinne von
Art. 14d Abs. 2 ANAG
die öffentliche Ordnung schwer gefährdet. Nur wenn dies der Fall ist, kann an die Stelle der vorläufigen Aufnahme die Internierung treten.
Die gegen den Beschwerdeführer bisher ausgefällten Strafen erscheinen als solche nicht von erheblichem Gewicht. Die erste gegen ihn verhängte Strafe von 5 Tagen Gefängnis geht darauf zurück, dass er unter Verletzung der Bestimmungen des ANAG in die Schweiz einreiste. Die zweite Strafe von 7 Tagen Gefängnis erfolgte wegen Ladendiebstahls. Sodann wurde mit 30 Tagen Gefängnis geahndet, dass der Beschwerdeführer erfolglos versucht hatte, mit zwei gefundenen Bancomatkarten an einem Automaten Bargeld zu beziehen. Schliesslich wurde der Beschwerdeführer ebenfalls mit 30 Tagen Gefängnis bestraft, weil er in der Zeit zwischen November 1991 und November 1992 täglich in der Zürcher Drogenszene eine Portion Heroin bezogen, diese konsumiert und weil er zusätzlich zwischen dem 27. Oktober und dem 1. November 1992 insgesamt an fünf kaufwillige Konsumenten Betäubungsmittel vermittelt hatte. Diese deliktische Tätigkeit gefährdet zwar die öffentliche Ordnung. Das Gesetz verlangt für die Anordnung der Internierung aber, dass die Anwesenheit des Ausländers die öffentliche Ordnung schwer gefährdet.
Bei isolierter Betrachtung der vom Beschwerdeführer begangenen Delikte lässt sich kaum auf eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung schliessen. Das gilt nicht nur für den Ladendiebstahl
BGE 119 Ib 202 S. 206
und den (dilettantisch begangenen) Diebstahlsversuch mit Bancomatkarten. Auch die Betäubungsmitteldelikte des süchtigen Beschwerdeführers sind eher untergeordneter Natur. Indessen ist in die Beurteilung auch die besondere Problematik der offenen Zürcher Drogenszene miteinzubeziehen, deren Auswirkungen die Wohnbevölkerung im Zürcher Stadtkreis 5 in ausserordentlich schwerwiegender Weise belasten. Der Beschwerdeführer ist nicht nur wegen Betäubungsmittelkonsums, sondern auch wegen Vermittlung von Heroin verurteilt worden. Die strafrechtliche Verurteilung konnte ihn nicht davon abhalten, weiter zu konsumieren und andere Drogensüchtige an Händler zu vermitteln, wie sich dem Einvernahmeprotokoll der Stadtpolizei Zürich vom 19. März 1993 entnehmen lässt. Mit seinem Verhalten hat der Beschwerdeführer aktiv zum Funktionieren der offenen Drogenszene beigetragen. Mag sein Anteil auch gering erscheinen, so muss doch in Rechnung gestellt werden, dass es das gehäufte Auftreten untergeordneter Drogendelinquenz ist, welches, zusammen genommen, die spezifische Problematik der offenen Zürcher Drogenszene ausmacht. Unter diesen konkreten Umständen und angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Rückführung in den Kanton Genf, wo ihm vorläufige Aufnahme gewährt worden war, immer wieder nach Zürich zurückkehrte, ist die Internierung mit den Anforderungen des Gesetzes vereinbar. Die schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung, welche von dieser Szene ausgeht, ist auch dem Beschwerdeführer zuzurechnen.
3.
a) Zu prüfen bleibt, ob die angefochtene Internierung menschenrechtskonform ist. Nach
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den in der Bestimmung (lit. a-f) genannten Fällen entzogen werden. In Betracht fällt vorliegend
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
. Danach kann einem Menschen die Freiheit entzogen werden, wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Nicht anwendbar ist vorliegend die Tatbestandsvariante des unberechtigten Eindringens in das Staatsgebiet. Wohl wird hievon nicht nur der Ausländer erfasst, der sich anschickt, in das Land unberechtigt einzudringen, sondern auch derjenige, der bereits illegal eingereist ist (
BGE 110 Ib 8
). Dem Beschwerdeführer ist aber die vorläufige Aufnahme gewährt worden, so dass seine Internierung nicht mehr auf die illegale
BGE 119 Ib 202 S. 207
Einreise gestützt werden kann. Sie lässt sich folglich nur damit begründen, dass ein Ausweisungsverfahren hängig sei.
Die Internierung setzt zwar nach
Art. 14a ANAG
voraus, dass der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist. Das braucht aber nicht zwingend auf längere Zeit oder gar dauernd der Fall zu sein. Vielmehr genügt für die Internierung bereits, dass der Vollzug vorläufig undurchführbar ist. Solange sich die Behörden darum bemühen, die angeordnete Aus- oder Wegweisung zu vollziehen, liegt im Sinne von
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
ein hängiges Ausweisungsverfahren vor, welches den Entzug der Freiheit grundsätzlich zu rechtfertigen vermag.
b) Mit einem hängigen Ausweisungsverfahren könnte die Internierung allerdings nicht begründet werden, wenn feststeht, dass der Vollzug in absehbarer Zeit nicht durchführbar ist oder wenn die Behörden den Vollzug der Massnahme nicht mit der nötigen Beförderung vorantreiben würden.
Diesbezüglich fällt in Betracht, dass der Beschwerdeführer bereits seit sechs Monaten interniert ist und das Bundesamt für Flüchtlinge mit der angefochtenen Verfügung die Internierung um weitere sechs Monate verlängert hat. Diese lange Internierungsdauer ist jedoch weitgehend auf das Verhalten des Beschwerdeführers selbst zurückzuführen, der sich beharrlich weigert, sachdienliche Angaben zu seiner Herkunft zu machen. Den Akten lässt sich im übrigen entnehmen, dass sich die Behörden intensiv darum bemühen, die Identität des Beschwerdeführers zu klären. In der Zwischenzeit (Mitte September) ist es ihnen gelungen, die marokkanische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers festzustellen; die marokkanische Botschaft anerkennt dies, verlangt aber für die Ausstellung von Papieren weitere Angaben. Angesichts dieser Bemühungen lässt sich nicht sagen, das Verfahren werde nicht mit der nötigen Beförderung vorangetrieben. Die weitere Internierung des Beschwerdeführers ist damit mit
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
vereinbar. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8ad49246-0722-49a9-9863-6b0c7c2451d7 | Urteilskopf
122 I 70
13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Februar 1996 i.S. Schweizerischer Hängegleiter-Verband und Michael Lenz gegen Kanton Appenzell Innerrhoden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 3 und 37ter BV
, Art. 2 ÜbBest. BV; Zuständigkeiten der Kantone für Einschränkungen des Startens und Landens mit Hängegleitern.
Abstrakte Normenkontrolle; Legitimation (E. 1).
Art. 37ter BV
gibt dem Bund eine umfassende, aber keine ausschliessliche Kompetenz auf dem Gebiet der Luftfahrt. Die Kantone bleiben zuständig für Rechtsfragen, die der Bund nicht abschliessend geregelt hat (E. 2).
Das Luftfahrtrecht des Bundes regelt das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend. Die Kantone bleiben zuständig für Einschränkungen im Interesse des Natur- und Heimatschutzes (E. 3 und 4).
Das angefochtene Gesetz lässt Raum für eine verfassungskonforme, dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung tragende Anwendung (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 71
BGE 122 I 70 S. 71
A.-
Die Landsgemeinde des Kantons Appenzell Innerrhoden erliess am 30. April 1995 ein neues Alpgesetz, dessen Art. 8 wie folgt lautet:
"Art. 8 Sportliche Tätigkeiten
1
Das Alpgebiet darf mit Ausnahme der bewilligten Routen nicht mit Fahrrädern befahren werden.
2
Das Starten und Landen mit Deltaseglern oder anderen Fluggeräten ist im Alpgebiet mit Ausnahme der bewilligten Start- und Landegebiete verboten.
3
Das Landwirtschaftsdepartement regelt in Zusammenarbeit mit dem Polizeidepartement und dem Volkswirtschaftsdepartement die Routen bzw. die Start- und Landegebiete im Sinne dieses Artikels.
4
Der Grosse Rat kann auf dem Verordnungsweg für weitere Tätigkeiten, die die Alpen besonders belasten, Vorschriften erlassen."
Widerhandlungen gegen diese Vorschrift werden gemäss Art. 16 des Alpgesetzes mit Haft oder Busse bestraft.
B.-
Der Schweizerische Hängegleiter-Verband und Michael Lenz erheben mit gemeinsamer Eingabe vom 30. Mai 1995 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 3 und 37ter BV
und beantragen, es seien der ganze Absatz 2 und die Worte "bzw. die Start- und Landegebiete" in Absatz 3 des Artikels 8 des Alpgesetzes für ungültig zu erklären und aufzuheben. Zur Begründung bringen sie vor, die angefochtenen Formulierungen stellten eine Flugbetriebsregel für Fluggeräte dar, verstiessen gegen die Zuständigkeit des Bundes im Bereich der Luftfahrt und seien demzufolge ungültig bzw. nichtig.
C.-
Der Grosse Rat des Kantons Appenzell Innerrhoden beantragt in seiner Vernehmlassung vom 7. Juli 1995, die Beschwerde abzuweisen. Er bringt vor, die streitigen Vorschriften seien gestützt auf
Art. 699 ZGB
erlassen worden; die Bundeskompetenz im Bereich der Luftfahrt sei nicht abschliessend, weshalb die kantonalen Kompetenzen auf dem Gebiet der Raumplanung und des Baurechts nicht beschnitten würden. Das Luftfahrtrecht des Bundes befreie nicht von der Einhaltung der gestützt auf
Art. 699 ZGB
erlassenen Verbote.
D.-
In dem vom Bundesgericht angeordneten zweiten Schriftenwechsel bringen die Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 18. August 1995 vor,
Art. 699
BGE 122 I 70 S. 72
Abs. 1 ZGB
bilde keine rechtliche Grundlage, um gegen den Willen der betroffenen Grundstücksbesitzer ein Betretungsverbot aufzustellen. Zudem sei das im Alpgesetz vorgesehene Verbot nicht ein "einzelnes, bestimmt umgrenztes Verbot", sondern allgemein und unbeschränkt. Im übrigen sei nicht bewiesen, dass ein öffentliches Interesse an einem generellen Verbot des Startens und Landens im Alpgebiet bestehe. Das Luftfahrtrecht des Bundes enthalte keine Delegationsnorm, welche die Kantone ermächtige, das Befliegen eines Gebietes zu verbieten.
Der Grosse Rat des Kantons Appenzell Innerrhoden hält in seiner Duplik vom 5. September 1995 an seinem Antrag fest. Gestützt auf
Art. 699 ZGB
könnten Zutrittsbeschränkungen nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse verhängt werden. Das angefochtene Verbot sei im Interesse der Schonung der Kulturen und des ökologischen Gleichgewichts des Alpgebietes erlassen worden. Das Verbot gelte zudem nicht im ganzen Alpgebiet, sei somit eingeschränkt und bestimmt umgrenzt.
Das zur Vernehmlassung eingeladene Bundesamt für Zivilluftfahrt vertritt in seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 1995 die Ansicht, eigentliche luftrechtliche Regelungen der Kantone seien unzulässig, da der Bund keine entsprechenden Kompetenzen an die Kantone delegiert habe. Das Luftrecht des Bundes regle die Aussenlandungen von Hängegleitern und gebe dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement auch die Möglichkeit, zum Schutze der Natur bestimmte Einschränkungen zu erlassen. Zudem könne der Eigentümer eines Grundstücks privatrechtlich das Starten und Landen mit Luftfahrzeugen verbieten. Die Bewilligungskompetenz für Infrastrukturanlagen für die Luftfahrt liege ausschliesslich beim Bund.
Art. 699 ZGB
bilde keine Grundlage für kantonale Einschränkungen des Flugbetriebs. Einzelne Starts und Landungen mit Fluggeräten lägen noch im Rahmen des Gemeingebrauchs und seien von
Art. 699 ZGB
abgedeckt. Das generelle Start- und Landeverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 des Alpgesetzes sei deshalb bundesrechtswidrig. Zudem sei fraglich, ob die Voraussetzungen für ein Verbot nach
Art. 699 ZGB
erfüllt seien.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist zulässig gegen kantonale Erlasse wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
). Die Beschwerdeführer rügen eine kompetenzwidrige kantonale
BGE 122 I 70 S. 73
Gesetzgebung und damit einen Verstoss gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts, welche aus Art. 2 der Übergangsbestimmungen der BV abgeleitet wird und nach ständiger Rechtsprechung als verfassungsmässiges Recht anerkannt ist (
BGE 107 Ia 286
E. 4a S. 288;
BGE 114 Ia 164
E. 3a S. 166;
BGE 119 Ia 453
E. 2b S. 456). Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde geltend gemacht werden kann (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Da ein kantonaler Erlass angefochten wird, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeschlossen. Unzulässig ist auch die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat, da die Beschwerdeführer sinngemäss eine Verletzung von Art. 2 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung rügen, deren Beurteilung in die Zuständigkeit des Bundesgerichts fällt (
Art. 73 Abs. 2 lit. a VwVG
;
BGE 119 Ia 197
E. 1b S. 200). Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher zulässig.
b) Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass ist legitimiert, wer durch die angefochtene Bestimmung unmittelbar oder virtuell (d.h. mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit) in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (
BGE 119 Ia 197
E. 1c S. 200 f., mit Hinweis).
Der Beschwerdeführer 2 als Mitinhaber einer im Alpsteingebiet tätigen Hängegleiter-Flugschule ist ohne weiteres zur Beschwerde berechtigt. Ein Verband ist legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Interessen seiner Mitglieder zu wahren, wenn er als juristische Person konstituiert ist, nach seinen Statuten die durch die angerufenen verfassungsmässigen Rechte geschützten Interessen seiner Mitglieder zu wahren hat und die Mehrzahl oder doch eine Grosszahl seiner Mitglieder vom angefochtenen Erlass direkt oder virtuell betroffen sind (
BGE 119 Ia 197
E. 1c bb S. 201). Das trifft für den Beschwerdeführer 1 zu. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten.
c) Nach
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
muss die staatsrechtliche Beschwerde die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht wendet im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde das Recht nicht von Amtes wegen an, sondern prüft nur Rügen, die genügend klar und detailliert erhoben werden (
BGE 118 Ia 184
E. 2 S. 189, mit Hinweisen).
BGE 122 I 70 S. 74
Die Rüge muss zudem innert der Frist von
Art. 89 Abs. 1 OG
erhoben werden. Findet wie im vorliegenden Fall in Anwendung von
Art. 93 Abs. 3 OG
ein zweiter Schriftenwechsel statt, so ist eine Beschwerdeergänzung nur insoweit zulässig, als die Erwägungen der kantonalen Behörden hierzu Anlass geben. Rügen, welche bereits in der Beschwerde selber hätten vorgebracht werden können, sind unstatthaft (
BGE 118 Ia 305
E. 1c S. 308, mit Hinweisen). Das gilt für die erst im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels erhobene Rüge, die beanstandete Bestimmung finde in
Art. 699 ZGB
keine Grundlage und es fehle dafür an einem ausgewiesenen öffentlichen Interesse.
2.
a) Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist (
Art. 3 BV
). Sie haben eine originäre Gesetzgebungskompetenz, die nur insoweit aufgehoben ist, als der Bund entweder ausschliesslich, mit ursprünglich derogatorischer Wirkung, zuständig ist oder aber in einem Bereich, in dem er konkurrierend, mit nachträglich derogatorischer Wirkung, kompetent ist, von seiner Zuständigkeit abschliessend Gebrauch gemacht hat (
BGE 120 Ia 89
E. 2b S. 91, mit Hinweisen). Soweit der Bund in einem Bereich, in welchem er zwar umfassend, aber mit nachträglich derogatorischer Wirkung zuständig ist, nicht abschliessend legiferiert hat, bleiben die Kantone zuständig, ohne dass es dazu einer Delegation durch das Bundesrecht bedürfte (
BGE 107 Ia 286
E. 4a S. 288;
BGE 109 Ia 61
E. 2a S. 67;
BGE 112 Ia 398
E. 4a S. 401;
BGE 114 Ia 350
E. 4a S. 355 f.;
BGE 115 Ia 234
E. 12b S. 272 f.;
BGE 117 Ia 27
E. 7c S. 34;
BGE 118 Ia 427
E. 9c S. 444 f.;
BGE 119 Ia 453
E. 2b S. 456; ULRICH HÄFELIN/ WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 3. A. Zürich 1993, S. 97; YVO HANGARTNER, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, Bern 1974, S. 136 f., 182, 184; YVO HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, S. 73; PETER SALADIN, Kommentar BV, Rz. 23 zu Art. 2 ÜbBest). Das kantonale Recht darf dabei freilich inhaltlich nicht bundesrechtswidrig sein, das heisst nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zwecke beeinträchtigen oder vereiteln (
BGE 112 Ia 398
E. 4a S. 401;
BGE 114 Ia 350
E. 4a S. 356;
BGE 116 Ia 264
E. 4a S. 272;
BGE 119 Ia 453
E. 2b S. 456). Ein blosser Zielkonflikt zwischen kantonalem und Bundesrecht bewirkt jedoch noch keine Bundesrechtswidrigkeit des kantonalen Rechts, sondern ist Ausdruck davon, dass Bund und Kantone je eigene Gebietskörperschaften sind, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch unterschiedliche Ziele verfolgen dürfen (
BGE 109 Ia 134
E. 4a S. 140 f.;
BGE 111 Ia 303
E. 6c S. 311;
BGE 119 Ia 390
E. 6c S. 403; vgl. auch
BGE 120 Ia 126
E. 4d
BGE 122 I 70 S. 75
cc/dd S. 135 f.; PETER SALADIN, Kommentar BV, Rz. 216 zu Art. 3).
b)
Art. 37ter BV
gibt dem Bund eine umfassende, aber entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer nicht eine ausschliessliche, sondern eine konkurrierende, nachträglich derogatorische Kompetenz auf dem Gebiet der Luftfahrt (
BGE 119 Ib 222
E. 2a S. 225; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Bundesstaatsrecht der Schweiz, Basel 1991, S. 284; MARTIN LENDI, Kommentar BV, Rz. 2 und 4 zu Art. 37ter). Kantonales Recht bleibt daher zulässig, soweit das Bundesrecht eine Rechtsfrage nicht abschliessend geregelt hat. Es ist daher zu prüfen, ob das Luftfahrtrecht des Bundes die Benützung von Fluggeräten abschliessend regelt.
3.
a) Erklärt eine Verfassungsbestimmung den Bund in einem bestimmten Sachbereich für zuständig, so regelt die gestützt darauf erlassene Bundesgesetzgebung die entsprechenden sachverhaltsspezifischen Aspekte häufig abschliessend. So enthält zum Beispiel das Atomrecht des Bundes eine erschöpfende Regelung für die spezifischen Aspekte der nuklearen Sicherheit (
BGE 111 Ia 303
E. 5a S. 307;
BGE 111 Ib 102
E. 5a S. 105 f.;
BGE 119 Ia 390
E. 6c S. 402). Ebenso ist das Luftfahrtrecht des Bundes im allgemeinen bezüglich der luftfahrtspezifischen Aspekte, insbesondere der Flugsicherheit und -sicherung, als abschliessend zu betrachten (Urteile des Bundesgerichts vom 27. Oktober 1982, ZBl 84/1983 S. 365 E. 3a S. 369; vom 25. Juni 1986, ZBl 89/1988 S. 65 E. 3e/4a; vom 2. November 1994, ZBl 96/1995 S. 457, E. 4b).
b) Vom bundesrechtlich umfassend geregelten Sachbereich der Luftfahrt sind die der kantonalen Kompetenz unterstehenden Befugnisse zu unterscheiden, zum Beispiel auf den Gebieten der Raumplanung, des Baurechts und des Natur- und Heimatschutzes. In solchen Bereichen ist kompetenzgemäss erlassenes kantonales Recht auch anwendbar auf Sachverhalte, die hinsichtlich ihrer luftfahrtspezifischen Aspekte durch die Luftfahrtgesetzgebung des Bundes erfasst sind (
BGE 102 Ia 355
E. 6 S. 358 ff.; ZBl 89/1988 S. 65 E. 4 S. 70 f.;
BGE 119 Ib 222
E. 2b S. 225 f.). Das kantonale Recht regelt in diesem Falle nicht dieselbe Rechtsfrage wie das Bundesrecht; es liegt kein Kompetenzkonflikt vor, sondern eine Kompetenzkumulation, was sich darin äussert, dass auf einen Sachverhaltskomplex mehrere einschlägige Gesetzgebungen kumulativ anwendbar sein können (vgl.
BGE 107 Ia 286
E. 4a S. 288; MARTIN KELLER, Aufgabenverteilung und Aufgabenkoordination im Landschaftsschutz, Diss. Bern 1977, S. 29 ff.; PETER SALADIN, Bund und Kantone, ZSR 103/1984 II S. 431-590, 460; PETER SALADIN, Kommentar BV, Rz. 17
BGE 122 I 70 S. 76
und 28 zu Art. 2 ÜbBest). Insoweit werden die kantonalen Kompetenzen nur beschnitten, wenn die Spezialgesetzgebung des Bundes ausdrücklich von der Einhaltung der kantonalen Vorschriften dispensiert (
BGE 119 Ib 222
E. 2a S. 225, mit Hinweisen;
BGE 102 Ia 355
E. 6d S. 360; ZBl 89/1988 S. 65 E. 4 S. 70) oder sonstwie nach ihrem klaren Sinn auch hinsichtlich dieser Aspekte als abschliessend zu betrachten ist (ZBl 84/1983 S. 369). Die Praxis, wonach die Ausübung kantonaler Kompetenzen die Wahrnehmung von Bundesaufgaben nicht vereiteln oder erheblich erschweren dürfe, kommt vorliegend nicht zur Anwendung, da durch das appenzellische Gesetz keine Bundesaufgabe betroffen ist.
4.
a) Die angefochtene Bestimmung regelt nicht spezifisch fliegerische Aspekte. Die Einschränkung des Sportbetriebes im Alpgebiet gilt ausser für Fluggeräte auch für das Radfahren und kann durch den Grossen Rat auf weitere Tätigkeiten, die die Alpen besonders belasten, ausgedehnt werden. Anknüpfungspunkt der Regelung ist nicht das Fliegen mit Fluggeräten, sondern das Starten und Landen bzw. die damit einhergehende Benützung des Alpgebiets. Ob das Starten und Landen im haftpflichtrechtlichen Sinne zum Flug gehört, ist dabei unerheblich. Selbst wenn das zutrifft, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass der Bund alle mit dem Starten und Landen zusammenhängenden Rechtsfragen abschliessend geregelt hat. Der Kanton Appenzell Innerrhoden begründet sein Alpgesetz mit dem Interesse an der Wahrung des ökologischen Gleichgewichts, also mit Aspekten des Naturschutzes, für welchen die Kantone grundsätzlich zuständig sind (
Art. 24sexies Abs. 1 BV
). Diese kantonale Zuständigkeit ist originär und besteht auch ohne Delegation durch das Bundesrecht. Der Bund könnte freilich aufgrund seiner umfassenden Zuständigkeit gemäss
Art. 37ter BV
für die mit dem Flugbetrieb zusammenhängenden Sachverhalte auch die Aspekte des Natur- und Heimatschutzes abschliessend regeln (LENDI, a.a.O., Rz. 8), wodurch entsprechende Bestimmungen des kantonalen Rechts unzulässig würden. Es ist daher zu prüfen, ob das Bundesrecht die vom appenzellischen Alpgesetz erfassten Rechtsfragen bereits abschliessend geregelt hat.
b) Gemäss Art. 1 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz, LFG; SR 748.0) ist die Benützung des Luftraumes über der Schweiz durch Luftfahrzeuge im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes und der übrigen Bundesgesetzgebung gestattet. Die angefochtene appenzellische Bestimmung betrifft jedoch nicht die Benützung des
BGE 122 I 70 S. 77
Luftraumes, sondern die Benützung des Alpgebietes für das Starten und Landen, so dass
Art. 1 LFG
dafür nicht einschlägig ist.
c)
Art. 37a und 37b LFG
(in der Fassung vom 18. Juni 1993, in Kraft seit 1. Januar 1995, AS 1994 3010) schliessen für Flugplätze die Anwendung kantonalen Rechts weitgehend aus. Diese Bestimmungen sind jedoch vorliegend nicht anwendbar, da das angefochtene Alpgesetz nicht die Errichtung von Flugplätzen regelt, sondern das Starten und Landen von Deltaseglern ausserhalb von Flugplätzen. In
BGE 119 Ib 222
hat das Bundesgericht entschieden, dass die Errichtung eines Landeplatzes für Hängegleiter mangels bundesrechtlicher Spezialbestimmung dem kantonalen Bau- und Planungsrecht untersteht. Die am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Revision des Luftfahrtgesetzes ändert diese Rechtslage höchstens insoweit, als feste Plätze, welche eigens für den Abflug und die Landung von Hängegleitern hergerichtet werden, allenfalls als Flugplätze im Sinne des Luftfahrtrechts gelten (vgl. Art. 2 der Verordnung vom 23. November 1994 über die Infrastruktur der Luftfahrt, VIL; SR 748.131.1) und damit Gegenstand einer entsprechenden Bewilligung (nach
Art. 37a oder 37b LFG
) bilden können. Vorliegend wird von keiner Seite geltend gemacht, dass in dem Gebiet, in welchem gemäss dem Alpgesetz das Starten und Landen verboten wird, derartige Landeplätze luftfahrtrechtlich bewilligt worden seien. Dass das Alpgesetz den kantonalen Behörden die Befugnis gibt, Gebiete zu bezeichnen, in denen das Starten und Landen zulässig ist, bedeutet nicht, dass der Kanton damit Bewilligungen für Flugplätze erteilen würde, wofür er in der Tat nicht zuständig wäre, sondern der Kanton hebt damit nur für bestimmte Gebiete das generelle Verbot des Startens und Landens auf.
d) Gemäss
Art. 12 Abs. 2 LFG
in der Fassung vom 18. Juni 1993 erlässt der Bundesrat Vorschriften zum Schutz der Natur im Zusammenhang mit der Benützung von Luftfahrzeugen. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass die gestützt darauf vom Bundesrat allenfalls erlassenen Vorschriften den Schutz der Natur abschliessend regeln. Eine bundesrechtliche Vorschrift, welche ausdrücklich kantonales Recht als nicht anwendbar bezeichnet, besteht nicht. Der Umstand, dass der Bund bei seinen Aktivitäten gewisse Aspekte berücksichtigt, die an sich in die kantonale Zuständigkeit fallen, schliesst die entsprechende kantonale Kompetenz grundsätzlich nicht aus (
BGE 111 Ib 102
E. 5b S. 108). Im Gegenteil ist anzunehmen, dass der Bundesgesetzgeber nur die in den
Art. 37a und 37b LFG
ausdrücklich
BGE 122 I 70 S. 78
genannten kantonalen Zuständigkeiten beschränken und ausserhalb des Anwendungsbereichs dieser Bestimmungen die kantonalen Kompetenzen nicht einschränken wollte.
Art. 21 Abs. 2 LFG
behält denn auch ausdrücklich die allgemeinen polizeilichen Befugnisse der Kantone auf den dem Flugverkehr dienenden Grundstücken vor und belässt damit auch die Möglichkeit, dass die Kantone bei der Beeinträchtigung von Polizeigütern einschreiten dürfen (ZBl 89/1988 S. 65 E. 4b).
e) Das bestehende Luftfahrtrecht des Bundes regelt denn auch inhaltlich, wie im folgenden zu zeigen ist, die Benützung des Bodens für das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend.
aa) Luftfahrzeuge dürfen unter Vorbehalt der vom Bundesrat zu bestimmenden Ausnahmen nur auf Flugplätzen abfliegen oder landen (
Art. 8 Abs. 1 LFG
). Als Luftfahrzeuge gelten grundsätzlich auch Hängegleiter (Anhang zur Luftfahrtverordnung vom 14. November 1973, LFV, SR 748.01; in der Fassung vom 23. November 1994, AS 1994 3036). Nach
Art. 108 Abs. 1 lit. b LFG
(in der Fassung vom 18. Juni 1993) kann jedoch der Bundesrat vorsehen, dass einzelne Bestimmungen des Gesetzes unter anderem auf nicht motorisch angetriebene Luftfahrzeuge keine Anwendung finden. Gemäss
Art. 57 VIL
sind Starts und Landungen von Hängegleitern auch ausserhalb von Flugplätzen ohne die in
Art. 50 VIL
vorgeschriebene Aussenlandungsbewilligung zulässig. Gemäss
Art. 21 LFV
(in der Fassung vom 23. November 1994) kann das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Departement) für Luftfahrzeuge besonderer Kategorien Sonderregeln erlassen und andere Massnahmen treffen. Es berücksichtigt dabei auch die Anliegen des Natur-, Landschafts- und Umweltschutzes.
Gestützt darauf hat das Departement am 24. November 1994 die Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien (VLK; SR 748.941, AS 1994 3076) erlassen, die gemäss ihrem Art. 1 u.a. für Hängegleiter (dazu gehören namentlich Deltas und Gleitschirme,
Art. 6 VLK
) gilt. Gemäss
Art. 3 Abs. 1 VLK
besteht für diese Luftfahrzeuge kein Zwang, auf einem Flugplatz abzufliegen oder zu landen. Abs. 2 behält das Recht der an einem Grundstück Berechtigten auf Abwehr von Besitzesstörungen und Ersatz ihres Schadens vor.
Art. 8 Abs. 1 VLK
verbietet das Starten und Landen von Hängegleitern auf öffentlichen Strassen und Skipisten; Abs. 4 behält für den Einsatz von Hängegleitern auf öffentlichen Gewässern die Bundesgesetzgebung über die Binnenschiffahrt und das entsprechende kantonale Recht vor. Dieser Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts geht weiter als die allgemeine
BGE 122 I 70 S. 79
Regelung über Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern in
Art. 51 Abs. 1 VIL
. Schliesslich sieht
Art. 53 VIL
vor, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt sich unter Beizug des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft an der Erarbeitung von freiwilligen Betriebsregeln zum Schutz der Natur für bestimmte Kategorien von Luftfahrzeugen beteiligt und dass das Departement im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Departement des Innern zum Schutz der Natur in genau bezeichneten Gebieten für bestimmte Kategorien von Luftfahrzeugen Start-, Lande- oder Überflugsbeschränkungen erlassen kann.
bb)
Art. 57 VIL
und
Art. 3 VLK
legen nur fest, dass für Starts und Landungen von Hängegleitern die spezifisch flugrechtliche Aussenlandungsbewilligung nicht erforderlich ist, schliessen aber nicht aus, dass an bestimmten Orten gestützt auf andere einschlägige Gesetzgebungen Start- und Landebeschränkungen zu beachten sind. Die Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien enthält zwar explizite Einschränkungen oder Vorbehalte nur für öffentliche Strassen und Skipisten, Gewässer sowie für die privaten Rechte an Grundstücken. Doch müssen über diese Regelungen hinaus weitere Einschränkungen zulässig sein; so ist das Starten und Landen mit Hängegleitern zum Beispiel auch unzulässig auf Eisenbahngrundstücken (Art. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Februar 1878 betreffend Handhabung der Bahnpolizei, SR 742.147.1) oder im Schweizerischen Nationalpark, jedenfalls abseits der markierten Wege und Routen (Art. 2 der Nationalparkordnung des Grossen Rates des Kantons Graubünden vom 23. Februar 1983, erlassen gestützt auf das Nationalparkgesetz vom 19. Dezember 1980, SR 454). Diese Einschränkungen sind zu beachten, obwohl sie nicht in der Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien oder sonstwie in der Luftfahrtgesetzgebung, sondern in anderen einschlägigen Erlassen enthalten sind. Regelt somit das Luftfahrtrecht des Bundes klarerweise das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend, so sind nicht nur die übrigen bundesrechtlichen, sondern auch die kompetenzgemäss erlassenen kantonalrechtlichen Einschränkungen massgeblich. Das gilt namentlich für Einschränkungen aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes. Es kann nicht sinnvollerweise angenommen werden, dass in kantonalrechtlichen Naturschutzgebieten, in denen der Zutritt verboten oder eingeschränkt ist, das Starten und Landen mit Fluggeräten weiterhin - vorbehältlich allenfalls vom Departement gemäss
Art. 53 Abs. 2 VIL
erlassener Beschränkungen - uneingeschränkt zulässig bleibt.
BGE 122 I 70 S. 80
cc) Da schon die einschlägigen luftfahrtrechtlichen Verordnungen die Benützung des Bodens für Hängegleiter nicht erschöpfend regeln, kann offenbleiben, ob der eidgenössische Verordnungsgeber angesichts der gesetzlichen Regelung (vorne E. 4d) überhaupt eine abschliessende, die kantonalen Kompetenzen ausschliessende Regelung erlassen dürfte oder ob dazu nicht eine Änderung der formellgesetzlichen Vorgaben erforderlich wäre.
f) Gesamthaft ergibt sich, dass das Bundesrecht den Schutz der Natur oder der Alpgebiete vor Beeinträchtigungen durch das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend regelt. Die Kantone bleiben zuständig, in diesem Bereich zu legiferieren. Die Rüge, die angefochtene Bestimmung des Alpgesetzes sei kompetenzwidrig und verstosse dadurch gegen
Art. 37ter BV
bzw. gegen das Luftfahrtrecht des Bundes, erweist sich somit als unbegründet.
5.
Die Beschwerdeführer bringen in ihrer Replik vor, die angefochtene Regelung könne nicht auf
Art. 699 Abs. 1 ZGB
gestützt werden, da die dort vorgesehenen Verbote nur zum Schutz des Grundeigentümers zulässig seien und zudem bestimmt umgrenzt sein müssten und nicht das ganze Alpgebiet umfassen dürften.
a) Gemäss
Art. 699 Abs. 1 ZGB
ist das Betreten von Wald und Weide in ortsüblichem Umfange jedermann gestattet, soweit nicht im Interesse der Kulturen seitens der zuständigen Behörde einzelne bestimmt umgrenzte Verbote erlassen werden. Ob die fragliche Regelung als Verbot im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten sei, kann offenbleiben; denn neben den in
Art. 699 ZGB
vorgesehenen Verboten können die Kantone gestützt auf ihre originäre Gesetzgebungszuständigkeit öffentlichrechtlich das Zutrittsrecht weitergehend einschränken, zum Beispiel zum Schutz der Natur oder aus anderen polizeilichen Gründen (
BGE 58 I 173
E. 2 S. 175 f.;
BGE 106 Ib 47
E. 4d S. 51;
BGE 109 Ia 76
E. 3b S. 79; Hansjörg Seiler, Die Benützung des Waldes für Orientierungslauf, Münsingen 1984, S. 85).
b) Diese öffentlichrechtlichen Zutrittsverbote müssen allerdings einem haltbaren öffentlichen Interesse entsprechen, verhältnismässig sein und dürfen das Zutrittsrecht nicht seiner Substanz berauben (
BGE 43 I 282
E. 2 S. 286;
BGE 58 I 173
E. 4 S. 178;
BGE 109 Ia 76
E. 3b S. 79; SEILER, a.a.O., S. 87 ff.). Das im Alpgesetz vorgesehene generelle Verbot mag unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit als problematisch erscheinen, sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht (vgl.
BGE 119 Ia 197
E. 7 S. 211 ff. bezüglich Einschränkungen der Schiffahrt). Die Frage der Verhältnismässigkeit lässt sich indessen erst beurteilen, wenn die kantonalen Behörden die bewilligten Start- und Landegebiete bezeichnet
BGE 122 I 70 S. 81
haben. Das Gesetz sagt über Lage und Grösse dieser Flächen nichts aus. Es schliesst auch nicht zum vornherein aus, für bestimmte Gebiete bloss zeitlich limitierte Verbote zu erlassen und damit einer zu verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit Rechnung zu tragen. Das Alpgesetz lässt somit Raum für eine verfassungskonforme, dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung tragende Anwendung. Es steht jedoch den Interessierten frei, im Anschluss an eine örtlich oder zeitlich zu restriktive Festlegung der Start- und Landegebiete durch die appenzellischen Behörden die Vereinbarkeit mit
Art. 699 ZGB
und dem Verhältnismässigkeitsprinzip in einem neuen Verfahren wieder aufzuwerfen. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8ad5a12b-0f53-4617-b69e-aba09aaaddd4 | Urteilskopf
125 III 70
13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Oktober 1998 i.S. A. gegen B. (Berufung) | Regeste
Mobbing; missbräuchliche Kündigung; Persönlichkeitsverletzung; Genugtuung (
Art. 336 OR
,
Art. 328 OR
und
Art. 49 OR
).
Missbräuchliche Kündigung bei Mobbing (E. 2)?
Die Aufforderung an eine arbeitsunfähige Arbeitnehmerin, sich bei einem Psychiater vertrauensärztlich begutachten zu lassen, verletzt deren Persönlichkeit ohne besondere Umstände nicht schwer (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 71
BGE 125 III 70 S. 71
A. (Klägerin) war seit dem 1. März 1985 bei der B. (Beklagte) als Sachbearbeiterin tätig und für die Kantone Jura und Freiburg zuständig. Am 28. Oktober 1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis auf den 31. Januar 1994. Zufolge Krankheit verlängerte sich die Kündigungsfrist bis Ende Februar 1994. Am 8. September 1994 beantragte die Klägerin dem Amtsgericht Luzern-Stadt, ihre ehemalige Arbeitgeberin zur Zahlung von Fr. 49'320.-- nebst Zins als Entschädigung für missbräuchliche Kündigung im Sinne von
Art. 336a OR
sowie als Genugtuung und Schadenersatz zu verpflichten. Das Amtsgericht schützte die Klage am 30. Oktober 1996 im Umfang von Fr. 27'880.--. Das Obergericht des Kantons Luzern hiess eine Appellation der Beklagten am 2. März 1998 indessen gut und wies die Klage ab.
Das Bundesgericht weist die von der Klägerin dagegen erhobene Berufung ab, soweit es darauf eintritt,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Die Klägerin hatte im kantonalen Verfahren behauptet, ihre Entlassung sei der Höhepunkt und Abschluss eines ausgeklügelten Mobbing-Plans ihrer Vorgesetzten und einiger Mitarbeiter gewesen. Sie sei zurückgesetzt, systematisch gemieden und einem Psychoterror ausgesetzt worden (vgl. zum sog. '«Mobbing'» WAEBER, Le mobbing ou harcèlement psychologique au travail, quelles solutions?, AJP 1998 S. 792 ff.; REHBINDER/KRAUSZ, Psychoterror am Arbeitsplatz, in: Mitteilungen des Instituts für schweizerisches Arbeitsrecht (ArbR) 1996, S. 17 ff.). Die Vorinstanz hat diese Behauptung im angefochtenen Urteil nicht als erwiesen angesehen und insbesondere gewisse von der Klägerin für ein systematisches Vorgehen der Vorgesetzten und Mitarbeiter angeführte Indizien als unbewiesen verworfen. Die Klägerin stellt diese auf Beweiswürdigung beruhende Schlussfolgerung der Vorinstanz im Berufungsverfahren zu Recht nicht mehr in Frage. Sie hält jedoch an ihrer Ansicht fest, die Beklagte habe sie in ihrer Persönlichkeit schwer verletzt, denn die Beklagte habe dafür einzustehen, dass ihre unmittelbaren Vorgesetzten
BGE 125 III 70 S. 72
der Geschäftsleitung die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung beantragt hätten, als sie der Arbeit im Februar 1993 krankheitsbedingt ferngeblieben sei, und dass der Personalchef sie am 15. März 1993 beim Psychiater angemeldet und angewiesen habe, sich begutachten zu lassen; sie verlange deswegen Genugtuung (unten E. 3). Die Klägerin leitet aus diesen Vorfällen überdies ab, die ihr gegenüber erklärte Kündigung vom 28. Oktober 1993 sei missbräuchlich. Sie begründet dies damit, dass sie nach dem Vorfall mit der psychiatrischen Begutachtung nicht nur in ihrer Persönlichkeit tief verletzt, sondern auch verunsichert und verängstigt gewesen sei. Sie hält dafür, die Beklagte habe nach Kündigungsgründen gesucht und ihre Persönlichkeit verletzt, um sie von einem arbeitsrechtlichen Prozess abzuhalten, was missbräuchlich sei und die Rechtsfolgen des
Art. 336a OR
begründe.
a) Für die Rechtmässigkeit einer Kündigung bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Gründe, da das schweizerische Arbeitsrecht auch nach der Revision von 1988 vom Prinzip der Kündigungsfreiheit ausgeht (STAEHELIN/VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 3 zu
Art. 336 OR
; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht, S. 159). Missbräuchlich ist eine Kündigung nur, wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, die in
Art. 336 OR
umschrieben werden (GEISER, Der neue Kündigungsschutz im Arbeitsrecht, BJM 1994 S. 174). Die Aufzählung in
Art. 336 OR
ist allerdings nicht abschliessend (
BGE 123 III 246
E. 3b S. 251,
BGE 121 III 60
E. 3b S. 61; vgl. auch BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, Ziff. II zu Art. 336; GEISER, a.a.O., S. 183; REHBINDER, Berner Kommentar, N. 10 zu
Art. 336 OR
; STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, N. 3 zu Art. 336). Sie konkretisiert vielmehr das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot und gestaltet dieses mit für den Arbeitsvertrag geeigneten Rechtsfolgen aus. So hat die Rechtsprechung etwa im Zusammenhang mit Änderungskündigungen erwogen, Missbrauch könne vorliegen, wenn eine unbillige Änderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden soll, für die weder marktbedingte noch betriebliche Gründe bestehen, und die Kündigung als Druckmittel verwendet wird, um die Arbeitnehmerin zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen (
BGE 123 III 246
E. 3b S. 250 f.,
BGE 118 II 157
E. 4b/bb S. 165 f.). Sogenanntes Mobbing an sich begründet den Missbrauch des Kündigungsrechts nicht ohne weiteres (REHBINDER/KRAUSZ, a.a.O., S. 42). Denkbar ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine Kündigung etwa dann missbräuchlich sein kann, wenn sie wegen einer Leistungseinbusse
BGE 125 III 70 S. 73
des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, die sich ihrerseits als Folge des Mobbing erweist. Denn die Ausnutzung eigenen rechtswidrigen Verhaltens bildet einen typischen Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs (MERZ, Berner Kommentar, N. 540 ff. zu
Art. 2 ZGB
). Der Arbeitgeber, der Mobbing nicht verhindert, verletzt seine Fürsorgepflicht (
Art. 328 OR
). Er kann daher die Kündigung nicht mit den Folgen seiner eigenen Vertragsverletzung rechtfertigen.
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist der Klägerin der Nachweis des Mobbing nicht gelungen. Vielmehr wurde die Kündigung ausgesprochen, weil die Klägerin sich nicht an Weisungen gehalten und sich im Umgang mit Vorgesetzten und Mitarbeitern als unverträglich erwiesen hatte. Dieses Verhalten hatte nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil im Jahre 1990 begonnen, weil die Klägerin die Beförderung einer Mitarbeiterin nicht verkraftet habe. Die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung war nach Ansicht der Vorinstanz nicht kausal für die Kündigung. Zur Kündigung hat sich die Beklagte vielmehr erst einige Monate später entschieden, als die Situation am Arbeitsplatz nicht mehr haltbar war. Eine allfällige Persönlichkeitsverletzung, die für die Kündigung nicht kausal ist, kann keinen Missbrauch begründen.
b) Der Missbrauch einer Kündigung kann sich aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt (
BGE 118 II 157
E. 4b/bb S. 166). Selbst wenn eine Partei die Kündigung rechtmässig erklärt, muss sie das Gebot schonender Rechtsausübung beachten. Sie darf insbesondere kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht (
BGE 118 II 157
E. 4b/cc S. 166 f.). Ein krass vertragswidriges Verhalten, namentlich eine schwere Persönlichkeitsverletzung im Umfeld einer Kündigung, kann diese als missbräuchlich erscheinen lassen, auch wenn das Verhalten für die Kündigung nicht kausal war. Dass die Klägerin allerdings tatsächlich in ihrer Persönlichkeit verletzt worden sein soll, um sie von einem arbeitsrechtlichen Prozess im Anschluss an die Kündigung abzuhalten, wie sie behauptet, wird im angefochtenen Urteil nicht festgestellt. Auch fehlt insofern der erforderliche zeitliche Zusammenhang, wurde doch die von der Klägerin beanstandete psychiatrische Begutachtung im Februar und März 1993 angeordnet, während die Kündigung Ende Oktober 1993 ausgesprochen wurde.
c) Weiter macht die Klägerin geltend, die Kündigung sei missbräuchlich, weil ihr wegen einer Eigenschaft gekündigt worden sei,
BGE 125 III 70 S. 74
die ihr im Sinne von
Art. 336 Abs. 1 lit. a OR
kraft ihrer Persönlichkeit zustehe. Es sei nämlich um ihre Charaktereigenschaften gegangen. In der Lehre ist umstritten, ob zu den von dieser Bestimmung erfassten Eigenschaften auch individuelle Charakterzüge und Verhaltensmuster zu rechnen sind (dagegen: BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Commentaire du contrat de travail, N. 4 zu
Art. 336 OR
; dafür: STAEHELIN/VISCHER, a.a.O., N. 9 zu
Art. 336 OR
). Die Frage braucht allerdings nicht entschieden zu werden, denn
Art. 336 Abs. 1 lit. a OR
lässt die Kündigung wegen einer persönlichen Eigenschaft zu, wenn diese in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht oder die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt. Indessen kann die Störung des Betriebsklimas eine Kündigung wegen persönlicher Eigenschaften nur rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber vorher zumutbare Massnahmen ergriffen hat, um die Lage zu entspannen. Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich aus der Fürsorgepflicht (VISCHER, a.a.O., S. 168).
Soweit der Kündigungsgrund tatsächlich auf Eigenschaften der Klägerin zurückzuführen ist, haben diese nach den Feststellungen der Vorinstanz allerdings nicht nur das Betriebsklima gestört, sondern vielmehr zu Fehlverhalten der Klägerin geführt, indem diese gewissen Weisungen nicht nachgekommen ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Kündigung nicht als missbräuchlich.
3.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Genugtuung gemäss
Art. 49 OR
. Sie sieht sich in ihrer Persönlichkeit dadurch schwer verletzt, dass einerseits ihre unmittelbaren Vorgesetzten der Geschäftsleitung der Beklagten die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung beantragt hatten, als sie der Arbeit im Februar 1993 krankheitsbedingt ferngeblieben war, und dass sie der Personalchef anderseits am 15. März 1993 beim Psychiater angemeldet und am 19. März 1993 aufgefordert hat, sich begutachten zu lassen.
a) Die Beklagte ist nach
Art. 328 OR
als Arbeitgeberin verpflichtet, im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit der Klägerin als Arbeitnehmerin zu achten und zu schützen. Sie hat für das Verhalten ihrer Mitarbeiter einzustehen (
Art. 101 OR
) und ihren Betrieb angemessen zu organisieren (REHBINDER, Basler Kommentar, N. 15 zu
Art. 328 OR
; STAEHELIN/VISCHER, a.a.O., N. 41 zu
Art. 328 OR
). Sie haftet insbesondere für allfällige Persönlichkeitsverletzungen im Sinne von
Art. 49 OR
, wenn solche durch Vorgesetzte oder zuständige Personalverantwortliche begangen worden sind. Genugtuung nach
Art. 49 OR
ist allerdings nur geschuldet, wenn die Schwere der Verletzung es rechtfertigt (und diese nicht anders wieder gutgemacht
BGE 125 III 70 S. 75
worden ist, was hier ausser Betracht fällt). Ausserdem muss die objektiv schwere Verletzung vom Ansprecher als seelischer Schmerz empfunden werden (
BGE 120 II 97
E. 2 S. 98 f.). Damit die Schwere der Verletzung bejaht werden kann, bedarf es in objektiver Hinsicht jedenfalls einer ausserordentlichen Kränkung (BREHM, Berner Kommentar, N. 19 f. zu
Art. 49 OR
). Es genügt dafür z.B. nicht jede leichte Beeinträchtigung des beruflichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Ansehens einer Person (BREHM, a.a.O., N. 26 zu
Art. 49 OR
; MEILI, Basler Kommentar, N. 28 und 38 zu
Art. 28 ZGB
).
b) Nach dem angefochtenen Urteil wurde der Klägerin am Vormittag des 12. Februar 1993 mündlich ein Verweis erteilt, worauf sie am Nachmittag nicht zur Arbeit erschien. Am 15. Februar 1993 wurde dieser Verweis schriftlich bestätigt, worauf die Klägerin am 16. Februar 1993 wiederum der Arbeit fern blieb. Die Vorgesetzten verlangten tags darauf die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung. Die Vorinstanz stellte fest, dass zu diesem Zeitpunkt die Ursache der Erkrankung nicht bekannt war und namentlich die Vorgesetzten auch nicht im Besitz des Arztzeugnisses waren, das von einer Gynäkologin ausgestellt war. Im Übrigen hielt die Vorinstanz für glaubhaft, dass die Klägerin bei der telefonischen Krankmeldung psychische Probleme angegeben hatte, und sie nahm überdies an, dass den Vorgesetzten die massive psychische Belastung der Klägerin nach Erhalt des Verweises nicht verborgen geblieben sei. Die Vorinstanz hielt unter diesen Umständen für vertretbar, dass die Vorgesetzten die Abwesenheit der Klägerin auf psychische Ursachen zurückgeführt und aus diesem Grund der Geschäftsleitung der Beklagten eine entsprechende Begutachtung beantragt hätten. Sie stellte fest, es deute nichts darauf hin, dass die Vorgesetzten damit den Ruf der Klägerin hätten untergraben wollen.
Gestützt auf diese Feststellungen der Vorinstanz ist der Schluss bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass im intern an die Geschäftsleitung der Beklagten gerichteten Antrag der Vorgesetzten der Klägerin auf psychiatrische Begutachtung keine objektiv schwere Persönlichkeitsverletzung zu sehen ist. Unabhängig davon, ob in einem solchen Antrag überhaupt eine hinreichend schwerwiegende Beeinträchtigung der Persönlichkeit zu sehen wäre, bestand für die Vorgesetzten auf Grund der von der Vorinstanz festgestellten Umstände begründeter Anlass, die Abwesenheit der Klägerin als psychische Reaktion auf den Verweis zu verstehen und entsprechend überprüfen zu lassen. Das Vorgehen der Vorgesetzten kann insofern
BGE 125 III 70 S. 76
nicht als unnötig verletzend qualifiziert werden, als der Antrag an die zuständige interne Stelle ging und nur ein kleiner Kreis von Personen davon überhaupt Kenntnis erhielt. Dass im internen Vorgehen und der Abwicklung der Angelegenheit etwas Ungewöhnliches gelegen hätte, das die zuständigen Kader der Beklagten zur näheren Abklärung über das Umfeld der Klägerin und über das Verhalten der betreffenden Vorgesetzten hätte veranlassen müssen, geht aus dem angefochtenen Urteil im Übrigen nicht hervor.
c) Der Personalchef der Beklagten beauftragte am 15. März 1993 den Vertrauensarzt mit der psychiatrischen Begutachtung der Klägerin und forderte sie am 19. März 1993 auf, sich von diesem Arzt begutachten zu lassen. In diesem Zeitpunkt lagen der Beklagten mindestens zwei der insgesamt drei Arztzeugnisse vor, in denen die behandelnde Gynäkologin der Klägerin Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, wobei sich in den Feststellungen der Vorinstanz nichts darüber findet und auch die Klägerin nicht behauptet, in diesen Zeugnissen sei die - in einer späteren ärztlichen Auskunft als physisch bezeichnete - Ursache der Erkrankung genannt worden. Die Klägerin war am 19. März 1993 noch krank und arbeitsunfähig, und dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass damals schon feststand, dass die Klägerin ihre Arbeit am 22. März 1993 wieder aufnehmen werde, zumal die in den beiden früheren Arbeitszeugnissen (wohl ebenfalls befristete) Arbeitsunfähigkeit schon zweimal verlängert worden war.
Ob die Arbeitgeberin ihre Lohnfortzahlung mindestens bei begründeten Zweifeln von einer vertrauensärztlichen Untersuchung abhängig machen kann oder ob eine Obliegenheit der Arbeitnehmer, sich auf entsprechende Aufforderung hin einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ausdrücklich vereinbart sein muss, ist in der Lehre umstritten (vgl. STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 12 zu Art. 324a/b OR). Jedenfalls war die Klägerin für ihre unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf die Lohnfortzahlung beweisbelastet (STAEHELIN/VISCHER, a.a.O., N. 9 zu
Art. 324a OR
; REHBINDER, Basler Kommentar, N. 3 zu
Art. 324a OR
). Die Beklagte konnte daher der Klägerin mitteilen, dass sie an ihrer Arbeitsunfähigkeit zweifelte und ihre Lohnfortzahlung von einer vertrauensärztlichen Untersuchung abhängig machen wolle. Die Aufforderung an die im massgebenden Zeitpunkt noch krankheitsabwesende Klägerin, sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, kann grundsätzlich nicht als Persönlichkeitsverletzung qualifiziert werden. Die Klägerin sieht denn auch die Persönlichkeitsverletzung
BGE 125 III 70 S. 77
nicht darin, dass sie überhaupt aufgefordert worden ist, sich vertrauensärztlich begutachten zu lassen. Sie sieht die Persönlichkeitsverletzung darin, dass ein Psychiater mit der Begutachtung beauftragt wurde. Damit verkennt sie, dass ohne besondere Umstände das berufliche, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Ansehen einer Person durch die Tatsache einer psychiatrischen Abklärung so wenig wie durch eine psychische Erkrankung beeinträchtigt wird. Es dürfte heute allgemein bekannt sein, dass seelische Erkrankungen ebenso unverschuldet sind wie körperliche und dass es überdies verschiedenartige psychische Krankheiten gibt, die nicht durchwegs mit unberechenbaren oder störenden Verhaltensweisen verbunden sein müssen. Die Tatsache allein, dass eine Person psychiatrischer Hilfe bedarf, setzt sie daher in ihrem Ansehen als Person nicht herab. Der Umstand allein, dass die Klägerin an einen Spezialarzt der Psychiatrie und nicht an einen anderweitig spezialisierten oder allgemein praktizierenden Arzt verwiesen wurde, kann nicht als schwere Beeinträchtigung der Persönlichkeit gelten. Die Reaktion der Beklagten auf ihre Zweifel an der durch die Frauenärztin der Klägerin bescheinigten Arbeitsunfähigkeit mag als unangemessen erscheinen und ein eigenartiges Licht auf das Betriebsklima der Beklagten werfen. Ohne besondere Umstände, welche die Vorinstanz nicht festgestellt hat, ist jedoch die Aufforderung der Beklagten an die Klägerin, sich einer vertrauensärztlichen Begutachtung durch einen Psychiater zu unterziehen, nicht als objektiv schwere Beeinträchtigung der Persönlichkeit zu werten.
Im Übrigen ist nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil davon auszugehen, dass die Klägerin die Anordnung der vertrauensärztlichen Untersuchung durch den Psychiater nicht als schwer empfunden hat und auch aus diesem Grund der Anspruch auf Genugtuung entfällt (
BGE 120 II 97
E. 2 S. 98 f.; BREHM, a.a.O., N. 30 zu
Art. 49 OR
). Die Klägerin hat nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz in die vertrauensärztliche Untersuchung eingewilligt und die Zuweisung an den Vertrauensarzt erstmals mit Schreiben ihres Ehemanns an die Beklagte vom 27. Dezember 1993 in Frage gestellt. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8ad96256-744f-4a7d-a857-902ec562c206 | Urteilskopf
103 II 52
7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Januar 1977 i.S. Stucki AG, Rieser AG und Kohlund gegen Gribi | Regeste
Einhaltung einer Bauverpflichtung.
Art. 364 Abs. 2 und
Art. 379 Abs. 1 OR
. Bei der Vergebung Von Baumeisterarbeiten kommt es entscheidend auf die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers an (E. 5a). Die Fähigkeit zur persönlichen Leitung setzt bei einem Bauuntemehmer einen Personalbestand sowie einen gewissen Geräte- und Maschinenpark voraus. Eine Weitergabe des Auftrages an Unterakkordanten ist unzulässig (E. 5b). Der Auftrag ist grundsätzlich mit betriebseigenem Personal zu erfüllen; es dürfen nicht beliebig viele ausgeliehene Hilfspersonen beigezogen werden (E. 5c). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 103 II 52 S. 53
A.-
Otto Gygax verkaufte im Jahre 1961 dem Frederick Charles Liebi die Parzelle Grundbuchblatt 3680 in der Gemeinde Wohlen. Dabei übernahm Liebi die obligatorische Verpflichtung, auf dem von ihm gekauften Grundstück mindestens zwei Wohnblöcke mit Autoreparaturwerkstätte und Tankstelle zu errichten. Am 23. November 1962 verkaufte Guido Achille Liebi zwei andere Parzellen an Baumeister Franz Gribi sowie an das Kunststeingeschäft Bernasconi AG und versprach dabei als Stellvertreter seines Vaters, Frederick Charles Liebi, dem Käufer Gribi die Erd- und Maurerarbeiten am geplanten Garagenbau auf Parzelle Grundbuchblatt 3680 zu "loyalen Konkurrenzpreisen" zu übertragen.
Am 28. Dezember 1962 verkaufte Vater F.C. Liebi die Parzelle Grundbuchblatt 3680 an die Lindenmatt AG in Bern. Diese übernahm die obligatorische Verpflichtung, auf dem Grundstück innert zweier Jahre die fraglichen Bauten zu errichten und das Bauunternehmen Franz Gribi mit den diesbezüglichen Erd- und Maurerarbeiten zu beauftragen.
Im Jahre 1967 wurden infolge einer Änderung des Bebauungsplanes und des Zonenreglementes für die Gemeinde Wohlen Gewerbebauten auf der Parzelle Grundbuchblatt 3680 verboten. Gestützt auf die Änderungen des Zonenreglementes wurde eine Neuparzellierung vorgenommen, wobei das bisherige Grundstück Nr. 3680 neu die Nummer 1 erhielt. Dieses Grundstück verkaufte die Lindenmatt AG am 8. Juli 1969 an eine einfache Gesellschaft, gebildet aus der Architektenfirma Josef Stucki AG, der Bauunternehmung Rieser AG sowie dem Gipser- und Malermeister Herbert Kohlund. Die Käufer übernahmen dabei von der Verkäuferin die von dieser eingegangenen Verpflichtungen bezüglich der Überbauung der früheren Parzelle Nr. 3680 und der Übertragung der entsprechenden Erd- und Maurerarbeiten an Franz Gribi. In
BGE 103 II 52 S. 54
einer weiteren Vertragsbestimmung stellten die Parteien fest, dass Franz Gribi seine Bauunternehmung nicht mehr führe.
Die Käufer begannen im Jahre 1971 mit der Überbauung. Als Franz Gribi dies bemerkte, verlangte er die Übertragung der Baumeisterarbeiten, jedoch erfolglos.
B.-
Am 11. Januar 1974 erhob Franz Gribi beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage gegen die drei Käufer Josef Stucki AG, Rieser AG und Herbert Kohlund. Er stellte das Rechtsbegehren, die Beklagten seien zur Leistung eines gerichtlich zu bestimmenden Betrages über Fr. 8'000.-- nebst Zins zu 5% seit einem gerichtlich zu bestimmenden Datum zu verurteilen.
Das Handelsgericht erliess am 9. April 1976 einen selbständigen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 196 Abs. 2 ZPO
und stellte fest, dass der Kläger gegenüber den Beklagten Schadenersatzansprüche aus einer nicht eingehaltenen Baubindung geltend machen könne.
C.-
Die Beklagten haben die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie beantragen Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
In tatsächlicher Hinsicht behaupteten die Beklagten vor Handelsgericht, die Einzelfirma Gribi sei 1965 in die Gribi Bau AG eingebracht worden, deren Aktien 1969 an die Weiss & Marti AG übergegangen seien. Im Jahre 1970 sei der Kläger dann Freimitglied des Baumeisterverbandes geworden, was nur bei Einstellung der Berufstätigkeit möglich sei. Seither beschäftige er weder Arbeiter noch verfüge er über Maschinen oder andere Einrichtungen. Die Vorinstanz gibt diese Behauptungen wieder, ohne ausdrücklich dazu Stellung zu nehmen, geht aber in den anschliessenden Erwägungen stillschweigend von ihrer Richtigkeit aus. Vor Bundesgericht ist denn auch nicht mehr streitig, dass der Kläger 1965 sein Baugeschäft in die Gribi Bau AG einbrachte und 1969 vollständig und endgültig aus dieser ausschied. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger schon vor 1971 sein Baugeschäft aufgegeben hat.
BGE 103 II 52 S. 55
3.
Die Beklagten haben sich verpflichtet, mit dem Kläger einen Werkvertrag abzuschliessen. Ob sie an dieses Versprechen seinerzeit noch gebunden waren, ist deshalb nach den Regeln über den Werkvertrag zu beurteilen und zwar unbekümmert darum, ob die besagte Vereinbarung als Vorvertrag (
BGE 98 II 307
) oder als bedingt abgeschlossener Hauptvertrag zu betrachten ist (GAUTSCHI, N. 22d zu
Art. 365 OR
).
4.
Der Prozessausgang hängt davon ab, ob die Bauverpflichtung bereits dahingefallen war, als die Beklagten im Jahre 1971 mit den Bauarbeiten begannen. Als Rechtsgrund für eine solche Beendigung des Vertragsverhältnisses kommt
Art. 364 Abs. 2 OR
, wonach der Unternehmer verpflichtet ist, das Werk persönlich auszuführen oder unter seiner persönlichen Leitung ausführen zu lassen, nicht in Betracht. Verstösst ein Unternehmer gegen diese ihm obliegende Pflicht zur persönlichen Ausführung oder Leitung der Herstellungsarbeiten, so kann dies vom Besteller nur im Verfahren nach den Art. 107 bis 109 OR zum Anlass eines Rücktrittes genommen werden. Die Beklagten behaupten aber nicht einmal, den Rücktritt je erklärt zu haben. Es braucht deshalb nicht untersucht zu werden, ob von einer Fristansetzung gestützt auf
Art. 108 OR
hätte Umgang genommen werden dürfen, wie sie dies vortragen lassen.
5.
a) Nach
Art. 379 Abs. 1 OR
erlischt bei Tod oder Unfähigkeit des Unternehmers das Vertragsverhältnis ohne weitere Vorkehren des Bestellers von Gesetzes wegen, sofern der Vertrag mit Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers eingegangen war. Für die Frage, ob letztere Voraussetzung gegeben ist, ist der Umstand, dass die Beklagten den Kläger nicht als Unternehmer auswählten, sondern die Vertragsbestimmungen zu seinen Gunsten als Belastung der neuerworbenen Liegenschaft in Kauf nahmen, nicht von massgebender Bedeutung. Entscheidend ist, ob es nach der Natur des Geschäftes auf persönliche Eigenschaften ankommt. Dies ergibt sich für den Werkvertrag grundsätzlich schon aus
Art. 364 Abs. 2 OR
, wonach der persönliche Charakter der Verpflichtung im Unterschied zu der allgemeinen Regel von
Art. 68 OR
vermutet wird.
Bei der Vergebung von Baumeisterarbeiten spielen die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers jeweils eine entscheidende Rolle, kommt es doch dabei nicht allein darauf an,
BGE 103 II 52 S. 56
welches Angebot am preisgünstigsten ist, sondern ebensosehr auf die Beurteilung des Unternehmers hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit und Qualität, seiner Zuverlässigkeit und Zahlungsfähigkeit. Vorliegend steht somit ein Vertrag in Frage, der mit Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften des Klägers eingegangen wurde;
Art. 379 Abs. 1 OR
ist deshalb grundsätzlich anwendbar.
b) Der Untergang der streitigen Bauverpflichtung hängt mithin davon ab, ob der Kläger im Sinne von
Art. 379 Abs. 1 OR
zur Vollendung des Werkes unfähig wurde. Von Bedeutung ist dabei im Lichte des
Art. 364 Abs. 2 OR
die Fähigkeit zur persönlichen Leitung der Herstellungsarbeiten. Dazu gehört jedoch mehr als nur die berufliche Qualifikation durch Baumeisterdiplom und langjährige Erfahrung, wie die Vorinstanz annimmt. Persönliche Leitung umfasst unter anderem die Organisation der Arbeit, die Bereitstellung der personellen und materiellen Mittel, aber auch die Anleitung der Hilfspersonen und die Überwachung der Arbeiten (GAUTSCHI, N. 11c zu
Art. 364 OR
). All dies setzt bei einem Bauunternehmer einen Personalbestand sowie einen gewissen Geräte- und Maschinenpark voraus.
Unzulässig wäre - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - eine Weitergabe des Auftrages an Unterakkordanten (GAUTSCHI, N. 11b und 17c zu
Art. 364 OR
): Wer für Bauarbeiten einen Unternehmer mit Rücksicht auf die Qualität seiner Arbeit auswählt, wird sich in der Regel die Ausführung durch Unterakkordanten unabhängig davon verbitten, ob der Unternehmer selbst für auftretende Mängel ebenfalls einzustehen hat. Bei einer Weitervergebung der Arbeiten an Unterakkordanten würde sich für ihn zudem der Umstand besonders gefahrvoll auswirken, dass diese wegen ihres Anspruches auf ein Bauhandwerkerpfandrecht allenfalls nochmalige Zahlung für die gleiche Arbeit erlangen können (
BGE 95 II 87
). Die Weitergabe des Auftrages an Unterakkordanten muss daher im vorliegenden Falle auch als Weg zur Vollendung des Werkes im Sinne von
Art. 379 Abs. 1 OR
ausscheiden.
c) Der Kläger macht überdies geltend, er hätte zur Durchführung der Bauarbeiten vorübergehend Personal einstellen oder mieten können. Abgesehen davon, dass dieser offensichtlich nie die Absicht hatte, im Hinblick auf einen einzigen
BGE 103 II 52 S. 57
Bauauftrag wieder ein Baugeschäft aufzubauen, hätte den Beklagten nicht zugemutet werden können, eine solche doch einige Zeit beanspruchende Entwicklung abzuwarten. Aber auch der Versuch, den Auftrag mit geliehenem Personal und geliehenen Maschinen und Geräten zu bewältigen, wäre mit Bundesrecht nicht vereinbar. Die Übertragung von Bauarbeiten ist nämlich eine ausgesprochene Vertrauenssache. Überträgt man einem Unternehmer, der ein Baugeschäft betreibt, solche Arbeiten, so darf man davon ausgehen, dass er bei der Ausführung dieser Arbeiten bestrebt sein wird, den Ruf seines bestehenden Unternehmens zu wahren oder gar zu mehren. Ein solches Interesse hat derjenige Unternehmer, der auf einen einmaligen Gelegenheitsauftrag hin das notwendige Personal und die erforderlichen Gerätschaften mühsam zusammensuchen muss, nun gerade nicht. Wenn
Art. 364 Abs. 2 OR
sich mit blosser persönlicher Leitung begnügt, will das nicht einen Werkvertrag, bei dem es auf persönliche Eigenschaften des Unternehmers ankommt, dieses persönlichen Charakters entkleiden, sondern lediglich Lagen Rechnung tragen, wo, wie bei Bauarbeiten, persönliche Ausführung ausser Betracht fällt, weil der Auftrag die Möglichkeiten eines einzelnen Handwerkers übersteigt. Der Unternehmer kann deshalb zur Erfüllung seines Auftrages die erforderlichen Hilfspersonen beiziehen, wobei dies aber nicht beliebig ausgeliehene Hilfspersonen sein dürfen. Vielmehr muss es sich dabei - wenigstens dem Grundsatze nach - um betriebseigenes Personal handeln (vgl. GAUTSCHI, N. 11a zu
Art. 364 OR
). Nur eine arbeitsvertragliche Unterordnung, wie sie sich im Verhältnis von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer findet, stellt eine ausreichende persönliche Leitung sicher. Wenn es auch unter Umständen unerlässlich und zulässig sein mag, zur Bewältigung eines Auftrages einzelne Hilfskräfte leihweise - z.B. als Akkordgruppe - zuzuziehen, so erlaubt dies noch nicht, den gesamten Auftrag mit einem solchen fragwürdigen Mitarbeiterbestand auszuführen. Der Kläger hätte somit aus rechtlichen Gründen auch auf diese Weise seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommen können.
d) Aus all dem ergibt sich, dass der Kläger auf Grund der dargelegten Umstände im Sinne von
Art. 379 Abs. 1 OR
zur Vollendung des Werkes unfähig war. Nicht erforderlich ist etwa, dass der Kläger persönlich arbeitsunfähig wurde, wie er
BGE 103 II 52 S. 58
vorbringen lässt. Eine Geschäftsaufgabe, wie sie hier vorliegt, muss genügen, wenn der Unternehmer sich mit dieser der Möglichkeit zu der ihm obliegenden persönlichen Ausführung oder persönlichen Leitung der Herstellungsarbeiten begibt. Nach seinem Wortlaut erfasst
Art. 379 OR
zwar nur jene Fälle, wo der Unternehmer "ohne seine Schuld" zur Vollendung des Werkes unfähig wird. Dies ist selbstverständlich dann nicht der Fall, wenn er sein Geschäft aus freiem Entschluss aufgibt. Indessen ist diese Unterscheidung nur im Hinblick auf die besondere Entschädigungsregelung von Abs. 2 bedeutsam. Die Befugnis des Bestellers, sich in einem Falle wie dem vorliegenden auf Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen Unfähigkeit des Unternehmers zu berufen, kann nicht davon abhangen, dass diesen kein Verschulden trifft (vgl. BECKER, N. 7 zu Art. 379). Es entspricht übrigens den allgemeinen Bestimmungen der
Art. 97 und 119 OR
, dass nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung die gesamte Obligation erlöschen lässt.
Der Kläger, der sein Baugeschäft schon vor dem Jahre 1971 aufgegeben hat, konnte somit von den Beklagten nicht verlangen, dass sie ihn entsprechend der von ihren Rechtsvorgängern übernommenen vertraglichen Verpflichtung mit den Baumeisterarbeiten betrauen würden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Berufung wird der Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 9. April 1976 aufgehoben und die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8adbbaff-efc2-4be8-b8fc-c8694d78f020 | Urteilskopf
124 IV 269
45. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 10 septembre 1998 dans la cause B. contre Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 260 StGB
, Landfriedensbruch.
Zusammenfassung der Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung (E. 2).
Art. 69 und 110 Ziff. 7 StGB
, Anrechnung der Untersuchungshaft.
Der alleinige Umstand, dass die Untersuchungshaft durch einen Polizeioffizier und nicht durch einen Richter angeordnet wurde, rechtfertigt es nicht, sie nicht an die Freiheitsstrafe anzurechnen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 269
BGE 124 IV 269 S. 269
A.-
aa) Le samedi 5 octobre 1996, une manifestation organisée par l'association Intersquat a eu lieu dans les rues de Genève. En fin de parcours, les manifestants se sont rassemblés vers 19 h au rond-point de Rive et un immeuble commercial vide appartenant à l'UBS a été envahi. Une centaine de manifestants ont pénétré dans les locaux et l'occupation a duré jusque vers 21 h 30. Des déprédations ont été causées à l'intérieur: des faux plafonds ont été arrachés et brûlés, tandis que des murs et des aménagements ont été couverts de graffitis à la peinture blanche ou au spray. Des individus ont jeté dans la rue des bouteilles de bière depuis la terrasse située sur le toit. L'UBS a immédiatement déposé plainte pour violation de domicile et dommages à la propriété.
bb) B. a reconnu avoir participé à la manifestation et avoir pénétré dans l'immeuble avec les autres. Il a vu des déprédations, mais il conteste en avoir commis lui-même.
B.-
Par jugement du 1er décembre 1997, le Tribunal de police de Genève a condamné B., pour violation de domicile (
art. 186 CP
) et émeute (
art. 260 al. 1 CP
), à la peine de 10 jours d'emprisonnement avec sursis pendant 2 ans, mettant à sa charge une partie des frais de la procédure.
BGE 124 IV 269 S. 270
Statuant sur appel du condamné le 20 avril 1998, la Chambre pénale de la Cour de justice genevoise a confirmé la décision attaquée avec suite de frais.
C.-
Contre cet arrêt, B. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Soutenant que les faits retenus ne constituent pas une émeute au sens de l'
art. 260 CP
et que l'autorité cantonale aurait dû imputer la détention préventive subie (
art. 69 CP
), il conclut à l'annulation de la décision attaquée avec suite de frais et dépens et sollicite par ailleurs l'assistance judiciaire.
D.-
Invité à présenter des observations, le Procureur général a conclu au rejet du pourvoi dans la mesure où il est recevable.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
a) Selon les constatations cantonales qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
), le recourant s'est introduit sans droit dans un bâtiment appartenant à autrui - peu importe qu'il s'agisse de locaux commerciaux (cf.
ATF 108 IV 33
consid. 5a) et qu'ils aient été inoccupés (cf.
ATF 118 IV 167
consid. 3) -, agissant manifestement, au vu des circonstances (cf.
ATF 108 IV 33
consid. 5b;
ATF 90 IV 74
consid. 2b p. 77), contre la volonté de l'ayant droit, le sachant et le voulant; dès lors qu'une plainte pénale a été valablement déposée en temps utile, sa condamnation pour violation de domicile au sens de l'
art. 186 CP
, qui n'est d'ailleurs pas contestée, ne viole en rien le droit fédéral.
Lorsque le participant à une émeute commet lui-même une infraction, celle-ci peut être retenue en concours avec l'
art. 260 CP
(cf.
ATF 108 IV 176
consid. 3b; cas de concours entre l'
art. 260 CP
et l'
art. 186 CP
:
ATF 108 IV 33
).
b) Le recourant conteste s'être rendu coupable d'émeute au sens de l'
art. 260 al. 1 CP
.
Selon cette disposition, "celui qui aura pris part à un attroupement formé en public et au cours duquel des violences ont été commises collectivement contre des personnes ou des propriétés sera puni de l'emprisonnement ou de l'amende".
L'attroupement est la réunion d'un nombre plus ou moins élevé de personnes suivant les circonstances, qui apparaît extérieurement comme une force unie et qui est animée d'un état d'esprit menaçant pour la paix publique; peu importe que la foule se soit rassemblée
BGE 124 IV 269 S. 271
spontanément ou sur convocation et qu'elle l'ait fait d'emblée dans un but délictueux; la loi n'exige pas que le rassemblement ait dès le départ pour but de perturber la paix publique; d'ailleurs, une réunion d'abord pacifique peut facilement se transformer en un attroupement conduisant à des actes troublant l'ordre public, lorsque l'état d'esprit de la foule se modifie brusquement dans ce sens (
ATF 108 IV 33
consid. 1a).
L'attroupement est formé en public, lorsqu'un nombre indéterminé de personnes peut s'y joindre librement (
ATF 108 IV 33
consid. 1a, 175 consid. 4).
Les violences commises collectivement contre des personnes ou des propriétés constituent une condition objective de punissabilité (
ATF 108 IV 33
consid. 2). Ces violences doivent être symptomatiques de l'état d'esprit qui anime la foule; elles doivent apparaître comme un acte de l'attroupement (
ATF 108 IV 33
consid. 2). La violence suppose une action agressive contre des personnes ou des choses, mais pas nécessairement l'emploi d'une force physique particulière (
ATF 108 IV 175
consid. 4). Barbouiller le bien d'autrui avec un spray constitue un acte de violence au sens de l'
art. 260 al. 1 CP
(
ATF 108 IV 175
consid. 4). Pour retenir l'émeute, il suffit que l'un ou l'autre des participants à l'attroupement se livre à des violences caractéristiques de l'état d'esprit animant le groupe (
ATF 108 IV 33
consid. 2).
Le comportement délictueux consiste à participer volontairement à l'attroupement, mais il n'est pas nécessaire que le participant accomplisse lui-même des actes de violence; objectivement, il suffit que l'accusé apparaisse comme une partie intégrante de l'attroupement et non pas comme un spectateur passif qui s'en distancie; subjectivement, l'auteur doit avoir conscience de l'existence d'un attroupement au sens qui vient d'être défini et il doit y rester ou s'y associer; il n'est pas nécessaire qu'il consente aux actes de violence ou les approuve (
ATF 108 IV 33
consid. 3a).
c) En l'espèce, il résulte des constatations cantonales que plus d'une centaine de personnes étaient assemblées vers 19 h au rond-point de Rive. D'après ce que l'on comprend, il s'agissait d'une manifestation favorable aux squatters et hostile aux propriétaires d'immeubles inoccupés. Certains manifestants transportaient des bidons de peinture dans des caddies. Assemblés sur cette place, les manifestants ont décidé d'envahir massivement un bâtiment commercial inoccupé appartenant à une grande banque. Comme on l'a vu, il importe peu que la manifestation ait été conçue à l'origine
BGE 124 IV 269 S. 272
comme pacifique ou que le cortège dans les rues qui a précédé ait été pacifique; arrivés au rond-point de Rive, les manifestants ont décidé de commettre collectivement une violation de domicile, s'en prenant ainsi au bien d'autrui. Dès le moment où la foule assemblée au rond-point de Rive s'est lancée en grand nombre dans cette opération illicite, elle est devenue un attroupement au sens de l'
art. 260 al. 1 CP
, menaçant la paix publique.
L'attroupement a été formé en public puisqu'un nombre indéterminé de personnes, se trouvant sur place, pouvait s'y joindre. Que la foule ameutée se soit ensuite rendue dans un immeuble privé ne change rien au fait que l'attroupement a été formé en public. Au demeurant, la notion contenue à l'
art. 260 al. 1 CP
ne suppose pas une distinction stricte entre les faits qui se produisent sur terrain privé et ceux qui se produisent sur terrain public; l'attroupement est formé en public si n'importe quel passant peut s'y joindre.
La foule ayant envahi l'immeuble, il a été constaté que des faux plafonds ont été alors arrachés et des murs ou agencements sprayés. Il s'agit là de violences commises collectivement contre la propriété d'autrui. Il importe peu, comme on l'a vu, que le recourant n'ait pas lui-même causé des dégâts ou qu'il ne les ait pas approuvés. Ces dégâts sont caractéristiques de l'hostilité manifestée à l'égard des propriétaires qui laissent des bâtiments inoccupés. La condition objective de punissabilité est donc également remplie.
Il a été constaté que le recourant est entré volontairement dans l'immeuble et qu'il y est resté pendant un certain temps, constatant notamment que des dégâts avaient été causés. Il s'est ainsi manifestement associé à l'action collective d'une foule ameutée menaçant la paix publique. Il n'est pas resté sur la voie publique comme un simple spectateur, mais il a pénétré dans les lieux en exprimant ainsi clairement sa volonté de s'associer à l'action collective. Cette action était telle que des actes de vandalisme étaient à l'évidence prévisibles, ce qui suffit pour dire que le recourant a participé, objectivement et subjectivement, à un attroupement formé en public au cours duquel des violences ont été commises collectivement contre la propriété d'autrui.
La condamnation du recourant pour émeute au sens de l'
art. 260 al. 1 CP
ne viole donc pas le droit fédéral.
3.
Le recourant ne critique pas la peine qui lui a été infligée, dont on ne voit pas en quoi elle violerait le droit fédéral. Il n'y a donc pas lieu de revenir sur cette question.
4.
Selon l'arrêt cantonal, le recourant a été interpellé le 10 octobre 1996. Il explique qu'un mandat d'amener a été décerné
BGE 124 IV 269 S. 273
contre lui par l'officier de police et qu'il n'a été libéré par le juge d'instruction que le lendemain. Dans ses observations, le Procureur général ne le conteste pas.
La détention préventive, mentionnée à l'
art. 69 CP
, est définie à l'
art. 110 ch. 7 CP
. Est considérée comme détention préventive toute détention ordonnée au cours d'un procès pénal pour les besoins de l'instruction ou pour motif de sûreté.
Selon la doctrine, il y a détention préventive dès que l'accusé est privé de sa liberté durant la procédure pénale pendant au moins trois heures (TRECHSEL, Kurzkommentar, ad art. 69 no 2; PHILIPPE RUEDIN, Die Anrechnung der Untersuchungshaft nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch, thèse de Zurich 1979 p. 49).
Dans l'
ATF 113 Ia 177
consid. 1 - invoqué par le Procureur général -, il a été retenu qu'une mise à disposition du juge, en cellule, pendant quatre heures devait être assimilée à une arrestation ou à une détention, et non à une simple rétention policière (dans ce sens également: PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, 2e éd., p. 350 no 1834).
Comme le recourant a été interpellé le 10 octobre 1996 et libéré le lendemain seulement, après son audition par le juge d'instruction, il faut en déduire que la privation de liberté qu'il a subie, par sa durée, constitue une détention préventive au sens de l'
art. 110 ch. 7 CP
.
Le Procureur général soutient le contraire en faisant valoir que la détention a été ordonnée par un officier de police et non par un juge. Cette distinction, qui dépend des règles de compétence cantonales, ne trouve aucun point d'appui dans le droit fédéral. S'agissant d'imputer la détention préventive, on ne voit pas pourquoi un jour de détention décidé par le juge d'instruction pourrait être pris en compte, alors qu'un jour de détention ordonné par un officier de police ne le pourrait pas. L'autorité compétente ne change rien au fait que la personne est effectivement privée de sa liberté pour les besoins de la procédure pénale. La distinction que le Procureur général voudrait faire ne peut donc pas être suivie.
L'arrêt cantonal ne mentionne aucune raison de ne pas imputer la détention préventive (
art. 69 CP
;
ATF 124 IV 1
consid. 2a) et on n'en discerne aucune. Il semble même que l'autorité cantonale ait perdu de vue l'existence de cette détention préventive. Dans la mesure où elle n'a pas imputé, sans aucune raison, la détention préventive subie, l'autorité cantonale a violé l'
art. 69 CP
et l'arrêt attaqué doit être annulé sur ce point.
5.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8add0e8e-8a27-4fae-8f06-8f2ec21d5adb | Urteilskopf
117 II 368
67. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 17 octobre 1991 dans la cause dame B. contre C. (recours en réforme) | Regeste
Art. 153 Abs. 2 ZGB
; Abänderung des Scheidungsurteils.
Die Abänderung des Scheidungsurteils entfaltet ihre Wirkung grundsätzlich im Zeitpunkt der Einreichung der Klage. Unter Umständen drängt sich indessen die Festsetzung auf einen spätern Zeitpunkt auf, insbesondere wenn billigerweise nicht verlangt werden kann, dass durch das Scheidungsurteil zugesprochene und während der Dauer des neuen Prozesses verwendete Unterhaltsbeiträge zurückerstattet werden. | Erwägungen
ab Seite 368
BGE 117 II 368 S. 368
Extrait des considérants:
4.
L'autorité cantonale a considéré qu'il n'y avait pas lieu de faire remonter l'effet de la modification à une date ultérieure à celle du dépôt de la demande, lorsque le motif pour lequel la modification est requise se trouve déjà réalisé au moment de l'introduction de l'action. La Cour de justice a estimé que les faits justifiant une réduction des prestations fixées par le juge du divorce s'étaient d'ailleurs amplifiés en cours d'instance, par la naissance du troisième enfant.
BGE 117 II 368 S. 369
Selon la recourante, c'est au mépris du principe de l'équité que la cour cantonale aurait donné à son arrêt un effet rétroactif au 15 juin 1988, le lendemain de la demande en modification du jugement de divorce. Elle devrait alors rembourser à l'intimé au minimum 21'450 fr., ce qui lui serait absolument impossible, vu sa situation matérielle précaire. L'autorité cantonale ne pouvait en outre tenir compte de la naissance du dernier enfant - fait qui n'existait pas au moment du dépôt de la demande - pour justifier une décision prenant effet avant que ce fait ne se réalise.
b) La procédure en modification du jugement de divorce, au sens de l'
art. 153 al. 2 CC
, n'est pas destinée à corriger ce dernier, mais à tenir compte de nouveaux faits (arrêt non publié D. c. D. du 6 février 1990, consid. 1d; BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, n. 52 ad
art. 153 CC
; KEHL/KEHL, Die Abänderung und Ergänzung von Scheidungs- und Trennungsurteilen, Bd. I, Die materiellen Grundsätze, p. 13 No 85). Pour déterminer si de tels faits se sont produits et justifient une modification du jugement de divorce, c'est la situation envisagée dans ce jugement qui est décisive. La question de savoir si et dans quelle mesure la cour cantonale pouvait tenir compte d'un fait - en l'occurrence la naissance du dernier enfant de l'intimé - postérieur à la demande en modification du jugement de divorce, voire à l'arrêt qu'elle a rendu le 28 avril 1989, relève du droit de procédure cantonal (cf.
art. 66 al. 1 OJ
; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, n. 1.2 ad
art. 66 OJ
), dont le Tribunal fédéral ne peut revoir l'application que dans le cadre d'un recours de droit public. Sur ce point, le grief de la recourante est dès lors irrecevable.
c) La question de la date à laquelle prend effet la modification du jugement de divorce est délicate (cf. les principes déjà rappelés par la cour de céans dans son arrêt du 2 novembre 1989, in SJ 112/1990 p. 108). Si cette action aboutit certes à un jugement formateur (BÜHLER/SPÜHLER, op.cit., n. 39 ad
art. 153 CC
), on ne peut toutefois en conclure qu'il ne saurait produire d'effets qu'ex nunc (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd., p. 213; HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2e éd., p. 202; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2e éd., n. 10 ad § 59 ZPO). Selon le Tribunal fédéral, cette question ne peut d'ailleurs être résolue d'une manière générale; sa solution dépend au contraire des circonstances du cas concret (arrêt non publié L. c. G. du 9 décembre 1954, consid. 7).
BGE 117 II 368 S. 370
aa) En principe, la jurisprudence retient, au plus tôt, la date du dépôt de la demande (
ATF 115 II 315
consid. 3b,
ATF 90 II 357
/358,
ATF 83 II 362
consid. 3, 52 II 331/332; arrêts non publiés H. c. H. du 19 mai 1987, consid. 2b, et W. c. W. du 13 mars 1952, consid. 3; RSJ 26/1929/30 p. 28 No 16; cf. BÜHLER/SPÜHLER, op.cit., n. 79 ad
art. 153 CC
et les références; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, Zusatzband, p. 91 et 119; WÄSCH, Die Abänderung von Ehescheidungsurteilen nach Art. 153 ZGB, thèse Berne 1950, p. 58). Lorsque le motif pour lequel la modification est demandée se trouve déjà réalisé à ce moment, il ne se justifie normalement pas, du point de vue de l'équité, de faire remonter l'effet de la modification à une date ultérieure (arrêts H. c. H., L. c. G. et W. c. W. précités). Le crédirentier doit tenir compte du risque de réduction ou de suppression de la rente dès l'ouverture d'action (arrêt H. c. H. précité). Il faut aussi éviter que le bénéficiaire de la rente ne se procure un avantage en retardant la procédure par des manoeuvres dilatoires (arrêts W. c. W. et L. c. G. précités). Toutefois, dans l'arrêt L. c. G. déjà cité, le Tribunal fédéral a admis, en raison des circonstances de l'espèce, que la réduction de la rente ne prenait effet qu'à partir du mois de la reddition de sa propre décision (consid. 7 in fine).
bb) Dans un ancien arrêt, le Tribunal fédéral avait déjà relevé que l'obligation d'entretien est, en principe, fournie en nature; lorsque le juge condamne un époux à des prestations pécuniaires, il ne change que le mode d'exécution de l'obligation (
ATF 52 II 331
). Dans cette optique, MERZ considère également que les prestations du droit de famille sont dues en nature (Sachleistungspflichten) et ne perdent pas ce caractère du seul fait qu'elles s'expriment en argent, par exemple pour les besoins de l'exécution forcée (Berner Kommentar, n. 208 ad
art. 2 CC
). On peut dès lors se demander si la nature de ces prestations s'oppose, dans certaines circonstances, à leur restitution. C'est ce que la Cour d'appel du canton de Berne a admis dans un arrêt du 9 décembre 1930: elle a considéré qu'il n'y a pas lieu à restitution des contributions d'entretien perçues, car celles-ci sont destinées à être utilisées et on ne peut restituer l'usage qui en a été fait (RSJ 27/1930/31 p. 269 consid. 5; cette décision mentionne en outre l'
art. 63 al. 2 CO
, aux termes duquel ce qui a été payé pour accomplir un devoir moral ne peut être répété). La généralisation de cette solution paraît toutefois excessive. Comme l'a déclaré la cour de céans dans le dernier arrêt qu'elle a consacré à cette question précise, "une
BGE 117 II 368 S. 371
décision sortissant effet ex nunc aurait pour conséquence que le conjoint débirentier devrait continuer à verser une pension alimentaire alors même que le dénuement aurait pris fin" (arrêt H. c. H. précité, consid. 2b). Et le débiteur ne pourrait alors répéter les sommes versées depuis l'ouverture d'action, lors même que les conditions d'une réduction ou suppression de la contribution d'entretien seraient remplies à ce moment-là.
Il est vrai que, dans un arrêt récent, le Tribunal fédéral a considéré que la contribution d'entretien ne peut être calculée que sur un salaire qui a été effectivement gagné; les prestations - qui sont éventuellement fixées en tenant compte de ce que le débiteur est apte à gagner - ne sont ainsi dues que pour l'avenir (arrêt non publié S. c. S. du 17 mai 1991, consid. 5c). Dans le prolongement de l'arrêt bernois précité, on pourrait tirer une analogie de ce principe pour la restitution des prestations d'entretien, lorsqu'elles ont été utilisées et qu'il n'y a dès lors plus rien qui soit susceptible d'être restitué. Mais dans cet arrêt il ne s'agissait que d'une application du principe "in praeteritum non vivitur" (KEHL-ZELLER, Die Unterhaltsansprüche der Ehegatten während der Ehe, Bd. I, 2e éd., p. 57 No 126 et les références), selon lequel l'entretien ne peut, sauf exceptions (art. 173 al. 3 et 279 al. 1 CC; cf.
ATF 115 II 203
ss), être réclamé que pour le présent et le futur, non pour le passé (
ATF 115 II 204
let. a,
ATF 52 II 331
; KEHL-ZELLER, op.cit., p. 57 ss; SCHNYDER, in RJB 127/1991 p. 116; cf. § 1613 BGB et KÖHLER, Münchener Kommentar, n. 1 ad § 1613 BGB). Ce principe n'empêche pas la restitution de prestations d'entretien qui ont été consommées.
Il n'y a donc pas lieu de se départir du principe selon lequel les effets de la modification du jugement de divorce remontent à la date de l'ouverture d'action. Selon les circonstances, il est toutefois possible de retenir une date ultérieure, par exemple le jour du jugement, notamment lorsque la restitution des contributions accordées et utilisées pendant la durée du procès ne peut équitablement être exigée (BÜHLER/SPÜHLER, op.cit., n. 79 ad
art. 153 CC
; cf. arrêt L. c. G. précité, consid. 7 in fine). C'est ce qu'il importe d'examiner. | public_law | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8addbb48-1bd8-49a1-ae02-0c0028b79d1e | Urteilskopf
90 IV 230
48. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 septembre 1964 dans la cause Gallay contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 18 Abs. 2 und 19 VRV
.
1. Unterschied zwischen freiwilligem Halten und Parkieren (Erw. 1).
2. Ist das Parkieren an verbotener Stelle auf höhere Gewalt zurückzuführen, so kann Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden.
3. Das Parkieren oder freiwillige Halten 150 m vor dem Scheitel einer Kuppe, auf einer geraden Strecke mit 5% Steigung und bei nasser und glatter Fahrbahn, verstösst nicht gegen Art. 19 Abs. 2 lit. a, bzw. gegen
Art. 18 Abs. 2 lit. a VRV
(Erw. 2).
4.
Art. 19 Abs. 2 lit. b VRV
stützt sich auf
Art. 37 Abs. 2 SVG
und hält sich in dessen Rahmen.
5. Eine Widerhandlung gegen
Art. 19 Abs. 2 lit. b VRV
lässt sich nicht mit höherer Gewalt rechtfertigen, wenn der Führer das Fahrzeug ungeachtet dessen Zustandes auf das Trottoir hätte lenken können, um es dort aufzustellen (Erw. 3).
6. Adaequater Kausalzusammenhang zwischen dem fahrlässigen Verhalten des Führers und den Körperverletzungen eines Dritten (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 90 IV 230 S. 231
A.-
Le 24 juin 1963, vers 7 heures, Gallay pilotait une Alfa-Romeo entre Lausanne et Genève. A Prangins, près du "Point du Jour", il eut l'impression, en arrivant au sommet d'un dos-d'âne, qu'un des pneus s'était dégonflé. Il arrêta sa machine environ 150 m plus loin, au bord du trottoir. A cet endroit, la route, rectiligne, a une largeur de 8 m 10 à 8 m 50. La visibilité est restreinte dans les deux sens par la brusque déclivité qui succède au palier. Au moment critique, il pleuvait et la chaussée était très glissante.
Peu après l'arrêt de l'Alfa-Romeo, une voiture venant de Lausanne et dont le conducteur avait probablement freiné fit une embardée, mordit sur le trottoir et s'immobilisa derrière celle de Gallay. Quelques instants plus tard, une Vauxhall, qui se dirigeait vers Genève, surgit au sommet du dos-d'âne à la vitesse d'environ 90 km/h. Surprise de voir deux voitures arrêtées 150 m devant elle, la conductrice Hug, freina. Son véhicule, déporté à gauche, accrocha l'aile gauche d'une camionnette venant ensens inverse et, repoussé sur la droite, escalada le trottoir, où il renversa un piéton, Goy, qui fut grièvement blessé.
B.-
Par le jugement du 1er avril 1964, que la Cour vaudoise de cassation a maintenu le 18 mai, le Tribunal de simple police du district de Nyon a infligé à Gallay une amende de 200 fr. pour lésions corporelles graves par négligence
BGE 90 IV 230 S. 232
et violation grave des règles de la circulation routière. Les juridictions cantonales lui reprochent d'avoir stationné à un endroit où l'arrêt est interdit par l'art. 18 lit. a OCR.
C.-
Contre l'arrêt du 18 mai 1964, le condamné se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'autorité cantonale a retenu à la charge du recourant une infraction à l'art. 18 al. 2 lit. a OCR. Cette disposition réglementaire, qui est fondée sur l'art. 37 al. 2 LCR, concerne l'arrêt volontaire des véhicules automobiles. Cet arrêt et le parcage se distinguent l'un de l'autre par leur but. Le parcage est un stationnement qui ne sert pas uniquement à laisser monter ou descendre des passagers ou à charger ou décharger des marchandises (art. 19 al. 1 OCR; RO 89 IV 216). Il s'ensuit que le conducteur ne se met à l'arrêt volontaire selon les art. 19 al. 1 et 18 al. 2 OCR que lorsqu'il exécute exclusivement les opérations prémentionnées.
Dans la présente espèce, l'autorité cantonale a constaté souverainement que Gallay a stoppé, parce qu'il pensait qu'un des pneumatiques de sa voiture s'était peut-être dégonflé et qu'il voulait vérifier si tel était le cas. Son but n'était donc ni de laisser monter ou descendre des passagers, ni de charger ou de décharger des marchandises. Son stationnement constituait dès lors, non pas un simple arrêt volontaire selon l'art. 18 al. 2 OCR, mais un parcage, de sorte qu'il devait en principe respecter les prescriptions de l'art. 19 OCR.
Cependant, il peut arriver que le parcage selon l'art. 19 OCR soit dû à un cas de force majeure. Il en va ainsi notamment lorsque le véhicule s'arrête par suite d'une panne, tout au moins d'une panne dont on ne pouvait attendre du conducteur qu'il la prévoie, et qui l'empêche de continuer sa route jusqu'à un endroit où le parcage est autorisé ou moins dangereux. Dans un tel cas, on ne saurait retenir de faute pénale.
BGE 90 IV 230 S. 233
Il faut donc rechercher premièrement si Gallay a contrevenu à l'art. 19 OCR et secondement, dans l'affirmative, s'il peut invoquer l'excuse de la force majeure.
2.
L'art. 19 al. 2 lit. a OCR interdit le parcage partout où l'arrêt n'est pas permis. L'autorité cantonale a retenu, à la charge de Gallay, une violation de l'art. 18 al. 2 lit. a OCR, qui défend l'arrêt volontaire aux endroits dépourvus de visibilité. Toute limitation de la visibilité n'interdit pas l'arrêt. La disposition précitée par le d'endroits dépourvus de visibilité et mentionne, à titre d'exemple, le sommet des côtes et leurs abords.
Il paraît d'emblée très douteux qu'un véhicule immobile sur un tronçon rectiligne, à 150 m d'un dos-d'âne, puisse être considéré comme arrêté à un endroit dépourvu de visibilité. Sans doute n'est-il pas possible de fixer, par une mesure valable dans tous les cas, jusqu'où s'étendent les abords d'une côte. Ils comprennent en général la distance sur laquelle peut stopper un conducteur qui a atteint le sommet à une vitesse, même excessive vu les circonstances, mais non pas hors des prévisions fondées sur l'expérience de la vie.
En l'espèce, Gallay pouvait considérer tout d'abord qu'un conducteur survenant derrière lui devait rouler d'autant moins vite que le dos-d'âne masquait la vue dans une certaine mesure tout au moins. Dans son arrêt Bracher (RO 90 IV 100, consid. 3 a), la cour de céans a dit que, s'agissant de voitures de construction récente et pour des vitesses modérées, une décélération de 7,Bm/sec2 (coefficient de freinage 0,8) en moyenne n'a rien d'insolite. Selon la table des distances de freinage donnée par SORDET (Sem. jud. 1953, p. 556, étude citée dans l'arrêt prémentionné) et compte tenu d'un temps de réaction d'une seconde, un automobiliste disposant d'un tel pouvoir de décélération peut s'arrêter sur 77 m lorsqu'il roule à 100 km/h et sur 104 m lorsqu'il roule à 120 km/h. Si, pour tenir compte en l'espèce à la fois d'une vitesse élevée (90 km/h pour la Vauxhall), de l'état de la chaussée (mouillée et très glissante) et de la déclivité (5%), on n'admet plus qu'une décélération
BGE 90 IV 230 S. 234
de 4,9 m/sec2 (coefficient de freinage 0,5), la distance de freinage, pour les mêmes vitesses, sera de 106 m 50 et respectivement de 146 m 50. On voit ainsi qu'un conducteur qui serait arrivé, fût-ce à une allure très rapide, au sommet du dos-d'âne du "Point du Jour" et aurait aperçu un obstacle à 150 m devant lui aurait dû être en mesure de s'arrêter à temps.
Placée comme elle l'était, l'Alfa-Romeo ne se trouvait donc pas à un endroit dépourvu de visibilité, de sorte que Gallay n'a pas contrevenu à l'art. 18 al. 2 lit. a OCR.
3.
Il a en revanche contrevenu objectivement à l'art. 19 al. 2 lit. b OCR, qui interdit de parquer sur les routes principales à l'extérieur des localités. Cette disposition réglementaire n'excède pas les limites fixées par l'art. 37 al. 2 LCR, sur lequel elle se fonde et selon lequel les véhicules ne seront ni parqués ni arrêtés aux endroits où ils pourraient gêner ou entraver la circulation. Car le stationnement sur la chaussée crée manifestement un certain danger ou tout au moins une gêne pour les autres usagers, que la route soit étroite ou large, que le trafic soit intense ou non. Le Conseil fédéral pouvait donc l'interdire en dehors des localités sans excéder les pouvoirs que lui confère l'art. 106 al. 1 LCR. Or Gallay a stationné sur la chaussée.
Il ne serait néanmoins pas punissable, comme on l'a montré plus haut, si ce parcage avait été forcé. Il semble vouloir alléguer que tel était le cas, car il affirme, d'une part, avoir cru que l'un des pneumatiques de sa voiture s'était dégonflé, d'autre part que son embrayage s'est trouvé défectueux. Mais l'autorité cantonale a constaté souverainement qu'il aurait pu néanmoins continuer sa route sur une distance de 25 m environ, jusqu'à l'entrée d'une propriété, où le trottoir était interrompu pour laisser passer les véhicules. Sans doute le parcage était-il interdit à cet endroit (art. 19 al. 1 lit. g OCR). Mais, même avec une roue défectueuse, il pouvait, là, profiter de ce que le trottoir ne constituait plus un obstacle par sa bordure abrupte, y monter et, roulant encore sur quelques mètres, y stationner,
BGE 90 IV 230 S. 235
même assez longtemps pour changer une roue, faire une réparation ou attendre qu'un autre véhicule vienne remorquer le sien. Cela ne lui était pas interdit et aurait en tout cas été moins dangereux que le parcage sur la chaussée. Il suit de là que ce parcage n'était pas nécessaire et qu'il était par conséquent punissable.
4.
Le recourant nie que sa faute soit une cause adéquate des lésions corporelles subies par Goy. Certes, ce dernier n'a pas été renversé par l'Alfa-Romeo. Il est néanmoins évident qu'une voiture parquée sur une route principale de grande circulation, où la plupart des véhicules roulent très vite, constitue un obstacle qui, selon les circonstances, peut contribuer à un accident, voire en être l'origine. Le parcage opéré par Gallay, au mépris de l'art. 19 OCR, était propre d'après l'expérience de la vie à favoriser un accident analogue à celui dont Goy a été victime.
Que la faute de la conductrice Hug - à laquelle la présence illicite de l'Alfa-Romeo sur la chaussée n'est d'ailleurs pas étrangère - soit qualifiée ou non de grave, elle ne consiste pas dans un acte insensé au point de sortir du cours ordinaire des choses. Par conséquent la faute du recourant ne cesse pas d'être une cause adéquate de l'accident (RO 88 IV 106).
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8addeb17-df24-410c-81dc-13873820f85d | Urteilskopf
123 IV 55
8. Urteil der Anklagekammer vom 12. März 1997 i.S. R. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft | Regeste
Art. 249 StGB
. Einziehung von falschen schweizerischen Goldmünzen.
Die gemäss der Spezialbestimmung von
Art. 249 StGB
obligatorische Einziehung setzt keine strafbare Handlung im Sinne der
Art. 240 ff. StGB
voraus (E. 1).
Auch sogenannte Probeprägungen in Messing unterliegen der Einziehung, sofern die Verwechslungsgefahr mit echten Goldmünzen zu bejahen ist (E. 2a - c).
Der Zweck der Einziehung ist erreicht, wenn die falsche Goldmünze durch Einschneiden unbrauchbar gemacht wird (E. 2f).
Die eingezogene und unbrauchbar gemachte Münze ist dem Berechtigten zurückzugeben, sofern sie für diesen noch einen Wert aufweist und sofern keine besonderen Gründe einer Rückgabe entgegenstehen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 55
BGE 123 IV 55 S. 55
A.-
Anfang September 1996 erwarb der Numismatiker R. von H. eine Probeprägung 1930 eines 20-Franken-Goldvreneli in Messing und ohne Randschriftprägung.
R. hegte gewisse Zweifel an der Echtheit der Münze, weshalb er sie durch die Eidg. Finanzverwaltung begutachten lassen wollte. Der
BGE 123 IV 55 S. 56
Verkäufer erklärte sich damit unter dem Vorbehalt einverstanden, dass R. die Münze auch behalte, wenn sich diese als Fälschung erweisen sollte; unter Berücksichtigung dieses Vorbehalts bezahlte R. einen Kaufpreis von rund Fr. 2'000.--.
Am 10. September 1996 sandte R. die Münze zur Echtheitsprüfung an die Eidg. Finanzverwaltung. Der zuständige Experte kam zum Schluss, dass es sich bei der angeblichen Probeprägung um ein Falsifikat handle. Die Eidg. Finanzverwaltung versah das Falsifikat mit dem Prägestempel "falsch" bzw. "faux" und übermittelte es dem Bundesamt für Polizeiwesen, welches die Kantonspolizei Aargau beauftragte, R. über die Herkunft der Münze zu befragen.
Anlässlich seiner Befragung durch die Kantonspolizei Aargau gab R. an, er habe die in Frage stehende Münze als Probeprägung für Fr. 1'900.-- gekauft; echte Probeprägungen seien frei handelbar und auf der ganzen Welt zu kaufen und zu verkaufen. Dass die Münze nicht aus Gold sei, sei offensichtlich gewesen. Durch die Expertise bei der Eidg. Finanzverwaltung wollte er abklären lassen, ob die Münze mit den offiziellen Prägestempeln hergestellt worden sei, da er die Münze in diesem Fall mit einem Echtheitszertifikat, ohne dass sie "falsch" gestempelt worden wäre, hätte handeln können; andernfalls hätte er die als "falsch" gestempelte Münze an den Verkäufer zurückgeben können, welcher ihm das Geld zurückerstattet hätte.
Mit Verfügung vom 2. Dezember 1996 stellte die Schweiz. Bundesanwaltschaft das gegen R. "betreffend Widerhandlung im Sinne von
Art. 240 ff. StGB
" geführte Ermittlungsverfahren gestützt auf
Art. 73 und 106 BStP
ein, da der subjektive Tatbestand nicht erfüllt sei. Gleichzeitig wurde das "am 22.10.1996 sichergestellte falsche Vreneli zu 20 CHF eingezogen (
Art. 249 StGB
)".
B.-
Mit Beschwerde vom 16. Dezember 1996 beantragt R. der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Verfügung der Bundesanwaltschaft teilweise aufzuheben und diese anzuweisen, ihm das sichergestellte falsche Vreneli zurückzuerstatten.
Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 249 StGB
wird unter anderem falsches Geld eingezogen und unbrauchbar gemacht oder vernichtet.
b) Die Bestimmung konkretisiert die Pflicht zur Einziehung gemäss
Art. 58 StGB
(TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 249 StGB
BGE 123 IV 55 S. 57
N. 1). Sie ist im Verhältnis zu
Art. 58 StGB
insoweit Spezialbestimmung, als sie keine strafbare, d.h. tatbestandsmässige und rechtswidrige Handlung im Sinne der
Art. 240 ff. StGB
voraussetzt (vgl. dazu auch
BGE 119 IV 81
E. 4 betreffend
Art. 57b Abs. 3 SVG
), denn es ist nur von falschem, verfälschtem oder verringertem Metallgeld, d.h. vom Tatobjekt der jeweiligen strafbaren Handlungen die Rede, während die subjektiven Tatbestandselemente nicht als Voraussetzung für die Einziehung genannt werden. Spezialbestimmung ist sie auch insoweit, als die Einziehung von Falschgeld - im Sinne einer unwiderleglichen gesetzlichen Vermutung der Gefährdung schutzwürdiger Interessen (STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil II, § 14 N. 30; vgl. auch SCHULTZ, Die Einziehung, der Verfall von Geschenken und anderen Zuwendungen sowie die Verwendung zugunsten des Geschädigten gemäss StrGB rev. Art. 58 f., ZBJV 114 [1978] S. 307; THORMANN/VON OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Zürich 1941, Art. 249 N. 2) - obligatorisch ist. Die sonst im Anwendungsbereich von
Art. 58 StGB
stets zu prüfende Frage, ob die Einziehung nicht durch weniger weitgehende Ersatzmassnahmen entbehrlich ist, weil solche nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Vorrang haben, wenn sie den Sicherungszweck der Einziehung erfüllen (vgl.
BGE 104 IV 149
E. 2; vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 14 N. 32), stellt sich daher im vorliegenden Fall nicht, da
Art. 249 StGB
dem Richter diesbezüglich kein Ermessen einräumt (Germann, Schweiz. Strafgesetzbuch, Zürich 1974, Art. 249). Im übrigen sind aber die durch die Rechtsprechung im Rahmen von
Art. 58 StGB
entwickelten Grundsätze auch bei der Anwendung von
Art. 249 StGB
sinngemäss zu berücksichtigen.
2.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend,
Art. 249 StGB
könne im vorliegenden Fall überhaupt nicht angewandt werden; denn nach dieser Bestimmung könne nur im Umlauf befindliches Geld eingezogen werden; bei der eingezogenen Münze handle es sich indessen nicht um eine den Vorschriften der schweizerischen Münzgesetzgebung entsprechend geprägte und damit für den Umlauf bestimmte Münze, sondern um eine Probe, bzw. einen Entwurf, der nicht durch
Art. 249 StGB
erfasst werde; sonst müsste jede numismatische Fälschung eingezogen werden; dass es sich bei der in Frage stehenden Münze nicht um ein echtes "Vreneli" gehandelt habe, sei ihm schon aufgrund der Legierung, der fehlenden Randschriftprägung, des glatten Randes und des geringen Gewichts bewusst gewesen; es seien bereits ähnliche Probeprägungen in Kupfer bekannt.
BGE 123 IV 55 S. 58
b) Gemäss Art. 10 des Bundesgesetzes über das Münzwesen (SR 941.10) gelten die Bestimmungen der
Art. 240 ff. StGB
zum Schutze der Münzen auch für die Goldmünzen im Nennwert von 10, 20 und 100 Franken, die früher in Kurs standen. Die Bestimmung wurde ausdrücklich geschaffen, da diese Goldmünzen ausser Kurs gesetzt sind und ihre Fälschung sonst nur noch als Warenfälschung (
Art. 155 StGB
) geahndet werden könnte, was der Gesetzgeber als unerwünscht bezeichnete (Sten.Bull. N 41952 S. 473). Das im vorliegenden Fall in Frage stehende "Vreneli" geniesst somit grundsätzlich ebenfalls den Schutz der
Art. 240 ff. StGB
und unterliegt insoweit der Einziehung.
c) Vom Schutz der
Art. 240 ff. StGB
erfasst werden insbesondere den in Frage kommenden echten Münzen nachgebildete falsche. Dabei sind an die Ähnlichkeit keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; denn entscheidend ist die Verwechslungsgefahr mit echten Münzen (TH. VON MANDACH, Die Strafbarkeit der Goldmünzdelikte, ZBJV 92 [1956] S. 471 und 473). Nach herrschender Auffassung erfüllt sogar die Herstellung falschen Phantasiegeldes den Tatbestand (vgl. STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil II, 4. Auflage, § 33 N. 5; HAFTER, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil II, S. 573 Anm. 2). Die Qualität der Fälschung ist grundsätzlich ohne Belang: Entsprechend der Natur der
Art. 240 ff. StGB
als Gefährdungsdelikte und den Gepflogenheiten des täglichen Geschäftsverkehrs genügt es, wenn das Falsifikat eine münzenähnliche Gestaltung aufweist und auch nur bei bloss flüchtiger Betrachtung als echt erscheint (REHBERG, Strafrecht IV, S. 94). Denn auch plumpe, offensichtliche, d.h. für jedermann leicht erkennbare Nachahmungen fallen - als besonders leichter Fall privilegiert - unter die
Art. 240 ff. StGB
(
BGE 119 IV 154
E. 2e; STRATENWERTH, a.a.O., N. 9, mit weiteren Literaturhinweisen).
d) Die Zentralstelle Falschgeld des Bundesamtes für Polizeiwesen weist in ihrer Stellungnahme vom 23. Dezember 1996 zuhanden der Bundesanwaltschaft darauf hin, dass allgemein Falschprägungen mit und ohne "Falsch"-Stempel (als Fälschung gezeichnete Münzen) gehandelt würden; die Verwechslungsgefahr mit einem echten Goldvreneli bestehe im vorliegenden Fall indessen trotz des gegebenen Gewichtsunterschiedes (die hier in Frage stehende Münze wiegt nicht ganz die Hälfte einer echten Münze). In der Tat ist eine Verwechslungsgefahr trotz des geringen Gewichts und der unsauberen Prägung nicht auszuschliessen; dies insbesondere angesichts des Umstandes, dass solche Münzen nicht mehr als gängiges
BGE 123 IV 55 S. 59
Zahlungsmittel im Umlauf sind und somit nicht jedermann weiss, wie ein echtes Goldvreneli aussieht und wieviel dieses wiegt. Die hier in Frage stehende Münze ist daher ein Falsifikat im Sinne der
Art. 240 ff. StGB
und gemäss
Art. 249 StGB
in jedem Fall einzuziehen und unbrauchbar zu machen oder zu vernichten.
e) Nach der Darstellung des Beschwerdeführers waren er und der Verkäufer sich darüber im Klaren, dass es sich bei der fraglichen Münze um kein echtes Goldvreneli handelte. Die Frage, ob der Verkäufer in diesem Fall mit dem Verkauf an den Beschwerdeführer die falsche Münze im Sinne von
Art. 242 StGB
in Umlauf setzte (vgl.
BGE 123 IV 9
) - wovon die Bundesanwaltschaft ausgeht - kann indessen offen bleiben, weil eine Einziehung nach
Art. 249 StGB
nach dem oben Ausgeführten (E. 1b) eine strafbare Handlung nicht voraussetzt.
f) Das Unbrauchbarmachen hat in einer Weise zu geschehen, die eine spätere Verwendung (als echt) unmöglich macht (vgl. THORMANN/VON OVERBECK, a.a.O., Art. 249 N. 2 und 3). Erst wenn dies nicht möglich ist, kommt eine Vernichtung in Frage; dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (vgl. STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil II, § 14 N. 35; SCHULTZ, a.a.O., S. 328 f.).
Das Bundesamt für Polizeiwesen führt in seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 1996 denn auch aus, falsche Goldvreneli würden eingeschnitten zurückgegeben, wenn der Beteiligte gutgläubig gehandelt habe und durch das Einschmelzen der Münze eventuell noch ein Goldwert erzielt werden könne. Der Zweck der Einziehung ist daher erreicht, wenn die hier in Frage stehende Münze durch Einschneiden unbrauchbar gemacht wird.
3.
a) Mit der Einziehung - die zunächst lediglich darin besteht, dass die Sache in amtliche Verwahrung genommen wird - erlangt der Staat die Verfügungsmacht über die betroffenen Gegenstände (STRATENWERTH, a.a.O., § 14 N. 34); es steht daher in seinem Ermessen, über das Schicksal eingezogener Gegenstände zu befinden. Auch dabei hat er den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten.
b) Die Bestimmungen der
Art. 240 ff. StGB
dienen dem Schutz des vermögensrechtlichen Interesses der Öffentlichkeit daran, echte Zahlungsmittel bzw. diesen gleichgestellte Münzen zu erhalten (vgl. JÖRG REHBERG, Strafrecht IV, S. 92). Nach dem Willen des
BGE 123 IV 55 S. 60
Gesetzgebers wurde das Nachmachen bzw. Nachahmen von Geld einzig wegen der Gefahr des Missbrauchs der nachgemachten bzw. nachgeahmten Stücke unter Strafe gestellt (BBl 1918 IV 73). Eine Gefährdung des Rechtsverkehrs, d.h. der Reinheit und Sicherheit des Geldumlaufes, ist indessen ausgeschlossen, wenn die einzelnen Falsifikate klar erkennbar als falsch bzw. unecht gekennzeichnet werden (SCHULTZ, a.a.O., S. 329; vgl. dazu auch BBl 1918 IV 73 zum heutigen
Art. 245 StGB
). Kann der eingezogene Gegenstand daher in sicherer Weise unbrauchbar gemacht und dadurch der Sicherungszweck der Einziehung ebenfalls erfüllt werden, kann er dem Berechtigten - welcher sogar der Täter sein kann - wieder herausgegeben werden (SCHULTZ, a.a.O., S. 329; vgl. auch BBl 1993 III S. 306, unter Hinweis auf SCHULTZ), sofern die Sache für ihn noch einen Wert hat (STRATENWERTH, a.a.O., § 14 N. 35). Denn mit der Einziehung soll als Massnahme, der jede strafähnliche Wirkung abgeht, einzig die Gefährdung behoben werden, welche durch den betreffenden Gegenstand hervorgerufen worden war; sie würde hingegen zur Vermögensstrafe, wenn die in Frage stehenden Gegenstände dem Täter selbst dann entzogen würden, wenn die Gefahr auf irgendeine andere taugliche Weise dauernd beseitigt werden kann bzw. worden ist (vgl. SCHULTZ, a.a.O., S. 329); dies mit dem Vorbehalt, dass Letzteres mit zumutbarem Aufwand möglich ist.
c) Der Beschwerdeführer bringt diesbezüglich vor, er habe den zuständigen Beamten der Eidg. Finanzverwaltung ersucht, die Münze, falls diese sich als Fälschung erweisen sollte, zwar zu entwerten (mit einem Stempel "falsch","faux" oder einer Entzweischneidung), sie ihm aber wieder auszuhändigen.
Es ist nicht einzusehen, weshalb in der Praxis falsche Goldvreneli, welche aus Gold hergestellt wurden bzw. welche einen Goldanteil enthalten, dem Eigentümer - zur eventuellen Realisierung eines allfälligen Goldwertes durch Einschmelzen - eingeschnitten zurückgegeben werden, während dies bei Falschprägungen in Materialien ohne Goldanteil nicht der Fall sein soll. Anscheinend hat die Münze für den Beschwerdeführer, der dafür angeblich immerhin einen Kaufpreis von Fr. 1'900.-- bzw. Fr. 2'000.-- entrichtet hat, auf Grund ihrer Seltenheit auch im dauernd und zuverlässig entwerteten Zustand einen entsprechenden Sammlerwert. Wird eine falsche Münze - wie im vorliegenden Fall nach ihrer Einreichung an das Eidg. Finanzdepartement geschehen - durch dieses auf beiden Seiten mit einem Prägestempel "falsch" bzw. "faux" versehen, so ist damit die Gefahr, dass sie als echt in Umlauf
BGE 123 IV 55 S. 61
kommen könnte, zwar schon deutlich vermindert. Gänzlich ist die Verwechslungsgefahr aber erst behoben, wenn die Münze zusätzlich mindestens eingeschnitten wird, wie dies offenbar der Praxis der Eidg. Münzstätte entspricht.
Die Nichtwiederaushändigung der eingezogenen und wie dargelegt unbrauchbar gemachten Münze erweist sich daher im vorliegenden Fall unter Würdigung der konkreten Umstände als unverhältnismässig und damit bundesrechtswidrig, da die Bundesanwaltschaft ausser dem jedenfalls nach dem Einschneiden nicht mehr haltbaren Argument der Verwechslungsgefahr keine (anderen) Gründe geltend macht, die einer Rückgabe der unbrauchbar gemachten Münze entgegenstehen könnten bzw. deren Zurückbehaltung als verhältnismässig erscheinen liessen. Die eingezogene Münze ist daher dem Beschwerdeführer - nach zusätzlicher Unbrauchbarmachung durch Einschneiden - wieder auszuhändigen. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ae53073-e230-42bb-811b-1ba2adecc38e | Urteilskopf
81 II 117
21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. März 1955 i.S. Schweizerischer Tabakverband gegen Schwarzer. | Regeste
Art. 2 und 28 Z GB,
Art. 41 OR
.
Unzulässiger Vernichtungsboykott. Grundsätzliches über Begriff, Zulässigkeitsvoraussetzungen und Beweispflicht, nach Massgabe der geltenden Rechtsprechung. | Sachverhalt
ab Seite 118
BGE 81 II 117 S. 118
A.-
Der im Jahre 1932 gegründete Schweizerische Tabakverband ist ein Verein gemäss
Art. 60 ff. ZGB
. Er bezweckt laut Art. 2 seiner Statuten (Ausgabe 12. Juli 1939)
"in erster Linie die Sanierung der Preis- und Rabattverhältnisse und der damit in Zusammenhang stehenden Missbräuche (Prämiensysteme und Zugabewesen) beim Verkauf von Tabakwaren an die Konsumenten und ebenso die Wahrung der allgemeinen lebenswichtigen Interessen der schweizerischen Tabakbranche."
Sodann bestimmt Art. 3 der Satzung:
"Mitglieder des Verbandes können werden:
a. Handelsorganisationen der schweizerischen Tabakbranche;
b. Einzelfirmen der Tabakindustrie und des Tabakhandels, soweit letztere nicht in schweizerischen Brancheverbänden organisiert sind, die dem Schweizerischen Tabakverbande angehören. Die Aufnahme in den Verband erfolgt durch den Vorstand."
Zwischen den Verbandsmitgliedern besteht eine Kartellordnung, die sogenannte Tabakkonvention, deren jetzt gültige Fassung vom 14. September 1950 am 1. Januar 1951 in Kraft trat und die frühere vom 12. Juli 1939 ersetzte. Darin sind zur Verwirklichung der Verbandsziele eine Reihe von Einzelvorschriften aufgestellt. Verletzungen ziehen einschneidende wirtschaftliche Massnahmen und Strafen nach sich, wie Bussen, Kürzung der Rabatte auf Warenlieferungen, Preiserhöhungen und Sanktionsaufschläge, Konventionalstrafen, zeitweilige oder dauernde Warensperre (vgl. Art. 5 ff.). Die Verpflichtungen aus dem Abkommen sind nicht nur den Unterzeichnern auferlegt, sondern der Verbandsvorstand ist beauftragt, dafür zu sorgen, dass sie "- soweit nötig - ... auch von den übrigen Brancheangehörigen (Handel) durch Unterzeichnen eines ... von Fall zu Fall ausgearbeiteten Verpflichtungsscheines übernommen werden" (Art. 2). Untersagt und strafbar ist nach Art. 1 lit. k der Konvention u.a.:
BGE 81 II 117 S. 119
"jede Art Lieferung von Tabakfabrikaten (auch mit Mengenrabatten) an bestehende Geschäfte, neu zu gründende Firmen und Verkaufsorganisationen, die zur Unterzeichnung des Verpflichtungsscheines verpflichtet sind (Art. 2) und die bisher nicht im Tabakhandel tätig waren, in Städten, deren Nachbarschaft, Ortschaften mit städtischem Charakter, Saison- und Kurorten oder andern Ortschaften, wo Spezialgeschäfte des Tabakhandels bestehen, ohne sich vor der Lieferung beim S.T.V. Gewissheit zu verschaffen, dass der Verpflichtungsschein eingereicht und genehmigt worden ist".
Dem ist unter dem Titel "Ausnahmen" beigefügt:
"Diese Bestimmungen finden keine Anwendung auf Hotels, Restaurants, Bars und Tearooms, Automaten bei bestehenden und in der Branche zugelassenen Tabakspezialgeschäften und auf Mitglieder der von der Industrie anerkannten Einkaufsgenossenschaften."
Weiter heisst es über das "Bewilligungsverfahren":
"Gesuche um Bewilligung zur Belieferung im Sinne von Al. 1, Lit. k, werden auf Grund der Bedürfnisfrage, des Fähigkeitsausweises, bisheriger Tätigkeit und finanzieller Lage des Gesuchstellers vom Vorstand des S.T.V. entschieden.
Die Gesuche sind vom Gesuchsteller oder dem interessierten Lieferanten des S.T.V. schriftlich, begründet und mit einem unterzeichneten Verpflichtungsschein einzureichen."
Die so angestrebte Regelung der Bedürfnisfrage liegt ausserhalb des Bereiches der durch Art. 93 der VO betreffend die fiskalische Belastung des Tabaks vom 30. Dezember 1947 der Oberzolldirektion übertragenen Aufsichtsbefugnisse über den Handel mit Tabakfabrikaten und der in Art. 94 des nämlichen Erlasses enthaltenen Preisschutz bestimmungen (vgl. BS 6 S. 228).
B.-
Arthur Schwarzer, geboren 1919, erlitt in früher Kindheit einen Unfall mit Rückgratsverletzung, welche eine teilweise Lähmung der Beine verursachte. Er ist kaufmännisch ausgebildet, vermochte aber der gesundheitlichen Behinderung wegen keine befriedigende berufliche Stellung zu finden. Das brachte ihn auf den Gedanken, einen Kiosk zu eröffnen. Als Standort wählte er die nächst der Sihlbrücke gelegene Ecke des promenadenartig gestalteten freien Raumes zwischen Sihlstrasse, Gessnerallee und Schanzengraben in Zürich. Der Stadtrat bewilligte am 20. Oktober 1950 die Errichtung des Kioskes
BGE 81 II 117 S. 120
und den Verkauf üblicher Waren, darunter Tabakwaren.
Da Schwarzer eigener Mittel entbehrte, verbürgte seine Heimatgemeinde einen Kredit von Fr. 3500.--, was ermöglichte, den Kiosk zu bauen und Ende Mai 1951 in Betrieb zu nehmen.
Zuvor liess Schwarzer durch einen Zürcher Rechtsanwalt beim Schweizerischen Tabakverbande das vom unterschriebenen Verpflichtungsschein begleitete Gesuch um Erlaubnis zum Bezuge und Verkaufe von Tabakwaren unterbreiten. Der Verband lehnte mit Brief vom 13. Januar 1951 ab, weil das Bedürfnis nach einer neuen Verkaufsstelle in der Gegend um die Sihlbrücke verneint werden müsse. Wiedererwägungsgesuche vom 27. Januar und 13. Februar 1951 blieben erfolglos.
C.-
Im Mai 1952 reichte Schwarzer gegen den Schwei zerischen Tabakverband Klage ein mit den Begehren:
"1. Der Beklagte sei zu verurteilen, dem Kläger die ausdrückliche Bewilligung zu erteilen, sämtliche für seinen Kiosk an der Gessnerallee-Sihlstrasse, Zürich, benötigten Tabakwaren von den dem Schweiz. Tabakverband angeschlossenen Firmen, Fabrikanten, Grossisten usw. zu den in der Konvention des Schweiz. Tabakverbandes enthaltenen Bedingungen zu beziehen, unter Androhung der gesetzlichen Folgen im Falle der Nichterfüllung.
2. Der Beklagte sei ferner zu verurteilen - ebenfalls unter Androhung der gesetzlichen Folgen im Unterlassungsfalle - den ihm angeschlossenen Firmen und Verbänden durch eingeschriebenen Brief, eventuell in der in den Statuten vorgesehenen Weise mitzuteilen, dass sie berechtigt seien, dem Kläger für seinen Kiosk in Zürich Tabakwaren irgendwelcher Art zu den üblichen Verbandspreisen zu liefern.
3. Der Beklagte sei schliesslich zu verurteilen, dem Kläger eine richterlich zu bestimmende Summe als Schadenersatz zu bezahlen."
Der Verband erhob zunächst die Unzuständigkeitseinrede, da sich Schwarzer durch Unterzeichnung des Verpflichtungsscheines der in der Konvention vorgesehenen Schiedsgerichtsbarkeit unterzogen habe. Diese Auffassung wurde vom kantonalen Richter anerkannt, jedoch auf staatsrechtliche Beschwerde Schwarzers hin vom Bundesgericht insoweit verworfen, als die geltend gemachten Ansprüche nicht auf die Konvention oder den Verpflichtungsschein
BGE 81 II 117 S. 121
gestützt, sondern aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitet würden (Urteil der staatsrechtlichen Abteilung vom 27. März 1953). Darauf trafen die Parteien in der Hauptverhandlung vom 25. September 1953 die nachstehende Abrede:
"1. Die Schiedsgerichtsvereinbarung wird in diesem Falle aufgehoben, sodass das befasste Gericht zuständig sein soll, sowohl die Vertragsklage auf Bewilligung des Kioskes infolge vorhandenen Bedürfnisses als auch die Boykottklage zu beurteilen.
2. Hinsichtlich der Boykottfrage anerkennt der Kläger, dass sowohl Zwecke als auch Mittel der Beklagten nicht angefochten werden, dagegen die bisher vorgenommene Interessenabwägung zwischen Verbandszweck und Berechtigung des Klägers auf Führung des Kiosks."
Durch seinen Sachentscheid vom 26. Mai 1954 hiess der Appellationshof des Kantons Bern die Klage gut, indem er den Beklagten unter Androhung strafrechtlicher Ahndung im Widerhandlungsfalle verurteilte, "den ihm angeschlossenen Firmen und Verbänden verbindlich mitzuteilen, dass sie berechtigt seien, dem Kläger für seinen Kiosk an der Gessnerallee/Sihlstrasse in Zürich Tabakwaren irgendwelcher Art zu den üblichen Verbandspreisen zu liefern", und verpflichtete, "dem Kläger an Schadenersatz zu bezahlen: für die Zeit bis zum 31. Mai 1954 Fr. 9500.--, mit Zins zu 5% seit dem 1. Januar 1953; vom 1. Juni 1954 hinweg bis zur Aufhebung der Sperre Fr. 300.-- im Monat."
D.-
Der Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein. Er beantragt vollumfängliche Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung des kantonalen Erkenntnisses.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Ausgehend davon, dass mit der oben wiedergegebenen gemeinsamen Parteierklärung "der noch streitige Prozessstoff umschrieben" sei, hat der Appellationshof den
BGE 81 II 117 S. 122
Belieferungsanspruch des Klägers zuerst aus Vertrag und dann auch wegen Vorliegens eines unzulässigen Boykottes bejaht. Ob eine vertragliche Bindung des Beklagten eingetreten sei, erscheint als zweifelhaft, sofern man die grundlegenden Ausführungen im kantonalen Urteil nicht als Feststellung eines prozessualen Zugeständnisses versteht, kann aber offen bleiben, wenn die Boykottklage zu schützen ist.
2.
Die Rechtsprechung sieht "das Wesen des Boykottes in der organisierten Meidung eines Gewerbetreibenden, mit dem Zwecke, ihn zu einem bestimmten aktiven oder passiven Verhalten zu veranlassen oder ihn für ein solches zu massregeln" (
BGE 76 II 285
). Die Weigerung des Beklagten, den vom Kläger vorgelegten Verpflichtungsschein zu genehmigen, ist als solche, ihrem Sinne und Ziele nach, darauf gerichtet, den Gesuchsteller von der Belieferung durch die an der Verbandskonvention direkt oder indirekt Beteiligten auszuschliessen und ihm so den Handel mit Tabakwaren zu verwehren. In ihrer Wirkung läuft die Massnahme auf eine vollständige Sperre hinaus, da sie laut Angabe der Vorinstanz "praktisch alle Lieferanten" erfasst. Zu ihrer Durchsetzung endlich dienen die erwähnten strengen Sanktionen gemäss Art. 5 ff. der Konvention, welche umso schwerer wiegen, als es im Tabakgewerbe zahlreiche kleine Existenzen gibt. Das Ganze ist organisierter, unter Anwendung von Zwangsmitteln geführter Wirtschaftskampf mit den unverkennbaren Merkmalen des Boykottbegriffes.
Die Berufung verficht die Auffassung, dass kein Vernichtungsboykott gegeben sei, vielmehr die Vorinstanz nur von einem Verdrängungsboykott spreche, jedoch, am Ergebnis der Verbandsvorkehren gemessen, auch ein solcher ausscheide. Dem ist fürs erste entgegen zu halten, dass die Grenzen zwischen Verdrängung und Vernichtung fliessend sind. Die Verdrängung aus einer geschäftlichen Stellung und schon die blosse Verhinderung an gewollter geschäftlicher Betätigung enden häufig mit der Vernichtung
BGE 81 II 117 S. 123
der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen. So hat auch das Bundesgericht, wo es angebracht war, den nämlichen Tatbestand zugleich als Verdrängung und als Vernichtung bezeichnet (vgl.
BGE 76 II 286
in Verbindung mit 287 Ziff. 3 und 290 Abs. 3). Der Beklagte muss zugeben, dass die Vorinstanz Verdrängungsboykott sage und Vernichtungsboykott meine. In der Tat stellt sie den vernichtenden Charakter der angeordneten Meidung des Klägers fest, und zwar entgegen der Ansicht des Beklagten nicht nur anhand der Erfahrung, sondern im Wege der Beweiswürdigung (
Art. 63 Abs. 2 OG
). Daran ändert nichts, dass es sich beim Kioske des Klägers um eine Neueröffnung handelt (
BGE 76 II 286
; vgl. DESCHENAUx, Licéité et limites du boycott, ZSR 70 S. 137). Es ist auch ohne Belang, dass sich der Kläger bisher trotz allem eine gewisse Menge von Tabakwaren zu verschaffen vermochte. Schon die Vorinstanz hat hervorgehoben, dass nichtsdestoweniger die Sperre in ihrer Art vernichtend ist und, soweit das am Verbande liegt, auch vernichtend gestaltet wird. Die verfügbaren Machtmittel sind dazu geeignet. Dass der Verband danach trachtet, sie durchschlagend zum Einsatze zu bringen, erhellt unmissverständlich aus der Parteierklärung seines Präsidenten und ist belegt durch einen bei den Akten liegenden Brief vom 9. Januar 1952 an einen Grossisten. Umgekehrt bieten die verdeckten Bezugsmöglichkeiten dem Kläger keinen ausreichenden Ersatz für das, was ihm durch das Lieferverbot des Verbandes entgeht. Einmal sind die Bedingungen meist schlechter und lassen eine erheblich geringere Verdienstspanne. Weiter besteht keinerlei Gewähr für eine regelmässige und den Bedürfnissen angepasste Bedienung. Es mangelten denn auch zeitweilig gerade die gängigsten Rauchwaren, u.a. gewisse Zigarettensorten. Bedenkt man, dass für Kioske der Handel mit Zigaretten die Existenzgrundlage bildet, so ist unschwer zu ersehen, dass auf die Dauer - und zumal bei steigendem Erfolg der Kontrollbemühungen des Verbandes - der Kläger
BGE 81 II 117 S. 124
dem aufihn ausgeübten Druck kaum zu begegnen imstande wäre. Unbehelflich ist schliesslich der Berufungseinwand, die Vorinstanz habe die Beweislast unrichtig verteilt. Darauf kommt ohnehin nur etwas an, wo der Beweis nicht erbracht ist, während hier keine Ungewissheit darüber bleibt, dass der Beklagte den Kläger mit vernichtender Wirkung boykottiert (vgl. das unveröffentlichte Urteil vom 22. September 1953 i.S. Morger c. Wiederkehr Erw. 1b und
BGE 57 II 274
). Die Rüge, es sei die Vorinstanz im Urteil von ihrer ursprünglichen Beweisverfügung abgewichen, ist nicht zu hören, weil sie nicht Bundesrecht, sondern kantonales Prozessrecht beschlägt.
Liegt ein Boykott vor, so sind seine Zulässigkeit zu prüfen und gegebenenfalls seine Grenzen abzustecken. Dabei geht es keineswegs um eine Entscheidung über die vom Beklagten in den Vordergrund der Betrachtung gerückten verfassungsmässigen Freiheitsrechte an sich. Vielmehr hat die Beurteilung danach zu fragen, ob die beanspruchte Boykottbefugnis einen Ausfluss jener Freiheitsrechte darstelle und ob die verhängten Boykottmassnahmen sich innerhalb der für die Rechtsausübung gesetzten Schranken halten bzw. mit Drittrechten vertragen. Es wäre gänzlich abwegig, aus dem Bestehen der Handels- und Gewerbefreiheit, der Vertragsfreiheit und der Vereinsfreiheit die grundsätzliche Schutzlosigkeit Dritter gegenüber Verbandsbeschlüssen und deren Auswirkungen zu folgern, wie es der Beklagte anscheinend will, indem er unterstellt, dass lediglich "kein krasser Missbrauch geübt werden darf".
Art. 2 ZGB
verpönt jeglichen Rechtsmissbrauch, sobald er offenbar ist, während
Art. 41 Abs. 2 OR
für den Verstoss gegen die guten Sitten und
Art. 28 ZGB
für die Verletzung in den persönlichen Verhältnissen nicht einmal jene Offenkundigkeit verlangen.
3.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Boykott an und für sich ein statthaftes Kampfmittel im Wirtschaftsleben, aber unzulässig dann, "wenn der mit ihm verfolgte Zweck oder die angewandten Mittel
BGE 81 II 117 S. 125
rechtswidrig sind oder gegen die guten Sitten verstossen oder wenn zwischen dem erstrebten Vorteil und dem Schaden, den der von der Massnahme Betroffene erleidet, ein offenbares Missverhältnis besteht" (
BGE 73 II 76
,
BGE 69 II 82
; vgl.
BGE 62 II 105
,
BGE 57 II 270
,
BGE 56 II 435
und OSER/SCHÖNENBERGER, zu
Art. 41 OR
N. 44 ff.). Der eigentliche Vernichtungsboykott insbesondere ist nur erlaubt, "wenn schutzwürdige Interessen des Urhebers der Sperre die Fernhaltung des Boykottierten von dem in Frage stehenden Wirtschaftsgebiet rechtfertigen und erheischen" (
BGE 76 II 287
).
Der Begriff des Verstosses gegen die guten Sitten ist umfassender als derjenige der Beeinträchtigung des subjektiven Rechtes "auf Achtung und Geltung der wirtschaftlichen Persönlichkeit", auf dem die ältere Praxis fusste (
BGE 56 II 435
). Allein der auf Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz zielende Boykott schliesst normalerweise einen Eingriff in die wirtschaftliche Persönlichkeit des Boykottierten ein. Die Sittenwidrigkeit im Sinne des
Art. 41 Abs. 2 OR
wird alsdann in der Regel mit einer Verletzung der persönlichen Verhältnisse gemäss
Art. 28 ZGB
verbunden sein. Die neuere Rechtsprechung hat daher mit Grund den Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechtes wieder einbezogen (
BGE 76 II 288
).
Dafür, dass die umschriebenen Voraussetzungen eines zulässigen Vernichtungsboykottes erfüllt seien, ist der Boykottierende "nach den allgemeinen Grundsätzen der Behauptungs- und Beweislast beweispflichtig" (
BGE 76 II 290
). Das heisst, dass der Vernichtungsboykott im Einzelfalle einer hinreichenden Rechtfertigung bedarf, welche aus der Gegenüberstellung der geltend gemachten Verbandsinteressen mit den Interessen des Boykottierten herzuleiten ist. Eine derartige Interessenabwägung hat die Vorinstanz vorgenommen. Auf die vom Beklagten auch in diesem Zusammenhange wiederholte Bemängelung der Beweiserhebung braucht nicht näher eingetreten zu
BGE 81 II 117 S. 126
werden, da die Richtigkeit der Beweislastverteilung wenigstens in Hinsicht auf die - zwar bestrittene, aber nach dem Vorstehenden zutreffende - Annahme eines Vernichtungsboykottes zugestanden ist (vgl. immerhin BEKKER'zu
Art. 41 OR
N. 81 und 85, neben der in der Berufung erwähnten N. 98, und BOLLA, Il boicottagio nel diritto civile svizzero, ZSR 46 S. 230).
4.
Die in
BGE 76 II 292
aufgeworfene und dort nicht abschliessend beantwortete Frage, ob mit Rücksicht auf die in
Art. 31 bis BV
dem Staate verliehenen Befugnisse die Einführung einer Bedürfnisklausel von der Art, wie sie der beklagte Verband zur Anwendung bringt, durch privatrechtliche Organisation überhaupt angängig sei, muss auch hier nicht entschieden werden, sofern sich der Urteilsspruch ohnedies ergibt. Die Handels- und Gewerbefreiheit gewährt wohl die Möglichkeit zu rechtsgeschäftlicher Vereinigung. Doch ist die darin enthaltene Abschlussfreiheit ihrerseits begrenzt durch die Schranken eben der Rechtsordnung, deren Bestandteil sie bildet. Deshalb hat sich der Beklagte vorweg einer Nachprüfung seiner Stellungnahme durch den Richter zu unterziehen und das in der Prozessabrede mit dem Kläger auch hingenommen. Dabei müssen (unter der Annahme, sie seien an sich mit den guten Sitten vereinbar) jene Richtlinien wegleitend sein, auf die der Beklagte selber festgelegt ist, was bereits die Vorinstanz in ihren Überlegungen zur Vertragsklage dargetan hat. Eine andere Betrachtungsweise käme der wettbewerbsmässigen Hintansetzung des Klägers gleich. Auch der Gedanke, dass "für einen Wirtschaftsverband, der die Vereinsform gewählt hat statt der sachlich richtigeren Genossenschaftsform und der eine wirtschaftliche Monopolstellung einnimmt", möglicherweise eine Pflicht zur Aufnahme von Mitgliedern bestehen könnte (
BGE 76 II 294
/95), legt nahe, dass der Kläger zumindest nicht strenger als seine Konkurrenten behandelt werden darf.
Nun pflegt der Tabakverband über Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Bedürfnisses für eine geschäftliche
BGE 81 II 117 S. 127
Neugründung in Ansehung der gegebenen tatsächlichen Verhältnisse zu befinden. Die Vorinstanz hat auf Grund der Akten, mit Hilfe von Augenschein, Zeugen- und Parteiaussagen, also beweiswürdigend und daher für das Bundesgericht bindend ermittelt, dass ein Bedürfnis nach dem vom Kläger betriebenen Kiosk nicht verneint werden durfte. Damit erledigt sich ohne weiteres die Berufungskritik zu diesem Punkte. Es steht fest, dass weder die Existenz des beklagten Verbandes oder einzelner seiner Mitglieder bedroht, noch das eingesessene Tabakgeschäft erheblich gefährdet ist. Zu beachten ist ferner, dass der Kiosk in ein ausgesprochenes Geschäftsviertel verlegt wurde, "an eine grosse Durchgangsstrasse, wo der Verkehr in den Stosszeiten wegen der Bevölkerungszunahme in den dortigen Aussenquartieren ganz wesentlich zugenommen hat", und dass deshalb bezüglich des Bedürfnisses der blosse Hinweis auf die Zahl bestehender Geschäfte, der vielleicht für Wohnquartiere genügen mag, keinen tauglichen Massstab bietet. Anderseits greift der Boykott nach den Feststellungen des Sachrichters an die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Klägers und schafft dergestalt eine Benachteiligung, die in keiner vernünftigen Beziehung zu den Vorteilen steht, welche der Verband für sich und den von ihm vertretenen Berufszweig zu erreichen glaubt; das sogar ganz unabhängig von der schwierigen persönlichen Lage, in die sich der Kläger seines körperlichen Gebrechens wegen überdies versetzt sieht. Schon angesichts dieser Gegebenheiten schlägt die Abwägung der gegenseitigen Interessen eindeutig zugunsten des Klägers aus. Hinzu kommen Umstände, welche die Einstellung des Beklagten vollends unhaltbar machen. Der Verband schweizerischer Konsumvereine, der Verband ostschweizerischer landwirtschaftlicher Genossenschaften und mehrere andere Einkaufsgenossenschaften haben sich der Bedürfnisregelung des Tabakverbandes nicht unterworfen. Darum wird die Belieferung der zahlreichen alten oder neuen Verkaufsstellen, die einer der genannten Organisationen
BGE 81 II 117 S. 128
zugehören, vom Beklagten gestattet oder geduldet. Gleich verhält es sich mit Gasthöfen, Wirtschaften und anderen Gaststätten. Auf solche Weise sind, seit der Kläger seinen Kiosk eröffnete, in der Nähe nicht weniger als sieben Verkaufsstellen entstanden. Der Einwand des Beklagten, erstrebt sei der Schutz der Spezialgeschäfte "des eigentlichen Tabakhandels", geht fehl, solange dieser von grossen und verzweigten Wirtschaftsunternehmen frei konkurrenziert werden kann. Ausserdem ist der Kiosk des Klägers auch kein Spezialgeschäft für Tabakwaren, wie denn ohnehin von den schätzungsweise 63'000 Tabakvertriebsstellen der Schweiz nur rund 2000 Spezialgeschäft sind.
Die zusammenfassende Wertung führt zum Schlusse, dass der Boykott des Beklagten offenbar missbräuchlich ist, gegen die guten Sitten verstösst und eine untragbare Verletzung des Rechtes der wirtschaftlichen Persönlichkeit des Klägers zeitigt. Folgt damit die Gutheissung der Klage aus der geltenden einschlägigen Gerichtspraxis, so erübrigt sich hier eine Auseinandersetzung mit der an dieser geübten Kritik.
5.
Der von der Vorinstanz zugesprochene Schadenersatz ist - jedenfalls mit einer der Vorschrift in
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
genügenden Begründung - ziffernmässig nicht bestritten. Der Beklagte lehnt, entsprechend seinem grundsätzlichen Prozessstandpunkt, jede Schadenersatzpflicht ab. Wollte man annehmen, darin sei als Geringeres eventuell auch ein Herabsetzungsbegehren inbegriffen, so wäre dieses zu verwerfen. Die Vorinstanz hat die vom Experten errechnete Ersatzforderung ermessensweise bereits gekürzt. Weiter zu gehen besteht kein Anlass. Einem Verbande, der ein wirtschaftliches Monopol oder doch eine monopolähnliche Stellung in Anspruch nimmt und sich für seine Zwecke des Systems der Bedürfnisklausel bedient, erwächst bei ihrer Handhabung gegenüber dem Einzelnen die Obliegenheit zu einlässlicher und objektiver Abklärung der Verhältnisse, bevor durch
BGE 81 II 117 S. 129
Machtmittel in den Rechtsbereich des Dritten eingegriffen wird. Ihr hat der Beklagte weder durch die unzulänglichen Erkundigungen seines Vertrauensmannes noch sonst in der Beurteilung der Sachlage genügt. Sein Verhalten war schuldhaft, und die nochmalige Ermässigung der Ersatzleistung für den verursachten Schaden wäre unbillig.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 26. Mai 1954, wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8aec2449-069c-48ca-82cc-4e6a5d65e31b | Urteilskopf
101 V 129
25. Urteil vom 4. September 1975 i.S. Zumwald gegen Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia und Kantonsgericht Freiburg | Regeste
Art. 2 KUVG
.
Rechtsnatur eines Versicherungsobligatoriums, gemäss welchem Versicherungspflichtige, die nicht schon freiwillig einer anerkannten Krankenkasse beigetreten sind, von Amtes wegen einer Vertragskasse zugewiesen werden. | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 101 V 129 S. 129
A.-
Die Eheleute Oscar und Martha Zumwald wohnten bis Juli 1973 in Überstorf, nachher in Flamatt. Der Ehemann wurde am 6. März 1974 ins Inselspital Bern eingewiesen, wo er am 30. April 1974 verstarb. Am 9. April 1974 gelangte der Sozialdienst des Inselspitals an die Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia mit dem Begehren um Übernahme der Krankenpflegekosten auf Grund des in der Gemeinde Überstorf bestehenden Krankenversicherungsobligatoriums. Die Krankenkasse bestritt die Leistungspflicht mit der Begründung, Oscar Zumwald habe keinen Antrag zur Aufnahme in die Krankenversicherung gestellt und sei auch nicht von Amtes wegen der Kasse zugewiesen worden. Eine Kassenmitgliedschaft sei daher nicht begründet worden.
Mit Verfügung vom 11. Juni 1974 bestätigte die Kasse ihre Stellungnahme gegenüber der Ehefrau des Verstorbenen.
B.-
Martha Zumwald beschwerte sich beim Kantonsgericht in Freiburg und machte geltend, ihr Ehemann hätte gemäss dem in der Gemeinde Überstorf auf den 1. Januar
BGE 101 V 129 S. 130
1973 in Kraft getretenen Krankenversicherungsobligatorium zwangsweise der Krankenkasse Konkordia zugeteilt werden müssen, nachdem er sich nicht von sich aus versichert habe. Das Versicherungsverhältnis hätte auch nach dem Wohnortswechsel weitergeführt werden können.
Die Vorinstanz wies die Beschwerde am 2. September 1974 ab mit der Begründung, das von der Gemeinde verfügte Versicherungsobligatorium habe nicht unmittelbar die Kassenmitgliedschaft der versicherungspflichtigen Personen zur Folge. Die Mitgliedschaft setze vielmehr ein Eintrittsbegehren bzw. eine von der Gemeinde zwangsweise verfügte Zuteilung zu einer der beiden Vertragskassen voraus. Im Falle von Oscar Zumwald habe nie eine persönliche Zugehörigkeit zur Krankenkasse Konkordia bestanden; weder habe er der Kasse je freiwillig angehört noch sei er ihr von der Gemeinde zwangsweise als Mitglied zugewiesen worden. Die Voraussetzungen hiezu seien im übrigen bereits im August 1973 mit dem Wohnsitzwechsel dahingefallen.
C.-
Martha Zumwald erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, die Krankenkasse Konkordia habe für ihren verstorbenen Ehemann "die statutarischen Leistungen aus der Krankenpflegeversicherung während des Aufenthaltes im Inselspital Bern vom 6. März 1974 bis 30. April 1974 zu gewähren". In der Begründung hält sie daran fest, das von der Gemeinde verfügte Versicherungsobligatorium habe unmittelbar zur Folge gehabt, dass ihr Ehemann bei der Krankenkasse Konkordia versichert gewesen sei. Dass er der Kasse nicht als Mitglied zugewiesen worden sei, habe er nicht zu vertreten. Soweit ein bundesrechtlich statthaftes Obligatorium bestehe, sei dieses auch durchzusetzen, nicht anders als in der obligatorischen Unfallversicherung.
Während die Krankenkasse auf eine Stellungnahme verzichtet, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Nach Auffassung des Bundesamtes hätte die Gemeinde hinreichend Zeit gehabt, die zwangsweise Zuteilung zur Kasse vorzunehmen. Dass die Gemeinde den Versicherungspflichtigen der Kasse nicht rechtzeitig gemeldet habe, entbinde diese nicht von ihren Verpflichtungen. Andernfalls würde das Institut der Zwangsversicherung illusorisch und die Durchführung der obligatorischen Krankenversicherung in Frage gestellt.
BGE 101 V 129 S. 131
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 2 Abs. 1 lit. a KUVG
sind die Kantone ermächtigt, die Krankenversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch zu erklären. Es steht den Kantonen frei, diese Befugnis ihren Gemeinden zu überlassen (
Art. 2 Abs. 2 KUVG
). Die von den Kantonen oder den Gemeinden in Anwendung des ersten Absatzes erlassenen Bestimmungen bedürfen "der Genehmigung des Bundesrates" (
Art. 2 Abs. 3 KUVG
). Nach Art. 8 Vo V über die Krankenversicherung ist für die Genehmigung kantonaler Erlasse das Eidgenössische Departement des Innern zuständig; die Genehmigung der von Gemeinden oder Kreisen erlassenen Bestimmungen steht dem Bundesamt für Sozialversicherung zu.
b) Gegen eine Verfügung auf dem Gebiete der gestützt auf
Art. 2 KUVG
obligatorisch erklärten Krankenversicherung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde insoweit zulässig, als sich die Verfügung auf Bundesrecht stützt oder hätte stützen sollen (
BGE 98 V 163
). Im vorliegenden Fall ist streitig, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin auf Grund des von der Gemeinde verfügten Versicherungsobligatoriums Anspruch auf die gesetzlichen und statutarischen Versicherungsleistungen hat. Dies beurteilt sich - wie nachstehend darzutun sein wird - nach den bundesrechtlichen Grundsätzen über die Entstehung und Rechtsnatur des Versicherungsverhältnisses. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.
2.
a) Die Gemeinde Überstorf hat auf den 1. Januar 1973 die obligatorische Krankenversicherung für alle auf dem Gemeindegebiet wohnhaften Personen eingeführt und hiefür mit der Christlichsozialen Kranken- und Unfallkasse der Schweiz und mit der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse Konkordia einen Vertrag abgeschlossen. In einem von der Gemeinde erlassenen Reglement wird zur Versicherungspflicht ausgeführt, diese beginne mit dem Monat, in welchem eine Person im Sinne der
Art. 23 ff. ZGB
auf dem Gemeindegebiet Wohnsitz nehme (Art. 2 und 3). Nach Art. 8 des Reglementes kann der Versicherungspflicht durch Beitritt zu den "obligatorischen Versicherungskassen" (Vertragskassen) oder durch Mitgliedschaft bei einer andern anerkannten Krankenkasse
BGE 101 V 129 S. 132
nachgekommen werden. Nichtversicherte haben ein Eintrittsbegehren auf einem Formular auszufüllen, welches ihnen von der Kasse oder von der Gemeinde ausgehändigt wird (Art. 9). Gemäss Art. 12 setzt die Gemeinde Anfang und Ende der Versicherungspflicht fest und macht dem Versicherten und der Kasse hierüber schriftlich Mitteilung. Die Gemeinde überwacht die Erfüllung der Versicherungspflicht; kommt jemand trotz Mahnung der Versicherungspflicht nicht nach, so wird er von Amtes wegen durch die Gemeinde einer der beiden Vertragskassen nach einer bestimmten Schlüsselung zugeführt (Art. 13).
b) Auf Grund dieser Bestimmungen stellt sich die Krankenkasse Konkordia (welcher der Ehemann der Beschwerdeführerin nach der im Gemeindereglement festgelegten Schlüsselung angeschlossen worden wäre) auf den Standpunkt, mangels eines persönlichen Beitrittes oder einer zwangsweisen Zuweisung durch die Gemeinde sei kein Versicherungsverhältnis begründet worden, weshalb die Kasse auch nicht leistungspflichtig sei.
Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die Gemeinde hätte Oscar Zumwald im Sinne des bestehenden Versicherungsobligatoriums zwangsweise der Krankenkasse Konkordia zuteilen müssen. Mit dem Obligatorium werde die Kasse unmittelbar dem Versicherten gegenüber verpflichtet, die vertraglich festgelegten Leistungen zu gewähren.
3.
Die geltende Krankenversicherung beruht auf dem System der persönlichen Versicherung. Die Rechte und Pflichten des Versicherten ergeben sich aus dessen persönlicher Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse und werden durch den Kassenbeitritt begründet. Dies gilt grundsätzlich auch in der obligatorischen Krankenversicherung von Kantonen und Gemeinden (vgl. BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, S. 27; STEINMANN, Die Stellung der Kantone in der Krankenversicherung unter besonderer Berücksichtigung des Obligatoriums, Diss. Zürich 1973, S. 37). Das im vorliegenden Fall bestehende Versicherungsobligatorium beseitigt lediglich die Freiwilligkeit des Kassenbeitritts in dem Sinne, dass sich der Nichtversicherte einer anerkannten Krankenkasse anzuschliessen hat; ein zwangsweiser Anschluss an eine Kasse erfolgt nur, falls der Versicherungspflichtige dieser Pflicht nicht nachkommt. Das Versicherungsverhältnis wird demzufolge nicht
BGE 101 V 129 S. 133
schon damit begründet, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Versicherungspflicht erfüllt sind; vielmehr bedarf es eines Beitritts seitens des Versicherungspflichtigen bzw. einer Zuweisung durch das Gemeinwesen.
Dass unter diesen Umständen trotz des Obligatoriums Lücken im Versicherungsschutz bestehen können, mag als unbefriedigend erscheinen, ergibt sich indessen aus der Natur des in Rede stehenden Obligatoriums, welches keine Versicherung von Gesetzes wegen, sondern lediglich eine Versicherungspflicht begründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin lässt sich das vorliegende Obligatorium daher auch nicht mit demjenigen der Unfallversicherung im Sinne des zweiten Titels des KUVG vergleichen. Vielmehr verhält es sich wie bei den gemäss
Art. 4 Abs. 2 AlVG
erlassenen Obligatorien der Arbeitslosenversicherung (vgl. HOLZER, Kommentar zum Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung S. 37 f.; VÖKT, Rechtsstellung und Rechtsbeziehungen der Kassen nach dem neuen Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung, Diss. Basel 1954, S. 142).
4.
a) Oscar Zumwald ist der seit dem 1. Januar 1973 bestehenden Versicherungspflicht in der Gemeinde Überstorf nicht nachgekommen. Auch war er im Zeitraum, für welchen Versicherungsleistungen geltend gemacht werden, nicht Kassenmitglied auf Grund einer zwangsweisen Zuteilung durch die Gemeinde gemäss Art. 13 des Reglementes. Mangels persönlicher Kassenzugehörigkeit kann er, bzw. seine Hinterlassenen, gegenüber der beschwerdebeklagten Kasse daher keine Leistungen beanspruchen.
b) Der Einwand, die Gemeindeverwaltung hätte bis Ende Juli 1973, als die Eheleute Zumwald die Gemeinde Überstorf verliessen, genügend Zeit gehabt, eine Zwangszuteilung vorzunehmen, vermag zu keinem andern Ergebnis zu führen. Nach dem Gesagten setzt die Leistungspflicht der Kasse ein tatsächliches Mitgliedschaftsverhältnis voraus. Selbst eine pflichtwidrige Unterlassung der Zwangszuteilung vermag nicht mitgliedschaftsbegründend zu sein. Ein fehlerhaftes Verhalten der Gemeindeverwaltung kann allenfalls deren Haftbarkeit begründen, eine Leistungspflicht der Krankenkasse lässt sich hieraus aber nicht ableiten.
Etwas anderes ergibt sich auch aus dem zwischen der Gemeinde Überstorf und den beteiligten Krankenkassen geschlossenen
BGE 101 V 129 S. 134
Vertrag nicht. Dieser regelt praktisch nur die Versicherungsleistungen und enthält keine Bestimmung, wonach bei einem Zuteilungsversäumnis der Gemeindeverwaltung dennoch eine Leistungspflicht der Vertragskasse entstehen würde. Auch aus den erwähnten Bestimmungen des Gemeindereglementes ergeben sich hiefür keine Anhaltspunkte. Die getroffene Regelung beruht vielmehr auf dem vollzogenen Kassenbeitritt, weshalb die Krankenkasse zu Recht eine Leistungspflicht abgelehnt hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8aec5e1f-e631-4ace-a29d-a325b30de611 | Urteilskopf
133 III 439
54. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X. Zusatzversicherungen AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_68/2007 vom 4. Juni 2007 | Regeste a
Art. 74 Abs. 2 lit. a und b und
Art. 42 Abs. 2 BGG
; Art. 85 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG); Beschwerde in Zivilsachen in einer Streitigkeit aus einer Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung.
Grundsätzliche Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen (E. 2.1). Begründungsanforderungen, wenn das Rechtsmittel der Einheitsbeschwerde beansprucht wird, weil sich angeblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
stelle (E. 2.2.2.1). Anforderungen an das Verfahren zum Entscheid über privatrechtliche Streitigkeiten aus einer Zusatzversicherung nach
Art. 85 VAG
und nach
Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BGG
.
Art. 85 VAG
schreibt nicht im Sinne von
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
eine einzige kantonale Instanz vor (E. 2.2.2.2).
Regeste b
Art. 113 ff. BGG
; Zulässigkeit der subsidiären Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 2 BV
).
Relative und absolute Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (E. 3.1). Begründungsanforderungen an Verfassungsrügen und grundsätzliche Bindung des Bundesgerichts an den Sachverhalt, den die Vorinstanz festgestellt hat (E. 3.2 und 3.3).
Regeste c
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG
; Parteientschädigung.
Weiterführung der unter dem OG begründeten Praxis zur Entschädigung einer nicht anwaltlich vertretenen Partei für das bundesgerichtliche Verfahren (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 440
BGE 133 III 439 S. 440
A.
A. (Beschwerdeführer) war bei der B. AG angestellt und im Rahmen eines Kollektivversicherungsvertrages mit der X. Zusatzversicherungen AG (Beschwerdegegnerin) gegen Erwerbsausfall taggeldversichert. Das versicherte Taggeld betrug 80 % des Lohnanspruchs und war ab dem 90. Krankheitstag für eine maximale Dauer von 730 Tagen zu leisten. Der Beschwerdeführer arbeitete zudem in einem Nebenverdienst bei der C. AG.
Ab 21. Juni 1999 war der Beschwerdeführer krank. Die Beschwerdegegnerin richtete ab dem genannten Zeitpunkt Taggeldleistungen aus. Am 19. Juni 2001 stellte die Beschwerdegegnerin die Taggeldzahlungen ein.
Mit Verfügungen vom 4. April 2003 beziehungsweise vom 18. Juni 2004 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem
BGE 133 III 439 S. 441
Beschwerdeführer rückwirkend ab 1. Juni 2000 eine Viertelsrente und ab 1. Juli 2004 eine Dreiviertelsrente zu. Mit Verfügung vom 25. Juni 2004 gewährte sie dem Beschwerdeführer rückwirkend auch für die Zeit vom 1. Juni 2000 bis 30. Juni 2004 eine Dreiviertelsrente.
In der Folge machte die X. Versicherungen AG für die Zeit vom 1. Juni 2000 bis 19. Juni 2001 eine Überversicherung des Beschwerdeführers geltend. Dieser war jedoch nicht bereit, den verlangten Betrag zurückzuzahlen.
B.
Am 29. November 2005 erhob die Beschwerdegegnerin gegen den Beschwerdeführer Klage beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, dieser sei zufolge Überentschädigung zu verpflichten, den Betrag von Fr. 7'877.85 zurückzuerstatten. Zudem sei ihr für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 30. November 2003 gegenüber der IV-Stelle direkte Verrechnungskompetenz einzuräumen.
Mit Urteil vom 7. Februar 2007 verpflichtete der Einzelrichter des Sozialversicherungsgerichts den Beschwerdeführer, der Beschwerdegegnerin den Betrag von Fr. 7'877.85 zu bezahlen. Im Übrigen (Verrechnungskompetenz gegenüber der IV-Stelle) wies er die Klage ab.
C.
Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde in Zivilsachen und eventuell subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts vom 7. Februar 2007 sei, soweit es den Beschwerdeführer zur Rückerstattung von Fr. 7'877.85 an die Beschwerdegegnerin verpflichtet, aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Der Einzelrichter des Sozialversicherungsgerichts verzichtete auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde in Zivilsachen nicht ein und weist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (
BGE 132 III 291
E. 1;
BGE 131 III 667
E. 1 mit Hinweisen).
2.1
Nach Art. 12 Abs. 2 und 3 des Krankenversicherungsgesetzes (KVG; SR 832.10) unterliegen Zusatzversicherungen zur sozialen
BGE 133 III 439 S. 442
Krankenversicherung dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG; SR 221.229.1). Streitigkeiten aus solchen Versicherungen sind privatrechtlicher Natur (
BGE 124 III 44
E. 1a/aa,
BGE 124 III 229
E. 2b). Als Rechtsmittel an das Bundesgericht kommt daher die Beschwerde in Zivilsachen in Betracht.
2.2
Bei der vorliegenden Streitsache, mit der Taggeldleistungen zurückverlangt werden, handelt es sich überdies um eine vermögensrechtliche Angelegenheit.
2.2.1
In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die Beschwerde in Zivilsachen nur zulässig, wenn der Streitwert mindestens 30'000 Franken beträgt (
Art. 74 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [BGG; SR 173.110]
). Vorliegend beträgt der Streitwert lediglich Fr. 7'877.85, weshalb sich die Beschwerde in Zivilsachen insofern als unzulässig erweist.
2.2.2
Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
) oder wenn ein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz vorschreibt (
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
). Der Beschwerdeführer beruft sich auf diese beiden Bestimmungen:
2.2.2.1
Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, so ist in der Beschwerdeschrift auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist (
Art. 42 Abs. 2 BGG
).
Der Beschwerdeführer missachtet diese Begründungspflicht. Er führt lediglich einige Fragen auf, die sich seines Erachtens im vorliegenden Fall stellen. Sodann macht er zwar geltend, diese seien von grundsätzlicher Bedeutung. Indessen begründet er mit keinem Wort und ist auch nicht ersichtlich, weshalb dies der Fall sein soll. Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich somit auch insofern als unzulässig.
2.2.2.2
Der Beschwerdeführer ist ferner der Meinung, die Beschwerde sei zulässig, weil ein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz vorschreibe, wobei er sich auf Art. 85 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG; SR 961.01) beruft.
Nach
Art. 85 Abs. 1 VAG
entscheidet das Gericht privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherungsunternehmen oder zwischen
BGE 133 III 439 S. 443
Versicherungsunternehmen und Versicherten. Für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem KVG sehen die Kantone ein einfaches und rasches Verfahren vor, in dem das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen feststellt und die Beweise nach freiem Ermessen würdigt (
Art. 85 Abs. 2 VAG
).
Eine einzige kantonale Instanz schreiben verschiedene Bundesgesetze auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts (
Art. 64 Abs. 3 URG
[SR 231.1];
Art. 58 Abs. 3 MSchG
[SR 232.11];
Art. 37 DesG
[SR 232.12];
Art. 76 Abs. 1 PatG
[SR 232.14]; Art. 42 Abs. 1 des Sortenschutzgesetzes [SR 232.16];
Art. 14 Abs. 1 KG
[SR 251] und Art. 23 des Kernenergiehaftpflichtgesetzes [KHG; SR 732.44] vor.
Für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung ist hingegen von Bundesrechts wegen nicht eine einzige kantonale Instanz vorgeschrieben.
Art. 85 Abs. 1 VAG
verlangt lediglich, dass privatrechtliche Streitigkeiten durch "das Gericht" ("le juge") entschieden werden; gemeint sind ordentliche Gerichte (oder Schiedsgerichte) und nicht eine Verwaltungsbehörde (vgl. zu
Art. 47 aVAG
vom 5. Mai 1976, der
Art. 85 VAG
entspricht [BBl 2003 S. 3789, 3839]:
BGE 125 III 461
E. 2 S. 464; BBl 1976 II 917). Es wird aber nicht vorgeschrieben, dass das Gericht als einzige kantonale Instanz entscheidet.
Art. 85 Abs. 2 VAG
statuiert sodann für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung ein einfaches und rasches Verfahren und die Untersuchungsmaxime analog den Bestimmungen für gewisse Mietrechts- und Arbeitsrechtsstreitigkeiten (
Art. 274d und 343 OR
; vgl.
BGE 127 III 421
E. 2 S. 424 mit Hinweisen). Aus diesen Verfahrensvorschriften ergibt sich aber keine Verpflichtung der Kantone, eine einzige kantonale Instanz vorzusehen. Der Fall von
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
, wonach die Beschwerde in Zivilsachen bei nicht erreichtem Streitwerterfordernis dennoch zulässig ist, wenn ein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz vorschreibt, liegt demnach nicht vor.
Daran ändert nichts, dass im Kanton Zürich - wie der Beschwerdeführer vorbringt - über Klagen aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach der geltenden kantonalen Prozessordnung lediglich eine Instanz entscheidet. Die Kantone sind frei, ob sie ein Sozialversicherungsgericht oder ein Zivilgericht mit solchen Streitigkeiten betrauen (vgl.
BGE 125 III 461
E. 2 S. 464). Im Kanton Zürich ist das Sozialversicherungsgericht zuständig (§ 2 lit. b des Gesetzes des Kantons Zürich vom 7. März 1993 über das
BGE 133 III 439 S. 444
Sozialversicherungsgericht [GSVGer]). Dieses nimmt zwar von der Einbettung in die zürcherische Gerichtsorganisation her die Stellung eines oberen Gerichts ein (vgl. Urteil 5C.94/1998 vom 15. Juni 1998, E. 2b). Es fungiert aber in den vorliegend interessierenden Streitigkeiten nicht als Rechtsmittelinstanz. Dies kollidiert mit dem Prinzip der "double instance", wie es das Bundesgerichtsgesetz für Zivilsachen vorschreibt (
Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BGG
), und erfordert zu gegebener Zeit eine Anpassung der kantonalen Ordnung (
Art. 130 Abs. 2 BGG
). Es ändert aber nichts daran, dass für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung kein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz vorschreibt und demnach die Beschwerdemöglichkeit nach
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
entfällt.
2.2.2.3
Die erhobene Beschwerde in Zivilsachen ist somit weder unter dem Titel von
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
noch nach
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
zulässig, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
3.
Der Beschwerdeführer erhebt subsidiäre Verfassungsbeschwerde.
3.1
Diese ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, soweit keine Beschwerde nach den Artikeln 72-89 zulässig ist (
Art. 113 BGG
). Nachdem vorliegend die Beschwerde in Zivilsachen unzulässig ist (E. 2), und der angefochtene Entscheid des Einzelrichters des Sozialversicherungsgerichts innerkantonal ausser mit der Revision mit keinem Rechtsmittel angefochten werden kann (§ 29 GSVGer; Urteil 5C.94/1998 vom 15. Juni 1998, E. 2b), erweist sich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als zulässig. Dass der Einzelrichter des Sozialversicherungsgerichts die Anforderungen des BGG an die kantonalen Vorinstanzen (Art. 114 i.V.m.
Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BGG
) insofern nicht erfüllt, als er nicht als Rechtsmittelinstanz entschieden hat (vgl. E. 2.2.2.2 vorne), hindert das Eintreten auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht, da die Frist für die kantonalen Ausführungsvorschriften (
Art. 130 Abs. 2 BGG
) noch läuft.
3.2
Mit der Verfassungsbeschwerde kann nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (
Art. 116 BGG
). Der Beschwerdeführer muss angeben, welches verfassungsmässige Recht verletzt wurde, und substantiiert darlegen, worin die Verletzung besteht (vgl. der zu
Art. 90 OG
ergangene
BGE 130 I 26
E. 2.1 S. 31,
BGE 130 I 258
E. 1.3). Das Bundesgericht kann die Verletzung eines Grundrechtes nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 117 i.V.m.
Art. 106 Abs. 2 BGG
)
BGE 133 III 439 S. 445
.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 118 BGG
). Es kann davon nur abweichen, wenn die Sachverhaltsfeststellung unter Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts zustande kam (
Art. 118 Abs. 2 und
Art. 116 BGG
), was der Beschwerdeführer präzise geltend zu machen hat (Art. 117 i.V.m.
Art. 106 Abs. 2 BGG
; vgl.
BGE 118 Ia 20
E. 5a).
3.3
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Begründung des angefochtenen Entscheids komme einer formellen und materiellen Rechtsverweigerung gleich, weil sie auf "zentrale Argumente" des Beschwerdeführers nicht eingehe.
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 2 BV
) folgt unter anderem die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass der Betroffene den Entscheid gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Die Begründung muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Entscheid mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinander setzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (
BGE 130 II 530
E. 4.3 S. 540;
BGE 129 I 232
E. 3.2;
BGE 126 I 97
E. 2b).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Entscheid gerecht, indem er nachvollziehbar darlegt, aus welchen Überlegungen die Vorinstanz zu ihrem Entscheid gelangte. Namentlich wird klar, dass sie Art. 28 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zur Anwendung brachte und wie sie diese Bestimmung auslegte. Der angefochtene Entscheid enthält auch Ausführungen zur Rechtsmittelbelehrung. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, insbesondere der Begründungspflicht, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Soweit der Beschwerdeführer sich zur Begründung seiner Gehörsrüge gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz richtet, indem er ihr vorwirft, sich auf offensichtlich unzutreffende Angaben betreffend die massgebliche Zeit der Überentschädigungsberechnung zu beziehen, und eigene, vom angefochtenen Entscheid abweichende Zahlen betreffend Taggeldleistungen und "entgangenem Lohn" präsentiert, kann er nicht gehört werden. Er zeigt nicht auf, dass die gerügten Sachverhaltsfeststellungen unter Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts, namentlich des Willkürverbots, zustande gekommen wären (vgl. E. 3.2 vorne).
BGE 133 III 439 S. 446
Die Verfassungsbeschwerde erweist sich als unbegründet, soweit - mit Blick auf die kaum rechtsgenügliche Motivation - überhaupt darauf eingetreten werden kann.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (
Art. 66 Abs. 1 BGG
). Die Beschwerdegegnerin ist nicht anwaltlich vertreten, weshalb ihr keine Parteientschädigung zuzusprechen ist (
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG
; vgl. der zu
Art. 159 Abs. 1 OG
ergangene
BGE 115 Ia 12
E. 5 S. 21). | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8aeeb431-2c60-42fb-8fad-4590d81fc108 | Urteilskopf
137 I 128
13. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause X. contre Office cantonal de la population du canton de Genève (recours constitutionnel subsidiaire)
2D_41/2010 du 15 décembre 2010 | Regeste
Art. 29a und 190 BV
;
Art. 6, 8 und 13 EMRK
;
Art. 2 Abs. 3 lit. a und
Art. 14 Abs. 1 Uno-Pakt II
;
Art. 14 Abs. 4 AsylG
.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist zulässig, um sich gegen die Verweigerung der Parteistellung nach
Art. 14 Abs. 4 AsylG
im kantonalen Verfahren zu beschweren (E. 3.1).
Das fehlende Rechtsmittel gegen kantonale Entscheide, die ein Aufenthaltsbewilligungsverfahren nach
Art. 14 Abs. 4 AsylG
verweigern, verstösst gegen die Rechtsweggarantie nach
Art. 29a BV
. Das Bundesgericht kann dies
Art. 190 BV
zufolge nur feststellen (E. 4.3). Demgegenüber wird damit weder
Art. 6, 8 und 13 EMRK
noch
Art. 2 Abs. 3 lit. a und
Art. 14 Abs. 1 Uno-Pakt II
verletzt (E. 4.4). | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 137 I 128 S. 129
Le 4 avril 2006, l'Office fédéral des migrations a rejeté la demande d'asile de X., ressortissant de Serbie et du Monténégro, né en 1966. X. ayant recouru contre cette décision auprès de la Commission suisse de recours en matière d'asile, celle-ci l'a autorisé, le 15 mai 2006, à attendre en Suisse l'issue de la procédure. Depuis lors, un permis N a été régulièrement renouvelé. Par arrêt du 30 novembre 2009, définitif et exécutoire, le Tribunal administratif fédéral a rejeté le recours en matière d'asile.
Le 30 septembre 2009, X. a déposé auprès de l'Office cantonal de la population du canton de Genève une demande d'autorisation de séjour en application de l'art. 14 al. 2 de la loi du 26 juin 1998 sur l'asile (LAsi; RS 142.31). Le 9 novembre 2009, l'Office cantonal de la population a informé X. qu'il n'était pas disposé à soumettre le dossier à l'Office fédéral des migrations pour régulariser son séjour.
Le 27 janvier 2010, X. a recouru contre cette décision auprès de la Commission cantonale de recours en matière administrative du canton de Genève. Par décision du 2 mars 2010, celle-ci a déclaré le recours irrecevable dans la mesure où X. n'avait pas qualité de partie pour contester le refus de l'Office cantonal de la population de soumettre son dossier à l'Office fédéral des migrations. Cette décision a été confirmée par le Tribunal administratif du canton de Genève le 22 juin 2010. X. a interjeté un recours constitutionnel subsidiaire. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le choix de la voie de droit dépend du litige sur le fond, même si la décision attaquée repose exclusivement sur le droit de procédure (arrêt 2C_18/2007 du 2 juillet 2007 consid. 2). La présente procédure a pour toile de fond la loi sur l'asile et la loi sur les étrangers, la recevabilité doit donc être examinée sous l'angle des
art. 82 ss LTF
qui régissent le recours en matière de droit public.
D'après l'
art. 83 let
. d ch. 2 LTF, la voie du recours en matière de droit public au Tribunal fédéral est irrecevable contre les décisions
BGE 137 I 128 S. 130
en matière d'asile rendues par une autorité cantonale précédente et dont l'objet porte sur une autorisation à laquelle ni le droit fédéral ni le droit international ne donne droit. Faute de droit à l'autorisation, le recours en matière de droit public est ainsi irrecevable contre le refus du canton de délivrer durant la procédure d'asile une autorisation de séjour pour cas de rigueur selon l'
art. 14 al. 2 LAsi
, d'autant que le requérant n'a pas qualité de partie dans la procédure cantonale d'après l'
art. 14 al. 4 LAsi
(ALAIN WURZBURGER, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 69 ad
art. 83 LTF
). A cela s'ajoute que ni le droit interne ni le droit international ne confèrent au recourant un droit de séjour au sens de l'
art. 83 let
. c ch. 2 LTF. C'est par conséquent à juste titre que le recourant n'a pas interjeté de recours en matière de droit public.
3.
La voie du recours en matière de droit public étant exclue, seul reste en principe ouvert le recours constitutionnel subsidiaire (
art. 113 LTF
), du moment qu'il est dirigé contre une décision finale (
art. 90 et 117 LTF
) rendue par une autorité judiciaire supérieure statuant en dernière instance cantonale (
art. 86 et 114 LTF
).
3.1
Selon l'
art. 115 LTF
, a qualité pour recourir quiconque a pris part à la procédure devant l'autorité précédente ou a été privé de la possibilité de le faire (let. a) et a un intérêt juridique à l'annulation ou à la modification de la décision attaquée (let. b).
3.1.1
Selon la jurisprudence, lorsque, comme en l'espèce, une partie recourante ne dispose pas d'un droit à obtenir une autorisation de séjour et partant n'a pas une position juridique protégée qui lui confère la qualité pour agir au fond (
ATF 136 II 383
consid. 3.3 p. 388;
ATF 133 I 185
consid. 6.1 p. 197 s.), elle peut néanmoins se plaindre par la voie du recours constitutionnel subsidiaire de la violation de ses droits de partie équivalant à un déni de justice formel, pour autant qu'il ne s'agisse pas de moyens ne pouvant être séparés du fond (
ATF 135 II 430
p. 437;
ATF 133 I 185
consid. 6.2 p. 198 s.). Seuls les griefs de nature formelle qui sont séparés de l'examen de la cause au fond peuvent donc être formés (
ATF 133 II 249
consid. 1.3.2 p. 253;
ATF 133 I 185
consid. 6.2 p. 199). En revanche, les griefs qui reviennent
de facto
à critiquer l'arrêt attaqué sur le plan matériel sont exclus. Il en va ainsi de ceux relatifs à l'établissement des faits, ce qui rend irrecevables les reproches formulés par le recourant sur ce point.
3.1.2
Le recourant s'est vu dénier la qualité de partie dans la procédure cantonale en application de l'
art. 14 al. 4 LAsi
. Selon la
BGE 137 I 128 S. 131
jurisprudence, en pareille hypothèse, faute de qualité de partie dans la procédure cantonale (cf.
art. 14 al. 4 LAsi
), la partie recourante n'a pas qualité pour se plaindre de la violation de ses droits de partie, en particulier invoquer la violation de son droit d'être entendue par la voie du recours constitutionnel subsidiaire (cf. arrêts 2C_853/2008 du 28 janvier 2009; 2D_113/2008 du 19 décembre 2008; 2D_90/2008 du 9 septembre 2008 et 2C_526/2008 du 17 juillet 2008). En revanche, la partie recourante peut se plaindre, comme en l'espèce, par la voie du recours constitutionnel subsidiaire, que c'est à tort que la qualité de partie ne lui a pas été reconnue sur le plan cantonal (art. 115 let. a 2
e
hypothèse LTF). Le recours constitutionnel subsidiaire est par conséquent recevable.
3.2
La présente cause se limitant à la question de la recevabilité du recours au Tribunal administratif du canton de Genève, les conclusions relatives à l'octroi d'une autorisation de séjour sont par conséquent irrecevables.
4.
Le recourant soutient qu'en lui déniant le droit de porter la décision négative des autorités administratives cantonales devant une autorité judiciaire, l'
art. 14 al. 4 LAsi
serait contraire à l'
art. 29a Cst.
, aux
art. 6 par. 1, 8 et 13 CEDH
ainsi qu'aux
art. 2, 13 et 14 Pacte ONU II
.
4.1
L'
art. 14 LAsi
a la teneur suivante:
"Art. 14 Relation avec la procédure relevant du droit des étrangers
1
A moins qu'il n'y ait droit, le requérant ne peut engager de procédure visant l'octroi d'une autorisation de séjour relevant du droit des étrangers entre le moment où il dépose une demande d'asile et celui où il quitte la Suisse suite à une décision de renvoi exécutoire, après le retrait de sa demande ou si le renvoi ne peut être exécuté et qu'une mesure de substitution est ordonnée.
2
Sous réserve de l'approbation de l'office, le canton peut octroyer une autorisation de séjour à toute personne qui lui a été attribuée conformément à la présente loi, aux conditions suivantes:
a. la personne concernée séjourne en Suisse depuis au moins cinq ans à compter du dépôt de la demande d'asile;
b. le lieu de séjour de la personne concernée a toujours été connu des autorités;
c. il s'agit d'un cas de rigueur grave en raison de l'intégration poussée de la personne concernée.
3
Lorsqu'il entend faire usage de cette possibilité, le canton le signale immédiatement à l'office.
BGE 137 I 128 S. 132
4
La personne concernée n'a qualité de partie que lors de la procédure d'approbation de l'office.
(...)."
Il découle ainsi de la lettre de l'
art. 14 LAsi
que le canton ne peut envisager d'octroyer une autorisation de séjour ou de donner une assurance à ce sujet qu'après avoir obtenu l'approbation de l'Office fédéral des migrations qui doit, de son côté, reconnaître à l'étranger la qualité de partie à la procédure. Le requérant d'asile débouté, qui ne peut faire valoir un droit à une autorisation de séjour, ne peut déposer une demande d'autorisation de séjour ou entamer et poursuivre une procédure tendant à l'octroi d'une telle autorisation.
4.2
L'
art. 29a Cst.
prévoit pour sa part:
"Art. 29a Garantie de l'accès au juge
Toute personne a droit à ce que sa cause soit jugée par une autorité judiciaire. La Confédération et les cantons peuvent, par la loi, exclure l'accès au juge dans des cas exceptionnels."
Cette dernière disposition, en vigueur depuis le 1
er
janvier 2007, donne à toute personne le droit à ce que sa cause soit jugée par une autorité judiciaire. La Confédération et les cantons peuvent toutefois, par la loi, exclure l'accès au juge dans des cas exceptionnels. L'
art. 29a Cst.
exclut par conséquent un droit général et absolu à la protection juridictionnelle ainsi que la délimitation des exceptions par le Tribunal fédéral (
ATF 130 I 388
consid. 4 p. 393). Les cas exceptionnels visés par l'art. 29a, 2
e
phrase Cst. concernent les décisions difficilement "justiciables", par exemple des actes gouvernementaux qui soulèvent essentiellement des questions politiques, qui ne se prêtent pas au contrôle du juge (
ATF 134 V 443
consid. 3.1 p. 446; Message du 20 novembre 1996 relatif à une nouvelle constitution fédérale, FF 1997 I 1 ss, 531). L'autorité judiciaire dont il est question doit présenter les garanties requises par l'
art. 30 al. 1 Cst.
4.3
4.3.1
A teneur de l'
art. 190 Cst.
, le Tribunal fédéral est tenu d'appliquer les lois fédérales, ce que ne l'empêche pas d'en contrôler la constitutionnalité (
ATF 136 II 120
consid. 3.5.1 p. 130;
ATF 136 I 65
consid. 3.2 p. 70 s.,
ATF 136 I 49
consid. 3.1 p. 55 et les références). Il peut procéder à une interprétation conforme à la Constitution d'une loi fédérale, si les méthodes ordinaires d'interprétation laissent subsister un doute sur son sens (
ATF 131 II 710
consid. 5.4 p. 721;
ATF 129 II 249
consid. 5.4 p. 263 et les références). L'interprétation conforme
BGE 137 I 128 S. 133
à la Constitution trouve toutefois ses limites lorsque le texte et le sens de la disposition légale sont absolument clairs, quand bien même ils seraient contraires à la Constitution (
ATF 133 II 305
consid. 5.2;
ATF 131 II 710
consid. 4.1 p. 716).
4.3.2
En l'espèce, il ne fait aucun doute que le défaut de voie de recours judiciaire contre la décision de l'administration cantonale refusant d'ouvrir une procédure en autorisation de séjour contrevient à la garantie constitutionnelle offerte par l'
art. 29a Cst.
Eu égard à l'
art. 190 Cst.
toutefois, le Tribunal fédéral doit se contenter de signaler cette conclusion. Pour le reste, il est contraint d'assurer l'application de la loi fédérale inconstitutionnelle.
4.4
4.4.1
Les
art. 6 par. 1 CEDH
- convention ratifiée par la Suisse le 28 novembre 1974 - et 14 par. 1 du Pacte ONU II (ce dernier en vigueur en Suisse depuis le 18 septembre 1992; RO 1993 750; RS 0.103.2) offrent les mêmes garanties d'accès au juge pour les contestations de caractère civil et les accusations en matière pénale (
ATF 133 IV 278
consid. 2.2 p. 284). Lorsque le droit invoqué par le justiciable sur le fondement de la Convention est un "droit de caractère civil" reconnu en droit interne, les exigences de l'
art. 6 par. 1 CEDH
en matière de procédures judiciaires sont plus strictes que celles de l'
art. 13 CEDH
, qui se trouvent absorbées par les premières. En pareil cas, il n'y a aucun intérêt juridique à réexaminer l'allégation sous l'angle des exigences moins sévères de l'
art. 13 CEDH
(arrêt de la CourEDH
Kudla contre Pologne
,
Recueil CourEDH 2000-XI p. 247
§§ 146 ss et les références citées). Il en va de même de l'art. 2 par. 3 let. a du Pacte ONU II, qui a un contenu identique à celui de l'
art. 13 CEDH
et que le recourant invoque également dans ce contexte (arrêt 8C_866/2009 du 27 avril 2010 consid. 5).
4.4.2
L'
art. 6 par. 1 CEDH
donne à toute personne le droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonnable, par un tribunal indépendant et impartial établi par la loi, qui décidera soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle. Une décision relative au séjour d'un étranger dans un pays ou à son expulsion ne concerne ni un droit de caractère civil, ni une accusation en matière pénale au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(arrêt de la CourEDH
Mamatkulov Rustam et Askarov Zainiddin contre Turquie
,
Recueil CourEDH 2005-I p. 225
§§ 82 s.).
BGE 137 I 128 S. 134
Contrairement à ce que pense le recourant, le fait qu'il invoque le droit de demeurer en Suisse dans l'optique d'y exercer une activité lucrative ne suffit pas à conférer au litige la qualité de droit de caractère civil au sens de l'
art. 6 CEDH
.
4.4.3
Les
art. 13 CEDH
et 2 par. 3 let. a Pacte ONU II ne peuvent être invoqués qu'en rapport avec une violation alléguée de manière plausible et défendable d'un droit protégé par la Convention ou le Pacte ONU II (sur la notion, cf. NICOLAS WISARD, Les renvois et leur exécution en droit des étrangers et en droit d'asile, 1997, p. 66 ss). Outre leur caractère subsidiaire, ils manquent d'indépendance, à la différence des recours judiciaires exigés par les
art. 6 CEDH
et 14 du Pacte ONU II (AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, vol. 2, 2
e
éd. 2006, ch. 1214 p. 568).
Comme le recourant ne peut faire valoir un droit civil garanti par l'
art. 6 CEDH
à l'appui de son grief de violation de l'
art. 13 CEDH
, il invoque l'
art. 8 CEDH
, dont il tente en vain de rendre plausible et défendable la violation. Il se contente en effet soit de citer la disposition et la jurisprudence y relative, soit d'affirmer que "la juridiction cantonale ne s'est jamais penchée sur le fond du litige et le recourant exposera plus bas, de manière claire et détaillée, les griefs formulés à l'encontre de l'arrêt déféré". Il affirme plus loin que le refus d'entrer en matière sur sa demande d'autorisation de séjour constitue manifestement une ingérence dans la vie privée du recourant, puisque ce dernier séjourne légalement à Genève depuis le 23 juillet 2004, soit depuis bientôt six ans - ce sans compter son séjour de 1990 à 1996 en Suisse allemande -, et qu'il y est dès lors très bien intégré tant socialement que professionnellement", ce qui est insuffisant, eu égard aux conditions auxquelles la jurisprudence du Tribunal fédéral soumet l'octroi d'une autorisation fondée sur cette norme (cf. arrêt 2C_266/2009 du 2 février 2010). Le recourant n'ayant pas rendu vraisemblable une violation des droits garantis par l'
art. 8 CEDH
, il ne peux pas se plaindre de la violation des
art. 13 CEDH
et 2 par. 3 let. a Pacte ONU II.
4.5
Par conséquent, en jugeant que le recourant n'avait pas qualité de partie en procédure de recours sur le plan cantonal, le Tribunal administratif n'a violé ni les
art. 6 et 13 CEDH
ni l'
art. 2 par. 3 let. a Pacte ONU II
. | public_law | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8af2666e-c257-4071-8b0c-e04f99174874 | Urteilskopf
95 II 374
51. Arrêt de la IIe cour civile du 5 décembre 1969 dans la cause Nowak contre Siccardi. | Regeste
Berufung. Zivilrechtsstreitigkeit (
Art. 44 ff. OG
).
1. Die Streitigkeiten, welche die Vollstreckung eines Urteils eines ausländischen Gerichts in der Schweiz betreffen, sind keineZivilrechtsstreitigkeiten, selbst wenn sich dabei zivilrechtliche Vorfragen stellen (Erw. 1).
2. Kann eine irrtümlich als Berufung bezeichnete Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Staatsverträgen mit dem Ausland im Sinne von
Art. 84 Abs. 1 lit. c OG
behandelt werden? (Erw. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 375
BGE 95 II 374 S. 375
A.-
François Nowak, d'origine polonaise mais apatride, qui a constamment vécu en France dès l'âge de deux ans, et Louise Siccardi, de nationalité française, se sont mariés à Marseille le 18 février 1950.
Ils ont eu deux enfants: Jean-François, né le 30 mars 1956, et Serge, né le 30 octobre 1958.
Le 23 mars 1962, le Tribunal de grande instance de Marseille, accueillant la demande du mari, prononça le divorce des époux Nowak-Siccardi et confia au père la garde des enfants.
Sur appel de dame Siccardi, la Cour d'appel d'Aix-en-Provence, statuant le 30 avril 1963, infirma ledit jugement en ce qu'il avait rejeté la demande de l'épouse et prononça le divorce aux torts et griefs réciproques des deux conjoints. L'arrêt confiait au père la garde des enfants et fixait les modalités du droit de visite de la mère.
François Nowak se remaria le 21 juillet 1964 avec Madeleine Morin...
B.-
Le 6 décembre 1965, dame Siccardi introduisit devant le Tribunal de grande instance de Grasse une action tendant à la modification du jugement de divorce par laquelle elle demandait que le droit de garde sur les deux enfants lui soit attribué.
François Nowak requit par voie de conclusions reconventionnelles la suppression du droit de visite de son ex-épouse.
Statuant le 7 juin 1966, le Tribunal de grande instance de Grasse admit la demande, confia à dame Siccardi la garde des deux enfants, "sous réserve du droit de visite de leur père qui sera réglementé ultérieurement dès après remise des enfants à dame Siccardi", débouta François Nowak de toutes ses
BGE 95 II 374 S. 376
conclusions et ordonna l'exécution de son jugement nonobstant appel.
Saisie d'un appel de François Nowak, la Cour d'appel d'Aix-en-Provence confirma le jugement du 7 juin 1966 par un arrêt du 16 février 1967.
C.-
François Nowak, sa seconde épouse et les deux enfants vinrent en Suisse à la fin de l'année 1965. Ils habitent à Onex, dans le canton de Genève.
D.-
Par exploit du 22 juillet 1966, dame Siccardi introduisit devant le Tribunal de première instance de Genève une action tendant à faire déclarer exécutoire le jugement du 7 juin 1966.
D'entente entre les parties, la cause fut suspendue le 10 octobre 1966; elle fut reprise le 22 septembre 1967 à la requête de dame Siccardi.
Le défendeur François Nowak et le Procureur général du canton de Genève conclurent au déboutement de la demanderesse.
Par jugement du 27 juin 1968, le Tribunal de première instance de Genève a prononcé l'exequatur du jugement rendu entre les parties par le Tribunal de grande instance de Grasse le 7 juin 1966 et confirmé par arrêt de la Cour d'appel d'Aixen-Provence le 16 février 1967, condamné en conséquence François Nowak à confier à dame Siccardi la garde des enfants Jean-François et Serge et réservé au père un droit de visite qui sera réglementé ultérieurement, dès que les enfants auront été remis à dame Siccardi.
Ce jugement est motivé en bref comme il suit:
Si, lors de la demande d'exequatur, le jugement du Tribunal de grande instance de Grasse n'était pas encore définitif, parce que frappé d'appel, il était déjà exécutoire en vertu de l'art. 15 de la convention franco-suisse du 15 juin 1869, au même titre qu'une décision de mesures provisoires réglant la garde d'un enfant pendant le procès en divorce de ses parents (RO 90 I 112 s.). Du reste, ledit jugement ayant été confirmé par la Cour d'appel, il est devenu définitif par la suite.
Contrairement à ce que soutient François Nowak, le jugement dont l'exécution est requise n'a pas été rendu par un tribunal incompétent (cf. art. 17 al. 1 ch. 1 de la convention), mais par le tribunal du lieu du dernier domicile en France de François Nowak, lequel n'était pas encore domicilié en Suisse, et plus précisément à Genève, en décembre 1965.
BGE 95 II 374 S. 377
En ce qui concerne l'application de l'art. 17 al. 1 ch. 3 de la convention, le tribunal estime que l'ordre public suisse ne s'oppose pas à l'exécution d'un jugement français attribuant à la mère plutôt qu'au père la garde de deux garçons de 9 et 12 ans, alors même que les motifs de cette décision et la solution qu'elle donne au conflit n'emporteraient pas nécessairement l'adhésion du tribunal, s'il avait à juger le fond du litige.
E.-
Saisie d'un appel de François Nowak, la Première Chambre de la Cour de justice du canton de Genève a confirmé le jugement de première instance, par arrêt du 30 septembre 1969.
F.-
Contre cet arrêt, François Nowak a interjeté un recours en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut au rejet de la demande d'exequatur. Subsidiairement, il conclut au renvoi de la cause à la juridiction cantonale "pour qu'elle ordonne des enquêtes et une expertise aux fins de déterminer les répercussions de l'exécution du jugement sur la santé physique, morale et psychique des deux enfants".
Le recourant se plaint d'une violation des art. 15 à 17 de la convention franco-suisse du 15 juin 1869, notamment des art. 17 al. 1 ch. 1 et 3 de cette convention.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 43 al. 1 OJ
, le recours en réforme n'est recevable que pour violation du droit fédéral, y compris les traités internationaux conclus par la Confédération. Il ressort en outre des art. 44 à 46 OJ que, sous réserve d'exceptions prévues expressément par la loi, le recours en réforme n'est recevable que dans les contestations civiles. La jurisprudence entend par contestation civile une procédure qui vise à provoquer une décision définitive sur des rapports de droit civil et qui se déroule en contradictoire devant un juge ou toute autre autorité ayant pouvoir de statuer, entre deux personnes physiques oumorales agissant comme sujets de droits privés, voire entre une telle personne et une autorité à laquelle le droit civil confère la qualité de partie (RO 91 II 54, 139 et 396;
92 II 130
;
93 II 437
;
94 II 57
).
Les décisions qui portent sur l'exécution d'un jugement ne tranchent pas des contestations civiles, mais des litiges relatifs à l'exécution forcée. Ces décisions ne sont dès lors pas susceptibles d'être attaquées par la voie du recours en réforme, même s'il faut résoudre des questions de droit civil à titre
BGE 95 II 374 S. 378
préjudiciel en vue d'établir que les conditions requises pour l'exécution sont réalisées (RO 78 II 176). Ainsi, la décision prise par une autorité cantonale de dernière instance sur une demande d'exécution en Suisse d'un jugement rendu par un tribunal étranger ne peut pas être déférée au Tribunal fédéral par la voie du recours en réforme (RO 41 II 624, 93 I 166; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, p. 126 en haut; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme, thèse Lausanne 1964, no 150, p. 104).
Le recours en réforme de François Nowak est donc irrecevable comme tel.
2.
En vertu de l'art. 84 al. 1 lettre c OJ, le recours de droit public au Tribunal fédéral est recevable contre une décision cantonale pour violation de traités internationaux, sauf s'il s'agit d'une violation de leurs dispositions de droit civil ou de droit pénal. Lorsqu'une partie se plaint, comme en l'espèce, de la violation des art. 15 et 17 de la convention franco-suisse du 15 juin 1869, soit de dispositions qui ne relèvent pas du droit civil, mais de la procédure, c'est uniquement par la voie du recours de droit public qu'elle peut saisir le Tribunal fédéral (cf. RO 75 I 148, consid. 1, 81 I 142, 93 I 166 s.; arrêt du 10 juin 1964 dans la cause Mekki, consid. 1, non publié au R= 90 I 112 ss.).
3.
La jurisprudence récente admet qu'un mémoire intitulé par erreur "recours en réforme", irrecevable comme tel, peut être examiné comme un recours de droit public s'il remplit les exigences de forme que pose la loi pour cette voie de droit (RO 93 I 167, consid. 2). Il convient dès lors de transmettre l'acte de recours de François Nowak à la Chambre de droit public pour qu'elle examine si ce mémoire est recevable comme recours de droit public et, dans l'affirmative, pour qu'elle statue sur le mérite du recours en question.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
1. Déclare le recours en réforme irrecevable;
2. Transmet l'acte de recours à la Chambre de droit public pour qu'elle examine s'il est recevable comme recours de droit public et, dans l'affirmative, statue sur le mérite du recours en question. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8af489d0-dc18-409a-8dce-26d74c827ed0 | Urteilskopf
98 Ib 110
17. Auszug aus dem Urteil vom 24. März 1972 i.S. Rex-Film AG gegen Eidg. Departement des Innern. | Regeste
Kontingentierung der Einfuhr von Filmen.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
2. Die Unabhängigkeit vom Ausland als Voraussetzung der Zuteilung eines Einfuhrkontingentes (Erw. 3).
3. Ist eine schweizerische Filmverleihfirma, an deren Grundkapital eine ausländische Filmverleihfirma mit 46,66% beteiligt ist, noch als vom Ausland unabhängig zu betrachten? (Erw. 4 und 5).
4. Es ist zulässig, eine schweizerische Filmverleihfirma unter Androhung der Kürzung des ihr bisher zugeteilten Einfuhrkontingentes anzuweisen, eine ausländische Beteiligung an ihrem Grundkapital abzubauen (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 111
BGE 98 Ib 110 S. 111
Aus dem Sachverhalt:
A.-
Die Rex-Film AG, Zürich hat laut Handelsregister zum Zweck:
"Verleih und Vertrieb sowie An- und Verkauf von Filmen aller Art, Import und Export von Filmen aus und nach allen Ländern. Die Gesellschaft kann sich auch an Unternehmungen der Filmbranche beteiligen oder selber andere Geschäfte im Gebiete der Filmbranche tätigen oder vermitteln."
Ihr Grundkapital beträgt Fr. 150 000. -. Es ist eingeteilt in 300 Namenaktien von je Fr. 500.--.
Von den 300 Aktien waren in den Jahren nach 1950 160 in den Händen des Schweizers Josef Max Derendinger, Zürich, der auch das Geschäft leitete. Willi Hohl, Bern, besass 40, Frau Magda Schneider, Zürich, 100 Aktien. An der Generalversammlung vom 25. Februar 1966 war Josef Max Derendinger als einziger Aktionär im Aktienbuch eingetragen. Er vertrat aber nur 150 Aktien. An der Generalversammlung des Jahres 1967 vertrat er 160 Aktien; die restlichen 140 blieben ohne Vertretung. An der Generalversammlung des Jahres 1968 wurden 140 Aktien durch Josef Max Derendinger und 20 Aktien durch Rechtsanwalt Dr. Hans Heitz, Winterthur, vertreten; 140 Aktien waren wiederum nicht vertreten. 1969 war es gleich. 1970 wurden 160 Aktien durch Dr. Hans Heitz vertreten. Die übrigen 140 Aktien waren nicht vertreten. An der Generalversammlung vom 2. Juni 1971 war das ganze Aktienkapital wie folgt vertreten:
Dr. Hans Heitz vertrat 120 eigene Aktien und 140 Aktien der Constantin-Film GmbH in München. 40 Aktien des W. Hohl in Bern wurden durch Jacques Müdespacher (Direktor der Rex-Film AG) vertreten.
B.-
Die Rex-Film AG hat alljährlich nach der Vollziehungsverordnung II vom 28. Dezember 1962 zum BG über das Filmwesen vom 28. September 1962 (FilmG) ein Einfuhrkontingent zugeteilt erhalten. Ihr Jahreskontingent erhöhte sich von ursprünglich drei im Verlaufe der Jahre auf 25 Spielfilme. Für 1971 erneuerte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) am 14. Dezember 1970 das Kontingent von 25 Spielfilmen unter dem Vorbehalt, "dass die Selbständigkeit Ihrer Firma gegenüber dem Ausland gemäss Art. 9 des Bundesgesetzes über das Filmwesen vom 28.9.1962/9.12.1969 gewahrt
BGE 98 Ib 110 S. 112
bleibt". Es hatte in der Zwischenzeit erfahren, dass die deutsche Filmverleih-Firma Constantin-Film GmbH am 3. Januar 1968 140 Aktien erworben hatte, die sie durch die Arcadia Verlag AG, Zug, treuhänderisch verwalten lässt. Im Aktienbuch ist die Arcadia Verlag AG als Aktionärin eingetragen.
Für die Rex-Film AG brachte deren Verwaltungsratspräsident, Dr. Hans Heitz, beim EDI vor, es bestehe kein Grund zu einer Kürzung des Kontingents oder zu einem Verzicht auf die ausländische Beteiligung. Das Generalsekretariat des EDI lehnte in seiner Antwort vom 4. August 1971 die Überlegungen der Rex-Film AG ab und stellte die Reduktion des Kontingents auf 22 Filme in Aussicht. Zugleich verlangte es den "Abbau der finanziellen Beteiligung der Constantin GmbH".
Tags darauf - am 5. August 1971 - verfügte das EDI:
"1. Das Kontingent der Rex-Film AG, Zürich, für das Jahr 1971 wird mit sofortiger Wirkung von 25 auf 22 Einheiten herabgesetzt.
2. Der Rex-Film AG wird eine Frist bis zum 1. Dezember 1971 gesetzt, um die Selbständigkeit ihrer Firma gegenüber dem Ausland durch den Abbau der finanziellen Beteiligung der Constantin-Film GmbH wiederherzustellen. Alsdann wird über den Weiterbestand des Kontingents im Jahre 1972 oder über dessen Entzug entschieden."
C.-
Gegen die Verfügung des EDI erhebt die Rex-Film AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem folgenden Rechtsbegehren:
"1. Annuler la décision attaquée du Département fédéral de l'intérieur, du 5 août 1971.
2. Partant
- maintenir le contingent de 25 unités accordé à la recourante pour l'année 1971;
- annuler le délai expirant le 1er décembre 1971 imparti à la recourante, et dire qu'il n'y a pas lieu de réduire la participation de la Constantin Film GmbH au capital social de la recourante."
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass sie durch die Partnerschaft der Constantin-Film GmbH vom Ausland abhängig geworden sei.
D.-
Der Präsident der verwaltungsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts erteilte, dem Gesuch der Rex-Film AG folgend, der Beschwerde am 5. Oktober 1971 aufschiebende Wirkung.
E.-
Das EDI und der Schweizerische Filmverleiher-Verband beantragen die Abweisung der Beschwerde. Denselben
BGE 98 Ib 110 S. 113
Antrag stellen der Schweizerische Lichtspieltheater-Verband (deutsche und italienische Schweiz) in Bern und die Association Cinématographique de la Suisse Romande, in Lausanne.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid des EDI stützt sich auf das FilmG und die VV II dazu, also auf Erlasse, die zum öffentlichen Recht des Bundes gehören. Durch den Entscheid wird ein Recht der Beschwerdeführerin, nämlich ihre Befugnis, im Jahr 1971 25 Spielfilme einzuführen, zu ihrem Nachteil geändert. Überdies wird ihr die Pflicht auferlegt, die Beteiligung der Constantin-Film GmbH am Aktienkapital abzubauen. Der Entscheid erfüllt daher die Merkmale einer Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. a VwG und
Art. 97 Abs. 1 OG
. Gegen diese Verfügung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 98 lit. b OG
zulässig. Keine der in
Art. 99-102 OG
erwähnten Ausnahmen liegt vor.
Der früher zulässige Weiterzug an die Eidgenössische Filmrekurskommission (Art. 16 Abs. 2 und Art. 17 der ursprünglichen Fassung des FilmG) ist durch das BG vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des OG mit Wirkung ab 1. Oktober 1969 abgeschafft und durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ersetzt worden (AS 1969 767 und 785). Dabei besteht die Besonderheit, dass die angefochtenen Verfügungen des EDI auch auf ihre Angemessenheit überprüfbar sind.
2.
...
3.
Zu prüfen ist im folgenden einzig, ob das EDI der Beschwerdeführerin den Abbau der ausländischen Beteiligung vorschreiben durfte.
Laut
Art. 27ter BV
ist der Bund befugt, durch Bundesgesetze oder allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse die einheimische Filmproduktion und filmkulturelle Bestrebungen zu fördern (Abs. 1 lit. a). Er kann die Filmeinfuhr, den Filmverleih sowie die Eröffnung und Umwandlung von Betrieben der Filmvorführung regeln und dabei nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen (Abs. 1 lit. b).
Wie sich aus der Botschaft des Bundesrates zum Entwurf des Verfassungsartikels (BBl 1956 I 457 ff.) ergibt, war die Erhaltung eines vom Ausland unabhängigen schweizerischen Filmverleih-Gewerbes ein Hauptanliegen der Vorlage, zumal in der Schweiz
BGE 98 Ib 110 S. 114
- damals wie heute - nur sehr wenige Spielfilme produziert werden (a.a.O. 460 ff., 496 ff.). "Der Filmverleih und der von ihm besorgte Filmimport" nahmen schon damals "eine Schlüsselstellung im schweizerischen Filmwesen ein". "Die mit der Filmeinfuhr in mehr oder minder starkem Masse stets verbundenen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einflüsse aus dem Ausland schaffen für unser Filmwesen ebenso viele Probleme und, wo diese Einflüsse ein gewisses Mass überschreiten, Gefahren, die auch unter allgemeinen staats- und kulturpolitischen Gesichtspunkten ernst genommen werden müssen" (a.a.O. 498/99). Hieran hat sich seither nichts geändert.
Nicht nur die Einfuhren aus Ländern mit totalitärem Regierungssystem und behördlich gelenkter Filmproduktion standen in Frage, sondern auch die Einfuhren aus andern Ländern. Das ergibt sich schlüssig daraus, dass der Bundesrat hervorhebt, wie wichtig die Existenz unabhängiger schweizerischer Verleihbetriebe sei gegenüber den Verleihfilialen amerikanischer Produzenten, die lediglich Filme dieser Produktionsfirmen in der Schweiz lancieren (a.a.O. 462). Abhängigkeit oder Unabhängigkeit "vom Ausland" heisst daher im vorliegenden Zusammenhang immer auch Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von ausländischen Fabrikanten und Händlern.
Die dem Erlass des FilmG vorangegangene Kontingentierung hatte den mit ihr verfolgten Zweck, wenn nicht erreicht, so doch erheblich gefördert. Wie der Bundesrat in der Botschaft zum Entwurf des FilmG (BBl 1961 II 1029 ff.) mitteilt, ist in den Jahren 1938 bis 1961 die Zahl der abhängigen Verleihbetriebe in der Schweiz von 9 auf 5 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der unabhängigen schweizerischen Verleihbetriebe von 31 auf 39 zugenommen. Während beispielsweise im Jahr 1943 noch 43% der in der Schweiz gezeigten Spielfilme von Verleihfilialen ausländischer Produzenten vermittelt wurden, waren es 1960 nur noch 21% (a.a.O. 1049).
Das FilmG übernimmt bezüglich Filmeinfuhr und Filmverleih im Prinzip die vorherige Ordnung (a.a.O. 1047 ff.). Entscheidender Gesichtspunkt für Filmeinfuhr und Filmverleih ist nach wie vor die "Wahrung der Selbständigkeit des schweizerischen Filmwesens gegenüber dem Ausland" (Art. 9 Abs. 1). "Die Einfuhr von Spielfilmen wird durch die Zuteilung von Kontingenten geregelt" (Art.11). Die Kontingente "werden den Filmverleihern auf ein entsprechendes Gesuch hin individuell
BGE 98 Ib 110 S. 115
auf Grund ihrer Tätigkeit erteilt" (Art. 12 Abs. 1). "Neue Kontingente sind in einem betriebswirtschaftlich genügenden Umfang an Gesuchsteller zuzuteilen, deren persönliche Verhältnisse einen kulturell und wirtschaftlich gesunden und vom Ausland unabhängigen Verleihbetrieb gewährleisten" (Art. 12 Abs. 4). Bestehende Kontingente dürfen nur erhöht werden, "wenn dies nicht dem in Artikel 9, Absatz l'erwähnten Zweck der Kontingentierung abträglich ist" (Art. 12 Abs. 5). "Einem Filmverleiher kann sein Kontingent dauernd oder vorübergehend entzogen werden, wenn die Voraussetzungen, unter denen das Kontingent erteilt wurde, nicht mehr vorhanden sind" (Art. 15 lit. c).
Die Einfuhr kinematographischer Filme und die Spielfilmkontingentierung sind in der Film VV II im Detail geordnet. Die Einfuhrkontingente werden nicht ein für allemal festgesetzt, sondern alljährlich auf Gesuch hin neu bemessen (Art. 18 Abs. 2). Damit ist es dem EDI möglich, die Kontingente immer wieder den Änderungen von Angebot und Nachfrage, aber auch dem Beitrag, den jeder einzelne Verleiher zur Unabhängigkeit des schweizerischen Filmgewerbes leistet, anzupassen.
4.
Unbestritten ist, dass die Constantin-Film GmbH heute am Grundkapital der Rex-Film AG von Fr. 150'000.-- mit Fr. 70'000.-- beteiligt ist, und dass sie damit über 46.66% aller Aktien verfügt. Sie ist die Hauptaktionärin der Beschwerdeführerin. Dr. Hans Heitz in Winterthur besitzt 120 Aktien (= 40%) und W. Hohl in Bern 40 Aktien (= 13.33%)
Eine erste Rechtsfolge dieser Verteilung besteht darin, dass die Gesellschaft ohne die Zustimmung der Hauptaktionärin keine Beschlüsse fassen kann, für welche das Obligationenrecht eine qualifizierte Mehrheit von 2/3 aller Stimmen verlangt. Diese Mehrheit erheischt
Art. 636 OR
für die Beschlüsse über Statutenänderungen betreffend Sacheinlagen, Übernahme von Vermögenswerten und Gründervorteile. Dieselbe Mehrheit verlangt
Art. 648 Abs. 1 OR
für die Umwandlung des Gesellschaftszwecks, für die Beseitigung statutarischer Bestimmungen über die Erschwerung der Beschlussfassung an der Generalversammlung sowie über die Einführung von Stimmrechtsaktien. Da die Statuten der Beschwerdeführerin keine Vorschriften über die Erschwerung der Beschlussfassung in der Generalversammlung enthalten, ist die darauf bezügliche Klausel des
Art. 648 Abs. 1 OR
für sie ohne Belang. Alle andern erwähnten
BGE 98 Ib 110 S. 116
Beschlüsse, die auch bei der Beschwerdeführerin aktuell werden können, sind ohne die Zustimmung der ausländischen Aktionärin ausgeschlossen.
Für eine weitere Gruppe von Beschlüssen der Generalversammlung sieht das OR vor, dass sie nicht gefasst werden können, wenn weniger als 2/3 der Aktien in der Generalversammlung vertreten sind. Dazu gehören die Beschlüsse über die Erweiterung des Geschäftsbereichs im Rahmen des Gesellschaftszweckes durch Aufnahme verwandter Gegenstände, eine Verengerung, eine Fusion, die Fortsetzung der Gesellschaft über die in den Statuten festgesetzte Zeit hinaus, die Abänderung der Firma oder die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft, oder deren Auflösung vor dem in den Statuten festgesetzten Termin (
Art 649 Abs. 1 OR
). Laut
Art. 665 OR
können auch Beschlüsse über die Ausgabe von Vorzugsaktien und über die Abänderung oder Aufhebung der den Vorzugsaktien eingeräumten Vorrechte, sofern die Statuten nichts anderes bestimmen, nur in Generalversammlungen beschlossen werden, in denen 2/3 der Aktien vertreten sind. Gleiches gilt nach
Art. 658 OR
für Beschlüsse über die Ausstellung von Genusscheinen.
Nach Art. 3 der Statuten der Beschwerdeführerin ist die Dauer der Gesellschaft auf keine bestimmte Zeit beschränkt. Das Teilnehmerquorum bei der Fortsetzung der Gesellschaft über den statutarischen Endtermin hinaus oder deren Auflösung vor diesem Endtermin sind daher für die Beschwerdeführerin nicht aktuell. Alle andern erwähnten Vorschriften können aber auch bei der Beschwerdeführerin anwendbar werden. Die Constantin-Film GmbH kann durch Nichtteilnahme an einer Generalversammlung die Fassung solcher Beschlüsse vereiteln. Die Tragweite dieser Befugnis darf allerdings nicht überschätzt werden, weil solche Beschlüsse in einer zweiten Generalversammlung mit einfacher Mehrheit gefasst werden können, und zwar sogar dann, wenn nur 1/3 der Aktien vertreten ist (
Art. 649 Abs. 2 OR
und die Verweise in
Art. 655 und 658 OR
).
Nimmt man die rechtlichen Befugnisse der Constantin-Film GmbH zusammen, so bedeuten sie aber doch eine beachtliche Konzentration von Macht innerhalb der Rex-Film AG.
5.
Dieser Befund wird verstärkt, wenn man die wirtschaftliche Funktion der ausländischen Hauptaktionärin beim Import deutscher Filme in die Schweiz in Betracht zieht und
BGE 98 Ib 110 S. 117
dabei berücksichtigt, dass die Constantin-Film GmbH die Hauptlieferantin der Beschwerdeführerin ist. Auch wenn die beiden Firmen nicht durch einen besondern Allianzvertrag miteinander verbunden sind, so ergibt sich der Einfluss der deutschen Lieferfirma und Hauptaktionärin doch aus dem Beteiligungsverhältnis zwanglos.
Dass es schon 1968 so war, ergibt sich aus einem Brief des Präsidenten des Verwaltungsrates der Rex-Film AG an den Anwalt des Schweizerischen Filmverleiher-Verbandes vom 8. Mai 1968. Darin bestätigt der Absender, dass die Rex-Film AG in den letzten Jahren "eine steigende Zahl von Filmen aus dem Programm der Constantin" zum Verleih in der Schweiz erworben habe. Dies sei geschehen, weil die Rex-Film AG habe feststellen können, "dass sich diese Filme für ihre Kundschaft besonders gut eignen", aber auch, weil die deutsche Exportfirma "mit dem Erfolg des Verleihs" und überhaupt "mit dem Geschäftsgebaren der Rex-Film AG (Art und Aufwand der Reklame, Zahlungsweise) sehr zufrieden" gewesen sei.
Diese Auskunft wurde erteilt unter Hinweis darauf, dass die Rex-Film AG die Filme der Constantin-Film GmbH nicht von dieser selbst, sondern von der im gleichen Gebäude in München tätigen Exportfirma Bischoff & Co. GmbH erwerbe. Dagegen unterliess es der Absender, die Beteiligung der Constantin-Film GmbH am Aktienkapital der Beschwerdeführerin zu erwähnen, obschon der Filmverleiher-Verband danach gefragt hatte.
Die wahre wirtschaftliche Potenz der Constantin-Film GmbH innerhalb der Beschwerdeführerin lässt sich am besten aus den Verzeichnissen ablesen, welche die Beschwerdeführerin auf Verlangen des Instruktionsrichters über die von ihr in die Schweiz importierten und hier verliehenen Filme beigebracht hat.
Daraus ergibt sich, dass die Filme der Constantin-Film GmbH im Spielfilmsortiment der Beschwerdeführerin die Summe der Konkurrenzprodukte irgendwelcher Provenienz bei weitem übertreffen. Die Beschwerdeführerin verweist darauf, dass sie durch keinen Vertrag mit der Constantin-Film GmbH in der freien Auswahl der Filme behindert sei. Auch wenn das zutrifft, ist damit ein massgeblicher Einfluss der ausländischen Hauptaktionärin auf die Beschwerdeführerin keineswegs ausgeschlossen. Ein solcher Einfluss kann auch ohne Vertrag bestehen,
BGE 98 Ib 110 S. 118
rechtlich und wirtschaftlich. Auch der Umstand, dass die Hauptaktionärin sich an den Generalversammlungen der Beschwerdeführerin zunächst gar nicht und nachher durch den schweizerischen Präsidenten des Verwaltungsrates hat vertreten lassen, beweist keineswegs, dass sie keinen Einfluss auf das Geschäftsgebaren der Beschwerdeführerin ausübt. Die Beschwerdeführerin erwähnt, dass die Verleihgebühren oft in zähen Diskussionen ausgehandelt werden. Dafür, dass das in der Vergangenheit der Fall war, und wie oft, hat die Beschwerdeführerin nichts beigebracht. Aus einem durch die Presse verbreiteten Interview des Geschäftsführers der Constantin-Film GmbH, Herbert Schmidt, zum "Constantin-Programm 71" ergibt sich, dass alle Filme dieses Programms "zum Leihsatz von 41.3% vermietet" werden. Dafür dass die Constantin-Film GmbH mit der Beschwerdeführerin schlechtere Geschäfte mache als mit andern Abnehmern, besteht nicht das mindeste Indiz. Das ist übrigens nicht verwunderlich. In dem bereits erwähnten Interview bezeichnet sie sich als den "grössten deutschen Verleih" und in ihrem Programm 1/72 sogar als "Europas grösstes Filmunternehmen". Um was es ihr in ihrem ganzen Betrieb geht, ist von ihrem Geschäftsführer im erwähnten Interview klar ausgesprochen worden:
"Constantin hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass es sich in erster Linie als kommerzielles Unternehmen begreift. Auch zum Wohle unserer Kunden."
Angesichts dieser klaren Zielsetzung der ausländischen Hauptaktionärin vermag der wiederholte Hinweis der Beschwerdeführerin auf die persönlichen Verhältnisse ihrer Schweizer Aktionäre nicht aufzukommen. Die Constantin-Film GmbH müsste das von ihr selbst bestätigte kommerzielle "Image" geradezu verleugnen, wenn sie ihre Stellung als Hauptaktionärin der Beschwerdeführerin nicht rechtlich und wirtschaftlich ausnützen würde. Jedenfalls spricht von all dem, was die Beschwerdeführerin vorgebracht hat, nichts für das Gegenteil. Und wenn die Beschwerdeführerin gleichwohl mit erheblichem Gewinn arbeitet, so erklärt sich das sehr einfach daraus, dass auch die schweizerischen Aktionäre ihren finanziellen Vorteil dabei finden, wenn die Beschwerdeführerin als Kundin ihre Interessen mit denen ihrer deutschen Hauptaktionärin und Hauptlieferantin gleichschaltet.
BGE 98 Ib 110 S. 119
Lassen die dem Gericht bekannten Tatsachen auch den Schluss nicht zu, die Beschwerdeführerin werde von ihrer deutschen Hauptaktionärin schlechthin beherrscht, so ist doch nicht zu übersehen, dass die deutsche Hauptaktionärin einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin ausüben kann und ausübt. Zum mindesten haben sich die Beteiligungsverhältnisse bei der Beschwerdeführerin in einer Weise verändert, dass ihre Unabhängigkeit vom ausländischen Hauptaktionär wirtschaftlich "nicht mehr gesichert ist" (BIRCHMEIER, Kommentar zum FilmG, 86).
7.
Die Weisung zum Abbau der ausländischen Beteiligung ist, wie sich aus dem zweiten Satz von Ziffer 2 des angefochtenen Dispositivs ergibt, einzig im Hinblick auf die Bestimmung des der Beschwerdeführerin künftig zuzuteilenden Einfuhrkontingents an Spielfilmen erteilt worden. Nach Art. 15 lit. c FilmG kann einem Filmverleiher das Kontingent "dauernd oder vorübergehend entzogen" werden, wenn "die Voraussetzungen, unter denen das Kontingent erteilt wurde, nicht mehr vorhanden sind". Dieser Tatbestand ist hier erfüllt. Auf Grund der erwähnten Vorschrift hätte das EDI das Kontingent sofort entziehen können. In maiore minus: Um die Beschwerdeführerin zu schonen und ihr Gelegenheit zu geben, das bisherige Kontingent zu behalten, hat das EDI vorerst den Abbau der ausländischen Beteiligung verlangt.
Diese Anordnung ist haltbar. Wegen des Zeitablaufs muss der Beschwerdeführerin allerdings eine neue Frist angesetzt werden. Das kann dem EDI überlassen bleiben. Zweckmässigerweise wird dieses sich auch darüber äussern, ob es unter dem verlangten "Abbau" der ausländischen Beteiligung eine vollständige Beseitigung oder nur eine Kürzung auf einen allfälligen Grenzwert versteht.
Die Beschwerde ist in diesem Sinne abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8af68718-27f8-40be-aa71-e432aa60eb96 | Urteilskopf
116 IV 143
26. Arrêt de la Cour de cassation du 31 août 1990 dans la cause X. contre Y. (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 19 und 145 StGB
; Sachbeschädigung.
Wer ein Tier in der irrigen Annahme verletzt, es handle sich dabei um ein in Freiheit lebendes wildes Tier und damit um eine herrenlose Sache, macht sich nicht der Sachbeschädigung schuldig (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 116 IV 143 S. 143
A.-
Le 20 octobre 1989, X. chassait à Puidoux avec l'aide d'un autour, oiseau rapace voisin de l'épervier. Selon Y., l'autour est entré dans son étable, en poursuivant une poule; comme il craignait que l'oiseau n'affole les vaches qui auraient pu le bousculer, Y. admet avoir frappé l'oiseau, qu'il prenait pour un épervier, avec une fourche. Par la suite, il a encore frappé l'autour à l'extérieur de l'étable, dans l'idée de l'achever, mais il a cessé dès l'intervention de X.
L'autour ayant été blessé d'une manière qui le rend impropre à la chasse, X. a déposé plainte pour dommages à la propriété, estimant avoir subi un préjudice de 3'000 francs.
B.-
Le 21 mai 1990, le Juge informateur de l'arrondissement de Vevey-Lavaux rendit une ordonnance de non-lieu sur la plainte en dommages à la propriété déposée par X. à l'encontre de Y.
Statuant sur recours le 20 juillet 1990, le Tribunal d'accusation du canton de Vaud a estimé qu'il n'y avait pas "d'indices suffisants que le prévenu ait intentionnellement porté atteinte au bien d'autrui"; d'autre part, il a relevé "que des infractions à la législation sur la chasse ou la protection des animaux, également invoquées par le plaignant, ne sont pas non plus caractérisées".
En conséquence, il a rejeté le recours.
C.-
X. a déposé, le 31 juillet 1990, une déclaration de pourvoi en nullité contre l'arrêt du Tribunal d'accusation, qui lui fut notifié le 23 juillet 1990. Il motiva son pourvoi par mémoire déposé le 13 août 1990. Concluant, sous suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée, il soutient que "prétendre
BGE 116 IV 143 S. 144
qu'on peut endommager librement des biens qui donneraient l'apparence d'être choses sans maître est une absurdité"; d'autre part il estime qu'il y a eu infraction à la loi fédérale sur la chasse et la protection des mammifères et oiseaux sauvages du 20 juin 1986, tout en reconnaissant qu'il s'agit d'une infraction qui est poursuivie d'office et qu'il ne peut invoquer ce moyen dans le cadre d'un pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral.
Le Tribunal d'accusation a renoncé à formuler des observations.
Erwägungen
Considérants:
1.
a) Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral est ouvert contre une ordonnance de non-lieu rendue en dernière instance (
art. 268 ch. 2 PPF
).
b) Le plaignant a qualité pour recourir en ce qui concerne les infractions qui ne sont poursuivies que sur plainte du lésé (
art. 270 al. 1 PPF
).
c) Annoncé et motivé en temps utile (
art. 272 al. 1 et 2 PPF
), dans les formes requises (
art. 273 al. 1 PPF
), le pourvoi est recevable.
d) Le pourvoi, qui a un caractère cassatoire (
art. 277ter al. 1 PPF
), ne peut être formé que pour violation du droit fédéral (
art. 269 al. 1 PPF
). La Cour de cassation n'est pas liée par les motifs invoqués, mais elle ne peut aller au-delà des conclusions du recourant; en revanche, elle est liée par les constatations de fait de l'autorité cantonale, sous réserve de la rectification d'une inadvertance manifeste (
art. 277bis PPF
).
2.
a) Dans la mesure où le recourant invoque la réalisation d'une infraction punissable d'office, il ne peut être entré en matière, puisque le plaignant n'a qualité pour se pourvoir en nullité qu'en ce qui concerne les infractions qui ne sont poursuivies que sur plainte (
art. 270 al. 1 PPF
;
ATF 115 IV 153
consid. 3,
ATF 84 IV 129
).
b) La seule question qui se pose est donc de savoir si le non-lieu sur l'accusation de dommages à la propriété (
art. 145 al. 1 CP
) viole ou non le droit fédéral.
Selon l'
art. 145 al. 1 CP
, celui qui aura endommagé, détruit ou mis hors d'usage une chose appartenant à autrui sera, sur plainte, puni de l'emprisonnement ou de l'amende.
S'il est vrai qu'un animal constitue une chose au sens de l'
art. 145 CP
(
ATF 78 IV 83
,
ATF 77 IV 194
), il faut encore, selon le texte clair de la disposition légale, que cette chose appartienne à
BGE 116 IV 143 S. 145
autrui. S'agissant d'une infraction contre la propriété, elle ne peut être réalisée à l'encontre d'une chose sans maître (
ATF 85 IV 190
; STRATENWERTH, Bes. Teil, I, 3e éd., p. 221 No 4; REHBERG, Strafrecht III, 5e éd., p. 113), notamment un animal sauvage vivant en liberté (RSJ 53 (1957), p. 138, No 68, RSJ 51 (1955), p. 244, No 131).
D'autre part, l'infraction n'est réalisée que si elle a été commise intentionnellement, ce qui signifie que l'auteur doit avoir eu conscience, au moins sous la forme du dol éventuel, de s'en prendre à une chose appartenant à autrui (LOGOZ, Commentaire CPS, partie spéciale I, p. 142).
c) Dans le cas d'espèce, l'autorité cantonale a estimé qu'il n'y avait pas d'indices suffisants pour se convaincre que l'auteur avait eu la volonté de s'en prendre au bien d'autrui. Un autour peut facilement être confondu avec un épervier; ces rapaces vivent le plus souvent à l'état sauvage en liberté; il n'y a aucune raison de ne pas croire Y. lorsqu'il affirme qu'il pensait, au moment de frapper l'animal, que celui-ci n'appartenait à personne. Un tel raisonnement relève de l'appréciation des preuves et échappe au contrôle de la Cour de cassation dans le cadre d'un pourvoi en nullité (
ATF 113 IV 22
, 108 IV 10 consid. 4,
ATF 106 IV 100
consid. 2b, 143 consid. 3, 238 consid. 2a, 266 consid. 2, 318 consid. 2b).
La Cour cantonale a ainsi déterminé quelles étaient les représentations subjectives de l'auteur: il croyait qu'il s'agissait d'un oiseau vivant à l'état sauvage en liberté. Ce que l'auteur sait, veut ou envisage relève du fait, de sorte que cette constatation lie la Cour de cassation (
ATF 110 IV 76
consid. 1b,
ATF 100 IV 221
consid. 2, 237 consid. 4).
Ainsi, Y. croyait, au moment où il frappait l'animal, que celui-ci vivait à l'état sauvage en liberté. Il a donc agi sous l'influence d'une appréciation erronée des faits et il doit être jugé d'après cette appréciation si elle lui est favorable (
art. 19 al. 1 CP
). L'application de l'
art. 19 al. 2 CP
est d'emblée exclue, puisque la loi ne réprime pas les dommages à la propriété commis par négligence. Selon sa représentation des faits, Y. pensait que l'oiseau était une chose sans maître, de sorte que, en raison de son erreur sur les faits, il n'a pas eu la volonté de s'en prendre à la propriété d'autrui. En conséquence, l'infraction prévue et punie par l'
art. 145 CP
n'est pas réalisée et c'est à juste titre que le non-lieu a été prononcé. Partant, le pourvoi doit être rejeté. | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8af6d411-5d7e-4982-aa83-4c747cb7a9b8 | Urteilskopf
112 II 241
42. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. April 1986 i.S. Inkasso AG W. gegen Firma E. (Berufung) | Regeste
Zessionsverbot zulasten des Arbeitnehmers.
1.
Art. 164 OR
. Das Versprechen eines Schuldners gegenüber dem Gläubiger, ihm u.a. künftigen Lohn abzutreten und kein Zessionsverbot einzugehen, braucht sich ein Arbeitgeber, der mit dem Schuldner als Arbeitnehmer ein solches Verbot verabredet, nicht entgegenhalten zu lassen, wenn er vom Versprechen nichts gewusst hat und ihm auch nachträglich nicht zustimmt (E. 2a).
2.
Art. 325 OR
und
Art. 27 Abs. 2 ZGB
. Durch das Zessionsverbot wird der Schutz des Arbeitnehmers nicht vermindert. Umstände, welche nicht die Abrede des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber, sondern sein vorausgehendes Versprechen zugunsten des Gläubigers als übermässige Bindung erscheinen lassen (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 112 II 241 S. 241
A.-
Eine Auto AG hatte von Frau B. aus einem "Leasingvertrag" vom November 1971 angeblich noch Fr. 6'393.55 für einen Personenwagen zu fordern. Gemäss "Zahlungsvereinbarung" vom 18. Mai 1983 versprach die Schuldnerin, ab 1. Juli 1983 monatlich Fr. 500.-- zu bezahlen (Ziff. 2). Sie erklärte ferner, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen, insbesondere Lohn,
BGE 112 II 241 S. 242
als Sicherheit an die Gläubigerin zu zedieren und kein "Abtretungsverbot zum Nachteil dieser Zession einzugehen" (Ziff. 6).
Im Juni 1984 schloss Frau B. mit der Firma E. einen Arbeitsvertrag, der einen Monatslohn von Fr. 3'500.-- vorsah. Nach dem Vertrag durfte sie ihre Lohnforderungen nicht an Dritte abtreten; trotzdem vorgenommene Abtretungen wurden von der Arbeitgeberin nicht anerkannt. Am 13. August 1984 gab die Inkasso AG W. der Firma E. von der Lohnabtretung durch Frau B. Kenntnis und forderte sie auf, monatlich von deren Lohn Fr. 1'000.-- zurückzubehalten und ihr zu überweisen. Die Firma E. widersetzte sich dem und verwies auf das mit ihrer Arbeitnehmerin vereinbarte Verbot, Lohnforderungen abzutreten.
B.-
Im Mai 1985 liess die Inkasso AG W. sich die Ansprüche der Auto AG abtreten. Sie klagte daraufhin gegen die Firma E. auf Zahlung von Fr. 11'083.10 nebst 9,6% Zins seit 26. Februar 1985.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 6. November 1985 ab.
C.-
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Klägerin liess die zum Arbeitsvertrag gehörende Bestimmung, wonach Frau B. Lohnforderungen nicht an Dritte abtreten durfte, schon im kantonalen Verfahren aus verschiedenen Gründen nicht gegen sich gelten. Das angefochtene Urteil setzt sich mit ihren Einwänden eingehend auseinander. Es hält ihr sinngemäss insbesondere entgegen, Frau B. habe ihren Lohn zwar schon vor Abschluss des Arbeitsvertrages an die Auto AG "zediert". Das habe die Beklagte als künftige Lohnschuldnerin aber nicht gehindert, mit ihr im Arbeitsvertrag ein Zessionsverbot zu vereinbaren; sie habe von den Erklärungen der Frau B. gemäss Ziff. 6 der "Zahlungsvereinbarung" vom 18. Mai 1983 nichts gewusst und diesen Erklärungen auch nachher, als sie davon erfuhr, weder ausdrücklich noch stillschweigend zugestimmt. Die Abtretung künftigen Lohnes habe bloss obligatorische Wirkungen, die sich der Arbeitgeber nicht entgegenhalten lassen müsse, wenn er die Abtretbarkeit des Lohnes wie hier schon vor Entstehung der Forderung ausschliesse. Die Auto AG habe die im voraus abgetretene Lohnforderung daher gar nicht erwerben, folglich auch nicht an die Klägerin zedieren können.
BGE 112 II 241 S. 243
a) Diese Auffassung ist nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht über das Wissen und den Willen der Beklagten feststeht, im Verhältnis zwischen den Prozessparteien bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Gewiss können unter den allgemeinen Vorbehalten der
Art. 27 Abs. 2 ZGB
und 20 OR auch künftige Forderungen abgetreten werden, wenn der Schuldner sowie der Rechtsgrund und die Höhe der Forderungen wenigstens bestimmbar sind (
BGE 84 II 366
E. 3 und 69 II 290 mit Hinweisen). Das gilt grundsätzlich auch für Guthaben aus Arbeitsleistungen, insbesondere Lohn (
BGE 85 I 30
/31). Vereinbart ein Zedent nach dem Abtretungsversprechen, aber noch bevor er über den Lohn verfügen kann, mit seinem Arbeitgeber jedoch ein Zessionsverbot, so wird die Abtretung künftiger Forderungen dem Lohnschuldner gegenüber wirkungslos. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber vor der Entstehung der Lohnforderung keine Kenntnis hat vom Abtretungsversprechen des Arbeitnehmers und auch nachher nicht bereit ist, dem Versprechen zuzustimmen (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 20 zu
Art. 164 OR
; VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil II S. 348; BECKER, N. 44 zu
Art. 164 OR
). Die Beklagte konnte daher ein Zessionsverbot, wie es in Ziff. 22 des Gesamtarbeitsvertrages für kaufmännische Angestellte enthalten ist, mit Frau B. verabreden, ohne dass die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Auto AG aus dieser Abrede, geschweige denn aus Ziff. 6 der "Zahlungsvereinbarung" vom 18. Mai 1983 etwas gegen die Beklagte ableiten könnte.
Die Klägerin wirft dem Handelsgericht mit Recht nicht vor,
Art. 164 Abs. 1 OR
verletzt zu haben. Sie macht hingegen geltend, das angefochtene Urteil verstosse gegen
Art. 152 und
Art. 164 Abs. 2 OR
sowie gegen Treu und Glauben. Durch das der Abtretung nachgehende Zessionsverbot sei nicht nur der Eintritt einer Bedingung im Sinne von
Art. 152 Abs. 1 OR
, sondern auch die Schutzwirkung zugunsten des Zessionars gemäss
Art. 164 Abs. 2 OR
vereitelt worden. Das Verbot sei deshalb ungültig und seine Durchsetzung durch die Beklagte, die an "dieser infamen Bestimmung im genauen Wissen" um die Folgen davon festhalte, rechtsmissbräuchlich. Damit setzt sich die Klägerin wieder über tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz hinweg und verkennt erneut, dass sie Ziff. 6 der "Zahlungsvereinbarung" vom 18. Mai 1983 der Beklagten nicht entgegenhalten kann; diese hatte keine Kenntnis vom Abtretungsversprechen der Frau B. und war daher frei, mit der Arbeitnehmerin ein Zessionsverbot zu vereinbaren. Dass sie Frau B. nicht nach einem solchen Versprechen gefragt hat, gereicht
BGE 112 II 241 S. 244
ihr nicht zum Verschulden, ergibt folglich auch nichts für ein Verhalten wider Treu und Glauben. Davon kann um so weniger die Rede sein, als die Beklagte Frau B. nicht daran gehindert hat, die mit der Auto AG vereinbarten Raten zu bezahlen; sie bestand bloss darauf, dass sie sich auf das Zessionsverbot berufen könne, selber also nichts zur Befriedigung des Gläubigers zu unternehmen habe.
b) Die Klägerin versuchte ihre Rechtsauffassung schon im kantonalen Verfahren damit zu verteidigen, dass der Arbeitgeber
Art. 325 OR
nicht abändern (
Art. 361 OR
) und dem Arbeitnehmer nicht für die Dauer des Arbeitsverhältnisses verbieten dürfe, Lohn als Sicherheit hinzugeben oder zwecks Tilgung von Schulden abzutreten. Das Handelsgericht hält diese Einwände unter Hinweis auf Rehbinder (N. 6 zu
Art. 325 OR
) und SCHWEINGRUBER (N. 8 zu
Art. 325 OR
) mit Recht für unerheblich. Durch das Zessionsverbot wurde hier der Schutz des Arbeitnehmers gemäss
Art. 325 OR
nicht vermindert, und der Beklagten einen Verstoss gegen
Art. 27 Abs. 2 ZGB
vorzuwerfen, steht der Klägerin schlecht an, zumal das Arbeitsverhältnis mit Frau B. bereits Ende Juli 1985 aufgelöst worden ist, also weniger als 14 Monate gedauert hat.
Das Handelsgericht verneinte bloss eine übermässige Bindung der Frau B. infolge des Zessionsverbotes, befasste sich aber nicht mit der Frage, ob Ziff. 6 der "Zahlungsvereinbarung" vom 18. Mai 1983 gegen deren Persönlichkeitsrecht verstiess. Wie es sich damit verhielt, konnte die Vorinstanz in der Tat offenlassen, da sich die Forderungsklage nicht gegen Frau B. richtet. Festzuhalten ist immerhin, was das Bundesgericht der Klägerin am 17. Januar 1984 in einem ähnlichen Fall entgegengehalten hat, nämlich dass die ihrem Schuldner auferlegte Verpflichtung, inskünftig weder mit einem Arbeitgeber noch mit einem andern Vertragspartner ein Zessionsverbot zu vereinbaren, zum vornherein auf eine sachlich ungerechtfertigte Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit hinauslaufe und deshalb nichtig sei; eine derartige Beschränkung, den Arbeitsplatz frei zu wählen, erweise sich namentlich in Zeiten einer unausgeglichenen Arbeitsmarktlage als unzumutbar. Auch daraus erhellt, dass einem Arbeitgeber weder unerlaubtes oder sittenwidriges Handeln im Sinne von
Art. 41 OR
noch Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden kann, wenn er sich einer solchen Verpflichtung des Arbeitnehmers widersetzt, nachdem er mit ihm ein Zessionsverbot vereinbart hat. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8afdde7d-7f38-48ef-a968-ed3888f42c15 | Urteilskopf
141 V 473
53. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Familienausgleichskasse scienceindustries gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_611/2014 vom 6. Juli 2015 | Regeste
Art. 25 Abs. 5 AHVG
;
Art. 49
ter
Abs. 3 lit. a und b AHVV
;
Art. 3 Abs. 1 lit. b FamZG
;
Art. 1 Abs. 1 FamZV
; Ausbildungsunterbruch.
Lit. a und b von
Art. 49
ter
Abs. 3 AHVV
sind nicht kumulativ anwendbar (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 473
BGE 141 V 473 S. 473
A.
Die Familienausgleichskasse scienceindustries (nachfolgend: FAK) richtete A. gestützt auf ihre Anstellung bei der B. AG für ihren Sohn C., geboren 1994, Kinder- und Ausbildungszulagen aus. C. bestand im Dezember 2013 die Matura und absolvierte im Januar und Februar 2014 im Hinblick auf das gewünschte Medizinstudium ein Pflegepraktikum. Von 10. März bis 11. Juli 2014 absolvierte er die Rekrutenschule und legte am 4. Juli 2014 die Prüfungen zum Numerus Clausus des Medizinstudiums ab. Mit Verfügung vom 4. Februar 2014, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 11. März 2014, lehnte die FAK die Ausrichtung von Ausbildungszulagen nach dem 1. März 2014 ab.
BGE 141 V 473 S. 474
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 5. August 2014 gut, hob die Verfügung vom 4. Februar 2014 sowie den Einspracheentscheid vom 11. März 2014 auf und verpflichtete die FAK, A. für ihren Sohn C. ab März 2014 Ausbildungszulagen auszurichten.
C.
Die FAK führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und es seien die Verfügung vom 4. Februar 2014 sowie der Einspracheentscheid vom 11. März 2014 wiederherzustellen.
A. enthält sich in ihrer Eingabe vom 23. Oktober 2014 eines Antrags und teilt mit, ihr Sohn habe die Zulassungsprüfung zum Medizinstudium nicht bestanden und deshalb am 15. September 2014 das Studium der Wirtschaftswissenschaften aufgenommen.
D.
Am 16. Januar 2015 forderte das Bundesgericht das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) zu einer Vernehmlassung auf, welche dieses am 20. Februar 2015 einreichte. Die FAK nahm mit Schreiben vom 10. März 2015 Stellung zur Eingabe des BSV. A. liess sich nicht mehr vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Ausbildungszulagen für ihren Sohn ab März 2014.
3.
Nach
Art. 3 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2)
werden Ausbildungszulagen ab Ende des Monats, in welchem das Kind das 16. Altersjahr vollendet, bis zum Abschluss der Ausbildung ausgerichtet, längstens jedoch bis zum Ende des Monats, in welchem das Kind das 25. Altersjahr vollendet. Aus den Materialien zum FamZG ergeben sich keine Hinweise darauf, wie der Begriff Ausbildung zu verstehen ist (
BGE 138 V 286
E. 4.1 S. 288). Art. 1 Abs. 1 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen (Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21) statuiert, dass ein Anspruch auf eine Ausbildungszulage für jene Kinder besteht, die eine Ausbildung im Sinne des
Art. 25 Abs. 5 AHVG
absolvieren.
Art. 25 Abs. 5 Satz 2 AHVG
beauftragt den Bundesrat, den Begriff der Ausbildung zu regeln, was dieser mit den auf den 1. Januar
BGE 141 V 473 S. 475
2011 in Kraft getretenen Art. 49
bis
und 49
ter
der AHVV (SR 831.101) getan hat.
Art. 49
ter
Abs. 3 AHVV
lautet:
Nicht als Unterbrechung im Sinne von Absatz 2 gelten die folgenden Zeiten, sofern die Ausbildung unmittelbar danach fortgesetzt wird:
a. übliche unterrichtsfreie Zeiten und Ferien von längstens 4 Monaten;
b. Militär- und Zivildienst von längstens 5 Monaten;
c. gesundheits- oder schwangerschaftsbedingte Unterbrüche von längstens 12 Monaten.
Das Bundesgericht hat in
BGE 138 V 286
E. 4.2.2 festgehalten, dass bezüglich des Begriffs der Ausbildung sowie deren Unterbrechung und Beendigung auf die Gerichts- und Verwaltungspraxis sowie namentlich die Weisungen des BSV verwiesen werden kann.
4.
Die Vorinstanz hat die Beschwerde gutgeheissen mit der Begründung, der Sohn der Arbeitnehmerin habe seine Ausbildung nicht unterbrochen, da er im frühestmöglichen Zeitpunkt das Studium aufzunehmen gedenke und sich somit in der Zeit zwischen Maturität und Beginn des Studiums in Ausbildung befinde. Daran ändere weder das Praktikum, welches ebenfalls als Ausbildung zähle, noch der geleistete Militärdienst etwas, da dieser weniger als fünf Monate betragen habe. Die Vorinstanz stützt sich in ihrer Begründung auf den Kommentar zum Familienzulagengesetz von KIESER/REICHMUTH (Bundesgesetz über die Familienzulagen, Praxiskommentar) aus dem Jahr 2010 sowie auf
BGE 100 V 164
.
5.
Entgegen der Ansicht der FAK liegt hier kein Abbruch mit Wiederaufnahme der Ausbildung vor, da das Ausbildungsziel stets klar formuliert und planmässig sowie bei frühestmöglicher Gelegenheit fortgesetzt worden war (vgl. dazu
BGE 138 V 286
). Es geht vielmehr um eine Unterbrechung der Ausbildung, so dass sich die Frage stellt, ob deren Dauer den Anspruch auf Familienzulagen beeinflusst.
6.
Wie die FAK zu Recht ausführt, ist bezüglich der Ausbildungszulagen zu berücksichtigen, dass sich mit den am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Art. 49
bis
f. AHVV die Rechtslage geändert hat, so dass nicht ohne Weiteres auf den im Jahr 2010 erschienenen Kommentar von KIESER/REICHMUTH abgestellt werden kann (vgl. dazu auch KIESER/REICHMUTH, Update zum Kommentar Bundesgesetz über die Familienzulagen, 2011/3, betr. N. 38-60 und 61-74 zu
Art. 3 FamZG
). Die von der Vorinstanz zitierte Stelle (KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 61 zu
Art. 3 FamZG
) bezieht sich denn auch gerade auf eine Rechtslage, die sich zwischenzeitlich geändert hat, so dass die
BGE 141 V 473 S. 476
entsprechenden Aussagen (Andauern des Zulagenanspruchs bei Unterbrechung der Ausbildung bis zu einem Jahr) nicht mehr zutreffend sind. Dasselbe gilt für die Rechtsprechung, welche zum Teil durch die neuen Verordnungsnormen überholt ist. Letzteres gilt insbesondere für zeitlich bestimmte Voraussetzungen, welche in Widerspruch stehen zum nunmehr geltenden Recht. Dies trifft etwa auf den von der Vorinstanz erwähnten
BGE 100 V 164
zu, aber auch auf SVR 2011 IV Nr. 45 S. 137, 9C_283/2010 und
BGE 138 V 286
(8C_690/2011), soweit diese Aussagen machen zur Rechtslage vor dem 1. Januar 2011, welche mit der nunmehr geltenden nicht mehr in Einklang steht (in diesem Sinne auch MEYER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, N. 5 zu
Art. 35 IVG
; vgl. auch MICHEL VALTERIO, Droit de l'assurance-vieillesse et survivants [AVS] et de l'assurance-invalidité [AI], 2011, S. 251 Rz. 853, wonach die frühere Rechtsprechung nicht mehr vollumfänglich massgebend ist).
7.
Soweit das BSV die Lösung darin sieht, dass auf den formellen Beginn des Semesters am 1. August abgestellt wird, welcher nicht identisch ist mit dem jeweiligen Beginn der Vorlesungen Mitte September, kann ihm nicht gefolgt werden.
Der Begriff der "unterrichtsfreien Zeit" in
Art. 49
ter
Abs. 3 lit. a AHVV
ist nach dem klaren Wortlaut dahingehend zu verstehen, dass er jene Zeit des Jahres betrifft, in welchem kein Unterricht erfolgt - also bei den Hochschulen keine Vorlesungen stattfinden. Wenn dazu aber auf die formellen Daten des Semesters abgestellt würde, wie es das BSV vertritt, dann gäbe es gar keine "unterrichtsfreie Zeit" mehr, da dem formell am 31. Januar endenden Herbstsemester nahtlos das am 1. Februar beginnende Frühlingssemester bzw. dem formell am 31. Juli endenden Frühlingssemester nahtlos das am 1. August beginnende Herbstsemester folgt.
Art. 49
ter
Abs. 3 lit. a AHVV
wäre bei dieser Auffassung der Norm grösstenteils ohne Sinn und Zweck.
Zudem erreicht in aller Regel in der Zeit vor Beginn der Vorlesungen - gerade bei Aufnahme eines neuen Studiums - der zeitliche Aufwand nicht das geforderte Ausmass von mindestens 20 Wochenstunden (vgl. dazu Rz. 3359 der Wegleitung des BSV über die Renten [RWL] in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung in Verbindung mit Rz. 205 f. der Wegleitung zum Bundesgesetz über die Familienzulagen FamZG [FamZWL]), so dass in dieser Zeitspanne keine Ausbildung vorliegt.
BGE 141 V 473 S. 477
8.
8.1
Das Pflegepraktikum im Januar und Februar 2014 wird von der FAK als Ausbildung anerkannt; sie hat für diese beiden Monate denn auch Familienzulagen ausgerichtet. Streitig ist die Zeit danach bis zur Aufnahme des Studiums (1. März bis 15. September 2014). Diese Zeitspanne beträgt demnach 6 1/2 Monate. Damit ist sowohl die zulässige Höchstdauer nach lit. a wie auch nach lit. b von
Art. 49
ter
Abs. 3 AHVV
überschritten (vgl. dazu auch VALTERIO, a.a.O., S. 255 Rz. 863 f.). Zu prüfen bleibt die allenfalls kumulative Anwendung der in
Art. 49
ter
Abs. 3 lit. a und b AHVV
genannten Tatbestände.
8.2
Art. 25 Abs. 5 AHVG
entspricht praktisch wortwörtlich dem bereits im bundesrätlichen Entwurf enthaltenen
Art. 25 Abs. 3 AHVG
. Demnach sollten dem Bundesrat zusätzlich zu seinen üblichen Verordnungskompetenzen u.a. zur Konkretisierung des Begriffs "Ausbildung" nach
Art. 25 AHVG
Rechtssetzungsbefugnisse delegiert werden (Botschaft vom 5. März 1990 über die zehnte Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1990 II 1, 130 Ziff. 92 [Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen]). Im Rahmen der Kommissions- und parlamentarischen Beratungen gab diese Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen zu keinerlei Nachfragen oder Diskussionen Anlass (vgl. etwa AB 1991 S 273; 1993 N 253 oder 1994 S 596), auch nicht als seitens der Verwaltung erklärt wurde, die Gerichtspraxis definiere den Begriff "Ausbildung" sehr weit gehend und nicht immer kohärent, weshalb dem Bundesrat die Kompetenz zur Regelung dieses Begriffs übertragen werden solle (Protokoll der erweiterten Kommission für soziale Sicherheit des Nationalrates vom 7.-9. September 1992 S. 11). Bei den gestützt auf
Art. 25 Abs. 5 AHVG
erlassenen
Art. 49
bis
und 49
ter
AHVV
handelt es sich demnach um unselbstständige Verordnungsnormen im Sinne von gesetzesvertretenden Bestimmungen und nicht bloss um Vollziehungsverordnungsbestimmungen (vgl. zu den Begriffen "unselbstständige Verordnung" und "gesetzesvertretende Verordnung" etwa PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2011, S. 591 ff. § 46 Rz. 10 ff. und 22 ff.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, S. 31 ff. Rz. 135 ff., 150 und S. 91 ff. Rz. 404 ff.; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Bd. I, 3. Aufl. 2013, S. 543 ff. Rz. 1607 ff., v.a. Rz. 1614 f.). Damit kommt dem Bundesrat bezüglich der Definition des Begriffes "Ausbildung" ein grosser Gestaltungsspielraum zu.
BGE 141 V 473 S. 478
8.3
Das Bundesgericht kann Verordnungen des Bundesrates vorfrageweise auf ihre Gesetz- und Verfassungsmässigkeit prüfen. Bei unselbstständigen Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnisse gehalten hat. Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit der unselbstständigen Verordnung. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermessensspielraum für die Regelung auf Verordnungsstufe eingeräumt, so ist dieser Spielraum nach
Art. 190 BV
(Fassung gemäss Justizreform, vormals
Art. 191 BV
) für das Bundesgericht verbindlich; es darf in diesem Falle bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern es beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist. Es kann dabei namentlich prüfen, ob sich eine Verordnungsbestimmung auf ernsthafte Gründe stützen lässt oder ob sie
Art. 9 BV
widerspricht, weil sie sinn- und zwecklos ist, rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die richtigerweise hätten getroffen werden müssen. Für die Zweckmässigkeit der angeordneten Massnahme trägt der Bundesrat die Verantwortung; es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sich zu deren wirtschaftlichen oder politischen Sachgerechtigkeit zu äussern (
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348;
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 570; vgl. auch
BGE 133 V 42
E. 3.1 S. 44).
8.4
Dass eine kumulative Anwendung von lit. a und b von
Art. 49
ter
Abs. 3 AHVV
zulässig wäre, ist weder der Begründung im angefochtenen Entscheid zu entnehmen noch ergibt sich dies aus dem Verordnungstext. Vielmehr führt das BSV in den Erläuterungen vom 22. Oktober 2010 zu den vom Bundesrat neu geschaffenen
Art. 49
bis
und 49
ter
AHVV
aus, dass in Bezug auf die Leistung von Militär- und Zivildienst angesichts der finanziellen Abgeltungen für den geleisteten Dienst eine restriktivere Praxis gelte, sodass eine am Stück absolvierte Rekrutenschule nur noch ausnahmsweise als Ausbildungszeit gelte (vgl.
www.bsv.admin.ch/themen/ahv/00016/index.html?lang=de
). Es verweist dazu insbesondere auf die während absolvierten Dienstzeiten erhaltenen Sold- und Erwerbsersatzgelder, welche eine nicht unbeachtliche Höhe erreichen würden, so dass
BGE 141 V 473 S. 479
eine weitere Ausrichtung von Leistungen nicht gerechtfertigt sei. Zudem gelte die Zeit zwischen Absolvierung der gymnasialen Matura und Vorlesungsbeginn an der Universität nur noch dann als Ausbildungszeit, wenn diese nicht länger als vier Monate daure. Abschliessend hält das BSV fest, mit dieser Bestimmung (
Art. 49
ter
Abs. 3 AHVV
) sollten die "bezahlten" Ausbildungsunterbrüche auf die objektiv notwendigen eingegrenzt werden. Damit beruft sich die Exekutive auf einen ernsthaften und sachlichen Grund. Dass diese Regelung sinn- oder zwecklos ist oder dabei Unterscheidungen getroffen werden, für welche kein vernünftiger Grund vorliegt, ist weder ersichtlich noch wird Entsprechendes geltend gemacht (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). So kann nicht gesagt werden, dass eine rechtsungleiche Behandlung vorliegt, indem Studierende, bei welchen mehrere Unterbrechungsgründe vorliegen, im Gegensatz zu jenen, bei welchen nur ein kurzer Unterbruch gegeben ist, nicht für die gesamte Zeit Zulagen ausgerichtet werden. Denn bei der Dauer des Unterbruchs handelt es sich um ein objektives Unterscheidungsmerkmal und damit um einen sachlichen Grund, weshalb weder eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots von
Art. 8 Abs. 1 BV
noch des Willkürverbots nach
Art. 9 BV
vorliegt. Vielmehr führt die kumulative Anwendung von
Art. 49
ter
Abs. 3 lit. a und b AHVV
zu einem willkürlichen Ergebnis, indem während einer doppelt so langen Zeit wie bei Berücksichtigung eines einzelnen Grundes ein Anspruch auf Ausbildungszulagen begründet werden könnte, obwohl in dieser Zeit nicht ein einziger Tag der Ausbildung gewidmet ist; inwiefern dadurch der Zweck der Ausbildungszulagen, nämlich die Förderung der Ausbildung durch einen teilweisen Beitrag an die Lebenshaltungskosten (vgl.
Art. 2 FamZG
) verwirklicht wird, ist nicht ersichtlich. Insofern liefe eine kumulative Berücksichtigung der Unterbrechungsgründe den Intentionen des Gesetz- und Verordnungsgebers zuwider. Zudem hätten die Familienausgleichskassen bei längeren Dienstzeiten stets zu prüfen, ob die ausbezahlten Gelder nicht den zulässigen Einkommensbetrag von
Art. 49
bis
Abs. 3 AHVV
überschreiten. Die vom Verordnungsgeber statuierte nicht kumulative Anwendung bewegt sich somit innerhalb des in der Delegationsnorm eröffneten grossen Gestaltungsspielraumes (vgl. E. 8.2) und ist deshalb im Rahmen der zulässigen Prüfung (vgl. E. 8.3) nicht zu beanstanden. Die FAK hat demnach zu Recht den Anspruch auf Ausbildungszulagen für die Zeit vom 1. März 2014 bis zur Aufnahme des Studiums verneint. Der kantonale Entscheid ist aufzuheben. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8b00b7a7-de54-41f2-8124-05c2bb64bb7c | Urteilskopf
88 III 129
19. Extrait de l'arrêt du 21 septembre 1962 dans la cause Cuendet. | Regeste
Art. 146 und 219 SchKG
.
Vorrecht der dritten Klasse zu Gunsten eines Zahnarztes.
Dauer dieses Vorrechts. | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 88 III 129 S. 129
Résumé des faits:
A.-
Pour le recouvrement d'une facture du médecindentiste Cuendet, l'Office des poursuites a notifié le 29 novembre 1956 un commandement de payer qui mentionnait le privilège de la troisième classe prévu par l'art. 219 LP. Cette poursuite a abouti à un paiement partiel. Une nouvelle saisie, mentionnant également le privilège, a réduit le montant impayé.
Un second commandement de payer, portant toujours la même mention, a laissé encore un découvert, réduit après une nouvelle saisie.
Par un troisième commandement de payer, notifié le 19 juin 1961, Cuendet a requis le paiement du dernier solde; il invoquait à nouveau le privilège. Il a participé à une saisie de salaire. L'office, refusant le privilège, a établi un état de collocation et de distribution et colloqué la créance en 5e classe.
BGE 88 III 129 S. 130
B.-
Cuendet a requis l'annulation de l'état de collocation. Sa plainte a été rejetée par l'autorité inférieure de surveillance. Selon cette dernière, le privilège afférent à une créance antérieure à 1957 ne pouvait plus être invoqué lors de la réquisition de saisie continuant une poursuite introduite en 1961 par la notification d'un commandement de payer, soit plus d'un an après la naissance de la créance (art. 146 al. 2 et 219 LP). L'autorité supérieure de surveillance a rejeté le recours formé par Cuendet.
C.-
Le créancier recourt à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral.
Erwägungen
Considérant en droit:
...
2.
Lorsque le produit de la vente ne suffit pas pour payer intégralement tous les créanciers, l'office dresse un état de collocation dans lequel ceux-ci sont admis au rang auquel ils auraient droit en cas de faillite (art. 146 LP). En vertu de l'art. 219 LP, sont colloquées en troisième classe les créances des médecins reconnus par l'Etat, pour l'année avant l'ouverture de la faillite (ici la saisie).
Le recourant admet que ces dispositions, prises à la lettre, justifient la décision attaquée. Il conviendrait cependant, selon lui, que la Chambre continuât l'oeuvre du législateur et admît que le privilège subsiste tant que le créancier, ne recouvrant qu'un dividende ou une partie de son dû, poursuit le débiteur, avec ou sans nouveau commandement de payer.
Semblable intervention de la Chambre ne s'imposerait que si la loi contenait une lacune manifeste ou si son application conduisait à un résultat absurde que le législateur ne voulait pas. Tel n'est pas le cas. Rien ne postule, contrairement au texte de la loi, qu'une créance privilégiée au cours d'une poursuite déterminée le soit encore ultérieurement, dans d'autres poursuites. Il est même contraire à la nature exceptionnelle d'un privilège de l'étendre. On ne saurait apporter un tempérament en
BGE 88 III 129 S. 131
prescrivant que le créancier devra poursuivre le débiteur "sans discontinuer". Cette règle, en effet, serait par trop imprécise et, de plus, souvent inapplicable dans le cas de l'art. 265 al. 2 LP. | null | nan | fr | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8b06efd8-fd93-4ea0-b9cf-baa6b1c23c0f | Urteilskopf
82 I 150
21. Urteil vom 23. Mai 1956 i.S. Hammel und Konsorten gegen Antaris Immobilien A.-G. sowie Regierungsrat und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
"Gleichartige Betriebe" und "verschiedene Arten von Wirtschaften" im Sinne von
Art. 31ter Abs. 1 BV
:
Das Bedürfnis nach
Art. 31ter Abs. 1 BV
(und § 35 Abs. 1 des Wirtschaftsgesetzes des Kantons Basel-Stadt) ist nicht nur für alkoholführende und alkoholfreie Wirtschaften gesondert zu prüfen, sondern auch für Untergruppen innerhalb dieser beiden Hauptkategorien. | Sachverhalt
ab Seite 151
BGE 82 I 150 S. 151
A.-
Das Wirtschaftsgesetz des Kantons Basel-Stadt (WG) bestimmt in § 35 Abs. 1:
"Die in § 7 Ziffern 1-5 aufgeführten Patente werden nur erteilt, wenn der Betrieb unter Berücksichtigung der Zahl und der Verteilung gleichartiger Betriebe einem Bedürfnis im Sinne der Artikel 31ter und 32quater der Bundesverfassung entspricht."
B.-
Mit Verfügung vom 7. November 1954 bewilligte das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt der Beschwerdegegnerin die teilweise Übertragung des Patentes des Hotels "Storchen", Stadthausgasse 25, auf den Neubau Claraplatz 1, zur Errichtung und zum Betrieb einer alkoholführenden Wirtschaft, nachdem sich die Beschwerdegegnerin bereit erklärt hatte, von der gesamten Wirtschaftsfläche von 1127 m2 nur noch 500 m2 zu beanspruchen, nämlich 270 m2 für das neue Restaurant "Storchen" und 230 m2 für die Wirtschaft am Claraplatz. Ein vom kantonalen Wirteverein im Namen verschiedener Wirte erhobener Rekurs wurde vom Regierungsrat am 4. Januar 1955 abgewiesen, ebenso ein gegen dessen Beschluss erklärter Rekurs vom Appellationsgericht als Verwaltungsgericht am 12. August 1955. Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragen die Beschwerdeführer die Aufhebung der Entscheide des Polizeidepartementes und des Verwaltungsgerichtes wegen Verletzung von
Art. 31ter BV
und
§ 35 WG
sowie von
Art. 4 BV
(Willkür). Das Verwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Der Regierungsrat und die Beschwerdegegnerin beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit Bezug auf die Rüge der Verletzung des
Art. 31ter BV
kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Diese Verfassungsbestimmung dient nicht dem Schutze individueller Rechte. Sie räumt überhaupt keine Rechte gegen die Staatsgewalt ein, sondern ermächtigt die kantonale Staatsgewalt, die in
Art. 31 BV
gewährleistete Handels-
BGE 82 I 150 S. 152
und Gewerbefreiheit unter bestimmten Voraussetzungen einzuschränken. Wenn ein Kanton von dieser Ermächtigung Gebrauch macht und dabei Interessen Privater schützt, so ist es ein Schutz kantonalen Rechtes. Unter dem Gesichtswinkel einer mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
) kommt dabei - wenn sich die Anfechtung, wie hier, nicht gegen die kantonale Ordnung selbst richtet - lediglich ein Verstoss gegen
Art. 4 BV
in Frage (
BGE 79 I 159
).
2.
Auf Grund von
§ 35 Abs. 1 WG
, der die Erteilung von Wirtschaftspatenten nur gestattet, wenn der geplante Betrieb einem Bedürfnis im Sinne der
Art. 31ter und 32quater BV
entspricht, ist das Interesse der Beschwerdeführer als Inhaber von Wirtschaftsgewerben an der Beschränkung der Zahl von Konkurrenzbetrieben rechtlich geschützt. Sie sind daher zur vorliegenden Beschwerde legitimiert (
Art. 88 OG
;
BGE 79 I 160
f.), soweit sie bereits am kantonalen Verfahren beteiligt waren und den kantonalen Instanzenzug erschöpft haben (
Art. 87 OG
).
3.
Die Beschwerdeführer erheben die Rüge der Willkür vor allem gegenüber der von den kantonalen Behörden vertretenen Auffassung, dass bei der Auslegung der Bedürfnisklausel, wie sie gestützt auf
Art. 31 ter Abs. 1 BV
in die Bestimmung des
§ 35 Abs. 1 WG
aufgenommen worden ist, nicht nur zwischen den alkoholführenden und den alkoholfreien Wirtschaften zu unterscheiden, sondern dass auch den innerhalb dieser Kategorien bestehenden Verschiedenheiten durch weitere Unterteilungen Rechnung zu tragen sei. Sie machen geltend, dass beim bundesrechtlichen Begriff der Gleichartigkeit der Betriebe das Vorhandensein oder Fehlen des Alkoholausschankes das einzige Unterscheidungsmerkmal darstelle. Allein diese Auslegung stimme mit dem Willen des Verfassungsgesetzgebers überein. Ihr entspreche auch
§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 WG
, der alle Wirtschaften, die in der tatsächlichen Ausgestaltung voneinander abweichen können, unter den beiden für die
BGE 82 I 150 S. 153
Erteilung von Patenten allein massgebenden Arten der alkoholführenden und alkoholfreien Wirtschaften zusammenfasse.
Richtig ist, dass in der parlamentarischen Beratung des
Art. 31ter Abs. 1 BV
die Ausdrücke "gleichartige Betriebe" und "Bedeutung der verschiedenen Arten von Wirtschaften" im Hinblick auf die Gliederung der Wirtschaften in solche mit und solche ohne Alkoholausschank verwendet wurden. Durch diese Differenzierung sollte im Interesse der Förderung alkoholfreier Betriebe vermieden werden, dass das Bedürfnis für die Eröffnung einer alkoholfreien Wirtschaft mit der Begründung verneint werde, dass schon genügend alkoholführende Wirtschaften vorhanden seien, in denen auch alkoholfreie Getränke abgegeben werden. Immerhin wurde in der parlamentarischen Beratung eine weitere Unterteilung innerhalb der alkoholfreien Wirtschaften zugunsten gemeinnütziger Zwecke erwähnt (Sten. Bull. 1939 Ständerat S. 397; 1945 Ständerat S. 257; 1946 Nationalrat S. 70 ff.). Jedenfalls hindert der Verfassungstext nicht, den Verschiedenheiten innerhalb der beiden Hauptgruppen der alkoholführenden und der alkoholfreien Wirtschaften durch Unterteilung dieser Kategorien Rechnung zu tragen. Dass der Gesetzgeber vor allem an die beiden Hauptgruppen dachte, schliesst die durch den Verfassungstext gedeckte Unterteilung in Untergruppen nicht aus; denn für die Auslegung ist in erster Linie massgebend, was der Wortlaut der Verfassung besagt und was sich aus ihrem System ergibt, und nicht oder nur hilfsweise, was zu jener Zeit der Gesetzgeber gemeint hat (
BGE 78 I 30
und dort genannte frühere Urteile). Ein starres Festhalten an den Vorstellungen zur Zeit des Erlasses eines Gesetzes würde dessen Anpassung an veränderte Tatsachen, Gegebenheiten und Anschauungen verhindern und zu einer raschen Überalterung der Gesetzgebung führen (vgl. MEIER-HAYOZ, Die Bedeutung der Materialien für die Gesetzesanwendung, SJZ 48, S. 229 ff.). Das Bundesgericht hat denn auch bei der Prüfung
BGE 82 I 150 S. 154
der Bedürfnisfrage auf Grund des früheren
Art. 31 lit. c BV
(heute
Art. 32 quater Abs. 1 BV
) zwischen den verschiedenen Arten und Zweckbestimmungen von Wirtschaften unterschieden (
BGE 38 I 465
;
BGE 51 I 26
f. und 31). Bei der Feststellung des Bedürfnisses gemäss
Art. 31ter Abs. 1 BV
drängt sich eine Unterteilung innerhalb der beiden Hauptgruppen der alkoholführenden und alkoholfreien Wirtschaften geradezu auf; denn oft ist eine existenzgefährdende Konkurrenzierung zwischen verschiedenen Arten von Betrieben innerhalb der Kategorie der alkoholführenden oder alkoholfreien Wirtschaften gar nicht denkbar (beispielsweise zwischen einem teuren Dancing und einer einfachen Arbeiterwirtschaft), in welchen Fällen die Anwendung der Bedürfnisklausel als gewerbepolitische Massnahme zum Schutze der Gewerbegenossen sinnlos wäre. In der Literatur wird denn auch die Auffassung vertreten, dass das Bedürfnis nach
Art. 31ter Abs. 1 BV
nicht nur für alkoholführende und alkoholfreie Wirtschaften gesondert zu prüfen sei, sondern auch für Untergruppen innerhalb dieser beiden Hauptkategorien (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit, S. 189; STEINER, in Festgabe für Nawiasky, S. 72 f.; LEUCH, Der Bedürfnisnachweis im Wirtschaftsgewerbe nach den neuen Wirtschaftsartikeln, Berner Diss. 1950, S. 46 f.).
Ergibt aber die Auslegung des
Art. 31ter Abs. 1 BV
, dass innerhalb der Kategorien der alkoholführenden und alkoholfreien Wirtschaften das Bedürfnis nach der Zahl gleichartiger Betriebe von Untergruppen zu beurteilen ist, so muss dies auch mit Bezug auf
§ 35 Abs. 1 WG
gelten, der die Terminologie des
Art. 31ter Abs. 1 BV
(gleichartige Betriebe) übernommen hat. Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass
§ 7 WG
innerhalb der Wirtschaften lediglich zwischen solchen mit und solchen ohne Alkoholausschank unterscheidet (Abs. 1 Ziff. 2); denn dort ist ausschliesslich der Gesichtspunkt der Patenterteilung massgebend. Das Bundesgericht hat übrigens diesen Standpunkt implizite bereits in dem in BGE 79
BGE 82 I 150 S. 155
I 155 ff. veröffentlichten Urteil eingenommen, indem es eine dahingehende Argumentation des Verwaltungsgerichts als sorgfältig abgewogen und überzeugend erklärte.
Aus diesen Gründen war es auf keinen Fall willkürlich, wenn die kantonalen Behörden die Bewilligung zur teilweisen Übertragung des streitigen Wirtschaftspatentes nicht einfach unter dem Gesichtswinkel prüften, ob am Claraplatz ein Bedürfnis nach einer weiteren alkoholführenden Wirtschaft bestehe, sondern untersuchten, ob an diesem Ort für einen Betrieb von der geplanten Art ein Bedürfnis bestehe.
4.
Die Beschwerdeführer anerkennen zwar Selbstbedienung, Diät- und Diabetikerküche an sich als Unterscheidungsmerkmale. Sie rügen es indessen als willkürlich, im vorliegenden Falle darauf abzustellen; denn es bestehe hier kein Bedürfnis nach solchen Einrichtungen, weshalb der Beschwerdegegnerin, wenn sie sie in der Folge beseitige, das Patent deswegen nicht entzogen werden könne.
Bei der Frage, ob ein Bedürfnis für eine Wirtschaft bestehe, handelt es sich im wesentlichen um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse nach freiem Ermessen der Bewilligungsbehörde. Das Bundesgericht kann daher deren Entscheid nicht frei überprüfen, zumal da es mit den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen weniger vertraut ist als die kantonale Behörde. Nach feststehender Rechtsprechung weicht es daher bei der Prüfung der Bedürfnisfrage nicht ohne zwingenden Grund von der Auffassung der obersten kantonalen Behörde ab, sondern nur dann, wenn sich deren Entscheid als geradezu willkürlich, schlechterdings unhaltbar erweist, in welchem Falle
Art. 4 BV
verletzt ist (
BGE 51 I 25
f.;
BGE 54 I 91
; nicht veröffentlichte Urteile vom 15. Mai 1936 i.S. Dürig und vom 12. September 1951 i.S. Lüscher).
Die Beschwerdeführer machen geltend, die kantonalen Behörden hätten in willkürlicher Weise zu prüfen unterlassen, ob am Claraplatz ein Bedürfnis nach einer Wirtschaft mit Selbstbedienung, Diät- und Diabetikerküche
BGE 82 I 150 S. 156
bestehe. Der Regierungsrat hat jedoch diese Frage geprüft und ist zur Auffassung gelangt, dass an dem im Zentrum von Kleinbasel liegenden Claraplatz, der sich mit seiner näheren und weiteren Umgebung von einem Wohnquartier immer mehr zu einem Einkaufs-, Geschäfts- und Verkehrszentrum entwickle, im Hinblick auf die heutigen Lebensgewohnheiten ein Bedürfnis für eine weitere, nach neuzeitlichen Gesichtspunkten geführte Wirtschaft bestehe, und auch das Verwaltungsgericht hat dazu Stellung genommen und den Standpunkt vertreten, dass der Regierungsrat die Grenzen pflichtgemässen Ermessens nicht überschritten habe. Davon aber, dass jene Argumente, auf Grund deren die Bedürfnisfrage bejaht wurde, den Vorwurf der Willkür verdienten, kann keine Rede sein.
5.
Schliesslich erheben die Beschwerdeführer die Rüge der Willkür gegenüber der Feststellung, die Inhaber der Wirtschaften im Gebiete des Claraplatzes würden alle ihr Auskommen finden und zum Teil sogar über sehr erhebliche Einkünfte verfügen. Darauf braucht nicht eingetreten zu werden, da sich die angefochtenen Entscheide ohne diese Erwägung rechtfertigen lassen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8b09be72-983c-432b-959a-61181395b714 | Urteilskopf
97 II 234
34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1971 i.S. Intershop Holding AG gegen Interstop AG. | Regeste
Art. 951 Abs. 2 und 956 Abs. 2 OR.
Anforderungen an die Unterscheidung von Gesellschaftsfirmen (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 97 II 234 S. 234
A.-
Die Intershop Holding AG, Zürich, wurde am 1. Juni 1962 gegründet und am folgenden Tag im Handelsregister eingetragen. Ihr Zweck besteht hauptsächlich in der Beteiligung an in- und ausländischen Unternehmen, insbesondere an solchen, die sich der Erschliessung und Finanzierung von Konsumgütermärkten widmen.
Die Interstop AG besteht seit dem 6. Oktober 1966. Sie hatte ihren Sitz zunächst ebenfalls in Zürich. Am 28. Juni 1968 beschloss sie, ihn nach Zug zu verlegen. Sie bezweckt nach den Statuten den Erwerb, den Verkauf und die Verwaltung von Werten aller Art, insbesondere von Schutzrechten auf dem Gebiete des geistigen und gewerblichen Eigentums, sowie die Verwertung solcher Rechte; sie kann zudem Liegenschaften erwerben, verwalten und veräussern und sich an anderen Unternehmen mit ähnlicher Zwecksetzung beteiligen.
Am 8. November 1966 machte die Intershop Holding AG die Interstop AG auf die Verwechslungsgefahr aufmerksam, welche sie durch die Wahl des Firmanamens geschaffen habe. Ihre Bemühungen, die Interstop AG zu einer Änderung des Namens zu bewegen, blieben jedoch ohne Erfolg.
B.-
Im März 1969 klagte die Intershop Holding AG gegen die Interstop AG mit den Begehren, der Beklagten die Führung
BGE 97 II 234 S. 235
ihres Firmanamens zu verbieten und dessen Löschung im Handelsregister gerichtlich anzuordnen.
Durch Urteil vom 23. September 1970 verbot das Kantonsgericht Zug der Beklagten, das Wort "Interstop" als Firma oder Bestandteil einer solchen zu verwenden; es verpflichtete sie ferner, das Handelsregisteramt innert dreissig Tagen um Entfernung des Wortes "Interstop" aus ihrer Firma zu ersuchen.
Die Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Zug, das die Klage am 6. April 1971 abwies.
C.-
Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht auf dem Wege der Berufung, dieses Urteil aufzuheben und ihre Klagebegehren gutzuheissen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Firmen der Aktiengesellschaften müssen sich von jeder in der Schweiz bereits eingetragenen Firma deutlich unterscheiden (
Art. 951 Abs. 2 OR
). Da die Gesellschaften ihre Firma im Rahmen der allgemeinen Regeln über die Firmenbildung frei wählen können, sind an die Unterscheidbarkeit strenge Anforderungen zu stellen. Das gilt namentlich dann, wenn es um Phantasiebezeichnungen geht, da in diesem Bereich die Auswahl keine Schwierigkeiten bereitet (
BGE 90 II 319
,
BGE 92 II 97
,
BGE 95 II 458
). Besondere Rücksichtnahme bei der Firmenwahl ist ferner geboten, wenn die Gesellschaften ihren Sitz am gleichen Ort haben, miteinander im Wettbewerb stehen oder sich aus einem andern Grunde an die gleichen Kreise wenden; denn solche Umstände erhöhen die Gefahr von Verwechslungen (statt vieler:
BGE 88 II 36
, 181 und 295).
Das heisst nicht, aus Sachbezeichnungen bestehende Firmen oder Firmen von Gesellschaften mit abweichenden Sitzen und Zwecken brauchten sich voneinander nicht deutlich zu unterscheiden. Das gesetzliche Gebot dient nicht der Ordnung des Wettbewerbes, sondern will das Publikum vor Irreführung schützen und den Inhaber der älteren Firma um seiner Persönlichkeit und seiner gesamten Geschäftsinteressen willen vor Verwechslungen bewahren. Dabei ist grundsätzlich die ganze Firma zu berücksichtigen, doch kommt Bestandteilen, die durch ihren Klang oder Sinn hervorstechen, erhöhte Bedeutung zu, weil sie in der Erinnerung besser haften bleiben und im mündlichen und schriftlichen Verkehr oft allein verwendet werden.
BGE 97 II 234 S. 236
Auch genügt nicht, dass zwei Firmen bei aufmerksamem Vergleich unterscheidbar sind; sie müssen vielmehr in der Erinnerung deutlich auseinander gehalten werden können (
BGE 92 II 96
/7,
BGE 93 II 44
,
BGE 94 II 129
,
BGE 95 II 458
und 569). Trifft dies nicht zu, so kann der Inhaber der älteren Firma vom Richter verlangen, dass dem Inhaber der jüngeren deren weitere Führung verboten wird (
Art. 956 Abs. 2 OR
).
2.
Im vorliegenden Fall bestehen die Firmen der Parteien hauptsächlich aus den Fremdwörtern "Intershop" bzw. "Interstop". Diese Wörter unterscheiden sich bloss durch einen Konsonanten, der ihre Aussprache nur sehr wenig verändert; sie sind deshalb einander nicht bloss im Schriftbild, sondern auch im Wortklang täuschend ähnlich. Beiden Firmen ist ferner die Abkürzung für Aktiengesellschaft (AG) gemeinsam. Dem Wort "Holding" in der Firma der Klägerin kommt keine Unterscheidungskraft zu, da es bloss darauf hinweist, dass die Gesellschaft wirtschaftlich mit anderen verbunden ist. Die Möglichkeit von Verwechslungen und der Irreführung des Publikums ist umso weniger zu unterschätzen, als man allgemein dazu neigt, Firmen durch den blossen Gebrauch ihres charakteristischen Bestandteils abzukürzen. Auch die Firma der Klägerin wird, wie bereits das Kantonsgericht der Beklagten entgegengehalten hat, häufig ohne den Zusatz "Holding" verwendet, namentlich in den täglichen Börsenberichten von Presse und Radio. Die Gefahr von Verwechslungen liegt unter diesen Umständen auf der Hand. Sie lässt sich entgegen den Versuchen der Beklagten im Ernst nicht bestreiten, zumal es nach den Feststellungen der Vorinstanz z.B. bei der Zustellung von Postsendungen und Telegrammen wiederholt zu Verwechslungen gekommen ist.
Das Obergericht bejaht die Verwechselbarkeit der streitigen Firmen, hält die Bezeichnung der Beklagten aber gleichwohl für zulässig, weil die Parteien nicht auf dem gleichen oder einem ähnlichen Gebiete tätig seien, von einer Täuschungsgefahr folglich nicht die Rede sein könne. Es beruft sich dabei auf YVES GENRE (Das Branchensystem im Firmenrecht, Diss. Zürich 1970), der das Firmenrecht entgegen der Rechtsprechung nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ausrichten und das gesetzliche Gebot deutlicher Unterscheidbarkeit darauf beschränken möchte, Täuschungen innerhalb ein und derselben Branche zu vermeiden (vgl. insbes. S. 45 ff., 63 ff., 106 und
BGE 97 II 234 S. 237
114/5). Ähnlicher Auffassung ist MARIO M. PEDRAZZINI (Bemerkungen zur neueren firmenrechtlichen Praxis, in "Lebendiges Aktienrecht", Festgabe für Wolfhart Friedrich Bürgi, S. 299 ff.), der die Rechtsprechung des Bundesgerichts ebenfalls für zu streng hält und anregt, sie unter Berücksichtigung wettbewerbsrechtlicher Kriterien und Anwendung einer branchenmässigen Betrachtungsweise zu lockern. Zu dieser Kritik Stellung zu nehmen, erübrigt sich indes im vorliegenden Fall, da die Begehren der Klägerin so oder anders gutgeheissen werden müssen.
Dem Obergericht ist vorweg entgegenzuhalten, dass
Art. 951 Abs. 2 OR
nicht danach fragt, ob Gesellschaften, die sich über Firmenbezeichnungen streiten, in der gleichen oder in verschiedenen Branchen tätig sind und wer durch verwechselbare Bezeichnungen getäuscht werden kann. Es genügt, dass eine Firma sich von einer bereits eingetragenen nicht deutlich unterscheidet. Freilich enthebt der Umstand, dass eine Bestimmung ihrem Wortlaut nach klar ist, den Richter nicht der Pflicht, nach dem vernünftigen Sinn des Gesetzes zu forschen und notfalls eine zu allgemein gehaltene Norm einzuschränken, wenn der Grundgedanke der Regelung und der von ihr verfolgte Zweck es verlangen, Diese Voraussetzung ist hier aber offensichtlich nicht erfüllt. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden besteht ein ganz besonderes Bedürfnis, Gesellschaften deutlich unterscheiden zu können, auch wenn sie angeblich nicht auf gleichen Gebieten tätig sind. Weder der Firma der Klägerin noch derjenigen der Beklagten ist zu entnehmen, in welchen Wirtschaftszweigen sie Geschäfte tätigen. Dies gilt insbesondere von der Firma der Beklagten. Nichts in ihrem Namen deutet darauf hin, dass sie sich, wie das Obergericht feststellt, vor allem mit der Herstellung und dem Vertrieb von Spezialverschlüssen für den Stahlguss befasst. Ausserdem ist massgebend nicht bloss, auf welchen Gebieten die beiden Gesellschaften gerade tätig sind, sondern auch welche Zwecke sie nach den Statuten verfolgen können (nicht veröffentlichte Urteile vom 21. September 1971 i.S. Fidèle Financière SA c. Fides Union fiduciaire SA und vom 4. Mai 1971 i.S. Uhrenfabrik Rolex A.-G. c. Rolax A.-G. Kugellagerfabrik). Der statutarische Zweck der Beklagten ist nun so weit gefasst, dass er denjenigen der Klägerin in sich schliesst. Wenn die Beklagte nach den Statuten aber gleiche oder ähnliche Geschäfte besorgen kann wie die Klägerin, ist die
BGE 97 II 234 S. 238
Gefahr von Verwechslungen selbst nach wettbewerbsrechtlichen Überlegungen zu bejahen.
Die Klägerin kann somit vom Richter verlangen, dass der Beklagten der Gebrauch der Firmenbezeichnung "Interstop" verboten und ihr zudem befohlen wird, die Bezeichnung aus dem Handelsregister entfernen zu lassen. Das Verbot und der Befehl sind von Amtes wegen mit der Androhung zu verbinden, dass Widerhandlungen für die Organe der Beklagten die in
Art. 292 StGB
vorgesehenen Strafen nach sich zögen (
BGE 87 II 112
Erw. 5,
BGE 96 II 262
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 6. April 1971 aufgehoben.
2.- Der Beklagten wird die Führung des Firmanamens "Interstop" verboten und befohlen, das Handelsregisteramt des Kantons Zug binnen dreissig Tagen ab Zustellung dieses Urteils um Entfernung des Wortes "Interstop" aus ihrer Firma zu ersuchen. Verbot und Befehl werden mit der Androhung verbunden, dass im Falle der Widerhandlung die dafür verantwortlichen Organe der Beklagten gemäss
Art. 292 StGB
mit Haft oder Busse bestraft würden. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8b0b8afd-e94d-4a0c-a7da-22f82ea01e62 | Urteilskopf
126 I 213
27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Mai 2000 i.S. Eduard Waldburger AG gegen Regierung und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 26 BV
(
Art. 22ter aBV
); Rechtsstellung des Anstössers bei Aufhebung einer Zufahrt.
Anstössern kann das Recht, sich gegenüber der Aufhebung oder Einschränkung des Gemeingebrauchs einer öffentlichen Sache auf die Eigentumsgarantie zu berufen, nicht von vornherein abgesprochen werden (Änderung der Rechtsprechung; E. 1b).
Frage offen gelassen, ob in der Aufhebung der Zufahrt zu einem Grundstück ein Eingriff in das verfassungsmässige geschützte Eigentum liegt, wenn dank einer ebenfalls vorhandenen rückwärtigen Erschliessung die Nutzbarkeit des Landes erhalten bleibt (E. 3a).
Anspruch auf mündliche Verhandlung und Protokollierung eines Augenscheins (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 126 I 213 S. 214
Die Eduard Waldburger AG ist Eigentümerin des Grundstücks Parz.Nr. 2218 sowie der westlich angrenzenden Grundstücke Parz.Nrn. 2952 und 3153 in St. Gallen-Bruggen. Auf der Parzelle Nr. 2218 betreibt sie seit 1951 ein Tanklager. Die Parzellen Nrn. 2952 und 3153 grenzen auf ihrer Nordseite an die St. Gallerstrasse. Die Zufahrt zum Tanklager verläuft ab der St. Gallerstrasse über die Parzelle Nr. 2952, die Ausfahrt über eine rückwärtige, in die Schoretshuebstrasse mündende Privatstrasse. Diese führt über die im Eigentum der Stadt St. Gallen stehende Parzelle Nr. 2217; die Eduard Waldburger AG verfügt darauf seit September 1997 über ein dienstbarkeitsvertraglich gesichertes unbeschränktes Fuss- und Fahrwegrecht. Die Schoretshuebstrasse mündet an einer mit Lichtsignalanlage gesicherten Kreuzung wieder in die St. Gallerstrasse.
Am 18. Juni 1996/25. Februar 1997 genehmigte die Regierung des Kantons St. Gallen ein Projekt für die Erstellung eines Radstreifens beidseits der St. Gallerstrasse und das Anbringen neuer Bodenmarkierungen. Auf der Südseite der St. Gallerstrasse, wo sich die Grundstücke der Eduard Waldburger AG befinden, sieht es die Anordnung einer Zutrittsverbotslinie vor. Die Waldburger AG wehrte sich bei der Regierung und beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen ohne Erfolg gegen die Festsetzung der Zutrittsverbotslinie. Eine gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts erhobene staatsrechtliche Beschwerde hiess das Bundesgericht wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gut. Das Verwaltungsgericht bestätigte nach Einholung einer verkehrstechnischen Expertise seinen früheren Entscheid. Die von der Waldburger AG dagegen erneut ergriffene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) ... Auf die Beschwerde ist ohne weiteres einzutreten, soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung in verfahrensrechtlichen Rechten geltend macht.
b) Dagegen bedarf näherer Prüfung, ob auf die Beschwerde auch insoweit einzutreten ist, als damit eine Verletzung der Eigentumsgarantie (
Art. 22ter aBV
bzw.
Art. 26 BV
) gerügt wird.
BGE 126 I 213 S. 215
aa) Nach einer bereits weit zurückreichenden Rechtsprechung hat der Anstösser kein besseres Recht auf Benützung einer im Gemeingebrauch stehenden Strasse als andere Personen, soweit ihm nicht das kantonale Recht eine besondere Rechtsstellung verschafft. Der Anstösser verfügt also - unter Vorbehalt einer abweichenden kantonalen Regelung - bloss über eine tatsächliche Vorzugsstellung und nicht über ein unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehendes Recht auf Zugang und Benützung einer an sein Land angrenzenden Strasse. Es wird dem Anstösser daher die Legitimation abgesprochen, sich unter Berufung auf die Eigentumsgarantie gegen die Aufhebung oder Einschränkung des Gemeingebrauchs der Strasse mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr zu setzen (
BGE 61 I 225
E. 5 S. 230 f.;
BGE 79 I 199
E. 2 S. 205;
BGE 105 Ia 219
E. 2 S. 221 f.).
In einem Entscheid, in dem die Nichterneuerung einer kantonalen Bewilligung für einen privaten Seezugang im Streit lag, erklärte das Bundesgericht unter Verweis auf die erwähnte Praxis, ein Seeanstösser habe kein unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehendes Recht auf eine den Gemeingebrauch überschreitende Nutzung eines öffentlichen Gewässers und sei daher bei Aufhebung oder Einschränkung des Seeanstosses nicht berechtigt, die Wiederherstellung oder eine Entschädigung zu verlangen. Wenn jedoch ein Eigentümer sein ordnungsgemäss errichtetes, von der Bewilligung für den Seezugang nicht betroffenes Bootshaus nicht mehr ordnungsgemäss nutzen könne, weil ihm die Bewilligung zur Beibehaltung eines Bootshafens verweigert werde, liege eine Beeinträchtigung des Eigentumsrechts vor (Entscheid des Bundesgerichts vom 30. März 1984 in ZBl 87/1986 S. 372 E. 4). In einem neueren Entscheid trat das Bundesgericht auf die Beschwerde verschiedener Anstösser gegen ein saisonales Fahrverbot auf einer Kantonsstrasse ein. Es erwog unter anderem, die Anstösser könnten die Handels- und Gewerbefreiheit anrufen, wenn der bisherige Gemeingebrauch an einer Strasse aufgehoben werden solle, sofern der Weiterbestand dieses Gemeingebrauchs Voraussetzung für die Ausübung eines Gewerbes der Anstösser bilde. Ob sich die Anstösser darüber hinaus ebenfalls auf die Eigentumsgarantie hätten berufen können, liess das Bundesgericht offen (Entscheid vom 14. Oktober 1994 in ZBl 96/1995 S. 510 f. E. 3c und d).
bb) In der Lehre ist die Unterscheidung zwischen bloss faktischen Vorteilen und rechtlichen, durch die Eigentumsgarantie geschützten Interessen verschiedentlich kritisiert worden. Wesentlicher als diese Unterscheidung sei die Frage, wie schwer ein Eingriff in die
BGE 126 I 213 S. 216
Eigentümerstellung wiege oder die Ausübung eines Gewerbes beeinträchtige (GEORG MÜLLER, Kommentar BV, Art. 22ter, Rz. 5 f.; ders., Rechtsstellung von Anstössern an öffentlichen Strassen, recht 1996, S. 218, 223 f.; URS SAXER, Die Grundrechte und die Benutzung öffentlicher Strassen, Diss. Zürich 1988, S. 187 f.; MARCEL BOLZ, Das Verhältnis von Schutzobjekt und Schranken der Grundrechte, Diss. Zürich 1991, S. 53 ff., 69 f.; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 604; PETER SALADIN, Grundrechte im Wandel, 3. Aufl., Bern 1982, S. 135 ff.).
Es erscheint in der Tat problematisch, bei der Abgrenzung des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie darauf abzustellen, ob durch die fragliche Massnahme ein rechtliches oder bloss ein faktisches Interesse betroffen sei. Bereits in einzelnen bisherigen Entscheiden wurde anerkannt, dass auch der Entzug faktischer Vorteile den Eigentümer im Ergebnis gleichermassen treffen kann wie eine Einschränkung seiner rechtlichen Befugnisse (vgl. die zitierten Entscheide des Bundesgerichts vom 30. März 1984 und vom 14. Oktober 1994). An der Rechtsprechung, die Anstössern von vornherein das Recht abspricht, sich gegenüber einer Aufhebung oder Einschränkung des Gemeingebrauchs einer öffentlichen Sache auf die Eigentumsgarantie zu berufen, kann daher nicht festgehalten werden. Auf diese Weise wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich der Schutzbereich der Eigentumsgarantie nicht nur auf die unmittelbar aus dem Eigentum fliessenden rechtlichen Befugnisse, sondern auch auf gewisse faktische Voraussetzungen zur Ausübung dieser Befugnisse erstreckt. Das Interesse an deren Erhaltung ist insoweit nicht bloss faktischer Natur, sondern auch rechtlich geschützt.
cc) Die Beschwerdeführerin sieht in der Festsetzung einer Zutrittsverbotslinie im Bereich ihrer Parzellen einen unzulässigen Eingriff in die Eigentumsgarantie. Zu dieser Rüge ist sie nach dem Dargelegten legitimiert. Ob die umstrittene Massnahme tatsächlich in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum eingreift und dieses verletzt, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung. Auf die Beschwerde ist daher auch insoweit einzutreten, als darin eine Verletzung der Eigentumsgarantie gerügt wird. Dasselbe gilt mit Bezug auf die geltend gemachte willkürliche Anwendung des kantonalen Strassengesetzes vom 12. Juni 1988 (StrG/SG), da die fraglichen Bestimmungen den Anstössern bestimmte Rechte einräumen.
c) Auf das Rechtsmittel ist demgegenüber nicht einzutreten, soweit damit mehr verlangt wird als die Aufhebung des angefochtenen
BGE 126 I 213 S. 217
Entscheids, denn die staatsrechtliche Beschwerde ist - von nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen - rein kassatorischer Natur (
BGE 124 I 327
E. 4a S. 332).
2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, auch im zweiten Verfahren habe das Verwaltungsgericht
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(SR 0.101) verletzt, weil es weder einen zweiten Augenschein noch eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Zudem sei der Anspruch auf Begründung verletzt, weil das Verwaltungsgericht sich immer noch nicht mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin anlässlich des Augenscheins vom 18. März 1998 auseinandergesetzt habe.
Die Kritik der Beschwerdeführerin ist verständlich. Namentlich kann dem Verwaltungsgericht nicht beigepflichtet werden, wenn es die Auffassung vertritt, auf das Protokoll eines Augenscheins könne verzichtet werden, wenn das Gericht an diesem Anlass vollzählig anwesend gewesen sei. Das Protokoll dient nicht nur dem Gericht selbst, sondern soll den Gang der Verhandlung auch für Dritte, z.B. das Bundesgericht, nachvollziehbar machen. Sofern die Äusserungen der Parteien im Urteil nicht hinlänglich wiedergegeben werden, kann auf ein Protokoll grundsätzlich nicht verzichtet werden.
Vorliegend ist indes zu berücksichtigen, dass das Bundesgericht im Urteil vom 10. Juli 1998 die fehlende Auseinandersetzung mit den Argumenten der Beschwerdeführerin vor allem deshalb als gehörsverweigernd ansah, weil das Verwaltungsgericht seine Begründung auch nicht auf die von der Beschwerdeführerin beantragte Expertise stützen konnte. Inzwischen liegt eine Expertise vor, deren Ergebnisse, wie noch zu zeigen ist, schlüssig sind. Unter diesen Umständen ist es nicht verfassungswidrig, dass das Verwaltungsgericht auf die anlässlich des Augenscheins vorgebrachten Einwände der Beschwerdeführerin nicht mehr eingegangen ist. Dabei durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin eine nochmalige Verhandlung zum ganzen Prozessthema nicht mehr verlangt hatte, obwohl auf Grund seines Beweisbeschlusses vom 18. Februar 1999 ungewiss war, ob es von sich aus einen zweiten Augenschein durchführen würde, und eine nochmalige Verhandlung damit unsicher war. Keine Verweigerung des rechtlichen Gehörs lag im Verzicht auf den von der Beschwerdeführerin beantragten Augenschein zur Frage, ob es noch eine weitere private Zufahrt in die St. Gallerstrasse gebe oder nicht, weil das Verwaltungsgericht diese Frage mit Recht als nicht entscheidwesentlich ansah. Am 2. März 1999 hatte die Beschwerdeführerin
BGE 126 I 213 S. 218
nicht einen Augenschein des Gerichts verlangt, sondern beantragt, dass ein allfälliger Augenschein des Experten im Beisein der Parteien stattfinde. Nachdem das Verwaltungsgericht im ersten Verfahren eine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte und im zweiten Verfahren eine Expertise einholte, zu der sich die Parteien vernehmen lassen konnten, verstösst es nicht gegen
Art. 6 EMRK
und den Anspruch auf rechtliches Gehör, dass das Verwaltungsgericht auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet hat.
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die angefochtene Massnahme beruhe nicht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage und verletze daher die Eigentumsgarantie. Das Verwaltungsgericht stütze sich zu Unrecht auf Art. 101 Abs. 3 StrG/SG und lege diese Norm willkürlich aus. Danach sei es nur möglich, den seitlichen Zutritt, nicht aber das Verlassen der Strasse zu verbieten. Massgeblich sei Art. 65 Abs. 2 StrG/SG, der die Beschränkung von Zufahrten und Zugängen an strengere Voraussetzungen knüpfe. Das Verwaltungsgericht habe demgegenüber erwogen, massgeblich sei allein Art. 101 Abs. 3 StrG/SG. Der darin verwendete Begriff "Zutritt" bedeute nicht nur Zutritt im engen Wortsinn, sondern auch Zufahrt, und zwar sowohl vom Anstössergrundstück zur Strasse hin als auch in umgekehrter Richtung.
a) Die umstrittene Zutrittsverbotslinie bewirkt, dass nicht mehr direkt von der Kantonsstrasse zum Tanklager der Beschwerdeführerin gefahren werden kann. Ob darin ein Eingriff in das verfassungsmässig geschützte Eigentum liegt, erscheint fraglich, da die rückwärtige Erschliessung und damit die Nutzbarkeit des Landes der Beschwerdeführerin erhalten bleibt. Wie es sich in dieser Hinsicht verhält, kann aber offen bleiben. Selbst wenn von einem Eingriff in das Eigentum ausgegangen würde, wäre dieser jedenfalls nicht schwer, so dass nach der Rechtsprechung die Auslegung und Anwendung des massgebenden kantonalen Rechts nur auf Willkür hin überprüft werden könnte (
BGE 123 I 313
E. 2b S. 317). Da die Beschwerdeführerin in materieller Hinsicht einzig die Anwendung des kantonalen Rechts beanstandet, vermöchte ihr die Eigentumsgarantie vorliegend keinen weiterreichenden Schutz zu vermitteln als das von ihr ebenfalls angerufene Willkürverbot.
Es ist daher zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht ohne Willkür die Anwendbarkeit von Art. 65 Abs. 2 StrG/SG verneinen und seinen Entscheid auf Art. 101 Abs. 3 StrG/SG stützen konnte, und ob es diese Bestimmung willkürfrei ausgelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Unrecht angenommen, die
BGE 126 I 213 S. 219
Beschwerdeführerin bestreite nicht mehr, dass Art. 101 Abs. 3 StrG/SG die gesetzliche Grundlage für die vorgesehene Zutrittsverbotslinie darstelle. Weil das ergänzende Verfahren auf die Einholung der Expertise beschränkt war, hatte die Beschwerdeführerin keinen Anlass, ihre Ausführungen im ersten Verfahren zu wiederholen. Aus ihrem Stillschweigen kann daher nicht abgeleitet werden, die Beschwerdeführerin habe ihre im ersten Verfahren vorgebrachten Einwände fallen gelassen.
b) - d) (Willkürliche Auslegung des kantonalen Rechts verneint).
4.
(Unbegründheit der gegenüber dem verkehrstechnischen Gutachten erhobenen Rügen). | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8b1535a1-9732-4bfd-a304-f43194c4fbaa | Urteilskopf
90 IV 4
2. Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1964 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. | Regeste
Art. 74 StGB
.
Die Verjährung einer Freiheitsstrafe, deren Vollzug gemäss
Art. 43 StGB
aufgeschoben wurde, beginnt mit der Rechtskraft des Urteils und steht während der Erziehung Liederlicher und Arbeitsscheuer nicht still. | Sachverhalt
ab Seite 5
BGE 90 IV 4 S. 5
A.-
Der 1937 geborene X. wurde am 18. Oktober 1957 wegen Zuhälterei zu acht Monaten Gefängnis, abzüglich 63 Tage Untersuchungshaft, verurteilt und für zwei Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit eingestellt. Das Obergericht des Kantons Zürich schob den Strafvollzug auf und wies den Verurteilten in eine Arbeitserziehungsanstalt nach
Art. 43 StGB
ein. Am 2. April 1959 verurteilte ihn der Gerichtspräsident 7 von Bern wegen gewerbsmässiger widernatürlicher Unzucht zu drei Monaten Gefängnis und wies ihn - wiederum unter Aufschub des Strafvollzuges - in eine Arbeitserziehungsanstalt ein. Am 24. September/9. Oktober 1961 wurde X. aus dem Vollzug bedingt entlassen; die Justizdirektion des Kantons Zürich setzte ihm eine Probezeit von zwei Jahren und schob demgemäss den Entscheid darüber, ob eine Überweisung an den Richter im Sinne von
Art. 43 Ziff. 4 und 5 StGB
zu erfolgen habe, auf.
In der Probezeit wurde X. rückfällig. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte ihn am 9. Juli 1963 wegen Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch, Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand, ferner wegen Fahrens ohne Führerausweis und ohne Kontrollschilder sowie wegen Veruntreuung zu 42 Tagen Gefängnis und Fr. 40.- Busse. Ferner bestrafte ihn der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich am 16. Oktober 1963 wegen wiederholter Sachbeschädigung mit einem Monat Gefängnis (unter Abzug eines Tages Untersuchungshaft). Nach diesen Rückfällen ersuchte die Justizdirektion des Kantons Zürich das Obergericht, über den Vollzug der mit Urteil vom 18. Oktober 1957 gefällten Strafe zu entscheiden.
BGE 90 IV 4 S. 6
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich beschloss am 20. Dezember 1963, dass die mit Urteil vom 18. Oktober 1957 aufgeschobene Strafe von acht Monaten Gefängnis zufolge Vollstreckungsverjährung nicht mehr zu vollziehen sei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichtes sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, gemäss
Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 und 3 StGB
zu entscheiden, inwieweit die Strafe von acht Monaten zu vollziehen sei; denn entgegen der Annahme des Obergerichts sei die Vollstreckungsverjährung nicht eingetreten.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Gefängnisstrafen von weniger als einem Jahr verjähren gemäss
Art. 73 Ziff. 1 StGB
in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt nach
Art. 74 StGB
mit der Rechtskraft des Urteils, bzw. mit dessen Vollstreckbarkeit (
BGE 72 IV 106
;
BGE 78 IV 225
). Von dieser Regelung ist der bedingte Strafaufschub ausgenommen, sofern er nachträglich widerrufen und die Vollstreckung der Strafe angeordnet wird; dann soll die Verjährung nach der ausdrücklichen Vorschrift des
Art. 74 StGB
mit dem Tage beginnen, an dem der Richter die Vollstreckung angeordnet hat.
Eine weitere Ausnahme sieht das Gesetz nicht vor. Es enthält keine Bestimmung, wonach auch dann, wenn die Strafe in anderer Weise als gemäss
Art. 41 Ziff. 1 StGB
aufgeschoben worden ist, die Vollstreckungsverjährung nicht schon mit der Rechtskraft des Urteils, sondern erst mit der Anordnung des Strafvollzuges zu laufen beginnt. Dass das Gesetz eine Lücke enthielte, hat der Kassationshof bereits im Falle Ch. verneint, als er die Vollstreckungsverjährung bei Massnahmen nach
Art. 14 und 15 StGB
zu prüfen hatte (SJZ 1959 S. 129).
2.
Nicht anders verhält es sich mit der Vollstreckungsverjährung bei der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt
BGE 90 IV 4 S. 7
nach
Art. 43 StGB
. Zwar führt die Staatsanwaltschaft richtig aus, dass beim vermindert Zurechnungsfähigen die Dauer der Massnahme seinem Willen weitgehend entzogen ist. Es trifft auch zu, dass er nur beschränkt mitbestimmen kann, ob nach Aufhebung der Massnahme die Strafe noch zu vollziehen sei; ebenso kann sich die Massnahme bei erfolgloser Pflege zeitlich unbestimmt ausdehnen. Aber auch der in die Arbeitserziehungsanstalt Eingewiesene kann die Dauer seines Aufenthaltes nur beschränkt beeinflussen. Er wird ebenfalls auf unbestimmte Zeit - wenn auch höchstens auf drei Jahre - in die Anstalt eingewiesen. Selbst wenn der Zögling "zur Arbeit tüchtig und willig" geworden ist, kann er erst, nachdem er zwei Drittel der Strafe verbüsst und sich mindestens ein Jahr wohlverhalten hat, bedingt entlassen werden (
Art. 43 Ziff. 5 StGB
). Er verliert unterdessen die Freiheit und ist weiteren Einschränkungen unterworfen. Er kann nur bei deren Hinnahme den Strafvollzug verhindern. Dass unter diesen Umständen die Vollstreckungsverjährung nicht laufen soll, ist nicht einzusehen.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft würde eine Vollstreckungsverjährung den Vollzug der Massnahme zusätzlich belasten; denn es würde meistens verunmöglicht, dem aus der Arbeitserziehungsanstalt bedingt Entlassenen anzudrohen, er habe bei Versagen die Strafe zu verbüssen. Das ist nicht belegt. Die Staatsanwaltschaft übersieht zudem, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Nacherziehung nicht beliebig fortzusetzen ist. Ergibt sich, dass der Zweck nicht erreicht, der Eingewiesene nicht zur Arbeit erzogen werden kann, ist die Strafe zu vollziehen (
Art. 43 Ziff. 4 StGB
). Der Aufenthalt in der Anstalt, der sogar die Dauer der Gefängnisstrafe (von weniger als einem Jahr) überschreiten kann, dürfte dies meistens schon zeigen. Dazu kommt, dass der Zögling sich während 1-3 Jahren nach der bedingten Entlassung zu bewähren hat und, wenn er sich nicht hält, in die Anstalt zurückversetzt wird. Ein Bedürfnis, überdies - entgegen der allgemeinen Regel -
BGE 90 IV 4 S. 8
den Beginn der Verjährung auf das Ende des Vollzuges der Massnahmen hinauszuschieben, ist nicht ersichtlich.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8b15969a-53f9-4e93-b6cb-09cfb31de906 | Urteilskopf
100 Ib 341
60. Auszug aus dem Urteil vom 26. September 1974 i.S. Käsereigenossenschaften Hinterforst und Kornberg gegen Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement | Regeste
Milchgesetzgebung: Zusammenlegungsprämie in der Käsereiwirtschaft.
- Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung der Prämie.
- Die fehlende Veröffentlichung eines Bundesratsbeschlusses in der amtlichen Sammlung schliesst grundsätzlich nicht aus, dass der bundesrätliche Erlass Rechtswirkungen im Sinne der Begründung von Rechten entfalten kann.
- Die funktionelle Kompetenz zur Einräumung von Subventionsansprüchen liegt beim Gesetzgeber. | Erwägungen
ab Seite 342
BGE 100 Ib 341 S. 342
1.
Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid des EVD, in welchem das Begehren der Beschwerdeführerinnen um Ausrichtung einer Preiszulage, auf die sie einen Anspruch nach Bundesrecht zu haben behaupten, abgewiesen wurde.
a) Das Bundesgericht beurteilt nach
Art. 97 Abs. 1 OG
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwG; als solche gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen. Der angefochtene Entscheid zählt zu derartigen Verfügungen. Er hat zum Gegenstand die Abweisung eines Begehrens auf Begründung eines Rechtes. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist jedoch nur zulässig, sofern der angefochtene Entscheid unter keine der in Art. 99 bis 102 OG aufgezählten Ausnahmen fällt.
b) Nach
Art. 99 lit. h OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig gegen die Bewilligung von Beiträgen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Unter den Begriff Bundesrecht im Sinne dieser Bestimmung fallen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Bundesgesetze und die allgemein verbindlichen Bundesbeschlüsse sowie die Rechtsverordnungen des Bundesrates, seiner Departemente und ihrer Dienstabteilungen (
BGE 99 Ib 422
;
BGE 97 I 879
). Damit angenommen werden kann, das Bundesrecht räume einen Anspruch auf einen Beitrag ein, ist erforderlich, dass in einem der erwähnten Erlasse des Bundes die Voraussetzungen der Bewilligung erschöpfend umschrieben werden und dass der Erlass den Entscheid über die Ausrichtung des Beitrages nicht dem Ermessen der Verwaltung anheimstellt.
Ziff. 8 des BRB vom 21. April 1971 über die Ausrichtung einer Zusammenlegungsprämie in der Käsereiwirtschaft umschreibt abschliessend die Voraussetzungen, Höhe und Dauer der Preiszulagen, die "als zusätzlicher Anreiz für den Zusammenschluss
BGE 100 Ib 341 S. 343
zum Zwecke der gemeinsamen Milchverwertung zu Käse" ausgerichtet werden sollen, sofern ein Zusammenschluss zustande kommt. Der Wortlaut der Bestimmung lässt den rechtsanwendenden Behörden grundsätzlich kein Ermessen, ob sie die Preiszulage ausrichten wollen oder nicht. Wenn die durch Auslegung der Norm zu bestimmenden Voraussetzungen des BRB gegeben sind, muss der Beitrag ausgerichtet werden.
Daran vermag nichts zu ändern, dass der BRB von 1971 nicht in die Amtliche Sammlung aufgenommen und somit nicht publiziert worden ist. Nach Art. 4 lit. f des BG vom 12. März 1948 über die Rechtskraft der Bereinigten Sammlung (Rechtskraftsgesetz) sind Bundesratsbeschlüsse in die Amtliche Sammlung aufzunehmen, wenn sie "allgemein verpflichtende Vorschriften aufstellen". Ohne Publikation können deshalb keine zusätzlichen Verpflichtungen der Bürger begründet werden (vgl. Art. 9 Abs. 1 Rechtskraftsgesetz). Das bedeutet nach der Praxis des Bundesgerichtes, dass eine Norm mit allgemein verpflichtendem Inhalt gegenüber dem Bürger nicht durchgesetzt werden kann, bevor sie veröffentlicht ist (
BGE 92 I 233
; ZBl 75/1974 S. 238). Der hier anwendbare BRB begründet jedoch keine zusätzlichen Verpflichtungen für die Bürger, sondern räumt ihnen - falls die umschriebenen Voraussetzungen erfüllt werden - zusätzliche Rechte ein. Zu dieser Frage sprechen sich die Bestimmungen des Art. 4 lit. f und Art. 9 Abs. 1 des Rechtskraftsgesetzes nicht aus. Wiewohl es einem Gebot des Rechtsstaates entsprechen dürfte, dass der Bürger aus den amtlich publizierten Erlassen nicht nur seine Pflichten, sondern auch seine Rechte soll erkennen können, schliesst die fehlende Publikation des BRB von 1971 (der inzwischen durch eine publizierte Verordnung ersetzt worden ist) nicht aus, dass der BRB Rechtswirkungen im Sinne der Begründung von Rechten entfalten konnte. Entscheidend ist, dass der Erlass sich seinem Sinn und Zweck nach als Rechtsverordnung qualifiziert. Der BRB von 1971 ist - wie sich aus dem Gesagten ergibt - nicht dazu bestimmt, den untern Verwaltungsinstanzen Anweisungen zu erteilen, wie sie im Rahmen ihres Ermessens das Bundesrecht handhaben sollen. Er umschreibt - allgemein verbindlich -, wer bei Erfüllung welcher Voraussetzungen Anspruch auf einen bisher nicht bestehenden Preiszuschlag auf die eingelieferte Milch erhalten soll.
BGE 100 Ib 341 S. 344
Fraglich ist einzig, auf welche gesetzliche Grundlage sich der Bundesrat bei der Schaffung des durch den Beschluss von 1971 begründeten Leistungsanspruchs stützen konnte. Die funktionelle Kompetenz zur Einräumung von Subventionsansprüchen liegt nämlich beim Gesetzgeber und die Verwaltung bedarf bei der Entrichtung einer geldwerten Leistung des Bundes, die einer Vielzahl von Bürgern bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen erbracht werden sollen, der gesetzlichen Ermächtigung. Dieser grundsätzlichen Frage nach dem Gesetzesvorbehalt für die hier in Frage stehende Preiszulage des Bundes braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden, weil sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, dass die Beschwerdeführerinnen unter den vorliegenden Umständen ohnehin keine Bundesleistungen beanspruchen können. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b1cc0f6-7e1d-497c-88c1-0ea33120b8fe | Urteilskopf
88 I 137
22. Arrêt du 10 octobre 1962 dans la cause X. SA contre Y. et la Commission neuchâteloise de recours pour les mesures contre la pénurie de logements. | Regeste
Art. 4 BV
. Willkür.
Kündigung von Mietverträgen durch den Vermieter mit der Behauptung, die Räume für seine Arbeitnehmer zu benötigen.
Darf ohne Willkür angenommen werden, die Kündigung sei nur dann im Sinne von
Art. 35 lit. c VMK
gerechtfertigt, wenn ein eigentlicher beruflicher Notstand vorliege? Frage offen gelassen (Erw. 2).
Die kantonale Behörde handelt nicht willkürlich, wenn sie eine nur mit einem allgemeinen Bedürfnis nach Arbeiterwohnungen begründete Kündigung als nicht gerechtfertigt betrachtet (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 88 I 137 S. 138
A.-
La société anonyme X. (ci-après: la société) exploite, à Neuchâtel, une entreprise de constructions et travaux publics. Elle a acquis, le 8 août 1961, un immeuble bâti sis en dite ville. Le 18 octobre 1961, son mandataire a résilié pour le 24 juin 1962 les baux de huit locataires sur neuf, dont celui de l'intimé Y. La lettre de résiliation précise que la société a acheté l'immeuble pour y loger son personnel.
L'intimé, se fondant sur l'art. 34 de l'ordonnance du Conseil fédéral concernant les loyers et la limitation du droit de résiliation, du 11 avril 1961 (OCL), demanda que le congé fût déclaré nul. Statuant en sa qualité d'autorité compétente selon l'art. 41 OCL, le Conseil communal de la Ville de Neuchâtel déclara la résiliation justifiée, sur la base de l'art. 35 litt. c OCL.
Admettant le recours de l'intimé, la Commission cantonale de recours pour les mesures contre la pénurie de logements (en abrégé: CCR) déclara le congé injustifié. Elle considère que l'art. 35 litt. c OCL apporte une exception au principe de la protection du locataire, énoncé à l'art. 34 OCL, et doit être interprété restrictivement. Aux yeux de la CCR, cette disposition "postule un état de nécessité professionnelle où les intérêts de l'employé et de l'employeur propriétaire sont communs, par exemple, patron boulanger, maître-boucher, etc.". Or le besoin invoqué par la société est généralisé. Dès lors, il ne saurait être admis sans compromettre la protection que l'OCL accorde au locataire.
B.-
Agissant par la voie du recours de droit public, la société requiert le Tribunal fédéral d'annuler la décision de la CCR. Elle tient pour arbitraire le refus d'admettre que la cause de résiliation prévue à l'art. 35 litt. c OCL est réalisée, "sous prétexte que cette cause postulerait un état de nécessité professionnelle où les intérêts de l'employé et de l'employeur propriétaire sont communs".
C.-
Dans ses observations, la CCR précise son interprétation de l'art. 35 litt. c OCL. Les situations visées
BGE 88 I 137 S. 139
par ce texte sont énumérées limitativement. Cela implique un examen de cas en cas. L'autorité compétente ne saurait donner un blanc-seing au propriétaire, comme le voudrait la recourante. Celle-ci n'a parlé que de ses ouvriers, d'une manière tout à fait générale. Elle n'a cité aucun cas concret. Adopter son point de vue, ce serait consentir à ce que la loi soit éludée.
D.-
L'intimé conclut au rejet du recours. Il prétend qu'en achetant l'immeuble, la société a fait une opération spéculative; il lui reproche aussi d'avoir agi dans le but de continuer l'expansion de son entreprise, contrairement aux recommandations de l'autorité fédérale et aux instructions de l'autorité cantonale.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 35 litt. c OCL, le congé est justifié, notamment, lorsque le propriétaire prouve avoir besoin d'un logement dans la maison pour l'un de ses employés, pourvu qu'il n'ait pas causé lui-même le besoin par un acte de spéculation. Le Tribunal fédéral ne peut examiner les décisions cantonales rendues en application de cette disposition que sous l'angle de l'arbitraire. Il ne saurait dès lors annuler un prononcé que s'il est manifestement insoutenable. Cela suppose que la décision critiquée ne puisse être défendue par aucun argument objectif et sérieux.
2.
Appelé à se prononcer, d'un point de vue ainsi limité, sur des décisions cantonales concernant l'application de prescriptions antérieures ayant la même teneur que l'art. 35 litt. c OCL (art. 32 litt. b de l'OCL du 28 décembre 1956; art. 31 litt. b de l'OCL du 30 décembre 1953), le Tribunal fédéral a jugé naguère soutenable de n'admettre le besoin pour un employé du propriétaire qu'en présence d'une nécessité propre à l'économie de l'entreprise ("eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit"). Puis il a prononcé qu'il n'était pas arbitraire de se contenter d'un simple intérêt touchant la marche de l'entreprise ("ein
BGE 88 I 137 S. 140
betriebsbedingtes Interesse") (arrêt non publié du 18 janvier 1956 en la cause Ziegler c. Rodel, Grob et Direction de la justice du canton de Zurich). Au regard de cette jurisprudence, il est douteux que l'exigence d'un véritable état de nécessité professionnelle, posée par la CCR, échappe au grief d'arbitraire. La question peut toutefois rester indécise. En effet, la décision attaquée est soutenable par un autre motif.
3.
La CCR tient pour injustifié le congé donné en alléguant un besoin généralisé. Elle estime que le propriétaire doit préciser quel employé il entend loger, afin que l'autorité puisse examiner chaque cas particulier en pleine connaissance de cause. Son argumentation trouve un appui dans le texte légal. Il incombe au propriétaire, en effet, de prouver le besoin qu'il invoque. Dans l'appréciation de cette preuve, l'autorité ne tombe pas dans l'arbitraire en examinant si le besoin est actuel, au moment de la résiliation du bail. La recourante n'a fourni à cet égard que des explications imprécises à l'autorité communale, dans les termes suivants: "... pour assurer la marche de notre entreprise, il est indispensable que nous puissions offrir des logements à notre personnel, sinon nous courrions le risque qu'une partie de nos employés nous quittent". L'admission d'un motif de résiliation aussi général créerait un précédent fâcheux. Tout entrepreneur ayant acheté une maison serait alors en mesure d'en libérer les appartements, sous prétexte de loger son personnel. De la sorte, les prescriptions limitant le droit de résiliation seraient éludées. Les locataires seraient privés de la protection que le législateur a voulu leur donner. L'argumentation de la CCR, qui tend à éviter de tels abus, repose sur des motifs objectifs et sérieux. Partant, elle n'est pas arbitraire.
4.
Il est vrai que la preuve d'un besoin concret sera parfois difficile à rapporter, lorsqu'il s'agit d'offrir un logement à des travailleurs étrangers qui ne sont pas encore arrivés en Suisse. Mais cet inconvénient n'est pas insurmontable. Rien n'empêche en effet l'employeur,
BGE 88 I 137 S. 141
propriétaire d'un bâtiment, d'indiquer à l'autorité compétente les noms des travailleurs étrangers qu'il se propose d'engager, la tâche qui leur sera assignée et l'intérêt que présente, pour la marche de l'entreprise, leur logement dans tel appartement déterminé. Ainsi renseignée, l'autorité sera à même d'examiner, dans chaque cas particulier, si le congé est justifié au regard de l'art. 35 litt. c OCL.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8b1ea2c5-94be-4c7f-8439-a23b567dc91a | Urteilskopf
113 Ia 107
20. Arrêt de la Ire Cour civile du 30 juin 1987 dans la cause D. et W. contre dame A. (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
. Gleicher Lohn für Mann und Frau.
1. Rechtsnatur der Gewährleistung, dass männliche und weibliche Arbeitnehmer Anspruch auf gleichen Lohn haben; Folgen für den Rechtsweg, die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts und das Beschwerderecht des Arbeitgebers (E. 1).
2. Vergleich von Leistungen, die von Schauspielern verschiedenen Geschlechts erbracht werden. Wertgleichheit vorliegend bejaht (E. 3).
3. Anwendungsbereich von
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
. Umstände, die eine Abweichung von der Regel der Lohngleichheit rechtfertigen können (E. 4a).
4. Pflicht einer Theaterleitung, eine nebenberuflich tätige Schauspielerin, die im letzten Moment ausfällt, rasch und ohne Kostenüberschreitung zu ersetzen, als objektiver Umstand, der ein Abweichen vom Grundsatz der Lohngleichheit rechtfertigt (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 113 Ia 107 S. 108
A.-
D. et W., agissant en tant qu'associés de la société simple "Le Centre dramatique Chablais-Riviera", ont engagé des comédiens professionnels et semi-professionnels pour les représentations de la pièce de Molière, intitulée "Le médecin malgré lui", qu'ils devaient donner au "Théâtre du Vieux-Quartier", à Montreux, du 17 septembre au 2 novembre 1985. Au dernier moment, une comédienne semi-professionnelle, qui devait subir une intervention chirurgicale, fut contrainte de se désister. Elle avait été engagée pour jouer le rôle de "Jacqueline", moyennant un cachet de 2'000 francs.
B., comédien tenant un rôle dans la pièce dont il assurait aussi la mise en scène, s'adressa alors à dame A., une comédienne professionnelle qu'il connaissait, pour lui demander de remplacer l'actrice semi-professionnelle empêchée. Il lui offrit un cachet de 2'500 francs, sans lui dire toutefois que les autres comédiens professionnels
BGE 113 Ia 107 S. 109
recevraient chacun 4'000 francs. L'intéressée accepta cette proposition et un contrat fut signé, le 17 septembre 1985, jour de la passation de tous les autres contrats; il stipulait que dame A. était engagée comme comédienne indépendante pour un cachet de 2'500 francs, montant qui correspondait en fait aux 2'000 francs prévus pour la comédienne remplacée, auxquels s'ajoutaient 500 francs prélevés sur le cachet de B.
Ayant appris que les comédiens professionnels touchaient 4'000 francs, dame A. s'enquit personnellement, puis par l'intermédiaire de son syndicat, des raisons de cette différence de traitement entre les comédiens professionnels masculins et elle-même. Les responsables du Centre dramatique Chablais-Riviera lui répondirent que du moment qu'elle remplaçait une actrice semi-professionnelle, le cachet prévu pour celle-ci lui avait été alloué, car le budget établi pour le spectacle ne permettait pas d'aller au-delà de ce montant. Invoquant l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., la comédienne professionnelle réclama alors un cachet de 4'000 francs, ainsi qu'une indemnité de vacances et la prise en charge des cotisations sociales par l'employeur.
B.-
Les parties n'ayant pas réussi à trouver un terrain d'entente, dame A. assigna ses anciens employeurs en paiement de 1'591 francs, plus intérêts, en date du 21 mars 1986.
Par jugement du 15 mai 1986, le Tribunal de prud'hommes de Montreux rejeta la demande pour l'essentiel.
Statuant le 2 septembre 1986, le Tribunal cantonal du canton de Vaud a admis le recours formé par dame A. contre ce jugement et condamné solidairement D. et W. à payer à cette dernière la somme de 1'591 francs, plus intérêts.
C.-
D. et W. forment un recours de droit public au Tribunal fédéral, pour violation de l'
art. 4 al. 2 Cst.
, en concluant à l'annulation de l'arrêt cantonal.
Dame A. propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., "les hommes et les femmes ont droit à un salaire égal pour un travail de valeur égale". Avant d'entrer en matière sur le recours, il sied de mettre en évidence la nature particulière de cette règle et les conséquences qui en découlent quant aux voies de droit, au pouvoir d'examen du Tribunal fédéral et à la qualité pour recourir.
BGE 113 Ia 107 S. 110
a) L'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. crée un droit individuel à l'égalité de rémunération, que tout salarié, homme ou femme, peut invoquer directement en justice, sans qu'il soit nécessaire que le principe constitutionnel ait été préalablement concrétisé par une loi (cf. Message du Conseil fédéral sur l'initiative pour l'égalité des droits entre hommes et femmes, FF 1980 I 148; J.-F. AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, supplément 1967-1982, nos 1747 et 1783 in fine; BERENSTEIN, A propos de l'initiative pour l'égalité des droits entre hommes et femmes - Effet vertical ou horizontal? in: ZBl 81 (1980), p. 199, ch. 6; CAMPICHE, L'égalité de rémunération entre travailleurs masculins et féminins, thèse Lausanne 1986, no 279; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, p. 103/104; HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, II, p. 190/191; MORAND, L'égalité des sexes ou l'érosion jurisprudentielle d'un droit fondamental, rapport présenté au colloque de Martigny des 7, 8 et 9 mai 1987 sur l'égalité des sexes, p. 32; J.-P. MÜLLER/S. MÜLLER, Grundrechte, Bes. Teil, p. 204; REHBINDER, n. 7 ad art. 322; STAEHELIN, n. 20 ad art. 322; STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4e éd., n. 20 ad art. 322; SUTTER, "Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit" (Art. 4 Abs. 2 Satz 3), in: Recht 1986, p. 120/121; VISCHER, n. 6 ad art. 358. D'un autre avis: HUBER, Gleiche Rechte für Mann und Frau, in: RJB 118 (1982), p. 189 ss). Bien que cette disposition soit aussi applicable aux rapports de travail relevant du droit public (arrêt non publié Danioth et consorts, du 11 novembre 1983, consid. 3b, reproduit in: ZBl 85 (1984), p. 162 ss), elle a été adoptée avant tout pour régir les relations entre particuliers, le principe de l'égalité de rémunération entre les deux sexes dans la fonction publique ayant déjà été déduit de l'
art. 4 al. 1 Cst.
par la jurisprudence (
ATF 103 Ia 517
). On est donc en présence du cas exceptionnel, sinon unique (cf.
art. 49 al. 3 Cst.
), où un droit constitutionnel produit un effet horizontal direct (direkte Dritt- oder Horizontalwirkung; sur cette notion, cf.
ATF 111 II 254
et les références citées) dans les rapports entre personnes privées (AUER, Les libertés face à l'Etat et dans la société, in: Repertorio di giurisprudenza patria 119 (1986), p. 18, no 29; CAMPICHE, op.cit., nos 278 ss et les autres références citées par cet auteur à la page 126, n. 56; voir aussi: BERENSTEIN, op.cit., p. 200, ch. 8, MORAND, op.cit., ibid., SUTTER, op.cit., p. 120, et TSCHUDI, Neue Probleme im schweizerischen Arbeitsrecht, in: RSJ 78 (1982), p. 91, qui contestent l'utilité du recours à la notion
BGE 113 Ia 107 S. 111
de Drittwirkung stricto sensu, soit celle d'un effet réflexe à l'égard de tiers). Dès lors qu'elle sortit un tel effet, l'égalité de rémunération dans le secteur privé revêt un double caractère: il s'agit à la fois d'un droit constitutionnel et d'une règle - impérative - du droit civil qui s'incorpore aux dispositions du Code des obligations relatives au contrat de travail (
art. 319 ss CO
; cf. J.-F. AUBERT, op.cit., no 1783 in fine; CAMPICHE, op.cit., no 282; HAEFLIGER, op.cit., p. 107 et 112; MORAND, op.cit., p. 33; REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 8e éd., p. 56, et n. 7 ad art. 322; SUTTER, op.cit., ibid.; TSCHUDI, op.cit., ibid.).
b) Pour déterminer la voie de recours par laquelle la décision prise en dernière instance cantonale peut être déférée au Tribunal fédéral, il faut tenir compte de la nature mixte de la disposition considérée. Comme on l'a vu, cette disposition, dans la mesure où elle régit les relations entre particuliers, contient non seulement un droit constitutionnel, mais également une règle de droit privé. D'où il suit que sa violation doit être invoquée dans le cadre d'un recours en réforme, lorsque la valeur litigieuse atteint ou dépasse la limite de 8'000 francs fixée à l'
art. 46 OJ
. L'art. 43 al. 1, 2e phrase, OJ, qui réserve le recours de droit public pour violation des droits constitutionnels des citoyens, n'est en effet pas applicable dans un tel cas (HAEFLIGER, op.cit., p. 112; MORAND, op.cit., p. 34). Si la valeur litigieuse est inférieure à 8'000 francs, la contestation peut être soumise au Tribunal fédéral par la voie du recours de droit public pour violation de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. (cf. les deux auteurs précités, ibid.).
En l'occurrence, le litige porte sur la somme de 1'591 francs. Le recours de droit public est dès lors recevable au regard de l'
art. 84 al. 2 OJ
. Il en va de même en ce qui concerne la condition de l'épuisement préalable des moyens de droit cantonal (
art. 86 al. 2 OJ
).
c) Saisi d'un recours de droit public fondé sur l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., le Tribunal fédéral examine librement le grief tiré d'une violation du droit à l'égalité de rémunération entre travailleurs masculins et féminins (HAEFLIGER, op.cit., p. 113, dont l'opinion sur ce point est rendue d'une manière erronée par CAMPICHE, op.cit., p. 144, n. 5; MAHRER, Salaire égal pour un travail de valeur égale (traduction française), Zurich 1983, p. 25; MORAND, op.cit., ibid.); cependant, il ne revoit les constatations de fait de l'autorité cantonale que sous l'angle restreint de l'arbitraire (HAEFLIGER op.cit., ibid.), conformément à une pratique constante en la matière (cf.
ATF 105 Ia 19
consid. 3; KÄLIN, Das
BGE 113 Ia 107 S. 112
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, p. 177). Ces constatations de fait le lient totalement, lorsqu'il est appelé à traiter un recours en réforme basé sur le même moyen (art. 43 al. 3, 55 al. 1 lettre c, 63 al. 2 OJ); elles ne pourront donc être soumises à son examen que par la voie d'un recours de droit public pour arbitraire (
art. 4 al. 1 Cst.
).
d) La qualité pour recourir appartient aux particuliers et aux collectivités lésés par des arrêtés ou par des décisions qui les concernent personnellement ou qui sont d'une portée générale (
art. 88 OJ
). Ainsi, le recours de droit public n'est ouvert à un particulier que si l'inconstitutionnalité dont il se prévaut l'atteint dans ses intérêts personnels et juridiquement protégés. Le Tribunal fédéral examine librement si ces conditions sont réalisées (
ATF 112 Ia 94
et les arrêts cités).
Qu'un travailleur - homme ou femme - ait qualité pour former un recours de droit public fondé sur l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., cela n'est pas douteux, du moment que cette disposition lui confère un droit individuel à l'égalité de rémunération, qu'il peut invoquer directement en justice s'il estime que son salaire n'est pas compatible avec la garantie constitutionnelle spéciale en cause.
Plus délicate, en revanche, est la question de savoir si l'employeur peut, lui aussi, se prévaloir d'une violation de la même disposition pour contester, par la voie du recours de droit public, une décision cantonale qui ne le satisfait pas. En effet, contrairement au salarié, l'employeur n'est pas titulaire du droit individuel créé par l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. Aussi sa qualité pour recourir ne semble-t-elle pas évidente de prime abord. A y regarder de plus près, elle doit pourtant être admise.
De fait, la situation résultant de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. est à ce point singulière qu'il est impossible de la ranger dans l'une ou l'autre des catégories utilisées par la doctrine pour classer les arrêts du Tribunal fédéral touchant la qualité pour recourir (au sujet de ces catégories, cf. par ex.: AUER, La juridiction constitutionnelle en Suisse, nos 369 ss; KÄLIN, op.cit., p. 230 ss; ROUILLER, La protection de l'individu contre l'arbitraire de l'Etat, in: RDS 106 (1987), II, p. 368 ss). Sa particularité tient à ce qu'une personne - l'employeur - s'en prend à une décision dont elle est le destinataire direct, sinon exclusif, mais en invoquant, à titre principal, la violation d'un droit constitutionnel dont elle n'est pas titulaire. On ne se trouve donc ici ni dans l'hypothèse où le recourant n'est qu'indirectement visé par la décision attaquée (cas du voisin ou du concurrent), ni dans celle
BGE 113 Ia 107 S. 113
où il ne soulève qu'à titre accessoire le grief de violation d'un autre droit constitutionnel qui, par sa nature, ne le protège pas (sur ce dernier point, cf. ROUILLER, op.cit., p. 297, à propos de l'autonomie communale). Dès lors, eu égard à la spécificité du droit constitutionnel découlant de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., la question de la qualité pour recourir de l'employeur qui invoque la violation d'un tel droit ne saurait être réglée à la lumière des principes jurisprudentiels ordinairement applicables en la matière. Ces principes se rapportent, en effet, aux cas usuels où le recourant allègue une atteinte à un droit constitutionnel, causée par l'application de normes de rang inférieur à la Constitution. On conçoit sans peine qu'en pareille hypothèse la jurisprudence exige que le recourant entre dans le champ de protection de la garantie constitutionnelle spéciale dont il se prévaut. Tout autre est la situation de l'employeur qui se voit imposer une prestation en vertu de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., puisque l'on a alors affaire à un citoyen qui est directement touché dans ses intérêts personnels par l'application à son encontre d'une règle constitutionnelle. Il est normal, dans un tel cas, que ce citoyen puisse faire valoir, par la voie du recours de droit public, que l'atteinte portée à ses intérêts privés résulte d'une violation de ladite règle, nonobstant le fait qu'il n'est pas titulaire du droit constitutionnel créé par celle-ci. Ce n'est là que la conséquence logique à tirer, sur le plan procédural, de l'effet horizontal direct qui caractérise l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. et qui en fait, outre un droit constitutionnel, une règle de droit privé. Or, par essence, une règle de ce type concerne nécessairement les deux parties au rapport de droit qu'elle régit. L'une et l'autre sont donc habilitées à en critiquer l'application en recourant contre le prononcé judiciaire qui lèse prétendument leurs intérêts personnels. Cette faculté n'est pas l'apanage du sujet actif du droit litigieux, en d'autres termes de celui qui possède la qualité pour agir (Aktivlegitimation); elle appartient aussi au sujet passif de ce droit, c'est-à-dire à celui qui a qualité pour défendre (Passivlegitimation). S'agissant, comme en l'espèce, d'un rapport contractuel, le droit d'invoquer, dans le cadre d'un recours cantonal ou fédéral, la violation d'une règle à laquelle ce rapport est soumis doit dès lors être reconnu non seulement au titulaire de la prétention (Anspruch) déduite de ladite règle, soit au créancier, mais également à celui qui a été actionné sur cette base, soit au débiteur. Du fait qu'il s'incorpore aux dispositions du Code des obligations relatives au contrat de travail, l'art. 4 al. 3e phrase, Cst. ouvre ainsi la voie du recours
BGE 113 Ia 107 S. 114
de droit public à l'employeur, puisque ce dernier, en raison de l'effet horizontal produit par cette norme, est directement touché dans ses intérêts pécuniaires par l'application à son encontre du droit constitutionnel que la disposition précitée confère à son cocontractant.
Au demeurant, il serait illogique de ne pas entrer en matière sur un recours de droit public pour violation de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., formé par un employeur, alors que cet employeur pourrait valablement saisir le Tribunal fédéral du même grief par la voie du recours en réforme, pour peu que la valeur litigieuse soit égale ou supérieure à 8'000 francs.
Quant à exiger de l'employeur qu'il fonde son recours sur l'
art. 4 al. 1 Cst.
, en invoquant une application arbitraire de la règle de droit privé énoncée par l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., cela reviendrait à instaurer une inégalité de traitement entre les parties à la même procédure. En effet, si toutes deux déposaient simultanément un recours de droit public, en y alléguant une violation de la dernière disposition citée, le Tribunal fédéral devrait examiner librement le grief soulevé par le travailleur (voir lettre c) ci-dessus), tandis qu'il ne pourrait revoir que sous l'angle de l'arbitraire le même grief formulé par l'employeur.
En définitive, pour toutes les raisons qui viennent d'être exposées, seule apparaît satisfaisante la solution consistant à permettre tant à l'employeur qu'au salarié de former un recours de droit public fondé sur l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. Aussi convient-il de l'adopter. La recevabilité du présent recours étant ainsi démontrée, il y a lieu d'en venir à l'analyse des griefs d'ordre matériel articulés par les recourants.
2.
Sur le fond, la cour cantonale, à la différence du Tribunal de prud'hommes, a jugé qu'il y avait eu, en l'espèce, violation de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., du fait que l'intimée n'avait touché que 2'500 francs, alors qu'un comédien, professionnel comme elle, qui s'était vu confier un rôle d'importance équivalente, avait reçu 4'000 francs, à l'instar de ses autres collègues masculins.
A l'encontre de cette argumentation, les recourants contestent, en premier lieu, toute intention discriminatoire de leur part. Ils critiquent, ensuite, les modalités de la comparaison à laquelle s'est livré le Tribunal cantonal pour dire que les rôles pris en considération étaient d'importance équivalente et font valoir, enfin, que
BGE 113 Ia 107 S. 115
l'inégalité de rémunération alléguée par l'intimée ne résulte pas d'une discrimination à raison du sexe.
3.
En l'espèce, la différence de rémunération entre l'intimée et ses collègues masculins est avérée et n'est d'ailleurs pas niée par les recourants. Il ressort en outre des constatations de fait que l'activité de la comédienne était pour ainsi dire identique à celle des comédiens jouant un rôle quantitativement comparable. Point n'est dès lors besoin de rechercher si l'on a affaire à des activités distinctes, mais de valeur égale, lesquelles entrent aussi dans le champ d'application de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. (cf. à ce sujet: G. AUBERT, L'égalité des sexes dans le domaine du travail, rapport présenté au colloque de Martigny des 7, 8 et 9 mai 1987 sur l'égalité des sexes, p. 25; BERENSTEIN, Der Lohn für gleichwertige Arbeit, in: RJB 120 (1984), p. 494; CAMPICHE, op.cit., no 289; HAEFLIGER, op.cit., p. 110).
Les recourants contestent en vain l'égalité des activités comparées et l'égalité de leur valeur, en se référant à l'importance qualitative et non pas quantitative des rôles. Sans doute peut-il être tenu compte d'une différence qualitative existant entre les rôles pour fixer une rémunération différente entre acteurs et actrices. Une telle différence n'a toutefois pas été établie en l'espèce. Ce qui a justifié, aux yeux des recourants, la différence de rémunération incriminée, c'est le fait que l'intimée avait été engagée pour remplacer une comédienne semi-professionnelle moins bien payée que les acteurs professionnels, et cela alors que le budget de la pièce était déjà arrêté et qu'il n'était pas extensible. Les faits constatés par la cour cantonale ne permettent pas non plus d'admettre que le choix de comédiennes semi-professionnelles, à côté des comédiens professionnels, aurait été dicté par la considération que les rôles tenus par les premières n'étaient pas aussi importants qualitativement que ceux joués par les seconds. On ne saurait en effet déduire de la seule existence de comédiens semi-professionnels que les rôles assumés par ces comédiens sont nécessairement ou logiquement moins importants. Une volonté du metteur en scène d'attribuer les rôles importants aux professionnels et les rôles secondaires de même durée et de même ampleur aux semi-professionnels, telle qu'elle est alléguée par les recourants, n'a pas davantage été établie. Dans ces conditions, on ne peut pas reprocher à la cour cantonale d'avoir apprécié l'équivalence des activités des comédiens sur la base de données quantitatives, soit au vu du nombre de scènes et de répliques que comportaient les rôles
BGE 113 Ia 107 S. 116
tenus respectivement par l'intimée et par un collègue acteur.
4.
a) L'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. ne garantit que l'égalité de salaire entre hommes et femmes. Il ne trouve pas application lorsqu'il s'agit de comparer le travail fait uniquement par des hommes ou uniquement par des femmes. La règle constitutionnelle ne vise ainsi qu'à interdire une discrimination entre les sexes en matière de rémunération (G. AUBERT, op.cit., p. 21; CAMPICHE, op.cit., no 293; HAEFLIGER, op.cit., p. 107; KRON, Bedeutung und Problematik des Gleichberechtigungsartikels für die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, in: RSJ 78 (1982), p. 122; PLATZER, Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, in: RSJ 80 (1984), p. 302; REHBINDER, n. 7 ad art. 322; STAEHELIN, n. 21a ad art. 322; SUTTER, op.cit., p. 122; VISCHER, n. 7 ad art. 358). Toutes les formes de discrimination à raison du sexe du travailleur - discrimination directe (ouverte) ou indirecte (déguisée) - tombent sous le coup de cette interdiction (MAHRER, op.cit., p. 9/10, à propos de cette distinction). Au demeurant, il n'est pas nécessaire qu'une telle discrimination soit intentionnelle (HANGARTNER, op.cit., p. 191), ni même qu'elle constitue le motif exclusif de l'inégalité de traitement (SUTTER, op.cit., p. 125 en haut). Le principe de l'égalité de rémunération doit être respecté indépendamment des mobiles et intentions de l'employeur.
Des différences de salaire entre hommes et femmes, pour un travail identique ou de même valeur, ne violent cependant pas la garantie constitutionnelle de l'égalité de rémunération, si elles reposent sur des motifs objectifs tels que l'âge, l'ancienneté, les charges familiales, l'expérience, le degré de qualification, les risques, etc. (CAMPICHE, op.cit., no 292; HAEFLIGER, op.cit., p. 110; HEGNER, Salaire égal pour un travail de valeur égale, Zurich 1981, p. 11; KRON, op.cit., ibid.; PLATZER, op.cit., ibid.; REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, p. 57, et n. 7 ad art. 322; STAEHELIN, n. 21 et 21c ad art. 322; SUTTER, op.cit., p. 124/125; VISCHER, n. 8 ad art. 358). Ce sont là des raisons touchant aux prestations ou à la personne du travailleur. Mais il est d'autres circonstances objectives, elles aussi étrangères à toute considération fondée sur le sexe, qui peuvent justifier une entorse au principe de l'égalité de rémunération, lors même qu'elles n'ont pas trait à la personne ou à l'activité du travailleur. Ce peut être le cas, pour ne citer qu'un seul exemple, de la situation conjoncturelle, qui peut avoir une incidence au moment de l'embauche de personnel nouveau. Ainsi, des
BGE 113 Ia 107 S. 117
différences de salaire, dues à l'évolution de la conjoncture, sont en principe compatibles, du moins temporairement, avec le droit à l'égalité de rémunération, puisqu'elles ne sont aucunement liées au sexe des travailleurs concernés (HEGNER, op.cit., p. 27/28). La prudence est toutefois de mise dans ce domaine, car les motifs avancés pour expliquer une inégalité de traitement entre travailleurs masculins et féminins peuvent ne servir en réalité qu'à masquer une discrimination à raison du sexe, surtout lorsqu'ils se rapportent à des circonstances extérieures à la personne ou à l'activité du travailleur. Aussi convient-il d'exiger de l'employeur qui invoque de tels motifs qu'il en établisse clairement l'existence (
art. 8 CC
) et, s'il n'y parvient pas, de lui faire supporter les conséquences de l'échec de la preuve sur ce point.
b) Appliqués au cas particulier, ces principes conduisent à rejeter l'opinion de la cour cantonale, selon laquelle les recourants auraient porté atteinte à la garantie constitutionnelle de l'égalité de rémunération en versant à l'intimée un salaire inférieur à celui d'un collègue masculin, pour un travail équivalent.
Il sied d'observer, préliminairement, que la différence de salaire que l'on constate en l'espèce entre les comédiens professionnels et les comédiennes semi-professionnelles n'est pas critiquable au regard de l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst., car elle se fonde sur un facteur objectif touchant à la personne des travailleurs - expérience ou degré de qualification - et non à leur sexe.
Cette prémisse étant posée, il y a lieu de considérer ensuite les circonstances tout à fait spéciales dans lesquelles l'intimée a été engagée pour tenir le rôle de "Jacqueline". Il s'agissait en effet, pour les recourants, de trouver une actrice qui fût capable de remplacer au pied levé la comédienne semi-professionnelle à qui ce rôle avait été confié et qui avait dû se désister pour cause de maladie. Or, l'expérience enseigne qu'en pareille situation, l'urgence de la mesure à prendre est susceptible de modifier les données du problème. De fait, l'employeur qui doit absolument trouver un remplaçant peut être amené à mieux payer celui-ci que la personne à remplacer. A l'inverse, le travailleur peut être tenté d'accepter un emploi à titre de remplaçant à des conditions moins favorables que celles auxquelles sa formation lui permettrait de prétendre, soit qu'il n'ait momentanément pas d'engagement, soit qu'il entende profiter d'une occasion qui se présente au début de sa carrière pour démontrer ses capacités professionnelles.
BGE 113 Ia 107 S. 118
Certes, le remplacement ne constitue pas en soi une circonstance propre à légitimer toute atteinte au droit à l'égalité de rémunération entre hommes et femmes. Aussi ne serait-il pas admissible de traiter différemment, à cet égard, l'acteur professionnel remplaçant un comédien semi-professionnel et l'actrice professionnelle placée dans la même situation. A supposer qu'il dispose des moyens financiers nécessaires, l'employeur ne pourrait pas non plus invoquer un tel motif pour refuser de verser au remplaçant un salaire identique à celui d'un travailleur de l'autre sexe effectuant un travail semblable ou de même valeur, toutes choses étant égales par ailleurs.
Cependant, le cas particulier se distingue de cette dernière hypothèse, puisqu'il est constant que les recourants ont dû procéder au remplacement de l'actrice empêchée dans le cadre d'un budget strict qui ne leur permettait pas d'offrir à l'intimée le même cachet que celui qu'ils avaient proposé à ses collègues masculins. Preuve en est, du reste, le fait que le metteur en scène avait été contraint de prélever 500 francs sur son cachet pour être en mesure de verser à la remplaçante la somme de 2'500 francs stipulée dans le contrat d'engagement.
Il apparaît ainsi que la différence de traitement dont a fait l'objet l'intimée n'était pas liée à des considérations fondées sur le sexe, mais à un facteur objectif, savoir l'obligation de remplacer au plus vite une comédienne semi-professionnelle dans les limites d'un budget donné. Partant, la solution retenue par le Tribunal cantonal, qui ignore cet aspect du problème, viole l'art. 4 al. 2, 3e phrase, Cst. Le recours doit dès lors être admis sur ce point.
5.
L'
art. 343 al. 3 CO
vaut aussi pour la procédure devant le Tribunal fédéral (
ATF 104 II 223
consid. 2). En revanche, il ne dispense pas la partie qui succombe de verser à la partie adverse une indemnité à titre de dépens (
ATF 98 Ia 568
consid. 6c). | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8b2e811f-c829-492e-89da-75bad81724e9 | Urteilskopf
81 I 363
57. Sentenza 18 novembre 1955 nella causa Globus Mantegazza e Albek SA contro Commissione di ricorso del Cantone Ticino in materia d'imposte. | Regeste
Einsprachefrist nach Art. 99 WStB.
1. Als Eröffnung im Sinne von Art. 99 Abs. 1 WStB gilt die ordnungsgemässe Mitteilung. Wann der Pflichtige tatsächlich von der Veranlagung Kenntnis erhält, ist unerheblich (Erw. 2).
2. Landesabwesenheit ist erheblicher Hinderungsgrund im Sinne von Art. 99 Abs. 4 WStB nur, wenn sie während der ganzen Einsprachefrist besteht oder im Laufe dieser Zeit eintritt und bis zum Ende der Frist dauert (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 364
BGE 81 I 363 S. 364
A.-
Il 28 novembre 1952, la ditta Mantegazza & Albek S. A. veniva tassata contemporaneamente per l'imposta per la difesa nazionale, VI periodo, e per l'imposta cantonale 1951. Contro ambedue le tassazioni essa presentava, in data 2 gennaio 1953, un reclamo in cui osservava che il lieve ritardo era dovuto al fatto che le tassazioni le erano state intimate durante l'assenza del suo contabile il quale era stato in viaggio all'estero per due mesi ed era rientrato a Lugano alla vigilia di Natale. L'Amministrazione cantonale delle contribuzioni respingeva i reclami in ordine, argomentando che l'assenza all'estero del contabile di una società anonima non poteva ritenersi sufficiente per giustificare l'applicazione degli art. 99 cp. 4 DIN, risp. 24 cp. 3 LPT.
Contro questa decisione la ditta Mantegazza inoltrava due ricorsi sostanzialmente identici nei quali precisava che il ritardo di quattro giorni nella presentazione del reclamo contro le decisioni di tassazione, spedite il 28 novembre 1952, era imputabile all'assenza contemporanea dei due direttori e membri del consiglio d'amministrazione A. Mantegazza e Albek (rispettivamente dal 24 novembre al 15 dicembre 1952 e dal 23 novembre al 12 dicembre 1952), del capo dei servizi tecnici S. Mantegazza (dal principio di novembre al 24 dicembre 1952) e del contabile Brenta (dal 24 novembre al 24 dicembre 1952). Durante quel periodo la ditta non aveva svolto attività alcuna.
Con decisione 15 luglio 1955, la Commissione cantonale di ricorso in materia di imposte respingeva i ricorsi, considerando in sostanza quanto segue: E'pacifico che le tassazioni sono state spedite il 28 novembre e occorre dunque ammettere che sono giunte alla ditta il 29 novembre 1952. Poichè il primo giorno di decorrenza del termine di reclamo era una domenica, detto termine è scaduto il 30 dicembre 1952, con il risultato che i reclami 2 gennaio 1953 sono tardivi. Solo qualora l'interessata fosse stata impedita di presentare il reclamo da uno dei motivi previsti nell'art. 99 cp. 4 DIN risp. 24 cp. 3 LPT, il ritardo
BGE 81 I 363 S. 365
sarebbe scusabile. In concreto, tale non può essere il caso per l'invocata assenza dal paese, giacchè uno dei direttori è tornato in patria il 12 dicembre e gli altri responsabili della ditta sono tornati il 24 dicembre 1952 al più tardi. Per il rimanente, il termine di reclamo non comincia a decorrere - come vorrebbe la ditta - dal giorno in cui il contribuente ha avuto conoscenza della decisione, bensì da quello in cui questa gli è stata regolarmente notificata.
B.-
La ditta Mantegazza ha interposto, nella misura in cui la decisione della Commissione cantonale di ricorso riguarda l'imposta per la difesa nazionale, un ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale, chiedendo che la decisione querelata sia annullata, il reclamo 2 gennaio 1953 venga considerato tempestivo e la causa sia rinviata per giudizio sul merito all'autorità cantonale. Essa allega essenzialmente quanto segue: La legge non prescrive che l'impedimento debba esistere il giorno in cui scade il termine, ma ammette l'assenza dal paese quale impedimento senza precisazioni di sorta circa il momento in cui si produce. Come già risulta dalla circostanza che in caso d'impedimento viene concesso un nuovo termine di 30 giorni a contare dalla sua cessazione, scopo del termine di 30 giorni è di lasciare al contribuente tempo sufficiente per la riflessione. Ora è indiscutibile che tutti i responsabili della ditta furono assenti all'estero e che il primo ritorno in patria avvenne il 12 dicembre 1952, cosicchè fino a questa data la ditta non è stata in grado di agire. Una tassazione ricevuta durante l'assenza di tutti gli impiegati responsabili della ditta non può equamente essere considerata notificata, in quanto la notificazione deve ritenersi regolarmente avvenuta unicamente dal giorno in cui il destinatario ne ha avuto conoscenza, non da quello in cui la tassazione è stata consegnata alla posta. La decisione rappresenta comunque una disparità di trattamento contraria all'art. 99 cp. 4 DIN, poichè tratta evidentemente meglio il contribuente che si allontani
BGE 81 I 363 S. 366
dal paese il giorno prima della scadenza del termine di reclamo che il contribuente il quale, per motivi di forza maggiore, ha conoscenza della notificazione solo dopo 14 giorni dalla data della stessa.
C.-
La Commissione cantonale di ricorso e l'Amministrazione federale delle contribuzioni concludono per la reiezione del gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
...
2.
Giusta l'art. 99 cp. 1 DIN, il reclamo dev'essere inoltrato entro 30 giorni dalla notificazione della tassazione. Secondo la pratica costante del Tribunale federale, per la notificazione non è determinante il giorno in cui l'interessato ha avuto conoscenza della decisione, bensì quello della comunicazione regolare (sentenza inedita 25 giugno 1948 nella causa Maggini, consid. 2, e sentenze ivi citate). E'bensì vero che le altre sentenze citate in questa causa non riguardano il termine per inoltrare reclamo in materia d'imposta per la difesa nazionale. Tuttavia, la medesima pratica vigeva già mentre era ancora in vigore l'art. 178, cifra 3, della vecchia legge sull'organizzazione giudiziaria, secondo cui il termine di ricorso decorreva "dalla notificazione o comunicazione della decisione". Nella causa Maggini, essa è poi stata confermata per ciò che concerne il termine di reclamo in materia d'imposta per la difesa nazionale.
Comunque, l'opinione della ricorrente che il termine comincerebbe a decorrere soltanto dal giorno in cui il contribuente ha avuto conoscenza della tassazione non trova conforto alcuno nel DIN, in particolare non può essere fondata sull'art. 99 cp. 4 DIN dato che questo disposto si limita a disciplinare i casi di restituzione in intero. Certo, esso prevede un secondo termine di reclamo di 30 giorni dal momento in cui sono cessati gli impedimenti; tuttavia, ciò non significa che il legislatore abbia voluto concedere in ogni caso un periodo ininterrotto di 30 giorni per la riflessione e l'elaborazione del reclamo.
BGE 81 I 363 S. 367
Occorre al contrario ammettere che il termine ordinario - non meno di quello supplementare - è stato fissato in modo da bastare anche nell'ipotesi in cui non possa essere utilizzato interamente a causa di un impedimento temporaneo.
In concreto, la decisione di tassazione è stata spedita da Bellinzona il 28 novembre 1952, cosicchè la ricorrente l'ha ricevuta il 29 novembre al più tardi. Tale notificazione, avvenuta per lettera semplice, dev'essere ritenuta regolare, in quanto l'invio mediante lettera raccomandata non è prescritto. Ne consegue che il termine di reclamo ha cominciato a decorrere il giorno successivo a quello della notificazione, e cioè il 30 novembre. Poichè il termine legale è in tali circostanze scaduto il 29 dicembre, il reclamo 2 gennaio 1953 è effettivamente tardivo di 4 giorni, come la ricorrente stessa ha ammesso in sede cantonale.
Fondandosi sul testo italiano dell'art. 99 cp. 2 DIN, secondo cui il termine comincia il giorno "feriale" successivo a quello della notificazione, l'autorità cantonale ha invero fissato al 10 dicembre 1952 il primo giorno di decorrenza del termine di reclamo. Senonchè, nè il testo tedesco nè quello francese prevedono che l'inizio della decorrenza del termine di reclamo debba essere differito di un giorno se quello successivo alla data di notificazione cade in domenica. Di conseguenza, occorre ritenere che nel testo italiano è incorso un errore di traduzione, che - se è privo di importanza per il giudizio della presente causa - deve cionondimeno essere rilevato.
3.
In virtù dell'art. 99 cp. 4 DIN è possibile entrare nel merito di reclami tardivi unicamente qualora il contribuente sia stato impedito di agire in tempo utile da uno dei motivi in esso indicati. In concreto, la ricorrente, dopo aver esposto nel reclamo che il ritardo era dovuto all'assenza all'estero del contabile, ha successivamente ravvisato l'impedimento nella contemporanea assenza di tutti i suoi impiegati responsabili.
A.- questo riguardo, non occorre qui esaminare se il
BGE 81 I 363 S. 368
reclamo non avrebbe eventualmente potuto essere interposto da altri impiegati della ditta, presenti a Lugano. Determinante è infatti la circostanza incontroversa che i quattro impiegati responsabili non furono assenti durante tutto il periodo di decorrenza del termine di reclamo. Poichè i due direttori tornarono il 12 rispettivamente il 15 dicembre e il capo dei servizi tecnici nonchè il contabile tornarono il 24 dicembre 1952, è evidente che la ricorrente non è stata impedita di presentare il reclamo dall'assenza dei suoi impiegati responsabili, il che è necessario per la restituzione in intero contro il lasso dei termini. Soltanto quando sussista per tutto il periodo di reclamo o si produca inopinatamente durante questo periodo e duri fino alla decorrenza del termine, l'assenza dal paese costituisce un impedimento nel senso dell'art. 99 cp. 4 DIN (sentenza inedita 25 febbraio 1949 nella causa Revaclier, consid. 2). Anche in materia di restituzione vale infatti il principio che il DIN non concede al contribuente un termine ininterrotto di 30 giorni per la riflessione; al contrario proprio il disposto dell'art. 99 cp. 4 DIN dimostra che gli impedimenti temporanei sono compresi nel termine e che la restituzione è ammissibile soltanto se il contribuente non è stato in grado di agire in tempo utile.
Nè giova alla ricorrente pretendere che tale interpretazione dell'art. 99 cp. 4 DIN comporterebbe una disparità di trattamento del contribuente che ha avuto conoscenza della tassazione solo verso la fine del termine di reclamo rispetto a quello che parte per l'estero pochi giorni prima della scadenza. Il trattamento diverso dei due casi si giustifica infatti per il motivo che chi è assente all'inizio del termine può ancora provvedere alla presentazione del reclamo una volta cessato l'impedimento, ciò che non è invece possibile per il contribuente il quale deve inopinatamente partire verso lo scadere del termine. Poichè solo fino al 12 dicembre 1952 la ricorrente non fu in grado di inoltrare il reclamo ed essa ancora avrebbe potuto farlo fino al 29 dicembre, giustamente l'autorità cantonale
BGE 81 I 363 S. 369
non è entrata nel merito del reclamo 2 gennaio 1953, che era tardivo.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8b2f68e7-2ae5-496a-b010-e215485e4439 | Urteilskopf
103 II 6
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. März 1977 i.S. W. gegen W. | Regeste
Scheidung von Ausländern in der Schweiz;
Art. 7h NAG
.
Scheidungsklage einer in der Schweiz wohnenden Niederländerin gegen ihren in Mexiko weilenden deutschen Ehemann.
1. Ob die Ehefrau einen selbständigen, von ihrem Ehemann unabhängigen Wohnsitz besitzt, beurteilt sich nach schweizerischem Recht (E. 1).
2. Anerkennung des schweizerischen Scheidungsgerichtsstandes durch die Niederlande, wenn die Ehegatten in der Schweiz geheiratet haben und hier bis zur Abreise des Ehemannes nach Mexiko ihren einzigen gemeinsamen Wohnsitz hatten (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 103 II 6 S. 7
Der deutsche Staatsbürger (BRD) Peter W. und die niederländische Staatsangehörige Lina S. heirateten am 7. Oktober 1966 in Affoltern am Albis/ZH. Die Ehefrau behielt ihre niederländische Staatsangehörigkeit auch nach der Heirat bei. Ihren ersten und einzigen ehelichen Wohnsitz begründeten die Eheleute in Affoltern am Albis. Im Sommer 1974 verliess der Ehemann die Schweiz, um sich in Mexiko niederzulassen, wo er heute noch lebt.
Am 12. Juni 1975 machte die Ehefrau beim Bezirksgericht Affoltern die Scheidungsklage anhängig. Der Ehemann liess durch seinen Vertreter die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestreiten. Mit Entscheid vom 24. März 1976 hiess das Bezirksgericht Affoltern die Einrede des Beklagten gut und wies die Klage von der Hand. Es nahm an, die Klägerin habe den nach
Art. 7h NAG
erforderlichen Nachweis, dass ihr Heimatstaat, die Niederlande, den schweizerischen Scheidungsgerichtsstand anerkenne, nicht erbringen können; unter diesen Umständen könne die Frage, ob die Klägerin in der Schweiz überhaupt Wohnsitz habe, offen bleiben.
Gegen den Entscheid des Bezirksgerichtes Affoltern reichten beide Parteien Rekurs an das Obergericht des Kantons Zürich ein, die Klägerin mit dem Antrag, die Scheidungsklage
BGE 103 II 6 S. 8
sei an die Hand zu nehmen, und der Beklagte mit dem Begehren, es sei die ihm zugesprochene Prozessentschädigung zu erhöhen.
Das Obergericht vereinigte beide Rekurse in einem Verfahren. Es gab der Klägerin auf, sich über ihre Staatsangehörigkeit auszuweisen. In Erfüllung dieser Auflage reichte die Klägerin einen Nationalitätsnachweis des niederländischen Generalkonsulats Zürich ein.
Mit Entscheid vom 5. Juli 1976 hiess das Obergericht den Rekurs der Klägerin gut und wies die erste Instanz an, auf die Scheidungsklage einzutreten und sie materiell zu behandeln. Den Rekurs des Beklagten betreffend Prozessentschädigung schrieb es als gegenstandslos geworden ab. Aus der Begründung des Entscheids ergibt sich, dass das Obergericht sowohl den schweizerischen Wohnsitz der Klägerin bejahte als auch annahm, der schweizerische Scheidungsgerichtsstand und der geltend gemachte Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung würden von den Niederlanden als dem Heimatstaat der Klägerin anerkannt.
Gegen diesen Entscheid hat der Beklagte eine Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich und eine Berufung an das Bundesgericht eingereicht. Das Kassationsgericht wies die Nichtigkeitsbeschwerde mit Entscheid vom 21. Dezember 1976 im Sinne der Erwägungen ab, soweit es auf sie eintrat.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Ein ausländischer Ehegatte kann nach
Art. 7h Abs. 1 NAG
in der Schweiz auf Scheidung klagen, wenn er hier Wohnsitz hat und wenn er nachweist, dass nach Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat der geltend gemachte Scheidungsgrund zugelassen und der schweizerische Gerichtsstand anerkannt ist. Erste Voraussetzung für die Anhandnahme der Scheidungsklage bildet somit, dass die Klägerin, welche die niederländische Staatsbürgerschaft besitzt, im Zeitpunkt der Anhängigmachung der Scheidungsklage Wohnsitz in der Schweiz hatte. Diese Frage ist nach schweizerischem Recht zu entscheiden (
BGE 83 II 496
E. 2; STAUFFER, Praxis zum NAG, N. 6 zu Art. 7h; Kommentar BÜHLER, N. 148 der
BGE 103 II 6 S. 9
Einleitung zum 4. Titel des ZGB). Die Wohnsitzfrage ist allerdings dort auch noch nach dem ausländischen Heimatrecht des klagenden Ehegatten zu beurteilen, wo dieses die Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes davon abhängig macht, dass ein Wohnsitz in der Schweiz nach seinem eigenen Wohnsitzbegriff vorhanden war (
BGE 83 II 496
E. 2; STAUFFER, N. 7 zu
Art. 7h NAG
; BÜHLER, N. 148 der Einleitung; FRANK VISCHER, Internationales Privatrecht, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. I, S. 543).
Ob die Klägerin anlässlich der Anhängigmachung der Scheidungsklage ihren Wohnsitz in Affoltern am Albis hatte, hängt nach
Art. 25 ZGB
davon ab, ob sie damals berechtigt war, vom Beklagten getrennt zu leben, - eine Frage, die sich nach
Art. 170 ZGB
beurteilt. Nur in diesem Fall verfügte sie über einen selbständigen, von ihrem Ehemann unabhängigen Wohnsitz. Es ist daher vorerst zu prüfen, ob eine der in
Art. 170 Abs. 1 ZGB
geregelten Voraussetzungen zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes erfüllt war.
In der Literatur wird zwar vereinzelt die Meinung vertreten, die Frage, ob eine Ehefrau einen vom Ehemann abhängigen Wohnsitz besitze oder einen solchen selbständiger Art begründen könne, müsse richtigerweise nach dem auf die persönlichen Wirkungen der Ehe anwendbaren materiellen Recht beurteilt und nicht einfach nach der schweizerischen lex fori entschieden werden (VISCHER, a.a.O. S. 543/544; BUCHER, N. 35 zu
Art. 25 ZGB
). Diese Auffassung würde dazu führen, dass die Frage des schweizerischen Domizils von Personen mit abhängigem Wohnsitz unter Zuhilfenahme des ausländischen Rechtes beurteilt werden müsste. Ein solcher Rückgriff auf ausländisches Recht würde die einheitliche Anknüpfung des Wohnsitzes an das schweizerische Recht aufspalten und ist abzulehnen. Die Auffassung wäre auch nicht mit dem Text von
Art. 7h NAG
zu vereinbaren, dem ein einheitlicher Wohnsitzbegriff, nämlich jener des schweizerischen Rechts, zugrunde liegt.
(2. und 3.: Prüfung der Frage des Wohnsitzes)
4.
Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung für die Anhandnahme der Scheidungsklage bringt der Beklagte vor, im angefochtenen Urteil werde zu Unrecht angenommen, dass der schweizerische Gerichtsstand von den Niederlanden anerkannt werde; die niederländische Anerkennungspraxis sei für
BGE 103 II 6 S. 10
einen Fall wie den vorliegenden zu wenig eindeutig und lasse daher die von der Vorinstanz gezogene Schlussfolgerung nicht zu.
a) Es steht unbestrittenermassen fest, dass die Klägerin die niederländische und der Beklagte die (west) deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Entsprechend der im Jahre 1968 erfolgten Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung braucht der von
Art. 7h NAG
geforderte Nachweis nur für das Heimatrecht der Klägerin geleistet zu werden (
BGE 94 II 65
ff.). Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass zwischen den Niederlanden und der Schweiz kein zwischenstaatliches Abkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen besteht und dass auch das Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1. Juni 1970, das für die Schweiz am 17. Juli 1976 in Kraft getreten ist, im Verhältnis zu den Niederlanden mangels Ratifikation durch diesen Staat nicht gilt (AS 1976 S. 1546 ff., insbes. S. 1554). Die Frage der Anerkennung des schweizerischen Scheidungsgerichtsstandes ist daher allein auf Grund des niederländischen Rechts zu beurteilen. Obwohl das Bundesgericht die Anwendung ausländischen Rechts sonst nicht überprüft, fällt diese sich unmittelbar aus
Art. 7h NAG
ergebende Frage in seine Prüfungsbefugnis (
BGE 100 II 264
f.). Im soeben zitierten Entscheid ist lediglich offen gelassen worden, ob das Bundesgericht auch die Frage der Zulassung des angerufenen Scheidungsgrundes durch das ausländische Heimatrecht des Klägers prüfen könne.
b) Da die niederländische Gesetzgebung keine Regeln über die Anerkennung ausländischer Urteile enthält (so BERGMANN/FERID, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Die Niederlande, 54. Lieferung, S. 21; vgl. auch KOKKINI-IATRIDOU/VERHEUL, Les effets des jugements et sentences étrangers aux Pays-Bas, in: Netherlands reports to the VIIIth international congress of comparative law, Pescara 1970, S. 130/131 und 153 ff.), ist die Frage der Anerkennung des schweizerischen Scheidungsgerichtsstandes auf Grund des in den Niederlanden herrschenden Gerichtsgebrauchs zu prüfen, wie dies
Art. 7h Abs. 1 NAG
denn auch ausdrücklich vorsieht. Dabei ist naturgemäss vor allem auf die höchstrichterlichen Entscheidungen, die Urteile des "Hoge Raad", abzustellen. In der Berufungsschrift wird geltend gemacht, es fehle an einem
BGE 103 II 6 S. 11
eindeutigen Entscheid dieses höchsten niederländischen Gerichts, aus dem sich die Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils in einem Fall wie dem vorliegenden ergebe; der Entscheid des "Hoge Raad" vom 24. Mai 1968, auf den die Vorinstanz abgestellt habe, beruhe auf einem andern Sachverhalt als dem hier in Frage stehenden; es müsse deshalb auf die Rechtsprechung abgestellt werden, wie sie bis zur Fällung dieses Entscheides bestanden habe.
In den Verwaltungsentscheiden der Bundesbehörden der Jahre 1962-1963 (Nr. 67, S. 141) wurde der damalige Stand der niederländischen Rechtsprechung bezüglich der Scheidung von Ehen zwischen einem niederländischen Ehegatten und einem solchen anderer Nationalität dahin wiedergegeben, dass ein ausländisches Scheidungsurteil in den Niederlanden dann anerkannt wird, wenn es im ausländischen Heimatstaat des nicht-niederländischen Ehegatten gefällt worden ist, und zwar unabhängig davon, ob die Scheidung aus einem dem niederländischen Recht unbekannten Grund ausgesprochen wurde. Bis zum Jahre 1965 war die höchstrichterliche Rechtsprechung in den Niederlanden nicht über den angegebenen Stand hinaus gelangt. Noch in einem Entscheid vom 9. Dezember 1965 hatte der "Hoge Raad" aus den ungeschriebenen Grundsätzen des niederländischen internationalen Privatrechts abgeleitet, dass eine ausländische Scheidung in den Niederlanden anzuerkennen sei, "die einer der Ehegatten in seinem eigenen Land erwirkt hat, in dem er wohnt und zu dem er auch durch seine Nationalität gehört" (H.-F. THOMAS, Die Anerkennung ausländischer, insbesondere deutscher Scheidungsurteile in den Niederlanden, in Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 33. Jahrg., 1969, S. 742; KOKKINI-IATRIDOU/VERHEUL, a.a.O. S. 153 und 164).
Das von der Vorinstanz zitierte Urteil des "Hoge Raad" vom 24. Mai 1968 geht nun aber einen entscheidenden Schritt weiter (vgl. dessen Wiedergabe im Bericht von G. CZAPSKI über die "Niederländische Rechtsprechung zum internationalen Privat- und Prozessrecht 1965-1968" in RabelsZ, Jahrg. 34, 1970, S. 92/93, Nr. 17, sowie bei KOKKINI-IATRIDOU/VERHEUL, a.a.O. S. 153 f.). Diesem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Amerikaner und eine Niederländerin hatten in Indiana (USA) geheiratet. Bereits drei Wochen später liessen sie sich auf ihrer Hochzeitsreise in
BGE 103 II 6 S. 12
Mexiko scheiden. Die Ehefrau hatte durch die Heirat weder die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben noch die niederländische verloren. Als sie eine zweite Ehe eingehen wollte, wurde das Mexikanische Scheidungsurteil vom niederländischen Zivilstandsbeamten nicht anerkannt. Der "Hoge Raad" hob ein die Nichtanerkennung bestätigendes Urteil eines unteren Gerichts auf und wies die Sache zur Abklärung des Wohnsitzes der Ehefrau im Zeitpunkt der Anhebung der Scheidungsklage an die untere Instanz zurück. Er erwog, dass das mexikanische Urteil nicht anerkannt werden könnte, wenn die Ehefrau ihren Wohnsitz noch in den Niederlanden gehabt haben sollte; der niederländische ordre public lasse es nicht zu, dass Eheleute, von denen jedenfalls einer enge Beziehungen zu den Niederlanden habe - was bei der Ehefrau mit dem Zusammenfallen von Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der Fall wäre - sich freiwillig der Rechtsprechungsbefugnis eines ausländischen Scheidungsrichters unterstellten. Habe die Ehefrau jedoch damals in Indiana gewohnt, könnte von einer solch engen Bindung zu den Niederlanden nicht die Rede sein. In einer ergänzenden Untersuchung müsse daher abgeklärt werden, ob die Ehefrau ihren Wohnsitz in den Niederlanden oder in Indiana gehabt oder ob sie damals allenfalls über gar keinen Wohnsitz verfügt habe; im letzten Fall müsste die Anerkennung des mexikanischen Urteils im Staat Indiana ebenfalls zu dessen Anerkennung in den Niederlanden führen, denn es sei offensichtlich, dass, wenn eine der Parteien die amerikanische Staatsbürgerschaft besitze und im Staate Indiana wohne, währenddem die andere niederländischer Nationalität sei und weder in den Niederlanden noch im Staate Indiana über einen Wohnsitz verfüge, die Ehe der Parteien, die im Staate Indiana geschlossen worden sei, wesentlich mehr Beziehungen zu diesem Staat aufweise als zu den Niederlanden.
Aus diesem Urteil ergibt sich, dass die niederländische Staatsangehörigkeit eines der Ehegatten der Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils in den Niederlanden nur dann zwingend entgegensteht, wenn die Ehe zu diesem Staat entsprechend enge Beziehungen aufweist; das ist insbesondere der Fall bei Wohnsitz des niederländischen Gatten in den Niederlanden. Haben die Eheleute im Lande, wo die Scheidung ausgesprochen worden ist, keinen Wohnsitz gehabt,
BGE 103 II 6 S. 13
wird für die Anerkennung des Scheidungsurteils massgebend darauf abgestellt, ob dieses Urteil im Staat, zu welchem die Ehe ihre engsten Beziehungen aufweist, anerkannt wird (vgl. auch H.-F. THOMAS, a.a.O. S. 745 f.). So ist von unteren niederländischen Gerichten vor allem schon darauf abgestellt worden, ob das Recht am Ort des letzten gemeinsamen Wohnsitzes der Eheleute die Scheidung zulässt oder eine andernorts ausgesprochene Scheidung anerkennt (KOKKINI-IATRIDOU/VERHEUL, a.a.O. S. 165). Die soeben zitierten Autoren bezeichnen ein solches von ihnen näher besprochenes Urteil des Gerichtes von Arnhem vom 20. Januar 1955 in gewissem Sinne als Vorläufer des Urteils des "Hoge Raad" vom 24. Mai 1968. Sie selber sprechen sich ganz allgemein für die Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile aus, die von einem international gesehen annehmbaren Richter gefällt worden und in einem normalen Verfahren ergangen sind ("prononcés par un juge internationalement acceptable et suivant une procédure régulière", a.a.O. S. 166).
c) Auf Grund des zitierten Urteils des "Hoge Raad" vom 24. Mai 1968 und des von ihr eingeholten Berichtes der Eidgenössischen Justizabteilung vom 8. Juni 1976, wonach diese höchstrichterliche Rechtsprechung auch heute noch massgebend ist, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von
Art. 7h Abs. 1 NAG
davon ausgehen, dass die Niederlande den schweizerischen Scheidungsgerichtsstand in einem Fall wie dem vorliegenden anerkennen. Wenn man von der niederländischen Staatsbürgerschaft der Klägerin absieht, weist die Ehe der Parteien keinerlei nähere Beziehung zu diesem Staat auf. Das Gleiche trifft im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland zu, deren Bürger der Beklagte ist. Die weitaus engsten Beziehungen bestehen unbestreitbar zur Schweiz, wo die Parteien im Jahre 1966 heirateten und bis zum Wegzug des Beklagten nach Mexiko im Sommer 1974 ununterbrochen wohnten. Das Schwergewicht der Ehe, auf das die niederländische Anerkennungspraxis massgebend abstellt, befindet sich somit eindeutig in der Schweiz als dem Land des langjährigen und weiter andauernden Wohnsitzes der Klägerin sowie des einzigen gemeinsamen Wohnsitzes der Parteien. Auch nach dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1. Juni 1970 (AS 1976 S. 1546 ff.) wären damit die Anerkennungsvoraussetzungen
BGE 103 II 6 S. 14
für ein in der Schweiz gefälltes Scheidungsurteil in doppelter Hinsicht gegeben (gemäss Art. 2 Ziff. 2). Es darf angenommen werden, dass dieser Umstand für eine Anerkennung des schweizerischen Urteils in den Niederlanden nötigenfalls nicht ohne Einfluss wäre, obwohl die Niederlande der erwähnten Übereinkunft bisher nicht angehören (in diesem Sinne KOKKINI-IATRIDOU/VERHEUL, a.a.O. S. 156). Ferner sei darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik Deutschland als Heimatstaat des Beklagten ein schweizerisches Scheidungsurteil unter den gegebenen Umständen ebenfalls anerkennen würde, da die Parteien ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in der Schweiz hatten (vgl. § 606 a Ziff. 2 der Zivilprozessordnung, wiedergegeben bei BERGMANN/FERID, Deutschland, S. 20. Diese Bestimmung wurde durch die Reform des deutschen Ehe- und Familienrechts nicht verändert: Das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976, Gesetzestext, Auszug aus den Materialien und ergänzende Erläuterungen, herausgegeben vom deutschen Bundesministerium für Justiz, S. 63 und 316. Vgl. auch
BGE 93 II 363
/364 mit Zitaten). Auch dieser Umstand wäre zweifellos geeignet, eine Anerkennung des schweizerischen Scheidungsgerichtsstandes durch die Niederlande zu erleichtern, sofern sich dagegen überhaupt Bedenken erheben sollten, was auf Grund des gegenwärtigen Standes der höchstrichterlichen Rechtsprechung kaum denkbar ist.
d) Schliesslich besteht kein Grund zur Annahme, dass die Niederlande die Anerkennung des schweizerischen Scheidungsgerichtsstandes davon abhängig machen würden, ob die Klägerin anlässlich der Anhängigmachung der Scheidungsklage ihren Wohnsitz auch nach dem niederländischen Recht in der Schweiz hatte. Zwar wird in den Niederlanden allgemein jedes ausländische Scheidungsurteil darauf hin geprüft, ob es von einem zuständigen Richter erlassen wurde. Die internationale Zuständigkeit des Gerichts wird dabei aber nach dem Recht des Urteilsstaates und nicht nach niederländischem Recht beurteilt (H.-F. THOMAS, a.a.O. S. 737, und KOKKINI-IATRIDOU/VERHEUL, a.a.O. S. 152 ff. mit Hinweisen). Auch wenn die Prüfung im übrigen nach internationalen Gesichtspunkten vorgenommen werden sollte, wie es die zuletzt genannten Autoren vorschlagen (vgl. a.a.O. S. 155 ff.), müsste die Zuständigkeit der Schweiz bejaht werden. In diesem
BGE 103 II 6 S. 15
Falle wäre nämlich im Sinne von Art. 3 des Haager Übereinkommens vom 1. Juni 1970 auf ein vom Ehemann abhängiges Legaldomizil der Frau, wie es die Schweiz gegenwärtig noch kennt, nicht abzustellen; nach der in diesem Abkommen zum Ausdruck gelangenden Rechtsauffassung soll der Ehemann seiner Frau den eigenen Wohnsitz nicht als Gerichtsstand aufzwingen können (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen, vom 27. August 1975, BBl 1975 S. 1375; vgl. auch F. VISCHER, a.a.O. S. 545).
e) Der Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch den Heimatstaat der Klägerin darf daher als erbracht gelten.
5.
Dass der geltend gemachte Scheidungsgrund von den Niederlanden als dem Heimatstaat der Klägerin anerkannt wird, hat die Vorinstanz auf Grund der neuen niederländischen Scheidungsgesetzgebung bejaht und ist im vorliegenden Verfahren nicht bestritten (vgl. BERGMANN/FERID, Niederlande, S. 26; STAUFFER, N. 18 zu
Art. 7h NAG
, Abschnitt Niederlande; VPB 1973 Nr. 46 S. 47). Auf diese Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage braucht hier somit nicht näher eingegangen zu werden. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8b32c6c0-1c80-4e92-be93-304f0d329505 | Urteilskopf
100 Ib 421
72. Auszug aus dem Urteil vom 22. November 1974 i.S. Vereinigung Schweizerischer Mahlhafermühlen gegen Coop-Mühle Zürich und Eidg. Volkswirtschaftsdepartement | Regeste
Art. 103 lit. a OG
.
Legitimation einer wirtschaftlichen Vereinigung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine Verfügung, mit der einem Konkurrenten der Mitglieder der Vereinigung ein Sonderkontingent für Mahlhaferimport zugeteilt wurde (E. 1b).
BB vom 17. Dezember 1952/28. Juni 1972 über die Schweizerische Genossenschaftfür Getreide und Futtermittel.
- Art. 5 Abs. 1 GGF-Statuten: Wann liegt eine unzulässige Kontingentsübertragung vor? (E. 2 a.)
- Art. 7 GGF-Statuten: Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Erhöhung bestehender Einzelkontingente (E. 2 b).
- Art. 5 Abs. 2 GGF-Statuten: Zweck der Kontingentsordnung (E. 2 c). | Sachverhalt
ab Seite 422
BGE 100 Ib 421 S. 422
Aus dem Sachverhalt:
Unter der Bezeichnung "Schweizerische Genossenschaft für Getreide und Futtermittel (GGF)" besteht eine Genossenschaft des öffentlichen Rechts. In ihren Aufgabenkreis fällt die Durchführung der Kontingentierung des Imports von Futtermitteln und von Waren, bei deren Verarbeitung Futtermittel anfallen können. Der Vorstand der GGF teilt unter Beachtung allfälliger Weisungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes (EVD) gemäss Art. 5-7 der Statuten die Einzelkontingente zu.
Mit Verfügung vom 3. Juli 1972 sicherte die GGF der Coop-Mühle Zürich (Coop Mühle) im Hinblick auf die Inbetriebnahme einer eigenen Hafer-Verarbeitungsanlage die Eröffnung eines Einfuhrkontingentes für Mahlhafer von 2750 t pro Jahr zu. Das neue Kontingent wurde nach dem Umsatz der "Coop-Schweiz" an Speisehaferprodukten im Jahre 1971 bemessen. Dagegen wurde die Berücksichtigung des bisher der Firma Knorr, Nährmittel AG, Thayngen (Firma Knorr) für die eigene Hafermühle zustehenden Bedarfs abgelehnt, obwohl die Coop-Mühle und die Firma Knorr in diesem Sinne Antrag stellten unter Hinweis darauf, dass die Firma Knorr ihren Bedarf an Haferprodukten von 570 t - was bei der üblichen Ausbeute von 30% einer Rohhafermenge von 1900 t entspricht - inskünftig bei der Coop-Mühle decken werde.
Auf ein erneutes Gesuch der Coop-Mühle hin lehnte die GGF am 15. Dezember 1972 die Berücksichtigung des Bedarfes der Firma Knorr bei der Festsetzung des Einfuhrkontingentes der Coop-Mühle ab.
Das EVD hiess die dagegen eingereichte Beschwerde am 10. Januar 1974 gut und sicherte der Coop-Mühle - entsprechend dem Antrag der Handelsabteilung des EVD - das verlangte Sonderkontingent zu. An die Zusicherung wurde die Bedingung geknüpft, dass die Coop-Mühle der Firma Knorr pro Jahr tatsächlich 570 t Haferprodukte für die menschliche Ernährung liefert, und dass die Firma Knorr ihre eigene Hafermühle nicht mehr betreibt.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt die Vereinigung Schweizerischer Hafermühlen die Aufhebung des Entscheides
BGE 100 Ib 421 S. 423
des EVD vom 10. Januar 1974. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
b) Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach
Art. 103 lit. a OG
legitimiert, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. In
BGE 97 I 296
wurde den bisherigen Kontingentsinhabern die Befugnis zur Anfechtung der Erteilung eines neuen Einzelkontingentes zugesprochen, weil die Eröffnung neuer Einzelkontingente bei der unveränderten Begrenzung der gesamten Futtermitteleinfuhr durch ein Gesamtkontingent zu einer Kürzung der bestehenden Kontingente führen müsse und daher die Inhaber solcher Kontingente beschwere.
Das EVD weist nun darauf hin, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Beteiligung am Gesamtfuttermittelkontingent geht, sondern um die Einfuhr von Mahlhafer für die menschliche Ernährung. Gemäss Art. 5 Abs. 1 bis der GGF-Statuten ist für die Erteilung eines solchen Einfuhrkontingentes vor allem entscheidend, dass der Bewerber, der die übrigen Voraussetzungen erfüllt, die Möglichkeit für den Absatz dieser Produkte als Nahrungsmittel - nicht als Futtermittel - nachzuweisen vermag. Die Erteilung eines Sonderkontingentes an die Coop-Mühle hat - im Gegensatz zu dem dem Urteil
BGE 97 I 293
ff. zugrundeliegenden Sachverhalt - nicht zur Folge, dass dadurch die bisherigen Einfuhrquoten der andern Hafermühlen entsprechend herabgesetzt werden. Wirtschaftlich wirkt sich allerdings der vorgesehene Betrieb der Hafer-Verarbeitungsanlage der Coop-Mühle insofern ungünstig auf die andern Hafermühlen aus, als der Eigenbedarf von Coop-Schweiz nicht mehr durch die bestehenden Hafermühlen gedeckt werden kann; beliefert die Coop-Mühle darüberhinaus auch die Firma Knorr, so geht damit den übrigen Hafermühlen zwar nicht ein bisheriger Kunde verloren, da die Firma Knorr bisher selber eine Hafermühle betrieb, faktisch werden sie aber von der künftigen Belieferung eines potentiellen Kunden ausgeschlossen. Das sind an sich nicht Konsequenzen der Kontingentierung, sondern des Wettbewerbs und der zwischen den Beteiligten getroffenen Abmachungen, deren Durchführung
BGE 100 Ib 421 S. 424
die angefochtene Zuteilung eines Sonderkontingentes ermöglicht.
Die Mitglieder der beschwerdeführenden Vereinigung sind durch die angefochtene Verfügung nicht direkt betroffen wie bei der Verteilung eines Gesamtkontingentes, denn ihre eigenen Einfuhrquoten erfahren keine Veränderung. Sie behaupten aber eine Verletzung der GGF-Statuten, und als Konkurrenten sind sie unzweifelhaft an der vorschriftsgemässen Handhabung der für die ganze Branche geltenden und ihre eigene wirtschaftliche Tätigkeit wesentlich beeinflussenden Kontingentsordnung interessiert. Dieses Interesse jedes einzelnen von einer Kontingentsordnung Betroffenen an der richtigen Durchführung des Kontingentierungssystems ist im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
schutzwürdig, auch wenn die.möglichen Zuteilungen nicht durch ein Gesamtkontingent beschränkt sind (vgl.
BGE 97 I 593
, 98 I b 229 E. 2, 99 I b 107). Die Tatsache der Kontingentierung schafft für alle Konkurrenten eine spezifische Beziehungsnähe, soweit es sich um die Bewilligung von Kontingenten handelt. Durch diese besondere Beziehungsnähe unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, der dem Urteil BGE 100 I b 331 ff. zugrundeliegt.
Kann der einzelne Inhaber einer Hafermühle durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Zuteilung eines Kontingentes an einen Konkurrenten anfechten, dann ist auch die sechs Mitglieder umfassende Vereinigung Schweizerischer Hafermühlen dazu legitimiert, gegen eine angeblich unrichtige Zuteilung eines Mahlhafer-Kontingentes Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen (
BGE 97 I 593
E. 2, 98 I b 70, 99 I b 55).
2.
Mit der zu beurteilenden Beschwerde wird einzig das der Coop-Mühle für die Belieferung der Firma Knorr zugesicherte Sonderkontingent von 1900 t Mahlhafer angefochten. Das Grundkontingent der Coop-Mühle von 2750 t ist unangefochten geblieben und bildet nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
a) Die Statuten der GGF verbieten grundsätzlich die Übertragung von Einzelkontingenten sowie deren Ausnützung für Rechnung Dritter. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Kontingentsübertragung bewilligt werden (Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 2 der Statuten). In der Beschwerde wird geltend gemacht, die angefochtene Bewilligung eines
BGE 100 Ib 421 S. 425
Sonderkontingentes stelle eine verkappte, unzulässige Kontingentsübertragung dar. Diese Rüge erweist sich als unbegründet. Unter Kontingentsübertragung im Sinne der Statuten der GGF ist die blosse Abtretung des Einfuhrkontingentes als quantitativ beschränkte Import-Berechtigung zu verstehen. Die durch die staatliche Lenkung geschaffenen Kontingente sollen nicht frei übertragbar sein und Gegenstand des Handels werden. Zwischen der Coop-Mühle und der Firma Knorr wurde jedoch keineswegs einfach eine Abtretung der Einfuhrberechtigung vereinbart, und das EVD hat nicht einer blossen Übertragung des bisherigen Kontingentes der Firma Knorr von 3300 t auf die Coop-Mühle zugestimmt. Vielmehr entspricht das bewilligte Sonderkontingent von 1900 t der Menge von Haferprodukten, welche die Coop-Mühle inskünftig der Firma Knorr liefern wird, und das Sonderkontingent wurde nur unter der Bedingung zugesichert, dass die Lieferung von Haferprodukten für die menschliche Ernährung im vorgesehenen Umfang erfolgt. Eigentliche Grundlage des angefochtenen Entscheides ist somit nicht der Wegfall des bisherigen Einfuhrkontingentes der Firma Knorr, sondern die Abmachung, dass die Coop-Mühle der Firma Knorr in Zukunft 570 t Haferprodukte liefern wird. Ziel der getroffenen Abmachung ist nicht die rechtswidrige Erhaltung und Übertragung eines Kontingentes, das eigentlich untergehen sollte, denn das bisherige Kontingent der Firma Knorr ist tatsächlich untergegangen. Die Abmachung bezweckt vielmehr eine wirtschaftliche Zusammenarbeit, indem die Firma Knorr die bisher selbst hergestellten Haferprodukte inskünftige durch die Coop-Mühle fabrizieren lässt. Durch diese Vereinbarung hat die Coop-Mühle im Sinne von Art. 5 Abs. 1 bis der GGF-Statuten einen den Eigenbedarf übersteigenden Absatz an Haferprodukten für die menschliche Ernährung nachgewiesen und kann entsprechend der zusätzlichen Absatzmöglichkeit ein Sonderkontingent beanspruchen. Daraus geht hervor, dass die der neuen Situation angepasste Regelung auch nicht dadurch zur unzulässigen Kontingentsübertragung wird, dass der Abnehmer bisher selber Hafer verarbeitete und über ein Kontingent verfügte. Das Verbot der Kontingentsübertragung wird durch den angefochtenen Entscheid nicht verletzt.
b) Aus Art. 7 der GGF-Statuten lässt sich entnehmen, dass Erhöhungen bestehender Einzelkontingente nur ausnahmsweise
BGE 100 Ib 421 S. 426
erfolgen sollen. Das Bundesgericht hat anerkannt, es entspreche dem Sinn und Zweck der Kontingentsordnung, dass ausserhalb der periodischen Anpassung der Kontingente einzelne Änderungen in der bestehenden Kontingentsstruktur nur ganz ausnahmsweise und mit Zurückhaltung vorgenommen werden (BGE 98 I b 445). Diese Feststellung bezieht sich sinngemäss auf Waren, für deren Einfuhr ein limitiertes Gesamtkontingent besteht, dessen periodische Verteilung nicht durch Erhöhung von Einzelkontingenten immer wieder in Frage gestellt werden darf. Bei der Einfuhrkontingentierung für Mahlhafer zur Herstellung von Nahrungsmitteln geht es aber, wie in der Vernehmlassung des EVD überzeugend dargelegt wird, nicht um eine Beschränkung der Gesamteinfuhr, sondern im wesentlichen um eine Kontrolle, welche verhindern soll, dass für die Nahrungsmittelproduktion eingeführter Mahlhafer in den Futtermittelhandel gelangt. Dieser Zweck der Kontingentierung bei der Einfuhr von Waren zur Herstellung von Produkten für die menschliche Ernährung lässt sich auch aus Art. 5 Abs. 1 bis der Statuten entnehmen. Soweit Gewähr besteht, dass das eingeführte Getreide zu Speisehafer verarbeitet wird und dass diese Produkte Absatz finden, kann der Vorstand der GGF Einfuhrkontingente bewilligen. Ob auf derartige, nicht durch eine Gesamtimportmenge beschränkte Einzelkontingente Art. 7 der GGF-Statuten überhaupt anwendbar ist, erscheint fraglich. Selbst wenn man aber Art. 7 für anwendbar hält, so hat das EVD weder diese Vorschrift verletzt noch das ihm zustehende Ermessen missbraucht oder überschritten, indem es der Coop-Mühle für die künftigen Lieferungen an die Firma Knorr ein genau diesem zusätzlichen Bedarf entsprechendes Sonderkontingent einräumte. Die Stillgegung einer Hafermühle und die Deckung des Bedarfs dieses bisherigen Mühle-Eigentümers durch einen andern Kontingentsinhaber dürfte, sofern Art. 7 der GGF-Statuten überhaupt anwendbar ist, im Rahmen des Ermessens als eine Ausnahmesituation betrachtet werden, welche die Zusicherung eines Sonderkontingentes im Verhältnis zum Bedarf des neuen Kunden rechtfertigt.
Der Vorstand der GGF hat durch die oben zitierte Mitteilung in der Verfügung vom 3. Juli 1972 klar zum Ausdruck gebracht, dass Einfuhrkontingente zur Herstellung von Produkten für die menschliche Ernährung entsprechend dem
BGE 100 Ib 421 S. 427
nachgewiesenen Bedarf erhöht werden können. Diese mit den geltenden Vorschriften durchaus im Einklang stehende Praxis wird auch in der Vernehmlassung der GGF zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestätigt. Die GGF macht lediglich den sachlich zutreffenden Vorbehalt, dass Sonderkontingente zur Deckung des "Fremdbedarfs", d.h. des Bedarfs von Abnehmern, nur im Umfang dieses "Fremdbedarfs" eingeräumt werden dürfen. Ohne hiefür irgendwelche triftige Argumente anführen zu können, bezweifelt die GGF sodann, dass die Firma Knorr inskünftig noch den gleichen Bedarf an Haferprodukten wie in den für die Bemessung des Sonderkontingentes berücksichtigten Jahren 1970/71 haben werde und dass sie diesen Bedarf ausschliesslich bei der Coop-Mühle decken werde. Dieser durch keine konkreten Anhaltspunkte belegte Zweifel bildet keinen stichhaltigen Einwand gegen die offensichtlich der Praxis der GGF entsprechende Zusicherung eines Sonderkontingentes durch das EVD. Sollte der aufgrund der Vorjahre erwartete Bedarf der Firma Knorr an Haferprodukten aus irgend einem Grunde zurückgehen, so ist das Sonderkontingent auch nach dem angefochtenen Entscheid zu kürzen oder allenfalls aufzuheben. Entgegen der Argumentation der GGF muss angenommen werden, dass der durch Lieferungen an die Firma Knorr zu erwartende Mehrbedarf an Rohhafer im Rahmen des Möglichen nachgewiesen ist, und dass die Coop-Mühle ein legitimes Interesse besitzt, aufgrund einer klaren Zusicherung zu wissen, dass ihr zur Deckung dieses Mehrbedarfs neben dem Grundkontingent von 2750 t ein Sonderkontingent von 1900 t zur Verfügung stehen wird. Ohne die Zulässigkeit eines Sonderkontingentes grundsätzlich in Frage zu stellen, vertritt die GGF den Standpunkt, das Sonderkontingent hätte nicht von vorneherein zugesichert werden dürfen. Es ist jedoch nicht verständlich, weshalb die Coop-Mühle über ihre Einfuhrmöglichkeiten im Falle einer Belieferung der Firma Knorr nicht einen klaren und unter den angegebenen Voraussetzungen verbindlichen Bescheid erhalten sollte.
Die Beschwerde der Vereinigung Schweizerischer Hafermühlen richtet sich im übrigen gegen die Erteilung des Sonderkontingentes an sich; es wird nicht geltend gemacht, über die Frage eines Sonderkontingentes sei vorzeitig entschieden worden.
BGE 100 Ib 421 S. 428
c) Gemäss Art. 5 Abs. 2 lit. a der GGF-Statuten sind neue Einzelkontingente nicht zu erteilen, "wenn durch ihre allgemeine Gewährung die bisherige Struktur des betreffenden Wirtschaftszweiges erheblich verändert würde, namentlich wenn dadurch die bisherigen Handelsstufen aufgelöst würden".
Diese Vorschrift bezieht sich vor allem auf die Erhaltung der im Futtermittelimport bestehenden Handelsstufen (Ablader, Importeur, Grossist, Detaillist; vgl.
BGE 97 I 745
). Dieser besondere Schutzzweck spielt im vorliegenden Fall keine Rolle, da es nicht um Futtermittelimporte geht. Ob die Bestimmung - dem sehr allgemein gehaltenen Wortlaut entsprechend - auch bei der Erteilung eines Einfuhrkontingentes für die Nahrungsmittelfabrikation von einschränkender Bedeutung sein kann, ist zweifelhaft. Die Kontingentierung soll - nach Möglichkeit - die Wettbewerbsverhältnisse nicht beeinflussen. Nach dem Grundgehalt unserer Wirtschaftsordnung und dem Zweck der Importkontingentierung ist die in Art. 5 Abs. 2 lit. a der GGF-Statuten aufgestellte Regel eher restriktiv zu interpretieren: Es soll beispielsweise nicht durch die Erteilung neuer Einzelkontingente an Interessenten, welche sich bisher nicht mit dem Import befassten, ein eigentlicher Strukturwandel bewirkt werden. Nicht alle Änderungen, sondern nur erhebliche strukturelle Veränderungen des Wirtschaftszweiges sind zu vermeiden.
Das EVD konnte im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens ohne weiteres annehmen, die Zuteilung eines Sonderkontingentes von 1900 t zur Herstellung von Haferprodukten für eine Abnehmer-Firma, welche bisher eine eigene Hafermühle betrieb, verändere die Struktur des Wirtschaftszweiges nicht. Der Anteil an der gesamthaft in schweizerischen Hafermühlen verarbeiteten Menge von ca. 46000 t Hafer beträgt nur etwa 4%, und keiner Hafermühle geht ein bisheriger Kunde verloren. Überdies handelt es sich hier nicht um die Erteilung eines neuen Einzelkontingentes, sondern um ein zusätzliches Kontingent. Indem das EVD im vorliegenden Fall Art. 5 Abs. 2 lit. a der GGF-Statuten nicht als Hindernis für die Zuteilung eines Sonderkontingentes betrachtete, hat es Bundesrecht nicht verletzt und sein Ermessen weder überschritten noch missbraucht.
Ob durch die Gewährung eines (neuen) Grundkontingentes
BGE 100 Ib 421 S. 429
von 2750 t an die Coop-Mühle die Struktur des Wirtschaftszweiges verändert wurde und ob gegen die Schaffung einer neuen firmeneigenen Hafermühle hätte opponiert werden können, ist hier nicht zu prüfen, denn die Zusicherung des Grundkontingentes blieb unangefochten. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b395641-5671-4ed2-9087-7eee8c6bc55a | Urteilskopf
104 V 186
46. Auszug aus dem Urteil vom 8. November 1978 i.S. Kohler gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Umbau von Motorfahrzeugen (
Art. 14 Abs. 1 lit. h IVV
).
- Ob sich die Übernahme der invaliditätsbedingten Umbaukosten vor oder selbst nach Ablauf der 6jährigen Frist im Sinne der Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung vom 23. April 1974 rechtfertigt, bestimmt sich nach
Art. 8 Abs. 1 IVG
(Erw. 1 und 2).
- Beginn der 6jährigen Frist (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 186
BGE 104 V 186 S. 186
Aus dem Tatbestand:
A.-
Der im Jahre 1951 geborene Versicherte verunfallte am 8. März 1968 beim Skispringen und leidet seither an einer Querschnittlähmung der unteren Körperhälfte.
Die Invalidenversicherung gewährte zahlreiche medizinische und berufliche Massnahmen sowie Hilfsmittel. Am 14. November 1968 übernahm sie u.a. die invaliditätsbedingten Umbaukosten an einem Auto im Betrag von Fr. 2'500.-. Am 14. Juli 1975 teilte der Versicherte der Regionalstelle für berufliche Eingliederung, Zürich, mit, er werde sich einen neuen Opel
BGE 104 V 186 S. 187
Kadett Caravan kaufen und beantrage daher die Übernahme der Umbaukosten. Im Zusammenhang mit einem Gesuch um Kostengutsprache für einen Wand-Standing fügte die Ausgleichskasse ihrer Verfügung vom 22. September 1975 folgendes bei:
"Bezüglich des Begehrens um einen Grundsatzentscheid wegen inv.-
bedingten Auto-Umbaues ist auf die Besprechung mit der IV-Regionalstelle
hinzuweisen. Die Invalidenversicherung rechnet mit einer Gebrauchsdauer
von 6 Jahren, so dass frühestens nach Ablauf dieser Frist
zu einem neu einzureichenden Begehren Stellung genommen werden
kann."
Auf dieses Schreiben hin stellte der Versicherte am 25. September 1975 das Gesuch um Vergütung der im Jahre 1974 entstandenen Kosten für den Umbau seines neuen Autos.
Mit Verfügung vom 8. Dezember 1975 wies die Ausgleichskasse des Kantons Zürich das Gesuch mit folgender Begründung ab:
"Obwohl rein materiell die Anspruchsvoraussetzungen gegeben
wären, ist das Begehren auf Grund von Art. 48 Abs. 2 des Gesetzes
abzuweisen.
Dieser Artikel bestimmt nämlich: 'Meldet sich ein Versicherter mehr
als 12 Monate nach Entstehung des Anspruchs an, so werden Leistungen
lediglich für die 12 der Anmeldung vorangehenden Monate gewährt.'"
B.-
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 21. November 1977 ab. Zur Begründung führte die Vorinstanz aus, bei der Vornahme der Umbauten sei die Frist von 6 Jahren, die im Zeitpunkt der letzten Verfügung vom 14. November 1968 eröffnet worden sei, noch nicht abgelaufen, weshalb die Kostengutsprache zu Recht verweigert worden sei.
C.-
Der Versicherte führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen:
"Das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Kosten von
Fr. 2'530.- für den Autoumbau gemäss Begehren vom 25. September
1975 seien von der IV zu übernehmen. Eventuell: Es sei mir für den
jeweiligen Autoumbau ein jährlicher Amortisationsbeitrag zu gewähren
und es sei festzustellen, in welchen zeitlichen Abständen ich als
Querschnittgelähmter Anspruch auf Übernahme von Autoumbaukosten
durch die IV habe. Für den Fall, dass der Umbau von Ihnen als zu früh
vorgenommen betrachtet werden sollte: Es sei mir von den Fr. 2'530.-
ein Abzug von 7/72 zu machen."
BGE 104 V 186 S. 188
Die Ausgleichskasse verzichtet auf Vernehmlassung. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Im vorliegenden Fall sei nichts dagegen einzuwenden, wenn dem Versicherten ein Beitrag bewilligt, jedoch ein Abzug für den zu früh vorgenommenen Umtausch des Autos gemacht würde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Invalide haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, zu verbessern, zu erhalten oder ihre Verwertung zu fördern (
Art. 8 Abs. 1 IVG
).
Im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste besteht Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren der Versicherte für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf (
Art. 21 Abs. 1 IVG
).
In
Art. 14 Abs. 1 lit. h IVV
hat der Bundesrat Hilfsgeräte am Arbeitsplatz sowie Zusatzgeräte von Apparaten und Maschinen aufgenommen. Die Praxis hat den Geltungsbereich dieser Bestimmung auf Motorfahrzeuge ausgedehnt, die für die Berufsausübung notwendig sind (
BGE 97 V 237
, ZAK 1972 S. 495). Diese bis Ende 1976 in Kraft gewesene Ordnung, welche auf den vorliegenden Fall noch Anwendung findet, gilt grundsätzlich in gleicher Weise auch unter der Herrschaft der auf den 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln (vgl.
Art. 2 Abs. 3 HV
sowie Liste der Hilfsmittel Ziffer 10.05).
Nach Ziffer III der rückwirkend auf den 1. Januar 1974 in Kraft getretenen Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung vom 23. April 1974 übernimmt die Invalidenversicherung sowohl bei leihweiser Abgabe als auch bei Gewährung von Amortisationsbeiträgen "zusätzlich die Kosten für die infolge des Gebrechens erforderlichen Spezialeinrichtungen (z.B. Abänderungen für Handbedienung), soweit die Fahrzeuge nicht bereits fabrikmässig entsprechend ausgerüstet sind. Diese Kosten können höchstens alle 6 Jahre übernommen werden."
Nach
Art. 21 Abs. 3 IVG
werden dem Versicherten die Hilfsmittel nur in einfacher und zweckmässiger Ausführung abgegeben.
BGE 104 V 186 S. 189
2.
a) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich Anspruch auf Übernahme der invaliditätsbedingten Änderungskosten hat.
b) Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, entspricht die vom Bundesamt für Sozialversicherung in den Weisungen vom 23. April 1974 vorausgesetzte Zeitspanne von mindestens 6 Jahren der nach dem heutigen Stand der Technik zu erwartenden Lebensdauer eines Fahrzeuges. Die Vorinstanz fasst diese Frist als "Sperrfrist" auf, innert welcher die Invalidenversicherung keine Leistungen zu erbringen habe. Das Bundesamt für Sozialversicherung ist der Meinung, dass dieser Zeitraum grundsätzlich einzuhalten sei. Da jedoch der Beschwerdeführer sein Fahrzeug nur wenige Monate vor Ablauf der Frist gewechselt habe - er tausche seine Autos ungefähr alle zwei Jahre ein und übernehme in der Zwischenzeit die Abänderungskosten selbst -, sei in diesem Einzelfall nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Beitrag bewilligt, aber ein entsprechender Abzug für den zu früh erfolgten Umbau gemacht werde.
c) Der Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung ist der Vorzug zu geben. So wäre es jedenfalls nicht sachgerecht, Wenn bei einem - Wegen vorzeitiger Alterung - knapp vor Ablauf der 6jährigen Frist vorgenommenen invaliditätsbedingten Umbau keine Leistungen erbracht würden. Die Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung, dass solche Umbaukosten grundsätzlich "höchstens alle 6 Jahre" zu übernehmen sind, ist dahin auszulegen, dass bei einem - ausnahmsweisen und begründeten - früher erfolgten Wechsel eines Fahrzeuges ein Abzug vorgenommen werden muss, der dem vorzeitigen Wechsel innerhalb der 6jährigen Frist zu entsprechen hat. Damit erhält ein Versicherter, der sein Auto bereits vor Ablauf von 6 Jahren wechselt, nicht mehr an Leistungen als derjenige, welcher erst bei Ablauf der Frist ein anderes Fahrzeug erwirbt.
Anderseits gilt auch für solche Umbaukosten der Grundsatz, dass sie nur zu übernehmen sind, wenn für den Umbau eine Notwendigkeit besteht (
Art. 8 Abs. 1 IVG
). Die in der Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung erwähnte Frist von 6 Jahren ist im Sinne einer - den durchschnittlichen tatsächlichen Gegebenheiten entsprechenden - Minimalfrist zu verstehen. Daraus folgt, dass mit dem Ablauf der 6jährigen Frist nicht automatisch ein Anspruch auf Vergütung der Kosten
BGE 104 V 186 S. 190
eines neuen Umbaus entsteht, wenn der alte noch seinen Zweck versieht, und dass dementsprechend auch kein absoluter Anspruch auf Übernahme dieser Kosten pro rata temporis (gerechnet auf 6 Jahre) besteht.
d) Der Beschwerdeführer wechselt seine Autos ungefähr alle zwei Jahre und übernimmt innerhalb der 6jährigen Frist die Abänderungskosten selbst. Wie dem Bericht der Garage X. vom 21. Dezember 1977 zu entnehmen ist, hätte er sein altes Fahrzeug einer grösseren und kostspieligen Motorrevision unterziehen müssen. Aus diesem Grund und weil er das Auto nur einige Monate vor Ablauf der 6jährigen Frist wechselte, rechtfertigt sich die Übernahme der invaliditätsbedingten Umbaukosten für die Dauer einer neuen Periode von mindestens 6 Jahren unter Vornahme eines der verfrühten Zusprechung entsprechenden Abzuges.
3.
Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherung gehen davon aus, dass die 6jährige Frist vom Zeitpunkt der Verfügung zu laufen beginne. Weil jedoch zwischen der Vornahme der invaliditätsbedingten Abänderungen und dem Erlass einer Verfügung geraume Zeit verstreichen kann, ist auf den Zeitpunkt des Umbaus (der mit der Inbetriebnahme des Fahrzeuges zusammenfallen dürfte) abzustellen.
Nach Aussage des Beschwerdeführers nahm dieser sein Auto Opel Commodore am 1. Dezember 1968 in Betrieb, so dass angenommen werden kann, die 6jährige Frist (umfassend 72 Monate) wäre am 1. Dezember 1974 abgelaufen. Am 1. April 1974 tauschte er das alte Auto gegen ein neues um. Weil er somit das Auto 8 Monate vor Ablauf der Frist erwarb, ist ein Abzug von 8/72 vorzunehmen.
Damit wird dem Beschwerdeführer sinngemäss eine Leistung ab 1. Dezember 1974 erbracht. Das hiefür am 25. September 1975 eingereichte Gesuch ist somit im Sinne von
Art. 48 Abs. 2 IVG
rechtzeitig gestellt worden. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8b39c3a4-421b-4358-95bb-1cbc8585e754 | Urteilskopf
113 Ia 69
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Januar 1987 i.S. Z. gegen Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Bestellung eines amtlichen Verteidigers;
Art. 6 EMRK
und
Art. 4 BV
;
Art. 34 Abs. 1 StPO
/SG;
Art. 31 BV
.
1. Die Auslegung von
Art. 34 Abs. 1 StPO
/SG, wonach eine amtliche Verteidigung auf Ersuchen hin (nur) dann einem ausserkantonal tätigen Rechtsanwalt übertragen wird, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Angeschuldigten besteht oder der Vertreter bereits anderweitig für den Angeschuldigten tätig geworden ist, verstösst weder gegen
Art. 4 BV
noch gegen
Art. 6 EMRK
(E. 5).
2. Der amtliche Verteidiger steht zum Staat in einem Verhältnis, das vom kantonalen öffentlichen Recht bestimmt wird und deshalb nicht der Handels- und Gewerbefreiheit untersteht. Zur Erlangung eines amtlichen Mandates kann sich daher auch die Partei selber nicht auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen (E. 6). | Erwägungen
ab Seite 70
BGE 113 Ia 69 S. 70
Aus den Erwägungen:
5.
a) Der Beschwerdeführer rügt, Art. 34 Abs. 1 des sanktgallischen Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 9. August 1954 (StPO/SG) verstosse gegen
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
und
Art. 4 BV
. Der Verstoss einer kantonalen Vorschrift gegen eine Bestimmung der Bundesverfassung bzw. der EMRK kann auch noch bei der Anfechtung eines gestützt darauf ergangenen Anwendungsaktes geltend gemacht werden. Erweist sich der Vorwurf als begründet, so führt dies freilich nicht zur formellen Aufhebung der Vorschrift; die vorfrageweise Feststellung ihrer Verfassungs- bzw. Konventionswidrigkeit hat nur zur Folge, dass die Vorschrift auf den Beschwerdeführer nicht angewendet und der gestützt auf sie ergangene Entscheid aufgehoben wird (
BGE 107 Ia 54
E. 2a, 128 f. E. 1a, mit Hinweisen).
b) Gemäss
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
hat jeder Angeklagte das Recht, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Aus diesem Wortlaut folgt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers eindeutig, dass sich das freie Wahlrecht nicht auch auf einen amtlichen Verteidiger bezieht, kommt doch dem zweiten Satzteil von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
selbständige Bedeutung zu. Dies entspricht der bisherigen Auffassung von Lehre und Praxis. Nach der Praxis der Strassburger Organe hat der Angeklagte nicht einmal Anspruch darauf, vor Ernennung eines amtlichen Verteidigers einen Wunsch äussern zu können (FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N. 135 zu Art. 6, S. 177 mit Hinweisen; STEFAN TRECHSEL, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur EMRK, in: ZStR 96/1979, S. 361). Demnach vermag dem Beschwerdeführer ebenfalls die Anrufung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
nicht zu helfen.
c) Die Bestimmung von
Art. 34 Abs. 1 StPO
/SG verstösst auch nicht gegen
Art. 4 BV
. Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, lässt sich die in verschiedenen Kantonen geltende Ordnung, dass zu amtlichen Verteidigern nur Anwälte bestimmt werden können, die im Prozesskanton ein Anwaltsbüro führen oder in einem solchen tätig sind, mit sachlichen Gründen vertreten (
BGE 95 I 411
E. 5;
BGE 67 I 4
;
BGE 60 I 17
). Sie stützt sich auf die Eigenschaft der Kantone, selbständige Gliedstaaten der
BGE 113 Ia 69 S. 71
Eidgenossenschaft zu sein. Zudem beruht sie auf praktischen Gründen. Vor allem die Führung eines - wie im vorliegenden Fall - schwierigen Strafprozesses setzt die Kenntnis des kantonalen Prozessrechtes voraus, in welchem sich ein im Kanton tätiger Anwalt regelmässig besser auskennt als sein ausserkantonaler Kollege. Ausserdem kommt die Führung eines Prozesses durch einen ausserkantonalen Anwalt in der Regel teurer zu stehen (längere Einarbeitungszeit angesichts des fremden Prozessrechtes, höhere Reisekosten usw.; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 162).
Art. 34 Abs. 1 StPO
/SG verstösst insbesondere dann nicht gegen
Art. 4 BV
, wenn diese Vorschrift so ausgelegt wird, wie dies in der Praxis durch den Regierungsrat erfolgt, d.h. dass eine amtliche Verteidigung auf Ersuchen dann einem ausserkantonal tätigen Rechtsanwalt übertragen wird, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Angeschuldigten besteht oder der Vertreter bereits anderweitig für den Angeschuldigten tätig geworden ist, ihn insbesondere in einem vorausgegangenen Strafverfahren verteidigt hat.
6.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, er sei in seiner Handels- und Gewerbefreiheit im Sinne von
Art. 31 BV
verletzt, weil er den vorgängig beauftragten Verteidiger seiner Wahl wegen einer Kantonsgrenze nicht zum Pflichtverteidiger habe bestellen lassen können. Mit dem Mandat, für eine unbemittelte Partei als amtlicher Verteidiger tätig zu werden, übernimmt der Anwalt keinen privaten Auftrag. Es kann verbindlich nur durch den Kanton selbst erteilt werden und stellt die Übernahme einer staatlichen Aufgabe dar. Der Anwalt tritt damit zum Staat in ein Verhältnis, das vom kantonalen öffentlichen Recht bestimmt wird und deshalb nicht der Handels- und Gewerbefreiheit untersteht (
BGE 109 Ia 109
E. 2b;
BGE 105 Ia 71
E. 4a;
BGE 95 I 410
f.;
BGE 60 I 13
). Kann sich aber der Anwalt selbst zur Erlangung eines solchen Auftrages nicht auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, so kann dies auch die Partei nicht (
BGE 95 I 411
E. 4). | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8b3a1b2e-b201-47e4-ab7b-804329039185 | Urteilskopf
103 Ia 99
21. Extrait de l'arrêt du 18 mai 1977 dans la cause X. contre Bureau d'assistance judiciaire du canton de Vaud | Regeste
Art. 4 BV
; unentgeltliche Rechtspflege im Scheidungsverfahren.
Die Bedürftigkeit des Ehemanns wird aufgrund seines Einkommens und Vermögens nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen einschliesslich seines Vorschusses an die Prozesskosten seiner Ehefrau ermittelt. | Sachverhalt
ab Seite 100
BGE 103 Ia 99 S. 100
Dans le cadre d'une procédure de divorce, X., dont le revenu a été estimé à Fr. 2'000.-- par mois, a été condamné à contribuer à l'entretien de sa femme et de ses deux enfants par une pension mensuelle de Fr. 800.-- et à verser à son épouse une provision ad litem de Fr. 1'200.--, payable par acomptes mensuels de Fr. 150.--.
Le Bureau cantonal d'assistance judiciaire lui a refusé le bénéfice de l'assistance judiciaire qu'il sollicitait au motif que l'état d'indigence n'était pas établi dès lors que le Tribunal saisi avait estimé que X. disposait des moyens financiers nécessaires au versement d'une provision ad litem à son épouse.
Par recours de droit public fondé sur l'
art. 4 Cst.
, X. demande l'annulation de la décision du Bureau cantonal et le renvoi de la cause pour nouvelle décision positive. Le Bureau intimé conclut au rejet du recours. Le recours a été admis et la décision attaquée annulée.
Erwägungen
Considérant en droit:
4.
Aux termes de l'art. 1er de la loi vaudoise de 1947 sur l'assistance judiciaire gratuite en matière civile (LAJ), l'assistance judiciaire est accordée, sur requête, à celui qui ne peut faire face aux frais d'un procès devant la juridiction ordinaire sans compromettre gravement ses moyens d'existence ou ceux des personnes dont il assume la charge en vertu d'une obligation légale ou morale. Les critères auxquels doit répondre, selon cette disposition du droit cantonal, l'état d'indigence du requérant correspondent donc à ceux découlant directement de l'
art. 4 Cst.
et fixés par la jurisprudence du Tribunal fédéral, qui dispense le requérant de l'avance ou de la garantie des frais de procès, dans la mesure où une telle obligation le contraindrait à prélever sur le minimum nécessaire à son entretien et à celui de sa famille. On peut dès lors admettre, dans le cadre d'un libre examen, que la législation cantonale a retenu une juste définition de l'indigence. Le Tribunal fédéral n'examine en revanche que sous l'angle de l'arbitraire les constatations de fait opérées par l'autorité cantonale et qui l'ont conduite à contester l'indigence. Il n'intervient que si l'appréciation des faits est manifestement inadmissible (FAVRE, Droit constitutionnel suisse, 2e éd., p. 268;
ATF 78 I 196
).
BGE 103 Ia 99 S. 101
En l'espèce, le Bureau d'assistance judiciaire refuse d'admettre l'état d'indigence du requérant tant qu'il aura l'obligation, imposée par le juge, de verser une provision ad litem à son épouse. Il déclare qu'il est prêt à lui accorder l'assistance judiciaire s'il obtient la suppression de cette obligation et s'il fournit ensuite la preuve que, malgré cette suppression, il n'est pas en mesure de faire face par ses seuls moyens aux frais de la fin de la procédure de divorce en cours.
La jurisprudence fédérale souligne à cet égard que le devoir de l'Etat d'accorder l'assistance judiciaire au plaideur indigent dans un procès non dénué de chances de succès passe après l'obligation d'assistance et d'entretien prévue par le droit de famille non seulement dans les rapports entre parents et enfants mineurs, mais aussi dans les rapports entre époux. Lorsque, grâce à la contribution que lui doit son conjoint, une partie peut faire l'avance des frais de procès, l'Etat ne saurait être appelé à lui octroyer l'assistance judiciaire. La jurisprudence et la doctrine ont dès lors admis que l'obligation d'entretien et d'assistance incombant au mari selon les
art. 159 et 160 CC
comprend non seulement l'entretien au sens étroit, mais aussi la satisfaction de besoins non matériels, telle la protection juridique. Ainsi le mari a le devoir de verser à sa femme une provision ad litem pour lui permettre de sauvegarder ses intérêts dans le procès en divorce (
ATF 85 I 4
,
ATF 72 I 142
, 67 I 69,
ATF 66 II 71
).
Il est incontesté que le recourant doit d'abord affecter une part importante de son revenu à l'entretien de sa femme et de ses deux enfants. Cette obligation légale du mari est sans doute aucun prioritaire par rapport tant à la provision ad litem qu'à l'obligation de faire ses propres avances de frais de l'instance en divorce. Viennent ensuite en discussion les avances du mari à l'épouse (provision ad litem) pour la défense des droits de celle-ci en justice. Ces avances constituent une obligation comprise dans le devoir d'assistance et d'entretien incombant au mari. Mais cette obligation ne peut être imposée par le juge que si son exécution ne compromet pas la situation du mari ou celle de sa famille, à savoir n'entame pas le minimum nécessaire à l'entretien de ceux-ci. En l'occurrence, le juge civil a estimé que tel n'était pas le cas et que le recourant, avec un gain mensuel global de l'ordre de 2'000 fr., pouvait encore, après versement d'une contribution
BGE 103 Ia 99 S. 102
d'entretien (Lebensunterhalt) de 800 fr., payer une provision ad litem de 1'200 fr., par acomptes mensuels de 150 fr. Le Bureau cantonal est tenu de prendre également en considération ce dernier montant fixé par le juge et ne saurait refuser l'assistance judiciaire en soutenant que le requérant ne serait pas indigent par le simple fait qu'il est en mesure de verser à son épouse une provision ad litem. D'ailleurs, comme la jurisprudence le spécifie, les obligations d'assistance et d'entretien, auxquelles se rattache précisément l'obligation de participer aux frais de procès d'un conjoint, doivent être prises en considération en premier lieu. Quant à l'arrêt von Arx, du 10 mai 1940 cité par l'intimé, il ne trouve aucune application en l'espèce; il ne fait que régler le problème de la restitution de la provision ad litem reçue par une partie qui voit son action rejetée. C'est dès lors le montant du revenu et l'état de fortune restant à disposition du requérant après l'exécution de ces obligations d'entretien qui sont décisifs pour déterminer si celui-ci peut ou non être mis alors au bénéfice de l'assistance judiciaire. Cela suppose un examen préalable des pièces produites et des déclarations de l'intéressé, notamment au juge civil, concernant son gain et son état des dettes. Le mari sera tenu pour indigent si, après déduction de ce dont il a besoin pour son entretien personnel, ses ressources ne lui permettent plus de faire les avances qui lui incombent personnellement pour les frais de justice.
Toutes ces questions n'ont été ni examinées ni élucidées par le Bureau d'assistance judiciaire. Celui-ci s'est en effet borné à demander, à tort, au requérant qu'il obtienne tout d'abord la suppression de la provision ad litem et à soutenir qu'en l'état son indigence n'était pas établie. La décision attaquée doit dès lors être annulée et l'affaire doit être renvoyée à l'autorité cantonale compétente pour nouvel examen dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8b3d068f-c609-466a-9fa6-b72629c967cd | Urteilskopf
107 Ib 140
27. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Juni 1981 i.S. Kraftwerke Ilanz AG gegen Regierung des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 bis 26 des BG vom 14. Dezember 1973 über die Fischerei (FG) und der Schutz wohlerworbener Rechte gemäss
Art. 43 WRG
.
Begründung eines wohlerworbenen Rechts gemäss
Art. 43 Abs. 1 WRG
durch Zusicherung einer bestimmten Nutzwassermenge (
Art. 54 lit. b WRG
) in der im Anschluss an die Konzessionserteilung zwischen der Beliehenen und der Genehmigungsbehörde geführten Korrespondenz (E. 3a); Gesetzesbeständigkeit dieses Rechts (E. 3b).
Ein bei der Konzessionsgenehmigung angebrachter allgemeiner Vorbehalt künftigen Rechts kann sich nur auf Normen beziehen, die keinen Eingriff in die Substanz wohlerworbener Rechte zur Folge haben (E. 4). Da das Fischereigesetz von 1973 zur Hauptsache Regeln enthält, die an sich keinen solchen Eingriff bedeuten, ist die Durchführung eines Bewilligungsverfahrens nach
Art. 24 FG
auch bei schon konzedierten, aber noch nicht ausgenützten Wassernutzungsrechten zulässig (E. 5). In diesen Fällen dürfen Massnahmen zum Schutze der Wassertiere aber nicht mehr im Rahmen des
Art. 25 FG
, sondern nur noch im engeren Rahmen des
Art. 26 FG
vorgeschrieben werden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 141
BGE 107 Ib 140 S. 141
Am 3. November 1962 hatten die Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) namens einer noch zu gründenden Gesellschaft bei den Standortgemeinden Konzessionsgesuche für die Nutzung des Vorderrheins auf der Strecke zwischen Tavanasa und Ilanz (als Ilanz I bezeichnet) und der Seitenbäche aus dem Val da Pigniu, dem Val da Siat und dem Val da Schluein (Ilanz II) mit einer gemeinsamen Zentrale in Ilanz eingereicht. Im Laufe der Jahre 1962 bis 1964 erteilten alle Standortgemeinden die Konzession für die vorgesehene Nutzung dieser Gewässer. In den Wasserrechts-Verleihungen für den Ausbau der Wasserkräfte des Vorderrheins im Kraftwerk Ilanz I übertrugen sie der Bündner Regierung die Kompetenz, die unterhalb Tavanasa im Flussbett zu belassende Mindestwassermenge bei der Genehmigung der Verleihung "im Einvernehmen mit den interessierten Gemeinden und nach Anhören der Beliehenen" festzulegen (Art. 20 Abs. 4).
Am 13. Juli 1964 genehmigte die Regierung die Konzessionsverträge unter verschiedenen Auflagen und Bedingungen. Die Frage der Mindestwassermenge liess sie vorerst offen; für eine Versuchszeit von vier Jahren sollte das Bau- und Forstdepartement die minimale Restwassermenge festlegen. Am 24. Juni 1968 fasste sie auf Betreiben der NOK folgenden Beschluss:
BGE 107 Ib 140 S. 142
"Die Abflussverhältnisse im Vorderrhein zwischen Tavanasa und Ilanz sind während des Betriebes des Kraftwerkes Tavanasa-Ilanz so zu gestalten, dass sie den berechtigten Forderungen der Hygiene, des Landschaftsschutzes und der Fischerei entsprechen. Die bei der Fassung Tavanasa während einer Versuchszeit von vier Jahren im Flussbett zu belassenden Wassermengen betragen (entsprechend dem Schreiben des Bau- und Forstdepartementes an die NOK vom 18. August 1964 und des Kleinen Rates (nunmehr Regierung) an die NOK vom 23. März/8. April 1965, Protokoll Nr. 656, S. 4):
1 m3/s im November, Dezember, Januar und Februar
2 m3/s im September, Oktober, März und April
3 m3/s im Mai, Juni, Juli und August
Die im Fluss während den verschiedenen Jahreszeiten endgültig zu belassenden Mindestwassermengen werden vom Kleinen Rat (nunmehr Regierung) nach Ablauf der Versuchszeit im Benehmen mit den Gemeinden und nach Anhörung der Beliehenen festgelegt, wobei jedoch die Gesamtwassermenge der Versuchszeit nicht überschritten, sondern lediglich innerhalb der Sommers-, Winters- und Übergangszeit anders verteilt werden soll. Die kantonale Natur- und Heimatschutzkommission unterbreitet den Gemeinden und dem Kanton Vorschläge für die endgültige Regelung."
In einem Nachtrag vom 12. Mai 1969 genehmigte die Regierung auf Gesuch der NOK die von den Gemeinden bis zum 1. August 1979 zugestandene Fristerstreckung für den Beginn der Bauarbeiten. Aus wirtschaftlichen Gründen machten die NOK von den erteilten Wassernutzungsrechten vorerst keinen Gebrauch. Erst im Sommer 1978 gründeten sie zur Realisierung des Doppelkraftwerks als Rechtsträgerin die Kraftwerke Ilanz AG. Diese reichte am 4. Januar 1979 bei der Baubehörde der Stadt Ilanz Baugesuche ein für die Unterwasserkanäle mit dem Auslaufbauwerk, für eine provisorische Unterkunft und für die Kraftwerkzentrale. Am 9. März 1979 erteilte der Stadtrat von Ilanz für diese Anlagenteile die Baubewilligung. Mit der Bauausführung begann die Kraftwerke Ilanz AG im Mai 1979.
Auf Ersuchen des kantonalen Fischereivereins Graubünden traf dann am 28. Dezember 1979 die Regierung nach Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens, in dem die Konzessionsgemeinden und die Beliehene zu Worte kamen, folgenden Beschluss:
"1. Der Kraftwerke Ilanz AG wird gestützt auf Art. 24 des Bundesgesetzes über die Fischerei vom 14. Dezember 1973 und Art. 22 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 die Bewilligung erteilt, die für den Bau und Betrieb der Kraftwerke Ilanz I und II unerlässlichen Veränderungen aller Gewässer vorzunehmen, welche Gegenstand der Wasserrechtsverleihungen der Gemeinden Breil/Brigels, Waltensburg/Vuorz, Rueun, Schnaus, Strada, Ilanz, Pigniu/Panix,
BGE 107 Ib 140 S. 143
Andiast, Siat, Ruschein, Falera und Schleuis sowie der Genehmigungsbeschlüsse der Regierung vom 13. Juli 1964, 23. März 1965 und 24. Juni 1968 sind.
Diese Bewilligung beinhaltet das Recht zur Ausnützung dieser Gewässer für den Bau und Betrieb der Kraftwerke Ilanz I und II, zur Vornahme der hiefür erforderlichen Fluss- und Bachverbauungen, Uferrodungen, Kanalbauten und Wasserableitungen sowie zu allen anderen Massnahmen, welche für die Ausführung der von der Regierung mit den Beschlüssen vom 5. Februar 1979, Protokoll Nr. 241, 26. Februar 1979, Protokoll Nr. 396, und 9. Juli 1979, Protokoll Nr. 1837, genehmigten Baupläne erforderlich sind.
2. Diese Bewilligung gilt unter dem Vorbehalt aller Massnahmen, welche die Regierung aufgrund der Verleihung sowie bestehender und künftiger Gesetze des Bundes und des Kantons im Interesse der Fischerei und des Natur-, Landschafts- und Gewässerschutzes zu gegebener Zeit anordnen wird. Vorbehalten werden insbesondere alle Massnahmen im Sinne von Art. 25 des Bundesgesetzes über die Fischerei vom 14. Dezember 1973, welche die Regierung gestützt auf die im Gang befindlichen Abklärungen als notwendig anordnen wird, sowie eine Festsetzung der im Vorderrhein zwischen Tavanasa und Ilanz zu belassenden Gesamtmindestwassermenge und ihrer Verteilung auf die verschiedenen Jahreszeiten.
3. (Rechtsmittelbelehrung.)"
Hiegegen führt die Kraftwerke Ilanz AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
... (Formelles.)
2.
Die Beschwerdeführerin stellt sich mit ihrem Hauptantrag auf den Standpunkt, sie habe eine Konzession für die Nutzung des Wassers; die Bündner Regierung habe 1968 die Restwassermenge definitiv festgelegt, und damit sei ihr als Kraftwerkunternehmen ein wohlerworbenes Recht auf Nutzung einer bestimmten Wassermenge verschafft worden. Bei dieser Rechtslage sei es nicht zulässig gewesen, ein fischereirechtliches Verfahren nach den Art. 24 ff. des neuen Fischereigesetzes vom 14. Dezember 1973 (FG) durchzuführen und dabei auch das eidgenössische Natur- und Heimatschutzgesetz vom 1. Juni 1966 (NHG) anzuwenden. Diese Gesetze seien nach Erteilung der Konzessionen in Kraft getreten und deshalb für die Ilanzer Kraftwerke nicht massgeblich.
Es ist im folgenden zu untersuchen, welche Rechte der Beschwerdeführerin aufgrund der Konzession zustehen (E. 3) und welches die Bedeutung des in die Konzession aufgenommenen
BGE 107 Ib 140 S. 144
Vorbehalts der bestehenden und künftigen Gesetzgebung ist (E. 4). Im Anschluss daran ist zu prüfen, ob das fischereirechtliche Verfahren durchgeführt werden durfte (E. 5) und welche Massnahmen die Regierung zu Lasten der Beschwerdeführerin vorschreiben durfte (E. 6).
3.
a) Durch die Konzessionserteilung - und nicht etwa erst mit dem Baubeginn - hat die Beschwerdeführerin das Recht auf Nutzung des Vorderrheinwassers zwischen Tavanasa und Ilanz erlangt. Zum obligatorischen Inhalt der Verleihung gehört nach Art. 54 lit. b des eidgenössischen Wasserrechtsgesetzes vom 22. Dezember 1916 (WRG) die Bestimmung der nutzbaren Wassermenge. ob die verliehene Wassermenge positiv (nutzbare Menge) oder wie hier negativ (Totalwassermenge abzüglich Abflusswasser) umschrieben wird, macht keinen Unterschied. Die Angabe des Umfangs des verliehenen Wasserrechts gehört der Natur der Sache nach zu den wesentlichen Bestandteilen einer Konzession, weil sich der Bewerber ohne sie über die Annahme der Verleihung, die eine notwendige Voraussetzung für deren Wirksamkeit bildet, gar nicht schlüssig werden kann (
BGE 49 I 174
). Aus diesem Grund gab sich denn auch die Beschwerdeführerin mit einer späteren Bestimmung, wie sie in der Konzessionsgenehmigung vom 13. Juli 1964 vorbehalten war, nicht zufrieden, sondern verlangte mit Schreiben vom 16. Februar 1965 ausdrücklich, es seien die Restwassermengen in die Bewilligung aufzunehmen und durch die Klausel zu ergänzen, die gesamte Dotierwassermenge dürfe auch nach der Versuchsperiode nicht erhöht werden, sondern es sei nur deren Verteilung auf die einzelnen Monate vorzubehalten. In ihrer Antwort vom 23. März 1965 bestimmte die Regierung die für die einzelnen Jahreszeiten massgebenden Restwassermengen und fügte folgendes bei:
"Es entspricht im übrigen auch unserer Auffassung, dass die für die Versuchszeit festgesetzte, jährliche Wassermenge nicht erhöht werden soll, sondern dass diese ansehnliche Wassermenge lediglich auf die einzelnen Monate anders verteil werden solle, wenn dies zweckmässig erschiene. Dabei ist am ehesten an Verschiebungen in den Übergangsmonaten zu denken. Sie dürfen somit von der Gesamtwassermenge ausgehen."
Der Regierungsbeschluss vom 24. Juni 1968 sah dann eine damit grundsätzlich übereinstimmende, zahlenmässig für die Beschwerdeführerin sogar noch etwas günstigere Regelung vor. Die Regierung brachte auch vor der Genehmigung der Fristerstreckung für den Baubeginn (Beschluss vom 12. Mai 1969) keinen
BGE 107 Ib 140 S. 145
Vorbehalt bezüglich der Mindestwassermenge an. Es ergibt sich, dass in der Konzession - bestehend aus den Gemeindeverleihungsakten und dem kantonalen Genehmigungsbeschluss, die als Einheit zu betrachten sind und bei deren Auslegung die Verhandlungskorrespondenz zu berücksichtigen ist - der Beschwerdeführerin mit der Festsetzung des Restwassers eine bestimmte oder zumindest bestimmbare Nutzwassermenge nach
Art. 54 lit. b WRG
zugesichert wurde.
b) Die Rechte, welche einem Kraftwerkunternehmen aufgrund einer Konzession für die Gewässernutzung eingeräumt werden, sind kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung wohlerworbene Rechte (
Art. 43 Abs. 1 WRG
). Dass mit Bezug auf Einzelheiten die Meinungen über das Wesen des wohlerworbenen Rechts vor allem in der Rechtslehre auseinander gehen, kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben (vgl. dazu: KÄMPFER, Zur Gesetzesbeständigkeit wohlerworbener Rechte, Mélanges Henri Zwahlen, 1977, S. 339 ff. und RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte im öffentlichen Recht, in: ZBl 80/1979 S. 1 ff.). Hier ist wichtig, dass ein wesentliches Element des wohlerworbenen Rechts die sog. Gesetzesbeständigkeit ist (KÄMPFER, a.a.O., S. 340 und 357 ff.; RHINOW, a.a.O., S. 4 und 17 ff.). Durch spätere Gesetze kann ein solches Recht grundsätzlich nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden. Rechte, die durch Konzessionen verliehen wurden, können somit durch die künftige Gesetzgebung nicht entschädigungslos aufgehoben oder sonstwie in ihrer Substanz beeinträchtigt werden. Dagegen ist es nicht von vorneherein ausgeschlossen, Gesetze anzuwenden, die nach der Verleihung in Kraft treten, sofern die neuen Normen keinen Eingriff in die Substanz des wohlerworbenen Rechts zur Folge haben.
4.
Die Bündner Regierung brachte in ihrem Genehmigungsbeschluss vom 13. Juli 1964 den Vorbehalt der bestehenden und künftigen Gesetze des Bundes und des Kantons an. Es stellt sich die Frage, ob dadurch die Gesetzesbeständigkeit der konzedierten Rechte aufgehoben wurde und diese deshalb nicht mehr als wohlerworben gelten können. Für eine solche Annahme könnte die Überlegung sprechen, dass wohlerworbene Rechte nur im Rahmen der Konzession bestehen, und es liesse sich erwägen, die Gesetzesbeständigkeit der verliehenen Rechte sei mit dem Vorbehalt der künftigen Gesetzgebung aufgehoben worden. Eine derartige rein formale Betrachtungsweise ist aber eindeutig abzulehnen.
Die Klausel, die anscheinend im Kanton Graubünden bei
BGE 107 Ib 140 S. 146
derartigen Konzessionen allgemein und sozusagen formelhaft verwendet wird, muss unter Beachtung der Rechtsnatur der Verleihung ausgelegt werden. Sie hat zwar nach ihrem Wortlaut eine ganz allgemeine Bedeutung. Es kann aber klarerweise nicht der Sinn des Vorbehalts sein, dass durch künftige Gesetze die konzedierten Rechte in ihrem Bestand beeinträchtigt werden könnten. Es wäre sinnwidrig, wenn der Inhaber der Wasserhoheit einerseits durch Verleihung Rechte einräumen würde, die allgemein als wohlerworben und damit gesetzesbeständig betrachtet werden, und anderseits mit einem Vorbehalt das wesentliche Element dieser Rechte, die Gesetzesbeständigkeit, gleich wieder entzöge. Der in die Konzession aufgenommene Vorbehalt der bestehenden und künftigen Gesetze kann sich bei vernünftiger Auslegung nur auf Normen beziehen, die keinen Eingriff in wohlerworbene Rechte zur Folge haben, während Regeln, die diese Rechte in ihrer Substanz beeinträchtigen und zu einem entschädigungslos hinzunehmenden Eingriff führen würden, vom Vorbehalt nicht erfasst sind. Auf das neue Fischereigesetz bezogen heisst das, dass zu Lasten des Konzessionärs Massnahmen, wie sie
Art. 25 Abs. 1 FG
nennt, nur insoweit angeordnet werden dürfen, als damit das Wassernutzungsrecht nicht in seinem Wesensgehalt beeinträchtigt wird.
Der Vorbehalt entfaltet somit seine Wirkung, soweit das neue Recht nicht in die Substanz der wohlerworbenen Rechte eingreift. Entsprechendes gilt zwar grundsätzlich auch ohne Vorbehalt, doch bedeutet der ausdrückliche Hinweis zumindest eine Klarstellung; es ist ihm also nicht jeder Sinn abzusprechen. Die Beschwerdeführerin wendet allerdings ein, der Vorbehalt sei auf die Formulierung des früheren
Art. 24bis BV
zurückzuführen, der in Abs. 8 verlangt habe, dass in allen Wasserrechtskonzessionen, die nach Inkrafttreten des Verfassungsartikels erteilt werden, die künftige Bundesgesetzgebung vorbehalten werde. Dieser Vorbehalt habe sich einzig auf das künftige WRG bezogen. Wie die Regierung in ihrer Vernehmlassung zutreffend darlegt, geht dieser Einwand fehl, weil im vorliegenden Falle dem Vorbehalt eindeutig eine umfassendere Bedeutung zukommt, was daraus hervorgeht, dass er nicht nur die künftige Bundesgesetzgebung, sondern auch das kantonale Recht vorbehält. Auch wäre er sinnlos, wenn er nur so zu verstehen wäre, dass die Anwendung des WRG vorbehalten bliebe.
5.
a) Aus diesen Erwägungen lässt sich schliessen, dass die Beschwerdeführerin zu Unrecht geltend macht, das fischereirechtliche Verfahren nach dem neuen Fischereigesetz und unter Anwendung
BGE 107 Ib 140 S. 147
des Natur- und Heimatschutzgesetzes hätte gar nicht durchgeführt werden dürfen, da beide Gesetze erst nach der Verleihung des Wasserrechts in Kraft getreten seien. Die Gesetzesbeständigkeit schliesst nicht schlechthin jede Anwendung eines späteren Gesetzes auf ein früher konzediertes Werk aus (E. 3b), und zudem lässt es der in die Konzession aufgenommene Vorbehalt der bestehenden und künftigen Gesetze ausdrücklich zu, dass künftige Gesetze auf die Konzessionärin angewendet werden. Das Fischereigesetz wie das Natur- und Heimatschutzgesetz enthalten zur Hauptsache Regeln, die an sich nicht in die Substanz der verliehenen Rechte eingreifen. Deshalb war es unter dem Gesichtspunkt des Schutzes wohlerworbener Rechte zulässig, das fischereirechtliche Verfahren durchzuführen und in der entsprechenden Bewilligung bestimmte Massnahmen vorzubehalten.
b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, im Rahmen der Verleihung sei die Frage der Fischerei (sowie des Landschafts- und Naturschutzes) abschliessend und ausreichend geregelt worden, weshalb eine Interessenabwägung aufgrund des Fischereigesetzes von 1973 unzulässig sei. Dass den öffentlichen Interessen, in deren Dienst FG und NHG stehen, grosses Gewicht zukommt, bestätigt die Zweckbestimmung der beiden Gesetze (
Art. 1 NHG
und
Art. 2 FG
).
Art. 26 FG
unterstreicht diese Bedeutung, indem er selbst für bestehende Anlagen Massnahmen zum Schutz oder zur Wiederherstellung von Fischgewässern vorschreibt; das Fischereigesetz soll also ausdrücklich auch bei Wasserrechten, die bereits ausgenutzt werden, Anwendung finden. In der Botschaft zum FG wird einlässlich begründet, weshalb die veraltete Fischereigesetzgebung von 1888 entsprechend den inzwischen eingetretenen Änderungen und den auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technik erzielten Fortschritten von Grund auf neu zu gestalten war (Botschaft vom 24. Januar 1973, BBl 1973 I 677 ff.). In den Erläuterungen zum hier massgeblichen vierten Abschnitt des Gesetzes wird ferner betont, dass den
Art. 22 ff. FG
"ausschlaggebende Bedeutung" zukomme, was auch in der parlamentarischen Beratung hervorgehoben wurde. Schliesslich wird in der Botschaft unterstrichen, dass die offensichtliche Lücke des bisherigen Rechts durch
Art. 23 WRG
nur teilweise geschlossen wurde. Die Meinung der Beschwerdeführerin, die Interessen der Fischerei und des Natur- und Heimatschutzgesetzes seien bereits bei der Verleihung des Wasserrechts ausreichend und abschliessend berücksichtigt worden, weshalb für ein weiteres Verfahren und weitere Anordnungen
BGE 107 Ib 140 S. 148
kein Raum mehr bleibe, trifft daher nicht zu. Die Regierung durfte das fischereirechtliche Verfahren ohne weiteres durchführen. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, dass überhaupt gestützt auf
Art. 24 ff. FG
ein Bewilligungsverfahren durchgeführt und Massnahmen im Interesse der Fischerei sowie des Natur-, Landschafts- und Gewässerschutzes vorbehalten wurden.
6.
Es ist weiter zu prüfen, ob die Bündner Regierung bei ihrer fischereirechtlichen Bewilligung vom 28. Dezember 1979 mit dem an sich zulässigen Vorbehalt von Massnahmen zu weit ging und damit Bundesrecht verletzte. Sie behielt sich zunächst in allgemeiner Weise alle Massnahmen vor, welche sie aufgrund der Verleihung sowie bestehender und künftiger Gesetze des Bundes und des Kantons im Interesse der Fischerei sowie des Natur-, Landschafts- und Gewässerschutzes zu gegebener Zeit anordnen werde. Sie fügte bei:
"Vorbehalten werden insbesondere alle Massnahmen im Sinne von Art. 25 des Bundesgesetzes über die Fischerei vom 14. Dezember 1973, welche die Regierung gestützt auf die im Gang befindlichen Abklärungen als notwendig anordnen wird, sowie eine Festsetzung der im Vorderrhein zwischen Tavanasa und Ilanz zu belassenden Gesamtmindestwassermenge und ihrer Verteilung auf die verschiedenen Jahreszeiten."
a) Da sich die vorbehaltenen Massnahmen auf
Art. 25 FG
stützen, ist es nötig, die in diesem Gesetz enthaltene Ordnung der Schutzmassnahmen kurz zu beleuchten. Nach
Art. 24 Abs. 1 FG
dürfen die Gewässer oder ihr Wasserhaushalt, die Wasserläufe und die Ufer nur mit besonderer Bewilligung der für die Fischerei zuständigen Behörde verändert werden. Der
Art. 25 FG
gilt für Neuanlagen und nennt die Massnahmen, die im Interesse der Fischerei vorgeschrieben werden können. Wohl bestimmt das Gesetz, die Behörde habe dabei die natürlichen Gegebenheiten und allfällige andere Interessen zu berücksichtigen. Die Meinung des Gesetzgebers geht indessen dahin, dass zum Schutz der Fischerei auch eingreifende Massnahmen vorzuschreiben sind, wenn sich das als notwendig erweist. Der
Art. 26 FG
, auf den zurückzukommen sein wird, gilt für bestehende Anlagen. Hält man sich an den Wortlaut des
Art. 25 FG
, so wäre mit der Bündner Regierung anzunehmen, die Vorschrift gelte auch für die Ilanzer Kraftwerke, die nicht bestehende, sondern neue Anlagen sind. Der Gesetzgeber schreibt aber vor, dass die Massnahmen bereits festzulegen sind, wenn das Projekt ausgearbeitet wird (Art. 25 Abs. 3), und er geht
BGE 107 Ib 140 S. 149
davon aus, das geschehe, bevor eine Konzession erteil ist. Er dachte beim Erlass des
Art. 25 FG
offensichtlich nicht an die Fälle bereits verliehener, aber noch nicht ausgenützter Wassernutzungsrechte. Wenn bereits eine Verleihung erfolgt und damit ein wohlerworbenes Recht entstanden ist, kann es nicht dem Sinn des Fischereigesetzes entsprechen, dass das wohlerworbene Recht missachtet und z.B. die Mindestwassermenge im Rahmen des
Art. 25 FG
zu Lasten des Konzessionärs entschädigungslos in wesentlichem Mass neu bestimmt und damit in die Substanz des wohlerworbenen Rechts eingegriffen wird; die Gesetzesmaterialien zeigen, dass der Gesetzgeber beim Erlass des Fischereigesetzes den
Art. 43 WRG
, der den Schutz der wohlerworbenen Rechte statuiert, nicht übergehen wollte. Es war deshalb unzulässig, dass sich die Regierung unter Ausschluss einer Entschädigungspflicht (Beschwerdeantwort S. 30/31) vorbehielt, aufgrund von
Art. 25 FG
auch solche Massnahmen zu treffen, die wesentlich in wohlerworbene Rechte der Beschwerdeführerin eingreifen, und im besondern den Vorbehalt anbrachte, die im Konzessionsverfahren festgelegte Mindestwassermenge nach Abschluss der Untersuchungen allenfalls im Rahmen der für neue Anlagen geltenden Regeln ohne Berücksichtigung des verliehenen Nutzungsrechts zu erhöhen. Insoweit ist der angefochtene Entscheid mit dem Bundesrecht nicht vereinbar und die Beschwerde begründet.
b) Wie ausgeführt, können nach
Art. 26 FG
auch für bestehende Anlagen Massnahmen zum Schutz oder zur Wiederherstellung von Fischgewässern vorgeschrieben werden. Es versteht sich, dass die Beschwerdeführerin sich solche Massnahmen gefallen lassen muss. Sind diese gegenüber einem schon bestehenden Werk zulässig, so sind sie es umso eher gegenüber einem solchen, das noch nicht besteht, für welches indessen bereits die Konzession erteilt wurde.
Es ist anzunehmen, es handle sich bei den in
Art. 26 FG
vorgesehenen Massnahmen der Art nach um solche, wie sie im einzelnen in
Art. 25 FG
aufgezählt sind. Es kann sich dabei auch um Massnahmen handeln, die wohlerworbene Rechte tangieren. Während indessen bei Neuanlagen aufgrund des
Art. 25 FG
unter Umständen auch Massnahmen vorgeschrieben werden dürfen, die für den Unternehmer eine bedeutende Last darstellen, sind für bestehende Anlagen aufgrund des
Art. 26 FG
verständlicherweise keine derart weittragenden Massnahmen möglich. Massnahmen dürfen vielmehr nur angeordnet werden, "sofern die damit verbundenen Schwierigkeiten und die entstehende wirtschaftliche oder finanzielle
BGE 107 Ib 140 S. 150
Belastung nicht übermässig gross sind". Gegenüber der Beschwerdeführerin müssen sich also die von der Bündner Regierung vorbehaltenen Massnahmen in diesem wesentlich engern Rahmen halten. Sie müssen, wie in der Botschaft zum Fischereigesetz (a.a.O., S. 690) ausgeführt wurde, vom technischen, wirtschaftlichen und finanziellen Standpunkt aus für den Werkeigentümer zumutbar sein und der Fischerei in materieller und ideeller Hinsicht nachweisbar einen entsprechenden Gewinn bringen. Es wäre unzulässig, im Rahmen des
Art. 26 FG
ein wohlerworbenes Recht in erheblichem Mass zu beeinträchtigen und damit in dessen Substanz einzugreifen.
Es liesse sich einwenden, auf diese Weise werde es möglich, dass zwar nur in engem Rahmen, aber doch grundsätzlich in wohlerworbene Rechte eingegriffen wird, insbesondere durch eine Erhöhung der Restwassermenge. Da diese jedoch nur erfolgen darf, wenn und soweit die damit verbundenen Schwierigkeiten und die entstehende wirtschaftliche oder finanzielle Belastung nicht übermässig gross sind, wird man dabei kaum von einer Massnahme sprechen können, die geradezu in die Substanz oder den Wesensgehalt des wohlerworbenen Rechts eingreift. Im übrigen ergibt sich aus der Systematik des vierten Abschnitts des FG, dessen Ordnung für das Bundesgericht verbindlich ist (Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV), mit genügender Deutlichkeit, dass der Bundesgesetzgeber im Interesse der Fischerei und des Umweltschutzes auch für bestehende Anlagen in dem in Art. 26 umschriebenen begrenzten Umfang Eingriffe, die wirtschaftlich tragbar sind, ohne Entschädigung zulassen wollte. Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen und Ziffer 2 des Dispositivs des angefochtenen Beschlusses in dem Sinn aufzuheben, dass die Regierung des Kantons Graubünden Massnahmen nur im Rahmen des Art. 26 und nicht des
Art. 25 FG
vorschreiben darf.
Diesen Erwägungen mag eine allgemeine Bemerkung angefügt werden: Wenn nach dem vorliegenden Urteil gegenüber der Beschwerdeführerin Massnahmen nur im beschränkten Rahmen des
Art. 26 FG
zulässig sind, so ist dabei zu beachten, dass der Fall der Kraftwerke Ilanz ein solcher der Übergangsperiode ist. Die Konzession für das Werk wurde vor Inkrafttreten des Fischereigesetzes erteilt. Wenn die Konzession für ein solches Kraftwerk erst heute verlangt würde, so könnten alle, auch weittragende Massnahmen gemäss
Art. 25 FG
vorgeschrieben werden. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b461430-f857-46c5-9557-3c45d8a5ffd0 | Urteilskopf
84 III 76
20. Arrêt du 16 juillet 1958 dans la cause Grutter. | Regeste
Art. 79 Abs. 1 OG
. Zulässigkeit neuer Beweismittel, die der Rekurrent im kantonalen Verfahren anzubringen keine Veranlassung gehabt hatte.
Art. 123 SchKG
. Anrechnung der Zahlungen von Drittschuldern auf die Abschlagszahlungen, die der im Genuss eines Verwertungsaufschubes stehende Schuldner zu leisten hat. | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 84 III 76 S. 76
A.-
L'Imprimerie Henri Studer SA poursuit Roger Grutter en paiement de 30 838 fr. 05. L'Office des poursuites de Genève a saisi notamment une créance d'environ 9500 fr. que le débiteur avait contre Ernest Maurer.
BGE 84 III 76 S. 77
Celui-ci a reconnu sa dette et s'est engagé à se libérer par trois acomptes d'environ 3200 fr.
La créancière ayant requis la vente, Grutter a demandé un sursis en vertu de l'art. 123 LP et a versé immédiatement 4000 fr. Par décision du 27 janvier 1958, l'Office des poursuites a différé la vente de sept mois, à la condition que le débiteur versât 4500 fr. le 24 de chaque mois et s'acquittât du solde le 24 août 1958.
Le 7 juin 1958, l'Office a constaté que l'acompte du 24 mai n'était pas encore payé; il a dès lors avisé le débiteur que le sursis était devenu caduc et que l'enlèvement des biens saisis était fixé au 13 juin.
B.-
Grutter a porté plainte contre cette décision, en demandant qu'elle soit annulée. Il relevait que l'échéance du 24 mai tombait dans les féries de Pentecôte et que le délai était prolongé jusqu'au troisième jour utile, c'est-à-dire jusqu'au 4 juin 1958 (art. 56 ch. 3 et 63 LP). Or, expliquait-il, Maurer avait déjà fait, à cette date, deux versements de 3200 fr., qui couvraient l'acompte de mai.
L'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a rejeté la plainte par décision du 20 juin 1958. Se fondant sur les indications fournies par l'Office des poursuites, elle a considéré que Maurer n'avait effectué son second versement que le 5 juin; supposé - a-t-elle ajouté - que de tels versements de tiers puissent être imputés sur les acomptes dus par le débiteur, celui du 24 mai n'en a pas moins été payé tardivement, puisqu'il devait l'être intégralement le 4 juin au plus tard; dès lors, c'est à bon droit que l'Office a déclaré le sursis caduc et a ordonné l'enlèvement des objets saisis.
C.-
Grutter recourt au Tribunal fédéral en reprenant les conclusions qu'il a formulées et les arguments qu'il a développés devant la juridiction cantonale. Il joint à son recours un récépissé postal dont il ressort que c'est le 3 juin à midi que Maurer a versé 3200 fr. à l'intention de l'Office des poursuites.
BGE 84 III 76 S. 78
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Il est exact que l'échéance du 24 mai tombait dans les féries et que le délai de paiement était prolongé jusqu'au 4 juin 1958 en vertu de l'art. 63 LP. Or le récépissé postal produit par le recourant démontre qu'à cette date, Maurer avait déjà effectué son second versement de 3200 fr. Il est vrai que ce document constitue une preuve nouvelle et que le recourant ne prétend point qu'il n'en disposait pas encore lorsqu'il a porté plainte. Mais il n'avait alors aucune raison de le produire, car il pouvait admettre que l'Office des poursuites donnerait des renseignements exacts à l'Autorité de surveillance. Cette nouvelle preuve est donc recevable (art. 79 al. 1 OJ; RO 73 III 33, 77 III 129).
Dans ces conditions, l'acompte du 24 mai a été payé en temps utile, si les versements de Maurer doivent être imputés sur les montants dus par le débiteur.
2.
Le Tribunal fédéral a déjà tranché la question par l'affirmative dans le cas où le débiteur est soumis à une saisie de salaire. En règle générale, a-t-il dit, l'Office des poursuites fixe le montant des acomptes de façon que la dette soit éteinte à l'expiration du sursis; or elle s'éteindrait auparavant déjà si l'on ne prenait pas la saisie de salaire en considération; on enlèverait ainsi aux débiteurs frappés d'une telle saisie la faculté d'obtenir un sursis de la durée maximum prévue par l'art. 123 LP, alors qu'il n'y a aucune raison de les traiter plus rigoureusement que les autres; il y a donc lieu, tout en fixant des acomptes assez élevés pour couvrir la dette à eux seuls, d'imputer sur les sommes à verser par le débiteur le montant effectivement retenu sur son salaire (RO 74 III 17/18).
Cette argumentation est également applicable lorsqu'on a saisi d'autres créances du débiteur contre des tiers, qui se libèrent en mains de l'Office. Ne pas tenir compte de tels versements reviendrait en effet à réduire la durée du sursis. En outre, on risquerait de placer le débiteur
BGE 84 III 76 S. 79
dans une situation difficile, car il se peut qu'il ait précisément compté sur ces paiements pour s'acquitter des engagements assumés envers l'Office. Dès lors, les versements de tiers doivent être imputés sur les acomptes dus par le débiteur.
Il se peut, certes, que de tels paiements améliorent la situation du débiteur et que celui-ci soit alors en mesure d'acquitter immédiatement la dette ou de verser des acomptes plus importants. Mais, s'il en est ainsi, le créancier peut demander à l'Autorité de surveillance, en vertu de l'art. 123 al. 5 LP, de révoquer le renvoi ou de le subordonner au versement d'acomptes plus élevés.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites
Admet le recours et annule la décision prise par l'Office des poursuites de Genève le 7 juin 1958. | null | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8b46f7fd-3859-4bc3-84d3-91e0a857e0f1 | Urteilskopf
117 IV 9
4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Februar 1991 i.S. X. und Y. gegen Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 91 Ziff. 1 StGB
; Erziehungsmassnahmen.
1. Für die Konkretisierung des Begriffs der Nichtbewährung gemäss
Art. 97 Abs. 2 StGB
sind die in den
Art. 94 Ziff. 2 Abs. 1,
Art. 95 Ziff. 5 und
Art. 96 Ziff. 3 StGB
verwendeten Umschreibungen heranzuziehen. Nichtbewährung im konkreten Fall bejaht, da zwar keiner Weisung zuwidergehandelt (denn diese war eine blosse Aufforderung, nicht rückfällig zu werden), aber das in die Jugendliche gesetzte Vertrauen getäuscht wurde (E. 2).
2. Die Anordnung einer Erziehungsmassnahme gemäss
Art. 91 StGB
setzt kein Delikt von qualifizierter Schwere voraus (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 117 IV 9 S. 10
A.-
Mit Entscheid des Jugendanwalts von Basel-Stadt vom 5. August 1988 wurde Y. (geb. 8.3.1973) der wiederholten und fortgesetzten Beschimpfung sowie des wiederholten und fortgesetzten Missbrauchs des Telefons schuldig erklärt; der Entscheid, ob eine Strafe oder Massnahme auszusprechen sei, wurde gemäss
Art. 97 Abs. 1 StGB
für 1 1/2 Jahre aufgeschoben und während dieser Probezeit die Überwachung ihrer weiteren Entwicklung durch das Jugendamt angeordnet. Nach Eröffnung einer neuen Strafuntersuchung wurde Y. mit Überweisungsbeschluss der Jugendanwaltschaft vom 6. Februar 1990 wegen Nichtbewährung gemäss
Art. 97 Abs. 2 StGB
in Verbindung mit § 36 lit. h des Gesetzes über die Jugendstrafrechtspflege (JuStG) der Jugendstrafkammer zur Beurteilung überwiesen.
B.-
Mit Entscheid vom 14. März 1990 stellte die Jugendstrafkammer gemäss
Art. 97 Abs. 2 StGB
die Nichtbewährung von Y. fest und beschloss ihre Unterbringung in einer geeigneten Fremdfamilie nach
Art. 91 Ziff. 1 StGB
unter Anrechnung der Zeit seit
BGE 117 IV 9 S. 11
dem 3. November 1989 an die Massnahmedauer und unter gleichzeitiger Anordnung einer besonderen Behandlung (Psychotherapie) gemäss
Art. 92 StGB
.
C.-
Gegen den Entscheid der Jugendstrafkammer erhoben Y. und ihre Mutter X. Beschwerde beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, welches die Beschwerde am 25. April 1990 abwies.
D.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde wenden sich X. und Y. gegen den Entscheid des Appellationsgerichts.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss
Art. 97 Abs. 1 StGB
kann der Entscheid, ob der Jugendliche einer der vorgesehenen Massnahmen bedarf oder ob er zu bestrafen sei, unter Bestimmung einer Probezeit von sechs Monaten bis zu drei Jahren aufgeschoben werden; überdies können Weisungen nach
Art. 91 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
erteilt werden; die weitere Entwicklung des Jugendlichen wird überwacht. Nach
Art. 97 Abs. 2 StGB
verhängt die urteilende Behörde im Falle der Nichtbewährung während der Probezeit Einschliessung, Busse oder eine der vorgesehenen Massnahmen.
Die Vorinstanz ging mit der Jugendstrafkammer davon aus, es liege ein Fall der Nichtbewährung vor und bestätigte die von der Jugendstrafkammer angeordnete Unterbringung in einer geeigneten Fremdfamilie nach
Art. 91 Ziff. 1 StGB
.
b) Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, von einer Nichtbewährung im Sinne von
Art. 97 Abs. 2 StGB
könne nur unter den gleichen Voraussetzungen gesprochen werden wie in den Fällen von
Art. 95 Ziff. 5 und
Art. 96 Ziff. 3 StGB
, welche eine förmliche Mahnung oder eine qualifizierte Täuschung des Vertrauens erforderten; hier seien der Beschwerdeführerin 2 vom Jugendanwalt am 5. August 1988 folgende Weisungen erteilt worden:
"1. Sofortiges Einstellen der Telefonanrufe bei der Firma Z., Herrn S.
etc.
2. Striktes Befolgen der Weisungen des Jugendamtes."
Die Beschwerdeführerin 2 habe diese Weisungen nie missachtet, zumal das Jugendamt keine konkreten Weisungen gemäss Ziffer 2 erlassen habe. Selbst wenn man annehmen wollte, die von der Beschwerdeführerin während der Probezeit vorgenommenen Telefonanrufe bei der Privatadresse von Herrn S. würden einen
BGE 117 IV 9 S. 12
Verstoss gegen die Weisungen darstellen, so mangle es an einer förmlichen Mahnung. Entgegen dem Appellationsgericht genüge nicht jedes Nichtwohlverhalten.
Die Beschwerdeführerinnen stützen sich auf zwei Literaturstellen (MARIE BOEHLEN, Kommentar zum Schweizerischen Jugendstrafrecht,
Art. 97 N 5
; JÖRG REHBERG, Strafrecht II, S. 152). Während REHBERG seine Auffassung nicht begründet, geht BOEHLEN davon aus,
Art. 97 Abs. 2 StGB
umschreibe nicht näher, was unter Nichtbewährung zu verstehen sei; es erscheine deshalb zweckmässig, auf die Umschreibungen in Art. 94 Ziff. 2 Abs. 1 sowie die beiden bereits zitierten Bestimmungen zurückzugreifen (ebenso TRECHSEL,
Art. 97 N 5
und ROBERT HAENNI, Der Aufschub des Entscheides nach Art. 97 des Schweizerischen Strafgesetzbuches als Unterbruch im Strafverfahren, Diss. Basel, 1953, S. 25 f.).
Dem ist zuzustimmen. Da im vorliegenden Fall eine förmliche Mahnung nicht behauptet wird, stellt sich die Frage, ob auch ohne eine solche eine Nichtbewährung angenommen werden kann. Die Frage kann im vorliegenden Fall offengelassen werden, enthält die in Frage stehende Weisung doch nur das ohnehin geltende Verbot des Missbrauchs des Telefons; im Verstoss gegen die Weisung liegt daher zugleich auch ein Verstoss gegen die entsprechende Strafrechtsnorm, welche einzuhalten auch ohne förmliche Mahnung geboten ist. Die Weisung ist daher vielmehr eine bloss Aufforderung, nicht rückfällig zu werden.
Die Beschwerdeführerin handelte somit nicht einer Weisung zuwider, sondern täuschte das in sie gesetzte Vertrauen, indem sie nicht nur erneut missbräuchliche Telefonate führte, sondern auch falsche Bestellungen von Waren und Dienstleistungen auf den Namen ihrer Opfer aufgab. Wenn deshalb die Vorinstanz annahm, die Beschwerdeführerin 2 habe damit gezeigt, dass sie trotz Aufschubs des Entscheids über die Sanktion nicht gewillt oder in der Lage sei, ihr Fehlverhalten einzustellen, und daraus den Schluss auf eine Täuschung des Vertrauens während der Probezeit zog, so hat sie kein Bundesrecht verletzt.
3.
Weiter wird geltend gemacht, die Anordnung einer Erziehungsmassnahme gemäss
Art. 91 StGB
setze eine Tat von einer qualifizierten Schwere voraus, woran es hier fehle. In Anlehnung an
Art. 43 StGB
, wonach eine Massnahme lediglich bei Verbrechen und Vergehen möglich sei, müsse auch im Jugendstrafrecht die Tat eine qualifizierte Schwere aufweisen. Sonst komme es zu
BGE 117 IV 9 S. 13
einer Vermischung mit dem Zivilrecht, wo gemäss
Art. 307 ff. ZGB
bei entsprechenden weiteren Voraussetzungen eine Massnahmebedürftigkeit genüge. Die Auffassung der Vorinstanz, allein die Massnahmebedürftigkeit und nicht die Schwere des vorgeworfenen Fehlverhaltens sei entscheidend, sei unrichtig.
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen setzt die Anordnung einer Erziehungsmassnahme gemäss
Art. 91 StGB
kein Delikt von qualifizierter Schwere voraus. Sie ist vielmehr nach dem klaren Wortlaut von
Art. 89 StGB
bei jeder Straftat eines Jugendlichen zulässig, also auch bei einer Übertretung. Eine Einschränkung auf Verbrechen oder Vergehen, wie sie das Erwachsenenstrafrecht kennt (vgl.
Art. 42 Ziff. 1 Abs. 1,
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 und
Art. 104 Abs. 2 StGB
), besteht nicht. Diese Regelung entspricht der Konzeption des Jugendstrafrechts, welches vom Gedanken der staatlichen Fürsorge getragen ist: Die vom jungen Menschen begangene Straftat wird verstanden nicht in erster Linie als Verletzung des Rechtsfriedens, die nach einer ausgleichenden oder vergeltenden Sanktion ruft, sondern als mögliches Indiz für eine Fehlentwicklung, die es aufzufangen gilt (vgl. SCHULTZ, Allg. Teil II, S. 222). Zeigt es sich, dass die Entwicklung des Jugendlichen gestört ist, so sind die erforderlichen Erziehungsmassnahmen anzuordnen, unabhängig davon, ob die Anlasstat schwer wiegt oder nicht (BOEHLEN, a.a.O., S. 19 ff., mit Hinweisen auf die hievon zum Teil abweichenden Auffassungen in der Literatur).
Im übrigen schreibt
Art. 91 Ziff. 2 StGB
bei einem Verbrechen oder schweren Vergehen, das einen hohen Grad der Gefährlichkeit oder Schwererziehbarkeit bekundet, eine sogenannte qualifizierte Heimeinweisung vor, die anders als die einfache Heimeinweisung nach
Art. 91 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
nicht nur mindestens ein Jahr (vgl.
Art. 94 Ziff. 1 StGB
), sondern mindestens zwei Jahre dauert. Die Erziehungsmassnahmen gemäss
Art. 91 Ziff. 1 StGB
sollen demnach gerade in Fällen Platz greifen, in denen weniger gewichtige Straftaten vorliegen.
b) Auch der Einwand, eine "Vermischung" der jugendstrafrechtlichen Sanktionen mit den Kindesschutzmassnahmen des ZGB sei zu vermeiden, erweist sich als unbegründet. Die zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen nach
Art. 307 ff. ZGB
und die Erziehungsmassnahmen des Jugendstrafrechts stimmen sowohl hinsichtlich ihrer Voraussetzungen als auch in ihrer Ausgestaltung in wesentlichen Punkten überein (vgl. BOEHLEN, a.a.O., S. 22,
BGE 117 IV 9 S. 14
24/5; ADRIENNE HILTY-WARTENWEILER, Das Verhältnis der zivilrechtlichen zu den jugendstrafrechtlichen Erziehungs- und Fürsorgemassnahmen, Diss. Zürich 1970, S. 29, 24; SCHULTZ, a.a.O., S. 223). Ihre Anordnung fällt im Kanton Basel-Stadt denn auch in die Kompetenz derselben Behörde (vgl. BOEHLEN, a.a.O., S. 25/26), was an sich auch für andere Kantone wünschbar wäre (vgl. CYRIL HEGNAUER, Revision des Jugendstrafrechts und zivilrechtlicher Kindesschutz, ZVW 1989 S. 16 ff., 18). Der von den Beschwerdeführerinnen angestrebte Vorrang des zivilrechtlichen Kindesschutzes erscheint überdies in denjenigen Kantonen nicht unproblematisch, wo aus organisatorischen Gründen dieser Schutz oft nicht rechtzeitig und sachgerecht zum Zuge kommen kann (vgl. HEGNAUER, a.a.O., S. 22). | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8b47c0fb-7395-48ba-8a8f-5031b58a8fa0 | Urteilskopf
109 IV 15
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Januar 1983 i.S. St. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 117 StGB
.
Art. 229 StGB
. Arbeitsunfall. Fahrlässige Tötung. Verletzung der Regeln der Baukunde.
1. Für die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften hat nicht nur derjenige zu sorgen, der die spezifische Unfallgefahr geschaffen hat, sondern jeder Arbeitgeber von Untergebenen, die erkennbar gefährdet sind. Ein Hinweis auf die Gefahr anstelle der Durchsetzung von Sicherungsmassnahmen genügt nicht (E. 2a).
2. Die Verantwortung des Sorgfaltspflichtigen ist unabhängig von der finanziellen Bedeutung des Arbeitsauftrags (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 109 IV 15 S. 16
A.-
St. ist Inhaber der Firma St. & Co., Leichtmetallbedachungen, Reinach/AG. Zwei Arbeitnehmer dieser Firma, W., Sanitärmonteur, und der Spenglerlehrling S., führten Ende Oktober 1978 auf dem Dach des Neubaus des Postgebäudes in Menziken Arbeiten aus. Die offenen Dachluken (in der Grösse von 128 x 132 cm) waren mit Plastikfolien abgedeckt. Am 26. Oktober 1978 um 15.30 Uhr trat W. beim Überqueren des Daches auf eine solche Plastikfolie, stürzte durch die Dachluke auf den 4,5 m tiefer liegenden Betonboden und erlitt schwere Kopfverletzungen, die zum Tode führten.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau erhob gegen St. Anklage wegen fahrlässiger Tötung (
Art. 117 StGB
) und wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (
Art. 229 StGB
); dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe es bei der Besichtigung der Baustelle auf dem Dach des Postgebäudes in pflichtwidriger Weise unterlassen, dafür zu sorgen, dass die mit Plastikfolien abgedeckten offenen Dachluken vorschriftsgemäss entweder in solider Weise überdeckt oder mit starken Schutzgeländern umgeben wurden.
B.-
Während das Bezirksgericht Kulm St. mehrheitlich freisprach, hat das Obergericht des Kantons Aargau die Berufung der Staatsanwaltschaft gutgeheissen, St. gemäss Anklage schuldig gesprochen und zu einer Busse von Fr. 400.-- verurteilt.
C.-
Gegen diesen Entscheid führt St. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 7 der Verordnung über die Verhütung von Unfällen an und auf Dächern vom 17. November 1967 (SR 832.311.15)
sind Boden- und Wandöffnungen jeder Art, durch die
BGE 109 IV 15 S. 17
ein Absturz möglich ist, während der Arbeit entweder in solider Weise zu überdecken oder mit starkem Schutzgeländer und Bordbrett zu umgeben. Diese wichtige Vorschrift wurde im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Das Abdecken mit einer Plastikfolie stellte keine Sicherung dar, erhöhte aber die Gefahr eines Fehltrittes in verhängnisvoller Weise. Die in Art. 7 der Verordnung umschriebene anerkannte Regel der Baukunde wurde missachtet.
Das Obergericht hat festgehalten, dass die Gefahrensituation im vorliegenden Fall von der Baufirma H. & Cie. auf Veranlassung des Bauleiters S. geschaffen worden sei durch Wegnahme der vorher unter den Luken befindlichen Riconplatten und durch das Abdecken mit Plastikfolien. S. wurde strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
2.
Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz erkannte der Beschwerdeführer das besondere Risiko, welches diese offenen Dachluken für Arbeiten auf dem Dach bildeten. Er hat W. auf die Gefahr aufmerksam gemacht. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird sinngemäss bestritten, dass St. eine strafrechtlich erfassbare Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, weil er es unterlassen habe, die von der Baufirma H. geschaffene Gefährdung zu beseitigen.
a) Wer bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks mitwirkt, ist dafür verantwortlich, dass in seinem Bereich die Regeln der Baukunde eingehalten werden. Soweit es um Massnahmen der Unfallverhütung geht, hat nicht nur derjenige, der die spezifische Unfallgefahr geschaffen hat, für die vorschriftsgemässe Verminderung oder Ausschaltung des Risikos besorgt zu sein, sondern jeder Arbeitgeber hat erkennbare Mängel, welche für seine Leute eine vermeidbare Gefährdung bilden, zu beheben oder durch zweckmässige Intervention die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften zu veranlassen. Der Beschwerdeführer, der einen Vorarbeiter und einen Lehrling mit Arbeiten auf dem Dach des Postgebäudes betraute, hätte die Gefahr der offenen, durch Plastikfolien abgedeckten Dachluken nicht einfach bestehen lassen dürfen. Es kam ihm in dieser Hinsicht in bezug auf seine Untergebenen eine strafrechtlich relevante Garantenstellung zu. Der gegenüber W. geäusserte Hinweis auf die Gefährlichkeit der Situation vermag den Beschwerdeführer nicht zu entlasten. Eine "Ermahnung" genügte nicht. Es hätte eine dem Art. 7 der erwähnten Verordnung entsprechende Sicherungsmassnahme durchgesetzt werden müssen.
BGE 109 IV 15 S. 18
b) Nachdem feststeht, dass der Beschwerdeführer sich persönlich um die Zuweisung dieser Isolationsarbeit auf dem Dach kümmerte und die spezifische Gefahr erkannte, lässt sich seine Tätereigenschaft im Sinne des
Art. 229 StGB
nicht in Zweifel ziehen (vgl. BENDEL, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei der Verletzung der Regeln der Baukunde, Genfer Diss. 1960, S. 27 ff.;
BGE 104 IV 96
). Das in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgetragene Argument, die Arbeit, welche den Unfall zur Folge hatte, habe nur einen kleinen Zusatzauftrag von ca. Fr. 600.-- betroffen, ist unbehelflich. Die Verantwortung für die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften hängt selbstverständlich nicht von der finanziellen Bedeutung des Auftrages ab; auch bei kleinen Arbeiten auf dem Dach sind die einschlägigen Regeln zu beachten; das geringe in Frage stehende Arbeitsvolumen rechtfertigt das Tolerieren einer vorschriftswidrigen Gefahrensituation nicht. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8b4a94cf-6704-4d8e-a5e1-eea4d9407104 | Urteilskopf
103 IV 1
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Januar 1977 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern | Regeste
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
.
Ambulante Behandlung.
Als solche kommt nur eine vom Arzt oder unter ärztlicher Kontrolle durchgeführte Behandlung in Betracht, nicht hingegen eine bloss fürsorgerische Betreuung. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 103 IV 1 S. 1
Im September 1972 nahm F. beim Bankgeschäft K. ein Darlehen von Fr. 6'000.-- auf. Im Kreditgesuch machte er auf vorgedrucktem Formular verschiedene falsche Angaben über seine persönlichen und finanziellen Verhältnisse. So gab er u.a. an, dass er keine Schulden besitze, was in Wirklichkeit jedoch nicht zutraf. Ferner erklärte er, er brauche das Darlehen für die Anschaffung von Mobilien. Statt dessen verbrauchte er das Geld für eine Reise mit seiner Frau durch Österreich. Sodann führte er im Kreditgesuch aus, er habe ein Vermögen von Fr. 15'000.--, was nicht den Tatsachen entsprach. Ferner hinterlegte er eine Lebensversicherungspolice als Sicherheit; diese Police war jedoch bereits ausser Kraft gesetzt worden, weil keine Prämien mehr bezahlt worden waren.
Das Obergericht des Kantons Luzern sprach F. am 23. September 1976 des Betruges schuldig und verurteilte ihn zu 4 Monaten Gefängnis.
BGE 103 IV 1 S. 2
F. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag auf Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache an das Obergericht zu erheblicher Herabsetzung der Strafe und zum Aufschub des Strafvollzugs unter Anordnung einer ambulanten Behandlung im Sinne von
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 und
Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Kriminalgericht hatte den Strafvollzug aufgeschoben und ambulante Behandlung angeordnet wegen der psychischen Konstitution des Angeklagten (
Art. 43 StGB
) sowie zur Vermeidung der Trunksucht (
Art. 44 StGB
). Das Obergericht führt aus, der Angeklagte habe sich seit der Alkoholentwöhnungskur im Frühling 1973 ohne Antabus-Tabletten gehalten; ambulante Behandlung wegen Trunksucht sei daher nicht nötig. Die Betreuung durch die Fürsorgestelle Aarau sei nicht eine ärztliche Behandlung für einen psychisch Kranken - eine solche habe der Gutachter für nicht notwendig erachtet - sondern eine fürsorgerische Betreuung, die dem Angeklagten umfassend beistehen und einen Rückfall verhindern solle. Nicht jede Hilfsmassnahme könne aber einen Aufschub des Vollzugs bewirken. Noch weniger als die ärztliche Behandlung dürfe eine fürsorgerische Betreuung Mittel sein, die Strafe zu umgehen.
Der Beschwerdeführer macht zur Hauptsache geltend, die Entwöhnungskur sei bei einem schweren, chronischen Alkoholiker für sich allein noch keine abgeschlossene Massnahme. Hinzu komme eine längere intensive Betreuung durch eine erfahrene Fürsorgestelle. Es liege in der Natur der Sache, dass diese nach der Entlassung aus der Trinkerheilanstalt ambulant erfolge. Sie sei unabdingbarer Bestandteil der Massnahme. Mit diesem Einwand ist der Beschwerdeführer nicht zu hören. Er steht im Widerspruch zu der tatsächlichen und daher gemäss
Art. 277bis Abs. 1 BStP
für den Kassationshof verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, dass sich der Beschwerdeführer seit der Entwöhnungskur im Frühling 1973 - also während 3 1/2 Jahren - sogar ohne die Einnahme von Antabus-Tabletten hat halten können. Von einer nicht abgeschlossenen Alkoholentwöhnung ist somit keine Rede.
Sofern der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf seine
BGE 103 IV 1 S. 3
Anfälligkeit für depressive Verstimmungen, in denen er suizidal werden könne, geltend machen will, die ambulante Betreuung durch die Fürsorgestelle Aarau sei auch wegen seinem psychischen Gesundheitszustand erforderlich, so ist zu sagen, dass
Art. 43 StGB
ausdrücklich nur von ärztlicher Behandlung spricht. Unter dieser ist, mag sie stationär oder ambulant durchgeführt werden, ausschliesslich die Behandlung durch einen Arzt oder unter der Aufsicht eines Arztes zu verstehen, nicht auch irgendwelche Betreuung durch eine Fürsorgestelle oder dergleichen. Eine ärztliche Behandlung als psychisch Kranker hat im übrigen nach der Feststellung der Vorinstanz der Gutachter für nicht notwendig erachtet.
Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, laut der Fürsorgestelle Aarau wäre nicht nur die bereits erfolgreich abgeschlossene freiwillige Entwöhnungskur durch den Strafvollzug wiederum in Frage gestellt, sondern würde auch eine ambulante Behandlung in der Strafanstalt voraussichtlich nutzlos sein, kann nach dem Gesagten in diesem Verfahren nicht eingetreten werden, wohl aber auf das vom Beschwerdeführer in Aussicht genommene Begnadigungsgesuch. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8b4c2b30-4c9a-4ea6-b1f7-707ce4d7870c | Urteilskopf
101 Ib 252
47. Arrêt du 16 mai 1975 en la cause Département militaire fédéral c. Commission de recours de l'Administration militaire fédérale et Eggs et Luginbühl | Regeste
Verantwortlichkeit des Bundes für Handlungen von Militärpersonen.
Art. 62 Abs. 3 VwVG
.
1. Verantwortlichkeit des Bundes für das Verhalten der Militärpersonen im allgemeinen (Erw. 1) und im vorliegenden Fall (Erw. 3).
2. Ersatz des Schadens, den der durch die unerlaubte Handlung unmittelbar Betroffene erlitten hat (Erw. 2).
3. Verletzung von
Art. 62 Abs. 3 VwVG
(Erw. 4a). Verzugszins (Erw. 4b). | Sachverhalt
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BGE 101 Ib 252 S. 253
Le 27 septembre 1972, la compagnie G. av. 4, qui effectuait des travaux de terrassement sur l'aérodrome de Sion, a endommagé, au cours de ceux-ci, une conduite d'eau propriété des Services industriels de la ville de Sion. La rupture de cette canalisation a interrompu l'approvisionnement en eau de la fabrique de ciment et de béton de l'entreprise Eggs et Luginbühl. Celle-ci a estimé le montant du dommage subi à 1'939 fr. 75, en tenant compte des commandes de ciment qu'elle n'avait pu honorer et de l'arrêt de travail forcé de certains de ses employés.
La Commission d'estimation du 10e arrondissement a rejeté la demande d'indemnité. Cette dernière a été admise, en revanche, par la Commission de recours de l'Administration militaire fédérale, qui a prononcé que le Commissaire de campagne en chef versera à la recourante la somme de 1'939 fr. 75, assortie d'intérêts de 5% à compter du 2 mai 1973.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours de droit administratif formé contre cette décision par le Département militaire fédéral.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les personnes appartenant à l'armée, pour ce qui concerne leur situation militaire et leurs devoirs de service, ne sont pas soumises aux dispositions de la loi fédérale sur la responsabilité de la Confédération, des membres de ses autorités et de ses fonctionnaires, du 14 mars 1958 (art. 1 al. 2). La responsabilité de la Confédération en raison des actes des militaires est régie exclusivement par la loi d'organisation militaire, du 12 avril 1907 (OM) et par l'arrêté de l'Assemblée fédérale concernant l'administration de l'armée suisse, du 30 mars 1949 (ci-après: l'arrêté du 30 mars 1949).
L'art. 22 OM, en vigueur depuis le 1er février 1968, dispose qu'en principe, la Confédération répond du dommage causé sans droit par un militaire dans l'accomplissement de ses devoirs de service. Cette disposition institue une responsabilité causale ordinaire. Pour que la Confédération doive réparation, il suffit, outre le rapport de causalité entre l'acte et le dommage, que ce dernier ait été causé sans droit (cf. FF 1966 II 431). L'art. 23 OM concerne plus particulièrement
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les dommages résultant d'accidents (cf. art. 104 ss de l'arrêté du 30 mars 1949). Aux termes de cette disposition, "lorsqu'un civil est tué ou blessé lors d'un exercice militaire ou d'actes de services de la troupe, la Confédération répond du dommage, à moins qu'elle ne prouve la force majeure ou une faute à la charge de la victime. La Confédération répond dans les mêmes conditions du dommage causé à la propriété." Enfin, l'art. 33 OM, selon lequel les propriétaires ne peuvent s'opposer à l'usage de leur terrain pour les exercices militaires, prescrit que la Confédération répond du dommage et que l'Assemblée fédérale arrête la procédure (cf. les art. 86 ss de l'arrêté du 30 mars 1949, relatifs aux "dommages aux cultures et à la propriété").
Le recourant soutient que la décision entreprise viole le droit fédéral, car aucune des dispositions précitées ne prévoit que la Confédération répond du dommage causé par ricochet à une personne autre que le lésé immédiat.
2.
a) Le Tribunal fédéral a jugé à plusieurs reprises que "l'art. 41 al. 1 CO ne permet d'allouer des dommages-intérêts qu'à la personne directement atteinte par l'acte illicite; les tiers lésés indirectement et par ricochet ne bénéficient pas d'un tel droit" (RO 99 II 223;
82 II 38
consid. 4a, ainsi que la jurisprudence et la doctrine citées). HENRI DESCHENAUX rappelle en ces termes la position du droit suisse: "En responsabilité contractuelle, la limitation du cercle des personnes habilitées à réclamer la réparation résulte déjà du caractère relatif du rapport d'obligation, sauf stipulation pour autrui. En responsabilité extracontractuelle, le créancier de la réparation est celui qu'atteint directement le préjudice; les tiers qui sont lésés indirectement, par ricochet, n'ont pas d'action." Selon cet auteur, la délimitation du cercle des personnes protégées ne s'inspire pas (du moins pas en première ligne) de considérations de probabilité liées à la théorie de la causalité adéquate, mais elle est affaire d'interprétation de la norme de responsabilité par les méthodes ordinaires (Norme et causalité en responsabilité civile, in Stabilité et dynamisme du droit dans la jurisprudence du Tribunal fédéral, p. 416/417).
b) Dans son arrêt publié au RO 97 II 223 ss, le Tribunal fédéral a jugé que l'entrepreneur qui, au cours de travaux de fouilles, a endommagé une conduite électrique, doit réparer le dommage consécutif à l'interruption de l'approvisionnement
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en énergie. Dans sa décision en la cause Salanfe S.A., du 24 septembre 1969 (Praxis der Rekurskommission der eidgenössischen Militärverwaltung 1950-1972, p. 70), la Commission de recours de l'Administration militaire fédérale a également admis que la responsabilité de la Confédération était engagée lorsque à la suite d'un tir d'artillerie, le poteau d'une ligne électrique était endommagé, et que l'exploitation de l'entreprise propriétaire de l'installation était perturbée de ce fait. L'entreprise immédiatement lésée demandait la réparation du dommage direct causé au poteau électrique, et du dommage indirect résultant de l'interruption de l'approvisionnement en énergie.
En l'espèce toutefois, l'entreprise intimée n'était pas propriétaire de la conduite endommagée. C'est pour ce motif que le recourant la considère comme "un tiers lésé indirectement et par ricochet".
c) Il importe donc in casu de définir la personne directement lésée par l'acte illicite. Selon la jurisprudence, "l'acte illicite ne consiste pas nécessairement dans une atteinte portée à un droit subjectif. Il ressort de l'art. 41 al. 1 CO que celui qui, par sa faute, transgresse une injonction juridique doit réparer le dommage qu'il cause ainsi à autrui, même s'il ne peut être question d'un droit subjectif de la victime. Il faut uniquement que la prescription violée ait pour but de protéger le lésé, car si elle a un autre but, le rapport de causalité entre l'acte illicite et le dommage n'est pas adéquat" (RO 75 II 212 consid. 3; cf. également RO 94 I 643). Cette jurisprudence, notamment le dernier arrêt cité, a été critiquée en doctrine dans la mesure où le Tribunal fédéral examine sous l'angle de la causalité adéquate la question de savoir si la prescription violée a pour but de protéger les intérêts du lésé (cf. HANS MERZ, ZBJV 106/1970, p. 86; DESCHENAUX, op.cit., p. 413, 414, 420). Il n'est toutefois pas nécessaire de se prononcer en l'espèce sur ce point. Il s'agit en effet de déterminer si l'entreprise intimée est un lésé immédiat. Cela revient à examiner si celle-ci peut alléguer la violation d'une norme ayant pour but de la protéger.
d) L'ordre juridique qui contient la règle protectrice violée est le droit écrit ou le droit non écrit, le droit fédéral ou le droit cantonal. Ainsi, tout acte réprimé pénalement est interdit et l'infraction constitue un délit civil lorsque la peine prévue
BGE 101 Ib 252 S. 256
tend à la protection des sujets de droit et non de l'Etat (PIERRE ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 307 n. 102; RO 101 II 72 consid. 2).
Le titre neuvième du Code pénal contient des dispositions relatives aux crimes ou délits contre les communications publiques. Selon l'art. 239 al. 2 et 3 CP, celui qui aura empêché, troublé ou mis en danger l'exploitation d'un établissement ou d'une installation servant à distribuer au public l'eau, la lumière, l'énergie et la chaleur, sera puni de l'emprisonnement, s'il a agi intentionnellement, de l'emprisonnement ou de l'amende, si l'infraction a été commise par négligence. Cette norme concerne n'importe quelle installation de distribution, qu'elle soit publique ou privée. Elle s'applique aussi bien aux installations servant à distribuer l'eau destinée à la consommation courante qu'à celles qui assurent l'approvisionnement en eau à des fins industrielles (LOGOZ, n. 5 ad art. 239 CP p. 488/489). Elle entend protéger le public, soit les consommateurs, contre les actes de nature à troubler l'exploitation régulière de ces installations. Elle ne vise donc pas seulement la protection des intérêts de l'exploitant (Etat, commune ou particulier) (SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch, p. 449/450).
Il convient dès lors d'admettre que l'entreprise intimée peut invoquer en l'espèce la violation d'une norme juridique la protégeant directement. Il y a donc lieu de la considérer non pas comme une personne lésée indirectement, mais comme un lésé immédiat.
Il faut par ailleurs souligner que la norme violée protège l'entreprise intimée dans les intérêts atteints par l'acte dommageable. Une telle conclusion s'impose, que l'on examine cette question sous l'angle de la causalité adéquate (RO 94 I 643, 75 II 212) ou que l'on ait égard à la relation d'illicéité (DESCHENAUX, op.cit., p. 420).
3.
C'est ainsi à juste titre que la Commission de recours de l'Administration militaire fédérale a considéré que l'entreprise intimée, immédiatement lésée par la rupture de la canalisation d'eau propriété des Services industriels de la ville de Sion, pouvait demander réparation du dommage subi. Elle a admis que la Confédération devait réparation, en se fondant sur les art. 23 al. 2 OM et 87 al. 2 lit. b de l'arrêté du 30 mars 1949. A vrai dire, l'application de ces dispositions in
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casu soulève certaines questions, notamment en ce qui concerne l'existence d'un exercice militaire ou d'actes de service de la troupe, la nature du dommage qui peut être réparé (cf. OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, vol. II/2, p. 879; ROBERT BINSWANGER, Die Haftungsverhältnisse bei Militärschaden, thèse Zurich 1969, p. 184), ainsi que l'applicabilité des dispositions de l'arrêté du 30 mars 1949 relatives aux dommages aux cultures et à la propriété dans le cadre d'une demande d'indemnité formée pour dommages résultant d'un accident (OFTINGER, op.cit., vol. II/2, p. 907; BINSWANGER, op.cit., p. 185).
Le Tribunal fédéral peut toutefois se dispenser d'examiner ces points, car la responsabilité de la Confédération doit être admise en l'espèce sur la base de l'art. 22 OM déjà. Il n'est en effet pas contesté que le dommage causé sans droit (cf. consid. 2) l'a été par un militaire dans l'accomplissement de ses devoirs de service. Par ailleurs, l'acte et le dommage sont dans un rapport de causalité adéquate (RO 101 II 73 consid. 3a et la jurisprudence citée). En l'espèce, le fait d'endommager une conduite d'eau était propre, d'après le cours ordinaire des choses et l'expérience de la vie, à interrompre l'approvisionnement en eau et à provoquer l'arrêt d'une fabrication qui en est tributaire, ainsi que les pertes inhérentes à tout chômage survenant à l'improviste.
4.
Le recourant soutient que la Commission de recours de l'Administration militaire fédérale a violé le droit fédéral en allouant à l'entreprise intimée un intérêt de 5% dès le 2 mai 1973, date du dépôt du recours. Il relève que cette autorité ne peut en principe mettre à la charge de la Confédération le paiement d'un intérêt, sauf dans le cas expressément prévu par l'art. 130 de l'arrêté du 30 mars 1949. Il affirme par ailleurs que l'autorité de recours a violé l'art. 62 al. 3 de la loi fédérale sur la procédure administrative, du 20 décembre 1968 (LPA), en modifiant la décision attaquée sans l'informer de son intention et sans lui donner l'occasion de s'expliquer.
Ces griefs ne sont pas fondés.
a) Selon l'art. 125 al. 3 de l'arrêté du 30 mars 1949, l'instruction des litiges est régie par la LPA, à l'exception de la procédure militaire d'estimation de première instance (cf. Message du Conseil fédéral relatif à la modification dudit arrêté, du 4 novembre 1970, FF 1970 II 1209/1210). L'art. 62
BGE 101 Ib 252 S. 258
LPA, applicable en l'espèce, autorise l'autorité de recours à modifier la décision attaquée à l'avantage d'une partie. Cette autorité peut également modifier au détriment d'une partie la décision entreprise, lorsque celle-ci viole le droit fédéral ou repose sur une constatation inexacte ou incomplète des faits. La Commission de recours de l'Administration militaire fédérale n'était donc pas liée par les conclusions des parties. Ainsi, même en l'absence de conclusion tendant à l'allocation d'un intérêt, elle pouvait en décider l'octroi.
Il est vrai que l'art. 62 al. 3 LPA précise que, "si l'autorité de recours envisage de modifier, au détriment d'une partie, la décision attaquée, elle l'informe de son intention et lui donne l'occasion de s'exprimer". S'il n'est pas contesté que l'entreprise intimée n'avait pas réclamé le paiement d'un intérêt devant la Commission d'estimation du 10e arrondissement, qui a agi in casu en tant qu'autorité de première instance, il y a en revanche divergence sur la question de savoir si une telle conclusion avait été prise dans la procédure de recours. La Commission de recours considère que tel a été le cas, alors que le recourant le conteste. Dans son recours du 2 mai 1973, l'entreprise intimée avait requis de l'autorité de recours qu'elle lui reconnaisse le droit à 1'939 fr. 75 "à titre de dommages et intérêts". Cette formule est certes équivoque et peut prêter à discussion. Il n'est toutefois pas nécessaire de se prononcer sur ce point. En effet, même si l'on admet que l'entreprise intimée n'avait pas conclu à l'allocation d'un intérêt et que l'autorité de recours n'a donc pas observé l'art. 62 al. 3 LPA, cela n'entraîne pas l'annulation de la décision entreprise. Le recourant n'a subi aucun préjudice du fait de cette omission, puisqu'il a pu faire valoir, devant le Tribunal fédéral, tous les moyens utiles à la défense des intérêts de la Confédération.
b) Selon l'art. 130 de l'arrêté du 30 mars 1949, "dans les litiges sur lesquels la Commission de recours statue en premier ressort, un intérêt de 5 pour cent au plus de la somme reconnue, à compter du jour où le recours a été déposé, sera alloué sur demande à la partie qui a gain de cause". Le recourant déduit de cette disposition que l'allocation d'un intérêt est exclue dans tous les cas où la Commission de recours de l'Administration militaire fédérale se prononce en tant qu'instance de recours.
Dans son arrêt publié au RO 95 I 263, le Tribunal fédéral a
BGE 101 Ib 252 S. 259
admis que, lorsqu'ils sont en demeure d'exécuter une obligation pécuniaire de droit public, l'Etat et les administrés sont tenus de payer des intérêts moratoires. Il a relevé qu'il s'agissait là d'un principe général, de droit non écrit, auquel la loi peut certes déroger. Cette jurisprudence conduit le Tribunal fédéral à exclure en l'espèce l'interprétation "a contrario" défendue par le recourant. Il convient à cet égard de souligner que l'art. 130 précité vise essentiellement le cas où la Commission de recours statue sur les litiges d'ordre pécuniaire en matière de logement des troupes opposant logeurs et communes (cf. art. 128 al. 2 de l'arrêté du 30 mars 1949); dans un tel conflit, la responsabilité de la Confédération n'est pas en cause (BINSWANGER, op.cit., p. 192 n. 36). On ne saurait donc conclure de l'existence de cette disposition que la loi d'organisation militaire et l'arrêté du 30 mars 1949 dérogent au principe général qui vient d'être rappelé. En demandant à la Confédération, le 2 mai 1973, le paiement du dommage imputable à la troupe, l'entreprise intimée a mis l'Etat en demeure de lui verser le montant réclamé. C'est dès lors à juste titre que la Commission de recours a alloué un intérêt de 5% dès la date précitée. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b52677e-d4ee-4d80-8c9b-70210399b2d0 | Urteilskopf
111 Ia 231
40. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 18 septembre 1985 dans la cause Rolf Himmelberger contre Conseil d'Etat du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Abstrakte Normkontrolle. Persönliche Freiheit. Gesetzliche Grundlage.
1. Die persönliche Freiheit schützt auch die besonderen Gefühlsbeziehungen der Angehörigen zu einem Verstorbenen. Diese können sich somit gegen einen ungerechtfertigten Eingriff am Leichnam zur Wehr setzen (E. 3) (Präzisierung der Rechtsprechung).
2. Soweit Art. 8 Abs. 3 des Reglements des Genfer Staatsrats vom 17. September 1984 betreffend die Feststellung des Todes und die Eingriffe an Leichen die Autopsie aus anderen als polizeilichen Gründen vorsieht und zu einer Beschränkung des Rechts der Angehörigen führt, über den Leichnam zu bestimmen, fehlt ihm die nötige gesetzliche Grundlage; insoweit verletzt die Bestimmung die persönliche Freiheit (E. 4 und 5a).
3. Die Beschränkung des Rechts, über den Leichnam einer Person zu bestimmen, setzt auch dann ein Gesetz im formellen Sinn voraus, wenn die Person in einem öffentlichen Spital gestorben ist, d. h. wenn zwischen dem Verstorbenen und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis bestand (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 111 Ia 231 S. 232
Le 17 septembre 1984 le Conseil d'Etat du canton de Genève a adopté un règlement relatif à la constatation des décès et aux interventions sur les cadavres humains (ci-après: le règlement). Selon l'art. 8, les autopsies peuvent aussi être pratiquées dans des établissements publics médicaux; dans ce cas, elles ont lieu avant le départ du corps à la demande d'un chef de service (al. 1; elles ne peuvent être effectuées si le défunt ou ses proches s'y sont opposés, ces derniers devant être dûment informés de leur droit (al. 2); enfin, l'al. 3 de cette disposition a la teneur suivante:
"Une autopsie aura cependant lieu en dépit de l'opposition du défunt ou de ses proches lorsqu'elle est indispensable pour déterminer exactement la nature de la maladie ou la cause du décès; cette nécessité doit être justifiée par écrit par un médecin-chef de service."
Agissant par la voie du recours de droit public, Rolf Himmelberger demande au Tribunal fédéral d'annuler l'al. 3 de l'art. 8 du règlement. Il soutient que cette disposition viole la garantie constitutionnelle de la liberté personnelle et institue une inégalité de traitement prohibée par l'
art. 4 Cst.
entre les établissements médicaux publics et privés.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et a annulé la disposition attaquée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) La liberté personnelle, droit constitutionnel non écrit, imprescriptible et inaliénable, donne fondamentalement à l'individu le droit d'aller et de venir et le droit au respect de son intégrité corporelle (
ATF 109 Ia 279
consid. 4a et les arrêts cités). Elle le protège, en outre, dans l'exercice de sa faculté d'apprécier
BGE 111 Ia 231 S. 233
une situation de fait déterminée et d'agir selon cette appréciation. Cette garantie n'englobe certes pas la protection de toute possibilité de choix et de détermination de l'homme, si peu importante soit-elle; elle recouvre cependant toutes les libertés élémentaires dont l'exercice est indispensable à l'épanouissement de la personne humaine. Elle se conçoit, dès lors, comme une garantie générale et subsidiaire, à laquelle le citoyen peut se référer lorsque les droits fondamentaux dont il allègue la violation ne font pas l'objet de garanties particulières (
ATF 101 Ia 346
consid. 7a et arrêts cités; ANDRÉ GRISEL, La liberté personnelle et les limites du pouvoir judiciaire, dans Revue internationale de droit comparé, 1975, p. 549, 570; HANS DRESSLER, Der Schutz der persönlichen Freiheit in der Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts, in ZB1, 1980, p. 377-379).
b) La liberté personnelle oblige le détenteur de la puissance publique à un comportement envers le citoyen, qui soit compatible avec le respect de sa personnalité. Elle protège intégralement la dignité de l'homme et sa valeur propre. L'application de cette norme de comportement ne se limite pas à la durée de la vie des individus. Elle s'étend au-delà du décès. Toute personne a ainsi le droit de déterminer le sort de sa dépouille après sa mort. Cette prétention comporte notamment une liberté de choix, dans le cadre tracé par la loi et l'ordre public, quant à la forme des funérailles et au mode d'inhumation, l'être humain ayant, quel que soit le rang qu'il a occupé dans la société, le droit consacré par l'
art. 53 al. 2 Cst.
à un enterrement et à une sépulture décents (
ATF 98 Ia 523
consid. 8c et les arrêts cités). Il en découle naturellement que le droit constitutionnel s'oppose à toute profanation d'un cadavre humain et, partant, à toute intervention illicite sur lui. Cette interdiction trouve, au demeurant, sa protection pénale à l'
art. 262 CP
.
Le respect du défunt et l'intangibilité de son corps, ainsi concrétisés dans le droit positif, ont leur fondement dans les conceptions éthiques ou religieuses relatives à la signification de la mort. Il appartient en premier lieu au défunt de décider du sort de sa dépouille dans les limites de la loi, de l'ordre public et des bonnes moeurs. Il n'est possible de passer outre à cette volonté, qui est la mise en oeuvre d'un droit fondamental, que si sa transgression se justifie par un intérêt prépondérant et pour autant qu'elle respecte le principe de la proportionnalité. En l'absence d'une décision du défunt, ses parents et ses proches peuvent avoir,
BGE 111 Ia 231 S. 234
dans les mêmes limites, une certaine prétention à disposer du sort de son cadavre. Bien que, d'un point de vue privatiste, ce droit soit comparable au droit de propriété, il n'est pas régi par les droits réels, mais est une émanation des droits généraux de la personnalité (
art. 28 CC
). Il est fondé sur les rapports étroits qu'ont eus les intéressés avec le défunt et protège les relations sentimentales qui en résultent. La jurisprudence a précisé que ce pouvoir subsidiaire de décision doit être exercé, en première ligne, par celui qui était le plus étroitement lié avec le défunt et qui a été de ce chef le plus sensibilisé par sa disparition (
ATF 101 II 190
ss consid. 5 et les références). On peut, en conclusion, admettre que la garantie constitutionnelle de la liberté personnelle protège également le sentiment de piété des parents et, en conséquence, le droit de ceux-ci de s'opposer à une intervention injustifiée sur la dépouille d'un défunt.
c) A l'instar des autres droits individuels, la liberté personnelle peut être limitée par la nécessité de sauvegarder un intérêt public prépondérant. De telles restrictions doivent, conformément au principe de la proportionnalité, ne pas aller au-delà de ce qu'exige l'intérêt public considéré. Elles doivent en outre reposer sur une base légale suffisante (THOMAS COTTIER, Die Verfassung und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, thèse Berne 1983, p. 53), sous réserve des mesures exceptionnelles que l'autorité peut prendre en vertu de son pouvoir de police. Enfin, comme tout autre droit fondamental, la liberté personnelle ne saurait être complètement supprimée ou vidée de son contenu par les restrictions légales qui peuvent lui être apportées dans l'intérêt public (
ATF 104 Ia 486
/487 et les arrêts cités).
d) Le contenu de l'art. 8 al. 3 du règlement ne se limite pas aux deux cas exceptionnels énumérés à l'art. 7 al. 4 lettres a et b du règlement (autopsie pratiquée sur réquisition d'un officier de police, d'une autorité judiciaire ou sur ordre des autorités sanitaires dans l'intérêt de l'hygiène publique); il ne se restreint pas davantage à l'hypothèse - plutôt théorique - où une autopsie pourrait, en l'absence d'une législation, être ordonnée au titre de mesure de police sur la seule base du pouvoir général de police de l'Etat. Selon l'autorité intimée, ce texte a également été conçu pour éviter que l'opposition des intéressés n'entrave la recherche scientifique à laquelle sont aussi voués les établissements hospitaliers universitaires du canton (
art. 2 lettre b LEPM
); elle a ainsi expliqué qu'en dépit d'une opposition, une autopsie est
BGE 111 Ia 231 S. 235
envisageable pour mettre au point un traitement futur, pour faire avancer de manière décisive des recherches permettant de sauver la vie d'autres patients ou encore en vue d'obtenir un résultat thérapeutique évident; à titre d'exemple, elle s'est référée aux conflits d'intérêts inévitables qui peuvent exister entre le droit des proches d'un défunt à la libre disposition de son cadavre et le droit d'un malade à la guérison par le moyen d'une transplantation d'organe (cf.
ATF 101 II 197
ss consid. 6;
ATF 98 Ia 524
consid. 8c).
Ainsi, la norme litigieuse tend à sauvegarder les intérêts généraux de la santé publique; elle est aussi envisagée comme un moyen de prévention générale; enfin, elle est un instrument à disposition de la recherche scientifique. Certes ces objectifs sont sans doute d'intérêt public et éminemment dignes de considération; il n'en demeure pas moins que le moyen proposé pour les atteindre représente une mesure de contrainte entraînant une restriction au droit de disposer d'un cadavre et, partant, à la liberté personnelle des intéressés. L'art. 8 al. 3 du règlement doit, dès lors, constituer lui-même ou se fonder sur une base légale suffisante.
5.
a) Le règlement ne comporte pas de préambule indiquant les dispositions législatives sur lesquelles le Conseil d'Etat genevois s'est basé pour ordonner la pratique des autopsies. Dans sa réponse au recours, l'autorité intimée tente, en vain, de se référer aux art. 11 et 17 de la loi fédérale du 18 décembre 1970 sur la lutte contre les maladies transmissibles de l'homme (RS 818.101). En effet, ces textes légaux poursuivent des objectifs plus limités que ceux visés par la norme critiquée; la première de ces dispositions ne pose que le principe de la compétence des cantons de prendre les mesures propres à lutter contre les maladies transmissibles; la seconde prescrit simplement que les personnes placées sous surveillance médicale en vertu de l'art. 15, peuvent être tenues de se prêter à des examens médicaux et à des prélèvements pour analyses, si ces mesures sont nécessaires pour prévenir la propagation d'une maladie transmissible. L'exécutif cantonal ne peut davantage s'appuyer sur l'ordonnance du Conseil fédéral du 17 juin 1974 sur le transport et la sépulture de cadavres (RS 818.61), dont les mesures ne concernent que les cadavres présentant un danger de contagion ainsi que les transports des cadavres en provenance ou à destination de l'étranger. L'intimé fait aussi appel à l'
art. 125 Cst.
gen. qui institue la compétence du Conseil d'Etat d'édicter les règlements de police dans les limites fixées par la loi ainsi que d'en ordonner et d'en surveiller l'exécution.
BGE 111 Ia 231 S. 236
Cet argument est dénué de pertinence. Si le Tribunal fédéral a pu admettre que la notion de police au sens de cette disposition du droit constitutionnel cantonal était plus large que celle comprise dans la "clause générale de police", il n'en demeure pas moins que la disposition critiquée se situe dans un contexte législatif différent du règlement du 29 septembre 1951 sur la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs, dont la constitutionnalité était alors soumise au Tribunal fédéral (
ATF 100 Ia 196
consid. 4b). En l'occurrence, on ne saurait soutenir sérieusement que l'
art. 125 Cst.
gen. puisse fonder directement la compétence du Conseil d'Etat de restreindre la liberté personnelle des citoyens en vue de favoriser, de manière générale, sa politique de la santé publique.
Il résulte de ce qui précède que la disposition critiquée ne repose formellement ni sur une règle du droit fédéral ni sur une délégation législative cantonale.
b) L'autorité intimée soutient par ailleurs que, même si l'on considère l'art. 8 al. 3 du règlement comme une norme primaire, il s'agirait d'une base légale suffisante pour restreindre le droit individuel de disposer d'un cadavre d'une personne décédée dans un établissement public médical. Cette personne se trouverait en effet vis-à-vis de l'Etat dans un rapport de droit spécial impliquant des limitations à la liberté individuelle nécessitées par le but de la relation d'usage et par le bon fonctionnement de l'établissement hospitalier. L'
art. 5 al. 3 LEPM
plaçant les établissements publics médicaux sous la surveillance et le contrôle du Conseil d'Etat, celui-ci aurait, en adoptant la réglementation critiquée, simplement rempli le mandat qui lui est donné par l'
art. 116 Cst.
gen. d'exécuter des lois et de prendre à cet effet les règlements et arrêtés nécessaires.
aa) Aux termes de l'
art. 5 al. 1 LEPM
, les établissements publics médicaux sont des établissements de droit public dotés de la personnalité juridique; de ce fait, le patient qui entre dans un tel établissement pour se faire soigner est lié à l'Etat par un rapport de droit public. S'il y décède, la licéité des interventions qui pourraient y être pratiquées sur son cadavre ne doit donc pas être appréciée selon les règles du droit privé qui ont leur base dans la protection de la personnalité instituée à l'
art. 28 CC
. La possibilité pour le personnel médical de pratiquer de telles interventions n'en est pas moins limitée tant par le droit constitutionnel fédéral - en particulier par la garantie de la liberté personnelle (
ATF 98 Ia 521
consid. 8a
BGE 111 Ia 231 S. 237
- ou cantonal, que par le droit public fédéral ou cantonal de niveau législatif ou réglementaire. Aussi, le Tribunal fédéral a-t-il abandonné sa jurisprudence ancienne selon laquelle les actes limitant la liberté et les droits des personnes liées à l'Etat par un rapport de droit spécial n'étaient pas soumis à l'exigence d'une base légale (
ATF 106 Ia 282
consid. 3d et les références).
Si l'autorité administrative compétente peut réglementer les relations ordinaires de l'établissement public avec ses usagers ou prescrire les mesures nécessaires à la bonne marche de l'établissement ou au but qu'il poursuit, les règles ainsi adoptées ne doivent toutefois pas se heurter à des dispositions prises par le législateur lui-même. La fixation des droits et des obligations les plus importants des personnes en cause reste soumise à l'exigence d'une base légale claire (
ATF 103 Ia 295
consid. 4a et les arrêts cités). Une telle exigence n'est pas nécessaire pour imposer des charges et des restrictions qui découlent directement de l'existence du statut particulier (
ATF 106 Ia 281
; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, p. 318). Ces restrictions doivent néanmoins respecter les principes de l'égalité de traitement et de la proportionnalité (
ATF 98 Ia 366
).
bb) Le patient soigné dans un établissement hospitalier public se trouve, avec l'Etat, dans un rapport de subordination pour tout ce qui concerne, notamment, la discipline interne ou le tarif des prestations; le droit au libre choix d'un médecin traitant étranger à l'établissement n'est également pas reconnu; de même le patient doit se soumettre aux conditions de nourriture et de logement et ne peut poser des exigences particulières qui seraient en contradiction avec les disponibilités prévues par l'établissement. De telles restrictions découlent non seulement des nécessités du fonctionnement d'un hôpital public, mais aussi du principe de l'égalité de traitement que l'Etat doit respecter dans l'administration de promotion (Leistungsverwaltung).
En revanche, à l'égard des actes médicaux proprement dits, il n'existe aucune raison pour que la liberté personnelle d'un patient admis dans un établissement hospitalier public soit restreinte dans une mesure plus étendue que ne l'est celle du patient soigné dans un établissement hospitalier privé. En leur qualité d'organes d'un établissement public, les médecins ne disposent pas, sur ce point précis, de pouvoirs de décision plus étendus que ceux dont jouissent leurs collègues exerçant leur activité sur la base d'un contrat de droit privé
BGE 111 Ia 231 S. 238
(cf.
ATF 108 II 62
/63; HANS JECHT, Die öffentliche Anstalt, Wandlung und gegenwärtige Struktur, Berlin 1963, p. 113 à 117, JEAN DUBOIS DE GODUSSON, L'usager du service public administratif, Paris 1979, p. 58 ss, notamment p. 59 n. 9). La liberté de décision du patient ne saurait dans ce domaine être différente selon qu'il séjourne dans un établissement hospitalier public ou privé.
c) Ce qui est vrai pour les actes médicaux proprement dits, doit également l'être pour l'autopsie de la dépouille d'une personne décédée en milieu hospitalier, la liberté personnelle du patient s'étendant aussi au droit de disposer de son cadavre et d'en préserver l'intangibilité. Une réglementation administrative de cet acte ne peut donc être adoptée sur la seule base du rapport de droit spécial existant entre un établissement public hospitalier et ses usagers. Peu importe que la conception contraire semble avoir prévalu dans les règlements antérieurs édictés en la matière par l'autorité intimée. L'examen de ceux-ci démontre tout au plus combien le concept de la liberté personnelle a évolué en parallèle avec le développement des moyens dont disposent aujourd'hui la science et la technique. | public_law | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8b566f9c-9bdc-4e38-937d-a101b7342203 | Urteilskopf
81 II 408
63. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. September 1955 i. S. Grieder gegen Fässler. | Regeste
Ehescheidung, Bedürftigkeitsrente (
Art. 152 ZGB
).
Unter welchen Voraussetzungen ist einem schuldlosen, geistig nicht normalen Ehegatten ein Unterhaltsbeitrag nicht oder nur für beschränkte Zeit zu gewähren, obwohl mit dauernder Bedürftigkeit zu rechnen ist und der andere Ehegatte einen Beitrag dauernd zu leisten vermöchte? | Sachverhalt
ab Seite 409
BGE 81 II 408 S. 409
Am 29. April 1955 hat das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft die am 17. März 1949 geschlossene, kinderlos gebliebene Ehe der Parteien auf Klage des Ehemanns gemäss
Art. 142 ZGB
geschieden und den Ehemann in Anwendung von
Art. 152 ZGB
zur Leistung eines Unterhaltsbeitrags von monatlich Fr. 80.- für die Dauer von vier Jahren verpflichtet mit der Begründung, die Ehe der Parteien sei ausschliesslich aus objektiven Gründen zerrüttet. Der Beklagten könne ihr unverträgliches Verhalten wegen ihres Schwachsinns nicht zum Verschulden angerechnet werden. Auch ihre Bedürftigkeit sei grundsätzlich zu bejahen. Sie verdiene gegenwärtig in einer Fabrik einen Stundenlohn von 70 Rappen, was für ihren Lebensunterhalt nicht ausreiche. Wegen ihrer sehr beschränkten Fähigkeiten sei nicht anzunehmen, dass sie bald einen höhern Verdienst werde erzielen können. Dem Kläger, der monatlich Fr. 470.-- verdiene, sei es möglich, ihr einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 80.- zu leisten. Seine Beitragspflicht sei indessen auf vier Jahre zu beschränken, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Beklagte, wenn sie nicht geheiratet hätte, finanziell nicht besser stünde. Es könne "nicht Sache des Klägers sein, zeitlebens für sie aufzukommen, weil sie infolge ihres Schwachsinns nicht fähig ist, ihren vollen Lebensunterhalt selber zu bestreiten". Die zeitliche Beschränkung der Rente sei gemäss
Art. 152 ZGB
möglich, "weil nach dieser Bestimmung bei Vorliegen der Voraussetzungen die Unterhaltsbeiträge lediglich zugesprochen werden können, nicht müssen". Auch dürfe erwartet werden, dass bis zum Ablauf der Übergangsrente in ländlichen Verhältnissen für die Beklagte mit Hilfe ihrer
BGE 81 II 408 S. 410
Verwandten ein ihren Unterhalt sichernder Arbeitsplatz gefunden werden könne.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, der Unterhaltsbeitrag sei ihr ohne zeitliche Begrenzung zuzusprechen. Der Kläger beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Kläger ist der Meinung, auf die Berufung sei nicht einzutreten, weil der kantonale Richter seinen Entscheid über den streitigen Rentenanspruch auf Grund des ihm durch
Art. 152 ZGB
eingeräumten Ermessens gefällt habe, sodass dieser Entscheid überhaupt nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht beruhen könne. Der kantonale Richter ist jedoch auch dort, wo das Bundesrecht ihn auf sein Ermessen verweist, nicht schlechthin frei, sondern an die Vorschrift von
Art. 4 ZGB
gebunden, wonach er seine Entscheidung in solchen Fällen "nach Recht und Billigkeit" zu treffen hat. Die Missachtung dieser Vorschrift stellt eine Bundesrechtsverletzung dar. Der angefochtene Entscheid unterliegt daher der Berufung.
2.
Art. 152 ZGB
ermächtigt den Richter, einem schuldlosen Ehegatten, der durch die Scheidung in grosse Bedürftigkeit gerät, einen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen, auch wenn der andere Ehegatte an der Scheidung nicht schuld ist. Recht und Billigkeit gebieten, dass der Richter von dieser Befugnis Gebrauch macht, d.h. einem solchen Gatten (die Leistungsfähigkeit des andern vorausgesetzt) für die voraussichtliche Dauer der Bedürftigkeit einen Unterhaltsbeitrag zuspricht, wenn nicht besondere Gründe es als angebracht erscheinen lassen, einen solchen Beitrag überhaupt nicht oder doch nicht für die ganze Dauer der Bedürftigkeit zu gewähren. Ein derartiger Grund kann darin liegen, dass aus Ursachen, die dem bedürftigen Gatten zwar nicht zum Verschulden gereichen, aber doch
BGE 81 II 408 S. 411
in seiner Person liegen, eine richtige eheliche Gemeinschaft nie zustandegekommen ist. Das ist im wesentlichen der Sinn des Entscheides BGE 67 II Nr. 2. Zwar wurde dort zunächst damit argumentiert, dass die Geisteskrankheit, welche die Erwerbsfähigkeit der damaligen Beklagten beeinträchtigte, schon vor Abschluss der Ehe bestanden habe und dass daher eine allfällige Bedürftigkeit der Beklagten nicht "durch die Scheidung" (bezw. Ungültigerklärung) der Ehe verursacht worden sei. Auch eine Frau, die von jeher nur vermindert erwerbsfähig war und deshalb ihren Lebensunterhalt nicht (voll) zu verdienen vermag, gerät jedoch, wenn sie nicht über sonstige Mittel verfügt, bei Auflösung der Ehe durch Scheidung oder Ungültigerklärung infolge dieses Ereignisses in Bedürftigkeit, weil sie damit eben den ehelichen Unterhaltsanspruch verliert. Man kann daher nicht wohl sagen, dass in einem solchen Falle die in Frage stehende gesetzliche Voraussetzung des Anspruchs auf einen Unterhaltsbeitrag nicht gegeben sei. Das Bundesgericht hat sich im erwähnten Urteil denn auch nicht mit diesem Argument begnügt, sondern hervorgehoben, dass die Geisteskrankheit der Beklagten, die schon bei Abschluss der Ehe in gleicher Schwere bestanden hatte, eine wirkliche Ehegemeinschaft von Anfang an verunmöglicht habe, und seine Entscheidung schliesslich mit der Erwägung begründet: "Zur Gründung einer ehelichen Gemeinschaft trug die Beklagte so wenig bei, dass es nicht zu rechtfertigen ist, den Ehemann zu Unterhaltsleistungen auf Grund von
Art. 152 ZGB
heranzuziehen und dadurch zu seinem Nachteil die Familie der Beklagten und das zuständige Gemeinwesen von der Unterstützungspflicht zu entlasten." Dass die Beitragspflicht immer dann zu verneinen sei, wenn das geistige Ungenügen des bedürftigen Gatten das Entstehen einer wahren Ehegemeinschaft verhinderte, ist damit nicht gesagt, sondern es kommt hier so sehr auf die konkreten Umstände des einzelnen Falles an, dass sich starre Regeln nicht aufstellen lassen.
BGE 81 II 408 S. 412
Im vorliegenden Falle kann dahingestellt bleiben, ob mit hinreichender Sicherheit erwartet werden dürfe, dass die Beklagte nach Ablauf der Zeit, für welche ihr ein Unterhaltsbeitrag zugesprochen wurde, in der Lage sein werde, ihren vollen Lebensunterhalt zu verdienen; denn der angefochtene Entscheid wäre auch dann gerechtfertigt, wenn man diese Frage verneinen wollte. Der die Erwerbsfähigkeit der Beklagten beeinträchtigende Schwachsinn ist nicht erst im Verlauf einer vorerst normal verlaufenen Ehe eingetreten, sondern bestand nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz schon bei Abschluss der Ehe in einem Masse, dass fragwürdig ist, ob die Beklagte die zur Eheschliessung erforderliche Urteilsfähigkeit besass. Die Vorinstanz erklärt, eine eheliche Gemeinschaft, die über das rein äusserliche Zusammenleben hinaus gegangen wäre, habe zwischen den Parteien "überhaupt nie" bestanden. Der vorliegende Tatbestand zeigt also Ähnlichkeit mit dem in BGE 67 II Nr. 2 beurteilten Falle. Dort beeinträchtigte aber die schon bei der Eheschliessung bestehende geistige Störung der Beklagten die ehelichen Beziehungen in noch stärkerem Masse als im vorliegenden Falle, und ausserdem standen hier neben dem Schwachsinn der Beklagten auch die eigenen geistigen Mängel des Klägers der Begründung einer wahren Ehegemeinschaft im Wege. Der heutigen Beklagten jeglichen Unterhaltsbeitrag zu verweigern, hätte unter diesen Umständen ihr gegenüber eine unbillige Härte bedeutet. Dagegen erscheint eine zeitliche Beschränkung der Beitragspflicht des Klägers als gerechtfertigt. Mit der Begrenzung auf vier Jahre hat die Vorinstanz von dem ihr zustehenden Ermessen nicht in bundesrechtswidriger Weise Gebrauch gemacht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und Dispositiv 2 des Urteils des Obergerichtes des Kantons Basel-Landschaft vom 29. April 1955 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8b58695f-56a4-4206-9953-6aa42e1e4a3c | Urteilskopf
138 II 251
20. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_399/2011 vom 13. April 2012 | Regeste
Art. 17 Abs. 1 aMWSTV; subjektive Mehrwertsteuerpflicht des Sammlers von Kunstwerken.
Vor dem Hintergrund der Allgemeinheit und Wettbewerbsneutralität der Mehrwertsteuer sind alle Arten von Ausnahmen problematisch. Sie sind demnach einschränkend auszulegen (Bestätigung der Praxis; E. 2.3).
Der Begriff der selbständigen Tätigkeit beruht direkt- und mehrwertsteuerlich auf denselben Indizien. Die wünschenswerte Harmonisierung der Begriffe findet ihre Grenzen an der unterschiedlichen Zweckgebung der Steuerart (E. 2.4).
Die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelte und fortgeführte
Wellcome
-Praxis, wonach sich der unternehmerische Charakter der Tätigkeit einer natürlichen Person mit Blick darauf beurteilt, ob sie sich insgesamt "ähnlicher Mittel wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender" bedient, ist im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht analog anwendbar (E. 2.5).
Ein Kunstsachverständiger, der seiner namhaften Privatsammlung mehrere Dutzend Werke entnimmt, sie im Auktionshaus, an welchem er beteiligt ist, an Dritte veräussert und in den folgenden Jahren weitere Verkäufe tätigt, ist selbständig (E. 4.3) und nachhaltig (E. 4.4) tätig, sodass er subjektiv mehrwertsteuerpflichtig wird (E. 4.5). | Sachverhalt
ab Seite 252
BGE 138 II 251 S. 252
A.
X. ist unbeschränkt haftender Gesellschafter der Galerie A., einer mehrwertsteuerpflichtigen Kommanditgesellschaft. Im August 2005 unterzog die Eidgenössische Steuerverwaltung (hienach: ESTV) die privaten Aktivitäten von X. einer Kontrolle. Es zeigte sich, dass X. in der Kontrollperiode (Jahre 2000 bis 2003) seiner privaten Kollektion alljährlich Kunstwerke entnommen und der Galerie A. zum Verkauf an Auktionen übergeben hatte. Im Jahr 2000 umfasste die Einlieferung 42 Kunstwerke, von welchen bis auf vier alle verkauft werden konnten. Die Verkäufe im In- und ins Ausland beliefen sich auf Fr. 734'700.- (2000), Fr. 87'150.- (2001), Fr. 309'350.- (2002) und Fr. 218'600.- (2003). Die ESTV trug X. per 1. Januar 2000 ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen ein.
B.
Für die direkten Steuern hatte X. von der zuständigen kantonalen Steuerverwaltung im Jahr 1997 ein "Tax Ruling" erhalten. Darin erklärte sich die Steuerbehörde bereit, die Kunstsammlung als Privatvermögen zu betrachten, soweit private und geschäftliche Objekte buchmässig getrennt würden, die hauptberufliche Tätigkeit nicht dazu genutzt werde, um private Objekte zu erwerben und zu
BGE 138 II 251 S. 253
veräussern, sowie die privaten Objekte privat versichert seien und nicht zu geschäftlichen Werbezwecken verwendet würden.
C.
Die ESTV erliess für das Jahr 2000, unter Berücksichtigung der Lieferungen ins Ausland und der Vorsteuern auf den Kommissionen des Auktionshauses, gegenüber X. eine Ergänzungsabrechnung über Fr. 17'465.-. Zudem hielt sie in einem Entscheid seine subjektive Steuerpflicht sowie die Steuerforderung fest. Die Zustellung eines zweiten Entscheids, der die Jahre 2001 bis 2003 betroffen haben soll, konnte die ESTV nicht nachweisen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte den ersten Entscheid am 24. März 2011. Mit Eingabe vom 16. Mai 2011 erhebt X. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht nicht unterliege.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Bei der Mehrwertsteuer schweizerischer Ausgestaltung handelt es sich um eine allgemeine Verbrauchsteuer nach dem System der Netto-Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug, die den Konsum der (End-)Verbraucher besteuern will (
BGE 123 II 295
E. 5a S. 301). Die Mehrwertsteuer folgt den Grundsätzen der Wettbewerbsneutralität, der Erhebungswirtschaftlichkeit, dem Bestimmungslandprinzip, ferner den spezifischen steuerrechtlichen Ausprägungen der Rechtsgleichheit sowie der Europaverträglichkeit (KLAUS A. VALLENDER, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 7 zu
Art. 130 BV
). Der Bezug der Mehrwertsteuer erfolgt aus Praktikabilitätsgründen nicht bei den Leistungs
bezügern
, den eigentlichen Destinatären der Mehrwertsteuer, sondern bei den Leistungs
erbringern
. Sofern es die Marktverhältnisse gestatten, schlagen die Leistungserbringer die Mehrwertsteuer auf die Preise und überwälzen sie dadurch auf die Leistungsempfänger (
BGE 123 II 295
E. 5a S. 301). Indem die subjektive Steuerpflicht beim Leistungserbringer ansetzt, lässt sich die Zahl der steuerpflichtigen Personen vermindern, was wiederum zu einer Verbesserung der Erhebungsökonomie führt (so schon CAMENZIND/HONAUER, Handbuch zur neuen Mehrwertsteuer, 1995, N. 629).
BGE 138 II 251 S. 254
2.2
Fällt eine Leistung, d.h. die Lieferung eines Gegenstandes oder eine Dienstleistung, nicht unter eine gesetzliche Ausnahme, ist sie steuerbar. Dies führt dazu, dass der Erbringer solcher Leistungen, die (objektiv) steuerbar sind, (subjektiv) steuerpflichtig werden kann (vgl. MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, Traité TVA, 2009, S. 417 N. 2). Dementsprechend hält Art. 17 Abs. 1 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (aMWSTV; AS 1994 1464) fest, dass steuerpflichtig ist, "wer eine mit der Erzielung von Einnahmen verbundene gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt, selbst wenn die Gewinnabsicht fehlt, sofern seine Lieferungen, seine Dienstleistungen und sein Eigenverbrauch im Inland jährlich gesamthaft 75'000 Franken übersteigen". Von keiner Bedeutung ist die Rechtsform, in welcher das Unternehmen ausgeübt wird (Art. 17 Abs. 2 aMWSTV). Ausgenommen von der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht sind namentlich "Unternehmer mit einem Jahresumsatz nach Art. 17 Abs. 5 bis zu 250'000 Franken, sofern die nach Abzug der Vorsteuer verbleibende Steuer regelmässig nicht mehr als 4'000 Franken im Jahr betragen würde" (Art. 19 Abs. 1 lit. a aMWSTV).
2.3
2.3.1
Neben der meist unstreitigen
formell-quantitativen
Komponente (Erreichen des Mindestumsatzes bzw. der für Kleinunternehmen massgebenden Grenzwerte) spielt das
materiell-qualitative
Element ("selbständige" Ausübung einer "mit der Erzielung von Einnahmen verbundenen gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit") für die Beurteilung der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht die zentrale Rolle. Dies trifft namentlich auf Leistungserbringer zu, die nur unregelmässig, selten, jedenfalls nicht ständig oder sogar bloss im Einzelfall Umsätze erzielen. Hier stellt sich die Frage, ob es sich rechtfertigt, solche Lieferanten und Dienstleister zur Erhebung der Mehrwertsteuer heranzuziehen, während unbestritten ist, dass der Konsum der Leistungsempfänger möglichst ausnahmslos zu erfassen ist. Dementsprechend kollidieren die Prinzipien der Allgemeinheit der Besteuerung sowie der Wettbewerbsneutralität einerseits und der Praktikabilität bzw. Erhebungswirtschaftlichkeit anderseits.
2.3.2
Dem Spannungsverhältnis waren sich Bundesrat und Parlament durchaus bewusst (allgemein dazu VALLENDER, a.a.O., N. 8 zu
Art. 130 BV
). Der Kommentar des Eidgenössischen Finanzdepartements vom 22. Juni 1994 zur aMWSTV (S. 21) führt zum Praktikabilitätsaspekt aus, es gelte zu vermeiden, "dass jemand, der nur gelegentlich, z.B. bloss einmalig, also nicht nachhaltig im Sinne von gewerblich oder
BGE 138 II 251 S. 255
beruflich, aus einem Umsatz Einnahmen von mehr als 75'000 Franken erzielt, dadurch bereits steuerpflichtig wird (z.B. einmalige Veräusserung eines Oldtimerwagens durch einen Privaten)". Der Bericht vom 28. August 1996 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats zur parlamentarischen Initiative betreffend ein Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (Dettling; BBl 1996 V 713 ff., insb. 757; Art. 20) übernimmt wörtlich dieselbe Formulierung. In Bezug auf das heutige Recht ergänzt die Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer (BBl 2008 6885 ff., insb. 6947), die Tätigkeit des Unternehmers oder der Unternehmerin müsse "einerseits nachhaltig, das heisst darauf ausgerichtet sein, über eine gewisse Dauer durch planmässiges Vorgehen Einnahmen aus Leistungen zu erzielen, und andererseits beruflicher oder gewerblicher Natur sein. So stellt die Veräusserung eines Autos durch eine Privatperson keine unternehmerische Tätigkeit dar, da dieser einmalige Verkauf nicht eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit darstellt und nicht beruflicher oder gewerblicher Natur ist, wie auch alle übrigen Tätigkeiten im privaten Bereich (Hobbys, private Vermögensverwaltung etc.)".
2.3.3
Die Auslegung von Mehrwertsteuernormen folgt den üblichen Regeln (Urteile 2A.372/2006 vom 21. Januar 2008 E. 4.1; 2A.43/2002 vom 8. Januar 2003 E. 2.2.1; 2A.127/2002 vom 18. September 2002, in: ASA 72 S. 425, StR 58/2003 S. 219; JEAN-MARC RIVIER, L'interprétation des règles de droit qui régissent la Taxe sur la Valeur Ajoutée, ASA 63 S. 355 ff.; DANIELLE YERSIN, La jurisprudence du Tribunal fédéral concernant l'Ordonnance régissant la taxe sur la valeur ajoutée [OTVA], ASA 68 S. 689 ff., insb. 696 ff.; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz, 2. Aufl. 2003, N. 96). Falls sich bereits durch Auslegung der Ausnahmevorschrift ergibt, dass der konkrete Fall durch den Normsinn eindeutig erfasst wird, erübrigt sich die Frage nach der restriktiven Auslegung. Anders verhält es sich, soweit nach durchgeführter Auslegung der Rechtsnorm ein Beurteilungsspielraum verbleibt. In einem solchen Fall ist zu berücksichtigen, dass Steuerausnahmen unter teleologischen und systematischen Gesichtspunkten bei einer allgemeinen Verbrauchsteuer wie der Mehrwertsteuer ganz grundsätzlich problematisch sind. Im Übrigen aber sind Ausnahmevorschriften weder extensiv noch restriktiv, sondern nach ihrem Sinn und Zweck im Rahmen der allgemeinen Regeln "richtig" auszulegen (zum Ganzen Urteil 2A.127/2002 vom 18. September 2002 E. 4.6, mit Hinweisen).
BGE 138 II 251 S. 256
2.3.4
Vor dem Hintergrund der Allgemeinheit der Mehrwertbesteuerung und dem Postulat der Wettbewerbsneutralität ist eine weite Auslegung des Tatbestandes der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht am Platz (Urteile 2A.304/2003 vom 14. November 2003 E. 3.3, in: StR 59/2004 S. 232, ASA 76 S. 627; 2A.501/2001 vom 27. Mai 2002 E. 2.1, in: StR 57/2002 S. 674, RDAF 2003 II 14, ASA 73 S. 222; DANIEL RIEDO, Vom Wesen der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer, S. 115 und 174 f.; MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, a.a.O., S. 424 N. 22). Spiegelbildlich sind Ausnahmen von der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht einschränkend auszulegen (Urteil 2A.43/2002 vom 8. Januar 2003 E. 2.2.5, in: RDAF 2003 II 394, StR 58/2003 S. 545, ASA 73 S. 565). Gleiches gilt für Ausnahmen von der objektiven Mehrwertsteuerpflicht (
BGE 124 II 193
E. 5e S. 202 und E. 8a S. 211;
BGE 124 II 372
E. 6a S. 377; Urteile 2C_531/2008 vom 5. Juni 2009 E. 5.1, in: StR 64/2009 S. 780; 2C_612/2007 vom 7. April 2008 E. 5, in: RDAF 2008 II 554, StR 63/2008 S. 554, ASA 78 S. 229; 2A.599/2004 vom 7. Juni 2005 E. 3.2, in: ASA 76 S. 321; 2A.405/ 2002 vom 30. September 2002 E. 5.2, in: StR 59/2004 S. 231, RDAF 2004 II 428, ASA 74 S. 520; 2A.241/2001 vom 5. September 2001 E. 3d/cc) oder Normen, die das Gemeinwesen betreffen (Urteile 2A.233/1997 vom 25. August 2000 E. 4, in: ASA 71 S. 157, StR 56/2001 S. 55, RDAF 2003 II 256; 2A.93/1999 vom 24. November 1999 E. 3c, in: ASA 69 S. 882, RDAF 2000 II 83, StR 55/2000 S. 55). Schliesslich ist auch der Anwendungsbereich des reduzierten Steuersatzes restriktiv zu handhaben (Urteile 2C_830/2008 vom 11. November 2009 E. 4.1, in: ASA 79 S. 254, StR 65/2010 S. 341; 2A.68/2003 vom 31. August 2004 E. 3.4, in: ASA 76 S. 212).
2.4
2.4.1
Das Bundesgericht hatte sich bislang zur Frage noch nicht zu äussern, in welchem Masse ein Leistungserbringer tätig zu werden hat, ehe sein Verhalten als derart manifest gilt, dass er selbst unter Praktikabilitätsaspekten zur Abrechnung der Mehrwertsteuer heranzuziehen ist.
2.4.2
Die Frage der
Selbständigkeit
stellt sich einzig bei natürlichen Personen (HEINZ KELLER, Besondere mehrwertsteuerliche Probleme bei Selbständigerwerbenden, ASA 73 S. 433 ff., insb. 437; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER, a.a.O., N. 1006). Im Sinne von Art. 17 Abs. 1 aMWSTV "selbständig" ist, wer die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Als Richtschnur kann mit den nötigen Einschränkungen die Praxis zu Art. 18 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990
BGE 138 II 251 S. 257
über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) bzw.
Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14)
herangezogen werden (so auch KELLER, a.a.O., S. 437; zurückhaltend MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, a.a.O., S. 425 N. 29). Direktsteuerlich geht es in aller Regel um die Abgrenzung von selbständiger Erwerbstätigkeit zu privater Vermögensverwaltung, Liebhaberei und unselbständiger Erwerbstätigkeit. Kunstgegenstände eignen sich zweifellos als Wertanlage, sodass der Handel damit zu einem direktsteuerlich relevanten Nebenerwerb führen kann (vgl. namentlich Urteile 2C_766/ 2010 / 2C_767/2010 vom 29. Juli 2011, in: StE 2011 B 23.1 Nr. 71, ASA 80 S. 412 [Anteil an einer Skulptur von Alberto Giacometti];2C_893/2008 vom 10. August 2009, in: StR 64/2009 S. 892 [Plakatsammlung, "affiches anciennes"]; 2C_708/2007 vom 19. Mai 2008, in: StR 63/2008 S. 889 [Antiquitäten]; 2A.66/2002 vom 17. September 2002, in: ASA 73 S. 308[Teil einer Weinsammlung]).Wenngleich es durchaus begrüssenswert ist, den Begriff der selbständigen Tätigkeit direkt- und mehrwertsteuerlich in ähnlicher Weise aufzufassen, darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Einkommens- und Gewinnsteuer einerseits und Mehrwertsteuer anderseits unterschiedlichen Konzepten folgen. Geht es direktsteuerlich um die Besteuerung des Einkommens bzw. Gewinns des Leistungs
erbringers
, soll mehrwertsteuerlich der Konsum des Leistungs
empfängers
erfasst werden. Insofern findet die begriffliche Harmonisierung ihre Grenzen an der unterschiedlichen Zweckgebung der Steuerart.
Direktsteuerliche Indizien für die selbständige Ausübung der Tätigkeit sind insbesondere das Tragen des unternehmerischen Risikos, das Handeln und Auftreten in eigenem Namen gegenüber Dritten, die Wahlfreiheit, eine Aufgabe anzunehmen oder nicht und diese selbständig organisieren zu können. Daneben können die Beschäftigung von Personal, die Vornahme erheblicher Investitionen, eigene Geschäftsräumlichkeiten, verschiedene und wechselnde Auftraggeber sowie die betriebswirtschaftliche und arbeitsorganisatorische Unabhängigkeit eine Rolle spielen. Insoweit besteht zwischen direkter Steuer und Mehrwertsteuer kein Anlass zur Differenzierung und gelten mehrwertsteuerlich die unter Herrschaft des Bundesrats-Beschluses vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer (WUStB; AS 1941 793, in Kraft bis zum 31. Dezember 1994) entwickelten Kriterien sinngemäss weiter (Urteil 2A.468/1999 vom 27. Oktober 2000 E. 4a, in: ASA 71 S. 651, RDAF 2001 II 53). Die Prüfung ist stets aufgrund einer
umfassenden Würdigung sämtlicher Faktoren
vorzunehmen
BGE 138 II 251 S. 258
(Urteil 2C_426/2008 vom 18. Februar 2009 E. 2.2, in: StR 64/2009 S. 605). Es verhält sich mithin wie im Bereich der direkten Steuern, wo jeder Versuch, ein für allemal "eindeutige" Abgrenzungskriterien zu entwickeln, als problematisch erscheint (Urteil 2C_868/2008 vom 23. Oktober 2009 E. 2.7 zur Frage des gewerbsmässigen Wertschriftenhandels, unter Bezugnahme auf PETER LOCHER, Kommentar zum DGB, I. Teil, 2001, N. 4 zu
Art. 18 DBG
).
2.4.3
Art. 17 Abs. 1 aMWSTV lässt, anders als neurechtlich Art. 10 Abs. 1 lit. a des Mehrwertsteuergesetzes vom 12. Juni 2009 (MWSTG; SR 641.20), das Kriterium der
Nachhaltigkeit
unerwähnt. Aus der Entstehungsgeschichte geht freilich hervor, dass "nur gelegentlich, z.B. bloss einmalig" jedenfalls als "nicht nachhaltig im Sinne von gewerblich oder beruflich" zu betrachten ist. Schon bei grammatikalischer Auslegung ergibt sich, dass die Nachhaltigkeit kein eigenständiges Kriterium bildet, sondern dem Tatbestandselement der gewerblichen/beruflichen Ausübung der selbständigen Tätigkeit innewohnt (vgl. dazu RIEDO, a.a.O., S. 173). Es verdeutlicht, dass "nachhaltige Tätigkeit auch unternehmerisch" ist (KELLER, a.a.O., S. 444, mit Hinweisen) und macht klar, dass "purement occasionelle" nicht ausreicht, um den "caractère de permanence" bzw. den "caractère durable de l'activité" zu erfüllen (vgl. MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, a.a.O., S. 424 N. 22; SCHALLER/SUDAN/SCHEUNER/HUGUENOT, TVA annotée, 2005, S. 137 zu Art. 21 aMWSTG; dazu auch SCHAFROTH/ROMANG, in: mwst.com, 2000, N. 25 zu Art. 21 aMWSTG). Die Nachhaltigkeit akzentuiert insofern die Begriffe gewerblich/beruflich und gehört letztlich untrennbar zu ihnen (vgl. Urteil 2A.271/1991 vom 15. Oktober 1993 E. 2b). Sie ersetzt in gewisser Weise das Kriterium der Gewinnabsicht, das bei einer indirekten Steuer von vornherein keine Rolle spielen kann (dazu BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuerrecht, 2010, S. 77 N. 26).
Für das Vorliegen einer nachhaltigen Leistungserbringung können nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung folgende Indizien sprechen: Ein mehrjähriges Engagement, planmässiges Vorgehen, eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit, die Ausführung von mehreren Umsätzen, die Vornahme mehrerer gleichartiger Handlungen unter Ausnutzung derselben Gelegenheit, die Intensität des Tätigwerdens, die Beteiligung am Markt, der Unterhalt eines Geschäftsbetriebs und die Art und Weise des Auftretens gegenüber Behörden (Urteile 2A.501/ 2001 vom 27. Mai 2002 E. 2.1, in: StR 57/2002 S. 674, RDAF 2003 II 14, ASA 73 S. 222; 2A.211/1999 vom 3. November 2000 E. 4b/bb,
BGE 138 II 251 S. 259
in: ASA 71 S. 402). Wie bei Abklärung des Kriteriums der Selbständigkeit (vorne E. 2.4.2 a.E.) ist auch hier eine Würdigung der
gesamten Umstände des Einzelfalls
geboten.
2.5
2.5.1
Das Mehrwertsteuerrecht der Europäischen Union kann bei der Anwendung des schweizerischen Rechts als Erkenntnisquelle und Auslegungshilfe dienen, soweit das inländische Mehrwertsteuerrecht nicht ausdrücklich und bewusst von der Regelung der EU abweicht und einen eigenständigen Weg beschreitet. In jedem Fall aber ist die schweizerische Rechtsprechung in keiner Weise an das Mehrwertsteuerrecht der EU und die damit einhergehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gebunden (Urteile 2A.81/2005 vom 7. Februar 2006 E. 4.2; 2A.564/1998 vom 3. August 2000;
BGE 125 II 480
E. 7a S. 487 f.;
BGE 124 II 193
E. 6a S. 203 f.; RIVIER, a.a.O., 365; SCHALLER/SUDAN/SCHEUNER/HUGUENOT, a.a.O., S. 17 zu Art. 1 aMWSTG mit zahlreichen Hinweisen; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER, a.a.O., N. 79 f.; VALLENDER, a.a.O., N. 24 ff., insb. N. 26 zu
Art. 130 BV
; MANUEL R. VOGEL, Grenzüberschreitender Dienstleistungs- und Warenverkehr im Lichte der Mehrwertsteuer, 2003, S. 8).
2.5.2
Der EuGH konnte sich in seiner Rechtsprechung zu Art. 4 der Sechsten Richtlinie (Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. L 145 vom 13. Juni 1977) verschiedentlich mit der Frage der subjektiven Steuerpflicht im Grenzbereich zwischen privater und unternehmerischer Tätigkeit befassen. Ausgehend von den Urteilen vom 20. Juni 1996 (C-155/94
Wellcome Trust Ltd
, Slg. 1996 I-03013, insb. Randnr. 32) und vom 6. Februar 1997 (C-80/95
Harnas & Helm CV
, Slg. 1997 I-00745, insb. Randnr. 20) vertritt der EuGH seit jeher die Ansicht, der blosse Erwerb und die Ausübung des Eigentums durch Veräusserung seien nicht als (steuerbare) Nutzung eines Gegenstandes durch seinen Inhaber zu betrachten, wenn sie im Rahmen einer Vermögensverwaltung (namentlich durch private Anleger) ausgeführt werden (dazu BIRKENFELD/FORST, Das Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, 3. Aufl. 1998, S. 139). Im Anwendungsbereich der nunmehr geltenden Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347/1 vom 11. Dezember 2006) hat daran nichts geändert (Urteil vom 15. September 2011 C-180/10 und C-181/10,
BGE 138 II 251 S. 260
Jaroslaw Slaby
bzw.
Emilian Kuc und Halina Jeziorska-Kuc,
Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen, insb. Randnrn. 32 und 37 ff.).
2.5.3
Nach der weitergeführten
Wellcome
-Praxis kommt es bei der Abgrenzung von Lieferungen, welche die natürliche Person entweder "unternehmerisch" oder dann "privat" - also "nicht-unternehmerisch" - vornimmt, nicht auf Zahl und Umfang der Verkaufsfälle an. Ebenso unmassgeblich ist die Höhe des Umsatzes. Entscheidend ist vielmehr, ob der Leistungserbringer "aktive Schritte zum Vertrieb" durch Einsatz "ähnlicher Mittel wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender" ergreift (dazu CHRISTOPH WÄGER, Rechtsprechungsauslese 2011, in: Umsatzsteuer-Rundschau [UR] 61/2012 S. 125 ff., insb. 128; zum Ganzen auch MARCUS M. BLANKENHEIM, "Steuerpflichtiger" und Unternehmerbegriff im Umsatzsteuerrecht, 2005, S. 168). Der heutige Stand der
Wellcome
-Praxis des EuGH zu den Voraussetzungen der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht entspricht weitgehend der hier massgebenden schweizerischen Sichtweise. Sie kann analog zur Auslegung herangezogen werden, zumal beide Rechtsordnungen in gleicher Weise die Notwendigkeit einer Einzelfallbetrachtung anerkennen.
2.6
In Art. 10 Abs. 4 aMWSTV, ebenso wie in Art. 11 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG; AS 2000 1300), nicht jedoch im geltenden Recht, findet sich schliesslich die Auktionatorenregelung. Die Sonderbestimmung für den Bereich des Kunst- und Antiquitätenhandels trug dem Wunsch der Einlieferer nach erhöhter Diskretion Rechnung und sollte sicherstellen, dass der Umsatz dem Einlieferer zugerechnet wird, nicht hingegen dem Auktionshaus (dazu u.a. RALF IMSTEPF, Die Zuordnung von Leistungen gemäss Art. 20 des neuen MWSTG, ASA 78 S. 757 ff., insb. 766). Die Voraussetzungen der Norm, zu welchen sich das Bundesgericht mehrfach geäussert hat (Urteile 2A.81/2005 vom 7. Februar 2006; 2A.50/2003 vom 29. Juli 2003; 2A.323/2000 vom 6. März 2001), sind im vorliegenden Fall unstreitig erfüllt. Darauf ist nicht weiter einzugehen.
(...)
4.
4.1
In rechtlicher Hinsicht wirft der Beschwerdeführer der Vorinstanz zunächst eine Rechtsverletzung im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung von Art. 17 aMWSTV vor. Konkret habe sie
BGE 138 II 251 S. 261
die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Frage der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht unter Herrschaft der aMWSTV falsch gewichtet. Lasse sie die Frage offen, ob sich ein Unternehmer die Nähe seiner Haupttätigkeit anrechnen lassen muss, verhalte sie sich zudem widersprüchlich, wenn sie gleichzeitig den Marktauftritt aus der Nähe zum Auktionshaus herleite. Die veräusserten Kunstwerke hätten sich seit mehreren Jahrzehnten im Eigentum des Beschwerdeführers befunden, was aufzeige, dass die Objekte nicht zum Verkauf bestimmt gewesen seien. Auch im Fall von privaten Kunstsammlungen müsse gelten, dass diese keinen Betrieb darstellten. Generell sei festzustellen, dass die von der ESTV geübte "Infizierungspraxis" zu einer rechtsungleichen Behandlung von "mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmern und anderen Personen" führe. Entgegen ihrer publizierten Praxis, wonach die Haltung der Sozialversicherungsträger für die mehrwertsteuerliche Behandlung grundsätzlich übernommen werde, nehme die ESTV im vorliegenden Fall eine abweichende Handhabung in Kauf. Bei einer Steuerzahllast von durchschnittlich unter Fr. 4'000.-, bezogen auf die Jahre 2000 bis 2003, falle administrativer Aufwand an, der den Steuerertrag nahezu aufwiege. Die Vorinstanz führe zwar aus, dass die Norm aus Gründen des Gebots der Wettbewerbsneutralität weit auszulegen sei, unterlasse es dann aber zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall überhaupt zu einer Wettbewerbsverzerrung komme. Allein schon die Begriffe "Konkurrenten" und "Branche" seien im Zusammenhang mit einer Sammlertätigkeit verfehlt, zumal der Beschwerdeführer "am Markt" nicht in eigenem Namen aufgetreten sei.
4.2
Zur Erreichung des übergeordneten Ziels der Allgemeinheit der Mehrwertbesteuerung und der Wettbewerbsneutralität ist nach dem Gesagten eine weite Auslegung des Tatbestandes der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht am Platz (E. 2.3.4 hievor). Soweit ein Leistungserbringer von ihr ausgenommen ist, bleibt nicht nur der Konsum unbesteuert, sondern geniesst er Wettbewerbsvorteile gegenüber den Mitanbietern, die der Steuerpflicht unterliegen und ihre Leistungen entsprechend teurer anbieten müssen, wollen sie die Mehrwertsteuer nicht zulasten ihrer Marge übernehmen. Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, es sei nicht erstellt, dass es im vorliegenden Fall überhaupt zu einer Wettbewerbsverzerrung komme, geht sein Argument von vornherein fehl. Nicht nur erscheint es als geradezu unmöglich, in konkreter Weise abzuschätzen, worin die Folgen der gegebenen oder fehlenden subjektiven Mehrwertsteuerpflicht eines
BGE 138 II 251 S. 262
Marktteilnehmers bestehen. Solcherlei ist auch nicht Aufgabe der Rechtsprechung, zumal diese Sichtweise eine Einzelfallbetrachtung impliziert, wogegen die übergeordneten allgemeinen Prinzipien nach einer Gesamtschau rufen. Der Markt insgesamt wird gestört, wenn einzelne Anbieter (subjektive Steuerpflicht) bzw. einzelne Leistungen (objektive Steuerpflicht) von der Mehrwertbesteuerung ausgenommen sind. Dies ist ganz grundsätzlich unerwünscht, soweit der Gesetzgeber nicht bewusst Ausnahmen von der objektiven oder subjektiven Mehrwertsteuerpflicht vorsieht.
4.3
Der Beschwerdeführer bestreitet in grundsätzlicher Hinsicht das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit im Sinne von Art. 17 Abs. 1 aMWSTV und macht blosse Sammlertätigkeit geltend.
4.3.1
Hierzu führt er aus, anders als dies im Handel typischerweise zutreffe, sei er am relevanten Markt gerade nicht in eigenem Namen aufgetreten. Sein Beitrag habe sich darauf beschränkt, die Kunstwerke einzuliefern, worauf das Auktionshaus alles Weitere besorgt habe. Ein Privatsammler verhalte sich mithin nicht "wie ein Händler". Solange das Auktionshaus dem Einlieferer gegenüber Marktkonditionen anwende, dürfe die Beteiligung des Beschwerdeführers am Auktionshaus zu keiner anderen Betrachtung führen. Ein Liebhaber, der Gegenstände sammle und sich von diesen erst nach langer Zeit wieder trenne, unterliege keinem unternehmerischen Risiko. Ein solches sei für die Bejahung der Selbständigkeit aber unerlässlich und fehle im vorliegenden Fall, zumal der Beschwerdeführer beim Aufbau seiner Sammlung ausschliesslich Eigenkapital eingesetzt habe.
4.3.2
In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur direktsteuerlichen Selbständigkeit gelten hauptsächlich folgende Indizien als massgebend: Tragen des unternehmerischen Risikos, Handeln und Auftreten in eigenem Namen gegenüber Dritten, die Wahlfreiheit, eine Aufgabe anzunehmen oder nicht und diese selbständig organisieren zu können (E. 2.4.2 hievor). Letztlich handelt es sich bei diesen Merkmalen um unverbindliche Anhaltspunkte, die einzeln - oder zusammen mit anderen Aspekten - den Schluss nahelegen, der Leistungserbringer handle "unabhängig", "weisungsungebunden", "ausserhalb einer bestimmten Hierarchie". Im Ergebnis lässt sich das Kriterium am ehesten vor dem Hintergrund der unselbständigen Tätigkeit prüfen, deren Konturen wesentlich klarer gehalten sind. Unter den vorliegenden, zweifellos atypischen Verhältnissen kann es ohnehin nicht auf die üblichen Kriterien ankommen. Diese sind auf den Normalfall eines
BGE 138 II 251 S. 263
Händlers oder Dienstleisters zugeschnitten, während sich das Veräussern von Kunstwerken unter Inanspruchnahme eines Auktionshauses begriffsnotwendig durch ein hohes Mass an Diskretion und Zurückhaltung im Aussenauftritt auszeichnet. Damit kann das Kriterium des Auftritts in eigenem Namen am relevanten Markt nie gegeben sein, was nicht nur mehrwert-, sondern auch direktsteuerlich gilt (jüngst dazu das Urteil 2C_766/2010 / 2C_767/2010 vom 29. Juli 2011 E. 2.4 mit Hinweisen, namentlich auf
BGE 122 II 446
E. 3b S. 450, in: StE 2011 B 23.1 71, ASA 80 S. 412). Ebenso wenig lässt sich aus dem Bestehen oder Fehlen der Risikoübernahme schliessen. Mit dem Beschwerdeführer ist anzunehmen, dass Sammler, die über lange Zeit eine Sammlung unterhalten und diese bei sich bietenden Gelegenheiten erweitern, im Fall der Veräusserung kein eigentliches betriebswirtschaftliches Risiko eingehen. Das klassische Händlerrisiko, das darin besteht, dass der Warenbestand sich als unverkäuflich oder zumindest demodiert erweist, ist bei einer Sammlung ausgeschlossen. Sammler halten keinen derartigen Warenbestand im Sinne eines eigentlichen Umlaufvermögens und erwerben die Objekte gerade nicht in der Absicht, sie später wieder zu veräussern. Für sie steht in aller Regel der Affektionswert im Vordergrund, während der Verkehrswert, der erst im Fall der Veräusserung zum Tragen käme, nicht selten während der Haltedauer überhaupt keine Rolle spielt. Damit erweist sich auch dieses Kriterium als untauglich.
4.3.3
Der Beschwerdeführer qualifiziert sein Verhalten als blosse Verwaltung seines Privatvermögens. Zumindest sinngemäss leitet er daraus ab, dass kein Bedürfnis nach Besteuerung des Konsums bestehe, der anlässlich des Erwerbs der von ihm angebotenen Kunstwerke durch die Käuferschaft getätigt wurde. Das Kriterium der Liebhaberei, das der Beschwerdeführer zu seinen Gunsten heranzieht, ist an sich auf die Belange der direkten Steuern zugeschnitten, findet aber mit Einschränkungen auch in der Mehrwertsteuerpraxis Anwendung (Urteil 2C_463/2008 vom 27. Januar 2009 E. 2.2). Ausgangspunkt der direktsteuerlichen Liebhaberei, die zu steuerfreiem privatem Kapitalgewinn führt, ist die fehlende Gewinnstrebigkeit. Beim Verkauf einer Sammlung ist direktsteuerlich nur dann von einem steuerfreien privaten Kapitalgewinn auszugehen, wenn die Sammlung nachvollziehbar ohne Gewinnstrebigkeit aufgebaut worden ist. Dies erfordert eine Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles (Urteile 2C_766/2010 / 2C_767/2010 vom 29. Juli 2011 E. 2.5, in: StE 2011 B 23.1 71, ASA 80 S. 412; 2A.66/2002 vom 17. September 2002
BGE 138 II 251 S. 264
E. 2.3, in: ASA 73 S. 308). Im Mehrwertsteuerrecht ist die Gewinnabsicht für den Tatbestand der subjektiven Steuerpflicht von keiner Bedeutung. Hier soll der Verbrauch des Leistungsempfängers besteuert werden, weswegen die Absichten des Leistungserbringers in den Hintergrund zu treten haben (Art. 17 Abs. 1 aMWSTV, Art. 21 Abs. 1 aMWSTG,
Art. 10 Abs. 1 MWSTG
). Unter Würdigung aller Umstände bleibt es dabei, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Veräusserung der eingelieferten Kunstwerke unter mehrwertsteuerlichen Gesichtspunkten den Rahmen der Liebhaberei verlassen hat. Vielmehr betätigte er sich im hier massgebenden Zeitraum durchaus in der Art eines Kaufmannes, "wie ein Unternehmer", also gewerblich und nicht bloss vermögensverwaltend. Die Sichtweise der Steuerverwaltung des Kantons E., welche diese im Tax Ruling vom 16. Dezember 1997 für die Zwecke der direkten Steuern einnahm (dazu lit. B hievor), vermag daran nichts zu ändern. Wohl lag auch direktsteuerlich der Fokus auf der Abgrenzung zwischen (steuerbarer) selbständiger Erwerbstätigkeit und (steuerfreier) Liebhaberei. Anders als im Bereich der Einkommens- und Gewinnsteuer, wo die Frage zu beantworten ist, ob beim Veräusserer ein Wertzuwachs zu besteuern sei, geht es mehrwertsteuerlich um die Besteuerung des Konsums des Leistungsempfängers. Nach klarem gesetzgeberischem Konzept soll dieser steuerlich erfasst werden, soweit das Gesetz nicht eine ausdrückliche Ausnahme vorsieht.
4.4
Weiter bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen einer hinreichend "nachhaltigen", gewerblich/beruflichen Tätigkeit im Sinne von Art. 17 Abs. 1 aMWSTV.
4.4.1
Er trägt hierzu vor, der im Jahr 2000 erzielte Umsatz von Fr. 734'700.- stehe überwiegend im Zusammenhang mit Lieferungen ins Ausland. Unter Berücksichtigung der Jahre 2001 bis 2003 ergebe sich eine Steuerzahllast von weniger als Fr. 4'000.- pro Jahr, womit die Schwelle gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. a aMWSTV unerreicht bleibe. Der administrative Aufwand seitens der steuerpflichtigen Person, der sich aufgrund der Steuerpflicht ergebe, sei denn auch "völlig unverhältnismässig". Liege ein En-bloc-Verkauf vor, fehle es an der erforderlichen Häufigkeit ebenso wie an der Planmässigkeit. Die Steuerverwaltung des Kantons E. teile diese Auffassung. Der Verkauf sei durch den Liquiditätsbedarf im Zusammenhang mit dem Umbau einer Liegenschaft bedingt und beruhe insofern auf einem einmaligen Entschluss.
BGE 138 II 251 S. 265
4.4.2
Soweit der Beschwerdeführer seine subjektive Mehrwertsteuerpflicht unter Bezugnahme auf die Jahre 2001 bis 2003 bestreitet, in welchen die erforderliche Steuerzahllast nicht erreicht worden sei, ist darauf nicht näher einzugehen. Unstreitig bilden diese Jahre weder Gegenstand des vorliegenden Verfahrens noch ist dem Beschwerdeführer hierzu überhaupt ein anfechtbarer Entscheid zugekommen (siehe dazu lit. C hievor). Im hier massgebenden Steuerjahr 2000 belief sich die Steuerzahllast gemäss Ergänzungsabrechnung auf Fr. 17'465.-. Erweist sich die Steuerforderung der ESTV im vorliegenden Verfahren als begründet, tritt der Beschwerdeführer angesichts der konkreten Steuerzahllast ohne Weiteres in die subjektive Mehrwertsteuerpflicht.
4.4.3
Die Nachhaltigkeit ist Tatbestandselement der gewerblichen/ beruflichen Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Indizien für das nachhaltige Erbringen einer Tätigkeit sind nach dem Gesagten namentlich ein mehrjähriges Engagement, planmässiges Vorgehen, eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit, die Ausführung von mehreren Umsätzen und die Vornahme mehrerer gleichartiger Handlungen unter Ausnutzung derselben Gelegenheit (E. 2.4.3). Mit Blick auf die
Wellcome
-Praxis des EuGH, die hier analog gilt, ist letztlich ausschlaggebend, ob der Beschwerdeführer "aktive Schritte zum Vertrieb" durch Einsatz "ähnlicher Mittel wie ein Händler" unternommen hat (E. 2.5.3). Unstreitig hat er die Kunstsammlung über Jahrzehnte angelegt, gepflegt und erweitert. Nennenswerte Verkäufe sind keine bekannt, bis es im Jahr 2000 galt, einen akuten Liquiditätsengpass zu beseitigen. Wenn der Beschwerdeführer auf die Gründe seiner Einlieferungen eingeht, ist dies freilich unbehelflich. Wie ausgeführt, erfolgt die Beurteilung der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht frei von den Überlegungen des Leistungserbringers, ist die Mehrwertsteuer doch eine Verbrauchsteuer. Wie die Materialien zum Ausdruck bringen, wollten Verordnungs- und Gesetzgeber lediglich, aber immerhin, Leistungserbringer von der Mehrwertsteuerpflicht ausnehmen, die "nur gelegentlich, z.B. bloss einmalig" Umsätze erzielen (E. 2.3.2). Zahl und Umfang der Verkaufsfälle, ebenso wie die Höhe des Umsatzes sind für sich allein nach der
Wellcome
-Praxis zwar grundsätzlich ohne Belang (E. 2.5.3). Dennoch kommt ihnen im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung durchaus Bedeutung zu, ermöglichen sie doch Rückschlüsse im Hinblick darauf, ob der Leistungserbringer "aktive Schritte" unternimmt oder sich "ähnlicher Mittel wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender" bedient.
BGE 138 II 251 S. 266
4.4.4
Der Beschwerdeführer ist unbeschränkt haftender Gesellschafter der Galerie A. Seine Kenntnisse und Fertigkeiten als Kunstsachverständiger haben auch auf wissenschaftlicher Ebene zu gebührender Anerkennung geführt. Entnahm er seiner Sammlung im Jahr 2000 insgesamt 42 Werke, von denen dann bis auf vier tatsächlich alle einen Käufer fanden, so traf er die Wahl auch aufgrund seiner Einschätzung des Marktes. Dabei kam ihm seine berufliche Erfahrung zweifellos zupass. Insofern ist die Abgrenzung zwischen (haupt-)beruflicher und Sammlertätigkeit zumindest verschwommen, wenn sich nicht sogar sagen lässt, dass eine Trennung von vornherein unmöglich sei. Jedenfalls schlossen sich an den Umsatz von Fr. 734'700.-im Jahr 2000 Verkäufe von Fr. 87'150.- (2001), Fr. 309'350.- (2002) und Fr. 218'600.- (2003) an, womit innerhalb verhältnismässig kurzer Zeit insgesamt Fr. 1'349'800.- umgesetzt werden konnten. War der Beschwerdeführer nicht subjektiv mehrwertsteuerpflichtig, konnte er seine Objekte spürbar günstiger anbieten als steuerpflichtige Konkurrenten. Vor allem aber blieb ein nicht unerheblicher Konsum unbesteuert, was dem Prinzip der Allgemeinheit der Mehrwertsteuer zuwiderläuft. Mit der gewählten Vorgehensweise bediente der Beschwerdeführer sich im Sinne der
Wellcome
-Praxis des EuGH "ähnlicher Mittel wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender", der professionell in Erscheinung tritt. Er unternahm wohlgezielte, kurz aufeinanderfolgende aktive Schritte zur Versilberung eines Teils seines Vermögens und darf mit Blick auf die Materialien nicht mehr als jemand gelten, der "nur gelegentlich, z.B. bloss einmalig, also nicht nachhaltig im Sinne von gewerblich oder beruflich" auftritt. Die Nachhaltigkeit als Teilaspekt der gewerblich/beruflichen Tätigkeit kann nicht fraglich sein.
4.5
Führte die Veräusserung eines Teils der Kunstsammlung im Jahr 2000 durch den Beschwerdeführer zur selbständigen Ausübung einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im mehrwertsteuerlichen Sinne, ist er subjektiv mehrwertsteuerpflichtig und damit von der ESTV zu Recht ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen worden. Seine Beschwerde ist insofern unbegründet und abzuweisen. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8b5d21a9-4f5f-4505-9284-6b78f6e24fa9 | Urteilskopf
98 II 168
26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. November 1972 i.S. Müller. | Regeste
Berufung an das Bundesgericht. Begriff der Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 44/46 OG). Notwendigkeit eines Verfahrens zwischen zwei Parteien (Erw. 1).
Sachliche Zuständigkeit zur Festsetzung der Unterhaltsbeiträge, welche die Eltern für die ihnen nach
Art. 284 oder 285 ZGB
weggenommenen Kinder zu leisten haben. Voraussetzungen, unter denen die Kantone diese Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde (z.B. den nach Bundesrecht diese Zuständigkeit nicht besitzenden vormundschaftlichen Behörden) übertragen können. Folgen der sachlichen Unzuständigkeit (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 98 II 168 S. 168
A.-
Ein vom Kantonsgericht St. Gallen am 10. Juli 1968 bestätigtes Strafurteil des Bezirksgerichtes Wil vom 31. Januar/13. Juli 1967 entzog Gotthilf Müller gemäss
Art. 53 Abs. 1 StGB
die elterliche Gewalt über die aus seiner Ehe mit Louise geb. Nürnberg hervorgegangenen Kinder Louise und Adelheid,
BGE 98 II 168 S. 169
geb. 1955 bzw. 1958. Am 28. September 1970 entzog das Bezirksamt Wil der vom Waisenamt Zuzwil am 21. September 1970 wegen Geisteskrankheit entmündigten Frau Louise Müller-Nürnberg die elterliche Gewalt über die beiden Kinder. Mit Urteil vom 7. Mai 1971 schied das Bezirksgericht Wil die Ehe Müller-Nürnberg gemäss
Art. 141 ZGB
. Über die Zuteilung der Kinder, das Besuchsrecht der Eltern und deren Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Kindern traf es mit Rücksicht auf den bereits früher erfolgten Entzug der elterlichen Gewalt keine Anordnungen. Es nahm an, es sei Sache des Waisenamtes, das Besuchsrecht des Vaters und dessen Unterhaltsleistungen für die (bei Dritten untergebrachten) Kinder zu ordnen, und erwähnte, der Vater habe sich vor Schranken bereit erklärt, weiterhin monatlich Fr. 150.-- für jedes Kind zu zahlen. Am 1. November 1971 beschloss das Waisenamt Zuzwil, Gotthilf Müller werde zu diesen Zahlungen verpflichtet.
B.-
Am 29. März 1972 schrieb das Waisenamt Zuzwil dem Gotthilf Müller, das Kostgeld für das jüngere Kind müsse wegen der Teuerung erhöht werden, wogegen das Kostgeld für das ältere Kind ermässigt werden könne; deshalb werde beschlossen:
"1. Die Unterhaltsbeiträge des Herrn Gotthilf Müller ... werden rückwirkend auf 1. Januar 1972 wie folgt der Teuerung angepasst:
a) Fr. 80.- monatlicher Beitrag für Tochter Louise, 1955, zahlbar vierteljährlich an den Vormund, Herrn Otto Zimmermann, ...
b) Fr. 180.-- monatlicher Beitrag für Tochter Heidi, 1958, plus
Fr. 35.- monatliche Kinderzulage =
Fr. 215.-- monatlich, vorauszahlbar jeweils monatlich an Herrn Amtsvormund Ammann, ...
Per Ende März 1972 sind von Ihnen geschuldet:
Fr. 240.-- an Herrn Otto Zimmermann, ...
Fr. 645.-- an Herrn Amtsvormund Ammann, ... plus
Fr. 215.-- vorauszahlbarer Betrag pro April 1972,
Fr. 860.-- total.
Wir hoffen, Herr Müller, dass Sie Ihren Verpflichtungen gegenüber Ihren Kindern nachkommen und die bereits aufgelaufenen Alimente möglichst bald abzahlen. Wir, wie auch die Vormünder, sind nicht erpicht, immer nur den Rechtsweg beschreiten zu müssen, und appellieren daher an Sie, Ihre Pflichten zu erfüllen, wie es sich gehört.
BGE 98 II 168 S. 170
2. Gegen diesen Beschluss des Waisenamtes Zuzwil steht Ihnen gemäss
Art. 420 Abs. 2 ZGB
innert 10 Tagen das Beschwerderecht an das Justizdepartement des Kantons St. Gallen in St. Gallen zu."
C.-
Am 7. April 1972 schrieb Gotthilf Müller dem Justizdepartement des Kantons St. Gallen, er müsse "wegen der Gemeinde Zuzwil auf das Schreiben vom 29. März 1972 ... sowie zurück auf 1966" Beschwerde einreichen. Auf das Schreiben des Waisenamtes Zuzwil vom 29. März 1972 ging er indessen in seiner Beschwerdeschrift nicht ein. Später erklärte er dem Sachbearbeiter telephonisch, er bezahle nicht, weil seine Kinder bevormundet seien und er zu ihrer Unterbringung, Pflege und Schulung nichts zu sagen habe. Die ihm gebotene Gelegenheit zu einer Besprechung mit dem Sachbearbeiter benützte er nicht.
Das Justizdepartment beschaffte sich u.a. einen Ausweis über den Lohn Müllers.
Auf Antrag dieses Departements wies der Regierungsrat des Kantons St. Gallen die Beschwerde Müllers am 8. August 1972 ab und teilte Müller mit, gegen diesen (am 16./17. August 1972 zugestellten) Entscheid sei die Berufung an das Bundesgericht zulässig.
D.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrates hat Müller am 13. September 1972 die Berufung an das Bundesgericht erklärt. In seiner Berufungsschrift führt er aus, er verdiene durchschnittlich rund Fr. 1100.-- bis Fr. 1200.-- pro Monat und brauche für seinen Lebensunterhalt monatlich Fr. 1070.--, so dass für ihn Alimente von rund Fr. 100.-- tragbar wären.
Der Regierungsrat beantragt in seinen Gegenbemerkungen die Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 44 und 46 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) ist die Berufung an das Bundesgericht abgesehen von den Fällen der
Art. 44 lit. a-c und 45 lit. b OG
, von denen hier keiner gegeben ist, nur in Zivilrechtsstreitigkeiten zulässig. Hierunter versteht die Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehrern natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen einer solchen Person und einer nach Bundesrecht die Stellung einer Partei besitzenden Behörde, das sich vor
BGE 98 II 168 S. 171
dem Richter oder einer andern Spruchbehörde abspielt und auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielt (vgl. namentlich
BGE 78 II 180
f.,
BGE 81 II 83
, 182 und 251 f. Erw. 2,
BGE 95 II 377
mit Hinweisen,
BGE 97 II 13
/14,
BGE 98 II 149
).
Mit einem solchen Verfahren hat man es im vorliegenden Falle schon deshalb nicht zu tun, weil dem Berufungskläger im kantonalen Verfahren weder eine andere Privatperson noch eine Behörde, der nach Bundesrecht Parteistellung zukäme, als Partei gegenüberstand. Die durch ihre Vormünder vertretenen Kinder, deren Unterhaltsansprüche gegenüber dem Berufungskläger in Frage stehen, sind nicht als Kläger aufgetreten, und die Vormundschaftsbehörde, welche die Unterhaltsansprüche der ihren Eltern weggenommenen Kinder aus eigenem Recht hätte einklagen können (HEGNAUER, N. 188 zu Art. 272, N. 77 zu Art. 284 und N. 6 zu
Art. 289 ZGB
), hat ebenfalls nicht geklagt, sondern die Unterhaltsbeiträge, die der Berufungskläger nach ihrer Auffassung zahlen sollte, gleich selbst festgesetzt. Auch am Beschwerdeverfahren vor dem Regierungsrat waren weder die Kinder noch die Vormundschafsbehörde als Parteien beteiligt. Auf die Berufung gegen den Entscheid des Regierungsrates kann daher nicht eingetreten werden, weil das Verfahren, in welchem dieser Entscheid ergangen ist, keine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44/46 OG darstellt.
Liegt schon mangels eines Verfahrens zwischen zwei (oder mehrern) Parteien keine Zivilrechtsstreitigkeit vor, so kann dahingestellt bleiben, ob das in
BGE 78 II 180
und zahlreichen weitern Entscheiden aufgestellte Erfordernis eines "kontradiktorischen" Verfahrens neben dem Erfordernis eines Zweiparteien- (oder Mehrparteien-) Verfahrens selbständige Bedeutung habe oder ob mit der Wendung, es müsse sich um ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren Personen als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen einer solchen Person und einer Behörde mit Parteistellung handeln, einfach ein Prozess zwischen zwei oder mehrern solchen Parteien verlangt wird (vgl. hiezu
BGE 93 II 437
Erw. 1, wo die Zivilrechtsstreitigkeit als ein auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielendes "Zweiparteienverfahren" bezeichnet wird; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1958, S. 558, mit Hinweis auf S. 38, wonach unter streitiger Gerichtsbarkeit
BGE 98 II 168 S. 172
"die Rechtsanwendung durch die Gerichte im Zweiparteiensystem" zu verstehen ist und die Bezeichnung dieser Gerichtsbarkeit als streitige sich daraus erklärt, dass sich die beiden beteiligten Parteien in der Regel - aber, wie auf S. 28 oben dargelegt, nicht immer - im Widerstreit befinden; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, 1964, S. 19 No. 20, S. 21 No. 24 und S. 23 ff. No. 28, wonach eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44/46 OG vorliegt, wenn sich vor dem Richter oder einer andern Spruchbehörde ein Verfahren zwischen zwei Parteien zur Regelung der zwischen ihnen bestehenden zivilrechtlichen Verhältnisse abspielt, gleichgültig, ob die Parteien miteinander streiten oder nicht; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 1970, der auf S. 12 die streitige Gerichtsbarkeit als Entscheidung von Streitigkeiten über Privatrechtsansprüche im Zweiparteiverfahren - mit Kläger und Beklagtem - definiert und auf S. 191 das kontradiktorische Verfahren mit dem Zweiparteiverfahren gleichsetzt, indem er schreibt, eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44/46 OG liege vor, "wenn ein kontradiktorisches Verfahren (Zweiparteiverfahren) durchgeführt wird, das auf endgültige Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse abzielt").
Es mag beigefügt werden, dass auf die Berufung Müllers auch beim Vorliegen einer Zivilrechtsstreitigkeit nicht eingetreten werden könnte. Der Berufungskläger hat nämlich im Verfahren vor dem Regierungsrat (in welchem er Gelegenheit hatte, sich zur Sache zu äussern) nicht geltend gemacht, die ihm vom Waisenamt auferlegten Unterhaltsbeiträge seien zu hoch, sondern seine Pflicht zur Zahlung dieser Beiträge nur mit der Begründung bestritten, er habe zur Unterbringung, Pflege und Schulung der Kinder nichts zu sagen. In der vorliegenden Berufungsschrift hält er diesen Einwand mit Recht nicht aufrecht, sondern beanstandet nur die Höhe der vom Regierungsrat in Übereinstimmung mit dem Waisenamt auf monatlich insgesamt Fr. 295.-- festgesetzten Beiträge. Dabei stützt er sich ausschliesslich auf neue tatsächliche Behauptungen über seinen Verdienst und seine Lebensbedürfnisse, die gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
nicht zu hören sind. Seine Berufung wäre daher, wenn sie nach Art. 44/46 OG zugelassen werden könnte, mangels einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Begründung unwirksam.
BGE 98 II 168 S. 173
2.
Das Nichteintreten auf die vorliegende Berufung bedeutet nicht ohne weiteres, dass der angefochtene Entscheid zu Recht bestehe und vollstreckt werden könne; denn es fragt sich, ob der Regierungsrat sachlich zuständig war, ihn zu fällen.
a) Die Kompetenzen, die dem Waisenamt und dem Regierungsrat in ihrer Eigenschaft als Vormundschaftsbehörde bzw. vormundschaftliche Aufsichtsbehörde nach Bundesrecht zustehen, erlaubten ihnen nicht, den Berufungskläger zur Leistung der streitigen Beiträge zu verurteilen, wie sie es getan haben. Weder die Vorschriften der
Art. 283-288 ZGB
über das behördliche Einschreiten zum Schutze der Kinder noch
Art. 289 ZGB
, wonach die Entziehung der elterlichen Gewalt die Unterhaltspflicht der Eltern nicht aufhebt, noch andere Bestimmungen des Bundesrechts verleihen den vormundschaftlichen Behörden die Befugnis, die Unterhaltsbeiträge der Eltern für die ihnen weggenommenen Kinder autoritativ festzusetzen (vgl. HEGNAUER, N. 165 zu Art. 272, N. 110 zu Art. 283 und N. 77 zu
Art. 284 ZGB
).
b) Für den Fall, dass die Wegnahme der Kinder durch ein Scheidungs- oder Trennungsurteil angeordnet wird oder dass die Kinder den Eltern schon vor der Scheidung oder Trennung ihrer Ehe auf Grund von
Art. 284 oder 285 ZGB
weggenommen worden sind, wie es für die Eheleute Müller zutrifft, lässt sich die Auffassung vertreten, die Beiträge der Eltern an den Unterhalt der Kinder seien entsprechend
Art. 156 Abs. 2 ZGB
im Scheidungs- oder Trennungsurteil festzusetzen (so das Obergericht des Kantons Zürich in dem von HEGNAUER in N. 187 zu Art. 283 zitierten Entscheide vom 15. November 1940, ZR 1944 Nr. 160 = SJZ 1941/42 S. 117 Nr. 43); im Falle der - nach
BGE 57 II 137
ff. und
BGE 77 II 108
/109 vom Richter zu respektierenden - Wegnahme der Kinder schon vor der Scheidung oder Trennung gelte das wenigstens dann, wenn dieser Punkt nicht schon vor der Scheidung oder Trennung behördlich geregelt wurde (so die Cour de justice civile des Kantons Genf in einem Entscheid vom 15. Juni 1962, Sem. jud. 1963 S. 482 ff.; abweichend ein Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 14. Mai 1961, zusammengefasst in Aarg. Gerichts- und Verwaltungsentscheide 1961 S. 21 Nr. 4). Im übrigen besteht keine Vorschrift des Bundesrechts, die sagen würde, wer die Unterhaltsbeiträge der Eltern für die ihnen gemäss
Art. 284 oder 285 ZGB
weggenommenen Kinder
BGE 98 II 168 S. 174
festzusetzen habe. Soweit nicht gemäss
Art. 156 ZGB
der Scheidungs- oder Trennungsrichter diesen Entscheid zu treffen hat, haben daher nach Art. 52 des Schlusstitels des ZGB (SchlT) die Kantone die hiefür zuständige Behörde zu bezeichnen, und es ist grundsätzlich auch ihre Sache, das Verfahren zu ordnen (BECK, N. 4 zu Art. 52 SchlT, und HEGNAUER, N. 191 zu
Art. 272 ZGB
). Die Kantone können von ihrer Gesetzgebungskompetenz in dem Sinne Gebrauch machen, dass sie die in Frage stehende Aufgabe den vormundschaftlichen Behörden zuweisen. Dagegen dürfen sie in diesem Falle nicht einfach das Verfahren anwendbar erklären, das die vormundschaftlichen Behörden bei Erfüllung der ihnen nach Bundesrecht obliegenden, in den Bereich der sog. nichtstreitigen Gerichtsbarkeit fallenden Aufgaben befolgen. Vielmehr müssen die Kantone dem Umstand Rechnung tragen, dass Gegenstand der zu treffenden Entscheidung ein privatrechtlicher Anspruch auf Vermögensleistungen ist, der nach Bundesrecht, soweit nicht der im Scheidungs- oder Trennungsprozess nach
BGE 85 II 232
und
BGE 96 II 73
Erw. 2 von Amtes wegen anzuwendende
Art. 156 Abs. 2 ZGB
eingreift, durch eine Klage des durch einen Vormund oder Beistand vertretenen Kindes oder der Vormundschaftsbehörde gegen die Eltern (oder gegen den einen oder andern Elternteil) geltend zu machen ist (HEGNAUER, N. 178 ff. zu Art. 272, N. 77 zu
Art. 284 ZGB
; vgl. GULDENER, Bundesprivatrecht und kantonales Zivilprozessrecht, ZSR 1961 II S. 1 ff., 25, wonach der Rechtsschutz, den zu gewähren die eidgenössische Privatrechtsordnung die Kantone verpflichtet, durch das Sachurteil gewährt wird, "das durch Klage zu erwirken ist", und VOYAME, ebenda S. 67 ff., 135 f., wonach das Bundesrecht den Gerichten verbietet, einen nicht eingeklagten bundesrechtlichen Anspruch zu schützen). Das Verfahren muss also notwendigerweise ein Verfahren zwischen zwei Parteien sein. Nur unter der Voraussetzung, dass das Verfahren so ausgestaltet wird, dürfen die Kantone die Beurteilung von Unterhaltsansprüchen einer Verwaltungsbehörde übertragen. (Das gleiche gilt auch für Unterstützungsansprüche im Sinne von Art. 328/29 ZGB.)
c) Im vorliegenden Falle haben die kantonalen Instanzen ihre Befugnis zur Festsetzung der Unterhaltsbeiträge, die der Berufungskläger für seine Kinder zu leisten hat, offenbar aus der ihnen als vormundschaftlichen Behörden zustehenden
BGE 98 II 168 S. 175
Befugnis zur Ergreifung von Kinderschutzmassnahmen im Sinne von
Art. 283 ZGB
abgeleitet (vgl. Art. 4 des st. gallischen Einführungsgesetzes zum ZGB, wonach das Waisenamt u.a. für Vorkehrungen betreffend Kinderschutz nach
Art. 283 ZGB
zuständig ist; vgl. ferner den im Entscheid des Waisenamts enthaltenen Hinweis auf das Recht zur Beschwerde nach
Art. 420 Abs. 2 ZGB
, d.h. zur Beschwerde an die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, die - vgl. HEGNAUER, N. 257 zu
Art. 283 ZGB
- gegen Entscheide der Vormundschaftsbehörde über Kinderschutzmassnahmen erhoben werden kann). Dass im Sinne von HEGNAUER (N. 192 zu
Art. 272 ZGB
) die Bestimmungen über die Beurteilung der Verwandtenunterstützungspflicht sinngemäss angewendet worden seien, ist schon angesichts des Hinweises auf
Art. 420 Abs. 2 ZGB
, aber auch deshalb nicht anzunehmen, weil Art. 5 des st. gallischen EG zum ZGB nicht das Waisenamt, sondern den Gemeinderat mit der Festsetzung der Unterstützungsbeiträge der Verwandten nach
Art. 329 Abs. 3 ZGB
betraut. Die in
Art. 283 ZGB
vorgesehene Befugnis der vormundschaftlichen Behörden zu Vorkehrungen zum Schutze der Kinder, auf welche die kantonalen Behörden sich stützen, schliesst, wie bereits dargelegt (lit. a hievor), die Befugnis zur Festsetzung der Unterhaltsbeiträge der Eltern für die ihnen weggenommenen Kinder nicht in sich. Auf das kantonale Recht kann sich die Zuständigkeit der vormundschaftlichen Behörden zur Festsetzung dieser Beiträge mangels einer den bundesrechtlichen Anforderungen genügenden Regelung des Verfahrens nicht stützen. Das Waisenamt und der Regierungsrat waren also sachlich nicht zuständig, den Berufungskläger zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen für seine Kinder zu verpflichten. Indem sie diese Zuständigkeit für sich in Anspruch nahmen, haben sie bundesrechtliche Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit der Behörden verletzt.
d) Wegen dieser Rechtsverletzung hätte der angefochtene Entscheid aufgehoben werden müssen, wenn er durch Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
angefochten worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen. Die vorliegende Berufung kann nicht in eine Nichtigkeitsbeschwerde umgedeutet werden, da darin nicht einmal andeutungsweise geltend gemacht wird, es seien bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschriften verletzt worden. Das Bundesgericht ist daher nicht in der Lage, den Entscheid des Regierungsrates aufzuheben. In
BGE 98 II 168 S. 176
einem allfälligen Vollstreckungsverfahren hätte jedoch der Rechtsöffnungsrichter zu prüfen, ob dieser Entscheid wegen sachlicher Unzuständigkeit der vormundschaftlichen Behörden nichtig sei (vgl. hiezu IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 3. Aufl. 1968, Nr. 326 S. 188 ff., bes. S. 189 Ziff. III a).
3.
Da der Berufungskläger die Berufung auf Grund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung durch die Vorinstanz eingelegt hat, sind ihm für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten aufzuerlegen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8b63e741-51fb-43a8-ab46-fd389971a3c2 | Urteilskopf
134 III 214
37. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. ProLitteris gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_522/2007 vom 15. Februar 2008 | Regeste
Gerichtsstandsgesetz; Klagen aus unerlaubter Handlung (
Art. 25 GestG
).
Art. 25 GestG
kommt nur zur Anwendung, wenn das Fundament der Klage in einer unerlaubten Handlung liegt; die Klage auf Leistung einer nach dem Urheberrechtsgesetz geschuldeten Vergütung erfüllt diese Voraussetzung nicht (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 215
BGE 134 III 214 S. 215
A.
Die ProLitteris (Beschwerdeführerin) ist die Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst, eine der konzessionierten schweizerischen Verwertungsgesellschaften im Sinne der
Art. 40 ff. des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG; SR 231.1)
.
A. (Beschwerdegegner) ist Inhaber einer Anwaltskanzlei.
B.
Am 12. März 2007 reichte die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons Zürich Klage gegen den Beschwerdegegner ein mit dem Rechtsbegehren, dieser sei zu verpflichten, ihr Fr. 302.05 nebst 5 % Zins seit 4. Dezember 2006 zu bezahlen. Sie machte damit Reprographieentschädigungen gemäss Gemeinsamem Tarif 8/VI für die Jahre 2002 bis 2006 und Netzwerkentschädigungen gemäss Gemeinsamem Tarif 9/VI für die Jahre 2004 bis 2006 geltend.
Mit Beschluss vom 20. November 2007 trat das Obergericht auf die Klage nicht ein. Es kam zum Schluss, die Nichtleistung einer nach
Art. 20 Abs. 2 URG
geschuldeten Vergütung sei nicht als unerlaubte Handlung im Sinn von
Art. 25 GestG
zu qualifizieren, weshalb gestützt auf
Art. 3 lit. b GestG
die Gerichte am Sitz des Beschwerdegegners örtlich zuständig seien.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 7. Dezember 2007 (ergänzt am 11. Dezember 2007) beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. November 2007 sei aufzuheben und es sei auf die Klage einzutreten. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 25 GestG
sowie die unrichtige Anwendung der
Art. 20 Abs. 2 und
Art. 45 Abs. 1 URG
.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 3 Abs. 1 GestG
(SR 272) ist - in Übereinstimmung mit
Art. 30 Abs. 2 BV
- das Gericht am Wohnsitz bzw. am Sitz des Beklagten örtlich zuständig, sofern das Gesetz nicht etwas anderes vorsieht. Im Rahmen der besonderen Gerichtsstände bestimmt
Art. 25 GestG
, dass für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der geschädigten Person oder der beklagten Partei oder am Handlungs- oder Erfolgsort zuständig ist. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin liegt eine unerlaubte Handlung im Sinn dieser Bestimmung vor, wenn ein Nutzer die nach
Art. 20 Abs. 2 URG
geschuldete Vergütung nicht bezahlt.
BGE 134 III 214 S. 216
2.1
Art. 19 Abs. 1 URG
erlaubt die Verwendung veröffentlichter Werke zum Eigengebrauch. Das Vervielfältigen von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne Information oder Dokumentation ist allerdings gestützt auf
Art. 20 Abs. 2 URG
vergütungspflichtig; nach Abs. 4 der Norm werden die Vergütungsansprüche von den zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht. Durch diese Vergütungspflicht soll die gesetzlich statuierte Beschränkung des Urheberrechts im Bereich des Eigengebrauchs ausgeglichen werden. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütung beruht auf Gesetz; er ist nicht Folge einer unerlaubten Handlung im haftpflichtrechtlichen Sinn, lässt das Gesetz die Verwendung des Werks zum Eigengebrauch in
Art. 19 URG
doch ausdrücklich zu (vgl.
BGE 124 III 370
E. 3b/bb S. 373). Daran ändert auch nichts, dass der Nutzer gegen
Art. 20 Abs. 2 URG
verstösst, wenn er seiner Vergütungspflicht nicht nachkommt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei
Art. 20 Abs. 2 URG
nicht um eine haftpflichtrelevante Schutznorm, da die Bestimmung nicht dem Schutz des Vermögens des Urhebers dient, sondern dem Urheber einen Anspruch auf Vergütung einräumt. Es geht vorliegend also nicht darum, einen Anspruch nach
Art. 41 OR
durchzusetzen.
2.2
Nach der Botschaft vom 18. November 1998 zum Gerichtsstandsgesetz ist der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinn von
Art. 25 GestG
weit auszulegen; darunter sind nicht nur die klassischen Delikte nach
Art. 41 ff. OR
und die Tatbestände der Kausal- oder Gefährdungshaftungen, sondern alle ausservertraglichen Rechtsverletzungen zu verstehen (BBl 1999 S. 2864).
Art. 25 GestG
kommt allerdings selbst dann nicht zum Zug, wenn man die Nichtzahlung einer nach
Art. 20 Abs. 2 URG
geschuldeten Vergütung mit der Beschwerdeführerin als eine solche Rechtsverletzung ansieht. Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Klage nämlich nicht Ansprüche aus dieser Rechtsverletzung geltend, sondern will ihren gesetzlichen Anspruch auf Leistung der Vergütung durchsetzen. Das Fundament der Klage liegt mit anderen Worten nicht in der unerlaubten Handlung (vgl. auch Botschaft, a.a.O., S. 2865). Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass sämtliche nichtvertraglichen Ausgleichsansprüche unter
Art. 25 GestG
fallen, findet keine Stütze in der Entstehungsgeschichte der Norm, subsumiert doch die Botschaft namentlich die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus (echter) Geschäftsführung ohne Auftrag nicht unter den Begriff der
BGE 134 III 214 S. 217
unerlaubten Handlung (Botschaft, a.a.O., S. 2865). Auch in der Lehre werden gewisse ausservertragliche Ansprüche vom Anwendungsbereich des
Art. 25 GestG
ausgenommen (vgl. etwa KURTH/BERNET, in: Kellerhals/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, 2. Aufl. 2005, N. 6 und 20 ff. zu
Art. 25 GestG
; ROMERIO, in: Müller/Wirth [Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, N. 34 ff. zu
Art. 25 GestG
; VOCK, Besondere Gerichtsstände im Gerichtsstandsgesetz [GestG], in: Das Gerichtsstandsgesetz, La loi sur les fors, Bern 2001, S. 43).
2.3
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung steht diese Auslegung von
Art. 25 GestG
der angestrebten Angleichung an die eurointernationale Ordnung nicht entgegen (vgl. dazu die Botschaft, a.a.O., S. 2863). Auch die eurointernationalen Bestimmungen verlangen nämlich als Klagefundament eine unerlaubte Handlung bzw. ein Quasidelikt. So begründet der (autonom auszulegende)
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
(SR 0.275.11) den Gerichtsstand am Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, "wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden". Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht es um Ansprüche, die eine
Haftung
des angeblichen Schädigers begründen würden (
BGE 133 III 282
E. 4 S. 289;
BGE 125 III 346
E. 4a S. 348). Gemäss ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt der entsprechende Art. 5 Ziff. 3 EuGVÜ (bzw. EuGVVO) eine Klage voraus, mit der eine
Schadenshaftung
des Beklagten geltend gemacht wird (Urteil des EuGH vom 20. Januar 2005 in der Rechtssache C-27/02,
Engler gegen Janus Versand GmbH
, Slg. 2005, I-481, Randnr. 29 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. in diesem Zusammenhang auch SEBASTIAN KUBIS, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, Diss. Bielefeld 1999, S. 110, wonach der Tatortgerichtsstand nicht zu einem "Auffanggerichtsstand" für alle nichtvertraglichen Ansprüche und damit konturenlos werden dürfe). Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die fremdsprachigen Fassungen dieser Rechtsprechung ist unbehelflich, ergibt sich doch aus den Begriffen "responsabilité", "liability" bzw. "responsabilità" nichts anderes.
2.4
Auch aus der in
Art. 45 Abs. 2 URG
statuierten Pflicht der Verwertungsgesellschaften, die Verwertung nach festen Regeln und nach dem Gebot der Gleichbehandlung zu besorgen, kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dass sie aufgrund von
Art. 3 GestG
in nahezu allen Kantonen der Schweiz klagen muss, um
BGE 134 III 214 S. 218
die Vergütungsansprüche gegenüber säumigen Nutzern durchzusetzen, mag zwar dem Gebot der wirtschaftlichen Verwertung und dem Sinn und Zweck der Pauschalierung in den Gemeinsamen Tarifen zuwiderlaufen. Dies lässt sich aber nur durch die Einführung eines speziellen Gerichtsstands am Sitz der Verwertungsgesellschaft verhindern. Eine örtliche Zuständigkeit gestützt auf
Art. 25 GestG
lässt sich damit nicht begründen. Weiter ist nicht ersichtlich, wieso es den Verwertungsgesellschaften unmöglich sein soll, die Verwertung nach dem Gebot der Gleichbehandlung zu besorgen, wenn sie die Klage auf Leistung der Vergütung am Wohnsitz des jeweiligen Beklagten einreichen müssen.
2.5
Das Obergericht hat nach dem Gesagten kein Bundesrecht verletzt, als es auf die Klage der Beschwerdeführerin mangels örtlicher Zuständigkeit nicht eintrat. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8b645fe4-d01b-482c-a080-f04504db52a0 | Urteilskopf
91 I 98
17. Urteil vom 12. Mai 1965 i.S. Kaufhaus Modern AG Wohlen gegen Gemeinderat Wohlen und Regierungsrat des Kantons Aargau. | Regeste
Ladenschluss, Willkür, Handels- und Gewerbefreiheit.
Art. 4 und 31 BV
.
1. Die Annahme, § 2 des aargauischen Gesetzes über den Ladenschluss vom 14. Februar 1940 ermächtige die Gemeinden zur Anordnung eines ganztägigen Ladenschlusses unter der Woche, ist nicht willkürlich (Erw. 1).
2. Gewerbepolizeiliche Massnahmen sind gestützt auf
Art. 31 Abs. 2 BV
zulässig, dürfen aber den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzen und müssen alle Gewerbegenossen gleich behandeln (Erw. 2 a und b).
3. Vorschriften, welche die Schliessung der Ladengeschäfte während einer bestimmten Zeitspanne an Werktagen anordnen, um den Ladeninhabern und dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen, sind gewerbepolizeiliche Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Gesundheit und als solche mit
Art. 31 BV
vereinbar. Dies gilt beim heutigen Stand der Dinge grundsätzlich auch dann, wenn angeordnet wird, die Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages geschlossen zu halten (Erw. 2 c-g). | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 91 I 98 S. 99
A.-
Nach § 1 des aargauischen Gesetzes über den Ladenschluss vom 14. Februar 1940 (LSG) sind an Werktagen die Verkaufsgeschäfte um 19.00 Uhr zu schliessen. In § 2 des Gesetzes wird bestimmt:
"Sofern im Einzelfalle ein dringendes Bedürfnis nachgewiesen wird, oder wenn mindestens zwei Drittel der Geschäftsinhaber der Gemeinde es verlangen, kann der Gemeinderat mit Zustimmung der Polizeidirektion den Ladenschluss im Sommer, d.h. vom 1. April bis 30. September, bis längstens 21 Uhr, im Winter, d.h. vom 1. Oktober bis 31. März, bis längstens 20 Uhr hinausschieben oder ihn früher ansetzen.
Der Gemeinderat kann unter den gleichen Voraussetzungen für einzelne Arten von Verkaufsgeschäften eine besondere Ordnung treffen. Eine solche kann sich auch auf einzelne Tage beziehen, wie z.B. Ladenschluss am Samstagnachmittag."
B.-
Auf Begehren des Handwerker- und Gewerbevereins hin beschloss der Gemeinderat Wohlen am 8. Juni 1964, dass die Verkaufsgeschäfte am Mittwoch den ganzen Tag geschlossen zu halten seien; für Milchgeschäfte, Bäckereien und Konditoreien wurde eine besondere Ordnung getroffen.
Gegen diesen Beschluss erhob die Kaufhaus Modern AG Wohlen, die in der fraglichen Gemeinde ein Warenhaus betreibt, beim Bezirksamt Bremgarten Beschwerde mit der
BGE 91 I 98 S. 100
Begründung, der Beschluss des Gemeinderates finde im aargauischen Ladenschlussgesetz keine genügende Grundlage und verletze die Handels- und Gewerbefreiheit. Der Bezirksamtmann hiess die Beschwerde am 21. August 1964 gut. Er hielt dafür, § 2 Abs. 2 LSG erlaube es der Gemeindebehörde nicht, die Schliessung der Verkaufsgeschäfte während eines ganzen Werktages anzuordnen. Der angefochtene Beschluss laufe praktisch auf die zwangsweise Einführung der Fünftagewoche hinaus, wofür weder eine gesetzliche Grundlage noch eine Notwendigkeit bestehe.
Der Gemeinderat Wohlen erhob gegen den Entscheid des Bezirksamtmannes Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Aargau, der am 12. November 1964 die Beschwerde guthiess und zur Begründung ausführte, Vorschriften, welche die Arbeitszeit des Personals und die Öffnungszeiten der Geschäfte regelten, dienten der öffentlichen Gesundheit und seien, da gewerbepolizeilicher Natur, mit
Art. 31 BV
vereinbar. Mit der in § 2 Abs. 2 LSG gebrauchten Wendung "einzelne Tage" werde ausdrücklich gesagt, dass die Anordnung des Ladenschlusses sich auch auf einzelne ganze Tage beziehen könne. Den Gesetzesmaterialien sei nichts zu entnehmen, was darauf schliessen liesse, dass den Gemeindebehörden eine so weitgehende Kompetenz nicht hätte eingeräumt werden wollen. Von den 109 Inhabern von Ladengeschäften der Gemeinde Wohlen hätten 94, also beträchtlich mehr als die vom Gesetz geforderte Zweidrittelmehrheit, den ganztägigen Ladenschluss am Mittwoch gewünscht. In einer privaten Umfrage des Handwerker- und Gewerbevereins hätten sich zudem von der Ladenkundschaft 3832 Personen für und 469 gegen den ganztägigen Ladenschluss ausgesprochen. Ein ganztägiger und behördlich allgemein verbindlich erklärter Ladenschluss bestehe bereits auch in Brugg für die sogenannten Bedarfsartikelgeschäfte, sowie in Baden, Ennetbaden und Wettingen für die Lebensmittelgeschäfte und Drogerien.
C.-
Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates hat die Kaufhaus Modern AG Wohlen staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür und Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit eingereicht. Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen hingewiesen.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Aargau und der Gemeinderat Wohlen beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
BGE 91 I 98 S. 101
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Entscheid des Regierungsrates sei willkürlich, weil dadurch offensichtlich § 2 LSG schwer verletzt werde. § 2 Abs. 2 LSG sei in Verbindung mit § 2 Abs. 1 LSG auszulegen und eindeutig so zu verstehen, dass der Abendladenschluss auch nur für einzelne Tage um einige Stunden vorverlegt werden könne. So betrachtet stelle Abs. 2 eine blosse Ergänzung von Abs. 1 dar, die es ermögliche, den normalen Abendladenschluss statt generell auch bloss für bestimmte Tage vorzuverschieben.
Die dieser Auffassung entgegenstehende Auslegung von § 2 LSG durch den Regierungsrat ist indessen keineswegs unhaltbar, denn es lässt sich sehr wohl die Ansicht vertreten, schon der Hinweis auf die Möglichkeit des Ladenschlusses am Samstagnachmittag zeige, dass sich Abs. 2 im Unterschied zu Abs. 1 nicht auf den Abendladenschluss beziehe, und es wäre zudem überflüssig, dem Gemeinderat für eine auf bestimmte Tage beschränkte Ordnung eine Kompetenz einzuräumen, die ihm in Abs. 1 schon in umfassender Weise zugeschieden sei. Fraglich ist deshalb nur, ob es mit Wortlaut und Sinn von § 2 LSG schlechthin unvereinbar sei, wenn der Regierungsrat annahm, diese Vorschrift ermächtige den Gemeinderat zur Anordnung eines ganztägigen, nicht nur eines halbtägigen Ladenschlusses.
Die besondere Ladenschlussordnung, die vom Gemeinderat erlassen werden kann, kann sich auf einzelne Tage beziehen. Dieser Wortlaut von § 2 Abs. 2 LSG lässt sich ohne Willkür so verstehen, dass unter den vom Gesetz erwähnten Voraussetzungen die Schliessung der Geschäfte während eines einzelnen Tages angeordnet werden kann, demnach ein ganztägiger Ladenschluss zulässig ist. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass sich die erwähnte Ordnung zwar auf "einzelne Tage" beziehen kann, der Gesetzgeber aber dieser Regel den Zusatz beigefügt hat: "wie z.B. Ladenschluss am Samstagnachmittag". Der Bezirksamtmann führte in der Begründung seines Entscheides aus, wenn im Gesetz der Ladenschluss am Samstagnachmittag beispielsweise erwähnt sei, so werde damit angedeutet, dass die erwähnte Ordnung nur für einen Halbtag getroffen werden dürfe. Diese Ansicht mag sich vertreten lassen; gleichwohl liegt darin, dass das Gesetz als
BGE 91 I 98 S. 102
Beispiel den Samstagnachmittag nennt, nicht mehr als eine ganz unbestimmte Andeutung. Auf jeden Fall wird damit keineswegs in klarer Weise der Begriff des "einzelnen Tages" in dem Sinne eingeschränkt, dass entsprechend dem Beispiel des Samstagnachmittages die Schliessung der Verkaufsgeschäfte nur für einen bestimmten Halbtag verfügt werden dürfte. Im Gegenteil lässt sich mit dem Regierungsrat überlegen, dass es dem Gesetzgeber leicht gefallen wäre, die Möglichkeit einer besonderen Regelung eindeutig auf einen einzelnen Halbtag zu begrenzen, wenn das seinem Willen entsprochen hätte. Der Hinweis auf den Samstagnachmittag kann deshalb in haltbarer Auslegung des Gesetzes als blosse Exemplifikation betrachtet werden, die über die Tragweite der allgemeinen Norm nichts aussagt, diese aber mindestens so klar einschränkt, dass unter dem Gesichtspunkte des Willkürverbotes die Annahme unzulässig wäre, die beispielsweise Nennung des Samstagnachmittages setze dem Anwendungsbereich von § 2 Abs. 2 LSG keine Schranke. Die Auslegung, die der Regierungsrat dieser Vorschrift zuteil werden liess, steht somit nicht in offensichtlichem Widerspruch zu ihrem Wortlaut.
Auch mit dem Sinn der gesetzlichen Regelung ist die vom Regierungsrat vertretene Auffassung nicht eindeutig unvereinbar. Das aargauische Ladenschlussgesetz will nach seiner ganzen Konzeption den Gemeindebehörden weitgehende Freiheit gewähren, den Ladenschluss nach den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen selbständig festzulegen. Der Rahmen der Befugnisse des Gemeinderates ist nach der allgemeinen Tendenz des Erlasses weit gespannt. Von daher gesehen erweist sich eine den Geltungsbereich von § 2 Abs. 2 LSG nicht eng begrenzende Auslegung nicht als offenbar sinnwidrig, sofern nur - was nach den bereits angestellten Überlegungen zutrifft - eine solche Interpretation als durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt erachtet werden darf. Die vom Regierungsrat vorgenommene Auslegung lässt zudem die Möglichkeit offen, veränderten Anschauungen im Rahmen des geltenden Gesetzes in weitem Masse Rechnung zu tragen; die Erwägung aber, dem auf eine dauerhafte Ordnung bedachten Gesetzgeber sei daran gelegen, dass sein Werk auch unter veränderten Verhältnissen noch tauge, liegt durchaus im Bereich einer vernünftigen Auslegung. Die Beschwerdeführerin
BGE 91 I 98 S. 103
wendet ein, in der parlamentarischen Beratung des Gesetzes habe die Frage, wieweit den Gemeindebehörden gestattet werden solle, den Abend-Ladenschluss um kurze Zeit hinauszuschieben oder vorzuverlegen, zu längerer Diskussion Anlass gegeben; wenn schon darüber lange diskutiert worden sei, sei der Schluss erlaubt, dass der Gesetzgeber weit davon entfernt gewesen sei, an einen ganztägigen Ladenschluss zu denken. Damit lässt sich die Willkürrüge nicht begründen. Die Tatsache, dass die Ansichten mit Bezug auf die Kompetenz der Gemeindebehörden zur Verschiebung des normalen Abend-Ladenschlusses auseinandergingen, lässt nicht zwingend darauf schliessen, dass die gesetzgebende Behörde dem Gemeinderat die Befugnis versagen wollte, die Verkaufsgeschäfte einen ganzen Tag schliessen zu lassen. Es handelt sich um verschiedene Fragen, und es liess sich bei der Gesetzesberatung in vernünftiger Argumentation der Standpunkt vertreten, den Gemeinden sei wohl die Befugnis zu ganztägiger Schliessung der Geschäfte zuzuweisen, nicht aber die Befugnis, die abendliche Schliessungszeit gegenüber der normalen (19.00 Uhr) wesentlich zu verschieben. Aus den Gesetzesmaterialien könnte nur dann ein für den Standpunkt der Beschwerdeführerin erhebliches Argument hergeleitet werden, wenn in den Beratungen klar die Meinung zum Ausdruck gebracht worden wäre, die Befugnis zu ganztägiger Schliessung der Geschäfte sei den Gemeindebehörden zu versagen, oder wenn allenfalls sogar der Hinweis auf die Möglichkeit des Ladenschlusses am Samstagnachmittag in der Diskussion ernstlich bekämpft worden wäre. An einem solchen Nachweis fehlt es. Selbst wenn aber der Gesetzgeber im Jahre 1940 dem Gemeinderat nur die Befugnis hätte übertragen wollen, die Verkaufgeschäfte halbtägig, nicht ganztägig schliessen zu lassen, wäre dies nicht unbedingt massgebend. Was der historische Gesetzgeber gewollt hat, ist für die Rechtsanwendung nicht von vorneherein entscheidend, weil eine Norm mit der Zeit infolge veränderter Verhältnisse eine andere Bedeutung erlangen kann, als sie ihr am Anfange zugeschrieben wurde (
BGE 88 I 157
mit Verweisungen).
Damit ist dargetan, dass der angefochtene Entscheid des Regierungsrates § 2 LSG nicht offensichtlich schwer verletzt (
BGE 90 I 139
). Die Beschwerdeführerin bezeichnet denn auch zwar allgemein die Rechtsanwendung als willkürlich, ohne
BGE 91 I 98 S. 104
aber näher auszuführen, worin diese Willkür erblickt wird; sie lässt es dabei bewenden, der Rechtsauffassung des Regierungsrates ihre eigene gegenüberzustellen.
2.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin verletzt der Entscheid des Regierungsrates den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit. Bereits die Gerichtspraxis, nach der es vor diesem Grundsatze zulässig sei, die Schliessung der Ladengeschäfte an einem Halbtag anzuordnen, sei in der Lehre auf Kritik gestossen. Es könne kein Zweifel bestehen, dass ein allgemeinverbindlicher Ladenschluss an einem ganzen Tag die Grenzen der gewerbepolizeilichen Massnahmen überschreite. Der ganztägige Ladenschluss laufe auf eine zwangsweise Einführung der Fünftagewoche hinaus und könne nicht anders denn als wirtschaftspolitische Massnahme betrachtet werden, die nicht der Sorge um die Gesundheit der Arbeitnehmer entspringe, sondern mit dem Ziel, die Stellung der Ladengeschäfte auf dem Arbeitsmarkt zu stärken, eine Angleichung an die Arbeitsbedingungen in anderen Wirtschaftszweigen verfüge.
a)
Art. 31 BV
, der die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe und deren Besteuerung vor, fügt aber bei, dass diese ihrerseits den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Dieser Zusatz bedeutet, dass wirtschaftspolitische Massnahmen, die zugunsten gewisser Erwerbszweige und Betriebsarten in die freie Konkurrenz eingreifen, ausgeschlossen und nur gewerbepolizeiliche Massnahmen zulässig sind, welche die Ausübung von Handel und Gewerbe aus polizeilichen Gründen - zum Schutze der öffentlichen Ordnung, von Ruhe, Sicherheit, Gesundheit, Sittlichkeit und Treu und Glauben im Geschäftsverkehr - beschränken. Diese gewerbepolizeilichen Einschränkungen müssen einerseits alle Gewerbegenossen gleich behandeln (Grundsatz der Rechtsgleichheit) und dürfen anderseits nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist, durch den sie gedeckt sind (Grundsatz der Verhältnismässigkeit). Wahren sie diese Grundsätze nicht, so verstossen sie gegen
Art. 31 BV
(
BGE 86 I 272
mit Verweisungen,
BGE 87 I 448
lit. b und 453 Erw. 3,
BGE 88 I 236
Erw. 3,
BGE 89 I 30
Erw. 2, nicht veröffentlichter Entscheid vom 14. November 1964 in Sachen Billeter). Das Bundesgericht hat in ständiger
BGE 91 I 98 S. 105
Rechtsprechung entschieden, dass Vorschriften, welche die Schliessung der Ladengeschäfte während einer bestimmten Zeitspanne an Werktagen anordnen, um den Ladeninhabern und dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen, gewerbepolizeiliche Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Gesundheit und als solche mit
Art. 31 BV
vereinbar seien (
BGE 73 I 100
Erw. 2,
BGE 86 I 274
Erw. 1,
BGE 88 I 236
,
BGE 89 I 31
). Dabei hat das Gericht mit einlässlicher Begründung dargetan, dass die gegen diese Rechtsprechung gerichtete, von der Beschwerdeführerin erwähnte Kritik nicht stichhaltig ist (
BGE 86 I 275
/276). Ein Anlass, von der bisherigen Praxis abzuweichen, besteht deshalb nicht.
b) In den Motiven einzelner bundesgerichtlicher Urteile wurde etwa ausgeführt, es sei vor
Art. 31 BV
zulässig, die Ladengeschäfte "an einem Werktag" schliessen zu lassen; es ist auch die Rede von der Pflicht zur Gewährung eines "freien Wochentags oder -halbtags" (
BGE 86 I 275
,
BGE 89 I 31
). Solche Formulierungen könnten zur Annahme verleiten, das Bundesgericht habe bereits darüber befinden müssen, ob es unter dem Gesichtspunkte der Handels- und Gewerbefreiheit zulässig sei, einen Ladenschluss für einen ganzen Werktag anzuordnen. Tatsächlich hatte sich jedoch der Staatsgerichtshof bis anhin nur mit solchen kantonalen Entscheiden zu befassen, die den Ladenschluss an einem halben Werktag anordneten. Die Anordnung des "Wirtesonntags" durch eine kantonale Behörde (
BGE 86 I 272
) bildet nur scheinbar eine Ausnahme, denn hier handelte es sich darum, den Angestellten einen freien Tag je Woche zu gewähren, während für das Ladenpersonal im allgemeinen der Sonntag ohnehin arbeitsfrei ist. Soweit die Ordnung des Ladenschlusses in Frage steht, hatte das Bundesgericht bis jetzt nur darüber zu befinden, ob es im Rahmen des gewerbepolizeilichen Zweckes bleibe, wenn eine kantonale Behörde die Schliessung der Verkaufsgeschäfte an einem Halbtag anordnet. Im vorliegenden Falle stellt sich demnach erstmals die Frage, ob es durch diesen Zweck noch gedeckt sei, wenn angeordnet wird, die Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages geschlossen zu halten.
c) Was zum Schutze der öffentlichen Gesundheit notwendig ist, lässt sich nicht ein für allemal abschliessend bestimmen. Die Anschauungen darüber wandeln sich im Laufe der Zeit, und mit ihrem Wandel verändert sich auch der materielle
BGE 91 I 98 S. 106
Gehalt des gewerbepolizeilichen Zweckes. Mochte es vor Jahrzehnten zum Schutze der Gesundheit des Ladenpersonals noch als hinlänglich erscheinen, wenn die Verkaufsgeschäfte den ganzen Sonntag und an Werktagen nicht erst zu später Abendstunde geschlossen wurden, so hat sich mit der Zeit immer mehr die Anschauung verbreitet, die Arbeitnehmer hätten einen Anspruch darauf, dass ihnen nicht nur ein angemessener Feierabend, sondern neben dem Sonntag auch ein freier Wochenhalbtag gewährt werde (nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 9. Mai 1951 in Sachen Keller). Die Entwicklung ist dabei nicht stehen geblieben, setzt sich doch in neuerer Zeit zusehends die Auffassung durch, es sei bei der Hast des heutigen Lebens den Arbeitnehmern im Interesse der allgemeinen Gesundheit ein ganzer Werktag zur Erholung einzuräumen. Bereits im Jahre 1960 wurde in der Botschaft zum Gesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel auf die "wachsende Verbreitung der Fünftagewoche" hingewiesen (BBl 1960 II 915). Im Rahmen dieser Entwicklung haben auch seither zahlreiche private und öffentliche Betriebe die Fünftagewoche eingeführt. Die Möglichkeit, dem Ladenpersonal einen freien Werktag zu gewähren, indem die Schliessung der Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages angeordnet wird, haben allerdings bis heute erst einzelne Kantone geschaffen. Richtig ist auch, dass das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13. März 1964 noch nicht in Kraft getreten ist und in Art. 21 den Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit wöchentlich auf mehr als fünf Tage verteilt ist, bloss jede Woche einen freien Halbtag gewährleistet. Indessen ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine Minimalvorschrift handelt und dass wohl auch hier "die gesetzliche Fixierung der tatsächlichen Entwicklung nicht vorgreift, sondern ihr nachfolgt" (BBl 1960 II 968). Selbst wenn sich jedoch daraus gewisse Zweifel ergeben könnten, ob der Anspruch auf einen arbeitsfreien Werktag bereits allgemeiner Anschauung entspricht, vermöchte das an der Beurteilung nichts zu ändern. Beim Entscheid über die Frage, wie weit eine gewerbepolizeiliche Schranke reichen darf, steht den kantonalen Behörden ein gewisser Ermessensspielraum zu, da es im hier fraglichen Bereich ihre Aufgabe ist, den Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten (
BGE 87 I 190
). Beim heutigen Stand
BGE 91 I 98 S. 107
der Dinge kann nicht gesagt werden, die aargauische Behörde habe sich nicht an diese Grenze ihres Ermessens gehalten, wenn sie annahm, nach jetziger Auffassung sei zum Schutze der Gesundheit des Ladenpersonals ein freier Werktag vonnöten. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet ist deshalb die umstrittene Massnahme durch den gewerbepolizeilichen Zweck gedeckt.
d) Im Zusammenhang mit dem Einwand der Beschwerdeführerin, die angefochtene Ladenschlussordnung sei nicht im Hinblick auf die Gesundheit der Arbeitnehmer erlassen worden, sondern um die Stellung der Inhaber von Ladengeschäften auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, ist daran zu erinnern, dass eine gewerbepolizeiliche Vorschrift auch wirtschaftspolitische Folgen haben kann. "Sind für ein bestimmtes Gewerbe nur gewerbepolizeiliche Einschränkungen zulässig, so ist eine gewerbepolizeiliche Vorschrift nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie auch gewisse wirtschaftspolitische Auswirkungen hat. Die Vorschrift darf aber nicht wegen dieser wirtschaftspolitischen Auswirkung erlassen werden; letztere darf nur die unvermeidbare Begleiterscheinung der polizeilichen Einschränkung sein, und sie darf nicht so intensiv sein, dass dadurch die Folgen der polizeilichen Vorschriften - das Opfer an Freiheit - in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Wert des zu schützenden polizeilichen Gutes stehen" (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit S. 103). Die Tatsache, dass die von der kantonalen Behörde getroffene Massnahme eine wirtschaftspolitische Wirkung in der Weise entfaltet, dass es beim heutigen Mangel an Arbeitskräften den Inhabern von Ladengeschäften erleichtert wird, in Konkurrenz mit andern Arbeitgeberkategorien Personal zu finden, wenn die Fünftagewoche auch für das Ladenpersonal gewährleistet ist, beraubt demnach an sich die Massnahme ihres gewerbepolizeilichen Charakters nicht. Das wäre erst der Fall, wenn die kantonale Behörde die umstrittene Massnahme gerade und in erster Linie um der genannten wirtschaftspolitischen Auswirkung willen beschlossen hätte. Das kann nicht angenommen werden. Wohl hat der Gemeinderat in der Begründung seiner Beschwerde an den Regierungsrat auf das wirtschaftspolitische Anliegen des Handwerker- und Gewerbevereins hingewiesen, doch lag das Hauptgewicht der Argumentation auf den diesem Hinweis folgenden Ausführungen: "Diese Ordnung liegt im
BGE 91 I 98 S. 108
Interesse der Geschäftsinhaber und vor allem des Verkaufspersonals. Es handelt sich dabei dem Sinne und Zwecke nach, wie die Polizeidirektion richtig ausführt, einfach darum, die Arbeits- und Präsenzzeit im Interesse der Gesundheit und des Wohlergehens von Geschäftsinhaber und Personal auf ein erträgliches Mass zu reduzieren." Dies lässt erkennen, dass es dem Gemeinderat im wesentlichen um den Gesundheitsschutz zu tun war, und der Regierungsrat hat in seinem Entscheid die angefochtene Massnahme vollends nur im Hinblick auf dieses gewerbepolizeiliche Ziel geschützt. Das Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit ist ausserdem solcher Art, dass sich nicht einwenden liesse, die polizeiliche Einschränkung, welche sich die Ladeninhaber gefallen lassen müssen, stehe zu seinem Wert in keinem angemessenen Verhältnis. Auch unter diesem Gesichtspunkte betrachtet ist demnach die angefochtene Massnahme durch den gewerbepolizeilichen Zweck, den sie verfolgt, gedeckt.
e) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist es zulässig, die Schliessung allen Geschäften eines Gewerbezweiges und damit auch Betrieben vorzuschreiben, die keine oder aber so viele Angestellten beschäftigen, dass diesen ohne Stillegung der Geschäftstätigkeit abwechslungsweise die nötige Freizeit gewährt werden könnte. Es soll damit vermieden werden, dass unter den konkurrierenden Gewerbegenossen ungleiche Bedingungen geschaffen werden, was gegen die Rechtsgleichheit verstossen würde (
BGE 86 I 274
ff. mit Verweisungen). Das Argument der Beschwerdeführerin, ihrem Personal seien bereits zwei freie Halbtage in der Woche eingeräumt, da die Angestellten abwechslungsweise alle vier Wochen in den Genuss eines ganzen arbeitsfreien Werktages kämen, ist im Lichte dieser bundesgerichtlichen Praxis unbehelflich. Es liefe dem Grundsatz der Rechtsgleichheit zuwider, wenn das Geschäft der Beschwerdeführerin des zahlreichen Personals wegen nicht zu schliessen gezwungen wäre, während der Inhaber eines Betriebes, dem wegen der geringen Zahl von Arbeitnehmern die Möglichkeit der Auswechslung des Personals verschlossen ist, seinen Angestellten die nötige Freizeit nur unter Schliessung des Geschäftes gewähren könnte.
f) Die Beschwerde macht geltend, für Warenhäuser sei neben dem Samstag der Mittwochnachmittag erwiesenermassen die beste Verkaufszeit der Woche. Damit will offenbar behauptet
BGE 91 I 98 S. 109
werden, die beanstandete Massnahme gehe über das hinaus, was zur Erreichung ihres Zweckes erforderlich sei, da das angestrebte Ziel auch zu erreichen wäre, wenn die Verkaufsgeschäfte an einem Tag geschlossen würden, der nach der Erfahrung einen geringeren Durchschnittsumsatz aufweise als der Mittwoch (Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit). Wenn es sich jedoch darum handelt, im Interesse des Personals den Ladenschluss einheitlich an einem bestimmten Werktag vorzuschreiben, wird es im allgemeinen nicht zu vermeiden sein, dass für gewisse Geschäfte mehr Nachteile als für andere entstehen werden, welcher Tag auch gewählt werden mag. Die Beschwerdeführerin hat auf jeden Fall nicht dargetan, dass es ihr nicht möglich und zuzumuten wäre, dem Personal am Mittwoch freizugeben, und ebenso wenig, dass die Bestimmung eines anderen freien Tages nicht auch für andere Geschäfte Unzukömmlichkeiten verursachen würde, die ebenso bedeutend wären wie jene, welche ein Warenhaus infolge der beanstandeten Ordnung auf sich nehmen muss (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 17. Dezember 1952 in Sachen Jenny).
g) Schliesslich bringt die Beschwerdeführerin vor, die vom Gemeinderat Wohlen eingeführte Ordnung trage den Bedürfnissen der Konsumenten in keiner Weise Rechnung, dadiesewährend des Schliessungstages in Wohlen überhaupt keine Einkäufe mehr tätigen könnten. Dass während der Schliessungszeit nicht eingekauft werden kann, ist die Folge einer jeden Ladenschlussordnung, und ausserdem schliesst der Umstand, dass sich in einer Umfrage 3832 Personen für und nur 469 gegen einen ganztägigen Ladenschluss ausgesprochen haben, die Annahme aus, dass die beanstandete Massnahme die Interessen der Konsumenten in ungebührlicher Weise verletze.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8b6ae74b-2052-4e0f-8c6d-c46b5e3992bc | Urteilskopf
119 IV 234
44. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 1er décembre 1993 dans la cause G. et. L. c. Ministère public du canton du Valais (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 251 StGB
; Urkundenfälschung.
Begriff der Urkunde (E. 2b).
Unrechtmässig ist der mit einer falschen Urkunde angestrebte Beweisvorteil auch dann, wenn der Täter damit einen berechtigten Anspruch durchsetzen will (E. 2c; Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 119 IV 234 S. 234
M., G. et L. ont collaboré en vue de réaliser certaines affaires dans le domaine immobilier, notamment la réalisation d'un projet relatif à la construction d'un ensemble de résidences pour personnes âgées.
BGE 119 IV 234 S. 235
L'affaire ne s'étant toutefois pas réalisée, G. et L. ont établi une note d'honoraires de 1'155'500 francs pour le travail fourni en relation avec ce projet. Ils ont cherché à recouvrer ce montant notamment en se référant à un courrier que M. leur aurait adressé pour leur demander de lui faire parvenir leur note d'honoraires. Ils ont ensuite produit un tel document dans le cadre du procès civil qu'ils ont introduit contre M. en paiement desdits honoraires. Or, il s'est avéré que M. n'était pas l'auteur de cette lettre; si la signature est bien la sienne, le texte en a été conçu et dactylographié par L. avec le concours de G.
En raison de ces faits, la Cour pénale I du Tribunal cantonal valaisan, réformant partiellement le jugement du Tribunal du IIe arrondissement pour le district de Sion, a reconnu G. et L. coupables de faux dans les titres.
G. et L. se sont pourvus en nullité contre cet arrêt.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Les recourants se plaignent d'une violation de l'
art. 251 CP
. Ils contestent d'une part que l'écrit litigieux ait été de nature à servir de preuve et font d'autre part valoir que leurs prétentions étaient fondées, de sorte qu'il n'était pas possible de considérer qu'ils avaient agi dans le dessein de se procurer un avantage illicite.
Conformément à l'
art. 251 CP
, sera puni de la réclusion pour 5 ans au plus ou de l'emprisonnement celui qui, dans le dessein de porter atteinte aux intérêts pécuniaires ou aux droits d'autrui, ou de se procurer ou de procurer à un tiers un avantage illicite, aura créé un titre faux, falsifié un titre, abusé de la signature ou de la marque à la main réelles d'autrui pour fabriquer un titre supposé, ou constaté ou fait constater faussement, dans un titre, un fait ayant une portée juridique. L'
art. 110 ch. 5 CP
précise que sont réputés titres tous écrits destinés ou propres à prouver un fait ayant une portée juridique et tous signes destinés à prouver un tel fait.
b) En l'espèce, l'autorité cantonale a constaté, d'une manière qui lie le Tribunal fédéral saisi d'un pourvoi en nullité, que si la signature figurant sur la lettre litigieuse est bien celle de M., le texte en a en revanche été conçu et dactylographié par les recourants. Comme la falsification consiste à faire apparaître à tort M. comme auteur de la lettre, il s'agit d'un faux matériel, de sorte que les exigences accrues quant à la force probante du document posées par la jurisprudence
BGE 119 IV 234 S. 236
en cas de faux intellectuel (
ATF 119 IV 54
consid. 2c bb,
ATF 118 IV 363
consid. 2a,
ATF 117 IV 35
consid. 1d et les références citées) n'entrent pas en considération.
Après une référence à une entrevue toute récente, la lettre en question contenait le passage suivant (cité textuellement):
"Je vous prie de me faire parvenir votre note d'honoraires concernant le dossier, d'étude que vous avez réalisé, pour l'opération 3ème Age des Chênes Verts à Aigle.
Cette note d'honoraires vous sera réglée sous peu et en tout cas avant le 30 juin 1986."
Il en ressort clairement que M. se reconnaît débiteur de la recourante no 2, pour une certaine somme encore à déterminer, d'honoraires pour son activité en relation avec le projet immobilier envisagé par les parties. Peu importe que la lettre ne contienne pas une reconnaissance de dette (voir
ATF 118 IV 254
consid. 3) pouvant directement fonder une prétention de la part des recourants. Elle était susceptible de constituer un moyen de preuve important dans le cadre de la procédure civile introduite par les recourants contre M.; elle permettait en effet d'établir que ce dernier considérait que l'activité déployée par les recourants en relation avec le projet immobilier l'avait été à titre onéreux, que les relations entre les parties étaient parvenues à leur terme, qu'une créance à titre d'honoraires était exigible et que M. s'en acquitterait dans les semaines à venir. Il s'agit bien d'éléments qui ont une portée juridique puisque la constatation que les parties avaient convenu d'une rémunération du travail des recourants était de nature à déterminer le juge civil à leur allouer un certain montant à titre d'honoraires. C'est donc avec raison que la cour cantonale a considéré le document falsifié comme un titre.
c) Il reste à déterminer si les recourants ont agi dans le dessein de se procurer un avantage illicite.
Le Tribunal fédéral a jugé illicite l'avantage obtenu en matière de preuve au moyen d'un titre falsifié, même dans l'hypothèse où celui-ci doit permettre de faire triompher une prétention légitime (
ATF 106 IV 375
consid. 2). Dans un arrêt récent (
ATF 118 IV 254
consid. 5), le Tribunal fédéral a toutefois relevé que l'interprétation très large qu'il fait de la notion d'"avantage illicite" a suscité la désapprobation d'un certain nombre d'auteurs se référant notamment à HAFTER (Bes. Teil II, p. 600, n. 3). Ainsi, STRATENWERTH (Bes. Teil II, 3e éd., p. 175 no 23), suivi par HAUSER/REHBERG (Strafrecht IV, p. 174),
BGE 119 IV 234 S. 237
estime qu'une interprétation aussi large revient presque à vider de toute substance l'exigence du dessein de se procurer un avantage illicite. CHRISTIAN-NILS ROBERT (SJ 1983 p. 437 s.) soutient qu'une telle définition de l'avantage illicite dans ce contexte contredit la jurisprudence rendue à propos des infractions contre le patrimoine dans le cadre desquelles les actes de justice propre peuvent exclure la typicité, par l'absence de réalisation du dessein d'enrichissement illégitime.
Dans le même arrêt, le Tribunal fédéral a rappelé également que sa jurisprudence était approuvée par un certain nombre d'auteurs (
ATF 118 IV 254
consid. 5). SCHWANDER (Das Schweizerische Strafgesetzbuch, p. 458, no 700), WAIBLINGER (RJB 95/1959 p. 188 s.), SCHULTZ (RJB 118/1982 p. 26 s.), WALDER (RPS 99/1982 p. 82) et TRECHSEL (Kurzkommentar, n. 16 ad
art. 251 CP
) estiment que réalise le dessein de se procurer un avantage illicite le seul fait de chercher à améliorer sa position dans un procès en disposant d'un moyen de preuve créé ou modifié illégalement.
Le Tribunal fédéral, qui a par ailleurs laissé ouverte cette question dont la solution n'était pas nécessaire pour trancher le litige d'espèce, a admis que sa jurisprudence ne pouvait pas se justifier par le souci d'éviter des difficultés de preuve dans l'hypothèse où l'auteur d'un faux soutient avoir cru que les prétentions qu'il pensait étayer ainsi étaient fondées (
ATF 118 IV 254
consid. 5). Il ne s'agit toutefois pas du seul argument à l'appui de la jurisprudence selon laquelle l'amélioration des moyens de preuve dont on dispose constitue un avantage illicite au sens de l'
art. 251 CP
. Certains des auteurs qui l'approuvent relèvent avec raison que l'avantage envisagé n'est pas forcément de nature patrimoniale (SCHWANDER, op.cit, loc.cit.) et que les dispositions relatives aux faux dans les titres tendent à assurer une certaine valeur aux preuves rapportées par de tels documents (SCHULTZ, op.cit., loc.cit.). Pour cette raison, on constate par ailleurs que la comparaison faite avec les infractions contre le patrimoine (CHRISTIAN-NILS ROBERT, op.cit., loc.cit.) n'est pas pertinente. Celui qui se rend coupable d'un faux dans les titres ne recherche pas forcément un avantage patrimonial direct; ce qu'il désire, c'est bénéficier - sans droit - de la force probante accrue reconnue à un tel document et qui est précisément le bien que l'on veut protéger. Cela suffit donc pour que l'on doive admettre qu'il a agi dans le dessein de se procurer un avantage illicite. Au surplus, considérer qu'un avantage en matière de preuve n'est pas illicite au sens de l'
art. 251 CP
s'il tend à faire admettre une prétention légitime reviendrait à
BGE 119 IV 234 S. 238
exclure du champ d'application de cette disposition tous les faux créés afin de faire reconnaître des prétentions fondées mais impossibles ou difficiles à établir par les moyens de preuve dont on dispose. La suppression de l'intervention du juge pénal dans de tels cas ne serait pas sans avoir pour conséquence une augmentation considérable des titres faux ou falsifiés produits à l'appui de prétentions légitimes, ou considérées comme telles, ce qui ne pourrait que compliquer à l'excès la tâche du juge civil qui devrait faire preuve d'une méfiance accrue envers toutes les pièces déposées devant lui. On ne saurait admettre que le législateur, qui entendait préserver la valeur probante des titres, voulait par ailleurs limiter ainsi la répression au risque d'affaiblir considérablement cette protection et de créer une telle insécurité dans les procès civils. Il n'y a par conséquent pas lieu de modifier la jurisprudence sur ce point, et on doit considérer que les recourants ont agi dans le but de se procurer un avantage illicite, sans avoir à examiner si les prétentions qu'ils entendaient établir au moyen de la lettre litigieuse étaient justifiées ou pas. Le pourvoi doit dès lors être rejeté. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8b7e21dc-4ad9-4bb7-87e4-8036b7f511e0 | Urteilskopf
107 Ia 126
25. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Juni 1981 i.S. Stutz gegen Kanton Glarus und Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Kirchensteuer,
Art. 49 Abs. 6 BV
.
Die Bestimmung des glarnerischen Steuergesetzes, wonach diejenigen Personen, die keiner staatlich anerkannten Kirchgemeinde angehören, der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz haben, die halbe Kirchensteuer bezahlen müssen, verstösst gegen
Art. 49 Abs. 6 BV
, da die Steuer für eigentliche Kultuszwecke auferlegt wird. | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 107 Ia 126 S. 127
Nach Art. 198 des glarnerischen Gesetzes über das Steuerwesen vom 10. Mai 1970 (StG) sind die Orts-, Schul-, Fürsorge- und Kirchgemeinden befugt, Steuern zu erheben, soweit der Ertrag der Gemeindegüter und die übrigen Einkünfte sowie die Anteile an der Staatssteuer zur Deckung ihrer Ausgaben nicht ausreichen.
Art. 199 StG
regelt die Steuerarten,
Art. 200 StG
den Steuerfuss.
Art. 200 Abs. 5 StG
bestimmt:
"Natürliche Personen, welche keiner staatlich anerkannten Kirchgemeinde angehören, sind von der Kirchensteuer befreit, haben aber der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz haben, an die Kosten der bürgerlichen Funktionen die halbe Steuer zu bezahlen."
Jakob Stutz gehört nach seinen eigenen Angaben keiner der beiden glarnerischen Landeskirchen an, sondern ist Mitglied der Pfingstmission Glarus. Gestützt auf die Steuerveranlagung 1977-78 stellte ihm seine damalige Wohnsitzgemeinde Glarus Rechnung für die halbe Kirchensteuer für das Jahr 1977. Stutz bezahlte nicht und erhob Einsprache. Die Steuerkommission wies die Einsprache ab, worauf Stutz bei der Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus Beschwerde einreichte, die am 24. Oktober 1978 mit folgender Begründung abgewiesen wurde: Die Bundesverfassung verbiete die Erhebung einer Kirchensteuer von "Dissidenten" nicht schlechthin, sondern nur soweit sie speziell für eigentliche Kultuszwecke verwendet werde. Die Kirchensteuern deckten aber z.B. auch die Auslagen für den Unterhalt der kirchlichen Gebäude, die heute vermehrt auch der Öffentlichkeit für Konzerte, Versammlungen und nicht-kirchliche Feiern dienten. Die Landeskirchen leisteten wesentliche Beiträge an Institutionen sozialen Charakters (z.B. an die Evangelische Mittelschule Schiers, an die evangelische Krankenpflegeschule Chur) und führten Veranstaltungen durch, die im Interesse der Allgemeinheit lägen. Bei allen diesen Auslagen handle es sich nicht um Ausgaben für eigentliche Kultuszwecke. Eine exakte Ausscheidung der Kosten für kirchliche und nicht-kirchliche Aufgaben sei praktisch ausgeschlossen. Der Gesetzgeber habe sich daher entschieden, von den sog. Dissidenten einen Betrag in der Höhe der halben Kirchensteuer an die Kosten der bürgerlichen Funktionen der Kirche zu verlangen. Diese Lösung könne nicht als willkürlich bezeichnet werden.
Gegen diesen Entscheid hat Jakob Stutz gestützt auf
Art. 4 und
Art. 49 Abs. 6 BV
staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Er verlangt unter lit. a seiner Anträge, die Einwohner
BGE 107 Ia 126 S. 128
des Kantons Glarus, die nicht Angehörige einer der beiden Landeskirchen sind, seien von der Pflicht, die halbe Kirchensteuer zu entrichten, zu befreien. Eventuell sei eine Änderung von
Art. 200 Abs. 5 StG
von der glarnerischen Landsgemeinde gutheissen zu lassen. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, wenn eine Ausscheidung der Kosten für kirchliche und nicht-kirchliche Aufgaben nicht möglich sei, könne er nicht wissen, ob seine Steuern nicht doch für eigentliche Kultuszwecke verwendet würden. Sollten seine Steuergelder Institutionen sozialen Charakters wie der Evangelischen Mittelschule Schiers zukommen, so würden sie direkt den evangelisch-landeskirchlichen Zwecken dienen, zu deren Unterstützung er nach
Art. 49 Abs. 6 BV
nicht verpflichtet werden könne.
Erwägungen
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus folgenden Erwägungen gut:
1.
a) Nach
Art. 49 Abs. 6 BV
hat niemand Steuern zu bezahlen, die speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft erhoben werden, der er nicht angehört. Der zweite Satz dieser Bestimmung behält die nähere Ausführung dieses Grundsatzes der Bundesgesetzgebung vor. Ein entsprechendes Bundesgesetz ist bisher nicht in Kraft getreten. Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts ist diese Verfassungsnorm aber unmittelbar anwendbar (
BGE 99 Ia 741
/2 E. 1, mit Verweis). Sie steht in engem Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit und schützt daher nur natürliche Personen (
BGE 102 Ia 470
, E. 2a). Der in
Art. 49 Abs. 6 BV
verwendete Ausdruck "Religionsgenossenschaft" meint nicht eine bestimmte kirchliche Korporation, sondern die Glaubens- und Konfessionsgemeinschaft, als deren Ausdruck und Glied der besteuernde Verband erscheint (BGE 98 Ia E. 2 407). - Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer weder der evangelischen noch der katholischen Landeskirche angehört. Der angefochtene Entscheid der Steuer-Rekurskommission vom 24. Oktober 1978 verletzt ihn in seinen rechtlichen geschützten Interessen. Er ist daher zur staatsrechtlichen Beschwerde gestützt auf
Art. 49 Abs. 6 und
Art. 4 BV
legitimiert.
Der Beschwerdeführer behauptet sinngemäss,
Art. 200 Abs. 5 StG
verletze
Art. 49 Abs. 6 und
Art. 4 BV
. Die Frist zur unmittelbaren Anfechtung des Steuergesetzes des Kantons Glarus ist längst
BGE 107 Ia 126 S. 129
abgelaufen (
Art. 89 OG
); nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann jedoch die Verfassungswidrigkeit einer kantonalen Vorschrift auch noch bei der Anfechtung eines gestützt darauf ergangenen Anwendungsaktes geltend gemacht werden. Erweist sich der Vorwurf als begründet, so führt dies freilich nicht zur formellen Aufhebung der Vorschrift; die vorfrageweise Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit hat nur zur Folge, dass die Vorschrift auf den Beschwerdeführer nicht angewendet und der gestützt auf sie ergangene Entscheid aufgehoben wird (
BGE 106 Ia 132
E. 1b, mit Verweisen).
b) Die staatsrechtliche Beschwerde hat - von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen - rein kassatorische Funktion; mit ihr kann nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, nicht aber der Erlass positiver Anordnungen durch das Bundesgericht verlangt werden (
BGE 106 Ia 54
E. 1a, mit Verweisen). Aus dem unter lit. a gestellten Antrag und aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich, dass der Beschwerdeführer verlangt, er sei von der streitigen halben Kirchensteuer für das Jahr 1977 zu befreien. Sinngemäss stellt er damit den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils. Auf die weitergehenden Anträge kann hingegen nicht eingetreten werden.
c) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) muss in der Beschwerdeschrift dargetan werden, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass verletzt worden sind. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur behaupteten Verletzung von
Art. 49 Abs. 6 BV
sind sehr knapp gehalten. Die Beschwerdeschrift genügt aber den Anforderungen des OG, da
Art. 49 Abs. 6 BV
das verfassungsmässige Recht klar umschreibt und auf Sachverhalte wie den hier vorliegenden zugeschnitten ist, so dass sich ausführliche Darlegungen erübrigen.
2.
a)
Art. 49 Abs. 6 BV
lautet:
"Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsatzes ist der Bundesgesetzgebung vorbehalten."
Der in dieser Bestimmung enthaltene Grundsatz ist eine notwendige Folge der in
Art. 49 Abs. 1 BV
garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit; Gewissensfreiheit wäre nicht mehr vorhanden, wenn jemand gegen seinen Willen genötigt würde, für Kultuszwecke einer ihm fremden Konfession oder Religionsgenossenschaft
BGE 107 Ia 126 S. 130
Steuern zu bezahlen (Botschaft des Bundesrates betreffend die Revision der Bundesverfassung vom 17. Juni 1870, BBl 1870 II 690;
BGE 102 Ia 470
E. 2a; vgl. auch Bericht der Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bern 1977, S. 39). Die Vorschrift setzt voraus, dass Steuern speziell für eigentliche Kultuszwecke erhoben werden dürfen, und macht dann die Einschränkung, dass niemand gehalten sei, solche Kultussteuern für eine Religionsgenossenschaft zu bezahlen, der er nicht angehört (
BGE 102 Ia 470
E. 2).
b) Mit dem Ausdruck "speziell" wollte der Verfassungsgeber klarstellen, dass Andersgläubige und Konfessionslose die allgemeinen kantonalen Staatssteuern entrichten müssen, auch wenn deren Ertrag zum Teil für die kirchlichen Bedürfnisse verwendet wird (Kultusbudget). Das Bundesgericht hat erst vor wenigen Jahren seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung dieses Begriffs erneut bestätigt und erklärt, der Ausdruck "speziell" verhindere nur, dass Staatssteuern, nicht jedoch Gemeindesteuern gestützt auf
Art. 49 Abs. 6 BV
angefochten werden könnten (
BGE 99 Ia 743
f. E. 3). - Die vom Beschwerdeführer verlangte Steuer wird von den Kirchgemeinden erhoben; es handelt sich eindeutig um eine "spezielle" Steuer.
3.
a)
Art. 49 Abs. 6 BV
untersagt die Besteuerung Andersgläubiger und Konfessionsloser nur für "eigentliche Kultuszwecke". Hingegen schliesst die Bestimmung nicht aus, dass sie zur Finanzierung anderer Aufgaben einer Religionsgenossenschaft herangezogen werden, die im allgemeinen Interesse liegen; die Steuerpflichtigen werden dadurch nicht in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit beeinträchtigt. Beim Erlass der Bestimmung dachte man in diesem Zusammenhang vor allem an die Begräbnisplätze, an die Kirchenräume, die auch für nicht kirchliche Zwecke wie für politische Versammlungen benutzt werden, an die Kirchglocken und Kirchuhren (Botschaft des Bundesrates, a.a.O. S. 690/1). Wie aus den Revisionsverhandlungen von 1870 hervorgeht, machten sich die Räte aber keine klare Vorstellung über die Bedeutung dieses Ausdrucks (VON REDING-BIBEREGG, Über die Frage der Kultussteuern, Basel 1885, S. 55 ff.).
b) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Auslegung dieses Begriffs lässt sich nur kasuistisch erfassen. Die Entscheide liegen zudem durchwegs ein halbes bis ein ganzes Jahrhundert zurück. "Eigentliche Kultuszwecke" liegen nach dieser Rechtsprechung z.B. dann vor, wenn die Steuern für folgende
BGE 107 Ia 126 S. 131
Zwecke erhoben werden: für den Bau und Unterhalt von Kirchen und Pfarrhäusern, soweit nachgewiesen ist, dass sie im ausschliesslichen Eigentum einer Religionsgenossenschaft stehen und dass sie ausschliesslich religiösen Zwecken dienen (BGE 1 S. 86 E. 2; 3 S. 195 E. 3; 6 S. 505 E. 2; 10 S. 324 E. 3; 14 S. 164 E. 2) - dies gilt auch dann, wenn die Kirche in Kriegszeiten als Spital verwendet wird (BGE 3 S. 192 E. 3) oder wenn sie freiwillig für gesellige oder künstlerische Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird (BGE 10 S. 189 E. 3) -, für die Besoldung der Geistlichen und der Kirchendiener (BGE 1 S. 86 E. 4; 3 S. 195; 6 S. 504 E. 2) oder für die Anschaffung kirchlicher Gerätschaften (BGE 6 S. 504 E. 2). Demgegenüber wurde angenommen, keinen "eigentlichen Kultuszwecken" dienten z.B. die von Kirchgemeinden erhobenen Armensteuern (BGE 4 S. 206 f. E. 2), die Steuern für die Erstellung und den Unterhalt des Friedhofs (BGE 3 S. 196 E. 7; 6 S. 505 E. 3; vgl. auch
BGE 43 I 183
E. 6 betreffend Bau und Betrieb eines Krematoriums auf Kosten einer staatlichen Körperschaft), die Steuern für die Besoldung des Zivilstandsbeamten (BGE 6 S. 505 E. 3) und die Steuern für den Unterhalt von Kirchturm, Turmuhr und Glocken (BGE 3 S. 196 E. 7; 6 S. 505 E. 3;
BGE 24 I 630
E. 2). Dasselbe nahm das Bundesgericht an für die von einer protestantischen Schulgemeinde erhobene Steuer für die öffentliche (protestantische) Schule (BGE 2 S. 188) sowie für den von einer Schulgemeinde erhobenen Teil der Schulsteuer, der für den Religionsunterricht verwendet wird (
BGE 39 I 32
ff. E. 4).
c) Das Bundesgericht fasste seine Rechtsprechung in
BGE 24 I 630
E. 2 folgendermassen zusammen: Eine Steuer werde nur dann zu einem eigentlichen Kultuszweck erhoben, "wenn dieselbe ausschliesslich zu einem Kultuszweck verwendet werden soll, nicht aber auch dann, wenn die Steuer in ihrem Zwecke, in der Verwendung, die sie findet, nicht nur religiösen, sondern auch anderen öffentlichen, bürgerlichen oder sozialen Bedürfnissen und Aufgaben dient". Diese Abgrenzung stiess in der Literatur auf Kritik. VON REDING-BIBEREGG (a.a.O., S. 69 ff.) und BURCKHARDT (Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, Bern 1905, S. 503 f.) verlangten, Andersgläubige und Konfessionslose seien aufgrund von
Art. 49 Abs. 6 BV
immer schon dann von den Steuern zu befreien, wenn der kirchliche Zweck der Ausgabe überwiege. Das Bundesgericht wies in
BGE 39 I 32
auf diese Kritik hin, liess aber offen, ob es diesem Abgrenzungskriterium den Vorzug geben wolle, da im konkreten Fall beide Methoden zum
BGE 107 Ia 126 S. 132
gleichen Ergebnis führten. In den später beurteilten Fällen stellte sich die Frage nicht mehr. Der Kritik VON REDINGS und BURCKHARDTS schloss sich auch FLEINER-GIACOMETTI an (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949, S. 320). Andere Autoren schlagen vor, bei Steuern, die gemischten Zwecken dienen, d.h. sowohl im Interesse der Kirche als auch der Allgemeinheit verwendet werden, sei Andersgläubigen und Konfessionslosen eine "verhältnismässige Steuerbefreiung" zu gewähren (BÜHLMANN, Das Verbot der Kultussteuern, Diss. Zürich 1913, S. 87; LAMPERT, Kirche und Staat in der Schweiz, Freiburg i.Ue. und Leipzig 1938, II. Band, S. 515 f.; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Neuchâtel 1967, Band II, S. 715, No. 2022; PACHE, Les impôts ecclésiastiques, Diss. Lausanne 1981, S. 24). Auf diese Kontroversen braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden, weil die vom Beschwerdeführer verlangte halbe Kirchensteuer keinen gemischten Zwecken dient, sondern ausschliesslich im kirchlichen Interesse verwendet wird, wie nachfolgend zu zeigen ist.
4.
a) Nach
Art. 200 Abs. 5 StG
haben natürliche Personen, die keiner staatlich anerkannten Kirchgemeinde angehören, der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz haben, die halbe Kirchensteuer "an die Kosten der bürgerlichen Funktionen" zu bezahlen. Nach den Auskünften der kantonalen Steuerverwaltung wird diese Bestimmung in der Praxis folgendermassen gehandhabt: Sind die Steuersätze der evangelischen und der katholischen Kirchgemeinde am Wohnort des Dissidenten nicht gleich hoch, so wird die Höhe des geschuldeten Zuschlags nach dem Mittel des Steuersatzes der verschiedenen Kirchgemeinden am Wohnort des Dissidenten bestimmt. Der Ertrag der Steuern von Dissidenten wird an die Kirchgemeinden im Verhältnis zur Anzahl der ihnen angehörenden Einwohner verteilt.
b) Die Steuererträgnisse der Andersgläubigen und Konfessionslosen werden nicht für einen bestimmten nicht-kirchlichen Zweck verwendet, für den die Aufwendungen in den Jahresrechnungen der Kirchgemeinden gesondert ausgewiesen würden. Eigentliche bürgerliche Aufgaben, wie etwa der Unterhalt eines Friedhofs, die Armenfürsorge oder die Führung der öffentlichen Volksschule sind den glarnerischen Kirchgemeinden nicht übertragen. Diese Aufgaben obliegen den Orts-, Schul- und Fürsorgegemeinden, welche für ihre Zwecke von allen Gemeindeeinwohnern Steuern erheben können (Art. 69 ff. KV,
Art. 198 ff. StG
). Den Landeskirchen sind nur konfessionelle Angelegenheiten
BGE 107 Ia 126 S. 133
überlassen (Art. 84 Abs. 1 KV). Aufgabe und Recht ihrer Kirchgemeinden ist es, über die kirchlichen Angelegenheiten zu beschliessen (Art. 85 Abs. 4 KV). Die in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts mehrfach erwähnte Bedeutung des Kirchturms mit Uhr und Glocke für die Allgemeinheit ist mit der allgemeinen Verbreitung der individuellen Uhren, der Massenmedien und des Telefons (Zeitzeichen, Alarm) gering geworden. Dass der Unterhalt der Kirche als eigentlicher Kultuszweck im Sinne von
Art. 49 Abs. 6 BV
zu betrachten ist, auch wenn sie der Öffentlichkeit für Konzerte, Versammlungen und nicht-kirchliche Feiern zur Verfügung gestellt wird, hat das Bundesgericht bereits in BGE 10 S. 189 E. 3 entschieden.
Die Steuerverwaltung führt in ihrer Vernehmlassung den Religionsunterricht, der nach dem Schulgesetz von den Lehrbeauftragten der anerkannten Kirchen erteilt wird, als Beispiel für eine der bürgerlichen Aufgaben der Landeskirchen an. Sie stützt sich dabei auf
BGE 39 I 30
. In diesem die Steuern einer Sekundarschulgemeinde betreffenden Entscheid hatte das Bundesgericht zwar die Besteuerung auch der Andersgläubigen als zulässig betrachtet, aber auch darauf hingewiesen, dass der Geistliche nicht nur als Lehrer handelt, sondern zugleich eine ihm nach der kirchlichen Ordnung obliegende Pflicht erfüllt. Die Abgrenzung wurde kritisiert (MARTI, Glaubens- und Gewissensfreiheit/Kultussteuern, SJK Nr. 1072 Ziff. 3; vgl. auch BÜHLMANN, a.a.O. S. 81). Sie kann jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Besteuerung durch eine Kirchgemeinde übertragen werden, wo die Besoldung des Religionslehrers von dieser und nicht vom Trägergemeinwesen der öffentlichen Volksschule ausgerichtet wird. Indessen kann hier dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen auch die Ausgaben von Kirchgemeinden für den Religionsunterricht bürgerlichen Zwecken dienen können. Denn diese Aufwendungen machen nur einen geringen Teil der Gesamtausgaben der glarnerischen Kirchgemeinden aus. Es geht nicht an, die halbe Kirchensteuer allein aus diesem Grunde als bürgerlichen Zwecken dienende Abgabe zu qualifizieren.
c) Die Steuer-Rekurskommission und die Steuerverwaltung betonen, die Landeskirchen hätten ihren Aufgabenbereich in neuerer Zeit wesentlich geändert und erweitert, indem sie zahlreiche neue soziale, fürsorgerische und erzieherische Aufgaben übernommen hätten. - Diese Veränderungen hängen damit zusammen, dass sich im Laufe der letzten Jahrzehnte die Lebensbedingungen allgemein
BGE 107 Ia 126 S. 134
stark gewandelt haben. Zugleich hat sich auch das Selbstverständnis der Kirchen geändert: heute stehen die mitmenschliche-soziale, aber auch die ökumenische Tätigkeit vermehrt im Vordergrund, wie die drei christlichen Landeskirchen des Kantons Luzern in einer 1976 vom Bundesgericht durchgeführten Umfrage in ihrer gemeinsamen Stellungnahme festhielten. Aber auch das Bild der Kirchgemeinde hat sich im Bewusstsein breiter Schichten der Bevölkerung verändert: an die Stelle der Konzeption der territorial begrenzten Gebietskörperschaft ist heute die Auffassung von der persönlichen Mitgliedschaft in einer Religionsgenossenschaft getreten (vgl.
BGE 102 Ia 474
). Die Kirchen haben auch schon früher soziale, fürsorgerische und erzieherische Aufgaben neben oder in Verbindung mit ihren seelsorgerischen Aufgaben erfüllt, sei es durch ihre Pfarrer, weitere Angestellte oder aktive Gemeindeglieder. Wenn die Kirchgemeinden heute Sozialhelfer, Ehe-, Erziehungs- und Sexualberater mit besonderer Ausbildung beschäftigen und neben Gottesdiensten, Besinnungsveranstaltungen und Einzelbetreuung in den herkömmlichen kirchlichen Formen auch moderne Methoden der Erwachsenenbildung wie Gruppengespräche anwenden, so erfüllen sie im Grunde nur auf andere Weise Aufgaben, die sie sich schon früher stellten. Der Einsatz besonders ausgebildeter und beruflich tätiger Mitarbeiter und die veränderten Methoden erlauben den Kirchen gleichzeitig, den Kontakt mit manchen Religionsangehörigen aufrecht zu erhalten und damit ihren Einfluss in religiösen Belangen zu bewahren.
Bei den auf neue Art angepackten und ausgeweiteten Aufgaben handelt es sich durchwegs um solche, die keineswegs den Kirchen allein obliegen, sondern teils auch durch Organe des Staates und der Einwohnergemeinden, sodann durch zahlreiche private - gemeinnützige und zum Teil politische - Organisationen erfüllt werden. Von der Art der Aufgaben her ist eine Vielfalt von Angeboten, die einen verschieden (auch religiös und konfessionell) gefärbten besonderen Charakter haben, in der Regel erwünscht. Der Bürger wird mit seinen Bedürfnissen auf die verschiedenen Angebote nicht in gleicher Weise ansprechen. Er hat nicht nur zu den vom Staat und den Einwohnergemeinden für die Erfüllung dieser Aufgaben getätigten Aufwendungen durch seine Steuern beizutragen, sondern ist überdies zur Unterstützung der von verschiedenen Seiten - im Wettbewerb - unternommenen privaten Anstrengungen aufgerufen. Es wäre stossend und würde
Art. 49 Abs. 6 BV
widersprechen, wenn er durch Steuerleistung an die
BGE 107 Ia 126 S. 135
Kirchgemeinden einer Landeskirche, der er nicht angehört, auch zur Finanzierung der von ihr übernommenen und naturgemäss im Sinne ihrer Glaubensrichtung erfüllten Aufgaben dieser Art herangezogen werden könnte. Zu berücksichtigen ist schliesslich auch, dass
Art. 49 Abs. 6 BV
die praktische Bedeutung weitgehend verlieren würde, wenn man der Argumentation der Steuerverwaltung folgte und den Kirchgemeinden die Besteuerung Konfessionsloser und Andersgläubiger für solche nicht näher bestimmte soziale Aufgaben heute erlauben würde.
5.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid der Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus vom 24. Oktober 1978 aufzuheben ist, da er in Anwendung der gegen
Art. 49 Abs. 6 BV
verstossenden Vorschrift von
Art. 200 Abs. 5 StG
ergangen ist. ob der angefochtene Entscheid, bzw.
Art. 200 Abs. 5 StG
zugleich auch
Art. 4 BV
verletzt, braucht unter diesen Umständen nicht mehr geprüft zu werden. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8b83ceed-57aa-45ed-9e13-98f5b3465ee7 | Urteilskopf
103 Ia 505
76. Urteil vom 12. Oktober 1977 i.S. Gebr. Hoffmann AG gegen Einwohnergemeinde Thun und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 4 BV
(Treu und Glauben); Kanalisationsanschlussgebühr, öffentlichrechtlicher Vertrag.
1. Grundsatz von Treu und Glauben: Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1).
2. Auslegung öffentlichrechtlicher Verträge (E. 2).
3. Zulässigkeit öffentlichrechtlicher Verträge (E. 3a); Rechtmässigkeit eines Vertrags, der vorsieht, dass für den Anschluss eines Grundstücks an die Kanalisation bei Erstellung eines Fabrikneubaus Gebühren nach Massgabe des bei Vertragsschluss geltenden Reglements zu entrichten sind (E. 3b).
4. Nach den Regeln von Treu und Glauben kann nicht jeder rechtliche Mangel eines öffentlichrechtlichen Vertrags zu dessen Ungültigkeit führen. Die Rechtswirkungen des Vertrags sind - grundsätzlich gleich wie im Falle fehlerhafter Verwaltungsverfügungen - unter Abwägung des Interesses nach richtiger Durchführung des objektiven Rechts und des Vertrauensschutzinteresses des Bürgers zu bestimmen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 506
BGE 103 Ia 505 S. 506
Die Gebrüder Hoffmann AG, Thun, beschäftigte im Jahre 1960 rund 800 Personen und galt als zweitgrösstes privates Unternehmen in der Gemeinde Thun. Die Firmenleitung sah sich seit Ende der fünfziger Jahre veranlasst, eine Verlegung und Erweiterung des Betriebs zu planen. Im Jahre 1959 traten die Gebr. Hoffmann AG und die Einwohnergemeinde Thun in Verhandlungen über die Beschaffung eines Baugrundstücks auf dem Gebiet der Gemeinde Thun. Für die Gebr. Hoffmann AG stand im damaligen Zeitpunkt neben der Neuerrichtung des Betriebs in Thun eine Verlegung in die Ostschweiz in Frage, wo die Firma bereits ein geeignetes Baugrundstück besass, oder in eine der Nachbargemeinden von Thun, von woher die Firma bereits günstige Baulandangebote erhalten hatte. Am 9. Juli 1960 schlossen die Gebr. Hoffmann AG und die Einwohnergemeinde Thun nach längeren Verhandlungen einen öffentlich beurkundeten Tauschvertrag und eine damit im Zusammenhang stehende Vereinbarung. Im Tauschvertrag verpflichtete sich die Einwohnergemeinde, der Gebr. Hoffmann AG ein Industrieareal im Halte von 50'536 m2 zu übertragen. Die Gemeinde gab dieses Land, das sie zum Teil von Dritten hatte beschaffen müssen, zu einem Tauschwert ab, der teilweise unter den Anschaffungskosten lag. In der Vereinbarung wurde die Erschliessung des Industrieareals geregelt und hinsichtlich der Kanalisation unter anderem bestimmt, dass sich die gesetzlichen Einkaufsgebühren in die städtische Kanalisation nach den stabilisierten Brandversicherungswerten der zu erstellenden Gebäude richteten. Hinzu komme ein kleiner Zuschlag pro m2 Bodenfläche des Grundstücks. Über die Höhe der Gebühren sei Art. 20 der Bauordnung der Gemeinde Thun (BauO) massgebend. Diese Bestimmung wurde in der bei Abschluss der Vereinbarung geltenden Fassung vom 11. Oktober 1942 wörtlich wiedergegeben.
Am 15. September 1960 beantragte das Stadtbauamt dem Bauvorsteher der Einwohnergemeinde Thun, Art. 20 der Bauordnung
BGE 103 Ia 505 S. 507
von 11. Oktober 1942 sei im Sinne einer Erhöhung der Kanalisationsanschlussgebühren zu ändern. Dieser Antrag den die Baubehörden kurzfristig stellten und den sie bei Abschluss des Tauschvertrages und der Vereinbarung noch nicht erwogen hatten, wurde damit begründet, die Erhöhung der Anschlussgebühren dränge sich auf, da die Gemeinde vor sehr kostspieligen Kanalisationsbauten stehe. Mit Stadtratsbeschluss vom 28. Oktober 1960, gebilligt in der Gemeindeabstimmung vom 3./4. Dezember 1960, wurde Art. 20 BauO antragsgemäss geändert, wobei die Gebührensätze erhöht und als Bemessungsgrundlage der geschätzte Zustandswert der Gebäude, statt wie bis anhin der stabilisierte Brandversicherungswert, gewählt wurde.
Im Herbst 1962 wurde die Liegenschaft der Gebr. Hoffmann AG an die Kanalisation angeschlossen. Mit Rechnung vom 12. Mai 1964 forderte die Einwohnergemeinde Thun von der Firma gestützt auf den geänderten Art. 20 BauO eine Kanalisationsanschlussgebühr von Fr. 164'211.20, was 20% der Brandversicherungssumme des Fabrikneubaus entspricht, ferner mit Rechnung vom 20. Mai 1965 eine Kanalisationsanschlussgebühr von Fr. 40'065.90 für die durch einen Lagerhausanbau geschaffene Wertvermehrung. Die Gebr. Hoffmann AG bezahlte in der Folge Fr. 55'466.10 und 10'952.--, entsprechend der bisherigen Fassung von Art. 20 BauO. Im übrigen bestritt sie die Forderung mit der Begründung, die Parteien hätten sich in der Vereinbarung darauf geeinigt, die bei Anschluss der Liegenschaft an die Kanalisation zu entrichtenden Gebühren seien nach Massgabe des bei Vertragsschluss geltenden Reglements zu berechnen.
Auf Klage der Einwohnergemeinde Thun hin verurteilte der Regierungsstatthalter von Thun die Gebr. Hoffmann AG zur Zahlung der Gebührenrestanz. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern bestätigte diesen Entscheid, im wesentlichen mit der Begründung, der wörtlichen Wiedergabe des alten Art. 20 BauO in der Vereinbarung vom 9. Juli 1960 komme nicht der Sinn zu, dass die Elemente der Gebührenerhebung ein für allemal festgelegt worden seien und dass sie von einer allfälligen Reglementsänderung nicht berührt würden. Vielmehr sei anzunehmen, dass der fragliche Teil der Vereinbarung nur dazu bestimmt gewesen sei, die Gebr. Hoffmann AG auf ihre reglementarischen Pflichten hinzuweisen.
BGE 103 Ia 505 S. 508
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde der Gebr. Hoffmann AG gut.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt der Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur im Privatrecht, sondern auch im öffentlichen und namentlich im Verwaltungsrecht. Er bedeutet insoweit, wie das Bundesgericht in
BGE 94 I 520
E. 4a ausgeführt hat, dass der Rechtsverkehr zwischen Bürger und Verwaltung von gegenseitigem Vertrauen getragen sein muss und berechtigtes Vertrauen Schutz verdient. Soweit der Grundsatz treuwidriges Verhalten der Behörden verbietet und den Schutz berechtigten Vertrauens des Bürgers gewährleistet, folgt er unmittelbar aus
Art. 4 BV
und besitzt er grundrechtlichen Charakter. Behördliches Verhalten, das berechtigtes Vertrauen des Bürgers verletzt, etwa bei unrichtigen Auskünften, widersprüchlichem Verhalten oder beim Widerruf von Verwaltungsverfügungen, verstösst deshalb unmittelbar gegen die genannte Verfassungsgarantie. Ob ein solcher Vorstoss vorliegt, prüft das Bundesgericht ohne Einschränkung seiner Kognition. Es verhält sich insoweit nicht anders, als wenn eine Verletzung des bundesrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör, auf unentgeltliche Rechtspflege oder des Verbots des überspitzten Formalismus in Frage steht (
BGE 102 Ia 579
E. 6;
BGE 98 Ia 432
;
BGE 97 I 497
E. 2c;
BGE 94 I 521
f.).
Das Bundesgericht hat freilich in zwei neueren Fällen eine andere Auffassung vertreten und ausgeführt, eine freie Prüfung greife - gleich wie insbesondere beim Verhältnismässigkeitsprinzip - nur dann Platz, wenn der Grundsatz von Treu und Glauben im Zusammenhang mit einem speziellen, seinerseits eine freie Prüfung erheischenden verfassungsmässigen Recht angerufen werde (
BGE 102 Ia 71
f.;
BGE 99 Ia 67
). An dieser Einschränkung ist, was den Grundsatz von Treu und Glauben anbelangt, indes schon in
BGE 102 Ia 579
E. 6 nicht mehr festgehalten worden, und jene Entscheide haben insoweit als überholt zu gelten (vgl. auch die Kritik von SAMELI, Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR 96/1977, S. 389 f.). Das heisst allerdings nicht, dass die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben in allen Fällen der freien Prüfung unterliege. Diese greift nur soweit Platz, als der Grundsatz den Schutz berechtigten
BGE 103 Ia 505 S. 509
Vertrauens des Bürgers in das Verhalten der Behörden gewährleistet und grundrechtlichen Charakter hat. Das trifft nicht zu, wie das Bundesgericht in
BGE 102 Ia 579
E. 6 für den Zivilprozess ausgeführt hat, soweit der Grundsatz von Treu und Glauben sich nicht auf das Verhalten des Richters, sondern auf jenes der Prozessparteien bezieht. Grundrechtlicher Charakter fehlt ihm überdies, soweit er eine Regel für die Auslegung von Rechtsgeschäften darstellt und verlangt, dass der Sinn öffentlichrechtlicher Verträge nach dem Vertrauensprinzip zu ermitteln ist (dazu näher unter E. 2b). Insoweit kann seine Handhabung auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüft werden.
2.
a) Die Vereinbarung vom 9. Juli 1960 hat die Erschliessung des neuerworbenen Industrieareals der Gebr. Hoffmann AG zum Gegenstand. In ihr wird festgelegt, in welcher Weise die Einwohnergemeinde Thun Strassen, Kanalisation und Werkleitungen (Elektrizität, Gas, Wasser) zu erstellen und welche Leistungen die Beschwerdeführerin daran zu erbringen hat. Diese Fragen sind vom öffentlichen Recht geregelt. Die Vereinbarung stellt deshalb einen öffentlichrechtlichen Vertrag dar (
BGE 102 Ia 34
E. 2a;
BGE 99 Ib 120
E. 2 mit Hinweisen;
BGE 93 I 509
), und zwar gilt dies ungeachtet des Umstandes, dass sie unmittelbar in Zusammenhang mit dem Grundstücks-Tauschvertrag steht, der zwischen denselben Parteien geschlossen wurde und der rein privatrechtlicher Natur ist.
b) Öffentlichrechtliche Verträge sind grundsätzlich gleich wie privatrechtliche nach den Regeln von Treu und Glauben (Vertrauensprinzip) auszulegen. Das bedeutet, dass einer Willensäusserung der Sinn zu geben ist, den ihr der Empfänger aufgrund der Umstände, die ihm im Zeitpunkt des Empfangs bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in guten Treuen en durfte und beilegen musste. Bei der Auslegung öffentlichrechtlicher Verträge ist freilich besonders zu beachten, dass die Verwaltung beim Abschluss solcher Verträge dem öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen hat. In Zweifelsfällen ist deshalb zu vermuten, dass sie keinen Vertrag abschliessen wollte, der mit den von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen in Widerspruch steht, und dass sich der Vertragspartner hierüber Rechenschaft gab. Indessen wäre es verfehlt, in allen Fällen der dem öffentlichen Interesse besser dienenden
BGE 103 Ia 505 S. 510
Auslegung den Vorzug zu geben. Die Wahrung des öffentlichen Interesses findet ihre Schranke vielmehr gerade im Vertrauensprinzip, d.h. sie darf nicht dazu führen, dass dem Vertragspartner des Gemeinwesens bei der Vertragsauslegung Auflagen gemacht werden, die er beim Vertragsschluss vernünftigerweise nicht voraussehen konnte (
BGE 93 I 511
E. 3 mit Hinweisen; vgl.
BGE 98 Ia 269
). Die Anwendung dieser Grundsätze prüft das Bundesgericht auf das Vorliegen von Willkür hin (E. 1); gleich verhält es sich hinsichtlich der im angefochtenen Entscheid enthaltenen tatsächlichen Annahmen.
c) In Ziff. 2 der Vereinbarung wird einleitend festgelegt, dass die Einwohnergemeinde Thun für die Aufnahme und Ableitung der Abwässer des Quartiers Hännisweg samt denjenigen der Gebr. Hoffmann AG auf ihrem eigenen Terrain ein Pumpwerk erstelle und dass das Industrieareal durch öffentliche Leitungen zu diesem Pumpwerk nicht berührt werde. Dieser Abschnitt und die entsprechenden, den Bau von Strassen und Werkleitungen betreffenden Vertragsbestimmungen legen die Annahme nahe, dass die Vereinbarung vorab dazu bestimmt war, die Erschliessung des Industrieareals durch die Einwohnergemeinde Thun sicherzustellen und hinsichtlich der Art und Weise - Linienführung, Zeitpunkt der Erstellung der Strassen usw. - näher zu umschreiben. Die Vereinbarung erschöpft sich indes nicht in derartigen Abreden, sondern bezieht sich zusätzlich darauf, in welchem Umfang die Beschwerdeführerin an die Kosten der zu erstellenden öffentlichen Werke beizutragen habe. In Ziff. 2 der Vereinbarung nimmt die Kostenregelung den weitaus grösseren Platz ein. Es wird in dieser Hinsicht ausgeführt, dass sich die gesetzlichen Gebühren für den Einkauf in die städtische Kanalisation nach den stabilisierten Brandversicherungswerten der zu erstellenden Gebäude richteten und dass ein kleiner Zuschlag pro m2 Bodenfläche hinzukomme. Ferner wird ausgeführt, dass hinsichtlich der Höhe der Gebühren Art. 20 der Bauordnung der Gemeinde Thun massgebend sei. Diese Bestimmung wird in der Folge wörtlich wiedergegeben. Berücksichtigt man bei der Auslegung dieses Vertragspassus die dem Abschluss der Vereinbarung vorangegangenen Verhandlungen, so ergibt sich, dass die Einwohnergemeinde Thun mit den wiedergegebenen Bestimmungen vorab klarstellen wollte, dass das Industrieareal nicht auf Kosten der Gemeinde an die Kanalisation angeschlossen werden könne, sondern dass
BGE 103 Ia 505 S. 511
die Beschwerdeführerin die normalen, der Bauordnung entsprechenden Gebühren zu entrichten habe. Im Laufe der Vertragsverhandlungen hatte die Beschwerdeführerin nämlich verlangt, dass die Kosten der Kanalisation von der Gemeinde zu tragen seien. Dazu hatten sich die Gemeindevertreter jedoch nicht bereitgefunden und erklärt, ein Verzicht auf die in der Bauordnung festgelegten Kanalisationsanschlussgebühren sei rechtlich nicht möglich. Von dieser Vorgeschichte der Vereinbarung geht auch das Verwaltungsgericht aus, und es kann nicht gesagt werden, dass die Vertragsauslegung insoweit willkürlich sei. Unhaltbar ist dagegen die Auffassung, der Abmachung komme einzig diese Bedeutung zu. Aus den Unterlagen, welche den Gang der Vertragsverhandlungen wiedergeben, geht in klarer Weise hervor, dass die Beschwerdeführerin neben dem Ziel, für den Fall der Neuerrichtung des Betriebs in Thun möglichst günstige Bedingungen auszuhandeln, vor allem bestrebt war, über sichere und umfassende Grundlagen für die bevorstehenden unternehmerischen Dispositionen zu verfügen. So führte an der Besprechung vom 16. Februar 1960 einer der Vertreter der Firma aus, noch nicht restlos geklärt seien verschiedene Punkte, u.a. hinsichtlich der Strassenbeiträge und der Kanalisation. Darüber müsse für die Beurteilung der finanziellen Fragen völlige Klarheit herrschen. Weiter wurde ausgeführt, die Firma sei an sich gewillt, in Thun zu bleiben, die finanziellen Fragen spielten aber eine entscheidende Rolle. Bei dieser Sachlage durfte die Beschwerdeführerin Ziff. 2 der Vereinbarung mit der wörtlichen Wiederaufgabe von Art. 20 BauO nach dem Vertrauensprinzip klarerweise so verstehen, dass die aufgrund des geplanten Fabrikneubaus zu entrichtenden Kanalisationsanschlussgebühren nach Massgabe der wiedergegebenen Bestimmung festgesetzt würden. Für die Beschwerdeführerin bestand dabei kein Grund zur Annahme, dass ein solcher Inhalt der Vereinbarung den von der Gemeinde zu wahrenden öffentlichen Interessen widerspreche. Bei dieser Sachlage ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht haltbar, Ziff. 2 der Vereinbarung sei lediglich so zu verstehen, dass sich die Beschwerdeführerin verpflichtet habe, zu gegebener Zeit die dem massgebenden Reglement entsprechende Anschlussgebühr zu entrichten, und dass die wörtliche Wiedergabe von Art. 20 BauO nur über das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Recht orientiert habe. Vielmehr muss der Vereinbarung
BGE 103 Ia 505 S. 512
klarerweise der Inhalt beigemessen werden, die Gebühren für den Einkauf in die städtische Kanalisation würden ungeachtet einer allfälligen Änderung des Reglements nach Massgabe der bei Vertragsschluss geltenden Bauordnung erhoben.
3.
Kommt der Vereinbarung dieser Sinn zu, so fragt sich, ob sie rechtlich zulässig sei.
a) Es entspricht einer älteren Auffassung, dass die Verwaltung nur dann auf dem Wege des öffentlichrechtlichen Vertrages handeln darf, wenn sie dazu im Gesetz ausdrücklich ermächtigt wird (vgl. FLEINER, Institutionen, 8. A., S. 210 ff.; RUCK, Schweizerisches Verwaltungsrecht, 3. A, I, S. 123 f.; GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 448). In der neueren Rechtsprechung und Lehre hat sich demgegenüber der Grundsatz gefestigt, dass die Handlungsform des öffentlichrechtlichen Vertrages auch stillschweigend zugelassen sein kann, sofern sie vom Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird (vgl. ZWAHLEN, Le contrat de droit administratif, ZSR 77/1958, II, S. 624 a; GYGI, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu verwaltungsrechtlichen Grundfragen, ZbJV 102/1966, S. 127; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 223; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. A., I, S. 282; FLEINER-GERSTER, Verwaltungsrecht, S. 136; vgl. ferner die Regelung des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976, nach dessen § 54 ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden kann, soweit nicht Rechtsvorschriften entgegenstehen). Vertragliche Vereinbarungen über Erschliessungsgebühren kommen in der Praxis häufig vor (vgl.
BGE 103 Ia 34
), und es ist wohl nicht die Meinung des Verwaltungsgerichts, dass die Einwohnergemeinde Thun im vorliegenden Falle schon an sich nicht auf dem Wege des öffentlichrechtlichen Vertrages habe handeln dürfen. Fraglich ist einzig, ob der Inhalt der geschlossenen Vereinbarung gegen zwingende Rechtsvorschriften verstösst und der Vertrag insoweit rechtswidrig ist. Das Verwaltungsgericht bejahte dies mit der Begründung, Kanalisationsanschlussgebühren seien nach der ständigen Rechtsprechung aufgrund des Tarifs zu erheben, der im Zeitpunkt des Anschlusses gelte. Soweit die Vereinbarung eine von diesem Grundsatz abweichende Zusicherung enthalte, stelle sie deshalb einen Abgabenvergünstigungsvertrag dar, der rechtswidrig
BGE 103 Ia 505 S. 513
sei, weil für eine vertragliche Änderung der gesetzlich festgelegten Abgabeleistung weder im kantonalen noch im kommunalen Recht eine ausdrückliche Grundlage bestehe.
b) Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass Abgabepflichtigen Vergünstigungen im Grundsatz nur gewährt werden dürfen, wenn und soweit der betreffende Abgabeerlass es zulässt (
BGE 103 Ia 34
mit Hinweisen). Abgabevergünstigung bedeutet dabei, dass einem Abgabepflichtigen eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Sonderbehandlung gewährt wird, die ihm wirtschaftliche Vorteile bringt. Keine eigentlichen Abgabevergünstigungsverträge bilden deshalb, wie das Bundesgericht im erwähnten Urteil ausgeführt hat, die häufig vorkommenden Abreden über Strassenbeiträge oder Erschliessungsgebühren, nach welchen der Grundeigentümer keine Anstösserbeiträge oder sonstigen Gebühren zu entrichten hat, dafür jedoch eine andere vollwertige Gegenleistung (z.B. Landabtretung) erbringen muss. Ein eigentlicher Abgabevergünstigungsvertrag liegt auch im hier zu beurteilenden Falle nicht vor. Mit der Vereinbarung vom 9. Juli 1960 wurde der Beschwerdeführerin keine von der damals geltenden gesetzlichen Regelung abweichende Sonderbehandlung gewährt. Vereinbart wurde nur, dass für den Anschluss des neuerworbenen Industrieareals und die Erstellung des geplanten Fabrikneubaus Kanalisationsgebühren nach Massgabe der bei Vertragsschluss geltenden Bauordnung zu entrichten seien. Die Vergünstigung ergab sich erst als Resultat einer Änderung der Bauordnung, von deren Eintritt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine der Parteien Kenntnis hatte, wie im angefochtenen Entscheid unwiderlegt ausgeführt wird. Unter diesen Umständen kann von einem eigentlichen Abgabevergünstigungsvertrag offensichtlich nicht gesprochen werden, ebensowenig wie im Falle einer steuerlichen Vorveranlagung, welcher die Vereinbarung in der Wirkung nahe kommt (vgl. IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 77/1958, II, S. 194 a; ZWAHLEN, a.a.O., S. 548 a ff.). Es ist freilich richtig, dass die vertragliche Zusicherung, auf einen Abgabetatbestand finde die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Regelung Anwendung, schon von Anbeginn weg wenigstens virtuell eine Begünstigung des Abgabepflichtigen in sich schliessen kann. Eine derartige Vereinbarung hat sich deshalb in einem engen Rahmen zu halten, soll aus ihr nicht ein unzulässiger Abgabevergünstigungsvertrag
BGE 103 Ia 505 S. 514
werden. Dieser Rahmen wäre dann überschritten, wenn sich die Geltungsdauer der Vereinbarung über eine längere Zeit erstrecken würde oder eine Gesetzesänderung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits in Aussicht stände (vgl. für die steuerliche Vorveranlagung: ZWAHLEN, a.a.O., S. 550 a). So verhielt es sich bei Abschluss der hier interessierenden Vereinbarung jedoch nicht.
Mit diesen Feststellungen ist über die Rechtmässigkeit der Vereinbarung freilich noch nicht endgültig entschieden. Es wäre weiter zu prüfen, ob die darin enthaltene Zusage nach dem kantonalen oder kommunalen Recht selbst dann nicht hätte erteilt werden dürfen, wenn sie keine eigentliche Abgabevergünstigung bewirkte, sondern lediglich dahin ging, die Gebühren für den Einkauf in die Kanalisation würden nach Massgabe der bei Vertragsschluss geltenden Bauordnung erhoben, ungeachtet einer allfälligen Änderung des Reglements. Wie es sich damit verhält, braucht im vorliegenden Falle jedoch nicht näher untersucht zu werden, da ein solcher Mangel nach den Regeln des Vertrauensschutzes nicht zur Ungültigkeit des Vertrages führen könnte, wie aus den folgenden Erwägungen hervorgeht.
4.
a) Erweist sich eine Verwaltungsverfügung als fehlerhaft, so ist sie nur unter besonderen Voraussetzungen nichtig. Begünstigt sie den Bürger, so kann sie von der Verwaltung auch nicht ohne weiteres widerrufen werden. Ein Widerruf ist vielmehr nur aufgrund einer Wertabwägung und lediglich dann möglich, wenn der richtigen Durchführung des objektiven Rechts der Vorrang vor dem Interesse an der Wahrung der Rechtssicherheit zukommt (
BGE 100 Ib 302
f. mit Hinweisen; vgl. zu den Widerrufsgrundsätzen im einzelnen: GRISEL, a.a.O., S. 209 ff.; IMBODEN/RHINOW, a.a.O., I, Nr. 41). Sind die Rechtswirkungen eines fehlerhaften öffentlichrechtlichen Vertrages zu bestimmen, so kann nichts grundsätzlich anderes gelten. Das Vertrauensschutzinteresse des Bürgers ist auch in diesem Fall zu berücksichtigen, liegt es doch im Wesen jedes Vertrages, dass er dazu bestimmt ist, Vertrauen im Hinblick auf das zukünftige Verhalten des Vertragspartners zu begründen. Es lässt sich deshalb mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbaren, wenn sich Rechtsmängel eines öffentlichrechtlichen Vertrages, der den Bürger begünstigt, ohne weiteres zu dessen Nachteil auswirken. Vielmehr hat auch diesfalls
BGE 103 Ia 505 S. 515
eine Abwägung zwischen dem Interesse an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts und dem Vertrauensschutzinteresse des Bürgers stattzufinden (vgl. auch die eingehende gesetzliche Regelung, die in § 59 des erwähnten deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes für den Fall der Fehlerhaftigkeit öffentlichrechtlicher Verträge getroffen wurde). Ob der Bürger in seinem Vertrauen auf den Bestand des Vertrages zu schützen sei, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (E. 1).
b) Eine solche Interessenabwägung kann nicht mit Hinblick auf die Grundsätze unterbleiben, die für die Geltung behördlicher Auskünfte und Zusagen entwickelt worden sind. Danach stellen behördliche Zusicherungen nur solange eine schutzwürdige Vertrauensgrundlage dar, als keine Gesetzesänderung eintritt, was bedeutet, dass der Bürger bei einer Änderung der Rechtslage nicht gestützt auf früher erteilte Auskünfte eine vom Gesetz abweichende Behandlung verlangen kann (
BGE 102 Ia 337
mit Hinweisen; vgl. auch SAMELI, a.a.O., S. 371 ff.). Aus dieser Rechtsprechung lässt sich für den vorliegenden Fall jedoch nichts ableiten. Der wiedergegebene Grundsatz gilt schon für Zusagen und Auskünfte nicht absolut, sondern erleidet eine Ausnahme, wenn sich solche Zusicherung auf die Rechtsänderung selber beziehen und von der Behörde erteilt wurden, in deren Kompetenz die Rechtsänderung liegt (
BGE 102 Ia 337
). Er kann auch nicht gelten, wenn eine vertragliche Vereinbarung eben dahin geht, dass ein künftiger Tatbestand aufgrund der Rechtslage beurteilt werde, wie sie bei Abschluss des Vertrages galt.
c) Geht man deshalb von den in lit. a dargelegten Grundsätzen aus, so vermag eine Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben dann nicht durchzudringen, wenn zwischen der Verwaltung und einem Privaten ein eigentlicher, widerrechtlicher Abgabevergünstigungsvertrag geschlossen wurde. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung und Lehre, dass solche Verträge unwirksam sind, wenn sie sich nicht auf das Gesetz stützen, und es ist nicht zweifelhaft, dass bei einer Güterabwägung diesfalls der richtigen Durchführung des objektiven Rechts der Vorrang vor der Beibehaltung der durch den Vertrag geschaffenen Rechtslage zukommt (
BGE 94 I 450
). In der Lehre wird sogar die Auffassung vertreten, dass solche Verträge schlechthin nichtig seien (vgl. die Hinweise bei IMBODEN, a.a.O., S. 198 a). Die hier in Frage stehende Vereinbarung stellt
BGE 103 Ia 505 S. 516
jedoch keinen solchen Abgabevergünstigungsvertrag dar. Nimmt man an, dass die Einwohnergemeinde Thun die in der Vereinbarung enthaltene Zusage nicht erteilen durfte, so fällt bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin insbesondere in Betracht, dass sowohl sie wie die Einwohnergemeinde Thun ohne weiteres davon ausgingen, die geschlossene Vereinbarung sei rechtlich zulässig. Es ist auch nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Notwendigkeit, einen neuen Standort für ihr Unternehmen zu bestimmen und unter verschiedenen Varianten eine Auswahl zu treffen, ein erhebliches und schützenswertes Interesse daran besass, für die zu treffenden unternehmerischen Dispositionen über sichere und umfassende Grundlagen zu verfügen. Es kommt hinzu, dass es auch in dem von der Gemeinde Thun zu wahrenden öffentlichen Interesse lag, der Beschwerdeführerin eine entsprechende vertragliche Zusage zu erteilen, um damit einem Wegzug des Unternehmens mit dem daraus folgenden Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen entgegenzuwirken. Schliesslich fällt ins Gewicht, dass das Bauvorhaben der Beschwerdeführerin ohne Verzögerung erstellt und der Kanalisationsanschluss bereits ca. zwei Jahre nach Abschluss der Vereinbarung vollzogen wurde. Bei dieser Sachlage kommt dem Vertrauensschutzinteresse der Beschwerdeführerin der Vorrang vor der richtigen Durchführung des materiellen Rechts zu, und es ist mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn das Verwaltungsgericht die Kanalisationsanschlussgebühr für das von der Vereinbarung erfasste Bauvorhaben aufgrund der erhöhten Ansätze des neuen Reglements berechnete. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8b84755b-09e7-41dd-b292-e27d665b7aad | Urteilskopf
119 Ib 447
49. Estratto della sentenza 24 maggio 1993 della I Corte di diritto pubblico nella causa Stato del Cantone Ticino c. P e consorti e Commissione federale di stima del 13o Circondario (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der eidgenössischen Schätzungskommissionen;
Art. 105 Abs. 2 OG
(Fassung gemäss BG vom 4. Oktober 1991, in Kraft seit 15. Februar 1992).
Obschon die eidgenössischen Schätzungskommissionen "richterliche Behörden" im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
sind, überprüft das Bundesgericht die Feststellung des Sachverhaltes frei, da die Spezialvorschriften des Enteignungsgesetzes über das Verwaltungsgerichtsverfahren der Bestimmung des OG vorgehen (E. 1).
Enteignung eines mit einem Überleitungsservitut belasteten Landstreifens für den Bau von Schallschutzwänden und -wällen; Methode der Entschädigungsbemessung;
Art. 19 Abs. 1 lit. a und
Art. 21 EntG
.
1. Bewertung von mit Überleitungsdienstbarkeiten belasteten Grundstücken (E. 4a und b).
2. Die von der eidgenössischen Schätzungskommission angewandte Methode, die darin besteht, den seinerzeit für die Überleitungsdienstbarkeit bezahlten Betrag, an die seither eingetretene Teuerung angepasst, von der heutigen Enteignungsentschädigung für den Boden abzuziehen, führt im konkreten Fall zu einem Ergebnis, das sich mit
Art. 19 lit. a und
Art. 21 Abs. 1 EntG
vereinbaren lässt (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 448
BGE 119 Ib 447 S. 448
La costruzione della strada nazionale N2 tra Chiasso e Lugano rese a suo tempo necessario lo spostamento dell'elettrodotto di 50 kV Gemmo-Chiasso di proprietà della Città di Lugano (Aziende industriali - AIL). Nel Comune di Melano, il nuovo tracciato della linea fu condotto parallelamente all'autostrada. Agendo a favore del Comune di Lugano, lo Stato del Cantone Ticino procedette all'acquisto dei diritti necessari per il nuovo impianto mediante una serie di contratti espropriativi (v. sulla nozione:
DTF 114 Ib 147
seg. consid. 3b) stipulati con i proprietari dei fondi siti lungo la strada nazionale. Per i terreni inclusi nella zona edilizia di Melano, tali convenzioni hanno creato, accanto agli oneri abituali per simili condotte (di attraversamento, limitazione
BGE 119 Ib 447 S. 449
delle piantagioni, accesso per esercizio e manutenzione, superficie per l'impianto dei pali), anche divieti di costruzione gravanti la fascia di terreno sottostante alla condotta.
Dai contratti - conclusi nel novembre 1975 e nel dicembre 1978 - risulta che le indennità globali corrisposte dallo Stato ai proprietari per l'acquisto di tali diritti furono determinate tenendo conto unicamente delle superficie gravate dalla servitù di non costruire che si trovano all'esterno degli allineamenti della strada nazionale, e che nessuna indennità fu corrisposta in un caso in cui erano già state pagate, in virtù di una transazione stipulata davanti al Tribunale federale nel 1967 nel quadro della pregressa procedura espropriativa per l'acquisto del terreno della strada nazionale, indennità di svalutazione della porzione residua.
Nel 1987 il Cantone Ticino, d'intesa con l'autorità federale, ha fatto elaborare un progetto esecutivo complementare per la costruzione di un'opera di protezione fonica nel Comune di Melano. Previa pubblicazione degli atti ed evasione delle opposizioni da parte del Consiglio di Stato, il progetto è stato approvato ai sensi dell'
art. 28 LSN
(RS 725.11) dal Dipartimento federale dei trasporti, delle comunicazioni e delle energie (DFTCE) il 4 dicembre 1987.
Su istanza del Cantone Ticino, il presidente della Commissione federale di stima del circondario 13 ha dichiarato aperta la procedura ordinaria di espropriazione per l'acquisto dei diritti necessari all'esecuzione dell'opera con decreto del 2 gennaio 1988: piani e tabelle di espropriazione sono stati pubblicati e sono stati notificati gli avvisi personali.
Accanto a espropriazioni temporanee per l'esecuzione dei lavori, che qui non interessano, il progetto prevede l'espropriazione definitiva, lungo l'attuale fondo dell'autostrada, di una striscia di terreno destinata alla formazione di un vallo e alla posa di pannelli di protezione. Nei confronti dei proprietari, parti nella presente causa, l'espropriazione colpisce una serie di fondi tutti inseriti nella zona edificabile del Comune, e precisamente nella zona artigianale A3-06 nel caso di P, rispettivamente nella zona residenziale R3-06 nel caso degli altri espropriati. Il terreno da espropriare include anche le porzioni dei fondi sulle quali è situato l'elettrodotto della Città di Lugano, che sono gravate degli oneri descritti precedentemente in virtù delle menzionate convenzioni.
Nelle loro notifiche, gli espropriati formularono per i terreni definitivamente espropriati pretese di indennità varianti fra i 150.-- e i
BGE 119 Ib 447 S. 450
250.-- fr./m2. Alle udienze di conciliazione, tenute i 19 e 20 aprile e il 3 maggio 1989, lo Stato offrì per le porzioni già gravate dalla servitù di non costruire a favore delle AIL un'indennità di 10.-- fr./m2, e indennità varianti tra i 50.-- e i 130.-- fr./m2 per le superficie libere da detto onere. La conciliazione fallì, ma tutti gli espropriati accordarono l'anticipata immissione in possesso.
La CFS si è pronunciata con decisione del 4 dicembre 1992. Nel dispositivo, essa ha stabilito gli importi dovuti per le espropriazioni definitive - parziali o totali - delle particelle, come pure le indennità annue per l'occupazione temporanea.
Nella motivazione, suddivisa in una parte generale e in singoli capitoli per ognuno degli espropriati, la CFS ha esposto i criteri estimatori cui si è ispirata, fondandosi sulle risultanze dei sopralluoghi, le contrattazioni rilevate e su dati desunti da altre espropriazioni del diritto cantonale nel Comune di Melano. Essa è giunta alla conclusione che, alla data determinante dell'udienza di conciliazione (aprile 1989), al fondo di P, sito nella zona artigianale, andava attribuito un valore venale pieno di 200.-- fr./m2, superiore a quello degli altri terreni espropriati posti nella zona residenziale R3-06, che fu stabilito in 180.-- fr./m2.
La CFS ha constatato che l'elettrodotto, posto lungo il confine verso l'autostrada, non intralcia concretamente lo sfruttamento edilizio, e che neppure il divieto di costruzione costituito a favore del Comune di Lugano impedisce giuridicamente o di fatto l'integrale utilizzazione degli indici di sfruttamento previsti dalle norme di attuazione (NAPR) del piano regolatore (PR) di Melano, il quale inserisce nella rispettiva zona le particelle per la totalità della loro superficie.
Ciò posto, la CFS ha considerato che dagli importi calcolati in base alla superficie espropriata definitivamente e ai due menzionati prezzi unitari dovessero dedursi le indennità forfettarie che lo Stato aveva versato ai proprietari nel 1975 e nel 1978, e ciò previo adattamento dei rispettivi importi all'evoluzione dell'indice dei prezzi al consumo intervenuta tra novembre 1975 (punti 165,2), risp. dicembre 1978 (punti 170,3) e la data determinante dell'aprile 1989 (punti 241,4). Per ragioni inerenti alla clausola di adeguamento delle indennità ai risultati della misurazione definitiva, la CFS ha suddiviso gli importi in capitale dovuti per le singole espropriazioni parziali in due poste distinte: l'una relativa alla superficie soggetta al divieto di costruzione, sulla quale sono stati imputati i versamenti precedenti, l'altra relativa alla residua superficie espropriata, libera da tale onere, per la quale sono stati applicati
BGE 119 Ib 447 S. 451
i menzionati prezzi unitari di 200.--, risp. 180.-- fr./m2.
L'espropriante ha impugnato la decisione della CFS con distinti ricorsi di diritto amministrativo, limitatamente alle indennità accordate per l'espropriazione definitiva, concludendo a che queste siano ridotte.
Le postulate riduzioni risultano dall'applicazione di un'indennità unitaria di 10.-- fr./m2 alle superficie gravate dalla servitù di non costruire, corretta dal riconoscimento per tali aree di indennizzi supplementari per piante o manufatti, da un lato, e dall'applicazione alle residue superficie espropriate, libere da tale onere, dei valori unitari di 200.--, risp. 180.-- fr./m2 stabiliti dalla CFS, dall'altro.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
a) Contro le decisioni delle Commissioni federali di stima è rimedio ammissibile il ricorso di diritto amministrativo (
art. 77 cpv. 1 LEspr
, 115 cpv. 1 OG). Parte principale al procedimento, l'espropriante è legittimato a ricorrere (
art. 78 cpv. 1 LEspr
). Le ulteriori condizioni poste dagli
art. 106 e 108 OG
sono adempiute, ed il gravame è quindi ricevibile.
b) Con il ricorso si possono censurare la violazione del diritto federale, comprensiva dell'eccesso e dell'abuso del potere di apprezzamento (
art. 104 lett. a OG
), e l'inadeguatezza della decisione (art. 104 lett. c n. 1 OG), poiché la CFS decide sull'indennità espropriativa in prima istanza. Vigente il testo originale dell'
art. 105 cpv. 2 OG
, anche l'accertamento inesatto o incompleto di fatti rilevanti poteva esser censurato senza restrizioni (
art. 104 lett. b OG
), poiché la limitazione prevista dall'
art. 105 cpv. 2 OG
per le commissioni di ricorso non si applicava alle commissioni federali di stima, che sono commissioni di arbitrato secondo l'art. 98 lett. e OG (
DTF 116 Ib 254
consid. 2c,
DTF 112 Ib 420
consid. 2b; RDAT 1991-II, pag. 185 consid. 1b). Secondo il nuovo testo dell'
art. 105 cpv. 2 OG
, entrato in vigore il 15 febbraio 1992 in seguito alla novellazione introdotta con la LF del 4 ottobre 1991 (RU 1992, 288; RS 173.110.0; FF 1991 II 413), l'accertamento dei fatti vincola - salvo eccezioni - il Tribunale federale "se l'istanza inferiore è un'autorità giudiziaria" (e non più, come precedentemente, "se l'istanza inferiore è un tribunale cantonale o una commissione di ricorso"). Le Commissioni federali di stima sono dei Tribunali amministrativi speciali (
DTF 116 Ib 254
consid. 2c;
DTF 112 Ib 125
,
BGE 119 Ib 447 S. 452
177 seg.;
111 Ib 233
), cui la qualifica di "autorità giudiziaria" deve indubbiamente esser riconosciuta. In base al testo della nuova disposizione, si potrebbe ritenere che dopo la riforma il Tribunale federale sia vincolato al loro accertamento dei fatti, a meno che questi risultino manifestamente inesatti o incompleti o stabiliti in violazione di norme essenziali di procedura. Tale conclusione, dedotta unicamente dal tenore letterale della norma, sarebbe però affrettata. In realtà, essa non può esser ritenuta, perché contrasta con altre disposizioni e non corrisponde alla volontà del legislatore.
Intanto ci si può chiedere, in via di principio, se il Tribunale federale - quando è munito, come in casu, della facoltà di rivedere l'adeguatezza della decisione dell'istanza inferiore (art. 104 lett. c n. 1 OG) - possa sdebitarsi di tale compito, ove non disponga congiuntamente anche della facoltà di controllare liberamente il fatto: il controllo dell'adeguatezza implica infatti la possibilità per l'istanza superiore di sostituire il proprio apprezzamento a quello dell'istanza precedente, scegliendo la soluzione che a suo avviso meglio risponde alle concrete circostanze del caso, e mal si comprende quale portata effettiva possa avere questa facoltà, se i fatti non possono esser riveduti. Questa delicata questione di principio può tuttavia esser lasciata aperta, poiché il problema non dev'esser risolto genericamente per riguardo ad ogni istanza inferiore prevista dall'
art. 105 cpv. 2 OG
, ma soltanto per quanto concerne il caso specifico delle Commissioni federali di stima.
Giusta l'
art. 115 cpv. 1 e 2 OG
, nel testo della riforma del titolo quinto dell'organizzazione giudiziaria introdotta dalla LF del 20 dicembre 1968, in vigore dal 1o ottobre 1969 (RU 1969 784 805; FF 1965 II 1029), la procedura di ricorso di diritto amministrativo contro le decisioni delle Commissioni federali di stima è regolata dagli
art. 104 a 109
della stessa legge, per il resto dagli
art. 77 a 87
e 116 LEspr (RS 711). Successivamente alla cennata riforma dell'organizzazione giudiziaria, la LEspr è però a sua volta stata riveduta con la LF del 18 marzo 1971, in vigore dal 1o agosto 1972 (RU 1972 1076 1086; FF 1970 I 774). Questa riforma non ha soltanto abrogato gli art. da 83 a 85 e l'
art. 87 LEspr
, cui l'
art. 115 cpv. 2 OG
, rimasto invariato, tuttora rinvia, ma ha anche modificato l'
art. 77 LEspr
. Nel suo tenore attuale, il capoverso secondo di tale disposizione prevede che la procedura di ricorso di diritto amministrativo, per quanto concerne le Commissioni federali di stima, è disciplinata dall'OG "in quanto la presente legge non
BGE 119 Ib 447 S. 453
stabilisce altrimenti". Questa disposizione, speciale e posteriore all'
art. 115 OG
, fa sì che le regole procedurali della legge d'espropriazione prevalgano sull'OG. Nell'
art. 82 cpv. 1 e 2 LEspr
, è previsto che, nei casi di ricorso, il Giudice delegato del Tribunale federale designa da uno a tre membri della Commissione superiore di stima per funzionare da periti o, eccezionalmente, anche altri periti, di cui dirige le deliberazioni. Ora, questa istituzionalizzazione del ricorso a periti non avrebbe praticamente senso, se gli esperti - e con loro il Tribunale federale - non dovessero potere esaminare liberamente i fatti. Inoltre, l'
art. 77 cpv. 3 LEspr
dichiara ammissibili, nella procedura di ricorso contro decisioni sulla determinazione dell'indennità, anche nuove conclusioni, a condizione ch'esse non potessero essere presentate già davanti alla CFS: ora, chi ha la facoltà di formulare nuove conclusioni, ha anche quella di addurre a loro appoggio fatti nuovi, atti a sovvertire o modificare le constatazioni precedenti: il che implica pure libero esame per l'istanza di ricorso. Deriva dal senso e dallo scopo di questo assetto procedurale istituito dal legislatore che, adito con ricorso di diritto amministrativo, il Tribunale federale deve poter esaminare liberamente i fatti, e che pertanto la limitazione istituita dal nuovo
art. 105 cpv. 2 OG
non si applica alle Commissioni federali di stima, così come non si applicava loro la disposizione precedente. Tale risultato è peraltro conforme alle intenzioni del legislatore espresse nei lavori legislativi. Il messaggio del Consiglio federale del 18 marzo 1991 (FF 1991 II 473) adduce infatti che con la modificazione proposta dall'art. 105 cpv. 2 si intendeva adattarne la terminologia a quella impiegata nel nuovo art. 98 a (FF 1991 II 470): nulla induce a ritenere che la riforma alla legge, intesa a potenziare la tutela giurisdizionale offerta al cittadino, dovesse però in determinate materie ridurla, come in caso di contraria interpretazione accadrebbe per l'espropriazione, dal momento che la Commissione federale, adita su azione ("Klageverfahren"; cfr. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2a edizione, Berna 1983, pag. 113) statuisce su pretese di diritto pubblico come autorità di prima istanza ed esamina quindi per la prima volta l'oggetto del litigio (in senso identico, KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zurigo 1993, pag. 216, n. 364, e 242, n. 423). Questa soluzione è del resto conforme al sistema dei gradi giurisdizionali adottato dal legislatore federale: contro le decisioni di autorità inferiori è di massima dato ricorso (o opposizione) ad un'autorità cui compete di riesaminare liberamente i fatti (cfr. GYGI, Verwaltungsrechtspflege in Bundesverwaltungssachen, in: Statica e dinamica del diritto nella
BGE 119 Ib 447 S. 454
giurisprudenza del Tribunale federale, Basilea 1975, pag. 198 e 208).
Se ne deve concludere che la restrizione dell'
art. 105 cpv. 2 OG
, cui l'
art. 104 lett. b OG
rinvia, continua a non applicarsi alle decisioni delle Commissioni federali di stima anche dopo la novellazione dell'organizzazione giudiziaria.
2.
(Il valore venale di un terreno libero da oneri è di 200.-- fr./m2 in zona artigianale, di 180.-- fr./m2 in zona residenziale.)
3.
Secondo l'
art. 21 cpv. 1 LEspr
, nella stima del valore venale (
art. 19 lett. a LEspr
) devesi tener conto delle servitù che esistono al momento del deposito del piano di espropriazione, eccettuati gli usufrutti, nonché dei diritti annotati nel registro fondiario derivanti da contratti di pigione e di affitto. Nella misura in cui questi costituiscono un onere, vanno imputati sul valore venale (cfr.
DTF 109 Ib 4
). Non è necessario che la riduzione sia specificata in cifre nella decisione: basta ch'essa si rifletta nel risultato finale. La riduzione non si identifica né con l'indennità che l'espropriante deve eventualmente versare all'avente diritto per la soppressione della servitù, né col compenso ottenuto a suo tempo dal proprietario quale corrispettivo per la costituzione dell'onere (HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Commento all'art. 21 n. 2).
4.
(Secondo il ricorrente, le porzioni dei fondi espropriati soggette alla servitù di non costruire dovrebbero esser valutate solo fr. 10.-- il m2.)
a) Come giustamente la CFS ha constatato, la fascia inedificabile correva lungo il confine dei fondi verso autostrada, e le parti libere dal divieto conservavano una forma regolare. (Quanto alle loro dimensioni, tali parti libere erano o talmente ragguardevoli da non suscitare problemi per l'edificazione, o sufficienti per un'utilizzazione razionale.)
Ciò premesso sotto il profilo geometrico, è determinante, per la valutazione dei fondi soggetti all'onere, la circostanza che gli indici di sfruttamento, nonostante il parziale divieto di costruzione, avrebbero potuto esser integralmente utilizzati sulla superficie libera, cioè, in altri termini, che la servitù non aedificandi non riduceva il cubo edilizio realizzabile sulle particelle anteriormente alla sua costituzione.
b) Quando queste circostanze sono verificate, la svalutazione di un fondo gravato da servitù di elettrodotto - pari alla differenza fra il valore venale dell'intera particella libera dall'aggravio e il valore venale del fondo gravato (
DTF 114 Ib 324
,
DTF 111 Ib 288
seg. consid. 1,
BGE 119 Ib 447 S. 455
DTF 106 Ib 245
consid. 3) - dipende non tanto dalla servitù di non costruire che si abbina con quella di semplice attraversamento, eliminando per il proprietario la possibilità di richiedere lo spostamento della linea (cfr.
DTF 115 Ib 17
seg. consid. 2 e rinvii), quanto dal fattore negativo costituito dalla semplice presenza dell'impianto, che può influire sull'attrattività del fondo per la cerchia dei potenziali acquirenti (
DTF 109 Ib 300
seg. consid. 4a,
DTF 102 Ib 350
consid. 3,
DTF 100 Ib 194
). Questo fattore negativo è praticamente nullo - sempre nelle descritte circostanze - per chi è alla ricerca di un terreno a sfruttamento industriale o artigianale; esso può essere invece più significativo per la scelta di chi vuol edificare a scopo abitativo, segnatamente costruire una casa monofamigliare. Nei casi in rassegna, quindi, si può ritenere che tale elemento negativo non fosse di nessun peso per la zona artigianale. Esso aveva invece rilievo per quella residenziale, anche se l'elettrodotto in questione è di soli 50 kV e, nella zona che qui interessa, i conduttori sono sostenuti da semplici pali in cemento e non da tralicci notoriamente di maggior disturbo.
5.
La CFS ha ritenuto che, per misurare la svalutazione derivante ai terreni espropriati dalla presenza dell'elettrodotto e dalle servitù relative, fosse d'uopo, nel caso concreto, prender come riferimento le indennità concordate a suo tempo fra lo stesso espropriante e i proprietari di allora dei fondi che dovevano esser gravati, o addirittura le indennità accordate nella anteriore espropriazione degli anni sessanta, attualizzandole alla data determinante sulla base del rincaro intervenuto tra il 1975/78 e il 1989, e sottrarre gli importi così ottenuti dall'indennità calcolata sul valore pieno delle superficie gravate dall'onere.
a) Come si è visto, la prestazione che il proprietario ha a suo tempo ottenuto quale contropartita per la costituzione della servitù non equivale senz'altro alla svalutazione attualmente patita dal fondo per l'esistenza dell'onere. La Commissione non ha però semplicemente dedotto quelle indennità, ma le ha previamente adattate al rincaro intervenuto nel frattempo: con ciò essa ha implicitamente considerato che gli importi portati in deduzione corrispondono alle indennità che l'espropriante avrebbe pagato ai proprietari, se si fosse trattato di indennizzare al giorno dell'udienza di conciliazione - data determinante - le servitù dell'elettrodotto.
(Obiezioni al calcolo della CFS tratte dal fatto che le originarie indennità concordate fra espropriante e espropriati potrebbero aver costituito disuguaglianze di trattamento e che esse risultano esser
BGE 119 Ib 447 S. 456
state stabilite con metodi empirici non necessariamente conformi alla giurisprudenza (
DTF 114 Ib 324
,
DTF 111 Ib 288
), onde l'adattamento al rincaro non sanerebbe tali vizi di principio.)
Queste questioni possono tuttavia, per le ragioni che ancora si vedranno, esser lasciate aperte.
b) Una riflessione pratica può far propendere, nel caso concreto, per un ricorso al metodo adottato dalla CFS. Essa consiste nel considerare che l'attuale espropriazione per l'acquisto del terreno necessario per le opere di protezione contro il rumore costituisce, di fatto se non in diritto, un ampliamento della pregressa espropriazione degli anni settanta, volta all'acquisto di diritti reali limitati necessari per la costruzione dell'elettrodotto. È infatti palese che, se già a quell'epoca avesse avvertito la necessità di costruire i pannelli e le colline di protezione fonica, lo Stato avrebbe sin dall'inizio richiesto l'espropriazione definitiva della striscia, che avrebbe utilizzato per entrambi gli scopi: quale indennità, avrebbe dovuto corrispondere, data l'incontestata assenza di svalutazione delle parti residue, unicamente l'intero valore venale delle porzioni di fondo espropriate (
art. 19 lett. a LEspr
). A nessuna speciale indennità lo Stato avrebbe dovuto invece corrispondere per l'elettrodotto, poiché l'utilità che l'espropriante ricava dall'uso del fondo espropriato non entra in considerazione per stabilire il valore venale (
DTF 111 Ib 100
consid. 2d;
109 Ib 35
, 274 consid. 3b;
DTF 101 Ib 168
consid. 1c).
Ora, l'acquisto definitivo intervenuto nel 1989, da questo punto di vista, assorbe il pregresso acquisto dei diritti reali limitati. Dal punto di vista giuridico e de lege ferenda, l'operazione potrebbe definirsi come la combinazione di un procedimento espropriativo con una procedura atipica di retrocessione (cfr. art. 102 segg., segnatamente l'
art. 103 LEspr
relativo alla retrocessione di servitù prediali).
Questo tipo di procedura non è tuttavia previsto dalla legge di espropriazione: il Tribunale federale può solo verificare se l'originale sistema di calcolo adottato dalla CFS conduce nella specie ad un risultato compatibile con gli
art. 19 lett. a e 21 cpv. 1 LEspr
, cioè se la svalutazione dei fondi, determinata dall'elettrodotto e dalle sue servitù, è stata con tale calcolo adeguatamente tenuta in considerazione, come impone l'
art. 21 cpv. 1 LEspr
, nella fissazione del valore venale del terreno espropriato.
Nella fattispecie gli espropriati hanno accettato la deduzione effettuata per tale titolo dalla CFS: vincolato alle conclusioni delle parti, il Tribunale federale deve limitarsi ad esaminare se detta imputazione debba considerarsi sufficiente, e il ricorso dell'espropriante
BGE 119 Ib 447 S. 457
può prosperare solo se a tale quesito debba darsi risposta negativa.
c) Manifestamente, ciò non è il caso per una serie di considerazioni.
aa) Anche se sono state calcolate con un metodo empirico, le indennità corrisposte o conteggiate ai proprietari d'allora costituivano la contropartita della svalutazione subita dall'intero fondo in conseguenza della costruzione dell'elettrodotto e della costituzione delle servitù che l'accompagnano. Esigerne, dopo aver aggiornato gli importi, l'integrale restituzione in occasione dell'odierna espropriazione di porzioni relativamente esigue per rapporto alla superficie totale, è procedimento che favorisce l'espropriante.
bb) Esigere la restituzione integrale degli importi aggiornati è pure procedimento che favorisce l'espropriante, atteso che l'attuale espropriazione, se toglie agli espropriati la parte gravata dalla servitù di non costruire, non elimina l'elettrodotto e quindi non fa scomparire completamente la svalutazione dovuta alla sua semplice presenza.
cc) Anche un controllo più particolareggiato, che consiste nel raffrontare la deduzione ordinata dalla Commissione al valore pieno dell'intero fondo (1), poi al valore della sola parte espropriata (2) ed in fine al valore della sola parte colpita dall'onere di non edificare (3), non evidenzia nessun elemento che permetta di concludere che l'imputazione effettuata sia inferiore a quanto esige l'
art. 21 cpv. 1 LEspr
.
(Seguono i calcoli per i singoli casi, che dimostrano come le deduzioni effettuate per tener conto della svalutazione indotta dall'onere non possono esser considerate troppo esigue.)
Ne viene che i ricorsi debbono essere respinti. | public_law | nan | it | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b87c21f-8cf7-4ab9-bcd4-e170346e5e10 | Urteilskopf
113 Ib 303
48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. November 1987 i.S. E. gegen Z. und Mitbeiteiligte, Gemeinderat Richterswil, Verwaltungsgericht Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 RPG
, Ausnahmebewilligung.
Umwandlung eines mit einer landwirtschaftlichen Lenkungsmassnahme stillgelegten Schweinestalles in ein Lagergebäude in der Landwirtschaftszone.
- Ausnahmebewilligungspflicht nach
Art. 24 RPG
bejaht (E. 2).
- Die Umwandlung eines grösstenteils bodenunabhängigen Schweinezucht- und Mastbetriebes in ein Lagergebäude ist mehr als eine teilweise Änderung im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 RPG
(E. 3b) und kann mangels Standortgebundenheit auch nicht aufgrund von
Art. 24 Abs. 1 RPG
gestattet werden (E. 3a). | Sachverhalt
ab Seite 303
BGE 113 Ib 303 S. 303
Die Gemeinde Richterswil bewilligte E. im Jahre 1968, auf seinem Grundstück, das sich nach dem kommunalen Zonenplan ausserhalb der Bauzonen und nach dem kantonalen Nutzungsplan
BGE 113 Ib 303 S. 304
in der Landwirtschaftszone befindet, einen Schweinestall zu bauen. Im Einverständnis mit E. wurde der Schweinezucht- und Mastbetrieb durch Verfügung des Bundesamtes für Landwirtschaft vom 22. Oktober 1980 gestützt auf Art. 9 ff. der Verordnung über die Höchstbestände in der Fleisch- und Eierproduktion vom 10. Dezember 1979 im Sinne einer landwirtschaftlichen Lenkungsmassnahme stillgelegt (heute gilt die entsprechende Verordnung vom 26. August 1981, SR 916.344). Er erhielt hierfür eine Entschädigung von Fr. 113'760.--, die dem Zeitwert des Stalls abzüglich 20% des Gebäudewertes entsprach. Dieser Abzug von Fr. 20'640.-- wurde vorgenommen, weil das Gebäude ohne Inneneinrichtungen weiterverwendet werden könne.
Nach der Stillegung seines Zucht- und Mastbetriebes wandelte E. das Stallgebäude in Lagerräume mit zwei Büros um und vermietete diese an zwei Handelsbetriebe für Dentalgegenstände bzw. Geschenkartikel. Er ersuchte nachträglich um eine Bewilligung des Umbaus. Der Gemeinderat Richterswil verweigerte am 16. Januar 1984 die Bewilligung für den Umbau des Stalls in Büros und Lagerräume, stellte jedoch eine Bewilligung für die Nutzung des Schweinestalles als Lagerräume unter gewissen Bedingungen im Sinne eines Vorentscheides in Aussicht. Gegen diesen Entscheid erhoben sowohl E. als auch verschiedene Nachbarn Rekurs. Die Baurekurskommission II wies mit Entscheid vom 4. Februar 1986 den Rekurs von E. ab und hob in Gutheissung des Rekurses der Nachbarn die vom Gemeinderat in Aussicht gestellte Bewilligung für die Nutzung als Lagerräume auf. Sowohl das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich als auch das Bundesgericht bestätigten auf Beschwerde von E. hin den Entscheid der Baurekurskommission.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der Beschwerdeführer macht in erster Linie sinngemäss geltend, es sei gar keine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) notwendig. Das eidgenössische Landwirtschaftsgesetz, auf das sich die Verordnung über die Höchstbestände in der Fleisch- und Eierproduktion stütze, gehe als Grundlage der Stillegungsverfügung dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz vor. Es sei schon mit dieser landwirtschaftlichen Lenkungsmassnahme über die zonengerechte Nutzung der Stallbaute entschieden worden.
BGE 113 Ib 303 S. 305
b) Zwischen dem Landwirtschaftsgesetz und dem Raumplanungsgesetz besteht entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keinerlei Hierarchie. Beide Erlasse stehen als Bundesgesetze auf derselben Stufe. Mit der Stillegung des Schweinezucht- und Mastbetriebes des Beschwerdeführers wurde nicht zugleich über die zonengerechte Nutzung des Stallgebäudes entschieden. Die sogenannte Stillegungsverfügung ist ihrem Wesen nach eine reine Beitragsverfügung, weil für die freiwillige Stillegung eines Betriebes mit einem Überbestand von Tieren unter bestimmten Auflagen (Nutzungsverbot für die Haltung bestimmter Tiere, Anmerkung im Grundbuch, Entfernung von Stalleinrichtungen) Subventionen ausgerichtet werden. Es wurde somit lediglich über die Höhe des Beitrages und die damit verbundenen Auflagen und Bedingungen entschieden, nicht aber darüber, ob die Nutzung des Gebäudes künftighin zonengemäss sei oder nicht.
c) Das Verwaltungsgericht ging deshalb zutreffend davon aus, dass die innere Umgestaltung des Gebäudes zu gewerblichen Lagerräumen im Sinne von
Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG
nicht als zonengemäss betrachtet werden kann und dass deshalb die vorgenommene Zweckänderung einer Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG
bedarf.
3.
a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht erwogen, dass für die zu beurteilende Umgestaltung des Schweinestalles mangels Standortgebundenheit nur eine Ausnahmebewilligung gestützt auf
Art. 24 Abs. 2 RPG
in Frage kommt. Danach kann das kantonale Recht gestatten, Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu ändern oder wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Der Kanton Zürich hat hievon im bundesrechtlich zugelassenen Umfang Gebrauch gemacht (§ 2 Abs. 2 der Einführungsverordnung zum RPG vom 19. Dezember 1979/22. Dezember 1982; seit 1. Januar 1985 in
§ 357 Abs. 3 PBG
). Erneuerung, teilweise Änderung und Wiederaufbau sind bundesrechtliche Begriffe. Sie stellen die Grenze für Bewilligungen nach
Art. 24 Abs. 2 RPG
dar (
BGE 112 Ib 95
/96 mit Hinweisen).
b) Die Umwandlung des Stallgebäudes in gewerbliche Lagerräume ist weder eine Erneuerung noch ein Wiederaufbau im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 RPG
. Zu prüfen bleibt, ob es sich um eine teilweise Änderung handelt.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann eine Änderung im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 RPG
sowohl in einer Vergrösserung
BGE 113 Ib 303 S. 306
oder inneren Umgestaltung als auch in einer Zweckänderung bestehen. Sie ist als teilweise zu betrachten, soweit die Wesensgleichheit einer Baute gewahrt wird und keine wesentlich neuen Auswirkungen auf die Nutzungsordnung, Erschliessung und Umwelt geschaffen werden (
BGE 112 Ib 97
E. 3;
BGE 110 Ib 265
E. 3, je mit Hinweisen).
Das Bundesgericht hat im Falle der Umwandlung einer bestehenden Fuhrhalterei in einen Autospenglereibetrieb eine Zweckänderung angenommen, die nicht mehr unter den Begriff der "teilweisen Änderung" fällt (BGE vom 25. November 1981, in: Informationshefte Raumplanung S. 26). Desgleichen hat es die Umwandlung eines "Hangar agricole" in ein "Atelier de mécanique" als völlige Zweckänderung bezeichnet, so dass das Bauvorhaben unter
Art. 24 Abs. 1 RPG
falle (nicht publ. BGE vom 3. Februar 1982 i.S. Baudet). Von Wesensgleichheit einer Baute kann nur gesprochen werden, wenn die Zweckänderung nicht zu einer völlig neuen wirtschaftlichen Zweckbestimmung führt, sondern zu einer Nutzung, "die von der ursprünglichen Nutzungsart nicht grundlegend abweicht" (
BGE 108 Ib 53
ff., nicht publ. E. 2a). Keine solche völlig neue Zweckbestimmung sah das Bundesgericht in der Umwandlung eines Lagerplatzes für Baumaterialien in einen Lagerplatz für Altmaterialien (
BGE 112 Ib 270
E. 5). Diese Beispiele zeigen, dass die Umwandlung eines landwirtschaftlichen Betriebes in ein gewerblich genutztes Lager ohne Zweifel eine vollständige Zweckänderung bedeutet. Selbst wenn man den zum grössten Teil bodenunabhängigen Schweinezucht- und Mastbetrieb des Beschwerdeführers als Gewerbebetrieb qualifizieren wollte, würde dessen Umwandlung in ein Lagergebäude nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts den Rahmen der teilweisen Änderung im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 RPG
sprengen. Die Nutzung des Stallgebäudes als Lager für Handelsfirmen weicht von der ursprünglichen Nutzung grundlegend ab. Die Wesensgleichheit des Stalles ist dadurch nicht mehr gewahrt. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht verneint, dass die Umwandlung des Stallgebäudes gestützt auf
Art. 24 Abs. 2 RPG
bewilligt werden könne. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b898902-6fc8-41d1-a9fe-e118229c1eb6 | Urteilskopf
80 III 15
4. Entscheid vom 22. Mai 1954 i. S. Scholl. | Regeste
Nicht als Berufsgerät im Sinne von
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
zu betrachten ist das Automobil, das der Schuldner im Betrieb einer Aktiengesellschaft, deren einziger Aktionär er ist, verwendet. | Sachverhalt
ab Seite 15
BGE 80 III 15 S. 15
A.-
Armin Scholl ist der einzige Aktionär, Verwaltungsrat und Geschäftsführer einer nach ihm benannten Aktiengesellschaft. Diese befasst sich mit der Ein- und Ausfuhr und mit dem Vertrieb von Waren verschiedener Art. 1m Namen und für Rechnung der Gesellschaft verkauft Scholl namentlich Papeterie- und Lederwaren sowie Reiseartikel. Mit einem ihm selbst gehörenden Personenwagen Marke VW, Jahrgang 1953, Limousine mit Flachdach, pflegt er die Kunden (Ladengeschäfte) in der ganzen Schweiz und in Liechtenstein aufzusuchen. Dabei führt er nach seinen Aussagen gewöhnlich sieben oder noch mehr Koffer mit Reisemustern, im Gewicht von etwa 70 kg insgesamt, mit.
B.-
In drei von Privatgläubigern gegen Scholl angehobenen Betreibungen wurde neben andern Sachen das erwähnte Automobil gepfändet. Scholl beschwerte sich darüber, indem er vorbrachte, er könnte ohne das Automobil seinen Beruf als Reisevertreter nicht mehr, jedenfalls nicht in konkurrenzfähiger Weise ausüben. Mit Bahn und Postautomobil liesse sich nur ein Fünftel der Kundenbesuche ausführen. Dementsprechend ginge der Umsatz zurück. Er könnte nur noch zwei Musterkoffer mit sich nehmen und müsste wesentliche Teile der Kollektion zuhause lassen. Die Konkurrenzgeschäfte pflegten ihre Kunden gleichfalls mit Automobilen zu bedienen. Schliesslich
BGE 80 III 15 S. 16
sei er noch besonders wegen eines rheumatischen Leidens auf das Automobil angewiesen, um sich zu schonen und das Tragen schwerer Koffer zu vermeiden.
C.-
In beiden kantonalen Instanzen abgewiesen, hält Scholl mit vorliegendem Rekurs an der Beschwerde fest.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Der Rekurrent kann Unpfändbarkeit von Sachen nach
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
nur dann für sich in Anspruch nehmen, wenn er einen Beruf ausübt und hiefür das gepfändete Automobil nötig hat. Nun verwendet er es aber im Betrieb einer Aktiengesellschaft, und zwar nicht als deren Angestellter, der (wie dies gelegentlich bei Geschäftsreisenden vorkommt) die Kunden mit eigenem Wagen zu besuchen hätte. Vielmehr kommt ihm als einzigem Aktionär und Verwaltungsrat die Stellung eines Betriebsinhabers zu. Bei dieser Sachlage muss er aber wie die Aktiengesellschaft selbst als Unternehmer, nicht als Berufsmann, betrachtet werden. Und gleichwie der Aktiengesellschaft als juristischer Person von vornherein kein Unpfändbarkeitsanspruch nach Art. 92 Ziff. 3 (allenfalls in Verbindung mit
Art. 224 SchKG
) zusteht, da sie naturgemäss keinen Beruf ausüben kann (
BGE 63 III 17
), so steht es auch dem einzigen oder Haupt-Aktionär als Inhaber des Betriebes nicht zu, die dabei verwendeten, ihm gehörenden Werkzeuge und Gerätschaften als Kompetenzstücke in Anspruch zu nehmen und dem Zugriff seiner Privatgläubiger zu entziehen.
Nun versucht der Rekurrent freilich daraus, dass neben ihm im wesentlichen nur seine Ehefrau im Geschäfte der Aktiengesellschaft tätig sei, herzuleiten, es handle sich in Wirklichkeit um einen (nur eben in Form einer solchen Gesellschaft geführten) Kleinbetrieb mit Berufscharakter. Dem ist jedoch nicht beizustimmen. Die Aktiengesellschaft ist ihrem Wesen nach Kapitalunternehmung (Art. 620 Abs. 1/621 OR). Auch die Einmanngesellschaft verliert diesen Charakter nicht, der eben der Aktiengesellschaft
BGE 80 III 15 S. 17
notwendig innewohnt. Nichts Abweichendes folgt daraus, dass bei solchen Verhältnissen die wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft sich mit denen des einzigen oder Haupt-Aktionärs decken. Ist es auch gerechtfertigt, wegen dieser wirtschaftlichen Identität der beiden Rechtssubjekte gewisse Rechtsverhältnisse einer solchen Aktiengesellschaft auf den sie tragenden Hauptbeteiligten auszudehnen, und umgekehrt (vgl.
BGE 72 II 76
mit Hinweisen; GUHL, Schweizerisches Obligationenrecht, 4. Auflage, 444), so ist doch für die Natur des Betriebes die Art der Gesellschaft massgebend, in deren Namen und für deren Rechnung er geführt wird. Dass dies eine Unternehmung ist, bei der die kapitalistischen Erwerbsfaktoren bestimmend sind, ergibt sich übrigens im vorliegenden Falle auch noch aus der Art der Geschäfte (Grosshandel mit einem normalen Jahresumsatz von Fr. 150'000.-- bis 180'000.-- laut Aussagen des Rekurrenten) und dem Werte des Warenlagers (Fr. 20'000.--) und der Betriebseinrichtungen (Fr. 10'000.--).
Vollends geht es nicht an, über die Tatsache, dass das gepfändete Automobil einem als Aktiengesellschaft betriebenen Handelsunternehmen dient, hinwegzusehen und das Fahrzeug einfach deshalb, weil es dem Rekurrenten gehört und ihm dank seiner persönlichen Tätigkeit in jenem Unternehmen zu einem Erwerb verhilft, als Berufsgerät anzusehen. Damit würde einerseits die dem Rekurrenten nach dem Gesagten zuzuschreibende Unternehmerstellung verkannt, und anderseits wäre dieser Standpunkt darauf angelegt, die Interessen der Unternehmung, also der Aktiengesellschaft, auf Kosten der Privatgläubiger des Rekurrenten zu wahren, was als rechtsmissbräuchlich erschiene. Es ist nicht etwa die Rede davon, der Rekurrent stehe im Begriff, die Unternehmung aufzulösen oder in andere Hände übergehen zu lassen und mit seinem Automobil eine andere Tätigkeit aufzunehmen, die unter Umständen als Beruf im Sinne von
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
zu gelten hätte. Daher mag ungeprüft bleiben, ob ein solches im Zeitpunkt der Pfändung noch nicht verwirklichtes, aber in Ausführung befindliches
BGE 80 III 15 S. 18
Vorhaben gegebenenfalls zu Gunsten des Schuldners berücksichtigt werden könnte.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8b8c06ca-802d-4b71-90f8-95b43794c2ee | Urteilskopf
121 II 305
48. Estratto della sentenza della I Corte di diritto pubblico dell'8 agosto 1995 nella causa Comune di Breganzona c Eredi Fu Emilio Censi (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Art. 5 Abs. 2 RPG
,
Art. 4 und 22ter BV
; Zinsenlauf für eine Entschädigung wegen materieller Enteignung.
Wenn die für die Beurteilung von Beschwerden gegen Nutzungsplanungen zuständige Behörde ihren Entscheid über eine planerische Massnahme, die zu einer materiellen Enteignung führt, zu Unrecht verzögert, ist es gerechtfertigt, eine Verzinsung der Enteignungsentschädigung für die Dauer der Rechtsverzögerung zu gewähren. | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 121 II 305 S. 306
Il 15 febbraio 1974 il Consiglio comunale di Breganzona adottò un piano regolatore (PR). La particella n. 149 - allora di proprietà di Emilio Censi -, fu inserita in una zona per costruzioni di interesse pubblico (EP). Emilio Censi contestò senza successo il vincolo pianificatorio davanti al Consiglio di Stato e al Gran Consiglio. Quest'ultima autorità si pronunciò sul ricorso il 10 febbraio 1987, ossia dopo che erano trascorsi oltre 11 anni dall'entrata in vigore del vincolo.
L'11 agosto 1987 Emilio Censi ha fatto valere pretese per espropriazione materiale.
Erwägungen
Dai considerandi:
4.
(...)
c) La corresponsione di interessi sulla quota d'indennità per l'espropriazione materiale.
Tanto la prima quanto la seconda istanza cantonale (nella motivazione subordinata) hanno considerato che l'obbligo del Comune di Breganzona di corrispondere interessi sulla quota d'indennità per espropriazione materiale (fr. 105'560.-- pari a 130.-- fr./m2) principia dalla data dell'istanza (11 agosto 1987) con la quale il dott. Emilio Censi adì il Tribunale d'espropriazione.
aa) Di per sé conforme alla giurisprudenza del Tribunale federale (
DTF 113 Ib 33
consid. 3b,
DTF 114 Ib 125
, 294 consid. 5 e riferimenti), questa soluzione non tiene però conto delle particolarità del caso concreto. Essa trascura infatti di considerare che, tra il momento in cui con l'approvazione del Consiglio di Stato (3 febbraio 1976) la restrizione indotta dal vincolo EP è entrata in vigore ed ha fatto nascere la pretesa al pagamento dell'indennità per l'espropriazione materiale (sentenze citate), ed il momento in cui il Gran Consiglio ha finalmente liquidato il ricorso interposto dal dott. Censi contro l'imposizione del vincolo (10 febbraio 1987) sono trascorsi oltre 11 anni. Ciò costituisce un caso particolarmente crasso di ritardata giustizia lesiva dell'
art. 4 Cost.
Tenendo conto di una durata normale della procedura di ricorso davanti al parlamento cantonale (1 anno; v. la sentenza del 7 aprile 1982 nella causa
BGE 121 II 305 S. 307
Amacher c. Gran Consiglio, apparsa in Rep. 1983 pag. 318 segg. e l'art. 80 cpv. 1 della legge ticinese di procedura per le cause amministrative [LPamm]), ben si può dire che si è accumulato un ritardo di dieci anni. D'altro canto, non si può muovere rimprovero al dott. Censi, per aver atteso che l'istanza di ricorso cantonale si pronunciasse sul suo gravame avverso l'imposizione del vincolo EP, prima di notificare le proprie pretese al Comune; nell'ipotesi, infatti, di un esito favorevole del gravame, il fondo avrebbe ricuperato la sua vocazione edilizia, ed il pregiudizio sarebbe scomparso; neppure una corresponsione d'interessi sul capitale investito nel fondo sarebbe entrata in considerazione (v.
DTF 120 Ib 473
consid. 5e).
bb) In considerazione di tutte le circostanze, si deve pertanto ritenere che gli effetti dell'istanza 11 agosto 1987 del dott. Censi debbono esser fatti risalire nel tempo per il periodo decennale costituente ritardata giustizia. L'indennità per espropriazione materiale (fr. 105'560.--) frutterà quindi interesse dall'11 agosto 1977. Per quanto concerne il tasso d'interesse, si giustifica di applicare i tassi variabili di interesse compensatorio stabiliti dal Tribunale federale nelle istruzioni alle Commissioni federali di stima, i quali, come è notorio, sono regolarmente applicati nel Cantone Ticino. | public_law | nan | it | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8b97980e-b257-47cb-84bc-5bf5aaa74dff | Urteilskopf
110 Ib 266
46. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Oktober 1984 i.S. Politische Gemeinde Zollikon gegen Gemeinde Vaz/Obervaz und Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 14 Abs. 2 RPG
, Art. 31 des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden. Übriges Gemeindegebiet.
Vereinbarkeit der bündnerischen Vorschriften über das übrige Gemeindegebiet mit Bundesrecht (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 266
BGE 110 Ib 266 S. 266
Aus den Erwägungen:
4.
In materieller Hinsicht macht die Beschwerdeführerin zunächst geltend, es fehle eine klare gesetzliche Grundlage für die Belassung des grössten Teils ihres Grundbesitzes im übrigen Gemeindegebiet. Ob dies zutrifft, prüft das Bundesgericht nur dann frei, wenn es um einen besonders schweren Eingriff geht (
BGE 108 Ia 35
E. 3a mit Hinweisen). Es kann offen bleiben, ob von einem solchen gesprochen werden kann, wenn bei der erstmaligen Festsetzung eines Zonenplanes Grundstücke nicht eingezont werden, da sich die Rüge der Beschwerdeführerin auch bei freier Prüfung als unbegründet erweist.
Das kantonale Raumplanungsgesetz ordnet an, dass die Gemeinden das Baugebiet auszuscheiden haben und zwar in der Regel im Zonenplan (Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a). Das nicht in Bauzonen einbezogene Gebiet können sie z.B. Zonen für die Land- und Forstwirtschaft zuweisen (
Art. 23 und 30 KRG
), sie können es aber auch als "übriges Gemeindegebiet" bezeichnen,
BGE 110 Ib 266 S. 267
das grundsätzlich nur wie bisher zu nutzen ist, oder als Landwirtschaftszone behandelt wird, wenn die landwirtschaftliche Nutzung überwiegt (
Art. 31 Abs. 1 KRG
;
BGE 109 Ib 126
E. 2). Es besteht kein Zweifel, dass die von der Gemeinde Vaz/Obervaz am 28. November 1982 angenommenen Zonenpläne diesen gesetzlichen Vorschriften entsprechen.
Die Beschwerdeführerin wendet jedoch ein, die Vorschriften des kantonalen Rechts über das übrige Gemeindegebiet seien bundesrechtswidrig. Richtig ist, dass die Nutzungspläne "vorab Bau-, Landwirtschaft- und Schutzzonen" unterscheiden (
Art. 14 Abs. 2 RPG
). Das Raumplanungsgesetz des Bundes schliesst jedoch nicht aus, dass die Kantone und Gemeinden ihre Verpflichtung, Nutzungspläne zu erlassen, in mehreren Schritten erfüllen. Auch wenn die Bezeichnung "übriges Gemeindegebiet" gemäss
Art. 31 KRG
die Festsetzung präzis begrenzter Landwirtschaftszonen, welche das in
Art. 16 RPG
bezeichnete Land umfassen, nicht zu ersetzen vermag, ist es nicht bundesrechtswidrig, wenn zunächst die vordringliche Aufgabe der Baugebietsbegrenzung im Bauzonenplan erfüllt wird. Das Bundesrecht lässt es ausdrücklich zu, dass das kantonale Recht "Vorschriften enthalten kann über Gebiete, deren Nutzung noch nicht bestimmt ist oder in denen eine bestimmte Nutzung erst später zugelassen wird" (
Art. 18 Abs. 2 RPG
).
Art. 31 KRG
ist als solche Vorschrift zu verstehen (
BGE 109 Ib 127
E. 2b), freilich unter der Voraussetzung, dass sie in Übereinstimmung mit dem Bundesrecht angewendet wird, d.h. sie befreit den Kanton und die Gemeinden nicht davon, die vom Bundesrecht geforderten definitiven Landwirtschaftszonen festzulegen. In Berücksichtigung dieses bundesrechtlichen Gebots steht jedoch das Bundesrecht der Bezeichnung "übriges Gebiet" für die vorerst nicht einer bestimmten Zone zugewiesenen Flächen nicht entgegen. Die Einwendung der fehlenden gesetzlichen Grundlage bzw. deren Bundesrechtswidrigkeit geht daher fehl. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
8b9c57e3-dd19-4390-9971-072f100fc8cd | Urteilskopf
103 IV 138
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. August 1977 i.S. O. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern | Regeste
Art. 41 Ziff. 3 StGB
; Widerruf des bedingten Strafvollzugs.
Hat der Verurteilte nach einem ersten, von einem Widerruf absehenden Entscheid sich erneut nicht bewährt, darf der neue Widerrufsrichter den Vollzug nur anordnen, wenn das früher beurteilte Verhalten in Verbindung mit neuen Gründen dazu Anlass gibt. | Erwägungen
ab Seite 138
BGE 103 IV 138 S. 138
Aus den Erwägungen:
2.
Der bedingte Strafvollzug wurde widerrufen, weil der Beschwerdeführer in anderer Weise als durch Begehung neuer Verbrechen oder Vergehen das in ihn gesetzte Vertrauen getäuscht habe.
Die Täuschung des Vertrauens sieht das Obergericht darin, dass der Beschwerdeführer "unberücksichtigt die fortgesetzte Vernachlässigung von Unterstützungspflichten, allein während der zweijährigen Probezeit dreizehnmal gegen die Gesetze verstossen, davon fünfmal, seitdem das Kantonsgericht Nidwalden zweitinstanzlich erneut eine bedingte Warnstrafe ausgesprochen und die Probezeit des Rekurrenten entsprechend verlängert hatte".
Die Vorinstanz setzt damit voraus, sie habe für die ganze Dauer der für die erste Tat ausgesprochenen Probezeit zu prüfen, ob der Beschwerdeführer das in ihn gesetzte Vertrauen in anderer Weise als durch neue Verbrechen oder Vergehen getäuscht habe. Das geht insbesondere daraus hervor, dass sie
BGE 103 IV 138 S. 139
den Widerruf in erster Linie auf die 13 Übertretungen stützt, welche der Beschwerdeführer in der dreijährigen Probezeit verübt hat. Von diesen sind indessen acht verübt worden, bevor das Kantonsgericht Nidwalden seinerseits über den Widerruf des vom Amtsstatthalter Luzern verfügten bedingten Strafvollzuges entschieden hatte.
Dieser Betrachtungsweise kann nur bedingt zugestimmt werden. Ist der Richter, der das neue Verbrechen oder Vergehen zu beurteilen hat, für den Widerruf zuständig, so hat er das gesamte Verhalten des Verurteilten während der Probezeit zu würdigen, nicht nur jenes, welches mit dem neu beurteilten Verbrechen oder Vergehen zusammenhängt. Denn nur so kann beurteilt werden, ob begründete Aussicht auf Bewährung besteht. Hat dann der zuständige Richter gefunden, für das Verhalten des Verurteilten bis zur Zeit, wo der Richter über das neue Verbrechen oder Vergehen urteilt, sei von einem Widerruf abzusehen oder es genügten allenfalls andere Massnahmen als der Widerruf, so ist damit bis zu diesem Zeitpunkt über den Widerruf rechtskräftig entschieden. Es steht alsdann dem Richter, der den bedingten Strafvollzug bewilligt hat, nicht mehr zu, die Widerrufsfrage für dasselbe Verhalten, das der bedingt Verurteilte bis zu Beurteilung der neuen Verbrechen oder Vergehen an den Tag gelegt hat, anders zu entscheiden als der Richter, der die neuen strafbaren Handlungen beurteilt hat.
Anders verhält es sich aber, wenn der Verurteilte sich nach dem ersten Entscheid über den Widerruf erneut nicht bewährt hat. Alsdann muss wiederum über den Vollzug der bedingt ausgesprochenen Strafe oder eine allfällige Ersatzmassnahme befunden werden. In diesem neuen Entscheid muss das frühere Verhalten, soweit es eine Nichtbewährung im Sinne von
Art. 41 Ziff. 3 StGB
darstellt, mitberücksichtigt werden, auch wenn es im früheren Verfahren nicht zum Widerruf führte, und es ist zu prüfen, ob es in Verbindung mit den neuen Gründen zum Widerruf oder weitern Ersatzmassnahmen Anlass gibt. Es geht lediglich nicht an, dass der neue Widerrufsrichter allein auf Grund der schon früher beurteilten Tatsachen anders über den Widerruf oder sonstige Ersatzmassnahmen urteilen würde; denn damit würde er in die Rechtskraft des früheren Widerrufsentscheides eingreifen. Werden erst nachträglich Umstände bekannt, welche schon vor den
BGE 103 IV 138 S. 140
frühern Entscheiden eingetreten sind, so kann darin ein Grund für die Wiederaufnahme liegen, zu der grundsätzlich der Richter örtlich zuständig ist, welcher früher über den Widerruf zu befinden hatte. Sind aber neben den nachträglich bekannt gewordenen auch neue Widerrufsgründe eingetreten, so hat der Richter, der über die neu entstandenen Widerrufsgründe urteilt, auch über die schon früher eingetretenen aber erst später bekannt gewordenen Gründe zu befinden. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8ba490e0-eeeb-424c-985a-c778005c4264 | Urteilskopf
126 III 283
48. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 15 mai 2000 dans la cause Office fédéral de la justice contre la décision du 31 janvier 2000 rendue par l'Autorité de surveillance du registre du commerce du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Handelsregister. Widerruf der wegen Verlusts des Rechtsdomizils am statutarischen Sitz ausgesprochenen Auflösung einer Gesellschaft (Art. 86 Abs. 2 und 3,
Art. 88a HRegV
).
Berechnung der Frist von drei Monaten gemäss
Art. 86 Abs. 3 HRegV
(E. 3a und b).
Nach Ablauf dieser Frist ist es für die in Liquidation befindliche Gesellschaft nicht mehr möglich, einen Widerruf der Auflösung zu erreichen, welche vom Registerführer in Anwendung der
Art. 86 und 88a HRegV
von Amtes wegen ausgesprochen wurde (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 283
BGE 126 III 283 S. 283
Le préposé au Registre du commerce de Genève, après avoir appris que Q. S.A. n'avait plus d'adresse à son siège statutaire, a sommé en vain cette société de lui remettre sa nouvelle adresse. Il a alors ordonné sa dissolution d'office, désigné son administrateur en qualité
BGE 126 III 283 S. 284
de liquidateur et laissé à Q. S.A. un délai de trois mois pour régulariser la situation. L'inscription en résultant a été publiée, le 10 juin 1999, dans la Feuille officielle suisse du commerce (ci-après: FOSC).
Le 4 novembre 1999, Q. S.A. en liquidation a notamment annoncé au Registre du commerce qu'elle avait un nouveau siège social et requis la révocation de sa dissolution, ce que le Registre du commerce a refusé par décision du 11 novembre 1999.
L'Autorité cantonale de surveillance du registre du commerce a admis le recours déposé par Q. S.A. en liquidation à l'encontre de ce refus, annulé la décision attaquée et invité le préposé à donner suite à la réquisition du 4 novembre 1999.
L'Office fédéral de la justice interjette un recours de droit administratif au Tribunal fédéral contre la décision de l'Autorité cantonale de surveillance.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le recourant considère que la décision de l'Autorité cantonale de surveillance vide de leur substance les art. 86 al. 3 et 88a de l'ordonnance sur le registre du commerce du 7 juin 1937 (RS 221.411; ci-après: ORC).
a) Sous réserve d'une radiation d'office en cas d'absence d'actifs réalisables (
art. 89 ORC
), l'
art. 88a al. 1 ORC
prévoit que, lorsqu'une personne morale n'a pas de domicile légal au siège statutaire, le préposé au registre du commerce l'invite par sommation recommandée, par notification officielle ou, au besoin, par publication, sous menace de dissolution, à rétablir la situation légale dans un délai convenable, d'au moins trente jours. Les conséquences de l'inobservation de ce délai sont réglées à l'article 86 al. 2 et 3 ORC, applicable par analogie (
art. 88a al. 2 ORC
). Il en résulte que, s'il n'est pas donné suite à la sommation dans le délai imparti, le préposé inscrit la dissolution de la société et donne connaissance à cette dernière de la mesure prise. Il inscrit en qualité de liquidateurs les administrateurs, à moins que la société ne nomme d'autres liquidateurs (
art. 86 al. 2 ORC
). Si, dans les trois mois qui suivent l'inscription de la dissolution, la situation légale est rétablie et inscrite, la dissolution peut être révoquée en même temps (
art. 86 al. 3 ORC
).
Lorsque la communication de la dissolution ne peut être faite à la société parce que, comme en l'espèce, celle-ci a changé d'adresse sans en aviser le registre du commerce, le délai de trois mois de l'
art. 86 al. 3 ORC
commence à courir à partir de la date de publication
BGE 126 III 283 S. 285
à la FOSC (cf. arrêt du Tribunal fédéral non publié du 15 novembre 1996, dans la cause E. AG, L. et H. contre Registre du commerce et Direction de la justice du canton de Zurich, consid. 2). En outre, il faut que, dans ce délai, non seulement la situation légale soit rétablie, mais encore qu'elle soit annoncée au registre du commerce; il n'est en revanche pas nécessaire que l'inscription intervienne aussi dans ce délai (arrêt non publié du 15 novembre 1996, op. cit., consid. 4; dans ce sens également: KARL REBSAMEN, Das Handelsregister, 2e éd. Zurich 1999, no 738 p. 169; THOMAS KOCH, Das Zwangsverfahren des Handelsregisterführers, Bâle 1997, p. 154; BALTHASAR BESSENICH, Der Widerruf der Auflösung der Aktiengesellschaft von Amtes wegen gemäss Art. 86 Abs. 3 HRegV, Annuaire du Registre du Commerce 1994 p. 129 ss, 136).
b) En l'espèce, c'est à juste titre que le préposé, après avoir appris que la société en cause n'avait plus d'adresse à son siège statutaire et cherché en vain à atteindre son administrateur, a fait usage de la procédure prévue à l'
art. 88a ORC
(cf. KOCH, op. cit., p. 211). Conformément à l'alinéa 1 de cette disposition, il a alors imparti à la société, par sommation dans la FOSC du 28 avril 1999, un délai de trente jours pour requérir l'inscription d'un domicile légal. Comme cette interpellation est demeurée sans résultat, le préposé a fait application de l'
art. 86 al. 2 et 3 ORC
, en ordonnant la dissolution d'office de la société le 4 juin 1999 et en désignant son administrateur en tant que liquidateur, tout en lui laissant un délai de trois mois pour régulariser la situation. L'inscription en résultant a été publiée dans la FOSC le 10 juin 1999, de sorte que le délai de trois mois arrivait à expiration le 10 septembre de la même année, comme le préposé l'a du reste expressément précisé à l'administrateur par courrier du 23 juin 1999. Par conséquent, la société a procédé tardivement en annonçant, le 4 novembre 1999, au préposé qu'elle avait désormais un nouveau siège social et en requérant la révocation de la dissolution.
c) Reste à se demander si, malgré cette requête tardive, il est possible pour la société d'obtenir la révocation de la dissolution prononcée d'office par le préposé.
aa) L'Autorité cantonale de surveillance l'a admis en considérant en substance que, puisque, selon la jurisprudence (
ATF 123 III 473
), la dissolution d'une société anonyme peut être révoquée par l'assemblée générale tant que la répartition des actifs n'a pas commencé, le préposé devait tenir compte de la demande présentée le 4 novembre 1999 et y donner suite en vertu de l'
art. 937 CO
. Au
BGE 126 III 283 S. 286
surplus, les juges ont relevé qu'il était sans importance que cette demande ait été formulée postérieurement au délai de trois mois de l'
art. 86 al. 3 ORC
, puisque l'inobservation de ce délai n'empêchait pas de demander une nouvelle inscription en cas de modification de l'état de fait.
bb) La Cour de céans a déjà été amenée à se prononcer sur un cas comparable. Le préposé avait refusé de révoquer la dissolution d'une société prononcée d'office, dès lors que le rétablissement d'une situation conforme au droit lui avait été présenté après le délai de trois mois de l'
art. 86 al. 3 ORC
. Le recourant se plaignait de formalisme excessif, d'une violation du principe de la proportionnalité et considérait que le but du registre du commerce ne pouvait pas être la liquidation d'entreprises actives. A ces critiques, le Tribunal fédéral a répondu que l'
art. 708 al. 4 CO
, qui prévoyait la dissolution d'office de la société ne remplissant pas les exigences en matière de nationalité et de domicile des administrateurs, était déterminant. Cette disposition, que les autorités et les tribunaux devaient respecter, ne laissait pas de place à une appréciation entre l'intérêt soi-disant purement formel du registre du commerce et la suppression d'une entreprise avec ses places de travail (arrêt non publié du 15 novembre 1996, op. cit., consid. 3c). Ce raisonnement vaut aussi lorsque la personne morale n'a pas ou plus de domicile légal au siège statutaire, puisque l'
art. 88a ORC
renvoie, dans cette hypothèse, à l'
art. 86 al. 2 et 3 ORC
, qui régit la procédure sanctionnant l'inobservation des règles sur la nationalité et le domicile des administrateurs prévues à l'
art. 708 CO
. Avant l'introduction de l'
art. 88a ORC
, cette procédure était du reste déjà appliquée par analogie à la société qui n'avait pas de domicile légal au siège statutaire (cf.
ATF 94 I 562
consid. 4 p. 568). Il en découle que, si la société laisse expirer le délai de trois mois prévu à l'
art. 86 al. 3 ORC
pour rétablir une situation conforme au droit et l'annoncer au préposé du registre du commerce, elle ne peut plus requérir la révocation de la dissolution prononcée d'office.
Cette conception, certes formaliste, semble partagée par la doctrine, qui n'a cependant pas traité la question de manière approfondie. La plupart des auteurs se contentent de reprendre l'
art. 86 al. 3 ORC
en déclarant que la révocation de la liquidation ne peut intervenir que si la situation légale est rétablie et présentée au préposé dans le délai de trois mois (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Berne 1996, § 55 no 183; MARTIN WERNLI, Commentaire bâlois,
art. 708 CO
no 20; REBSAMEN, op. cit.,
BGE 126 III 283 S. 287
no 738 s. p. 169; KOCH, op. cit., p. 153; BESSENICH, op. cit., p. 137), ce qui laisse entendre, a contrario, que la révocation n'est plus possible passé ce délai. Certains auteurs le soulignent du reste expressément (THOMAS SCHMID, Das Zwangsverfahren des Handelsregisterführers beim Domizilverlust der Aktiengesellschaft, Annuaire du Registre du commerce 1994 p. 92 ss, 98; CLEMENS MEISTERHANS, Prüfungspflicht und Kognitionsbefugnis der Handelsregisterbehörde, thèse Zurich 1996, p. 168).
En outre, il ne faut pas perdre de vue que, comme le soutient avec pertinence l'Office fédéral recourant, permettre une révocation de la dissolution postérieurement au délai fixé à l'
art. 86 al. 3 ORC
, tel que l'admet l'Autorité cantonale de surveillance, revient à faire perdre tout sens à cette disposition dont le texte est clair. Or, le Tribunal fédéral ayant pour tâche de veiller à la correcte application du droit, il ne saurait confirmer une décision qui a pour résultat d'en faire abstraction.
cc) Il convient encore de préciser que l'Autorité cantonale de surveillance se méprend lorsqu'elle interprète l'
ATF 123 III 473
comme autorisant l'assemblée générale de la société anonyme à revenir sur la décision de dissolution du préposé. En effet, cette jurisprudence ne vise que le cas où la société, par l'intermédiaire de son assemblée générale, a elle-même décidé sa dissolution, mais non l'hypothèse où la dissolution est prononcée d'office (cf. PETER FORSTMOSER, Widerrufbarkeit des Auflösungsbeschlusses einer Aktiengesellschaft, RSDA 1998 p. 150 ss). La société n'est donc pas compétente pour révoquer la dissolution prononcée par le préposé du registre du commerce, de sorte que la décision prise par son assemblée générale à cet égard ne déploie aucun effet. En conséquence, le préposé n'a pas à en tenir compte sous l'angle de l'
art. 937 CO
.
Dans ces circonstances, le recours de droit administratif doit être admis et la décision attaquée annulée, ce qui signifie qu'il n'y a pas lieu de donner suite à la requête présentée par la société intimée le 4 novembre 1999, dans la mesure où celle-ci porte sur la révocation de sa dissolution prononcée d'office. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8ba53216-0bab-4b6e-be0a-a393f754f120 | Urteilskopf
101 V 208
43. Extrait de l'arrêt du 6 juin 1975 dans la cause St. contre Caisse cantonale valaisanne de compensation et Tribunal des assurances du canton du Valais | Regeste
Auszahlung von Zusatzrenten und Taggeldern an Drittpersonen (
Art. 22 und
Art. 35 IVG
). | Sachverhalt
ab Seite 208
BGE 101 V 208 S. 208
A.-
Les époux Pierre et Rose St., nés en 1929 et 1936, sont en instance de divorce. Par jugement du 11 janvier 1972 en matière de mesures protectrices de l'union conjugale, le juge avait autorisé la femme à avoir une demeure séparée et lui avait confié la garde de l'enfant, né en 1959. Considérant que, pour ce dernier, une pension de 420 fr. par mois paraissait équitable et qu'une rente de l'Assurance militaire - consécutive à un traumatisme crânien subi en 1949 à l'école de recrues - de 184 fr. 25 par mois (laquelle devait être portée par la suite à 310 fr. 50 dès 1973 et à 340 fr. par mois dès 1974) était déjà versée à cet effet en mains de l'épouse, il avait fixé à 240 fr. les mensualités dues en sus par le père pour son enfant.
Pierre St. a été victime à fin juillet 1972 d'un accident couvert par la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (qui paraît servir une rente de 415 fr. par mois). Par prononcé du 10 janvier 1974, la Commission cantonale valaisanne de l'assurance-invalidité lui a reconnu un taux d'invalidité de 80%, ouvrant droit à la rente dès le 1er juillet 1973, d'une part, et, d'autre part, lui a accordé dès le 14 janvier 1974 et pour 6 mois des mesures professionnelles de réadaptation assorties d'indemnités journalières. Aussi la Caisse cantonale valaisanne de compensation a-t-elle rendu diverses décisions: l'une d'elles, du 12 mars 1974, accordait à l'intéressé une rente entière simple d'invalidité de 620 fr. par mois, pour la période
BGE 101 V 208 S. 209
du 1er juillet 1973 au 31 janvier 1974. Une autre, du même jour, était adressée à l'épouse de l'assuré, à laquelle elle reconnaissait le droit à deux rentes complémentaires (de 217 fr. et 248 fr. par mois); Pierre St. fut formellement avisé du paiement de ces prestations-là en mains de la femme le 14 mars 1974. Une troisième décision, du 17 avril 1974, accordait au prénommé, pour la durée des mesures de réadaptation, une indemnité journalière de 66 fr. 70, dont 26 fr. 10 d'allocation pour personne seule à verser à l'assuré et 40 fr. 60 de suppléments de ménage et pour enfant à verser en mains de la femme.
B.-
Pierre St. a recouru contre deux des décisions ci-dessus, demandant en substance que les prestations soient toutes versées en ses mains, exception faite de la rente complémentaire pour l'épouse.
Le Tribunal des assurances du canton du Valais a invité l'épouse à participer à la procédure. Il a confirmé le paiement en mains de la femme de la rente complémentaire pour l'épouse, mais a nié que, pour les autres prestations litigieuses, les conditions d'un tel versement en mains de tiers soient réalisées. Par jugement du 2 juillet 1974, il a donc admis les recours: annulant partiellement la décision du 14 mars 1974, il a ordonné versement en mains de Pierre St. de la rente complémentaire pour enfant et, annulant la décision du 17 avril 1974, il a ordonné de même versement en mains du précité de la totalité de l'indemnité journalière.
C.-
Rose St. interjette recours de droit administratif. Elle conclut, sous suite de frais et dépens à la charge de la caisse de compensation ou de son mari, au versement en ses mains de la rente complémentaire pour enfant et de l'allocation de ménage.
Tandis que la caisse de compensation appuie les conclusions de la recourante, l'Office fédéral des assurances sociales propose au contraire le rejet du recours.
Quant à Pierre St., il conclut à la confirmation du jugement cantonal, sans frais à sa charge et sous suite de dépens.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le versement en mains de la femme de la rente complémentaire pour l'épouse n'est pas litigieux. Cela à juste titre,
BGE 101 V 208 S. 210
l'art. 34 al. 3 LAI prévoyant expressément un pareil mode de versement, dans des circonstances telles qu'en l'espèce; et le juge cantonal a constaté à raison que le fait de n'avoir pas respecté à la lettre certaines exigences administratives de forme n'y faisait pas obstacle.
Plus délicat est le problème de la rente complémentaire pour l'enfant. En effet, l'art. 35 al. 1 LAI désigne expressément le bénéficiaire de la rente d'invalidité comme ayant droit à la rente complémentaire, sans aucunement prévoir - au contraire de l'art. 34 LAI - de versement à un tiers dans certaines circonstances. La seule disposition légale autorisant un versement en mains de tiers est ainsi l'art. 76 al. 1 RAVS, applicable par analogie aux prestations en espèces de l'assurance-invalidité (art. 50 LAI et 84 RAI). Or il faut constater, à l'instar du juge cantonal, que le recours à l'art. 76 al. 1 RAVS n'entre ici pas en ligne de compte. Même si, au mépris de ses devoirs familiaux, l'ayant droit ne subvenait pas à l'entretien de l'enfant, celui-ci ne tomberait pas à la charge de l'assistance publique ou privée: la mère dispose actuellement d'un salaire mensuel de quelque 2'300 fr., d'une rente complémentaire de l'assurance-invalidité de 217 fr. par mois et en sus d'allocations familiales et de la rente de 340 fr. par mois que l'Assurance militaire verse en ses mains.
Il est vrai que, par une interprétation supplétive qui s'inspire notamment de l'esprit de la loi et du but final visé par la rente complémentaire, la jurisprudence a admis en certains cas le versement direct de la rente complémentaire pour l'enfant en mains du tiers qui s'occupe effectivement de l'entretien et de l'éducation de l'enfant, en dehors même de l'art. 76 al. 1 RAVS (voir p.ex. RO 98 V 216). Elle prévoit ainsi que la rente pour enfant à laquelle a droit un père invalide doit, sur demande, être payée en mains de l'épouse séparée ou divorcée lorsque celle-ci détient la puissance paternelle, que l'enfant n'habite pas avec le père invalide et que l'obligation d'entretien de celui-ci envers celui-là se borne au versement d'une contribution. Cette jurisprudence concerne donc des cas où, comme le relève le tribunal cantonal, la situation de droit est claire et en principe stable. Elle ne saurait être étendue à des situations éminemment labiles et provisoires, où le juge civil peut en tout temps prendre les mesures nécessaires à la sauvegarde des intérêts de l'union conjugale, en particulier obliger
BGE 101 V 208 S. 211
un débiteur d'opérer tout ou partie de ses paiements en mains de la femme (art. 171 CCS). Si l'administration intervenait d'elle-même dans de pareilles situations, elle s'immiscerait dans un domaine réservé en principe au juge civil; cette ingérence pourrait contrecarrer fort malencontreusement les mesures prises par ce dernier, certainement mieux à même qu'une caisse de compensation d'apprécier l'ensemble des circonstances familiales.
En l'espèce, une, sinon deux des conditions posées par la jurisprudence susmentionnée ne sont pas remplies: d'une part, le père n'est pas déchu de la puissance paternelle (seule la garde de l'enfant a été confiée à la mère) et, d'autre part, l'obligation d'entretien du père envers l'enfant ne se borne pas au versement d'une contribution mais demeure totale (preuve en soit le montant de pension de 420 fr. indiqué dans le jugement du 11 janvier 1972). Pierre St. a exécuté pour une large part cette obligation par le versement - certes sous contrainte - de sa rente de l'Assurance militaire en mains de l'épouse.
Dans ces circonstances, il se justifie donc de maintenir le paiement de la rente complémentaire pour enfant en mains de l'ayant droit, ainsi que l'a décidé le tribunal cantonal, une décision contraire du juge civil, conformément à ce qui a été dit plus haut, restant réservée (comme elle l'est du reste dans le cadre de l'art. 34 al. 3 LAI).
3.
S'agissant des indemnités journalières, celles-ci sont payées sous forme d'indemnité pour personne seule ou d'indemnité de ménage, ainsi que d'indemnité pour enfant, d'indemnité pour assistance et d'indemnité d'exploitation (art. 23 al. 1 LAI). La loi ne connaît ainsi pas, dans ce domaine, de prestations équivalant à la rente complémentaire pour l'épouse, qui ne saurait dès lors jouir d'un droit semblable à celui que consacre, en matière de rentes, l'art. 34 al. 3 LAI. Quant à l'indemnité pour enfant, elle ne saurait être versée à la mère en l'occurrence, pour les raisons qui ont été exposées au considérant 2 ci-dessus.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8baa77bb-a8ee-4c96-9ed6-3d005c875ec2 | Urteilskopf
88 II 158
25. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juli 1962 i. S. Held gegen Erlenhof Immobilien AG | Regeste
Art.216 Abs.2 OR
.
Ist die Einräumung eines Kaufrechtes an einem Grundstück nichtig, wenn die Abrede, wonach ein Teil des Kaufpreises sofort anzuzahlen sei, nicht öffentlich beurkundet wird? | Sachverhalt
ab Seite 158
BGE 88 II 158 S. 158
A.-
Am 27. November 1958 erklärte sich Fritz Held gegenüber Fritz Oppliger bereit, der durch diesen vertretenen Erlenhof Immobilien AG das übertragbare, jederzeit ausübbare und für die Dauer von zehn Jahren im Grundbuch vorzumerkende Recht einzuräumen, das in Burgdorf liegende Grundstück Nr. 2163 im Halte von 4027 m2 zum Preise von Fr. 14.- je m2, d.h. für Fr. 56'378.--
BGE 88 II 158 S. 159
zu kaufen. Oppliger versprach ihm, Fr. 4.- je m2, d.h. Fr. 16'108.-- anzuzahlen. Die Parteien liessen den Vertrag über das Kaufrecht am gleichen Tage öffentlich verurkunden. Obschon der Notar ihnen sagte, der Kaufpreis werde erst im Zeitpunkt der Ausübung des Kaufrechtes fällig werden, schwiegen sie über die vereinbarte Anzahlung. Sie wurde in der öffentlichen Urkunde nicht erwähnt, aber dennoch von Oppliger nach der Verurkundung am gleichen Tage geleistet, wobei er von Held eine Quittung unterschreiben liess, in der die Fr. 16'108.-- als "Anzahlung an Kaufpreis betr. Parzelle Nr. 2163 gemäss Kaufrechtsvertrag" bezeichnet wurden.
Am 3. August 1960 starb Held. Sein Sohn Peter ist sein einziger Erbe. Die Erlenhof Immobilien AG erklärte diesem am 7. März 1961, sie wolle das Kaufrecht ausüben. Der Vormund des Peter Held lehnte indessen die Zustimmung zur Übertragung des Grundstückes ab, weil er den Kaufrechtsvertrag für nichtig hielt.
B.-
Die Erlenhof Immobilien AG klagte gegen Peter Held auf Zusprechung des Eigentums am Grundstück. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.
Der Appellationshof des Kantons Bern sprach der Klägerin am 27. März 1962 das Eigentum zu und wies den Grundbuchführer von Burgdorf an, ihr das Grundstück im Grundbuch zuzuschreiben.
C.-
Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Appellationshofes aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der ein Kaufrecht an einem Grundstück begründende Vertrag bedarf zu seiner Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung (
Art. 216 Abs. 2 OR
). Er ist ein durch die Gestaltungserklärung des Berechtigten bedingter Kaufvertrag. Die Anforderungen an seine Form sind daher die
BGE 88 II 158 S. 160
gleichen wie für Kaufverträge über Grundstücke. Die Form muss alle wesentlichen Punkte des Vertrages decken (
BGE 45 II 565
,
BGE 86 II 36
).
Wesentlich sind namentlich die den Kauf kennzeichnenden Willenserklärungen, nämlich einerseits die Erklärung des Verkäufers, dem Käufer die Kaufsache übergeben und ihm das Eigentum daran verschaffen zu wollen, und anderseits das Versprechen des Käufers, dem Verkäufer den Kaufpreis zu zahlen. Deshalb macht z.B. die Nichtverurkundung eines Teils des vereinbarten Kaufpreises den Vertrag ungültig (
BGE 87 II 30
und dort angeführte Urteile).
Als wesentlich gelten auch jene Abreden, die für den Verkäufer oder den Käufer so wichtig sind, dass er ohne sie den Vertrag nicht abschlösse. Diese Bedeutung einer Abrede braucht sich nicht aus einer beim Vertragsschluss abgegebenen Erklärung zu ergeben, sondern sie kann auch aus den Umständen abgeleitet werden, besonders aus der sachlichen Wichtigkeit der Abrede (
BGE 68 II 233
).
2.
Der Beklagte hält an seiner im kantonalen Verfahren aufgestellten Behauptung, die Vertragschliessenden hätten die Fr. 16, 108.-- übereinstimmend als "Schwarzzahlung", d.h. als nicht verurkundeten zusätzlichen Preis betrachtet, nicht fest. Der Appellationshof erklärt sie denn auch als nicht bewiesen. Da das Bundesgericht die Beweiswürdigung nicht überprüfen darf (
Art. 63 Abs. 2 OG
) und die Beweislast den Beklagten trifft, der aus jener Behauptung die Nichtigkeit des Vertrages ableitete, ist davon auszugehen, dass die Vertragschliessenden, wie sie durch Unterzeichnung bzw. Annahme der Quittung vom 27. November 1958 anerkannten, die Fr. 16'108. - als "Anzahlung an Kaufpreis betr. Parzelle Nr. 2163 gemäss Kaufrechtsvertrag", also als Teil der verurkundeten Fr. 56'378. - betrachteten.
3.
Der Beklagte hält den Vertrag für ungültig, weil die öffentliche Urkunde die Verpflichtung zur Leistung dieser Anzahlung nicht erwähnt.
BGE 88 II 158 S. 161
a) Im Vertrag über die Einräumung eines Kaufrechtes braucht nicht bestimmt zu werden, wann der Kaufpreis fällig werde. Der Kaufberechtigte schuldet den Preis grundsätzlich erst, wenn er durch Ausübung seines Rechtes den bedingten Kauf zum unbedingten umgestaltet. Mangels abweichender Vereinbarung oder Übung werden die gegenseitigen Leistungen in diesem Zeitpunkt fällig (
Art. 75 OR
) und sind Zug um Zug zu erfüllen (Art. 184 Abs. 2, 217 Abs. 1, 221 OR). Das Bundesgericht hat denn auch bezüglich eines Kaufes entschieden, die Ordnung der Zahlungsbedingungen gehöre nicht zu den sog. essentialia negotii (
BGE 71 II 270
). Es kann daher nicht gesagt werden, Fritz Held und die Klägerin hätten durch Nichterwähnung der vereinbarten Anzahlung in der öffentlichen Urkunde eine Bestimmung unterdrückt, die zum Wesen des Vertrages über die Begründung eines Kaufrechtes gehöre, d.h. ohne die ein solches Recht nicht als eingeräumt gelten könne.
b) Der Beklagte beruft sich aufBGE 71 II 271, wo das Bundesgericht einen Kauf über Aktien, die dem Eigentümer die Verfügung über eine Liegenschaft ermöglichten, als nicht zustande gekommen erachtete, weil die vom Veräusserer vorbehaltene Einigung über "die Modalitäten der Übertragung, der Anzahlung usw." nicht erfolgte.
Daraus lässt sich für den vorliegenden Fall nichts ableiten. Die Vertragschliessenden behielten sich am 27. November 1958 nicht die Einigung darüber vor, ob und wann die Klägerin eine Anzahlung zu leisten habe. Sie waren einig, dass nach der Verurkundung des Vertrages sogleich Fr. 16'108. - anzuzahlen seien. Der Notar belehrte sie dann aber dahin, dass der Kaufpreis erst bei der Ausübung des Kaufrechtes fällig werde, wenn der Vertrag so laute, wie er ihn verfasste. Fritz Held musste also wissen, dass er die Anzahlung nicht fordern könne, wenn es bei dieser Fassung bleibe. Da er die Verurkundung des mündlichen Versprechens nicht verlangte, ist davon auszugehen, es habe ihm genügt, wenn er den Kaufpreis erst im Zeitpunkt der Ausübung des Kaufrechtes fordern könne. Das
BGE 88 II 158 S. 162
Versprechen der Anzahlung war ihm nebensächlich; es genügte ihm in nicht bindender Form, womit er sich gleich stellte, wie wenn es ihm überhaupt nicht abgegeben worden wäre. Die Auffassung, er hätte den Vertrag ohne diese Zusage nicht abgeschlossen, dringt daher nicht durch. Sie lässt sich nicht damit begründen, das zeitlich unbeschränkte und für zehn Jahre im Grundbuch vorzumerkende Kaufrecht habe Fritz Held so erheblich belastet, dass er es nicht eingeräumt hätte, wenn ihm nicht ein Teil des Kaufpreises sofort angezahlt worden wäre. An ihm war es, zu entscheiden, ob er sich trotz dieser Belastung mit einem unverbindlichen Anzahlungsversprechen begnügen oder ob er die Klägerin bei ihrer Zusicherung durch deren Aufnahme in die öffentliche Urkunde behaften wollte. Da er sich mit jener Möglichkeit zufrieden gab, kann die Abrede nicht nachträglich im Sinne vonBGE 68 II 233als eine kraft Parteivereinbarung oder sachlicher Wichtigkeit wesentliche Klausel hingestellt werden, die wegen Nichtverurkundung die Ungültigkeit des ganzen Vertrages zur Folge habe.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 27. März 1962 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8bb117df-9368-4a9e-a0cf-0cd18d53c580 | Urteilskopf
96 I 613
94. Urteil vom 25. September 1970 i.S. Müller gegen Eidg. Finanz- und Zolldepartement. | Regeste
Vollziehungsverordnung zum Alkoholgesetz und zum Bundesgesetz über dieKonzessionierung der Hausbrennerei vom6. April 1962 (VVAIkG).
1. Als Hausbrenner oder Hausbrennauftraggeber kann nach der Vollziehungsverordnung nur anerkannt werden, wer Landwirt ist. Welches sind die Voraussetzungen hiezu? (Erw. 1).
2. Ein Bäckermeister, der nebenbei 112 Aren grösstenteils als Wiesund Weideland für einiges Kleinvieh bewirtschaftet, ohne dafür wesentliche Zeit aufwenden zu müssen, ist kein Landwirt im Sinne der Vollziehungsverordnung. (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 613
BGE 96 I 613 S. 613
A.-
Fritz Müller führt in Niederösch eine Bäckerei. Er besitzt 353 a Grund und Boden, den er selbst bewirtschaftet. 241 a seines Grundbesitzes sind Wald. Von den restlichen 112 a hat er im Jahre 1969, wie eine Kontrolle ergeben hat, 15 a mit Getreide und 6 a mit Gemüse bepflanzt und 91 a als Wies- und Weidland genutzt. Er besitzt insgesamt 76 Obstbäume. Im Herbst 1969, am Tage der erwähnten Kontrolle, hielt er
BGE 96 I 613 S. 614
17 Schafe und 6 Schweine. Der Inspektor der Eidg. Alkoholverwaltung, der die Kontrolle durchführte, schätzt den Anteil der Bewirtschaftung von Grund und Boden an der gesamten Erwerbstätigkeit Müllers auf "nicht mehr als ca. 1/5". Müller selbst gibt sein Jahreseinkommen aus der Landwirtschaft mit Fr. 1630.--, jenes aus der Bäckerei mit Fr. 6500.-- an.
B.-
Am 18. November 1958 hatte die Eidg. Alkoholverwaltung Müller auf Grund des Bundesratsbeschlusses über die Umschreibung der nicht gewerbsmässigen Herstellung der gebrannten Wasser und über die Begrenzung des steuerfreien Eigenbedarfes vom 28. Dezember 1938 als Hausbrennauftraggeber anerkannt. Der für seinen Landwirtschaftsbetrieb und Haushalt erforderliche Branntwein aus Eigengewächs oder selbst gesammeltem Wildgewächs wurde ihm demzufolge als steuerfreier Eigenbedarf belassen. Am 13. November 1969 teilte die Eidg. Alkoholverwaltung Müller zu den voll steuerpflichtigen Branntweinproduzenten im Sinne von Art. 36 der Vollziehungsverordnung zum Alkoholgesetz und zum Bundesgesetz über die Konzessionierung der Hausbrennerei vom 6. April 1962 (VV AlkG) um. Das Eidg. Finanz- und Zolldepartement hat am 22. April 1970 eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde abgewiesen.
Fritz Müller ficht den Entscheid des Eidg. Finanz- und Zolldepartementes mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an. Das Eidg. Finanz- und Zolldepartement beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 57 Abs. 1 VV AlkG kann ein Hausbrenner den für seinen Haushalt und Landwirtschaftsbetrieb erforderlichen Branntwein aus Eigengewächs oder selbst gesammeltem inländischem Wildgewächs zum Eigenbedarf steuerfrei zurückbehalten. Als Hausbrenner gilt nach Art. 37 Abs. 1 VV AIG der Landwirt, der Inhaber einer Brennereieinrichtung ist, allein oder mit seiner Familie oder seinen Dientskräften einen Landwirtschaftsbetrieb selbst bewirtschaftet und ausschliesslich inländisches Eigengewächs oder selbst gesammeltes inländisches Wildgewächs brennt. Die für Hausbrenner geltenden Vorschriften sind sinngemäss auch auf Hausbrennauftraggeber anwendbar, d.h. auf Personen, die mangels eigenen Brennapparates
BGE 96 I 613 S. 615
Branntwein durch Dritte herstellen lassen, im übrigen aber den Anforderungen an einen Hausbrenner genügen (Art. 65 Abs. 2 VV AlkG).
Grundlegend für die Einteilung als Hausbrenner bzw. Hausbrennauftraggeber sind nach Art. 37 Abs. 1 VV AlkG somit die Begriffe "Landwirt" und "Landwirtschaftsbetrieb". Wie das Bundesgericht in einem neueren Entscheid festhält, kann als Landwirt im Sinne der Verordnung nur anerkannt werden, wer berufsmässig, sei es im Haupt- oder Nebenberuf, ein landwirtschaftliches Heimwesen, d.h. landwirtschaftlich nutzbares Land von einer gewissen Ausdehnung, bewirtschaftet. Berufsmässig übt nach diesem Entscheid eine landwirtschaftliche Tätigkeit aus, wer sich damit ein Einkommen, sei es in Geld oder Naturalien, schafft, das in seinem Haushalt ins Gewicht fällt (vgl.
BGE 93 I 501
ff.). Im zitierten Entscheid erübrigte es sich in Anbetracht des Sachverhaltes, den Begriff des Landwirtes noch näher zu umschreiben. Als Landwirt im Sinne der Verordnung kann aber nur gelten, wer die eben erwähnten Voraussetzungen erfüllt und überdies für seine Tätigkeit in der Landwirtschaft, sei es allein oder mit seiner Familie, ein erhebliches Mass an Zeit aufwenden muss. Beansprucht die Bewirtschaftung seines Bodens ihn allein oder mit seiner Familie nur während weniger Stunden seiner Freizeit, so kann er nicht als Landwirt bezeichnet werden, selbst wenn er vielleicht eine Fläche von einiger Ausdehnung nutzt und aus dieser Tätigkeit sich ein verhältnismässig ansehnliches Einkommen verschafft. Die Nutzung von Wald ist keine landwirtschaftliche, sondern eine forstwirtschaftliche Tätigkeit und fällt hier daher ausser Betracht (
BGE 93 I 502
).
2.
Der Beschwerdeführer ist Bäckermeister. Die Bodenfläche, die er landwirtschaftlich nutzt beträgt 112 a. Davon bebaut er nur einen geringen Teil, während der Rest ihm als Wies- und Weideland für sein Kleinvieh dient. Es kann sich deshalb schon fragen, ob sein Betrieb einen Landwirtschaftsbetrieb im Sinne von Art. 37 VV AlkG darstellt. Diese Frage kann aber offen bleiben, da der Beschwerdeführer ohnehin nicht als Landwirt im Sinne der Verordnung qualifiziert werden kann. Zwar gibt er an, aus seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit ein Jahreseinkommen von Fr. 1630.--zu erzielen, einen Betrag also, der im Verhältnis zu seinen übrigen Einkünften ins Gewicht fallen mag. Der für die Landwirtschaft des Beschwerdeführers
BGE 96 I 613 S. 616
erforderliche Zeitaufwand erscheint aber mit Rücksicht auf die gegenwärtige Bewirtschaftungsart zu gering, um ernsthaft ins Gewicht zu fallen. Auch wenn man die Mithilfe der Ehefrau dabei berücksichtigt, kann noch nicht von erheblichem Zeitaufwand gesprochen werden. Zu Recht hat die Vorinstanz deshalb dem Beschwerdeführer die Eigenschaft eines Hausbrenners oder Hausbrennauftraggebers aberkannt. Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf steuerfreien Bezug von Branntwein nach Art. 57 Abs. 1 VV AIG.
Zwar belässt die Verwaltung tatsächlich einzelnen betagten Produzenten, die bisher ununterbrochen als Hausbrenner oder Hausbrennauftraggeber anerkannt waren, zur Vermeidung von Härtefällen ausnahmsweise weiterhin eine begrenzte steuerfreie Branntweinmenge, auch wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllen. Der Beschwerdeführer bringt aber nichts vor, das die Anwendung dieser Praxis auf ihn rechtfertigen könnte. Er ist erst 58 Jahre alt und war lediglich während 12 Jahren als Hausbrennauftraggeber anerkannt. Dass seine 90-jährige Mutter bei ihm wohnt, vermag keine Ausnahme von der geltenden Regelung zu begründen. Die Beschwerde ist abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8bb8db6e-bf68-4769-8b17-0f98a7597d81 | Urteilskopf
94 IV 20
6. Urteil des Kassationshofes vom 4. April 1968 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Hurni. | Regeste
Art. 153 und 154 StGB
. Gewerbsmässigkeit.
1. Ob der Täter, der sich ausschliesslich gegen die gleiche Person vergangen hat, trotzdem bereit gewesen sei, gegen unbestimmt viele zu handeln, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab (Erw. 1).
2. Gewerbsmässig vergeht sich nur, wer selber bereit ist, gegen unbestimmt viele zu handeln (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 20
BGE 94 IV 20 S. 20
A.-
Landwirt Hurni lieferte in der Zeit vom 12. Februar 1964 bis 11. August 1965, als er Gemeindepräsident, Präsident der Käsereigenossenschaft Gurbrü und Vizepräsident des Amtsgerichtes Laupen war, der Käserei häufig Milch, der er vorher Wasser zusetzte. Die Zusätze betrugen im Durchschnitt etwa 10% und brachten Hurni insgesamt Fr. 400.-- ein.
BGE 94 IV 20 S. 21
B.-
Der a.o. Gerichtspräsident von Laupen verurteilte Hurni am 28. März 1966 wegen fortgesetzter Warenfälschung (
Art. 153 Abs. 1 StGB
) und fortgesetzten Inverkehrbringens gefälschter Waren (
Art. 154 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
) zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vierzehn Tagen sowie 300 Franken Busse.
Hurni appellierte an das Obergericht des Kantons Bern und verlangte Freisprechung. Der Generalprokurator schloss sich der Appellation an und beantragte, der Angeklagte sei wegen gewerbsmässiger Begehung der Straftaten zu zwei Monaten Gefängnis und 200 Franken Busse zu verurteilen.
Das Obergericht bestätigte am 25. Oktober 1966 das Urteil der ersten Instanz mit der Ausnahme, dass es die Gefängnisstrafe auf 30 Tage erhöhte.
C.-
Der Generalprokurator führt gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache zur Verurteilung des Angeklagten wegen gewerbsmässiger Begehung der Straftaten, eventuell zur Ergänzung der Beweise, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Hurni beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Gewerbsmässig handelt, wer in der Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, und mit der Bereitschaft, gegen unbestimmt viele zu handeln, die Tat wiederholt begeht (
BGE 86 IV 207
,
BGE 88 IV 19
und dort angeführte Urteile).
Nach dem angefochtenen Urteil hat der Angeklagte der Milch, die er in die Käserei lieferte, während anderthalb Jahren häufig, zeitweise sogar täglich Wasser zugesetzt. Die Vorinstanz nimmt zudem an, dass der Gelderwerb kaum Beweggrund seines Handelns, in seine Absicht aber eingeschlossen gewesen sei. Dagegen war der Angeklagte nach der Annahme des Obergerichts nicht bereit, gegen unbestimmt viele zu handeln. Diese Bereitschaft kann auch bestehen, wenn der Täter sich ausschliesslich gegen die gleiche Person vergangen hat. Voraussetzung ist nur, dass nicht aus besondern Gründen geschlossen werden muss, der Täter habe sich nur gerade gegen diese eine Person vergehen wollen und er wäre gegenüber andern Personen, selbst wenn sich ihm eine passende Gelegenheit geboten hätte, untätig geblieben (
BGE 86 IV 208
). Solche besondere Umstände aber lagen nach den Feststellungen des Obergerichts
BGE 94 IV 20 S. 22
beim Angeklagten gerade vor. Die Vorinstanz geht davon aus, dass das Erwerbsstreben bei Hurni kaum eine Rolle gespielt habe. Durch die Lieferung von mehr Milch an die Käserei, deren Präsident er gewesen sei, habe er vielmehr sein Prestige im Dorf bewahren wollen. Aus Personalmangel habe er seinen Viehbestand abbauen müssen; an Stelle von 100 und mehr Litern Milch habe er täglich nur noch 20 bis 30 Liter in die Käserei liefern können. Das müsse den ehrgeizigen und erfolgreichen Angeklagten, der die dominierende Figur im Dorfe gewesen sei, gequält und ihn, weil er nicht als kleiner Mann habe dastehen wollen, zu der Tat getrieben haben.
Diese Feststellungen des Obergerichts betreffen tatsächliche Verhältnisse und binden daher den Kassationshof (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
). Darnach hatte der Angeklagte keinen Grund, auch gegenüber irgendeinem Drittabnehmer eine grössere Milchproduktion vorzutäuschen; es ging ihm nur darum, bei den Käsereigenossen und damit in der Dorfgemeinschaft, wo die Milchablieferungen bekannt wurden, sein Ansehen nicht zu verlieren.
2.
Der Generalprokurator ficht das Urteil denn auch nicht unter diesem Gesichtspunkt an, sondern macht bloss geltend, dass die Milch zum Teil an die von der Käserei bedienten Konsumenten im Dorfe, und wer es auch sein möge, abgegeben werde. Der Milchproduzent, der gewässerte Milch mit dem Wissen, dass sie an beliebig viele weiterverkauft werde, in die Käserei liefere, tue es folglich auch mit der Bereitschaft zum Handeln gegen unbestimmt viele. Die Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung und müsse, wenn man der Sache auf den Grund gehe, in allen Fällen gestellt werden, wo Lebensmittelproduzenten gefälschte Waren an Verteilerorganisationen liefern.
Diese Ausdehnung des Begriffs der Gewerbsmässigkeit ist mit Recht schon von der Vorinstanz abgelehnt worden. Gewerbsmässiges Handeln wird schärfer bestraft, weil die Bereitschaft, gegen unbestimmt viele zu handeln, sozial besonders gefährlich ist (
BGE 86 IV 11
,
BGE 88 IV 19
und zahlreiche frühere Urteile). Massgebend ist somit, ob diese Bereitschaft beim Täter selber besteht. Er selber muss bereit sein, sein Handeln gegen unbestimmt viele zu richten, bei der gewerbsmässigen Warenfälschung (
Art. 153 StGB
) und beim Inverkehrbringen gefälschter Waren (
Art. 154 StGB
) also willens sein, die Ware
BGE 94 IV 20 S. 23
bei unbestimmt vielen anzubringen. Darauf, ob der Abnehmer seinerseits unbestimmt viele Kunden bedient, kommt es nicht an. Es verhält sich vielmehr gleich wie im Bereich des erlaubten Gewerbes, dem das Strafrecht die Merkmale der Gewerbsmässigkeit entnimmt (
BGE 86 IV 12
,
BGE 88 I 97
). Hier wie dort wird der Verkäufer einer Ware nicht schon dadurch zum Gewerbetreibenden, dass der Käufer mit solchen Waren ein Gewerbe betreibt. Auch das Wissen um den Handel des andern begründet noch keine eigene Gewerbsmässigkeit. Die Möglichkeit, dass der Abnehmer mit der Ware handelt, sie weiter in Verkehr bringt, ist schon in den einfachen Tatbeständen der Warenfälschung zum Zweck der Täuschung in Handel und Verkehr und des Inverkehrbringens gefälschter Waren eingeschlossen und kann daher nicht die Gewerbsmässigkeit kennzeichnen. Dass aber der Angeklagte selber nicht mit der Bereitschaft handelte, gegen unbestimmt viele tätig zu werden, wurde bereits ausgeführt. Aus diesen Gründen braucht die Sache auch nicht gemäss dem Eventualantrag an die Vorinstanz zurückgewiesen zu werden, damit sie untersuche, was mit der Milch in der Käserei tatsächlich geschehen sei.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8bb9f027-15ef-4b1c-90de-611dc871b098 | Urteilskopf
134 III 205
36. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. création SA et X. international SA contre Y. bijoux SA et Z. joaillerie Sàrl (recours en matière civile)
4A_288/2007 du 4 février 2008 | Regeste
Designschutz; Nichtigkeitsklage gegen internationale Eintragungen zum Schutz einer Schmuckkollektion.
Die Nichtigkeitsklage steht gegen die Eintragung von Designs offen, die mangels Neuheit oder Eigenart den gesetzlichen Schutz nicht geniessen (
Art. 33 DesG
; E. 3).
Beurteilung der Neuheit und der Eigenart der strittigen Designs durch Vergleich mit den Modellen eines früher veröffentlichten Katalogs (
Art. 2 DesG
; E. 5 und 6). | Sachverhalt
ab Seite 206
BGE 134 III 205 S. 206
A.
Les sociétés X. international SA et X. création SA sont actives dans la fabrication et la vente des articles de luxe, en particulier des produits de bijouterie, joaillerie et horlogerie.
X. international SA est titulaire de deux enregistrements de modèles auprès de l'Organisation mondiale de la propriété intellectuelle, destinés à protéger sa collection de bijoux N. L'enregistrement n° DM/ 045 361, du 4 juin 1998 et renouvelé jusqu'au 4 juin 2008, comprend vingt-deux modèles de bagues et pendentifs; l'enregistrement n° DM/048 915, du 14 avril 1999 et renouvelé jusqu'au 14 avril 2009, comprend nonante-quatre modèles. La Suisse est l'un des Etats désignés pour ces enregistrements.
La titulaire a concédé à X. création SA le droit d'exploiter ses modèles. Les bijoux N., réalisés selon lesdits modèles, se reconnaissent à la présence de diamants ou d'autres pierres précieuses insérés dans des douilles, lesquelles bougent librement entre deux parois parallèles et transparentes.
En février 2005, dans les vitrines de trois magasins exploités sous l'enseigne Y. bijoux à Genève, les sociétés X. ont découvert dix-huit exemplaires de bijoux présentant, selon elles, les formes et caractéristiques des modèles protégés. Ils étaient proposés à la vente à des prix sensiblement inférieurs aux leurs.
B.
Le 8 juin 2005, après qu'elles eurent obtenu et fait exécuter des mesures provisionnelles, les sociétés X. ont ouvert conjointement action contre Y. bijoux SA devant la Cour de justice du canton de Genève. Selon leurs conclusions ultérieurement modifiées, la Cour devait constater que les bijoux proposés par la défenderesse constituaient une violation des enregistrements n
os
DM/045 361 et DM/048 915; elle devait interdire à cette partie d'exposer, vendre, mettre en vente, mettre en circulation ou offrir de toute autre manière les bijoux litigieux; elle devait condamner la défenderesse à remettre toutes les pièces comptables, bulletins de livraison et factures relatifs à l'achat et à la vente de ces bijoux; elle devait ordonner la destruction de trente-et-un objets saisis dans le cadre des mesures provisionnelles; enfin, elle devait condamner la défenderesse au paiement de 14'420 fr. à titre de restitution du gain
BGE 134 III 205 S. 207
illicite, 17'000 fr. à titre de dommages-intérêts pour gain manqué et 5'000 fr. pour réparation morale.
La défenderesse a conclu au rejet de l'action.
Z. joaillerie Sàrl, également active dans le secteur des produits de bijouterie, avait fourni les pièces offertes à la vente par la défenderesse; elle est intervenue au procès. D'après les conclusions principales qu'elle dirigeait contre les demanderesses, la Cour devait constater la nullité des modèles n
os
1.1, 6.1 et 16 de l'enregistrement n° DM/045 361 et la nullité du modèle n° 85.1 de l'enregistrement n° DM/048 915, et révoquer les mesures provisionnelles; d'après ses conclusions subsidiaires, la Cour devait constater que les bijoux litigieux ne contreviennent pas aux droits conférés aux demanderesses par les modèles précités et que leur mise dans le commerce ne constitue pas un acte de concurrence déloyale.
La Cour de justice a statué le 8 juin 2007; accueillant les conclusions principales de l'intervenante, elle a constaté la nullité de ces quatre modèles. Selon son jugement, ils ne satisfaisaient pas aux conditions légales de nouveauté et d'originalité lors du dépôt à fin d'enregistrement. La Cour a débouté les demanderesses de toutes leurs conclusions.
C.
Agissant par la voie du recours en matière civile, les demanderesses ont requis le Tribunal fédéral d'annuler l'arrêt de la Cour de justice et de renvoyer la cause à cette autorité pour nouvelle décision.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours, dans la mesure où celui-ci était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Les enregistrements internationaux n
os
DM/045 361 et DM/048 915 ont été effectués dans le cadre de l'Arrangement de La Haye concernant l'enregistrement international des dessins et modèles industriels, actuellement régi, en ce qui concerne la Suisse, par l'Acte de Genève conclu le 2 juillet 1999 (RS 0.232.121.4) et par la loi fédérale du 5 octobre 2001 sur la protection des designs (LDes; RS 232.12). En vertu de l'
art. 52 al. 1 LDes
, cette loi s'applique aux dessins et modèles enregistrés avant son entrée en vigueur.
Aux termes de l'
art. 9 al. 1 LDes
, le droit à un modèle ou dessin industriel, dit design, confère à son titulaire le droit d'interdire aux
BGE 134 III 205 S. 208
tiers l'utilisation du design à des fins industrielles. Par utilisation, on entend notamment la fabrication, l'entreposage, l'offre, la mise en circulation et la possession à ces fins. Le droit prend naissance avec l'enregistrement du design dans le registre suisse (
art. 5 al. 1 LDes
), ou, si la Suisse est désignée, avec un enregistrement international effectué selon l'Arrangement de La Haye (
art. 29 LDes
).
Outre l'enregistrement, la protection légale suppose que le design soit nouveau et original (
art. 2 al. 1 LDes
). Dès le dépôt de la demande d'enregistrement, le design est présumé nouveau et original (
art. 21 LDes
).
Sur la base de l'
art. 33 LDes
, celui qui y a un intérêt juridique peut agir en justice afin de faire constater qu'un design enregistré ne bénéficie pas de la protection légale (ROBERT STUTZ/STEPHAN BEUTLER/ MURIEL KÜNZI, Designgesetz, Berne 2006, n. 14 ad
art. 33 LDes
). Le demandeur peut notamment faire valoir, le cas échéant, que ce design n'est pas nouveau ou pas original; il lui incombe de prouver le défaut de nouveauté ou d'originalité (STUTZ et al., op. cit., n. 18 et 19 ad
art. 33 LDes
). Il peut notamment présenter des objets au design identique et prouver que ces objets étaient commercialisés en Suisse déjà avant le dépôt de la demande d'enregistrement (cf. STUTZ et al., op. cit., n. 66 ad
art. 2 LDes
; arrêt 4C.344/2006 du 8 janvier 2007, consid. 2.2.2).
L'action en nullité de l'enregistrement peut aussi être exercée par voie d'exception contre une action fondée sur le design litigieux et tendant à l'interdiction prévue par l'
art. 9 al. 1 LDes
. Dans le cas d'un enregistrement international, l'action en nullité se rapporte exclusivement aux effets de cet enregistrement en Suisse. En cas d'enregistrement multiple de plusieurs designs, l'action peut tendre à l'annulation de certains d'entre eux seulement (STUTZ et al., op. cit., n. 16, 17 et 20 ad
art. 33 LDes
;
ATF 104 II 322
consid. 3 p. 326). Le droit cantonal de procédure doit prévoir une instance unique (STUTZ et al., op. cit., n. 7 ad
art. 37 LDes
) devant un tribunal supérieur (
art. 75 al. 2 LTF
).
En l'espèce, l'intervenante a exercé l'action en nullité et la Cour de justice lui a donné gain de cause. Les demanderesses reprochent à la Cour d'avoir retenu à tort que les designs litigieux ne sont ni nouveaux ni originaux.
(...)
BGE 134 III 205 S. 209
5.
Aux termes de l'
art. 2 al. 2 LDes
, un design n'est pas nouveau si un design identique, qui pouvait être connu des milieux spécialisés du secteur concerné en Suisse, a été divulgué au public avant la date du dépôt à fin d'enregistrement; cependant, d'après l'
art. 3 let. b LDes
, la divulgation n'est pas opposable à l'ayant droit si elle est le fait de celui-ci et qu'elle s'est produite dans les douze mois précédents. Le Tribunal fédéral contrôle librement l'appréciation de la nouveauté (
ATF 84 II 653
consid. 1 p. 655).
5.1
D'après le Message du Conseil fédéral du 16 février 2000 relatif à l'Acte de Genève et à la loi fédérale sur la protection des designs (FF 2000 p. 2587), la nouveauté d'un design n'est exclue que par l'existence de designs antérieurs identiques, tandis qu'une impression générale de ressemblance n'est pas suffisante (p. 2597). La notion de l'identité s'interprète donc étroitement, même si, conformément aux considérants de la Cour de justice, l'identité ayant pour effet d'exclure la nouveauté n'est pas absolue; il faut faire abstraction, en particulier, des éléments qui ne contribuent pas clairement à l'apparence générale de l'objet aux yeux du public (PETER HEINRICH, DesG/HMA: Kommentar, Zurich 2002, n. 46 ad
art. 2 LDes
). Ainsi, lorsqu'un design ne diffère d'un autre que par des détails peu perceptibles, il ne satisfait pas à l'exigence de la nouveauté (STUTZ et al., op. cit., n. 90 ad
art. 2 LDes
).
La nouveauté peut résulter de la combinaison concrète des caractéristiques qui, ensemble, donnent au design son apparence, également dans l'hypothèse où, considérées isolément, ces caractéristiques ne pourraient pas prétendre à la nouveauté (HEINRICH, op. cit., n. 47 ad
art. 2 LDes
). Lors de la comparaison avec un design préexistant, il faut se concentrer sur le produit dans son ensemble, ce qui ne signifie pas, toutefois, que l'on puisse se référer au critère de l'impression générale (opinion contraire: STUTZ et al., op. cit., n. 91 ad
art. 2 LDes
). La finesse des critères de comparaison est relative; elle dépend notamment de la grandeur de l'objet et de l'attention qui lui est consacrée (HEINRICH, op. cit., n. 53 ad
art. 2 LDes
). Enfin, pour juger de la nouveauté, les facultés d'appréciation du public cible, soit celles des personnes potentiellement intéressées à une acquisition, sont déterminantes (HEINRICH, op. cit., n. 57 ad
art. 2 LDes
).
Conformément à l'argumentation des demanderesses, s'il s'agit de comparer des bijoux qui sont le fruit d'un travail conjuguant
BGE 134 III 205 S. 210
esthétique et précision, les critères de comparaison doivent être particulièrement subtils. On ne saurait toutefois poser a priori que la comparaison doive s'effectuer "avec une précision de l'ordre du millimètre".
5.2
La Cour de justice constate que les demanderesses ont publié un catalogue de leur collection N. en 1996 déjà; elle considère que certains articles de ce catalogue présentent les mêmes caractéristiques principales que les designs litigieux et produisent la même impression générale parce que sur tous ces bijoux, soit des boucles d'oreilles, bagues ou pendentifs, on observe un élément de base, carré, rond ou en forme de coeur, à bords assez larges, avec une cavité en son centre dans laquelle sont placées une ou plusieurs pierres précieuses; en raison de cette similitude, la Cour retient que les designs contestés n'ont pas le caractère de nouveauté requis par la loi.
Ces considérations ne sont pas conformes au droit fédéral car une impression générale de ressemblance ne suffit pas à exclure la nouveauté; celle-ci doit être reconnue, au contraire, s'il y a absence d'identité entre les caractéristiques principales des modèles comparés.
Le modèle n° 1.1 de l'enregistrement n° DM/045 361 présente une bague carrée. Par rapport au catalogue de 1996, le cadre est plus étroit, la cavité est plus grande et la pierre précieuse mobile a une taille plus importante. Le modèle n° 6.1 est une bague ronde au bord plat, tandis que le catalogue montre un bord bombé. Le modèle n° 16 est un pendentif en forme de coeur; le bord est aussi plat plutôt que bombé; de plus, ce bord est plus large et la cavité est plus petite. Le modèle n° 85.1 de l'enregistrement n° DM/048 915 comporte une double bélière qui surmonte un pendentif de forme ronde; il n'est pas non plus identique à l'article visé dans le catalogue.
La comparaison entre les designs litigieux et les bijoux du catalogue, reproduits ou décrits dans la décision de la Cour, révèle que ces designs ne sont pas identiques; au contraire, ils se distinguent par des éléments qui ne peuvent pas être qualifiés de détails peu perceptibles. Dans ces conditions, les demanderesses sont fondées à critiquer la décision attaquée et soutenir que les designs sont nouveaux selon l'
art. 2 al. 2 LDes
.
6.
Aux termes de l'
art. 2 al. 3 LDes
, un design n'est pas original si, par l'impression générale qu'il dégage, il ne se distingue pas,
BGE 134 III 205 S. 211
sinon par des caractéristiques mineures, d'un design qui pouvait être connu des milieux spécialisés du secteur concerné en Suisse.
6.1
Dans une cause récente, le Tribunal fédéral a discuté la portée de cette disposition au regard des principes consacrés en droit de l'Union européenne, de la conception développée par le Conseil fédéral dans son message du 16 février 2000, de la jurisprudence relative à la législation fédérale antérieure et des critiques de la doctrine (
ATF 133 III 189
consid. 3 p. 190). Il n'y a pas lieu de revenir sur ce débat dans la présente affaire; il convient plutôt de s'en tenir aux critères dont le Tribunal fédéral a confirmé la pertinence.
L'
art. 8 LDes
prévoit que la protection d'un design enregistré s'étend aux designs qui présentent les mêmes caractéristiques essentielles et qui, de ce fait, produisent la même impression générale. Les critères de cette disposition (
ATF 129 III 545
consid. 2 p. 548) sont aussi valables pour apprécier le caractère d'originalité exigé par l'
art. 2 al. 3 LDes
(
ATF 133 III 189
consid. 5.1.1 p. 194).
L'impression générale ne résulte pas des détails du design à examiner mais de ses caractéristiques essentielles. L'originalité est ainsi niée même si un nombre significatif de détails diffèrent par rapport à un design antérieur, quand les designs comparés produisent une impression générale de similitude; on doit analyser les similitudes plutôt que les différences. Il ne s'agit pas d'apprécier l'activité créatrice à l'origine du design censément original, alors même qu'une forme produisant une impression générale de nouveauté est nécessairement le résultat d'un acte créateur et d'un effort minimum d'invention. Il faut se référer aux facultés d'appréciation des personnes intéressées à une acquisition, qui examinent attentivement l'objet proposé; l'impression générale est celle qui subsiste à court terme dans la mémoire d'une telle personne (
ATF 133 III 189
consid. 3.2 in fine p. 192, consid. 3.3 et 3.4;
ATF 129 III 545
consid. 2.3 p. 551). En cas de contestation, le juge peut fonder son appréciation sur une comparaison directe du design litigieux avec les modèles préexistants (
ATF 129 III 545
consid. 2.6 p. 553). Cette appréciation relève de l'application du droit fédéral; sur recours, le Tribunal fédéral la contrôle librement, selon ses propres conceptions et connaissances (
ATF 133 III 189
consid. 5.1.2 p. 194).
Les demanderesses font valoir que dans l'industrie de la bijouterie, une multitude de nouveaux objets sont développés et produits chaque année; à leur avis, la possibilité de créer de nouveaux designs
BGE 134 III 205 S. 212
s'en trouve limitée et l'appréciation de l'originalité doit tenir compte de cette situation. Il est exact que dans un secteur où la possibilité de création est effectivement restreinte, le destinataire du produit consacre plus d'attention aux détails. Cette circonstance influence donc la faculté d'appréciation des personnes intéressées à une éventuelle acquisition. Or, cette faculté est déterminante selon la jurisprudence précitée; ladite circonstance est ainsi prise en considération avec ce critère (HEINRICH, op. cit., n. 74 ad
art. 2 LDes
).
6.2
Selon la Cour de justice, les designs litigieux produisent la même impression générale que les modèles présentés dans le catalogue de 1996, parce que tous présentent une cavité centrale, en forme de carré, de rond ou de coeur, dans laquelle sont placées, derrière une paroi transparente, une ou plusieurs pierres précieuses. La Cour retient que les différences considérées comme majeures par les demanderesses, soit la largeur de la bordure supérieure des montures, son aspect plat et lisse, ainsi que la section carrée des bords autour de la cavité, relèvent d'une simple nuance de style; ces différences ne font pas passer au second plan la caractéristique première de l'objet, celle que retient principalement l'observateur, à savoir l'existence de cette cavité centrale. Les différences sont d'ailleurs difficiles à constater sur les designs et le catalogue, ces documents n'offrant que des vues en plan. Enfin, certaines de ces différences résultent de nécessités techniques, soit garantir que la cavité possède un volume et une profondeur suffisant à permettre aux pierres de se mouvoir librement.
A teneur de l'
art. 4 let
. c LDes, la protection légale est exclue lorsque les caractéristiques du design découlent exclusivement de la fonction technique du produit. La Cour de justice s'est référée à cette disposition pour retenir que l'aspect large, lisse et plat des bords entourant la cavité des bijoux, ainsi que la section carrée de ces bords, ne sont pas susceptibles de protection. Il n'est pas nécessaire d'examiner les critiques que les demanderesses développent sur ce point car, comme on le verra, l'originalité des designs litigieux doit être niée même si l'on tient compte de ces particularités.
6.3
Le modèle n° 1.1 de l'enregistrement n° DM/045 361 est un élément carré fixé sur un anneau; en son centre, il incorpore un objet rond. La Cour de justice nie son originalité après comparaison avec des pendentifs présentés dans le catalogue de 1996.
BGE 134 III 205 S. 213
Les designs doivent-ils toujours être comparés avec des designs du même genre, soit, par exemple, celui d'une bague avec celui d'une autre bague, ou est-il admissible de comparer des designs de genres différents, tels celui d'une bague avec celui d'un collier? Conformément aux opinions développées en doctrine (HEINRICH, op. cit., n. 82 ad
art. 2 LDes
, n. 62 et 63 ad
art. 8 LDes
; MARKUS WANG, Designrecht, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, vol. VI, Bâle 2007, p. 68/69), la comparaison peut dépasser les limites du genre de produit et s'étendre à des objets qui ne se prêteraient pas à une substitution. Si le design représentant une bague ne pouvait être comparé qu'avec des bagues, cela permettrait à un concurrent de reprendre l'élément caractéristique de cette bague pour le placer sur un collier, sans que le créateur de la bague ne puisse s'y opposer. Cette solution ne serait pas conforme à l'
art. 8 LDes
qui protège, outre le design enregistré, ceux qui présentent les mêmes traits caractéristiques ou essentiels, et qui éveillent, de ce fait, la même impression générale.
Avec plusieurs figures du catalogue, le modèle n° 1.1 a en commun la cavité centrale contenant un ou plusieurs diamants. L'anneau auquel cet élément est fixé est si simple qu'il doit être qualifié d'élément secondaire. Les chaînes des pendentifs sont aussi des éléments secondaires. Partant, l'élément caractéristique du design litigieux - un carré dans lequel se trouve une cavité contenant un diamant mobile - est le même que celui des pendentifs. Les différences avancées par les demanderesses, à savoir la largeur de la bordure, le fait qu'elle n'est pas sertie de diamants et son aspect anguleux, relèvent des caractéristiques secondaires. Au demeurant, la bordure des bijoux du catalogue semble aussi anguleuse. Ainsi, ce que retient l'acheteur intéressé, c'est cette cavité contenant des diamants mobiles.
Le modèle n° 6.1 est un élément rond posé sur un anneau; cet élément présente une cavité et un objet rond est incorporé en son centre. Le bord de la cavité est plat tandis que le catalogue montre un bord bombé. Cette variation n'atténue pas l'impression générale de ressemblance qui découle de la forme ronde et de la cavité centrale pourvue d'une pierre précieuse mobile. Le modèle n° 16, pendentif en forme de coeur, appelle le même commentaire; la variation porte sur le bord plat plutôt que bombé, plus large avec une cavité plus petite. Le modèle n° 85.1 de l'enregistrement n° DM/ 048 915 possède une cavité contenant un nombre différent de
BGE 134 III 205 S. 214
diamants - cinq au lieu de trois - avec la même forme ronde et une bordure aussi large que divers bijoux du catalogue. Il est vrai que la bordure de ces bijoux est bombée et, ça et là, ornée de diamants, et que la bélière est simple alors que celle du modèle litigieux est double. Toutefois, ces différences relèvent une fois encore des caractéristiques secondaires et l'impression générale du modèle enregistré reste la même par rapport aux bijoux du catalogue.
Il s'ensuit que, conformément à la décision attaquée, les designs litigieux ne sont pas originaux aux termes de l'
art. 2 al. 3 LDes
; cela conduit à la confirmation du jugement qui constate la nullité de leur enregistrement et refuse aux demanderesses la protection de l'
art. 9 al. 1 LDes
. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8bbb72b5-7c57-4f9a-b1c2-a3177140d894 | Urteilskopf
136 III 392
58. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. SA contre A. (recours en matière civile)
4A_91/2010 du 29 juin 2010 | Regeste
Arbeitsvertrag; unmittelbar anwendbares Recht eines Drittstaates (
Art. 19 IPRG
).
Voraussetzungen gemäss
Art. 19 IPRG
für die Berücksichtigung einer Norm ausländischen Rechts trotz einer Rechtswahl zugunsten schweizerischen Rechts (E. 2.2).
Zwingende Bestimmung panamaischen Rechts, die einem Matrosen, der auf einem unter panamaischer Flagge fahrenden Schiff beschäftigt ist, eine Entschädigung bei Entlassung einräumt (E. 2.3.1). Enger Zusammenhang zwischen dem Sachverhalt und dem zwingenden Recht des Drittstaates? Frage offengelassen (E. 2.3.2). Der schweizerische Richter kann die panamaische Norm nicht ausnahmsweise berücksichtigen, da nach schweizerischer Rechtsauffassung das Arbeitnehmerinteresse an einer vorgenannten Abgangsentschädigung nicht für schützenswert und überwiegend zu halten ist (E. 2.3.3). | Sachverhalt
ab Seite 393
BGE 136 III 392 S. 393
A.
Ressortissant espagnol actuellement domicilié en Espagne, A. a travaillé comme soudeur dès le 20 septembre 1989 pour la société de droit suisse Y. SA, à (...), active dans la construction de pipelines sous-marins. Un contrat de travail a été signé par les parties en date du 1
er
janvier 1996. Dès le 1
er
mai 2000, les rapports de travail ont été repris tels quels par la société de droit suisse X. SA, à (...), dont le but est la mise à disposition de personnel pour les sociétés du groupe Y. A. travaillait sur le navire "MV Z." appartenant au groupe Y. et battant pavillon panaméen.
Le 23 décembre 2004, X. SA a résilié le contrat de travail pour le 31 mars 2005.
B.
Le 26 avril 2006, A. a déposé une demande contre X. SA devant le Tribunal civil de la Veveyse. Il concluait au paiement d'un montant équivalent à six mois de salaire, soit 31'045,50 euros ou 50'240 fr., plus intérêts. Le demandeur invoquait la loi panaméenne n° 8 du 26 février 1998 sur le travail en mer et sur les voies navigables (ci-après: la loi panaméenne n° 8), décrétée d'ordre public, dont l'
art. 56 al. 1 let
. f accorde à l'employé qui a travaillé plus de 60 mois sur un bateau une indemnité de licenciement correspondant à 600 % de son salaire mensuel. Il faisait valoir que cette règle de droit panaméen pouvait être prise en considération en application de l'
art. 19 LDIP
, dès lors que la protection des travailleurs ayant oeuvré longtemps pour le même employeur faisait également partie de l'acquis du droit suisse.
X. SA a conclu à l'irrecevabilité de la demande, subsidiairement à son rejet.
Par jugement incident du 31 octobre 2007, le Tribunal civil de la Veveyse a déclaré la demande recevable. Par jugement du 7 novembre 2008, il a rejeté l'action, considérant que seul le droit suisse était applicable, à l'exclusion du droit panaméen.
Statuant le 16 novembre 2009 sur appel de A., la I
e
Cour d'appel civil du Tribunal cantonal du canton de Fribourg a admis le recours
BGE 136 III 392 S. 394
et condamné X. SA à verser au travailleur une indemnité de 50'240 fr., plus intérêts à 5 % l'an à partir du 31 mars 2005. L'autorité cantonale a relevé que la loi panaméenne n° 8 avait pour but la protection des travailleurs et que le droit suisse connaissait également des règles de protection, en particulier après de longs rapports de travail ainsi que par le biais de la LAVS et de la LPP. Après avoir constaté qu'aucun système de prévoyance sociale n'avait été appliqué au demandeur, la cour cantonale a jugé, en application de l'
art. 19 LDIP
, qu'un intérêt légitime et manifestement prépondérant imposait la prise en considération du droit panaméen.
C.
X. SA a interjeté un recours en matière civile. (...) Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé l'arrêt cantonal et rejeté l'action introduite par A. contre X. SA.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
La recourante reproche tout d'abord à la cour cantonale d'avoir violé l'
art. 19 LDIP
(RS 291) en prenant en considération l'
art. 56 al. 1 let
. f de la loi panaméenne n° 8. A son sens, au moins deux des trois conditions cumulatives mises à l'application de la disposition de droit international privé suisse ne sont pas remplies. Premièrement, il ne serait pas établi que la situation en cause ait un lien étroit avec le droit panaméen, l'autorité cantonale relevant elle-même que le rattachement administratif du navire au Panama est le seul lien avec cet Etat. En second lieu, la recourante fait valoir qu'aucun intérêt légitime et manifestement prépondérant au regard de la conception suisse du droit ne justifie l'application du droit panaméen plutôt que du droit suisse, l'
art. 339b CO
instituant déjà une indemnité à raison de longs rapports de travail qui reste d'actualité pour les travailleurs non soumis à la prévoyance professionnelle obligatoire.
A titre subsidiaire, la recourante invoque l'arbitraire dans l'établissement des faits. A son avis, les juges fribourgeois ne pouvaient pas déduire de l'absence de déductions sociales sur la fiche de salaire de l'intimé que ce dernier n'était soumis à aucun système de prévoyance. En particulier, la cour cantonale aurait méconnu le principe selon lequel la sécurité sociale est une affaire de souveraineté nationale et qu'elle s'applique aux personnes domiciliées dans le pays concerné, voire aux citoyens de cet Etat travaillant à l'étranger; la recourante se réfère à cet égard au droit espagnol de la sécurité sociale, qui prévoit que les
BGE 136 III 392 S. 395
marins émigrants et leur famille de nationalité espagnole peuvent souscrire à une convention spéciale dans ce domaine. En outre, la recourante fait observer que le travailleur n'a jamais allégué qu'il ne bénéficiait d'aucune prévoyance professionnelle, de sorte que la cour cantonale aurait retenu ce fait en violation de l'
art. 8 CC
.
2.2
Les parties ont soumis le contrat de travail au droit suisse, qui correspond au droit de l'Etat dans lequel l'employeur a son siège. Ce choix porte sur l'un des droits admis par l'
art. 121 al. 3 LDIP
(cf.
art. 21 al. 4 LDIP
). L'élection de droit est par conséquent valable.
L'
art. 19 LDIP
relatif aux lois d'application immédiate d'un Etat tiers permet, à certaines conditions, d'écarter le droit choisi par les parties, en particulier dans le domaine du droit du travail (STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6
e
éd. 2006, n° 24 ad
art. 319 CO
p. 100 s.; BERNARD DUTOIT, Droit international privé suisse, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 4
e
éd. 2005, n° 8 ad
art. 19 LDIP
p. 81; FRANK VISCHER, in Zürcher Kommentar zum IPRG, 2
e
éd. 2004, n° 33 ad
art. 19 LDIP
; KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, in Zürcher Kommentar zum IPRG, 2
e
éd. 2004, n° 42 et n° 53 ad
art. 121 LDIP
; STEPHANIE MILLAUER
,
Sonderanknüpfung fremder zwingender Normen im Bereich von Schuldverträgen [Art. 19 IPRG und Art. 7 Abs. 1 EVÜ], 2001, p. 143; VISCHER/HUBER/OSER, Internationales Vertragsrecht, 2
e
éd. 2000, n° 906 p. 418). Selon l'alinéa 1 de cette disposition, le juge peut prendre en considération une norme impérative d'un droit autre que celui désigné par la LDIP lorsque des intérêts légitimes et manifestement prépondérants au regard de la conception suisse du droit l'exigent et que la situation visée présente un lien étroit avec ce droit étranger. L'
art. 19 al. 2 LDIP
précise qu'une prise en considération de la disposition étrangère suppose de tenir compte du but qu'elle vise et des conséquences qu'aurait son application pour arriver à une décision adéquate au regard de la conception suisse du droit. Selon la jurisprudence, le recours à l'
art. 19 LDIP
doit rester exceptionnel, comme dans tous les cas où une loi d'application immédiate est en jeu (
ATF 130 III 620
consid. 3.5.1 s. p. 630 s.; arrêt 5C.60/2004 du 8 avril 2005 consid. 3.1.2, non publié in
ATF 131 III 418
; cf. DUTOIT, op. cit., n° 4 ad
art. 19 LDIP
p. 78).
2.3
Il convient d'examiner si les conditions de l'
art. 19 LDIP
sont réalisées en l'espèce, comme la cour cantonale l'a admis.
2.3.1
La première condition a trait à la volonté du législateur étranger d'appliquer la disposition considérée de manière impérative, soit
BGE 136 III 392 S. 396
expressément, soit implicitement, en raison du but particulier de la norme (MÄCHLER-ERNE/WOLF-METTIER, in Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2
e
éd. 2007, n° 14 ad
art. 19 LDIP
; DUTOIT, op. cit., n° 4 ad
art. 19 LDIP
p. 78; VISCHER, op. cit., n° 19 ad
art. 19 LDIP
).
En l'espèce, l'autorité cantonale a constaté de manière à lier la cour de céans (cf.
ATF 130 III 620
consid. 3.2 p. 625) que, selon son art. 1, la loi panaméenne n° 8 est d'ordre public et règle dans leur totalité les relations entre employeurs et employés à bord des navires battant pavillon panaméen. Il faut en déduire le caractère impératif de l'art. 56 de la loi panaméenne n° 8, qui accorde une indemnité spéciale, variant en principe selon la durée des rapports de travail, au membre d'équipage engagé pour une durée indéterminée et licencié sans juste motif.
2.3.2
Une autre condition d'application de l'
art. 19 LDIP
porte sur le lien étroit devant exister entre la situation visée et le droit impératif de l'Etat tiers. L'exigence d'un tel lien suppose plus que n'importe quel rattachement invoqué par la norme étrangère (JEAN-LUC CHENAUX, L'application par le juge des dispositions impératives étrangères non désignées par la règle de conflit du for, in RDS 1988 p. 69). Le juge examinera, du point de vue de l'Etat du for, si les liens de la cause avec le droit de l'Etat tiers sont suffisamment importants pour justifier la prise en considération de la norme impérative étrangère. Un point de rattachement spécial peut consister, notamment, dans le lieu d'exécution, le lieu d'exploitation, le lieu de situation d'une chose ou le lieu de résidence d'une partie au contrat. Il s'agira alors de déterminer si ce rattachement fonde un lien étroit en tenant compte du but et de la fonction de la norme d'intervention de l'Etat tiers (
ATF 130 III 620
consid. 3.3.1 p. 625 et les références). Ainsi, par exemple, le lieu de situation de l'objet loué est le critère de rattachement déterminant pour les mesures de protection des locataires (VISCHER, op. cit., n° 21 ad
art. 19 LDIP
).
En l'espèce, l'art. 56 de la loi panaméenne n° 8 entend s'appliquer au personnel travaillant sur les navires battant pavillon panaméen. Pour le rattachement objectif, il est admis de manière générale que les rapports de travail des marins sont soumis au droit du pavillon (DUTOIT, op. cit., n° 4 ad
art. 121 LDIP
p. 422; KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, op. cit., n° 31 ad
art. 121 LDIP
; KURT SIEHR, Das Internationale Privatrecht der Schweiz, 2002, p. 295;
le même
, Billige Flaggen in teuren Häfen, in Festschrift für Frank Vischer, 1983, p. 314; ROGER HISCHIER, Das
BGE 136 III 392 S. 397
Statut des Arbeitsverhältnisses entsandter Arbeitnehmer schweizerischer Unternehmen, 1995, p. 51; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Zürcher Kommentar, 3
e
éd. 1973, n° 284 ad allgemeine Einleitung). Cette règle se retrouve d'ailleurs dans la loi fédérale du 23 septembre 1953 sur la navigation maritime sous pavillon suisse (LNM; RS 747.30), dont l'art. 68 soumet au droit suisse le contrat d'engagement de tous les marins, quelle que soit leur nationalité, qui servent à bord des navires enregistrés dans le registre des navires suisses et arborant ainsi le pavillon suisse. D'aucuns se sont toutefois interrogés sur le caractère judicieux de ce rattachement pour les travailleurs occupés sur des bâtiments navigant sous un pavillon de complaisance (REITHMANN/MARTINY, Internationales Vertragsrecht, 7
e
éd. 2010, n° 4870 p. 1447; SIEHR, Billige Flaggen, op. cit., p. 314).
Dès lors que le pavillon est un rattachement objectif généralement admis en matière de contrat de travail et que le droit suisse applique ce principe aux marins oeuvrant sur les navires arborant le pavillon suisse, il paraît a priori difficile de nier en l'espèce le lien étroit au sens de l'
art. 19 LDIP
entre les relations de travail des marins et le droit du Panama. D'un autre côté, le pavillon de cet Etat est considéré comme un pavillon de complaisance et la cour cantonale relève elle-même que la seule relation avec le Panama est le rattachement administratif du navire à cet Etat. Or, il s'agit d'une situation dans laquelle il n'existe précisément pas de véritable lien avec l'Etat du pavillon (cf. KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, op. cit., n° 32 ad
art. 121 LDIP
). La question peut toutefois rester ouverte puisque, comme on va le voir, la troisième condition de l'
art. 19 LDIP
n'est de toute manière pas remplie dans le cas particulier.
2.3.3
Il y a lieu d'examiner à présent si des intérêts légitimes et manifestement prépondérants au regard de la conception suisse du droit exigent la prise en considération de la norme impérative de l'Etat tiers.
2.3.3.1
Contrairement à la version française de l'
art. 19 LDIP
, les versions allemande et italienne précisent que les intérêts en question sont ceux d'
une partie
. La jurisprudence n'a pas tranché entre les différentes versions (cf.
ATF 130 III 620
consid. 3.4.1 p. 628). Il n'est pas nécessaire non plus d'approfondir cette question en l'occurrence. En effet, le texte français, qui a une portée plus large (même arrêt, ibid.), n'exclut pas de prendre en considération les intérêts d'une partie. Or, les intérêts en jeu dans le cas particulier sont manifestement ceux d'une partie, soit le travailleur.
BGE 136 III 392 S. 398
La mise en oeuvre de l'
art. 19 LDIP
suppose un jugement de valeur: l'intérêt à l'application de la norme impérative étrangère doit être digne de protection selon la conception suisse du droit et l'emporter manifestement sur l'intérêt à l'application de la
lex causae
. Conformément à l'
art. 19 al. 2 LDIP
, l'éventuelle prise en considération du droit impératif d'un Etat tiers dépendra du but poursuivi par la disposition en cause et des conséquences de ce rattachement spécial. L'appréciation se fera selon les valeurs fondamentales de l'ordre juridique suisse. A cet égard, il n'est pas nécessaire que le droit suisse connaisse des normes impératives semblables; il suffit que le but poursuivi par la disposition étrangère soit conforme à la conception suisse (IVO SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, Allgemeiner Teil, 3
e
éd. 2000, p. 253). L'éventuelle prise en considération de normes d'un Etat tiers doit permettre, dans un cas particulier, d'aboutir à un résultat qui tienne compte de l'effet desdites dispositions sur le rapport juridique en cause et sur la situation de la partie concernée d'une manière conforme à la conception suisse du droit (
ATF 130 III 620
consid. 3.5.1 p. 630).
Dans le domaine du contrat de travail, des dispositions protectrices impératives d'un Etat tiers, en particulier du pays du lieu de travail, pourront trouver à s'appliquer par le biais de l'
art. 19 LDIP
(VISCHER/HUBER/OSER, op. cit., n° 800 p. 368; ANDREAS BUCHER, Droit international privé suisse, Partie générale, vol. II, 1995, n° 552 p. 217; Message du 10 novembre 1982 concernant une loi fédérale sur le droit international privé, FF 1983 I 403 ch. 282.26). Il s'agira par exemple de normes impératives - de droit public ou de droit privé - relatives au travail le dimanche et les jours fériés, à la durée maximale du travail, à l'interdiction du travail des enfants, à la prévention des risques et des accidents ou encore au salaire minimal (KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, op. cit., n
os
55-57 ad
art. 121 LDIP
).
2.3.3.2
L'art. 56 al. 1 de la loi panaméenne n° 8 accorde au marin licencié sans juste motif une indemnité fixée selon l'échelle suivante:
let. a: 20 % du salaire mensuel pour une durée de service de 1 à 5 mois;
let. b: 30 % du salaire mensuel pour une durée de service de plus de 5 mois jusqu'à 11 mois;
let. c: 100 % du salaire mensuel pour une durée de service de plus de 11 mois jusqu'à 23 mois;
let. d: 300 % du salaire mensuel pour une durée de service de plus de 23 mois jusqu'à 35 mois;
BGE 136 III 392 S. 399
let. e: 400 % du salaire mensuel pour une durée de service de plus de 35 mois jusqu'à 60 mois;
let. f: 600 % du salaire mensuel pour une durée de service de plus de 60 mois.
Il ne s'agit pas d'une indemnité pour résiliation immédiate injustifiée au sens où l'entend l'
art. 337c CO
. En effet, l'indemnité panaméenne est versée dans tous les cas où le contrat de travail de durée indéterminée est résilié, pour autant qu'aucun juste motif ne soit réalisé. L'indemnité en jeu est une indemnité de départ, dont l'ampleur dépend uniquement de la durée des rapports de travail; son montant croît jusqu'à une durée de service de cinq ans, pour ensuite se stabiliser à six mois de salaire mensuel. Elle n'est pas une prime de fidélité à proprement parler puisqu'elle est due déjà après un mois de service, mais la fidélité, jusqu'à cinq ans, est prise en compte dans le calcul du montant dû. L'octroi de l'indemnité panaméenne ne suppose pas que le travailleur licencié ait atteint un certain âge, ni qu'il ait été longtemps au service de l'employeur. Elle se distingue en cela de l'indemnité à raison de longs rapports de travail instituée par l'
art. 339b CO
. Accordée au travailleur de plus de 50 ans qui a travaillé 20 ans au moins pour l'employeur, l'indemnité suisse avait, à l'origine, pour but d'inciter l'employeur à créer un système de prévoyance; elle a servi de transition jusqu'à ce que soit instituée la prévoyance obligatoire dans les entreprises (
ATF 131 II 593
consid. 3.1 p. 601). Ne reposant pas sur la même conception, l'indemnité panaméenne n'apparaît pas comme un substitut à une prestation de prévoyance. Contrairement à ce que la cour cantonale laisse entendre, l'indemnité de départ panaméenne ne poursuit pas un objectif social et se présente bien plutôt comme une récompense de caractère purement patrimonial (cf. JÜRG EMIL EGLI, L'indemnité de départ dans le contrat de travail, 1979, p. 45).
Le but de la disposition panaméenne en cause ne rentre ainsi pas dans les valeurs fondamentales de protection du travailleur. Au regard de la conception suisse du droit, l'intérêt du travailleur à obtenir l'indemnité de départ panaméenne ne peut être considéré comme légitime et prépondérant au point d'amener le juge suisse à prendre en considération, à titre exceptionnel, une norme impérative d'un Etat tiers sur la base de l'
art. 19 LDIP
. Le grief tiré d'une violation de cette disposition est dès lors fondé.
Il s'ensuit que la cour cantonale n'avait pas à prendre en considération la loi panaméenne n° 8 et à accorder à l'intimé l'indemnité qu'il réclamait sur cette base. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8bbccb82-144c-4acc-aa37-e2ca75c3d629 | Urteilskopf
96 V 97
27. Extrait de l'arrêt du 21 décembre 1970 dans la cause Société vaudoise et romande de secours mutuels contre Illiet et Cour de justice de Genève | Regeste
Art. 1 Abs. 2, 4 und 5 Abs. 3 KUVG.
Wirkungslosigkeit einer Änderung von Versicherungsbedingungen gegenüber einem Versicherten, dem sie nicht mitgeteilt worden war. | Erwägungen
ab Seite 97
BGE 96 V 97 S. 97
Extrait des considérants:
La question de principe qui se pose ici est celle de la portée des décisions tendant à modifier les conditions d'assurance, à l'égard des assurés qui n'en ont pas eu connaissance.
Que la caisse-maladie doive avoir le droit d'ajuster en tout temps cotisations et prestations, dans les limites légales, cela découle du système de la répartition, sur lequel se fonde ce genre d'assurance. Encore faut-il que la modification décidée soit conforme à l'intérêt général, conçu dans l'esprit de la mutualité, ce qui est sans doute le cas en l'espèce. La caisse a même pris le soin de donner aux sociétaires touchés par le changement de régime la faculté d'en atténuer les inconvénients en contractant une couverture spéciale dans un certain délai.
Mais le droit de modifier les conditions d'assurance n'implique pas forcément que la décision de modification soit opposable à tous les assurés sans aucune formalité. Il est de la plus haute importance pour chacun d'entre eux de savoir dans quelle mesure il est couvert. Il faut donc que la caisse communique aux sociétaires touchés, sinon toutes ses décisions, du moins celles qui réduisent dans une mesure appréciable les prestations
BGE 96 V 97 S. 98
sur lesquelles ils pouvaient compter. Sans cela, ils ne seraient en mesure ni de choisir leur médecin et le mode de traitement au mieux de leurs intérêts, ni de conclure un complément d'assurance, ni éventuellement de changer d'assureur. Lorsque la caisse omet de communiquer à un sociétaire une décision dont il devrait ainsi avoir connaissance, cette décision n'est point opposable au sociétaire qui se trouve, à cause de cette omission, dans l'erreur sur ses droits. Il faut maintenir un juste équilibre entre les exigences d'une saine gestion, d'une part, et le souci de respecter les droits de chaque assuré, d'autre part. Or, il n'est nullement nécessaire à une saine gestion de priver les assurés à leur insu de prestations qui leur avaient été garanties. Ici aussi, les modalités de la mesure administrative, au sens large du terme, doivent être proportionnées au but à atteindre.
En l'occurrence, les statuts de la Société vaudoise et romande de secours mutuels prévoient que les décisions de nature générale qui obligent les assurés leur sont communiquées individuellement (art. 27). Etant donné l'ampleur du cercle d'activité de la caisse, cette règle est certainement la plus apte - en comparaison, par exemple, avec des publications - à renseigner efficacement les intéressés. Il se trouve pourtant que l'intimée n'a pas reçu une communication importante. De ce fait, elle s'est fait soigner en clinique privée, sans savoir que les prestations d'assurance sur lesquelles elle comptait avaient été réduites. L'eût-elle su qu'elle eût peut-être préféré entrer à l'Hôpital cantonal, en salle commune; il ressort du dossier qu'elle est de condition modeste. En conséquence, la recourante ne saurait se prévaloir à l'encontre de l'intimée de la modification qu'elle l'a laissée ignorer.
Dans ces circonstances, la question de savoir si l'intimée aurait eu le droit de contracter une assurance complémentaire sans réserve, alors même qu'elle se savait malade, souffre de demeurer indécise. S'agissant d'une mesure en quelque sorte transitoire, destinée à atténuer les conséquences d'un changement de régime, cela n'est pas forcément exclu. | null | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8bbd2376-02b7-42d2-9c99-ee14be052f26 | Urteilskopf
110 IV 87
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1984 i.S. P. gegen R. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 173 ff. StGB
; ehrverletzende Äusserungen in einer Rechtsschrift; Mitwirkung von Partei und Rechtsanwalt.
Wer seinem Anwalt bei der Prozessinstruktion ehrverletzende Angaben über die Gegenpartei macht, tut dies - unter Vorbehalt konkreter gegenteiliger Anzeichen - mit dem Willen, dass jener sie in seinen Rechtsschriften verwende. Der Verletzte hat deshalb bei der Stellung des Strafantrages im Regelfall von einer Beteiligung von Partei und Anwalt auszugehen (E. 1b).
Art. 30 StGB
; Strafantrag bei Mitwirkung mehrerer an einer Straftat.
Der gültig gegen einen Mitwirkenden gestellte Strafantrag gilt - ohne ausdrückliche Beschränkung - auch gegenüber allen andern Tatbeteiligten. Das Unterbleiben der Verfolgung eines Mitbeteiligten hat keinen Einfluss auf den Fortbestand des Strafantrags gegenüber weiteren Delinquenten (E. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 88
BGE 110 IV 87 S. 88
A.-
Rechtsanwalt R. klagte im Jahre 1979 gegen seine frühere Klientin, G., auf Bezahlung seines Anwaltshonorars. In diesem Prozess wirkte P. als Vertreter der Beklagten. In seiner Klageantwortschrift vom 28. Februar 1980 führte er aus: "Die Beklagte hat vielmehr den Eindruck, dass bei der Ausarbeitung der Klageschrift eine massive Erhöhung des Zeitaufwandes vorgenommen wurde, um wenigstens den eingeklagten Betrag ausweisen zu können." G. hatte P. gegenüber einen entsprechenden Verdacht geäussert, nachdem Rechtsanwalt R. ein Honorar von ca. Fr. 130'000.-- berechnet, aber bloss Fr. 80'000.-- eingeklagt hatte. Der letztere reichte in der Folge gegen P. eine Strafklage wegen Ehrverletzung ein.
B.-
Am 7. Februar 1984 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich P. wegen übler Nachrede zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 1'000.--.
C.-
P. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und das vorliegende Verfahren einzustellen, eventuell sei die Sache zur Einstellung an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell sei der Beschwerdeführer vollständig freizusprechen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe die inkriminierte Äusserung gestützt auf die Instruktion von G. in die Klageantwortschrift übernommen; sie stamme somit von seiner Klientin. Er habe lediglich wiedergegeben, was ihm diese gesagt habe. G. sei infolgedessen Urheberin der Äusserung, weshalb sie im Sinne von
Art. 30 StGB
an der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat beteiligt gewesen sei. Nach dem Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrags richte sich aber dieser immer zugleich gegen alle an der Tat Mitwirkenden. Gemäss Lehre und Rechtsprechung habe die vom Beschwerdegegner "innert der Antragsfrist und in der vom zürcherischen Strafprozessrecht geforderten Form eingereichte Anklage somit [...] zugleich die Wirkung eines Strafantrags gegen alle Beteiligten" gehabt. "Damit aber war auch gegen G., obschon nicht in der Anklageschrift genannt, nach Bundesrecht ein rechtswirksamer Strafantrag gestellt." Werde ein Antrag gegen einen Beteiligten gestellt, so sei die Strafuntersuchung von Amtes wegen auf alle anderen auszudehnen. Das sei hier nicht geschehen, weshalb ein entsprechender Antrag vor zweiter
BGE 110 IV 87 S. 89
Instanz habe gestellt werden müssen. Damit solle verhindert werden, dass der Verurteilte nach seinem Belieben einen einzelnen Beteiligten herausgreife unter Ausschluss der anderen. Genau das aber sei vorliegend geschehen, indem der Beschwerdegegner seine ehemalige Klientin geschont und "wohl bewusst" nur den Beschwerdeführer ins Recht gefasst habe. Soweit die Vorinstanz eine Beteiligung von G. an der eingeklagten Äusserung verneint habe, habe sie auch ihr Ermessen bei der Würdigung des Sachverhalts überschritten und willkürlich gehandelt.
a) Diese Argumentation vermischt zwei Fragen, nämlich diejenige nach der Mitwirkung von G. an der eingeklagten Äusserung und diejenige einer rechtsgültigen Antragsstellung für den Fall einer solchen Beteiligung. Ausserdem ist sie widersprüchlich, wenn einerseits geltend gemacht wird, mit dem gegen den Beschwerdeführer gerichteten Strafantrag sei nach Bundesrecht rechtsgültig auch gegen G. Antrag gestellt worden, und anderseits behauptet wird, der Antrag sei wegen Verletzung des Grundsatzes der Unteilbarkeit ungültig. Und schliesslich ist sie, soweit sie sich überhaupt an den von der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) hält, unbehelflich.
b) Das Obergericht hat zunächst eine Beteiligung von G. im Sinne des
Art. 30 StGB
verneint, weil das Weiterverbreiten einer ehrverletzenden Äusserung neben dem Beschuldigen oder Verdächtigen einen selbständigen Tatbestand darstelle, der Täter, der eine ehrverletzende Beschuldigung oder Verdächtigung aufstelle, nicht immer und notwendigerweise an der Weiterverbreitung seiner Äusserung teilnehme und der Klient eines Anwalts nicht damit rechnen müsse, dass seine Instruktionen bzw. Äusserungen genau so in der Rechtsschrift wiedergegeben würden, wie er sie dem Anwalt gegenüber getan habe, es sei denn, er habe deren Wiedergabe ausdrücklich verlangt. G. habe dem Beschwerdeführer nicht den Auftrag gegeben, den geäusserten Eindruck in einer Rechtsschrift weiterzuverbreiten.
Diese Überlegungen der Vorinstanz rufen erheblichen Bedenken. Wenn es einerseits auch Pflicht des Anwalts ist, die Instruktionen seines Klienten - soweit dies möglich, zulässig und zumutbar ist - auf ihren Sachbezug und ihre Begründetheit zu erforschen (VON WERRA, Der Anwalt und die üble Nachrede, in Bulletin des SAV, Dezemberheft 1980 S. 8), so ist doch andererseits nicht zu übersehen, dass der Klient seiner Meinung nach für die
BGE 110 IV 87 S. 90
Begründung seines Standpunkts bedeutsame Angaben dem Anwalt bei der Instruktion normalerweise in der Erwartung macht, dieser werde sie auch verwenden. Letzteres liegt schon in der Auftragserteilung, ohne dass der Klient die Übernahme seiner Angabe noch ausdrücklich verlangen muss. Insbesondere ist in Fällen, wo der Anwalt in einer namens seines Klienten verfassten Prozessschrift ehrverletzende Äusserungen verwendet, zunächst nicht anzunehmen, jener habe diese von sich aus und ohne oder gar gegen den Willen seines Klienten getan, und es hat auch der Verletzte unter Vorbehalt konkreter gegenteiliger Anzeichen unter solchen Umständen für den Regelfall von einer Beteiligung von Partei und Anwalt auszugehen. In diesem Sinne hat sich auch das Bundesgericht ausgesprochen (
BGE 97 IV 4
,
BGE 80 IV 212
; zustimmend SCHULTZ, ZBJV 108/1972 S. 339). Dass im vorliegenden Fall solche konkreten Anzeichen bestanden hätten, stellt die Vorinstanz nicht fest. Dann aber kann ihrer Auffassung, G. sei an dem Weiterverbreiten der eingeklagten Äusserung nicht beteiligt gewesen, nicht beigepflichtet werden. Indessen muss deswegen das angefochtene Urteil nicht aufgehoben werden.
c) Der Beschwerdegegner hat unbestrittenermassen gegen den Beschwerdeführer form- und fristgerecht Strafantrag gestellt. Damit war auch gegen weitere nicht ausdrücklich erwähnte Beteiligte von Bundesrechts wegen Antrag gestellt, es wäre denn, der Beschwerdegegner hätte bezüglich der zu verfolgenden Personen einen Vorbehalt angebracht bzw. den Antrag bewusst auf den Beschwerdeführer beschränkt (
BGE 97 IV 3
mit Verweisungen). Davon kann nach der vom Obergericht in diesem Punkt gegebenen Eventualbegründung nicht die Rede sein. Welches der Inhalt der vom Antragssteller abgegebenen Willenserklärung war, ist Tatfrage, die vom kantonalen Richter für den Kassationshof verbindlich beantwortet und daher mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Entscheidung gestellt werden kann, auch nicht mit der Rüge willkürlicher Beweiswürdigung oder Tatsachenfeststellung (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Nach dem angefochtenen Urteil aber hatte R. den gegen den Beschwerdeführer gerichteten Strafantrag nicht auf diesen beschränken wollen, um G. zu schonen und sie von einer Strafverfolgung zu bewahren. Der Beschwerdegegner hatte demnach vorbehaltlos einen von Bundesrechts wegen gültigen Strafantrag gestellt. Der Entscheid des Obergerichts verstösst infolgedessen nicht gegen
Art. 30 StGB
. Daran ändert auch nichts, dass G. heute nicht neben dem Beschwerdeführer als strafrechtlich Verfolgte dasteht.
BGE 110 IV 87 S. 91
Das ist darauf zurückzuführen, dass das Verfahren erst so spät auf sie ausgedehnt wurde, dass die Zulassung der Anklage wegen Verjährung "der allenfalls von der Angeklagten begangenen Ehrverletzung" verweigert wurde. Der Beschwerdeführer wäre im übrigen ohnehin nicht befugt, dies mit der Nichtigkeitsbeschwerde zu rügen, weil die Durchsetzung des Strafanspruchs grundsätzlich Sache des Staates ist und bei Antragsdelikten einzig der Antragsteller durch die Nichtverfolgung eines der Täter in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt sein kann. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8bbe9753-5064-4f45-bcb3-f7763f1fc029 | Urteilskopf
111 II 48
10. Arrêt de la IIe Cour civile du 29 mars 1985 dans la cause Clavel contre Autorité de surveillance du registre foncier du canton de Fribourg (recours de droit administratif) | Regeste
Öffentlichkeit des Grundbuches (
Art. 970 ZGB
).
Der Journalist, der eine Untersuchung über das Verschwinden landwirtschaftlich genutzten Bodens anstellt und dabei all jene Grundstücke ermitteln möchte, von denen er - zu Recht oder Unrecht - glaubt, dass ein Industrieller sie an sich gerissen habe, und der in einem Presseartikel das Grundeigentum dieses Industriellen blosslegen möchte, hat kein berechtigtes Interesse auf Einsicht in das Grundbuch. | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 111 II 48 S. 49
A.-
Philippe Clavel, journaliste, a demandé à pouvoir consulter le registre foncier de la commune de X afin d'inventorier tous les immeubles appartenant à Z, industriel. Il voulait faire des recherches pour étayer un article dans le magazine "L'Hebdo". Le Conservateur du registre foncier de la Sarine lui a opposé un refus.
Philippe Clavel a recouru à l'autorité de surveillance du registre foncier du canton de Fribourg. Il a exposé, entre autres, qu'il faisait une enquête sur le problème de la disparition des terres agricoles, que la situation de la commune de X présentait un cas d'école des plus intéressants, que les activités de Z avaient eu une influence notamment sur la hausse des prix des terrains agricoles dans le village et qu'il désirait vérifier, d'une part, l'étendue des biens immobiliers de Z et, d'autre part, si l'achat systématique de terres agricoles permettait à celui-ci d'agrandir, par le biais d'échanges, ses propriétés en zone industrielle.
Par décision du 20 septembre 1984, l'autorité cantonale de surveillance a rejeté le recours.
B.-
Philippe Clavel a formé un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Il concluait à l'annulation de la décision attaquée et à ce qu'ordre fût donné au Conservateur du registre foncier de la Sarine d'autoriser le recourant à consulter les feuillets des immeubles, sis dans la commune de X, appartenant à Z. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les décisions des autorités cantonales de surveillance en matière de registre foncier peuvent faire l'objet d'un recours de droit administratif au Tribunal fédéral (
ATF 97 I 270
/271 consid. 1). Philippe Clavel a qualité pour recourir, au sens de l'
art. 103 lettre a OJ
, car l'admission du recours présenterait pour lui une utilité pratique (
ATF 106 Ib 413
consid. 1a et les références). Il y a donc lieu d'entrer en matière.
BGE 111 II 48 S. 50
2.
Le registre foncier est public (
art. 970 al. 1 CC
). Encore faut-il, pour le consulter, justifier d'un intérêt (
art. 970 al. 2 CC
), de droit ou de fait (économique, scientifique, personnel ou familial, public). Il ne suffit pas, toutefois, de rendre vraisemblable n'importe quel intérêt (celui d'un simple curieux, par exemple). Il s'agira d'un intérêt pertinent, eu égard à la fonction du registre foncier comme instrument de la publicité foncière (
ATF 109 II 209
consid. 3 et les références; cf. LIVER, RJB 121/1985 p. 133, REY, Zur Öffentlichkeit des Grundbuchs, RNRF 65/1984 p. 80/81). La notion d'intérêt légitime ressortit à l'appréciation selon les règles du droit et de l'équité (
art. 4 CC
) (DESCHENAUX, Le registre foncier, Traité de droit privé suisse, vol. V, t. II. 2, par.
ATF 10 IV 1
, p. 138).
3.
En l'espèce, la consultation du registre foncier devrait permettre au recourant de connaître l'importance des biens immobiliers de Z et de s'informer sur ses activités dans le secteur foncier. Cet intérêt n'a pas de rapport direct avec la fonction même du registre foncier comme instrument de la publicité foncière: le recourant ne cherche pas, par exemple, à se renseigner comme acheteur éventuel d'un immeuble ou comme créancier hypothécaire. L'intérêt qu'il invoque relève de l'information générale. Il n'atteint pas le degré normalement lié à une contribution scientifique. L'enquête menée par le recourant n'a pas pour objet d'inventorier tous les immeubles du village, ce qui, dans le cadre d'une étude d'économie régionale, pourrait, le cas échéant, fonder un intérêt légitime (cf. DESCHENAUX, op.cit., par. 10 IV 2, p. 142 n. 36). C'est la situation immobilière d'un seul propriétaire, industriel soupçonné, à tort ou à raison, d'avoir accaparé des terrains agricoles, qui est destinée à être dévoilée dans un article de presse. La balance des intérêts en présence ne fait pas apparaître que celui du recourant doive l'emporter sur celui du propriétaire visé (cf. REY, op.cit., p. 81 ss). Quant aux intérêts publics, il appartient à l'autorité de les faire valoir (DESCHENAUX, op.cit., par. 10 IV 2 lettre c p. 142).
Certes, on ne peut qu'approuver l'attitude d'un journaliste soucieux de vérifier l'exactitude de ses sources. Mais c'est à tort que le recourant invoque la liberté d'information, contenue dans la liberté d'expression et dans la liberté de presse. En effet, la liberté d'information donne le droit de s'informer aux sources accessibles de manière générale (
ATF 105 Ia 182
consid. 2a et les références). Or, précisément, le registre foncier n'est pas une source accessible
BGE 111 II 48 S. 51
de manière générale, puisque, comme on l'a vu, sa consultation est subordonnée à la justification d'un intérêt légitime.
Le recourant n'ayant pas rendu vraisemblable l'existence d'un tel intérêt, les autorités cantonales n'ont pas violé le droit fédéral (
art. 104 lettre a OJ
) en lui refusant la consultation du registre foncier. Le recours apparaît ainsi manifestement mal fondé et ne peut qu'être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8bc83678-34b8-484b-bbea-491035f6492c | Urteilskopf
114 Ia 233
37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. März 1988 i.S. X. und Y. gegen Gemeinde Männedorf und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Überkommunale Nutzungszone. Art. 33 des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG),
Art. 4 und 22ter BV
.
1.
Art. 33 RPG
, bundesrechtliche Mindestanforderungen des Rechtsschutzes bei kantonalen Nutzungsplänen:
- Die im Kanton Zürich gegebene Rekursmöglichkeit an den Regierungsrat gegen einen Nutzungsplan, der durch die kantonale Baudirektion festgesetzt wird, genügt den bundesrechtlichen Rechtsschutzanforderungen gemäss
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
(E. 2b).
- Weder gestützt auf
Art. 33 Abs. 1 RPG
noch auf
Art. 4 BV
sind Nutzungsplanentwürfe vor der Beschlussfassung durch die zuständige Behörde aufzulegen. Zu beachten sind jedoch die Anforderungen der Information und Mitwirkung gemäss
Art. 4 RPG
(E. 2c).
2.
Art. 4 BV
. Mindestanforderungen an die Begründung eines Entscheides (E. 2d).
3. Verhältnis der Nutzungsplanung zur Richtplanung (E. 3).
4.
Art. 22ter BV
, Freihaltezone des zürcherischen Rechts. Eine Freihaltezone zur Freihaltung des Seeufers, die nicht überbaute Grundstücke mit einer zusammenhängenden, grösseren Fläche umfasst, ist mit
Art. 22ter BV
vereinbar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 114 Ia 233 S. 234
X. und Y. sind Eigentümer einer 6999 m2 grossen Liegenschaft zwischen der Seestrasse und dem Zürichsee in Männedorf im Gebiet Rorhaab. Diese Liegenschaft trägt heute die Parzellennummer 6187. Sie ist aus den beiden früheren Parzellen Nrn. 2914 und 2915 hervorgegangen. Auf der früheren Parzelle Nr. 2915 sowie einem angrenzenden Landstreifen befindet sich eine Tennisplatzanlage. Die grössere frühere Parzelle Nr. 2914 ist mit einem im Jahre 1926 errichteten Herrschaftshaus überbaut. Der an den Zürichsee anstossende, im Mittel etwa 30 m tiefe Streifen des Liegenschaftsbesitzes stellt Landanlagegebiet dar (sogenanntes Konzessionsland), das in der Mitte des letzten Jahrhunderts geschaffen wurde. Nach dem früheren Zonenplan der Gemeinde Männedorf befanden sich die beiden Parzellen Nrn. 2914 und 2915 in der Landhauszone. Gemäss dem neuen, in diesem Bereich noch nicht rechtskräftigen Zonenplan der Gemeinde von 1986/87 ist die frühere Parzelle Nr. 2914 ab Seestrasse bis zur Südfront des bestehenden Gebäudes der Landhauszone in empfindlicher Lage zugeteilt.
Mit Verfügung vom 14. Februar 1986 setzte die kantonale Baudirektion eine regionale Freihaltezone längs des Seeufers in Männedorf zwischen Leuenhaab und Sunnenfeld fest. Von dieser
BGE 114 Ia 233 S. 235
Zone wurde auch die Liegenschaft Nr. 6187 erfasst. Die frühere Parzelle Nr. 2915 liegt vollständig in der Freihaltezone, während von Nr. 2914 nur die zwischen Seeufer und Herrschaftshaus gelegene Fläche dieser Zone zugewiesen wurde. X. und Y. erhoben gegen die Verfügung der Baudirektion vom 14. Februar 1986 betreffend Festsetzung der Freihaltezone ohne Erfolg Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Das Bundesgericht weist die von X. und Y. dagegen wegen Verletzung von
Art. 4, 22ter BV
und Art. 2 ÜbBest. BV eingereichte Beschwerde ebenfalls ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Als erstes ist die Einwendung zu prüfen, der angefochtene Entscheid verstosse gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, da das Zürcher Rechtsschutzverfahren gegen kantonale Nutzungspläne nicht den Mindestanforderungen des
Art. 33 RPG
genüge. In der Nichtbeachtung dieser bundesrechtlichen Rechtsschutzanforderungen liege ausserdem eine formelle Rechtsverweigerung.
a) Ob das den Rechtsschutz gegen regionale Nutzungspläne regelnde kantonale Recht gegen den Grundsatz des Vorranges des Bundesrechts verstösst, ist vom Bundesgericht als verfassungsrechtliche Frage ohne Kognitionsbeschränkung umfassend zu prüfen (
BGE 112 Ia 157
E. 2a;
BGE 112 Ib 167
E. 4a, je mit Hinweisen).
b)
Art. 33 RPG
verlangt ein Rechtsmittel gegen Nutzungspläne, für dessen Erhebung die Legitimation im gleichen Umfange wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu gewährleisten und das durch wenigstens eine Beschwerdebehörde voll zu überprüfen ist (Art. 33 Abs. 3 lit. a und b). Dass das Zürcher Rechtsmittelverfahren hinsichtlich der Legitimation dieser Anforderung entspricht, ist nicht bestritten. Hingegen wenden die Beschwerdeführer ein, es erfolge keine "volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde", wie dies Art. 33 Abs. 3 lit. b fordere. Zwar anerkennen sie, dass es nicht gegen Bundesrecht verstösst, wenn ein Regierungsrat als Plangenehmigungsbehörde über Einsprachen als einzige Instanz oder als Rekursbehörde mit voller Kognition entscheidet (
BGE 109 Ia 1
E. 2;
BGE 108 Ia 34
E. 1a;
BGE 106 Ia 71
E. 2a). Sie sind jedoch der Meinung, gegen Planungsentscheide durch die Regierung bzw. eine Direktion derselben müsse eine unabhängige Instanz, z.B. das Verwaltungsgericht, zur vollen Überprüfung angerufen werden können. Diese Auffassung vermag
BGE 114 Ia 233 S. 236
sich jedoch nicht auf die bundesrechtlichen Mindestanforderungen des Rechtsschutzes gemäss
Art. 33 RPG
zu stützen.
Der Gesamtregierungsrat als Rechtsmittelinstanz ist keineswegs von der ihm untergeordneten Baudirektion abhängig, welche zur Festsetzung der vom Staat aufzustellenden Nutzungspläne gemäss § 2 lit. b des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes (PBG) zuständig ist. Für das Rekursverfahren gelten die allgemeinen, für alle Rekurse gegen Direktionsanordnungen gemäss dem Zürcher Verwaltungsrechtspflegegesetz massgebenden Verfahrensvorschriften (§§ 5 ff. und 19 ff. VRG). Für das Verfahren vor dem Regierungsrat wurden diese in den vom Regierungsrat erlassenen Grundsätzen vom 5. Januar 1983 im einzelnen näher ausgeführt. Dass diese Grundsätze verletzt worden seien, machen die Beschwerdeführer nicht geltend. Sie stützen ihre Auffassung einzig auf die Besonderheit, dass Einwendungen gegen einen kantonalen Nutzungsplan zu beurteilen sind. Doch ergibt sich hieraus keineswegs, dass der Regierungsrat seine Unabhängigkeit als Beschwerdebehörde verliert. In jedem Rekursverfahren gegen eine untere Verwaltungsbehörde sind kantonale Anordnungen umstritten, an deren rechtmässigem Erlass und Vollzug der Kanton interessiert ist.
Unter der Voraussetzung, dass das kantonale Verfahren eine sorgfältige Prüfung der Einwendungen betroffener Eigentümer gewährleistet, lässt es die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu, dass kantonale Parlamente oder Regierungen als Planfestsetzungsbehörden auch über Einsprachen oder Rekurse gegen kantonale Nutzungspläne entscheiden. Die Kompetenz zur Planfestsetzung schliesst in diesen Fällen die Unabhängigkeit zur Beurteilung von Einwendungen gegen die einen Eigentümer treffenden Eigentumsbeschränkungen nicht aus (
BGE 112 Ib 168
E. 4c;
111 Ib 11
E. 2b;
108 Ib 483
E. 3c). Es ist die Beurteilung der Einwendungen gegen die Eigentumsbeschränkungen nach dem anwendbaren Verfassungs- und Gesetzesrecht von der Ausübung der Kompetenz zur Planfestsetzung, die nicht nur als Rechtsanwendung, sondern auch als politischer Hoheitsakt zu verstehen ist, zu unterscheiden.
Dass der Regierungsrat gemäss den Vorschriften des Verwaltungsrechtspflegegesetzes sowie dem Gebot von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
ohne Beschränkung seiner Kognition eine volle Prüfung ihrer Einwendungen vorgenommen hat, bestreiten die Beschwerdeführer nicht. Der Regierungsrat hat die angefochtene Planungsmassnahme hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Liegenschaft
BGE 114 Ia 233 S. 237
der Beschwerdeführer auf ihre Rechtmässigkeit und Zweckmässigkeit hin geprüft. Die Einwendung, es sei keine "volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde" vorgenommen worden, ist demnach unbegründet.
c) Weniger eindeutig verhält es sich in bezug auf die geltend gemachte Verletzung des Auflagegebotes (
Art. 33 Abs. 1 RPG
).
Der Regierungsrat verweist auf die unbestrittenermassen erfolgte öffentliche Auflage der von der Direktion der öffentlichen Bauten verfügten Freihaltezone. Der Nutzungsplan wurde sowohl bei der Gemeindekanzlei als auch bei der Baudirektion zur Einsichtnahme aufgelegt. Mit Verweisung auf das Rekursrecht wurden die Planfestsetzung und die Auflage öffentlich bekanntgemacht.
ca)
Art. 33 RPG
dient - wie aus dem ihm übergeordneten fünften Titel hervorgeht - dem Rechtsschutz. In diesem Dienste steht auch die vom Gesetzgeber angeordnete Planauflage, wie die Botschaft des Bundesrates zu Art. 34 des Gesetzesentwurfes, welcher Art. 33 des Gesetzes entspricht und der von den eidgenössischen Räten ohne Diskussion angenommen wurde, darlegt (amtliches Bulletin Ständerat 1978, S. 477; Nationalrat 1979 I S. 344). Wörtlich führt die Botschaft des Bundesrates folgendes aus (BBl 1978 I 1031):
Artikel 34
Diese Bestimmung regelt die Mindestanforderungen des Rechtsschutzes in den Kantonen. Im Interesse des Rechtsschutzes verlangt Absatz 1, dass Nutzungspläne nach diesem Gesetz öffentlich aufgelegt werden. Nach Absatz 2 hat das kantonale Recht zu gewährleisten, dass gegen Verfügungen oder gegen Nutzungspläne mindestens ein Rechtsmittel ergriffen werden kann. Es kann sich dabei um Einsprachen oder Beschwerden handeln. Es bleibt den Kantonen anheimgestellt zu bestimmen, in welchem Zeitpunkt vom Rechtsmittel Gebrauch zu machen ist und wer zu entscheiden hat.
Absatz 3 verlangt, dass das Recht zur Einsprache oder Beschwerde in gleichem Umfang gewährt wird wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht: damit ist eine weitreichende Legitimation gewährleistet. Die kantonale Regelung soll ferner die volle Überprüfung der Einsprache oder Beschwerde durch wenigstens eine Instanz ermöglichen.
Dieser Anforderung des Rechtsschutzes genügte die öffentliche Auflage der kompetenzgerecht angeordneten Freihaltezone. Der Wortlaut von
Art. 33 Abs. 1 RPG
verlangt nicht die öffentliche Auflage des Nutzungsplanentwurfes. Es ist daher auf Grund von
Art. 33 RPG
auch nicht - wie aus der Botschaft hervorgeht -zwingend
BGE 114 Ia 233 S. 238
die Möglichkeit einer Einsprache vorzusehen, die sich an die Planfestsetzungsbehörde richtet. Vielmehr kann auch ein Beschwerderecht gegen den Nutzungsplan eingeräumt werden, das den genannten weiteren Mindestanforderungen zu genügen hat.
cb) Doch fragt es sich, ob sich die Notwendigkeit einer Auflage des Nutzungsplanentwurfs vor der Beschlussfassung durch die zuständige Behörde nicht unmittelbar aus
Art. 4 BV
ergibt. Sollte dies bejaht werden, so wäre freilich zu beachten, dass das Bundesgericht gemäss
Art. 113 Abs. 3 BV
an die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze gebunden ist. Fragen könnte sich einzig, ob die Planauflage vor der Beschlussfassung durch das zuständige Organ auf Grund einer verfassungskonformen Interpretation von
Art. 33 RPG
unabdingbar wäre.
Hierzu ist festzustellen, dass das Bundesgericht bereits vor Erlass des Raumplanungsgesetzes aus der besonderen Rechtsnatur der Nutzungspläne, die sich weder dem Rechtssatz noch der Verfügung allgemein gleichstellen lassen, gefolgert hat, dass die betroffenen Grundeigentümer in geeigneter Form zu Worte kommen müssen, bevor über die Zoneneinteilung ihrer Grundstücke definitiv entschieden wird (
BGE 106 Ia 78
E. 2b mit Verweisungen). Später hat es diese Rechtsprechung auch unter der Herrschaft des Raumplanungsgesetzes bestätigt, allerdings in einer Sache, in welcher dem Betroffenen der Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren verweigert wurde. Das Bundesgericht stellte klar, dass das Recht auf Anhörung auch den Anspruch des Eigentümers darauf umfasse, dass sich die Gemeinde- oder kantonale Behörde in ihrem Entscheid bzw. im Einsprache- oder Beschwerdeverfahren mit den formgerecht und innert Frist erhobenen Einwendungen materiell befasse (
BGE 107 Ia 276
E. 2b). Im vorliegenden Fall wurde dieser Anspruch im Beschwerdeverfahren vom Regierungsrat gewahrt, jedoch ging keine vorgängige Anhörung der von der Planfestsetzung betroffenen Eigentümer durch die Baudirektion voraus.
cc) Es fragt sich daher, ob als Mindestanforderung aus
Art. 4 BV
die Pflicht zur Planauflage vor der Beschlussfassung durch das zuständige Organ herzuleiten ist. Die vom Bundesamt für Raumplanung herausgegebenen Erläuterungen scheinen dies anzunehmen, indem sie bemerken, die öffentliche Auflage unterstelle, dass jedermann den Planentwurf zur Kenntnis genommen habe (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 6 zu Art. 33, S. 341). Noch deutlicher äussert sich LEO SCHÜRMANN (Bau- und Planungsrecht, 2. Auflage, S. 281 Ziff. 3, wo gesagt wird: "Die Planentwürfe
BGE 114 Ia 233 S. 239
werden öffentlich aufgelegt (
Art. 33 Abs. 1 RPG
) und unterliegen der Einsprache.")
Diesen Ausführungen gegenüber ist hingegen festzuhalten, dass
Art. 33 Abs. 1 RPG
- wie bereits festgestellt wurde - gemäss seinem klaren Wortlaut die Auflage der Nutzungspläne, nicht der Planentwürfe, fordert und dass der Bundesgesetzgeber in Wahrung der Hoheit der Kantone nur Mindestvorschriften zur Gewährleistung des Rechtsschutzes aufstellen wollte. Er ordnete daher entgegen der Ausführungen von SCHÜRMANN nicht an, dass die Planentwürfe der Einsprache unterliegen müssten. Auch aus der an die Rechtslage vor Erlass des Raumplanungsgesetzes anknüpfenden Rechtsprechung kann diese Folgerung jedenfalls nicht allgemein für das Ortsplanungsverfahren gezogen werden. Das Bundesgericht anerkennt, dass es genügt und nicht verfassungswidrig ist, wenn bei Gesamtrevision von Bauvorschriften und Zonenplan der neue Erlass bzw. die für dessen Anfechtung vorgesehene Frist durch die allgemeinen Publikationsmittel bekanntgemacht wird (
BGE 106 Ia 312
E. 1a). Es lässt auch in
BGE 107 Ia 273
erkennen, dass der aus
Art. 4 BV
hergeleitete Gehörsanspruch wie der Leitsatz aussagt - nur verlangt, "dass sich entweder die kommunale oder die kantonale Behörde im Einsprache-, Beschwerde- oder Homologationsverfahren mit den formgerecht und innert Frist erhobenen Einwendungen materiell befassen muss". Diesem Anspruch entspricht ein Verfahren, das die öffentliche Auflage des Nutzungsplanes erst nach dessen Erlass durch das zuständige Organ zur Einleitung des Rechtsmittelverfahrens anordnet.
cd) Das kantonale Recht, dem der Bundesgesetzgeber Rechnung tragen wollte, sieht denn auch entgegen der Auffassung, wie sie in den angeführten Erläuterungen des Bundesamtes ausgesprochen wird (N. 8 zu
Art. 33 RPG
, S. 342), vielfach eine Trennung des politischen Willensbildungsprozesses vom Rechtsmittelverfahren in dem Sinne vor, dass die im Dienste des Rechtsschutzes stehende Planauflage erst nach dem Entscheid des zuständigen Organs, in der Regel der Gemeindeversammlung als der Legislative der Gemeinde, erfolgt (siehe etwa Legge Edilizia del Cantone del Ticino, Art. 18, hiezu ADELIO SCOLARI, Kommentar, N. 6 und 7 zu Art. 18, S. 159; BauG BL, § 5, ein Verfahren, das vom Bundesgericht als bundesrechtskonform anerkannt wurde,
BGE 108 Ia 34
E. 1a). Auch im Kanton Zürich erfolgt in den Gemeinden die Planauflage zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens
BGE 114 Ia 233 S. 240
vielfach erst nach der Beschlussfassung durch das zuständige Organ. Dies zeigt das Beispiel der Gemeinde Männedorf, deren Ortsplanung - die auf die kantonale Freihaltezone weitgehend, jedoch nicht vollständig abgestimmt wurde - erst nach der Beschlussfassung durch die Gemeindeversammlung zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens öffentlich aufgelegt wurde. Ein entsprechendes Verfahren wurde vom Bundesgericht im nicht publizierten Entscheid vom 14. Oktober 1983 i.S. H. und P. gegen die Stadt Zürich, E. 4bb S. 9, in welchem die Auflage der umstrittenen Kernzonenvorschriften zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach unbenütztem Ablauf der Referendumsfrist erfolgte, als mit den Mindestanforderungen des Rechtsschutzes gemäss
Art. 33 RPG
vereinbar erklärt.
ce) Wird diesen Erwägungen gefolgt, so ergibt sich, dass in Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut des
Art. 33 Abs. 1 RPG
keine Auflage der Nutzungsplanentwürfe zur Erhebung einer Einsprache vor der Beschlussfassung durch das zuständige Organ erfolgen muss und dass eine solche Forderung jedenfalls allgemein auch nicht aus
Art. 4 BV
herzuleiten ist.
Nach der Konzeption des Gesetzes ist zwischen dem politischen Meinungsbildungsprozess als Voraussetzung der kompetenzgerechten Festsetzung der Nutzungspläne und dem - möglicherweise nachträglichen - Rechtsschutz zu unterscheiden; das heisst nicht, dass kantonalrechtliche Kombinationen beider Institutionen ausgeschlossen sind. Bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes darf berücksichtigt werden, dass die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen zu unterrichten (
Art. 4 Abs. 1 RPG
) und dafür zu sorgen haben, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwirken kann (
Art. 4 Abs. 2 RPG
); auf Einzelheiten dazu darf mangels entsprechender Rügen nicht eingegangen werden (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
). Es besteht jedenfalls unter der Herrschaft des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes kein Anlass, eine Regelung als bundesrechtswidrig zu bezeichnen, die die Auflage erst der vom zuständigen Organ beschlossenen Nutzungspläne vorsieht.
cf) Bedenken könnten in der vorliegenden Sache einzig deshalb angemeldet werden, weil der Planfestsetzung durch die Baudirektion im Unterschied zum Planerlass durch die Gemeindeversammlung oder Gemeindeparlamente kein umfassender politischer Meinungsbildungsprozess vorausging, welcher auch die Mitsprache der Betroffenen vor der Planfestsetzung ermöglicht hätte. Die für
BGE 114 Ia 233 S. 241
die Planfestsetzung gemäss
§ 2 lit. b PBG
zuständige Baudirektion holte zu dem von einer Projektgruppe ausgearbeiteten Vorschlag für die Freihaltezonen die Stellungnahme der Zürcher Planungsgruppe Pfannenstil und des Gemeinderates Männedorf ein. Dieses Vorgehen entspricht im wesentlichen auch dem Verfahren bei der Festsetzung von Bau- und Niveaulinien für Kantonsstrassen. Auch dieser Sondernutzungsplan im Sinne des Raumplanungsgesetzes (
BGE 112 Ib 166
E. 2b) wird erst nach dessen Festsetzung durch die Baudirektion öffentlich aufgelegt und den betroffenen Grundeigentümern mitgeteilt (
§ 108 Abs. 3 PBG
), während vor der Festsetzung die Baudirektion einzig den Gemeinderat anzuhören hat (
§ 108 Abs. 2 PBG
). Das Bundesgericht hat dieses Verfahren der Bau- und Niveaulinienfestsetzung im nicht publizierten Entscheid vom 17. September 1987 i.S. H. W. und Mitbeteiligte nicht beanstandet. Doch wurde darauf hingewiesen, dass gemäss § 13 des Zürcher Strassengesetzes die Projekte der Staatsstrassen der Bevölkerung vor der Kreditbewilligung in einer Orientierungsversammlung oder durch öffentliche Auflage zur Stellungnahme zu unterbreiten sind, eine Regelung, die dem Informations- und Mitwirkungsgebot des
Art. 4 RPG
entspricht. Es wäre angebracht, wenn die Baudirektion auch vor der Festsetzung der übrigen kantonalen Nutzungspläne darauf achten würde, dass in ähnlicher Weise diesem Gebot nachgekommen wird. Bei der Einholung der Stellungnahme der Gemeinderäte wäre es denkbar, dass diese die Bevölkerung und die Betroffenen orientieren würden, so dass sie in Kenntnis allfälliger Einwendungen ihre Vernehmlassung abgeben könnten. Doch vermögen diese Hinweise nichts daran zu ändern, dass es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer weder gegen
Art. 33 RPG
noch gegen
Art. 4 BV
verstösst, wenn die kantonale Freihaltezone zur Einleitung des Rechtsmittelverfahrens erst nach deren Festsetzung durch die Baudirektion öffentlich aufgelegt wurde.
d) In formeller Hinsicht werfen die Beschwerdeführer dem Regierungsrat ferner eine ungenügende Begründung des Entscheides vor. Sie sind der Meinung, es fehle jede Begründung für die bis zur Seestrasse angeordnete Freihaltung des Parzellenabschnittes, welcher früher die Parzellennummer 2915 trug. Auch vermissen sie jede Interessenabwägung.
Der Regierungsrat lässt in seinem Entscheid mit genügender Deutlichkeit erkennen, dass er in Übereinstimmung mit der Richtplanung das Planungskonzept, welches vorsieht, grössere zusammenhängende,
BGE 114 Ia 233 S. 242
noch nicht überbaute Flächen der Freihaltezone zuzuweisen, im öffentlichen Interesse als richtig bezeichnet. Solle dieses Konzept verwirklicht werden, so erweise sich die Ausdehnung der Freihaltezone bis zur Seestrasse als sachgerecht. Die privaten Interessen an einer möglichst weitgehenden baulichen Ausnützung ihres Grundbesitzes haben gegenüber dem gewichtigen öffentlichen Interesse zurückzutreten, wie der Entscheid ausdrücklich sagt. Diese Begründung genügt den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen, die gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts aus
Art. 4 BV
hergeleitet werden. An die Begründung eines Entscheids dürfen von Verfassungs wegen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache weiterziehen kann (
BGE 112 Ia 109
E. 2b mit Hinweisen). Dies war den Beschwerdeführern auf Grund der gegebenen Begründung möglich. Ob der Regierungsrat die Interessenabwägung richtig vorgenommen hat, ist Gegenstand der materiellen Prüfung.
3.
Materielle Rechtsverweigerung erblicken die Beschwerdeführer zunächst darin, dass sich die Freihaltezone im festgesetzten Umfange nicht auf die Richtplanung stützen könne. Doch anerkennen sie, dass ihre Liegenschaft gemäss dem kantonalen Gesamtplan im sogenannten Anordnungsspielraum zwischen dem Siedlungsgebiet und dem grün angelegten Seeuferstreifen liegt, eine Bezeichnung, die sich mit dem regionalen Siedlungs- und Landschaftsplan Pfannenstil deckt, in welchem entlang dem See mit grüner Farbe allgemeines Erholungsgebiet und entlang der Seestrasse teilweise eine landschaftlich empfindliche Lage bezeichnet ist. Entsprechend der Natur der Richtplanung, deren Anordnungen nicht als parzellengenau verbindlich zu verstehen sind, steht der Nutzungsplanung ein ihr angemessener Konkretisierungsspielraum zu. Die getroffene Festsetzung hält sich an diesen Rahmen. Der grössere Teil der Liegenschaft der Beschwerdeführer im Ausmass der früheren Parzelle Nr. 2914 verbleibt in der als empfindliche Lage gekennzeichneten Landhauszone. Mit der Einweisung der Restfläche in die Freihaltezone wird die im Richtplan nicht parzellengenau angeordnete Massnahme rechtsverbindlich festgelegt. Von einem klaren Verstoss gegen die Behördenverbindlichkeit der Richtpläne, mit welchem allein eine unhaltbare Zonenfestsetzung begründet werden könnte, kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
BGE 114 Ia 233 S. 243
4.
Ein Verstoss gegen die Eigentumsgarantie liegt nach der Meinung der Beschwerdeführer vor, weil die Freihaltezone durch kein ausreichendes öffentliches Interesse gedeckt und in ihrer Ausdehnung ausserdem unverhältnismässig sei. Ob dies zutrifft, prüft das Bundesgericht ohne Beschränkung seiner Kognition; es auferlegt sich einzig Zurückhaltung, soweit örtliche Verhältnisse zu beurteilen sind, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht (
BGE 110 Ia 172
E. 7b/aa mit Hinweis).
a) Dass ein allgemeines öffentliches Interesse an der Freihaltung der Seeufer besteht, ergibt sich aus den Planungsgrundsätzen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (
Art. 3 Abs. 2 lit. c RPG
). Die Verwirklichung dieses öffentlichen Interesses hat mit der Festsetzung von Schutzzonen zu erfolgen (
Art. 17 Abs. 1 lit. a RPG
). Die Freihaltezone des zürcherischen Rechts stellt eine solche Schutzzone dar. Die Zonenbegrenzung im einzelnen ist Sache des planerischen Ermessens, welche das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung überprüft (
BGE 109 Ia 270
E. 5c mit Hinweisen). Die Gemeinde- und die kantonalen Behörden sind sich hinsichtlich der Ausdehnung der Freihaltezone auf die frühere Parzelle Nr. 2915 einig. Sie stimmt mit der ebenfalls bis zur Seestrasse erfolgten Ausdehnung der Freihaltezone auf den benachbarten Parzellen Nrn. 2916, 2917 und 3806 überein, wodurch - wie der Augenschein bestätigt hat ein grösserer zusammenhängender Freiraum gesichert bleibt. In Berücksichtigung des angeführten Planungsgrundsatzes des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes ist bei dieser Sachlage die Freihaltezone in ihrer Ausdehnung bis zur Seestrasse durch ein ausreichendes öffentliches Interesse gedeckt.
Das private Interesse der Beschwerdeführer besteht darin, auf ihrem Land ein weiteres Landhaus erstellen zu können. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass der grössere, an die Seestrasse anstossende Teil ihrer früheren Parzelle Nr. 2914 in der Landhauszone liegt und den Beschwerdeführern dadurch unter Beachtung der Ausnützungsziffer noch eine gewisse Erweiterungsmöglichkeit bleibt. Im Grunde genommen ist diese Zoneneinteilung sogar als inkonsequent zu bezeichnen, da die Verwirklichung der Absicht, grössere zusammenhängende, noch unüberbaute Flächen freizuhalten, eine Ausdehnung der Freihaltezone bis zum bestehenden Landhaus der Beschwerdeführer bedingt hätte. Bei dieser Sachlage ist die Folgerung des Regierungsrates, das öffentliche Interesse an
BGE 114 Ia 233 S. 244
der Freihaltung des in Frage stehenden Seeuferabschnittes überwiege das private Interesse der Beschwerdeführer, nicht zu beanstanden.
b) Einen Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip erblicken die Beschwerdeführer darin, dass nach ihrer Meinung zur Freihaltung des Seeufers eine Gewässerabstandslinie genügt hätte. Eine solche Linie ist jedoch - wovon das Bundesgericht entsprechend der Auffassung des Regierungsrates auszugehen hat - ein Instrument der Ortsplanung (
§ 67 PBG
). Die Mindestanforderungen des kantonalen Rechts an den Gewässerabstand beziehen sich auf die aus wasserbaupolizeilichen Gründen zu treffenden Anordnungen (
§ 263 PBG
). Die in Berücksichtigung der kantonalen und regionalen Gesamtplanung vom Kanton anzuordnende Massnahme bestand daher in Übereinstimmung mit dem eidgenössischen und kantonalen Recht in der Festsetzung einer Freihaltezone (
Art. 17 RPG
;
§
§ 18, 23 und 39 PBG
). Deren rechtliche und faktische Tragweite geht weiter als eine blosse Gewässerabstandslinie, da das von der Freihaltezone erfasste Gebiet definitiv der Bebauung entzogen wird und auch nicht bei der Ermittlung des baulichen Nutzungsmasses der angrenzenden Bauzone berücksichtigt werden darf, eine Konsequenz, die in Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der Freihaltung von Seeufern nicht zu beanstanden ist.
Durfte der Kanton zu Recht eine Freihaltezone festsetzen, so ist auch deren Begrenzung nicht als unverhältnismässig zu bezeichnen, was sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen in Erwägung 4a ergibt. Entlang dem Seeufer entspricht die Freihaltezone in ihrem Ausmass im wesentlichen der Fläche des Seeanlagegebietes. Soweit sie auf der früheren Parzelle Nr. 2915 bis an die Seestrasse ausgedehnt wird, erfasst sie zum überwiegenden Teil die Tennisplatzanlage, welche der Freihaltezone nicht widerspricht. Eine weitere bauliche Nutzung der an die Seestrasse anstossenden Liegenschaft bleibt - wie dargelegt - möglich. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
8bcb4a20-4c6e-49e7-ace6-3c8ebee709e1 | Urteilskopf
96 IV 39
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. April 1970 i.S. Staatsanwaltschaft Oberwallis gegen Georgen | Regeste
Art. 90 SVG
,
Art. 117 und 125 StGB
.
Durch die Strafe wegen fahrlässiger Tötung einer Person wird die konkrete Gefährdung einer weiteren, nur verletzten Person nicht mitabgegolten. Neben
Art. 117 StGB
ist daher
Art. 90 SVG
anwendbar, wenn die verletzte Person auf den Strafantrag gemäss
Art. 125 Abs. 1 StGB
verzichtet hat. | Sachverhalt
ab Seite 39
BGE 96 IV 39 S. 39
A.-
Am 1. April 1968 um 20 Uhr fuhr Karl Wyssen mit einem Traktor mit Anhänger auf der 7,6 m breiten, mit Leitlinien versehenen Rhonetalstrasse von Turtmann gegen Agarn. Auf dem Anhänger, der 33 cm breiter als der Traktor war und hinten links ein rot gestrichenes, dreieckiges und nur schwach rückstrahlendes Blech von 19 cm Seitenlänge aufwies, befand sich der Mitfahrer Anselm Dirren. Dieser leuchtete mit einer in der Hand gehaltenen Taschenlampe nach rückwärts.
Hinter dem Traktor folgte Yvon Georgen mit einem Lieferwagen. Seine Geschwindigkeit betrug mindestens 90-100 km/Std. Wegen des Gegenverkehrs fuhr er mit abgeblendeten Scheinwerfern.
Infolge des Abblendlichts und der ungenügenden Kennzeichnung des Traktoranhängers erblickte Yvon Georgen das vor ihm fahrende Gefährt zu spät. Beim Versuch, im letzten Moment nach links auszuweichen, prallte er mit der rechten Vorderfront seines Lieferwagens gegen den Anhänger. Der Traktorzug geriet ins Schleudern und kam quer auf der Strasse zum Stillstand. Der Lieferwagen konnte kurz nach dem Aufprall auf der
BGE 96 IV 39 S. 40
rechten Fahrbahnhälfte zum Stehen gebracht werden. Durch die Wucht des Anpralls wurde der Mitfahrer Georgens, Giovanni Niro, so schwer verletzt, dass er am folgenden Tag starb. Die übrigen in den Unfall verwickelten Personen wurden leichter verletzt.
B.-
Mit Urteil vom 28. Februar 1969 verurteilte das Kreisgericht Oberwallis (Leuk):
Yvon Georgen wegen fahrlässiger Tötung (
Art. 117 StGB
) und grober Verletzung von Verkehrsregeln (
Art. 90 Ziff. 2 SVG
) zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 20 Tagen;
Karl Wyssen wegen fahrlässiger Tötung, Führens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeugs und Fahrens ohne Fahrzeugausweis zu einer Busse von Fr. 300.--;
Markus Ammann, Eigentümer des Traktorenanhängers, wegen Gebrauchenlassens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeuges und fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 80.-.
C.-
Auf Berufung des Yvon Georgen erklärte ihn das Kantonsgericht des Kantons Wallis am 3. Februar 1970 lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer nach einer Probezeit von 2 Jahren vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 500.--.
D.-
Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft Oberwallis Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Yvon Georgen wegen grobfahrlässiger Tötung sowie wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Yvon Georgen beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
2.
Im Gegensatz zum Antrag auf Schuldigerklärung wegen grobfahrlässiger Tötung ist das Begehren, der Beschwerdegegner sei ausser der fahrlässigen Tötung auch der groben Verletzung von Verkehrsregeln gemäss
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG
schuldig zu erklären, begründet.
Wohl kommt eine Verurteilung nach
Art. 90 SVG
neben derjenigen wegen fahrlässiger Tötung insoweit nicht in Betracht, als der Unfall Giovanni Niros in Frage steht. In dieser Hinsicht werden sowohl die Verstösse des Beschwerdegegners gegen
BGE 96 IV 39 S. 41
Art. 31 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SVG wie die allgemeine Verkehrsgefährdung und die konkrete Gefährdung Niros im Sinne von
Art. 90 SVG
durch die Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung vollumfänglich abgegolten (
BGE 91 IV 32
E 3 und 213)
Für die dem Karl Wyssen und dem Anselm Dirren zugefügten einfachen Körperverletzungen ist der Beschwerdegegner nicht zur Rechenschaft gezogen worden, weil beide auf einen Strafantrag verzichtet haben. Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall der Täter nicht wegen der konkreten Gefährdung der Verletzten zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Vorinstanz verneint sie mit der Begründung, es würde sonst derselbe allgemeine und konkrete Gefährdungstatbestand zweimal bestraft. Dem kann nicht beigepflichtet werden.
Hätten Wyssen und Dirren Strafantrag gestellt, so wäre der Beschwerdegegner der fahrlässigen Tötung und zudem der fahrlässigen Körperverletzung schuldig befunden worden. Damit wäre die Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit und die konkrete Gefährdung der verletzten Personen abgegolten gewesen (
BGE 91 IV 32
und 213). Im vorliegenden Fall konnte mangels Strafantrags keine Abgeltung der Gefährdung Wyssens und Dirrens stattfinden. Diese hat deshalb nach
Art. 90 SVG
zu erfolgen, denn die Gefahr hat sich voll ausgewirkt (ebenso HAEFLIGER, ZStR 1965 S. 264). Würde anders entschieden, dann müsste der Täter, welcher durch Übertretung von Verkehrsvorschriften eine einzige Person fahrlässig verletzt oder tötet, im selben Strafrahmen von
Art. 125 Abs. 1 oder 117 StGB
bestraft werden wie der andere Täter, der ausser dem Tod einer Person auch noch die Verletzung zweier weiterer Menschen auf dem Gewissen hat, sofern er für diese Körperverletzungen mangels Strafantrags nicht verurteilt werden kann; für die konkrete Gefährdung von zwei weitern Personen, die nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
ein Delikt ist, bliebe der Täter also straflos. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8bd1140c-3145-4aa8-9c07-5e9ccbdf2839 | Urteilskopf
91 II 170
26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Juli 1965 i.S. B. gegen Regierungsrat des Kantons Nidwalden | Regeste
Bevormundung wegen Freiheitsstrafe.
Art. 371 ZGB
. Veröffentlichung dieser Massnahme.
Art. 375 ZGB
. Gegenstand der Berufung an das Bundesgericht.
Art. 44 lit. c OG
.
1. Darf die Bevormundung nach
Art. 371 ZGB
wegen besonderer Interessen des Strafgefangenen unterbleiben?
- jedenfalls nicht, wenn nicht in persönlicher wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht die Aufgaben eines Vormundes völlig ausser Betracht fallen. (Erw. 1-3).
2. Die Veröffentlichung der Bevormundung nach
Art. 375 ZGB
unterliegt nicht der Berufung an das Bundesgericht.
Art. 44 lit. c OG
. (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 170
BGE 91 II 170 S. 170
A.-
B., Bankier, wurde zu einer Freiheitsstrafe von über fünf Jahren verurteilt. Während des Strafverfahrens hatte er sich längere Zeit in Untersuchungs- und Sicherheitshaft befunden, die ihm zum Teil auf die Strafe angerechnet wurden. Es blieben noch etwa 1000 Tage zu verbüssen.
BGE 91 II 170 S. 171
B.-
Den im Dezember 1963 erfolgten Strafantritt meldete die Staatsanwaltschaft erst im März 1964 der Vormundschaftsbehörde. Diese verfügte am 24. April 1964 die Bevormundung gemäss
Art. 371 ZGB
und die Veröffentlichung gemäss
Art. 375 ZGB
.
C.-
Über diese Massnahmen beschwerte sich B. beim Regierungsrat des Kantons Nidwalden. Er machte geltend, die in
Art. 371 ZGB
vorgesehene Entmündigung eines zu Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber Verurteilten habe ihren Grund in der Notwendigkeit, die Interessen des Inhaftierten zu wahren. Bei Freiheitsstrafe von gewisser Dauer sei diese Schutzbedürftigkeit zu vermuten; es müsse aber zulässig sein, ihr Fehlen darzutun. B. vermöge nun die Vermutung seiner Unfähigkeit, während der Haft seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen, zu widerlegen. Die finanzielle Lage der von ihm geleiteten Gesellschaft sei einwandfrei, wie sich aus den der Vormundschaftsbehörde vorgelegten Revisionsberichten und Jahresrechnungen ergebe. Der Prokurist F. sei in den Betrieb eingearbeitet; daneben seien auch die Ehefrau und die Töchter B's in der Bank tätig. Er selber könne sich übrigens im Rahmen der vom Anstaltsreglement gewährten Freiheiten auch um die Führung der Bank kümmern. Auch in persönlicher Hinsicht bedürfe er nicht der Hilfe eines Vormundes. Er habe sich selber wieder zurecht gefunden. Unter den gegebenen Umständen wäre die Entmündigung zweckwidrig; sie würde seine Geschäftsunternehmung beeeinträchtigen, insbesondere wegen des dem Vormund erlaubten Einblickes in die Bankgeheimnisse. Auf alle Fälle sei von der Veröffentlichung der Vormundschaft abzusehen. Eine Verschiebung der Veröffentlichung, wie sie
Art. 375 Abs. 2 ZGB
zulasse, müsse auch bei Entmündigung wegen Strafhaft zulässig sein.
D.-
Mit Entscheid vom 14. September 1964 hat der Regierungsrat des Kantons Nidwalden sowohl die Entmündigung wie auch die Anordnung ihrer Veröffentlichung bestätigt. Er lässt nicht gelten, dass die Vormundschaft nach
Art. 371 ZGB
im vorliegenden Falle sinn- und zweckwidrig sei. Dies könnte etwa zutreffen, wenn nichts zu verwalten wäre, aber nicht beim Inhaber eines Bankinstitutes. Während des Strafvollzuges solle der Inhaftierte nicht handlungsfähig sein, und sein Geschäft müsse vor Schaden bewahrt werden. - "Angesichts der Schwere der Straffälle B's, die in der Öffentlichkeit allgemein
BGE 91 II 170 S. 172
bekannt sind", bestehe sodann kein genügender Grund, von der Veröffentlichung der Bevormundung abzusehen.
E.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende von B. eingelegte Berufung an das Bundesgericht. Er beantragt, es sei von seiner Entmündigung abzusehen, eventuell die Veröffentlichung zu verschieben, subeventuell sei die Sache zur Aktenergänzung und zu neuer Entscheidung an die kantonale Instanz zurückzuweisen.
F.-
Der Regierungsrat hat keine Gegenbemerkungen (
Art. 56 OG
) eingereicht.
G.-
In der bundesgerichtlichen Verhandlung vom 28. Januar 1965 wurde die Beurteilung der Sache mit Rücksicht auf die als bevorstehend betrachtete bedingte Entlassung des Berufungsklägers aus der Strafanstalt aufgeschoben. Das erste Haftentlassungsgesuch hatte jedoch keinen Erfolg, weshalb eine neue Verhandlung angesetzt wurde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dass der Berufungskläger nach dem klaren, an keinen Vorbehalt geknüpften Wortlaut des
Art. 371 ZGB
unter Vormundschaft gehört, unterliegt keinem Zweifel. Auch die sich aus Abs. 2 daselbst und aus
Art. 432 ZGB
ergebende Voraussetzung der wirklichen Haftverbüssung ist erfüllt. Die Verurteilung des Berufungsklägers war - angesichts der Strafdauer notwendigerweise - eine unbedingte, und beim Strafantritt blieb eine Strafzeit von mehr als einem Jahr zu verbüssen (vgl.
BGE 78 II 407
,
BGE 84 II 679
Erw. 1).
2.
Der Berufungskläger hält dafür,
Art. 371 ZGB
dürfe dann nicht angewendet werden, wenn die Entmündigung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen weder dem Inhaftierten Schutz und Fürsorge zu bieten vermöge noch zum Schutze dritter Personen, namentlich der Allgemeinheit, geeignet und notwendig sei. So verhalte es sich hier; denn für die gute Führung seines Bankunternehmens sei auf andere Weise bereits gesorgt - eine Entmündigung könnte sich auf Gang und Entwicklung des Unternehmens nur nachteilig auswirken -, und in persönlicher Beziehung bedürfe er gleichfalls keiner vormundschaftlichen Fürsorge.
Indessen verlangt
Art. 371 ZGB
(im Unterschied zu den Artikeln 369 und 370) nicht den Nachweis eines Schutzbedürfnisses des Inhaftierten oder anderer Personen, sondern sieht
BGE 91 II 170 S. 173
die Entmündigung einfach als rechtliche Folge einer Freiheitsstrafe von bestimmter Mindestdauer vor. "Die Haft bildet den Grund", heisst es denn auch kurzweg in den Erläuterungen zum entsprechenden Artikel des Vorentwurfs (Seite 293 Mitte von Band I der zweiten Ausgabe). Bei der Gesetzesberatung beschloss der Nationalrat zwar zunächst, die Entmündigung Strafgefangener ohne Rücksicht auf die Dauer der Strafhaft lediglich für den Fall vorzusehen, dass sie ihre Angelegenheiten nicht zu besorgen vermögen. Der Ständerat stellte dann aber, ohne zum Zweck dieser Entmündigung näher Stellung zu nehmen, die ursprüngliche Fassung der Norm wieder her, wonach die kurzen Freiheitsstrafen davon ausgenommen sind, was hierauf der Nationalrat ebenfalls gelten liess (vgl. die Darlegungen von K. SPECKER, Der Strafverhaft als Entmündigungsgrund, ZSR, NF 65 S. 297/98).
3.
Angesichts dieser gesetzlichen Regelung kann es sich nur fragen, ob die Entmündigung auch bei einer effektiven Strafdauer von mindestens einem Jahr ausnahmsweise, unter besonderen des Nachweises bedürfenden Umständen, unterbleiben dürfe und solle: dann nämlich, wenn diese Massnahme weder dem Inhaftierten Schutz und Fürsorge bieten kann noch der Sicherheit anderer Personen dient, sondern statt irgendwelchen Nutzens bloss beträchtliche Nachteile mit sich bringt. Die ältere Lehre (angeführt bei EGGER, Kommentar, 2. A., N. 8 zu
Art. 371 ZGB
) hielt sich an den Wortlaut des Gesetzes. EGGER selber änderte seine Ansicht und legt (a.a.O. N. 8-10) dar, dass der eigentliche Grund der Entmündigung nach
Art. 371 ZGB
in der Notwendigkeit liege, die Interessen des Sträflings zu wahren. Für das Vorliegen dieser Notwendigkeit bestehe trotz dem vorbehaltlosen Gesetzestext keine unwiderlegliche Fiktion, sondern nur eine widerlegliche Vermutung; der Gegenbeweis - dass keine vermögensrechtlichen Interessen zu wahren seien oder der Inhaftierte sie selber zu wahren vermöge - werde sich allerdings in der Regel nicht erbringen lassen. Die gleiche Ansicht vertritt mit eingehender Begründung K. SPECKER (a.a.O.), ebenso G. SPITZER, Zur Anwendung von
Art. 371 ZGB
, SJZ 1946 S. 7 ff. Auch CL. MAGET (Le choix de la mesure tutélaire adéquate dans les cas des articles 369 à 372 CC, thèse Fribourg 1956, p. 166 et sv.) schliesst sich dieser Kritik an, hält aber dafür, es bedürfe einer Gesetzesänderung, um dem Entmündigungsgrund der Strafhaft den
BGE 91 II 170 S. 174
absoluten Charakter zu nehmen. SPECKER (a.a.O. 298 ff.) ist sich übrigens gleichfalls bewusst, dass die von ihm vertretene Lösung im Texte des Art. 371 keine Stütze findet. Er bezeichnet aber nicht bloss den Wortlaut, sondern auch den Inhalt dieses Artikels als verfehlt; derartige absolute, von den Gegebenheiten des Einzelfalles losgelöste Normen "können vom Standpunkte des richtigen Rechts aus richtig, sie können aber auch falsch sein. Und Art. 371 ist eine falsche Norm". Eine einschränkende Auslegung hält er für zulässig und geboten auf Grund des allgemeinen Grundsatzes, "wonach jede Rechtsnorm, die im Einzelfall keinem vernünftigen Zweck dient, als auf diesen Fall nicht anwendbar entfällt". Der Ansicht SPEKKERS, der Sträfling habe als solcher keine persönliche Fürsorge nötig, tritt C. STÖCKLI (Der Strafverhaft als Entmündigungsgrund,
Art. 371 ZGB
, ZVW 1961 S. 1 ff.) entgegen. Er lässt bloss gelten, dass sich eine solche Vormundschaft "auch einmal als zweckwidrig erweisen kann", und hält es für angezeigt, der Vormundschaftsbehörde schon nach geltendem Recht die Befugnis einzuräumen, in einem solchen Falle "auf Gesuch hin Ausnahmen von der Bevormundung zu gestatten".
Dem zuletzt erwähnten Autor ist darin beizustimmen, dass ein Vormund dem Strafgefangenen in manchen Fällen eine Hilfe und Fürsorge zu gewähren vermag, welche die anstaltsinterne Fürsorge in nützlicher Weise ergänzt und dem Schützling denn auch willkommen ist. Dass dieser Gesichtspunkt im vorliegenden Fall aus besondern Gründen gänzlich entfalle, ist nicht dargetan. Dem vornehmlich um die Zukunft seines Bankunternehmens besorgten Berufungskläger mag die Einsicht fehlen, dass er der persönlichen Betreuung bedarf, um zu gegebener Zeit, wenn er die Anstalt verlässt, charakterlich den Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein. Da das Gegenteil nicht nachgewiesen ist, muss aber die der Vormundschaft über Strafgefangene zukommende Bedeutung als Massnahme der persönlichen Fürsorge auch im vorliegenden Falle anerkannt werden. In bezug auf die Vermögensinteressen des Berufungsklägers ist freilich die Befürchtung nicht von vornherein von der Hand zu weisen, eine Vormundschaft könnte sich wegen der besondern Art des von ihm betriebenen Gewerbes und der bei dessen Ausübung zu beachtenden Verschwiegenheit (sog. Bankgeheimnis;
Art. 47 Abs. 1 lit. b BankG
) ungünstig auswirken. Allein, da er selbst in der Strafhaft
BGE 91 II 170 S. 175
nur in sehr beschränktem Masse die Geschäftsführung zu überwachen vermag, bedarf es gerade mit Rücksicht auf die mit einem solchen Gewerbe verbundenen vielfältigen Vermögensbeziehungen grundsätzlich einer gesetzlichen Vertretung. Der Umstand, dass der Betrieb derzeit von einem tüchtigen Prokuristen geleitet wird, der das Vertrauen des bis auf weiteres in hohem Masse verhinderten Prinzipals geniesst, und dass die Ehefrau und die Töchter des Berufungsklägers mithelfen, macht die Einsetzung eines Vormundes, der an Stelle des Berufungsklägers die Geschäftsführung unmittelbar zu überwachen und bei Bedarf sogleich einzugreifen vermag, nicht überflüssig. Natürlich untersteht der Vormund bei dieser Tätigkeit auch seinerseits der für das Bankgewerbe geltenden Schweigepflicht, und er wird (auch wenn er seinerseits Bankfachmann sein sollte) seine Vertretungsbefugnisse in enger Fühlungnahme mit dem Berufungskläger auszuüben und jede unnötige Störung des Betriebes zu vermeiden haben.
Hat man es somit nicht mit einem Falle zu tun, in dem die einem Vormund obliegenden Aufgaben - persönliche Betreuung des Haftgefangenen und Wahrung von Vermögensinteressen desselben - unter den gegebenen Umständen offensichtlich völlig ausser Betracht fallen, so kann offen bleiben, ob in einem solchen ausserordentlichen Falle von einer Entmündigung nach
Art. 371 ZGB
abzusehen wäre. Diese Gesetzesnorm schon dann nicht anzuwenden, wenn sich gewisse damit für den Strafgefangenen möglicherweise verbundene Nachteile nicht vermeiden lassen, müsste als bedenklich erscheinen. Für die rechtsanwendenden Behörden ist Zurückhaltung um so mehr am Platze, als bei der Bundesversammlung ein Postulat auf Revision des Vormundschaftsrechtes hängig ist (vgl. E. SCHAFFER, Revision des Vormundschaftsrechtes? in der Monatsschrift für bernisches Verwaltungsrecht 1964 S. 71 ff.). Nichts Abweichendes ergibt sich aus
BGE 84 II 677
, einer die Anwendung von Art. 432 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 433 ZGB
betreffenden Entscheidung.
4.
Für den Fall, dass es bei der vom Regierungsrate bestätigten Entmündigung zu bleiben hat, beantragt der Berufungskläger die Verschiebung ihrer Publikation. Er beruft sich hiebei auf den nach seiner Ansicht bei der Entmündigung wegen Strafhaft analog anwendbaren zweiten Absatz von
Art. 375 ZGB
. Die in dieser Vorschrift geregelte Veröffentlichung
BGE 91 II 170 S. 176
der Bevormundung ist jedoch eine Vollzugsmassnahme, die ebensowenig wie die Ernennung des Vormundes der Berufung an das Bundesgericht unterliegt (vgl. betreffend Nichtzulässigkeit der in Art. 86 Ziff. 3 des alten OG vorgesehenen zivilrechtlichen Beschwerde gegen die Wahl eines Vormundes:
BGE 46 II 344
Erw. 6 undBGE 50 II 440Erw. 4). Allerdings findet sich in der Literatur die Ansicht vertreten, wegen Verletzung des
Art. 375 ZGB
als einer bundesrechtlichen Verfahrensvorschrift sei die Weiterziehung an das Bundesgericht ebenso wie in der Frage der Entmündigung oder der Stellung unter Beistandschaft zulässig (früher durch zivilrechtliche Beschwerde, jetzt durch Berufung): so EGGER, N. 15 zu
Art. 375 ZGB
, und BIRCHMEIER, N. 13 c zu
Art. 44 OG
, S. 140. Beide berufen sich aufBGE 61 II 3, EGGER auch noch aufBGE 35 I 101. Diese Entscheidungen betreffen jedoch nicht die Frage, ob die Anordnung (oder Ablehnung) der Veröffentlichung einer Vormundschaft an das Bundesgericht weitergezogen werden könne.
BGE 35 I 101
ff. erörtert ein anderes Problem: ob als "Eröffnung oder Mitteilung" eines kantonalen Entscheides im Hinblick auf eine staatsrechtliche Beschwerde die Publikation der Bevormundung im Amtsblatt gelten könne, oder ob die Frist zur Ergreifung dieses Rechtsmittels erst durch Mitteilung der Verfügung an den Betroffenen persönlich in Gang gesetzt werde. UndBGE 61 II 3(1 ff.) betrifft die Anfechtung einer Entmündigung als solcher, welche auf
Art. 372 ZGB
beruhte und vom Bundesgericht bestätigt wurde mit der Bemerkung, die aus Versehen den
Art. 369 ZGB
anführende Bekanntmachung, wie sie erfolgt war, werde durch eine auf Art. 372 hinweisende neue Bekanntmachung richtigzustellen sein. Die Veröffentlichung selbst bildete also weder im einen noch im anderen Falle den Gegenstand einer Weiterziehung. Sie konnte - und kann - es denn auch nicht sein. Wie BIRCHMEIER (N. 4 zu
Art. 44 OG
, S. 129, und N. 9 zum gleichen Artikel, S. 134) zutreffend ausführt, ordnet das Gesetz in Art. 44 lit. a-c die der Berufung unterliegenden Fälle abschliessend. Dieses Rechtsmittel ist somit nur gegen den eigentlichen Entscheid (Hauptentscheid) über die dort angeführten vormundschaftlichen Massnahmen und über deren Aufhebung gegeben, nicht aber gegen die auf einen solchen Entscheid folgenden, dessen Vollzug dienenden Verfügungen. Dem steht nicht entgegen, dass das mit einer Berufung gemäss
Art. 44 lit. c OG
BGE 91 II 170 S. 177
befasste Bundesgericht die das Entmündigungs- und Verbeiständungsverfahren betreffenden bundesrechtlichen Verfahrensvorschriften mitzuberücksichtigen hat. Deren Beachtung bildet eben eine Voraussetzung der Entmündigung; ihre Missachtung hat zur Folge, dass ein gesetzmässiger Entscheid nicht zustande kommt, und bildet deshalb einen Berufungsgrund gegenüber dem Entmündigungsentscheid (vgl. zur Verletzung des rechtlichen Gehörs nach
Art. 374 Abs. 1 ZGB
:
BGE 70 II 76
,
BGE 87 II 129
ff., und zur Unterlassung, im Falle des Art. 369 ein Gutachten einzuholen nach Vorschrift des
Art. 374 Abs. 2 ZGB
:
BGE 39 II 1
ff.). Ganz anders verhält es sich mit der Publikation der (rechtskräftig ausgesprochenen) Bevormundung. Sie ist eine Folge dieser Massnahme und gehört zu deren Vollzug; es handelt sich nicht mehr um einen Teil des Verfahrens, das nach Bundesrecht zu befolgen ist, bevor über die Entmündigung entschieden werden darf. Berührt somit der Entscheid über die Publikation und über deren allfällige Verschiebung die Gültigkeit der Entmündigung nicht, so kann er im Streit über die Entmündigung keinen Berufungsgrund bilden, und vollends fällt er für sich allein nicht unter
Art. 44 lit. c OG
.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie abgewiesen und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Nidwalden vom 14. September 1964 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
8bd3c577-8755-4b57-8c19-be4b3ba37e07 | Urteilskopf
132 V 127
15. Auszug aus dem Urteil i.S. A. gegen Sammelstiftung X. in Liquidation (B 41/04), B. gegen Sammelstiftung X. in Liquidation (B 42/04) sowie Sammelstiftung X. in Liquidation gegen B. (B 44/04), und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
B 41/04 + B 42/04 + B 44/04 vom 28. Dezember 2005 | Regeste a
Art. 52, Art. 56 Abs. 1 lit. b (in der bis 30. April 1999 in Kraft gestandenen Fassung) und lit. c,
Art. 56a Abs. 1 BVG
(in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen sowie in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung); Art. 6 ff., Art. 8 Abs. 1 Satz 2 (in Kraft gestanden bis 30. Juni 1998), Art. 11 (aufgehoben per 31. Dezember 1996) SFV 2;
Art. 24 ff.,
Art. 26 Abs. 1 Satz 2 SFV
: Verrechnung von Verantwortlichkeitsansprüchen mit Freizügigkeitsleistungen; Vorschussleistungen des Sicherheitsfonds BVG.
Einer zahlungsunfähig gewordenen Vorsorgeeinrichtung kann die Verrechnungsmöglichkeit von allfälligen Verantwortlichkeitsansprüchen gegenüber einem Destinatär mit dessen Forderung auf Freizügigkeitsleistungen nicht aus dem Grunde abgesprochen werden, dass der Sicherheitsfonds BVG die Leistungen bevorschusst hat. (Erw. 4)
Regeste b
Art. 39 Abs. 2,
Art. 56 Abs. 2 BVG
;
Art. 120 ff. OR
: Verrechnungsverbot.
An der Rechtsprechung, wonach die Verrechnung einer Schadenersatzforderung der Vorsorgeeinrichtung mit einem Anspruch des Destinatärs auf Übertragung der Vorsorgemittel an die neue Vorsorgeeinrichtung aus Gründen des Vorsorgeschutzes nicht zulässig ist, ist auch nach In-Kraft-Treten des FZG festzuhalten. (Erw. 6.1- 6.3.2)
Das derart bestätigte Verrechnungsverbot gilt nicht nur für den obligatorischen, sondern auch für den gesamten Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge. (Erw. 6.4-6.4.2)
Eine Verrechnung ist demgegenüber zulässig im Falle von nicht nach den Bestimmungen der beruflichen Vorsorge geäufneten Guthaben. (Erw. 6.4.3-6.4.3.3)
Regeste c
Art. 124 Abs. 2 OR
: Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf Vorsorgemittel.
Sofern sich die Ansprüche von Vorsorgeeinrichtung und Destinatär bereits vor Rechtskraft des Scheidungsurteils gegenüberstanden, kommt der geschiedenen Ehegattin des Destinatärs kein selbstständiger Anspruch auf die ihr gemäss Scheidungsurteil zugesprochenen Vorsorgemittel zu. (Erw. 7)
Regeste d
Art. 15 Abs. 2 BVG
;
Art. 2 Abs. 3 FZG
;
Art. 11 und 12 BVV 2
;
Art. 7 FZV
: Verzugszinsberechnung.
Das Vorsorgeguthaben ist bis Ende des Kalenderjahres pro rata temporis zu verzinsen. Am Ende des Kalenderjahres sind jeweils Zins und Kapital zu addieren. Der so ermittelte Betrag bildet Grundlage der Verzinsung im folgenden Jahr. (Erw. 8) | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 132 V 127 S. 130
A.
A.a
Der am 10. August 1939 geborene B. war seit 1974 - zunächst in seiner Eigenschaft als Direktor und ab 1985 als Verwaltungsratspräsident der in I. domizilierten Firma M. AG - bei der Gemeinschaftsstiftung Y. (nachfolgend: Gemeinschaftsstiftung) im Rahmen der beruflichen Vorsorge versichert. Nach der Überführung der Gemeinschaftsstiftung Ende 1984 in die neu gegründete Sammelstiftung X. (nachfolgend: Sammelstiftung) sowie in die bereits bestehende Anlagestiftung Z. (nachfolgend: Anlagestiftung) amtete B., der zuvor von 1976 bis 1979 Mitglied des Stiftungsausschusses sowie von 1980 bis 1984 Mitglied des Stiftungsrates der Gemeinschaftsstiftung gewesen war, ab diesem Zeitpunkt bis 1996 als Mitglied des Stiftungsrates der Anlagestiftung.
A.b
Mit Klage vom 13. September 2001 forderte B. von der Sammelstiftung X. in Liquidation (nachfolgend: Sammelstiftung in Liquidation) die Überweisung seines Vorsorgeguthabens in der Höhe von Fr. 752'393.85 nebst Zins zu 5 % seit 15. August 2000 an die aktuelle Vorsorgeeinrichtung der M. AG, die Winterthur-Columna, Stiftung für berufliche Vorsorge, in Winterthur. (...) Die Sammelstiftung in Liquidation liess sich in der Folge am 13. Februar 2002 mit dem Antrag auf Abweisung der Klage vernehmen; widerklageweise forderte sie von B. die Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 10 Mio., zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. Februar 1996, unter Vorbehalt der Nachklage. (...)
A.c
Nachdem die Ehe des mit A. verheirateten Versicherten mit Urteil des Gerichtspräsidenten II L. vom 27. Februar 2002 rechtskräftig geschieden und der ehemaligen Ehegattin die Hälfte der Personalvorsorge-Guthaben des B. zugesprochen worden war, lud der Instruktionsrichter A. am 23. April 2002 zum berufsvorsorgerechtlichen Klageverfahren bei.
(...)
B.
Mit Entscheid vom 17. März 2004 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Klage insoweit gut, als es die Sammelstiftung in Liquidation anwies, die vom Sicherheitsfonds erbrachten Leistungen in der Höhe von Fr. 542'022.80 (Stand 31. Januar 1996) zuzüglich Zins (1. Februar 1996 bis 31. Dezember 1999: 5 %; 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002: 4,25 %; ab 1. Januar 2003: 3,5 %) an die aktuelle Vorsorgeeinrichtung des Klägers, die Winterthur-Columna, Stiftung für berufliche Vorsorge, in Winterthur,
BGE 132 V 127 S. 131
zu übertragen (Dispositiv-Ziffer 1). Ferner stellte es fest, dass der Kläger bei der Beklagten per 31. Januar 1996 über ein weiteres Guthaben in der Höhe von Fr. 87'457.50 verfüge, welches nach den Bestimmungen der beruflichen Vorsorge geäufnet worden sei. Es sei verrechenbar mit allfälligen Schadenersatzansprüchen nach
Art. 52 BVG
(Dispositiv-Ziffer 2). Es stellte des Weitern fest, dass der Kläger bei der Beklagten per 31. Dezember 1996 über ein weiteres Guthaben in der Höhe von Fr. 87'365.30 verfüge, das nicht nach den Bestimmungen der beruflichen Vorsorge geäufnet worden und welches ebenfalls mit allfälligen Schadenersatzansprüchen nach
Art. 52 BVG
verrechenbar sei (Dispositiv-Ziffer 3). Auf die Widerklage wurde - so Dispositiv-Ziffer 4 - eingetreten, soweit der Widerbeklagte in seiner Eigenschaft als faktisches Organ von der Widerklägerin nach
Art. 52 BVG
verantwortlich gemacht werden könne. (...)
C.
C.a
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B. das Rechtsbegehren stellen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Sammelstiftung in Liquidation unter Entschädigungsfolgen anzuweisen, das Vorsorgeguthaben von insgesamt Fr. 716'845.60 (Stand 31. Januar 1996) zuzüglich Zins (1. Februar 1996 bis 31. Dezember 1999: 5 %; 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002: 4,25 %; ab 1. Januar 2003: 3,5 %) zuhanden der Beschwerdeführer an die aktuelle Vorsorgeeinrichtung des Beschwerdeführers, die Winterthur- Columna, Stiftung für berufliche Vorsorge, in Winterthur, zu übertragen; eventuell sei die Streitsache im Sinne der höchstrichterlichen Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Während die Sammelstiftung in Liquidation auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lässt, soweit darauf einzutreten sei, enthält sich A. (...) einer Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
C.b
Die Sammelstiftung in Liquidation lässt ihrerseits unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdegegners Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, in Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 1 und 5 des kantonalen Entscheides sei die Klage des B. abzuweisen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über die Verantwortlichkeit des Beschwerdegegners entscheide. Ferner sei festzustellen, dass die Sammelstiftung in Liquidation auch im Umfange, in
BGE 132 V 127 S. 132
welchem der Sicherheitsfonds BVG die gesetzlichen Leistungen bevorschusst habe, geschädigt und somit zur Erhebung der Widerklage legitimiert sei. (...)
Während B. und A. auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lassen, verzichtet das BSV auf eine Vernehmlassung.
C.c
A. lässt ebenfalls Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen, wobei sie sich im Hauptpunkt dem Antrag ihres geschiedenen Ehegatten anschliesst. Ferner ersucht sie um Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 4 des vorinstanzlichen Entscheides (...)
Die Sammelstiftung in Liquidation lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, soweit darauf einzutreten sei. B. und das BSV verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Die Vorinstanz hat erwogen, die Sammelstiftung X. in Liquidation (nachfolgend: Beschwerdeführerin 2) sei im Umfang, in welchem der Sicherheitsfonds die gesetzlichen Leistungen gemäss BVG erbracht habe (Fr. 542'022.80), nicht (mehr) geschädigt und daher nicht zur Widerklage legitimiert (Erw. 2 des kantonalen Entscheides). Eine Verrechnung des betreffenden Betrages mit allfälligen Verantwortlichkeitsansprüchen komme somit bereits aus diesem Grunde nicht in Frage, weshalb die Klage in diesem Umfang - nebst Zinsen - gutzuheissen sei (Dispositiv-Ziffer 1). Die Beschwerdeführerin 2 wendet dagegen ein, auch im Umfang, in welchem der Sicherheitsfonds die gesetzlichen Leistungen bevorschusst habe, geschädigt und folglich zur Widerklage legitimiert zu sein. Der Sicherheitsfonds habe im Zeitpunkt seiner Liquiditätsvorschüsse noch keine annähernd präzise Kenntnis von den konkreten haftungsbegründenden Tätigkeiten der verantwortlichen Personen gehabt. Die vom Fonds erbrachten Zahlungen stellten keine eigentliche Sicherstellung im Sinne von
Art. 56 BVG
dar, sondern bildeten lediglich provisorische Vorschüsse nach
Art. 56 BVG
in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über den Sicherheitsfonds BVG (SFV). Nach dieser Bestimmung sei der Betrag sicherzustellen, welcher der Vorsorgeeinrichtung zur Erfüllung ihrer gesetzlichen und reglementarischen Verpflichtung fehle. Diese Sicherstellung sei bloss provisorisch erfolgt und werde nur insoweit definitiv, als die Vorschüsse durch die
BGE 132 V 127 S. 133
Aktiven der Vorsorgestiftung nach Abschluss der Liquidation nicht gedeckt seien.
4.2
Aus den Akten ist ersichtlich, dass es sich bei den vom Sicherheitsfonds im Zeitraum von Juni 1997 bis Mitte Oktober 1998 erbrachten Leistungen nicht um eigentliche Sicherstellungen im Sinne der Art. 56 Abs. 1 lit. b (in der bis 30. April 1999 gültig gewesenen, vorliegend anwendbaren Fassung) und c BVG in Verbindung mit Art. 6 ff. aSFV 2 (in Kraft gestanden bis 30. Juni 1998) bzw. - seit 1. Juli 1998 -
Art. 24 ff. SFV
, sondern um blosse Vorschüsse gemäss Art. 8 Abs. 1 Satz 2 aSFV 2 bzw.
Art. 26 Abs. 1 Satz 2 SFV
handelt. Aus den Verfügungen des Sicherheitsfonds BVG vom 27. Juni, 29. Juli und 1. August 1997 sowie 12. Oktober 1998 geht hervor, dass die Personalvorsorgeeinrichtung verpflichtet ist, dem Sicherheitsfonds nach Abschluss des Betreibungsverfahrens einen definitiven Verlustschein nachzureichen und allfällige Rückzahlungen von nachträglich eingegangenen Dividenden oder zu viel geleisteter Vorschüsse vorzunehmen.
4.2.1
Der Zweck von so genannten Vorschüssen des Sicherheitsfonds BVG besteht darin, die rasche Auszahlung von Vorsorgeleistungen, noch vor der Durchführung und dem Abschluss allfälliger Verantwortlichkeitsprozesse, sicherzustellen. Die zahlungsunfähige Vorsorgeeinrichtung soll damit in die Lage versetzt werden, die fälligen Freizügigkeitsleistungen beförderlich zu erbringen (vgl. auch KRISTIN M. LÜÖND, Der Sicherheitsfonds BVG, Diss. Zürich 2004, S. 82).
4.2.2
Vor dem Hintergrund des lediglich provisorischen Charakters der noch vor Abschluss des Liquidations- oder Konkursverfahrens durch den Sicherheitsfonds ausgerichteten Beträge - worauf in den zuvor genannten Verfügungen des Sicherheitsfonds denn auch ausdrücklich hingewiesen wurde - kann nicht gesagt werden, mit der Bezahlung der Vorschüsse verzichte die Vorsorgeeinrichtung zum Vornherein auf Ansprüche gegenüber Verantwortlichen gemäss
Art. 52 BVG
und sei daher zu deren Geltendmachung nicht (mehr) legitimiert. Die Ausrichtung der Vorschüsse ist, nach der beschriebenen Zielsetzung, primär sozialpolitisch begründet und kann nicht bezwecken, die Vorsorgeeinrichtung von der Wahrnehmung der Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber Pflichtigen im Sinne von
Art. 52 BVG
zu entheben, zumal dies auch nicht im Interesse der Vorsorgenehmer läge. Es ist somit, jedenfalls solange der Sicherheitsfonds wie im vorliegenden Fall
BGE 132 V 127 S. 134
lediglich Vorschussleistungen und keine definitiven Sicherstellungen erbracht hat, primär an der Vorsorgeeinrichtung selber, alle Möglichkeiten zur Minimierung ihrer Unterdeckung wahrzunehmen. In diesem Sinne wurde der zuständige Liquidator gestützt auf die Verfügung des Sicherheitsfonds vom 27. Juni 1997 denn auch verpflichtet, die Ansprüche der Destinatäre gegenüber der Personalvorsorgestiftung voll zu wahren und im Umfang der erbrachten Vorschussleistung die Verwertung der Aktiven sowie allfällige Inkassomöglichkeiten voll auszuschöpfen. Solange der Sicherheitsfonds einzig Vorschüsse ausbezahlt hat, dürfte es für ihn im Übrigen - mangels detaillierter Kenntnis der Sachlage - schwierig sein, sämtliche Verantwortlichkeitsansprüche im Umfang der von ihm erbrachten Leistungen geltend zu machen.
Anzufügen bleibt, dass dem Sicherheitsfonds bei Erbringung von eigentlichen Sicherstellungen nach der bis Ende 2004 massgeblichen Rechtslage (vgl.
Art. 56a Abs. 1 BVG
[mit welchem die bisherige, gleich lautende Verordnungsnorm des Art. 11 aSFV 2 per 1. Januar 1997 auf Gesetzesstufe angehoben wurde]) ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen gegenüber den Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung ein Verschulden traf, zustand. Damit dürfte, wenn diese Frage vorstehend auch nicht abschliessend zu beantworten ist, dem Sicherheitsfonds zwar eine Regressmöglichkeit aus eigenem Recht, nicht aber ein eigentliches Eintreten - und damit die Subrogation - in die Rechtsstellung der betroffenen Vorsorgeeinrichtung eingeräumt worden sein (ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Staatliche Haftung bei mangelhafter BVG-Aufsichtstätigkeit, Diss. Zürich 1996, S. 253 f.; LÜÖND, a.a.O., S. 108; vgl. zudem
BGE 130 V 280
ff. Erw. 2.1). Auch gestützt darauf wäre die Frage der Legitimation der Beschwerdeführerin 2 - entgegen der Betrachtungsweise der Vorinstanz - wohl eher zu bejahen. Ebenfalls offen bleiben kann in diesem Zusammenhang ferner, wie es sich nunmehr nach In-Kraft-Treten der 1. BVG-Revision auf den 1. Januar 2005 verhält, in deren Rahmen
Art. 56a Abs. 1 BVG
insoweit neu gefasst wurde, als der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, im Zeitpunkt der Sicherstellung im Umfang der sichergestellten Leistungen in die Ansprüche der Vorsorgeeinrichtung eintreten kann (dazu: LÜÖND, a.a.O., S. 144; HERMANN WALSER, Auffangeinrichtung und
BGE 132 V 127 S. 135
Sicherheitsfonds, in: SZS 2005 S. 82 f.; HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, Rz 1580).
4.2.3
Zusammenfassend ergibt sich, dass der Beschwerdeführerin 2 die Verrechnungsmöglichkeit mit allfälligen Verantwortlichkeitsansprüchen gemäss
Art. 52 BVG
- und damit die Legitimation zur Widerklage - nicht bereits aus dem Umstand abgesprochen werden kann, dass ihr der Sicherheitsfonds Vorschüsse ausbezahlt hat. Die mit diesem Argument begründete Gutheissung der Klage im Umfang des vom Sicherheitsfonds bevorschussten Betrages (Fr. 542'022.80 [nebst Zinsen]) durch die Vorinstanz (Dispositiv-Ziffer 1) ist demnach nicht zu schützen.
(...)
6.
Streitig und zu prüfen ist des Weitern die grundsätzliche Verrechenbarkeit der Austrittsleistungen des Beschwerdeführers 1 mit den von der Sammelstiftung X. in Liquidation widerklageweise geltend gemachten Verantwortlichkeitsansprüchen.
6.1
6.1.1
Die Verrechenbarkeit sich gegenüberstehender Forderungen stellt nach Lehre und Rechtsprechung einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der für das Zivilrecht in
Art. 120 ff. OR
ausdrücklich verankert ist, aber auch im Verwaltungsrecht zur Anwendung gelangt. Unter Vorbehalt verwaltungsrechtlicher Sonderbestimmungen können im Prinzip Forderungen und Gegenforderungen des Bürgers und des Gemeinwesens miteinander verrechnet werden. Der Verrechnungsgrundsatz gilt insbesondere auch im Bundessozialversicherungsrecht, und zwar selbst in jenen Zweigen, welche dies nicht ausdrücklich vorsehen; allerdings kennen die meisten Gebiete der Sozialversicherung eine ausdrückliche Regelung (
BGE 110 V 185
Erw. 2 mit Hinweisen; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, S. 94 f., HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 2. Aufl., Zürich 1993, S. 35 Rz 151 und S. 152 Rz 642 ff.; URS URSPRUNG, Die Verrechnung öffentlichrechtlicher Geldforderungen, in: ZBl 1979 S. 152 ff.; RÜEDI, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Sozialversicherungsprozesses, in: SCHLUEP ET AL. [Hrsg.], Recht, Staat und Politik am Ende des zweiten Jahrtausends, Bern 1993, S. 454). Im Bereich der Berufsvorsorge ist die spezielle Frage der Verrechenbarkeit von Forderungen, welche der Arbeitgeber an die Vorsorgeeinrichtung abgetreten hat, gesetzlich
BGE 132 V 127 S. 136
- in restriktivem Sinn - geregelt (
Art. 39 Abs. 2 BVG
; vgl. dazu
BGE 114 V 33
sowie das in SZS 1991 S. 32 teilweise publizierte Urteil J. vom 30. August 1990, B 18/90; zum Ganzen: SZS 2005 S. 175 [Urteil W. vom 28. Juni 2004, B 76/03, Erw. 2.2.1], 2003 S. 502 [Urteil L. vom 21. November 2002, B 78/00, Erw. 4.1], 2002 S. 261 [Urteil M. vom 1. September 1998, B 45/97, Erw. 2a]; Urteil L. vom 29. Dezember 2000, B 20/00, Erw. 2a). Der Grundsatz der Verrechenbarkeit wird - jedenfalls in Bezug auf fällige Leistungen - auch in der neusten Literatur vertreten (vgl. HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, Rz 924).
6.1.2
Das BVG äussert sich, wie erwähnt, einzig in
Art. 39 Abs. 2 BVG
zur Verrechnung. Danach darf der Leistungsanspruch mit Forderungen, die der Arbeitgeber der Vorsorgeeinrichtung abgetreten hat, nur verrechnet werden, wenn sie sich auf Beiträge beziehen, die nicht vom Lohn abgezogen worden sind (vgl. zu dieser Problematik:
BGE 128 V 224
,
BGE 126 V 314
,
BGE 114 V 33
; SZS 2004 S. 378 [Urteil K. vom 30. April 2002, B 95/00] und 1991 S. 32 [Urteil J. vom 30. August 1990, B 18/90]). Die Rechtsprechung hat die Möglichkeit der Verrechnung sodann in Fällen von ursprünglichen, bei der Vorsorgeeinrichtung entstandenen Schadenersatzforderungen aus Gründen der Erhaltung des Vorsorgeschutzes (keine Zweckentfremdung der Vorsorgemittel) bislang - jedoch noch vor In-Kraft-Treten des BVG (1985) und FZG (1995) - in
BGE 111 II 164
(Forderung des Destinatärs auf künftige Vorsorgeleistungen; keine Barauszahlung der Leistung gemäss alt
Art. 331c Abs. 1 und 2 OR
[in Kraft gestanden bis 31. Dezember 1994]) abgelehnt.
6.2
Vorliegend ist die Verrechenbarkeit einer Schadenersatzforderung der Vorsorgeeinrichtung (ursprüngliche, nicht abgetretene Forderung) mit einem Anspruch des Destinatärs auf Übertragung der Vorsorgemittel (Austrittsleistung) an die neue Vorsorgeeinrichtung gemäss
Art. 3 FZG
zu beurteilen.
6.2.1
Zur gleichen sachverhaltsmässigen Konstellation hat das Bundesgericht - zwar noch unter altem Recht, aber bereits mit Blick auf das zwischenzeitlich per 1. Januar 1985 in Kraft getretene BVG - im bereits erwähnten
BGE 111 II 164
(namentlich 168 ff. Erw. 2a, b und c) folgendes erkannt:
"a) Anders als beim Lohn (
Art. 323b Abs. 2 OR
) hat der Gesetzgeber bei den Leistungen der Fürsorgeeinrichtung nur die Abtretung und Verpfändung, nicht aber die Verrechenbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen
BGE 132 V 127 S. 137
(
Art. 331c Abs. 2 OR
). Daraus ist in der Literatur zum Teil auf die Zulässigkeit der Verrechnung geschlossen worden (BRÜHWILER, Handkommentar zum Einzelarbeitsvertrag, N. 5 zu
Art. 331c OR
; vgl. auch STREIFF, Leitfaden zum neuen Arbeitsvertrags-Recht, 3. Aufl., N. 9 zu
Art. 331c OR
). Diese Betrachtungsweise wird indes dem Zweck der gesetzlichen Regelung nicht gerecht.
Art. 331c OR
will die Beiträge dem Vorsorgezweck erhalten, soweit nicht ein Ausnahmefall von Abs. 4 vorliegt.
Art. 331c Abs. 1 und 2 OR
enthält deshalb ein zwingendes Barauszahlungsverbot. Zweck der starren Bindung einer Freizügigkeitspolice ist es, unter allen Umständen dem Arbeitnehmer eine Vorsorge zu gewährleisten. Daraus ist abgeleitet worden, bis zum Eintritt des Vorsorgefalls seien die betreffenden Forderungen der Destinatäre diesen gegenüber gar nicht erfüllbar, was eine Verrechnung ausschliesse (RIEMER, Die Verrechnungseinrede der Personalvorsorgestiftung gegenüber Forderungen ihrer Destinatäre, SJZ 75/1979, S. 343; VIRET, La prévoyance en faveur du personnel selon le nouveau droit du contrat de travail, ZSR 94/1975 I, S. 170 f.). In der Literatur wird überdies angenommen, der Anspruch des Destinatärs auf Geldzahlung an die neue Personalfürsorgeeinrichtung schliesse die Verrechnung auch mangels Gleichartigkeit der Forderungen aus (vgl. RIEMER, a.a.O. S. 343 mit Hinweisen). Die Klägerin hält dem entgegen, ihre Pflicht, das Deckungskapital an die Personalfürsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers zu überweisen, trete jetzt und nicht erst mit dem Vorsorgefall ein, weshalb die Forderung nicht bloss erfüllbar, sondern zudem fällig sei; auch sei die Gleichartigkeit der Forderungen gegeben, da die neue Vorsorgeeinrichtung bloss als Zahlstelle wirke, materiell aber eine Forderung des Destinatärs vorliege. Entscheidend ist indes, dass eine Zweckentfremdung der Vorsorgemittel im Anwendungsbereich des
Art. 331c Abs. 1 und 2 OR
ausgeschlossen werden muss. Eine Verrechnung ist daher unzulässig, soweit sie eine solche Zweckentfremdung bewirkt.
b) Diese Gefahr besteht nicht bei Barauszahlungen gemäss
Art. 331c Abs. 4 OR
. Wenn ausnahmsweise eine Barauszahlung erfolgen kann, dann sind die entsprechenden Mittel nicht mehr für die künftige Vorsorge reserviert. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen das von der Stiftung ausbezahlte Vermögen bewusst aus der bis dahin bestehenden Zweckbindung entlassen, und der Destinatär kann frei darüber verfügen (Botschaft zur Änderung von
Art. 331c Abs. 4 OR
, BBl 1976 I, S. 1269 f., 1273; Botschaft zum BVG, BBl 1976 I, S. 238 f., 240; RIEMER, a.a.O. S. 344). Aus
BGE 106 II 157
, wo das Bundesgericht die Verrechnung in einem Fall, in dem die Destinatäre in bar abgefunden worden sind, als zulässig erachtet hat, kann deshalb die Klägerin nichts zu ihren Gunsten ableiten. Ebensowenig hilft ihr der Hinweis auf
BGE 109 III 82
(E. 2a), da das Bundesgericht dort zur Frage der Verrechenbarkeit nicht Stellung genommen hat.
c) Die Klägerin macht geltend, selbst wenn die Gelder nicht zweckentfremdet werden dürften, so gelte das höchstens für vom Arbeitgeber an die Personalfürsorgestiftung abgetretene Forderungen, nicht aber für
BGE 132 V 127 S. 138
ursprüngliche Forderungen der Stiftung, mindestens nicht für solche aus unerlaubter Handlung des Destinatärs. Auch bei einer ursprünglichen Forderung der Stiftung führt die Verrechnung im Ergebnis zu einer zweckwidrigen Verwendung des Stiftungsvermögens (dazu Riemer, a.a.O. S. 323). Daran ändert nichts, dass die Mittel zur Abdeckung von Schadenersatzforderungen aus unerlaubter Handlung verwendet werden sollen. Ob allenfalls in Analogie zu
Art. 323b Abs. 2 OR
davon bei absichtlicher Schädigung eine Ausnahme zu machen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Nichts Gegenteiliges ergibt sich ferner aus
Art. 39 Abs. 2 BVG
, wobei dahingestellt bleiben kann, ob das während des bundesgerichtlichen Verfahrens in Kraft getretene Gesetz bereits direkt anwendbar wäre.
Art. 39 Abs. 2 BVG
lässt die Verrechnung in einem Sonderfall zu, nämlich wenn der Arbeitgeber aus irgendeinem Grund den Beitragsanteil des Arbeitnehmers nicht vom Lohn abgezogen (
Art. 66 Abs. 2 und 3 BVG
) und die Forderung der Personalvorsorgeeinrichtung abgetreten hat. Hingegen verbietet die Bestimmung generell die Verrechnung mit allen andern, vom Arbeitgeber der Personalvorsorgeeinrichtung abgetretenen Forderungen, und zur Verrechenbarkeit mit ursprünglichen Forderungen der Vorsorgeeinrichtung äussert sie sich nicht. (...) "
6.2.2
Daraus erhellt, dass für den hier interessierenden Fall eine Verrechnung bereits aus Gründen des Vorsorgeschutzes (keine Zweckentfremdung der Vorsorgemittel) als nicht zulässig erachtet wurde.
6.3
Fraglich ist, ob das auf den 1. Januar 1995 in Kraft getretene FZG an dieser Rechtslage etwas geändert hat.
6.3.1
Das FZG regelt in seinem zweiten Abschnitt (Art. 2-8) die Rechte und Pflichten der Vorsorgeeinrichtung bei Austritt von Versicherten. Gemäss
Art. 2 Abs. 1 FZG
haben Versicherte, welche die Vorsorgeeinrichtung verlassen, Anspruch auf eine Austrittsleistung. Deren Höhe bestimmt sich nach dem Reglement, muss aber mindestens den gemäss
Art. 15-19 FZG
zu berechnenden Mindestbetrag erreichen (
Art. 2 Abs. 2 FZG
). Treten Versicherte in eine neue Vorsorgeeinrichtung ein, so hat die frühere Vorsorgeeinrichtung die Austrittsleistung an die neue zu überweisen (
Art. 3 Abs. 1 FZG
); trifft dies nicht zu, ist der Vorsorgeschutz in anderer Form zu erhalten (
Art. 4 Abs. 1 FZG
), sofern nicht gestützt auf einen Tatbestand nach
Art. 5 Abs. 1 FZG
die Barauszahlung verlangt wird. Die Botschaft des Bundesrates zum FZG vom 26. Februar 1992 weist sodann unter Ziff. 632.5 (S. 45; S. 46 des französischen Textes) darauf hin, dass
Art. 6 FZG
("Nicht eingebrachte Eintrittsleistung und Erhöhungsbeiträge") der Vorsorgeeinrichtung die Verrechnung der Austrittsleistung mit
BGE 132 V 127 S. 139
dem Teil der Eintrittsleistung und den Erhöhungsbeiträgen ermöglicht, welche der Vorsorgenehmer noch schuldet. Wie am Ende dieser Ziffer erläutert wird, besteht hingegen keine Verrechnungsmöglichkeit für den vom Arbeitgeber zu finanzierenden Teil (da dies zu Rechtsungleichheiten führen würde, welche aus der Zahlungsweise des Arbeitgebers resultieren).
6.3.2
Nach dem Dargelegten geht die Botschaft offenbar davon aus, dass die blosse Nichterwähnung einer Verrechnungsmöglichkeit (in Bezug auf den Arbeitgeberanteil [im Gegensatz zum Anteil des Vorsorgenehmers]) ausreiche, um die Verrechnung auszuschliessen. Es bedürfe mit anderen Worten im Freizügigkeitsrecht einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, um die Verrechenbarkeit zweier Leistungen für zulässig zu erklären. Daraus liesse sich allenfalls ableiten, das FZG enthalte, soweit über Art. 6 hinausgehend, ein qualifiziertes Schweigen (vgl. dazu Urteile F. vom 19. Oktober 2005, H 176/03, Erw. 3.2.2, sowie M. vom 3. März 2005, P 78/02, Erw. 6.2 je mit Hinweis) in dem Sinne, dass eine anderweitige Verrechnung - und damit auch die vorliegend zu beurteilende Sachlage - ausgeschlossen werden sollte. Wie es sich damit verhält, braucht indessen nicht abschliessend beantwortet zu werden. Es ergeben sich jedenfalls weder aus den Materialien noch aus der Zwecksetzung des FZG Anhaltspunkte, wonach mit dem neuen Gesetz eine Erweiterung der Verrechnungsmöglichkeiten der Vorsorgeeinrichtungen - und damit eine Abkehr von der primär sozialpolitisch begründeten, in
BGE 111 II 164
verankerten höchstrichterlichen Rechtsprechung - beabsichtigt worden wäre. Auch der seit In-Kraft-Treten des FZG erschienenen Literatur sind im Übrigen keine derartigen Hinweise zu entnehmen. So hält namentlich BRÜHWILER in seinem Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag (Bern 1996, S. 260, N 2 zu
Art. 331b OR
) fest:
"Unter Vorbehalt der im Gesetz ausdrücklich statuierten Ausnahmen (
Art. 5 Abs. 1 FZG
,
Art. 331d und e OR
,
Art. 30a-30f BVG
,
Art. 22 FZG
,
Art. 39 Abs. 2 BVG
) ist [...] eine zweckfremde Verwendung der Vorsorgemittel sowohl in der obligatorischen als auch in der weitergehenden Personalvorsorge untersagt. Demnach ist speziell auch die Verrechnung im weitergehenden Teil der Personalvorsorge rechtlich unzulässig, es sei denn, es liege ein Fall der Barauszahlung gemäss
Art. 5 FZG
vor (
BGE 111 II 168
f.,
BGE 114 V 41
f.; VISCHER, S. 142; RIEMER, Berufliche Vorsorge,
§ 5 N 29
f.; STREIFF/VON KÄNEL, N 12 zu alt
Art. 331c OR
). Das Verrechnungsverbot gilt sowohl für Forderungen, die der
BGE 132 V 127 S. 140
Vorsorgeeinrichtung, z.B. vom Arbeitgeber, abgetreten wurden, als auch für ursprüngliche (d.h. nicht abgetretene) Forderungen, z.B. Schadenersatzansprüche der Vorsorgeeinrichtung gegenüber dem Arbeitnehmer (
BGE 111 II 169
). Anders als bei
Art. 323b OR
darf die Vorsorgeeinrichtung selbst Ansprüche aus absichtlich zugefügtem Schaden nicht zur Verrechnung bringen; der Vorsorgezweck geht vor (
BGE 114 V 42
). Vgl. auch
BGE 106 II 155
ff.: Verrechnung von Schadenersatzansprüchen der Vorsorgeeinrichtung mit Barauszahlungsforderungen des Arbeitnehmers zu Recht bejaht, wobei erstere Verantwortlichkeitsansprüche der Vorsorgeeinrichtung gegen den Arbeitnehmer als Stiftungsorgan betraf."
STAUFFER erachtet in seinem Kommentar BVG (a.a.O., Rz 924) die Verrechnung von fälligen Leistungen im öffentlichen Recht - unter Vorbehalt des
Art. 125 Ziff. 2 OR
- grundsätzlich für zulässig. Gemeint ist damit vor dem Hintergrund der Erhaltung des Vorsorgeschutzes - und lediglich im Falle der Verrechnung mit ursprünglich bei der Vorsorgeeinrichtung entstandenen Schadenersatzforderungen - wohl die Fälligkeit im Sinne des Eintritts des Vorsorgefalles (so etwa das in SZS 2003 S. 502 publizierte Urteil L. vom 21. November 2002, B 78/00 [fällige Vorsorgeleistungen]; vgl. auch ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Kommentar Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 141) oder des Anspruchs auf Barauszahlung bei Eintritt des Freizügigkeitsfalles nach
Art. 5 FZG
(keine Zweckbindung der Vorsorgemittel mehr; so etwa
BGE 106 II 155
[zu alt
Art. 331c Abs. 4 OR
] oder Urteil L. vom 29. Dezember 2000, B 20/00 [Gegenforderung, aber wegen nicht bezahlter Prämien]; anders bei vom Arbeitgeber an die Vorsorgeeinrichtung abgetretenen Forderungen:
BGE 126 V 314
sowie SZS 2004 S. 378 [Urteil K. vom 30. April 2002, B 95/00]), nicht aber die Fälligkeit des Anspruchs auf Übertragung der Austrittsleistung an die neue Vorsorgeeinrichtung gemäss
Art. 3 FZG
(oder die Erhaltung des Vorsorgeschutzes in anderer Form nach
Art. 4 FZG
). In den Fällen von
Art. 3 und 4 FZG
besteht im Hinblick auf die Vorsorgemittel immer noch eine blosse Anwartschaft, für welche die Verrechnung ausgeschlossen wird (STAUFFER, a.a.O., Rz 923).
6.4
Zu prüfen ist des Weitern, ob das derart bestätigte Verrechnungsverbot für das gesamte Guthaben des Beschwerdeführers 1 gilt. Dieses setzt sich, wie die Vorinstanz allseits unbestritten festgestellt hat, aus den folgenden Komponenten zusammen:
- Die vom Sicherheitsfonds sichergestellten gesetzlichen und reglementarischen Leistungen belaufen sich auf Fr. 542'022.80 (obligatorische und nicht obligatorische Leistungen);
BGE 132 V 127 S. 141
- Das Guthaben in Höhe von Fr. 87'457.50, welches auf Grund der vom Sicherheitsfonds nicht gedeckten, vom Beschwerdeführer 1 aber ebenfalls entsprechend den gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen erbrachten Leistungen generiert wurde (nicht obligatorische Leistungen);
- Das vom Beschwerdeführer 1 auf der Basis von überhöhten Lohnmeldungen geäufnete Altersguthaben im Betrag von Fr. 87'365.30.
6.4.1
Dem Sicherheitsfonds BVG kommt gemäss
Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG
unter anderem die Aufgabe zu, die gesetzlichen Leistungen von zahlungsunfähig gewordenen Vorsorgeeinrichtungen sicherzustellen. Eine Gesetzesrevision, die am 21. Juni 1996 verabschiedet und am 1. Januar 1997 in Kraft gesetzt wurde, weitete die Insolvenzleistungen auf Teile des ausserobligatorischen Bereichs aus. Nach
Art. 56 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 BVG
sind nunmehr auch die überobligatorischen Leistungen auf der Basis eines massgebenden AHV-Lohnes bis zum anderthalbfachen oberen Grenzbetrag nach
Art. 8 Abs. 1 BVG
sichergestellt (vgl. auch
Art. 26 Abs. 1 Satz 1 SFV
; SZS 2001 S. 361 Erw. 2b [Urteil P. der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 4. Mai 2001, 2A.408/2000]). Damit wurde, wie namentlich dem Bericht und Entwurf der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 24. August 1995 zu entnehmen ist (BBl 1996 I 564 ff., insbes. 573), eine Begrenzung der Deckung eingeführt, da es unter sozialpolitischen Aspekten weder notwendig noch angezeigt erschien, den Insolvenzschutz auch auf die Versicherung von sehr hohen Lohnbestandteilen bzw. auf die eigentliche Kadervorsorge auszudehnen.
Daraus erhellt, dass vor dem Hintergrund des mit dem Verrechnungsverbot angestrebten Vorsorgeschutzes jedenfalls die vom Sicherheitsfonds BVG im vorliegenden Fall sichergestellten, obligatorischen und überobligatorischen Guthaben des Beschwerdeführers 1 in Höhe von Fr. 542'022.80 einer Verrechnung nicht zugänglich sind.
6.4.2
Der ebenfalls nach Massgabe der gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen geäufnete Betrag von Fr. 87'457.50 geniesst demgegenüber, da die Deckungsgrenze nach
Art. 56 Abs. 2 BVG
überschreitend und daher nicht durch den Sicherheitsfonds sichergestellt, keinen Insolvenzschutz (sog.
BGE 132 V 127 S. 142
"überüberobligatorische Ansprüche"; SZS 2001 S. 362 Erw. 3b [Urteil P. der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 4. Mai 2001, 2A.408/2000]). Der diesbezügliche Anspruch des Beschwerdeführers 1 gehört somit, wenn auch im Sinne einer Erstklassforderung nach
Art. 219 Abs. 4 lit. b SchKG
privilegiert, zur Liquidationsmasse. Eine mögliche Übertragung dieses Guthabens auf die neue Vorsorgeeinrichtung wird sich, sofern das Verrechnungsverbot auch für diesen Anteil zu bejahen ist, nur auf die zur Zeit noch nicht bezifferbare Konkursdividende belaufen.
Wie bereits in Erw. 6.4.1 hievor erwähnt, wurde die Begrenzung des durch den Sicherheitsfonds BVG im Bereich der weitergehenden Berufsvorsorge sichergestellten Betrages gemäss Art. 56 Abs. 1 lit c in Verbindung mit Abs. 2 sowie
Art. 8 Abs. 1 BVG
(in den vorliegend massgebenden Jahren 1997 und 1998 [vgl. Erw. 4.2 hievor] das Anderthalbfache von Fr. 71'640.- [= Fr.107'460.-; vgl. Verordnung 97 über die Anpassung der Grenzbeträge bei der beruflichen Vorsorge, Änderung vom 13. November 1996]) damit begründet, dass es sich unter sozialpolitischen Aspekten nicht aufdränge, den Insolvenzschutz auch auf die Versicherung von sehr hohen Lohnbestandteilen bzw. auf die eigentliche Kadervorsorge auszudehnen (BBl 1
BGE 996 I 573
). Fraglich erscheint unter diesem Gesichtspunkt, ob das mit dem zwingend zu erhaltenden Vorsorgeschutz - und folglich primär mit sozialpolitischen Argumenten - begründete Verrechnungsverbot auch in Bezug auf überobligatorische Vorsorgemittel zum Tragen kommt, welche, zumindest mit Blick auf den durch den Sicherheitsfonds zu gewährleistenden Insolvenzschutz, als nicht "sicherstellungswürdig" taxiert wurden. Dies hat das Eidgenössischen Versicherungsgericht - wenn auch nicht ursprüngliche, bei der Vorsorgeeinrichtung entstandene, sondern Forderungen betreffend, die der Vorsorgeeinrichtung vom Arbeitgeber abgetreten wurden (vgl. dazu für den obligatorischen Vorsorgebereich:
Art. 39 Abs. 2 BVG
) - für den Bereich der weitergehenden Vorsorge vorbehaltlos bejaht (
BGE 114 V 33
). Es begründete seine Entscheidung wie folgt (42 f. Erw. 3d):
"Wie sich dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts [
BGE 111 II 168
Erw. 2] entnehmen lässt, ist für die Frage des Ausschlusses der Verrechnung die Zweckbindung der Vorsorgemittel ausschlaggebend. ... Kommt dem Vorsorgeschutz demnach hohe Priorität zu, so ist kein überzeugendes Argument dafür ersichtlich, die Verrechnungsmöglichkeit bei Schadenersatzforderungen aus unerlaubter Handlung nach
Art. 41 OR
(bei leichter und grober) Fahrlässigkeit zu verneinen, bei absichtlicher
BGE 132 V 127 S. 143
Schadenszufügung die Freizügigkeitsleistungen dagegen aus der strengen gesetzlichen Zweckbindung der Vorsorgemittel zu entlassen. Dabei muss der Schutz aller Destinatäre, auch der Angehörigen des Arbeitnehmers, im Auge behalten werden. Entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung steht somit bei einer punktuellen Aufhebung des Verrechnungsverbots nicht nur der Vorsorgeschutz des "Straffälligen" auf dem Spiel."
Aus dem zitierten Urteil ergibt sich, dass die Beschränkung der Verrechnungsmöglichkeiten als Folge der strikten Zweckbindung der Vorsorgemittel ohne jegliche betragliche Begrenzung - insbesondere ohne Limitierung auf den durch den Sicherheitsfonds BVG garantierten Maximalbetrag gemäss
Art. 56 Abs. 2 BVG
- für den gesamten Bereich der weitergehenden Vorsorge gilt. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb bei der hier zu beurteilenden Sachlage, welche zwar auf einer ursprünglich bei der Vorsorgeeinrichtung entstandenen Schadenersatzforderung basiert, in der aber der Vorsorgefall ebenfalls noch nicht eingetreten ist, diese hohe Gewichtung des Vorsorgeschutzgedankens nicht zum Tragen kommen sollte. Daran ändert der Umstand, dass das Verrechnungsverbot somit auch höhere als die dem Insolvenzschutz gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Abs. 2 sowie
Art. 8 Abs. 1 BVG
unterstehenden Lohnbestandteile beschlägt, nichts.
6.4.3
Anders stellt sich die Situation in Bezug auf den nicht nach den Bestimmungen über die berufliche Vorsorge geäufneten dritten Teilbetrag von Fr. 87'365.30 dar. Dabei handelt es sich offenbar um eine Art Spareinlage, welche nicht im Rahmen der beruflichen Vorsorge generiert wurde und deren Verrechnung somit nicht bereits mit der Begründung des zwingenden Vorsorgeschutzes verneint werden kann. Daraus folgert, dass dieser Betrag mit allfälligen Schadenersatzforderungen der Sammelstiftung X. in Liquidation grundsätzlich verrechenbar ist, sofern die spezifischen Verrechnungsvoraussetzungen gegeben sind.
6.4.3.1
Wie im Privatrecht, ist auch im Verwaltungs- und insbesondere im Sozialversicherungsrecht eine Verrechnung nur möglich, wenn folgende grundsätzliche Voraussetzungen erfüllt sind: Forderung und Gegenforderung, die verrechnet werden sollen, müssen zwischen den gleichen Rechtsträgern bestehen; die zur Verrechnung gebrachte Forderung muss fällig und rechtlich durchsetzbar sein (SZS 2003 S. 502 [Urteil L. vom 21. November 2002, B 78/00, Erw. 4.1 in fine mit Hinweis], 2002 S. 261 [Urteil M. vom 1. September 1998, B 45/97, Erw. 2a in fine] und S. 510
BGE 132 V 127 S. 144
[Urteil H. vom 9. August 2001, B 26/99, Erw. 1 in fine]; Urteil L. vom 29. Dezember 2000, B 20/00, Erw. 2a in fine). Ferner bedingt die Verrechnung die Gleichartigkeit der sich gegenüberstehenden Forderungen (vgl. namentlich das in SZS 1991 S. 32 publizierte Urteil J. vom 30. August 1990, B 18/90, Erw. 4a).
Während die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und Fälligkeit der Forderungen - letztere Bedingung dürfte bezüglich des Anspruchs des Beschwerdeführers 1 mit dessen Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung eingetreten sein (vgl. dazu analog
Art. 2 Abs. 3 FZG
; STAUFFER, a.a.O., Rz 1049; anders noch RIEMER, Die Verrechnungseinrede der Personalvorsorgestiftung gegenüber Forderungen ihrer Destinatäre, in: SJZ 1979, S. 343 [aber noch zu alt
Art. 331c Abs. 1 und 2 OR
]) - ohne weiteres zu bejahen sind, ist die vom Beschwerdeführer 1 explizit bestrittene Voraussetzung der Gleichartigkeit, ohne deren Vorhandensein auch die Guthaben in Form der reinen Sparbeiträge (Fr. 87'365.30) an die neue Vorsorgeeinrichtung zu übertragen wären, im Speziellen zu prüfen.
6.4.3.2
Gemäss VON TUHR/ESCHER (Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, Zürich 1974, S. 194 FN 29) liegt keine Gleichartigkeit - und daher keine Verrechenbarkeit - vor, wenn B gegen A eine Geldforderung hat und A von B eine Geldzahlung an einen Dritten verlangen kann. Darauf beruft sich insbesondere RIEMER (a.a.O., S. 343), wenn er die Verrechenbarkeit - mangels Gleichartigkeit der Forderungen - verneint für den Fall, dass der eine Gläubiger (die bisherige Vorsorgeeinrichtung) gegenüber einem anderen (dem Destinatär) eine Geldforderung hat, während dieser jenem gegenüber nur eine Geldzahlung an einen Dritten (die neue Vorsorgeeinrichtung) verlangen kann. Gestützt darauf wurde die Frage der Gleichartigkeit der Forderungen in derartigen Konstellationen - wenn auch noch vor In-Kraft-Treten des FZG - von der Rechtsprechung entweder ausdrücklich offen gelassen (
BGE 114 V 42
f. Erw. 3d) oder aber lediglich unter Hinweis auf die Literatur - ohne eigenständige Prüfung - verneint (
BGE 111 II 168
f. Erw. 2a [Verweis auf RIEMER]; SZS 1991 S. 32 [Urteil J. vom 30. August 1990, B 18/90, Erw. 4a]).
6.4.3.3
Die beiden Forderungen (Haupt- und Verrechnungsforderung) müssen ihrem Gegenstande nach gleichartig sein (GAUCH/ SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht - Allgemeiner Teil, Band II, 5. Aufl., Zürich 1991, Rz 3339). Dieses Erfordernis
BGE 132 V 127 S. 145
verlangt, dass sich die Forderungen auf inhaltlich gleichartige Leistungen richten (GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz 3340).
In casu lauten beide Forderungen auf eine Geldzahlung, wenn auch die eine auf Übertragung der Geldmittel von der bisherigen auf die neue Vorsorgeeinrichtung. Die - wenn auch nicht immer ausdrücklich ausgesprochene (vgl. aber KATHARINA SCHOOP, Die Verrechnung von Vorsorgeleistungen mit Gegenforderungen, in: Schweizer Personalvorsorge, 1990, S. 89 ff.) - Begründung dafür, dass für diesen Fall die Gleichartigkeit und damit die Verrechenbarkeit von der Literatur bis anhin grossmehrheitlich abgelehnt worden ist (vgl. VIRET, La Prévoyance en faveur du personnel selon le nouveau droit du contrat de travail, in: ZSR 1975, 1. Halbband, S. 169 f.; ULLIN STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, Zürich 1987, S. 210 [aber zufolge des Barauszahlungsverbotes sowie der fehlenden Erfüllbarkeit]; Schoop, a.a.O., S. 89 ff.), dürfte in
Art. 122 OR
liegen, wonach derjenige, der sich zugunsten eines Dritten verpflichtet hat, diese Schuld nicht mit Forderungen verrechnen kann, die ihm gegen den anderen zustehen. Im Gegensatz zu dieser Konstellation, bei welcher es stets darum geht, einen Dritten zu begünstigen (und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen so genannten "echten" oder "unechten" Vertrag zugunsten eines Dritten handelt [vgl. dazu Wolfgang Peter, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht [Basler Kommentar], Obligationenrecht I:
Art. 1-529 OR
, 2. Aufl., Basel 1996, N 1 und 2 zu Art. 122), d.h. der eigentliche Vertragszweck darin besteht, effektiv Leistung an einen Dritten (vgl. PETER, a.a.O., N 2 zu Art. 122) zu dessen Gunsten zu erbringen, verwaltet im vorliegenden Fall die Vorsorgeeinrichtung, an welche die Austrittsleistung des Destinatärs übertragen werden soll, lediglich die Vorsorgemittel bis zum Eintritt des Vorsorge- oder allenfalls Freizügigkeitsfalles. Die neue Vorsorgeeinrichtung ist folglich nicht als "Begünstigte" im Sinne des
Art. 112 OR
anzusehen, da die Mittel letztlich nicht zu ihren Gunsten (vgl. RAINER GONZENBACH, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht [Basler Kommentar], Obligationenrecht I:
Art. 1-529 OR
, 2. Aufl., Basel 1996, N 7 zu Art. 112) versprochen und ausbezahlt werden; vielmehr hat weiterhin der Destinatär Anspruch auf die zu übertragenden Geldmittel (in Form einer bar auszuzahlenden Freizügigkeits- oder späteren Vorsorgeleistung). Während es nun im Falle des eigentlichen Vertrages zugunsten eines Dritten durchaus Sinn macht
BGE 132 V 127 S. 146
- und gesetzlich auch so stipuliert wird (vgl.
Art. 122 OR
) -, dass die einem Dritten versprochene und ihm daher zustehende Leistung nicht einfach verrechenbar ist, ist nicht einsehbar, weshalb dieser Schutzzweck auch mit Blick auf einen Dritten (hier: die neue Vorsorgeeinrichtung) gelten soll, welcher einzig die immer noch der einen Vertragspartei zustehenden Geldmittel zur Verwaltung übertragen erhält. Der Umstand, dass der Destinatär im vorliegenden Fall lediglich Anspruch auf Transfer der Geldmittel an die neue Vorsorgeeinrichtung - und (noch) nicht auf Auszahlung (in irgendeiner Form) an sich selbst - hat, ändert nichts daran, dass er letztlich (im Vorsorge- oder Freizügigkeitsfall [in Form der ausnahmsweisen Barauszahlung]) der Begünstigte ist und sich nicht mit der Begründung, die Leistung sei einem Dritten versprochen, der Verrechnung widersetzen kann. Es ist somit davon auszugehen, dass sich gleichartige Leistungen im Sinne von Geldleistungen gegenüberstehen. Dies hat jedenfalls für den vorliegend zu beurteilenden, nicht nach den Bestimmungen der beruflichen Vorsorge geäufneten Betrag zu gelten, bei welchem insbesondere auch unklar ist, ob überhaupt nur eine Übertragung auf die neue Vorsorgeeinrichtung gefordert werden konnte oder - bei Verlassen der Vorsorgeeinrichtung - nicht auch eine direkte Auszahlung an den Beschwerdeführer 1 selber möglich (gewesen) wäre.
6.5
Zusammenfassend erweist sich eine Verrechnung der von der Sammelstiftung X. in Liquidation gegen den Beschwerdeführer 1 erhobenen Schadenersatzforderungen als nicht zulässig hinsichtlich der Vorsorgeguthaben von Fr. 542'022.80 sowie Fr. 87'457.50, wohingegen eine solche grundsätzlich statthaft ist in Bezug auf den Betrag von Fr. 87'365.30.
7.
7.1
Die ebenfalls Verwaltungsgerichtsbeschwerde führende geschiedene Ehegattin des Beschwerdeführers 1, A. (nachfolgend: Beschwerdeführerin 3), wendet gegen die Verrechenbarkeit der Forderungen im Wesentlichen ein, sie habe als geschiedene Ehegattin einen eigenen, selbstständigen Anspruch auf den ihr gemäss Scheidungsurteil vom 27. Februar 2002 zugesprochenen Anteil der Vorsorgegelder. Eine Verrechnung scheitere daher bereits an der Voraussetzung der Gegenseitigkeit der Forderungen.
7.2
Während sich eine Prüfung dieses Einwandes bezüglich der beiden Teilbeträge von Fr. 542'022.80 sowie Fr. 87'457.50, da
BGE 132 V 127 S. 147
ohnehin nicht der Verrechnung zugänglich, erübrigt, fragt sich, ob er sich im Hinblick auf das für verrechenbar erklärte Guthaben von Fr. 87'365.30 als begründet erweist.
7.2.1
Der Beschwerdeführerin 3 stand ein eigener originärer Anspruch auf Vorsorgemittel ihres geschiedenen Ehegatten erst mit Scheidungsurteil vom 27. Februar 2002 bzw. mit dessen Rechtskraft zu. Die Sammelstiftung X. in Liquidation hatte ihre Verrechnungserklärung gegenüber dem Beschwerdeführer 1 indessen bereits im Rahmen ihrer Widerklage vom 13. Februar 2002 bzw., wie sich der Klageschrift vom 13. September 2001 entnehmen lässt, sogar schon zu einem früheren Zeitpunkt erstmals abgegeben. Aus dieser zeitlichen Abfolge resultiert, dass sich die Ansprüche des Beschwerdeführers 1 und der Sammelstiftung X. in Liquidation bereits vor Rechtskraft des Scheidungsurteils gegenüberstanden und sie, soweit sich überhaupt als gerechtfertigt erweisend und verrechenbar, schon damals durch Verrechnung getilgt wurden (
Art. 124 Abs. 2 OR
; vgl. zum Ganzen: SZS 2005 S. 175 [Urteil W. vom 28. Juni 2004, B 76/03]).
7.2.2
Der Beschwerdeführerin 3 stand folglich zu keiner Zeit ein eigenständiger Anspruch auf die ihr zugesprochenen Vorsorgeguthaben ihres geschiedenen Ehegatten zu, weshalb sie sich hinsichtlich des Betrages von Fr. 87'365.30 nicht auf die mangelnde Voraussetzung der Gegenseitigkeit der Forderungen - und damit gegen deren grundsätzliche Verrechenbarkeit - berufen kann.
8.
8.1
Der Betrag der Austrittsleistung von insgesamt Fr. 716'845.60 per 31. Januar 1996 ist in masslicher Hinsicht unbestritten. Ebenfalls seitens des Beschwerdeführers 1 nicht gerügt werden ausdrücklich die vorinstanzlich angenommenen Verzugszinssätze und -perioden (1. Februar 1996 bis 31. Dezember 1999: 5 %; 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002: 4,25 %; ab 1. Januar 2003: 3,5 %). Er bemängelt einzig, dass der gestützt darauf konkret zu ermittelnde Verzugszinsbetrag nicht abschliessend durch das kantonale Gericht bestimmt worden sei. Namentlich habe die Vorinstanz es unterlassen, darzulegen, ob der Jahreszins jeweils jahresweise auf das Kapital geschlagen und dieser Betrag wiederum verzinst werde - wie dies im Rahmen seiner Eingabe vom 19. August 2002 angeregt worden sei - oder aber nicht.
BGE 132 V 127 S. 148
8.2
8.2.1
Gemäss
Art. 2 Abs. 3 FZG
wird die Austrittsleistung mit dem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung fällig; ab diesem Zeitpunkt ist ein Verzugszins zu zahlen. Nach
Art. 7 FZV
(in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 2 BVG
sowie
Art. 12 BVV 2
[je in der bis 31. Dezember 1999 in Kraft gestandenen Fassung]) entsprach der Verzugszinssatz bis Ende 1999 dem BVG-Mindestzinssatz plus einem Prozent, somit 5 %. Vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002 belief sich der Verzugszinssatz - laut der in diesem Zeitraum gültigen Fassung der erwähnten Bestimmungen - auf 4,25 %, vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003 auf 3,5 %, vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 auf 2,5 % sowie seit 1. Januar 2005 auf 3,5 % (vgl. auch STAUFFER, a.a.O., Rz 587 f.; Rolf BRUNNER, Vorsorgeausgleich und BVG-Mindestzinssatz, in: ZBJV 2004 S. 135 ff., insbes. S. 136 oben).
8.2.2
Was die Verzugszinsberechnung anbelangt, wurde in
BGE 129 V 258
Erw. 4.2.3 erkannt, dass der Verzugszins auf der Austrittsleistung samt dem reglementarischen oder gesetzlichen Zins bis zum Zeitpunkt des Beginns der Verzugszinspflicht zu bezahlen ist. Auf den Verzugszins sind grundsätzlich die Regeln von
Art. 11 BVV 2
analog anwendbar (in diesem Sinne: BRUNNER, a.a.O., S. 143). Danach ist das Guthaben bis Ende des Kalenderjahres pro rata temporis zu verzinsen. Am Ende des Kalenderjahres sind jeweils Zins und Kapital zu addieren. Der so ermittelte Betrag bildet Grundlage der Verzinsung im folgenden Jahr (BRUNNER, a.a.O., S. 141). Diese Berechnungsweise entspricht dem vom Beschwerdeführer 1 geltend gemachten Vorgehen und gelangt daher vorliegend zur Anwendung. Es wird an der Sammelstiftung X. in Liquidation sein, vor der Übertragung der nicht zur Verrechnung gelangenden Guthaben auf dieser Basis den Verzugszins zu ermitteln. | null | nan | de | 2,005 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8bda12c2-28f6-4125-b49f-54c9936ea173 | Urteilskopf
122 V 343
52. Auszug aus dem Urteil vom 19. August 1996 i.S. S. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 20 Abs. 2 UVG
,
Art. 33 Abs. 1 lit. b und
Art. 34 UVV
. Rechtmässigkeit der in der Verordnung vorgesehenen Anpassung der Komplementärrente an die zufolge geänderten Invaliditätsgrades revidierte Rente der Unfall- oder der Invalidenversicherung bejaht.
Indes hat die Neufestsetzung der Komplementärrente aufgrund derselben Berechnungsgrundlagen zu erfolgen, wie sie beim erstmaligen Zusammentreffen der UVG-Rente mit derjenigen der IV bestanden haben. | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 122 V 343 S. 344
A.-
Der 1957 geborene, bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfall versicherte S. zog sich bei einem Arbeitsunfall am 3. Juni 1982 schwere Verletzungen zu, die zu einer Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit führten. In der Folge sprach ihm die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes mit Verfügungen vom 1. Juni 1984 für die Zeit vom 1. Mai 1983 bis zum 30. September 1983 eine ganze (Fr. 1'116.--) und mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1983 eine halbe Rente (Fr. 558.--) der Invalidenversicherung zu. Die SUVA ihrerseits verfügte am 28. Mai 1986 auf der Grundlage 50%iger Erwerbsunfähigkeit und ausgehend von einem versicherten Verdienst von Fr. 34'548.-- ab dem 1. März 1986 die Ausrichtung einer Invalidenrente von monatlich Fr. 1152.--. Am 18. März 1992 erliess die Ausgleichskasse eine weitere Verfügung, mit der sie S. bei einem Invaliditätsgrad von neu 75% ab dem 1. August 1991 wiederum eine ganze Rente (Fr. 1'440.--) zusprach. Daraufhin revidierte auch die SUVA ihre Rentenverfügung, indem sie den Invaliditätsgrad ab dem 1. Mai 1993 auf 90% erhöhte und eine Komplementärrente festsetzte. Dabei brachte sie die Rente der Invalidenversicherung (Fr. 1'440.--) von 90% des unverändert gebliebenen versicherten Verdienstes (Fr. 2'591.10 pro Monat) in Abzug, was ein monatliches Betreffnis von Fr. 1'152.-- ergab, welches genau demjenigen ihrer ursprünglichen Rente entsprach (Verfügung vom 16. April 1993). Hieran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 18. Juni 1993 fest.
B.-
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 15. Juni 1994 ab, nachdem es unter anderem eine Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) vom 17. Februar 1994 eingeholt hatte.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S. die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides und die Rückweisung der Sache an die SUVA zur Neufestlegung der von dieser geschuldeten Invalidenrente beantragen.
BGE 122 V 343 S. 345
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verweist das BSV im wesentlichen auf seine Ausführungen im vorinstanzlichen Verfahren, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Wird der Versicherte infolge des Unfalles invalid, so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (
Art. 18 Abs. 1 UVG
). Hat er auch Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung (IV) oder der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), so wird ihm gemäss
Art. 20 Abs. 2 UVG
eine Komplementärrente gewährt; diese entspricht der Differenz zwischen 90 Prozent des versicherten Verdienstes und der Rente der IV oder der AHV, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag (Satz 1). Die Komplementärrente wird beim erstmaligen Zusammentreffen der erwähnten Renten festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der Rente der IV oder AHV angepasst (Satz 2). Nach Abs. 3 desselben Artikels erlässt der Bundesrat nähere Vorschriften, namentlich über die Berechnung der Komplementärrenten in Sonderfällen. Von dieser Rechtsetzungskompetenz hat er Gebrauch gemacht und in
Art. 31 UVV
die "Berechnung der Komplementärrenten im allgemeinen" sowie in
Art. 32 UVV
die "Höhe der Komplementärrenten in Sonderfällen" geregelt. Weiter hat der Bundesrat unter anderem in
Art. 33 Abs. 1 lit. b UVV
angeordnet, dass die Komplementärrenten den veränderten Verhältnissen angepasst werden, wenn sich der Invaliditätsgrad erheblich ändert (
Art. 22 UVG
). Überdies hat er
Art. 34 UVV
erlassen, wonach - wenn eine Rente der IV als Folge der Revision geändert wird - auch eine Revision der Rente oder Komplementärrente der Unfallversicherung erfolgt.
3.
Der Beschwerdeführer bezieht infolge seines Unfalles vom 3. Juni 1982 neben der Rente der Invalidenversicherung seit dem 1. März 1986 zugleich eine Invalidenrente gemäss
Art. 18 UVG
. Der Betrag dieser mit Verfügung vom 28. Mai 1986 bei einem Invaliditätsgrad von 50% und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 34'548.-- auf monatlich Fr. 1'152.-- festgesetzten Rente blieb seither unverändert. Insbesondere hatte darauf nicht nur die ab August 1991 wirksame revisionsweise Zusprechung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung (Fr. 1'440.--) keinen Einfluss, sondern auch die im Anschluss daran erfolgte Revision der unfallversicherungsrechtlichen
BGE 122 V 343 S. 346
Invalidenrente. Vor allem letzteres fällt deshalb auf, weil diese Revision (
Art. 22 UVG
) eine Erhöhung des Invaliditätsgrades auf 90% mit sich brachte, was einem ordentlichen monatlichen Rentenbetrag von Fr. 2'073.-- entsprochen hätte ([80% von Fr. 34'548.--] x 90% x 1/12). Der Grund dafür findet sich in der hievor dargelegten Komplementärrentenordnung (Erw. 2 hievor), wonach die Rente der Unfallversicherung der Differenz zwischen 90% des versicherten Verdienstes und der Rente der Invalidenversicherung, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag zu entsprechen hat:
- Versicherter Jahresverdienst Fr. 34'548.--
- davon 90% Fr. 31'093.--
- pro Monat Fr. 2'591.--
- abzüglich ganze Invalidenrente Fr. 1'440.--
- Komplementärrente Fr. 1'151.--
=============
Im folgenden gilt es zu prüfen, ob dieses Ergebnis Rechtens ist. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob die infolge der Rentenrevision (
Art. 22 UVG
) gestützt auf
Art. 33 Abs. 1 lit. b UVV
vorgenommene Festsetzung der Komplementärrente in Einklang mit der gesetzlichen Ordnung steht.
5.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird an sich nicht in Abrede gestellt, dass die revisionsweise Änderung des Invaliditätsgrades zu einer Anpassung der Komplementärrente führen kann. Im Wissen darum, dass seine ordentliche Invalidenrente der Unfallversicherung nach der Erhöhung des Invaliditätsgrades auf 90% annähernd doppelt so hoch wäre wie die im vorinstanzlichen Verfahren geschützte Festsetzung der Komplementärrente, wendet sich der Beschwerdeführer jedoch dagegen, dass bei deren Berechnung auf die ihm nachträglich zugesprochene (ganze) Rente der Invalidenversicherung abgestellt wird.
Im einzelnen zieht der Beschwerdeführer die Gesetzmässigkeit von
Art. 33 Abs. 1 lit. b UVV
in grundsätzlicher Hinsicht in Zweifel, indem er unter Berufung auf MAURER (Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 382 FN 952a) geltend macht, dass es sich bei der Änderung des Invaliditätsgrades nicht um einen Sonderfall im Sinne von
Art. 20 Abs. 3 UVG
handle, weshalb dem Verordnungsgeber in dieser Hinsicht jede Regelungsbefugnis fehle.
BGE 122 V 343 S. 347
Gesetzeswidrigkeit bestehe jedenfalls zumindest insoweit, als
Art. 33 Abs. 1 lit. b UVV
zu einer Anpassung der Komplementärrente unter Anrechnung der ihrerseits revidierten Rente der Invalidenversicherung führe, werde doch damit der in
Art. 20 Abs. 2 UVG
verankerte Grundsatz der Komplementärrentenfestsetzung beim erstmaligen Zusammentreffen der beiden Rentenarten verletzt. Endlich lasse sich der beanstandete Gehalt von
Art. 33 Abs. 1 lit. b UVV
weder auf
Art. 22 UVG
abstützen, noch könne
Art. 34 UVV
als Grundlage für die vorgenommene Komplementärrentenberechnung dienen. Folglich habe die Leistungskoordination im Revisionsfall nach
Art. 40 UVG
stattzufinden oder allenfalls im Rahmen gesetzeskonformer Auslegung des Verordnungsrechts, indem weiterhin die ursprüngliche Rente der Invalidenversicherung anzurechnen sei.
6.
a) Dem Eidg. Versicherungsgericht bot sich bereits mehrfach Gelegenheit, sich im Rahmen der ihm insofern zustehenden Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu
BGE 118 V 225
f. Erw. 2b mit Hinweis; vgl. auch
BGE 118 Ib 538
Erw. 1 und RKUV 1995 Nr. K 959 S. 41 Erw. 2b) auch zur Rechtmässigkeit der gestützt auf
Art. 20 Abs. 3 UVG
ergangenen Verordnungsbestimmungen zu äussern (
BGE 121 V 137
,
BGE 115 V 272
f., 282 f. sowie 289 Erw. 3b; vgl. ferner
BGE 122 V 338
). Dabei hat es festgehalten, dass diese Delegationsnorm keine Richtlinien über die Art und Weise enthält, wie von der Ermächtigung Gebrauch zu machen sei. Infolgedessen hat es den Ermessensspielraum des Bundesrates als sehr weit taxiert und die von diesem getroffene Auswahl und Umschreibung der Sonderfälle, bei denen die Berechnung der Komplementärrenten in einer vom gesetzlichen Grundsatz abweichenden Weise erfolgen soll, lediglich unter dem Gesichtspunkt der Willkür geprüft. Dementsprechend hat das Eidg. Versicherungsgericht unter ausdrücklichem Hinweis auf die bundesrätliche Freiheit, in der Verordnung auch solche Fälle (nicht) zu berücksichtigen, in denen man mit vertretbaren Gründen geteilter Meinung sein kann, keine Zweckmässigkeits- oder Reformüberlegungen angestellt. Ebensowenig ist es infolge der verfassungsrechtlichen Beschränkung seiner eigenen Befugnisse (
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114bis Abs. 3 BV
) der Frage nachgegangen, ob die hier angesprochene Übertragung der Rechtsetzungskompetenz den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Delegationsnorm genügt und ob der mit der Einführung der Komplementärrente erfolgte Systemwechsel (dazu
BGE 115 V 270
f. Erw. 2a) angemessen erscheint (zum Ganzen vgl.
BGE 121 V 146
f. Erw. 5b,
BGE 115 V 272
f. Erw. 2b, 282 f. Erw. 3b/bb sowie 289 Erw. 3b).
BGE 122 V 343 S. 348
b) Ob die Verordnungsbefugnis des Bundesrates gemäss
Art. 20 Abs. 3 UVG
tatsächlich auf Sonderfälle begrenzt ist, wie dies offenbar nicht nur im Schrifttum verfochten wird (MAURER, a.a.O., S. 382 FN 952a), sondern auch in der zitierten Rechtsprechung (
BGE 115 V 282
Erw. 3b/bb) zum Ausdruck gelangt, erscheint angesichts des in sämtlichen sprachlichen Fassungen klaren Gesetzeswortlautes als zweifelhaft. Denn mit der Verwendung der Begriffe "namentlich", "notamment" und "segnatamente" gelangt an sich unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber zwar in erster Linie, jedoch nicht ausschliesslich an Sonderfälle dachte. Selbst MAURER führt denn auch andernorts in Widerspruch zu der soeben zitierten Stelle aus, dass
Art. 20 Abs. 3 UVG
den Bundesrat verpflichte, "nähere Vorschriften zu erlassen, so auch für Sonderfälle" (a.a.O., S. 381 lit. bb).
Wie es sich mit dieser grammatikalischen Auslegungsfrage verhält, kann letztlich offenbleiben. Denn wenn der Bundesrat nach der bisherigen Rechtsprechung aufgrund der an ihn delegierten Befugnis frei war, auch solche Fälle in der Verordnung zu regeln, bei denen man mit vertretbaren Argumenten geteilter Meinung darüber sein kann, ob sie zu den Sonderfällen gehören sollen (
BGE 121 V 147
Erw. 5b,
BGE 115 V 282
Erw. 3b/bb), dann durfte er auch die Änderung des Invaliditätsgrades, sei es in der obligatorischen Unfall- oder in der Invalidenversicherung, als Sonderfall erfassen. Daran ändert nichts, dass Rentenrevisionen aufgrund geänderter Invaliditätsgrade sehr häufig vorkommen. Abgesehen davon, dass dieser Einwand ebensogut gegen einzelne der in
Art. 32 UVV
ausdrücklich als Sonderfälle geregelten Tatbestände erhoben werden könnte, wird er ohne weiteres durch die vom BSV im vorinstanzlichen Verfahren geäusserte Auffassung aufgewogen, wonach es sich bei der Anpassung der Invalidenrente an erheblich geänderte Verhältnisse (vgl.
Art. 22 UVG
) aus Sicht des gesetzlichen Rentensystems und der damit angestrebten Stabilität (vgl. MAURER, a.a.O., S. 389) sehr wohl um eine Besonderheit handelt.
c) Nach dem Gesagten besteht kein Zweifel, dass jedenfalls die Umschreibung der Delegation in
Art. 20 Abs. 3 UVG
keine Handhabe dafür bietet, dem Verordnungsgeber jegliche Befugnis zur Regelung der Anpassung der Komplementärrente bei Änderung des Invaliditätsgrades abzusprechen. Dass dies nicht nur für die Änderungen des Invaliditätsgrades in der Unfallversicherung (
Art. 33 Abs. 1 lit. b UVV
), sondern aufgrund des mit
Art. 20 Abs. 2 UVG
verfolgten Koordinationszieles gleichermassen für diejenigen in der
BGE 122 V 343 S. 349
Invalidenversicherung (
Art. 34 UVV
) zu gelten hat (vgl. MAURER, a.a.O., S. 381 FN 951a), liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Die betreffende Befugnis kann indes auch nicht unter Berufung auf
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 UVG
abgesprochen werden, wonach die Komplementärrente beim erstmaligen Zusammentreffen der erwähnten Renten festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der IV- oder AHV-Rente angepasst wird. Eine solche durch den Gesetzeswortlaut zwar begünstigte Sichtweise würde letztlich dazu führen, dass die einmal festgesetzte Komplementärrente nach erheblichen Veränderungen, mithin selbst nach entsprechender Erhöhung des Invaliditätsgrades, unveränderlich bliebe. Dergleichen entbehrte nicht nur jeden Sinnes, sondern fände sich insbesondere auch durch die Gesetzesmaterialien widerlegt. Denn in der bundesrätlichen Botschaft wird im Zusammenhang mit
Art. 22 UVG
und der damit geschaffenen "elastischen Gestaltung der Rentenrevision" sogar hervorgehoben, dass mit der Einführung der Komplementärrenten die Möglichkeit einer Überversicherung jederzeit ausser Betracht falle, während als Beispiele für unbeachtliche Erhöhungen der AHV/IV-Rente lediglich diejenige zufolge Gesetzesrevision oder Änderung des vom Versicherten ohne den Versicherungsfall mutmasslich erzielbaren Jahresverdienstes genannt werden (Botschaft zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August 1976, BBl 1976 III S. 170 f. Ziff. 345.1 und insbesondere S. 192). Dies kann nur dahin verstanden werden, dass die revisionsweise Anpassung des Invaliditätsgrades nicht ohne Auswirkungen auf die Komplementärrente bleiben soll (vgl. hingegen MAURER, a.a.O., S. 381 FN 951a) und
Art. 20 Abs. 2 UVG
in diesem Zusammenhang keinesfalls isoliert von
Art. 22 UVG
(Revision der Rente) betrachtet werden darf.
d) Es ergibt sich somit, dass das UVG und insbesondere dessen Art. 20 Abs. 2 und 3 nicht hindern, Veränderungen des Invaliditätsgrades gemäss
Art. 22 UVG
oder
Art. 41 IVG
durch entsprechende Anpassungen der Komplementärrente zu berücksichtigen. Demnach besteht kein Anlass, das Bestehen einer formellgesetzlichen Grundlage von
Art. 33 Abs. 1 lit. b und
Art. 34 UVV
zu verneinen. Ebensowenig ist auf die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobene Forderung einzugehen, die Leistungskoordination im vorliegenden Fall nach
Art. 40 UVG
abzuwickeln, welches Ansinnen immerhin die Subsidiarität dieser Bestimmung in Frage stellen und eine Änderung der dazu ergangenen Rechtsprechung
BGE 122 V 343 S. 350
erfordern würde (vgl. 117 V 395 Erw. 2b, 115 V 279 f. Erw. 1c; vgl. ferner RKUV 1992 Nr. U 139 S. 23).
7.
Mit der Anerkennung der formellgesetzlichen Grundlage von
Art. 33 Abs. 1 lit. b und
Art. 34 UVV
ist freilich noch nichts über deren Auslegung gesagt. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird denn auch eine gesetzeskonforme Lesart dieser Bestimmungen verlangt, indem - entgegen Vorinstanz und Beschwerdegegnerin - bei der nach
Art. 20 Abs. 2 UVG
vorzunehmenden Berechnung nicht der aktuelle Betrag der revidierten Invalidenrente einzusetzen sei.
Mit dieser Auffassung kann mit Blick auf die zugrundeliegende Revision des Invaliditätsgrades von vornherein nicht gemeint sein, dass dem Beschwerdeführer bei der Anpassung der Komplementärrente weiterhin die frühere halbe IV-Rente anzurechnen sei. Hingegen ist
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 UVG
mit dem darin vorgegebenen Zeitpunkt der Festsetzung der Komplementärrente immerhin in dem Sinne beim Wort zu nehmen, als auch im Falle revisionsweiser Änderung des Invaliditätsgrades dieselben Berechnungsgrundlagen zur Anwendung gelangen, wie sie beim erstmaligen Zusammentreffen der UVG-Rente mit Renten der AHV oder IV bestanden haben. Diese Auffassung hat das Eidg. Versicherungsgericht, wenn auch in anderem Zusammenhang, wenigstens in ihrem Grundsatz vor kurzem geschützt, wobei es sich - abgesehen vom Wortlaut, von gewissen Anhaltspunkten in der bundesrätlichen Botschaft (BBl 1976 III S. 170 ff. Ziff. 345.1 und die dort aufgeführten Beispiele) und
Art. 32 Abs. 5 UVV
- namentlich davon leiten liess, dass der versicherte Verdienst (
Art. 15 Abs. 2 UVG
und
Art. 22 Abs. 4 UVV
) nicht anpassbar ist (
BGE 119 V 492
Erw. 4b mit Hinweisen). Denn weil letzterer in der beim erstmaligen Zusammentreffen der Renten massgebenden Höhe in die Berechnung einzubeziehen ist, erscheint es nur als folgerichtig, auch die davon in Abzug zu bringenden Renten der AHV oder IV auf derselben zeitlichen Grundlage einzusetzen (vgl.
BGE 122 V 340
ff. Erw. 4b).
Diese Rechtsprechung hat auch unter den hier gegebenen Umständen zu gelten. Insbesondere steht die im Revisionsfall wesensgemäss gegebene Änderung des Invaliditätsgrades einer Verwendung der bisherigen Berechnungsgrundlagen nicht im Wege. Ebensowenig kann eine Rolle spielen, ob die Komplementärrente unmittelbar gestützt auf
Art. 34 UVV
oder - wie im vorliegenden Fall - nach einer im Anschluss an den IV-Rentenrevisionsbeschluss erfolgenden Revision im Sinne von
Art. 22 UVG
gestützt auf
Art. 33 Abs. 1
BGE 122 V 343 S. 351
lit. b UVV
angepasst wird. Anderseits trägt die hier vertretene Sichtweise einem in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beanstandeten und für den Versicherten in der Tat sehr unbefriedigenden Mangel Rechnung, indem der Umfang der Komplementärrente bei der in
Art. 20 Abs. 2 UVG
angelegten Subtraktion nicht mehr durch nachträgliche teuerungsbedingte Erhöhungen der AHV- oder IV-Rente vermindert wird.
8.
Ist somit die Komplementärrente im Falle einer revisionsweisen Änderung des Invaliditätsgrades zwar neu festzusetzen, dies jedoch aufgrund der Berechnungsgrundlagen, wie sie beim erstmaligen Zusammentreffen der UVG-Rente mit derjenigen der IV bestanden haben, lässt sich die im angefochtenen Gerichtsentscheid geschützte Berechnungsart der Beschwerdegegnerin nicht halten. Denn in jenem entscheidenden Zeitpunkt (1. März 1986) hatte sich die vom Beschwerdeführer ab 1. Oktober 1983 bezogene halbe Rente der Invalidenversicherung infolge Anpassung an die Teuerung von Fr. 558.-- auf Fr. 648.-- erhöht, womit ihm nunmehr die auf denselben Berechnungsgrundlagen beruhende ganze Rente im Umfang von Fr. 1'296.-- anzurechnen ist. Ausgehend von einem anrechenbaren versicherten Jahresverdienst (90% von Fr. 34'548.--) von Fr. 31'093.-- und der davon abzuziehenden IV-Rente von Fr. 15'552.-- resultiert somit eine Komplementärrente von Fr. 15'541.-- im Jahr oder Fr. 1'295.-- im Monat. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8bde4304-c7f9-4d0e-8062-ee8559dc3267 | Urteilskopf
91 I 121
19. Estratto della sentenza 31 marzo 1965 nella causa Kuhn e Wenk contro Bottani | Regeste
Art. 59 BV
.
Die Natur des Rechtsstreits, die für die örtliche Zuständigkeit im Sinne von
Art. 59 BV
massgebend ist, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Inhalt der Klage, den Rechtsbegehren und den dafür vorgebrachten Gründen. Eine in der Klage nicht vorgebrachte, aber von der beklagten Partei zur Bestreitung der Zuständigkeit behauptete Tatsache kann berücksichtigt werden, wenn sie dem Richter und den Parteien bekannt ist, unbestritten ist und nach den Akten feststeht. | Erwägungen
ab Seite 122
BGE 91 I 121 S. 122
5.
La natura di un diritto litigioso, secondo la quale viene stabilito il foro competente, si determina, in via di massima, in base al contenuto della petizione, alle conclusioni prese e ai motivi addotti per sostenerle (RU 66 II 183, 74 II 188; BURCKHARDT, Kommentar p. 556). Si deve invece prescindere, a questo scopo, dall'esame dell'eventuale infondatezza dell'azione, a meno che essa sia manifesta, tale questione dovendo essere decisa nel giudizio di merito. Il contenuto della petizione, le conclusioni ed i motivi non sono determinanti, ai fini della competenza, soltanto nel caso in cui l'attore dia all'azione una forma incompatibile con la sua vera natura, allo scopo di eludere il foro ordinario del convenuto (RU 66 II 184, BURCKHARDT op.cit. p. 556; cfr. anche RU 49 I 456).
Nella fattispecie, l'intimato propone cumulativamente, in un'unica procedura, due azioni: l'una di accertamento del credito fondato sul contratto d'appalto e l'altra tendente all'iscrizione definitiva di una ipoteca legale d'imprenditore destinata a garantire tale credito. Egli non fa tuttavia il benchè minimo accenno, nella petizione, al fatto, pertanto costante, che i ricorrenti gli hanno fornito, sotto la forma di una fideiussione bancaria di fr. 45 000.--, una garanzia considerata sufficiente dal giudice di Locarno tanto che, su tale base, quest'ultimo ha ordinato la cancellazione dell'ipoteca legale.
Di questo fatto, anche se non è menzionato nella petizione, si deve tener conto, ai fini di un esame della competenza, tanto più che le conclusioni di Bottani tendono non solo all'accertamento del credito, ma anche all'iscrizione definitiva di una ipoteca legale. L'offerta della garanzia bancaria è, infatti, un elemento costante che risulta dagli atti, noto sia al giudice che alle parti, e di cui i convenuti e ricorrenti si prevalgono per eccepire l'incompetenza del giudice. Al principio secondo il quale bisogna fondarsi sul contenuto della petizione, sulle conclusioni e sui motivi, per determinare la natura della pretesa e statuire sulla competenza, si deve ammettere una eccezione quando un fatto decisivo a tale riguardo è noto sia al giudice che alle parti, non contestato da queste e stabilito dagli atti: un simile fatto, anche se non esposto nella petizione, deve essere preso in esame quando una parte lo invochi per contestare la competenza. Del resto, se, nella petizione, Bottani non ha accennato alla garanzia fornita, si può ritenere che egli lo abbia verosimilmente fatto per evitare
BGE 91 I 121 S. 123
che la sua richiesta tendente all'iscrizione definitiva di una ipoteca legale non si revelasse subito come infondata e proposta ai fini di eludere la garanzia del giudice naturale dei convenuti.
Certo, tenendo conto della prestazione di una garanzia nello stadio dell'esame della competenza, si sfiora già una questione di merito, quella cioè di sapere se l'intimato ha il diritto di chiedere l'iscrizione di un'ipoteca legale d'imprenditore. Questo procedimento è tuttavia lecito, non trattandosi, in definitiva, che di trarre la conclusione giuridica, quanto alla competenza, da un fatto constante, non contestato dalle parti, noto a queste ed al giudice. È più ragionevole adottare questo modo di procedere piuttosto che costringere i ricorrenti ad entrare nel merito, davanti al Pretore di Locarno-campagna e sentirsi poi decretare da una parte che il diritto di Bottani all'iscrizione di una ipoteca legale definitiva non esiste e che, d'altra parte, il giudice del luogo in cui è situato l'immobile non è competente a statuire sulla petizione creditoria proposta dall'intimato (BURCKHARDT, op.cit. p. 557).
6.
Secondo l'art. 839 cpv. 3 CC, l'iscrizione di un'ipoteca legale degli imprenditori non può essere richiesta se il proprietario offre sufficiente garanzia per il credito preteso. I ricorrenti hanno, in concreto, fornito al creditore una garanzia bancaria di fr. 45 000.--, ritenuta sufficiente dal giudice che ha, di conseguenza, ordinato la radiazione dell'iscrizione provvisoria dell'ipoteca legale. L'intimato non ha impugnato tale decisione, ammettendo pertanto, in tal modo, che la radiazione era fondata e che la garanzia fornita era sufflciente a garantire il suo credito ridotto, in seguito ad una transazione giudiziale, a fr. 45 000.--.
Ne consegue, pertanto, che l'intimato non può chiedere l'iscrizione di un'ipoteca legale a garanzia del credito di fr. 45 000.-- vantato nei confronti dei ricorrenti.
L'azione di accertamento di tale credito è, senza dubbio, di natura personale ai sensi dell'art. 59 CF. Poichè Bottani non può chiedere, per le ragioni esposte, il beneficio dell'ipoteca legale degli imprenditori, l'azione con la quale tende a far accertare giudizialmente il credito vantato non può sfuggire alla competenza del giudice naturale dei convenuti: secondo la sentenza RU 41 I 284, infatti, l'azione di accertamento del credito derivante dal contratto d'appalto può essere proposta
BGE 91 I 121 S. 124
al foro del luogo in cui è situato l'immobile soltanto quando è congiunta all'azione tendente all'iscrizione dell'ipoteca legale destinata a garantire quel credito. Dal momento che, ai sensi dell'art. 839 cpv. 3 CC, tale iscrizione non può essere richiesta quando siano fornite sufficienti garanzie, l'azione di accertamento del credito derivante dal contratto d'appalto viene a cadere sotto l'art. 59 CF, e il proprietario può esigere di essere convenuto davanti al suo giudice naturale. | public_law | nan | it | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
8be0f714-9310-4801-a17b-0bd866c13e68 | Urteilskopf
95 IV 67
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1969 i.S. R. und Kons. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz | Regeste
Art. 220 StGB
. Entziehen von Unmündigen.
Täter kann auch der Elternteil sein, der im ungeschmälerten Besitz der elterlichen Gewalt steht. | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 95 IV 67 S. 67
A.-
Elisabeth R.-H. war früher mit Alfred M. verheiratet; der Ehe waren fünf Kinder entsprossen: Irene (geb. 1955). Silvia (1957), Lucia (1958), Alfred (1961) und Brigitte (1963). Am 27. September 1966 verliess sie die eheliche Wohnung in R. ohne Wissen ihres Gatten und nahm die drei Kinder Silvia, Alfred und Brigitte mit; die anderen zwei Kinder liess sie beim Ehemann zurück. Sie schloss sich samt den Kindern ihrem Bekannten Albert R. an und flog mit ihm am gleichen Tag nach Montreal. Die Reise und den Unterhalt in Kanada zahlte R. Am 23. Oktober 1966 verliessen R. und Frau M. mit den Kindern Kanada und trafen am 2. Dezember 1966 in G. ein, wo Frau M. mit den Kindern bei ihren Eltern Unterkunft fand.
Alfred M. erstattete noch am Fluchttag Anzeige bei der Polizei; tags darauf, als er erfuhr, dass R. für sich, Frau M. und die Kinder Flugkarten nach Montreal gelöst hatte, reichte er förmlich Strafklage gegen seine Ehefrau ein.
Am 24. Januar 1968 wurde die Ehe M.-H. geschieden und eine Scheidungskonvention genehmigt, wonach die Kinder Silvia, Alfred und Brigitte der Frau, Irene und Lucia dem Manne zugeteilt wurden. Hierauf heirateten Elisabeth H. und Albert R.
B.-
Am 18. April 1967 verurteilte das Bezirksgericht der March Frau M. wegen Vorenthaltens von Unmündigen und Albert R. wegen Gehilfenschaft dazu zu je 1 Monat Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug.
Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz bestätigte dieses Urteil am 20. Juni 1967.
C.-
Gegen das kantonsgerichtliche Urteil führen beide
BGE 95 IV 67 S. 68
Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freispruch eventuell Herabsetzung der Strafen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz beantragt Abweisung der Beschwerden.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 220 StGB
wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt entzieht oder vorenthält.
In
BGE 91 IV 136
und 228 hat der Kassationshof entschieden, dass sich nach Art. 220 auch der Ehegatte schuldig machen kann, dem die Kinder während der richterlich bewilligten Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes bzw. während des Scheidungsverfahrens nicht zugeteilt sind.
Nicht anders verhält es sich, wenn wie hier der Elternteil, der dem andern Kinder entzieht oder vorenthält, im ungeschmälerten Besitz der elterlichen Gewalt steht. Während der Ehe haben Vater und Mutter die elterlichen Rechte in gemeinsamen Einvernehmen auszuüben, jedenfalls in bezug auf die wichtigeren Angelegenheiten. Jedes Elternteil hat das Recht, bei diesen mitzuwirken; die elterliche Gewalt darf nicht von einem Elternteil für sich allein beansprucht werden (Art. 274 Abs. 1 ZBG, EGGER N 3, HEGNAUER N 7).
Frau R. hat nicht nur eigenmächtig ohne Anhörung ihres Mannes einen Entscheid von grosser Tragweite getroffen. Sie hat, indem sie die drei Kinder nach Kanada verbrachte, ihrem Mann verunmöglicht, seine elterlichen Rechte auszuüben (vgl.
BGE 80 IV 70
,
BGE 92 IV 2
). Da sie dies, wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277 bis Abs. 1 BStP), mit Wissen und Willen getan hat, hat sie sich des Entziehens von Unmündigen schuldig gemacht. | null | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8be44ea6-f722-4dec-a35d-91aa3354054b | Urteilskopf
139 IV 62
9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Swissmedic (Schweizerisches Heilmittelinstitut) gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_771/2011 vom 11. Dezember 2012 | Regeste
Ende der Verfolgungsverjährung mit Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils (
Art. 97 Abs. 3 StGB
).
Der Strafbescheid im Verwaltungsstrafverfahren (
Art. 64 VStrR
) ist kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
, nach dessen Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintritt (Bestätigung der Rechtsprechung). Dies gilt auch, wenn die Einsprache gegen den Strafbescheid als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt und daher keine Strafverfügung (
Art. 70 VStrR
) erlassen wird (E. 1.4).
Unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
, nach deren Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintritt, sind nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen (Änderung der Rechtsprechung; E. 1.5). | Sachverhalt
ab Seite 63
BGE 139 IV 62 S. 63
A.
X. war von 1996 bis 2006 Chefapothekerin in einem Spital. In dieser Funktion präsidierte sie auch die Medikamentenkommission, welche über die Aufnahme von Arzneimitteln in die Medikamentenliste (Bestellliste) des Spitals entschied. X. schloss im Namen der Spitalapotheke am 11. November 2002 und am 10. Dezember 2003 zwei Verträge mit der A. SA und am 3./22. Dezember 2004 einen Vertrag mit der B. AG ab. Die A. SA leistete im Dezember 2002 und im Oktober 2004 Zahlungen von Fr. 19'000.- respektive Fr. 15'000.- auf ein von X. eingerichtetes Postkonto mit der Bezeichnung "R&D& Formation" (für "Research&Development&Formation"). Die B. AG überwies im Dezember 2004 einen Betrag von Fr. 15'000.- auf dasselbe Konto.
B.
B.a
Die Swissmedic bestrafte X. mit Strafbescheiden vom 18. und 19. März 2009 wegen Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz (Art. 33 Abs. 2 i.V.m.
Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG
) mit Bussen von Fr. 2'000.- respektive Fr. 800.-.
X. erhob Einsprache. Die Swissmedic behandelte diese auf Antrag der Einsprecherin gemäss Art. 71 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) als Begehren um Beurteilung durch das Strafgericht. Das Einspracheverfahren, also der Erlass einer Strafverfügung (
Art. 70 VStrR
) auf Einsprache (
Art. 67 VStrR
) der Gebüssten gegen den Strafbescheid (
Art. 64 VStrR
), wurde mithin übersprungen.
B.b
Das Bezirksstrafgericht der Saane sprach X. mit Urteil vom 20. November 2009 vom Vorwurf der Übertretung des Heilmittelgesetzes (Art. 33 Abs. 2 i.V.m.
Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG
) frei.
Gegen dieses Urteil erhob die Swissmedic Berufung mit den Anträgen, X. sei der mehrfachen vorsätzlichen, eventuell der mehrfachen fahrlässigen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz (Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b [eventuell auch i.V.m. Art. 87 Abs. 3] HMG) schuldig zu sprechen.
Der Strafappellationshof des Kantonsgerichts Freiburg wies mit Urteil vom 16. September 2011 die Berufung der Swissmedic ab und
BGE 139 IV 62 S. 64
bestätigte den erstinstanzlichen Freispruch vom Vorwurf der Übertretung gegen das Heilmittelgesetz.
C.
Die Swissmedic führt mit Eingabe vom 23. November 2011 Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, X. sei der mehrfachen vorsätzlichen, eventuell der mehrfachen fahrlässigen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz im Sinne von Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b (eventuell auch i.V.m. Art. 87 Abs. 3) HMG schuldig zu sprechen und zu Bussen von Fr. 2'000.- und Fr. 800.- zu verurteilen. Die Swissmedic stellt zudem Anträge betreffend die Verteilung der Verfahrenskosten in den verschiedenen Verfahrensstadien.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Es stellt sich zunächst die Frage der Verjährung. Solange die Verfolgungsverjährung läuft, ist in jedem Stadium des Verfahrens, auch im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren, von Amtes wegen zu prüfen, ob sie eingetreten ist (
BGE 129 IV 49
E. 5.4;
BGE 116 IV 80
E. 2;
BGE 97 IV 153
E. 2)
1.1
Das Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) enthält hinsichtlich der Verjährung lediglich eine Bestimmung betreffend die Dauer der Verjährungsfrist bei Übertretungen (
Art. 87 Abs. 5 HMG
). Es findet sich im Gesetz keine Regelung betreffend den Beginn und das Ende der Verfolgungsverjährung. Insoweit sind, da diesbezügliche Vorschriften auch im Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht fehlen, gemäss
Art. 2 VStrR
(SR 313.0) die Bestimmungen des Strafgesetzbuches anwendbar.
Gemäss
Art. 98 StGB
beginnt die Verjährung (a.) mit dem Tag, an dem der Täter die strafbare Tätigkeit ausführt; (b.) wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt; (c.) wenn das strafbare Verhalten dauert, mit dem Tag, an dem dieses Verhalten aufhört. Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen, so tritt die Verjährung nicht mehr ein (
Art. 97 Abs. 3 StGB
). Diese Bestimmungen entsprechen inhaltlich aArt. 71 und aArt. 70 Abs. 3 StGB in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001 (AS 2002 2993 und 3146), welche zur Zeit der vorliegend inkriminierten Handlungen in Kraft waren. Die Bestimmungen über den Beginn und das Ende der Verjährung gelten gemäss
Art. 104 StGB
auch für
BGE 139 IV 62 S. 65
Übertretungen (siehe
BGE 135 IV 196
E. 2 betreffend
Art. 97 Abs. 3 StGB
im Besonderen).
1.2
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist unter einem erstinstanzlichen Urteil, mit dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist gemäss
Art. 97 Abs. 3 StGB
(respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001) die Verjährung nicht mehr eintreten kann, ein den Beschuldigten verurteilendes Erkenntnis zu verstehen und läuft somit im Falle eines erstinstanzlichen Entscheids, durch welchen der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt wird, die Verfolgungsverjährung weiter (
BGE 135 IV 196
E. 2.1;
BGE 134 IV 328
E. 2.1). In Strafsachen, die zunächst im Verwaltungsstrafverfahren gemäss dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht durchgeführt werden, ist die Strafverfügung der Verwaltung (
Art. 70 VStrR
) der massgebende Entscheid, mit welchem die Verjährung endet, und hört somit die Verjährung einerseits nicht bereits mit dem Strafbescheid der Verwaltung (
Art. 64 VStrR
) und andererseits nicht erst mit dem erstinstanzlichen Gerichtsurteil im Rahmen der gerichtlichen Beurteilung (
Art. 73 ff., 79 VStrR
) zu laufen auf (
BGE 135 IV 196
E. 2;
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4).
1.3
1.3.1
Soweit die inkriminierten Handlungen überhaupt Straftaten darstellen sollten, begann die Verjährung mit den Tagen zu laufen, an denen die Beschwerdegegnerin die geldwerten Vorteile annahm, d.h. an den Tagen, an denen die A. SA im Dezember 2002 und im Oktober 2004 sowie die B. AG im Dezember 2004 Zahlungen auf das von der Beschwerdegegnerin eingerichtete Postkonto leisteten. Zwischen den Annahmen der beiden Zahlungen der A. SA besteht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weder eine tatbeständliche noch eine natürliche Handlungseinheit, da deren Voraussetzungen (siehe dazu
BGE 131 IV 83
E. 2.4.5) schon mangels des erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhangs nicht erfüllt sind.
1.3.2
Übertretungen gemäss Heilmittelgesetz verjähren entgegen der sich aus
Art. 87 Abs. 5 HMG
i.V.m.
Art. 333 Abs. 6 lit. b StGB
(respektive aArt. 333 Abs. 5 lit. b StGB) ergebenden Regelung nicht in zehn Jahren, sondern in sieben Jahren, da die Verjährungsfrist für Übertretungen im Sinne eines Spezialgesetzes vernünftigerweise nicht länger sein kann als die Verjährungsfrist für Vergehen im Sinne desselben Spezialgesetzes (Urteil 6B_374/2008 vom 27. November 2008 E. 5; siehe auch
BGE 134 IV 328
E. 2.1). Soweit im Urteil 6B_5/2010
BGE 139 IV 62 S. 66
vom 30. Juni 2010 (E. 4.2) in einer Randbemerkung unter Hinweis auf das Urteil 6B_115/2008 vom 4. September 2008 von einer Verjährungsfrist von 7 1⁄2 Jahren ausgegangen wird, liegt ein Versehen vor, da die im Urteil 6B_115/2008 (E. 2.7) vertretene Auffassung, dass die Verjährungsfrist 7 1⁄2 Jahre betrage, durch das Urteil 6B_374/2008 korrigiert worden ist.
1.3.3
Die Strafbescheide der Beschwerdeführerin vom 18. und 19. März 2009, durch welche die Beschwerdegegnerin wegen Übertretung gegen das Heilmittelgesetz gebüsst wurde, sind keine Urteile im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
(respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB), nach deren Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintreten kann (
BGE 135 IV 196
E. 2.1;
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4). Eine Strafverfügung im Sinne von
Art. 70 VStrR
hat die Beschwerdeführerin nicht erlassen, da sie die gegen die Strafbescheide erhobenen Einsprachen auf Antrag der Beschwerdegegnerin gemäss
Art. 71 VStrR
als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelte. Durch das Urteil des Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November 2009 wurde die Beschwerdegegnerin freigesprochen, weshalb die Verjährung auch nach der Ausfällung dieses Urteils weiterlief (
BGE 135 IV 196
E. 2;
BGE 134 IV 328
E. 2.1). Auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind daher die der Beschwerdegegnerin zur Last gelegten Handlungen bei einer Verjährungsfrist von sieben Jahren im Dezember 2009 (Zahlung der A. SA von Fr. 19'000.- im Dezember 2002) respektive im Oktober 2011 (Zahlung der A. SA von Fr. 15'000.- im Oktober 2004) beziehungsweise im Dezember 2011 (Zahlung der B. AG von Fr. 15'000.- im Dezember 2004) verjährt.
1.4
Die Beschwerdeführerin fordert eine Änderung der Rechtsprechung, wonach im Anwendungsbereich des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht die Verjährung mit dem Erlass der Strafverfügung der Verwaltung im Sinne von
Art. 70 VStrR
endet. Sie ist der Auffassung, die Strafverfügung der Verwaltung sei verjährungsrechtlich unerheblich. Die Verjährung höre bereits mit der Ausfällung des Strafbescheids der Verwaltung (
Art. 64 VStrR
) zu laufen auf.
1.4.1
Nach
Art. 97 Abs. 3 StGB
respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Gemäss den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Teilrevision des Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen
BGE 139 IV 62 S. 67
etc.) sind unter Urteilen im Sinne dieser Bestimmung auch Urteile im Abwesenheitsverfahren sowie Strafmandate (Strafbefehle) zu verstehen, die nicht Gegenstand eines Rechtsmittel- oder Einspracheverfahrens waren (Botschaft, BBl 1999 1997 ff., 2134). Weitere Erörterungen zum Begriff des Urteils im Sinne der zitierten Bestimmung enthält die Botschaft nicht. Die Tragweite der Vorschrift war auch nicht Gegenstand der parlamentarischen Beratungen.
1.4.2
In
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4 erwog das Bundesgericht, dass jeder Strafverfügung (
Art. 70 VStrR
) zwingend ein Strafbescheid (
Art. 64 VStrR
) voranzugehen habe, welcher wie ein Strafmandat (Strafbefehl) auf summarischer Grundlage getroffen werden könne. Die Strafverfügung müsse demgegenüber auf einer umfassenden Grundlage beruhen und werde in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen. Während somit der Strafbescheid Parallelen zum Strafmandat (Strafbefehl) aufweise, sei die Strafverfügung einem gerichtlichen Urteil gleichzustellen, mit dessen Ausfällung die Verjährung zu laufen aufhöre.
Diese Auffassung ist in einem Teil des Schrifttums auf Kritik gestossen. Danach ist erst das erstinstanzliche Erkenntnis im gerichtlichen Verfahren (
Art. 73 ff.,
Art. 79 VStrR
) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
(respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) zu qualifizieren. Zur Begründung wird ausgeführt, dass Entscheide der Verwaltung und somit auch Strafverfügungen keine Urteile seien, da sie nicht von einem Gericht erlassen würden und nicht mit einem Rechtsmittel, sondern mit einer blossen Einsprache anzufechten seien. Zudem könne das Verwaltungsstrafverfahren gänzlich entfallen, wenn das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme für gegeben halte (siehe Art. 21 Abs. 1 i.V.m.
Art. 73 Abs. 1 VStrR
). Ausserdem könne das Verwaltungsstrafverfahren zumindest teilweise übersprungen werden, wenn die Verwaltung die Einsprache gegen den Strafbescheid auf Antrag oder mit Zustimmung des Einsprechers als Begehren um gerichtliche Beurteilung durch das Strafgericht behandle (
Art. 71 VStrR
) und somit keine Strafverfügung (
Art. 70 VStrR
) erlassen werde (RIEDO/ZURBRÜGG, Der Jetlag dauert an
oder
Neue Unwägbarkeiten im Recht der strafrechtlichen Verjährung, AJP 2009 S. 372 ff., 377 f.).
1.4.3
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass entgegen dieser Meinungsäusserung im Schrifttum nicht erst das erstinstanzliche
BGE 139 IV 62 S. 68
Urteil im gerichtlichen Verfahren und entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch nicht die Strafverfügung der Verwaltung, sondern bereits der Strafbescheid der Verwaltung als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB zu qualifizieren ist, nach dessen Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintreten kann. Zwar weise der Strafbescheid (
Art. 64 VStrR
) gewisse Parallelen zum Strafbefehl auf, doch unterscheide er sich davon wesentlich dadurch, dass ihm zwingend ein Schlussprotokoll (
Art. 61 VStrR
) vorauszugehen habe. Dieses enthalte in komplexen Fällen bereits eine ausführliche rechtliche Würdigung, zu welcher der Beschuldigte Stellung nehmen könne. Das in
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4 als wesentlich erachtete Element des "kontradiktorischen Verfahrens" finde namentlich in komplexen Fällen bereits im Stadium zwischen der Erstellung des Schlussprotokolls und dem Erlass des Strafbescheids statt. Demgegenüber sei es mit dem "kontradiktorischen Verfahren" im Stadium zwischen Strafbescheid und Strafverfügung in Tat und Wahrheit nicht weit her. Die Verwaltung sei zwar verpflichtet, den Strafbescheid auf Einsprache hin zu überprüfen, doch sei sie nicht verpflichtet, sondern lediglich berechtigt, eine mündliche Verhandlung anzuordnen und die Untersuchung zu ergänzen (
Art. 69 Abs. 1 VStrR
). Die Beschwerdeführerin weist sodann darauf hin, sie hätte im vorliegenden Fall, anstatt dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Überspringen des Einspracheverfahrens (
Art. 71 VStrR
) stattzugeben, ohne weiteres zwei mit den Strafbescheiden weitgehend übereinstimmende Strafverfügungen erlassen können, womit nach der Rechtsprechung die Verfolgungsverjährung zu laufen aufgehört hätte. Im Falle der Aufrechterhaltung der in
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4 begründeten Praxis sei davon auszugehen, dass die Verwaltung einzig zum Zwecke der Vermeidung des Verjährungsrisikos Anträgen auf Überspringen des Einspracheverfahrens nicht mehr stattgeben werde, zumal nicht voraussehbar sei, innert welcher Frist ein erstinstanzlicher Gerichtsentscheid im gerichtlichen Verfahren ausgefällt werde, und somit ein erhöhtes Verjährungsrisiko bestehe. Aus diesen Gründen sei die bundesgerichtliche Rechtsprechung in dem Sinne zu ändern, dass nicht erst eine allfällige Strafverfügung (
Art. 70 VStrR
), sondern bereits der Strafbescheid der Verwaltung (
Art. 64 VStrR
) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
zu qualifizieren sei, nach dessen Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintreten könne.
1.4.4
Das Bundesgericht hatte sich in
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4 nicht mit der Konstellation der hier vorliegenden Art zu befassen, in
BGE 139 IV 62 S. 69
welcher die Einsprache gegen den Strafbescheid gemäss
Art. 71 VStrR
als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt und somit zufolge Überspringens des Einspracheverfahrens keine Strafverfügung erlassen wird. Es prüfte daher nicht, ob in dieser Situation bereits mit dem Strafbescheid (
Art. 64 VStrR
) oder erst mit dem (verurteilenden) Erkenntnis der ersten Gerichtsinstanz im gerichtlichen Verfahren (
Art. 73 ff.,
Art. 79 VStrR
) die Verjährung zu laufen aufhört. Die Frage muss im vorliegenden Verfahren entschieden werden.
1.4.5
Der Strafbescheid der Verwaltung ist aus den in
BGE 133 IV 112
E. 9.4.4 genannten Gründen kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
. Daran vermögen die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente nichts zu ändern. Dass in einzelnen, namentlich komplexen Fällen dem Erlass des Strafbescheids in der Praxis ein aufwändiges Verfahren vorausgehen kann, ist nicht entscheidend. Ist aber der Strafbescheid (
Art. 64 VStrR
) kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
, so gilt dies nicht nur, wenn ihm auf Einsprache (
Art. 67 ff. VStrR
) hin eine Strafverfügung (
Art. 70 VStrR
) folgt, sondern auch, wenn die Einsprache gegen den Strafbescheid als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt (
Art. 71 VStrR
) und somit zufolge Überspringens des Einspracheverfahrens keine Strafverfügung erlassen wird. Denn das Überspringen des Einspracheverfahrens ändert an der Rechtsnatur des Strafbescheids nichts, und bei dessen Erlass ist ungewiss, ob eine allfällige Einsprache als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt werden wird.
In den Fällen, in welchen das Einspracheverfahren übersprungen wird (
Art. 71 VStrR
), ist somit nicht der Strafbescheid (
Art. 64 VStrR
), sondern der erstinstanzliche Gerichtsentscheid im gerichtlichen Verfahren (
Art. 73 ff.,
Art. 79 VStrR
) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
zu qualifizieren, nach dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintritt.
1.4.6
Welche Konsequenzen sich daraus für die Fälle ergeben, in denen das Einspracheverfahren nicht übersprungen, sondern nach dem Erlass des Strafbescheids eine Strafverfügung ausgefällt wird, ist hier nicht zu entscheiden. Es ist nicht zu prüfen, ob folgerichtig auch in diesen Fällen die Verjährung erst mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils im gerichtlichen Verfahren zu laufen aufhört und die Rechtsprechung in diesem Sinne zu ändern wäre.
BGE 139 IV 62 S. 70
1.5
Die Beschwerdeführerin fordert unter Hinweis auf Meinungsäusserungen in der Lehre eine Änderung der Rechtsprechung, wonach unter einem Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
(respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB), nach dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintreten kann, ausschliesslich verurteilende, nicht auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen sind. Sie macht geltend, dass auch ein freisprechender erstinstanzlicher Entscheid ein Urteil im Sinne der zitierten Bestimmung sei und daher die Verjährung auch mit der Ausfällung eines freisprechenden erstinstanzlichen Urteils vor Ablauf der Verjährungsfrist zu laufen aufhöre. Demnach habe im vorliegenden Fall die Verjährung spätestens mit der Ausfällung des freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November 2009 geendet. In jenem Zeitpunkt seien noch nicht sieben Jahre seit den inkriminierten Handlungen verstrichen gewesen.
1.5.1
Gemäss
Art. 97 Abs. 3 StGB
respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (si un jugement de première instance a été rendu; se è stata pronunciata una sentenza di prima istanza).
In
BGE 134 IV 328
E. 2.1 erwog das Bundesgericht, es stelle sich die Frage, ob unter "Urteilen" im Sinne der zitierten Bestimmung nur Verurteilungen oder auch Freisprüche und Verfahrenseinstellungen zu verstehen sind. Der Wortlaut der Bestimmung lasse beides zu. Die Verjährung bezwecke aus verschiedenen prozessualen und materiell-strafrechtlichen Gründen, die Strafverfolgung nach Ablauf einer bestimmten Zeit einzustellen. Mit einem Freispruch werde festgestellt, dass der Angeklagte wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht verurteilt werden kann. Es widerspräche jeder Logik, an diese Feststellung die Rechtsfolge zu knüpfen, dass der Freigesprochene wegen eben dieser Vorwürfe zeitlich unbegrenzt weiter verfolgt werden könne, weil die beurteilte Straftat nicht mehr verjähre. Unter "erstinstanzlichen Urteilen" im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
seien daher ausschliesslich verurteilende Erkenntnisse zu verstehen. Das Bundesgericht hat diese Auffassung in der Folge mehrfach bestätigt (
BGE 135 IV 196
E. 2.1; Urteile 6B_983/2010 vom 19. April 2011 E. 4.2.1; 6B_819/2010 vom 3. Mai 2011 E. 4.3). Im Urteil 6B_242/2011 vom 15. März 2012 (wiedergegeben in SJ 2012 I S. 313 ff.) erwog es,
BGE 134 IV 328
E. 2.1 habe klar zum Ausdruck gebracht, dass
BGE 139 IV 62 S. 71
unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
(respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) nur verurteilende und nicht auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen seien. Diese Rechtsprechung sei zwar von einem Teil der Lehre kritisiert worden. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Praxis seien indessen nicht erfüllt. Nach einem freisprechenden erstinstanzlichen Urteil laufe die Verjährung weiter. Wenn die Rechtsmittelinstanz den erstinstanzlichen freisprechenden Entscheid aufhebe und die Sache zur Verurteilung an die erste Instanz zurückweise, höre die Verjährung erst mit der Ausfällung des neuen, verurteilenden erstinstanzlichen Entscheids zu laufen auf. Im Urteil 6B_983/2010 vom 19. April 2011 E. 4.2.3 hielt das Bundesgericht fest, die Verfolgungsverjährung höre mit der Ausfällung eines verurteilenden erstinstanzlichen Erkenntnisses zu laufen auf. Die Verjährung laufe ab diesem Zeitpunkt unabhängig von allfälligen Rechtsmitteln nicht weiter, auch nicht, wenn die erstinstanzliche Verurteilung in Gutheissung eines Rechtsmittels aufgehoben werde.
In der Lehre sind die Meinungen geteilt. Nach der einen Auffassung sind unter "Urteilen" im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB
beziehungsweise aArt. 70 Abs. 3 StGB nur verurteilende Erkenntnisse zu verstehen (ALAIN MACALUSO, forumpoenale 5/2009 S. 278 f.; GILBERT KOLLY, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 61 zu
Art. 97 StGB
). Nach der andern Ansicht fallen darunter auch freisprechende Urteile (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377; CHRISTIAN DENYS, Prescription de l'action pénale, les nouveaux art. 70, 71, 109 et 333 al. 5 CP, SJ 2003 II 49 ff., 54 f.; VINCENT MAENDLY, La prescription, in: La nouvelle partie générale du Code pénal suisse, Kuhn/Moreillon/Viredaz/Bichovsky [Hrsg.], 2006, S. 375 ff., 378; BERNARD BERTOSSA, SJ 2012 I 316).
Gegen die in
BGE 134 IV 328
E. 2.1 begründete Rechtsprechung werden Einwände und Bedenken in verschiedener Hinsicht vorgebracht. Bei grammatikalischer Auslegung von
Art. 97 Abs. 3 StGB
(respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) sei selbstverständlich auch ein freisprechendes Erkenntnis ein "Urteil" im Sinne dieser Bestimmung. Die Auffassung des Bundesgerichts, der Wortlaut der Bestimmung sei nicht eindeutig und lasse auch die Auslegung zu, dass nur verurteilende Erkenntnisse als "Urteile" zu qualifizieren seien, sei unhaltbar und schlechterdings falsch. Dies ergebe sich auch mit Blick auf den französischen und den italienischen Gesetzeswortlaut, worin von
BGE 139 IV 62 S. 72
"jugement" respektive "sentenza" die Rede sei (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377). Der Wortlaut der Bestimmung sei klar und bedürfe keiner Auslegung (BERNARD BERTOSSA, a.a.O.). Wenn die Verjährung nach freisprechenden Erkenntnissen weiterlaufe, bestehe das Risiko, dass im Falle der Einreichung eines Rechtsmittels gegen das freisprechende erstinstanzliche Urteil durch die Staatsanwaltschaft oder die Privatklägerschaft die Verjährung während des Rechtsmittelverfahrens eintrete und somit ein allfälliges Fehlurteil der ersten Instanz von der Rechtsmittelinstanz nicht mehr korrigiert werden könne. Genau dies wolle die neue Bestimmung verhindern (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377). Es sei nicht gerechtfertigt, die von der ersten Instanz möglicherweise zu Unrecht freigesprochene Person unter dem Gesichtspunkt der Verjährung günstiger zu behandeln als eine erstinstanzlich verurteilte Person (BERNARD BERTOSSA, a.a.O.).
1.5.2
Eine Änderung der Rechtsprechung lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der
ratio legis
, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten. Eine Praxisänderung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt wurde (
BGE 137 III 352
E. 4.6;
BGE 136 III 6
E. 3;
BGE 135 I 79
E. 3, je mit Hinweisen).
Die in
BGE 134 IV 328
E. 2.1 begründete Rechtsprechung zu der am 1. Oktober 2002 in Kraft getretenen Bestimmung, wonach die Verjährung nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (aArt. 70 Abs. 3 StGB,
Art. 97 Abs. 3 StGB
), ist nach erneuter, eingehender Prüfung aus nachstehenden Gründen dahingehend zu ändern, dass unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne dieser Bestimmung nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen sind.
1.5.3
Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Verjährung wurden durch Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001, in Kraft seit 1. Oktober 2002, teilweise revidiert (AS 2002 2993, 3146). Die altrechtlichen Vorschriften betreffend das Ruhen und die Unterbrechung der Verjährung sowie die relative und die absolute Verjährung wurden aufgehoben. Die Verjährungsfristen wurden in dem Sinne verlängert, dass sie ungefähr den altrechtlichen absoluten Fristen entsprechen.
BGE 139 IV 62 S. 73
Das alte Recht enthielt keine Bestimmung betreffend das Ende der Verfolgungsverjährung vor Ablauf der Verjährungsfrist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts hörte die Verjährung mit der Ausfällung eines in Rechtskraft erwachsenden Entscheids insoweit zu laufen auf, als der Beschuldigte dadurch verurteilt wurde. Soweit der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, lief die Verjährung weiter. Ob die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen oder erst mit der Ausfällung des oberinstanzlichen verurteilenden kantonalen Erkenntnises zu laufen aufhörte, hing gemäss der Praxis des Bundesgerichts zum alten Recht von der mitunter nicht einfach zu beantwortenden Frage ab, ob nach dem massgebenden kantonalen Prozessrecht das Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid als ein den Eintritt der Rechtskraft hemmendes ordentliches (Berufung, Appellation) oder als ein den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmendes ausserordentliches (Nichtigkeitsbeschwerde, Kassationsbeschwerde) Rechtsmittel ausgestaltet war. Im letztgenannten Fall endete die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Entscheids, durch welchen der Beschuldigte verurteilt wurde. Im erstgenannten Fall hingegen lief die Verjährung während des Berufungs- beziehungsweise Appellationsverfahrens weiter, obschon der Beschuldigte durch den erstinstanzlichen Entscheid verurteilt worden war, und konnte somit während des Berufungs- respektive Appellationsverfahrens die Verjährung eintreten. Die Verjährung lief auch im Falle eines Freispruchs durch die Berufungs- beziehungsweise Appellationsinstanz weiter und konnte daher während eines bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens gegen das freisprechende letztinstanzliche kantonale Urteil eintreten, was zur Folge hatte, dass das Bundesgericht auf die Beschwerde (der Staatsanwaltschaft, des Opfers etc.) nicht eintrat. Wurde hingegen der Beschuldigte durch den Entscheid der Appellations- beziehungsweise Berufungsinstanz verurteilt, so hörte die Verfolgungsverjährung mit dem Eintritt der Rechtskraft des Entscheids zu laufen auf. Wenn das verurteilende Erkenntnis vom Bundesgericht in Gutheissung einer Beschwerde aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde, nahm die Verfolgungsverjährung ihren Fortgang und lief der im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Entscheids noch verbliebene Rest der Verjährung ab Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils weiter (zum Ganzen:
BGE 129 IV 49
E. 5,
BGE 129 IV 305
E. 6.2;
BGE 121 IV 64
E. 2;
BGE 116 IV 80
E. 2;
BGE 111 IV 87
E. 3a und 3b;
BGE 105 IV 307
E. 1b, je mit Hinweisen).
BGE 139 IV 62 S. 74
1.5.4
Der Begriff des "Urteils" ("jugement"; "sentenza") ist jedenfalls insoweit klar, als er sowohl verurteilende als auch freisprechende Urteile erfasst. Auch ein freisprechendes Erkenntnis ist zweifelsfrei ein Urteil.
Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (
BGE 137 IV 180
E. 3.4;
BGE 136 III 283
E. 2.3.1;
BGE 135 II 78
E. 2.2;
BGE 131 III 314
E. 2.2, je mit Hinweisen).
1.5.5
Die Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Teilrevision des Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen etc.) hält unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung fest, dass nach dem damals geltenden Recht die Verfolgungsverjährung entweder mit dem Ablauf der Verjährungsfrist oder mit der Ausfällung eines verurteilenden Erkenntnisses, welches in Rechtskraft erwuchs und nur mit einem ausserordentlichen Rechtsmittel angefochten werden konnte, zu laufen aufhörte. Das Ende der Verjährung hänge demnach von der Ausgestaltung des kantonalen Rechtsweges ab und variiere somit von Kanton zu Kanton. Ein Hauptproblem liege zudem darin, dass die Verjährung noch im Rechtsmittelverfahren eintreten könne. Der Entwurf sehe daher vor, dass die Verjährung definitiv ende, sobald ein erstinstanzliches Urteil ergangen sei. Gegenüber der Gefahr, dass einem Rechtsmittelverfahren durch die Verjährungsbestimmungen keine zeitlichen Grenzen mehr gesetzt seien, bleibe dem Angeschuldigten der Schutz durch das Verzögerungsverbot und das Beschleunigungsgebot. Wichtig sei, dass die Verurteilten, die auf ein Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid verzichten, nicht benachteiligt sein sollen gegenüber den Verurteilten, welche das
BGE 139 IV 62 S. 75
erstinstanzliche verurteilende Erkenntnis nur deshalb anfechten, um den Eintritt der Rechtskraft hinauszuschieben und die Verjährung eintreten zu lassen. Die Folgen einer Verurteilung sollten nicht je nach Urteilskanton unterschiedlich ausfallen (Botschaft, BBl 1999 1979 ff., 2134 f. Ziff. 216.11).
Die Botschaft des Bundesrates enthält somit Passagen, die ausdrücklich auf die Lage der von der ersten Instanz
verurteilten
Person hinweisen. Die Probleme und Ungereimtheiten, die sich insoweit aus dem alten Recht und der diesbezüglichen Rechtsprechung ergaben, sollten durch die neue Bestimmung beseitigt werden. In der Botschaft finden sich jedoch auch Passagen, aus denen sich ergibt, dass der Gesetzgeber neben dem kantonalen Rechtsmittelverfahren betreffend erstinstanzliche verurteilende Erkenntnisse im Besonderen auch das kantonale Rechtsmittelverfahren im Allgemeinen im Auge hatte. Die Botschaft sieht ein Hauptproblem des damals geltenden Rechts "zudem" darin, "dass die absolute Verjährung noch im Rechtsmittelverfahren eintreten kann" (Botschaft, a.a.O., S. 2134 Ziff. 216.11). Dieses Risiko bestand nach dem alten Recht und der diesbezüglichen Rechtsprechung nicht nur in den Fällen, in denen die erstinstanzlich verurteilte Person das ihr zur Verfügung stehende ordentliche Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche verurteilende Erkenntnis ergriff. Es bestand ganz allgemein auch bei erstinstanzlichen Freisprüchen, da diesfalls nach der Rechtsprechung zum alten Recht die Verjährung - unabhängig von der Rechtsnatur des zur Verfügung stehenden Rechtsmittels - weiterlief und daher im Rechtsmittelverfahren eintreten konnte. Zur Beseitigung dieser Risiken soll gemäss den Ausführungen in der Botschaft die Verjährung definitiv enden, sobald "ein erstinstanzliches Urteil" ergangen ist. Zwar fällt auf, dass in der Botschaft weder explizit von freisprechenden Urteilen die Rede ist noch die langjährige, in der Lehre weitgehend unangefochtene Rechtsprechung zum alten Recht thematisiert wird, wonach bei freisprechenden Urteilen die Verjährung unabhängig von dem dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel weiterläuft. Dass diesbezügliche Hinweise in der Botschaft fehlen, lässt jedoch keine zwingenden Schlüsse auf den Willen des Gesetzgebers zu. Die Botschaft enthält keine Ausführungen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers abweichend vom klaren Gesetzeswortlaut die Verjährung nur mit verurteilenden und nicht auch mit freisprechenden erstinstanzlichen Erkenntnissen zu laufen aufhört. Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von aArt. 70 Abs. 3 StGB beziehungsweise
BGE 139 IV 62 S. 76
Art. 97 Abs. 3 StGB
auf verurteilende erstinstanzliche Erkenntnisse beschränken wollen, hätte er dies im Wortlaut der Bestimmung zum Ausdruck gebracht.
Die Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2012 zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Verlängerung der Verfolgungsverjährung) hält mehrfach unter Hinweis auf
Art. 97 Abs. 3 StGB
fest, dass die Verfolgungsverjährung seit der Revision des Verjährungsrechts im Jahr 2002 nicht mehr erst mit der Ausfällung eines formell rechtskräftigen Entscheids, sondern bereits mit der Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils zu laufen aufhört, womit sich das Problem relativ kurzer Verjährungsfristen entschärfe (BBl 2012 9253 ff., 9260 Ziff. 1.1.4, 9266 Ziff. 1.3.2). In der Botschaft ist nicht davon die Rede, dass dies nur für verurteilende erstinstanzliche Erkenntnisse gilt, und es wird auch nicht auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesgerichts hingewiesen.
1.5.6
Art. 97 Abs. 3 StGB
will nach seinem Sinn und Zweck nicht nur verhindern, dass sich die erstinstanzlich verurteilte Person durch Ergreifung eines ordentlichen Rechtsmittels in die Verjährung retten kann. Die Bestimmung will auch unterbinden, dass die erstinstanzlich möglicherweise zu Unrecht freigesprochene Person in dem etwa von der Staatsanwaltschaft veranlassten Rechtsmittelverfahren vom Eintritt der Verjährung profitieren kann und im Hinblick darauf Anträge aller Art stellt. Es gibt keine sachlichen Gründe, die erstinstanzlich freigesprochene Person gegenüber der verurteilten Person zu privilegieren.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Art. 97 Abs. 3 StGB
kann zu einer Ungleichbehandlung führen etwa in Fällen, in denen von zwei mitbeschuldigten Personen erstinstanzlich die eine verurteilt und die andere freigesprochen wird und in der Folge beide mitbeschuldigten Personen von der Rechtsmittelinstanz freigesprochen werden. Trotz übereinstimmender Freisprüche durch die Rechtsmittelinstanz läuft die Verfolgungsverjährung nur für die erstinstanzlich freigesprochene Person weiter, während sie für die andere Person zufolge der erstinstanzlichen Verurteilung nicht läuft.
1.5.7
Dass die Verjährung auch mit erstinstanzlichen freisprechenden Entscheiden zu laufen aufhört, bedeutet entgegen einer Bemerkung in
BGE 134 IV 328
E. 2.1 nicht, dass die beschuldigte Person wegen Vorwürfen, von welchen sie freigesprochen wurde, zeitlich unbegrenzt weiterverfolgt werden kann. Wenn das freisprechende
BGE 139 IV 62 S. 77
Urteil in Rechtskraft erwächst, ist nach dem Grundsatz "ne bis in idem" eine weitere Verfolgung, unter Vorbehalt der Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person, ausgeschlossen (siehe nunmehr
Art. 11 StPO
).
1.5.8
Die Auffassung, dass die Verjährung gemäss
Art. 97 Abs. 3 StGB
auch mit erstinstanzlichen freisprechenden Urteilen zu laufen aufhört, hat nicht zur Folge, dass die Revision zu Ungunsten der freigesprochenen Person zeitlich unbegrenzt möglich ist.
Nach der schweizerischen Strafprozessordnung, in Kraft seit 1. Januar 2011, ist die Revision wegen neuer Tatsachen oder neuer Beweismittel sowohl zugunsten als auch zu Ungunsten der beschuldigten Person zulässig (siehe
Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO
). Die Revision zugunsten der beschuldigten Person kann auch nach Eintritt der Verjährung verlangt werden (
Art. 410 Abs. 3 StPO
). Bis zu welchem Zeitpunkt die Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person möglich ist, ist in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich geregelt. Aus
Art. 410 Abs. 3 StPO
ergibt sich
e contrario
, dass eine solche Revision nur verlangt werden kann, wenn die beschuldigte Person lebt und die Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten ist (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1320 zu Art. 417 Abs. 3). Die Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person kann mit anderen Worten beantragt werden, solange für die Straftat, welche der beschuldigten Person im Revisionsbegehren vorgeworfen wird, die Verjährungsfrist noch nicht verstrichen ist. Insoweit ist es nicht von Bedeutung, ob nach der Ausfällung des zu revidierenden Urteils die Verjährung weiterlief oder aber zu laufen aufhörte und daher nicht mehr eintreten kann. Massgebend ist vielmehr, ob im Zeitpunkt des Revisionsbegehrens die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die Verjährung beginnt mit der inkriminierten Tat, und die Dauer der Verjährungsfrist bestimmt sich aufgrund der Strafe, die für die inkriminierte Tat angedroht wird.
1.5.9
Zusammenfassend ergibt sich Folgendes.
Art. 97 Abs. 3 StGB
(vormals aArt. 70 Abs. 3 StGB) erfasst nach dem Gesetzestext in den drei Amtssprachen erstinstanzliche Urteile und somit nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende erstinstanzliche Erkenntnisse. Es bestehen keine sachlichen Gründe, vom klaren Wortlaut abzuweichen. Im Gegenteil ergibt sich aus dem auch aus der Botschaft des Bundesrates erkennbaren Zweck der Bestimmung, wonach im Rechtsmittelverfahren die Verjährung nicht mehr eintreten soll,
BGE 139 IV 62 S. 78
sowie aus dem Gebot der Gleichbehandlung, dass
Art. 97 Abs. 3 StGB
auch freisprechende erstinstanzliche Urteile erfasst.
1.5.10
Die Verjährungsfrist für die der Beschwerdegegnerin zur Last gelegten Übertretungen des Heilmittelgesetzes im Sinne von Art. 87 Abs. 1 lit. b i.V.m.
Art. 33 Abs. 2 HMG
beträgt sieben Jahre (siehe E. 1.3.2 hievor). Im Zeitpunkt der Ausfällung des die Beschwerdegegnerin freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November 2009 war diese Frist seit den inkriminierten Handlungen, die im Dezember 2002, im Oktober 2004 und im Dezember 2004 begangen worden sein sollen, noch nicht verstrichen. Mit der Ausfällung des freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts hörte gemäss
Art. 97 Abs. 3 StGB
die Verjährung zu laufen auf. Die Strafverfolgung ist somit nicht verjährt. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
8be6cf08-1467-43d8-80bb-e4eff76377a7 | Urteilskopf
80 III 65
12. Arrêt du 26 juin 1954 dans la cause Imhof. | Regeste
Lohnpfändung für Alimente nach vorausgehender Pfändung für gewöhnliche Forderungen.
War bei der frühern Pfändung die Unterhaltspflicht des Schuldners unberücksichtigt geblieben, so ist nun für den Alimentengläubiger der Lohnbetrag zu pfänden, auf den das Amt die Unterhaltslast des Schuldners damals bei Bestimmung des pfändbaren Lohnbetrages bemessen hätte.
Hatte das Amt bei der frühern Pfändung den dem Unterhaltsgläubiger unentbehrlichen Lohnbetrag dem Schuldner belassen, so hat es ihn nun für den Unterhaltsgläubiger zu pfänden, wenn der Schuldner ihn diesem nicht bezahlt. | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 80 III 65 S. 66
A.-
Henri Vincent, à Echallens, a été condamné à payer à son enfant illégitime Hugo Imhof une pension alimentaire de 50 fr. par mois. Comme il ne s'acquitte pas de cette obligation, Imhof exerce périodiquement des poursuites contre lui.
Le 21 juin 1953, l'office des poursuites d'Echallens avait pratiqué, au préjudice de Vincent, une saisie de salaire de 50 fr. par quinzaine, dans la poursuite No 1914, intentée par un tiers. Il a décidé, le 27 août 1953, que la saisie profiterait, dès le 1er juillet 1954, au créancier Imhof, qui avait poursuivi le débiteur en paiement de 800 fr. (poursuite No 2158).
En février 1954, Imhof a fait notifier à Vincent un nouveau commandement de payer pour une somme de 300 fr. représentant sa pension alimentaire de septembre 1953 à février 1954 (poursuite No 3062). Par décision du 5 mars 1954, l'office a ordonné une saisie de salaire de 50 fr. par quinzaine au préjudice du débiteur, "à commencer dès le 1er septembre 1954, date de prescription de saisies antérieures".
B.-
Imhof a porté plainte contre cette dernière mesure, en soutenant qu'il devait bénéficier d'une saisie de salaire immédiate de 50 fr. par mois dans la poursuite No 3062.
Dans sa réponse, l'office des poursuites a expliqué qu'il avait calculé la quotité disponible comme suit:
Salaire mensuel : Fr. 430.--
Minimum vital: Fr. 285.--
Pension alimentaire mensuelle à laquelle le débiteur a été condamné" 50.-: " 335.--
Quotité saisissable par mois: Fr. 95.-
L'Autorité inférieure de surveillance a déclaré la plainte mal fondée.
Le 21 mai 1954, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a rejeté, dans le sens de ses considérants, le recours formé par le créancier contre le
BGE 80 III 65 S. 67
prononcé de l'autorité de première instance. Sa décision est, en bref, motivée comme suit:
En principe, le créancier d'aliments qui présente sa réquisition de saisie plus de trente jours après l'exécution d'une saisie de salaire doit tolérer que le ou les créanciers au profit desquels cette saisie a été pratiquée soient satisfaits avant lui. Cette règle ne souffre qu'une exception, dans le cas où, pour léser le créancier d'aliments, le débiteur a négligé, lors de la saisie antérieure, d'invoquer l'obligation d'entretien pour laquelle il est aujourd'hui poursuivi. Mais cette condition n'est pas remplie en l'espèce, de sorte que la plainte est mal fondée. Il faut relever cependant que l'office a utilisé un barême qui n'est pas valable pour les communes rurales telles qu'Echallens. D'autre part, il a tenu compte à tort, dans le minimum insaisissable, de la pension alimentaire due à Imhof, puisque le débiteur ne la paye précisément pas. Enfin, il eût été éventuellement possible, s'agissant d'une créance d'aliments, d'entamer le minimum vital de Vincent. Il appartiendra donc à l'office de revoir, le cas échéant, le calcul de la quotité disponible.
C.-
Contre cet arrêt, Imhof recourt à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Il demande que la saisie attaquée soit annulée et que l'office des poursuites soit invité à opérer une nouvelle saisie de salaire, avec effet rétroactif au jour de la réquisition, en appliquant le barême valable pour les communes rurales et en entamant au besoin le minimum vital du débiteur.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les juridictions cantonales n'ont pas éclairci les faits avec précision. En particulier, on ignore si le calcul reproduit dans la réponse de l'office a déjà servi de base aux premières saisies (poursuites Nos 1914 et 2158) ou s'il concerne uniquement la dernière (poursuite No 3062). De même, on ne sait exactement si, en retenant 50 fr. dans son calcul, l'office visait la pension d'un second
BGE 80 III 65 S. 68
enfant illégitime, dont il est question dans la décision de première instance, ou la créance d'aliments du recourant, comme la Cour des poursuites et faillites paraît l'admettre. Il y a donc lieu d'envisager ces différentes éventualités.
2.
D'après la jurisprudence du Tribunal fédéral (RO 67 III 150, 71 III 151), le créancier d'aliments qui requiert une saisie de salaire doit se laisser opposer, en principe, la retenue précédemment opérée en faveur d'un créancier ordinaire; toutefois, quand le débiteur, au moment de la saisie antérieure, n'a pas fait état de l'obligation d'entretien pour laquelle il est aujourd'hui poursuivi, l'office doit retenir dans la nouvelle poursuite le montant auquel il aurait estimé cette charge en fixant la part saisissable dans la première poursuite. C'est à tort que la juridiction cantonale n'applique cette dernière règle que si le débiteur a voulu léser le créancier d'aliments. Au contraire, cette jurisprudence doit être étendue à tous les cas où l'office n'a pas tenu compte des aliments lors de la première saisie. Le Tribunal fédéral, en effet, ne l'a pas établie dans le dessein de punir le débiteur négligent ou déloyal. Il est parti du principe que le bénéficiaire de la pension alimentaire devait toujours se voir réserver le montant indispensable à son entretien, malgré les retenues ordonnées au profit de créanciers ordinaires. Peu importe donc le motif pour lequel, au moment des saisies antérieures, le débiteur n'a pas invoqué son obligation d'entretien ou l'office ne l'a pas prise en considération.
Ces principes sont applicables en l'espèce si le montant de 50 fr., admis par l'office des poursuites dans le minimum vital du débiteur, ne représente pas la pension d'Imhof ou n'a pas été réservé à celui-ci dès les premières saisies. Dans cette hypothèse, l'office aurait dû, dans la poursuite N o 3062, retenir avec effet immédiat le montant auquel il aurait estimé la dette alimentaire en fixant la part disponible lors des premières saisies.
3.
Mais les règles exposées ci-dessus ne sont pas seulement valables lorsque l'office a ignoré l'obligation
BGE 80 III 65 S. 69
d'entretien ou a omis d'en tenir compte. Elles s'appliquent également, et à plus forte raison, au cas où il a laissé au débiteur et soustrait aux créanciers ordinaires le montant qu'il estimait indispensable au créancier d'aliments. Celui-ci peut donc, si cette somme ne lui est pas versée, la faire saisir à son profit en intentant une poursuite au débiteur.
4.
Ainsi, c'est à tort que l'office des poursuites d'Echallens a refusé de pratiquer une saisie de salaire immédiate en faveur du recourant. La saisie qu'il a ordonnée dans la poursuite No 3062 doit être annulée. Il procédcra à une nouvcllc saisie en se conformant aux principes qui viennent d'être exposés. En prenant cette mesure, il pourra en outre tenir compte des critiques que la juridiction cantonale a émises dans sa décision du 21 mai 1954.
Dispositiv
La Chambre des poursuites et des faillites prononce:
Le recours est admis, la saisie attaquée est annulée et l'office des poursuites est invité à procéder selon les motifs. | null | nan | fr | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8be77dba-4bcf-485d-a2a2-8943506c3109 | Urteilskopf
112 V 70
12. Extrait de l'arrêt du 24 février 1986 dans la cause Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail contre El Doueihi et Commission cantonale vaudoise d'arbitrage pour l'assurance-chômage | Regeste
Art. 60 und 61 AVIG
: Leistungen an Kursteilnehmer.
- Die in
Art. 60 Abs. 4 AVIG
vorgesehene Frist von 250 Tagen läuft ab dem ersten Kurstag, der Anrecht auf die Leistungen im Sinne von Art. 61 Abs. 3 gibt, während der in Art. 61 Abs. 1 vorgesehene Anspruch auf höchstens 250 Taggelder an dem Tag entsteht, an dem der Versicherte zum erstenmal während der Rahmenfrist ein Taggeld aufgrund seiner Arbeitslosigkeit erhalten hat, selbst vor Beginn des Kurses.
- Der Versicherte, der einen Kurs besuchen darf und dessen Anspruch auf Taggelder vor Beginn desselben erschöpft ist oder während des Kursbesuches endigt, kann weiterhin bis ans Ende der in
Art. 60 Abs. 4 AVIG
festgesetzten Dauer von höchstens 250 Tagen die in Art. 61 Abs. 3 vorgesehenen Leistungen beanspruchen. | Erwägungen
ab Seite 71
BGE 112 V 70 S. 71
Extrait des considérants:
3.
a) Les travailleurs qui fréquentent un cours en vue d'une reconversion, d'un perfectionnement ou d'une intégration professionnelle peuvent prétendre des prestations d'assurance s'ils remplissent les conditions énumérées aux lettres a à c de l'art. 60 al. 1 LACI.
Par ailleurs, l'art. 61 de cette loi définit le genre et l'étendue des prestations qui peuvent être allouées par l'assurance lorsque ces conditions sont réalisées. Il s'agit d'une part d'indemnités journalières, à raison de 250 au maximum (al. 1), et d'autre part du remboursement des frais indispensables occasionnés par l'écolage et le matériel de cours ainsi que par les voyages entre le domicile et le lieu du cours, plus une subvention convenable pour les frais d'entretien et le logement à l'endroit où se déroule le cours (al. 3, deux premières phrases).
BGE 112 V 70 S. 72
b) En l'espèce, l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (OFIAMT) ne conteste pas que l'intimé remplit, en principe, les conditions énumérées à l'art. 60 al. 1 LACI. Il soutient toutefois qu'au moment où l'intimé devait commencer à fréquenter le cours en janvier 1985, il n'aurait plus eu droit aux indemnités de chômage - ce qui n'est pas contesté - de sorte qu'il ne pouvait obtenir le remboursement de ses frais au sens de l'art. 61 al. 3 LACI. L'OFIAMT invoque notamment le ch. 3.3. de sa circulaire (provisoire) relative aux mesures préventives de caractère individuel (actuellement ch. 3.3., ch. marginal 50, de la circulaire relative aux mesures préventives, en vigueur depuis le 1er juillet 1985) selon lequel "le remboursement des frais à charge des participants au cours ayant droit à l'indemnité journalière pour le cours est accordé aussi longtemps que dure le droit à l'indemnité journalière".
Une telle restriction ne ressort cependant ni de la loi ni des dispositions d'exécution édictées par le Conseil fédéral (art. 85 et 86 OACI) dans le cadre de la délégation législative qui figure à l'art. 61 al. 3 in fine LACI. En réalité, comme cela peut se déduire des dispositions légales et réglementaires mentionnées ci-dessus, celui qui en remplit les conditions peut obtenir de l'assurance deux sortes de prestations, de nature entièrement différente et qui sont chacune régie par des prescriptions spécifiques. Pour avoir droit aux indemnités journalières pendant la fréquentation d'un cours, l'assuré doit satisfaire aux mêmes conditions que celles qui déterminent le droit aux indemnités de chômage proprement dites (cf. l'art. 82 OACI). Sous réserve du cas particulier prévu à l'art. 84 OACI qui permet à un participant à un cours, à certaines conditions, de recevoir 50 indemnités journalières supplémentaires au plus, le nombre maximum de 250 indemnités est le même dans les deux situations, la loi précisant en outre que les indemnités journalières versées avant le début du cours sont comprises dans le calcul (art. 61 al. 1 deuxième phrase LACI).
En revanche, celui qui n'a pas droit aux indemnités journalières peut, conformément à l'art. 60 al. 4 LACI, prétendre pour une durée maximum de 250 jours les prestations au sens de l'art. 61 al. 3 de la loi lorsqu'il fréquente un cours avec l'assentiment de l'autorité cantonale, dans le but de prendre un emploi salarié. Cette disposition vise les personnes qui ne remplissent pas les conditions relatives à la période de cotisation et ne sont pas non plus libérées de celles-ci (art. 60 al. 1 let. b LACI). Pour ces
BGE 112 V 70 S. 73
catégories d'assurés, les prestations comprennent le remboursement des frais entraînés par la fréquentation du cours, mais non pas des indemnités journalières (cf. message du Conseil fédéral du 2 juillet 1980 concernant une nouvelle loi fédérale sur l'assurance-chômage obligatoire et l'indemnité en cas d'insolvabilité, FF 1980 III 619). Or, il n'y a aucune raison de traiter différemment l'assuré qui a épuisé son droit aux indemnités journalières avant de commencer à fréquenter le cours donnant droit aux prestations d'assurance ou qui parvient au terme de son droit pendant la fréquentation du cours. Autrement dit, il faut clairement distinguer le délai de 250 jours prévu à l'art. 60 al. 4 LACI qui fixe la durée maximum du droit aux prestations décrites à l'art. 61 al. 3 de la loi, du nombre de 250 indemnités journalières au maximum auxquelles la fréquentation du cours donne droit en vertu de l'art. 61 al. 1 LACI. Le délai de 250 jours ne saurait commencer à courir, par définition, avant le premier jour du cours, tandis que le droit aux indemnités débute le jour où, pour la première fois pendant le délai-cadre, l'assuré a perçu une indemnité journalière à raison de son chômage.
C'est pourquoi, en décidant par voie de circulaire que le remboursement des frais à charge des participants au cours ayant droit à l'indemnité journalière pour le cours est accordé "aussi longtemps que dure le droit à l'indemnité journalière", l'OFIAMT a limité d'une manière contraire à la loi le droit aux prestations d'assurance, autres que l'indemnité journalière, des assurés qui fréquentent un cours avec l'assentiment de l'autorité cantonale. La directive en question ne saurait dès lors être opposée à l'intimé pour lui contester le droit d'obtenir le remboursement des frais que lui a occasionnés la fréquentation du cours qui a fait l'objet de la décision administrative litigieuse. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
8be892bc-fe74-4b63-9add-14cc105c8d28 | Urteilskopf
126 III 85
17. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 25. Januar 2000 i.S. Sch. gegen Obergericht des Kantons Luzern (Beschwerde) | Regeste
Art. 17 Abs. 4 SchKG
; Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens nach der Wiedererwägung der betreibungsamtlichen Verfügung.
Ist eine Verfügung nach Rechtshängigkeit einer Beschwerde durch das Betreibungsamt in Wiedererwägung gezogen worden, so ist die Behandlung der Beschwerde durch die Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs insoweit fortzusetzen, als mit der Wiedererwägung den im Beschwerdeverfahren gestellten Begehren nicht entsprochen worden und damit die Beschwerde nicht gegenstandslos geworden ist. | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 126 III 85 S. 85
A.-
Das Betreibungsamt Root verfügte in der Betreibung Nr. xxx (Pfändungsgruppe Nr. yyy) am 17. Juni 1999 gegenüber Sch. eine Lohnpfändung. In der Pfändungsurkunde vom 27. September 1999 setzte es die pfändbare Lohnquote auf Fr. 2'687.45 monatlich fest, reduzierte sie aber - nachdem es seine Verfügung aufgrund einer Mitteilung der Arbeitgeberin des Schuldners in Wiedererwägung
BGE 126 III 85 S. 86
gezogen hatte - mit Verfügung vom 8. Oktober 1999 auf Fr. 1'949.70 monatlich.
Die gegen die betreibungsamtliche Verfügung vom 27. September 1999 gerichtete Beschwerde des Sch. schrieb der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Land mit Entscheid vom 4. November 1999 als gegenstandslos von der Kontrolle ab, weil das Betreibungsamt die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung gezogen und die pfändbare Lohnquote mit Verfügung vom 8. Oktober 1999 auf Fr. 1'949.70 herabgesetzt habe. Auch wenn dadurch die Anträge des Beschwerdeführers nur teilweise berücksichtigt worden seien, sei das Beschwerdeverfahren nach der kantonalen Rechtsprechung (LGVE 1997 I Nr. 53) dennoch als gegenstandslos abzuschreiben.
B.-
Mit Beschwerde bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts focht Sch. den Entscheid vom 9. Dezember 1999 der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern, womit sein Beschwerde-Weiterzug abgewiesen worden war, an. Die angerufene Kammer heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Mit der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 16. Dezember 1994 (in Kraft seit 1. Januar 1997) ist
Art. 17 Abs. 4 SchKG
eingefügt worden, der lautet: Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.
a) Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern anerkennt mit dem angefochtenen Entscheid, dass trotz der Reduktion der pfändbaren Quote von Fr. 2'687.45 auf Fr. 1'949.70 die Anträge des Beschwerdeführers nur teilweise berücksichtigt worden sind. Das hat sie nicht gehindert, die Beschwerde als gegenstandslos von der Kontrolle abgeschrieben zu betrachten.
Mit diesem Entscheid führt die obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs ihre (in LGVE 1997 I Nr. 53 veröffentlichte) Rechtsprechung weiter, womit sie bezweifelt hat, ob die verwaltungsrechtliche Norm des
Art. 58 Abs. 3 VwVG
(SR 172.021) bzw. ihre Auslegung (in
BGE 113 V 237
) unbesehen auf das betreibungsrechtliche Beschwerdeverfahren angewendet werden
BGE 126 III 85 S. 87
könne. Zum einen - wird im zitierten luzernischen Entscheid ausgeführt - habe der Gesetzgeber bei der Revision des Schuldbetreibungsrechts offenbar darauf verzichtet, eine
Art. 58 Abs. 3 VwVG
entsprechende Regel zu erlassen. Da aber
Art. 17 Abs. 4 SchKG
die Regelung im Verwaltungsverfahren zum Vorbild habe, müsse dieser Umstand als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers ausgelegt werden. Zum anderen spreche das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren von der Vorinstanz. Das Betreibungsamt sei hingegen nicht im eigentlichen Sinne Vorinstanz, auch wenn
Art. 20a Abs. 2 Ziff. 4 SchKG
zwischen betroffenem Amt und den (Betreibungs-)Parteien unterscheide. Das Betreibungsamt erlasse keine einseitige hoheitliche Verfügung nur einem Rechtsunterworfenen gegenüber, vielmehr schaffe seine Verwaltungstätigkeit Recht zwischen beiden Betreibungsparteien; es vollziehe die Betreibungsordnung auf der Grundlage der gesetzlichen Interessen sowohl des Gläubigers wie des Schuldners. Deshalb müsse eine besondere, auf das betreibungsrechtliche Beschwerdeverfahren zugeschnittene Lösung gefunden werden.
Diese besondere Lösung besteht für die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern darin, dass das Beschwerdeverfahren in der Regel auch dann als gegenstandslos abzuschreiben ist, wenn mit der neuen Verfügung die Anträge des Beschwerdeführers nur teilweise berücksichtigt worden sind. Eine Fortsetzung des bisherigen Beschwerdeverfahrens ist nach ihrer Auffassung jedenfalls dann nicht zulässig, wenn die neue Verfügung in die Rechtsstellung der bisherigen Gegenpartei eingreift.
COMETTA (in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, Art. 17 N. 64) hat dieser Lösung mit der Erklärung zugestimmt, sie erlaube eine förderliche Beilegung des vollstreckungsrechtlichen Streites und trage dem Beschleunigungsgebot Rechnung.
b) SPÜHLER (Die Änderungen beim Beschwerdeverfahren nach dem revidierten Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, in AJP 1996 S. 1346), auf den sich der Beschwerdeführer beruft, erklärt demgegenüber,
Art. 17 Abs. 4 SchKG
entspreche grundsätzlich der Regelung von
Art. 58 VwVG
. Theoretisch werde damit der Devolutiveffekt der betreibungsrechtlichen Beschwerde im Interesse der Prozessökonomie modifiziert. Wenn die neue Verfügung die Beschwerde nicht vollständig gegenstandslos gemacht habe, setze die Beschwerdeinstanz analog
Art. 58 Abs. 3 VwVG
die Behandlung
BGE 126 III 85 S. 88
der Beschwerde fort. Werde jedoch die alte Verfügung durch die neue umfassend ersetzt, so werde die Beschwerde von der Aufsichtsbehörde als gegenstandslos abgeschrieben.
Unter Hinweis auf
BGE 113 V 237
vertritt GILLIÉRON (Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Lausanne 1999, Art. 17 N. 260) dieselbe Meinung.
3.
Der bei der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs aufgrund der bisherigen Rechtsprechung (
BGE 103 III 31
E. 1b S. 34) eingefügte
Art. 17 Abs. 4 SchKG
entspricht inhaltlich
Art. 58 VwVG
, wonach die Vorinstanz die angefochtene Verfügung bis zu ihrer Vernehmlassung in Wiedererwägung ziehen kann (Abs. 1) und sie eine neue Verfügung ohne Verzug den Parteien und der Beschwerdeinstanz eröffnet (Abs. 2). Die nicht erkennbar übernommene Regel von
Art. 58 Abs. 3 VwVG
, welche die Beschwerdeinstanz anweist, die Behandlung der Beschwerde fortzusetzen, soweit sie durch die neue Verfügung nicht gegenstandslos geworden ist, gibt den allgemeinen, der Logik entsprechenden Grundsatz wieder, dass ein Rechtsmittel insoweit gegenstandslos wird, als den gestellten Begehren entsprochen worden ist.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist
Art. 58 Abs. 3 VwVG
, unbekümmert darum, ob der Betroffene auch die neue Verfügung angefochten hat oder nicht, nie anders verstanden worden (
BGE 113 V 237
E. 1a). Es ist nicht einzusehen, weshalb ein solcher allgemeiner Verfahrensgrundsatz nicht auch im Zwangsvollstreckungsrecht gelten sollte, umso mehr, als dieses den Inhalt der beiden
Art. 58 Abs. 3 VwVG
vorausgehenden Absätze ausdrücklich übernommen hat. Wenn
Art. 17 Abs. 4 SchKG
im Interesse der Prozessökonomie den Devolutiveffekt im Beschwerdeverfahren modifiziert (BBl 1991 III 35), ihn also nicht hinfällig werden lässt, so weist dies offenkundig darauf hin, dass er - obwohl im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs nicht ausdrücklich erwähnt - auch im Beschwerdeverfahren nach Art. 17ff. SchKG zum Zuge kommt; und damit ist auch ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber den Devolutiveffekt mit einer neuen Verfügung insgesamt dahinfallen lassen wollte. Ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers (COMETTA, a.a.O.) kann demnach nicht vorliegen.
Was die obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs hiegegen vorbringt, schlägt nicht durch. Es wäre weder dem Beschleunigungsgebot noch der Prozessökonomie dienlich, wenn die Beschwerde insgesamt als gegenstandslos betrachtet
BGE 126 III 85 S. 89
würde, obwohl die nach der Wiedererwägung erlassene Verfügung den gestellten Begehren nur teilweise entspricht, und wenn damit der Beschwerdeführer zur Anfechtung der neuen Verfügung veranlasst würde. Dass in
Art. 58 Abs. 3 VwVG
- in gleicher Weise wie in
Art. 58 Abs. 1 und 2 VwVG
- von der Vorinstanz die Rede ist, es sich beim Betreibungsamt jedoch nicht um eine Vorinstanz im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts handelt, ist auch dem Gesetzgeber nicht entgangen, hat er doch bei der Gesetzesrevision, soweit die Regelung von
Art. 58 Abs. 1 und 2 VwVG
übernommen wurde, den Begriff der Vorinstanz durch jenen des Amtes ersetzt. Da Verwaltungsbehörden nicht in jedem Fall einseitig gegenüber einer Partei auftreten, sondern oft auch Rechtsbeziehungen zwischen einer Mehrheit von Parteien regeln, lässt sich kein Gegensatz des betreibungsrechtlichen Beschwerdeverfahrens zum Verwaltungsbeschwerdeverfahren mit dem Argument herleiten, das Betreibungsamt schaffe vorwiegend Recht zwischen zwei und mehr Parteien. Greift die neue Verfügung weitergehend als die in Wiedererwägung gezogene in die Rechtsstellung des Beschwerdegegners ein, so ist er nicht an der Anfechtung der neuen Verfügung gehindert; und es erwächst ihm kein Nachteil durch die Weiterbehandlung der Beschwerde, soweit diese durch die neue Verfügung nicht gegenstandslos geworden ist. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
8be9c61e-f2c5-4f33-8863-cdcb19bc9dfb | Urteilskopf
104 Ib 179
31. Urteil vom 29. September 1978 i.S. Eidg. Polizeiabteilung c. V., Polizeidepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Beschränkte Fahrerlaubnis für Epileptiker;
Art. 8 Abs. 3 VZV
.
1. Voraussetzungen für die Zulassung eines Epileptikers zum Strassenverkehr (E. 1b).
2. Anforderungen an das ärztliche Eignungsgutachten gemäss
Art. 8 Abs. 3 VZV
(E. 2c). Überprüfung des Gutachtens in casu (E. 2e). Berücksichtigung privater Interessen (E. 2f).
3. Zulässigkeit räumlicher Begrenzungen der Fahrerlaubnis;
Art. 26 VZV
(E. 3).
4. Die Auflagen müssen im Dispositiv der Zulassungsverfügung aufgeführt werden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 104 Ib 179 S. 180
V. verursachte am 30. September 1976 in Arlesheim wegen eines epileptischen Anfalles mit seinem Landwirtschaftstraktor einen Verkehrsunfall. Aufgrund eines Gutachtens der neurologischen Universitätsklinik Basel vom 14. Februar 1977 und in Anwendung der Art. 36f der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 (VZV) verbot ihm am 7. März 1977 das Polizeidepartement des Kantons Solothurn das Führen eines Landwirtschaftstraktors ausserhalb des Landwirtschaftsbetriebes für unbestimmte Zeit, erteilte ihm dagegen folgende beschränkte Fahrerlaubnis:
"Das Traktorfahren im Bereich des Landwirtschaftsbetriebes wird erlaubt. Es dürfen nur Feldwege benützt werden. Fahrten auf Strassen, die einem breiteren Verkehrsteilnehmerkreis dienen, sind nicht gestattet, auch dann nicht, wenn die Fahrt (im weiteren Sinne) landwirtschaftlichen Zwecken dienen sollte (z.B. Fahrt zur Landw. Genossenschaft, etc.)."
Auf Beschwerde von V. dehnte das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn am 22. April 1977 die Fahrerlaubnis dahin aus, dass V. zur Bewirtschaftung seines Hofes im ganzen Gemeindegebiet von Hochwald und Seewen auf allen Arten von Strassen Traktorfahrten ausführen dürfe; Fahrten ausserhalb des Gebietes der beiden Gemeinden blieben dagegen weiterhin verboten. Hiegegen führt die Eidg. Polizeiabteilung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Die neurologische Universitätsklinik Basel erstattete am 7. September 1977 nach einem neuen epileptischen Anfall des V. und am 19. Mai 1978 auf Ersuchen des Bundesgerichtes weitere Gutachten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Nach
Art. 36 Abs. 1 VZV
hat die Verwaltungsbehörde des Wohnsitzkantons Personen, die sich infolge körperlicher oder geistiger Krankheiten und Gebrechen oder sonst nicht eignen, das Führen von Motorfahrzeugen, für die ein Führerausweis nicht erforderlich ist, zu untersagen. Der Beschwerdegegner braucht unbestrittenermassen gemäss
Art. 151 Abs. 1 lit. e VZV
für das Führen seines Traktores keinen Führerausweis, weshalb die kantonalen
BGE 104 Ib 179 S. 181
Behörden zu Recht von Art. 36 Abs. 1 ausgegangen sind. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine Massnahme, die der Sicherung des Strassenverkehrs vor ungeeigneten Motorfahrzeugführern dient und die auf unbestimmte Zeit ausgesprochen wird, da im Zeitpunkt der Verfügung nicht voraussehbar ist, ob und allenfalls wann der Eignungsmangel behoben ist.
b) Epileptiker werden gemäss
Art. 8 Abs. 3 VZV
nur aufgrund eines Eignungsgutachtens eines Neurologen oder eines Spezialarztes für Epilepsie zum Verkehr zugelassen. Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung kommt dem elektroencephalographischen (EEG) Befund eine Vorzugstellung zu. Bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit fällt aber auch die Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers ins Gewicht. Wenn bei Epileptikern die Rückfallgefahr auch nicht absolut ausgeschlossen werden kann, so tragen doch entsprechende Auflagen dazu bei, diese Gefahr wesentlich herabzusetzen (Entscheid des EJPD vom 18. Januar 1974, VPB 39/1975 Nr. 22 S. 68 f). Die Zulassung zum Verkehr wird nach einem genügend langen anfallfreien Intervall unter Auflagen grundsätzlich bewilligt, wenn der Epileptiker für die Einhaltung der Auflagen Gewähr bietet (BGE 103 I b 34). Für die Beurteilung dieser Frage kann in der Regel auf das Urteil des Facharztes abgestellt werden, sofern dieser nicht selber noch eine anderweitige Abklärung beantragt. Eine Fahrerlaubnis käme dann nicht in Frage, wenn der Bewerber als oberflächlich, wankelmütig oder unzuverlässig gilt oder wenn bereits festgestellt worden ist, dass er es mit der Einnahme der Medikamente und den regelmässigen ärztlichen Kontrollen bisher nicht genau genommen hat. Ferner dürfen Personen mit häufigen epileptischen Anfällen nicht als Motorfahrzeugführer zum Verkehr zugelassen werden. Schliesslich sollten Epileptiker allgemein von besonders verantwortungsvollen Funktionen im öffentlichen Verkehr (Führen von Taxis oder Cars) ausgeschlossen werden (genannter Entscheid des EJPD; vgl. auch BGE 103 I b 34).
2.
Dass der Beschwerdegegner Epileptiker ist und daher für die Zulassung zum Verkehr eines Eignungsgutachtens bedarf, steht fest. Strittig unter den Parteien ist dagegen, ob den kantonalen Behörden bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit überhaupt ein Gutachten vorlag und ob dieses allenfalls den gesetzlichen Anforderungen entsprach.
BGE 104 Ib 179 S. 182
a) Das Verwaltungsgericht räumt in der Vernehmlassung ein, dass dem Polizeidepartement und ihm selbst nicht das eigentliche Gutachten der neurologischen Universitätsklinik Basel vom 14. Februar 1977, sondern einzig eine Mitteilung des den Beschwerdegegner behandelnden Arztes Dr. X. vom 18. Februar 1977 zur Verfügung gestanden hatte. Dr. X. ist Chefarzt der medizinischen Abteilung des Bezirksspitals Dorneck in Dornach. Seine Mitteilung enthielt nur eine äusserst knappe Zusammenfassung der Schlussfolgerung des Gutachtens, stützte sich aber ausdrücklich auf den vollständigen Untersuchungsbefund der Klinik. Die kantonalen Behörden glaubten, sich für ihren Entscheid damit begnügen zu dürfen, da Dr. X. zu den Vertrauensärzten der Motorfahrzeugkontrolle und des Rechtsdienstes für den Strassenverkehr des Kantons Solothurn gehört. Durch den Bericht der Klinik vom 7. September 1977 wird bestätigt, dass der Beschwerdegegner dort bereits im Februar 1977 auf seine Fahrtauglichkeit als Führer von Traktoren untersucht worden war. Es ergibt sich, dass bei der Beurteilung durch die Behörden zwar ein Eignungsgutachten bestand, dieses den Behörden jedoch nur mittelbar und zusammengefasst bekannt war.
b) Weder die Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 1 VZV noch die allgemeine Bestimmung
Art. 7 VZV
regeln die Frage, ob die Verwaltungsbehörden das Eignungsgutachten selbst kennen müssen oder ob sie sich allenfalls mit einer Zusammenfassung desselben durch einen spezialisierten Vertrauensarzt begnügen dürfen. In Anbetracht des auf dem Spiele stehenden gewichtigen Interesses der Verkehrssicherheit und zur Ausschaltung der Möglichkeit, dass der Inhalt des Gutachtens in der Zusammenfassung nicht richtig wiedergegeben wird, muss indessen angenommen werden, dass die Verwaltungsbehörden ihren Entscheid grundsätzlich gestützt auf das Gutachten selbst zu treffen haben. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass auch bei spezialisierten Vertrauensärzten nicht ausgeschlossen ist, dass sie den Befund des Neurologen oder Facharztes für Epilepsie teilweise unrichtig und unvollständig wiedergeben: Wie aus dem zweiten Bericht der neurologischen Klinik vom 7. September 1977 hervorgeht, hatte diese in ihrem ersten Gutachten vom 14. Februar 1977 ausdrücklich die "regelmässige Einnahme der antikonvulsiven Medikation" vorbehalten; dieser Vorbehalt fehlte im Bericht
BGE 104 Ib 179 S. 183
des Vertrauensarztes vom 18. Februar. Hinzu kommt, dass die Verwaltungsbehörden keineswegs strikt an die Schlussfolgerung des ärztlichen Gutachtens gebunden sind, sondern diese vielmehr noch zu überprüfen haben und dabei auch die praktischen Folgen sowie die Realisierbarkeit vorgeschlagener Auflagen berücksichtigen müssen; die Behörden können die ihnen obliegende umfassende Beurteilung der Person des Bewerbers und aller konkreten Umstände des einzelnen Falles jedoch erheblich besser vornehmen, wenn sie das gesamte Gutachten kennen. Schliesslich ist auch nicht zu ersehen, welcher Grund einer solchen Kenntnisnahme entgegenstehen sollte, zumal die Behörden auf das Amtsgeheimnis verpflichtet sind.
c) Über den notwendigen Inhalt des Eignungsgutachtens macht
Art. 8 Abs. 3 VZV
keine Angaben, und die in Anhang 2 und 3 zur VZV aufgeführten Formulare für ärztliche Zeugnisse und Gutachten sind sowohl nach ihrem Bezug (Verweis lediglich auf die
Art. 7, 49 und 65 VZV
) wie nach ihrer Ausgestaltung nicht auf das Eignungsgutachten für Epileptiker zugeschnitten. Aus den Regeln, die für die Zulassung von Epileptikern zum Verkehr gelten (vgl. vorne E. 1b), lässt sich jedoch herleiten, dass das Eignungsgutachten sich grundsätzlich zu Folgendem äussern sollte, soweit es nicht bereits aus den Akten bekannt ist: Anfallhäufigkeit, letztes anfallfreies Intervall, EEG-Befund, Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers (insbesondere seine Zuverlässigkeit) sowie die zur Verminderung der (nicht völlig auszuschliessenden) Rückfallgefahr geeigneten und erforderlichen, medizinisch bedingten Auflagen (z.B. Alkoholabstinenz, regelmässige Einnahme der verordneten Medikamente, Kontrolluntersuchungen). Solche Auflagen gehören übrigens auch zu dem nach
Art. 7 Abs. 4 VZV
notwendigen Inhalt des bei allgemeinen, erstmaligen vertrauensärztlichen Untersuchungen einverlangten Gutachtens (vgl. die Ziff. 3 und 4 des Formulars Anhang 3 zur VZV). Die Verwaltungsbehörden sollten bei der Erteilung des Auftrages für das Eignungsgutachten die betreffenden Ärzte durch präzise Fragestellung dazu bringen, die erforderlichen Angaben zu machen.
d) Die im vorliegenden Fall erteilte Fahrerlaubnis ist in räumlicher und funktioneller Hinsicht sehr beschränkt: der Beschwerdegegner darf seinen Traktor einzig im abgelegenen
BGE 104 Ib 179 S. 184
und verkehrsarmen Gemeindegebiet Hochwald und Seewen führen, und dies zudem - in Übereinstimmung mit
Art. 86 Abs. 1 VRV
- nur insoweit, als zur Bewirtschaftung seines Hofes unbedingt erforderlich ist; er dürfte die öffentlichen Strassen somit selten und bloss für kurze Zeit in Anspruch nehmen. Es fragt sich, ob bei einer derart stark beschränkten Fahrerlaubnis an das Vorgehen der Behörden und an den Inhalt des Eignungsgutachtens ebenso hohe Anforderungen gestellt werden müssen, wie sie gemäss der vorstehenden Erwägungen (lit. b und c) zur Erteilung einer allgemeinen Fahrbewilligung unerlässlich sind. Diese Frage, wie auch jene, ob das dem angefochtenen Entscheid mittelbar zugrundeliegende Gutachten der neurologischen Universitätsklinik vom 14. Februar 1977 den vorgenannten Anforderungen allenfalls genügt hätte, können hier indessen offen bleiben, da jedenfalls das vom Bundesgericht eingeholte neue Gutachten vom 19. Mai 1978 in Ergänzung der früheren Gutachten den gestellten Anforderungen entspricht (vgl. nachfolgende lit. e). Aus dem gleichen Grunde erübrigt es sich, das vollständige Gutachten vom 14. Februar 1977 nachträglich beizuziehen.
e) Das Gutachten vom 19. Mai 1978 kommt zum Schluss, wegen der Besserung des EEG-Befundes und der Dauer der Anfallfreiheit sei eine unzulässige Gefährdung des Strassenverkehrs unwahrscheinlich; der Beschwerdegegner sei daher auch auf öffentlichen Strassen zu Traktorfahrten zuzulassen. Es seien aber die medizinisch bedingten Auflagen anzubringen, dass der Beschwerdegegner die ihm verordneten antikonvulsiven Medikamente regelmässig einnehme und dem Arzt neue Anfälle unverzüglich melde, worauf seine Fahrtauglichkeit sofort neu zu überprüfen wäre. In jedem Falle sei nach einem halben Jahr eine Kontrolluntersuchung angezeigt. Die Parteien und beteiligten Behörden haben gegen dieses Gutachten keine Einwendungen erhoben.
Die Beurteilung der Ärzte erscheint als schlüssig. Sie stützt sich auf wiederholte neurologisch-klinische und elektroencephalographische Untersuchungen und wird im übrigen durch die Akten bestätigt: Der Beschwerdegegner erlitt bisher epileptische Anfälle lediglich in Abständen von mehreren Jahren und war insbesondere vor dem Unfall vom 30. September 1976 drei Jahre völlig anfallfrei gewesen; seither wurde er einzig anfangs Mai 1977 noch von einem kurzdauernden Anfall überrascht. Er nimmt nach seinen eigenen Angaben,
BGE 104 Ib 179 S. 185
die unbestritten geblieben sind, seit fünf Jahren regelmässig die verordneten Medikamente ein und lebt absolut alkoholabstinent. Dass er zudem einen sehr zuverlässigen Eindruck macht, wurde schon im ersten Gutachten vom 14. Februar 1977 (auszugsweise im zweiten Gutachten vom 7. September 1977) festgehalten. Es darf also mit den Ärzten und den kantonalen Behörden angenommen werden, aufgrund der Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit biete der Beschwerdegegner für die Einhaltung der Auflagen Gewähr. Bezüglich dieser Beurteilung hat sich das Bundesgericht ohnehin eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen (
BGE 103 Ib 33
/34, mit Hinweis). Der Beschwerdegegner kann somit unter Auflagen zu Traktorfahrten auf öffentlichen Strassen zugelassen werden und der angefochtene Entscheid ist diesbezüglich zu bestätigen.
f) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid noch besonders einlässlich dargelegt, dass der Beschwerdegegner zur Bewirtschaftung seines Landwirtschaftsbetriebes dringend auf die Benützung des Traktors angewiesen ist und zur Erreichung seiner Felder und Wälder auch die Staatsstrasse benützen muss, und es hat diesem Umstand entscheidendes Gewicht beigemessen. Der Beschwerdegegner fügt bei, dass er ohne die gewährte Fahrerlaubnis seinen Betrieb sogar aufgeben müsste, zumal er keine Hilfskräfte habe, die den Traktor stellvertretend führen könnten.
Besteht allerdings wegen eines Gebrechens trotz Auflagen und Beschränkungen keine Gewähr, dass ein Fahrzeuglenker sein Gefährt verkehrssicher zu führen vermag, muss ihm die Fahrerlaubnis - wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht - grundsätzlich selbst dann verweigert werden, wenn er dadurch seinen Beruf nicht mehr ausüben könnte (BGE 103 I b 32 E. 1a). Im vorliegenden Fall lässt sich trotz der Auflagen nicht ausschliessen, dass der Beschwerdegegner bei einer Traktorfahrt auf öffentlicher Strasse erneut einen Anfall erleidet und dann den Verkehr gefährdet. Da aber allgemein bei Epileptikern die Rückfallgefahr nicht absolut ausgeschlossen werden kann, dürfte bei strikter Anwendung des Grundsatzes keinem Epileptiker eine Fahrerlaubnis erteilt werden; damit verlöre jedoch
Art. 8 Abs. 3 VZV
jegliche Bedeutung, was nicht der Sinn des Gesetzes sein kann. Der genannte Grundsatz kann also zumindest bei Epileptikern nicht absolute Geltung beanspruchen. Hinzu kommt, dass dem Strassenverkehrsrecht der Gedanke keineswegs fremd ist, dass wegen
BGE 104 Ib 179 S. 186
triftiger anderer Interessen für den Verkehr erhöhte Risiken in Kauf zu nehmen sind, sofern die Risikofahrten beschränkt sind. Das Verwaltungsgericht verweist diesbezüglich zu Recht auf
Art. 5 Abs. 3 und
Art. 78 ff. VRV
sowie auf die
Art. 5 lit. a und 18 Abs. 2 VZV
. Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdegegner lediglich bewilligt, in einem eng begrenzten, übersichtlichen und verkehrsarmen Raum (Gemeinden Hochwald und Seewen) Traktorfahrten auszuführen, soweit diese zur Bewirtschaftung des Hofes unbedingt erforderlich sind. Bei einer derart beschränkten Fahrerlaubnis darf der genannte Grundsatz nicht ebenso strikt angewandt werden wie bei Erteilung von Führerausweisen der Kategorien A bis E. Im vorliegenden Fall durfte somit beim Entscheid über die Fahrerlaubnis durchaus das grosse private Interesse des Beschwerdegegners mitberücksichtigt werden; entscheidend musste allerdings die ärztliche Beurteilung der Fahrtauglichkeit bleiben.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt hauptsächlich die räumliche Begrenzung der Fahrerlaubnis. Diese sei aus verschiedenen Gründen unzulässig.
a) Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst, die Arten von Auflagen seien in
Art. 26 VZV
abschliessend geregelt und diese Bestimmung sei auf Fahrverbote analog anwendbar. Gemäss
Art. 26 Abs. 1 VZV
dürfen mit der Erteilung des Führerausweises Beschränkungen und Auflagen nur nach Massgabe der Absätze 2 bis 4 verbunden werden. Die Vorschrift bezieht sich nach Überschrift, Wortlaut und systematischer Einordnung in der VZV einzig auf die Führerausweise und insbesondere darauf, welche Eintragungen darin zulässig sind. Sie will ihrem Sinn nach in erster Linie den Inhaber eines Führerausweises vor x-beliebigen, vagen und unkontrollierbaren Auflagen und Beschränkungen schützen. Diese vor allem im Interesse der Ausweisinhaber aufgestellte Vorschrift darf nun nicht ohne weiteres auf den Fall übertragen werden, wo es um die Frage geht, ob ein behinderter Fahrzeuglenker unter besonderen Auflagen, welche die Verkehrsgefährdung auf ein erträgliches Mass vermindern, doch zum Verkehr zugelassen werden kann.
Zudem nennt
Art. 26 VZV
nicht alle Arten möglicher und zulässiger Auflagen und Beschränkungen. Abs. 2 zählt einzig jene Auflagen und Beschränkungen abschliessend auf, die im Führerausweis spezifiziert eingetragen werden müssen.
BGE 104 Ib 179 S. 187
Abs. 3 spricht dann allgemein von "anderen Auflagen, z.B. medizinischer Art", bei denen im Ausweis bloss der Vermerk "Auflage" einzutragen ist. Dass auch räumlich begrenzte Fahrbewilligungen durchaus denkbar und zulässig sind, zeigt Abs. 1 lit. c, wonach die Beschränkung auf eine bestimmte Strecke (nach
Art. 11 Abs. 4 lit. a und b VZV
) einzutragen ist. In dem von der Beschwerdeführerin genannten BGE 103 I b 32 E. lb hat das Bundesgericht im übrigen auch die Möglichkeit zeitlich beschränkter Fahrbewilligungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern bloss festgestellt, dass diese Auflage in jenem Fall einer Taxifahrerin nicht durchwegs erfüll- und kontrollierbar war.
Art. 26 VZV
steht somit der verfügten Auflage nicht entgegen.
b) Die Beschwerdeführerin wendet ferner ein, eine räumlich begrenzte Fahrerlaubnis sei nicht kontrollierbar. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht erwidert, trifft dieser Einwand gerade im vorliegenden Fall nicht zu; die räumliche Begrenzung ist hier derart eng, dass schon die Mitteilung der Auflage an die örtlich zuständigen Polizeiposten der unmittelbaren Umgebung, wie sie in der Verfügung des Polizeidepartementes vom 7. März 1977 angeordnet worden ist, durchaus wirksam sein wird; jedenfalls ist diese Beschränkung kontrollierbarer als manche andere Massnahme in städtischen Verhältnissen. Allenfalls hat das Polizeidepartement durch weitere geeignete Anweisungen dafür zu sorgen, dass die Einhaltung der Beschränkung gewährleistet ist.
c) Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, auch die Bewohner von Seewen und Hochwald hätten Anspruch darauf, nicht gefährdet zu werden. Die Gefahr räumlich zu begrenzen, widerspreche dem öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit. Entweder sei der Beschwerdegegner grundsätzlich fahrtauglich, dann dürfe er räumlich unbeschränkt Traktor fahren, oder er sei es eben nicht, dann müsse er von allen öffentlichen Strassen als Motorfahrzeugführer ferngehalten werden.
Diese Auffassung ist zu undifferenziert. Wie vorstehend in E. 2f dargelegt, kann im vorliegenden Fall der Grundsatz, dass nicht durchwegs verkehrssichere Fahrzeuglenker vom Verkehr auszuschliessen sind, nicht strikt gelten. Hier wird das Risiko, dass der Beschwerdegegner auf öffentlicher Strasse einen neuen Anfall erleidet und dadurch den Verkehr abstrakt gefährdet, in starkem Masse herabgesetzt durch die gute
BGE 104 Ib 179 S. 188
ärztliche Prognose, die verordneten Medikamente sowie die räumliche und funktionelle Beschränkung der Traktorfahrten. Dabei scheint gerade auch die räumliche Beschränkung der Fahrerlaubnis geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalles zu verringern. Die Auflage beschränkt nicht einfach die Gefährdung auf die Strassenbenützer von Seewen und Hochwald, sondern ist auch medizinisch bedingt. Aus den Akten ergibt sich nämlich, dass der Beschwerdegegner sich vor allem dann anfallgefährdet fühlt, wenn er übermüdet ist; den grösseren Anfall, der zum Unfall vom 30. September 1976 führte, erlitt er denn auch, als er von einer längeren Fahrt (nach Basel hinunter) zurückkehrte. Aus diesem Grunde hatte die neurologische Klinik im ersten Gutachten vom 14. Februar 1977 betont, dass der Beschwerdegegner "grössere Distanzen, beispielsweise Fahrten in die Stadt" nicht selbst unternehmen sollte. Wenn sie im neuesten Gutachten diese Einschränkung fallen liess und den Beschwerdegegner nun "unbeschränkt auf öffentlichen Strassen" zu Traktorfahrten zulassen würde, so doch wohl nur deshalb, weil sie - wie aus dem Gutachten vom 7. September 1977 hervorgeht - von der unzutreffenden Behauptung der Beschwerdeführerin ausging, dass eine räumlich begrenzte Fahrbewilligung generell nicht zulässig sei. In Berücksichtigung des Umstandes, dass in Hochwald und Seewen die Verkehrsverhältnisse relativ einfach sind und dort wenig Verkehr herrscht, haben die kantonalen Behörden die Fahrerlaubnis für dieses Gebiet erteilt, Fahrten ausserhalb jedoch strikte ausgeschlossen, vor allem um die Ermüdungs- und damit Anfallgefahr zu verringern; insbesondere wurden dem Beschwerdegegner die von ihm gewünschten Fahrten zu seinem Metzger nach Dornach hinunter verboten, da dies bereits eine längere, steilere Fahrt in ein verkehrsdichtes Gebiet bedeutete.
Die Annahme der kantonalen Behörden, durch die räumliche Begrenzung der Fahrerlaubnis werde die Rückfallgefahr und damit die abstrakte Verkehrsgefährdung erheblich herabgesetzt, und zwar auf ein für die betroffenen Verkehrsteilnehmer zumutbares Mass, ist jedenfalls vertretbar. Wenn auch für die Strassenbenützer von Hochwald und Seewen - also für einen sehr beschränkten Kreis - eine gewisse abstrakte Gefährdung bestehen bleibt, so wäre es doch klar unverhältnismässig, allein deswegen ein gänzliches Fahrverbot
BGE 104 Ib 179 S. 189
auszusprechen. Gemäss dem auch für Fahrverbote geltenden (vgl.
BGE 102 Ib 191
E. 2c) Prinzip der Verhältnismässigkeit polizeilicher Eingriffe ist bei der Auswahl der geeigneten Mittel zur Erreichung des legitimen Zweckes (hier: der Verkehrssicherheit) darauf zu achten, dass die Freiheit des Einzelnen möglichst geschont wird; insbesondere hat ein gänzliches Verbot zu unterbleiben, wenn eine gleich geeignete, mildere Anordnung - etwa Bewilligung unter Auflagen - für den angestrebten Erfolg im wesentlichen ausreicht (vgl.
BGE 102 Ia 522
E. 4, mit Verweisung; sowie U. ZIMMERLI, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im öffentlichen Recht, ZSR 112/ 1978 II S. 14 mit Hinweisen).
d) Die mit dem angefochtenen Entscheid verfügte räumliche Begrenzung der Fahrerlaubnis ist somit zu bestätigen und zwar in der Formulierung des Verwaltungsgerichts. Dieses gestattete dem Beschwerdegegner zwar das Befahren aller Strassen im fraglichen Gebiet, obschon er nicht auf die Benützung aller Strecken angewiesen ist. Doch erübrigt sich eine engere Eingrenzung - etwa einzelne Aufzählung der wirklich benötigten Zufahrtswege zu den Feldern und Wäldern - da die Verfügung ohnehin festhält, dass der Beschwerdegegner die öffentlichen Strassen nur benützen darf, soweit es zur Bewirtschaftung seines Hofes erforderlich ist.
4.
Die Beschwerdeführerin beanstandet schliesslich, dass die medizinisch bedingten Auflagen in den kantonalen Entscheiden fehlen. Diesbezüglich ist die Beschwerde gutzuheissen. Da an Epileptiker Fahrbewilligungen allgemein nur unter Auflagen erteilt werden können (vgl. vorne E. lb), müssen diese im Dispositiv der entsprechenden Verfügung enthalten sein. Der Epileptiker soll genau wissen, dass er als Fahrzeuglenker zum Verkehr nur solange zugelassen wird, als er für die Einhaltung der Auflagen Gewähr bietet.
Eine Rückweisung der Sache ans Verwaltungsgericht zur entsprechenden Ergänzung der Fahrerlaubnis erübrigt sich, weil das Bundesgericht aufgrund der Akten die Ergänzung selbst anbringen kann. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
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