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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
7381dc12-8bd3-4196-ab48-935ee85697bd | Urteilskopf
86 III 53
16. Entscheid vom 23. August 1960 i.S. K. | Regeste
Pfändung des Rein-Einkommens aus selbständiger Berufstätigkeit (entsprechende Anwendung des
Art. 93 SchKG
).
1. Pflicht des Betreibungsamtes, die zur Ermittlung des allfällig pfändbaren Teilbetrages des Reinverdienstes wesentlichen Tatsachen abzuklären. Im Beschwerdeverfahren (
Art. 17-19 SchKG
) sind dagegen die unbeanstandet gebliebenen Elemente der Berechnung nicht nachzuprüfen (Erw. 1).
2. Arten der Verdienstpfändung. Unzulässig ist eine vorläufige Verdienstpfändung ohne zuverlässige Feststellungen mit Fristansetzung an den Gläubiger zur Strafanzeige (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 86 III 53 S. 53
A.-
In der Betreibung des Rekurrenten gegen Sch. pfändete das Betreibungsamt Ennetbaden zuerst bloss eine Reihe beweglicher Sachen, die nicht genügende Deckung boten. Auf Beschwerde des Gläubigers wies die Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt an, den Nettoverdienst des (teilweise als Vertreter gegen Provision arbeitenden, hauptsächlich aber auf eigene Rechnung Zahnhandel treibenden und ein zahntechnisches Laboratorium führenden) Schuldners festzustellen, dessen Notbedarf zu bestimmen und allenfalls eine Lohnpfändung zu vollziehen. Laut ergänzender Pfändungsurkunde war eine Verdienstpfändung
BGE 86 III 53 S. 54
abzulehnen, weil dem monatlichen Notbedarf für ein Ehepaar mit einem Kind nebst Reisespesen von Fr. 600.--, zusammen Fr. 1'257.--, ein Nettoinkommen von bloss Fr. 1'230.70 gegenüber stehe. Zum Posten von Fr. 600.-- für Reisespesen ist in der Pfändungsurkunde bemerkt:
"An den Reisespesen in der Höhe von Fr. 600.-- pro Mt. hält der Schuldner nach wie vor fest. Er könne nicht auf ein Auto verzichten, da er mit der Bahn teilweise viel Wartezeit verliere und anderseits einen grossen Koffer und 2 Mappen mitführt. Er bereise die ganze Schweiz und muss pro Woche 2-3 x übernachten. Für die Miete des Autos bezahlt er 14 Rp. pro km... Fix besoldete Reisende sollen einen täglichen Reisezuschuss von Fr. 30.- und mehr erhalten..."
B.-
Nach Empfang dieser Pfändungsurkunde beschwerte sich der Gläubiger mit dem Antrag auf Anordnung einer festen Verdienstpfändung von Fr. 200.-- im Monat. Er beanstandete zwei Einnahmenposten in der Aufstellung des Betreibungsamtes als zu niedrig und gelangte auf Grund höherer Beträge zu einem pfändbaren Verdienstüberschuss von mehr als monatlich Fr. 200.--. Was die vom Betreibungsamt auf monatlich Fr. 600.-- bemessenen Reisespesen betrifft, äusserte er Zweifel, ob sie einer Anfechtung standzuhalten vermöchten. Doch "unter Vorbehalt einer näheren Prüfung der Einnahmenseite lasse ich sie vorläufig unangefochten gelten."
C.-
Die untere Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde abgewiesen, ebenso die obere Aufsichtsbehörde den vom Gläubiger eingereichten Rekurs, soweit einzutreten sei.
D.-
Mit vorliegendem Rekurs an das Bundesgericht hält der Gläubiger an der Beschwerde fest. Er stellt ferner folgenden Antrag:
"3. Es seien die vom Schuldner geltend gemachten und vom Betreibungsamt anerkannten Reisespesen auf mindestens Fr. 400.-- herabzusetzen."
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Auch bei der gleichfalls auf
Art. 93 SchKG
gestützten, der eigentlichen Lohnpfändung nachgebildeten Pfändung
BGE 86 III 53 S. 55
des Reineinkommens aus selbständiger Arbeit hat das Betreibungsamt von Amtes wegen die zur Ermittlung einer allfälligen pfändbaren Verdienstquote und zu deren Bemessung entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse abzuklären (
BGE 81 III 149
,
BGE 85 III 38
,
BGE 86 III 16
). Das ist im vorliegenden Falle geschehen. Ob und wie weit die amtliche Untersuchung allenfalls mangelhaft und ihr Ergebnis unrichtig sei, war im Beschwerdeverfahren dann aber nur im Rahmen der vom Gläubiger beanstandeten Berechnungsgrundlagen nachzuprüfen; im übrigen wurde die betreibungsamtliche Verfügung rechtskräftig, wie die Vorinstanz mit Hinweis auf
BGE 73 III 33
zutreffend entschieden hat. Nun war die Beschwerde nur gegen zwei Posten der Roheinnahmen erhoben worden, und demgemäss hatte der Rekurrent denn auch seine Berechnung eines angeblichen pfändbaren monatlichen Verdienstüberschusses von mehr als Fr. 200.-- ausschliesslich auf eine Erhöhung dieser beiden Rechnungsposten (Einnahmen aus Zahnhandel und aus Reisetätigkeit) gestützt. Die Notbedarfsberechnung dagegen, welche die auf Fr. 600.-- bemessenen Reisespesen enthält, hatte er zwar in ihrer Richtigkeit bezweifelt, aber nicht förmlich angefochten, sondern auch seiner eigenen Berechnung zu Grund gelegt. Auf den erst in oberer kantonaler Instanz gestellten Antrag betreffend dieses Element des Notbedarfs ist daher die obere Aufsichtsbehörde mit Recht nicht eingetreten, und vollends muss das vor Bundesgericht gestellte Rekursbegehren 3 bei dieser Sachlage ausser Betracht fallen.
2.
Die Einkommensberechnung des Betreibungsamtes ist, wie sich aus Erw. 1 und 2 des angefochtenen Entscheides ergibt, rechtlich einwandfrei. Der Rekurrent will sich freilich mit den Ergebnissen der amtlichen Erhebungen nicht zufrieden geben, weil sie teilweise aufblossen Angaben des Schuldners beruhen. Angesichts der nicht restlos abgeklärten Verhältnisse muss nach seiner Ansicht vorerst einmal eine Verdienstpfändung, wie er sie bereits im Fortsetzungsbegehren beantragt habe, vollzogen werden. Sollte
BGE 86 III 53 S. 56
der Schuldner alsdann nicht entsprechende Monatsbeträge abliefern, so hätte der vom Gläubiger anzurufende Strafrichter den eigentlichen Verdienstumfang und damit auch die pfändbare Quote zu ermitteln. Zur Begründung beruft sich der Rekurrent auf die Rechtsprechung, wonach bei der eigentlichen Lohnpfändung unter Umständen ein vom Schuldner und vom Arbeitsgeber nicht anerkannter Lohnbetrag als bestrittener zu pfänden ist, mit der Folge, das er vom Gläubiger kraft Anweisung nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG
oder von einem Ersteigerer vor dem Zivilrichter eingeklagt werden kann.
Dieser Betrachtungsweise ist nicht beizutreten. Die Pfändung eines nach Abzug der Gewinnungskosten sich ergebenden Einkommens aus selbständiger Arbeit nach Art einer Lohnpfändung, d.h. hinsichtlich eines den Notbedarf der Familie übersteigenden Betrages, ist nicht Pfändung einer Forderung. Daher kommt nicht in Frage, über die feste Pfändung hinaus einen Mehrbetrag als "bestrittene Forderung" zu pfänden. Vielmehr ist Gegenstand dieser Einkommenspfändung entweder ein auf Grund von Feststellungen über den durchschnittlichen Aufwand und Ertrag einerseits und den Notbedarf anderseits zu bestimmender Monatsbetrag (sofern sich ein derart pfändbares Einkommen ergeben hat), oder es ist auf künftige monatliche Abrechnung hin der jeweilen erzielte Überschuss der Roheinnahmen über den Geschäftsaufwand und den Notbedarf als veränderlicher Überschuss, jedoch ebenfalls fest, zu pfänden (
BGE 85 III 40
Erw. 3). Im vorliegenden Falle durfte auf das durchschnittliche Reineinkommen abgestellt werden, wie es sich nicht bloss auf Grund von Angaben des Schuldners, sondern hauptsächlich an Hand von Belegen über den Zeitraum der vorausgegangenen vier Monate ermitteln liess. Da dieses Reineinkommen den Notbedarf (nebst den Reisespesen, die eigentlich bereits als Geschäftsaufwand hätten eingesetzt werden sollen) nicht erreicht, war eine Verdienstpfändung abzulehnen. Unter den gegebenen Verhältnissen kam nicht etwa
BGE 86 III 53 S. 57
in Frage, nach der soeben erwähnten zweiten Methode allfällige künftige Einkommensüberschüsse gemäss monatlich vorzunehmender Abrechnung zu pfänden. Denn mit derartigen Überschüssen war nicht mit etwelcher Sicherheit zu rechnen (ganz abgesehen davon, dass vereinzelte Überschüsse zurückbehalten werden müssten, um mit Ausfällen anderer Monate ausgeglichen zu werden; vgl.
BGE 68 III 158
,
BGE 69 III 54
).
Zu Unrecht glaubt der Rekurrent endlich eine vorläufige Verdienstpfändung ohne zuverlässige Feststellungen verlangen zu dürfen, um gestützt darauf bei Nichteingang der vorläufig gepfändeten Beträge den Strafrichter anrufen zu können, der dann die Einkommens- und Bedarfsverhältnisse endgültig festzustellen hätte. Ein solches Vorgehen lässt sich nicht auf
Art. 93 SchKG
gründen. Im übrigen erscheint ein solches Zwischenstadium der vorläufigen Pfändung mit Fristansetzung zur Strafklage als zwecklos. Dem Gläubiger steht frei, ohne weiteres Strafanzeige wegen unwahrer Angaben des Schuldners zu erheben, wenn er dies verantworten zu können glaubt.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
738265ab-dd9f-4f0a-a8fd-a88c428f5a0e | Urteilskopf
138 II 105
10. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause X. contre Service des contributions du canton de Neuchâtel (recours en matière de droit public)
2C_497/2011 du 15 mars 2012 | Regeste
Art. 12 Abs. 3 lit. e StHG
; Grundstückgewinn; Steueraufschub bei Ersatzbeschaffung; Begriff der dauernd und ausschliesslich selbstgenutzten Wohnliegenschaft; angemessene Frist für die Ersatzbeschaffung.
Die historische Auslegung von
Art. 12 Abs. 3 lit. e StHG
ergibt, dass unter dem Begriff der dauernd und ausschliesslich selbstgenutzten Wohnliegenschaft der Hauptwohnsitz unter Ausschluss eines sekundären Domizils zu verstehen ist. Dass im vorliegenden Fall der Steueraufschub nicht gewährt wurde, entspricht dem harmonisierten Recht: Zum Zeitpunkt der Veräusserung war das Haus nicht mehr der Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers, nachdem er es vor über sieben Jahren verlassen hatte; das Erfordernis der Ersatzbeschaffung innert angemessener Frist würde zudem seiner Substanz entleert, wenn in einem solchen Fall Steueraufschub gewährt wird (E. 5 und 6). | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 138 II 105 S. 106
X., domicilié à Y. dans le canton de Nidwald, a habité de nombreuses années une maison familiale sise à Neuchâtel. Il a déménagé à Y. en 2001, où il a loué successivement deux appartements avant d'y acquérir, le 2 octobre 2007, une villa. Le bien immobilier de Neuchâtel a été vendu le 25 mars 2008.
Le Service des contributions du canton de Neuchâtel (ci-après: le Service des contributions), par décision de taxation du 29 août 2008, puis par décision sur réclamation du 10 novembre 2008, a estimé que le gain immobilier réalisé lors de la vente de la maison de Neuchâtel ne pouvait faire l'objet d'une imposition différée. Il a jugé que toutes les conditions permettant une imposition différée du gain immobilier n'étaient pas réalisées puisque la maison de Neuchâtel ne constituait plus le domicile principal du recourant au moment de la vente.
Le Tribunal fiscal de la République et Canton de Neuchâtel, par jugement du 16 février 2010, puis la Cour de droit public du Tribunal
BGE 138 II 105 S. 107
cantonal de la République et Canton de Neuchâtel (ci-après: le Tribunal cantonal), par arrêt du 11 mai 2011, ont rejeté le recours de X. pour le même motif.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière de droit public.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
5.
5.1
Selon l'art. 12 al. 1 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes (LHID; RS 642.14), l'impôt sur les gains immobiliers a pour objet les gains réalisés notamment lors de l'aliénation de tout ou partie d'un immeuble faisant partie de la fortune privée du contribuable à condition que le produit de l'aliénation soit supérieur aux dépenses d'investissement (prix d'acquisition ou autre valeur s'y substituant, impenses). L'
art. 12 al. 3 let
. e LHID prévoit que l'imposition est différée en cas d'aliénation de l'habitation (maison ou appartement) ayant durablement et exclusivement servi au propre usage de l'aliénateur, dans la mesure où le produit ainsi obtenu est affecté, dans un délai approprié, à l'acquisition ou à la construction en Suisse d'une habitation servant au même usage.
L'
art. 58 al. 1 let
. e de la loi neuchâteloise du 21 mars 2000 sur les contributions directes (LCdir; RSN 631.0) reprend l'
art. 12 al. 3 let
. e LHID mot pour mot.
La LHID laissant aux cantons la possibilité de concrétiser la notion de "délai approprié" (RDAF 2005 II p. 554 = StE 2005 A 23.1 n° 11, 2A.445/2004 consid. 5.2; arrêt 2C_108/2011 du 29 août 2011 consid. 3.1), l'art. 33 al. 1 du règlement général neuchâtelois du 1
er
novembre 2000 d'application de la loi sur les contributions directes (RELCdir; RSN 631.01) dispose que le remplacement en franchise d'impôt de, notamment, l'habitation principale du contribuable doit intervenir au plus tard dans un délai de deux ans à compter de la réalisation de l'ancien actif.
5.2
La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre. Si le texte n'est pas absolument clair et si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il convient de rechercher quelle est la véritable portée de la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit notamment des travaux préparatoires, du but de la règle, de son esprit, ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose ou encore de sa
BGE 138 II 105 S. 108
relation avec d'autres dispositions légales (
ATF 137 II 164
consid. 4.1 p. 170;
ATF 137 III 217
consid. 2.4.1 p. 221 ss).
6.
En l'espèce, il s'agit de déterminer si, lors de la vente de la villa de Neuchâtel en 2008, celle-ci avait "durablement et exclusivement servi au propre usage de l'aliénateur", tel que requis par l'
art. 12 al. 3 let
. e LHID.
6.1
Le texte de loi parle de l'aliénation de l'habitation (maison ou appartement)
ayant
durablement
servi
au propre usage de l'aliénateur. Cela signifie que, lors de l'aliénation, le bien ne doit plus forcément encore servir à l'usage propre de l'aliénateur. Celui-ci peut l'avoir quitté préalablement à la vente. Ceci s'explique notamment par le fait que le remploi anticipé, soit la situation dans laquelle l'acquisition du nouveau bien immobilier précède la vente de l'ancien, peut être exceptionnellement admis au regard de l'
art. 12 al. 3 let
. e LHID (RDAF 2005 II p. 554 = StE 2005 A 23.1 n° 11, 2A.445/2004 consid. 6). L'art. 33 al. 2 RELCdir le prévoit d'ailleurs. Dès lors, le fait que le recourant n'habitait plus sa villa au moment de la vente n'est pas un obstacle à l'admission d'une imposition différée.
6.2
Se pose ensuite la question du laps de temps admissible entre le moment où l'aliénateur quitte son habitation et celui où il la vend. Ce point doit être examiné au regard de deux des conditions posées pour un report d'imposition, soit, premièrement, le fait que l'habitation doit avoir "durablement et exclusivement servi au propre usage de l'aliénateur" et, deuxièmement, le "délai approprié" dans lequel le réinvestissement doit avoir lieu.
6.3
L'
art. 12 al. 3 let
. e LHID pose comme condition à une imposition différée que "l'habitation (maison ou appartement) ait durablement et exclusivement servi au propre usage de l'aliénateur".
6.3.1
Une interprétation littérale de ces termes conduit, a priori, à considérer qu'ils font référence au domicile principal de l'aliénateur. Cependant, compte tenu de l'usage de notions vagues - telles que habitation, usage propre, etc. -, cette interprétation ne saurait suffire à elle seule.
Dans son Message du 25 mai 1983 sur l'harmonisation fiscale, le Conseil fédéral n'avait prévu le remploi que pour les immeubles agricoles et sylvicoles exploités en mains propres (FF 1983 III 108, 306; ad
art. 15 al. 3 let
. d projet/LHID), c'est-à-dire pour des immeubles du patrimoine commercial, et l'avait expressément exclu pour
BGE 138 II 105 S. 109
les maisons et les appartements privés (FF 1983 III 109); ce dernier type de remploi n'a été repris dans la loi qu'au stade des débats parlementaires (BO 1986 CE 141; BO 1989 CN 49 ss; BO 1989 CE 575; BO 1990 CN 442 ss; BO 1990 CE 726; cf. BASTIEN VERREY, L'imposition différée du gain immobilier: harmonisation fédérale et droit cantonal comparé, 2011, n° 27 p. 22; BERNHARD ZWAHLEN, in Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, vol. I/1: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG],Zweifel/Athanas [éd.], 2
e
éd. 2002, n° 74 ad
art. 12 LHID
p. 239). Les travaux de la Commission du Conseil national (procès-verbal de la séance des 11 et 12 avril 1988 de la Commission du Conseil national p. 107 ss; procès-verbal de la séance du 29 août 1988 de la Commission du Conseil national p. 8 ss) et les débats susmentionnés devant les Chambres fédérales, principalement les exemples donnés, démontrent que le report d'imposition n'est applicable qu'au gain obtenu lors de l'aliénation d'habitation constituant le domicile principal du contribuable. La minorité de la Commission voulait même limiter le réinvestissement de l'habitation privée à des raisons impératives; la Commission n'a toutefois, au cours des travaux, pas trouvé d'accord à ce sujet, ces raisons étant difficiles à délimiter (qu'en est-il, par exemple, d'une aliénation due à un licenciement, un changement de profession, un divorce, une expropriation?; BO 1989 CN 49 ss). Il ressort ainsi de ces éléments historiques que la notion d'habitation ayant durablement et exclusivement servi au propre usage de l'aliénateur de l'
art. 12 al. 3 let
. e LHID doit être interprétée de façon restrictive et doit être comprise comme faisant référence au domicile principal du contribuable, à l'exclusion des résidences secondaires. La doctrine relative à la LHID et aux lois cantonales va dans le même sens (VERREY, op. cit., n° 224 p. 192; KLÖTI-WEBER/BAUR, in Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Klöti-Weber/Siegrist/Weber [éd.], 3
e
éd. 2009, n° 6 ad § 98, p. 1245; MARKUS LANGENEGGER, in Praxis-Kommentar zum Berner Steuergesetz, Leuch/Kästli/Langenegger [éd.], vol. II, 2011, n° 27 ad art. 134, p. 122;RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 2
e
éd. 2006, n° 324 ad § 216, p. 1591; FELIX RICHNER, Ersatzbeschaffung von selbstgenutztem Wohneigentum, Zürcher Steuerpraxis 2010 p. 204). Il s'agit donc de reporter l'obstacle fiscal que représente le prélèvement de l'impôt sur les gains immobiliers, qui prive le contribuable d'une partie du gain immobilier réalisé, en cas de changement du domicile principal.
BGE 138 II 105 S. 110
6.3.2
Il est certain qu'en 2001, lorsque le recourant a quitté sa maison, celle-ci avait durablement et exclusivement servi à son usage propre. Toutefois, le moment déterminant pour juger de la réalisation de cette condition est le moment de la vente du bien puisque l'objet de l'impôt est le gain réalisé. En l'espèce, la vente a eu lieu le 25 mars 2008. Or, de 2001 à 2008, le recourant n'a plus résidé dans sa villa. Durant cette période, il a loué successivement deux appartements à Y. avant d'y acquérir, le 2 octobre 2007, une maison. Le recourant a même précisé, dans son recours, que lui-même et son épouse ont retiré leurs papiers de Neuchâtel le 3 décembre 2001. Le bien immobilier de Neuchâtel est alors devenu la maison de vacances de la fille du recourant qui s'en occupait.
Il ne fait ainsi aucun doute que la villa de Neuchâtel, au moment de sa vente, ne constituait plus le domicile principal du recourant. Certes, comme le relève l'intéressé, de 2001 à 2008, ce bien est resté sa propriété, il était à sa disposition, il ne l'a jamais loué et y a séjourné de temps en temps. Si ces éléments montrent qu'effectivement le recourant a fait un certain usage de sa maison, ils ne suffisent cependant pas à remplir la condition de l'usage propre durable et exclusif. Ils font, en revanche, de la maison en cause une résidence secondaire. Or, contrairement à ce que l'intéressé prétend, une telle qualification est pertinente puisque, comme on l'a vu ci-dessus, l'imposition différée n'est pas acceptée pour ce type d'habitation.
6.4
Comme susmentionné (consid. 6.2), les sept ans écoulés entre le moment où le recourant a quitté son habitation et celui où il l'a vendue pose un autre problème. La LHID impose, en effet, que le remploi ait lieu dans un "délai approprié". Le canton de Neuchâtel a fixé ce délai à deux ans. En l'espèce, si le recourant avait vendu son bien lorsque celui-ci a cessé de constituer son domicile, soit en 2001, le délai légal de deux ans pour obtenir une imposition différée, aurait couru jusqu'en 2003. Or, l'intéressé n'a acheté son nouveau bien qu'en 2007. Accorder le remploi dans le cas du recourant qui a attendu sept ans pour aliéner sa maison, sans même avoir essayé de la vendre durant ce laps de temps, reviendrait à vider de sa substance l'exigence du délai approprié pour procéder au réinvestissement. Cette exigence ne peut être contournée en gardant quelques années une maison que le contribuable n'habite plus et en ne la vendant qu'au moment où le nouveau bien est acquis. Si le changement de domicile et la vente du bien ne doivent pas forcément être concomitants, on ne saurait admettre qu'un délai de sept ans s'écoule entre les deux.
BGE 138 II 105 S. 111
6.5
Compte tenu de ce qui précède, en retenant que le recourant ne pouvait bénéficier d'une imposition différée sur le gain réalisé lors de l'aliénation de sa maison, le Tribunal cantonal n'a pas violé le droit cantonal harmonisé. | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
738c0230-c6d0-4728-abc2-34d39a35dfa1 | Urteilskopf
84 I 126
19. Sentenza 29 maggio 1958 della II Corte Civile nella causa Moll contro Ticino. | Regeste
Art. 652 ZGB
und 33 Abs. 3 GBV.
Dürfen die Grundbuchbehörden die Eintragung eines abstrakten Gesamteigentums (auf vertraglicher Grundlage, jedoch ohne Angabe eines die Gemeinschaft begründenden Rechtsverhältnisses) ablehnen trotz der in einem rechtskräftigen Zivilurteil enthaltenen Weisung? | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 84 I 126 S. 127
A.-
Con pubblico istrumento del 9 dicembre 1940, Angelo Galli vendeva alle tre figlie Margherita Biasca-Galli, a Caslano, Antonietta Moll-Galli, a Berna, e Irma Galli, a Caslano, un determinato numero di fondi situati in territorio del comune di Caslano. Nel medesimo atto pubblico, le tre figlie dichiaravano di procedere alla divisione di quanto era stato loro assegnato e, sciolta "la comunione ereditaria fin qui tra esse esistente", procedevano alla ripartizione dei singoli fondi. Antonietta Moll-Galli e Margherita Biasca-Galli convenivano, inoltre, che due fondi - un viale d'accesso e cortile (numero di mappa 321) e una sorgente (numero di mappa 364) - sarebbero rimasti in comunione tra loro due.
Il 6 febbraio 1945, Irma Galli vendeva tre dei fondi acquistati da suo padre nel 1940 a Edoardo Ryf-Schär, a Berna. Essa cedeva nel contempo a questi la sua parte di proprietà sui due fondi 321 e 364 che secondo il contratto del 1940 dovevano costituire proprietà comune con la sorella Antonietta. A registro fondiario, il nuovo rapporto di proprietà veniva iscritto quale comproprietà tra Ryf-Schär Edoardo e Moll Antonietta "per metà ciascuno".
Con petizione del 3/5 giugno 1952, Antonietta Moll-Galli chiedeva al pretore di Lugano-Campagna che il contratto di vendita concluso dalla sorella con Ryf relativamente ai due fondi in comunione fosse dichiarato nullo e l'iscrizione a registro fondiario fosse di conseguenza annullata. Con sentenza del 25 aprile 1955, il pretore accoglieva la petizione e statuiva che le particelle litigiose "sono riconosciute di proprietà comune di Antonietta Moll-Galli e Irma Galli conformemente all'atto di divisione del 9 dicembre 1940, rogito num. 2152 del notaio Mario Rusca". In esecuzione di questa sentenza, l'ufficio del
BGE 84 I 126 S. 128
registro fondiario procedeva, il 10 luglio 1955, alla corrispondente iscrizione nel registro provvisorio di Caslano.
Successivamente, a Caslano veniva introdotto il registro fondiario definitivo. In quell'occasione, Antonietta Moll chiedeva che i due fondi di cui si tratta fossero iscritti come proprietà comune contrattuale. La domanda era respinta dal funzionario incaricato dell'impianto del registro fondiario definitivo, che iscriveva i due fondi provvisoriamente (art. 961 CC) quale comproprietà delle due sorelle, in ragione di metà. Nella sua decisione, il funzionario considerava in sostanza che l'iscrizione del 10 luglio 1955 era stata eseguita a torto, il contratto di vendita del 1940 tra padre e figlie avendo creato un rapporto di comproprietà e non di proprietà comune.
Su ricorso di Antonietta Moll, il Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino quale autorità di vigilanza sul registro fondiario confermava la decisione del funzionario incaricato dell'impianto del registro fondiario definitivo a Caslano.
B.-
Antonietta Moll ha interposto in tempo utile un ricorso al Tribunale federale, chiedendo che i due fondi num. 321 e 364, i quali in sede di allestimento del registro fondiario definitivo hanno ricevuto i num. 332 e 393, siano iscritti come proprietà comune delle due sorelle, conformemente al contratto del 1940 e alla sentenza del pretore di Lugano-Campagna.
Nelle loro osservazioni, il Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino e il Dipartimento federale di giustizia e polizia concludono per la reiezione del gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
...
2.
Nel merito, la ricorrente sostiene in sostanza che le autorità del registro fondiario non potevano, senza violare manifestamente il diritto federale, rifiutare l'iscrizione della proprietà comune sui due fondi num. 332 e 393. Innanzitutto, tale rapporto di proprietà, regolarmente
BGE 84 I 126 S. 129
convenuto nel 1940 tra le due sorelle Irma Galli e Antonietta Moll, era stato iscritto nel registro fondiario provvisorio di Caslano. In secondo luogo, l'esistenza del rapporto di proprietà comune è stata riconosciuta successivamente da una sentenza giudiziaria cresciuta in giudicato. Non può essere compito delle autorità del registro fondiario - allega la ricorrente - modificare nella sua sostanza un diritto reale creato dalle parti e sanzionato addirittura dal giudice.
A questo proposito, occorre considerare quanto segue. Secondo il diritto svizzero, la proprietà comune non può essere convenuta liberamente dalle parti ma presuppone che siano adempiute determinate condizioni esplicitamente previste dalla legge. In particolare, è necessario che le persone le quali hanno in comune la proprietà di una cosa siano "vincolate ad una comunione per disposizione di legge o per contratto" (art. 652 CC). Tale requisito dell'esistenza di una comunione legale o contrattuale ha per effetto, da una parte, che i casi in cui può esistere un rapporto di proprietà comune sono in funzione delle varie possibili comunioni personali, in altre parole che i casi di proprietà comune costituiscono per legge un numerus clausus (cfr. segnatamente HAAB, Commentario CC, note dal 3 al 9 ad art. 652). Esso ha d'altra parte per effetto che la proprietà comune non è data a norma di legge se le persone che hanno in comune la proprietà di una cosa non sono vincolate a una delle comunioni legali o contrattuali che ne sono la condizione. Insomma, la proprietà comune non è concepibile qualora le persone che l'invocano non siano unite da un rapporto giuridico personale (cfr. HAAB, in Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins, vol. 61, pag. 310/311).
Se si tien conto di quanto precede, si deve ammettere, in ogni modo, che manifestamente a torto l'ufficio dei registri ha a suo tempo iscritto quale proprietà comune il rapporto di proprietà che Irma Galli e Antonietta Moll-Galli avevano convenuto all'atto della vendita di beni
BGE 84 I 126 S. 130
immobili intrapresa nel 1940 da loro padre. Infatti, le due sorelle non erano a quel momento vincolate da nessuna comunione, contrariamente a quanto è detto nell'istrumento notarile. I beni immobili ricevuti appartenevano esclusivamente al padre. Vero è che, stando all'iscrizione del contratto di vendita del 1940 a registro fondiario avvenuta il 24 dicembre 1940, proprietari precedenti dei beni sarebbero state, oltre al padre, le figlie. Tuttavia, dalle copie degli estratti del registro fondiario prodotte dalla ricorrente medesima appare chiaro che tale premessa dell'iscrizione era erronea, nella misura almeno in cui si riferiva ai due fondi qui in discussione. Il realtà, detti due fondi sempre erano appartenuti al solo padre. In queste circostanze, l'ufficiale del registro fondiario avrebbe dovuto rifiutare già allora, nell'ambito della normale procedura d'esame delle richieste, l'iscrizione della proprietà comune convenuta contrattualmente senza che ne fossero adempiute le condizioni legali.
Nel frattempo, sulla natura di quel rapporto di proprietà si è tuttavia pronunciato il giudice. Si pone dunque la questione se la proprietà comune non sia scaturita per lo meno dalla sentenza del pretore di Lugano-Campagna. Mentre la ricorrente lo pretende con riferimento alla forza esecutiva delle sentenze, l'autorità cantonale lo nega, allegando che nessuna decisione giudiziaria può esentare le autorità del registro fondiario dal controllo d'ufficio della conformità con la legge dei diritti di cui è domandata l'iscrizione.
In concreto, gli argomenti dell'autorità ticinese di vigilanza sul registro fondiario devono essere condivisi. Il Tribunale federale giunge a questa conclusione dopo aver considerato che una sentenza costituisce bensì un titolo sufficiente per l'iscrizione della proprietà e degli altri diritti reali, cui anche le autorità del registro fondiario devono riconoscere forza esecutiva materiale. In altre parole, è esatto che, quando siano di fronte a una decisione giudiziaria, non è compito delle autorità del registro
BGE 84 I 126 S. 131
fondiario esaminare come è stato giudicato, esaminare cioè se la sentenza poggi su premesse giuridiche o di fatto valide e se le conclusioni del giudice siano sostenibili o meno. Determinante per le autorità del registro fondiario dev'essere materialmente quel che è stato giudicato e null'altro (cfr. AUER, Die Prüfungspflicht des Grundbuchverwalters nach schweizerischem Recht, pag. 29 sgg., segnatamente 30/31).
Come AUER stesso riconosce, ciò non significa tuttavia che le autorità del registro fondiario debbano iscrivere senz'altro tutti i diritti reali sanciti da sentenze giudiziarie formalmente esecutive. Tra l'altro, esse dovranno pur sempre vagliare d'ufficio l'iscrivibilità (Eintragungsfähigkeit) del diritto accertato dalla sentenza (cfr. AUER, op.cit. pag. 59 sgg). Innanzitutto, la legge ha stabilito, circa i diritti iscrivibili, un numerus clausus. Ne segue che taluni diritti non potrebbero essere iscritti, quand'anche fossero stati accertati in via giudiziaria, per il semplice motivo che la legge non li conosce. Si può citare, quale esempio di un diritto siffatto, non iscrivibile anche se il giudice lo avesse ordinato, la proprietà per piani. In secondo luogo, esiste tutta una categoria di diritti che, per sè, sono riconosciuti dalla legge ma rimangono ciononostante non iscrivibili. Tra questi possono essere menzionati i precari, le rendite fondiarie vincolate a condizioni (art. 854 CC), le restrizioni legali del diritto di proprietà (art. 680 cp. 1 CC). A parte questi casi di non iscrivibilità, vietata è poi, in generale, l'iscrizione di diritti reali inconciliabili con una norma imperativa o di diritto pubblico. Rientrano per esempio in questa categoria i contratti di vendita di fondi agricoli durante sei anni a contare dal loro acquisto (art. 218 CO).
Se tali princìpi sono applicati alla fattispecie, nessun rimprovero può essere mosso alle autorità ticinesi di vigilanza sul registro fondiario per aver rifiutato l'iscrizione nel registro fondiario definitivo del rapporto di proprietà comune sancito dal pretore.
BGE 84 I 126 S. 132
a) In primo luogo, dette autorità non hanno oltrepassato le loro competenze vagliando un ordine del giudice. Infatti, il loro diritto di controllo scaturiva dal testo medesimo dell'art. 652 CC secondo cui proprietario comune può essere solo chi si trovi in un rapporto giuridico e, inoltre, dall'art. 33 cp. 3 RRF giusta il quale "nel caso di proprietà comune, bisogna aggiungere alle indicazioni previste nell'art. 31 la menzione del rapporto giuridico da cui deriva la comunione (comunione di beni, coeredi, indivisione, ecc.)". Dal momento che ambedue queste prescrizioni devono essere definite norme di diritto imperativo, è chiaro che la questione esaminata dalle autorità ticinesi di vigilanza sul registro fondiario rientrava nell'ambito delle loro competenze, indipendentemente dalla forza esecutiva materiale della sentenza pretoriale. Poichè tale questione concerneva l'iscrivibilità di un diritto, deve altresì essere ammesso che la competenza delle autorità del registro fondiario era data d'ufficio, non solo per esammare una domanda di nuova iscrizione ma pure per rettificare un'iscrizione eseguita a torto in precedenza, senza che occorresse una disposizione preliminare del giudice nel senso degli art. 977 cp. 1 CC e 99 RRF (cfr. HOMBERGER, Commentario CC, nota 9 ad art. 977).
Non giova alla ricorrente asserire, a sostegno della sua tesi contraria, che l'iscrizione è stata rifiutata, in prima istanza, da un funzionario incaricato dell'impianto del registro fondiario definitivo, non da un ufficiale del registro fondiario vero e proprio. A parte la circostanza che la ricorrente si limita ad allegare, in merito, una violazione di prescrizioni cantonali senza eccepire in modo sufficientemente chiaro di una violazione simultanea del diritto federale, non si vede per quali motivi le autorità cantonali di vigilanza sul registro fondiario non potrebbero assegnare anche al funzionario incaricato dell'impianto del registro fondiario definitivo le mansioni di controllo d'ufficio previste dagli
art. 18, 33, 98 sgg
. RRF.
b) Pure il risultato materiale cui l'autorità cantonale
BGE 84 I 126 S. 133
è giunta nello svolgimento del suo compito di vigilanza è conforme al diritto federale. Infatti, il dispositivo con cui il pretore ha ordinato l'iscrizione della proprietà comune per i due fondi num. 332 e 393 è sicuramente errato, nel senso che la proprietà comune giudizialmente pronunciata dev'essere esclusa per l'assenza di un accertamento qualsiasi, nella sentenza, circa l'esistenza di un rapporto giuridico tra le parti. Certo, il pretore par la nel § del dispositivo num. 1 di "atto di divisione del 9 dicembre 1940". Dai motivi della sentenza risulta tuttavia, senza equivoco possibile, che per divisione il pretore non ha mai inteso la divisione consecutiva a una comunione ereditaria ma sempre ha inteso quella convenuta dalle figlie al momento del contratto di compra-vendita concluso tra il padre quale venditore e le figlie medesime quali compratrici. Insomma, il pretore non ha ammesso, sia pure per errore, l'esistenza di una comunione ereditaria tra le sorelle, ciò che avrebbe avuto per effetto, nonostante tutta l'evidenza dell'errore, di vincolare l'ufficiale del registro fondiario. Egli si è limitato a statuire che Irma Galli e Antonietta Moll dovevano essere riconosciute proprietarie comuni dei due fondi litigiosi conformemente a quanto avevano convenuto nel 1940. Ciò equivaleva senza dubbio al riconoscimento di un rapporto contrattuale di proprietà comune astratta, escluso dalla legge e, dunque, non iscrivibile.
Per evitare le conseguenze legali di tale situazione, la ricorrente asserisce invano che "non è detto però che le parti, nel caso concreto, con l'istrumento del 1940, non abbiano voluto costituire un'"indivisione". A parte la comunione ereditaria sicuramente inesistente e - comunque - non ritenuta dal pretore medesimo, solo la formazione nel 1940, da parte delle due sorelle, di una società semplice sarebbe per sè pensabile. Una società semplice può infatti essere creata tacitamente, per il solo fatto che determinati beni siano destinati a uno scopo comune. Sennonchè, nè il pretore ha accertato nè la
BGE 84 I 126 S. 134
ricorrente ha mai asserito che sua sorella e lei medesima avessero tale intenzione quando convennero la proprietà comune.
Così stando le cose, occorre ammettere che l'autorità cantonale non ha violato il diritto federale negando l'iscrizione della proprietà comune quantunque fosse stata ordinata dal giudice. In realtà, tale rapporto di proprietà non è mai potuto sorgere tra la ricorrente e sua sorella, perchè vi ostavano precise norme di diritto imperativo.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7393321a-87d3-462a-96e0-0ef27bca3d07 | Urteilskopf
111 Ib 182
38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Dezember 1985 i.S. B. S.A. gegen Grundbuchinspektorat des Kantons Graubünden und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Auskunfts- und Editionspflicht sowie vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 15 und 16 des Bundesbeschlusses über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961/21. März 1973 (BewB);
Art. 23 Abs. 1 und 2 BewV
i.d.F. vom 21. März 1973;
Art. 103 lit. a und
Art. 106 Abs. 1 OG
.
1. Das nach der Rechtsprechung zu
Art. 103 lit. a OG
erforderliche aktuelle und praktische Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung der Verweigerung der aufschiebenden Wirkung entfällt, wenn die Vorinstanz im Zeitpunkt des bundesgerichtlichen Urteils bereits in der Hauptsache entschieden hat (E. 2).
2. Die Beschwerdefrist zur Anfechtung von Anordnungen nach
Art. 15 und 16 BewB
beträgt gemäss
Art. 17 Abs. 4 BewB
in Übereinstimmung mit Art. 106 Abs. 1 OG 10 Tage (E. 3a).
3. Aufgrund von
Art. 23 Abs. 1 und 2 BewV
i.d.F. vom 21. März 1973 ist die zuständige Behörde bei begründetem Verdacht auf Verletzung von Vorschriften des BewB befugt, die nötigen Nachforschungen auch unabhängig von einem ihr gemeldeten Erwerbsgeschäft aufzunehmen (E. 6b und c). | Sachverhalt
ab Seite 184
BGE 111 Ib 182 S. 184
Die B. S.A. mit Sitz in L. ist Eigentümerin von drei Grundstücken in der Gemeinde Silvaplana. Um nachträglich feststellen zu können, ob der Erwerb dieser Grundstücke im Sinne des Bundesbeschlusses über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewB) bewilligungspflichtig gewesen wäre, wurde sie am 27. Juli 1984 vom Grundbuchinspektorat des Kantons Graubünden aufgefordert, verschiedene Fragen zu beantworten und Unterlagen (Statuten, Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Grundstückkaufverträge, Darlehensverträge, Steuererklärungen etc.) vorzulegen. Gleichzeitig erging an das Grundbuchamt Oberengadin die Weisung, hinsichtlich dieser Gesellschaft bzw. deren Liegenschaften keine Mutationen mehr einzutragen.
Gegen diese Verfügung führte die B. S.A. Beschwerde beim Verwaltungsgericht Graubünden. Sie verlangte deren Aufhebung, soweit die Herausgabe anderer Dokumente als der Statuten, der Gründungsurkunde, der Jahresrechnungen und der Erklärung des Verwaltungsrates über die Beteiligungsverhältnisse angeordnet worden sei; ferner beantragte sie die Aufhebung der Grundbuchsperre und die Gewährung der aufschiebenden Wirkung.
Mit Prozessbeschwerdeentscheid vom 3. Oktober 1984 bestätigte das Verwaltungsgericht die bereits zuvor von seinem Präsidenten ausgesprochene Verweigerung der aufschiebenden Wirkung und am 7. November 1984 wies es die Beschwerde auch in der Hauptsache ab.
Die B. S.A. führt in zwei verschiedenen Eingaben sowohl Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Prozessbeschwerdeentscheid als auch gegen den Hauptentscheid. Das Bundesgericht legt die beiden Verfahren zusammen und tritt auf die erste Beschwerde nicht ein, die zweite Beschwerde weist es ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach
Art. 103 lit. a OG
legitimiert, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Ein schutzwürdiges Interesse im Sinne dieser Bestimmung verfolgt grundsätzlich der Beschwerdeführer, dessen rechtliche oder tatsächliche Stellung durch den Ausgang des Beschwerdeverfahrens unmittelbar beeinflusst werden kann
BGE 111 Ib 182 S. 185
(
BGE 98 Ib 58
E. 2; GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, S. 900). Das schutzwürdige Interesse muss aktuell, d.h. im Zeitpunkt der Beschwerde und des bundesgerichtlichen Urteils noch vorhanden sein. Fällt es im Laufe des Verfahrens dahin, so wird die Sache aus diesem Grunde gegenstandslos und ohne Urteil als erledigt erklärt (
BGE 110 Ia 144
GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 154).
b) Die Gewährung oder Verweigerung der aufschiebenden Wirkung hat als prozessleitende Verfügung nur solange Bestand, als die angerufene Instanz in der Hauptsache noch nicht entschieden hat. Mit dem instanzabschliessenden Urteil fällt sie dahin (GYGI, a.a.O., S. 245). Hat die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochtene prozessleitende Verfügung im Zeitpunkt des bundesgerichtlichen Urteils ihre Wirkung infolge des zwischenzeitlich von der Vorinstanz in der Hauptsache gefällten Entscheids verloren, entfällt das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers. So verhält es sich bei der vorliegenden Beschwerde. Dadurch, dass das Verwaltungsgericht am 7. November 1984 instanzabschliessend über die Frage der Auskunfts- und Editionspflicht der Beschwerdeführerin entschied, fiel ihr praktisches und aktuelles Interesse an der Gutheissung ihrer gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung erhobenen Beschwerde dahin.
c) Das Bundesgericht verzichtet sowohl bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden als auch bei staatsrechtlichen Beschwerden ausnahmsweise auf das Erfordernis des praktischen und aktuellen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen für den Beschwerdeführer jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können oder wenn an deren Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes Interesse besteht (
BGE 110 Ia 143
E. 2b,
BGE 106 Ib 112
E. 1b,
BGE 97 I 733
/734). An diesen Voraussetzungen fehlt es indessen bei der vorliegenden Beschwerde:
Einerseits gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Beschwerdeführerin in einem weiteren Verfahren den Vollstreckungsaufschub einer ihr auferlegten Pflicht zur Auskunftserteilung oder Aktenherausgabe bzw. einer Grundbuchsperre verlangen muss und andererseits stellen sich keine Fragen, deren Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt. Es besteht daher kein Grund, die Beschwerde trotz des Wegfalls des aktuellen Rechtschutzinteresses materiell zu behandeln, weshalb sie als gegenstandslos vom Geschäftsverzeichnis abzuschreiben ist (vgl.
BGE 106 Ib 295
E. 3).
BGE 111 Ib 182 S. 186
3.
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, sie habe die im vorliegenden Fall geltende Beschwerdefrist von 30 Tagen eingehalten. Da die Fristwahrung Prozessvoraussetzung ist, hat das Bundesgericht diese Frage vorab und ohne Bindung an die Parteibegehren zu prüfen.
a) Sowohl die Akteneinsichts- und Herausgabepflicht, welche die zuständige Behörde den in
Art. 15 BewB
genannten Personen auferlegen kann, als auch die vorsorglichen Massnahmen gemäss
Art. 16 BewB
bilden verfahrensmässige Voraussetzungen dafür, dass der Entscheid über den eigentlichen Verfahrensgegenstand, die Bewilligungspflicht und die Bewilligungserteilung, in Kenntnis der massgeblichen Tatsachen gefällt werden kann. Ebenso steht ausser Frage, dass solche Verfügungen geeignet sind, nicht wiedergutzumachende Nachteile zu bewirken, denn die auf diesem Weg von der Behörde beschafften Informationen können für die Adressaten ungünstige Bewilligungsentscheide zur Folge haben. Die gestützt auf
Art. 15 und 16 BewB
erlassenen Anordnungen stellen deshalb keine End- sondern lediglich Zwischenverfügungen dar (
BGE 106 Ib 89
/90,
BGE 101 Ib 246
; zum Begriff der Zwischenverfügung auch GYGI, a.a.O., S. 140-143), für welche die Beschwerdefrist gemäss
Art. 17 Abs. 4 BewB
in Übereinstimmung mit Art. 106 Abs. 1 OG 10 Tage beträgt.
b) Obschon die Beschwerdeführerin fälschlicherweise davon ausging, die Rechtsmittelfrist betrage 30 Tage, ist ihre Eingabe nicht verspätet. Da zwischen dem 18. Dezember und dem 1. Januar die gesetzlichen wie auch die richterlichen Fristen stillstehen (
Art. 34 Abs. 1 lit. c OG
) wurde die am 4. Januar 1985 der Post übergebene Beschwerdeschrift, welche sich gegen den am 10. Dezember zugestellten vorinstanzlichen Entscheid richtet, rechtzeitig eingelegt.
c) In diesem Zusammenhang ist das Verwaltungsgericht Graubünden darauf hinzuweisen, dass es gemäss
Art. 1 Abs. 3 VwVG
als letzte kantonale Instanz, welche gestützt auf öffentliches Recht des Bundes verfügt, an die Vorschrift von
Art. 35 Abs. 1 VwVG
gebunden ist und daher verpflichtet gewesen wäre, seinen aufgrund von
Art. 15 und 16 BewB
gefällten Entscheid mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Gleiches gilt hinsichtlich der Anwendung der entsprechenden Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG; SR 211.412.41), welches seit dem 1. Januar 1985 in Kraft steht.
BGE 111 Ib 182 S. 187
4.
Die Auskunfts- und Editionspflicht wird in
Art. 15 BewB
folgendermassen geregelt:
"Wer von Amtes wegen, berufsmässig, vertraglich, als Organ einer juristischen Person oder Personengesellschaft ohne juristische Persönlichkeit oder tatsächlich an der Vorbereitung, and der Finanzierung oder am Abschluss von Geschäften im Sinne des Art. 2 mitwirkt, ist verpflichtet, der zuständigen Behörde auf deren Verlangen über alle Tatsachen, die für die Bewilligungspflicht oder die Bewilligung von Bedeutung sein können, nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft zu erteilen und nötigenfalls Einsicht in die Geschäftsbücher, Korrespondenzen oder Belege zu gewähren und diese herauszugeben."
Diesem Wortlaut ist eindeutig zu entnehmen, dass die Auskunfts- und Aktenherausgabepflicht unter anderem jede natürliche oder juristische Person trifft, welche tatsächlich an Erwerbshandlungen im Sinne von
Art. 2 BewB
mitgewirkt hat. Selbstverständlich fallen auch die an solchen Geschäften beteiligten Parteien unter diese Bestimmung. Tritt beispielsweise eine Aktiengesellschaft als Käuferin eines Grundstücks auf, so sind - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht nur deren Organe, sondern die Gesellschaft selbst zur Mitwirkung im Sinne von
Art. 15 BewB
verpflichtet, weshalb die entsprechende Verfügung an sie gerichtet werden kann. Dass die Gesellschaft dieser Verpflichtung nur durch die Tätigkeit der Organe nachkommen kann, ergibt sich von selbst und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen.
5.
In formeller Hinsicht bringt die Beschwerdeführerin vor, die Verfügung des Grundbuchinspektorats vom 27. Juli 1984 sei ungenügend begründet gewesen; es sei insbesondere nicht bekanntgegeben worden, worauf sich der Verdacht der Verletzung von Vorschriften des BewB stütze. Das Grundbuchinspektorat habe die nötigen Erklärungen erst vor dem Verwaltungsgericht abgegeben und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführerin keine Erwiderung mehr möglich gewesen sei. In diesem Vorgehen liege eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
Diese Rüge ist nicht stichhaltig. Bereits der Verfügung des Grundbuchinspektorats konnte die Beschwerdeführerin unschwer entnehmen, dass die geforderten Auskünfte und Unterlagen im Rahmen einer Untersuchung über die Bewilligungspflicht der von ihr getätigten Grundstückkäufe benötigt wurden. Mehr brauchte ihr zu jenem Zeitpunkt nicht mitgeteilt zu werden, zumal ihr damit klar sein musste, welchem Zweck die angeordneten Massnahmen dienten. Sie war in der Folge auch durchaus in der Lage, ihre beim Verwaltungsgericht erhobene Beschwerde sachgerecht zu begründen.
BGE 111 Ib 182 S. 188
Selbst wenn man fordern wollte, in der Verfügung hätten auch die Anhaltspunkte genannt sein müssen, aufgrund derer die Untersuchung angehoben worden war, könnte die Beschwerde nicht gutgeheissen werden, da ein solcher Mangel nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung durch die Nachlieferung der Begründung in der Vernehmlassung zur ergriffenen Beschwerde geheilt werden kann, wobei allerdings den Betroffenen aus dieser zeitlichen Verzögerung kein weiterer Nachteil entstehen darf (
BGE 107 Ia 2
f.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin gab das Grundbuchinspektorat in seiner Vernehmlassung vom 31. August 1984 Auskunft über die Gründe, welche Anlass zur Untersuchung gegeben haben, so dass sie Gelegenheit hatte, sich im Rahmen des Schriftenwechsels dazu zu äussern. Inwiefern ihr dabei ein Nachteil erwachsen sein könnte, ist nicht ersichtlich.
6.
a) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, für die vom Grundbuchinspektorat angehobene Untersuchung bestehe keine gesetzliche Grundlage. Massnahmen nach
Art. 15 und 16 BewB
dürften jeweils nur im Zusammenhang mit konkreten Rechtsgeschäften ergriffen werden. Davon könne aber in ihrem Fall keine Rede sein, lägen doch die von ihr getätigten Grundstückgeschäfte bereits um Jahre zurück. Auch in dieser Hinsicht kann der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden:
b) Aufgrund von Art. 23 Abs. 1 und 2 der Verordnung über den Grundstückerwerb von Personen im Ausland in der Fassung vom 21. März 1983 haben die Behörden den Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln. Sie dürfen nur auf Vorbringen abstellen, die sie geprüft und über die sie nötigenfalls Beweis erhoben haben. Das Bundesgericht hat von den kantonalen Behörden stets verlangt, dass diese Verfahrensvorschrift namentlich in solchen Fällen strikte eingehalten wird, wo Anzeichen für die ausländische Beherrschung einer juristischen Person oder ein Treuhandgeschäft bestehen. Nach der Rechtsprechung muss unter anderem abgeklärt werden, ob die als Aktionäre bezeichneten Schweizer wirklich über die vollen Aktionärsrechte verfügen, oder ob sie bloss Treuhänder sind. Sobald Anlass zu Zweifeln besteht, haben diese Schweizer Aktionäre nachzuweisen, dass sie die Gesellschaft tatsächlich beherrschen und die Aktien aus ihren eigenen Mitteln erworben haben; auch wenn dieser Beweis gelingt, haben sie Auskunft darüber zu geben, wie das Grundstückgeschäft finanziert worden ist, damit festgestellt werden kann, ob nicht ein Treuhandverhältnis
BGE 111 Ib 182 S. 189
im Sinne von
Art. 2 lit. e BewB
vorliegt. Dabei hängt der Umfang der erforderlichen Erhebungen von den Umständen des einzelnen Falles ab (
BGE 109 Ib 104
E. b, 106 Ib 203). Wohl werden die amtlichen Nachforschungen in der Regel erst in Gang gesetzt, wenn die Geschäfte, welche unter die Gesetzgebung gegen die Bodenüberfremdung fallen könnten, der zuständigen Behörde durch die betroffenen Personen selbst oder durch andere Amtsstellen gemeldet werden. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, die Behörde dürfe nicht auch von sich aus tätig werden. Aufgrund der ihr obliegenden umfassenden Untersuchungspflicht ist sie vielmehr gehalten, die Ermittlungen auch in Fällen aufzunehmen, welche ihr nicht gemeldet wurden. Dabei genügt bereits ein blosser Verdacht, um von den betroffenen Personen Auskunft und Einsicht in die massgeblichen Unterlagen verlangen zu können. Als Verdachtsmomente kommen einzelne konkrete Anhaltspunkte aber auch die gesamten Umstände eines Falles in Betracht. Die Behörde verfügt in dieser Hinsicht über einen Ermessensspielraum, den sie nur überschreitet, wenn sie sich auf reine Vermutungen beruft, ohne dass sie diese durch Tatsachen zu belegen vermag.
c) Sind - wie im vorliegenden Fall - die Aktionäre einer Gesellschaft, die in einer ausgeprägten Touristengegend eine oder mehrere Ferienwohnungen besitzt, nicht bekannt und wird keine der Wohnungen vom einzigen Verwaltungsrat bewohnt, so kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Gesellschaft von Personen mit Wohnsitz im Ausland beherrscht wird. Es ist Aufgabe der zuständigen Behörde, darüber zu wachen, dass die Gesellschaft weder beim Grunderwerb noch zu einem spätern Zeitpunkt unter die Bewilligungspflicht fällt. Im vorliegenden Fall kommt die unübliche Tatsache hinzu, dass die Beschwerdeführerin, die lediglich über ein Aktienkapital von Fr. 50'000.-- verfügt, 1969 und 1971 Fr. 265'000.-- für den Kauf ihrer Grundstücke ausgeben konnte, ohne hypothekarisch gesicherte Fremdmittel beanspruchen zu müssen.
Das Grundbuchinspektorat war unter diesen Umständen gestützt auf
Art. 15 BewB
berechtigt, von der Beschwerdeführerin die Offenlegung der Geschäftsbücher und anderer Unterlagen zu verlangen, die einen Einblick in die finanziellen und personellen Strukturen der Gesellschaft verschaffen. Anders als die Beschwerdeführerin meint, braucht diese Erhebung nicht in eine allgemeine Durchleuchtung auszuufern, denn die Behörde hat sich strikte darauf zu beschränken, diejenigen Informationen zu sammeln,
BGE 111 Ib 182 S. 190
die sie benötigt, um entscheiden zu können, ob ein Bewilligungsverfahren im Sinne des BewB durchgeführt werden muss. Weitergehende Abklärungen wären in diesem Stadium unzulässig und durch
Art. 15 BewB
nicht gedeckt.
d) Der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die angeordneten Massnahmen gingen weit über das hinaus, was unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit zulässig sei, ist nicht begründet. Die Auskunfts- und Editionspflicht wie auch die Grundbuchsperre sind geeignet und notwendig, um die Grundlagen für den Entscheid über die Eröffnung eines Bewilligungsverfahrens zu beschaffen bzw. die Sachlage vor Veränderungen zu bewahren. Da sie sich zudem auf alle Tatsachen und Umstände beziehen, die für die Anwendung des BewB von Bedeutung sein können (
BGE 101 Ib 249
), kann ihnen weder die Verjährung noch der Ablauf der buchführungsrechtlichen Aufbewahrungsfrist für Geschäftsbücher oder Belege (
Art. 962 OR
) entgegengehalten werden. Denn einerseits kann sich die Herausgabepflicht vernünftigerweise nur auf vorhandene Unterlagen beziehen, wobei nicht von Belang ist, ob sie älter oder jünger als 10 Jahre sind, und anderseits ist die Feststellung der Nichtigkeit eines Grunderwerbs durch die Bewilligungsbehörde sowie die Klage auf Auflösung einer Gesellschaft mit rechtswidrigem Zweck jederzeit möglich (
BGE 110 Ib 114
E. 3,
BGE 107 Ib 190
E. 6c).
e) Die Beschwerdeführerin beanstandet die Weisung, wonach "alle übrigen Akten, die geeignet sind, Aufschluss über die unter Ziff. 1 gestellten Fragen zu erteilen" herauszugeben sind. Versteht man die Weisung als Befugnis der Betroffenen, Akten einzureichen, welche zu ihren Gunsten sprechen, so ist sie selbstverständlich und überflüssig. Versteht man die Weisung als Pflicht, zum Einreichen belastender Dokumente, so ist die Einwendung der Beschwerdeführerin berechtigt. Eine Editionspflicht, die es dem Betroffenen auferlegt, bei jedem Dokument die Beweiseignung zu prüfen, ist wegen ihrer Unbestimmtheit als solche problematisch. Ihre Einhaltung lässt sich ohne eingreifende Zwangsmassnahme nicht kontrollieren; d.h. sie ist undurchführbar und ihrer Natur nach unbeachtlich. Eine ausdrückliche Aufhebung des entsprechenden Passus der erstinstanzlichen Verfügung erübrigt sich, zumal zu diesem Punkt kein spezieller Antrag vorliegt.
f) Damit ergibt sich, dass die Vorinstanz weder das ihr zustehende Ermessen missbraucht noch sonstwie Bundesrecht verletzt hat. Im übrigen haben mit dem Inkrafttreten des BewG die
BGE 111 Ib 182 S. 191
Voraussetzungen der Auskunfts- und Editionspflicht sowie der vorsorglichen Massnahmen nicht geändert (Art. 22 und 23), so dass der angefochtene Entscheid auch vor dem neuen Recht standhält. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
7.
a) Ist - wie im Falle des von der Beschwerdeführerin angefochtenen Prozessbeschwerdeentscheids über die Gewährung der aufschiebenden Wirkung - eine Beschwerde gegenstandslos geworden (vgl. Ziff. 2c hievor), so verlegt das Bundesgericht die Verfahrenskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes, wobei es seinen Entscheid summarisch begründet (
Art. 72 BZP
in Verbindung mit
Art. 40 OG
;
BGE 106 Ib 295
E. 3).
Nach der Aktenlage im Zeitpunkt des Entscheides über die von der Beschwerdeführerin beantragte aufschiebende Wirkung war die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verweigerung durchaus gerechtfertigt. In Anbetracht der Wichtigkeit der vom Grundbuchinspektorat eingeleiteten Untersuchung musste die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse sowie der Beseitigung der massgeblichen Schriftstücke verhindert werden. Anderseits wurden die Interessen der Beschwerdeführerin dadurch gewahrt, dass das Grundbuchinspektorat die verlangten Akten und Auskünfte erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Entscheids über den Bestand der Verfügung vom 27. Juli 1984 verwenden durfte bzw. darf. Unter diesen Umständen hätte die eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde, weil unbegründet, abgewiesen werden müssen, wenn sie nicht gegenstandslos geworden wäre. Folglich sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
b) Da die in der Hauptsache geführte Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 4. Januar 1985 abzuweisen ist, hat die Beschwerdeführerin auch die Kosten dieses Verfahrens zu tragen (
Art. 156 Abs. 1 OG
). | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7395c881-d0ad-465c-b5fb-93ce830b20d8 | Urteilskopf
134 II 341
39. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause X. contre Office fédéral de la formation professionnelle et de la technologie (recours en matière de droit public)
2C_416/2008 du 30 octobre 2008 | Regeste
Art. 9 FZA
; Anerkennung von Diplomen; Rechtsverweigerung.
Diplomanerkennung auf dem Gebiet des in der Schweiz geregelten Berufs einer sozialpädagogischen Assistentin. Gemäss
Art. 9 FZA
ist das europäische System der Anerkennung von Diplomen direkt anwendbar (E. 2.1 und 2.2).
Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) ist gehalten, innert der in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 92/51 vorgesehenen Frist von vier Monaten einen Entscheid zu fällen, sobald es über alle notwendigen Elemente verfügt, um die im Ausland anerkannte Ausbildung mit den in der Schweiz gültigen Erfordernissen zu vergleichen (E. 2.3). Es muss die ihm fehlenden rechtlichen Informationen rasch in Erfahrung bringen (E. 2.4). Sobald es die angeforderten Auskünfte erhalten hat, beginnt die viermonatige Frist zu laufen. Innert dieser Frist muss das zuständige Bundesamt in der Sache entscheiden; begnügt es sich mit einer Sistierung des Verfahrens, verstösst es gegen die anwendbare europäische Richtlinie (E. 2.5). | Sachverhalt
ab Seite 342
BGE 134 II 341 S. 342
X., ressortissante française, née en 1962, a obtenu le brevet d'aptitude aux fonctions d'animateur de centres de vacances et de loisirs, le 7 juin 1985, puis le certificat français d'auxiliaire de puériculture, le 29 septembre 1994. Elle a également suivi divers modules de formation complémentaire dans le domaine de la petite enfance, de 1995 à 2006, parallèlement à son activité professionnelle au Centre communal d'action sociale de la ville de Grenoble.
Le 13 juin 2007, X. a déposé une demande de reconnaissance de diplôme pour son certificat d'auxiliaire de puériculture auprès de l'Office fédéral de la formation professionnelle et de la technologie (ci-après: l'OFFT ou l'Office fédéral). Elle a confirmé sa demande le 11 juillet 2007, à la suite de la lettre d'information de l'OFFT du 17 juin 2007. Le 24 juillet 2007, l'Office fédéral a informé la requérante qu'il avait demandé aux autorités françaises des informations concernant les dispositions législatives régissant la formation d'auxiliaire de puériculture.
Le 28 novembre 2007, la requérante s'est plainte auprès de l'Office fédéral d'un déni de justice formel. Ce courrier a été transmis au Tribunal administratif fédéral.
Le même jour, l'Office fédéral a indiqué à X. que les démarches auprès du Ministère français de la santé n'avaient pas abouti et qu'il avait saisi l'Institut suisse de droit comparé, pour obtenir les dispositions législatives requises.
Le 17 décembre 2007, l'OFFT a informé X. que son dossier pouvait être considéré comme complet depuis le 5 décembre 2007 et qu'elle devait s'attendre à devoir accomplir des mesures de compensation.
BGE 134 II 341 S. 343
Par décision incidente du 1
er
février 2008, l'OFFT a suspendu la procédure de reconnaissance de diplôme introduite par X. jusqu'au 31 mai 2009. Comparant la formation suivie par l'intéressée avec celle proposée en Suisse, il a estimé qu'elle différait de manière substantielle des exigences suisses quant à sa durée et à son contenu. Après avoir consulté plusieurs cantons romands, l'Office fédéral s'est toutefois déclaré dans l'impossibilité de poursuivre la procédure, car les autorités cantonales compétentes n'étaient pas encore en mesure de dire sur quelles matières porterait l'examen d'assistants socio-éducatifs, orientation "accompagnement des enfants", celui-ci devant se tenir pour la première fois en 2009. De plus, les experts cantonaux n'étaient pas encore formés. Il en a déduit qu'il serait disproportionné de construire un examen sur mesure pour la requérante et que celle-ci avait d'ailleurs la possibilité de travailler en Suisse comme auxiliaire.
Le 7 février 2008, X. a recouru contre cette décision auprès du Tribunal administratif fédéral en faisant notamment valoir que la suspension de la procédure lui causait un dommage économique durable et que les mesures compensatoires que l'Office fédéral entendait exiger pour la reconnaissance de son diplôme étaient discriminatoires.
Par arrêt du 20 mai 2008, le Tribunal administratif fédéral a, d'une part, rejeté le recours pour déni de justice du 28 novembre 2007 et, d'autre part, rejeté dans la mesure où il était recevable le recours contre la décision incidente du 1
er
février 2008. Il a notamment refusé de considérer que la décision de suspension était elle-même constitutive d'un déni de justice, car le délai de quatre mois prévu par la directive européenne applicable ne pouvait courir qu'à partir du moment où le dossier était complet. Or cette condition n'était pas remplie en l'espèce, puisque l'OFFT n'était pas encore en mesure d'évaluer la formation de la recourante avec les exigences suisses pour obtenir le diplôme d'assistante socio-éducative.
Le recours de droit public formé par X. auprès du Tribunal fédéral contre cet arrêt a été partiellement admis dans la mesure où il est recevable et la cause renvoyée à l'Office fédéral de la formation professionnelle et de la technologie pour qu'il statue immédiatement sur la demande de reconnaissance du certificat d'auxiliaire de puériculture présentée par la recourante.
BGE 134 II 341 S. 344
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
En application de l'art. 19 de la loi fédérale du 13 décembre 2002 sur la formation professionnelle, entrée en vigueur le 1
er
janvier 2004 (LFPr; RS 412.10), l'OFFT a édicté l'ordonnance du 16 juin 2005 sur la formation professionnelle initiale d'assistante socio-éducative/assistant socio-éducatif (RS 412.101.220.14; ci-après: l'ordonnance du 16 juin 2005), qui règle la formation professionnelle, notamment pour l'orientation "accompagnement des enfants" (
art. 2 al. 1 let
. c; ordonnance disponible sur internet à l'adresse www.bbt. admin.ch). Cette ordonnance est entrée en vigueur le 1
er
juillet 2005, sous réserve des dispositions relatives à la procédure de qualification (art. 17 à 23), ainsi qu'aux certificats et aux titres (art. 28), qui sont entrées en vigueur au 1
er
janvier 2008.
Au moment où la recourante a déposé sa demande, soit en juin 2007, la profession d'assistante socio-éducative, orientation "accompagnement des enfants" était donc réglementée en Suisse. A ce titre, le système européen de reconnaissance des diplômes, tel qu'adopté par la Suisse depuis l'entrée en vigueur, le 1
er
juin 2002, de l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes (ALCP; RS 0.142.112.681) est directement applicable à la demande de reconnaissance du certificat d'auxiliaire de puériculture formée par la recourante (FRÉDÉRIC BERTHOUD, Die Anerkennung von EU-Berufsdiplomen in der Schweiz, in Competence 69/2005 n° 5 p. 13; KENEL/KAHIL-WOLF/RAY-SUILLOT, Reconnaissance mutuelle des diplômes, in Guide juridique "Etranger en Suisse", édicté par le Centre patronal, partie V/septembre 2005 p. 3).
2.2
Selon l'
art. 9 ALCP
, les parties s'engagent à une reconnaissance mutuelle des diplômes, certificats et autres titres en prenant les mesures nécessaires, conformément à l'annexe III de l'Accord qui renvoie à différentes directives de la Communauté européenne, dont la Directive 92/51 du Conseil du 18 juin 1992, relative à un deuxième système général des formations professionnelles, JO L 209 du 24 juillet 1992 p. 25 (il est prévu que la nouvelle directive européenne sur la reconnaissance des qualifications professionnelles [Directive 2005/36/CE], en vigueur dans l'UE depuis le mois d'octobre 2007, ne devrait s'appliquer en Suisse qu'au début 2010; cf.
BGE 134 II 341 S. 345
sur le sujet, Communication de l'OFFT du 18 juin 2008). Selon l'art. 2 § 1 de la directive du 18 juin 1992, celle-ci s'applique à tout ressortissant d'un Etat membre voulant exercer à titre indépendant ou salarié une profession réglementée dans un Etat membre d'accueil. Ce dernier doit accepter comme moyens de preuve que les conditions de reconnaissance visées aux art. 3 à 9 sont remplies, les documents délivrés par les autorités compétentes des Etats membres, que l'intéressé doit présenter à l'appui de sa demande d'exercice de la profession concernée (art. 12 al. 1
er
). Le second alinéa de cette disposition précise que la procédure d'examen d'une demande d'exercice d'une profession réglementée doit être achevée dans les plus brefs délais et sanctionnée par une décision motivée de l'autorité compétente de l'Etat membre d'accueil,
au plus tard quatre mois à compter du dossier complet de l'intéressé
. Cette décision, ou l'absence de décision, est susceptible d'un recours juridictionnel de droit interne (art. 12 al. 2).
2.3
Le système européen de reconnaissance des diplômes implique que l'Etat d'accueil compare d'abord la durée de la formation suivie à l'étranger, puis son contenu, avec les exigences requises chez lui. Il appartient à l'autorité compétente du pays d'accueil de prouver que la formation reconnue à l'étranger s'écarte de ses propres exigences, le requérant étant toutefois tenu de fournir toutes informations utiles à cet égard. Seules les différences essentielles doivent être prises en compte. Si des mesures de compensation sont exigées, le demandeur doit avoir le choix entre le stage d'adaptation et l'épreuve d'aptitude prévus à l'art. 4 al. 1 let. b de la Directive 92/51 (FRÉDÉRIC BERTHOUD, Die Anerkennung von Berufsqualifikationen zwischen der Schweiz und der EU, in Bilaterale Verträge I & II, Zurich 2007, n. 57 à 61 p. 266/267). Dès que les autorités du pays d'accueil sont en possession d'une demande complète, c'est-à-dire qu'elles disposent de tous les documents nécessaires "(d.h. mit allen notwendigen Unterlagen versehene)", elles doivent rendre une décision au plus tard dans le délai de quatre mois prévu à l'art. 12 al. 2 de la Directive 92/51. Cela peut être une décision de reconnaissance, de reconnaissance sous réserve d'une mesure de compensation ou encore de rejet (MAX WILD, Die Anerkennung von Diplomen im Rahmen des Abkommens über die Freizügigkeit der Personen, in Accords bilatéraux Suisse - UE [Commentaires], Dossier de droit européen, Bâle 2001, n. 3.2.2 p. 400). La doctrine n'est pas plus précise au sujet de la nature du délai de quatre mois, mais l'on doit
BGE 134 II 341 S. 346
bien comprendre que, compte tenu de sa brièveté, il ne saurait commencer à courir avant que l'Etat d'accueil dispose de tous les éléments requis.
En Suisse, l'autorité compétente pour prendre cette décision est l'Office fédéral de la formation professionnelle et de la technologie, conformément à l'art. 71 al. 2 let. a de l'ordonnance du 19 novembre 2003 sur la formation professionnelle (OFPr; RS 412.101). Celui-ci doit fonder sa décision d'abord sur le principe de non-discrimination repris du droit communautaire européen et non pas appliquer simplement le principe d'équivalence dérivant de l'
art. 69 OFPr
(ESTELLE PAPAUX/FRÉDÉRIC BERTHOUD, La reconnaissance des diplômes entre la Suisse et l'UE, in Vie économique 78/2005 n
o
6 p. 43). S'il considère que les conditions de formation et d'expérience professionnelles exigées ne sont pas remplies, il doit alors motiver son refus de reconnaître le diplôme en cause et offrir des mesures de compensation. Celles-ci sont possibles dans trois cas: lorsque la formation est plus poussée dans l'Etat membre d'accueil, lorsqu'elle y est plus longue ou lorsque le titre professionnel offre un champ d'activité plus large que dans le pays d'origine (PAPAUX/BERTHOUD, op. cit., p. 44). L'objectif est d'éviter que la Suisse soit menacée d'une baisse des qualifications si les mesures de compensation qu'elle est en droit d'exiger ne sont pas strictement appliquées (PAPAUX/BERTHOUD, op. cit., p. 45).
2.4
En l'espèce, le Tribunal administratif fédéral a constaté qu'à la suite du dépôt de la demande de reconnaissance par la recourante, le 13 juin 2007, l'Office fédéral avait, par lettre du 17 juin 2007, donné à l'intéressée toutes les informations utiles, en la priant notamment, si elle entendait poursuivre la procédure, de remplir le formulaire, d'envoyer les documents nécessaires et de verser l'émolument requis. La recourante a répondu le 11 juillet 2007, en confirmant sa demande, mais elle n'a pas été en mesure de produire la réglementation régissant son certificat d'auxiliaire de puériculture. L'Office fédéral a donc dû rechercher lui-même les dispositions législatives françaises régissant la formation d'auxiliaire de puériculture en cause, comme il lui appartenait d'ailleurs de le faire, afin de pouvoir comparer la formation reconnue à l'étranger avec celle prévue par la législation suisse. Compte tenu de la nécessité de cette démarche, on ne saurait admettre que le dossier soit tenu pour complet, avant qu'il n'ait obtenu toutes les informations nécessaires à ce sujet (cf. supra consid. 2.3). Faute de vider de sa substance le but
BGE 134 II 341 S. 347
de la reconnaissance des diplômes prévu par l'
art. 9 ALCP
qui, comme la coordination des assurances sociales, doit favoriser la libre circulation des personnes (PAPAUX/BERTHOUD, op. cit., p. 43), l'Etat d'accueil doit cependant faire diligence pour obtenir rapidement les éléments qui lui manquent. Contrairement à ce que soutient la recourante, son dossier ne pouvait toutefois être considéré comme complet, au sens de l'art. 12 al. 2 de la Directive 92/51, les 13 juin ou 11 juillet 2007. Au vu des interventions de l'Office fédéral auprès des autorités françaises compétentes durant l'été, le Tribunal administratif fédéral a retenu à bon droit que l'Office fédéral ne pouvait pas être tenu responsable des raisons pour lesquelles ses démarches n'avaient pas abouti. Même si l'on considère que, dans l'impossibilité d'obtenir des renseignements en France, il aurait peut-être pu contacter plus vite l'Institut suisse de droit comparé, il n'y avait pas encore de retard injustifié lorsqu'il en a informé la recourante le 28 novembre 2007. La plainte du même jour pour déni de justice formel n'était donc pas fondée, de sorte que le recours de l'intéressée du 28 novembre 2007 a été rejeté à bon droit. Ce n'est ainsi que le 5 décembre 2007, au moment où l'Office fédéral a reçu les informations requises de l'Institut, que le dossier de la recourante était complet.
2.5
Jusqu'à cette date, il faut admettre que l'OFFT a respecté la procédure d'examen, car il devait connaître la réglementation prévue dans le pays d'origine avant de pouvoir statuer. En revanche, comme on l'a vu (supra consid. 2.3), il lui appartenait ensuite de rendre une décision dans le délai de quatre mois prescrit par l'art. 12 al. 2 de la Directive 92/51 pour achever la procédure d'examen, soit jusqu'au 5 avril 2008. S'il estimait que la formation de la recourante divergeait de celle réglementée en Suisse sur des points essentiels, il devait alors donner à l'intéressée la possibilité d'effectuer un stage d'adaptation ou une épreuve d'aptitude, conformément à l'art. 1
er
let. i et j de la Directive 92/51, qui définit précisément ces deux notions. Il découle donc de la législation communautaire, directement applicable en Suisse, que l'Office fédéral n'était pas autorisé à suspendre la procédure dans l'attente des premiers examens d'assistants socio-éducatifs, orientation "accompagnement des enfants", pour fixer les mesures de compensation qu'il entendait exiger de la recourante. Il se devait de trancher sur le fond. S'il n'était pas en mesure de se prononcer sur la base de la nouvelle formation d'assistants socio-éducatifs mise en place par l'ordonnance du 16 juin
BGE 134 II 341 S. 348
2005, dès lors que les dispositions sur la procédure de qualification de cette formation (art. 17 à 23) n'étaient entrées en vigueur que le 1
er
janvier 2008 (art. 28 al. 2), l'Office fédéral devait s'inspirer de la réglementation régissant la formation antérieure, dont la reconnaissance est expressément prévue par l'art. 27 de l'ordonnance du 16 juin 2005. A son alinéa 2, cette disposition énumère en effet les titres jugés équivalents pour autant qu'ils aient été obtenus à partir du 1
er
janvier 1991, en particulier les certificats cantonaux de capacité et les diplômes reconnus par l'Association des crèches suisses relatifs à l'éducation de la petite enfance (formation de trois ans). L'Office fédéral ne pouvait ainsi se retrancher dernière la non-préparation des cantons au sujet de l'examen d'apprentissage des assistants socio-éducatifs et du manque d'experts formés pour cet examen pour ne pas se prononcer dans le délai prévu par la directive communautaire sur la demande de reconnaissance présentée par la recourante. Les anciens experts existent encore et sont certainement capables d'évaluer la formation de la recourante par rapport aux certificats cantonaux de capacité et aux diplômes reconnus par l'Association des crèches suisses qui étaient délivrés avant l'entrée en vigueur de l'ordonnance du 16 juin 2005.
2.6
En résumé, l'Office fédéral ne pouvait, sans violer les principes contenus dans la Directive 92/51, suspendre la procédure de reconnaissance jusqu'au 31 mai 2009, en évoquant les difficultés pratiques à mettre en oeuvre des mesures de compensation pour la recourante avant cette date. En ne statuant pas sur la demande dont il était saisi dans le délai de quatre mois à compter du jour où il disposait de tous les éléments nécessaires, soit jusqu'au 5 avril 2008 au plus tard, il a donc bien tardé à statuer, contrairement aux principes imposés par l'ALCP et la directive précitée. L'arrêt attaqué, qui cautionne la décision de suspension en rejetant, dans la mesure de sa recevabilité, le recours déposé contre celle-ci le 7 février 2008, viole donc lui aussi ces règles. Partant, il doit être annulé sur ce point et la cause renvoyée à l'Office fédéral pour qu'il statue rapidement sur la demande de reconnaissance présentée par la recourante. | public_law | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
739670d9-ab1f-4552-a100-7729b4f21684 | Urteilskopf
113 II 345
61. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Oktober 1987 i.S. A. Versicherungs-AG gegen Frau Q. (Berufung) | Regeste
Motorfahrzeughaftpflicht. Berechnung des Invaliditätsschadens.
Ausgehend vom abstrakten Invaliditätsgrad sind dessen Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit konkret zu berechnen. Bestimmung der Erwerbseinbusse, die eine bereits teilinvalide Person durch einen zweiten Unfall erlitten hat (E. 1b).
Der Haftpflichtige hat das Bruttoeinkommen - einschliesslich der Beiträge des Arbeitgebers an die Sozialeinrichtungen -, das in der Regel nach den Aktivitätstafeln zu kapitalisieren ist, zu ersetzen (E. 1b).
Die Beeinträchtigung in der Haushaltsführung ist nach den Aufwendungen für eine nach den üblichen Ansätzen zu entschädigende Haushalthilfe zu bemessen. Kapitalisierungsfaktor ist das arithmetische Mittel zwischen Aktivität und Mortalität (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 345
BGE 113 II 345 S. 345
A.-
Die 1942 geborene und seit dem Jahre 1955 unfallbedingt teilinvalide Frau Q. wurde am 17. Juni 1978 erneut das Opfer eines Verkehrsunfalls, als ein Motorfahrzeug, dessen Lenker ein Stopsignal
BGE 113 II 345 S. 346
missachtet hatte, mit ihrem korrekt geführten Personenwagen kollidierte. Sie zog sich dabei eine Knieverletzung am rechten Bein und diverse Prellungen zu.
B.-
Mit Urteil vom 21. März 1986 verpflichtete das Zivilgericht Basel-Stadt die Beklagte, Haftpflichtversichererin des fehlbaren Automobilisten, Frau Q. insgesamt Fr. 255'514.30 nebst Zins an Schadenersatz und Genugtuung zu bezahlen.
In dem vom beiden Parteien angestrengten Rechtsmittelverfahren anerkannte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 27. März 1987 einen haftpflichtrechtlichen Gesamtanspruch der Klägerin aus Körperverletzung von Fr. 409'809.--. Diese Summe setzt sich zusammen aus Fr. 227'700.-- Entschädigung für Erwerbsunfähigkeit, Fr. 139'030.-- Abgeltung für Haushalthilfe, Fr. 60'836.-- Therapiekosten, wobei diese Beträge wegen Selbstverschuldens um 10% gekürzt wurden, da die Klägerin die Sicherheitsgurten nicht getragen hatte, sowie Fr. 25'000.-- Genugtuung. Den Ersatzanspruch unterstellte das Appellationsgericht einem Schadenszins von 5% ab 1. Januar 1986; die Genugtuung - unter Berücksichtigung einer Akontozahlung von Fr. 10'000.-- - einem solchen ab Unfalltag.
C.-
Gegen diesen Entscheid des Appellationsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie beantragt dem Bundesgericht, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, der Klägerin Fr. 165'822.-- zuzusprechen und deren Mehrforderung abzuweisen. Die Zinsansprüche seien gemäss Gerichtspraxis zu bestimmen.
Frau Q. trägt auf Abweisung der Berufung an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Bei der Entschädigung für Erwerbsunfähigkeit ist vor Bundesgericht noch das Quantitativ der zum zweiten Unfall kausalen Erwerbseinbusse sowie deren Kapitalisierung streitig. Nicht mehr angefochten werden die hypothetischen Annahmen der Vorinstanz, die Klägerin hätte ohne den hier zu beurteilenden Unfall ab 1. Februar 1987 eine teilweise Erwerbstätigkeit aufgenommen und dabei jährlich Fr. 13'200.-- realisiert.
Die Bestimmung des Schadens ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich eine vom kantonalen Richter abschliessend zu beurteilende Tatfrage. Rechtsfrage und vom Bundesgericht im Berufungsverfahren zu prüfen ist einzig, ob der kantonale Richter den Rechtsbegriff des Schadens verkannt oder
BGE 113 II 345 S. 347
Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung verletzt hat (
BGE 111 II 301
E. 3;
109 II 475
E. 3).
a) Das Appellationsgericht ist haftpflichtrechtlich von den Schlussfolgerungen des eingeholten Gutachtens ausgegangen, wonach die medizinisch-theoretische Invalidität der Klägerin 85% für die berufliche Erwerbstätigkeit als Checkbeamtin bei den PTT und 90% für die Tätigkeit als Hausfrau beträgt und diese Invalidität zu 80% auf den Unfall des Jahres 1955 und zu 20% auf denjenigen des Jahres 1978 zurückzuführen ist. Daraus hat es geschlossen, die Klägerin sei vor dem hier in Frage stehenden Unfall zu 30% erwerbsfähig gewesen. Weiter hat es angenommen, die nach dem zweiten Unfall verbliebene theoretische Teilarbeitsfähigkeit von 15% sei wirtschaftlich nicht mehr nutzbar, weshalb die Beklagte für eine Gesamteinbusse von 30% einzustehen habe. Demgegenüber will die Beklagte nur für einen Erwerbsausfall von 20%, entsprechend dem kausalen Anteil des zweiten Unfalles an der Gesamtinvalidität, Ersatz leisten.
Nach schweizerischer Lehre und Rechtsprechung ist der Invaliditätsschaden konkret zu berechnen (
BGE 104 II 308
,
BGE 99 II 216
/18; BREHM, N. 14 zu
Art. 42 OR
und N. 56 zu
Art. 46 OR
; SZÖLLÖSY, Die Berechnung des Invaliditätsschadens im Haftpflichtrecht europäischer Länder, S. 86 und 87 f.). Ausgehend vom abstrakten Invaliditätsgrad sind dessen Auswirkungen auf die Verminderung der Erwerbsfähigkeit oder die Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens zu bestimmen (
BGE 99 II 218
; BREHM, N. 35 zu
Art. 46 OR
). Entscheidend ist die wirtschaftliche Erwerbseinbusse, welche der Geschädigte durch die Invalidität erleidet. Dabei kann sich ohne weiteres ergeben, dass die prozentual errechnete Erwerbseinbusse wesentlich vom prozentualen Invaliditätsgrad abweicht.
Hat der Verletzte einen zweiten Unfall erlitten, so ist zu prüfen, wieweit seine Erwerbsfähigkeit nach dem ersten Unfall durch den zweiten gemindert worden ist und welchen künftigen Verdienst er ohne den zweiten Unfall im Rahmen der durch den ersten Unfall bereits herabgesetzten Erwerbsfähigkeit gehabt hätte. Die aus dem ersten Unfall herrührende Schädigung kann sich dabei ohne weiteres zu Lasten des Verantwortlichen für den zweiten Unfall auswirken, indem die Verletzung eines bereits teilinvaliden Menschen einen grösseren Schaden bewirkt als dieselbe Beeinträchtigung eines gesunden Menschen. Wer beispielsweise den Verlust des gesunden Auges eines Menschen, der bereits früher ein Auge verloren
BGE 113 II 345 S. 348
hatte, zu verantworten hat, wird im Regelfalle in wesentlich höherem Masse ersatzpflichtig als derjenige, welcher einen gesunden Menschen entsprechend verletzt. Das ist die unausweichliche Folge der konkreten Schadensberechnung, bei der sich der Schaden nach den subjektiven, nicht nach den "normalen" oder durchschnittlichen Umständen bemisst (RUSCONI, Les principes sur la détermination de l'étendue des dommages-intérêts, in Die Verantwortlichkeit im Recht, Band 2, S. 537 ff., 553).
Aus dem wirtschaftlichen Schadensbegriff des schweizerischen Rechts (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, I S. 53) folgt sodann, dass eine bei Teilinvalidität theoretisch verbleibende Erwerbsfähigkeit haftpflichtrechtlich unberücksichtigt bleiben muss, wenn sie wirtschaftlich nicht mehr nutzbar ist, der Geschädigte somit keine Möglichkeit mehr hat, mit der ihm aus medizinischer Sicht verbliebenen Erwerbsfähigkeit ein Einkommen zu realisieren (OFTINGER, a.a.O. S. 192 ff.; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3. Auflage, S. 36 f.; BREHM, N. 82 zu
Art. 46 OR
; vgl. auch
BGE 112 II 145
E. 5b).
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz war die Klägerin vor dem zweiten Unfall noch zu 30% arbeitsfähig und hätte diese Fähigkeit auch wirtschaftlich umgesetzt. Ebenso verbindlich hat die Vorinstanz sodann festgestellt, dass die Klägerin nach dem zweiten Unfall lediglich noch zu 15% arbeitsfähig ist, indessen keine Möglichkeit hat, diese geringe verbleibende Fähigkeit wirtschaftlich zu nutzen. Zu Recht hat das Appellationsgericht daraus den Schluss gezogen, die Beklagte sei für eine Gesamteinbusse von 30% der Erwerbsfähigkeit ersatzpflichtig. Die dagegen gerichteten Einwände der Beklagten sind somit unbegründet.
b) Das hypothetische jährliche Bruttoeinkommen der Klägerin von Fr. 13'200.-- hat die Vorinstanz um die zu erwartenden Soziallasten von 15% oder rund Fr. 2'000.-- gekürzt, und anschliessend das Nettoeinkommen von jährlich Fr. 11'200.-- nach den Mortalitätstafeln von STAUFFER/SCHAETZLE (Tafel 30) kapitalisiert. Die Anwendung der Mortalitäts- anstelle der Aktivitätstafeln hat sie damit begründet, dass die Beklagte nicht den Brutto-, sondern bloss den Nettolohn der Klägerin zu ersetzen habe, dabei aber auch für die nach einer Pensionierung auszubezahlenden Leistungen einstehen müsse. Unter Berufung auf
BGE 104 II 309
will die Beklagte demgegenüber die Aktivitätstafeln (Tafel 20 von STAUFFER/SCHAETZLE) zur Anwendung bringen. Einer künftigen
BGE 113 II 345 S. 349
Rente geht die Klägerin ihrer Auffassung nach nicht verlustig, weil ihr Verdienst in jedem Falle unter dem vom BVG versicherten Minimum gelegen hätte.
aa) Einigkeit besteht bei der Bestimmung des haftpflichtrechtlich relevanten Einkommens einmal darüber, dass der für die Erzielung des Einkommens erforderliche Aufwand, die sogenannten Gewinnungskosten, nicht ersatzfähig sind (
BGE 90 II 188
; BREHM, Vorbemerkungen zu
Art. 45 und 46 OR
, N. 23). Dagegen hat die Praxis die auf dem zu ersetzenden Einkommen mutmasslich zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge in die Schadensberechnung miteinbezogen, da sie nicht Gewinnungskosten darstellen, sondern vorsorgliche Aufwendungen, dazu bestimmt, den Lebensunterhalt des Einkommensempfängers oder seiner Hinterlassenen für den Fall zu sichern, dass infolge von Unfall, Krankheit oder Alter der Arbeitsverdienst wegfällt (
BGE 90 II 188
; BREHM, Vorbemerkungen zu
Art. 45 und 46 OR
, N. 24; STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O. S. 39). Zu ersetzen ist demnach das bloss um die Gewinnungskosten gekürzte Bruttoeinkommen. Wird kapitalisierter Schadenersatz geleistet, hat die Kapitalisierung im Regelfalle nach den Aktivitätstafeln zu erfolgen (
BGE 104 II 309
).
Entgegen diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz in die Schadensberechnung nur das reine Nettoeinkommen der Klägerin einbezogen, dafür dieses nach den Mortalitätstafeln kapitalisiert, um der Beeinträchtigung künftiger Sozialversicherungsleistungen durch den Unfall Rechnung zu tragen. Es ist zu prüfen, ob dieses Vorgehen bundesrechtskonform ist.
Auszugehen ist vom Grundsatz, dass der Haftpflichtige für den gesamten kausalen Schaden einzustehen hat, mithin auch für eine Beeinträchtigung künftiger Sozialversicherungsleistungen (BREHM, Vorbemerkungen zu
Art. 45 und 46 OR
, N. 25; OFTINGER, a.a.O. S. 209; MERZ, Schweizerisches Privatrecht VI/1 S. 202). Nach der einen Auffassung soll diesem Schadenselement dadurch Rechnung getragen werden, dass bei Beeinträchtigung künftiger Renten der Erwerbsausfall nicht nach den Aktivitäts-, sondern nach den Mortalitätstafeln kapitalisiert wird (GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, S. 71; wohl auch OFTINGER, a.a.O.), nach der andern Auffassung dadurch, dass in die Kapitalisierung nach den Aktivitätstafeln - sofern nicht konkrete besondere Umstände für die Anwendung einer andern Tafel sprechen - auch die Sozialversicherungsbeiträge einbezogen werden (
BGE 90 II 188
, BREHM, Vorbemerkungen zu
Art. 45 und 46 OR
, N. 24 f.). Dieser Auffassung
BGE 113 II 345 S. 350
ist auch weiterhin der Vorzug zu geben, da die beeinträchtigte Rente im Regelfalle quantitativ nicht dem zu ersetzenden Erwerbsausfall entspricht und im allgemeinen auch nicht vollständig entfällt, sondern lediglich wegen Ausfalls künftiger Beiträge eine Herabsetzung erfährt. Allerdings ist dann zu beachten, dass richtigerweise in die Kapitalisierung nicht nur die Arbeitnehmer-, sondern auch die die Höhe des künftigen Rentenanspruches mitbeeinflussenden, zufolge Verlustes der Erwerbsfähigkeit aber entfallenden Arbeitgeberbeiträge einzubeziehen sind (BREHM, a.a.O.).
bb) Die Vorinstanz hat bei der Klägerin eine zu ersetzende Rentenbeeinträchtigung festgestellt. Inwieweit darin überhaupt eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsfrage liegt, kann offenbleiben, da auf die diesbezüglichen Einwände der Beklagten ohnehin nicht einzutreten ist. Nach den Feststellungen des Appellationsgerichtes hätte die Klägerin ohne den zweiten Unfall wiederum eine Tätigkeit als Checkbeamtin bei den PTT aufgenommen, hätten sich demnach die ihr allenfalls zustehenden Rentenleistungen aus solchen der AHV und der Eidgenössischen Versicherungskasse zusammengesetzt. Bei beiden aber ist das von der Beklagten angerufene BVG-Minimum ohne Bedeutung. Die Rüge der Bundesrechtswidrigkeit ist mithin nicht rechtsgenüglich begründet (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
cc) Nach den unangefochtenen und für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz beträgt der Lohnausfall der Klägerin ab 1. Februar 1987 jährlich brutto Fr. 13'200.--. Die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge belaufen sich auf jährlich je Fr. 2'000.--. Nach dem Gesagten ist mithin der Kapitalisierung ein Erwerbsausfall von Fr. 15'200.-- zugrunde zu legen. Kapitalisiert mit einem Faktor 17,63 nach Aktivitätstafel 20 von STAUFFER/SCHAETZLE (Alter 45, weiblich) ergibt sich ein haftpflichtrechtlich relevanter Schaden aus Erwerbsunfähigkeit - ohne Berücksichtigung der Kürzung aus Selbstverschulden - von rund Fr. 268'000.--.
2.
Den Schaden, der der Klägerin durch die Beeinträchtigung in der Haushaltführung entstanden ist, hat die Vorinstanz auf monatlich Fr. 440.-- bestimmt. Bis zum Urteilstermin hat sie ihn konkret berechnet, und insoweit ist er von der Beklagten anerkannt worden. Für die Zukunft hat die Vorinstanz diesen Schaden kapitalisiert.
Die Beklagte beanstandet zu Recht nicht, dass der Schaden aus Beeinträchtigung in der Haushaltführung sich nach den Aufwendungen
BGE 113 II 345 S. 351
für eine nach üblichen Ansätzen zu entschädigende Haushalthilfe bemisst (vgl.
BGE 108 II 439
E. d; ZEN-RUFFINEN, JdT 1983 I 194 ff., 195). Dagegen macht sie geltend, der Aufwand für eine Haushalthilfe sei ab Ende Februar 1981, bis zu welchem Datum sie für die entsprechenden Kosten aufgekommen sei, nicht mehr unfallbedingt. Im übrigen wendet sie sich gegen die Kapitalisierung des so ermittelten Betrages nach den Mortalitätstafeln.
a) Soweit die Beklagte geltend macht, seit März 1981 hätte die Klägerin auch ohne den zweiten Unfall einer Haushalthilfe bedurft, wendet sie sich gegen den natürlichen Kausalzusammenhang. Dabei handelt es sich indessen um eine im Berufungsverfahren nicht überprüfbare Tatfrage (
BGE 101 II 73
E. 3). Die Adäquanz des Kausalzusammenhanges wird zu Recht nicht in Frage gestellt.
b) Ab Urteilszeitpunkt hat die Vorinstanz die Entschädigung nach Mortalität kapitalisiert. Nach Auffassung der Beklagten hätte die Kapitalisierung aufgrund einer befristeten Zeitrente erfolgen müssen, da die Klägerin ohnehin ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes wegen über kurz oder lang eine Haushalthilfe benötigt hätte. Soweit die Beklagte damit zusätzliche Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. zur Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles, anbringt, ist auf die Berufung nicht einzutreten (
Art. 63 Abs. 2 OG
).
Zu prüfen ist indessen auch hier, ob die Vorinstanz sich bei der von ihr gewählten Kapitalisierungsmethode von richtigen Grundsätzen der Schadensberechnung hat leiten lassen. Auch wenn sie einer Berücksichtigung besonderer Umstände, welche für eine überdurchschnittliche Dauer der Arbeitsfähigkeit sprechen, grundsätzlich befürworten, gehen STAUFFER/SCHAETZLE offenbar doch davon aus, die Entschädigung für Beeinträchtigungen in der Haushaltführung sei nach Aktivität zu kapitalisieren (a.a.O. S. 131 ff. sowie S. 161 Beispiel 19 und S. 404 Beispiel 78). Gleicher Auffassung ist SZÖLLÖSY (a.a.O. S. 270), wogegen BUSSY (Festschrift Assista, S. 171) eine Kapitalisierung nach Mortalität befürwortet. Das Bundesgericht hat vorerst nach Aktivität kapitalisiert (
BGE 102 II 95
), im Falle Blein (
BGE 108 II 441
) dagegen die Frage aufgeworfen, ob angesichts der notorischen Tatsache, dass Ehefrauen regelmässig über die statistische Aktivität hinaus die Haushaltführung besorgen, nicht ein arithmetisches oder gewichtetes Mittel zwischen Aktivität und Mortalität angewandt werden sollte. Diese differenzierte Betrachtungsweise ist von ZEN-RUFFINEN
BGE 113 II 345 S. 352
(a.a.O. S. 200) begrüsst, von GRAF/SZÖLLÖSY (SJZ 81/1985 S. 225 ff.) und BREHM (Vorbemerkungen zu
Art. 45 und 46 OR
, NN. 41, 45 und 47 sowie N. 119 f. zu
Art. 46 OR
) kritisiert worden.
Gegen die im Entscheid Blein vertretene Auffassung wird einmal eingewendet, sie trage der Tatsache nicht Rechnung, dass die Aktivitätstafeln bereits auf der Annahme beruhten, noch verhältnismässig viele Frauen seien auch in höherem Alter fähig, im Haushalt mitzuarbeiten (BREHM, N. 119 zu
Art. 46 OR
). An diesem Einwand ist richtig, dass die gegenwärtig angewendeten Aktivitätstafeln verglichen mit den Mortalitätstafeln lediglich dem früheren Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess zufolge Invalidität, nicht aber zufolge Rücktrittes Rechnung tragen, was auch dem Bundesgericht nicht entgangen ist (Urteil vom 22. Mai 1984 i.S. Secura, E. 3c, in
BGE 110 II 423
ff. nicht publiziert). Übersehen wird dagegen, dass erfahrungsgemäss die Aktivitätsdauer im Haushalt von derjenigen ausser Hauses wesentlich abweicht. Berufstätige Frauen führen den Haushalt - abgesehen vom Falle der Totalinvalidität - regelmässig auch fort, wenn sie die Erwerbstätigkeit aufgegeben haben. Es gilt daher, dem Unterschied zwischen Haushaltführung und Erwerbstätigkeit auch haftpflichtrechtlich Rechnung zu tragen. Besteht aber keine Veranlassung, bei der Kapitalisierung des Erwerbsausfalls von den Aktivitätstafeln abzuweichen (Urteil i.S. Secura vgt.), ist im Gegenzuge der verlängerten Aktivität der Hausfrau mit einem erhöhten Kapitalisierungsfaktor Rechnung zu tragen. Ein Mittelwert zwischen Aktivität und Mortalität entspricht dieser Zielsetzung am besten, ohne dass damit eine verpönte Zeitrente über die mittlere Aktivitätsdauer hinaus in Anschlag gebracht würde (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O. S. 194). Dieser Betrachtungsweise wird entgegengehalten, sie beeinträchtige die Rechtssicherheit, da sie zu einer Kategorienbildung im Bereiche der Arbeitstätigkeiten führe. Eine solche Kategorienbildung lehnt auch die Praxis zu Recht ab (Urteil i.S. Secura vgt.). Die Tätigkeit der Hausfrau in Ehe und Familie ist nun aber keine Berufstätigkeit im herkömmlichen Sinne. Es geht nicht darum, verschiedene Kategorien von Berufstätigen zu bilden, sondern dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Haushaltführung auch in ihrer Dauer anderen Gesetzmässigkeiten folgt als die reine Erwerbstätigkeit. Es rechtfertigt sich deshalb, die Haushaltführung auch haftpflichtrechtlich von der Berufstätigkeit abzugrenzen, mithin Ungleichem nach Massgabe seiner Ungleichheit Rechnung zu tragen. Dagegen dringt auch der Einwand nicht
BGE 113 II 345 S. 353
durch, der Geschädigte werde bereits durch die Aktivitätstafeln bevorzugt (BREHM, N. 120 zu
Art. 46 OR
). Diesem Umstand wäre durch eine Anpassung der Aktivitätstafeln, nicht durch die Gleichstellung zweier ungleicher Tatbestände zu begegnen.
Immerhin kann den Kritiken an der bundesgerichtlichen Auffassung dadurch Rechnung getragen werden, dass bei der Kapitalisierung der Hausfrauenentschädigung das arithmetische und nicht ein gewogenes Mittel zwischen Aktivität und Mortalität zur Anwendung gebracht wird. Das trägt dazu bei, einen unrealistischen Begriff der Aktivität zu vermeiden.
c) Der von der Vorinstanz konkret berechnete Schaden bis zum Urteilstag von Fr. 31'680.-- ist zu bestätigen.
Demgegenüber ist die Kapitalisierung ab dem Urteilstag nicht mit dem Faktor 20,33 (Tafel 30), sondern mit dem Faktor 18,98 (arithmetisches Mittel der Faktoren aus Tafel 30 und Tafel 20, je Alter 45, weiblich) vorzunehmen, was einen künftigen Schaden von Fr. 100'220.-- ergibt.
Der Gesamtschaden der Klägerin unter diesem Titel beläuft sich damit auf Fr. 131'900.--, das sind Fr. 7'130.-- weniger als die Vorinstanz zugesprochen hat. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
739671e1-6050-4d3c-9d5d-7767a93726e3 | Urteilskopf
123 III 442
68. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 12 août 1997 dans la cause G. et J.-Cl. B. contre P. B. (recours en réforme) | Regeste
Errungenschaft im Sinne von
Art. 197 ZGB
.
AHV- und IV-Renten, deren Zweck im Ersatz von Erwerbseinkommen bei Erreichen des Pensionsalters, bei Invalidität oder im Todesfall besteht, fallen gemäss
Art. 197 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB
in die Errungenschaft (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 442
BGE 123 III 442 S. 442
Les époux B. se sont mariés en Allemagne en 1953, sans conclure de contrat de mariage, et ont eu deux fils. Victime d'une sclérose en plaques, le mari a dû cesser son activité il y a une vingtaine d'années; il dépend aujourd'hui totalement d'une aide extérieure pour tous les actes indispensables. Il perçoit une rente suisse de 6'202 fr.90 et une rente allemande de 903,68 DM. L'aîné des fils a quitté le domicile de ses parents à 21 ans, alors que le cadet y vit toujours. L'épouse est décédée le 29 mars 1993 à Genève, sans laisser de testament. Au jour du décès, le compte SBS du mari laissait apparaître un montant de 453'174 fr.78, alors que le compte UBS de l'épouse présentait un solde de 24 fr.15. Les époux avaient acheté un chalet le 26 décembre 1980.
Le 17 septembre 1993, le fils aîné a ouvert action en partage contre son père et son frère. En dernière instance cantonale, il a obtenu que le montant des libéralités consenties à ce dernier soit arrêté à 367'900 fr., le rapport à la succession sur ces libéralités à 183'950 fr. et la part lui revenant à:
- 1/8 en propriété sur le chalet (32'500 fr.);
- 1/8 en propriété sur la totalité de la valeur du mobilier garnissant ledit chalet;
- 1/8 du montant de 453'174 fr.78 inscrit au compte SBS du père, soit 56'646 fr.85;
- 1/8 du montant de 24 fr.15 inscrit au compte UBS de la mère, soit 3 fr.;
- 1/8 de la valeur des libéralités s'élevant à 367'900 fr. consenties au frère cadet, soit 45'987 fr.50.
BGE 123 III 442 S. 443
Par la voie du recours en réforme, le père et le frère cadet ont requis le Tribunal fédéral d'ordonner la prise en compte de montants différents pour certains postes ci-dessus (190'000 fr. pour les libéralités, 95'000 fr. pour le rapport, 43'947 fr.13 et 23'750 fr. pour la part revenant au frère aîné, respectivement, sur le compte SBS et sur la valeur des libéralités). Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable et a confirmé l'arrêt cantonal attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
d) Les recourants soutiennent enfin que la cour cantonale a mal appliqué l'
art. 197 al. 2 ch. 2 CC
en qualifiant d'acquêts les rentes versées par l'assurance invalidité.
Le Tribunal fédéral n'a jamais tranché la question de savoir si les rentes AVS et AI sont des acquêts ou des biens propres. Un arrêt du TFA du 27 février 1989 (ZAK, Zeitschrift für die Ausgleichskassen 1989, p. 397) qualifie une rente AVS d'acquêt sans soulever la question posée. La grande majorité de la doctrine est d'avis qu'il s'agit d'acquêts (H. DESCHENAUX/P.-H. STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, p. 272 s., 282 ss; H. HAUSHEER/R. REUSSER/TH. GEISER, Berner Kommentar, n. 58 ad art. 197; M. STETTLER/F. WAELTI, Droit civil IV, Le régime matrimonial, n. 256 p. 138). Ces auteurs fondent leur opinion sur l'
art. 197 al. 2 ch. 2 CC
, qui prévoit que les acquêts comprennent notamment les sommes versées par des institutions de prévoyance en faveur du personnel ou par des institutions d'assurance ou de prévoyance sociale. Piotet, qui exprime l'opinion minoritaire, soutient que ces sommes font partie des biens propres. Il relève que le Message du Conseil fédéral relatif au projet de loi (FF 1979 II 1288) ne mentionne pas expressément les rentes AVS et AI, alors qu'il évoque les indemnités de l'assurance chômage. Selon cet auteur, l'
art. 197 al. 2 ch. 2 CC
n'engloberait pas les sommes versées par les assurances sociales, ces institutions ne figurant pas expressément dans le texte de la disposition (PAUL PIOTET, Le régime matrimonial suisse de la participation aux acquêts, p. 117 ss). A ce propos, HAUSHEER/REUSSER/GEISER (op.cit., n. 60 ad
art. 197 CC
) relèvent que les textes allemand et italien de l'
art. 197 al. 2 ch. 2 CC
mentionnent expressément les sommes versées par les assurances sociales ("Leistungen aus Sozialversicherungen", "Prestazioni di assicurazioni sociali"). Ils expliquent en outre que, dans le texte français, l'adjectif "sociale" se rapporte autant à l'institution d'assurance
BGE 123 III 442 S. 444
qu'à celle de prévoyance, et ils rappellent le principe de l'équivalence des trois versions de la loi.
Les textes des langues officielles sont équivalents. Lorsque ceux-ci diffèrent l'un par rapport à l'autre, il y a lieu de déterminer au moyen des méthodes d'interprétation usuelles lequel des textes exprime le sens véritable de la disposition (
ATF 76 IV 237
consid. 5 p. 240). La loi s'interprète en premier lieu d'après sa lettre (interprétation littérale). La méthode d'interprétation littérale se détruit elle-même dès le moment où les trois textes officiels présentent des divergences ou même seulement des nuances importantes pour l'application du droit (H. Deschenaux, Le titre préliminaire du Code civil, in Traité de droit civil suisse, t. II,1, p.77). Si le texte légal n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, le juge recherchera la véritable portée de la norme en la dégageant de sa relation avec d'autres dispositions légales, de son contexte (interprétation systématique), du but poursuivi, singulièrement de l'intérêt protégé (interprétation téléologique), ainsi que de la volonté du législateur telle qu'elle ressort notamment des travaux préparatoires (interprétation historique) (
ATF 122 III 469
consid. 5a, p. 474 et arrêts cités). Ceux-ci ne seront toutefois pris en considération que s'ils donnent une réponse claire à une disposition légale ambiguë et qu'ils ont trouvé expression dans le texte même de la loi (
ATF 122 III 324
consid. 7a et arrêts cités).
Selon le message, dont le sens est identique et clair dans les trois langues, le but des institutions d'assurance ou de prévoyance sociale mentionnées à l'
art. 197 al. 2 ch. 2 CC
est de remédier à l'influence de l'âge, de l'invalidité, de la maladie, des accidents sur l'aptitude à exercer une activité lucrative, et les prestations de ces institutions tendent notamment à remplacer la rémunération tirée d'une telle activité. Ce but justifie de traiter ces prestations comme acquêts par analogie avec le produit du travail (FF 1979 II p. 1288(fr), 1231(it), 1307 (d)). DESCHENAUX/STEINAUER (op.cit., p. 273) et Hausheer (in: Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch I, éd. HONSELL/VOGT/GEISER, n. 19 ad art. 197) soulignent que les prestations mentionnées se substituent au revenu du travail qui fait défaut. Or les rentes AVS et AI ont justement pour but de remplacer le revenu du travail manquant du fait de l'âge, de l'invalidité ou du décès. Il apparaît dès lors que ce sont les versions italienne et allemande de la loi qui expriment le véritable sens de la norme en faisant clairement des rentes AVS et AI des acquêts. Que le message (loc.cit.) mentionne explicitement les prestations de l'assurance chômage
BGE 123 III 442 S. 445
alors que les autres assurances sociales n'y sont pas énumérées nommément ne signifie nullement que la disposition en cause n'englobe pas les rentes AVS et AI. Le message mentionne l'assurance chômage à part pour préciser qu'elle doit être assimilée aux sommes versées par les assurances sociales. C'est une clarification nécessaire car, en cas de chômage, l'origine de l'absence de revenu du travail n'est pas l'âge, la maladie, la vieillesse, etc., mais le manque de travail. | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7397def6-ba8c-436b-a887-7f8b92e491bc | Urteilskopf
121 II 81
13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. März 1995 i.S. SRG gegen Radio Piz Corvatsch AG und EVED (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 108 Abs. 2 RTVV
, Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession; Aufschaltung eines Lokalradios auf den Telefonrundspruch.
Gesetzes- und Systemkonformität von
Art. 108 Abs. 2 RTVV
(E. 3).
Verhältnis von
Art. 108 Abs. 2 RTVV
zu Art. 20 Abs. 2 der SRG-Konzession vom 18. November 1992 (E. 4 u. 5). | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 121 II 81 S. 81
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) besorgt seit 1931 den Programmdienst des (6 Kanäle umfassenden) Telefonrundspruchs. Sie strahlt über drei Kanäle die ersten Radioprogramme von Schweizer Radio DRS, Radio suisse romande und Radio della svizzera di lingua italiana aus, wobei es sich im wesentlichen um eine Parallelverbreitung der auch über die UKW-Frequenzen zu empfangenden Programme handelt. Originär sind die auf den drei restlichen Kanälen ausgestrahlten Programme "Light" (vorwiegend Unterhaltungsmusik), "Classic" (vorwiegend klassische Musik) und "Channel one" (leichte Musik und englischsprachige Wortbeiträge). Im Kanton
BGE 121 II 81 S. 82
Graubünden verbreitet die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft anstelle des Programms "Light" jenes von "Radio Rumantsch".
Am 22. Dezember 1993 hiess das Bundesamt für Kommunikation ein Gesuch der Radio Piz Corvatsch AG "im Grundsatz" gut, ihr Programm im offiziellen Versorgungsgebiet über den Telefonrundspruch verbreiten zu lassen. Es lud die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft zu diesem Zweck ein, innert 30 Tagen mitzuteilen, welches der über den Telefonrundspruch im offiziellen Versorgungsgebiet von Radio Piz Corvatsch übertragenen Programme ersetzt werden könne.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft erhob gegen diese Verfügung beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement Verwaltungsbeschwerde; gegen dessen abweisenden Entscheid hat sie am 30. Juni 1994 Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die das Bundesgericht abweist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach Art. 108 der Radio- und Fernsehverordnung vom 16. März 1992 (RTVV; SR 784.401) verbreiten die PTT-Betriebe "über ihr Telefonnetz Radioprogramme schweizerischer Veranstalter" (Abs. 1), wobei das Bundesamt "bestimmt, welche Programme unter welchen Bedingungen" ausgestrahlt werden (Abs. 2). Die Beschwerdeführerin macht geltend, diese Regelung, auf die sich die Verfügung zugunsten der Radio Piz Corvatsch AG stützt, enthalte eine gesetzwidrige Kompetenzordnung und greife in das ihr durch den Bundesrat am 18. November 1992 konzessionierte Recht ein, wonach "der Programmdienst des Telefonrundspruchs (...) bis auf weiteres Sache der SRG" bleibe (Art. 20 Abs. 2 der SRG-Konzession vom 18. November 1992, BBl 1992 VI 567 ff.; im weitern: SRG-Konzession 1992). Der Bundesrat habe in
Art. 108 RTVV
dem Bundesamt zwar ein Tätigkeitsfeld eröffnet, in der Folge jedoch seine eigene Kompetenz zur Konzessionierung der SRG "voll" ausgeschöpft und ihr den Telefonrundspruch vollumfänglich, zeitlich unlimitiert und grundsätzlich auch vorbehaltlos zugesprochen und dem Bundesamt damit die (abstrakt vorgesehene) Handlungsmöglichkeit auf diesem Gebiet entzogen.
3.
Zu prüfen ist zunächst die Frage, ob
Art. 108 RTVV
, wie die Beschwerdeführerin behauptet, sich als systemwidrig erweist und der im
BGE 121 II 81 S. 83
Radio- und Fernsehgesetz vorgesehenen Kompetenzordnung widerspricht.
a) Wer Radio- und Fernsehprogramme veranstalten will, braucht hierfür eine Konzession (Art. 10 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen, RTVG; SR 784.40). Als Veranstalter gilt, wer Programme schafft oder zusammenstellt und sie verbreitet oder durch Dritte vollständig und unverändert verbreiten lässt (
Art. 2 Abs. 1 RTVG
). Eine Verbreitung liegt vor bei einer Ausstrahlung über terrestrische Sender, über Kabelnetze oder über Satelliten, wenn das Programm an die Allgemeinheit gerichtet ist (
Art. 2 Abs. 2 RTVG
); als Weiterverbreitung gilt das zeitgleiche, vollständige und unveränderte Übernehmen und Verbreiten von Programmen, die von in- und ausländischen Veranstaltern an die Allgemeinheit gerichtet sind und drahtlos ausgestrahlt werden (
Art. 2 Abs. 3 RTVG
). Konzessionsbehörde für die Veranstaltung von nationalen Programmen ist der Bundesrat (
Art. 10 Abs. 3 RTVG
), für lokale und regionale Ebene das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (
Art. 10 Abs. 3 RTVG
in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 RTVV
) und für Veranstaltungen, deren Dauer innerhalb eines Jahres höchstens 30 Tage beträgt (Veranstaltungen von kurzer Dauer), das Bundesamt für Kommunikation (
Art. 10 Abs. 3 RTVG
in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 2 RTVV
). In seinem 3. Titel regelt das Radio- und Fernsehgesetz die Weiterverbreitung von Programmen unter anderem über Kabelnetze und statuiert auch hierfür eine Konzessionspflicht. Konzessionsbehörde ist der Bundesrat beziehungsweise eine "von ihm bezeichnete Behörde" (
Art. 39 Abs. 1 RTVG
); nach
Art. 33 RTVV
ist dies das Bundesamt für Kommunikation. Als Kabelnetz im Sinne des Gesetzes gilt jedes Leitungsnetz zur Versorgung der angeschlossenen Abonnenten mit Rundfunkprogrammen (
Art. 2 Abs. 4 RTVG
).
b) Der Telefonrundspruch nutzt das Telefonnetz der PTT-Betriebe - gegen eine spezielle, vom Empfänger neben der Konzessionsabgabe zu entrichtende Gebühr (vgl. VICENTE TUASON/MEINRAD ROMANENS, Das Recht der Schweizerischen PTT-Betriebe, Bern 1980, S. 64 f.) -, um Radioprogramme zu verbreiten, und ist damit einem Kabelnetz im Sinne von
Art. 2 Abs. 4 RTVG
ähnlich. Die entsprechenden Bestimmungen können deshalb zur Auslegung der lückenhaften Regelung herangezogen werden, soweit dies sachgerecht erscheint:
Art. 42 RTVG
regelt das Mindestprogrammangebot eines Kabelnetzkonzessionärs;
Art. 47 RTVG
sieht vor, dass das Bundesamt den Betreiber eines Kabelnetzes unter
BGE 121 II 81 S. 84
gewissen Umständen verpflichten kann, ein Programm, das nicht drahtlos verbreitet wird, im Auftrag eines schweizerischen Veranstalters auf lokaler oder regionaler Ebene zu verbreiten (Art. 47 in Verbindung mit
Art. 39 Abs. 3 lit. b RTVG
, BBl 1987 III 744). Der Telefonrundspruch ist eine Dienstleistung der PTT-Betriebe, die hierfür als Anstalt des Bundes keiner Konzession bedürfen.
Wenn
Art. 108 RTVV
vorsieht, dass das Bundesamt bestimmt, welche Programme unter welchen Bedingungen zu verbreiten sind, ist diese Kompetenzordnung somit nicht an sich system- und gesetzeswidrig. Wären die PTT-Betriebe ein Kabelnetzkonzessionär des Bundes, wäre das Bundesamt ebenfalls befugt, die Verbreitung eines bestimmten Programms anzuordnen. Warum es hierzu von Gesetzes wegen entgegen der Regelung in
Art. 108 RTVV
nicht berechtigt sein soll, soweit die PTT-Betriebe ähnlich einem Kabelnetzkonzessionär Programme über den Telefonrundspruch im Sinne von
Art. 2 Abs. 3 RTVG
weiterverbreiten, ist nicht ersichtlich. Zwar hielt der Bundesrat in seiner Botschaft zu
Art. 47 RTVG
fest, dass zur Nutzung des PTT-Netzes für Rundfunkzwecke die entsprechende "ins Privatrecht eingreifende Kontrahierungspflicht nicht nötig" sei (BBl 1987 III 744); diese Äusserung dürfte er indessen mit Blick darauf getan haben, dass der Bund mit dem Telefonrundspruch eben selber über ein nationales Weiterverbreitungsnetz verfügt, womit sich eine privatrechtliche Regelung zwischen Veranstalter und Weiterverbreiter insofern erübrigt.
c) Eine System- und Gesetzwidrigkeit von
Art. 108 Abs. 2 RTVV
ergibt sich - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - auch nicht aus dem Gebot, dass die Programmkonzession jeweils "die Art der Verbreitung und die Verbreitungseinrichtungen" festzulegen hat (
Art. 2 Abs. 1 lit. d RTVV
). Die vom Departement der Radio Piz Corvatsch AG erteilte Bewilligung sieht eine Ausstrahlung ihres Programms über den Telefonrundspruch zwar nicht vor; die Radio Piz Corvatsch AG verfügt aber über eine Lokalradiokonzession, die ihr erlaubt, ihr Programm terrestrisch zu verbreiten. Die Ausstrahlung im konzessionierten Sendegebiet per Telefonrundspruch bildet deshalb keine Erstverbreitung, sondern eine Weiterverbreitung im Sinne von
Art. 2 Abs. 3 RTVG
, die als solche in der Veranstalterkonzession nicht vorgesehen werden muss, weshalb ein entsprechender Entscheid - wie die auf einer privatrechtlichen Absprache beruhende nachträgliche Einspeisung eines Lokalradioprogramms in eine Gemeinschaftsantennenanlage (vgl. zu dieser Problematik altrechtlich das unveröffentlichte Urteil des Bundesgerichts
BGE 121 II 81 S. 85
vom 10. Juli 1986 i.S. Radio 24 AG c. GD PTT) - keiner Konzessionsänderung bedarf.
4.
Ist die in
Art. 108 Abs. 2 RTVG
vorgesehene Kompetenzdelegation damit nicht an sich schon gesetzeswidrig, bleibt ihr Verhältnis zu Art. 20 Abs. 2 der SRG-Konzession 1992 zu klären.
a) Bei der Auslegung von Konzessionen ist - wie generell bei öffentlichrechtlichen Verträgen - neben der gesetzlichen Regelung das Vertrauensprinzip zu beachten (vgl. zur Rechtsnatur der Konzession im Radio- und Fernsehbereich: BBl 1987 III 720 f.); danach ist eine Willensäusserung so auszulegen, wie sie unter Berücksichtigung des früheren Verhaltens des Erklärenden und der im Zeitpunkt der Erklärung bekannten Umstände in guten Treuen vernünftigerweise verstanden und als wirklich gewollt betrachtet werden durfte und musste. In Zweifelsfällen ist zu vermuten, dass die Verwaltung nicht bereit ist, etwas anzuordnen oder zu vereinbaren, was mit den von ihr zu wahrenden öffentlichen Interessen und der einschlägigen Gesetzgebung im Widerspruch steht (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. Juli 1988 in: ZBl 90 1989 S. 83 ff., E. 3).
b) Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft betrieb den Programmdienst des Telefonrundspruchs bis zum 1. Januar 1993 gestützt auf Art. 2 der Konzession vom 5. Oktober 1987 (BBl 1987 III 813; SRG-Konzession 1987), der in Absatz 2 vorsah, dass die SRG "den Programmdienst des Telefonrundspruchs" besorgt. Dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 SRG-Konzession 1987 kann nicht entnommen werden, inwieweit der Bundesrat die SRG im Zusammenhang mit dem Telefonrundspruch berechtigen wollte, hält die Bestimmung doch nur fest, dass die SRG den entsprechenden "Programmdienst" besorge. Aus den konzessionsrechtlichen Grundlagen wird aber deutlich, dass es dabei darum ging, die Benützung des Telefonnetzes zur Verbreitung von Radiosendungen im Sinne sowohl einer Regalkonzession wie einer Konzession des öffentlichen Dienstes der SRG zu übertragen (vgl. zur Abgrenzung: EVELINE WIDMER-SCHLUMPF, Voraussetzungen der Konzession bei Radio und Fernsehen, Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 30 ff.). Nach
Art. 36 BV
ist das Post- und Telegrafenwesen im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft Bundessache; unter das Telegrafenmonopol fällt auch das Telefonnetz (vgl. zur Entwicklung des Geltungsbereichs von
Art. 36 BV
:
BGE 105 Ib 389
E. 2 S. 390 ff.). Soweit dieses zur Verbreitung von Radiosendungen dient, wurde der SRG mit der Konzession 1987 das Recht und die Pflicht übertragen, die inhaltliche Gestaltung des über das Telefonnetz verbreiteten und als
BGE 121 II 81 S. 86
Dienstleistung der PTT-Betriebe angebotenen Telefonrundspruchs im Interesse der Programmunabhängigkeit zu übernehmen; dies wird auch aus der Vereinbarung der SRG mit den PTT-Betrieben vom 6. Dezember 1977 deutlich (vgl. Ziffer 2 dieser Vereinbarung).
c) Die SRG-Konzession vom 18. November 1992 knüpft grundsätzlich an diese Regelung an, wenn sie übergangsrechtlich vorsieht, dass der Programmdienst "bis auf weiteres" Sache der SRG bleibt; sie behält indessen ausdrücklich auch die neue Radio- und Fernsehgesetzgebung vor und ermächtigt die Beschwerdeführerin in Art. 1 dementsprechend bloss, "nach den Vorschriften des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG), der Radio- und Fernsehverordnung (RTVV) sowie dieser Konzession" Radio- und Fernsehprogramme zu veranstalten. Die Beschwerdeführerin hatte bei Gewährung der Konzession von
Art. 108 RTVV
Kenntnis; der Bundesrat übertrug ihr den Programmdienst für den Telefonrundspruch nach Treu und Glauben deshalb nur im Rahmen der von ihm in der Radio- und Fernsehverordnung beschlossenen Schranken und Zuständigkeitsordnungen, an die auch er im Einzelfall gebunden ist. Der Zusatz "bis auf weiteres" in Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession 1992 behält zudem eine zukünftige Aufhebung des Telefonrundspruchs vor. Der entsprechende Programmdienst steht der Beschwerdeführerin somit nur insoweit zu, als das Bundesamt für Kommunikation nicht die PTT-Betriebe als Verbreiterin anweist, anderen schweizerischen Veranstaltern ebenfalls einen Zugang zu ermöglichen. Eine andere Auslegung von Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession 1992 beraubte
Art. 108 Abs. 2 RTVV
jeglichen Inhalts und widerspräche Sinn und Zweck des Radio- und Fernsehgesetzes, das vorab auf lokaler und regionaler Ebene vom bisherigen SRG-Monopol abrückt und eine Mehrzahl von Veranstaltern zulässt (vgl. BBl 1987 III 690). Die Hinweise der Beschwerdeführerin auf ihre eigene Auffassung in den Konzessionsverhandlungen und in ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf vermögen dieses gestützt auf das Vertrauensprinzip gebotene Verständnis von Art. 20 Abs. 2 der SRG-Konzession 1992 nicht in Frage zu stellen. Die SRG-Konzession 1987 wurde vom Bund gerade gekündigt, um der neuen Radio- und Fernsehgesetzgebung Rechnung tragen zu können; die konzessionsrechtlichen Bestimmungen sind deshalb auch bezüglich des Telefonrundspruchs vor diesem Hintergrund zu sehen. Bei der Frage, auf welches Programm im Sendegebiet von Radio Piz Corvatsch allenfalls zu verzichten ist, was nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet, wird dem vom Gesetzgeber in
Art. 28 Abs. 2 RTVG
getroffenen Wertentscheid
BGE 121 II 81 S. 87
Rechnung zu tragen sein, wonach je ein deutsch-, französisch- und italienischsprachiges Radioprogramm in der ganzen Schweiz zu verbreiten ist (vgl. BBl 1987 III 737); das ist zurzeit wegen der beschränkten Frequenzzahlen weitgehend nur über den Telefonrundspruch möglich.
5.
Die Beschwerdeführerin beruft sich unter diesen Umständen - sowohl mit Blick auf die Eigentumsgarantie wie auf den Vertrauensgrundsatz - vergeblich auf wohlerworbene Rechte: Die SRG-Konzession vom 5. Oktober 1987 lief am 31. Dezember 1992 aus; in der neuen Konzession konnte der Bund ohne Beeinträchtigung allfälliger Rechte der Beschwerdeführerin den geänderten rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen.
Art. 14 und 15 RTVG
regeln Änderung, Einschränkung, Suspendierung, Widerruf sowie Entzug einer Konzession vor Ablauf ihrer Dauer; sie finden vorliegend keine Anwendung, da das der Beschwerdeführerin - unter Vorbehalt von
Art. 108 RTVV
- übertragene Recht, "bis auf weiteres" den Programmdienst des Telefonrundspruchs zu betreiben, nicht beeinträchtigt wird, solange das Bundesamt den Kernbereich der Konzession wahrt und Aufschaltanordnungen restriktiv und im Sinne des Radio- und Fernsehgesetzes verfügt. Bei der Entwicklung einer einheitlichen Praxis werden Bundesamt und Departement zu berücksichtigen haben, dass der Betreiber eines Kabelnetzes nach
Art. 47 RTVG
(in Verbindung mit
Art. 39 Abs. 3 lit. b RTVG
) nur verpflichtet werden kann, ein Programm im Auftrag eines schweizerischen Veranstalters auf lokaler oder regionaler Ebene zu verbreiten, wenn dieses nicht bereits drahtlos ausgestrahlt wird. Eine lokale Aufschaltung eines Programms auf den Telefonrundspruch im Rahmen einer Weiterverbreitung durch die PTT-Betriebe dürfte - mit Blick auf Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession 1992 - unter diesen Umständen deshalb wohl ebenfalls nur bei einer im konzessionierten Sendegebiet gestörten oder erschwerten UKW-Verbreitung eines Lokalradioprogramms zulässig sein. Da vorliegend eine solche festgestellt ist (vgl. Verfügung des Bundesamts für Kommunikation vom 22. Dezember 1993, Ziffer 2.1) und die Beschwerdeführerin diese grundsätzlich auch nicht bestreitet (vgl. Beschwerdeschrift S. 5, 1. Abschnitt), verletzt der Entscheid, der Radio Piz Corvatsch AG im Hinblick auf die teilweise erschwerte UKW-Verbreitung ihres Programms zu ermöglichen, dieses in ihrem konzessionierten Versorgungsgebiet auch über den Telefonrundspruch verbreiten zu lassen, weder bundes- noch konzessionsrechtliche Bestimmungen. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73993185-e2c1-4c1b-956d-af5b124db0f5 | Urteilskopf
137 V 434
45. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_556/2011 vom 15. Dezember 2011 | Regeste
Art. 9 Abs. 2 ELG
;
Art. 7 Abs. 1 lit. a ELV
; Abs. 1 und 2 Schlussbestimmung ELV vom 28. September 2007; Berechnung der Ergänzungsleistung für Kinder geschiedener Ehegatten, die mit diesen in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben.
Leben die geschiedenen Ehegatten mit den Kindern wieder in häuslicher Gemeinschaft, ist deren Ergänzungsleistung nicht mehr zusammen mit dem Elternteil zu berechnen, dessen Zusatzrente infolge der 5. IV-Revision aufgehoben wurde, sondern mit dem rentenberechtigten Elternteil (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 434
BGE 137 V 434 S. 434
A.
Die 1977 geborene A. ist Mutter von zwei (2001 und 2004 geborenen) Kindern und seit 4. Juli 2006 von ihrem Ehemann S. geschieden. Abgeleitet von dessen Berechtigung auf eine Rente der
BGE 137 V 434 S. 435
Invalidenversicherung und unter Einbezug der Kinder in die Berechnung sprach ihr die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau (SVA) mit Verfügung vom 3. November 2006 Ergänzungsleistungen ab 1. August 2006 zu. Seit 1. Januar 2009 lebt A. wiederum mit ihrem geschiedenen Ehemann zusammen. Die SVA berechnete dessen Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab diesem Zeitpunkt neu, wobei sie die Kinder nun dem Vater zurechnete. Mit Verfügung vom 25. Juni 2010 verneinte sie einen Anspruch der A. auf Ergänzungsleistungen ab 1. Januar 2009 und verpflichtete sie, zu viel bezogene Ergänzungsleistungen im Betrag von Fr. 68'876.- zurückzuerstatten. Die dagegen erhobene Einsprache und das gleichzeitig gestellte Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wies sie mit Einspracheentscheid vom 16. November 2010 ab.
B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde der A. verpflichtete das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die SVA mit Entscheid vom 7. Juni 2011, ihr für das Einspracheverfahren die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu gewähren. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des Entscheides vom 7. Juni 2011, soweit er Ergänzungsleistungen betrifft, sei die Sache an die Verwaltung zurückzuweisen, damit diese ihren Anspruch weiterhin unter Berücksichtigung der Kinder berechne. Ferner lässt sie um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen.
Die SVA beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die Vorinstanz hat zu Recht einen selbständigen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ergänzungsleistungen verneint (vgl.
Art. 4 ff. des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2006 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELG; SR 831.30]
; vgl. Urteil 9C_371/2011 vom 5. September 2011 E. 2.3). Weiter ist sie der Auffassung, dass der Ergänzungsleistungsanspruch der Kinder von geschiedenen Eltern, die erneut zusammenziehen, gemeinsam mit dem rentenberechtigten Elternteil zu berechnen sei.
BGE 137 V 434 S. 436
Demnach habe die Beschwerdeführerin die Ergänzungsleistung seit 1. Januar 2009 unrechtmässig bezogen. Auf Einwendungen betreffend Erlass der Rückforderung ist die Vorinstanz nicht eingetreten.
2.2
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wurden ihr - als alleiniger Inhaberin der elterlichen Sorge - die Ergänzungsleistungen der Kinder zu Recht ausbezahlt. Deren Anspruch (vgl. Urteil 9C_371/2011 vom 5. September 2011 E. 2.4.1) sei gestützt auf Abs. 1 der in die Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV; SR 831.301) aufgenommenen Schlussbestimmung der Änderung vom 28. September 2007 (SchlBest. ELV; AS 2007 6037) zu berechnen, und zwar unabhängig von ihrem geschiedenen Ehemann. Abs. 2 SchlBest. ELV gelange nur zur Anwendung, wenn getrennte Ehegatten wieder zusammenleben. Da sie mit ihrem geschiedenen Ehemann einen gemeinsamen Haushalt begründet habe, sei die Berechnung der Ergänzungsleistung weiterhin nach Abs. 1 SchlBest. ELV durchzuführen.
3.
3.1
Art. 9 Abs. 2 ELG
,
Art. 7 ELV
sowie Abs. 1 und 2 SchlBest. ELV haben insofern das gleiche Regelungsthema, als sie die Berechnung der Ergänzungsleistung von Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der IV begründen, normieren. Gemäss
Art. 9 Abs. 2 ELG
werden die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten und Personen mit rentenberechtigten Kindern zusammengerechnet. Der Bundesrat bestimmt die Zusammenrechnung der anerkannten Ausgaben und der anrechenbaren Einnahmen von Familienmitgliedern; er kann Ausnahmen von der Zusammenrechnung vorsehen, insbesondere bei Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der IV begründen (
Art. 9 Abs. 5 lit. a ELG
).
Art. 7 Abs. 1 lit. a ELV
bestimmt, dass die jährliche Ergänzungsleistung für Kinder, die mit den Eltern zusammenleben, gemeinsam berechnet wird. Leben die Kinder dagegen nur mit einem Elternteil zusammen, der rentenberechtigt ist, so wird die Ergänzungsleistung zusammen mit diesem Elternteil festgelegt (
Art. 7 Abs. 1 lit. b ELV
).
Gemäss Abs. 1 SchlBest. ELV wird die jährliche Ergänzungsleistung eines Kindes, das einen Anspruch auf eine Kinderrente der IV begründet und am 31. Dezember 2007 mit einem Elternteil zusammenlebt, der getrennt oder geschieden ist und der seinen Anspruch auf Ergänzungsleistung am 1. Januar 2008 wegen der Aufhebung
BGE 137 V 434 S. 437
der laufenden Zusatzrenten in der IV verliert, aufgrund der anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen des Kindes und des Elternteils, mit dem es zusammenlebt, berechnet. Die jährliche Ergänzungsleistungsberechnung nach Abs. 1 SchlBest. ELV ist dann nicht mehr anwendbar, wenn entweder das Kind nicht mehr mit dem Elternteil zusammenlebt (Abs. 2 lit. a SchlBest. ELV) oder die getrennten Eltern wieder zusammenleben oder der Elternteil, mit dem das Kind zusammenlebt, wieder heiratet (Abs. 2 lit. b SchlBest. ELV).
3.2
Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Ordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben (
BGE 136 III 23
E. 6.6.2.1 S. 37;
BGE 136 V 195
E. 7.1 S. 203;
BGE 135 V 50
E. 5.1 S. 53;
BGE 134 II 308
E. 5.2 S. 311). Verordnungsrecht ist gesetzeskonform auszulegen. Es sind die gesetzgeberischen Anordnungen, Wertungen und der in der Delegationsnorm eröffnete Gestaltungsspielraum mit seinen Grenzen zu berücksichtigen (
BGE 137 V 167
E. 3.3 S. 170 f. mit Hinweisen).
4.
4.1
Aufgrund des Wortlauts der dargelegten Bestimmungen (E. 3.1) ist für die Berechnung der Ergänzungsleistung stets entscheidend, mit wem die Kinder zusammenleben. Nicht massgebend ist, wer das elterliche Sorgerecht innehat oder welcher Elternteil tatsächlich die Betreuung der Kinder übernimmt. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, weshalb das elterliche Sorgerecht und die tatsächliche Ausübung der Betreuung ausschlaggebend sein sollen für die Berechnung der Ergänzungsleistung.
4.2
Nach dem Wortlaut von
Art. 9 Abs. 2 ELG
werden die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen des
BGE 137 V 434 S. 438
rentenberechtigten Elternteils grundsätzlich mit jenen des Ehegatten (ZAK 1986 S. 136, P 8/85;
BGE 137 V 82
E. 4.1 S. 84) und der Kinder, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der IV begründen, zusammengerechnet. Dagegen wird die Konkubinatspartnerin oder der Konkubinatspartner, wie deren resp. dessen eigene Kinder, nicht in die Berechnung eingeschlossen. Vorbehältlich des Rechtsmissbrauchs wird die Ergänzungsleistung eines Versicherten, der aus besonderen Gründen weiterhin mit dem geschiedenen Ehegatten zusammenlebt, nicht nach den für Ehegatten geltenden Regeln berechnet (
BGE 137 V 82
E. 5 S. 85 ff.). Dies entspricht auch der Auffassung des BSV (vgl. Rz. 3121.01 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL]
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/index/category:59
), dessen Weisungen das Bundesgericht zwar nicht binden, die bei der Entscheidfindung aber zu berücksichtigen sind (
BGE 137 V 82
E. 5.5 S. 88;
BGE 133 V 587
E. 6.1 S. 591). Demnach werden bei der Berechnung der Ergänzungsleistung die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen der Kinder, die zusammen mit ihren geschiedenen Eltern in einer Hausgemeinschaft leben, beim rentenberechtigten Elternteil berücksichtigt.
4.3
Wohl wäre aufgrund des Wortlauts von
Art. 7 Abs. 1 lit. a ELV
auch ein Einschluss der anerkannten Ausgaben und der anrechenbaren Einnahmen der geschiedenen Ehegattin oder des geschiedenen Ehegatten bei der Ergänzungsleistungsberechnung möglich. Dieser Interpretationsspielraum ändert jedoch nichts daran, dass nach
Art. 9 Abs. 2 ELG
, der letztlich Massstab bildet, die Kinder beim rentenberechtigten Elternteil zu berücksichtigen sind (E. 4.2).
4.4
4.4.1
In Abs. 2 SchlBest. ELV werden die geschiedenen Ehegatten, die wieder zusammenleben, nicht erwähnt.
4.4.2
Mit der 5. IV-Revision wurden die laufenden Zusatzrenten für Ehegatten aufgehoben. Der Bundesrat hat jedoch für diejenigen Betroffenen, die getrennt leben oder geschieden sind und mit rentenberechtigten Kindern zusammenleben, eine Besitzstandsregelung getroffen (CARIGIET/KOCH, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 114). Denn der Wegfall des eigenen Ergänzungsleistungsanspruchs hätte bei den geschiedenen Personen mit Kindern zu einer finanziellen Lücke geführt, auch wenn der Unterhalt des Kindes über die Kinderrente und die Ergänzungsleistungen, die zu seinen
BGE 137 V 434 S. 439
Gunsten ausgerichtet werden, weitgehend gedeckt ist. Die Besitzstandsregelung wurde zur Vermeidung einer finanziellen Notlage erlassen, weil es meist kurzfristig nicht möglich ist, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder das Arbeitspensum zu erhöhen. Deshalb wurden die Ergänzungsleistungen dieser Personen nach derselben Methode berechnet, wie die Ergänzungsleistungen, die sie selbst vor dem Inkrafttreten der 5. IV-Revision erhalten haben (Erläuterungen des BSV zur Ergänzung der Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung,
http://www.bsv.admin.ch/themen/ergaenzung/00035/index.html
unter 5. IV-Revision: Erläuterungen zur Anpassung-2 ELV 1.1.2008", besucht am 14. November 2011). Der Botschaft lässt sich hierzu nichts entnehmen (Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [5. Revision; BBl 2005 4459]).
Eine Berechnung der Ergänzungsleistung des Kindes zusammen mit dem Elternteil, der den Anspruch auf eine Zusatzrente verloren hat und wieder mit dem geschiedenen Ehegatten zusammenwohnt - wie von der Beschwerdeführerin verlangt - hätte zur Folge, dass die Familie finanziell besser gestellt wäre als vor der Scheidung (vgl. die Ergänzungsleistungsberechnung der Beschwerdegegnerin vom 27. Juli 2006 für die ganze Familie, die Ergänzungsleistungsberechnungen vom 8. November 2006 und 16. Februar 2007 für den geschiedenen Ehemann sowie die Ergänzungsleistungsberechnungen vom 26. Oktober 2006 und 3. September 2007 für die Beschwerdeführerin zusammen mit ihren Kindern). Dies würde über den Sinn und Zweck der Besitzstandsregelung hinausgehen, was nicht der Wille des Gesetz- bzw. des Verordnungsgebers gewesen sein kann.
4.5
Nach dem Gesagten ist die jährliche Ergänzungsleistung für Kinder zusammen mit dem rentenberechtigten Elternteil zu berechnen, wenn die Kinder wieder mit diesem in demselben Haushalt wohnen. Folglich besteht kein Raum für eine gesonderte Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung der Kinder. Die Vorinstanz hat zu Recht einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ergänzungsleistungen ab dem 1. Januar 2009 verneint. Die Beschwerde ist unbegründet. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
73993265-3e79-4c5f-8f59-64a409e22301 | Urteilskopf
108 IV 68
16. Estratto della sentenza della Corte di cassazione del 5 maggio 1982 nella causa C. contro Dipartimento dell'ambiente del Cantone Ticino (ricorso per cassazione) | Regeste
Forstpolizei. Verletzung von Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 11. Oktober 1902 (FPolG; RS 921.0).
Art. 46 Abs. 1 Ziff. 3 FPolG
, der die unbewilligte Verminderung des Waldareals unter Strafe stellt, ist nicht anwendbar auf die Einzäunung von Wald entgegen Art. 3 Abs. 1 (FPolV; RS 921.01). | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 108 IV 68 S. 68
Nella primavera del 1980 C. faceva recintare la parte boschiva di una particella di sua proprietà. Con decisione del 13 febbraio 1981 il Dipartimento dell'ambiente del Cantone Ticino gli infliggeva per tale recinzione una multa di Fr. 560.-- (Fr. 20.-- per ogni ara boschiva recintata), in applicazione dell'
art. 699 CC
e dell'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
. Il Tribunale cantonale amministrativo del Cantone Ticino respingeva il 3 marzo 1981 il gravame presentatogli da C. avverso la decisione dipartimentale.
C. è insorto con ricorso per cassazione al Tribunale federale contro la sentenza della Corte cantonale, chiedendo il suo annullamento.
BGE 108 IV 68 S. 69
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso ed ha rinviato la causa al Tribunale cantonale amministrativo perché assolva il ricorrente.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
Il ricorrente adduce in primo luogo che la recinzione incriminata non è illecita; in secondo luogo, egli censura che la multa inflittagli ai sensi dell'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
sia stata commisurata in base alla totalità della superficie boscata del mappale.
a) Conviene esaminare preliminarmente se nella recinzione litigiosa, effettuata senza autorizzazione, possa ravvisarsi l'ipotesi contravvenzionale prevista dall'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
. Ove infatti tale disposizione non potesse applicarsi alla fattispecie concreta accertata dalla corte cantonale, la condanna dovrebbe essere comunque annullata, senza che occorra stabilire se nel caso concreto la recinzione fosse consentita sotto il profilo del diritto forestale.
b) L'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
punisce la diminuzione dell'aerea boschiva avvenuta senza il consenso dell'autorità federale o cantonale (
art. 31 LVPF
), ossia il dissodamento non autorizzato, con una multa da 20 a 50 franchi l'ara, con riserva dell'obbligo del rimboschimento.
La sentenza impugnata assimila la recinzione non autorizzata, quale impedimento al libero accesso al bosco, ad un dissodamento, e applica ad essa la stessa pena prevista per quest'ultimo. Orbene, è certo che una recinzione impedisce od ostacola il libero accesso al bosco, garantito dall'
art. 699 CC
(cfr.
DTF 106 Ib 47
,
DTF 105 Ib 272
,
DTF 96 I 102
), e pregiudica in tal modo la funzione sociale - oggi sempre più importante - del bosco quale spazio destinato al ristoro e allo svago. Nondimeno, anche un bosco recintato rimane bosco, come espressamente ricordato dall'art. 3 cpv. 2 dell'ordinanza d'esecuzione della LVPF (RS 921.01). La vegetazione silvestre non viene eliminata e continua a godere del divieto di dissodamento stabilito in linea di principio dall'
art. 31 LVPF
. La recinzione non fa venir meno i vantaggi ecologici né la funzione protettrice propria del bosco, né, di regola, altera il paesaggio. Mentre ad un'effettiva diminuzione dell'area boschiva, risultante da un dissodamento, può essere posto rimedio solo difficilmente ed in modo incompiuto (mediante rimboschimento nella stessa regione), le conseguenze di una recinzione abusiva sono suscettibili d'essere eliminate in modo
BGE 108 IV 68 S. 70
relativamente agevole, dato che la cinta non suole pregiudicare il bosco come tale, ma ne fa venir meno soltanto la funzione sociale.
Secondo il suo testo e il suo senso, l'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
si riferisce soltanto ad una vera e propria diminuzione dell'area boschiva. Tale norma penale non può, in via interpretativa, essere applicata al caso della recinzione non autorizzata. Anche nella prassi della giurisprudenza amministrativa l'autorizzazione di cintare una superficie boscata non è equiparata ad un permesso di dissodamento; essa è considerata soltanto quale deroga al divieto di recinzione (cfr.
DTF 106 Ib 52
).
Nell'applicare l'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
ad un caso di costruzione di una cinta e di posa di una siepe, la Corte cantonale ha violato il diritto federale; la sua sentenza va quindi annullata. Sotto il profilo del diritto amministrativo i motivi addotti dal ricorrente a favore della recinzione non appaiono molto convincenti; non deve peraltro essere deciso in questa sede se egli avesse diritto ad ottenere una deroga ai sensi dell'
art. 3 cpv. 1 OVPF
al divieto di recinzione stabilito in linea di principio. La sentenza impugnata dev'essere infatti annullata già perché contraria al diritto federale, in assenza di una specifica norma penale federale applicabile al proposito.
c) Dall'assenza nell'
art. 46 cpv. 1 n. 3 LVPF
di una specifica norma penale federale applicabile all'ipotesi di recinzione non autorizzata non discende tuttavia che una siffatta recinzione debba rimanere impunita. Ai sensi dell'
art. 48 LVPF
, i Cantoni possono emanare altre disposizioni penali relative alla polizia delle foreste. Inoltre, l'autorità competente può, nelle sue decisioni concrete dirette ad impedire una recinzione progettata o ad eliminare una recinzione già avvenuta, comminare espressamente la pena prevista dall'
art. 292 CP
per il caso di disobbedienza. | null | nan | it | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7399dcaf-3e61-42a0-8fc6-49d2c38e4e05 | Urteilskopf
139 V 473
61. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Erben des V. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_1038/2012 vom 18. Juli 2013 | Regeste a
Art. 15 Abs. 2 und 3 UVG
;
Art. 24 Abs. 1 UVV
.
Erzielte der Versicherte im Jahr vor dem Unfall nicht aus krankheitsbedingten vorübergehenden Gründen ein reduziertes Einkommen, sondern weil er invaliditätsbedingt dauernd nur teilzeitlich, aber mit regelmässigem Lohn erwerbstätig sein konnte, berechnet sich der versicherte Verdienst nach
Art. 15 Abs. 2 UVG
und nicht nach
Art. 24 Abs. 1 UVV
, auch wenn er (noch) keine Rente der Invalidenversicherung bezog (E. 4).
Regeste b
Art. 31 Abs. 4 und 5 UVG
;
Art. 43 Abs. 1 und 4 UVV
.
Die Komplementärrenten der Hinterlassenen berechnen sich ohne Berücksichtigung der Invalidenrente des Verstorbenen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 474
BGE 139 V 473 S. 474
A.
V., geboren 1958, war seit dem 26. Januar 2009 bei der Stadt Y. zu 60 % als Betriebsmitarbeiter tätig und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Unter Hinweis auf eine psychische Erkrankung meldete er sich am 18. Februar 2010 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 6. August 2010 erlitt er bei einem Verkehrsunfall tödliche Verletzungen.
Gemäss Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 5. Oktober 2010 stehen den Hinterlassenen eine Witwen- beziehungsweise Waisenrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) im Betrag von Fr. 1'804.- pro Monat zu. Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach V. mit Verfügung vom 12. Mai 2011 für den Monat August 2010 eine halbe Invalidenrente (nebst Kinderrenten) in der Höhe von Fr. 874.- zu.
Die SUVA anerkannte mit Verfügung vom 8. März 2011 den grundsätzlichen Anspruch der Ehegattin und der Kinder des Verstorbenen auf Hinterlassenenrenten nach UVG. Aufgrund einer Komplementärrentenberechnung, der ein versicherter Verdienst von Fr. 19'320.- zu Grunde lag, wurde indessen keine Rente gewährt. Eine gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wies die SUVA mit Entscheid vom 11. Juli 2011 ab.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. November 2012 in dem Sinne gut, als es den Leistungsanspruch der Beschwerde führenden Hinterlassenen auf der Basis eines versicherten Verdienstes von Fr. 48'059.- festlegte und die Sache an die SUVA zum Erlass entsprechender Verfügungen zurückwies.
C.
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der Entscheid des kantonalen Gerichts sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 11. Juli 2011 sei zu bestätigen.
Die Beschwerdegegner beantragen Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, während die Vorinstanz und das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichten.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Streitig und zu prüfen ist der versicherte Verdienst, welcher den UVG-Hinterlassenenrenten der Beschwerdegegner zugrunde liegt.
BGE 139 V 473 S. 475
3.1
Die Renten werden gemäss
Art. 15 Abs. 1 UVG
nach dem versicherten Verdienst bemessen. In Anwendung von
Art. 15 Abs. 2 UVG
gilt für die Bemessung der Rente grundsätzlich der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn als versicherter Verdienst. Massgebend für diesen Verdienst sind die tatsächlichen Lohnbezüge und nicht davon allenfalls abweichende vertragliche Abmachungen (vgl. zur Ermittlung des versicherten Verdienstes in der Arbeitslosenversicherung:
BGE 131 V 444
E. 3.2.1 S. 450;
BGE 128 V 189
E. 3a/aa S. 190 mit Hinweisen; in der beruflichen Vorsorge: SVR 2007 BVG Nr. 43 S. 154, B 67/06 E. 3 und 4). Anders als bei der Festsetzung des für die Invaliditätsbemessung massgebenden Valideneinkommens (
Art. 16 ATSG
[SR 830.1];
BGE 117 V 8
E. 2c/aa S. 18) ist grundsätzlich unerheblich, ob und gegebenenfalls inwieweit der bezogene Lohn eine Sozialkomponente enthält.
3.2
In
Art. 24 UVV
(SR 832.202) hat der Bundesrat gestützt auf
Art. 15 Abs. 3 UVG
Bestimmungen über den massgebenden Lohn für Renten in Sonderfällen erlassen. Gemäss Abs. 1 der Bestimmung wird der versicherte Verdienst nach dem Lohn festgesetzt, den der Versicherte ohne Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit erzielt hätte, wenn er im Jahr vor dem Unfall aus einem dieser Gründe einen verminderten Lohn bezogen hat. Beginnt die Rente mehr als fünf Jahre nach dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit, ist gemäss Abs. 2 der Lohn massgebend, den der Versicherte ohne den Unfall oder die Berufskrankheit im Jahre vor dem Rentenbeginn bezogen hätte, sofern er höher ist als der letzte vor dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit erzielte Lohn. Bezog der Versicherte sodann wegen beruflicher Ausbildung am Tage des Unfalles nicht den Lohn eines Versicherten mit voller Leistungsfähigkeit derselben Berufsart, wird gemäss Abs. 3 der versicherte Verdienst von dem Zeitpunkt an, da er die Ausbildung abgeschlossen hätte, nach dem Lohn festgesetzt, den er im Jahr vor dem Unfall als voll Leistungsfähiger erzielt hätte. Erleidet schliesslich der Bezüger einer Invalidenrente einen weiteren versicherten Unfall, der zu einer höheren Invalidität führt, ist gemäss Abs. 4 für die neue Rente aus beiden Unfällen der Lohn massgebend, den der Versicherte im Jahre vor dem letzten Unfall bezogen hätte, wenn früher kein versicherter Unfall eingetreten wäre. Ist dieser Lohn kleiner als der vor dem ersten versicherten Unfall bezogene Lohn, so ist der höhere Lohn massgebend.
BGE 139 V 473 S. 476
3.3
Die SUVA hat den versicherten Verdienst gestützt auf den vom Verstorbenen innerhalb des Jahres vor dem Unfall erzielten Bruttolohn von Fr. 19'320.- festgelegt, den dieser bei der Stadt Y. auf der Basis eines 60 %-Pensums erzielt hatte.
Demgegenüber berechnete die Vorinstanz den versicherten Verdienst in Anwendung der Spezialbestimmung von
Art. 24 Abs. 1 UVV
. Der Verstorbene habe im Jahr vor dem Unfall krankheitshalber einen verminderten Verdienst erzielt, weshalb als Basis auf das Jahreseinkommen zu einem früheren Zeitpunkt, in dem er noch voll erwerbstätig gewesen war, abzustellen sei.
4.
4.1
Massgebendes Kriterium für die Anwendung der Sonderregel von
Art. 24 Abs. 1 UVV
ist, ob der versicherte Verdienst im Jahr vor dem Unfall aus einem der in dieser Bestimmung genannten Gründe nicht "normal" war (
BGE 122 V 100
E. 5b S. 101). Entscheidend ist, dass er eine "Lohnlücke" (ALFRED MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 1985, S. 330) aufweist, die im Normalfall im Jahr vor dem Unfall nicht eingetreten wäre. FRÉSARD/MOSER-SZELESS sprechen von einer "Diminution provisoire du revenu", also von einer vorübergehenden Lohneinbusse (L'assurance-accidents obligatoire, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 889 Rz. 134). War die versicherte Person schon vor dem Unfall wegen Krankheit oder wegen eines Unfalles in der Erwerbsfähigkeit eingeschränkt und bezieht sie deswegen eine Rente, berechnet sich der versicherte Verdienst daher nicht nach der Spezialbestimmung von
Art. 24 Abs. 1 UVV
(
BGE 122 V 100
E. 5c S. 102; vgl. auch RUMO-JUNGO/HOLZER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, in: Bundesgesetz über die Unfallversicherung, Murer/Stauffer [Hrsg.], 4. Aufl. 2012, S. 117). Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht verschiedentlich bestätigt (Urteile 8C_151/2007 vom 28. Dezember 2007 E. 5.3; 8C_342/2008 vom 14. Mai 2009 E. 4).
4.2
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Verstorbene bereits seit April 2007 zu 50 % invalid war. Eine Rente der Invalidenversicherung konnte er allerdings wegen verspäteter Anmeldung erst ab August 2010 beziehen. Der Auffassung des kantonalen Gerichts, wonach der Lohn im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 UVV
vermindert gewesen sei, kann nicht beigepflichtet werden. Auch eine Invalidität unter diese Bestimmung zu subsumieren, lässt sich mit ihrem
BGE 139 V 473 S. 477
Wortlaut nicht vereinbaren, werden als Sonderfälle doch ein im Jahr vor dem Unfall verminderter Lohnbezug wegen Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit genannt. Es handelt sich bei den in
Art. 24 Abs. 1 UVV
genannten Gründen um eine abschliessende Aufzählung (
BGE 139 V 161
). Aus der dargelegten Rechtsprechung (
BGE 122 V 100
) kann nichts anderes abgeleitet werden. Das Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) hatte erkannt, dass sich der versicherte Verdienst, wenn der Versicherte schon vor dem Unfall wegen Krankheit oder eines Unfalls in der Erwerbsfähigkeit eingeschränkt war und deswegen eine Rente bezieht, nicht nach
Art. 24 Abs. 1 UVV
bestimmt, sondern nach den Abs. 4 und 5 von
Art. 24 UVV
, wobei Abs. 4 Bezüger von Renten der Unfallversicherung betrifft und den Sonderfall regelt, dass der Versicherte einen weiteren Unfall erleidet, welcher zu einer höheren Invalidität führt, Abs. 5, welcher zwischenzeitlich (per 31. Dezember 1997) aufgehoben wurde (vgl. dazu RKUV 1998 S. 71 ff., 74 sowie 92), dagegen Invalide betraf, die keine Rente der Unfallversicherung (wohl aber eine solche der IV) beziehen (
BGE 122 V 100
E. 5c S. 102 und RKUV 1991 S. 146, U 1/90 E. 3a). Dass der Bezug einer Rente (der Invalidenversicherung) massgebliches Kriterium für den Ausschluss einer Anrechnung des Lohnes ohne Krankheit im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 UVV
wäre und hier die Sonderfallregelung umgekehrt zufolge des fehlenden Rentenbezuges, dies jedoch bei unstreitiger Invalidität seit 2007, zur Anwendung gelangen müsste, lässt sich daraus nicht schliessen. Der in der dargelegten Rechtsprechung erwähnte Rentenbezug ist nicht als Voraussetzung für die Nichtanwendbarkeit von
Art. 24 Abs. 1 UVV
, sondern vielmehr als Begründungselement zu verstehen. In dem
BGE 122 V 100
zugrunde liegenden Fall ausschlaggebend für die Beurteilung war denn auch, dass der Versicherte während des ganzen zu berücksichtigenden Zeitraums eines Jahres vor dem Unfall gesundheitlich bedingt einen verminderten Lohn bezog, aber erst ab dem zwölften Monat invalidenversicherungsrechtlich als teilerwerbstätiger Invalider zu betrachten war (und auch eine Rente bezog), was zu einer Aufrechnung nach
Art. 24 Abs. 1 UVV
führte. Dass der Versicherte im vorliegenden Fall keine Rente der Invalidenversicherung bezog, ist aus den erläuterten Gründen nicht entscheidwesentlich, sondern vielmehr, dass er nach den Abklärungen der Invalidenversicherung schon seit 2007 invalid war
BGE 139 V 473 S. 478
und damit ein gesundheitlicher Dauerzustand mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit bestand (vgl. auch ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S. 201 ff., 223 f.). Entscheidend ist denn auch, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht im Verlauf des massgeblichen Zeitraums eines Jahres vor dem Unfall eingetreten ist beziehungsweise zu einer Lohnlücke geführt hat, sondern bei Stellenantritt im Januar 2009 bereits seit fast zwei Jahren bestanden hatte, sodass es jedenfalls nicht im Verlauf dieses Zeitraums zu einer vorübergehenden Lohneinbusse gekommen ist. Im Jahr vor dem Unfall erzielte der Versicherte demnach nicht aus krankheitsbedingten, vorübergehenden Gründen ein reduziertes Einkommen, sondern weil er invaliditätsbedingt dauernd nur teilzeitlich erwerbstätig sein konnte. Massgeblich ist, dass er im Jahr vor dem tödlichen Unfallereignis ein regelmässiges Einkommen erzielte. Der versicherte Verdienst berechnet sich daher nach der Grundregel von
Art. 15 Abs. 2 UVG
anhand des Lohnes, den er innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezog.
4.3
Die SUVA hat den versicherten Verdienst somit zu Recht auf Fr. 19'320.- festgelegt.
5.
5.1
Bei diesem Ausgang stellt sich wiederum die bereits im Einsprache- wie auch im vorinstanzlichen Verfahren und von den Beschwerdegegnern auch vor Bundesgericht aufgeworfene Frage, ob bei der Berechnung der Komplementärrente der Hinterlassenen (
Art. 31 Abs. 4 und 5 UVG
) in Anwendung von
Art. 43 Abs. 4 UVV
die dem Versicherten vor seinem Tod zugesprochene Rente der Invalidenversicherung und damit nicht die volle AHV-Rente der Hinterlassenen-, sondern nur deren Differenz zur Invalidenrente des verstorbenen Versicherten im Sinne der genannten Bestimmung zu berücksichtigen sei.
Die SUVA hat sich dazu in ihrem Einspracheentscheid vom 11. Juli 2011 - in welchem einzig diese Frage streitig war - dahingehend geäussert, dass die Bestimmung von
Art. 43 Abs. 4 UVV
in einem Fall wie dem vorliegenden praxisgemäss nicht anwendbar sei, habe doch nicht den Hinterlassenen selber vor dem Unfall ein Anspruch auf Rentenleistungen der AHV oder der IV zugestanden, sondern der verstorbene Versicherte habe eine Rente der Invalidenversicherung bezogen. Diese Auffassung bestätigte auch die Vorinstanz.
BGE 139 V 473 S. 479
5.2
Gemäss
Art. 20 Abs. 2 UVG
wird dem Versicherten eine Komplementärrente gewährt, wenn er Anspruch auf eine Rente der IV oder der AHV hat. Gleiches gilt nach
Art. 31 Abs. 4 UVG
für die Hinterlassenen. Gestützt auf
Art. 31 Abs. 5 UVG
regelt
Art. 43 UVV
die Berechnung der Komplementärrenten der Hinterlassenen. Gemäss dessen Abs. 1 werden die Witwen-, Witwer- und Waisenrenten der AHV voll berücksichtigt. Abs. 4 lautet wie folgt: "Wird infolge eines Unfalls eine Hinterlassenenrente der AHV oder eine Rente der IV erhöht, beziehungsweise eine Rente der IV durch eine Hinterlassenenrente der AHV abgelöst, so wird nur die Differenz zur früheren Rente berücksichtigt."
5.3
In den Materialien (RKUV 1997 S. 45 ff., 53 sowie S. 63 [französische Fassung], S. 73 [italienische Fassung]) wird Bezug genommen auf
Art. 24b AHVG
, wonach, wenn eine Person gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Witwen- oder Witwerrente und für eine Altersrente oder für eine Rente gemäss dem IVG erfüllt, nur die höhere Rente ausbezahlt wird. Es wird erläutert, dass infolge des Kongruenzgrundsatzes bei der Berechnung der Komplementärrente nur die Differenz zwischen der vorherigen und der neuen Leistung zu berücksichtigen sei.
5.4
Die Bestimmung von
Art. 43 UVV
über die Berechnung der Komplementärrenten der Hinterlassenen stellt das Pendant dar zu Art. 31 (und 32) UVV über die Berechnung der Komplementärrente des Versicherten (vgl. die Erläuterungen des Verordnungsgebers zu Art. 43 Abs. 1, RKUV 1997 S. 52).
Art. 32 Abs. 2 UVV
betrifft die Sonderfälle, dass der Unfall der versicherten Person (1) zu einer Erhöhung ihrer Rente der Invalidenversicherung führt, also eine bereits invalide Person einen Unfall erleidet und es dadurch zu einer invalidenversicherungsrechtlich rentenrelevanten Veränderung des Invaliditätsgrades kommt, oder (2) dass ihre Hinterlassenenrente der AHV zufolge des Unfalls durch eine Rente der Invalidenversicherung abgelöst wird, dass also eine verwitwete Person durch einen Unfall invalid wird. Ausschlaggebend ist in diesen Sonderfällen, dass die zufolge des Unfalls komplementärrentenberechtigte Person schon vor diesem Ereignis eine Rente der AHV oder IV bezogen hatte und diese, ebenfalls wegen des Unfalls, erhöht worden ist, weil sich der Invaliditätsgrad in rentenrelevantem Ausmass geändert hat, oder dass die zufolge des Unfalls zugesprochene Rente der IV höher ist als die vormalige AHV-Hinterlassenenrente, und
BGE 139 V 473 S. 480
deshalb gemäss
Art. 24b AHVG
nur noch die höhere Rente der IV ausbezahlt wird.
5.5
Gemäss dem Wortlaut der Bestimmung von
Art. 43 Abs. 4 UVV
sind mit der Normierung der Hinterlassenenrenten die Sonderfälle von Personen geregelt, die durch den Unfall des obligatorisch Unfallversicherten verwitwet sind und deshalb Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV haben, selber jedoch bereits eine AHV-Altersrente oder eine Rente der Invalidenversicherung bezogen haben. Dass der Einschub "beziehungsweise [wird] eine Rente der IV durch eine Hinterlassenenrente der AHV abgelöst" entgegen dem sprachlichen Verständnis (eingeschobener Beisatz) nicht als Präzisierung der vorgenannten IV-Renten-"Erhöhung" zu verstehen wäre, sondern eine weitere Fallkonstellation - wie die hier zu beurteilende - regeln würde, ist mit Blick auf den Willen des Verordnungsgebers auszuschliessen.
Zunächst gelangt
Art. 24b AHVG
, worauf in den Materialien ausdrücklich verwiesen wird, nur in den genannten beiden Sonderfällen von verwitweten Personen, welche bereits AHV- oder IV-rentenberechtigt waren, zur Anwendung, indem durch den (zufolge des Unfalls entstandenen) Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV zwei AHV- (Hinterlassenen- und Alters-) oder eine AHV- (Hinterlassenen-) und eine IV-Rente zusammentreffen und nur noch jeweils die höhere Rente (AHV-Hinterlassenenrente, AHV-Altersrente oder IV-Rente) ausbezahlt wird (gleich wie im oben E. 5.4 erwähnten Fall [2] der Komplementärrentenberechnung beim Versicherten). Der IV-Rentenanspruch des Versicherten hingegen erlischt mit dem Tod des Berechtigten (
Art. 30 IVG
) und es treffen daher keine AHV- und IV-Rentenansprüche zusammen.
Des Weiteren bezieht sich der Verordnungsgeber auf den Grundsatz der Kongruenz. Die gesetzliche Regelung von
Art. 20 Abs. 2 UVG
geht von der grundsätzlich vollen Anrechnung der IV- und AHV-Renten aus, und zwar unabhängig davon, ob die Renten in Zusammenhang mit dem gemäss UVG versicherten Unfall stehen (JEAN-MAURICE FRÉSARD, Rentes complémentaires de l'assurance-accidents obligatoire: Quelques effets indésirables de la simplicité, SVZ 60/1992 S. 287 ff., 292). Das Gesetz lässt Ausnahmen zu, wobei dem Verordnungsgeber gestützt auf
Art. 20 Abs. 3 UVG
ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Mit der auf den 1. Januar 1997 in Kraft gesetzten Änderung der Ausführungsbestimmungen über die
BGE 139 V 473 S. 481
Komplementärrenten der obligatorischen Unfallversicherung sollte nach dem Willen des Verordnungsgebers der Grundsatz der sachlichen Kongruenz der anrechenbaren Leistungen vermehrt berücksichtigt werden. Der Grundsatz der Kongruenz gilt indessen nur so weit, als der Verordnungsgeber es vorsieht (
BGE 130 V 39
E. 4.1 S. 43 f.). Was den vorliegenden Fall betrifft, findet sich, wie dargelegt, keine ausdrücklich vom Prinzip der vollen Anrechnung der Witwen-, Witwer- und Waisenrenten der AHV abweichende Regelung in einer Sondervorschrift des Verordnungsgebers. Es ist rechtsprechungsgemäss nicht Sache des Gerichts, den im Gesetz verankerten Grundsatz der vollen Anrechenbarkeit von AHV- und IV-Renten durch die abweichende Normierung einer Vielzahl von Sonderfällen auszuhöhlen, weshalb eine analoge Anwendung etwa von
Art. 32 Abs. 2 UVV
(Sonderfall [1] der Komplementärrente des Versicherten bei Erhöhung seiner Rente der Invalidenversicherung zufolge des Unfalls, vgl. oben E. 5.4) grundsätzlich ausgeschlossen ist (
BGE 130 V 39
E. 4.3 S. 45 ff.;
BGE 115 V 275
E. 3b/cc S. 283 f.; Urteil 8C_460/2010 vom 4. Januar 2011 E. 3.3; FRÉSARD, a.a.O.). In Betracht fällt dabei auch, dass bei selber bereits AHV-Altersrenten- oder (IV-)Invalidenrentenberechtigten der gleichzeitige Bezug einer AHV-Hinterlassenenrente gemäss
Art. 24b AHVG
ausgeschlossen ist und nur noch die jeweils höhere Rente ausbezahlt wird (
BGE 128 V 5
E. 2 S. 7; SVR 2011 AHV Nr. 9 S. 28, 9C_602/2010 E. 3), obwohl die zuvor schon bezogene Rente einen eigenen, alters- oder invaliditätsbedingten Verlust der Erwerbsfähigkeit abgedeckt hat (
BGE 115 V 266
E. 2 S. 270), während die AHV-Hinterlassenenrente dem Ausgleich des Versorgerschadens dient und auch allein auf den Beiträgen des verstorbenen Ehegatten beruht (
Art. 33 Abs. 1 AHVG
; SVR 2011 AHV Nr. 1 S. 1, 9C_83/2009 E. 3.1). Im vorliegenden Fall bezog die Witwe keine AHV- oder IV-Rente wegen alters- oder invaliditätsbedingten Verlustes ihrer eigenen Erwerbsfähigkeit.
5.6
Zusammengefasst gelangt die Sonderregel von
Art. 43 Abs. 4 UVV
nicht zur Anwendung, sondern die AHV-Hinterlassenenrenten der Beschwerdegegner sind bei der Berechnung ihrer Komplementärrente gemäss
Art. 43 Abs. 1 UVG
voll zu berücksichtigen. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
739d497b-77f0-4bdf-a7ec-659b39681cdb | Urteilskopf
98 Ib 396
58. Arrêt de la Ire Cour civile du 12 décembre 1970 dans la cause Canguilhem contre Bureau fédéral de la ropreté intellectuelle. | Regeste
Erfindunspatente.
Begriff der Erfindung,
Art. 1 PatG
(Erw. 3).
Ein Verfahren, das subjektive Begriffe zu messen und durch den Computer auszuwerten bestimmt ist, kann sowenig wie ein Computer-Programm patentiert werden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 397
BGE 98 Ib 396 S. 397
A.-
Jean-François Canguilhem a déposé le 16 décembre 1966 auprès du Bureau fédéral de la propriété intellectuelle (ci-après le Bureau) une demande de brevet intitulée "Procédé de mesure pour la quantification de notions subjectives multidimensionnelles et dispositifs pour la mise en oeuvre de ce procédé, constitués de programmes de calculateur électronique". La demande comportait une revendication, où le procédé de mesure était dénommé "Syntèse dimensionnelle", et trois sous-revendications. Par notification du 29 septembre 1967, confirmée le 19 juillet 1968, le Bureau a informé le requérant que le procédé pour lequel il demandait la protection n'appartenait pas au domaine de la technique et ne constituait dès lors pas une invention au sens de l'art. 1er LBI; il l'invitait en conséquence à retirer sa demande.
Le 19 février 1969, le requérant a déposé une description modifiée dans laquelle il formulait une nouvelle revendication, portant sur une machine informatique pour la mise en oeuvre du procédé dénommé "Synthèse dimensionnelle". Le Bureau a déclaré, par notifications des 11 juin 1970 et 9 juin 1971, que cette nouvelle revendication ne définissait aucune invention brevetable et a derechef invité le requérant à retirer sa demande.
Le 9 décembre 1971, Canguilhem a envoyé au Bureau une description modifiée où il formulait une revendication et 7 sous- revendications. La revendication définit un "procédé pour obtenir une information de valorisation d'une entité à caractère industriel au moyen d'un ordinateur et à partir de grandeurs quantitatives attribuées aux éléments dont est composée cette entité, caractérisé en ce que l'on attache à chaque élément un vecteur à N dimensions où N est le nombre de grandeurs attribuées à un même élément, en ce que ces vecteurs sont additionnés de manière pondérée et que le vecteur résultant est comparé à un vecteur de référence, la norme de la différence de ces deux vecteurs représentant l'information de valorisation de l'entité considérée". Les sous-revendications 1 et 2 définissent chacune un choix possible d'une unité de longueur. Les sous-
BGE 98 Ib 396 S. 398
revendications 3 à 7 donnent des formules permettant de calculer certaines grandeurs utiles.
B.-
Par décision du 5 juillet 1972, le Burea u a rejeté la demande de brevet selon l'art. 59 al. 1 LBI par le motif qu'il n'y avait pas invention au sens de l'art. 1er al. 1 LBI.
C.-
Jean-François Canguilhem recourt au Tribunal fédéral contre cette décision. Il conclut à son annulation, le Bureau étant tenu de poursuivre la procédure d'examen de la demande, et se déclare prêt à rédiger la revendication sous une nouvelle forme, selon le "libellé des revendications allemande et anglaise correspondantes", "si le Tribunal fédéral l'estime préférable".
Le Bureau propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'offre du recourant de modifier la rédaction de sa revendication dans le sens des demandes soumises aux autorités allemande et anglaise est irrecevable. L'invention dont le déposant requiert la protection se trouve définie dans la revendication (art. 51 LBI). Le juge administratif appelé à statuer sur la brevetabilité d'une invention, pas plus que le juge civil saisi d'une action en nullité d'un brevet, ne saurait substituer une autre revendication à celle que le déposant a soumise à l'examen du Bureau (cf. RO 92 II 56 consid. 6a et 287 consid. 3a).
Le recourant déclare que les "revendications allemande et anglaise correspondantes... revendiquent au début de texte tout l'ordinateur". Or la demande litigieuse porte sur un procédé permettant de quantifier des notions à caractère subjectif et muldimensionnel, de façon à les rendre saisissables "dans les processus de traitement de l'information par calculateur". L'ordinateur lui-même, qui est réputé connu et n'est pas décrit dans la demande, ne fait pas partie de l'invention. Rédigée sous la forme proposée à titre subsidiaire par le recourant, la revendication définirait ainsi une invention différente de celle qu'il a soumise à l'examen du Bureau.
2.
Le procédé dont le requérant demande la protection est destiné à mesurer des notions qualifiées de subjectives - telles que la difficulté, l'urgence, la compétence, la qualité -, selon leur degré d'importance déterminé dans chaque cas particulier, pour permettre leur traitement par ordinateur. Il consiste à attribuer une certaine valeur mesurable en temps et en longueur à tous les facteurs pris en considération, qui peuvent ainsi être
BGE 98 Ib 396 S. 399
représentés en paramètres graphiques, eux-mêmes transformés en formules mathématiques selon certains critères mis au point par le requérant. Ces données sont alors programmées pour pouvoir alimenter ensuite un ordinateur connu.
Ce procédé, qui constitue une méthode abstraite d'évaluation et de combinaison des divers facteurs pris en considération, ne répond pas à la définition de l'invention en droit suisse des brevets.
3.
Selon la doctrine et la jurisprudence, on se trouve en présence d'une invention lorsque, grâce à une idée créatrice, une combinaison nouvelle et originale des forces de la nature, dans l'acception la plus large de cette expression, aboutit à un effet technique utile, constituant un progrès notable (RO 95 I 581 et les arrêts cités; cf. TROLLER, Immaterialgüterrecht; 2e éd. 1968, p. 165; BLUM/PEDRAZZINI, n. 5-6 ad art. 1er LBI, I p. 72 ss.). L'invention n'est ni la force naturelle comme telle, ni le produit de son utilisation. C'est la règle abstraite dont la répétition conduit à un résultat technique déterminé, susceptible d'application industrielle. Elle indique comment maîtriser les forces de la nature pour les soumettre à l'homme. N'appartiennent pas à la technique et ne constituent dès lors pas des inventions au sens de la loi des instructions qui prescrivent à l'homme un certain comportement et produisent un résultat déterminé, sans intervention directe des forces de la nature. Ne sont par conséquent pas brevetables, par exemple, des systèmes de loteries, de comptabilité ou de sténographie, des règles de jeu, méthodes d'enseignement, tables de logarithmes (RO 95 I 581 et citations).
4.
La notion de l'invention en droit suisse des brevets est ainsi telle qu'une méthode constituée par un ensemble de règles ou de directives abstraites s'adressant à l'esprit de l'homme ne ressortit pas à la technique et n'est partant pas brevetable si elle ne fait pas intervenir les forces de la nature pour obtenir un effet technique. Peu importe que la méthode ait un caractère scientifique, qu'elle utilise des formules mathématiques ou nécessite l'emploi d'un ordinateur. L'application de ces principes conduit à dénier au procédé mis au point par le requérant le caractère d'une invention brevetable au sens de l'art. 1er LBI. Il n'en irait pas différemment si ledit procédé équivalait à un programme d'ordinateur, comme le soutient le requérant dans son recours. Un tel programme n'est en effet pas un procédé technique, car il
BGE 98 Ib 396 S. 400
ne met pas en oeuvre les forces de la nature. Comme le relève à juste titre le Bureau, l'établissement du programme d'ordinateur constitue une performance purement intellectuelle. La protection de la LBI doit lui être refusée, comme elle l'a été à un procédé de calcul de l'armature d'un bâtiment à l'aide d'un ordinateur (cf. décision du Bureau du 3 septembre 1968, dans Feuille suisse des brevets, dessins et marques du 29 novembre 1968, p. 53) et à un procédé planifiant l'aménagement des réseaux de distribution d'énergie électrique (RO 95 I 579).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
73a090e9-3457-4009-aba9-4fe6e7a5f610 | Urteilskopf
124 V 271
44. Arrêt du 15 juin 1998 dans la cause F. contre Caisse cantonale valaisanne de compensation et Tribunal cantonal des assurances, Sion | Regeste
Art. 42 Abs. 1 AHVG
(in der bis 31. Dezember 1996 gütlig gewesenen Fassung);
Art. 2 ELG
: Höhe der Ergänzungsleistung, welche einer altrechtlichen einkommensabhängigen ausserordentlichen Rente folgt.
Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung, die einem Versicherten beim Übergang seines Anspruchs auf eine altrechtliche einkommensabhängige ausserordentliche Rente auf das System der Ergänzungsleistungen denselben Gesamtbetrag (ordentliche Rente und Ergänzungsleistung) garantieren würde, den er vor dem Inkrafttreten der 10. AHV-Revision bezogen hat, stellt keine Gesetzeslücke dar. | Sachverhalt
ab Seite 271
BGE 124 V 271 S. 271
A.-
F., de nationalité chilienne, mariée, est entrée en Suisse le 25 février 1983. Depuis le 7 mars 1985, elle bénéficie du statut de réfugiée. Elle s'est vue reconnaître le droit à une demi-rente d'invalidité depuis le
BGE 124 V 271 S. 272
1er juillet 1986. Celle-ci lui a tout d'abord été servie sous la forme d'une rente simple partielle ordinaire - assortie de trois rentes complémentaires pour enfants - du 1er juillet 1986 au 31 janvier 1988, puis d'une rente extraordinaire à partir du 1er février 1988. Dès le 1er août 1989, une quatrième rente pour enfant s'y est ajoutée.
En outre, l'assurée a droit depuis le 1er février 1988 à des prestations complémentaires.
Les époux F. sont séparés judiciairement, dans le cadre de mesures protectrices de l'union conjugale, depuis le 31 juillet 1995. La garde des quatre enfants mineurs issus de l'union en 1981, 1982, 1983 et 1989 a été confiée à la mère, le père étant astreint à verser une pension alimentaire pour chacun d'entre eux, obligation qu'il ne respecte apparemment pas, faute de moyens.
B.-
Jusqu'à la fin de l'année 1996, l'assurée percevait les prestations mensuelles suivantes:
- demi-rente simple d'invalidité extraordinaire 485 francs
- quatre demi-rentes complémentaires à 194 francs 776 francs
- prestation complémentaire 1'167 francs
------------
2'428 francs
============
Pour 1997, à la suite de l'entrée en vigueur de la 10e révision de l'AVS, les prestations dues à l'assurée ont été fixées de la manière suivante, par décisions de l'Office de l'assurance-invalidité du canton du Valais du 27 décembre 1996 et de la Caisse cantonale valaisanne de compensation (ci-après: la caisse) du 10 janvier 1997:
- demi-rente simple d'invalidité ordinaire 192 francs
- quatre demi-rentes complémentaires à 77 francs 308 francs
- prestation complémentaire 1'789 francs
------------
2'289 francs
============
soit, au total, 139 francs de moins par mois.
C.-
L'assurée a recouru contre la décision du 10 janvier 1997 relative aux prestations complémentaires.
Invité en cours de procédure par la caisse à lui donner des instructions, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) a répondu que la décision attaquée était bien fondée.
Par jugement du 30 mai 1997, le Tribunal des assurances du canton du Valais a rejeté le recours. Il a considéré qu'ensuite de l'entrée en vigueur des
BGE 124 V 271 S. 273
nouvelles règles sur les conditions d'octroi d'une rente extraordinaire d'une part, et sur le droit aux prestations complémentaires d'autre part, le montant de la prestation complémentaire litigieuse avait été calculé conformément aux dispositions légales et aux directives administratives désormais applicables.
D.-
F. interjette recours de droit administratif contre ce jugement et conclut au renvoi de la cause à la caisse pour qu'elle procède à un nouveau calcul de la prestation complémentaire.
L'intimée conclut au rejet du recours.
L'OFAS a d'abord proposé de l'admettre. Par lettre du 26 février 1998, le juge délégué a invité l'OFAS à lui faire connaître les raisons pour lesquelles il s'était exprimé dans un sens contraire dans ses instructions précitées à la caisse. L'OFAS a répondu que ses conclusions tendaient en réalité à la mise en oeuvre d'un "paiement compensatoire" en faveur de l'assurée par une institution "Pro" (en l'occurrence, probablement Pro Infirmis). Les parties ont pu s'exprimer sur les déterminations complémentaires de l'OFAS.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'art. 1er al. 2 de l'arrêté fédéral concernant le statut des réfugiés et des apatrides dans l'assurance-vieillesse et survivants et dans l'assurance-invalidité (ARéf; RS 831.131.11), dans sa version en vigueur depuis le 1er janvier 1997, les réfugiés qui ont leur domicile et leur résidence habituelle en Suisse ont droit aux rentes extraordinaires de l'AVS, ainsi que de l'AI, aux mêmes conditions que les ressortissants suisses si, immédiatement avant la date à partir de laquelle ils demandent la rente, ils ont résidé en Suisse d'une manière ininterrompue pendant cinq années.
Aux termes de l'ancien
art. 42 al. 1 LAVS
(auquel renvoyait l'ancien
art. 39 al. 1 LAI
), les ressortissants suisses domiciliés en Suisse, qui n'avaient pas droit à une rente ordinaire ou dont la rente ordinaire était inférieure à la rente extraordinaire, avaient droit à cette dernière, dans la mesure où les deux tiers de leur revenu annuel, auquel était ajoutée une part équitable de leur fortune, n'atteignaient pas certaines limites. Cette disposition concernait principalement les personnes qui comptaient une durée incomplète de cotisations. La 10e révision de l'AVS a notamment entraîné le transfert au régime des prestations complémentaires de cette rente extraordinaire soumise aux limites de revenu (voir DUC, La 10e révision de l'AVS et la Constitution fédérale, in: RSAS 1990 p. 57 ss; message du Conseil fédéral concernant la 10e révision de
BGE 124 V 271 S. 274
l'assurance-vieillesse et survivants du 5 mars 1990 [FF 1990 II 62 ch. 346]).
En revanche, les rentes extraordinaires non soumises à limites de revenu ont été maintenues pour certaines personnes qui n'ont pas eu l'occasion de verser des cotisations à l'AVS. C'est ainsi que d'après le nouvel
art. 42 al. 1 LAVS
(en vigueur depuis le 1er janvier 1997), les ressortissants suisses qui ont leur domicile et leur résidence habituelle en Suisse ont droit à une rente extraordinaire s'ils ont le même nombre d'années d'assurance que les personnes de leur classe d'âge, mais ne peuvent prétendre à une rente ordinaire parce qu'ils n'ont pas été soumis à l'obligation de verser des cotisations pendant une année entière au moins. Ce droit revient également à leurs survivants. En vertu de l'
art. 39 al. 1 LAI
(dans sa teneur en vigueur depuis le 1er janvier 1997), cette réglementation s'applique aussi aux rentes extraordinaires de l'assurance-invalidité.
b) La recourante, au bénéfice du statut de réfugiée et qui réside en Suisse de manière ininterrompue depuis février 1983, comptait, lors de la survenance de son invalidité, deux ans et 11 mois de cotisations. Dès lors, depuis le 1er janvier 1997, elle ne remplit plus les conditions d'octroi d'une rente extraordinaire, ce qu'elle ne conteste d'ailleurs pas.
2.
Ne sont pas litigieux les montants de la demi-rente simple partielle ordinaire d'invalidité et des demi-rentes complémentaires pour enfants qui sont versées à la recourante depuis le 1er janvier 1997, selon décision de l'office cantonal de l'assurance-invalidité du 27 décembre 1996. D'autre part, devant le Tribunal fédéral des assurances, la recourante ne conteste plus la manière dont l'intimée a calculé le montant de la prestation complémentaire à laquelle elle a droit depuis le 1er janvier 1997. Ce calcul, au demeurant, n'apparaît pas critiquable.
La recourante soutient en revanche que, dans la mesure où l'entrée en vigueur de la 10e révision de l'AVS entraîne une diminution des prestations qui lui sont allouées au titre de l'assurance-invalidité et du régime des prestations complémentaires, alors que rien n'a changé dans sa situation, la loi présente une lacune authentique qu'il incombe au juge de combler comme il le ferait s'il avait à faire acte de législateur (
art. 1er al. 2 CC
). Cette lacune proviendrait du fait que ce dernier a omis de régler la situation qui se présente ici dans les dispositions transitoires de la révision précitée, par exemple en garantissant leurs droits acquis aux anciens titulaires de rentes extraordinaires soumises aux limites de revenu.
BGE 124 V 271 S. 275
a) On est en présence d'une lacune authentique lorsque le législateur s'est abstenu de régler un point qu'il aurait dû régler et qu'aucune solution ne se dégage du texte ou de l'interprétation de la loi. On a en revanche affaire à une lacune improprement dite lorsque la loi offre certes une réponse mais que celle-ci est insatisfaisante; il en va notamment ainsi lorsque le rattachement d'un état de fait à une disposition légale s'impose d'après son texte clair mais apparaît comme une application insoutenable de la loi d'un point de vue téléologique (
ATF 122 I 255
consid. 6a,
ATF 121 III 225
sv.). D'après la jurisprudence, seule l'existence d'une lacune authentique appelle l'intervention du juge, tandis qu'il lui est en principe interdit, selon la conception traditionnelle, de corriger les lacunes improprement dites, à moins que le fait d'invoquer le sens réputé déterminant de la norme ne soit constitutif d'un abus de droit, voire d'une violation de la Constitution (ATF
ATF 123 V 130
consid. 2,
ATF 121 III 226
,
ATF 121 V 176
consid. 4d,
ATF 119 V 254
sv. consid. 3b).
b) Cependant, il n'existe en l'espèce aucune lacune de la loi. En réalité, l'absence de toute norme légale garantissant à l'assuré, en cas de transfert au régime des prestations complémentaires de son droit à une rente extraordinaire soumise aux limites de revenu, le même montant total (rente ordinaire et prestation complémentaire) que celui qu'il touchait avant l'entrée en vigueur de la 10e révision de l'AVS, résulte d'un silence qualifié du législateur à qui le problème ne peut avoir échappé. C'est ainsi que dans son message précité, le Conseil fédéral a lui-même relevé que les prestations complémentaires sont "en général" plus élevées que la rente extraordinaire, ce qui implique qu'il peut exister des exceptions à cette règle générale (ibidem).
Par ailleurs, même si les anciennes rentes extraordinaires soumises aux limites de revenu et les prestations complémentaires sont toutes deux des prestations de besoin, dites non contributives car ne dépendant en rien des cotisations versées par l'ayant droit, il s'agit néanmoins de deux régimes différents et le passage de l'un à l'autre ne commande pas le maintien du statu quo (cf. dans le même sens, par analogie,
ATF 96 V 118
).
Enfin, il est de jurisprudence constante que le droit fédéral des assurances sociales ne connaît pas de droit acquis à une prestation d'assurance - ou au montant d'un telle prestation - à moins que la loi ne le prévoie par une disposition expresse (par ex.
ATF 113 V 118
sv. consid. 4c,
ATF 112 V 395
consid. 3d,
ATF 108 V 119
consid. 5), ce qui n'est pas le cas en l'occurrence.
3.
Il suit de là que le recours est mal fondé. (...). | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
73a309ef-4636-4a35-b344-bc89506d271b | Urteilskopf
135 IV 152
20. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause X. contre Ministère public de l'Etat de Fribourg et Y. (recours en matière pénale)
6B_492/2008 du 19 mai 2009 | Regeste
Art. 111 ff., 122 ff. und 134 StGB
; Tötung, Körperverletzung und Angriff; Konkurrenz.
Eine Konkurrenz zwischen
Art. 134 StGB
und den Art. 111 ff. oder den
Art. 122 ff. StGB
fällt nur in Betracht, wenn eine andere als die beim Angriff getötete oder verletzte Person in Gefahr gebracht wurde, oder wenn die Person, die während des Angriffs verletzt wurde, lediglich einfache Körperverletzungen erlitt, obgleich sie einer weitergehenden Gefährdung ausgesetzt war (E. 2.1). | Sachverhalt
ab Seite 152
BGE 135 IV 152 S. 152
A.
Le 1
er
octobre 2005, vers 6 heures 40, X., accompagné d'un compère, a agressé, sans raison, Y. S'il a toujours déclaré avoir agi seul, en dépit des déclarations des témoins, il a néanmoins reconnu avoir frappé la victime avec les poings et les pieds et lui avoir asséné des coups avec l'une de ses chaussures et une bouteille de bière en verre. Lors de son interpellation, il présentait un taux d'alcoolémie de 2.09
o
/oo.
Y. a subi d'importantes lésions au visage: fracas facial avec fractures de type Lefort II de l'os propre du nez et du plancher orbitaire gauche, diverses fractures dentaires et contusions thoraciques. Il a été hospitalisé du 11 au 17 octobre 2005. Sa durée d'incapacité de travail a été estimée entre six et huit semaines.
BGE 135 IV 152 S. 153
B.
Par jugement du 11 octobre 2006, le Tribunal pénal de l'arrondissement de la Sarine a condamné X., pour agression, à une peine de 22 mois d'emprisonnement, sous déduction de la détention préventive et ordonné un traitement ambulatoire.
C.
Par arrêt du 29 avril 2008, la Cour d'appel pénal du Tribunal cantonal fribourgeois a admis partiellement le recours de X. Elle l'a condamné, pour agression, à une peine privative de liberté de 22 mois, dont 6 mois fermes, le solde étant suspendu par l'octroi d'un sursis assorti à un délai d'épreuve de 4 ans et conditionné à une assistance de probation, à une abstinence contrôlée à l'alcool et aux produits stupéfiants ainsi qu'à la poursuite d'un traitement ambulatoire.
D.
X. dépose un recours en matière pénale au Tribunal fédéral. Il conclut, principalement, à sa condamnation pour lésions corporelles simples et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle réduise la quotité de la peine et lui accorde un sursis entier. Subsidiairement, il demande l'octroi du sursis entier. Il requiert également l'assistance judiciaire.
Le Tribunal cantonal n'a pas déposé d'observations. Le Ministère public a conclu à l'admission partielle du recours en ce sens que la peine privative de liberté de 22 mois est assortie du sursis avec un délai d'épreuve de 4 ans. Y. a renoncé à se déterminer.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Se plaignant d'une violation des
art. 123 et 134 CP
, le recourant soutient qu'il aurait dû être reconnu coupable de lésions corporelles simples et non pas d'agression, une seule personne ayant été blessée.
2.1
2.1.1
Aux termes de l'
art. 134 CP
, celui qui aura participé à une agression dirigée contre une ou plusieurs personnes au cours de laquelle l'une d'entre elles ou un tiers aura trouvé la mort ou subi une lésion corporelle sera puni d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou d'une peine pécuniaire. Pour que les éléments constitutifs de l'agression, qui est une infraction de mise en danger, soient réunis, il faut qu'une ou plusieurs des personnes agressées soient blessées ou tuées. Il s'agit là d'une condition objective de punissabilité. Cela signifie que l'auteur se rend passible d'une peine du seul fait de sa participation à l'agression. Par conséquent, il suffit de
BGE 135 IV 152 S. 154
prouver l'intention de l'auteur de participer à l'agression, sans qu'il ne soit nécessaire d'établir qu'il a voulu donner la mort ou provoquer des lésions corporelles (
ATF 118 IV 227
consid. 5b).
L'
art. 123 CP
réprime les lésions du corps humain ou de la santé qui ne peuvent être qualifiées de graves au sens de l'
art. 122 CP
. Cette disposition protège l'intégrité corporelle et la santé tant physique que psychique. Les lésions corporelles sont une infraction de résultat qui implique une atteinte importante aux biens juridiques ainsi protégés (
ATF 134 IV 189
consid. 1.1).
2.1.2
Il y a concours imparfait de lois lorsque, comme dans le cas de la spécialité, la définition légale d'une disposition spéciale renferme en elle-même tous les éléments constitutifs d'une disposition générale ou lorsque, comme dans le cas de l'absorption, l'une des deux dispositions considérées embrasse l'autre, sinon dans tous ses éléments constitutifs à tout le moins dans ses éléments essentiels que sont la culpabilité et l'illicéité, de telle sorte que cette disposition absorbe l'autre (
ATF 91 IV 211
consid. 4). Ce dernier critère dit de l'absorption peut être utilisé pour régler les rapports entre les infractions de mise en danger et celles de résultat (
ATF 118 IV 227
consid. 5b;
ATF 91 IV 193
consid. 4).
Ainsi, le Tribunal fédéral reconnaît que s'il peut être établi que l'un des agresseurs, intentionnellement ou par négligence, cause la mort ou les lésions corporelles, l'infraction d'homicide au sens des
art. 111 ss CP
ou de lésions visée par les
art. 122 ss CP
absorbe, en ce qui le concerne, l'agression au sens de l'
art. 134 CP
(
ATF 118 IV 227
consid. 5b; 6P.41/2006 du 12 mai 2006 consid. 7.1.3). En effet, les infractions d'homicide et de lésions corporelles saisissent et répriment déjà la mise en danger effective de la personne tuée ou blessée lors de l'agression. Dès lors, le concours entre l'
art. 134 CP
et les
art. 111 ss ou 122 ss CP
ne peut être envisagé que si, ensuite d'une agression, une personne déterminée autre que celle qui a été tuée ou blessée a été effectivement mise en danger (
ATF 118 IV 227
consid. 5b). Le concours est également envisageable, lorsque la personne, qui a été blessée lors de l'agression, n'a subi que des lésions corporelles simples, mais que la mise en danger a dépassé en intensité le résultat intervenu (STRATENWERTH/JENNY, Straftaten gegen Individualinteressen, 6
e
éd. 2003, § 4 n° 45 p. 85).
2.2
Le Tribunal de première instance a considéré qu'il n'était pas possible, à l'exception des coups donnés avec la chaussure et une
BGE 135 IV 152 S. 155
bouteille de bière en verre par le recourant et du coup de pied porté derrière la tête par son comparse, de déterminer lequel des deux avait asséné quel coup et quelle en avait été la conséquence parmi les différentes lésions subies par la victime. Il a également retenu que, quand bien même le recourant s'était montré plus violent que son comparse, aucune intention particulière relative aux lésions corporelles causées à la victime ne pouvait lui être imputée, celui-là ayant constamment déclaré qu'il ne poursuivait aucun but lorsqu'il avait frappé Y. et qu'il ne savait pas ce qu'il voulait lui faire en le tapant.
La Cour d'appel pénal a relevé qu'il n'était pas établi quels coups avaient causé quelles blessures et que le recourant ne démontrait pas que cette constatation aurait été erronée et que les blessures subies par la victime n'auraient pu provenir que des coups donnés par lui. Elle a conclu que l'intéressé devait donc être reconnu coupable d'agression au sens de l'
art. 134 CP
et non pas de lésions corporelles simples visées par l'
art. 123 CP
.
2.3
Il résulte de ces argumentations que les autorités cantonales ont perdu de vue la notion de coactivité (cf. infra consid. 2.3.1). Par ailleurs, elles n'ont pas cherché à établir l'intention du recourant, ni à déterminer si, à tout le moins, une infraction de résultat par dol éventuel pouvait être retenue à son encontre (cf. infra consid. 2.3.2).
2.3.1
Est un coauteur celui qui collabore, intentionnellement et de manière déterminante, avec d'autres personnes à la décision de commettre une infraction, à son organisation ou à son exécution, au point d'apparaître comme l'un des participants principaux; il faut que, d'après les circonstances du cas concret, la contribution du coauteur apparaisse essentielle à l'exécution de l'infraction. La seule volonté quant à l'acte ne suffit pas; il n'est toutefois pas nécessaire que le coauteur ait effectivement participé à l'exécution de l'acte ou qu'il ait pu l'influencer. La coactivité suppose une décision commune, qui ne doit cependant pas obligatoirement être expresse, mais peut aussi résulter d'actes concluants, le dol éventuel quant au résultat étant suffisant. Il n'est pas nécessaire que le coauteur participe à la conception du projet; il peut y adhérer ultérieurement. Il n'est pas non plus nécessaire que l'acte soit prémédité; le coauteur peut s'y associer en cours d'exécution. Ce qui est déterminant c'est que le coauteur se soit associé à la décision dont est issue l'infraction ou à la réalisation de cette dernière, dans des conditions ou dans une mesure qui le font apparaître comme un participant non pas secondaire, mais principal (
ATF 130 IV 58
consid. 9.2.1;
ATF 125 IV 134
consid. 3a).
BGE 135 IV 152 S. 156
Selon les constatations cantonales, le recourant a frappé Y. au visage avec un soulier tandis que son comparse lui a asséné un coup de pied derrière la tête ce qui l'a fait tomber. Les compères ont ensuite continué à lui porter des coups, avec les pieds et les poings, notamment à la tête, ce qui lui a fait perdre connaissance. Le recourant, qui s'est montré plus violent que son acolyte, a également frappé la victime avec une bouteille de bière en verre. Sur le vu de ces éléments, la contribution des deux auteurs a été essentielle à l'exécution de l'infraction commise, de sorte que les deux hommes peuvent être considérés comme des coauteurs. Partant, il n'est plus nécessaire de déterminer qui a donné quels coups pour causer quelles blessures, le résultat intervenu étant de toute évidence la conséquence d'une action conjointe.
2.3.2
Les infractions de lésions corporelles peuvent être commises par dol éventuel, élément subjectif qui est réalisé lorsque l'auteur envisage le résultat dommageable, mais agit néanmoins, même s'il ne le souhaite pas, parce qu'il s'en accommode pour le cas où il se produirait (
ATF 130 IV 58
consid. 8.2;
ATF 125 IV 242
consid. 3c). Déterminer ce qu'une personne a su, envisagé, voulu ou accepté relève des constatations de faits, qui lient la Cour de droit pénal, à moins que ceux-ci n'aient été établis de façon manifestement inexacte. Est en revanche une question de droit, celle de savoir si l'autorité cantonale s'est fondée sur une juste conception du dol éventuel et si elle l'a correctement appliquée au vu des éléments retenus (
ATF 125 IV 242
consid. 3c).
En l'occurrence, les autorités précédentes n'ont pas cherché à savoir avec quelle intention le recourant avait agi et si, à tout le moins, le dol éventuel ne pouvait être retenu au regard des éléments révélateurs du contenu de la conscience et de la volonté, comme la probabilité connue par l'auteur de la réalisation du risque, l'importance de la violation du devoir de prudence, les mobiles de l'agresseur et la manière dont ce dernier a agi. En effet, il n'est pas rare que l'intention doit être déterminée, alors que les auteurs n'ont fait aucun aveu à ce propos ou ne se sont pas précisément prononcés sur cette question.
2.3.2.1
En début d'agression, les compères ont tous deux frappé la victime, le recourant la tapant au visage avec un soulier et son acolyte lui assénant un coup de pied derrière la tête. Une fois la victime à terre, les deux hommes ont continué à lui porter des coups de pied
BGE 135 IV 152 S. 157
et de poing à la tête. Dans ces circonstances et plus particulièrement au regard du fait que les agresseurs ont agi de concert, qu'ils ont porté leurs coups essentiellement à la tête de leur victime et que cette dernière s'est rapidement retrouvée à terre, il est manifeste que le recourant devait se représenter comme possible le résultat intervenu et l'accepter au cas où il se produirait. Dès lors, le recourant aurait bel et bien dû être condamné pour une infraction de résultat, soit à tout le moins pour lésions corporelles simples au sens de l'
art. 123 CP
. La question de savoir si les constatations cantonales auraient été suffisantes pour retenir le délit manqué de lésions corporelles graves par dol éventuel (cf.
art. 122 CP
) peut rester ouverte au regard du principe de l'interdiction de la reformatio in pejus.
2.3.2.2
Reste que si, dans le cas particulier, l'intimé n'a subi que des lésions corporelles simples, la mise en danger créée par les coups qui lui ont été portés a, de manière évidente, dépassé en intensité le résultat intervenu. En effet, le fait d'asséner, en bande, de multiples coups à la tête d'une personne qui ne se défend pas et gît à terre et de frapper plus particulièrement avec les poings, les pieds ou d'autres objets dangereux tels qu'une bouteille en verre est propre à causer des lésions corporelles graves, voire même éventuellement la mort. Dans ces conditions et au regard de la jurisprudence exposée au consid. 2.1.2 in fine, l'infraction d'agression au sens de l'
art. 134 CP
s'applique théoriquement en concours avec celle de lésions corporelles, qui ne peut toutefois être retenue compte tenu du principe de l'interdiction de la reformatio in pejus. Partant, la condamnation du recourant pour agression ne viole pas le droit fédéral et le grief doit être rejeté. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
73a44520-8ae6-4f12-8d60-c266b4378ac5 | Urteilskopf
139 V 393
51. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre A. (recours en matière de droit public)
9C_984/2012 du 12 juillet 2013 | Regeste
Art. 1 Bst. f Ziff. i, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern; persönlicher Geltungsbereich; Leistungsexport.
Ein Bezüger einer Rente der schweizerischen AHV peruanischer Nationalität, der mit einer britischen Staatsangehörigen verheiratet ist, kann sich auf die Grundsätze der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71) sowie des Leistungsexports (Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71) berufen und seine AHV-Rente weiterhin beziehen, nachdem das Ehepaar die Schweiz verlassen hat, um sich in Grossbritannien niederzulassen (E. 4-6). | Sachverhalt
ab Seite 394
BGE 139 V 393 S. 394
A.
A., ressortissant péruvien, est entré en Suisse en novembre 1981. Il a cotisé au régime suisse de sécurité sociale. Il a épousé en décembre 1994 B., ressortissante britannique, établie et travaillant en Suisse depuis novembre 1973. S'il apparaît qu'il a exercé différentes activités lucratives en Suisse, tel n'est plus le cas depuis 1997, au moins.
Sollicitée, la Caisse cantonale vaudoise de compensation a alloué des rentes de vieillesse aux époux, à partir du 1
er
juillet 2009 pour l'épouse (décision du 5 juin 2009) et du 1
er
avril 2006 pour l'époux (décision du 12 juin 2009).
Compétente depuis l'installation du couple en Grande-Bretagne en juillet 2010, la Caisse suisse de compensation (ci-après: la caisse) a supprimé la rente de l'époux (décision du 13 juillet 2010 confirmée sur opposition le 5 octobre 2010). Elle soutenait qu'il n'en remplissait plus les conditions d'octroi dès lors qu'il était de nationalité péruvienne, qu'il ne résidait plus en Suisse et qu'il n'existait aucune Convention de sécurité sociale entre le Pérou et la Suisse.
B.
Saisi d'un recours de A. qui invoquait une violation de dispositions procédant du droit de la sécurité sociale de l'Union européenne
BGE 139 V 393 S. 395
et concluait au maintien de sa rente malgré le transfert de son domicile dans un autre pays, le Tribunal administratif fédéral, Cour III, l'a admis (jugement du 8 octobre 2012).
C.
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement. Il en demande l'annulation et conclut à la confirmation de la décision sur opposition.
A. conclut au rejet sous suite de frais et dépens tandis que la caisse en propose l'admission.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le recourant reproche substantiellement à l'autorité précédente d'avoir considéré que, dans la mesure où il était marié à une citoyenne britannique ayant exercé une activité salariée en Suisse, l'assuré pouvait invoquer le Règlement (CEE) n° 1408/71 du Conseil du 14 juin 1971 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (RO 2004 121; ci-après: règlement n° 1408/71) conformément à ses
art. 2 par. 1 et 1 let
. f ainsi qu'à la jurisprudence européenne et, en particulier, se prévaloir des principes de non-discrimination et d'exportation des prestations prévus aux art. 3 par. 1 et 10 par. 1 dudit règlement.
4.
Compte tenu des griefs du recourant (cf. consid. 3) et de l'exigence de motivation prévue à l'
art. 42 al. 2 LTF
(à ce propos, cf.
ATF 133 III 545
consid. 2.2 p. 550; FLORENCE AUBRY GIRARDIN, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 25 ad
art. 42 LTF
), il conviendra de déterminer si l'intimé entre dans le champ d'application personnel du règlement n° 1408/71.
4.1
Conformément à ce que les premiers juges ont correctement mentionné, le règlement n° 1408/71 vise - notamment - les travailleurs salariés qui sont ou ont été soumis à la législation d'un ou de plusieurs Etats membres et qui sont des ressortissants d'un de ces Etats, ainsi que les membres de leur famille (cf. art. 2 par. 1 du règlement n° 1408/71). Il précise ce qu'il faut entendre par travailleur salarié (cf. art. 1 let. a du règlement n° 1408/71) et par membre de la famille (cf.
art. 1 let
. f point i du règlement n° 1408/71). On
BGE 139 V 393 S. 396
relèvera à cet égard que le ressortissant de l'Union européenne qui, ayant exercé une activité salariée en Suisse avant de rentrer dans son pays d'origine, perçoit une rente de l'AVS suisse est compris dans la catégorie des travailleurs salariés selon la jurisprudence fédérale (cf.
ATF 138 V 197
consid. 4.2 p. 201;
ATF 134 V 236
consid. 5.2.3 p. 245 s.) et que, si le travailleur salarié doit être ressortissant d'un Etat membre, apatride ou réfugié résidant sur le territoire d'un Etat membre pour relever du règlement n° 1408/71, aucune condition de nationalité n'est requise pour le membre de la famille d'un travailleur ressortissant communautaire pour que ce règlement lui soit applicable (à ce propos, cf. arrêt 9C_277/2007 du 12 février 2008 consid. 4.1 correctement cité par l'autorité précédente; voir aussi BERNARD TEYSSIÉ, Code de droit social européen 2006, 6
e
éd. 2005, n° 1 ad art. 2 par. 1 du règlement n° 1408/71 p. 997).
4.2
Il est ainsi patent que, en tant que conjoint d'une citoyenne britannique ayant travaillé en Suisse, l'assuré doit être considéré comme un membre de la famille d'un travailleur issu d'un Etat membre de l'Union européenne ayant exercé une activité salariée en Suisse et pouvoir en principe se prévaloir des droits et systèmes de protection mis en place par le règlement n° 1408/71.
5.
5.1
Au titre de la protection dont peut bénéficier la personne à laquelle le règlement n° 1408/71 s'applique figurent les principes de non-discrimination et d'exportation des prestations (cf. par. 1 des art. 3 et 10 du règlement n° 1408/71 correctement cité par l'autorité précédente).
5.2
La jurisprudence européenne (sur l'étendue de la reprise de la jurisprudence européenne, cf.
ATF 132 V 53
consid. 2 p. 55 s. et la référence) a cependant apporté des restrictions à la protection que le règlement n° 1408/71 confère aux membres de la famille selon la nature des droits invoqués.
5.2.1
La Cour de justice des Communautés européennes (ci-après: la CJCE; devenue entre-temps la Cour de justice de l'Union européenne) faisait une nette distinction entre les droits propres et les droits dérivés. Les droits propres du membre de la famille sont ceux que la législation du pays qui sert les prestations lui alloue indépendamment de tout lien de parenté avec le travailleur migrant alors que les droits dérivés sont ceux dont il bénéficie en qualité de membre de la famille du travailleur migrant (cf.
ATF 133 V 320
consid. 5.2.2
BGE 139 V 393 S. 397
p. 324 s.; arrêt 9C_348/2007 du 10 décembre 2007 consid. 4.3.1, in SVR 2008 IV n° 37 p. 125; voir également SILVIA BUCHER, Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen und soziale Vergünstigungen: Eine europarechtliche Untersuchung mit Blick auf schweizerische Ergänzungsleistungen und Arbeitslosenhilfen, 2000, p. 102 n
o
238); peu importe que le risque se soit produit en la personne du travailleur migrant ou en celle du membre de sa famille (cf. BUCHER, op. cit., p. 110 n
o
259). La distinction entre droits propres et droits dérivés a dans un premier temps eu pour effet d'exclure les membres de la famille d'un travailleur du principe de l'égalité de traitement prévue à l'art. 3 par. 1 du règlement n° 1408/71 dans la mesure où les membres de la famille et les survivants ne pouvaient prétendre qu'aux droits dérivés mais pas aux droits propres (cf. arrêt de la CJCE du 23 novembre 1976 C-40/76
Kermaschek
, Rec. 1976 1669;
ATF 132 V 184
consid. 5.2.2 p. 192).
5.2.2
Par la suite, la CJCE a limité la portée de la jurisprudence
Ke
rmaschek
dans son arrêt du 30 avril 1996 C-308/93
Cabanis-Issarte
, Rec. 1996 I-2097. Sur la base du constat que la distinction entre droits propres et droits dérivés risquait d'avoir pour conséquence de porter atteinte à l'exigence fondamentale de l'ordre juridique communautaire que constitue l'uniformité d'application des règles en faisant dépendre leur applicabilité aux particuliers de la qualification de droit propre ou de droit dérivé donnée par la législation nationale applicable aux prestations en cause au regard des particularités du régime interne de sécurité sociale (cf. point 31), elle a admis que les membres de la famille d'un travailleur migrant pouvaient invoquer directement le principe de l'égalité de traitement prévu à l'art. 3 par. 1 du règlement n° 1408/71 (cf. point 44), même en relation avec leurs droits propres (cf. points 33 et 34). Contrairement à ce que soutient le recourant, si le contexte de l'arrêt
Cabanis-Issarte
(périodes d'assurance et fixation des cotisations) est certes différent de celui du cas particulier (exportation des prestations), il n'en demeure pas moins que la CJCE en a déduit un principe général (cf. point 34) applicable notamment au cas particulier. Il apparaît concrètement que les membres de la famille d'un travailleur migrant possèdent le droit originaire à un traitement égal en ce qui concerne toutes les prestations qui, par leur nature, ne sont pas exclusivement dues aux travailleurs, comme les prestations de chômage par exemple (dans ce sens, cf. notamment ROSE LANGER, in Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, Maximilian Fuchs [Hrsg.], 4
e
éd., Baden-Baden
BGE 139 V 393 S. 398
2005, n° 17 ad art. 42 du Traité instituant la Communauté européenne p. 62). La CJCE a en outre considéré que l'impossibilité pour le conjoint d'un travailleur - qui après avoir accompagné celui-ci dans une autre Etat membre déciderait de retourner dans son Etat d'origine avec ce travailleur - de se prévaloir de la règle de l'égalité de traitement pour l'octroi de certaines prestations prévues par la législation du dernier Etat d'emploi aurait des répercussions négatives sur la libre circulation des travailleurs dans le cadre de laquelle s'inscrit la réglementation communautaire relative à la coordination des législations nationales de sécurité sociale. Selon elle, il serait en effet contraire au but et à l'esprit de cette réglementation de priver le conjoint d'un travailleur migrant du bénéfice du principe de non-discrimination pour la liquidation de prestations de vieillesse auxquelles il aurait pu prétendre dans des conditions d'égalité de traitement avec les nationaux s'il était resté dans l'Etat d'accueil (cf. point 30; dans ce sens, voir également TEYSSIÉ, op. cit., n° 4 ad art. 3 par. 1 du règlement n° 1408/71 p. 1000).
5.3
En résumé, compte tenu du but et de l'esprit de la réglementation communautaire en matière de sécurité sociale et de la nécessité d'appliquer cette dernière de manière uniforme, il y a lieu de considérer que, hormis les cas où il ressort du règlement n° 1408/71 qu'on est en présence d'une prestation dont seul le travailleur peut revendiquer le bénéfice sur une base non discriminatoire, les membres de la famille doivent se voir appliquer la législation de sécurité sociale de l'Etat d'emploi du travailleur dans les mêmes conditions que les nationaux de celui-ci.
6.
Compte tenu de ce qui précède et dans la mesure où la Suisse ne fait pas obstacle au versement à l'étranger d'une rente AVS pour ses ressortissants (cf.
art. 18 al. 1 et 2 LAVS
), l'intimé peut demander à être traité de façon non discriminatoire et à percevoir sa rente en Grande-Bretagne. Peu importe que, comme le mentionne le recourant, le droit à une rente AVS suisse soit un droit propre. Par ailleurs, l'assuré est légitimé à requérir directement le bénéfice de l'art. 10 par. 1 du règlement n° 1408/71. Le recours doit donc être rejeté. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
73a52c34-73a0-4957-9a4a-00a51493f97a | Urteilskopf
99 Ib 94
11. Extrait de l'arrêt du 2 février 1973 dans la cause Ligue suisse pour la protection de la nature contre Hadbi et Conseil d'Etat du canton du Valais. | Regeste
Rodungsbewilligung; BG vom 11. Oktober 1902/18. März 1971 betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei und Vollziehungsverordnung vom 1. Oktober 1965/25. August 1971 (FPolV).
1. Eine nach
Art. 12 Abs. 1 NHG
zur Beschwerde berechtigte Vereinigung ist nicht legitimiert, den für die Ersatzaufforstung erhobenen Geldbetrag zu beanstanden (Erw. 1 a).
2. Im Bereich der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gibt es keine Anschlussbeschwerde (Erw. 1 b).
3. Das Fehlen einer Begründung und einer Rechtsmittelbelehrung rechtfertigt die Aufhebung der Verfügung nur, wenn dem Beschwerdeführer infolge des Mangels ein Nachteil erwächst (Erw. 2).
4. Selbst wenn die Voraussetzungen nach
Art. 26 FPolV
nicht erfüllt sind, ist die Rodungsbewilligung zu erteilen, wenn die Verweigerung - wie hier - mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar ist (Erw. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 99 Ib 94 S. 95
Résumé des faits:
A.-
La Grande Bourgeoisie des cinq communes de la Contrée de Sierre était propriétaire dès avant 1912 d'une forêt de 20 000 m2 environ, située à La Combaz, sur le territoire de la commune de Randogne.
BGE 99 Ib 94 S. 96
Le 14 septembre 1926, le Conseil de la Grande Bourgeoisie et les assemblées bourgeoisiales intéressées décidèrent de vendre ce bien-fonds. Ils y furent autorisés le 2 octobre 1926 par le Conseil d'Etat du Valais.
La vente eut lieu le 12 juillet 1929, Félix Meyer, entrepreneur à Sion, se portant acheteur pour 93 000 fr. Le 29 août 1929, le Conseil d'Etat homologua l'opération, moyennant versement du 10% du prix "à la caisse de reboisement de la Grande Bourgeoisie, en vue de la création d'un fonds de réserve destiné à couvrir les frais des améliorations forestières projetées et de l'établissement du plan d'aménagement". Cette part de 10%, qui fut régulièrement payée, n'a pas encore été utilisée.
B.-
A partir de 1929, la forêt de La Combaz fut morcelée. Les parcelles nos 398 et 399 changèrent plusieurs fois de propriétaire avant d'être acquises, en 1969, par Marie-Thérèse Hadbi. Aux termes d'un extrait du cadastre, la première parcelle comprend une place et une forêt de 2092 m2; quant à la seconde, il s'agit d'une part de place de 1392 m2. L'une et l'autre sont évaluées au cadastre à 35 fr. le m2.
Marie-Thérèse Hadbi fut autorisée par la commission cantonale des constructions et par la commune de Randogne à édifier deux bâtiments sur ses fonds. Après le commencement des travaux, elle s'avisa de la nécessité d'obtenirle permis de déboiser une surface d'environ 800 m2. Le 7 juin 1972, le Conseil d'Etat fit droit à sa requête, en subordonnant l'autorisation accordée à diverses conditions, notamment à la mise à disposition d'un terrain de compensation de 800 m2 et au versement de 2000 fr. à titre de garantie, l'inexécution de l'obligation de fournir la prestation de remplacement devant entraîner le paiement des frais de reboisement.
C.-
La Ligue suisse pour la protection de la nature forme un recours de droit administratif contre le prononcé du Conseil d'Etat, dont elle demande l'annulation.
D.-
L'intimée, Marie-Thérèse Hadbi, conclut au rejet du recours. Elle se demande si, eu égard au paiement d'une partie du prix fixé en 1929 à une caisse de reboisement, elle n'est pas dispensée de fournir maintenant le terrain de compensation exigé par la décision attaquée.
Le Conseil d'Etat s'oppose également au recours, Il estime qu'après avoir homologué la vente de la parcelle litigieuse comme terrain à bâtir, il eût violé le principe de la bonne foi en refusant le permis de défricher.
BGE 99 Ib 94 S. 97
Le Département fédéral de l'intérieur constate que les prescriptions fédérales sur les forêts interdisent en l'espèce le déboisement envisagé. Il doute de la pertinence du moyen tiré de la bonne foi par le Conseil d'Etat, qui n'était pas compétent en 1929 et ne l'est pas davantage aujourd'hui pour autoriser le défrichement de 20 000 m2. Il relève d'ailleurs que Marie-Thérèse Hadbi semble avoir acheté son immeuble en 1969 en tant que terrain forestier.
E.-
Appelée à s'expliquer sur les prises de position de Marie-Thérèse Hadbi et du Conseil d'Etat, la recourante maintient ses conclusions. A son avis, ni les circonstances de la vente de 1929 ni la taxe cadastrale n'ont fait perdre aux immeubles de l'intimée leur caractère de forêt et ne justifient la délivrance de l'autorisation contestée.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les conclusions des parties soulèvent deux questions de recevabilité.
a) L'art. 12 al. 1 de la loi fédérale sur la protection de la nature et du paysage (ci-après: loi sur la protection de la nature ou LPN) ouvre la voie du recours de droit administratif "aux associations d'importance nationale qui, aux termes de leurs statuts, se vouent à la protection de la nature et du paysage par pur idéal". Le droit de recours conféré par cette disposition peut s'exercer contre toutes les décisions prises dans l'accomplissement des tâches que l'art. 24 sexies al. 2 Cst. attribue à la Confédération. En particulier, il est loisible aux associations visées par la loi sur la protection de la nature de recourir contre les autorisations de défricher, que l'art. 2 lit. b de cette loi mentionne expressément parmi les mesures prévues par le texte constitutionnel. Dès lors, en tant qu'association d'importance nationale, ayant pour but statutaire de protéger l'aspect du paysage et de favoriser son développement harmonieux, la recourante a qualité pour se plaindre, par un recours de droit administratif, de la violation des dispositions sur le défrichement, telles qu'elles sont contenues dans la loi concernant la haute surveillance de la Confédération sur la police des forêts (ci-après: loi sur la police des forêts), ainsi que dans l'ordonnance d'exécution du 1er octobre 1965 (RO 96 I 504 s., 691). Aussi, en l'espèce, est-elle habile à s'en prendre à la décision par laquelle le Conseil d'Etat valaisan a autorisé l'intimée à déboiser une partie de ses fonds.
BGE 99 Ib 94 S. 98
Quoique la décision entreprise émane d'une autorité cantonale, elle a été rendue sur délégation du Conseil fédéral en vertu de l'art. 25 bis al. 1 lit. a de l'ordonnance d'exécution, soit dans l'accomplissement d'une tâche confiée à la Confédération par le constituant. Elle est donc bien susceptible d'être attaquée par une association qui, telle la Ligue suisse pour la protection de la nature, peut se prévaloir de l'art. 12 al. 1 LPN.
Cependant, ainsi qu'il résulte de cette disposition, la recourante n'a vocation pour agir qu'en vue de protéger la nature et le paysage. Certes, il lui appartient de demander par la voie d'un recours qu'en cas d'octroi d'un permis de défricher, l'autorité compétente exige du bénéficiaire, conformément à l'art. 26 bis al. 1 à 3 de l'ordonnance d'exécution, la compensation en nature ou en espèces nécessaire au reboisement; c'est là, en effet, une mesure destinée à maintenir l'aire forestière, c'est-à-dire à sauvegarder la nature et le paysage. En revanche, la recourante ne saurait mettre en question le montant de la compensation en espèces; dépendant du prix du terrain où l'afforestation aura lieu, ce montant variera selon les conditions et même les régions. En général, il sera difficile de vérifier au moment du défrichement si la somme à verser suffit à assurer effectivement le reboisement requis; par conséquent, l'importance de cette somme n'est pas liée assez étroitement à la protection de la nature et du paysage pour pouvoir être discutée par la recourante dans un recours de droit administratif. Au demeurant, les critiques formulées à ce sujet dans le présent recours sont mal fondées. La décision entreprise subordonne l'autorisation de défricher à la fourniture d'un terrain de compensation de 800 m2 jusqu'au 30 septembre 1972 ou au payement effectif des frais de reboisement. Si elle invite en outre l'intimée à verser 2000 fr. à titre de garantie, elle n'arrête pas à ce montant l'indemnité qui sera due éventuellement. Aussi est-il prématuré de qualifier d'insuffisante la condition pécuniaire à laquelle le défrichement a été soumis.
b) Dans sa réponse, l'intimée se demande si elle a été invitée à bon droit à fournir un terrain de compensation. Dans la mesure où cette question doit être considérée comme une conclusion, celle-ci est irrecevable.
L'art. 106 al. 1 OJ prescrit que le recours de droit administratif doit être déposé au Tribunal fédéral dans les 30 jours ou les 10 jours dès la notification de la décision attaquée, selon qu'il
BGE 99 Ib 94 S. 99
s'agit d'une décision principale ou incidente. Sous réserve des exceptions prévues par les lois spéciales, cette disposition fixe d'une façon exhaustive les délais dans lesquels un recours de droit administratif peut être formé. Elle exclut donc implicitement le recoursjoint, soit les conclusions prises par l'intimé d'une manière indépendante à l'expiration des délais de recours. Une fois ces délais passés, l'intimé ne peut que proposer l'irrecevabilité ou le rejet du recours, en tout ou en partie, à moins qu'une loi spéciale n'en dispose autrement (cf. art. 78 al. 2 LEx.).
En l'espèce, la question soulevée par l'intimée au sujet de la prestation de remplacement a été présentée dans la réponse, c'est-à-dire après le délai de recours. Loin de rester dans le cadre des conclusions du recours, elle tend à la suppression d'une mesure que pour sa part la recourante estime au contraire insuffisante. Dès lors, si elle est assimilable à une conclusion, il ne peut s'agir que de la conclusion d'un recours joint. D'où son irrecevabilité.
2.
La recourante reproche en premier lieu divers vices de forme à la décision attaquée.
a) Il s'agit tout d'abord de l'absence de motifs.
L'art. 35 al. 1 LPA exige la motivation des décisions notifiées par écrit. En vertu de l'art. 1er al. 3 LPA, cette obligation s'impose même aux autorités cantonales de dernière instance qui rendent, sur la base du droit public fédéral, des décisions sujettes à recours. Elle devait donc être observée dans le cas particulier par le Conseil d'Etat. Or, non seulement la décision attaquée n'est pas motivée, mais la recourante ne pouvait probablement pas déduire des circonstances les raisons pour lesquelles le Conseil d'Etat avait accordé l'autorisation de déboiser; en effet, ces raisons tenaient à la vente de 1929, dont les modalités n'étaient sans doute connues que des intéressés. On ne se trouve donc pas dans l'hypothèse où, même en l'absence d'une motivation, les parties se rendent compte pourquoi l'autorité s'est prononcée dans un sens plutôt que dans l'autre (RO 96 I 723 s.; 98 I/b 195 s.). Au contraire, la violation de l'art. 35 al. 1 LPA est ici patente.
En principe, une informalité de cette nature entraîne l'annulation de la décision attaquée (RO 98 I/b 196). Il y a lieu toutefois de déroger à la règle lorsque les parties ne sont nullement entravées dans la défense de leurs droits par le défaut de motifs. Tel est le cas en l'espèce. Dans ses observations sur la demande
BGE 99 Ib 94 S. 100
d'effet suspensif, le Conseil d'Etat a comblé les lacunes de sa décision, en exposant les circonstances qui l'ont conduit à délivrer le permis de défricher. Pour sa part, dans la réponse au recours, l'intimée a complété l'argumentation du Conseil d'Etat. Puis, par décision du 24 juillet 1972, le Président de la Chambre de droit administratif a ordonné la communication de ces allégations nouvelles à la recourante, qui s'est expliquée à leur sujet dans un mémoire supplémentaire. Dans ces conditions, la recourante n'a subi aucun préjudice par suite du vice dont était entachée la décision attaquée et qui peut être tenu pour réparé dans la procédure fédérale. Il ne s'agit donc pas d'une cause d'annulation.
b) La recourante s'en prend aussi à l'omission d'indiq uer les voies de droit et d'interdire tous travaux de déboisement avant l'expiration du délai de recours. Toutefois, ce n'est pas là non plus un motif d'annulation. La recourante ne pourrait se plaindre des omissions incriminées que si elle en avait pâti (cf. art. 107 al. 3 OJ). Or il n'en est rien.
3.
A titre principal, la recourante invoque la méconnaissance de la règlementation en matière forestière.
L'art. 31 de la loi sur la police des forêts énonce le principe du maintien de l'aire forestière (al. 1); il réserve cependant la compétence des gouvernements cantonaux ou du Conseil fédéral d'autoriser des défrichements et d'ordonner l'afforestation des surfaces déboisées (al. 2 et 3). L'art. 26 de l'ordonnance d'exécution indique les conditions auxquelles le défrichement peut être autorisé: il faut que cette mesure réponde à un besoin qui l'emporte sur l'intérêt à la conservation de la forêt (al. 1), qu'elle ne se heurte pas à une raison de police (al.2), qu'elle permette la construction d'un ouvrage qui ne peut être exécuté qu'à l'endroit déboisé (al. 3). Au demeurant, selon le même art. 26, l'autorité doit faire abstraction des intérêts financiers des requérants (al. 3), mais tenir compte dûment de la protection de la nature et du paysage (al. 4). Manifestement, sur la base de ces seuls textes, la demande de défricher présentée par l'intimée aurait dû être écartée.
D'une part, le fonds à déboiser est une forêt au sens de l'art. 1er al. 1 de l'ordonnance d'exécution, soit une surface recouverte d'arbres ou d'arbustes forestiers et productive de bois. Preuve en est qu'il est décrit par un inspecteur forestier comme "une futaie équienne d'épicéas d'environ 80 ans" et que l'intimée
BGE 99 Ib 94 S. 101
elle-même, le 26 avril 1972, a requis l'autorisation de défricher environ 800 m2 sur une surface de 3484 m2. Peu importe que le terrain litigieux ait été acheté en 1929 à un prix supérieur à celui d'une forêt et qu'au cadastre, où il figure partiellement comme place, il soit évalué à un chiffre beaucoup plus élevé encore. En particulier, si le cadastre fixe la situationjuridique des immeubles il ne détermine pas leur nature (cf. arrêt Hochuli, du 22 décembre 1972). A la vérité, en déniant à son fonds le caractère d'une forêt, l'intimée entend simplement dire qu'elle a le droit de le défricher pour y bâtir; c'est une manière de reconnaître qu'il s'agit bien d'une forêt.
D'autre part, les conditions dont l'art. 26 de l'ordonnance d'exécution fait dépendre l'autorisation de défricher ne sont pas remplies. A l'intérêt à la conservation de l'aire forestière, l'intimée ne peut opposer que ses propres intérêts financiers, qui n'entrent pas en considération. Avec raison, elle n'invoque pas l'impossibilité de construire en un autre lieu les bâtiments qu'elle projette d'édifier sur la parcelle en cause. Certes, la disposition qui subordonne l'autorisation de défricher à la nécessité de construire sur le fonds à déboiser ne doit pas être prise à la lettre; notamment, elle n'exclut pas la possibilité d'élever à cet endroit, pour des raisons prépondérantes d'intérêt public, un ouvrage susceptible d'être aménagé ailleurs (RO 98 I/b 219 s., 373 s.). Cette hypothèse n'est cependant pas réalisée ici.
4.
Si, au regard de la législation en matière de forêts, le Conseil d'Etat devait rejeter la demande dont il était saisi, il a estimé à juste titre que le principe de la bonne foi fait échec en l'espèce à l'application des textes. Ce principe protège sous certaines conditions l'administré qui a réglé sa conduite d'après les déclarations ou le comportement de l'autorité. Pour qu'il puisse être invoqué avec succès, il faut en particulier, selon la doctrine et la jurisprudence: a) que l'autorité soit intervenue dans une situation concrète à l'égard de personnes déterminées (GUENG, Zur Verbindlichkeit verwaltungsbehördlicher Auskünfte und Zusagen, Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 71/1970 p. 473 s.; cf. RO 96 I 15 s.); b) qu'elle ait agi ou soit censée avoir agi dans les limites de sa compétence (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3e éd., II p. 647; GRISEL, Droit administratif suisse, p. 187; RO 96 I 15, 97 I 497); c) que l'administré n'ait pu se rendre compte immédiatement de l'inexactitude des informations obtenues ou de ses propres
BGE 99 Ib 94 S. 102
déductions (BAUMANN, Der Begriff von Treu und Glauben im öffentlichen Recht, p. 133 ss.; IMBODEN, op.cit., I p. 224; GRISEL, op.cit., p. 187; GUENG, op.cit., p. 480 s.; RO 96 I 15 et 621, 97 I 497); d) qu'il se soit fondé sur elles pour prendre des dispositions qu'il ne saurait modifier sans subir un préjudice (RO 96 I 15, 97 I 497 et 653); e) que la loi n'ait pas changé entre le moment où l'autorité s'est déterminée et celui où le principe est allégué (IMBODEN, op.cit., I p. 229; GUENG, op.cit., p. 503 ss.). En l'espèce, il s'agit d'examiner si l'intimée peut se prévaloir de sa bonne foi pour avoir tablé, en achetant en 1969 une partie de la forêt de La Combaz, sur l'homologation de la vente de ce bien-fonds par le Conseil d'Etat en 1929. Les motifs suivants appellent une réponse affirmative.
a) En homologuant le 29 août 1929 la vente de la forêt de La Combaz par la Grande Bourgeoisie des cinq communes de la Contrée de Sierre à Félix Meyer, le Conseil d'Etat a pris dans un cas particulier une décision qui touchait des sujets de droit déterminés. Sans doute l'intimée n'était-elle pas partie au contrat homologué. Elle a cependant repris partiellement les droits qu'il attribuait à l'acheteur. Dès lors, en tant que successeur de ce dernier, elle peut invoquer le principe de la bonne foi comme il eut été en droit de le faire lui-même. Il n'est pas nécessaire pour cela qu'elle ait connu dans le détail l'opération effectuée en 1929. Il paraît du reste établi que son mandataire en avait connaissance.
b) Par une circulaire du 24 décembre 1909, le Conseil fédéral avait habilité les gouvernements cantonaux à autoriser le défrichement des forêts protectrices d'une superficie maximum de 3000 m2. Pendant plus de soixante ans, les autorités cantonales ont usé de cette délégation sans que, semble-t-il, sa validité ait été jamais contestée en procédure. C'est le 6 mai 1970 seulement, dans l'affaire dite de la "Schillermatte", que le Conseil fédéral a constaté pour la première fois la nullité de sa circulaire, notamment en raison de manque de base légale et d'un vice de forme. Cette décision a provoqué la novelle du 18 mars 1971, qui a créé la base défaillante (cf. loi sur la police des forêts, art. 50 al. 2; ordonnance d'exécution, art. 25 bis al. 1).
Dans ces conditions, en 1969 comme en 1929, le Conseil d'Etat valaisan était censé compétent pour accorder l'autorisation de déboiser les forêts protectrices de 3000 m2 au plus. Aussi, en achetant la parcelle litigieuse, l'intimée avait-elle lieu de considérer comme émanant d'une autorité compétente la
BGE 99 Ib 94 S. 103
prise de position antérieure du Conseil d'Etat au sujet de la surface à défricher, qui n'atteint que quelque 800 m2.
c) Le 29 août 1929, le Conseil d'Etat ne s'est pas borné à homologuer purement et simplement la vente de la forêt de La Combaz, mais il a subordonné sa décision au versement du 10% du prix à la caisse de reboisement de la Grande Bourgeoisie, "en vue de la création d'un fonds de réserve destiné à couvrir les frais des améliorations forestières projetées et de l'établissement du plan d'aménagement". La condition posée impliquait clairement que le terrain aliéné pourrait être déboisé à des fins de construction. Dès lors, l'intimée était fondée à inférer de la réserve jointe à l'homologation que rien ne s'opposerait à son projet de défrichement. Cette déduction se justifiait d'autant plus qu'à partir de 1929, plusieurs parcelles de la forêt de La Combaz avaient été déboisées avec l'autorisation du Conseil d'Etat et que la valeur cadastrale des fonds achetés en 1969 dépasse nettement le prix de terrains destinés à rester boisés. Au demeurant, il n'est pas établi que, depuis le 1er octobre 1965, date d'adoption de l'ordonnance d'exécution, jusqu'en 1969, date de la vente, la pratique du Conseil d'Etat en matière de déboisement eût été moins libérale qu'auparavent.
d) Selon toute vraisemblance, l'intimée n'aurait pas acheté la parcelle litigieuse si elle n'avait pas compté obtenir l'autorisation de la défricher pour y bâtir. Il y a donc un lien de causalité entre les conditions de l'homologation de 1929 et l'opération à laquelle l'intimée a procédé en 1969. De plus, si le fonds boisé devait être maintenu en l'état, il est manifeste que sa revente serait difficile et qu'en tout cas, sa valeur diminuerait considérablement.
e) De 1929 jusqu'à présent, l'art. 31 de la loi concernant la haute surveillance de la Confédération sur la police des forêts, soit le texte légal qui énonce le principe de la conservation de l'aire forestière, est demeuré le même. Ce qui a été modifié, ce sont les prescriptions de l'ordonnance d'exécution au sujet des autorisations de défricher, c'est-à-dire la portée qu'attribue à la loi l'autorité chargée de veiller à son application. Or cette circonstance n'exclut pas le droit d'invoquer le principe de la bonne foi. Sinon, ce principe perdrait une grande partie de sa valeur, les administrés n'ayant guère intérêt à se prévaloir de leur bonne foi qu'en cas de changement de pratique (GUENG, op.cit., p. 506 s.).
BGE 99 Ib 94 S. 104
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours en tant qu'il est recevable et n'entre pas en matière sur la question soulevée par l'intimée au sujet du terrain de compensation. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
73af2cfb-7828-4210-973e-4ac8bc221efe | Urteilskopf
103 IV 83
23. Urteil des Kassationshofes vom 19. April 1977 i.S. S. gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell A. Rh. | Regeste
Art. 137 und
Art. 151 StGB
.
Die Erschleichung einer grösseren Menge Benzin aus einem Benzinautomaten ist als Diebstahl zu bewerten. Ebenso fällt der Missbrauch anderer Warenautomaten, wenn die Wertgrenze einer geringfügigen Entwendung überschritten wird oder andere erschwerende Umstände vorliegen, unter Art. 137, nicht unter
Art. 151 StGB
. | Sachverhalt
ab Seite 83
BGE 103 IV 83 S. 83
A.-
Eine Garage stellt seit 1974 ihren Kunden einen Benzinautomaten zur Verfügung. Der Kunde erhält ein Metallplättchen in der Grösse von ca. 30/50/1,5 mm, in welches eine Zahl von 01-99 eingestanzt ist. Um Benzin zu tanken, ist an der Zählertafel die Zahl des Kunden einzustellen und das Plättchen einzustecken. Dann ist an der Pumpsäule ein Blockierungshebel zurückzuziehen und mit einem weiteren Hebel das Pumpwerk in Betrieb zu setzen. Der Kunde kann an der Zählertafel den laufenden Benzinbezug ablesen. Für diesen wird dem Inhaber des Plättchens monatlich Rechnung gestellt.
Ein Kunde hatte sein Plättchen stecken lassen. Als er für die Zeit vom 12. bis 23. April 1975 eine Rechnung für 184 Liter Benzin erhielt, obwohl er nur ca. 105 Liter bezogen haben konnte, verlangte er für die nächste Berechnungsperiode vom 23. April bis 26. Mai 1975 eine polizeiliche Überwachung. In dieser Zeit wurden nochmals 149 Liter getankt. S. ist geständig,
BGE 103 IV 83 S. 84
mit dem fremden Plättchen 149 Liter Benzin bezogen zu haben.
B.-
Im Appellationsverfahren sprach das Obergericht des Kantons Appenzell A. Rh. am 8. Juni 1976 S. des fortgesetzten Diebstahls an 149 Liter Benzin, begangen in der Zeit vom 23. April bis 26. Mai 1975, schuldig. Es bestrafte ihn, unter Annahme aufrichtiger Reue, mit drei Wochen Haft und einer Busse von Fr. 200.--, bei Bewährung bedingt vollstreckbar bzw. löschbar.
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S., das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung, eventuell zur Einstellung des Verfahrens, an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, sein Verhalten begründe eine Erschleichung einer Leistung gemäss
Art. 151 StGB
, er sei mangels Strafantrages aber nicht strafbar.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Diebstahl im Sinne von
Art. 137 Ziff. 1 StGB
verübt, wer einem andern eine fremde bewegliche Sache in der Absicht wegnimmt, sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern.
a) Es ist unbestritten, dass das Benzin in der Tankstelle eine fremde bewegliche Sache im Sinne des Gesetzes ist. Auch steht fest, dass der Beschwerdeführer sich unrechtmässig bereicherte.
b) Der Beschwerdeführer wendet jedoch ein, der Bezug des Benzins stelle eher eine Täuschung als ein Wegnehmen im Sinne des Gewahrsamsbruchs dar und stehe daher dem Betrug näher als dem Diebstahl. Dem widerspricht er aber selbst, wenn er fortführt, getäuscht werden könne nur ein Mensch und kein Automat. Der Beschwerdeführer hat das Pumpwerk in Betrieb gesetzt und dadurch das Benzin aus dem Gewahrsam des Tankhalters in seinen Gewahrsam übergeführt. Er wollte über das Benzin für seine Fahrten und damit nach eigenem Gutdünken darüber verfügen. Damit brachte er das Benzin auch in seine Herrschaftsgewalt und hat es sich angeeignet.
c) Fehl geht der Einwand, der Tankstellenhalter habe in den Bezug des Benzins eingewilligt. Richtig ist zwar, dass die Wegnahme gegen den Willen des Gewahrsaminhabers erfolgen
BGE 103 IV 83 S. 85
muss und dass dessen Einwilligung ein Wegnehmen im Sinne des
Art. 137 StGB
ausschliesst. Ein solches Einverständnis des Tankstellenhalters fehlte aber. Zwar war der Beschwerdeführer selber Inhaber eines Selbstbedienungsplättchens der Garage. Dies berechtigte ihn aber nicht, mit dem Plättchen eines andern auf dessen Kosten zu tanken, es wäre denn, der andere hätte es erlaubt. Nur unter dieser hier nicht zutreffenden Voraussetzung wäre der Tankstellenhalter mit dem Vorgehen des Beschwerdeführers einverstanden gewesen. Wenn in der Beschwerde angenommen wird, der Tankstellenhalter habe die Einwilligung in der irrigen Meinung geben können, der Beschwerdeführer tanke mit seinem eigenen Plättchen, so gibt er damit selbst zu, dass die Einwilligung unter einem wesentlichen Irrtum erfolgt wäre. Ein Einverständnis, das nicht frei von wesentlichen Willensmängeln ist, erweist sich nicht als Einwilligung und schliesst ein Wegnehmen im Sinne des
Art. 137 StGB
keineswegs aus.
2.
Die Handlungsweise des Beschwerdeführers erfüllt allerdings nicht nur den Tatbestand des Diebstahls, sondern auch die Merkmale der Erschleichung einer Leistung im Sinne von
Art. 151 StGB
, denn das Benzin wurde durch die Funktion eines Automaten bezogen, den der Beschwerdeführer unter Benützung des fremden Steckplättchens in Bewegung gesetzt hatte. Es stellt sich daher die Frage nach dem Verhältnis zwischen
Art. 137 und 151 StGB
.
Der Tatbestand der Erschleichung einer Leistung soll in erster Linie Anwendung finden, wenn der Tatbestand des Diebstahls oder des Betruges nicht erfüllt ist (
BGE 97 IV 196
E. 2). In andern Fällen
Art. 151 StGB
stets als subsidiäre Bestimmung zurücktreten zu lassen, hat zwar den Vorteil der klaren Grenzziehung zwischen den Tatbeständen, entspricht aber beim Automatenmissbrauch weder dem Willen des Gesetzgebers noch einer sinngemässen Auslegung des Gesetzes. Unter Leistungen, die ein Automat vermittelt, wurde nicht nur eine Dienstleistung, sondern von Anfang an auch eine Warenleistung verstanden (Botschaft, BBl 1918 IV 69; ZÜRCHER, Erl. zum VE 1908, S. 454). Es wäre daher schon unter diesem Gesichtspunkt nicht gerechtfertigt, die Erschleichung einer Dienstleistung (Abspielen von Musik, Erstellung einer Photographie, etc.) gegenüber der Erschleichung gleichwertiger Warenleistungen (Lebensmittel, Zigaretten usw.) zu privilegieren.
BGE 103 IV 83 S. 86
Dazu kommt vor allem, dass Automaten üblicherweise durch den Einwurf einer Geldmünze in Betrieb gesetzt werden, woraus folgt, dass die erschlichene Leistung regelmässig von kleinem Wert ist. Die listige Entnahme einzelner Gegenstände aus einem Warenautomaten bietet noch durchaus das Bild der geringfügigen Entwendung (ZÜRCHER, a.a.O. S. 455). Die Annahme eines Diebstahls und damit eines Verbrechens im Sinne des
Art. 9 StGB
ist bei so geringen Werten nicht mehr am Platz. Diese schwere Qualifikation des Diebstahls und des Betruges gab auch auf andern Gebieten Anlass, leichtere Tatbestände auszuscheiden und gesondert unter Strafe zu stellen (vgl. Art. 143, 149; kantonale Tatbestände des Feld- und Waldfrevels; Bettelbetrug).
Das bedeutet indessen nicht, dass jeder Missbrauch eines Warenautomaten
Art. 151 StGB
unterstellt werden soll. Von jeher wurde Diebstahl angenommen, wenn jemand einen Automaten aufbricht, um sich dessen Inhalt anzueignen (ZÜRCHER, a.a.O. S. 454,
BGE 97 IV 196
E. 3 unten). Auch andere erschwerende Umstände, wie die geplante Plünderung vieler Automaten, gewerbsmässiges Handeln, fortgesetzte Begehung, welche die durch
Art. 138 StGB
gesetzte Wertgrenze übersteigt, werden richtigerweise als Diebstahl gewürdigt.
3.
Das Vorgehen des Beschwerdeführers übersteigt den üblichen Missbrauch eines Warenautomaten. Während dort die Leistung des Benützers in Münzen erbracht wird und der Betrag, um den der Automatenbesitzer geprellt wird, zum voraus geringfügig ist, ermöglicht die missbräuchliche Verwendung eines Steckplättchens am Benzinautomaten schon an sich einen Benzinbezug von viel höherem Wert. Durch fortgesetzten Missbrauch hat der Beschwerdeführer auch eine Benzinmenge bezogen, welche den nach
Art. 138 StGB
gegebenen Höchstwert eindeutig übersteigt. Diesen aber in
Art. 151 StGB
höher als in
Art. 138 StGB
anzusetzen, ist in Fällen wie hier, wo die Merkmale des Diebstahls eindeutig erfüllt sind, nicht gerechtfertigt. Dagegen kann nicht der niedrigere Strafrahmen des
Art. 138 StGB
angeführt werden. Dieser ist wesentlich durch die entlastenden Motive der Not, des Leichtsinns und des momentanen Gelüsts bedingt. Darauf kann sich derjenige, der in solchem Ausmass, wie es hier zutrifft, einen Warenautomaten missbraucht, nicht berufen. Hinzu kommt im vorliegenden Falle, dass der Beschwerdeführer nicht nur
BGE 103 IV 83 S. 87
den Inhaber der Tankstelle schädigte. Er bewirkte mittelbar auch, dass das auf Kredit bezogene Benzin einem andern belastet wurde. Solcher Missbrauch des Selbstservice verdient keine privilegierte Behandlung. Der Beschwerdeführer wurde mit Recht wegen Diebstahls bestraft.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
73b130ae-90ef-4099-9945-3d37f68c14d0 | Urteilskopf
115 II 24
5. Arrêt de la Ire Cour civile du 15 mars 1989 dans la cause Caisse de pensions de la République et canton du Jura contre Gergen (recours en réforme) | Regeste
Art. 51 Abs. 2 OR
.
Pensionskassen des privaten und des kantonalen öffentlichen Rechts unterstehen der Rückgriffsordnung dieser Gesetzesvorschrift. Unbeachtlichkeit von Statuten- und Reglementsbestimmungen sowie von kantonalrechtlichen Regelungen über die Zession oder Subrogation der Ansprüche des Versicherten, wenn damit von der gesetzlichen Ordnung abgewichen wird. | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 115 II 24 S. 24
A.-
Le 1er mai 1978, Marc Gergen, au volant de l'automobile appartenant à son père, Félix Gergen, provoqua un accident de circulation au cours duquel Francis Monnin fut grièvement blessé. Le véhicule, assuré en responsabilité civile, avait pour détenteur Félix Gergen.
Francis Monnin était assuré auprès de la Caisse de pensions de la République et canton du Jura. Invalide à 50%, il fut mis au bénéfice d'une pension d'invalidité dès le 1er janvier 1984.
L'art. 17 du décret sur la Caisse de pensions de la République et canton du Jura permet à la Caisse de se subroger aux droits de
BGE 115 II 24 S. 25
son assuré lésé contre le tiers responsable du dommage. Du fait que Félix Gergen n'était assuré qu'à concurrence du minimum légal d'un million de francs, la caisse ne put récupérer l'intégralité de ses prestations auprès de l'assurance RC. Elle s'adressa alors, en vain, à Félix Gergen, en sa qualité de détenteur, pour lui réclamer le solde non récupéré de ses prestations à Francis Monnin.
B.-
La Caisse ouvrit action contre Félix Gergen en paiement de 158'655 francs 35.
Par voie d'exception, le défendeur souleva le défaut de qualité pour défendre, attendu qu'il ne saurait être recherché par une institution de prévoyance du fait qu'il n'avait commis personnellement aucun acte illicite, qui lui fût imputable à faute.
Par jugement du 28 juin 1988, le Tribunal cantonal du Jura débouta la demanderesse de ses conclusions, faute de qualité pour défendre Félix Gergen.
C.-
La demanderesse a interjeté un recours en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut à la réforme du jugement cantonal, en ce sens qu'il est dit et déclaré que le défendeur a qualité pour défendre à l'action.
Le défendeur conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La question litigieuse se résume à l'applicabilité de l'
art. 51 al. 2 CO
lorsqu'une caisse publique de pensions de droit cantonal entend rechercher le responsable causal d'un événement dommageable. Il ne s'agit pas à proprement parler d'un problème de qualité pour défendre, mais de répartition interne de responsabilités.
2.
L'art. 17 du décret du 12 février 1981 sur la Caisse de pensions de la République et canton du Jura n'accorde de prestations à l'assuré que si lui ou ses ayants droit "autorisent la Caisse à se subroger, pour la valeur des prestations qui lui incombent, à leurs droits contre le tiers responsable du dommage". La demanderesse soutient que cette disposition de droit cantonal l'emporte sur l'
art. 51 al. 2 CO
et permet de modifier l'ordre des recours internes prévu par le code des obligations.
a) En vertu d'une jurisprudence déjà ancienne, qui n'a pas à être remise en cause, le Tribunal fédéral a posé le principe général que le lésé ne pouvait pas déroger à l'
art. 51 CO
en décidant laquelle des personnes responsables supportera en définitive le
BGE 115 II 24 S. 26
dommage; dès lors, une cession des droits du lésé à l'un des responsables est inopérante (
ATF 80 II 252
/253,
ATF 45 II 645
).
En matière d'assurance contre les dommages, notamment en matière d'assurance contre l'incendie, le Tribunal fédéral a jugé que le droit de recours d'un établissement cantonal d'assurance contre l'auteur du dommage relève du droit fédéral et ne peut pas être étendu par une disposition cantonale sur la subrogation (
ATF 103 II 337
consid. dd,
ATF 96 II 175
consid. 1,
ATF 77 II 246
). L'
art. 51 CO
s'appliquant, l'établissement d'assurance, qui répond contractuellement du dommage, ne peut pas se retourner contre la personne qui n'est tenue qu'"aux termes de la loi" si une faute ne lui est pas imputable.
En matière d'assurance-maladie, le Tribunal fédéral a également posé le principe de l'application de l'
art. 51 CO
au droit de recours de la caisse d'assurance, à défaut de disposition légale fédérale différente. Dans ce domaine, l'assureur ne dispose d'un droit de recours que contre le responsable qui a commis une faute, mais non pas contre celui qui ne répond qu'en vertu d'une responsabilité causale, sans avoir commis de faute (
ATF 107 II 495
consid. 5a).
b) Le rapport entre l'affilié et un fonds de prévoyance est un rapport d'assurance au sens large (cf.
ATF 80 II 129
; DESCHENAUX, L'action en réparation du préjudice contre le responsable et les prétentions du lésé contre une institution de prévoyance privée, RDS 1971, p. 155). Quant aux prestations servies par un tel fonds ou une caisse de pensions, notamment les rentes d'invalidité, elles servent à couvrir un dommage, qui est en l'espèce la perte de gain subie par Monnin du fait de son invalidité. Partant, elles doivent être assimilées aux prestations d'une assurance contre les dommages, et non à celles d'une assurance "des personnes" ou "de sommes" (cf.
ATF 104 II 47
ss).
Avec la doctrine dominante, il faut admettre que - comme les caisses d'assurance-incendie et les caisses-maladie pour leurs prestations en couverture de dommages - les caisses de pensions privées ou dépendant du droit public cantonal sont soumises à la règle de l'
art. 51 al. 2 CO
(cf. DESCHENAUX, op.cit., p. 166 s.; SCHAETZLE, Personalvorsorge und Haftpflichtrecht in Konkurrenz, thèse Zurich 1972, p. 77; STEIN, Vorteilsanrechnung, in Revue suisse d'assurance 1986, p. 275; OFTINGER, Haftpflichtrecht, I, p. 445; MAURER, Sozialversicherungsrecht, p. 411; OSWALD, Regressrecht in der Privat- und Sozialversicherung, in SZS 1972,
BGE 115 II 24 S. 27
p. 44). Conformément à la doctrine et à la jurisprudence, le lésé ne peut pas déroger à l'ordre des recours prévu par cette disposition. Toute cession de ses droits à un responsable est en conséquence inopérante. L'est aussi la cession ou la subrogation prévue par des dispositions statutaires ou réglementaires ou par la législation cantonale (cf. OFTINGER, op.cit., p. 390; THILO, De la subrogation des caisses publiques d'assurance des fonctionnaires dans les droits de l'assuré contre le tiers responsable du dommage, tiré à part, p. 8; NEF, Die Leistungen der beruflichen Vorsorge in Konkurrenz zu anderen Versicherungsträgern sowie haftpflichtigen Dritten, in Revue suisse des assurances sociales et de la prévoyance professionnelle 1987, p. 31; MAURER, op.cit., p. 412; OSWALD, op.cit., p. 45; BREHM, n. 79 ad
art. 45 CO
).
L'introduction de l'
art. 26 OPP 2
(RS 831.441.1), qui permet à l'institution de prévoyance, si son règlement le prévoit, d'exiger de celui qui lui demande des prestations qu'il lui cède ses droits contre le tiers responsable du dommage, ne change rien aux principes ci-dessus. Cette disposition ne place pas les institutions de prévoyance, quant à leur droit de recours, dans une situation plus favorable que celle des caisses-maladie (cf. STEIN, loc.cit.). En outre, elle se fonde uniquement sur l'
art. 34 al. 2 LPP
(RS 831.40), qui permet au Conseil fédéral d'édicter des prescriptions afin d'empêcher que le cumul de prestations ne procure un avantage injustifié à l'assuré ou à ses survivants. Or, l'application de l'
art. 51 al. 2 CO
et l'inefficacité des cessions dans certaines situations sont en elles-mêmes impropres à procurer à l'assuré des avantages injustifiés; les possibilités de cumul de prestations sont totalement étrangères à l'
art. 51 al. 2 CO
et peuvent être empêchées par l'application d'autres règles et principes.
c) Il résulte de ce qui précède que la demanderesse ne peut pas exercer de droit de recours contre le défendeur, lequel ne répond du dommage qu'en vertu de la loi, en sa seule qualité de détenteur non fautif - de véhicule automobile. La demanderesse doit être assimilée à un responsable contractuel, ou considérée comme tel; elle a en effet reçu une contre-prestation en contrepartie de sa propre prestation (cf. STEIN, loc.cit.; OSWALD, op.cit., p. 46). Quant à la subrogation que lui a consentie le lésé en vertu de l'art. 17 du décret, elle est sans effets en raison de l'application prédominante de l'
art. 51 al. 2 CO
. La position de la cour cantonale doit ainsi être approuvée, car elle ne viole pas le droit fédéral.
BGE 115 II 24 S. 28
3.
Certes, la demanderesse observe, non sans pertinence, que l'admission de l'application de l'
art. 51 al. 2 CO
n'exclut pas d'emblée la possibilité d'exercer un droit de recours contre le défendeur, puisque l'ordre des recours n'est fixé que "dans la règle". Il est exact que des motifs d'équité permettent d'y déroger lorsque les circonstances le justifient (arrêt non publié M. du 5 mai 1987, consid. 6). Mais, en l'espèce, on ne peut discerner aucun élément ni aucune circonstance qui justifieraient que l'on s'écarte de l'ordre des recours prévu par l'
art. 51 CO
. Bien au contraire, maintenir la responsabilité plus avancée du responsable contractuel, ou assimilé, par rapport à celle du responsable causal, n'apparaît nullement comme inéquitable.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Rejette le recours et confirme le jugement attaqué. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73b212e0-ad0a-4c02-bd9f-c19370158fe4 | Urteilskopf
135 III 656
95. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE) gegen X. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_447/2009 vom 9. November 2009 | Regeste
Art. 34 Abs. 3 PatG
,
Art. 105 Abs. 2 PatV
; Eintragung einer Lizenz im Patentregister.
Der Lizenznehmer, der beim Registerführer die Eintragung seiner Patentlizenz beantragt, muss sich auf das Einverständnis des Patentinhabers stützen können. Beweis des Bestands der Lizenz und des Einverständnisses zum Eintrag; Gehörswahrung. Bietet der Patentinhaber keine Hand zur Eintragung, bleibt dem Lizenznehmer nur der Weg über eine Zivilklage (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 657
BGE 135 III 656 S. 657
A.
Am 8. Oktober 2001 räumte A. der X. (Beschwerdegegnerin) in einem Lizenzvertrag eine exklusive Lizenz an zwei Patenten im Zusammenhang mit Zahnimplantaten ein, die im Schweizerischen Patentregister auf seinen Namen registriert sind. Der Vertrag sieht für den Fall schwerer Vertragsverletzungen ("significant contract violations") ein beidseitiges Kündigungsrecht vor. Als Beispiel einer schweren Vertragsverletzung nennt er unter anderem das Nichteinhalten der Zahlungsfristen für die vierteljährlich zu entrichtenden Lizenzgebühren. Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 trat A. vom Lizenzvertrag zurück und kündigte diesen zugleich mangels pünktlicher Bezahlung der Lizenzgebühr. In der weiteren Diskussion zwischen den Vertragsparteien bestritt die Beschwerdegegnerin eine gültige Auflösung des Vertrags und hielt am Bestand ihrer Exklusivlizenz fest.
Am 28. Januar 2009 beantragte die Beschwerdegegnerin dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) unter Vorlage des Lizenzvertrags aus dem Jahre 2001, ihre exklusive Lizenz für die europäischen Patente Nr. y und z im Patentregister einzutragen. Mit Schreiben vom 29. Januar 2009 teilte das IGE der Beschwerdegegnerin die beantragte Änderung im Register mit.
Am 6. Februar 2009 ersuchte A. das IGE um Wiedererwägung und Widerruf, eventuell Löschung der Lizenzeintragungen. Zur Begründung führte er aus, dass die Lizenz mit der Auflösung des Lizenzvertrags untergegangen sei.
Mit Verfügung vom 13. Februar 2009 hiess das IGE das Wiedererwägungsgesuch gut und widerrief den Registereintrag vom 29. Januar 2009, den es gleichentags löschte.
B.
Die Beschwerdegegnerin erhob dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte (im Wesentlichen), die Eintragungen seien zu bestätigen und die Lizenz - falls gelöscht - wieder einzutragen.
BGE 135 III 656 S. 658
Mit Zwischenverfügung vom 24. März 2009 ordnete das Bundesverwaltungsgericht die vorläufige Wiedereintragung der beiden ausschliesslichen Lizenzen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens an. Das IGE trug daraufhin die Lizenzen am 1. April 2009 wieder ein.
Mit Urteil vom 7. Juli 2009 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gut und hob die Verfügung des IGE vom 13. Februar 2009 auf. Das Eventualbegehren des Patentinhabers um Anordnung einer Sicherheitsleistung wies es ab.
C.
Das IGE beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2009 sei aufzuheben. Das IGE sei anzuweisen, die vom Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 24. März 2009 angeordnete und mit Urteil vom 7. Juli 2009 bestätigte Eintragung der ausschliesslichen Lizenz für die europäischen Patente Nr. y und z zu löschen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die Eintragung der exklusiven Lizenz zugunsten von X. bei den EP Patenten Nr. y und z sei zu bestätigen. Das Bundesverwaltungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde unter Verzicht auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Damit stellt sich die weitere Frage, ob die neu getroffene Verfügung vom 13. Februar 2009, mithin die Verweigerung der beantragten Eintragung der Lizenz, rechtens war.
Das IGE begründet die Verweigerung damit, dass die vom Patentinhaber vorgebrachten Tatsachen darauf schliessen liessen, dass der Lizenzvertrag zur Zeit der Einreichung beim IGE am 28. Januar 2009 aufgrund des Rücktritts des Patentinhabers vom Vertrag nicht mehr rechtswirksam gewesen sei. Daher könne gestützt darauf die Lizenz nicht eingetragen werden. Die Eintragung einer Lizenz setze das Einverständnis des Patentinhabers voraus. Der Lizenznehmer habe kein Recht auf Eintragung, sondern lediglich einen selbständig einklagbaren Anspruch gegen den Lizenzgeber.
Die Vorinstanz vertritt demgegenüber die Ansicht, dass die Vorlage des Lizenzvertrags als Voraussetzung für die Eintragung ausreiche.
BGE 135 III 656 S. 659
Die ausdrückliche Zustimmung des Lizenzgebers sei nicht verlangt. Der Lizenzvertrag diene als Beleg für das Bestehen der Lizenz, die als solche den Anspruch des Lizenznehmers auf Vormerkung begründe. Die Vormerkung einer Lizenz sei bereits dann vorzunehmen, wenn die Lizenz unstrittig zustande gekommen sei und an ihrer vom Lizenzgeber eingewendeten seitherigen Aufhebung erhebliche Zweifel bestünden.
3.1
Die Eintragung von Lizenzen an Patenten im Patentregister ist in der Gesetzgebung nur rudimentär geregelt.
Art. 34 Abs. 3 PatG
(SR 232.14) bestimmt: "Gegenüber einem gutgläubigen Erwerber von Rechten am Patent sind entgegenstehende Lizenzen unwirksam, die im Patentregister nicht eingetragen sind." Das Gesetz beschränkt sich mithin darauf, die grundsätzliche Möglichkeit zur Eintragung von Lizenzen an Patenten vorzusehen und die Wirkung der Eintragung zu regeln.
Zum Eintragungsverfahren bestimmt
Art. 105 Abs. 2 PatV
(SR 232. 141), dass die Lizenz durch eine schriftliche Erklärung des (bisherigen) Patentinhabers oder Anmelders oder durch eine andere genügende Beweisurkunde nachgewiesen werden muss.
Art. 106 PatV
verlangt zur Löschung einer eingetragenen Lizenz auf Antrag des Patentinhabers eine ausdrückliche Verzichtserklärung des Lizenznehmers.
Nicht geregelt ist namentlich, wer die Vormerkung einer Lizenz beantragen kann, ob die Vorlage des Lizenzvertrags ausreicht oder ob die ausdrückliche Zustimmung des Patentinhabers erforderlich ist und insbesondere, wie der Registerführer vorzugehen hat, wenn umstritten ist, ob ein eingereichter Lizenzvertrag (noch) rechtsgültig ist.
3.2
Die Eintragung der Lizenz wirkt im Innenverhältnis zwischen Patentinhaber und Lizenznehmer bloss deklaratorisch, das heisst das Entstehen der Lizenz ist nicht von der Eintragung abhängig (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, Bd. II, 2. Aufl. 1975, N. 109b zu
Art. 34 PatG
; ROLAND VON BÜREN, Der Lizenzvertrag, in: SIWR Bd. I/1, 2002, S. 334; RETO M. HILTY, Lizenzvertragsrecht, 2001, S. 323; MATTHIAS REY, Der Gutglaubenserwerb im Immaterialgüterrecht, 2009, S. 238). Im Aussenverhältnis jedoch verstärkt die Eintragung die Rechtsstellung des Lizenznehmers, indem der Erwerber des Patents dem eingetragenen Lizenznehmer die Nutzung des Patents nach Massgabe des Lizenzvertrags gestatten muss (BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., N. 109c zu
Art. 34 PatG
; VON BÜREN, a.a.O., S. 334 f.;
BGE 135 III 656 S. 660
HILTY, a.a.O., S. 325; KASPAR SPOENDLIN, Unklare Rechtswirkungen des Patentregisters, SMI 1978 S. 166 ff., 173; hier kann offenbleiben, ob die Eintragung den Lizenznehmer auch gegenüber späteren Lizenznehmern schützt [vgl. dazu etwa BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., N. 109d zu
Art. 34 PatG
]). Daraus erhellt, dass der Patentinhaber durch die Eintragung der Lizenz im Aussenverhältnis insofern eine Belastung erfährt, als die Veräusserbarkeit seines Patentes mit Blick auf die vorgemerkte Lizenz erschwert wird (HILTY, a.a.O., S. 323 ff.). In casu ist denn auch aktenkundig, dass ein Kaufinteressent die Verhandlungen abbrach, nachdem er von der eingetragenen exklusiven Lizenz zugunsten der Beschwerdegegnerin Kenntnis erhalten hatte. Aus der Belastung des Patentinhabers durch die Eintragung folgt, dass seine Zustimmung zum Registereintrag vorliegen muss. Wenn die Vorinstanz aus dem Sicherungszweck der Eintragung einer Lizenz nach
Art. 34 Abs. 3 PatG
einen Anspruch des Lizenznehmers auf Vormerkung ohne Einverständnis des Patentinhabers ableiten will, so kann dem nicht gefolgt werden. Diese Meinung lässt die Auswirkung der Lizenzeintragung im Aussenverhältnis, namentlich die damit verbundene Belastung des Patentinhabers durch eine erschwerte Verfügbarkeit seines Patents, ausser Acht und kann sich nicht auf
Art. 34 Abs. 3 PatG
stützen.
Anders als die Regelung zur Eintragung einer Markenlizenz, die auf Antrag "eines Beteiligten" (
Art. 18 Abs. 2 MSchG
[SR 232.11]; dazu LUCAS DAVID, Kommentar zum MSchG, 1974, N. 11 zu
Art. 18 MSchG
) bzw. des Markeninhabers oder des Lizenznehmers (
Art. 29 Abs. 1 MSchV
[SR 232.111]) erfolgen kann, schweigt sich die Regelung betreffend Eintragung einer Lizenz an einem Patent über die Antragsberechtigung aus.
Art. 105 Abs. 2 PatV
verleiht dem Lizenznehmer kein selbständiges Antragsrecht. Andererseits wird nicht ausgeschlossen, dass das IGE ein vom Lizenznehmer gestelltes Gesuch auf Eintragung der Lizenz entgegennimmt. Tritt jedoch der Lizenznehmer als Antragsteller auf, muss er sich nach dem vorstehend Ausgeführten auf das Einverständnis des Lizenzgebers stützen können (in diesem Sinn BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., N. 110 zu
Art. 34 PatG
und wohl auch VON BÜREN, a.a.O., S. 337). Er muss daher zweifelsfrei nachweisen, dass der Patentinhaber mit dem Eintrag einverstanden ist. Hierzu genügt entgegen der Vorinstanz die Vorlage des Lizenzvertrags allein nicht (ohne Begründung a.A. REY, a.a.O., S. 238), da dessen gültiges Zustandekommen oder dessen Fortbestand streitig sein kann und überdies mit dem Nachweis des Fortbestands der
BGE 135 III 656 S. 661
Lizenz noch nicht dargetan ist, dass der Patentinhaber mit deren Eintrag im Register einverstanden ist. Der Lizenzvertrag reicht daher grundsätzlich nicht als "andere genügende Beweisurkunde" im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 PatV
aus. Nichts anderes folgt aus der von der Vorinstanz angeführten Literaturstelle (BÜHLER/BLIND BURI, Entstehung des Patents, in: SIWR Bd. IV, 2006, S. 263). Die genannten Autoren führen in Übereinstimmung mit
Art. 105 Abs. 2 PatV
aus, es könne anstelle der schriftlichen Erklärung des Patentinhabers auch eine andere Beweisurkunde eingereicht werden, aus der die Einräumung von Nutzungsrechten hervorgehe. Es ist klar, dass eine Lizenz nur eingetragen werden kann, wenn sie effektiv besteht. Der Lizenzvertrag genügt aber für sich allein nicht zum Beweis des Bestehens der Lizenz, da - wie ausgeführt - dessen Zustandekommen oder Fortbestand streitig sein kann. Wird vom antragstellenden Lizenznehmer bloss ein Exemplar eines Lizenzvertrags vorgelegt, bedarf es darüber hinaus der Zustimmung des Patentinhabers zur Eintragung. Diese darf namentlich als konkludent erteilt betrachtet werden, wenn dem Patentinhaber vom IGE Gelegenheit eingeräumt worden ist, zum Eintragungsgesuch Stellung zu nehmen und er sich diesem nicht widersetzt. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Zustimmung auch ohne Anhörung des Patentinhabers als erteilt betrachtet werden darf, wenn die Eintragung im vorgelegten Lizenzvertrag selbst vereinbart wurde (hierzu: HILTY, a.a.O., S. 306) oder eine separate Urkunde vorgelegt wird, in der der Patentinhaber sein Einverständnis zur Eintragung erklärt, ist hier nicht zu entscheiden.
Bietet der Lizenzgeber nicht Hand zur Eintragung auf Antrag des Lizenznehmers, bleibt diesem nur der Weg über eine Klage (HILTY, a.a.O., S. 307). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz besitzt der Lizenznehmer kein eigenständiges Recht auf Eintragung, sondern lediglich einen selbständig einklagbaren Anspruch gegen den Lizenzgeber (BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., N. 109c zu
Art. 34 PatG
; VON BÜREN, a.a.O., S. 335; WERNER STIEGER, Zur Beendigung des Lizenzvertrages nach schweizerischem Recht, sic! 1/1999 S. 3 ff., 7 Fn. 34). Er kann sein Sicherungsinteresse hinreichend wahrnehmen, indem er die Möglichkeit hat, beim zur Durchsetzung dieses Anspruchs angerufenen Zivilgericht die Anordnung vorsorglicher Massnahmen zu beantragen.
3.3
Aus dem oben Gesagten folgt, dass der Patentinhaber in das Eintragungsverfahren auf Antrag des Lizenznehmers grundsätzlich
BGE 135 III 656 S. 662
einzubeziehen ist, damit er seinen Standpunkt einbringen kann, und ihm jedenfalls die Verfügung über den Eintrag der Lizenz zu eröffnen ist. Bei Streitigkeiten über Bestand oder Fortbestand der Lizenz muss eine Eintragung unterbleiben, da es nicht Aufgabe des Registerführers sein kann, den Bestand bzw. Fortbestand des Lizenzvertrags zu prüfen. Solche Vertragsstreitigkeiten sind vom Zivilrichter zu entscheiden.
3.4
Die Verfügung des IGE vom 29. Januar 2009 war mithin in doppelter Hinsicht ursprünglich fehlerhaft. Einerseits wurde das rechtliche Gehör des Patentinhabers (A.) verletzt, indem dieser gar nicht in das Verfahren einbezogen wurde und ihm die Verfügung nicht eröffnet wurde. Die Beschwerdegegnerin unterliess es, das IGE darüber zu unterrichten, dass der Fortbestand des eingereichten Lizenzvertrags aus dem Jahre 2001 streitig war. Als Folge davon erging die Verfügung gestützt auf einen unvollständig abgeklärten Sachverhalt, indem einzig auf den (angeblich bestehenden) Lizenzvertrag abgestellt wurde und Zweifel an dessen Fortbestand unberücksichtigt blieben. Andererseits lag die Zustimmung des Patentinhabers zur Eintragung nicht vor.
Bei dieser Sachlage hätte die Lizenz nicht eingetragen werden dürfen und der Widerruf der Lizenzeintragung durch die Verfügung vom 13. Februar 2009 erfolgte auch materiell zu Recht, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Patentinhaber sich dem Eintrag widersetzt. Der gegenteilig lautende Entscheid der Vorinstanz erweist sich als bundesrechtswidrig. Die von der Vorinstanz mit Zwischenverfügung vom 24. März 2009 angeordnete und mit dem angefochtenen Urteil bestätigte Eintragung der ausschliesslichen Lizenz für die europäischen Patente Nr. y und z ist zu löschen. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
73b7c65c-b2f5-4a9e-a9e6-323ecc65796a | Urteilskopf
124 I 193
24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Mai 1998 i.S. Niklaus Scherr und Mieterinnen- und Mieterverband Zürich gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Rechtsgleichheit bei der Festsetzung des Eigenmietwertes und des Vermögenssteuerwertes;
Art. 4 BV
; § 34 des zürcherischen Steuergesetzes vom 8. Juli 1951.
Eine Weisung, die dazu führt, dass die Eigenmietwerte im Durchschnitt rund 60% des Marktwertes betragen, verstösst gegen
Art. 4 BV
(E. 3).
Eine Weisung, die dazu führt, dass die Vermögenssteuerwerte für Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum rund 60% des Marktwertes betragen, stellt eine willkürliche Anwendung von § 34 des kantonalen Steuergesetzes dar (E. 4).
Folgen der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Weisungen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 124 I 193 S. 194
Gestützt auf §§ 20 Abs. 2, 34 Abs. 2 und 35 des kantonalen Steuergesetzes vom 8. Juni 1951 erliess der Regierungsrat des Kantons Zürich am 21. August 1996 eine neue "Weisung ... an die Steuerbehörden über die Bewertung von Liegenschaften und die Festsetzung der Eigenmietwerte". Die Weisung trat am 1. Januar 1997 in Kraft und findet Anwendung auf die Einschätzungen 1997 und die folgenden Steuerjahre. Sie wurde im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 20. September 1996 veröffentlicht.
Niklaus Scherr sowie der Mieterinnen- und Mieterverband Zürich erhoben im Anschluss an diese Publikation mit gemeinsamer Eingabe staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, die Weisung des Regierungsrates vom 21. August 1996 sei "bezüglich der Bestimmungen über die Eigenmiet- und Vermögenssteuerwerte von selbstnutzenden Einfamilienhausbesitzern und Stockwerkeigentümern" aufzuheben. Sie rügen eine Verletzung von
Art. 4 BV
(Gleichbehandlung von Mietern und Eigentümern bzw. von Immobilien- und andern Vermögensbesitzern) sowie von Art. 19 Abs. 1 der zürcherischen Kantonsverfassung (Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit).
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab im Sinne der folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführer rügen, die in den Weisungen enthaltenen Bestimmungen über die Festlegung des Eigenmietwertes selbstgenutzten Wohneigentums verstiessen gegen das Gebot der Rechtsgleichheit.
a) Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich aus
Art. 4 BV
, dass Steuerpflichtige in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen gleich zu besteuern sind. Bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist die Vergleichbarkeit in vertikaler Richtung, zwischen Personen in verschiedenen finanziellen Verhältnissen, geringer als in horizontaler Richtung, bei Personen gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts würde die vollständige und undifferenzierte Abschaffung der Besteuerung des Eigenmietwertes ohne ausgleichende Massnahmen den Wohnungseigentümer gegenüber
BGE 124 I 193 S. 195
anderen Steuerpflichtigen mit gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit in einer Weise begünstigen, welche vor
Art. 4 BV
nicht standhält (
BGE 123 II 9
E. 3 S. 12;
BGE 116 Ia 321
E. 3d S. 324;
BGE 112 Ia 240
E. 5a S. 244 f.).
Indessen hat das Bundesgericht zugelassen, dass der Eigenmietwert tiefer festgesetzt werden kann als der Marktmietwert (
BGE 116 Ia 321
E. 3f/g S. 324 f.). Das wird unter anderem mit der geringeren Disponibilität in der Nutzung des Eigentums begründet sowie damit, dass die Selbstnutzung anderer Vermögenswerte auch nicht besteuert wird (
BGE 116 Ia 321
E. 3f/g S. 324 f.). Zulässig ist auch das Anliegen, die Selbstvorsorge durch Eigentumsbildung fiskalisch zu fördern (
BGE 112 Ia 240
E. 6 S. 246 f.; ASA 53 383 E. 5d S. 394; vgl.
Art. 34quater Abs. 6 sowie
Art. 34sexies BV
). Solche Abzüge haben sich allerdings an die durch
Art. 4 BV
gesetzten Schranken zu halten (
BGE 112 Ia 240
E. 7; ASA 64 662 E. 3c/aa S. 670). Bei zu niedrigen Eigenmietwerten kommt ein entsprechend grosser Teil der Hauseigentümer, je nach Höhe der Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten, zu steuerlich abziehbaren negativen Liegenschaftserträgen, was zu einer entsprechenden Benachteiligung der Mieter führen kann, denen die Möglichkeit des Abzuges der Mietkosten verwehrt bleibt (vgl. zum ganzen Problemkreis auch
BGE 124 I 145
E. 4;
BGE 123 II 9
E. 3/4).
b) Die Beschwerdeführer gehen unter Berufung auf einen Entscheid des zürcherischen Verwaltungsgerichts davon aus, dass der steuerbare Eigenmietwert im Durchschnitt mindestens 70% des Marktwertes betragen müsse. Mit Urteil vom 20. März 1998 hat das Bundesgericht indessen entschieden, dass für die Bemessung des Eigenmietwertes in jedem Fall 60% des effektiven Marktwertes die untere Grenze dessen bilden, was mit
Art. 4 BV
noch vereinbar ist (
BGE 124 I 145
E. 4d, mit Darstellung der bisherigen Praxis). Dementsprechend hat das Bundesgericht am 25. März 1998 eine kantonale Volksinitiative für zulässig erklärt, welche eine Eigenmietwertbesteuerung von maximal 70% verlangte (nicht publiziertes Urteil vom 25. März 1998 i.S. A., E. 6 und 7). Die Ansicht der Beschwerdeführer entspricht insoweit nicht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
c) Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn beigemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien
BGE 124 I 193 S. 196
vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist (
BGE 123 I 112
E. 2a S. 116;
BGE 122 I 18
E. 2a S. 20, mit Hinweisen). Für die Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Vorschrift ist deren Text nach den anerkannten Interpretationsgrundsätzen auszulegen. Grundsätzlich ist vom Wortlaut der Norm auszugehen und nicht in erster Linie auf den subjektiven Willen des Normsetzers abzustellen (
BGE 121 I 334
E. 2c S. 338). Auch lässt die Möglichkeit, dass in besonders gelagerten Einzelfällen die Anwendung einer Norm zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt, den Erlass als solchen nicht verfassungswidrig werden (
BGE 114 Ia 350
E. 2 S. 354 f.; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 198). Indessen ist mitzuberücksichtigen, unter welchen Umständen die betreffende Bestimmung zur Anwendung gelangen wird. Der Verfassungsrichter hat die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung nicht nur abstrakt zu untersuchen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit verfassungstreuer Anwendung miteinzubeziehen, um das Risiko einer Verfassungsverletzung möglichst gering zu halten (
BGE 123 I 112
E. 2c S. 117;
BGE 118 Ia 427
E. 3b S. 433; mit Hinweisen; ANDREAS AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, Basel 1984, S. 169 f., KÄLIN, a.a.O., S. 199). Dabei dürfen auch die Erklärungen der Behörden über die beabsichtigte künftige Anwendung der Vorschrift berücksichtigt werden (BGE
BGE 118 Ia 427
E. 3b S. 433, mit Hinweis).
d) Die vorliegend streitigen Weisungen enthalten keine Prozentzahl, die - sei es als Schranke oder als anzustrebende Zielgrösse - die Höhe des steuerbaren Eigenmietwerts direkt festsetzt. Sie legen bloss die Methode und die Kriterien für dessen Bemessung fest. Gemäss Ziff. 50 der Weisungen beträgt der Eigenmietwert für selbstgenutzte Einfamilienhäuser bzw. Stockwerkeigentumseinheiten 4 bzw. 4,5% des Land- und Zeitbauwertes bzw. -anteils. Der Landwert wird auf der Basis der Bauland-Kategorie festgeleg, wobei gegenüber unüberbautem Land ein Einschlag von 20% in Rechnung gestellt wird. Der Zeitbauwert entspricht dem Neubauwert abzüglich einer dem Alter des Gebäudes entsprechenden Altersentwertung (Ziff. 22 der Weisungen). Der Neubauwert wird auf 720% des von der Gebäudeversicherung festgelegten Basiswertes festgesetzt (Ziff. 23), die Altersentwertung beträgt pro Jahr 1% des Neubauwertes, jedoch höchstens 40% (Ziff. 24). Diese Methode
BGE 124 I 193 S. 197
ist als solche nicht bundesrechts- bzw. verfassungswidrig. Ob sie zu verfassungswidrigen Ergebnissen führt, hängt von mehreren Faktoren ab, die nicht im angefochtenen Erlass selber festgelegt sind. Eine allfällige Verfassungswidrigkeit kann sich unter diesen Umständen nicht direkt aus dem Text der Weisungen ergeben, sondern allenfalls daraus, dass ihre praktische Anwendung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen wird.
e) Dabei ist zu beachten, dass eine mathematisch exakte Gleichbehandlung jedes einzelnen Steuerpflichtigen aus praktischen Gründen nie völlig erreichbar ist. Eine gewisse Schematisierung und Pauschalisierung des Abgaberechts ist unausweichlich und deshalb auch zulässig (
BGE 112 Ia 240
E. 4b S. 244). Das führt zwangsläufig dazu, dass bei jeder Regelung gewisse Einzelfälle aufgrund individueller Besonderheiten mehr oder weniger belastet werden, als einer strikten Gleichbehandlung entspräche. Das gilt nicht etwa nur im Verhältnis zwischen Mietern und Eigentümern, sondern ganz generell, namentlich auch im Verhältnis zwischen verschiedenen Mietern oder zwischen verschiedenen Eigentümern. Eine generelle Regelung kann deshalb nicht allein schon deswegen verfassungswidrig sein, weil sie dazu führt, dass in bestimmten Einzelfällen jemand anders belastet wird als andere Steuerpflichtige in vergleichbaren Verhältnissen, wäre doch sonst praktisch überhaupt kein verfassungskonformes Steuergesetz denkbar. Eine Verfassungswidrigkeit kann nur darin liegen, dass die Anwendung eines Erlasses zwangsläufig in einer erheblichen Zahl von Fällen zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung bestimmter Steuerpflichtiger führt oder systematisch bestimmte Gruppen in verfassungswidriger Weise benachteiligt (vgl.
BGE 123 II 9
E. 4c S. 16). Es kommt hinzu, dass ein objektiver Marktwert für einzelne Liegenschaften ohnehin nicht genau feststellbar ist, solange die Liegenschaft nicht verkauft oder vermietet wird. Zudem kann der Marktwert konjunkturbedingt relativ kurzfristig mehr oder weniger erheblich schwanken; er hängt auch sonst von zahlreichen Faktoren ab, die eine objektive Schätzung erschweren (vgl.
BGE 123 II 9
E. 4b S. 15).
f) Gemäss einer von der Finanzdirektion angeführten Nachberechnung der Gutachter Wüest & Partner aus dem Jahre 1996 entsprechen die aufgrund der angefochtenen Weisungen zu erwartenden durchschnittlichen Eigenmietwerte von Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum 61 bzw. 60% des Marktmietzinses. Diese Werte, die ungefähr dem vom Regierungsrat angestrebten Zielwert von 60% entsprechen, liegen somit im Durchschnitt am unteren Rand
BGE 124 I 193 S. 198
des verfassungsrechtlich Zulässigen. Da angesichts der erheblichen Schwierigkeiten einer exakten Schätzung von Marktwerten in Einzelfällen damit gerechnet werden muss, dass die effektiv veranlagten Steuerwerte mit einer erheblichen Streubreite von einem Durchschnittswert abweichen, kann ein durchschnittlicher Wert von 60 oder 61% nur dadurch entstehen, dass ein beträchtlicher Teil der Einzelwerte unterhalb von 60% liegt. Die angefochtene Weisung führt somit zwangsläufig mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu Ergebnissen, die mit dem vom Bundesgericht als Untergrenze festgelegten Wert von 60% nicht vereinbar sind. Sie erweist sich insoweit als verfassungswidrig.
g) Nicht zutreffend ist demgegenüber das Argument der Beschwerdeführer, die Netto-Eigenmietwerte lägen zusätzlich mindestens 20% tiefer, da jeder Selbstnutzer vom Eigenmietwert unabhängig von den effektiven Betriebskosten eine Unterhaltspauschale von 20% abziehen könne. Beim Unterhaltsabzug handelt es sich um einen Abzug für Gewinnungskosten. Dass dieser Abzug auch unabhängig von effektiven Unterhaltskosten in einer gewissen Höhe pauschal geltend gemacht werden kann, entspricht den Erfordernissen der Praktikabilität und ist auch im Bundesrecht so vorgesehen (vgl. Art. 32 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer, SR 642.11). Die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Höhe des Eigenmietwertes bezog sich denn auch immer auf den Bruttoeigenmietwert vor Abzug der Unterhaltskosten. Dieser Abzug könnte höchstens dann zu einem verfassungswidrigen Resultat führen, wenn er in einer Höhe zugestanden würde, die deutlich über dem effektiven durchschnittlichen Unterhaltsaufwand läge. Solches wird von den Beschwerdeführern indessen nicht dargetan.
4.
Die Beschwerdeführer rügen, die aufgrund der Weisungen erfolgte Bemessung des Vermögenssteuerwertes für selbstgenutztes Wohneigentum verletze die Rechtsgleichheit und beruhe auf einer willkürlichen Gesetzesanwendung.
a) Das Prinzip der Rechtsgleichheit im Steuerrecht gilt nicht nur für die Bemessung des Eigenmietwertes, sondern auch für die Festlegung der Vermögenssteuerwerte (
BGE 124 I 159
E. 2e, mit Hinweisen). Indessen verlangt
Art. 4 BV
nicht zwingend, dass alle Vermögenswerte nach den gleichen Grundsätzen zu bewerten sind. So hat beispielsweise der Bundesgesetzgeber in für das Bundesgericht verbindlicher Weise (
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114bis Abs. 3 BV
) angeordnet, dass land- und forstwirtschaftliche Grundstücke
BGE 124 I 193 S. 199
zum Ertragswert besteuert werden (
Art. 14 Abs. 2 StHG
; SR 642.12), während andere Vermögenswerte grundsätzlich zum Verkehrswert besteuert werden, wobei jedoch der Ertragswert angemessen berücksichtigt werden kann (
Art. 14 Abs. 1 StHG
). Im Hinblick auf Grundstücke ist zudem zu beachten, dass die im Zusammenhang mit der Bemessung des Eigenmietwertes erwähnten Schwierigkeiten der Schätzung (vorne E. 3e) gleichermassen auch für die Festlegung des Vermögenssteuerwertes bestehen. Die damit verbundene Unsicherheit macht es auch bei der Vermögenssteuer zulässig, die Festlegung des Steuerwertes nach schematischen, vorsichtigen Schätzungen vorzunehmen, auch wenn das dazu führt, dass die so festgelegten Werte in einem gewissen Masse von den effektiven Marktwerten abweichen (
BGE 124 I 159
E. 2h S. 168).
Demgegenüber hat das Bundesgericht entschieden, dass es mit
Art. 4 BV
nicht vereinbar ist, Grundeigentum in Abweichung von der für Mobilien geltenden Regelung bewusst und generell nur zu 70% des Verkehrswertes zu besteuern. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die Überlegung, dass eine solche generelle Regelung nicht bloss das selbstgenutzte Wohneigentum betrifft, sondern sämtliche Liegenschaften, unter Einschluss von Geschäftsliegenschaften und Mietobjekten; sie könne daher nicht mehr mit dem Interesse an einer steuerlichen Förderung des Eigentums begründet werden (a.a.O.). Ob und wieweit im Interesse der Eigentumsförderung ein derartiger Einschlag vom Verkehrswert für ausschliesslich selbstgenutztes Wohneigentum mit der Rechtsgleichheit vereinbar ist, kann vorliegend offen bleiben, da sich die angefochtene Weisung in diesem Punkt aus einem anderen Grund als verfassungswidrig erweist.
b) Nach § 34 des kantonalen Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 wird das Vermögen zum Verkehrswert besteuert. Der Verkehrswert im Sinne von
§ 34 StG
bedeutet den Preis, der für ein Vermögensrecht bei einer Veräusserung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr mutmasslich zu erzielen ist, wobei grundsätzlich auf den objektiven Verkehrswert abzustellen ist (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Bern 1969, N. 5 zu § 34; RICHNER/FREI/WEBER/BRÜTSCH, Zürcher Steuergesetz, Kurzkommentar, Zürich 1994, N. 2 und 3 zu § 34). Das Gesetz sieht - in der hier massgebenden Fassung - nicht vor, dass vom Verkehrswert ein Abzug zu machen sei.
In der Praxis kann der Verkehrswert nicht für jedes einzelne Objekt genau und objektiv bestimmt werden.
§ 34 Abs. 2 StG
BGE 124 I 193 S. 200
ermächtigt daher den Regierungsrat, die für eine gleichmässige Bewertung von Liegenschaften notwendigen Dienstanweisungen zu erlassen. Damit geht auch das zürcherische Recht davon aus, dass der Steuerwert ein schematisch ermittelter, nach generellen Regeln geschätzter Wert ist (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., N. 23 zu § 34; RICHNER/FREI/WEBER/BRÜTSCH, a.a.O., N. 9 f. zu § 34). Es ist praktisch unvermeidlich, dass die effektiven Marktwerte in einem gewissen Rahmen über oder unter den so ermittelten Steuerwerten liegen. Würde die generelle Bewertungsregelung so festgelegt, dass der Steuerwert im Durchschnitt 100% des Verkehrswertes beträgt, wäre in einer bestimmten Zahl von Fällen der Steuerwert höher als der Verkehrswert. Damit würde ein Vermögenswert besteuert, der effektiv gar nicht besteht. Das würde ebenfalls dem Gesetz widersprechen und rechtfertigt es, die Steuerwerte eher vorsichtig zu bemessen. Es ist daher nicht von vornherein im Widerspruch zum Gesetz, wenn im Ergebnis ein durchschnittlicher Steuerwert resultiert, der tiefer ist als der Verkehrswert. Hingegen muss sich gleichermassen wie bei der Beurteilung im Lichte der Rechtsgleichheit (vorne E. 4a) dieser tiefere Wert in einem haltbaren Ausmass bewegen, der sich durch die Ungenauigkeiten der Schätzung sachlich rechtfertigen lässt. Wird von vornherein ein Steuerwert angestrebt, der deutlich unterhalb des effektiven Marktwertes liegt, so steht das in einem klaren Widerspruch zum Gesetz, welches für die Vermögenssteuer ausdrücklich vom Grundsatz der Besteuerung zum Verkehrswert ausgeht.
c) Ebenso wie bezüglich der Eigenmietwerte enthalten die angefochtenen Weisungen für den Vermögenssteuerwert keine anzustrebende Prozentzahl, sondern sie legen die massgebenden Werte nur indirekt fest, wobei die gleichen Methoden und Kriterien angewendet werden (Ziff. 16 ff. der Weisungen). Gemäss den Angaben des Regierungsrates betragen die effektiven, aufgrund dieser Weisungen errechneten durchschnittlichen Vermögenssteuerwerte für Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum 61 bzw. 59% des Marktwertes.
Diese Werte sprengen den durch § 34 des Steuergesetzes eröffneten Spielraum. Wenn das Bundesgericht schon in Anwendung des Rechtsgleichheitsgebots entschieden hat, dass ein genereller Steuerwert von 70% des Verkehrswertes unzulässig ist (
BGE 124 I 159
), dann ist es erst recht unzulässig, einen Vermögenssteuerwert von 60% anzustreben, wenn das Gesetz ausdrücklich eine Besteuerung zum Verkehrswert verlangt. Die angefochtene Weisung beruht somit in diesem Punkt auf einer willkürlichen und daher verfassungswidrigen
BGE 124 I 193 S. 201
Anwendung von
§ 34 StG
. Im Übrigen entspricht sie auch nicht den Vorgaben des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) (vgl.
BGE 124 I 145
E. 6b S. 158).
5.
a) Die angefochtenen Bestimmungen erweisen sich somit als verfassungswidrig. Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde hebt das Bundesgericht kantonale Hoheitsakte, die sich als verfassungswidrig erweisen, grundsätzlich auf. Jedoch kann das Bundesgericht nicht über die Begehren der Beschwerdeführer hinausgehen; es kann nicht quasi als Aufsichtsbehörde von Amtes wegen kantonale Hoheitsakte aufheben, die gar nicht angefochten worden sind. Vorliegend haben die Beschwerdeführer die Weisungen nur bezüglich der von den Eigentümern genutzten Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentumseinheiten angefochten. Die Weisungen sehen jedoch nicht nur dafür eine gesetzwidrige Bewertungsmethode vor, sondern auch für andere Liegenschaften, namentlich Mehrfamilienhäuser. Aus den Akten geht hervor, dass für Mehrfamilienhäuser der Steuerwert im Durchschnitt ebenfalls nur 61% des Verkehrswertes beträgt. Unter diesen Umständen würde die Aufhebung der angefochtenen Weisungen nur - wie beantragt - hinsichtlich der Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen bei der Vermögensbesteuerung zu einer andern Ungleichbehandlung führen, indem die Eigentümer von Mehrfamilienhäusern unterschiedlich besteuert würden als diejenigen von Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum.
b) Hinzu kommen Aspekte der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit: Der Kanton Zürich hat am 8. Juni 1997 ein neues Steuergesetz angenommen, welches erstmals auf die im Kalenderjahr 1999 zu Ende gehende Steuerperiode Anwendung findet. Nur noch Einschätzungen bis und mit Steuerjahr 1998 werden nach dem bisherigen Steuergesetz, auf welches sich die angefochtenen Richtlinien stützen, vorgenommen (§ 269 Abs. 1 des revidierten Steuergesetzes vom 8. Juni 1997). Es ist davon auszugehen, dass ein grosser Teil der für die Steuerjahre 1997 und 1998 geltenden Eigenmiet- und Vermögenssteuerwerte bereits rechtskräftig veranlagt ist. Die neue Rechtslage könnte somit nur in jenen Fällen zum Tragen kommen, wo die Veranlagung - sei es durch Verzögerungen seitens der Behörden, sei es weil der Steuerpflichtige Rechtsmittel ergriffen hat - noch nicht rechtskräftig ist.
c) Bei dieser Sachlage erscheint es gerechtfertigt, von einer formellen Aufhebung der angefochtenen Weisungen abzusehen. Es ist
BGE 124 I 193 S. 202
jedoch festzustellen, dass sie verfassungswidrig sind, soweit sie dazu führen, dass die Eigenmietwerte in einer erheblichen Zahl von Fällen tiefer als 60% des Marktwertes und die Vermögenssteuerwerte für Liegenschaften massiv unterhalb des Verkehrswerts liegen. Der Regierungsrat wird geeignete Massnahmen zu treffen haben, um eine verfassungs- und gesetzeskonforme Besteuerung zu erreichen. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
73badbfe-2d75-4c9e-8e37-bd0ed077a9b6 | Urteilskopf
88 I 37
7. Urteil vom 6. Juni 1962 i.S. H. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | Regeste
1. Auslieferung; Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit. Beim Entscheid darüber, ob die verfolgte Tat im ersuchenden und im ersuchten Staat strafbar sei, hat der Auslieferungsrichter von der Darstellung des Sachverhalts auszugehen, die in den zur Begründung des Auslieferungsbegehrens vorgelegten Urkunden enthalten ist (Erw. 1).
2.
Art. 148, 154 StGB
. Begriff der Arglist; Abgrenzung des Betruges vom Inverkehrbringen gefälschter Waren (Erw. 2, 3). | Sachverhalt
ab Seite 37
BGE 88 I 37 S. 37
A.-
Das Amtsgericht Hechingen hat am 6. Februar 1962 gegen H. einen Haftbefehl erlassen. Es legt ihm zur Last, er habe dem Weingrosshändler R. in Sch. (Württemberg) in der Zeit vom 16. März bis 28. Oktober 1961 "Weinbrand" und "Weindest-illat" zum Preis von mindestens 500'000 DM geliefert. Der Kaufpreis sei nach den Angaben R.s bis auf einen Restbetrag von 70'000 DM bezahlt worden. H. und der mit ihm zusammenarbeitende Trinkbranntweinhersteller X. hätten indes keine Eingänge an echtem Weinbrand oder Weindest-illat gehabt, die ihre Lieferungen auch nur annähernd decken würden. Auch
BGE 88 I 37 S. 38
stehe fest, dass nicht aus Traubenwein hergestellter hochprozentiger Sprit durch H.s Hände gegangen und teilweise von ihm übernommen worden sei. Es sei daher anzunehmen, dass die an R. gelieferte Ware nicht oder allenfalls nur zu einem geringen Bruchteil aus Traubenwein gewonnen worden sei, im übrigen aber aus anderem Sprit bestanden habe, dem Essenzen und Typagen beigemischt worden seien. H. habe R. und andere Abnehmer über die Beschaffenheit und den Ursprung der gelieferten Ware getäuscht, indem er diese als Weinbrand bzw. Weindest-illat angeboten, verkauft und berechnet habe und er den Abnehmern ausserdem mündlich und schriftlich bestätigt habe, dass es sich um verkehrsfähigen echten Weinbrand handle. Er habe damit R. in den Irrtum versetzt, der angebotene "Weinbrand" sei echt im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 des Weingesetzes und deshalb als Weinbrand verkehrsfähig und zu verkaufen; aus dem angebotenen "Weindest-illat" lasse sich ein echter und verkehrsfähiger Weinbrand in gesetzlich zulässiger Weise herstellen. Durch diese Irreführung habe er R. zur Abnahme der Ware und zur Leistung der bisherigen Zahlungen bewogen. R. sei insofern geschädigt, als er für minderwertige Ware einen Preis bezahlt habe, der für Weinbrand bzw. Weindest-illat gefordert werden könne, und als er mit Ersatzanspüchen der Kunden rechnen müsse, denen er die gelieferte Ware als Weinbrand bzw. Weindest-illat weiterverkauft habe. H. habe in der Absicht gehandelt, sich einen Preis bezahlen zu lassen, der für Weinbrand bzw. Weindest-illat angemessen wäre, den Verkaufswert der gelieferten Ware jedoch erheblich übersteige. Es bestehe deshalb der dringende Verdacht, dass H. sich des Betruges im Sinne des § 263 dStGB schuldig gemacht habe.
Gestützt auf diesen Haftbefehl ersuchte das Justizministerium Baden-Württemberg das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement um die Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen H.
B.-
H. hat gegen die Auslieferung Einsprache erhoben.
BGE 88 I 37 S. 39
Sein Vertreter wendet ein, der im Haftbefehl umschriebene Sachverhalt würde nach schweizerischem Recht, wenn überhaupt, nur den Tatbestand der Warenfälschung oder des Inverkehrbringens gefälschter Waren im Sinne von Art. 153 bzw. 154 StGB erfüllen, nicht aber denjenigen des Betruges.
Art. 148 StGB
fasse den Begriff des Betruges enger als das deutsche Recht, indem er insbesondere voraussetze, dass die absichtliche Täuschung mit Arglist ausgeführt worden sei. Die einfache Falschdeklaration stelle kein arglistiges Handeln dar; um dieses Tatbestandselement zu erfüllen, müsse der Täter vielmehr weitere Vorkehrungen treffen, um den Geschädigten irrezuführen. Der Haftbefehl werfe H. nichts dergleichen vor; namentlich werde ihm nicht zur Last gelegt, er habe die Abnehmer arglistig von einer Prüfung der Ware abgehalten.
C.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat die Akten samt Schlussbericht dem Bundesgericht unterbreitet, damit es über die Auslieferung entscheide.
Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Einsprache abzuweisen und die Auslieferung H.s wegen Betruges zu bewilligen, sie aber an den Vorbehalt zu knüpfen, dass H. nicht wegen allfälliger Zuwiderhandlung gegen das deutsche Lebensmittelgesetz oder gegen deutsche Fiskal- oder Zollvorschriften in Untersuchung gezogen werde, und dass ein solcher Umstand bei der Strafzumessung im Verfahren wegen Betruges nicht strafschärfend berücksichtigt werde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Auslieferung von Personen, die wegen strafbarer Handlungen verurteilt worden sind oder verfolgt werden, wird im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz durch den Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874 (BS Bd. 12 S. 85 ff.) geregelt. Dieser führt in Art. 1 die strafbaren Handlungen auf, derentwegen die Auslieferung zu bewilligen ist. Die Aufzählung ist in der Folge durch Gegenrechtserklärungen ergänzt worden, die eine Reihe weiterer Straftaten zu
BGE 88 I 37 S. 40
Auslieferungsdelikten erhoben haben (vgl. die Zusammenstellung in der Bekanntmachung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 8. Januar 1927; BBl 1927 I S. 39/40).
Wie das Auslieferungsgesetz (Art. 3 Abs. 1), so bestimmt die Mehrzahl der von der Schweiz geschlossenen Auslieferungsverträge ausdrücklich, dass die Auslieferung nur für Handlungen und Unterlassungen bewilligt wird, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates strafbar sind (
BGE 87 I 199
/200). Der schweizerischdeutsche Auslieferungsvertrag erwähnt das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 9, 12 und 13 für einzelne Auslieferungsdelikte, ebenso im letzten Absatz für den Versuch. In diesen Klauseln wird ein Grundsatz verdeutlicht, der stillschweigend auch hinsichtlich der übrigen Auslieferungsdelikte vorausgesetzt wird und den ganzen Auslieferungsvertrag beherrscht. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts ist daher im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in allen Fällen am Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit festzuhalten (
BGE 42 I 218
Erw. 2,
BGE 54 I 342
Erw. 1; SCHULTZ, Auslieferungsrecht, S. 316/17 und die dort in A. 38 genannten Urteile). Das bedeutet, dass die Auslieferung nur zu gewähren ist, wenn die Tatbestandsmerkmale der in Art. 1 des Auslieferungsvertrags und in den Gegenrechtserklärungen aufgeführten Delikte nach beiden Rechten gegeben sind.
Der Auslieferungsrichter hat indes nicht zu untersuchen, ob die betreffenden Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt seien oder nicht; denn die materielle Beurteilung bleibt dem Sachrichter überlassen. Der Auslieferungsrichter hat lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Auslieferung gegeben seien, das heisst ob die verfolgte Tat ein Auslieferungsdelikt darstelle und sie beidseitig strafbar sei, und ob allenfalls ein Grund vorliege, der die Auslieferung ausschliesst. Hinsichtlich des Hergangs der Tat und der Schuld des Angeschuldigten ist der Auslieferungsrichter
BGE 88 I 37 S. 41
an die zur Begründung des Auslieferungsbegehrens vorgelegten Urkunden gebunden: Er hat von der Darstellung des Sachverhalts im ausländischen Urteil, im Haftbefehl oder anderen Urkunden auszugehen, worauf das Auslieferungsbegehren sich stützt. Ob dieser Sachverhalt bewiesen sei und ob der Einsprecher die ihm gemachten Vorhalte ganz oder teilweise bestreite, ist unerheblich; der Auslieferungsrichter hat, die Berichtigung offensichtlicher Irrtümer vorbehalten, auf den Sachverhalt abzustellen, der dem Auszuliefernden in den das Auslieferungsgesuch begründenden Urkunden vorgeworfen wird (SCHULTZ, a.a.O., S. 232, 238 A. 91).
2.
H. wird in Deutschland wegen Betruges verfolgt. Der Betrug ist nach Art. 1 Ziff. 13 des Auslieferungsvertrags ein Auslieferungsdelikt. Zu prüfen ist, ob der H. im Haftbefehl zur Last gelegte Sachverhalt die Tatbestandsmerkmale des Betruges sowohl nach § 263 des deutschen wie nach Art. 148 des schweizerischen StGB erfülle. Das trifft mit Bezug auf § 263 dStGB zu; hinsichtlich des Art. 148 des schweizerischen StGB jedenfalls insofern, als dieser mit der erstgenannten Norm übereinstimmt (wird näher ausgeführt).
Fraglich und für die Auslieferung entscheidend ist dagegen, ob der Sachverhalt, der H. im Haftbefehl vorgeworfen wird, auch das Merkmal der über die einfache Irreführung hinausgehenden Arglist enthalte, das zwar nicht nach § 263 des deutschen, wohl aber nach Art. 148 des schweizerischen StGB zum Begriff des Betruges gehört. Nur wenn H. auch dieses Tatbestandsmerkmal zur Last gelegt wird, ist die beidseitige Strafbarkeit gegeben und die Auslieferung zu bewilligen. Der Auslieferungsrichter hat hier demnach vorfrageweise die einfache Lüge von der arglistigen Täuschung im Sinne des
Art. 148 StGB
abzugrenzen. Der Staatsgerichtshof hat keinen Anlass, hierin von der Rechtsprechung abzuweichen, die der Kassationshof des Bundesgerichts zu dieser strafrechtlichen Frage im allgemeinen und insbesondere zur Klärung des Verhältnisses
BGE 88 I 37 S. 42
zwischen
Art. 148 und 154 StGB
(Inverkehrbringen gefälschter Waren) entwickelt hat. In zahlreichen Urteilen hat der Kassationshof erkannt, dass der Täter, der einen andern nur durch einfache Lüge täuscht, dann nicht arglistig im Sinne des
Art. 148 StGB
handelt, wenn der andere die Angabe ohne besondere Mühe überprüfen kann, ihm die Überprüfung zuzumuten ist und der Täter ihn weder absichtlich davon abhält noch nach den Umständen voraussieht, dass der Getäuschte die Überprüfung unterlassen werde (
BGE 72 IV 13
, 123, 128 und 159;
BGE 73 IV 25
;
BGE 74 IV 151
;
BGE 77 IV 85
). Der Kassationshof hat sich in
BGE 72 IV 169
/70 sodann im besonderen mit dem Verhältnis zwischen Betrug und Inverkehrbringen gefälschter Waren befasst und ist dabei zu folgendem Schluss gekommen:
"
Art. 154 StGB
steht... als Sondernorm der Anwendung des
Art. 148 StGB
nur dann im Wege, wenn die Täuschung in nichts anderem als darin besteht, dass der Veräusserer die nachgemachte, verfälschte oder im Werte verringerte Ware als "echt, unverfälscht oder vollwertig" ausgibt, sie also unrichtig bezeichnet oder den Erwerber einfach durch Schweigen über ihre Beschaffenheit im Irrtum lässt. Falls man hier überhaupt von Arglist der Täuschung sprechen kann, da es dem Erwerber ja oft leicht möglich und auch zum utbar ist, die Ware zu prüfen, handelt es sich jedenfalls um eine Arglist, die ins Mass geht und mit der Strafe des Art. 154 genugend gesühnt wird. Davon unterscheiden sich die Fälle, in denen der Täter es nicht bei einer einfachen Falschdeklaration bewenden lässt, sondern weitergehende arglistige Vorkehren trifft, um den Erwerber irrezuführen, so wenn der Weinhändler z.B. Flaschenweinc unter Etiketten verkauft, welche dem Käufcr vortäuschen, ein anderer, als Lieferant von Qualitätsweinen bekannter Händler habe den Wein in die Flaschen abgezogen. In solchen Fällen ist
Art. 148 StGB
anzuwenden, und zwar, da diese Bestimmung die Tat nach allen Seiten umfasst, unter Ausschluss der Art. 153 und 154. Wie bereits erwähnt, gilt Art. 148 ferner dann, wenn die falsch deklarierte Ware weder nachgemacht noch verfälscht oder im Wertc verringert ist, also der Tatbestand des Art. 154 nicht erfüllt ist."
Diese Grundsätze wurden im nicht veröffentlichten Urteil vom 11. Oktober 1955 i.S. Chappuis und Chevalley, Erw. 4, bestätigt und näher ausgeführt.
3.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hechingen legt H. keine über die Falschdeklaration hinausgehende Täuschungshandlung
BGE 88 I 37 S. 43
zur Last; insbesondere wird ihm nicht vorgeworfen, er habe besondere Machenschaften zur Unterstützung der durch die einfache Lüge begründeten Täuschung ins Werk gesetzt, er habe die Abnehmer absichtlich von der Prüfung der gelieferten Ware abgehalten oder er habe nach den Umständen voraussehen können, dass die Prüfung unterbleiben werde; auch wird nicht behauptet, die Prüfung wäre dem Abnehmer nicht ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen.
Die Bundesanwaltschaft will den Vorwurf der Arglist darin erblicken, dass der Haftbefehl erwähnt, H. habe seinen Abnehmern "ausserdem mündlich und schriftlich bestätigt, dass es sich um verkehrsfähigen echten Weinbrand handle". Das Feilbieten oder sonstige Inverkehrbringen gefälschter Ware "als echt, unverfälscht oder vollwertig" ist jedoch gerade das wichtigste Tatbestandsmerkmal des
Art. 154 StGB
. Der Vorhalt, H. habe - auf Anfrage oder von sich aus - die Echtheit und Verkehrsfähigkeit der Ware entgegen ihrer wirklichen Beschaffenheit mündlich und schriftlich bestätigt, betrifft eine Handlungsweise, die durchaus in den Rahmen des
Art. 154 StGB
fällt; es handelt sich dabei nicht um eine darüber hinausgehende arglistige Vorkehrung, welche die Anwendung des
Art. 148 StGB
zu begründen vermöchte.
Die Bundesanwaltschaft macht ferner geltend, H. sei sich der Schwierigkeit der Prüfung der gelieferten Spirituosen durch die Abnehmer bewusst gewesen; er habe selber darauf hingewiesen. Dieses Argument kann nicht gehört werden. Da es beim Entscheid über die Auslieferung nicht auf die tatsächlichen Vorgänge, sondern auf den Gegenstand der Anklage bildenden Sachverhalt ankommt, sind ausserhalb desselben liegende Geschehnisse selbst dann für den Auslieferungsrichter unbeachtlich, wenn sie vom Auszuliefernden zugestanden werden. Eine derartige Zugabe liegt hier übrigens entgegen der Meinung der Bundesanwaltschaft nicht vor (wird näher ausgeführt).
Der H. im Haftbefehl zur Last gelegte Sachverhalt
BGE 88 I 37 S. 44
erfüllt mithin nach schweizerischem Recht wohl den Tatbestand des Inverkehrbringens gefälschter Waren im Sinne des
Art. 154 StGB
, nicht jedoch den des Betruges im Sinne des
Art. 148 StGB
, weil er das zusätzliche Merkmal der Arglist nicht enthält.
4.
Der Tatbestand des
Art. 154 StGB
gehört nicht zu den in Art. 1 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrags aufgezählten Auslieferungsdelikten. Bestimmte Fälle des Inverkehrbringens gefälschter Waren sind indes durch die Gegenrechtserklärung vom 21. April/20. Mai 1910 zu Auslieferungsdelikten erhoben worden, nämlich das Feilbieten und Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die in einer für die menschliche Gesundheit schädlichen (gefährlichen) Weise gefälscht oder verfälscht sind (vgl. BBl 1927 I S. 40). Weinbrand und Weindest-illat sind als Lebensmittel (Nahrungs- und Genussmittel) im Sinne von
Art. 1 LMG
und
Art. 2 LMV
sowie der Gegenrechtserklärung zu betrachten; doch wird im Haftbefehl nicht geltend gemacht, das durch die Unterschiebung bzw. den Zusatz von nicht aus Traubenwein hergestelltem Sprit gefälschte oder verfälschte Erzeugnis sei für die menschliche Gesundheit schädlich oder gefährlich. Es liegt demzufolge kein Auslicferungsdelikt im Sinne der Gegenrechtserklärung vor. Gleiches gilt mit Bezug auf den Tatbestand des
Art. 153 StGB
(Warenfälschung).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Einsprache des H. gegen seine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland wird gutgeheissen und die Auslieferung wird verweigert. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
73bcb24c-9964-43dd-ade6-cc4b0e26e416 | Urteilskopf
112 Ib 514
78. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. September 1986 i.S. Einwohnergemeinde Grindelwald gegen A. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Enteignung eines baurechtsbelasteten Grundstücks; Bemessung der dem Grundeigentümer zustehenden Entschädigung.
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entschädigungsentscheide in Enteignungsverfahren, die auf Raumplanungsmassnahmen hin eingeleitet werden (E. 1a). Kognition des Bundesgerichts (E. 1b).
Entschädigungsbemessung anhand des subjektiven Schadens anstelle einer Verkehrswertermittlung (E. 2). Der Eigentümer einer Baurechtsliegenschaft hat grundsätzlich Anspruch auf den Barwert der für die Restvertragsdauer geschuldeten Baurechtszinse sowie auf den diskontierten Wert des nach Ablauf des Baurechts freiwerdenden Grundstücks. Allerdings muss dem Umstand, dass der Baurechtszins an eine für den Eigentümer ungünstige Anpassungsklausel gebunden ist, angemessen Rechnung getragen werden (E. 3-6). | Sachverhalt
ab Seite 515
BGE 112 Ib 514 S. 515
Die Stimmbürger der Gemeinde Grindelwald hiessen an der Gemeindeversammlung vom 1. Dezember 1978 eine Revision des Überbauungsplanes mit Sondervorschriften Nr. 1 "Sportzentrum" gut, durch welche die Parzelle Nr. 3060 im Halte von 1016 m2 der privaten Nutzung entzogen und der Freifläche für öffentliche Bauten zugewiesen wurde. Der abgeänderte Überbauungsplan wurde zunächst von der Baudirektion und am 28. Mai 1980 vom Regierungsrat des Kantons Bern unter Abweisung der erhobenen Einsprache genehmigt. Am 15. August 1980 stellte die Einwohnergemeinde Grindelwald bei der kantonalen Enteignungs-Schätzungskommission, Kreis I, ein Gesuch um Einleitung des Enteignungsverfahrens und Festsetzung der Entschädigungen, die an A. als Eigentümer des Grundstücks Nr. 3060 und an die Genossenschaft Migros Bern als Inhaberin des auf dieser Parzelle lastenden selbständigen, hundert Jahre dauernden Baurechts zu bezahlen seien. Nach dem Scheitern der Einigungsverhandlung und von Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien sprach die Enteignungs-Schätzungskommission am 11. Mai 1982 A. für die Bodenabtretung Fr. 1'310'640.-- sowie eine Inkonvenienzentschädigung von Fr. 34'357.95 und der Genossenschaft Migros Bern eine Inkonvenienzentschädigung von Fr. 80'217.15 samt Zinsen zu 5% ab 28. Mai 1980 zu. Diesen Entscheid zogen beide Parteien an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern weiter.
Mit Entscheid vom 17. September 1984 setzte das Verwaltungsgericht die Enteignungsentschädigungen für den Eigentümer neu auf Fr. 1'795'455.-- für das abzutretende Land (Ziff. 1a) und auf Fr. 9'949.-- für Inkonvenienzen (Ziff. 1b) fest und erhöhte die an die Genossenschaft Migros Bern auszurichtende Inkonvenienzentschädigung auf Fr. 162'456.--. Im weiteren wurde der Beginn des Zinsenlaufes auf den 15. August 1980, den Zeitpunkt der Einreichung des Enteignungsgesuches, verschoben.
Bei der Bestimmung der dem Eigentümer zustehenden Entschädigung - die vor Bundesgericht allein noch umstritten ist
BGE 112 Ib 514 S. 516
- ging das Verwaltungsgericht abweichend von den beigezogenen Experten von einer jährlichen Durchschnittsgrundrente von Fr. 98'750.-- aus, auf die der Grundeigentümer gemäss Baurechtsvertrag vom massgebenden Stichtag an (28. Mai 1980) bis zum Ablauf des Baurechtes in 96,5 Jahren mindestens noch Anspruch gehabt hätte. Dieser Betrag wurde als jährlich nachschüssig zahlbare ewige Rente zu 5,5% kapitalisiert, wobei als Zinssatz das Mittel der Hypothekarzinssätze für I. Hypotheken auf gewerblichen Liegenschaften gewählt wurde, die einerseits am Stichtag (4,75%), andererseits im Mai 1982 bei der Erstellung der Expertise (6,25%) galten. Auf die Begründung im einzelnen wird in den rechtlichen Erwägungen einzugehen sein.
Die Einwohnergemeinde Grindelwald hat gegen den Entscheid des Berner Verwaltungsgerichtes Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und den Antrag gestellt, Ziffer 1a des angefochtenen Urteils und das anteilige Kostendispositiv seien aufzuheben und es sei die Entschädigung für das abzutretende Land höchstens auf Fr. 1'000'000.-- festzusetzen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss Art. 34 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen im Sinne von Art. 5 dieses Gesetzes. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch gegeben, wenn sich die Frage, welche Entschädigung für die Eigentumsbeschränkung oder für die Übernahme eines Grundstücks geschuldet wird, im Rahmen eines von seiten des Gemeinwesens oder vom Privaten verlangten formellen Enteignungsverfahrens stellt, sofern eine Planungsmassnahme im Sinne des Raumplanungsgesetzes zu diesem Begehren Anlass gab (
BGE 110 Ib 257
f.,
BGE 109 Ib 261
,
BGE 108 Ib 338
E. 4b und nicht publizierte E. 1). Nun ist hier das Baugrundstück Nr. 3060 der Zone für öffentliche Bauten zugewiesen worden, was zu einer materiellen Enteignung führte, und hat die Gemeinde anschliessend um die Einleitung eines formellen Expropriationsverfahrens ersucht, um die Parzelle übernehmen und die vorgesehenen kommunalen Bauten erstellen zu können. Damit sind entgegen der Meinung des Beschwerdegegners die Voraussetzungen für die Anfechtung
BGE 112 Ib 514 S. 517
des Entschädigungs-Entscheides mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erfüllt.
b) Die Sachverhalts-Feststellungen des als Vorinstanz entscheidenden Verwaltungsgerichtes binden das Bundesgericht, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig sind oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen zustandegekommen sind (
Art. 104 lit. b,
Art. 105 Abs. 2 OG
). Allerdings sind die Fragen, ob eine Entschädigungspflicht bestehe und die Entschädigungshöhe richtig ermittelt worden sei, keine Sachverhalts-Feststellungen, sondern frei überprüfbare, anhand der vom Bundesgericht aufgestellten Kriterien zu beurteilende Rechtsfragen (
BGE 109 Ib 115
).
2.
Das Verwaltungsgericht hat bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht auf den Verkehrswert der enteigneten Parzelle - also den Wert, den diese für einen beliebigen Käufer aufgewiesen hätte - abgestellt, sondern untersucht, welchen finanziellen Nutzen der Enteignete unter den konkreten Umständen aus dem Boden gezogen hätte, wenn er ihn hätte behalten können. Die Ermittlung der Enteignungsentschädigung aufgrund des sogenannten subjektiven Schadens steht mit dem Bundesrecht nicht in Widerspruch, sofern nicht Verkehrswert-Elemente in die Schadensberechnung einbezogen oder dieser Annahmen zugrundegelegt werden, die sich gegenseitig ausschliessen (
BGE 106 Ib 228
E. 2a; zur Publikation bestimmter Entscheid vom 18. Juni 1986 i.S. "die neue zeit" E. 4 mit weiteren Hinweisen). Unbegründet ist auch der Vorwurf der Beschwerdeführerin, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, das Ergebnis der subjektiven Schadensberechnung mit dem ebenfalls zu ermittelnden Verkehrswert zu vergleichen. Es wird hier von niemandem angezweifelt, dass der Verkehrswert des enteigneten Grundstücks - mit welcher Methode er auch bestimmt werde - niedriger ist als der konkret eingetretene subjektive Schaden, so dass sich, da dem Enteigneten in jedem Fall der höhere Betrag zusteht, eine genaue Verkehrswertberechnung erübrigte (in ähnlichem Sinne vgl. Entscheid vom 4. Juli 1984 E. 2b, ZBl 87/1986 S. 80).
Im weiteren gehen die Äusserungen der Beschwerdeführerin, wonach sie befürchte, der Entschädigungs-Entscheid des Verwaltungsgerichtes werde sich auf zukünftige Enteignungsfälle ungünstig auswirken, an der Sache vorbei. Zwar ist nicht von vornherein unzulässig, zur Verkehrswertermittlung im Rahmen der Vergleichsmethode neben den auf dem freien Markt erzielten
BGE 112 Ib 514 S. 518
Landpreisen mit der nötigen Vorsicht auch gerichtlich festgesetzte Enteignungsentschädigungen in Berücksichtigung zu ziehen. Der Einbezug solcher Entschädigungsbeträge fällt jedoch nur in Betracht, sofern diese aussagekräftig sind, das heisst Schlüsse über den Marktwert der Grundstücke zulassen. Das trifft offensichtlich nicht zu, wenn sich die Enteignungsentschädigung wie hier nach der Höhe des vom Enteigneten erlittenen subjektiven Schadens bemisst, also auch jenen Entschädigungsbestandteil umfasst, der - wäre zunächst der Verkehrswert des enteigneten Grundstücks bestimmt worden (
Art. 19 lit. a EntG
) - unter dem Titel "Inkonvenienzentschädigung" oder "weiterer Nachteil" im Sinne von
Art. 19 lit. c EntG
zusätzlich vergütet werden müsste. Die Entschädigungssumme von Fr. 1'795'455.-- bzw. der von der Gemeinde genannte Quadratmeterpreis von rund Fr. 1'770.-- kann daher nicht als Verkehrswert der Parzelle Nr. 3060 betrachtet werden und dürfte auch keineswegs in weiteren Enteignungsverfahren als Vergleichswert für andere Grundstücke beigezogen werden. Aus diesen Überlegungen ergibt sich im übrigen, dass auch der von der Gemeinde angeführte frühere amtliche Wert der enteigneten Parzelle keinen Anhaltspunkt für die Bestimmung der Entschädigung zu liefern vermag, ebensowenig wie der Preis, den der Enteignete beim Kauf des Grundstücks im Jahre 1977 bezahlt hat.
Das bedeutet nun allerdings nicht, dass ein erheblicher Unterschied zwischen der Höhe des nach den üblichen Methoden festgesetzten Verkehrswertes einerseits und dem Betrag des subjektiven Schadens andererseits nicht ein Indiz dafür sein könnte, dass sich bei der Wahl der der Berechnung zugrundeliegenden Annahmen oder von Zinssätzen und Kapitalisierungsfaktoren Fehler eingeschlichen hätten. Liegt ein solcher Unterschied vor, sollten daher die Rechnungen erneut untersucht und der Differenzbetrag, der ja dem "weiteren Nachteil" entsprechen muss, einer kritischen Untersuchung unterzogen werden. Das Auseinanderklaffen der beiden Werte beweist aber entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin allein noch nicht, dass falsch gerechnet worden sei, können doch Inkonvenienzentschädigungen erfahrungsgemäss einen beträchtlichen Anteil der Gesamtvergütung ausmachen.
Im übrigen kann offengelassen werden, ob die Feststellung des Verwaltungsgerichtes, eine auf längere Zeit baurechtsbelastete Parzelle habe zumindest bei Beginn der Baurechtsdauer keinen
BGE 112 Ib 514 S. 519
Verkehrswert, richtig oder unzutreffend sei (vgl. hiezu etwa
BGE 82 II 385
, kritisch dazu LIVER, ZBJV 94/1958 S. 23 ff.). Massgebend ist im vorliegenden Fall, dass das Verwaltungsgericht durch Kapitalisierung der dem Enteigneten entgehenden Grundrente den subjektiven Schaden berechnet hat und dass gegen diese Art der Entschädigungsbemessung dem Grundsatze nach nichts einzuwenden ist.
3.
a) Im angefochtenen Entscheid wird bei der Bestimmung des subjektiven Schadens von den vollen Baurechtszinsen ausgegangen, wie sie im Baurechtsvertrag, der am 17. Februar 1977 zwischen Andreas Studer und der Genossenschaft Migros Bern abgeschlossen wurde, festgesetzt worden sind. Insoweit ist das Verwaltungsgericht vom Urteil der ersten Instanz abgewichen, welche die vereinbarte Grundrente um einen Drittel reduzierte, weil die Parteien bei Vertragsschluss von der Annahme ausgegangen seien, die Bruttogeschossfläche könne von 800 m2 auf 1200 m2 vergrössert werden, und die Migros nach Ablehnung dieser Erweiterung nicht mehr die volle Rente bezahlt hätte. Das Verwaltungsgericht hat seinen abweichenden Standpunkt damit begründet, dass die Kernzone eines weltbekannten Touristenortes als erstklassige Geschäftslage gelte, für die ein Grossverteiler eine hohe Summe zu investieren bereit sei; es sei daher ohne weiteres anzunehmen, dass die Migros willens war, auch für eine reduzierte Bruttogeschossfläche von 800 m2 die vereinbarte Grundrente zu entrichten, um damit in Grindelwald - und unweit der dortigen Coop-Filiale - geschäftlich Fuss zu fassen. In der Beschwerde wird diese Voraussage über das künftige Verhalten der Migros als unhaltbar bezeichnet, ob sie nun als Sachverhaltsfeststellung oder als Antwort auf eine Rechtsfrage zu betrachten sei.
b) Inwieweit die Prognose des Verwaltungsgerichtes über das Verhalten der Migros-Genossenschaft zur Feststellung des Tatbestandes gehört oder in den Bereich der Rechtsanwendung fällt - eine wie stets bei Abschätzung zukünftiger Entwicklungen heikle Frage (vgl. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 273) -, braucht nicht näher untersucht zu werden. Jedenfalls hat das Verwaltungsgericht mit seinen Erwägungen keine offensichtlich falschen, unrichtig zustandegekommenen oder unvollständigen Sachverhalts-Feststellungen getroffen (
Art. 105 Abs. 2 OG
), noch Schlüsse gezogen, durch welche der ihm zustehende Beurteilungsspielraum überschritten und dadurch Recht verletzt worden wäre. Im einzelnen ist festzuhalten, dass im Baurechtsvertrag
BGE 112 Ib 514 S. 520
selbst von der Nutzfläche nicht die Rede ist und zur Zeit des Vertragsschlusses die für die Parzelle Nr. 3060 zulässige Bruttogeschossfläche 800 m2 betrug. Im weiteren haben die Vertragsschliessenden zwar offenbar zunächst gehofft, die Nutzfläche erweitern zu können, doch ist nach Scheitern eines ersten Projektes die Bruttogeschossfläche auf 800 m2 reduziert worden und hat der Gemeinderat von Grindelwald - wie im angefochtenen Entscheid dargelegt - das neue Vorprojekt im Dezember 1976 positiv beurteilt. Diese Feststellung, die von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird, bindet das Bundesgericht. Da der Baurechtsvertrag erst nach der Korrektur des Projektes abgeschlossen wurde, musste sich die Migros darüber im klaren sein, dass allenfalls einzig die den geltenden Bauvorschriften entsprechende Nutzfläche verwirklicht werden könne. Trotzdem ist kein entsprechender Vorbehalt in die vertraglichen Zinsbestimmungen aufgenommen worden. Es könnte einzig vermutet werden, dass die letzte Vertragsziffer, die die ursprünglichen Bestimmungen abändert und die "ordentliche Rentenpflicht" von Fr. 99'000.-- für die ersten fünf Jahre auf Fr. 90'000.-- reduziert, im Zusammenhang mit der Projektverkleinerung den Vertragsbestimmungen beigefügt worden ist. Wie auch immer, das Verwaltungsgericht war jedenfalls nicht gehalten, die Grundrente im Hinblick auf die Bruttogeschossfläche zu kürzen, und durfte grundsätzlich von den vertraglich festgelegten Baurechtszinsen ausgehen.
4.
Nach dem Baurechtsvertrag hat die Bauberechtigte dem Grundeigentümer folgende jährliche Grundrente zu bezahlen: Fr. 50'000.-- bis zum 31. Dezember 1978 (oder insgesamt Fr. 80'000.-- für die Periode vom 21. Mai 1977 bis 31. Dezember 1978), Fr. 90'000.-- für die nächsten fünf Jahre (bis 31. Dezember 1983) und schliesslich Fr. 99'000.-- bis zum Ablauf des Baurechtes. Diese Baurechtszinse stellen Minimalbeträge dar, die bei den - nur alle fünf Jahre möglichen - Anpassungen nicht unterschritten werden können. Das Verwaltungsgericht hat aus ihnen die jährliche Durchschnittsrente berechnet, auf die der Grundeigentümer vom massgebenden Stichtag an (28. Mai 1980) bis zum Ablauf des Baurechtes in 96,5 Jahren (recte: 96 Jahren und 5 Monaten) Anspruch gehabt hätte, und den ermittelten Betrag von Fr. 98'750.-- als jährlich nachschüssig zahlbare Rente zu 5,5%, das heisst unter Anwendung des Faktors 100/5,5 = 18,181818 kapitalisiert (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3. Auflage, S. 92 Ziff. 1b). Es gelangte dadurch zum Entschädigungsbetrag
BGE 112 Ib 514 S. 521
von Fr. 1'795'455.--, der von der Beschwerdeführerin als übersetzt bezeichnet wird.
Zur Berechnungsweise des Verwaltungsgerichtes ist folgendes zu bemerken:
a) Bei der Enteignung einer Baurechtsliegenschaft hat der Grundeigentümer in der Regel Anspruch auf den Barwert der für die Restvertragsdauer geschuldeten Baurechtszinse sowie auf den diskontierten Wert des ihm nach Ablauf des Baurechts wieder zur Verfügung stehenden Grundstücks, wobei einer allenfalls dem Bauberechtigten für die Bauten zu leistenden Entschädigung angemessen Rechnung zu tragen ist. Nun wird im angefochtenen Entscheid der Grundstückswert nach Untergang des Baurechts nicht erwähnt. Zudem hat das Verwaltungsgericht, obschon der Baurechtsvertrag im massgebenden Zeitpunkt nur noch 96,5 Jahre lief, die Grundrente nicht nach den Regeln über die Zeitrente (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 185 Beispiel 61), sondern als ewige Rente kapitalisiert. Das Gericht ist damit von der Annahme ausgegangen, das Grundstück werde zeitlich unbeschränkt eine jährliche Rendite von Fr. 98'750.-- abwerfen. Mit anderen Worten ist eine Ertragswertberechnung angestellt worden, wobei es wohl logischer gewesen wäre, dieser anstelle der nur auf die Restvertragsdauer bezogene die über die ganze Vertragsdauer berechnete niedrige Durchschnittsrente zugrundezulegen. Ausserdem ist mit der Ermittlung einer Durchschnittsrente der Umstand vernachlässigt worden, dass die Baurechtszinse gemäss Vertrag während der ersten Jahre periodisch ansteigen; darauf hätte durch Berechnung einer aufgeschobenen bzw. einer ansteigenden Zeitrente Rücksicht genommen werden können (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 147 Ziff. 4, S. 188 Beispiel 69). Schliesslich hat das Verwaltungsgericht übersehen, dass die Zinsen aufgrund der Vertragsbestimmungen nicht nachschüssig, sondern (bis 31. Dezember 1978 jährlich, danach zweimonatlich) vorschüssig zu bezahlen sind.
Allerdings ist einzuräumen, dass eine Korrektur in diesen Punkten im vorliegenden Fall am Ergebnis wenig ändert, da aufgrund der langen Restvertragsdauer der auf den Zeitpunkt des Vertragsablaufs diskontierte Grundstückswert nur gering ist und sich der Barwert der Zeitrente jenem der ewigen Rente nähert. Hinzu kommt, dass sich die Änderungen teils zu Gunsten des Enteigneten, teils zu Gunsten der Enteignerin auswirken und sich gegenseitig aufheben. Wie sich zeigen wird, kann von einer solchen Korrektur auch aus anderen Gründen abgesehen werden.
BGE 112 Ib 514 S. 522
b) Im weiteren stellt sich die Frage, ob das Verwaltungsgericht bei der Bestimmung des subjektiven Schadens nicht vom - niedrigeren - Wert hätte ausgehen müssen, den die Parteien selbst dem Boden zugemessen haben. Zwar wird dieser Wert nicht ausdrücklich erwähnt, doch ergibt er sich aus der vertraglichen Bestimmung, wonach die Grundrente von Fr. 99'000.-- "auf dem Schweizerischen Landesindex der Konsumentenpreise vom Datum des Baubeginns sowie auf dem Hypothekarsatz für neue erste Hypotheken auf gewerblichen Liegenschaften der Hypothekarkasse des Kantons Bern von 5 3/4%" basiert (vgl. Ziff. IV/2 des Vertrages). Die Parteien haben demnach die 1016 m2 umfassende Parzelle auf den Zeitpunkt, in dem die "ordentliche Rentenpflicht" zu laufen beginnt, mit (Fr. 99'000.-- x 100)/5,75 = Fr. 1'721'739.-- oder einem Quadratmeterpreis von rund Fr. 1'700.-- bewertet.
Was den angewendeten Zinssatz von 5 3/4% anbelangt, so ist dieser als eher hoch und für den Grundeigentümer vorteilhaft zu betrachten, da die Zinserträge des in Boden angelegten Geldes im Gegensatz zu Kapital, das in Bauten investiert wird, weder durch Unterhalts- und Verwaltungskosten noch durch Amortisationsraten geschmälert werden. Zudem fällt nach Ablauf der Baurechtsdauer das Grundstück in der Regel mit real höherem oder zumindest mit dem gleichen Wert an den Eigentümer zurück, während der Darlehensgeber den Inflationsverlust zu tragen hat. Deshalb können auch Baurechtszinse noch als angemessen gelten, die erheblich niedriger als die Hypothekarzinse sind, was häufig der Fall ist, wenn die öffentliche Hand Baurechte für den sozialen Wohnungsbau verleiht (vgl. VIKTOR MÜLLER, Der Baurechtszins und seine grundpfandrechtliche Sicherung, Diss. Zürich 1968, S. 21 ff., RIEMER, Das Baurecht (Baurechtsdienstbarkeit) des Zivilgesetzbuches und seine Behandlung im Steuerrecht, Diss. Zürich 1968, S. 267, NAEGELI, Handbuch des Liegenschaftenschätzers, 2. Auflage, S. 256; siehe auch ISLER, Der Baurechtsvertrag und seine Ausgestaltung, Diss. Zürich 1973, S. 134). Werden allerdings wie hier Privatgrundstücke für gewinnversprechende Unternehmen zur Verfügung gestellt, wird die Grundrente üblicherweise höher angesetzt oder sogar direkt am Geschäftserfolg des Bauberechtigten bemessen (vgl. ISLER, a.a.O., S. 138, VIKTOR MÜLLER, a.a.O., S. 11 und N. 33). Übrigens haben die Experten des Verwaltungsgerichtes selbst ausgeführt, dass die im vorliegenden Fall vertraglich festgelegte Grundrente im Hinblick auf die voraussichtlichen Umsatzzahlen des in Frage stehenden
BGE 112 Ib 514 S. 523
Einkaufszentrums "nicht unrealistisch" sei. Andererseits ist der vereinbarte Baurechtszins mit einer Anpassungsklausel versehen worden, die sich - wie sich im folgenden ergibt - für den Grundeigentümer auf längere Zeit betrachtet ungünstig auswirkt und welche das Verwaltungsgericht nicht vollständig hätte ausser acht lassen dürfen.
5.
Gemäss Baurechtsvertrag (Ziff. IV/2) können die Vertragspartner erstmals nach Ablauf von fünf Jahren nach Baubeginn und in der Folge alle fünf Jahre die Anpassung des Baurechtszinses verlangen. Bei der Neuberechnung der Grundrente sind der Landesindex der Konsumentenpreise sowie der Hypothekarsatz für neue erste Hypotheken auf gewerblichen Liegenschaften je zur Hälfte zu gewichten. Zweck einer solchen Revisionsklausel ist allgemein, die Anpassung des Baurechtszinses an die veränderten Verhältnisse auf dem Geldmarkt einerseits und im Grundstückshandel andererseits zu ermöglichen, um die Geldentwertung auszugleichen und der Wertsteigerung der Böden Rechnung tragen zu können (ISLER, a.a.O., S. 135, MÜLLER, a.a.O., S. 10 f., RIEMER, a.a.O., S. 16 f., WITT, Das Baurecht, Diss. Basel 1970, S. 151). Der Anpassungsklausel kommt vor allem dann, wenn der Baurechtsvertrag auf längere Dauer oder sogar wie hier auf die gesetzliche Höchstdauer von 100 Jahren (
Art. 799 lit. l ZGB
) abgeschlossen wird, grösste Bedeutung zu. Die im vorliegenden Fall vereinbarte Art der Neufestsetzung des Zinses erweist sich bei näherem Hinsehen als wesentlich vorteilhafter für den Bauberechtigten als für den Grundeigentümer:
a) Da der Baurechtszins nur alle fünf Jahre und nicht schon bei wesentlicher Veränderung des Lebenskostenindexes oder des Hypothekarzinssatzes angepasst werden kann, hat der Grundeigentümer in Zeiten starker Inflation auch grössere Einbussen während der fünfjährigen Periode selbst zu tragen. Allerdings ist einzuräumen, dass dieser Zeitraum relativ kurz ist.
b) Angesichts der heutigen starken Schwankungen des Hypothekarzinssatzes erscheint es als unzweckmässig, für die Neufestsetzung der Grundrente auf den Zinssatz abzustellen, der zufällig am Ende einer fünfjährigen Periode gerade gilt: damit wird ein rein aleatorisches Element zur Bezugsgrösse gemacht. Zwar wird die Höhe des Zinssatzes durch die momentane Inflation mitbestimmt, doch findet die bereits eingetretene Geldentwertung keine Berücksichtigung mehr (zum Verhältnis zwischen Zinssatz und Inflation vgl. HELBLING, Unternehmensbewertung und Steuern, 4. Auflage, S. 327 f. mit N. 8).
BGE 112 Ib 514 S. 524
Nun ist hier mit dem Satz von 5 3/4% ein recht hoher Ausgangswert festgelegt worden, erreichten doch in den letzten 55 Jahren (1930-1984) oder auch in den letzten 35 Jahren (1950-1984) die Zinssätze nur selten diese Höhe (vgl. etwa Statistisches Jahrbuch 1985, S. 302, Tabellen der I. Hypotheken). Die Bauberechtigte konnte deshalb damit rechnen, dass dieser Satz auch bei den zukünftigen Anpassungen des Baurechtszinses wenn überhaupt, so nur um weniges überschritten und sich die Bindung an den Hypothekarzinssatz eher bremsend als antreibend auf das Wachstum der Grundrente auswirken werde. Sie hätte denn auch in den ersten Zeiten der Baurechtsdauer zu einer Senkung der Rente unter die Fr. 99'000.-- führen können, wenn dieser Betrag von den Vertragsschliessenden nicht als Minimal-Baurechtszins bezeichnet worden wäre.
c) Weiter wirkt sich nachteilig für den Grundeigentümer aus, dass bei den Anpassungen der Grundrente der Landesindex für Konsumentenpreise nur zur Hälfte berücksichtigt wird und damit die allgemeine Teuerung nur halb ausgeglichen werden kann. Die Bedeutung dieser Beschränkung wird klar, wenn in Betracht gezogen wird, dass der Landesindex in den Jahren 1950 bis 1984 um nicht weniger als 140% angestiegen ist. Die Halbierung des Lebenskostenindexes hat aller Wahrscheinlichkeit nach zur Folge, dass die Grundrente im Lauf der Jahre zunehmend real an Wert einbüsst. Dass die Verbindung des Indexes mit dem Hypothekarzinssatz nicht geeignet ist, diese Entwertung aufzufangen, ergibt sich aus dem bereits Gesagten.
d) Schliesslich sieht der Vertrag keinerlei Möglichkeit vor, den Baurechtszins unabhängig von der Geldentwertung beim Ansteigen der Grundstückspreise zu erhöhen (für Beispiele von "gleitenden Bodenzinsen" vgl.
BGE 52 II 27
ff. und
BGE 85 I 277
; siehe auch KUTTLER, Die Bodenverteuerung als Rechtsproblem, ZSR 83/1964 II S. 142, SIEBER, Über die Grundrente, ZBGR 46/1965 S. 328). Zwar scheint es nach der Lehre kaum vertretbar zu sein, den Baurechtszins mit dem Verkehrswert unüberbauter Grundstücke (sogenannter absoluter Landwert) zu verknüpfen, da dies zu einer übermässigen Belastung des Bauberechtigten führen würde. Selbst wenn aber die Grundrente nur dem sogenannten relativen Landwert angeglichen werden kann, der auf die Verbindung von Boden und Bauten und auf deren Entwertung Rücksicht nimmt (vgl. NAEGELI, a.a.O., S. 257 f., ISLER, a.a.O., S. 134 mit N. 10), wirkt sich das Fehlen einer solchen Anpassungsklausel offensichtlich zu
BGE 112 Ib 514 S. 525
Ungunsten des Grundeigentümers aus. Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als ein Geschäftshaus in einem bedeutenden Touristenort erstellt werden sollte, wo auch in Zukunft noch mit einer beträchtlichen realen Wertsteigerung der Böden zu rechnen ist. Jedenfalls sprechen hier keine Gründe des Gemeinwohls dagegen, dass auch der Grundeigentümer und nicht nur der Bauberechtigte von der so oder so ansteigenden Grundrente profitiere (vgl. SIEBER, a.a.O., S. 333 ff., AEMISEGGER, Das Baurecht des Zivilgesetzbuches als Mittel einer aktiven Baulandpolitik der öffentlichen Hand, VLP Schriftenfolge Nr. 35/1983 S. 19 f.).
6.
Die Prüfung der Vertragsbestimmungen in ihrer Gesamtheit ergibt demnach, dass es dem Grundeigentümer zwar gelungen ist, dem zu Beginn der Baurechtsdauer geltenden Baurechtszins zwei sich zu seinen Gunsten auswirkende Grössen, den vereinbarten hohen Bodenpreis von Fr. 1'700.--/m2 und den Zinssatz von 5 3/4% zugrundelegen zu lassen. Dagegen hat er in Kauf nehmen müssen, dass eine Anpassungsklausel in den Vertrag aufgenommen worden ist, die nur den halben Teuerungsausgleich zulässt und jede Berücksichtigung einer Realwertsteigerung des Bodens ausschliesst; sie hätte dem Bauberechtigten gestattet, von immer vorteilhafteren Bedingungen zu profitieren und mit den Jahren wohl nur noch einen unter der marktüblichen Verzinsung des Bodenwertes liegenden Baurechtszins für die Nutzung des Grundstücks zu bezahlen. Diese Erscheinung ist gut bekannt in Deutschland, wo die Erhöhung des Zinses bei Erbbaurechten für den Wohnungsbau von Gesetzes wegen beschränkt ist (vgl. § 9a der Verordnung über das Erbbaurecht vom 15. Januar 1919/18. Januar 1974, BGBl 1974 I S. 41) und der Erbbauzins in aller Regel deutlich hinter einer marktgerechten Grundrente zurückbleibt. Das führt dazu, dass der Erbbauberechtigte wirtschaftlich gesehen mit der Zeit am Wert des Bodens partizipiert und eine Entwertung des belasteten Grundstücks zum Nachteil des Eigentümers eintritt (AUST/JACOBS, Die Enteignungsentschädigung, 2. Auflage, S. 111 ff. sowie Anhang S. 316, 355 und 359; GELZER/BUSSE, Der Umfang des Entschädigungsanspruchs aus Enteignung, 2. Auflage, S. 184 f. N. 614-616; BRUNO MÜLLER, Die Enteignungsentschädigung des Nebenberechtigten, NJW 20/1967 S. 1350 f.; siehe auch MERKER, a.a.O., S. 158 mit N. 19).
Diesem Umstand hätte das Verwaltungsgericht bei der Bemessung des subjektiven Schadens mit einem Abzug Rechnung tragen müssen. Zwar darf die Enteignungsentschädigung nicht aufgrund
BGE 112 Ib 514 S. 526
von künftigen, rein hypothetischen Wertverhältnissen festgelegt werden (MERKER, a.a.O., S. 159; vgl.
Art. 20 Abs. 1 EntG
), doch schlägt sich hier die voraussehbare, durch die Vertragsbestimmungen weitgehend abgesteckte zukünftige Entwicklung schon im heutigen Wert des Grundstücks nieder. So müsste denn auch von zwei identischen, gegenwärtig den gleichen Ertrag abwerfenden Liegenschaften diejenige, deren Mietzinse frei variabel sind, höher bewertet werden als jene mit starren Zinsen. Der Baurechtszins durfte daher im vorliegenden Fall nicht einfach zur Ertragswertermittlung übernommen werden. Wenn sich - mit anderen Worten - die Migros gemäss Vertrag bereit gezeigt hat, heute unter den genannten Bedingungen einen auf den Bodenpreis von Fr. 1'700.--/m2 gestützten Baurechtszins zu entrichten, so kann keineswegs davon ausgegangen werden, sie hätte bei einem Kauf des Grundstücks ohne weiteres den selben Preis bezahlt.
In welchem Umfang die Enteignungsentschädigung zu kürzen sei, ist nicht leicht zu sagen und liegt weitgehend im Ermessen. Der Abzug kann nicht allzu gross sein, da die Vertragspartner mit der Festsetzung des Bodenwertes auf Fr. 1'700.--/m2 offenbar der kommenden Wertsteigerung, die später nicht mehr ausgeglichen werden kann, bereits teilweise Rechnung getragen haben. Wird vom vereinbarten Bodenpreis ausgegangen - was der gewählten subjektiven Methode wohl am besten entspricht -, so erscheint ein Abzug in der Höhe von 10-20%, gemittelt 15%, als angemessen und mit dem Grundsatz der vollen Entschädigung vereinbar. Die vom Verwaltungsgericht für das Grundstück Nr. 3060 zugesprochene Entschädigung von Fr. 1'795'455.-- oder rund Fr. 1'767.--/m2 ist daher auf Fr. 1'468'120.-- oder Fr. 1'445.--/m2 zu reduzieren. Die übrigen Entschädigungsposten, die nicht angefochten wurden, bleiben unverändert. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
73bd697e-2a1b-4aec-9713-89ea781e6962 | Urteilskopf
124 II 97
13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Januar 1998 i.S. Bundesamt für Strassen gegen R. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 16 Abs. 2 SVG
; Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts, mittelschwerer Fall.
Bei einer Überschreitung der allgemeinen Innerortshöchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 21 bis 24 km/h ist ohne Prüfung der konkreten Umstände objektiv zumindest ein mittelschwerer Fall anzunehmen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 124 II 97 S. 97
A.-
Das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons Bern entzog R. am 12. Mai 1997 den Führerausweis wegen Überschreitens der gesetzlichen Innerortshöchstgeschwindigkeit von 50 um 21 km/h für die Dauer von einem Monat.
Die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern hiess am 25. Juni 1997 einen Rekurs der Betroffenen gut, hob die Entzugsverfügung auf und verwarnte R.
B.-
Das Bundesamt für Strassen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben
BGE 124 II 97 S. 98
und R. sei der Führerausweis für die Dauer von einem Monat zu entziehen.
Die Rekurskommission und die Beschwerdegegnerin beantragen Abweisung der Beschwerde.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern vom 25. Juni 1997 aufgehoben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 16 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr (SVG; SR 741.01)
kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Der Führerausweis muss entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
). Bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall gegeben ist, hat die Behörde in erster Linie die Schwere der Verkehrsgefährdung und die Schwere des Verschuldens, daneben aber auch den automobilistischen Leumund zu prüfen (
Art. 31 Abs. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr [VZV; SR 741.51]
,
BGE 123 II 106
E. 2;
BGE 121 II 127
). Ist der Fall unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung und des Verschuldens nicht mehr als leicht zu bezeichnen, ist auch bei einem ungetrübten automobilistischen Leumund in der Regel ein Führerausweisentzug anzuordnen (
BGE 105 Ib 255
;
BGE 118 Ib 229
).
2.
a) Die Vorinstanz nimmt im vorliegenden Fall bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 21 km/h einen leichten Fall im Sinne von Artikel 16 Abs. 2 SVG an. Denn gemäss jüngster bundesgerichtlicher Rechtsprechung sei der Führerausweis ungeachtet der konkreten Umstände zu entziehen, wenn die innerorts geltende Höchstgeschwindigkeit um 25 km/h überschritten worden sei. Betrage die Geschwindigkeitsüberschreitung weniger als 20 km/h, sei eine Verwarnung auszusprechen, wenn nicht erschwerende Umstände eine schärfere Massnahme rechtfertigten. Bewege sich die Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts indessen im Bereich zwischen 20 km/h und 25 km/h, seien die konkreten Umstände zu prüfen. Bei einem leichten Fall könne auch hier noch eine Verwarnung ausgesprochen werden. Ein leichter Fall liege
BGE 124 II 97 S. 99
dann vor, wenn der Grad der Gefährdung, wie sie unter den gegebenen Umständen objektiv voraussehbar gewesen sei, und das Verschulden leicht seien und das bisherige Verhalten keine strengere Massnahme erfordere. Ein mittelschwerer Fall liege dann vor, wenn erschwerende Umstände wie reger Verkehr herrschten oder Fussgänger sich in der Nähe des Ortes der Widerhandlung befunden hätten, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Es könne nicht angehen, dass gegen jenen Verkehrsteilnehmer, der unter erschwerenden Umständen eine Geschwindigkeitsüberschreitung begehe, dieselbe Administrativmassnahme verfügt würde, wie gegen jenen, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit ohne erschwerende Umstände überschreite.
b) Das beschwerdeführende Amt wendet sich gegen die Annahme der Vorinstanz, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts im Bereich zwischen 20 km/h und 25 km/h aufgrund der konkreten Umstände auch ein leichter Fall im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
in Betracht komme.
Nach der Rechtsprechung sei ungeachtet der konkreten Umstände objektiv eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
beziehungsweise eine schwere Verkehrsgefährdung im Sinne von
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
zu bejahen, wenn die Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um 35 km/h, auf einer nicht richtungsgetrennten Autostrasse um 30 km/h und innerorts um 25 km/h überschritten worden sei (
BGE 123 II 37
, 106 E. 2). Diese Rechtsprechung schliesse nicht aus, dass eine grobe Verkehrsregelverletzung auch bei einer tieferen Geschwindigkeitsüberschreitung, ja sogar da, wo sich der Lenker im Rahmen der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit halte, vorliegen könne (
BGE 123 II 37
E. e und f). In solchen Fällen seien aber jeweils die konkreten Umstände zu prüfen.
In bezug auf den mittelschweren Fall, der auch bei günstigen Verkehrsverhältnissen und gutem automobilistischem Leumund einen Führerausweisentzug zur Folge habe, habe das Bundesgericht bis jetzt erst im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Autobahn Gelegenheit gehabt, sich zu äussern. Danach sei bei Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich von 31-34 km/h ohne Prüfung der konkreten Umstände ein mittelschwerer Fall zu bejahen und der Führerausweis gemäss
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG
zu entziehen. Beim mittelschweren Fall innerorts liege die Grenze für den schweren Fall ungeachtet der konkreten Umstände bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h
BGE 124 II 97 S. 100
bei 25 km/h. Folgerichtig müsse diese für den mittelschweren Fall tiefer liegen (
BGE 123 II 106
E. 2c S. 113).
Wer innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 21 km/h oder mehr überschreite, tue das in der Regel mindestens grobfahrlässig, da eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 40% objektiv gesehen nicht unbemerkt bleiben könne. Eine Ausnahme komme lediglich da in Betracht, wo der Lenker aus nachvollziehbaren Gründen gemeint habe, er befinde sich nicht oder nicht mehr im Innerortsbereich. Wie das Bundesgericht in
BGE 123 II 37
(mit Hinweis auf
BGE 121 II 127
E. 4) dargelegt habe, stelle eine übersetzte Geschwindigkeit gerade innerorts eine erhebliche Gefahr dar. Die Zahl der vom Lenker zu verarbeitenden Reize sei innerorts grösser als ausserorts und auf der Autobahn, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfordere. Zudem gebe es innerorts viele schwache Verkehrsteilnehmer (Fussgänger, Velofahrer), die - vor allem Kinder und ältere Menschen - einem besonderen Risiko ausgesetzt seien. Darüber hinaus bestehe eine erhöhte Gefahr von Seitenkollisionen. Die anderen Verkehrsteilnehmer dürften sich, auch soweit sie wartepflichtig seien, auf den Vertrauensgrundsatz berufen (
BGE 120 IV 252
E. 2d/aa). Sie müssten sich nicht darauf einstellen, dass ein Fahrzeug innerorts mit einer derart übersetzten Geschwindigkeit herannahe (
BGE 118 IV 277
, wonach auf Hauptstrassen ausserorts, wo die allgemeine Höchstgeschwindigkeit nach
Art. 4a Abs. 1 der Verordnung über die Strassenverkehrsregeln (VRV; SR 741.11)
80 km/h beträgt, generell mit Geschwindigkeiten von über 90 km/h nicht gerechnet werden müsse). Welch schwerwiegende Folgen Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts haben können, wo Fahrzeug-Fussgänger-Kollisionen häufig seien, zeigten physikalische Berechnungen: Fahre ein Auto mit einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 55 km/h statt mit einer solchen von 50 km/h, habe es dort, wo es bei einer Vollbremsung mit 50 km/h stillstehen würde, immer noch eine Geschwindigkeit von 28,2 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h noch eine solche von 40,5 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h noch eine solche von 59 km/h. Derartige Aufprallgeschwindigkeiten könnten bei Fussgängern zu schwersten und tödlichen Verletzungen führen. Ab einer Kollisionsgeschwindigkeit von 20 km/h seien Becken- und Beinbrüche, ab einer solchen von 45 km/h tödliche Verletzungen sehr wahrscheinlich. Aus diesen Gründen wiege eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h weder verschuldens- noch gefährdungsmässig leicht.
BGE 124 II 97 S. 101
In konsequenter Weiterentwicklung der Rechtsprechung sei deshalb bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts im Bereich von 21 km/h bis 24 km/h ohne Prüfung der konkreten Umstände jedenfalls objektiv immer zumindest ein mittelschwerer Fall anzunehmen, der selbst bei einem ungetrübten automobilistischen Leumund einen Ausweisentzug gemäss
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG
zur Folge habe. Von einem Führerausweisentzug könne höchstens dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorlägen, wie zum Beispiel in
BGE 118 Ib 229
.
c) Diese Darstellung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wie auch die daraus gezogene Konsequenz hinsichtlich der Annahme eines mindestens mittelschweren Falles bei Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts um 21 km/h bis 24 km/h sind zutreffend. Diese Weiterentwicklung der Rechtsprechung befreit die Entzugsbehörde jedoch nicht von der Pflicht, die Umstände des Einzelfalles genauer zu prüfen. Denn sie hat in allen Fällen des erwähnten Geschwindigkeitsbereichs auch das Ausmass der Gefährdung und des Verschuldens abzuklären und zu gewichten, damit sie entscheiden kann, ob allenfalls ein schwerer Fall (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
) vorliegt und welche Entzugsdauer bei einem mittelschweren beziehungsweise schweren Fall angemessen ist. Eine rein schematische Beurteilung dieser Fragen lediglich aufgrund der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung würde ein pflichtwidriges Nichtausüben des rechtserheblichen Ermessens und damit eine Verletzung von Bundesrecht darstellen. Umgekehrt kommt ein leichter Fall in Betracht, wenn der Lenker aus nachvollziehbaren Gründen gemeint hat, er befinde sich noch nicht oder nicht mehr im Innerortsbereich; unter Umständen entfällt sogar jeder Schuldvorwurf (vgl. MARTIN SCHUBARTH, in René Schaffhauser [Hrsg.], Aspekte der Überforderung im Strassenverkehr - Forderungen an die Praxis, St. Gallen 1997, S. 117;
BGE 123 II 37
E. 1f).
Nach Auffassung der Vorinstanz geht es nicht an, dass gegen jenen Verkehrsteilnehmer, der unter erschwerenden Umständen eine Geschwindigkeitsüberschreitung begeht, dieselbe Administrativmassnahme verfügt werde, wie gegen jenen, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit ohne erschwerende Umstände überschreitet; dies widerspräche dem Grundsatz der Rechtsgleichheit. Sollte die Vorinstanz mit dieser Argumentation zum Ausdruck bringen, dass sie bei Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts um 21 km/h bis 24 km/h und günstigen Verhältnissen regelmässig eine Verwarnung und bei erschwerenden Umständen einen fakultativen
BGE 124 II 97 S. 102
einmonatigen Entzug anordnet, würde diese Ansicht der bundesgerichtlichen Praxis widersprechen. Wie oben dargelegt, stellt eine Geschwindigkeitsüberschreitung im fraglichen Ausmass in der Regel eine erhöhte Gefährdung mit entsprechendem Verschulden dar, weshalb auch bei günstigen Verhältnissen nur in Ausnahmefällen (
BGE 123 II 37
E. 1f;
BGE 120 Ib 504
;
118 Ib 229
) von einem Führerausweisentzug abgesehen werden kann. Treten jedoch erschwerende Umstände hinzu, ist die Minimalentzugsdauer von einem Monat angemessen zu erhöhen und bei einem schweren Fall und Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Rückfallsregelung anzuwenden. Bei einer solchen Rechtsanwendung kann von einer Verletzung des Gleichheitsgebots keine Rede sein.
Nach dem Gesagten stellt die Überschreitung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 21 km/h durch die Beschwerdegegnerin, und zwar unabhängig von den örtlichen Gegebenheiten, einen mittelschweren Fall dar, der grundsätzlich einen Führerausweis nach sich zieht.
d) Die Beschwerdegegnerin macht geltend, sie habe sich in der fraglichen kalten Februar-Nacht nicht auf einer Vergnügungsfahrt befunden, sondern auf dem Heimweg von einer - für sie emotional stark belastenden - Sterbebegleitung für einen todkranken Freund (AIDS im Endstadium). Diesem habe sie in der qualvollen Endphase seines Lebens auf der Palliativ-Station des Salem-Spitals Bern allabendlich, meist bis in die Nacht hinein, einfühlsame Sterbebegleitung geleistet. Zwei Wochen nach dem fraglichen Vorfall sei der junge Freund der Familie gestorben. Diese subjektive Seite, die das Tatverschulden konkret vermindere, sei von den kantonalen Instanzen noch gar nicht geprüft und berücksichtigt worden. Allenfalls sei deshalb die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem verfüge sie über einen ungetrübten automobilistischen Leumund und indem sie die Busse durch gemeinnützige Arbeit in einem Alters- und Pflegeheim abgegolten habe, habe sie ihre Einsicht unter Beweis gestellt, weshalb die verfügte Verwarnung zur Erreichung des Warn- und Besserungs-Zwecks offensichtlich genüge. Im übrigen sei sie seit einigen Jahren in ihrer Freizeit karitativ tätig. Die Anordnung eines Führerausweisentzugs würde den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzen.
Die Sterbebegleitung der Beschwerdegegnerin und ihr karitatives Engagement lassen ihren allgemeinen Leumund in einem positiven Licht erscheinen. Doch ist nicht ersichtlich, inwiefern die Rückfahrt von einer Sterbebegleitung das Tatverschulden vermindern sollte.
BGE 124 II 97 S. 103
Zum einen hatte sie den todkranken Freund am fraglichen Abend nicht zum ersten Mal betreut, weshalb die Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt der Fahrt nicht unter Schockwirkung stand, und zum andern wäre gerade angesichts der emotional starken Belastung eine besonders vorsichtige Fahrweise angezeigt gewesen. Da die Beschwerdegegnerin durch einen Führerausweisentzug nicht besonders hart betroffen ist und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit nur in Ausnahmefällen eine mildere Massnahme verhängt werden soll (
BGE 120 Ib 504
;
118 Ib 229
), rechtfertigt es sich trotz der Einsicht der Beschwerdegegnerin sowie ihres ausgezeichneten allgemeinen und ungetrübten automobilistischen Leumunds nicht, auf einen Führerausweisentzug zu verzichten. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Weil das beschwerdeführende Amt einen einmonatigen Führerausweisentzug beantragt und das Bundesgericht über diesen Antrag nicht hinausgehen darf, entscheidet das Bundesgericht selbst in der Sache (
Art. 114 Abs. 1 und 2 OG
).
3.
(Kostenfolgen). | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73c093dd-9626-497b-86ec-c1e0b4eecc6a | Urteilskopf
135 V 113
16. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Swisscanto Sammelstiftung der Kantonalbanken und Swisscanto Supra Sammelstiftung der Kantonalbanken, betreffend PV-Promea (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_1018/2008 vom 16. März 2009 | Regeste
Art. 8 Abs. 1 BV
;
Art. 19,
Art. 23 FZG
in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung;
Art. 117 Abs. 2 OR
; Auflösung des Anschlussvertrages für die berufliche Vorsorge zwischen Arbeitgeberin und Sammelstiftung.
Bei einer Teilliquidation ergibt sich die Befugnis zum anteilmässigen Abzug von Fehlbeträgen unmittelbar aus dem Gesetz (E. 2.1.2), ausserhalb einer Teilliquidation aus dem Gebot der Rechtsgleichheit (E. 2.1.6). Bei Sammelstiftungen mit gemeinsamer Anlage sind die freien Mittel der einzelnen Vorsorgewerke in die Berechnung des Deckungsgrades einzubeziehen (E. 2.2.2). Ein im Geschäftsbericht ausgewiesener und von der Kontrollstelle und dem Experten für berufliche Vorsorge bestätigter Deckungsgrad ist in der Regel hinreichend ausgewiesen (E. 2.3). Rechtsgrundlagen für eine Korrekturbuchung im Rahmen eines Anschlussvertrags (E. 3.5). Offengelassen, ob es sich beim Anschluss einer Arbeitgeberin an eine Sammelstiftung um ein Kontokorrentverhältnis handelt (E. 3.6). | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 135 V 113 S. 114
A.
Die X. AG war für die obligatorische berufliche Vorsorge mit Anschlussvertrag Nr. y seit dem 1. Januar 1999 an die Servisa Sammelstiftung für Personalvorsorge (heute: Swisscanto Sammelstiftung der Kantonalbanken; nachfolgend: Sammelstiftung) und für die überobligatorische Vorsorge mit Anschlussvertrag Nr. z seit 1. November 1999 an die Servisa Supra Sammelstiftung für berufliche Vorsorge (heute: Swisscanto Supra Sammelstiftung der Kantonalbanken; nachfolgend: Supra Sammelstiftung) gebunden.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2003 machte die Sammelstiftung eine Korrektur von Doppelbuchungen im Betrag von insgesamt Fr. 130'190.50 geltend, die sie 1999 bei der Übernahme von der vorangehenden Vorsorgeeinrichtung vorgenommen habe. Nachdem auf Anfang 2004 Prämienerhöhungen angekündigt und ein ausserordentliches Kündigungsrecht auf Ende 2003 eingeräumt worden waren, kündigte die X. AG am 30. Oktober 2003 die beiden Verträge Nr. y und z auf 31. Dezember 2003 und schloss sich ab 1. Januar 2004 an die PV-Promea an. In der Folge errechneten die Sammelstiftungen per 31. Dezember 2003 für den Vertrag Nr. y einen Deckungsgrad von 98,5 % und einen Verlustanteil von Fr. 188'914.60 sowie für den Vertrag Nr. z einen Deckungsgrad von 96 % und einen Verlustanteil von Fr. 7'018.60. Bei der Berechnung des Auflösungswertes der Anschlussverträge brachten die Sammelstiftungen die Beträge von Fr. 130'190.50, 188'914.60 und 7'018.60 in Abzug.
B.
Die X. AG erhob am 16. Juni 2005 beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Klage gegen die Sammelstiftung und die Supra
BGE 135 V 113 S. 115
Sammelstiftung mit dem Begehren, die jeweilige Beklagte sei zu verpflichten, der PV-Promea folgende zusätzliche Beträge zu überweisen:
- Fr. 188'914.60 aus Vertrag Nr. y,
- Fr. 7'018.60 aus Vertrag Nr. z,
- Fr. 130'190.50 aus Korrektur Depotkonten,
jeweils zuzüglich Verzugszins zu 5 % ab 1. August 2004.
Das Verwaltungsgericht führte einen doppelten Schriftenwechsel durch, lud die PV-Promea zum Verfahren bei, holte eine Beweisauskunft der Beratungsfirma A. ein und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Urteil vom 29. Oktober 2008 wies es die Klage ab.
C.
Die X. AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben und das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Die Sammelstiftung, die Supra Sammelstiftung und das kantonale Gericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die PV-Promea und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Stellungnahme.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Klageverfahren nach
Art. 73 BVG
(SR 831.40) ist einzuschlagen für Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Vorsorgeeinrichtungen, die Regelungsgegenstand des Anschlussvertrages bilden (SVR 2005 BVG Nr. 27 S. 97, B 43/04 E. 1; SZS 2005 S. 176, B 37/03 E. 2.3). Die Arbeitgeberin ist aktivlegitimiert, um die Überweisung des Deckungskapitals von der bisherigen an eine neue Vorsorgeeinrichtung zu verlangen (
BGE 120 V 445
E. 1 S. 447; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 84/00 vom 3. Oktober 2001 E. 4b, nicht publ. in:
BGE 127 V 377
). Die Vorinstanz hat ihre sachliche und örtliche (vgl.
Art. 73 Abs. 3 BVG
) Zuständigkeit zu Recht bejaht und die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist laut
Art. 82 lit. a BGG
zulässig.
2.
Streitig ist zunächst der Abzug infolge Unterdeckung.
2.1
Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen einer reglementarischen oder gesetzlichen Grundlage für den Abzug.
BGE 135 V 113 S. 116
2.1.1
Laut Ziff. 7.4 der beiden Anschlussverträge gilt bei deren Aufhebung Artikel 3 des Kostenreglements. Die ursprünglichen Fassungen des Kostenreglements enthielten keine ausdrückliche Aussage darüber, wie bei einer Unterdeckung im Zeitpunkt der Vertragsauflösung vorzugehen ist. Gestützt auf die in Ziff. 4 des Kostenreglements enthaltene einseitige Befugnis änderte der Stiftungsrat der Sammelstiftung Ziff. 3 des Kostenreglements mit Geltung ab 1. Dezember 2003 ab, indem er einen neuen Absatz einfügte mit dem Wortlaut: "Ergibt sich aufgrund der Bewertung der Anlagen der Stiftung eine Unterdeckung, wird der prozentuale Anteil als Verlustanteil am Vermögensbestand des Vorsorgewerkes in Abzug gebracht." Die Vorinstanz hat erwogen, die Beschwerdegegnerinnen könnten sich auf diese neue Reglementsgrundlage berufen. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Ansicht, dass diese Reglementsänderung auf sie nicht anwendbar sei, da sie u.a. gerade wegen dieser für die Zukunft geplanten Änderung den Anschlussvertrag gekündigt habe. Die Sammelstiftungen schliesslich sind der Auffassung, die auf 1. Dezember 2003 in Kraft gesetzte Reglementsänderung sei rein deklaratorisch, da sich die Befugnis, bei Unterdeckung einen Abzug vorzunehmen, bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergebe.
2.1.2
Nach
Art. 19 Satz 2 FZG
(SR 831.42) und aArt. 23 Abs. 3 FZG (AS 1994 2386) dürfen Vorsorgeeinrichtungen, die sich an den Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse halten müssen (was für die Beschwerdegegnerinnen unbestritten der Fall ist), bei Gesamt- oder Teilliquidation versicherungstechnische Fehlbeträge anteilsmässig abziehen, sofern dadurch nicht das Altersguthaben geschmälert wird. Diese Bestimmung ist im Rahmen der 1. BVG-Revision - unter Aufhebung von
Art. 23 Abs. 3 FZG
- mit Geltung ab 1. Januar 2005 in
Art. 53d Abs. 3 BVG
übernommen worden. Mangels entgegenstehender Übergangsbestimmungen ist die gesetzliche Regelung seit dem Inkrafttreten des FZG am 1. Januar 1995 unmittelbar anwendbar und derogiert als zwingendes Bundesrecht anderslautende Reglementsbestimmungen. Die Befugnis zum Abzug von Fehlbeträgen ergibt sich demnach im Falle einer Teilliquidation unmittelbar aus dem Gesetz (SZS 2006 S. 140, B 82/04 E. 4.1; JÜRG BRÜHWILER, Obligatorische berufliche Vorsorge, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2011 f.; BRUNO LANG, Liquidation und Teilliquidation von Personalvorsorgeeinrichtungen unter Berücksichtigung des Freizügigkeitsgesetzes, SZS 1994 S. 115;
BGE 135 V 113 S. 117
RIEMER/RIEMER-KAFKA, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, 2. Aufl. 2006, S. 144 Rz. 131; HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2005, S. 433 Rz. 1157 und S. 440 Rz. 1176; FRITZ STEIGER, Die Teilliquidation nach Artikel 53b BVG, AJP 2007 S. 1061; vgl. auch Ziff. 34 der Weisungen des Bundesrates vom 21. Mai 2003 über Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge). Diesbezüglich ist daher unerheblich, ob das Kostenreglement in der ursprünglichen - vor Inkrafttreten des FZG erlassenen und keine solche Bestimmung enthaltenden - oder in der seit 1. Dezember 2003 geltenden geänderten Fassung anwendbar ist.
2.1.3
Die Kündigung eines Anschlussvertrags führt vermutungsweise zu einer Teilliquidation der Vorsorgeeinrichtung (aArt. 23 Abs. 4 lit. c FZG, heute
Art. 53b Abs. 1 lit. c BVG
). Im vorinstanzlichen Verfahren haben sich denn auch die Beschwerdegegnerinnen auf das Vorliegen einer Teilliquidation berufen, was die Beschwerdeführerin in der Replik ausdrücklich nicht bestritten hat. Auch die Vorinstanz geht vom Vorliegen einer Teilliquidation aus, was die Parteien nicht in Frage stellen.
2.1.4
Nach der bis Ende 2004 geltenden Rechtslage bedurfte die Teilliquidation einer auf einer Liquidationsbilanz beruhenden Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde (aArt. 23 Abs. 1 FZG, vgl. auch aArt. 23 Abs. 2 FZG und aArt. 9 FZV [SR 831.425; AS 1994 2399]). Eine solche Genehmigung liegt hier nicht vor. Es stellt sich die Frage, ob bei dieser Sachlage rechtlich von einer Teilliquidation auszugehen ist.
2.1.5
Das BSV hat auf den 1. Januar 1993 Richtlinien über die Auflösung von Anschlussverträgen von Arbeitgebern sowie deren Wiederanschluss an eine Vorsorgeeinrichtung erlassen (Ziff. 148 der Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 24 vom 23. Dezember 1992), worin die Pflichten der beteiligten Vorsorgeeinrichtungen und die Aufgaben der Kontrollstelle festgelegt sind. Danach überprüft diese die Einhaltung der Richtlinien durch die Geschäftsführung und bestätigt die Rechtmässigkeit der Abschlüsse und Auflösungen von Anschlussverträgen gegenüber dem BSV. Auf eine Verteilung freier Mittel kann verzichtet werden, wenn diese nicht mehr als 10 % des gebundenen Vermögens betragen (Richtlinien Ziff. 2.42; STAUFFER, a.a.O., S. 440 Rz. 1175; relativierend Urteil der Eidg. Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 20. August 1999 E. 6b, in: SVR
BGE 135 V 113 S. 118
2000 BVG Nr. 7 S. 35). Analog wird, obwohl in den Richtlinien nicht ausdrücklich genannt, in der Praxis das Vorliegen einer Teilliquidation in Frage gestellt, wenn von der Auflösung des Anschlussvertrags nur ein relativ geringer Anteil der gesamten Versichertenzahl betroffen ist (AJP 2008 S. 360, 2A.699/2006 E. 3.2; vgl. auch SZS 2006 S. 140, B 82/04 E. 2; SZS 2006 S. 139, B 125/04 Bst. A; CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 276; HELGA KOPPENBURG, Teilliquidationen bei Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen, in: Teilliquidationen von Vorsorgeeinrichtungen, 2000, S. 94; CHRISTINA RUGGLI-WÜEST, Liquidation/Teilliquidation der Vorsorgeeinrichtung, in: Neue Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge, 2000, S. 160 f.; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, 2005, S. 181; Richtlinie der Vereinigung verbandlich organisierter Vorsorgeeinrichtungen vom 23. November 1995 zur Teilliquidation von Gemeinschaftsvorsorgeeinrichtungen gemäss Art. 23 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetz, in: Schweizer Personalvorsorge [SPV] 1996 Heft 1 S. 36). Das BSV als Aufsichtsbehörde hat mit den genannten Richtlinien für den Fall der Auflösung eines Anschlussvertrags (aArt. 23 Abs. 4 lit. c FZG) eine vereinfachte Form der gesetzlich vorgesehenen Aufsicht festgelegt. Dies lässt sich sachlich rechtfertigen, müsste doch sonst bei grösseren Sammelstiftungen, denen viele Vorsorgewerke angeschlossen sind und wo häufig Wechsel vorkommen, immer wieder behördlich verfügt werden, was kompliziert und aufwändig wäre (vgl. KOPPENBURG, a.a.O., S. 93; RUGGLI-WÜEST, a.a.O., S. 159). Zudem rechtfertigte sich das bis Ende 2004 geltende Erfordernis einer behördlichen Genehmigung einer Teilliquidation insbesondere im Hinblick auf die Verteilung freier Mittel, wofür ein Verteilplan erforderlich ist (aArt. 23 Abs. 1 Satz 3 FZG). Geht es wie hier um eine Unterdeckung, erübrigt sich ein Verteilplan ohnehin.
2.1.6
Letztlich kann aber offenbleiben, ob die Auflösung des Anschlussvertrags als Teilliquidation (mit vereinfachter Aufsicht) zu qualifizieren ist. Zwar ist gemäss der gesetzlichen Regelung (aArt. 23 Abs. 3 FZG) ein Fehlbetrag grundsätzlich nur im Falle einer Teil- oder Gesamtliquidation abzuziehen, nicht aber bei einem gewöhnlichen Austritt einzelner Versicherter (vgl. SZS 2006 S. 140, B 82/04 E. 4.1). Indessen ist die für Liquidationen geltende gesetzliche Regelung, wonach Fehlbeträge anteilmässig abzuziehen sind, nichts anderes als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Rechtsgleichheitsgebots (
Art. 8 Abs. 1 BV
): Gemäss diesem Grundsatz haben die im
BGE 135 V 113 S. 119
Rahmen einer Teilliquidation austretenden Destinatäre Anspruch auf einen Anteil an den freien Mitteln (
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 FZG
in der bis Ende 2004 geltenden Fassung); denn es wäre unter dem Gesichtswinkel des Gleichbehandlungsgrundsatzes problematisch, wenn jene Versicherten, welche vor Eintritt des Versicherungsfalls aus der Vorsorgeeinrichtung ausscheiden, lediglich die Freizügigkeitsleistung erhalten, ohne am Überschuss zu partizipieren, der auch mit ihren Beiträgen erwirtschaftet worden ist (
BGE 133 V 607
E. 4.2.1 S. 610;
BGE 128 II 394
E. 3.2 S. 396 f.). Umgekehrt haben die Ausscheidenden aufgrund der Rechtsgleichheit auch an Fehlbeträgen zu partizipieren, müssten diese doch sonst einseitig von den in der Vorsorgeeinrichtung Verbleibenden getragen werden (vgl.
BGE 125 V 421
E. 4b/cc S. 425; SVR 2000 BVG Nr. 1 S. 1, B 20/97 E. 5b). Das Rechtsgleichheitsgebot ist für Vorsorgeeinrichtungen auch ausserhalb von Teilliquidationen massgeblich. Deshalb besteht in diesem Zusammenhang auch dann, wenn keine Liquidation vorliegt, unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf einen Anteil an den freien Mitteln (
BGE 133 V 607
E. 4.2.3 und 4.3 S. 611 f.). Dasselbe muss konsequenterweise gegebenenfalls bei einem Fehlbetrag gelten (Urteil 2A.699/2006 vom 11. Mai 2007 E. 4.1). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn ein Anschlussvertrag aufgelöst wird und - eher aus Praktikabilitätsgründen (E. 2.1.5) - auf die formelle Durchführung einer Teilliquidation verzichtet wird. Denn es wäre rechtsungleich, wenn die Angehörigen eines ausscheidenden Vorsorgewerks gesamthaft die vollumfängliche Freizügigkeitsleistung erhielten, während die verbleibenden Versicherten einen Verlust oder allfällige Sanierungsmassnahmen (vgl.
Art. 65d BVG
) allein tragen müssten.
2.1.7
Insgesamt besteht - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - eine rechtliche Grundlage für den anteilmässigen Abzug des Fehlbetrages.
2.2
Umstritten ist sodann, ob die Unterdeckung in Bezug auf das einzelne Vorsorgewerk (so die Beschwerdeführerin) oder auf die Sammelstiftung insgesamt (so die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerinnen) zu bemessen sei.
2.2.1
Die Vorinstanz hat gestützt auf die im Beschwerdeverfahren eingeholte Beweisauskunft der Beratungsfirma A. festgestellt, die Kapitalien seien gemeinschaftlich angelegt, was jeweils Ziff. 1.4 der Anschlussverträge entspricht und zulässig ist. Diese sachverhaltliche Feststellung wird von der Beschwerdeführerin nicht
BGE 135 V 113 S. 120
bestritten und ist für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
).
2.2.2
Die Beschwerdeführerin hält für rechtswidrig, dass bei Beginn des Vorsorgeverhältnisses eingebrachte freie Mittel des einzelnen Vorsorgewerks in die Deckungsgradberechnung für die gesamte Stiftung einbezogen werden. Die Beratungsfirma A., welche bei den Sammelstiftungen die Funktion des Experten für berufliche Vorsorge wahrnimmt (vgl.
Art. 53 Abs. 2 BVG
und
Art. 37 ff. der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]
), hat in der von der Vorinstanz eingeholten Beweisauskunft dargelegt, dass die streitigen Kapitalien (Arbeitgeber-Beitragsreserven, Mehrertragsdepot der Vorsorgewerke und freie Mittel der Vorsorgewerke), die individuell pro Vorsorgewerk geführt werden, Positionen auf der Passivseite der Bilanz der Vorsorgeeinrichtung sind. Da die Anlagen gemeinsam erfolgen (E. 2.2.1), die Aktiven mithin nicht dem einzelnen Vorsorgewerk, sondern der Sammelstiftung als solcher zustehen, kann auch der Deckungsgrad - welcher sich aus dem Verhältnis der Aktiven zur Summe aller Passiven ergibt - für die einzelnen Vorsorgewerke nicht unterschiedlich ausfallen, sondern ist bei allen identisch. Anders verhält es sich bei Vorsorgewerken mit Individualanlage, was jedoch auf den Fall der Beschwerdeführerin nicht zutrifft. Dies ergibt sich auch aus den Schreiben des BSV vom 9. Dezember 2003 an die Vorsorgestiftungen. Zu Unrecht beanstandet die Beschwerdeführerin weiter, die Deckungsgradermittlung umfasse neben notwendigem Deckungskapital auch Positionen, die teilweise den freien Mitteln zuzuordnen seien: Das Vorsorgewerk hat einen Anspruch auf diese Mittel (vgl. Art. 5 Abs. 2 resp. Abs. 1 der Stiftungsurkunden), welche daher wohl "frei" sind für das Vorsorgewerk, nicht aber für die Sammelstiftung. Diese hat sie als Passiven zu führen und demzufolge in die Berechnung des Deckungsgrades einfliessen zu lassen. Nicht zu beurteilen ist hier, wie es sich unter Berücksichtigung der heute geltenden Rechnungslegungsvorschriften (
Art. 47 Abs. 2 BVV 2
in der am 1. April 2004 in Kraft getretenen Fassung) verhielte.
2.3
Umstritten ist weiter, ob bei der Sammelstiftung und bei der Supra Sammelstiftung am 31. Dezember 2003 tatsächlich eine Unterdeckung bestand.
2.3.1
Die Vorinstanz hat die von den Beschwerdegegnerinnen geltend gemachten Deckungsgrade von 98,5 bzw. 96,0 % gestützt auf
BGE 135 V 113 S. 121
den Geschäftsbericht 2003 und die "Bestätigung der PK-Experten" als ausgewiesen betrachtet. Die beantragte Herausgabe weiterer Akten sei nicht erforderlich. Die Beschwerdeführerin macht geltend, Aufsichtsbehörden und Kontrollstellen begnügten sich mit stichprobenweisen Prüfungen. Es verletze das Untersuchungsprinzip, dass die Vorinstanz keine weiteren Abklärungen getroffen habe.
2.3.2
Es trifft zu, dass aus den bei den Akten befindlichen Unterlagen die Berechnung des Deckungsgrades nicht im Einzelnen nachvollziehbar ist. Der Geschäftsbericht der Beschwerdegegnerinnen für das Jahr 2003 enthält aber Bilanz und Betriebsrechnung und weist die Deckungsgrade aus. Sodann ist der Bericht der Kontrollstelle (vgl.
Art. 53 BVG
und E. 2.1.5) beigefügt, worin ausdrücklich die Deckungsgrade von 98,5 und 96,0 % bestätigt werden; zudem hält die Kontrollstelle fest, dass nach ihrer Beurteilung die Jahresrechnung, die Geschäftsführung, die Vermögensanlage sowie die Alterskonten der Gesetzgebung und den Reglementen entsprächen. Schliesslich hat auch die Beratungsfirma A. (vgl. E. 2.2.2) im Schreiben vom 5. Februar 2004 die Deckungsgrade bestätigt. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz ohne Verletzung der Untersuchungspflicht die festgestellten Deckungsgrade als hinreichend ausgewiesen betrachten, zumal auch die Beschwerdeführerin keine konkreten Indizien geltend macht, welche gegen die Verlässlichkeit der Kontrollstelle sprechen.
2.4
Nach aArt. 23 Abs. 3 FZG (in Verbindung mit
Art. 18 FZG
und
Art. 15 BVG
) darf ein Fehlbetrag nur abgezogen werden, sofern dadurch nicht das Altersguthaben geschmälert wird. Die Vorinstanz hat nicht ausdrücklich festgestellt, ob diese Voraussetzung eingehalten ist und die Parteien äussern sich nicht dazu. Das Bundesgericht kann diese Frage aufgrund der Akten selber beantworten (vgl.
Art. 105 Abs. 2 BGG
): Aus den Schreiben der Sammelstiftung an die Beschwerdeführerin vom 10. Mai 2004 bzw. an deren Rechtsvertreter vom 24. Januar 2005 geht hervor, dass das reglementarische Altersguthaben des Vorsorgewerks durch den Abzug nicht geschmälert wurde, sondern die Unterdeckung vollumfänglich durch dessen freies Vorsorgevermögen finanziert werden konnte. Es besteht kein Anlass, an dieser Aussage zu zweifeln. Anders verhält es sich offenbar bei der Supra Sammelstiftung, was aber im Lichte von
Art. 18 FZG
bzw.
Art. 15 BVG
unerheblich ist, da diese ausschliesslich im Überobligatorium tätig ist. Die Einschränkung von aArt. 23 Abs. 3 FZG ist damit eingehalten.
BGE 135 V 113 S. 122
2.5
Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerinnen den in quantitativer Hinsicht (abgesehen von den bereits erörterten Aspekten) nicht streitigen Betrag von Fr. 188'914.60 (Sammelstiftung) bzw. Fr. 7'018.60 (Supra Sammelstiftung) als Fehlbetrag abgezogen haben.
3.
Strittig sind weiter die von der Sammelstiftung vorgenommenen Korrekturbuchungen.
3.1
Mit Schreiben vom 10. Juli 2003 kündigte die Sammelstiftung verschiedene Korrekturbuchungen an, die sie auf Doppelbuchungen bei der 1999 erfolgten Übernahme des Vorsorgewerks der Beschwerdeführerin zurückführte. Diese verlangte mit der Klage die Überweisung der Korrekturbeträge. Sie bestritt weder im Grundsatz noch im Betrag, dass die streitigen Buchungen zu Unrecht erfolgt waren; sie machte jedoch geltend, eine nachträgliche Korrektur und Nachbelastung sei nicht mehr zulässig.
3.2
Die Vorinstanz hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, die Doppelbuchungen seien 1999 versehentlich erfolgt; die Sammelstiftung habe ihren Irrtum anlässlich der Teilliquidation im Jahre 2003 bemerkt. In rechtlicher Hinsicht hat sie erwogen, die Beschwerdegegnerin könne den irrtümlich gebuchten Betrag in analoger Anwendung von
Art. 25 ATSG
oder
Art. 62 ff. OR
zurückfordern.
3.3
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die (unbestrittenen) Doppelbuchungen seien nicht auf Irrtum zurückzuführen; zudem habe die Sammelstiftung schon im Juni 1999 Kenntnis von der Situation gehabt, so dass im Jahre 2003 ein allfälliger Rückforderungsanspruch gemäss
Art. 67 OR
bereits verjährt gewesen sei.
3.4
Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung, die Sammelstiftung habe sich in einem Irrtum befunden, ist nicht offensichtlich unrichtig (vgl.
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
); dass sich diese in ihrem Schreiben vom 10. Juli 2003 nicht ausdrücklich auf Irrtum berufen hat, ändert daran nichts. Ebenso wenig ist von Belang, dass gemäss Ziff. 4 dieses Schreibens bereits am 25. Juni 1999 eine erste Bereinigung erfolgt sein soll; denn bei dem betreffenden Betrag von Fr. 26'404.60 handelte es sich nicht um die Bereinigung der Fehlbuchung, sondern um die richtige Buchung; die geltend gemachte Fehlbuchung war der am 29. April 1999 gutgeschriebene Prämienkontosaldo von Fr. 20'964.65 (inkl. Zins), dessen Stornierung erst mit dem Schreiben vom 10. Juli 2003 mitgeteilt wurde.
BGE 135 V 113 S. 123
3.5
Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien beruht auf dem Anschlussvertrag, welcher ein privatrechtliches Verhältnis begründet (
BGE 120 V 299
E. 4a S. 304). Ob eine im Rahmen vertraglicher Verhältnisse ungerechtfertigt erfolgte Gutschrift nach den Regeln des Bereicherungsrechts (so Urteil 4C.250/2006 vom 3. Oktober 2006 E. 3.3) oder des Vertragsrechts (so
BGE 126 III 119
E. 3 S. 121 ff.) auszugleichen ist, kann vorliegend offenbleiben, da es im Ergebnis nichts ändert: Bei vertraglicher Grundlage wäre nach Treu und Glauben davon auszugehen, dass (unter Vorbehalt der Novation, vgl. dazu E. 3.6) ein zu Unrecht gutgeschriebener Betrag rückverbucht werden kann (vgl.
BGE 126 III 119
E. 2c S. 121). Bei Anwendung der Bereicherungsregeln wären angesichts der verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen (E. 3.2 und 3.4) die Voraussetzungen von
Art. 63 OR
erfüllt: Die von der Beschwerdeführerin bestrittene Entreicherung der Sammelstiftung besteht darin, dass diese die entsprechenden Beträge dem zu Gunsten der Beschwerdeführerin lautenden Konto belastete, was eine Schuld - und damit eine Vermögensverminderung - darstellt.
Sodann vermöchte die Verjährungsfrage an diesem Ergebnis weder nach Bereicherungsrecht noch nach Vertragsrecht etwas zu ändern: Es ist die Beschwerdeführerin, welche gegenüber der Sammelstiftung eine Forderung erhebt. Unabhängig von einem allfälligen Eintritt der Verjährung kann diese nach
Art. 67 Abs. 2 OR
die Zahlung verweigern oder nach
Art. 120 Abs. 3 OR
die (Rückerstattungs-)Forderungen miteinander verrechnen.
3.6
Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, durch Anerkennung eines Kontosaldos sei eine Novation eingetreten, welche eine nachfolgende Rückforderung ausschliesse. Eine Novation wird grundsätzlich nicht vermutet (
Art. 116 Abs. 1 OR
), so dass derjenige, der sich darauf beruft, dafür die Beweislast trägt (Urteil 4C.60/2002 vom 16. Mai 2002 E. 1.4). Im Kontokorrentverhältnis ist jedoch eine Neuerung anzunehmen, wenn der Saldo gezogen und anerkannt ist (
Art. 117 Abs. 2 OR
). Ob hier wirklich ein Kontokorrentverhältnis vorliegt, ist fraglich (vgl. zu den Elementen eines Kontokorrentvertrags
BGE 130 III 694
E. 2.2 S. 697 f.;
BGE 100 III 79
E. 3 S. 83), kann aber offenbleiben; denn auch wenn dies bejaht wird, kann namentlich in komplexen Verhältnissen bei nachgewiesenem Irrtum - was hier zu bejahen ist (E. 3.5) - auf die Saldierung zurückgekommen werden (
BGE 127 III 147
E. 2d und e S. 151 ff.). | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
73c21bfb-adf8-420b-b335-82289060abe5 | Urteilskopf
139 III 516
76. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A.X. contre B.X. et consorts (recours en matière civile)
5A_262/2013 du 26 septembre 2013 | Regeste
Art. 75 Abs. 1 BGG
und
Art. 315a Abs. 3 Ziff. 2 ZGB
; Rechtsnatur der von der Kindesschutzbehörde aufgrund dieser Bestimmung getroffenen Entscheide.
Die von einer Kindesschutzbehörde aufgrund von
Art. 315a Abs. 3 Ziff. 2 ZGB
getroffenen Entscheide sind vergleichbar mit superprovisorischen Massnahmen, gegen die jegliche Beschwerde an das Bundesgericht mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs ausgeschlossen ist (
Art. 75 Abs. 1 BGG
; E. 1.1-1.3). | Sachverhalt
ab Seite 517
BGE 139 III 516 S. 517
A.
A.a
M. A.X. et Mme B.X. se sont mariés en 1994. Trois enfants sont issus de leur union, à savoir E., F. et G., nés respectivement en 1998, en 1999 et en 2001.
Les époux se sont séparés au mois de novembre 2008 et sont en instance de divorce depuis le mois de décembre 2010.
A.b
Statuant le 26 mai 2011, sur une requête de mesures protectrices déposée le 16 juin 2009 par l'épouse, le Tribunal de première instance du canton de Genève (ci-après: le Tribunal de première instance) a confié la garde des enfants à leur mère et réservé un droit de visite comprenant notamment la moitié des vacances scolaires en faveur de leur père et ordonné l'instauration d'une curatelle d'organisation et de surveillance du droit de visite. La curatelle a été confiée à une responsable du Service de protection des mineurs (ci-après: SPMi). La décision a été confirmée sur ces points par arrêt de la Cour de justice du canton de Genève (ci-après: la Cour) du 4 novembre 2011.
A.c
Dans l'intervalle, soit le 7 décembre 2010, l'épouse a saisi le Tribunal de première instance d'une demande unilatérale en divorce.
Statuant le 29 juin 2011 sur mesures provisionnelles dans le cadre de cette procédure, le Tribunal de première instance a confirmé les décisions précédemment prises sur mesures protectrices de l'union conjugale au sujet des enfants.
B.
Par décision du 29 juillet 2011, le suppléant du Directeur du SPMi a prononcé une mesure dite "clause-péril" en application de l'art. 12 de la loi genevoise du 28 juin 1958 sur l'office de l'enfance et de la jeunesse (LOJeun; RSG J 6 05), suspendant ainsi "immédiatement et jusqu'à nouvel avis" le droit de visite du père envers sa fille aînée.
Par décision du 4 août 2011, le suppléant du Directeur du SPMi a prononcé une seconde clause-péril, suspendant le droit de visite du père à l'égard des deux enfants cadets.
Le 15 août 2011, le Tribunal tutélaire a été saisi par le SPMi d'une demande de ratification des deux clauses-péril susmentionnées.
C.
C.a
En parallèle, dans le cadre de la procédure de divorce, la Cour de justice, statuant sur appel, a confirmé par arrêt du 9 mars 2012 le
BGE 139 III 516 S. 518
jugement du Tribunal de première instance sur mesures provisoires du 29 juin 2011, prévoyant toutefois une reprise progressive des visites des enfants chez leur père, celui-ci ne les ayant plus revus depuis l'été 2011.
Par décision du 19 mars 2012, le juge du divorce, statuant sur nouvelles mesures provisionnelles, a réservé au père un droit de visite sur ses deux fils cadets devant s'exercer selon des modalités progressives. La suspension de l'exercice de son droit de visite à l'égard de sa fille aînée a été maintenue pour une durée indéterminée. Cette décision a partiellement été modifiée par la Cour de justice par arrêt du 28 septembre 2012, seul le droit de visite du recourant sur son fils cadet étant toutefois quelque peu modifié.
Statuant derechef sur nouvelles mesures provisionnelles par décision du 6 août 2012, le juge du divorce a, en raison de circonstances nouvelles, confié les droits parentaux sur l'enfant cadet au père, un droit de visite usuel étant réservé à la mère.
D.
Le Tribunal tutélaire a ratifié par ordonnance du 11 décembre 2012 les décisions de "clause-péril" prononcées les 29 juillet et 4 août 2011.
Par décision du 6 mars 2013, la Chambre de surveillance de la Cour de justice du canton de Genève (ci-après: Chambre de surveillance), statuant en qualité d'autorité de surveillance du Tribunal de protection de l'adulte et de l'enfant (anciennement: Tribunal tutélaire) sur le recours interjeté par A.X. contre l'ordonnance précitée du 11 décembre 2012, a confirmé cette dernière.
E.
Par arrêt du 26 septembre 2013, le Tribunal fédéral a déclaré le recours interjeté par A.X. contre cette décision irrecevable.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
(...)
1.1
Le recours en matière civile est recevable contre des décisions rendues par des tribunaux supérieurs (
art. 75 al. 2, 1
re
phrase, LTF) de dernière instance cantonale (
art. 75 al. 1 LTF
), statuant en principe sur recours (art. 75 al. 2, 2
e
phrase, LTF).
Une décision est prise en dernière instance cantonale, au sens de l'
art. 75 al. 1 LTF
, si le recourant a auparavant épuisé tous les moyens de droit ouverts devant les juridictions cantonales. Par moyen de droit au niveau cantonal, il faut entendre toute voie de droit qui
BGE 139 III 516 S. 519
donne au recourant le droit d'obtenir une décision de la part de l'autorité saisie et par laquelle le recourant peut soulever les griefs qu'il entend faire valoir pour remédier au préjudice juridique qu'il allègue (
ATF 137 III 417
consid. 1.2; dans ce sens, cf.
ATF 138 III 130
consid. 2.1). La voie de la révision mise à part (arrêt 4A_733/2011 du 16 juillet 2012 consid. 1.2 et les références), la voie permettant d'obtenir la modification ou la révocation d'une décision constitue donc un moyen de droit au niveau cantonal qui doit être préalablement épuisé avant que cette décision puisse être attaquée devant le Tribunal fédéral. Ainsi en va-t-il de la décision de mesures provisionnelles rendue après audition des parties, susceptible de modifier ou de révoquer les mesures superprovisionnelles auparavant ordonnées, pour leur part, sans cette audition (
ATF 137 III 417
consid. 1.2, précisé par l'arrêt 5A_508/2012 du 28 août 2012 consid. 3 et les références, in SJ 2013 I p. 33 et Pra 2013 n° 56 p. 438).
1.2
1.2.1
Lorsqu'une procédure est déjà pendante devant lui, le juge chargé de régler les relations des père et mère avec l'enfant selon les dispositions régissant le divorce ou la protection de l'union conjugale (
art. 275 al. 2 CC
) prend également les mesures nécessaires à la protection de ce dernier et charge l'autorité de protection de l'enfant de leur exécution (
art. 315a al. 1 CC
). Il peut aussi modifier, en fonction des circonstances, les mesures de protection qui ont déjà été prises (
art. 315a al. 2 CC
).
1.2.2
Aux termes de l'
art. 315a al. 3 ch. 2 CC
, l'autorité de protection de l'enfant demeure toutefois compétente pour prendre les mesures immédiatement nécessaires à la protection de l'enfant lorsqu'il est probable que le juge ne pourra pas les prendre à temps.
La compétence réservée à l'autorité de protection de l'enfant par cette disposition ne peut donner lieu qu'à des décisions à caractère provisoire, le juge des mesures protectrices de l'union conjugale ou du divorce pouvant modifier celles-ci au cours de la procédure déjà pendante devant lui (MEIER/STETTLER, Droit de la filiation, 4
e
éd. 2009, n. 1203 et les notes de bas de page; PETER BREITSCHMID, in Commentaire bâlois, Zivilgesetzbuch, vol. I, 4
e
éd. 2010, n° 9 ad
art. 315-315b CC
). Ces décisions sont dès lors, de par leur nature, assimilables à des mesures superprovisionnelles, contre lesquelles tout recours au Tribunal fédéral est exclu faute d'épuisement des voies de recours cantonales (
ATF 139 III 86
consid. 1.1.1;
ATF 137 III 417
consid. 1.2).
BGE 139 III 516 S. 520
1.3
Les "clauses-péril" rendues par le suppléant du Directeur du SPMi en vertu de l'art. 12 al. 7 LOJeun doivent être qualifiées de décisions d'urgence au sens de l'
art. 315a al. 3 ch. 2 CC
.
Ces clauses-péril, qui ont été ratifiées par le Tribunal tutélaire en date du 11 décembre 2012 et dont la Chambre de surveillance a confirmé le bien-fondé, n'ont suspendu que provisoirement le droit de visite du recourant. Elles pouvaient être revues et modifiées par le juge du divorce. Tel a d'ailleurs été le cas en l'espèce, le droit de visite du recourant sur ses deux enfants cadets ayant été rétabli par décision de mesures provisionnelles du juge du divorce du 19 mars 2012; le recourant s'est même ensuite vu confier les droits parentaux sur son fils cadet par décision du 6 août 2012. Par conséquent, la décision du 6 mars 2013 de la Chambre de surveillance ne constitue pas une décision prise en dernière instance au sens de l'
art. 75 al. 1 LTF
, de sorte que le présent recours est irrecevable. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
73c2b7ae-bf26-4df1-a444-b58e4d19af16 | Urteilskopf
115 Ib 517
67. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. November 1989 i.S. Travellers Foundation, Big Venture Foundation und Felina Foundation gegen Petroleos Mexicanos und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen;
Art. 63 und 74 IRSG
, Herausgabe von Vermögenswerten.
Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Herausgabe von Gegenständen im Rahmen der "anderen Rechtshilfe" sind mitzuberücksichtigen:
- die übrigen Vorschriften des IRSG und die internationalen Rechtshilfe-Übereinkommen (E. 3);
- Sinn und Zweck des IRSG (E. 4);
- die Regelung über die Herausgabe von Objekten im Auslieferungsverfahren (E. 5).
Art. 63 IRSG
(E. 6).
Art. 63 IRSG
umfasst auch Vorkehren, die es dem ersuchenden Staat ermöglichen, Verfügungsgewalt über Deliktsgut zu erlangen, d.h. die Sicherungsbeschlagnahme und die Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände (E. 6a, b), ohne Beschränkung auf bestimmte Herausgabezwecke (E. 6c).
Art. 74 IRSG
(E. 7).
Wortlaut, Materialien (E. 7a).
Art. 74 Abs. 1 bezieht sich auf Gegenstände, die als Beweismittel dienen können (E. 7b).
Art. 74 Abs. 2 IRSG
betrifft Deliktsgut und nennt den Sonderfall, dass im ersuchenden Staat kein Strafverfahren läuft, gilt aber a fortiori, wenn ein solches eröffnet worden ist; in diesem Fall ist der Herausgabezweck nicht beschränkt (E. 7c).
Als Beweismittel beanspruchte Objekte müssen eine Beziehung zum Strafverfahren im ersuchenden Staat aufweisen; Voraussetzung für die Herausgabe von Deliktsgut ist, dass die fraglichen Gegenstände in Beziehung zur Tat stehen, d.h. dass ihre deliktische Herkunft höchst wahrscheinlich sein muss (E. 7d).
Herauszugeben ist nur Deliktsgut, über das der Verfolgte rechtlich oder tatsächlich verfügt (E. 7e).
Der Begriff der Beute umfasst auch das Entgelt (E. 7f). Rechte von Behörden und Dritten: Unterliegt das Deliktsgut in der Schweiz als ersuchtem Staat der Einziehung, geht diese der Herausgabe vor (E. 7g aa). Bestehen Rechte Dritter an herausverlangten Beweismitteln, müssen diese herausgegeben, vom ersuchenden Staat aber wieder zurückgegeben werden; Rechte Dritter am Deliktsgut gehen der Herausgabe grundsätzlich vor (E. 7g bb).
Art. 74 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 63 Abs. 1 IRSG
ist eine Kann-Vorschrift (E. 7h).
Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide (E. 8).
Lehre und Rechtsprechung (E. 8a).
Die Möglichkeit der Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide steht mit dem Zweck des IRSG in Einklang (E. 8b).
Der in
Art. 94 Abs. 2 IRSG
verwendete Begriff der "Sanktionen" umfasst auch die Einziehung (E. 8b aa-dd).
Die Voraussetzung von
Art. 94 lit. a IRSG
gilt im Falle der Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide nicht (E. 8c).
Die Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide besteht in der Aushändigung der fraglichen Gegenstände oder Vermögenswerte an den ersuchenden Staat (E. 8d).
Aufschub der Herausgabe;
Art. 95 und
Art. 110 Abs. 2 IRSG
, verjährungs- und übergangsrechtliche Fragen (E. 9).
Ein Aufschub der Herausgabe darf nicht dazu führen, dass die Rechtshilfe infolge der inzwischen eingetretenen Verfolgungsverjährung nicht mehr geleistet werden kann (E. 9a).
Ist die Herausgabe des Deliktsgutes vor Ausfällung des ausländischen Sachurteils zulässig, darf sie im Exequaturverfahren nicht mit Hinweis auf
Art. 110 Abs. 2 IRSG
verweigert werden (E. 9b).
Zusammenfassung der allgemeinen Erwägungen (E. 10).
Kompetenz zur Anordnung der Herausgabe (E. 11).
Der Herausgabeentscheid kann auch von einer Verwaltungsbehörde ausgehen (E. 11a). Kantonale Zuständigkeitsordnung, Notwendigkeit richterlicher Überprüfung (E. 11b, c).
Anwendung auf den vorliegenden Fall (E. 12-14).
Doppelte Strafbarkeit (E. 12).
Die beschlagnahmten Vermögenswerte rühren höchstwahrscheinlich aus der Gegenstand des mexikanischen Strafverfahrens bildenden Straftat her (E. 13a, b).
Die Vermögenswerte können in der Schweiz nicht eingezogen werden (E. 13c).
Drittpersonen, die von den Verfolgten eingeschaltet worden sind, um die wahren Verfügungsverhältnisse zu verschleiern, können sich nicht auf
Art. 34 Abs. 3 und 4 IRSG
berufen (E. 13d).
Sofortige Herausgabe oder Aufschub? Abwägung der auf dem Spiele stehenden Interessen (E. 14). | Sachverhalt
ab Seite 522
BGE 115 Ib 517 S. 522
C. und L., ehemals leitende Angestellte der staatlichen mexikanischen Ölfirma "Petroleos Mexicanos" (Pemex), werden von den mexikanischen Behörden beschuldigt, von der amerikanischen Aktiengesellschaft Crawford Enterprises Inc. mit Sitz in Houston (Texas) Schmiergelder entgegengenommen zu haben, für die sie der Firma Crawford Grossaufträge für den Bau einer Erdgasleitung verschafften. Die Bestechungsgelder sollen nach verschiedenen Transaktionen auf Konten und Depots der Schweizerischen Volksbank Zürich angelegt worden sein, die auf den Namen der drei nach liechtensteinischem Recht errichteten Stiftungen Travellers Foundation, Big Venture Foundation und Felina Foundation (im folgenden: die Stiftungen) lauten. Das Bundesgericht hat sich mit diesen Vorgängen, sei es auf Rechtshilfebegehren der amerikanischen Behörden, sei es auf Ersuchen der mexikanischen Instanzen, schon verschiedentlich befasst. Für die Einzelheiten des Sachverhaltes kann daher auf die ergangenen Urteile verwiesen werden (nicht publ. Entscheid vom 22. Dezember 1983,
BGE 110 Ib 88
ff., 173 ff.,
BGE 111 Ib 132
ff., nicht publ. Entscheid vom 18. April 1986).
Am 2. Juli 1985 ersuchten die Vereinigten Staaten von Mexiko das Bundesamt für Polizeiwesen um Herausgabe der Vermögenswerte der drei Stiftungen, welche durch die Bezirksanwaltschaft Zürich bei der Schweizerischen Volksbank in Zürich beschlagnahmt worden waren. Das Bundesamt überwies das Begehren sowie eine mit diplomatischer Note vom 12. Juli 1985 nachgereichte Gegenseitigkeitserklärung Mexikos der zuständigen zürcherischen Behörde.
Mit Verfügung vom 21. November 1985 gab die Bezirksanwaltschaft dem Herausgabebegehren statt und wies die Schweizerische Volksbank Zürich an, sämtliche auf den Namen von C., L. oder der drei Stiftungen lautenden Vermögenswerte innert 30 Tagen an die Botschaft der Vereinigten Staaten von Mexico zuhanden der ersuchenden Behörden des mexikanischen Staates auszuliefern.
Gegen diese Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich rekurrierten die Stiftungen an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
BGE 115 Ib 517 S. 523
Diese wies den Rekurs mit Entscheid vom 1. April 1987 ab; indessen änderte sie die erstinstanzliche Verfügung in dem Sinne ab, dass die umstrittenen Vermögenswerte direkt dem zuständigen mexikanischen Strafgericht zum Entscheid darüber zu überweisen seien, wer in welchem Umfange auf diese Gelder Anspruch habe, mit der Auflage, die Vermögenswerte samt Zins und Zinseszins den Behörden des Kantons Zürich zurückzuüberweisen, sofern das Gericht keinen Entscheid fällen könne.
Die drei Stiftungen haben die Verfügungen der Bezirksanwaltschaft Zürich und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten und den Antrag gestellt, die angefochtenen Entscheide seien aufzuheben und jede Herausgabe zu verweigern.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die sich hier stellende Frage, ob dem Ersuchen Mexikos um Herausgabe der in der Schweiz liegenden, auf den Namen der Beschwerdeführerinnen lautenden Vermögenswerte entsprochen werden könne, beantwortet sich nach den im dritten Teil des IRSG enthaltenen Bestimmungen über die "andere Rechtshilfe" ("autres actes d'entraide", "altra assistenza"), die eine gesetzgeberische Neuheit bilden. Da diese Vorschriften, insbesondere die Bestimmung über die Herausgabe von Gegenständen - wie im einzelnen noch darzulegen sein wird - äusserst knapp und auslegungsbedürftig sind, rechtfertigt es sich, einige Betrachtungen darüber anzustellen, welches Ziel der Gesetzgeber mit der Schaffung des IRSG verfolgt (E. 4) und welche Lösung er für die Herausgabe von Objekten im Auslieferungsverfahren getroffen hat (E. 5).
Vorweg ist festzuhalten, dass zum bessern Verständnis einzelner Normen des IRSG - wie der hier in Frage stehenden Art. 63 und 74 - auch die weiteren Vorschriften des Gesetzes beigezogen werden dürfen, und zwar, da die fünf Teile des IRSG ein Ganzes bilden, alle und nicht nur die "allgemeinen Bestimmungen" des ersten Teils. Zudem ist im Auge zu behalten, dass mit dem IRSG den internationalen Entwicklungen auf dem Gebiet der Zusammenarbeit in Strafsachen Rechnung getragen und die Anwendung der europäischen Übereinkommen erleichtert werden sollte, so insbesondere des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAÜ) und des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959
BGE 115 Ib 517 S. 524
(EÜR), an deren Grundsätze sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des IRSG weitgehend gehalten hat (vgl. bundesrätliche Botschaft zum Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 8. März 1976, BBl 1976 II 445, 452). Das gilt ferner auch für das am 1. Mai 1988 in Kraft getretene Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (AS 1988 S. 759 ff.) sowie das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen, das am 28. Mai 1970 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde. Auch letzterem kann, obwohl ihm die Schweiz noch nicht beigetreten ist, Bedeutung bei der Interpretation der hier umstrittenen Normen zukommen, sollten doch durch das IRSG die Voraussetzungen für die Ratifikation dieses Übereinkommens geschaffen werden und darf deshalb angenommen werden, der Gesetzgeber habe sich bei der Anpassung des Landesrechts nach diesem gerichtet.
4.
a) Das IRSG verfolgt in erster Linie den Zweck, durch zwischenstaatliche Zusammenarbeit die Verbrechensbekämpfung wirksamer zu gestalten, da diese angesichts der neuen Formen von Kriminalität, die durch die internationalen Verbindungen, wirtschaftlichen Verflechtungen und neuen Übermittlungstechniken ermöglicht werden, immer schwieriger geworden ist und nicht mehr mit den überkommenen Mitteln betrieben werden kann (vgl. Botschaft des Bundesrates, a.a.O. S. 453; MARKEES, SJK 425 N. 5.086 S. 30). Dieser Zweck - und damit zusammenhängend die bestmögliche Wiedereingliederung des Delinquenten - kann nur erreicht werden, wenn das Territorialitätsprinzip teilweise aufgegeben oder doch abgeschwächt wird. Das Bundesgericht hat diese Notwendigkeit schon vor Erlass des neuen Gesetzes erkannt und in seiner Rechtsprechung zur Auslieferung ausgeführt, der Grundsatz der Territorialität müsse in den Hintergrund treten, sobald - etwa aufgrund unterschiedlicher Qualifikation einer Tat - die Gefahr entstehe, dass die Verfolgung einer Straftat verunmöglicht oder behindert werden könnte (
BGE 101 Ia 598
ff. E. 6; s. hiezu HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, Festgabe zum Schweiz. Juristentag 1988, ZBJV 1988/124bis S. 446 Fussnote 13). Das IRSG trägt diesem Gedanken nun insofern Rechnung, als die Auslieferung unter besonderen Umständen auch gewährt werden kann, wenn die Tat der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterliegt (Art. 36) bzw. abgelehnt werden darf, wenn die Schweiz die Strafverfolgung oder die Vollstreckung übernehmen kann und dies im
BGE 115 Ib 517 S. 525
Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verfolgten angezeigt erscheint (Art. 37 Abs. 1). Weiter sieht das Gesetz zusätzliche Fälle schweizerischer Gerichtsbarkeit und neue Delegationsmöglichkeiten vor: einerseits die stellvertretende Strafverfolgung - entweder in Form der Übernahme durch die Schweiz (Art. 85 ff.) oder in Form der Übertragung an das Ausland (Art. 88 ff.) -, andererseits die Vollstreckung von ausländischen Strafentscheiden durch die Schweiz bzw. von schweizerischen Entscheiden durch das Ausland (Art. 94 ff.). Auch diese neuen Institute beweisen, dass dem Grundsatz, wonach der Staat, auf dessen Gebiet die Straftat begangen worden ist, zur Verfolgung und Bestrafung des Täters verpflichtet ist und diese Aufgabe nicht durch Unterstützung eines ausländischen Verfahrens abwälzen darf, im heute geltenden Landesrecht keine absolute Bedeutung mehr zukommt.
b) Zur Erleichterung der internationalen Verbrechensbekämpfung ist auch die Bedingung der Gegenseitigkeit der Rechtshilfe, die nach Auslieferungsgesetz von 1892 als Regel galt (
Art. 1 AuslG
), im IRSG abgeschwächt worden. Zwar ist der Gesetzgeber weniger weit gegangen, als zunächst im bundesrätlichen Entwurf vorgesehen war (vgl. Art. 6 des Entwurfes, BBl 1976 II S. 493), und hat am Grundsatz des Gegenrechts an sich festgehalten, was in der Lehre bedauert worden ist (HANS SCHULTZ, Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, SJZ 77/1981 S. 94, JEAN GAUTHIER, La nouvelle législation suisse sur l'entraide internationale en matière pénale, ZStrR 101/1984 S. 63). Doch wird als Ausgleich in
Art. 8 Abs. 2 IRSG
in einer nicht abschliessenden Aufzählung präzisiert, wann das Gegenrecht nicht erforderlich sei. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Ausführung eines Ersuchens "im Hinblick auf die Art der Tat oder die Notwendigkeit der Bekämpfung bestimmter Taten geboten erscheint" (Abs. 2 lit. a). Zu diesen Taten müssen, neben den verschiedenen Formen der sog. organisierten Kriminalität, zweifellos auch die schweren Wirtschaftsdelikte zählen. Bei solchen Delikten liegt der Verzicht auf die Gegenrechts-Bedingung nicht nur im Interesse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung auf internationaler Ebene, sondern auch in jenem der Schweiz selbst, wenn sie verhindern will, zum weitherum bekannten und beliebten Hort für Deliktsgut zu werden oder in den Augen der Delinquenten als solcher zu gelten. Dass im vorliegenden Fall auf eine Gegenrechts-Erklärung hätte verzichtet werden können, ist denn auch schon in
BGE 110 Ib 176
E. 3a angedeutet worden.
BGE 115 Ib 517 S. 526
5.
a) Im Gegensatz zu den Bestimmungen über die "andere Rechtshilfe" ist die Herausgabe von Gegenständen und Vermögenswerten, die aus einer strafbaren Handlung herrühren, im zweiten Teil des Gesetzes über die Auslieferung unter dem Titel "Sachauslieferung" recht eingehend geregelt (vgl.
Art. 34 IRSG
). Hiefür bestehen historische Gründe, ist doch die mit der Auslieferung von Personen verbundene Übergabe von Sachen schon in den Verträgen, die die Schweiz in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts abgeschlossen hat, ausführlich behandelt worden und findet auch in den neueren Auslieferungsabkommen eine genaue Regelung (vgl. Art. 11 des Vertrages zwischen der Schweiz und Italien über gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten vom 22. Juli 1868, BS 12 S. 142, Art. 5 des Vertrages zwischen der Schweiz und Frankreich über gegenseitige Auslieferung von Verbrechern vom 9. Juli 1869, BS 12 S. 99 f.; HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 449 N. 23). Hieraus hat sich die Tendenz ergeben, die Herausgabe von Gegenständen und Vermögenswerten als eine Art von der Person auf das Deliktsgut ausgedehnte Auslieferung zu betrachten, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei diesem um "producta sceleris" - wie etwa Falschgeld - oder um "quaesita, fructa sceleris", also um die Beute oder den Ertrag aus der Straftat handle (vgl. LOUIS GAILLARD, La confiscation des gains illicites, le droit des tiers, in: Le rôle sanctionnateur du droit pénal, Fribourg 1985, S. 158). Diese Neigung hat sich übrigens im Ausdruck "Sachauslieferung" niedergeschlagen, der weder im französischen noch im italienischen Text, wo von "remise" und "consegna" gesprochen wird, Wiedergabe findet und auch in Deutschland und Österreich nicht gebräuchlich ist (vgl. §§ 38 und 66 des deutschen Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen betreffend die "Herausgabe von Gegenständen" sowie §§ 25, 41 und 52 des österreichischen Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes betreffend die "Ausfolgung von Gegenständen" im Rahmen der Auslieferung und die "Übersendung von Gegenständen" im Rahmen der sonstigen Rechtshilfe). Wie es mit diesen terminologischen Fragen auch sei, jedenfalls ist sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung unbestritten, dass die Rechtshilfemassnahme der Herausgabe von Gegenständen ihrem Wesen nach die gleiche ist, ob sie nun im Auslieferungs- oder im "anderen" Rechtshilfeverfahren geleistet werde (vgl. HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 509 f., HANS SCHULTZ,
BGE 115 Ib 517 S. 527
Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 453, MARKEES, SJK 422 N. 2.1.13).
b) Die Bestimmung von
Art. 34 IRSG
über die Herausgabe von Gegenständen im Auslieferungsverfahren folgt weitgehend der im Europäischen Auslieferungsübereinkommen getroffenen Ordnung. Nach beiden Regelungen kann sich die Herausgabe sowohl auf die Beweismittel als auch auf das Deliktsgut erstrecken (
Art. 20 Ziff. 1 EAÜ
,
Art. 34 Abs. 1 IRSG
), gemäss dem Europäischen Übereinkommen allerdings nur insoweit, als es die Rechtsvorschriften des ersuchten Staates zulassen (vgl.
BGE 112 Ib 625
E. 9b). Die Herausgabe erfolgt auch dann, wenn die bereits bewilligte Auslieferung infolge Todes oder Flucht des Verfolgten nicht vollzogen werden kann (
Art. 20 Ziff. 2 EAÜ
,
Art. 34 Abs. 2 IRSG
). Unterliegen die verlangten Gegenstände im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates der Beschlagnahme oder Einziehung, so können sie im Hinblick auf ein hängiges Verfahren vorübergehend zurückbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe herausgegeben werden (
Art. 20 Ziff. 3 EAÜ
,
Art. 59 IRSG
, s.a.
Art. 60 IRSG
betreffend die fiskalischen Pfandrechte). In jedem Fall bleiben die Rechte des ersuchten Staates oder Dritter an den fraglichen Gegenständen vorbehalten (
Art. 20 Ziff. 4 EAÜ
Art. 34 Abs. 3,
Art. 59 Abs. 1 lit. b IRSG
). Sind solche Rechte streitig, so dürfen nach
Art. 34 Abs. 4 IRSG
die Gegenstände und Vermögenswerte nicht freigegeben werden, bevor die zuständige Gerichtsbehörde oder die für die Freigabe zuständige Behörde zugestimmt hat.
c) In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist zur Sachauslieferung - sowohl für den Fall der Geltung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens als auch bei Anwendung des IRSG allein - folgendes festgehalten worden:
Die Gegenstände, die im ausländischen Verfahren als Beweismittel dienen, müssen - allenfalls unter dem Vorbehalt der Rückgabe - dem ersuchenden Staat herausgegeben werden (
BGE 112 Ib 626
E. 9b); die Herausgabe darf nur ausnahmsweise in Anwendung von
Art. 9 und 10 IRSG
zum Schutze des Geheimbereichs von am Strafverfahren nicht beteiligten Dritten verweigert werden (
BGE 112 Ib 622
f. E. 7c). Die Gegenstände, welche Deliktsgut und nicht Beweismittel darstellen, können unter den in Art. 34 Abs. 3 und 4 sowie
Art. 59 Abs. 1 IRSG
umschriebenen Umständen zurückbehalten werden; andernfalls sind sie in der Regel herauszugeben (
BGE 112 Ib 626
ff. E. 9b in fine und E. 10a). Wird von der Schweiz als ersuchtem Staat keine Rückgabe- oder andere Bedingung
BGE 115 Ib 517 S. 528
gestellt, kann der ersuchende Staat über die herausgegebenen Gegenstände nach eigenem Recht verfügen und sie dem Verfolgten oder dem Eigentümer zurückgeben, sie einziehen oder zur Deckung der Entschädigungsforderungen oder der Gerichtskosten verwenden (
BGE 112 Ib 626
ff. E. 9b; vgl. hiezu HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 455 f., HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 518).
6.
Nach der Grundsatzbestimmung von
Art. 63 IRSG
umfasst die "andere Rechtshilfe" neben Auskünften und nach schweizerischem Recht zulässigen Prozesshandlungen auch "andere Amtshandlungen, die ... dem Beibringen der Beute dienen". Es stellt sich die Frage, welche Massnahmen im einzelnen hiezu zählen.
a) Zunächst ist festzustellen, dass zwischen dem deutschen und französischen Gesetzestext einerseits und dem Wortlaut im Italienischen andererseits ein Unterschied besteht: Während im Deutschen und Französischen von "Beibringen der Beute" bzw. "récupérer le produit de l'infraction" gesprochen wird, was "Beschaffen", "Heranschaffen", "Wiedererlangen des Deliktsguts" bedeutet, wird im italienischen Text der Ausdruck "reperire il corpo di reato" verwendet, worunter bloss das "Ausfindigmachen der Beute" verstanden werden könnte. Zweifellos entspricht jedoch die deutsche bzw. französische Fassung dem Willen des Gesetzgebers.
b) Der erwähnte weite Wortlaut von
Art. 63 Abs. 1 IRSG
lässt den Schluss zu, dass die "andere Rechtshilfe" auch in Vorkehren bestehen kann, die dem ersuchenden Staat dazu verhelfen, Verfügungsgewalt über Deliktsgut zu erlangen. Als vorläufige Massnahme muss daher im Rechtshilfeverfahren nicht nur die Prozesszwecken dienende Beweisbeschlagnahme, sondern auch die Sicherungsbeschlagnahme zulässig sein, die die Möglichkeit des späteren Vollzugs einer materiellrechtlichen Massnahme gewährleisten soll. Die Beschlagnahme wird denn auch in der (nicht abschliessenden) Aufzählung von Rechtshilfemassnahmen in
Art. 63 Abs. 2 IRSG
ausdrücklich erwähnt, ohne dass das Gesetz zwischen Beweis- und Sicherungsbeschlagnahme unterscheiden würde (vgl. hiezu auch HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 451).
Mit der vorläufigen Massnahme der Beschlagnahme, die ja nie Selbstzweck sein kann, ist allerdings die in
Art. 63 Abs. 1 IRSG
vorgesehene Möglichkeit der Rechtshilfe noch nicht ausgeschöpft. So wie die Erhebung von Beweismitteln in der Schweiz zu deren Aushändigung an den ersuchenden Staat führen muss, damit
BGE 115 Ib 517 S. 529
dieser sie im Gerichtsverfahren, für das Rechtshilfe geleistet wird, verwenden kann, so hat der Beschlagnahme von Deliktsgut grundsätzlich die Übergabe der beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte an den ersuchenden Staat zu folgen, damit er den Anordnungen seiner Gerichtsbehörden entsprechend über sie verfügen kann. Die Sicherungsbeschlagnahme ist mit anderen Worten Vorstufe zur Herausgabe des Deliktsgutes, die erst dazu führt, dass die Beute im ersuchenden Staat "beigebracht" ("récupéré") wird. Kann aus besonderen Gründen das Deliktsgut nicht direkt herausgegeben werden, so ist dem ersuchenden Staat oder den anderen Berechtigten zumindest zu ermöglichen, auf dem Gebiet der Schweiz selbst in Anwendung des Landesrechts die zur Wiedererlangung der Beute notwendigen Schritte zu unternehmen; ohne eine solche Mindestfolge verlöre die Beschlagnahme jeden Sinn (vgl.
BGE 112 Ib 598
mit Hinweisen).
c) Was den Zweck anbelangt, für den die Herausgabe gewährt werden kann, macht
Art. 63 Abs. 1 IRSG
keinerlei Vorbehalt. Wie noch zu zeigen sein wird, schränken auch die übrigen Gesetzesbestimmungen, insbesondere
Art. 74 IRSG
, den Herausgabezweck nicht ein, sofern im ersuchenden Staat ein Strafverfahren eröffnet worden ist und der Richter angerufen werden kann, was allgemein für Rechtshilfeleistungen vorausgesetzt wird (vgl.
Art. 1 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 IRSG
). Hieraus ergibt sich, dass Deliktsgut sowohl zur Rückgabe an den Berechtigten als auch zur Einziehung, zur allfälligen Schadens- oder Kostendeckung oder zur Verfallerklärung gemäss dem materiellen Recht des ersuchenden Staates herausgegeben werden kann, wie das Bundesgericht dem Grundsatze nach schon in
BGE 112 Ib 600
E. 12cc anerkannt hat (vgl. dieselbe Argumentation für das deutsche Recht: VOGLER/WALTER/WILKITZKI, Kommentar zum IRG, 2. A. 1986, N. 12 zu § 66).
d) Anders als auf dem Gebiete der Auslieferung (oben E. 5b) besteht hinsichtlich der Herausgabe von Gegenständen im Rahmen der anderen Rechtshilfe keine Übereinstimmung von Landesrecht und europäischem Abkommen. Das Europäische Übereinkommen für Rechtshilfe in Strafsachen bezieht sich einzig auf die Beweisstücke, nicht dagegen auf Gegenstände und Vermögenswerte, die Deliktsgut bilden (vgl.
BGE 112 Ib 597
E. 12,
BGE 99 Ia 92
; HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 449). Fragen könnte sich einzig, ob das Übereinkommen nicht zumindest die Sicherungsbeschlagnahme der Beute vorsehe,um dem Berechtigten
BGE 115 Ib 517 S. 530
zu gestatten, das zur Wiedererlangung Nötige im ersuchten Staat selbst zu unternehmen. Diese Frage ist bisher in der Rechtsprechung offengelassen worden (
BGE 112 Ib 597
f. E. 12b und dort zitierte Entscheide,
BGE 105 Ib 216
ff. E. 5a; zu dieser Frage s.a. ROBERT HAUSER, Das europäische Abkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, ZStrR 83/1967 S. 235 f., HANS NIEDERER, Die Vermögensbeschlagnahme im schweizerischen Strafprozessrecht, Diss. Zürich 1968 S. 87).
Dass im Europäischen Rechtshilfe-Übereinkommen die Herausgabe von Deliktsgut nicht vorgesehen ist, erklärt sich damit, dass das Übereinkommen die Leistung von Rechtshilfe an keinerlei Voraussetzung, auch nicht an jene der doppelten Strafbarkeit, knüpft und es den Vertragsparteien anheimstellt, ob sie die in Art. 5 Ziff. 1 genannten Bedingungen aufstellen wollen. Rechtshilfemassnahmen, die in einer Sicherungsbeschlagnahme und der anschliessenden Herausgabe der Beute zu allfälliger Einziehung durch den ersuchenden Staat bestehen, müssen aber notwendigerweise dem Vorbehalt der beidseitigen Strafbarkeit unterworfen sein. Der Verzicht auf dieses Erfordernis im Rechtshilfe-Übereinkommen - der im Interesse der Erleichterung der Zusammenarbeit auf anderen Gebieten getroffen wurde (vgl. Rapport explicatif sur la Convention européenne d'entraide judiciaire en matière pénale, Strasbourg 1969, S. 7, 15 f.) - musste daher gleichzeitig zum Verzicht auf Bestimmungen über die Wiedererlangung der Beute führen. Hingegen bestand für den schweizerischen Gesetzgeber, da für alle mit prozessualem Zwang verbundenen Rechtshilfemassnahmen die Anforderung der beidseitigen Strafbarkeit gilt (vgl.
Art. 64 IRSG
), kein Anlass, die Herausgabe von Gegenständen im "anderen" Rechtshilfeverfahren anders zu regeln als im Auslieferungsverfahren.
7.
Stellt nach dem Gesagten
Art. 63 Abs. 1 IRSG
die allgemeine gesetzliche Grundlage für die Herausgabe der Beute dar, so wird die Herausgabe von Gegenständen im einzelnen in
Art. 74 IRSG
geregelt. Die Bestimmung lautet:
"Art. 74 Herausgabe von Gegenständen
Gegenstände, insbesondere Schriftstücke und Vermögenswerte, deren Beschlagnahme das schweizerische Recht zulässt, sowie amtliche Akten und Entscheide werden den in Strafsachen und den für die Erteilung oder den Entzug von Führerausweisen zuständigen Behörden auf Ersuchen zur Verfügung gestellt, soweit sie für deren Entscheid von Bedeutung sein können.
BGE 115 Ib 517 S. 531
Andere Gegenstände und Vermögenswerte, die aus einer strafbaren Handlung herrühren, können zur Rückerstattung an den Berechtigten auch ausserhalb eines Strafverfahrens im ersuchenden Staat herausgegeben werden. Für die Rechte von Behörden und Dritten gilt Artikel 34 Absätze 3 und 4; für die Rückgabe gilt Artikel 59 und für die fiskalischen Pfandrechte Artikel 60."
Dieser Text stimmt weitgehend mit Art. 64/65 des Vorentwurfes der Expertenkommission vom 4. November 1972 sowie wörtlich mit Art. 71 des bundesrätlichen Gesetzesentwurfes überein und ist vom Parlament diskussionslos angenommen worden. Die Bestimmung ist jedoch nicht leicht verständlich.
a) Im Expertenbericht über den Vorentwurf von 1972, der vom Verfasser des Vorentwurfes, Dr. Curt Markees, selbst stammt, wird hervorgehoben, dass die Regelung über die Herausgabe von Gegenständen zu Gunsten des Geschädigten über das auf diesem Bereich der Rechtshilfe Übliche hinausgehe (vgl. Expertenbericht S. 12, 93). In der bundesrätlichen Botschaft wird über die Bestimmung von Art. 71 selbst nichts ausgeführt, sondern lediglich zu Art. 59 (heute Art. 63) bemerkt, der sachliche Geltungsbereich entspreche der Regelung, die in den Zusatzverträgen mit der Bundesrepublik Deutschland und mit Österreich zum Europäischen Rechtshilfe-Übereinkommen vereinbart worden sei (BBl 1976 II S. 482 f.). Allerdings wird in den beiden Zusatzübereinkommen die Frage der Herausgabe von Gegenständen und des Schutzes gutgläubiger Dritter nicht in genau gleicher Weise beantwortet, da mit den Vertretern Deutschlands keine den schweizerischen Vorstellungen entsprechende Regelung vereinbart werden konnte (vgl. die Botschaften des Bundesrates vom 15. Juli 1970 betreffend die Genehmigung der Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EAÜ und des EuR, BBl 1970 II S. 243 und vom 31. Oktober 1973 betreffend Zusatzverträge mit Österreich, BBl 1973 II S. 988).
b)
Art. 74 Abs. 1 IRSG
bezieht sich nur auf Gegenstände, die als Beweismittel für das im ersuchenden Staat hängige Verfahren dienen können. Das wird zwar - im Gegensatz zu
Art. 34 Abs. 1 IRSG
- nicht direkt gesagt, sondern in Anlehnung an den Wortlaut von
Art. 63 Abs. 1 IRSG
dadurch umschrieben, dass den "in Strafsachen zuständigen" Behörden Gegenstände zur Verfügung gestellt werden, "soweit sie für deren Entscheid von Bedeutung sein können". Aus diesem Text geht zugleich hervor, dass die
BGE 115 Ib 517 S. 532
fraglichen Objekte nicht endgültig übergeben werden, sondern in der Regel nach Abschluss des Strafverfahrens zurückzuerstatten sind. Dass es sich um Gegenstände handeln muss, "deren Beschlagnahme das schweizerische Recht zulässt", erklärt sich damit, dass Rechtshilfemassnahmen mit dem schweizerischen Strafprozessrecht vereinbar sein müssen und die eidgenössische und gewisse kantonale Strafprozessordnungen die Beschlagnahme bestimmter Schriftstücke ausschliessen (vgl. MARKEES, SJK 423b N. 3.111 Ziff. 2, HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 448 mit N. 19 und 20). Soweit übrigens aus dem nicht publizierten Bundesgerichtsentscheid vom 18. April 1986 in der gleichen Sache (E. 4d) herausgelesen werden könnte, für die Anwendung von
Art. 74 IRSG
komme es darauf an, ob die Einziehung - und nicht die Beschlagnahme - nach schweizerischem Recht zulässig sei (so LIONEL FREI, Erfahrungen mit dem Schweizer Rechtshilfegesetz, Liechtensteinische Juristenzeitung 1/1987 S. 19), wäre die Kritik von HANS SCHULTZ hieran berechtigt: Zum einen wird, wie SCHULTZ feststellt, in Art. 74 Abs. 1 der prozessuale Begriff "Beschlagnahme" und nicht der materiellrechtliche der "Einziehung" verwendet, zum anderen wäre es schwer verständlich, weshalb für die Herausgabe der in Art. 74 Abs. 1 behandelten Beweisstücke, die in aller Regel nicht eingezogen, sondern zurückerstattet werden, die Voraussetzung möglicher Einziehung verlangt würde (vgl. Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 448 f.).
c) In
Art. 74 Abs. 2 IRSG
wird im Gegensatz zu Abs. 1 von "anderen" Gegenständen und Vermögenswerten, die aus einer strafbaren Handlung herrühren, also offensichtlich von Deliktsgut gesprochen.
Die Bestimmung ist jedoch merkwürdig formuliert. Nach ihrem Wortlaut regelt sie die Herausgabe der Beute an den ersuchenden Staat nicht in allgemeiner Weise, sondern befasst sich nur mit dem den Rahmen der üblichen Rechtshilfe sprengenden Spezialfall der Herausgabe "ausserhalb eines Strafverfahrens im ersuchenden Staat", also wenn die generell für den dritten Teil des Gesetzes geltende Voraussetzung der "Unterstützung eines Strafverfahrens im Ausland" (
Art. 1 Abs. 1 lit. b IRSG
) nicht erfüllt ist.
Art. 74 Abs. 2 IRSG
lässt in diesem Fall die Herausgabe der Beute "zur Rückerstattung an den Berechtigten" zu. Die Begründung für diese Sonderregelung findet sich im bereits erwähnten Expertenbericht zum Vorentwurf vom 4. November
BGE 115 Ib 517 S. 533
1972. In diesem wird ausgeführt, dem Geschädigten erwüchsen dadurch, dass die ihm durch strafbare Handlung entzogenen Objekte ins Ausland verbracht würden, ausserordentliche Unannehmlichkeiten, und es solle durch gesetzliche Vorschrift vermieden werden, dass ihm einerseits durch Verlegung des Gerichtsstands des Vindikationsanspruches und andererseits durch Geltendmachung von Zollrechten noch zusätzliche Schwierigkeiten entstünden. Zwar werde durch eine solche Rechtshilfeleistung kein ausländisches Strafverfahren unterstützt, doch rechtfertige sich die vorgesehene Bestimmung mit Blick auf den Gesetzeszweck, der auch den Schutz des Geschädigten umfasse (S. 12). Da die Umtriebe zur Wiedererlangung der Beute dann besonders gross seien, wenn diese erst nach Durchführung eines Strafverfahrens entdeckt werde, solle nach Ansicht der Kommission die Rückerstattung an den Berechtigten auch zulässig sei, wenn die Verfolgung der strafbaren Handlung schon abgeschlossen sei oder nicht im ersuchenden Staat stattfinde (Art. 63 des Berichtes).
Aus diesen Erläuterungen und dem Text von
Art. 74 Abs. 2 IRSG
, wonach die Herausgabe auch ausserhalb ("même en dehors", "anche indipendemente") eines Strafverfahrens im ersuchenden Staat erfolgen kann, sofern die herausgegebenen Objekte dem - dinglich - Berechtigten zurückerstattet werden, ergibt sich ohne weiteres, dass die Herausgabe von Deliktsgut a fortiori auch dann zulässig ist, wenn im ersuchenden Staat ein Strafverfahren läuft. Es fragt sich einzig, ob auch in diesem Normalfall die in
Art. 74 Abs. 2 IRSG
vorgesehene Beschränkung des Herausgabezweckes gelte und ob das Deliktsgut nur zur Rückerstattung an den Berechtigten dem ersuchenden Staat übergeben werden dürfe. Zur Beantwortung dieser Frage ist - falls man sich nicht schon mit dem Umkehr-Schluss aus dem Wortlaut von Art. 74 Abs. 2 begnügen will - die allgemeine Bestimmung von
Art. 63 Abs. 1 sowie
Art. 34 IRSG
beizuziehen: Wie dargelegt, dienen die in Art. 63 vorgesehenen Rechtshilfemassnahmen dazu, dem ersuchenden Staat zur Wiedererlangung des Deliktsguts zu verhelfen, damit er gemäss eigenem Recht über dieses verfügen kann; die Verwendungsart wird nicht vorgeschrieben (vgl. oben E. 6c und d). Nun weist nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber durch
Art. 74 IRSG
- entgegen Art. 63 - die Herausgabe von Gegenständen selbst dann, wenn sie im Zusammenhang mit einem Strafverfahren erfolgt, in dem Sinne habe einschränken wollen, dass sie allein zur Rückerstattung an den Berechtigten zulässig sei. Es wäre auch
BGE 115 Ib 517 S. 534
nicht einzusehen, weshalb dieser Vorbehalt, würde er für jeden Fall des "Beibringens der Beute" gelten, nicht schon in
Art. 63 IRSG
angebracht worden wäre. Vielmehr darf davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe die Herausgabe von Gegenständen auch in dieser Hinsicht gleich wie die Sachauslieferung - Sonderart der "anderen" Rechtshilfe - regeln und es dem ersuchenden Staat überlassen wollen, selbst über das Schicksal der herausgegebenen Objekte zu bestimmen (so auch HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74 S. 456).
Aus Art. 74 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 63 IRSG
ergibt sich somit, dass die Herausgabe von Gegenständen im Zusammenhang mit einem im ersuchenden Staat hängigen Strafverfahren ohne Einschränkung des Herausgabezweckes möglich ist, während sie ausserhalb eines solchen Verfahrens nur zur Rückerstattung an den Eigentümer in Betracht fällt.
d) Steht die Übergabe von Beweismitteln in Frage (
Art. 74 Abs. 1 IRSG
), so wird vorausgesetzt, dass die herausverlangten Gegenstände zum Strafverfahren im ersuchenden Staat eine Beziehung aufweisen. Allzu strenge Anforderungen sind jedoch in dieser Hinsicht nicht am Platz, weil die endgültige Beweiswürdigung ohnehin dem ausländischen Sachrichter obliegt. Es genügt, dass die fraglichen Gegenstände nach vorläufiger Prüfung als Beweismittel geeignet sein könnten. Eine Ausnahme gilt einzig für die Auskünfte über den Geheimbereich unbeteiligter Dritter, die nur erteilt werden können, wenn sie zur Feststellung des Sachverhaltes "unerlässlich" erscheinen (
Art. 10 Abs. 1 IRSG
).
Geht es dagegen um die Herausgabe von Deliktsgut (
Art. 74 Abs. 2 IRSG
), so müssen Beziehungen zwischen den verlangten Objekten und der im Ausland verfolgten Straftat gegeben sein (vgl. zur auch im deutschen Recht getroffenen Unterscheidung VOGLER/WALTER/WILKITZKI, a.a.O. N. 12 zu § 66 IRG). Wohl steht auch in diesem Falle der Entscheid über das Bestehen eines solchen Zusammenhangs dem ausländischen Sachrichter zu. Die Herausgabe von Deliktsgut hat indessen in der Regel viel einschneidendere Auswirkungen als die Übergabe von Beweisstücken, da diese üblicherweise nach Abschluss des Verfahrens zurückerstattet werden, während die Beute dem ersuchenden Staat zur Beschlagnahme oder zur Sicherung der Vollstreckung des späteren Sachurteils übergeben wird. Wie das Bundesgericht schon in seiner Rechtsprechung zur Sachauslieferung festgestellt hat (
BGE 112 Ib 627
f. E. 10a), rechtfertigt sich daher, die Herausgabe von Deliktsgut von
BGE 115 Ib 517 S. 535
strengeren Voraussetzungen abhängig zu machen und zu verlangen, es müsse in ausreichender Weise dargetan sein, dass die herausverlangten Gegenstände direkt oder indirekt durch die verfolgte strafbare Handlung erlangt worden seien oder eine solche Herkunft höchst wahrscheinlich sei. Dass unterschiedliche Anforderungen gelten sollen, ergibt sich auch aus dem Wortlaut von Art. 63 Abs. 1 und
Art. 74 Abs. 1 und 2 IRSG
, wonach die Beweismittel herauszugeben sind, sofern sie für das Verfahren im Ausland "erforderlich erscheinen" oder für den Entscheid "von Bedeutung sein können", das Deliktsgut dagegen nur, wenn es "aus einer strafbaren Handlung herrührt".
Die Beschlagnahme irgendwelcher Vermögenswerte des Beschuldigten in der Schweiz zur Schadensdeckung stünde denn auch in Widerspruch zu den Grundsätzen des Zwangsvollstreckungsrechts. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
Art. 44 SchKG
ist wiederholt festgehalten worden, dass sowohl die Sicherungsbeschlagnahme wie auch die nachfolgende Einziehung von Vermögenswerten nach kantonalem Recht mit dieser bundesrechtlichen Bestimmung nur vereinbar seien, wenn sie der Sicherstellung der sich aus dem Straf- oder Fiskalverfahren ergebenden öffentlichrechtlichen Ersatzansprüche dienten, nicht dagegen, soweit sie Gegenstände beträfen, die mit der Straftat in keinem Zusammenhang stünden und zur Deckung privatrechtlicher Schadenersatzansprüche der durch die Strafhandlung Geschädigten bestimmt seien (
BGE 108 II 106
f. E. 3,
BGE 107 III 115
f. E. 1,
BGE 101 IV 377
E. 3,
BGE 76 I 33
E. 3, 100 ff. E. 4). Die internationale Rechtshilfe kann aber in der Regel nicht über das hinausgehen, was sich die Kantone gegenseitig an Beistand schulden (s.a. HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 453 f.).
e) Weder für die Sachauslieferung (
Art. 34 IRSG
) noch für die Herausgabe von Gegenständen als andere Rechtshilfe (
Art. 74 IRSG
) sagt das Gesetz direkt etwas darüber aus, in wessen Besitz sich die Objekte befinden müssten. Dagegen wird in Art. 20 Ziff. 1 lit. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens ausdrücklich festgehalten, herauszugeben seien die Gegenstände, die aus der strafbaren Handlung herrühren "und im Zeitpunkt der Festnahme im Besitz des Verfolgten gefunden worden sind oder später entdeckt werden" ("qui auraient été trouvés au moment de l'arrestation en la possession de l'individu réclamé ou seraient découverts ultérieurement"). Im deutschen Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen wird für das Auslieferungsverfahren
BGE 115 Ib 517 S. 536
und die sonstige Rechtshilfe ebenfalls ausgeführt, dass Gegenstände herausgegeben werden können, "die der Betroffene oder ein Beteiligter" durch die in Frage stehende Tat "oder als Entgelt für solche Gegenstände erlangt hat" (§ 38 Abs. 1 Ziff. 2 und § 66 Abs. 1 Ziff. 2 IRG).
Ähnliches muss auch für das schweizerische Recht gelten. Das Bundesgericht hat bereits vor Inkrafttreten des IRSG in seiner Rechtsprechung zu einzelnen Auslieferungsverträgen (mit den USA bzw. mit Frankreich) und zu Art. 27 des Auslieferungsgesetzes von 1892 erklärt, herausgegeben werden könnten nicht nur die Gegenstände, die im Besitze des Verfolgten seien, sondern auch die bei einer Bank oder bei Dritten deponierten Vermögenswerte, über die dem Verfolgten tatsächliche oder rechtliche Verfügungsgewalt zustehe (
BGE 103 Ia 622
f. E. 4a,
BGE 97 I 386
E. 6b). Diese Voraussetzung der Verfügungsgewalt ergibt sich nun auch indirekt aus
Art. 34 Abs. 3 und 4 IRSG
, auf den
Art. 74 Abs. 3 IRSG
verweist und in welchem festgehalten wird, dass Gegenstände und Vermögenswerte, wenn Rechte Dritter oder der Behörden an ihnen streitig seien, nicht "freigegeben" werden dürften, bevor das zuständige Gericht entschieden oder die für die Freigabe zuständige Behörde zugestimmt habe. Allerdings stimmen auch in diesem Punkte die Texte in den verschiedenen Amtssprachen nicht überein: Während im Deutschen und Italienischen von "freigegeben" bzw. "liberati" gesprochen wird, wird im Französischen eine andere Umschreibung verwendet ("ne seront délivrés à l'ayant droit que sur décision de l'autorité judiciaire ou avec l'assentiment de l'autorité compétente pour décider de leur remise"), die Unklarheit hinsichtlich der Zuständigkeiten entstehen lassen könnte. Die Vorschrift ist jedoch offensichtlich so zu verstehen, dass, falls Dritte oder Behörden an den herauszugebenden Objekten Rechte geltend machen, die zuständigen Gerichtsinstanzen oder die Zoll- und Steuerbehörden, die gemäss
Art. 60 IRSG
auf das Zollpfandrecht oder eine ähnliche dingliche Haftung verzichten können, vorweg über Drittansprüche zu befinden haben und erst nachher durch die Rechtshilfebehörde über die "Freigabe" bzw. die Herausgabe entschieden wird.
f) Das Bundesgericht hat die Frage, ob aufgrund des IRSG nicht nur das Deliktsgut selbst, sondern auch der aus seiner Verwertung erzielte Erlös beschlagnahmt und an den ersuchenden Staat herausgegeben werden dürfen, bisher noch nicht beantworten müssen. In Entscheiden, die vor Inkrafttreten des IRSG gefällt worden sind, ist einerseits in Anwendung des mit den USA
BGE 115 Ib 517 S. 537
geschlossenen Auslieferungsvertrages die Übergabe der nicht mehr in natura, sondern in anderer Form oder als Bankguthaben vorhandenen producta sceleris bewilligt (
BGE 97 I 382
E. 5a) und andererseits die Frage offengelassen worden, ob auch aufgrund des inzwischen dahingefallenen Auslieferungsvertrages mit Frankreich die Herausgabe des Erlöses aus dem Verkauf gestohlener Aktien möglich sei (
BGE 103 Ia 623
E. 4). Im übrigen ist in einem neueren Urteil zu
Art. 58bis StGB
festgehalten worden, dass das Begehren um Aushändigung von einzuziehenden Gegenständen und Vermögenswerten im Sinne dieser Bestimmung einer rei vindicatio gleichkomme, die nur dem Eigentümer oder dem Dritten zustehe, welcher Anspruch auf Verschaffung von Eigentum erworben habe; dem Geschädigten stehe daher aufgrund von
Art. 58bis StGB
kein Aushändigungs-Anspruch zu, wenn das nach einer Entführung bezahlte Lösegeld bei einer Bank gewechselt und mit eigenem Geld vermischt worden sei (
BGE 112 IV 74
ff.; hiezu kritisch HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 455 mit Hinweis auf
Art. 727 Abs. 1 ZGB
).
Wie bereits dargelegt, ist die Bestimmung von
Art. 63 Abs. 1 IRSG
sehr allgemein gefasst und erlaubt der weite Begriff der "Beute" ("corpo del reato", "produit de l'infraction") die Annahme, dass damit nicht nur die direkt aus der strafbaren Handlung herrührenden Gegenstände, sondern gegebenenfalls auch der Erlös hiefür gemeint seien. Diese Annahme rechtfertigt sich umso eher, als in den Zusatzverträgen zum EÜR mit der Bundesrepublik Deutschland und Österreich, denen die innerstaatliche Regelung entsprechen sollte (vgl. Bericht der Expertenkommission vom 4. November 1972 S. 63, Botschaft des Bundesrates, BBl 1976 II S. 482 f.), ausdrücklich vorgesehen wird, dass neben den Beweisstücken auch die Gegenstände herausgegeben werden, die aus einer mit Strafe bedrohten Handlung herrühren, "sowie das durch ihre Verwertung erlangte Entgelt". Es besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber entgegen allen Erklärungen die Herausgabemöglichkeit im IRSG habe einschränken wollen. Eine solche Einschränkung wäre übrigens auch unvereinbar mit dem Ziel des IRSG, alle für eine möglichst breite Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung benötigten Mittel bereitzustellen (s. oben E. 4).
Es darf deshalb davon ausgegangen werden, Art. 74 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 63 Abs. 1 IRSG
gestatte auch die Herausgabe des aus der Verwertung von Deliktsgut erzielten Erlöses.
BGE 115 Ib 517 S. 538
g)
Art. 74 Abs. 3 IRSG
verweist für die Rechte von Behörden und Dritten, die Rückgabe sowie die fiskalischen Pfandrechte auf die entsprechende Bestimmungen im zweiten Teil des Gesetzes über die Auslieferung. Dieser Verweis ist ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass sich die Herausgabe von Gegenständen unabhängig davon, ob das Gesuch im Auslieferungs- oder im anderen Rechtshilfeverfahren gestellt werde, nach den nämlichen Grundsätzen richten soll. Zu den Rechten von Behörden und Dritten ist hier folgendes zu bemerken:
aa) Unterliegt das Deliktsgut sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates als auch des ersuchten Staates der Einziehung, so gebührt grundsätzlich diesem Vorrang. Finden daher die Bestimmungen von
Art. 58 ff. StGB
Anwendung, so werden die fraglichen Gegenstände in der Schweiz eingezogen und nicht herausgegeben. Dass in diesem Fall nach dem Territorialitätsprinzip vorgegangen wird, rechtfertigt sich ohne weiteres: Der Hauptzweck der Einziehung - der Entzug unrechtmässig erworbener Vermögenswerte nach dem Grundsatz, dass sich Verbrechen nicht lohnen sollen - wird erfüllt und die internationale Verbrechensbekämpfung büsst an Wirksamkeit nichts ein. Übrigens lässt sich auch aus Art. 20 Ziff. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens ableiten, dass die Einziehung im ersuchten Staat jener im ersuchenden Staat vorgeht.
Anders liegen die Dinge, wenn unsicher ist, ob in der Schweiz eine Einziehung erfolge, dagegen eine solche im ausländischen Staat als wahrscheinlich angenommen werden kann. In diesem Fall sollten wohl ungeachtet des Territorialitätsprinzips die Gegenstände im Interesse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung herausgegeben werden (vgl. die gleiche Argumentation in
BGE 101 Ia 598
ff. E. 6 für die Auslieferung von Personen unter altem Recht), und zwar nicht nur dann, wenn unklar ist, ob die schweizerische Gerichtsbarkeit überhaupt gegeben sei, sondern auch, wenn es zur leichteren Abklärung des Sachverhalts als angezeigt erscheint, das Strafverfahren vor den ausländischen Gerichten durchzuführen. Im übrigen versteht sich von selbst, dass ein in der Schweiz der Einziehung unterliegender Gegenstand, der gleichzeitig Beweisstück und Deliktsgut bildet, dem ersuchenden Staat mit der Auflage der Rückgabe zur Verfügung gestellt werden kann.
bb) Sowohl im Sachauslieferungs- als auch im anderen Rechtshilfeverfahren bleiben die Rechte Dritter an den herauszugebenden Objekten grundsätzlich unberührt (
Art. 34 Abs. 3,
Art. 74
BGE 115 Ib 517 S. 539
Abs. 3 IRSG
, s. auch
Art. 20 Ziff. 4 EAÜ
). Die Herausgabe geht jedoch als Rechtshilfemassnahme diesen Rechten vor, wenn es um Beweismittel geht, die für die Tatbestandsfeststellung und die Durchführung des Strafverfahrens benötigt werden. In diesem Fall ist der Eigentümer oder Berechtigte zur Herausgabe der Gegenstände an den ersuchenden Staat verpflichtet, gleich wie er sie den inländischen Behörden zur Verfügung stellen müsste. Dem ersuchenden Staat, dem gegenüber der ersuchte Staat den Vorbehalt der Rechte Dritter angebracht hat, erwächst aber seinerseits eine völkerrechtliche Verpflichtung auf Rückerstattung der ihm übergebenen Objekte (HANS SCHULTZ, Das Schweizerische Auslieferungsrecht, S. 522 f.; vgl.
Art. 59 Abs. 2 IRSG
,
Art. 20 Ziff. 4 EAÜ
). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn es sich bei den Beweisstücken um Gegenstände handelt, die an sich die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden (vgl.
Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB
); solche Gegenstände dürfen im ausländischen Staat trotz der Ansprüche Dritter eingezogen werden (HANS SCHULTZ, a.a.O., HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O. S. 449 mit N. 22).
Geht es dagegen um Objekte, die Deliktsgut und nicht Beweisstücke bilden und im ersuchenden Staat zur Einziehung (vgl.
Art. 58 Abs. 1 lit. a StGB
) oder zum Verfall (
Art. 59 StGB
) bestimmt sind oder zur Rückgabe an den Geschädigten bzw. zur Schadensdeckung (
Art. 58bis und 60 StGB
) verwendet werden sollen, so gehen die Rechte Dritter der Herausgabe vor. In diesem Falle wäre ja eine mit der Verpflichtung zur Rückerstattung verbundene Herausgabe für den ersuchenden Staat sinnlos. Die Herausgabe kann daher verweigert oder aufgeschoben werden (vgl.
Art. 59 Abs. 1 und 2 IRSG
,
Art. 20 Ziff. 3 und 4 EAÜ
). Die Bestimmung von
Art. 34 Abs. 4 IRSG
, in welcher von "Freigabe" gesprochen wird, ist im Lichte dieser Grundsätze auszulegen: Sie bedeutet, dass Gegenstände, an denen Rechte Dritter oder von Behörden geltend gemacht werden und welche - etwa weil sie auch Beweismittel sind - dennoch herausgegeben werden müssen, nur mit der Auflage der Rückerstattung übergeben werden dürfen, solange kein gerichtlicher oder behördlicher Entscheid über diese Rechte ergangen ist; erst wenn der Richter die Ansprüche der Dritten zurückgewiesen hat oder die Verzichterklärung der zuständigen Behörde vorliegt, kann die Bedingung der Rückgabe gegenüber dem ersuchenden Staat fallengelassen werden.
BGE 115 Ib 517 S. 540
h) In
Art. 74 Abs. 2 IRSG
wird für den dort erwähnten Spezialfall - Herausgabe von Gegenständen ausserhalb eines Strafverfahrens im ersuchenden Staat - festgehalten, dass eine Herausgabe erfolgen "könne"; die Herausgabe wird somit zugelassen, aber keine Pflicht hiezu begründet. Es fragt sich, ob im Normalfall, wenn im Zusammenhang mit einem laufenden Strafverfahren um Herausgabe ersucht wird, dasselbe gelte. Der Text von Art. 74 Abs. 2 gibt, auch in Verbindung mit
Art. 63 Abs. 1 IRSG
gelesen, hierüber keine Auskunft. Dagegen lässt der in Art. 74 Abs. 3 enthaltene Verweis auf
Art. 59 IRSG
gewisse Schlüsse zu.
Art. 59 IRSG
nennt verschiedene Fälle, in denen herausverlangte Gegenstände, die nicht Beweismittel sind, in der Schweiz zurückbehalten werden können. Da diese Aufzählung nicht abschliessend ist, darf davon ausgegangen werden, die Herausgabe könne auch in anderen Situationen verweigert oder aufgeschoben werden, mit anderen Worten, es handle sich auch bei der Grundsatzbestimmung über die Herausgabe um eine "Kann-Vorschrift". Für diese Annahme sprechen - abgesehen von der Regel, dass sich aus dem IRSG kein Anspruch auf zwischenstaatliche Zusammenarbeit ableiten lässt (
Art. 1 Abs. 4 IRSG
) - auch weitere, allgemeine Gesichtspunkte:
Zunächst fällt ins Gewicht, dass wie dargelegt im Normalfall der Herausgabe deren Zweck nicht festgelegt ist und es dem ausländischen Staat zusteht, über das Schicksal der herausgegebenen Objekte zu bestimmen; die Schweiz verliert mit der Herausgabe der Gegenstände jede Kontrolle über diese, es sei denn, sie habe sich deren Rückgabe ausbedungen. Im weiteren können die Sachverhalte, die dem Herausgabegesuch zugrunde liegen, äusserst verschieden sein. Handelt es sich im einfachsten Fall um einen Bilderdiebstahl in einem ausländischen Museum, so können in anderen Fällen schwer durchschaubare, mit den verschiedensten Transaktionen verbundene Wirtschaftsdelikte in Frage stehen und ist oft nur schwer abschätzbar, ob die Voraussetzungen für eine Einziehung oder eine Verfallerklärung gegeben sein könnten. Schliesslich ist nicht zu vergessen, dass schon die Sicherungsbeschlagnahme einen nicht zu unterschätzenden Akt der internationalen Zusammenarbeit bildet, verhindert sie doch, dass das Deliktsgut fortgeschafft und weiter versteckt wird, und eröffnet dem Berechtigten zumindest die Möglichkeit, sich im ersuchten Staat um die Wiedererlangung zu bemühen. All diese Umstände legen ebenfalls nahe, Art. 74 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 63 Abs. 1 IRSG
als "Kann-Vorschrift" zu verstehen, die nur die Voraussetzungen für die
BGE 115 Ib 517 S. 541
Herausgabe der Beute umschreibt und es den Behörden überlässt, im Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden, ob und wann die Herausgabe zu erfolgen habe. Das heisst allerdings nicht, dass die Herausgabe, wenn die Bedingungen hiefür erfüllt sind, nach Gutdünken verweigert werden könne (so ebenfalls für das deutsche Recht: VOGLER/WALTER/WILKITZKI, a.a.O. N. 8 zu § 60 IRG).
i) Da das Institut der Herausgabe der Sicherung des Vollzugs eines zukünftigen Sachurteils dient, das im Strafverfahren oder Adhäsionsprozess ergehen soll, kann sich fragen, was gelte, wenn der Sachentscheid - insbesondere ein Einziehungsentscheid - bereits vorliegt oder vor der Herausgabe ausgefällt wird. Diese Frage stellt sich nicht nur, wenn das ausländische Sachurteil noch während der Dauer des schweizerischen Rechtshilfeverfahrens ausgesprochen oder wenn das Deliktsgut erst nach Abschluss des ausländischen Gerichtsverfahrens in der Schweiz entdeckt wird (vgl.
Art. 20 Ziff. 1 lit. b EAÜ
). Sie ist vorweg auch dann zu prüfen, wenn abgewogen werden soll, ob die verlangten Gegenstände sofort oder allenfalls erst später herauszugeben seien, kann doch ein solcher Aufschub nicht in Frage kommen, wenn von vornherein feststeht, dass in der Schweiz die Vollstreckung eines ausländischen Einziehungsentscheides ausgeschlossen ist. Es rechtfertigt sich daher, hier abzuklären, in welchem Verhältnis die Herausgabe im Rahmen der "anderen Rechtshilfe" zur im fünften Teil des IRSG geregelten Vollstreckung von Strafentscheiden steht und ob eine Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide überhaupt in Betracht fallen könne. Aus der Beantwortung dieser Fragen können sich weitere Anhaltspunkte für die Auslegung und Handhabung von
Art. 63 Abs. 1 und
Art. 74 Abs. 2 IRSG
ergeben.
8.
Die Probleme, welche die Vollstreckung von ausländischen Strafurteilen, insbesondere von Einziehungsentscheiden bietet, sind in Rechtsprechung und Lehre bisher kaum behandelt worden, da vor der Schaffung des IRSG eine Vollstreckungsmöglichkeit nur in den in Art. 3 Ziff. 2 Abs. 3 (Satz 2) StGB umschriebenen Ausnahmefällen vorgesehen war. Die wenigen in der Lehre geäusserten Meinungen gehen zudem auseinander.
a) HANS SCHULTZ vertritt im bereits mehrfach zitierten Beitrag die Auffassung, dass in Fällen, in denen es um die Aushändigung grösserer Vermögensbeträge gehe und erhebliche Kursschwankungen möglich seien, das rechtskräftige Urteil über die Einziehung abgewartet werden könne (Bemerkungen zu IRSG Art. 74, a.a.O.
BGE 115 Ib 517 S. 542
S. 456). Damit setzt er die Möglichkeit der Vollstreckung solcher Urteile voraus.
LIONEL FREI führt dagegen aus, Massnahmen, die in einem ausländischen Strafverfahren über Gegenstände und Vermögenswerte in der Schweiz verhängt würden, anerkenne die Schweiz bekanntlich nicht. Eine von einem ausländischen Richter verfügte Einziehung oder Beschlagnahme entfalte an sich keine Wirkungen in der Schweiz (Beschlagnahme und Einziehung als Rechtshilfemassnahmen, ZStr 105/1988 S. 313).
In den "Bemerkungen", die im Anhang zum EÜR-Zusatzvertrag mit der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht worden sind, wird im weiteren festgehalten, "dass nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichtes ein Beschluss über die Beschlagnahme eines nicht in der Schweiz befindlichen Gegenstandes nichtig" sei (SR 0.351.913.61 zu Art. II des Vertrages). Wäre dem so, so müsste a fortiori der Beschluss über die Einziehung solcher Gegenstände nichtig sein (in diesem Sinne MARKEES, SJK 422a N. 2.2.222 S. 9). Die fragliche Bemerkung bezieht sich jedoch offenbar auf bundesgerichtliche Entscheide (
BGE 102 III 97
,
BGE 99 III 20
,
BGE 90 II 162
), die den betreibungsrechtlichen Arrest betreffen und nicht die strafrechtliche Beschlagnahme oder Einziehung, auf welche das SchKG keine Anwendung findet (vgl.
BGE 108 III 106
f. E. 2, 107 III 115 f. E. 1); diese Urteile vermögen daher über die hier behandelte Frage nichts auszusagen. Hingegen ist gerade in den mit der Bundesrepublik Deutschland und Österreich abgeschlossenen Zusatzverträgen eine Herausgabe im Anschluss an den bereits ausgefällten Einziehungsentscheid - und daher in Vollstreckung oder zumindest in Anerkennung dieses Entscheides - als möglich und deshalb mit dem internen Recht vereinbar erklärt worden, können doch gemäss diesen Verträgen Ersuchen um Herausgabe von Deliktsgut noch "bis zur Beendigung der Strafvollstreckung gestellt werden" (vgl. SR 0.351.913.61 Art. II Abs. 5 und SR 0.351.916.32 Art. II Abs. 4). Merkwürdig ist allerdings, dass nach den bereits erwähnten "Bemerkungen" auch für solche Ersuchen die Strafverfolgungsbehörde zuständig sein soll. Auf diese Besonderheit und die Frage der Rechtsverbindlichkeit der "Bemerkungen" ist hier indessen nicht weiter einzugehen.
Hinzuweisen ist schliesslich noch auf den bundesgerichtlichen Entscheid in Sachen S. vom 31. Januar 1986 (publ. in Semaine judiciaire 1986 S. 520 ff.). Umstritten war ein Urteil der Genfer Strafbehörden, durch das der Beschwerdeführer wegen Diebstahls verurteilt
BGE 115 Ib 517 S. 543
worden war und ein ihm gehörendes Grundstück in Frankreich sowie seine Bankguthaben in den USA als Vermögenswerte, die aus der strafbaren Handlung herrührten, eingezogen wurden. Der Kassationshof hat die Beschwerde abgewiesen und erklärt, die Einziehung verletze weder die
Art. 3-7 StGB
, weil das Delikt in der Schweiz begangen worden sei, noch
Art. 58 StGB
, da diese Bestimmung keinerlei Einschränkung hinsichtlich der im Ausland liegenden Vermögenswerte enthalte; sie stehe auch mit den mit Frankreich und den USA geschlossenen Rechtshilfeverträgen nicht in Widerspruch, da nach bundesgerichtlicher Praxis (
BGE 107 Ib 275
,
BGE 106 Ib 344
E. 3) das interne Recht eine weitergehende Rechtshilfe zulassen könne, als sie in den Staatsverträgen vorgesehen sei.
b) Die Auffassung, dass auch die Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide möglich sein müsse, steht an sich mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Gedanken einer möglichst wirksamen Verbrechensbekämpfung auf allen Ebenen in Einklang. Sie erscheint auch als sinnvoller als die gegenteilige Meinung, ist doch nicht einzusehen, weshalb die Herausgabe von Deliktsgut an den ersuchenden Staat zu allfälliger späterer Einziehung während des Strafverfahrens zulässig, dagegen die Vollstreckung des einmal ergangenen Einziehungsbeschlusses ausgeschlossen sein sollte. Einleuchtender wäre vielmehr, das Deliktsgut erst bei Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheides auszuhändigen, kann dieser doch im Exequaturverfahren auf das rechtmässige Zustandekommen überprüft werden, während im "anderen" Rechtshilfeverfahren weniger Kontrollmöglichkeiten bestehen. Die Möglichkeit, ausländische Einziehungsentscheide zu vollstrecken, darf jedoch nur bejaht werden, wenn sie durch das Gesetz nicht ausgeschlossen wird; wäre dem nämlich so - was im folgenden zu untersuchen ist - müsste dieses befolgt und könnte die unbefriedigende Situation nur durch den Gesetzgeber selbst behoben werden (vgl.
BGE 99 V 21
ff. E. 2 und 4 mit Hinweisen).
aa)
Art. 94 Abs. 1 IRSG
setzt für die Übernahme der Vollstreckung von rechtskräftigen und vollstreckbaren Strafentscheiden eines anderen Staates voraus, dass der ausländische Staat ausdrücklich um die Stellvertretung ersucht, dass der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat oder sich hier wegen einer schweren Tat verantworten muss (lit. a), dass Gegenstand der Verurteilung eine im Ausland verübte Handlung bildet, die in der Schweiz ebenfalls strafbar wäre (lit. b), und dass die
BGE 115 Ib 517 S. 544
Vollstreckung in der Schweiz insbesondere aus einem der in Art. 85 Abs. 1 und 2 genannten Gründe angezeigt oder im ersuchenden Staat ausgeschlossen erscheint (lit. c). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, werden die im Ausland verhängten "Sanktionen" vollzogen, soweit sie das Höchstmass der im schweizerischen Recht für eine entsprechende Tat vorgesehene Strafe nicht übersteigen; sie dürfen vollzogen werden, wenn sie unter dem schweizerischen Strafrahmen bleiben (
Art. 94 Abs. 2 IRSG
). Nach
Art. 94 Abs. 3 IRSG
gelten diese Bestimmungen allerdings nicht, wenn das Strafgesetzbuch den Vollzug der im Ausland verhängten Strafen ausschliesst (
Art. 6 StGB
) oder ausdrücklich vorschreibt (
Art. 5 StGB
).
bb) Für die hier untersuchte Frage ist bedeutsam, dass in
Art. 94 Abs. 2 IRSG
von "Sanktionen" ("sanctions", "sanzioni") gesprochen wird, obschon dieser Ausdruck im Schweizerischen Strafgesetzbuch nicht verwendet wird, auch nicht als Oberbegriff für Strafen und Massnahmen (vgl. z.B.
Art. 98 StGB
). Eine Ausnahme bildet einzig der anlässlich der Gesetzesrevision vom 18. März 1971 auf "sanctions" umbenannte französische Randtitel von
Art. 94 StGB
, während im Deutschen und Italienischen die Marginalien "Bestrafung" bzw. "punizione" beibehalten wurden. Dass in einem Gesetz über die internationale Rechtshilfe auf den allgemeinen Ausdruck "Sanktionen" zurückgegriffen wird, ist jedoch leicht erklärbar. Die Begriffe der "Strafe" und der "Massnahme" stimmen in den verschiedenen Landesrechten nicht immer überein. So gilt die Einziehung wohl nach Schweizerischem Strafgesetzbuch und nach herrschender schweizerischer Lehre und Rechtsprechung als Massnahme, und zwar als sichernde Massnahme eigener Art, die zugleich repressiven Charakter aufweist (vgl. HANS SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. 2, 4. A. S. 209; LOUIS GAILLARD, La confiscation des gains illicites, le droit des tiers, a.a.O. S. 158). In anderen Rechtsordnungen wird sie jedoch als Strafe, Nebenstrafe oder Mischung von Strafe und Massnahme betrachtet (Jean Gauthier, Quelques aspects de la confiscation selon l'article 58 du CPS, in: Lebendiges Strafrecht, Festgabe für HANS SCHULTZ, ZStrR 94/1977 S. 367 f.). Aus diesem Grunde - um Missverständnisse aus dem Gebrauch der Ausdrücke "Strafe" und "Massnahme" zu vermeiden - ist auch im Europäischen Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen der Ausdruck "sanction" verwendet worden (vgl. Rapport explicatif sur la Convention européenne sur
BGE 115 Ib 517 S. 545
la valeur internationale des jugements répressifs, Conseil de l'Europe 1970, S. 24). Gemäss den Begriffsbestimmungen dieses Übereinkommens, bedeutet "condamnation" "le prononcé d'une sanction" und gilt als "sanction" "toute peine et mesure appliquées à un individu en raison d'une infraction et prononcées expressément dans un jugement répressif européen ou dans une ordonnance pénale" (Art. 1). In Art. 2 des Übereinkommens wird zudem präzisiert, Abschnitt II sei anwendbar "aux sanctions privatives de liberté" (lit. a), "aux amendes ou aux confiscations" (lit. b) sowie "aux déchéances" (lit. c). Die stellvertretende Vollstreckung von Bussen und Einziehungen wird in Art. 45-48 näher geregelt.
Da wie erwähnt mit der Einführung des IRSG unter anderem die Voraussetzungen für den Beitritt der Schweiz zu diesem Europäischen Übereinkommen geschaffen werden sollten (vgl. oben E. 3; BBl 1976 II 471 ff.), lässt der in
Art. 94 Abs. 2 IRSG
gewählte Begriff der "Sanktionen" den Schluss zu, diese Norm beziehe sich ebenfalls auf Strafen und Massnahmen aller Art und ermögliche auch die Vollstreckung ausländischer Einziehungsbeschlüsse, sofern die Voraussetzungen von Art. 94 Abs. 1 gegeben sind.
cc) Dieser Folgerung steht allerdings die in der bundesrätlichen Botschaft zum IRSG enthaltene Bemerkung, das Gesetz habe sich mit "der Einziehung von Gegenständen und Vermögenswerten, die nach
Art. 58 StGB
ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person verfügt werden kann", nicht zu befassen, scheinbar entgegen. Diese Bemerkung ist jedoch so zu verstehen, dass dann, wenn der schweizerische Richter in Ausübung originärer Gerichtsbarkeit und in direkter Anwendung von
Art. 58 StGB
die Einziehung von Deliktsgut anordnen kann, diese einem Rechtshilfeakt im Rahmen der stellvertretenden Gerichtsbarkeit vorgeht. Dagegen kann aus der fraglichen Passage nicht abgeleitet werden,
Art. 58 StGB
schliesse an sich die Anwendbarkeit des IRSG auf ausländische Einziehungsentscheide aus. Wäre eine solche Einschränkung beabsichtigt gewesen, so hätte sie im Gesetzestext Ausdruck finden müssen (
BGE 103 Ia 290
E. 2c mit Hinweisen). Dies ist jedoch - im Gegensatz etwa zum deutschen Recht - nicht der Fall (vgl. § 49 Abs. 4 IRG und den kritischen Kommentar in VOGLER/WALTER/WILKITZKI, N. 43 zu § 49 und N. 12 zu § 66 IRG).
dd) Ein weiteres Argument für die grundsätzliche Bejahung der Vollstreckungsmöglichkeit ausländischer Einziehungsentscheide ergibt sich übrigens aus den Bestimmungen über die Auslieferung.
BGE 115 Ib 517 S. 546
Diese kann sowohl zur Strafverfolgung als auch zum Vollzug einer freiheitsbeschränkenden Sanktion erfolgen (
Art. 32 IRSG
). In beiden Fällen gilt aber für die Sachauslieferung dieselbe Regelung (
Art. 34 IRSG
). Wird also dem ersuchenden Staat zusammen mit dem Verurteilten auch das Deliktsgut ausgehändigt, so kommt dies unter Umständen der Vollstreckung eines im ersuchenden Staat ausgefällten Einziehungsentscheides gleich. Es ist nicht einzusehen, weshalb dann anders zu verfahren wäre, wenn der ausländische Staat lediglich um Herausgabe der zur Einziehung bestimmten Beute ersucht, weil sich der Verurteilte bereits im ersuchenden Staat oder in einem Drittstaat befindet.
c) Ist somit davon auszugehen, dass
Art. 94 Abs. 2 IRSG
grundsätzlich auch den Vollzug von Einziehungsentscheiden zulässt, stellt sich die weitere Frage, wie es mit der in Art. 94 Abs. 1 lit. a umschriebenen Bedingung stehe, dass der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben oder sich hier wegen einer schweren Tat verantworten müsse. Diese Voraussetzung hat offensichtlich nur einen Sinn, wenn es um die Übernahme der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe geht. Einzig in diesem Fall kommt dem Problem der Resozialisierung Bedeutung zu. Fällt dagegen eine Wiedereingliederung zum vornherein ausser Betracht, erübrigt sich die Voraussetzung von
Art. 94 Abs. 1 lit. a IRSG
. Dementsprechend können gemäss
Art. 94 Abs. 4 IRSG
Bussen sowie Kosten auch vollstreckt werden, "wenn der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat", aber in der Schweiz über Vermögenswerte verfügt. Nun wird zwar in Art. 94 Abs. 4 die Einziehung nicht ausdrücklich erwähnt, doch ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Norm in Verbindung mit
Art. 94 Abs. 1 und 2 IRSG
, dass auch dann von der Bedingung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Verurteilten in der Schweiz abgesehen werden kann, wenn es um die Einziehung von Deliktsgut geht und sich dieses (und nicht irgendwelche Vermögenswerte des Verurteilten) in der Schweiz befindet. Es wäre in der Tat unverständlich, weshalb die Schweiz dem ersuchenden Staat zwar die Vermögenswerte des Verurteilten in Höhe der ihm auferlegten Busse und Kosten aushändigen, den Verurteilten aber im ungestörten Genuss des Deliktsguts lassen sollte. Eine solche Lösung würde sich mit dem in Art. 94 Abs. 1 lit. c ausgedrückten Gedanken, dass die Vollstreckung ausländischer Strafentscheide von der Schweiz übernommen werden soll, "wenn sie im ersuchenden Staat ausgeschlossen erscheint", auch kaum vereinbaren lassen und stünde in Widerspruch
BGE 115 Ib 517 S. 547
mit dem bereits zitierten Bundesgerichtsentscheid vom 31. Januar 1986 über die Rechtmässigkeit eines schweizerischen Beschlusses zur Einziehung von Vermögenswerten im Ausland: Ein solcher Beschluss kann nur in Erwartung dessen oder zumindest in der Hoffnung darauf ergehen, dass der ausländische Staat, in dem die Vermögenswerte liegen, zur Vollstreckung der Einziehung Hand biete. Es stünde der Schweiz aber schlecht an, eine solche Rechtshilfe von ausländischen Staaten zu erwarten und diese selbst im internen Recht auszuschliessen.
d) Damit ist die Frage noch nicht beantwortet, worin der Rechtshilfeakt der Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheide bestehe, nämlich in der Einziehung der fraglichen Gegenstände oder Vermögenswerte durch die Schweiz selbst oder in deren Aushändigung an den ersuchenden Staat. Art. 47 Ziff. 1 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen sieht vor, dass die Bussen und die einzuziehenden Beträge dem ersuchten Staat anheimfielen, ohne dass dadurch die Rechte Dritter beeinträchtigt würden ("le produit des amendes et des confiscations revient au trésor de l'Etat requis, sans préjudice des droits des tiers"). Im erläuternden Bericht wird hiezu bemerkt, diese Lösung sei das Gegenstück zu Art. 14 (wonach die Vertragsparteien darauf verzichten, die aus der Anwendung des Übereinkommens entstehenden Kosten geltend zu machen) und solle buchhalterische Operationen zwischen den Vertragsstaaten ausschliessen. Das IRSG sagt über diese Frage nichts aus. Allerdings bestimmt
Art. 107 Abs. 3 IRSG
, falls nur ein Kostenentscheid vollstreckt worden sei, würden die eingezogenen Beträge nach Abzug der Kosten dem ersuchenden Staat überwiesen, sofern er Gegenrecht halte. Eine solche Regelung rechtfertigt sich grundsätzlich auch für den Vollzug von Einziehungsbeschlüssen, insbesondere für den Fall, dass eine bereits im Rahmen des "anderen" Rechtshilfeverfahrens verlangte Herausgabe bis zum Vorliegen des rechtskräftigen ausländischen Einziehungsentscheides aufgeschoben worden ist. Dass damit in der Art des Vollzuges der Einziehung vom Europäischen Übereinkommen abgewichen wird, lässt sich dadurch rechtfertigen, dass im europäischen Raum aufgrund der Häufigkeit der gegenseitigen Rechtshilfe mit einem gewissen Ausgleich der eingezogenen Beträge gerechnet werden kann, während für die seltenere Zusammenarbeit mit anderen Staaten ein solches Ergebnis nicht zu erwarten ist.
BGE 115 Ib 517 S. 548
Was die in
Art. 94 Abs. 4 und
Art. 107 Abs. 3 IRSG
vorgesehene Bedingung des Gegenrechts anbelangt, findet sie ihre Erklärung darin, dass der ersuchende Staat in der Regel nur ein finanzielles Interesse an der Vollstreckung des Bussen- oder Kostenentscheides hat und auf irgendwelche Vermögenswerte des Verurteilten in der Schweiz, nicht nur auf Deliktsgut, gegriffen werden kann. Die Frage, ob das Gegenrechts-Erfordernis unbedingt auch gelte, wenn es um den Vollzug der Einziehung von Deliktsgut geht und daher vermehrt auch öffentliche Interessen auf dem Spiele stehen, braucht hier nicht näher untersucht zu werden.
9.
Besteht demnach grundsätzlich die Möglichkeit, die Herausgabe von Deliktsgut aufzuschieben und die verlangte Rechtshilfe in Form der Vollstreckung des materiellen Strafentscheides zu leisten, gewinnen die verjährungs- und übergangsrechtlichen Probleme an Bedeutung.
a) Nach Art. 6 lit. 1 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen kann der Vollzug eines ausländischen Entscheides unter anderem verweigert werden, wenn die Sanktion nach dem Recht des ersuchten Staates bereits verjährt ist ("si la sanction est déjà prescrite selon la loi de l'Etat requis"). Die Rechtshilfe muss somit nicht mehr geleistet werden, wenn im ersuchten Staat, hätte dieser die Strafe oder die Massnahme ausgefällt, schon die Vollstreckungsverjährung eingetreten wäre. Dagegen hat der ersuchte Staat nicht zu untersuchen, ob im Zeitpunkt, als das Urteil ausgesprochen wurde, die Strafverfolgung nach eigenem Recht schon verjährt gewesen wäre. Immerhin wird mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der nationalen Gesetzgebungen im Anhang I lit. c zum Übereinkommen den Vertragsstaaten die Möglichkeit eingeräumt, sich vorzubehalten, die Vollstreckung eines Strafurteils zu verweigern, das im ersuchenden Staat erst erging, als nach eigenem Recht die Verfolgungsverjährung eingetreten war.
Der schweizerische Gesetzgeber hat in
Art. 95 Abs. 1 IRSG
die Vollstreckbarerklärung sowohl als unzulässig bezeichnet, wenn die Verurteilung in einem Zeitpunkt erfolgte, in dem bei Anwendung schweizerischen Rechts die Strafverfolgung absolut verjährt gewesen wäre (lit. a), als auch, wenn die Sanktion nach schweizerischem Recht verjährt wäre, sofern eine schweizerische Behörde sie im gleichen Zeitpunkt ausgesprochen hätte (lit. b). Bei einem Beitritt der Schweiz zum Europäischen Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen - die allerdings heute als eher
BGE 115 Ib 517 S. 549
fraglich erscheint (vgl. die Berichte des Bundesrates über die Schweiz und die Konventionen des Europarates vom 22. Februar 1894, BBl 1984 I 816, und vom 24. Februar 1988, BBl 1988 II 294) - müsste daher von der erwähnten Vorbehalts-Möglichkeit Gebrauch gemacht werden.
Für die hier untersuchte Frage der Opportunität einer späteren Vollstreckung des Einziehungsentscheides anstelle der sofortigen Herausgabe von Deliktsgut ergibt sich aus der Regelung von
Art. 95 IRSG
, dass ein solcher Aufschub jedenfalls nicht zum Resultat führen darf, dass die Rechtshilfe infolge der noch vor der ausländischen Verurteilung nach schweizerischem Recht eingetretenen Verfolgungsverjährung nicht mehr geleistet werden kann. Dieser Gefahr müsste irgendwie begegnet werden: Einerseits könnte die Herausgabe sofort vorgenommen und mit einer Rückgabeverpflichtung verbunden werden für den Fall, dass innert Frist entweder überhaupt kein Sachurteil ergeht oder dass die fraglichen Gegenstände der Einziehung nicht unterliegen. Andererseits bestünde allenfalls die Möglichkeit, vorweg richterlich festzustellen, dass die verlangte Herausgabe zulässig sei, deren Vollzug aber bis zum Vorliegen des Sachurteils aufzuschieben. In diesem zweiten Fall dürfte wohl davon ausgegangen werden, dass der Grundsatzentscheid über die Herausgabe im "anderen" Rechtshilfeverfahren getroffen und damit auch die Frage der Verfolgungsverjährung endgültig beantwortet worden sei, so dass sie im nachfolgenden Exequaturverfahren nicht mehr aufgeworfen werden könne.
b) Die Bestimmungen des IRSG sind grundsätzlich ab Inkrafttreten des Gesetzes anwendbar, auch wenn der Sachverhalt, auf dem das Rechtshilfebegehren beruht, weiter zurückliegt (
Art. 110 Abs. 1 IRSG
e contrario;
BGE 109 Ib 62
E. 2). Als Ausnahme von diesem Grundsatz sieht jedoch
Art. 110 Abs. 2 IRSG
vor, dass die Strafverfolgung und die Vollstreckung nach dem vierten und fünften Teil dieses Gesetzes nur übernommen werden können, wenn die Tat, auf die sich das Ersuchen bezieht, nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen worden ist. Würde diese Vorschrift ihrem Wortlaut gemäss angewendet, so führte dies zum Ergebnis, dass die Schweiz zwar in Rahmen der "anderen Rechtshilfe" gestützt auf
Art. 63 und 74 IRSG
Deliktsgut zur Einziehung an den ersuchenden Staat herausgeben könnte, selbst wenn die strafbare Handlung vor Inkrafttreten des IRSG begangen wurde, dagegen den einmal ausgefällten Einziehungsentscheid nicht mehr vollstrecken dürfte. Auch diese Widersprüchlichkeit des Gesetzes ist
BGE 115 Ib 517 S. 550
in dem Sinne zu lösen, dass dort, wo eine Herausgabe der Beute vor Ausfällung des Sachentscheides möglich ist, sie nach dem Urteilsspruch nicht mit Hinweis auf
Art. 110 Abs. 2 IRSG
verweigert werden darf.
10.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Bestimmungen von Art. 63 Abs. 1 und 74 Abs. 2 IRSG die Herausgabe der Beute oder des Erlöses aus ihrer Verwertung ohne Einschränkung des Zweckes an den ersuchenden Staat gestatten, wenn in diesem ein Strafverfahren hängig ist. Die Herausgabe von Deliktsgut ist gemäss
Art. 94 Abs. 1, 2 und 4 IRSG
auch noch in Vollstreckung eines Einziehungsentscheides möglich, und zwar unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt des Verurteilten und ungeachtet der Frage, ob im Zeitpunkt des Sachentscheides die Verfolgungsverjährung im Sinne von
Art. 95 Abs. 1 lit. a IRSG
eingetreten sei, falls sie im Zeitpunkt des Entscheides über das Herausgabegesuch im Rahmen des "anderen" Rechtshilfeverfahrens noch nicht eingetreten war; der Umstand, dass die Tat, auf die sich das Ersuchen bezieht, vor Inkrafttreten des IRSG begangen worden ist, ist trotz
Art. 110 Abs. 2 IRSG
in diesem Falle unerheblich. Ist im ersuchenden Staat kein Strafverfahren hängig, fällt die Herausgabe von Deliktsgut als "andere" Rechtshilfeleistung nur zur Rückerstattung an den dinglich Berechtigten in Betracht, soweit dadurch keine Rechte Dritter beeinträchtigt werden.
11.
Nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen kommt die Herausgabe von Gegenständen der Einziehung im Sinne von
Art. 58 StGB
gleich und darf daher wie diese nur vom Richter und nicht von einer Verwaltungsbehörde wie der Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Dies trifft jedoch nicht zu.
a) Der Herausgabeentscheid besteht allein in der Feststellung, dass die Voraussetzungen zur Leistung von Rechtshilfe in Form der Herausgabe erfüllt sind; durch die Aushändigung werden die im ersuchten Staat beschlagnahmten Gegenstände neu der Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates unterstellt. Über das endgültige Schicksal der herauszugebenden Objekte hat sich die Rechtshilfebehörde nicht auszusprechen und entscheidet damit auch nicht über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen noch über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage im Sinne von
Art. 6 EMRK
; der Sachentscheid über eine allfällige Einziehung oder über zivilrechtliche Ansprüche an den herausgegebenen Objekten muss von den Gerichtsbehörden des ersuchenden Staates in Anwendung des dort geltenden Rechts erst noch gefällt werden.
BGE 115 Ib 517 S. 551
Nach ständiger Rechtsprechung der Strassburger Organe gelten denn auch die in
Art. 6 Abs. 1 EMRK
umschriebenen prozessualen Anforderungen dem Grundsatze nach nicht für Auslieferungs-, sonstige Rechtshilfe- oder Exequaturverfahren, während sich die von einem solchen Verfahren Betroffenen etwa auf Art. 3, 4, 5 Abs. 1 lit. f oder 8 EMRK berufen können (vgl. Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, N. 186, 247 f. 253 ff. zu
Art. 6 EMRK
, FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, N. 36 zu Art. 6, VPB 1987 Nrn. 73 und 82, je mit Hinweisen). Daher braucht auch die Frage, ob die - bloss - letztinstanzliche Überprüfung des Rechtshilfeentscheides durch ein Gericht vor
Art. 6 Abs. 1 EMRK
standhalte oder nicht, nicht geprüft zu werden.
b) Nach
Art. 16 Abs. 1 IRSG
obliegt den Kantonen die Ausführung von Ersuchen um andere Rechtshilfe, die stellvertretende Strafverfolgung und die Vollstreckung von Strafentscheiden, soweit das Bundesrecht nichts anderes vorsieht. Die Kantone bestimmen Zuständigkeit, Organisation und Amtsführung der ausführenden Behörden (
Art. 16 Abs. 2 und
Art. 79 Abs. 1 IRSG
), wobei für Prozesshandlungen das in Strafsachen massgebende Verfahrensrecht gilt (
Art. 12 Satz 2 IRSG
). Das Bundesgericht hat sich über diese vom Bundesgesetzgeber gewollte Kompetenzzuweisung und daher auch über die im Kanton Zürich getroffene Zuständigkeitsordnung nicht auszusprechen.
c) Es ist indessen einzuräumen, dass der Herausgabeentscheid, auch wenn er weitgehend administrativer Natur ist, einschneidend in die Rechtsstellung des Inhabers der herauszugebenden Sachen eingreift, und zwar schon deshalb, weil diese der schweizerischen Gerichtsbarkeit entzogen werden. Die Möglichkeit, beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben, welche eine freie Prüfung der Rechts- und Sachverhaltsfragen ohne Bindung an die Parteianträge erlaubt, bietet indessen für die Rechtmässigkeit des Eingriffs genügend Gewähr.
Übrigens darf zwar nach dem Europäischen Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen die Vollstreckung eines ausländischen Urteils nur auf den Entscheid eines Richters im ersuchten Staat hin vorgenommen werden. Die Vertragsstaaten können jedoch eine andere Behörde, so auch eine Verwaltungsbehörde, mit diesem Entscheid betrauen, wenn es um die Vollstreckung einer Busse oder einer Einziehung geht und sofern der Entscheid an zwei richterliche Instanzen weitergezogen
BGE 115 Ib 517 S. 552
werden kann (Art. 37 und 41). Eine solche zweistufige richterliche Überprüfung wäre de lege ferenda allgemein auch für die Schweiz wünschenswert.
12.
Die Frage der beidseitigen Strafbarkeit wird in der vorliegenden Beschwerde zu Recht nicht mehr aufgeworfen. Sie ist für das hier zur Diskussion stehende Delikt bereits in den Entscheiden vom 22. Dezember 1983 (E. 4) und vom 4. Juli 1984 (E. 5) beantwortet worden. Mit Blick auf
Art. 64 Abs. 1 IRSG
ist lediglich noch beizufügen, dass C. und L. als stellvertretende Direktoren eines staatlichen Betriebes in der Schweiz zweifellos Beamte gewesen wären und sich durch die ihnen vorgeworfene Tat der ungetreuen Amtsführung (
Art. 314 StGB
) bzw. der passiven Bestechung (
Art. 315 StGB
) und nicht nur der ungetreuen Geschäftsführung (
Art. 159 StGB
) schuldig gemacht hätten.
13.
Aus den vorstehenden allgemeinen Erwägungen ergibt sich für den vorliegenden Fall im weiteren folgendes:
a) In Mexiko läuft im Zusammenhang mit der im Sachverhalt (lit. A) geschilderten Entgegennahme von Schmiergeldern ein Strafverfahren. Die Herausgabe der beschlagnahmten Vermögenswerte ist daher grundsätzlich zu jedem Zweck - zur Einziehung, zum Verfall, zur Rückgabe an den Eigentümer oder zur Deckung von Kosten oder Schadenersatzansprüchen - möglich. Es erübrigt sich deshalb zu untersuchen, welcher Art die von der Pemex geltend gemachten Ansprüche seien und ob eine Rückerstattung an sie als Berechtigte im Sinne der Ausnahmeregelung von
Art. 74 Abs. 2 IRSG
in Betracht falle, was wohl zu verneinen wäre.
b) Dass die beschlagnahmten Vermögenswerte aus der fraglichen strafbaren Handlung herrühren, ist, wie die Zürcher Staatsanwaltschaft zu Recht festgestellt hat, höchst wahrscheinlich. Nach den Angaben der Schweizerischen Volksbank in Zürich wurden den am 7. August 1978 von C. und L. eröffneten Bankkonten "Suerte" und "Pingo", bestehend je aus einem US$-Konto und einem Wertschriftendepot, verschiedene internationale Bank-Checks gutgeschrieben, welche nach Darstellung der mexikanischen Behörden mit den Schmiergeldern gekauft worden waren. Das Konto "Suerte" wurde am 13. Mai 1981 auf Wunsch von C. geschlossen und die Vermögenswerte wurden zunächst in die Travellers Foundation und hernach in die Big Venture Foundation eingebracht. Die Travellers Foundation hat am 10. Mai 1983 die Geschäftsbeziehungen mit der Volksbank aufgelöst; die restlichen Vermögenswerte sind auf Anweisung von C. auf die Verwaltungs- und
BGE 115 Ib 517 S. 553
Privatbank in Vaduz übertragen worden. Vom Konto "Pingo", das auf Verlangen von L. am 25. Februar 1982 geschlossen wurde, flossen die Gelder in die Felina Foundation. Nach Auskunft der Schweizerischen Volksbank sind seit der Eröffnung der "Liechtensteiner" Konten keine Checküberweisungen oder Einlagen mehr erfolgt und nur noch Anlagen bzw. Wiederanlagen getätigt worden.
Die Beschwerdeführerinnen machen vor Bundesgericht nicht mehr geltend, dass allenfalls nur die Summe von US Dollar 5'136'723.-- als ursprünglicher Gegenwert der Banktratten, die die mexikanischen Behörden in ihrem ersten Rechtshilfebegehren aufgeführt hatten, herauszugeben sei. Ebensowenig wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptet oder belegt, dass auf die Konten "Suerte" und "Pingo" weitere Vermögenswerte geflossen seien, die anderer Herkunft seien als die erwähnten Checkzahlungen, welche nach Angaben der mexikanischen Behörden aus der Bestechungsaffäre Crawford stammen. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass zu zusätzlichen Untersuchungen und darf davon ausgegangen werden, dass die beschlagnahmten Vermögenswerte aller Wahrscheinlichkeit nach Deliktsgut bzw. Erlös und Erträge aus diesem bilden.
c) Wie dargelegt (E. 7g-aa) würde eine Herausgabe der Vermögenswerte nicht in Frage kommen, wenn diese aufgrund des internen Rechts in der Schweiz selbst einzuziehen wären. Für das C. und L. angelastete, in Mexiko begangene Delikt besteht jedoch keine ursprüngliche schweizerische Strafhoheit (vgl.
Art. 3-7 StGB
). Durch die Entgegennahme der Schmiergelder in Mexiko ist die Straftat nicht nur vollendet, sondern auch beendigt worden, was die Annahme, ein Teil der Tat sei in der Schweiz begangen worden, ausschliesst (vgl.
BGE 107 IV 2
, 99 IV 122 E. 1; HANS SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. I, 4. A. S. 108, 136).
Unabhängig von der verfolgten, in Mexiko begangenen Straftat könnte eine Einziehung der aus ihr hervorgegangenen Vermögenswerte in der Schweiz nur in Betracht fallen, wenn die Stiftungsorgane, die auch in der Schweiz gehandelt haben, sich der Hehlerei schuldig gemacht hätten (
Art. 144 StGB
). Nichts weist jedoch darauf hin, dass die Stiftungsorgane im Zeitpunkt der Errichtung der Stiftungen oder der Übertragung der Vermögenswerte um deren deliktische Herkunft gewusst hätten oder sie hätten annehmen müssen.
BGE 115 Ib 517 S. 554
d) Die Stiftungen berufen sich darauf, dass sie juristische Personen liechtensteinischen Rechts und im mexikanischen Strafverfahren nicht angeschuldigt seien; eine Herausgabe ihrer Vermögenswerte sei daher gemäss
Art. 34 Abs. 3 und 4 IRSG
jedenfalls so lange ausgeschlossen, als die zuständige Gerichtsbehörde nicht entschieden habe. Auch dieser Einwand erweist sich jedoch als unbegründet.
aa) Wie bereits ausgeführt (E. 7e), kann die Herausgabe von Deliktsgut, das nicht als Beweismittel benötigt wird, nur angeordnet werden, wenn einem der im ausländischen Strafverfahren Beschuldigten tatsächliche oder rechtliche Verfügungsgewalt über die fraglichen Gegenstände oder Vermögenswerte zusteht. Ob diese Voraussetzung erfüllt sei, wird von der Rechtshilfebehörde, die über die Zulässigkeit der Rechtshilfe an sich und über die Herausgabe zu befinden hat, selbst entschieden. Sie hat in Anwendung des schweizerischen Rechts zu untersuchen, ob der Verfolgte nicht Vorkehren getroffen, insbesondere weitere Personen als Treuhänder oder Strohmänner eingeschaltet habe, um die wahren Verhältnisse und die eigene Verfügungsbefugnis zu verschleiern. Trifft dies zu, so sind diese physischen oder juristischen Personen im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens nicht als Dritte, sondern als Beteiligte zu betrachten und dem Verfolgten gleichzustellen, unabhängig davon, ob ihnen ebenfalls eine strafbare Handlung vorgeworfen werden könne oder nicht. In solchen Situationen bleibt, da die formellen Eigentumsverhältnisse nicht massgebend sein können, kein Raum für eine Anwendung von
Art. 34 Abs. 3 und 4 IRSG
(vgl. sinngemäss
BGE 97 I 386
f.).
Dieser Schluss ergibt sich ebenfalls aus dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs, die in
Art. 2 ZGB
verankert sind, aber auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ihre Gültigkeit haben (vgl. etwa
BGE 111 Ib 94
,
BGE 108 Ib 385
E. 3b). Wohl ist grundsätzlich die rechtliche Selbständigkeit einer Gesellschaft oder Stiftung auch dann zu respektieren, wenn sie wirtschaftlich gesehen einer einzigen Person gehört, doch kann das nur so lange gelten, als die Berufung auf die eigene Rechtspersönlichkeit unter den konkreten Umständen nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt (
BGE 108 II 214
mit Hinweisen auf weitere Urteile und die Lehre).
bb) Nach den Bescheinigungen des Öffentlichkeitsregisteramtes Vaduz hat die Travellers Foundation den Zweck, "Zuwendungen an die in einem Reglement genannten Begünstigten vorzunehmen",
BGE 115 Ib 517 S. 555
während der Zweck der beiden anderen Stiftungen mit "Verwaltung des Stiftungsvermögens und dessen Verwendung zugunsten und im Interesse der im Reglement genannten Begünstigten" umschrieben wird. Der Stiftungsrat ist für alle drei Stiftungen gleich zusammengesetzt und besteht aus Dr. W., Zürich, sowie lic. iur. B., Schaan, beide einzelzeichnungsberechtigt.
Stiftungsrat B. hat anlässlich seiner Einvernahme als Zeuge vor dem Fürstlich Liechtensteinischen Landgericht am 15. November 1984 ausgesagt, er habe die Big Venture Foundation und die Felina Foundation über sein Treuhandunternehmen im Auftrage von Dr. W. gegründet. Er übe sein Amt als Stiftungsrat treuhänderisch aus, als "Treuhänderrat" der F., Vaduz, eines seinem "wirtschaftlichen Einflussbereich zuzurechnenden" liechtensteinischen Treuunternehmens, mit dem die beiden Stiftungen Mandatsverträge abgeschlossen hätten. Auftraggeber und Weisungsberechtigter sei für die Felina Foundation L. und für die Big Venture Foundation C. Diese beiden seien auch die Erstbegünstigten je ihrer Stiftung. Über die Travellers Foundation ist B. nicht befragt worden, doch ergibt sich aus den seinerzeit von der Schweizerischen Volksbank der Bezirksanwaltschaft erteilten Auskünften, auf die bereits Bezug genommen worden ist (E. 13b), dass C. über die Konten dieser Stiftung verfügte und die fraglichen Vermögenswerte, soweit sie nicht in die Big Venture Foundation einflossen, im Mai 1981 der Verwaltungs- und Privatbank in Vaduz übertragen liess.
Aus diesen Aussagen und Auskünften ist zu folgern, dass die drei beschwerdeführenden Stiftungen im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens als mit C. und L. identisch betrachtet werden müssen und sich nicht auf ihre eigene Rechtspersönlichkeit berufen können, um sich der Herausgabe zu widersetzen. Die auf ihren Namen lautenden Vermögenswerte, die höchstwahrscheinlich aus dem im mexikanischen Ersuchen geschilderten Delikt herrühren, stehen ohne Zweifel in der Verfügungsmacht der beiden Verfolgten.
14.
Nach dem Gesagten steht fest, dass die Voraussetzungen für die Herausgabe der von der Bezirksanwaltschaft Zürich beschlagnahmten Vermögenswerte erfüllt sind. Zu prüfen bleibt, ob die Übergabe sofort zu vollziehen oder bis zum Vorliegen des Sachentscheides aufzuschieben sei. Ein solcher Aufschub ist von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich abgelehnt, die sofortige Herausgabe jedoch nur mit der Auflage bewilligt worden, dass die Vermögenswerte samt Zins und Zinseszins zurückzuüberweisen seien, sofern das mexikanische Strafgericht "einen Entscheid
BGE 115 Ib 517 S. 556
nicht fällen könne". Gegen diese Auflage wenden die Beschwerdeführerinnen mit Recht ein, dass sie unklar sei und insbesondere die Fragen offenlasse, ob irgendein - auch ein prozessualer - Entscheid zur Einhaltung der Auflage genüge und wie lange ein allfälliges Urteil bis zur Rückgabe der Gelder abgewartet werden müsse. Es sprechen aber auch noch andere Gründe gegen eine mit Auflagen verbundene Herausgabe im jetzigen Zeitpunkt:
Wie bereits dargelegt, liegt in der zweckungebundenen Herausgabe von Vermögenswerten noch nicht Verurteilter ein schwerer Eingriff in deren Rechtsstellung, der nur angeordnet werden darf, wenn alle Garantien dafür vorhanden sind, dass über das Schicksal dieser Vermögenswerte in einem den Verfahrensgrundsätzen der EMRK entsprechenden Prozess entschieden wird (
Art. 2 lit. a IRSG
) und dass zudem die Verfolgten, sollten sie freigesprochen oder ihnen die Vermögenswerte aus anderen Gründen zugesprochen werden, in jeder Hinsicht schadlos gehalten werden. Ein anderes Ergebnis wäre mit der schweizerischen Rechtsordnung und insbesondere mit der Eigentumsgarantie nicht vereinbar.
Nun gehört Mexiko als aussereuropäischer Staat nicht zu den Unterzeichnerstaaten der EMRK und ist deshalb nicht gehalten, die in der Konvention umschriebenen Grundsätze zu befolgen. Das will indessen keineswegs heissen, es sei nicht zu erwarten, dass über die strafrechtliche Verantwortlichkeit der beiden Verfolgten und über das Schicksal der herausverlangten Vermögenswerte nicht in einem rechtmässigen, der mexikanischen Gesetzgebung entsprechenden Verfahren entschieden werde. Vielmehr ist der Einwand der beiden Verfolgten, das Strafverfahren sei aus politischen Gründen gegen sie eingeleitet worden und sie könnten von vornherein nicht mit einem fairen Prozess rechnen, bereits in
BGE 110 Ib 182
ff. E. 6b zurückgewiesen worden. Der hier in Frage stehende schwere Eingriff verlangt jedoch nach sicherer Gewähr, dass der noch zu fällende mexikanische Sachentscheid in einem in allen Teilen den Anforderungen von
Art. 6 EMRK
gerecht werdenden Verfahren zustande komme. Ob diesem Erfordernis durch einen mit der sofortigen Herausgabe verbundenen Vorbehalt Genüge getan werden könne, ist fraglich, da durch diesen ja keine nachträgliche Kontrollmöglichkeit geschaffen werden kann. Jedenfalls wäre er durch die weitere Auflage zu ergänzen, der Staat Mexiko habe für den Fall, dass die herausgegebenen Vermögenswerte an C. und L. zurückgegeben werden müssten, die Verpflichtung zu übernehmen, diesen jeden Schaden - auch Zinsverluste oder Einbussen durch
BGE 115 Ib 517 S. 557
Kursschwankungen - zu ersetzen. Dass sich angesichts der Höhe der hier umstrittenen Beträge eine Herausgabe im heutigen Zeitpunkt zum erheblichen Nachteil des ersuchenden Staates auswirken könnte, braucht nicht näher erläutert zu werden. Wird weiter in Betracht gezogen, dass dem Interesse der Privaten am einstweiligen Verbleiben der Vermögenswerte in der Schweiz insofern nur ein beschränktes öffentliches Interesse des ersuchenden Staates an der sofortigen Herausgabe gegenübersteht, als die Vermögenswerte zur Durchführung des mexikanischen Prozesses an sich nicht benötigt werden und während der Dauer der schweizerischen Beschlagnahme der Verfügungsmacht der Verfolgten entzogen bleiben, so erscheint eine Übergabe der Gelder im heutigen Zeitpunkt als unverhältnismässig und ist diese bis zum Vorliegen des mexikanischen Sachentscheides aufzuschieben. Eine solche Lösung gestattet der Schweiz, das rechtskräftige mexikanische Urteil im Exequaturverfahren zu überprüfen, und steht weder mit den allgemeinen Anliegen der Verbrechensbekämpfung noch mit dem besonderen Interesse des ersuchenden Staates in Widerspruch, solange die von der Bezirksanwaltschaft Zürich verfügte Beschlagnahme aufrechterhalten bleibt. Für einen Aufschub der Rechtshilfe spricht schliesslich auch, dass die Pemex - wie im Sachverhalt angeführt - inzwischen im Kanton Zürich das Arrestprosequierungsverfahren eingeleitet hat und nicht ausgeschlossen ist, dass das Rechtshilfeverfahren durch den zivilrechtlichen Entscheid gegenstandslos werden könnte. Unter den hier gegebenen Umständen ist daher die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid der Zürcher Staatsanwaltschaft aufzuheben, wobei anzuordnen ist, dass die fraglichen Vermögenswerte weiterhin zugunsten Mexikos beschlagnahmt bleiben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 1. April 1987 aufgehoben.
Dem Rechtshilfebegehren der Vereinigten Staaten von Mexiko, das hängig bleibt, wird zur Zeit nicht entsprochen und die Sache an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich zurückgewiesen.
2. Die herausverlangten Vermögenswerte bleiben im Sinne der Erwägungen weiterhin durch die zürcherischen
BGE 115 Ib 517 S. 558
Behörden zugunsten der Vereinigten Staaten von Mexiko beschlagnahmt. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
73c6235b-766f-4bcc-88fd-7311cf78d0ef | Urteilskopf
118 II 395
78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. November 1992 i.S. Erben des Fritz M. gegen S.-M. (Berufung) | Regeste
Form eines anschliessend an eine Erbteilung abgeschlossenen Kaufsrechts an einem Grundstück (
Art. 216 OR
;
Art. 634 und
Art. 683 ZGB
).
1. Wird ein Kaufsrecht oder ein Rückkaufsrecht an einem Grundstück in einem Erbteilungsvertrag vereinbart, so bedarf dieses Rechtsgeschäft nicht der öffentlichen Beurkundung (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).
2. Ein Erbteilungsvertrag kann grundsätzlich auch durch den Austausch von Briefen zustande kommen (E. 3).
3. Wann kann ein nach der Erbteilung und Schlussrechnung erfolgter Briefwechsel noch als Bestandteil der Erbteilung angesehen werden (E. 4)? | Sachverhalt
ab Seite 396
BGE 118 II 395 S. 396
A.-
Fritz M. und Liselotte S.-M. sind Geschwister. Ihr Vater ist bereits in 1962, ihre Mutter 1977 gestorben. Der Nachlass des Vaters war bis zum Tode der Mutter ungeteilt geblieben. Hauptbestandteil des gemeinsamen Nachlasses bildet neben dem Erlös aus dem Verkauf einer Baulandparzelle ein landwirtschaftliches Heimwesen in S. ("X.-Hof").
Mit schriftlichem Teilungsvertrag vom 9. März 1978 übernahm Liselotte S.-M. den "X.-Hof" unter Ausschluss einer Baulandparzelle zum amtlichen Wert zu Alleineigentum. Nachdem der Verkauf der Baulandparzelle im Sommer 1978 erfolgreich abgeschlossen werden konnte, genehmigten beide Parteien am 15. September 1978 die von einem Notar erstellte Teilungs-Schlussabrechnung.
Liselotte S.-M. verpachtete das Heimwesen ihrem Bruder Fritz M. Nachdem eine sechsjährige Pachtdauer abgelaufen war, forderte Fritz M. von seiner Schwester, den Hof käuflich erwerben zu können. Er berief sich dafür auf eine anlässlich der Erbteilung geschlossene mündliche Vereinbarung. Nach einer weiteren Pachtdauer von drei Jahren fanden erneut Verhandlungen zwischen Fritz M. und Liselotte S.-M. über einen Kauf des Hofes statt.
B.-
Nachdem diese Verhandlungen zu keinem Ergebnis geführt hatten, klagte Fritz M. am 19. Oktober 1988 gegen Liselotte S.-M. vor Obergericht des Kantons Bern und verlangte hauptsächlich, es sei ihm gegen Erstattung eines Kaufpreises von Fr. ... zuzüglich gewisser weiterer Beträge das Alleineigentum am "X.-Hof" zu übertragen. Liselotte S.-M. beantragte die vollständige Abweisung der Klage und reichte eine im vorliegenden Verfahren nicht mehr streitige Widerklage ein.
Am 5. Januar 1989 verstarb sodann Fritz M. Während die Kinder aus erster Ehe die Erbschaft ausgeschlagen haben, ist diese sowohl von der Witwe als auch von den Kindern aus zweiter Ehe, vorbehaltlos angetreten worden. Diese sind somit auch in den zwischen Fritz M. und Liselotte S.-M. hängigen Prozess als Klägerinnen eingetreten.
Mit Urteil vom 21. August 1991 hat das Obergericht des Kantons Bern die Klage abgewiesen und ist auf die Widerklage mangels Zuständigkeit nicht eingetreten.
BGE 118 II 395 S. 397
C.-
Die Erbinnen des Fritz M. gelangen mit Berufung an das Bundesgericht und verlangen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie die Rückweisung der Sache zur Fortsetzung des Prozesses an die Vorinstanz.
Liselotte S.-M. beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei, und die Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht hält in seinem Urteil fest, das Kaufsrecht sei ungültig, weil die vom Gesetz vorgesehene Form nicht eingehalten sei.
Für die Frage der Formgültigkeit ist es ohne Bedeutung, ob es sich vorliegend um ein Kaufs- oder um ein Rückkaufsrecht handelt. Bei beiden bedarf der Begründungsakt der öffentlichen Beurkundung (
Art. 216 Abs. 2 OR
; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 1975, N. 44 zu
Art. 683 ZGB
). Diese ist vorliegend unbestrittenermassen nicht erfolgt. Die Klägerinnen machen aber geltend,
Art. 634 Abs. 2 ZGB
sehe vor, dass der Erbteilungsvertrag nur der einfachen Schriftlichkeit bedürfte. Im Erbteilungsvertrag könne deshalb ein Kaufsrecht in dieser vereinfachten Form gültig vereinbart werden.
Nach anfänglicher Unsicherheit gilt nach heutiger bundesgerichtlicher Praxis in der Tat, dass im Rahmen eines Erbteilungsvertrages die einfache Schriftlichkeit auch genügt, wenn es um dingliche Rechte an Grundstücken geht und das entsprechende Recht ausserhalb einer Erbteilung nur mit öffentlicher Beurkundung eingeräumt werden könnte (
BGE 100 Ib 123
f.; TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, N. 16 und 21 f. zu
Art. 634 ZGB
; ESCHER, Zürcher Kommentar, 1960, N. 12 zu
Art. 634 ZGB
). Vorliegend ist aber zu beachten, dass der schriftliche Erbteilungsvertrag das Kaufsrecht nicht enthält. Dieses war nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz anlässlich der Erbteilung nur mündlich vereinbart worden. Das bestreiten auch die Klägerinnen nicht. Sie machen jedoch geltend, eine Vereinbarung über das Kaufsrecht folge aus dem späteren Briefwechsel der damaligen Parteien. Diese genügten der Schriftform und seien noch Teil des Erbteilungsvertrages.
3.
Wo das Gesetz nichts anderes bestimmt, genügt gemäss
Art. 113 Abs. 2 OR
auch der Brief der Schriftform, sofern er
BGE 118 II 395 S. 398
unterschrieben ist. Dem Erbrecht ist nichts zu entnehmen, woraus sich ergäbe, dass eine Erbteilung nicht grundsätzlich auch in Briefform möglich wäre.
a) Die Auffassung der Klägerinnen, ein Teilungsvertrag könne auch dadurch zustande kommen, dass Briefe mit den entsprechenden Willenserklärungen ausgetauscht werden, erscheint als zutreffend. Es ist kein Grund zu sehen, warum die Unterschriften beim Erbteilungsvertrag notwendigerweise auf der gleichen Urkunde angebracht sein müssten. Wenn das Bundesgericht schreibt, "Ein Teilungsvertrag liegt demnach nur vor, falls aus der Urkunde der übereinstimmende Wille aller Erben hervorgeht, sich definitiv im Sinne einer gänzlichen oder beschränkten Auseinandersetzung zu binden, ..." (
BGE 100 Ib 124
), so darf aus der Einzahl ("aus der Urkunde") nicht geschlossen werden, die Unterschriften könnten nicht auf verschiedenen Urkunden angebracht sein.
Es ist somit davon auszugehen, dass ein Erbteilungsvertrag auch durch den Austausch von Briefen zustande kommen kann.
b) Nicht gefolgt werden kann dem Obergericht, wenn es auf
BGE 86 II 347
ff. Bezug nimmt und schliesst, der Brief der Beklagten vom 6. März 1987 habe keinen Konsens mehr herstellen können. Aus dem genannten Bundesgerichtsentscheid ergibt sich, dass einerseits bei einer schriftlichen Erklärung nicht leichthin der Wille angenommen werden darf, es sei damit eine bindende Zustimmung zu einer Erbteilung abgegeben worden und dass andererseits die schriftliche Zustimmung aller Erben zum Erbteilungsvertrag vorliegen muss, bevor einer der Erben seine Unterschrift wieder zurück gezogen hat.
Die Frage, ob eine bindende Zustimmung vorliegt, betrifft ausschliesslich die Auslegung der Urkunde und hat nichts mit der Frage zu tun, ob der Erbvertrag als einheitliches Schriftstück abgefasst sein muss. Daraus ergibt sich keinesfalls eine Unzulässigkeit der sukzessiven Unterzeichnung.
Vorliegend spricht aber auch der Umstand, dass jeder Erbe sein Einverständnis mit der Erbteilung solange zurückziehen kann, bis alle Erben schriftlich zugestimmt haben, nicht gegen das Vorliegen eines Kaufsrechts. Wohl haben zum Zeitpunkt des Briefwechsels bereits Differenzen zwischen den Parteien bestanden. Stellt aber der Brief der Beklagten vom 6. März 1987 eine Zustimmung zu einem Teilungsvertrag dar, so ist dem obergerichtlichen Urteil nichts zu entnehmen, was den Schluss erlaubte, die entsprechende Teilungsofferte sei vor der Beantwortung dieses Briefes am 14. April 1987 durch
BGE 118 II 395 S. 399
Notar A. im Auftrag des ursprünglichen Klägers von der Beklagten zurückgezogen worden.
4.
Es muss somit geprüft werden, ob der Brief der Beklagten an den inzwischen verstorbenen Kläger vom 6. März 1987 und die diversen Beantwortungen durch den Kläger bzw. durch von ihm beauftragte Personen als Erbteilungsvertrag anzusehen sind.
a) Gemäss
BGE 100 Ib 124
liegt ein Teilungsvertrag vor, falls sich aus (der oder) den Urkunden der übereinstimmende Wille aller Erben ergibt, sich im Sinne einer gänzlichen oder beschränkten Auseinandersetzung definitiv binden zu wollen (vgl. dazu auch
BGE 115 II 329
f.).
1978 erfolgte die Erbteilung in dem Sinne, dass die Beklagte den Hof zu Alleineigentum übernahm und ihren Bruder ausbezahlte. Im gleichen Jahr wurde der Vertrag grundbuchlich vollzogen und es erfolgte die Schlussabrechnung. Die von den Klägerinnen als Teil der Erbteilung angesehene, vom Kaufsrecht handelnde Korrespondenz erfolgte erst im Jahre 1987. Während dieser Zeit war somit die Beklagte Alleineigentümerin, ohne dass sie durch ein Kaufsrecht gültig gebunden gewesen wäre. Sollte mit dem Briefwechsel tatsächlich ein Kaufsrecht eingeräumt werden, wäre damit die Rechtsstellung der Beklagten massiv eingeschränkt worden. Die während nahezu neun Jahren auseinandergesetzten Erben hätten sich nach dieser Zeit wieder enger aneinander gebunden. Inhalt der Korrespondenz ist somit nicht die Auseinandersetzung, sondern eine neue Bindung der Parteien. Dies kann aber nicht Gegenstand einer Erbteilung bilden. So hat das Bundesgericht beispielsweise die Einräumung einer Nutzniessung an einer zum Nachlass gehörenden Liegenschaft zu Gunsten eines Miterben mit der gleichzeitigen Vereinbarung, das Grundeigentum sonst nicht zu teilen, nicht als Teilungsvertrag im Sinne von
Art. 634 ZGB
gelten lassen (
BGE 100 Ib 124
f.). Wird einem Erben ein Kaufsrecht an einer Nachlassliegenschaft eingeräumt, nachdem dieses Grundstück bereits einem andern Miterben zu Alleineigentum übertragen worden ist, so ist dieses Rechtsgeschäft nicht mehr auf die Teilung des Nachlasses gerichtet und kann deshalb auch nicht mehr als Erbteilungsvertrag angesehen werden.
Fällt die Begründung eines Kaufsrechts aber nicht mehr in die Erbteilung, weil das entsprechende Grundstück bereits geteilt war, so genügt die einfache Schriftform für den entsprechenden Vertrag nicht, und die Gültigkeit eines möglicherweise in Briefform eingeräumten Kaufsrechts scheitert schon daran.
BGE 118 II 395 S. 400
b) Fehlt es bereits an einem rechtsgenügenden Zusammenhang mit der Erbteilung, so braucht die Frage nicht beantwortet zu werden, ob den entsprechenden Briefen überhaupt ein rechtsgeschäftlicher Bindungswille zu entnehmen ist.
Die Klägerinnen haben zudem vortragen lassen, der Briefwechsel stelle keine neue Vereinbarung dar, sondern habe nur den Formmangel der alten geheilt. Es sei sozusagen der Konsens bei der Erbteilung 1978 zustande gekommen und die nötige Form 1987 mit dem Briefwechsel nachgeliefert worden. Eine solche Konstruktion widerspricht indessen den Grundsätzen eines Vertragsschlusses. Bedarf der Abschluss eines Vertrages einer bestimmten Form, so kann die Willensübereinstimmung und die Formerfüllung nicht vollständig auseinander gehalten werden. Die Form ist nur erfüllt, wenn die formgemässe Erklärung den Geschäftswillen der entsprechenden Partei zum Zeitpunkt, zu dem sie abgegeben worden ist, wiedergegeben hat. Dazu gehört aber auch, dass sich die entsprechende Person mit dieser Willenserklärung hat binden wollen. Eine formgemässe Erklärung, mit der sich der Erklärende gar nicht binden wollte, genügt zum Vertragsschluss nicht.
Es ergibt sich somit, dass kein Kaufsrecht formgültig zustande gekommen ist. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73ce0fc3-088b-40e3-8141-3ed570475525 | Urteilskopf
122 IV 156
23. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 5 juin 1996 dans la cause N. contre Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 172ter StGB
; geringfügige Vermögensdelikte.
Entscheidend ist die Absicht des Täters und nicht der eingetretene Erfolg. Deshalb ist
Art. 172ter StGB
nur anwendbar, wenn der Täter von vornherein bloss einen geringen Vermögenswert oder einen geringen Schaden im Auge hatte (E. 2a).
Art. 41 Ziff. 3 StGB
; Widerruf des bedingten Strafvollzugs.
Spricht der Richter eine Gefängnisstrafe in der Grössenordnung von sieben Monaten aus für ein Verbrechen oder Vergehen, das während der Probezeit eines bedingten Strafvollzugs begangen wurde, so muss er diesen widerrufen, weil die neuerliche Verfehlung nicht als leichter Fall angesehen werden kann (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 122 IV 156 S. 156
A.-
Par jugement du 11 octobre 1995, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné N., ressortissant espagnol, pour vol, violation de domicile, infraction et contravention à la loi fédérale sur les stupéfiants, à la peine de 211 jours d'emprisonnement compensés par la détention préventive subie, révoquant le sursis à l'expulsion qui lui avait
BGE 122 IV 156 S. 157
été accordé précédemment, mettant à sa charge une créance compensatrice de 1'000 fr., et statuant sur les frais de la procédure et le sort des objets séquestrés.
Les faits retenus à l'encontre de l'accusé sont en résumé les suivants.
a) A fin 1994 ou au début 1995, N. a forcé, à l'aide d'un tournevis, la porte à claire-voie d'une cave, où il a dérobé une paire de jumelles.
b) Au début du mois de mars 1995, N. s'est introduit dans un appartement dont la porte palière n'était pas verrouillée et y a soustrait une paire de gants avant d'être mis en fuite par la locataire.
c) Le 14 mars 1995, dans un centre commercial, N. s'est emparé d'un trousseau de clés et de deux abonnements CFF dans le sac à dos d'une femme; ces objets ont été récupérés et restitués.
d) Le même jour, au même endroit, il a soustrait dans le sac à main d'une femme un porte-monnaie, contenant diverses monnaies étrangères; il en a changé une partie, obtenant 46 fr. 90; le reste a pu être restitué.
e) Au même endroit, à la même date ou une semaine plus tard, N. a dérobé un porte-monnaie contenant 30 fr.
f) Le 15 mars 1995, N. s'est introduit dans un appartement dont la porte n'était pas verrouillée et y a soustrait un portefeuille et une sacoche contenant divers papiers, une somme de 130 fr. ainsi que 25 fr. en chèques Reka, un trousseau de clés, deux canifs et un étui avec six jetons de parking, ainsi qu'un sac à main contenant divers effets, dont un trousseau de clés, un bon-cadeau de 50 fr. et une somme de 60 fr. Tout a pu être restitué.
g) Le même jour, grâce aux clés trouvées dans le sac à main, N. a pénétré dans un appartement, où il a dérobé 219 fr., 207,70 fr. français et un lot de bijoux. Il a été interpellé par la police alors qu'il s'apprêtait à quitter les lieux.
Dans tous ces cas, le tribunal a considéré qu'il y avait vol, parce que N. avait à chaque fois l'intention de s'approprier de l'argent pour pouvoir s'acheter de la drogue; le fait que, agissant le plus souvent dans la précipitation, il n'ait mis la main que sur des objets de peu de valeur n'avait pas d'incidence sur cette qualification. Dans les deux derniers cas, il y avait en outre violation de domicile, plainte ayant été déposée en temps utile.
h) Entre le mois de juillet 1994 et le 14 mars 1995, N. a consommé régulièrement de l'héroïne. Il a acheté entre 67 et 72 g de cette drogue pour 6'000 fr. au minimum. Il en a vendu 15 g à des toxicomanes à Lausanne,
BGE 122 IV 156 S. 158
réalisant un bénéfice d'environ 3'000 fr. Le 9 février 1995, il a acheté 5 g d'héroïne à Soleure, pour 250 fr., pensant en revendre une partie. Depuis sa précédente condamnation, il n'a jamais cessé de consommer du haschisch et a acheté 100 g de cette drogue pour un montant de 700 fr. Il a également acquis une bouteille de méthadone et deux sachets de marijuana.
Le tribunal a considéré qu'il avait ainsi commis une infraction et une contravention à la loi fédérale sur les stupéfiants.
S'agissant de la situation personnelle de l'accusé, le tribunal a constaté qu'il était de nationalité espagnole, né à Lausanne en 1971. Célibataire, il n'exerce plus d'activité lucrative licite depuis 1993. Il a déjà été condamné à deux reprises, le 9 mars 1988 à la peine de six mois d'emprisonnement avec sursis (sursis qui a été par la suite révoqué) et le 13 décembre 1990 à la peine de deux ans d'emprisonnement ferme et cinq ans d'expulsion avec sursis. Il a été libéré le 18 octobre 1991.
Pour fixer la peine, le tribunal a retenu, à charge, le concours d'infractions et l'état de récidive; à décharge, il a admis que sa responsabilité était légèrement diminuée conformément aux conclusions de l'expertise psychiatrique et qu'il avait agi le plus souvent sous l'influence de la drogue. Il a été constaté que l'accusé semblait peu décidé à se prendre en main, se contentant d'attendre l'aide des services sociaux et ne suivant aucun traitement médical, ni soutien psychothérapeutique ou cure de désintoxication.
Vu la gravité des faits, le sursis à l'expulsion, accordé par le jugement du 13 décembre 1990, a été révoqué, étant encore observé que l'accusé avait envisagé avec son amie d'aller s'installer en Espagne pour y ouvrir un salon de coiffure, qu'il avait conservé dans ce pays quelques attaches et qu'il en possédait la langue.
B.-
Statuant sur recours du condamné le 29 novembre 1995, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a confirmé le jugement attaqué, avec suite de frais.
C.-
Contre cet arrêt, N. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Il soutient, vu la valeur des objets dérobés, que les vols qui lui ont été reprochés auraient dû être qualifiés d'infraction d'importance mineure au sens de l'
art. 172ter CP
; il estime également que la peine infligée est trop sévère et qu'il s'agit d'un cas de peu de gravité qui ne justifiait pas la révocation du sursis antérieur. Partant, il conclut, avec suite de dépens, à l'annulation de la décision attaquée et sollicite par ailleurs l'effet suspensif et l'assistance judiciaire.
BGE 122 IV 156 S. 159
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
a) Le recourant soutient que les vols qui lui sont reprochés auraient dû être qualifiés d'infraction d'importance mineure au sens du nouvel
art. 172ter CP
.
Pour l'ensemble des infractions contre le patrimoine, l'
art. 172ter al. 1 CP
prévoit que "si l'acte ne visait qu'un élément patrimonial de faible valeur ou un dommage de moindre importance, l'auteur sera, sur plainte, puni des arrêts ou de l'amende". L'alinéa 2 de cet article précise toutefois que cette disposition n'est pas applicable au vol qualifié (art. 139 ch. 2 et 3), au brigandage ainsi qu'à l'extorsion et au chantage.
La jurisprudence a admis qu'un élément patrimonial est de faible valeur s'il ne vaut pas plus de 300 fr. (
ATF 121 IV 261
consid. 2d). La valeur d'une chose doit être déterminée objectivement (
ATF 121 IV 261
consid. 2c).
L'
art. 172ter al. 1 CP
ne parle pas d'un acte portant sur un élément patrimonial de faible valeur, mais d'un acte visant un élément patrimonial de faible valeur. Dans cette acception, viser signifie "avoir en vue, s'efforcer d'atteindre (un résultat)" (Le Grand Robert, tome IX, Paris 1985 p. 767). Le terme choisi montre qu'il faut s'attacher au but poursuivi. S'il est vrai que le texte italien est moins expressif ("se il reato concerne soltanto un elemento patrimoniale di poco valore o un danno di lieve entita..."), la version allemande va dans le même sens ("richtet sich die Tat nur auf einen geringen Vermögenswert oder auf einen geringen Schaden").
L'interprétation littérale est confirmée par le caractère subjectif du droit pénal moderne qui voue davantage d'importance à la faute de l'auteur, en particulier à ce qu'il avait en vue, plutôt qu'au résultat involontaire de son action.
Les travaux préparatoires ne laissent planer à ce sujet aucun doute. En effet, dans le message du Conseil fédéral, on peut lire:
"En outre, l'
art. 172ter CP
exige que l'acte punissable et, partant,
l'intention de l'auteur, ne vise dès le départ qu'un élément patrimonial de
faible valeur ou un dommage de moindre importance. Cette disposition ne
saurait s'appliquer, par exemple, au délinquant dont le comportement
délictueux indique qu'il souhaitait s'attaquer à des valeurs patrimoniales
importantes, mais qui, pour un motif quelconque, n'a finalement porté
atteinte qu'à un élément de faible valeur." (FF 1991 II 1048)
BGE 122 IV 156 S. 160
La doctrine a également pris position clairement dans ce sens, considérant que les représentations subjectives de l'auteur étaient décisives (STRATENWERTH, Bes. Teil I, 5e éd., p. 455 no 17; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6e éd., p. 65 s.; NIKLAUS SCHMID, Das neue Vermögens- und Urkundenstrafrecht, RSJ 91 (1995) p. 3; ERIC STAUFFACHER, Infractions contre le patrimoine: le nouveau droit, RPS 114 (1996) p. 31; voir également, à propos du larcin prévu par l'ancien droit: SCHUBARTH, Kommentar, Bes. Teil II, n. 12 ad art. 138).
En conséquence, ce n'est pas le résultat concret de l'acte qui est déterminant, mais bien ce que l'auteur voulait ou acceptait. L'
art. 172ter al. 1 CP
est réservé aux hypothèses où l'auteur n'avait en vue qu'un élément patrimonial de faible valeur ou un dommage de moindre importance. Seul le dol de l'auteur détermine si l'infraction est d'importance mineure.
b) Déterminer ce que l'auteur sait, veut ou l'éventualité à laquelle il consent relève des constatations de fait qui lient la Cour de cassation saisie d'un pourvoi en nullité (
ATF 121 IV 90
consid. 2b,
ATF 119 IV 1
consid. 5a, 242 consid. 2c, 309 consid. 7b,
ATF 116 IV 143
consid. 2c).
En l'espèce, il a été constaté que le recourant voulait, lors de chaque soustraction, se procurer de l'argent pour acquérir des stupéfiants. Certes, sa manière de procéder ne lui permettait pas d'espérer obtenir des valeurs importantes, mais la question n'est pas là. A chaque fois, il souhaitait obtenir le plus d'argent possible. Son dol n'était donc pas limité à un élément patrimonial de faible valeur, ce qui exclut l'application de l'
art. 172ter al. 1 CP
.
Sur la base des représentations subjectives du recourant - telles qu'elles ont été retenues d'une manière qui lie la Cour de cassation -, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en écartant l'application de l'
art. 172ter CP
.
3.
a) Les autres griefs du recourant reposaient principalement sur l'idée que l'
art. 172ter al. 1 CP
serait retenu. Comme tel n'est pas le cas, ils ont perdu l'essentiel de leur fondement.
b) Avec une argumentation brève et nettement appellatoire, le recourant soutient que la peine qui lui a été infligée est de toute manière excessive.
Tout en exigeant que la peine soit fondée sur la faute, l'
art. 63 CP
n'énonce pas de manière détaillée et exhaustive les éléments qui doivent être pris en considération, ni les conséquences exactes qu'il faut en tirer quant à la fixation de la peine; cette disposition confère donc au juge un large pouvoir d'appréciation; même s'il est vrai que la Cour de cassation
BGE 122 IV 156 S. 161
examine librement s'il y a eu violation du droit fédéral, elle ne peut admettre un pourvoi en nullité portant sur la quotité de la peine, compte tenu du pouvoir d'appréciation reconnu en cette matière à l'autorité cantonale, que si la sanction a été fixée en dehors du cadre légal, si elle est fondée sur des critères étrangers à l'
art. 63 CP
, si les éléments d'appréciation prévus par cette disposition n'ont pas été pris en compte ou enfin si la peine apparaît exagérément sévère ou clémente au point que l'on doive parler d'un abus du pouvoir d'appréciation (
ATF 121 IV 3
consid. 1a, 193 consid. 2a,
ATF 120 IV 136
consid. 3a). Les éléments pertinents pour la fixation de la peine ont été exposés de manière détaillée dans les
ATF 117 IV 112
consid. 1 et
ATF 116 IV 288
consid. 2a, auxquels il suffit de se référer.
En l'espèce, il n'est pas contesté que la peine a été fixée dans le cadre légal, en suivant les critères posés par l'
art. 63 CP
et sans se laisser guider par des considérations étrangères à cette disposition. Le recourant ne peut d'ailleurs citer aucun élément pertinent, propre à modifier la quotité de la peine, qui aurait été omis, pas plus qu'il ne peut citer un élément inadmissible qui aurait été pris en considération à tort. Au vu des faits retenus - qui lient la Cour de cassation -, la peine infligée est certes sévère, comme le relève la cour cantonale, mais on ne voit pas qu'elle constitue un abus du large pouvoir d'appréciation appartenant au juge de répression. En conséquence, la peine a été fixée sans violer le droit fédéral.
c) Le recourant se plaint enfin de la révocation du sursis à l'expulsion.
Il n'est pas contesté que le recourant a commis un crime ou un délit pendant le délai d'épreuve, de sorte que la révocation du sursis devait en principe être ordonnée (
art. 41 ch. 3 al. 1 CP
). Il est vrai que le juge peut renoncer à révoquer un sursis dans les cas de peu de gravité si des motifs permettent d'envisager l'amendement du condamné (
art. 41 ch. 3 al. 2 CP
). Cette faculté suppose cependant qu'il s'agisse d'un cas de peu de gravité. Pour trancher cette question, il faut examiner la faute du condamné, qui se traduit normalement dans la quotité de la peine; en conséquence, la jurisprudence attache une importance prépondérante à la question de savoir si l'infraction commise pendant le délai d'épreuve est réprimée ou non par une peine dépassant trois mois de privation de liberté; certes, la jurisprudence n'a pas voulu fixer une règle rigide, mais on ne peut s'en écarter, par une analyse des circonstances concrètes, que si la peine se trouve aux alentours de cette
BGE 122 IV 156 S. 162
limite (
ATF 117 IV 97
consid. 3c/cc et dd). Comme les nouvelles infractions ont conduit en l'espèce, sans violer le droit fédéral, à une peine de l'ordre de sept mois d'emprisonnement, il est suffisamment démontré que le cas n'est pas de peu de gravité au sens de l'
art. 41 ch. 3 al. 2 CP
, de sorte que la révocation du sursis devait être ordonnée (
art. 41 ch. 3 al. 1 CP
).
4.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
73e558a6-e68c-4abe-8a32-697b55032f40 | Urteilskopf
136 II 142
14. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause Office fédéral de l'environnement et A. contre B. et Département du territoire du canton de Genève (recours en matière de droit public)
1C_178/2009 / 1C_179/2009 du 4 novembre 2009 | Regeste
Art. 7 Abs. 6 und
Art. 32c ff. USG
;
Art. 2 Abs. 1 AltlV
; Sanierung von abfallbelasteten Standorten; asbesthaltige Gebäude.
Begriff der Abfälle nach
Art. 7 Abs. 6 USG
(E. 3.1).
Ein Gebäude mit asbesthaltigen Bauteilen stellt keinen Ablagerungsort im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV
dar(E. 3.2.1).
Es handelt sich auch nicht um einen Betriebsstandort gemäss
Art. 2 Abs. 1 lit. b AltlV
oder um einen Unfallstandort nach
Art. 2 Abs. 1 lit. c AltlV
(E. 3.2.2).
Die Aufzählung in
Art. 2 Abs. 1 AltlV
ist abschliessend (E. 3.2.3).
Die
Art. 32c ff. USG
und
Art. 2 Abs. 1 AltlV
erlauben für sich genommen nicht, eine generelle Verpflichtung zur Sanierung von asbestbelasteten Gebäuden zu begründen; dies stellt keine Lücke dar, welche von der Rechtsprechung gefüllt werden könnte (E. 3.2.4). | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 136 II 142 S. 143
En 2002, la société B. a acheté à la société coopérative A. un immeuble construit en 1958. Dès 2004, B. a entrepris des travaux de rénovation, au cours desquels la présence d'amiante a été constatée. Une expertise complète du bâtiment a été ordonnée par le Service cantonal de toxicologie industrielle et de protection contre les pollutions intérieures. Les experts mandatés ont conclu à la présence d'amiante, notamment dans le calorifugeage de l'échappement d'un groupe électrogène, dans la tresse isolante autour de piliers porteurs ainsi que dans des éléments en fibrociment tels que des plaques de façade, des chemins de câbles, des plaques posées sur des luminaires et derrière des panneaux électriques, des portes coupe-feu ainsi que dans des tresses d'isolation sur un pilier de façade et sur le toit. La procédure d'assainissement du rez-de-chaussée s'est terminée en novembre 2004. L'assainissement des autres parties de l'immeuble devait suivre, en fonction de l'avancée du chantier de rénovation. Les architectes mandatés par B. ont estimé le coût total du désamiantage à près d'un million de francs.
Le 5 décembre 2006, B. a demandé au Département du territoire du canton de Genève (ci-après: le département) d'établir une clé de répartition des frais de décontamination entre le propriétaire actuel et l'ancien propriétaire. Par décision du 23 février 2007, le département a considéré que les art. 32c et 32d de la loi fédérale du 7 octobre 1983 sur la protection de l'environnement (LPE; RS 814.01) n'étaient pas applicables en l'espèce. B. a recouru contre cette décision auprès de la Commission cantonale de recours en matière de constructions, qui a rejeté le recours par décision du 27 août 2007.
Par arrêt du 3 mars 2009, le Tribunal administratif du canton de Genève (ci-après: le Tribunal administratif) a admis le recours formé par B. contre cette décision. Il a considéré que l'amiante contenu dans l'immeuble litigieux devait être qualifié de déchet au sens de la LPE. L'incorporation de ce produit cancérigène dans les
BGE 136 II 142 S. 144
matériaux de construction résultait de la méconnaissance de sa toxicité, de sorte que, "rétrospectivement et au vu de l'évolution des connaissances", il convenait de considérer cette substance comme un déchet au moment de son intégration dans la construction. Le bâtiment acheté par B. devait donc être considéré comme un site pollué au sens des art. 2 al. 1 de l'ordonnance fédérale du 26 août 1998 sur l'assainissement des sites pollués (OSites; RS 814.680) et 32c LPE, si bien que le département devait se prononcer sur la répartition des frais d'assainissement en application de l'
art. 32d LPE
.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, l'Office fédéral de l'environnement et A. demandent au Tribunal fédéral d'annuler cet arrêt et de confirmer la décision rendue le 27 août 2007 par la Commission cantonale de recours en matière de constructions. Ils soutiennent en substance que l'amiante ne peut pas être considéré comme un déchet au sens de la LPE et que l'immeuble concerné ne répond pas à la définition de site contaminé au sens de l'OSites.
Le Tribunal fédéral a admis ces recours, annulé l'arrêt attaqué et confirmé les décisions précédentes constatant que les
art. 32c et 32d LPE
n'étaient pas applicables en l'espèce.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le Tribunal administratif genevois a considéré que l'immeuble construit par la recourante et racheté par l'intimée devait être qualifié de site pollué au sens des
art. 32c ss LPE
et 2 al. 1 OSites. Ce bâtiment contenait en effet de l'amiante, une substance cancérigène et dangereuse pour l'environnement, qui devait être considérée comme un déchet au sens de l'
art. 7 al. 6 LPE
. Tant la recourante que l'Office fédéral de l'environnement contestent cette appréciation.
3.1
Les
art. 32c et 32d LPE
règlent l'assainissement des sites pollués par des déchets et la prise en charge des frais d'assainissement. L'
art. 7 al. 6 LPE
, définit les déchets comme "les choses meubles dont le détenteur se défait ou dont l'élimination est commandée par l'intérêt public". La question de savoir si l'amiante utilisé dans la construction d'un immeuble peut être considéré comme un déchet au sens de l'
art. 7 al. 6 LPE
est délicate. Il n'est en effet pas certain qu'il puisse être qualifié de "chose meuble" au sens de cette disposition, notamment lorsqu'il est incorporé dans des matériaux de
BGE 136 II 142 S. 145
construction, comme par exemple des plaques en fibrociment. Selon la jurisprudence, il n'est cependant pas exclu que des substances incorporées à un matériau neutre puissent répondre à cette définition. Ont ainsi été considérés comme des déchets le plomb contaminant la butte d'un stand de tir (
ATF 131 II 743
) ou du mazout infiltré dans le sous-sol (arrêt 1A.250/2005 du 14 décembre 2006, in RDAF 2007 I p. 307). Le caractère meuble du déchet en cause perd en effet de son importance lorsque l'on est en présence d'un site contaminé au sens de l'
art. 2 al. 3 OSites
("Altlast"; cf. MICHAEL BUDLIGER, Zur Kostenverteilung bei Altlastensanierung mit mehreren Verursachern, DEP 1997 p. 299).
Il est par ailleurs douteux que l'amiante utilisé dans la construction d'un bâtiment réponde à la notion
subjective
du déchet ("dont le détenteur se défait"), dès lors que cette substance était utilisée pour ses propriétés particulières, le constructeur n'ayant clairement pas l'intention de s'en débarrasser (cf.
ATF 123 II 359
consid. 4 p. 363 ss; ALEXANDRE FLÜCKIGER, La distinction juridique entre déchets et non-déchets, DEP 1999 p. 115 ss). La notion
objective
du déchet ("dont l'élimination est commandée par l'intérêt public") est également problématique en l'espèce, dans la mesure où il n'est pas certain qu'elle s'apprécie au moment de la construction de l'immeuble. Reprenant les termes du message de 1993 relatif à la révision de la LPE, certains auteurs soutiennent en effet que la nécessité d'éliminer un déchet dans l'intérêt public s'apprécie "tout au moins dans l'optique actuelle" (Message du 7 juin 1993 relatif à une révision de la LPE, FF 1993 II 1337, 1384 ch. 42; PIERRE TSCHANNEN, in Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2
e
éd. 2002, n° 9 ad
art. 32c LPE
; MARK CUMMINS, Kostenverteilung bei Altlastensanierungen, 2000, p. 17; MARCO ZAUGG, Altlasten - die neuen Bestimmungen, DEP 1996 p. 487), voire exclusivement selon le droit actuel (CHRISTOPH ZÄCH, Zur Revision des USG bezüglich der Altlastenproblematik, DEP 1993 p. 323). Ces questions peuvent cependant demeurer indécises si l'on considère qu'un bâtiment contenant de l'amiante ne constitue pas un site pollué au sens de l'
art. 2 al. 1 OSites
.
3.2
L'
art. 2 al. 1 OSites
a la teneur suivante:
"On entend par sites pollués les emplacements d'une étendue limitée pollués par des déchets. Ces sites comprennent:
a. les sites de stockage définitifs: décharges désaffectées ou encore exploitées et tout autre lieu de stockage définitif de déchets; sont exclus les sites dans lesquels sont déposés exclusivement des matériaux d'excavation et des déblais non pollués;
BGE 136 II 142 S. 146
b. les aires d'exploitations: sites pollués par des installations ou des exploitations désaffectées ou encore exploitées dans lesquelles ont été utilisées des substances dangereuses pour l'environnement;
c. les lieux d'accident: sites pollués à la suite d'événements extraordinaires, pannes d'exploitation y comprises."
3.2.1
Il convient d'examiner en premier lieu si l'immeuble litigieux peut être considéré comme un site de stockage définitif au sens de l'
art. 2 al. 1 let. a OSites
. Dans l'arrêt attaqué, le Tribunal administratif genevois a considéré que tel était le cas, sans toutefois motiver cette opinion de manière convaincante. La jurisprudence à laquelle il se réfère n'est pas pertinente à cet égard, dès lors qu'elle a trait à des situations trop différentes du cas d'espèce. Les arrêts cités concernent en effet la présence de plomb dans la butte d'un stand de tir (
ATF 131 II 743
), un écoulement d'hydrocarbures provenant de la citerne à mazout d'une porcherie désaffectée (arrêt 1A.250/2005 précité) ou une infiltration de goudron émanant de l'exploitation d'une ancienne usine à gaz (arrêt 1A.67/1997 du 26 février 1998, in RDAF 1999 I p. 615 et DEP 1998 p. 152). On ne saurait voir dans ces arrêts des précédents qui permettraient de qualifier de site de stockage définitif l'immeuble faisant l'objet de la présente procédure.
Selon la doctrine, les sites de stockage au sens de l'
art. 2 al. 1 let. a OSites
sont des lieux où des déchets ont été entreposés en connaissance de cause (URS ZIEGLER, La nouvelle réglementation sur les sites contaminés, DEP 1997 p. 667; MARCO ZAUGG, op. cit., p. 487). A l'instar de l'Office fédéral de l'environnement dans son recours, certains auteurs estiment que la matière polluante devait être considérée comme un déchet déjà au moment de son arrivée sur le site (cf. URSULA BRUNNER, Altlasten und die Auskunftspflicht nach Art. 46 USG, DEP 1997 p. 8; KARIN SCHERRER, Handlungs- und Kostentragungspflichten bei der Altlastensanierung, 2005, p. 13). Ainsi, on ne saurait parler de site pollué par des déchets lorsque des substances ont été introduites sciemment pour remplir une fonction déterminée en raison de leurs propriétés, comme par exemple le cuivre utilisé dans les vignes ou l'atrazine aux abords des voies de chemin de fer (MARCO ZAUGG, op. cit., p. 487 s.; CHRISTOPH WENGER, Die neue Altlastenverordnung, DEP 1997 p. 728). Il en irait de même de l'amiante utilisé lors de la construction d'un immeuble (ERICH RÜEGG, Von der Haftung des Grundstückverkäufers für "Bauherren-Altlasten", DC 2006 p. 108).
D'un point de vue littéral, il est patent qu'un immeuble abritant des bureaux ou des commerces ne correspond pas à la notion de
BGE 136 II 142 S. 147
décharge telle qu'on la comprend dans le langage courant. De même, on peut difficilement admettre qu'il constitue un lieu de stockage définitif de déchets. Le fait que des substances dangereuses pour l'environnement soient présentes dans les matériaux de construction ou dans la structure de cet immeuble ne signifie pas qu'elles y ont été stockées. Au demeurant, selon la définition qu'en donnent les dictionnaires, le terme stocker signifie faire une réserve de quelque chose (Le Nouveau Petit Robert, édition 2009; Le Petit Larousse Illustré, édition 2009) et a pour synonymes emmagasiner, accumuler, conserver, entreposer, etc. (Dictionnaire Robert des synonymes, nuances et contraires, édition 2005), ce qui ne saurait s'appliquer à l'amiante introduit lors de la construction d'un immeuble. Cette substance a en effet été utilisée pour ses propriétés particulières et n'a pas été entreposée en vue d'une utilisation future.
Une interprétation historique et téléologique de l'
art. 2 al. 1 let. a OSites
ne permet pas non plus d'appliquer la notion de lieu de stockage définitif à un tel cas. En effet, ni la LPE ni l'OSites ne comprennent de dispositions qui permettraient de définir le lieu de stockage de déchets dans un sens différent de celui exposé ci-dessus. Quant aux travaux préparatoires, ils se réfèrent pour l'essentiel au concept de décharge, contrôlée ou non (cf. message précité, FF 1993 II 1337, 1392 ch. 42). En tous les cas, il n'a jamais été question d'étendre la notion de lieu de stockage aux constructions dans lesquelles une substance a été utilisée pour ses propriétés particulières avant que l'on ne réalise qu'elle présente un risque pour l'environnement.
3.2.2
Il y a encore lieu de déterminer si le bâtiment litigieux tombe sous le coup des let. b et c de l'
art. 2 al. 1 OSites
. L'immeuble concerné ne peut pas être qualifié d'"aire d'exploitation" au sens de l'
art. 2 al. 1 let. b OSites
, dès lors qu'il ne s'agit pas d'une installation ou d'une exploitation dans laquelle une substance dangereuse pour l'environnement a été "utilisée". En effet, cet immeuble ayant abrité des bureaux, des commerces et un restaurant, il ne s'agit pas d'un site sur lequel on a produit ou travaillé avec de l'amiante. Selon la pratique et les recommandations de l'Office fédéral compétent - qui doivent être prises en considération même si elles n'ont pas force de loi et ne lient pas le juge (
ATF 134 II 142
consid. 3.3 non publié;
ATF 118 Ib 614
consid. 4b p. 618 et les références) - il est clair que les aires d'exploitation au sens de l'
art. 2 al. 1 let. b OSites
ne visent que les sites exploités par "une branche susceptible de
BGE 136 II 142 S. 148
polluer" et sur lesquels "on a effectivement produit et/ou travaillé avec des substances dangereuses pour l'environnement dans des quantités significatives" (Office fédéral de l'environnement, des forêts et du paysage [OFEFP], Etablissement du cadastre des sites pollués, 2001, p. 15 ss). Enfin, la présence d'amiante dans les matériaux de construction ou dans la structure d'un immeuble n'en fait manifestement pas un lieu d'accident au sens de l'
art. 2 al. 1 let
. c OSites. Cette substance ayant été utilisée volontairement en raison de ses propriétés particulières, on ne peut pas parler d'une "pollution" qui serait survenue de manière accidentelle ou suite à un événement extraordinaire.
3.2.3
L'immeuble litigieux ne répondant pas aux définitions de site de stockage définitif, d'aire d'exploitation ou de lieu d'accident, il reste à examiner si d'autres lieux peuvent être qualifiés de sites pollués au sens de l'
art. 2 al. 1 OSites
. Dans son recours, l'Office fédéral de l'environnement affirme que l'énumération de l'art. 2 al. 1 let. a à c OSites est exhaustive. Cet avis est partagé par la doctrine, qui limite l'examen de la question des sites pollués aux trois types de sites mentionnés à l'
art. 2 al. 1 OSites
(KARIN SCHERRER, op. cit., p. 15; KONRAD BAUMANN, Le cadastre des sites pollués, DEP 2001 p. 739 s.; MARK CUMMINS, op. cit., p. 18; HARTMANN/ECKERT, Sanierungspflicht und Kostenverteilung bei der Sanierung von Altlasten-Standorten nach (neuem) Art. 32d USG und Altlastenverordnung, DEP 1998 p. 610; CHRISTOPH WENGER, op. cit., p. 728; URS ZIEGLER, op. cit., p. 667; MICHAEL BUDLIGER, op. cit., p. 298; URSULA BRUNNER, op. cit., p. 9; PIERRE TSCHANNEN, op. cit., n° 9 ad
art. 32c LPE
; cf. également OFCL/OCFIM, Sites contaminés: recenser, évaluer, assainir, L'expert fiduciaire 2002 p. 328; OFEFP, op. cit.). D'un point de vue systématique, il convient encore de relever que l'
art. 5 al. 3 let
. c OSites ne prévoit une inscription au cadastre que pour "la période de stockage des déchets, la période d'exploitation ou la date de l'accident". Dans ces conditions, on peut difficilement envisager un quatrième type de site pollué, qui ne serait ni un site de stockage définitif, ni une aire d'exploitation ni un lieu d'accident. C'est donc bien exclusivement à l'aune des let. a à c de l'
art. 2 al. 1 OSites
qu'il convient de définir la notion de site pollué.
3.2.4
Compte tenu de ce qui précède, on ne saurait fonder l'obligation d'assainir les immeubles contenant de l'amiante uniquement sur une interprétation extensive des
art. 32c ss LPE
et 2 OSites. La question de l'amiante n'ayant pas été clairement abordée lors des travaux
BGE 136 II 142 S. 149
préparatoires ayant conduit à l'adoption de l'
art. 32c LPE
, on ne peut aucunement en déduire une volonté du législateur d'introduire une obligation générale d'assainir les bâtiments contenant de l'amiante. De même, si la liste des sites pollués au sens de l'
art. 2 al. 1 OSites
ne comprend pas les immeubles dans lesquels de l'amiante a été incorporé lors de travaux de construction, il est manifeste qu'il ne s'agit pas d'un oubli ou d'une omission involontaire. Il n'y a donc pas de lacune à combler et ce n'est pas le rôle de la jurisprudence que d'étendre l'obligation d'assainissement dans de telles proportions. Au demeurant, s'il existait une volonté du législateur d'instituer une obligation générale d'assainir les immeubles concernés par la problématique désormais bien connue de l'amiante, il ne fait aucun doute qu'il l'aurait fait de manière explicite, eu égard notamment aux implications économiques, administratives et politiques très importantes qui en découleraient. En définitive, c'est à tort que le Tribunal administratif du canton de Genève a considéré que l'immeuble litigieux était un site pollué fondant une obligation d'assainissement. Les
art. 32c ss LPE
ne sont donc pas applicables en l'espèce. | public_law | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73e6ffb8-8523-454f-8358-fd85ecc11c3b | Urteilskopf
140 II 353
32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_733/2013 / 2C_734/2013 vom 19. Juni 2014 | Regeste a
Art. 16 Abs. 1,
Art. 33 und 33a DBG
;
Art. 7 Abs. 1 und
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
; Grundverbilligungsvorschüsse gemäss dem Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz; nachträglicher Erlass nicht zurückbezahlter Vorschüsse und darauf aufgelaufener Schuldzinsen als Einkommenszufluss.
Gewährt die Eidgenossenschaft einem Liegenschafteneigentümer Grundverbilligungsvorschüsse in Form von verzinslichen Darlehen gemäss
Art. 36 ff. WEG
und erlässt sie dem Empfänger im Nachhinein die noch nicht zurückerstatteten Vorschüsse sowie darauf aufgelaufene Schuldzinsen, so bildet dieser Erlass einen steuerbaren Reinvermögenszugang (E. 4 und 5).
Regeste b
Art. 127 Abs. 3 BV
; Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung; Erlass nicht zurückbezahlter Grundverbilligungsvorschüsse und darauf aufgelaufener Schuldzinsen.
Der Erlass nicht zurückerstatteter Grundverbilligungsvorschüsse (samt darauf aufgelaufener Schuldzinsen) stellt weder Finanzertrag noch übriges Einkommen dar, sondern steht als Einkommenszufluss in Zusammenhang mit dem unbeweglichen Vermögen und ist dem Belegenheitskanton zuzuweisen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 354
BGE 140 II 353 S. 354
A.
A.A., wohnhaft in U. AR, erwarb im Jahr 1985 in St. Gallen eine Liegenschaft mit Mietwohnungen. Dabei übernahm er für 25 Jahre Rechte sowie Pflichten gegenüber der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus der Finanzierung der Liegenschaft mit Grundverbilligungsvorschüssen gemäss dem Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz des Bundes vom 4. Oktober 1974 (WEG; SR 843). Im Jahr 2009 kamen das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) und A.A. überein, den WEG-Vertrag so aufzulösen, dass A.A. für die bisher nicht zurückbezahlten Grundverbilligungsvorschüsse und darauf aufgelaufene Schuldzinsen von insgesamt Fr. 1'685'675.45 noch eine Schlusszahlung von Fr. 577'325.- leistete.
B.
Die erlassene Restschuld gegenüber der Schweizerischen Eidgenossenschaft in der Höhe von Fr. 1'108'350.45 erfasste die Steuerverwaltung des Kantons Appenzell A.Rh. für die Staats- und die direkte Bundessteuer 2009 als steuerbares Einkommen. Dagegen erhoben A.A. und B.A. erfolglos Einsprache und danach Beschwerde an das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh. (...)
C.
Am 22. August 2013 haben A.A. und B.A. beim Bundesgericht Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht. Betreffend die Staatssteuer (...) und die direkte Bundessteuer (...) stellen sie im Wesentlichen den Antrag, die obergerichtlichen Urteile vom
BGE 140 II 353 S. 355
24. April 2013 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz (eventualiter an die Veranlagungsbehörde) zurückzuweisen. (...)
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
II. Direkte Bundessteuer
2.
Art. 16 DBG
(SR 642.11) bringt im Bereich der Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen das Konzept der Reinvermögenszugangstheorie zum Ausdruck. Danach unterliegen aufgrund der Generalklausel von
Art. 16 Abs. 1 DBG
und des nicht abschliessenden Positivkatalogs (
Art. 17-23 DBG
) alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte der direkten Bundessteuer. Vorbehalten bleiben die Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen (
Art. 16 Abs. 3 DBG
) und die im Negativkatalog von
Art. 24 DBG
abschliessend aufgezählten Fälle.
2.1
Der Reinvermögenszugang, wie er
Art. 16 Abs. 1 DBG
zugrunde liegt, besteht in einer Nettogrösse. Er entspricht dem Überschuss aller Vermögenszugänge gegenüber den Vermögensabgängen derselben Steuerperiode. Einkommen ist demgemäss die Gesamtheit derjenigen Wirtschaftsgüter, die einem Individuum während der massgeblichen Steuerperiode zufliessen, und die es ohne Schmälerung seines Vermögens zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse und für seine laufende Wirtschaft verwenden kann (vgl. zum Ganzen u.a.
BGE 139 II 363
E. 2.1 S. 365 f.; Urteil 2C_95/2013 vom 21. August 2013, in: ASA 82 S. 227; je mit weiteren Hinweisen; siehe auch das Urteil 2A.303/1994 vom 23. Dezember 1996 E. 3a, in: StR 52/1997 S. 418).
2.2
Um einen Einkommenszufluss gemäss
Art. 16 Abs. 1 DBG
und der Reinvermögenszugangstheorie handelt es sich insbesondere dann, wenn eine Bank gegenüber einem Privatkunden auf Forderungen verzichtet (vgl. Urteil 2C_120/2008 vom 13. August 2008 E. 2.2, in: StE 2008 B 21.1 Nr. 18; zum Einkommenszufluss durch Erlass einer Geschäftsschuld: vgl. u.a. Urteil 2C_104/2013 vom 27. September 2013, in: ASA 82 S. 307 E. 3.4; Urteil 2C_224/2008 vom 1. April 2009, in: StE 2009 B 28 Nr. 8 E. 2.2; Urteil 2A.321/1997 vom 23. September 1999, in: NStP 53/1999 S. 175 E. 2b; ausführlich
BGE 115 Ib 269
E. 4b S. 272 f.).
3.
3.1
Hier haben beide kantonalen Behörden erwogen, der Beschwerdeführer habe im Jahr 2009 einen steuerbaren Einkommenszufluss
BGE 140 II 353 S. 356
erzielt. Die kantonale Steuerverwaltung geht davon aus, dass der Zufluss auf einem steuerwirksamen Forderungsverzicht der Schweizerischen Eidgenossenschaft hinsichtlich der noch nicht zurückerstatten Darlehens- und Zinsbeträge beruhe. Das Obergericht vertritt dagegen die Auffassung, dass die früher als Darlehensgewährung steuerfreie Zuwendung durch die nachträgliche Entwicklung zu Einkommen geworden sei. Die Vorinstanz hat die strittige Leistung somit unter einem anderen Rechtstitel besteuert als die Beschwerdegegnerin.
Eine solche Motivsubstitution, mit der ein Sachverhalt mit anderen Argumenten im Ergebnis rechtlich gleich gewürdigt wird, ist zulässig, ohne dass der davon betroffenen Verfahrenspartei die Gelegenheit zur vorgängigen Stellungnahme einzuräumen gewesen wäre. Ein Gericht kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. für das Bundesgericht u.a.
BGE 137 III 385
E. 3 einleitend S. 386 mit weiteren Hinweisen). Eine Gehörsverletzung liegt nicht vor.
3.2
In der Folge ist die steuerliche Beurteilung zuerst im Zusammenhang mit dem Erlass der dem Beschwerdeführer ausgerichteten Grundverbilligungsvorschüsse vorzunehmen (vgl. unten E. 4), dann betreffend die darauf aufgelaufenen und noch nicht zurückerstatteten Schuldzinsen (E. 5).
4.
4.1
Die Bundeshilfen nach WEG bezwecken die Förderung von Wohnungserstellungen, indem namentlich Wohnkosten verbilligt werden (
Art. 1 Abs. 1 WEG
). Das erfolgt durch die Ansetzung von unter der Marktmiete liegenden und von durch den Bund kontrollierten Anfangsmietzinsen (
Art. 35 Abs. 2 WEG
).
4.1.1
Der Bund kann an Liegenschafteneigentümer Grundverbilligungsvorschüsse in Form von verzinslichen Darlehen gemäss
Art. 36 ff. WEG
gewähren und darüber hinaus Zusatzverbilligungen gemäss
Art. 42 WEG
ausrichten, die im Gegensatz zu den Grundverbilligungen nicht rückzahlbar sind. Der Bund gewährt die Grundverbilligungsvorschüsse, damit ein Liegenschafteneigentümer bereit und in der Lage ist, in der Anfangsphase die Liegenschaften zu einem nicht kostendeckenden Mietzins zu vermieten. Diese Darlehensbeiträge hat der Eigentümer samt aufgelaufenen Zinsen nach einem als öffentlich- rechtlichen Vertrag ausgestalteten Zahlungsplan (
Art. 56 WEG
) zurückzuerstatten (vgl. zum Ganzen
BGE 129 II 125
E. 2.4 S. 129).
BGE 140 II 353 S. 357
Im Modellfall soll die Differenz zur Marktmiete durch kontinuierliche, durch den Bund kontrollierte Mietzinserhöhungen zunehmend kleiner werden und zu einem bestimmten Zeitpunkt wegfallen (sog. "Break-even"). Danach soll der Eigentümer durch weitere Mietzinserhöhungen in der Lage sein, die erhaltenen Grundverbilligungsvorschüsse und die dafür aufgelaufenen Zinsen zurückzuzahlen.
4.1.2
Die Grundverbilligungen werden demgemäss an den Vermieter als primär Begünstigten ausbezahlt, damit er die Mieten entsprechend verbilligen kann. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer sind in diesem System nicht die Mieter die Begünstigten aus den ausgerichteten Grundverbilligungen; vielmehr gelangen sie nur indirekt in den Genuss der sich aus dem Finanzierungssystem ergebenden Vorteile; die ermöglichten tieferen Mietzinsen sind nur eine mittelbare Folge der WEG-Finanzierung der Liegenschaft.
4.1.3
Gemäss der dargestellten Systematik der WEG-Finanzierung (vgl. oben E. 4.1.1) hat der Beschwerdeführer auch keine Gegenleistung für die ihm ausgerichteten Grundverbilligungsvorschüsse erbracht. Was die Beschwerdeführer als vermögenswirksame "Gegenleistungen" aufführen (Anfangsmietzins von maximal 65 % der Marktmiete, Mietzinsüberwachung während der ganzen Laufzeit, Verzinsung der Grundverbilligungsvorschüsse, Abschöpfung von Mietertragsüberschüssen in der Rückzahlungsphase), sind vielmehr die Rahmenbedingungen der WEG-Finanzierung. Dazu gehört auch, dass die grundverbilligten Mietobjekte während mindestens 25 Jahren nur für Wohnzwecke verwendet werden dürfen (
Art. 46 Abs. 1 WEG
; vgl.
BGE 129 II 125
E. 2.4 S. 129). Um in den Genuss solcher Vorschüsse zu kommen, ist es durchaus üblich, dass sich der Empfänger im Gegenzug bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen und Einschränkungen unterziehen muss, die unter Umständen zu einer Verschlechterung seiner Ertragslage führen, indem die betroffene Tätigkeit nicht den ansonsten erzielbaren Ertrag einbringt.
4.2
WEG-Verträge wurden vom Bundesamt für Wohnungswesen in den Jahren 1975 bis 2001 abgeschlossen. Es zeigte sich jedoch, dass das Modell (vgl. oben E. 4.1.1) in der Realität nicht funktionierte und es in bestimmten Fällen angebracht sein konnte, den Verbilligungs- Empfängern ihre Darlehens- und Zinsschuld zu erlassen.
4.2.1
Die Möglichkeit eines derartigen Schuldenerlasses war im ursprünglichen Konzept der WEG-Finanzierung noch nicht vorgesehen und wurde erst mit der Gesetzesnovelle von 2002 eingeführt: Bei Mietzinsausfällen zuungunsten des Eigentümers während der
BGE 140 II 353 S. 358
WEG-Finanzierung werden nach einer maximalen Laufzeit von 30 Jahren noch nicht zurückerstattete Darlehen und Zinsforderungen aus Grundverbilligungsvorschüssen den Empfängern nunmehr erlassen (vgl.
Art. 40 Abs. 2 WEG
und
Art. 21 Abs. 4 VWEG
[SR 843.1]; siehe auch Botschaft vom 17. September 1973 zur Förderung des Wohnungsbaus, BBl 1973 II 679 ff., 733 Ziff. 454 und Botschaft vom 27. Februar 2002 über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum, BBl 2002 2829 ff., 2882 Ziff. 3.1).
4.2.2
Der Erlass erfolgt, soweit die Bundeshilfeempfänger ihren Verpflichtungen aus dem Finanzierungs- und Tilgungsplan nachgekommen sind (vgl.
Art. 40 Abs. 2 WEG
) und der Ausstand nach 30 Jahren ausschliesslich auf systembedingte Schwierigkeiten des Grundverbilligungsmodells zurückzuführen ist (Botschaft, a.a.O., 2883 Ziff. 3.1).
4.3
Grundverbilligungsvorschüsse unterliegen zwar nicht im Zeitpunkt ihrer Auszahlung der Einkommenssteuer, da sie einen Darlehensempfang darstellen (vgl. oben E. 4.1.1; siehe auch das Rundschreiben der Eidg. Steuerverwaltung [ESTV] vom 4. April 1995 "Steuerliche Behandlung der Grund- und Zusatzverbilligungen nach dem Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz vom 4. Oktober 1974", S. 1 Ziff. I/1/a). Die Besteuerung hat aber dann zu erfolgen, wenn dem Empfänger die ihm ausgerichteten Grundverbilligungsvorschüsse nachträglich erlassen werden. Aufgrund und im Zeitpunkt dieses Schuldenerlasses (bzw. Forderungsverzichts aus Sicht der Eidgenossenschaft) werden aus ursprünglich rückzahlbaren Darlehensbeträgen nachträglich steuerbare Einkünfte (vgl. oben E. 2.1.2). Der Erlass bewirkt somit einen steuerbaren Reinvermögenszugang, gleich wie das für die von Anfang an nicht rückzahlbaren Zusatzverbilligungen im Zeitpunkt ihrer Ausrichtung der Fall ist (vgl. oben E. 4.1.1; siehe auch das Rundschreiben der ESTV, a.a.O., S. 3 Ziff. II/2; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, I. Teil, 2004, N 51. zu
Art. 21 DBG
; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 3. Aufl. 2013, N. 37 zu
§ 21 StG
/ZH).
4.4
Die Vorinstanz hat - im Gegensatz zur kantonalen Steuerverwaltung - die Ansicht vertreten, es sei kein der Einkommenssteuer unterliegender Forderungsverzicht anzunehmen (vgl. oben E. 3.1). Sie nennt dafür mehrere Argumente, denen indessen nicht gefolgt werden kann. Es steht ausser Streit, dass die Grundverbilligungsvorschüsse in der rechtlichen Form von Darlehen ausgestaltet wurden (vgl. oben E. 4.1.1), d.h. als rückzahlbare Beträge, denen entsprechende Forderungen der Eidgenossenschaft gegenüber dem
BGE 140 II 353 S. 359
Beschwerdeführer gegenüberstanden. Die Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich dieser Forderungen bestand aufgrund von
Art. 37 Abs. 2 WEG
bis zum Zeitpunkt des Erlasses gemäss
Art. 40 Abs. 2 WEG
. Auf die Rückzahlung verzichtete die Gläubigerin erst aufgrund der im Jahr 2009 abgeschlossenen Auflösungsvereinbarung; der Verzicht begründete zugunsten des Beschwerdeführers einen Reinvermögenszugang im von der Veranlagungsbehörde erfassten Umfang.
4.4.1
Unter Verweis auf das Bundesgerichtsurteil 2C_429/2010 vom 9. August 2011 (vgl. ASA 80 S. 404, insb. E. 2.2.3) hat das Obergericht an anderer Stelle der angefochtenen Urteile zu Recht selber festgehalten, dass die massgeblichen Vorschüsse (nebst Zinsen) dem Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt ihrer Auszahlung als Darlehen zugekommen waren. Gemäss dem Periodizitätsprinzip erhöhten sie seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit indessen erst in derjenigen Steuerperiode, in der die Rückzahlungspflicht aufgrund der mit der Eidgenossenschaft abgeschlossenen Auflösungsvereinbarung endgültig entfiel (vgl. betreffend den Zeitpunkt der Einkommensrealisierung allgemein u.a. das Urteil 2C_941/2012 vom 9. November 2013, in: ASA 82 S. 375 E. 2.5): Damit steht im Einklang, dass in bestimmten Fällen von Einkommenszufluss aufgrund geldwerter Leistungen, nämlich wenn mit der Rückzahlung eines zunächst ernst gemeinten Darlehens später nicht mehr gerechnet werden kann, auf den Zeitpunkt des Forderungsverzichts abgestellt wird, weil dieser Zeitpunkt die einzige wirklich schlüssige Anknüpfungsmöglichkeit ist, um die erbrachte Leistung bzw. den daraus folgenden Reinvermögenszugang steuerlich zu erfassen und konkret zu beziffern (
BGE 138 II 57
E. 5.2.3 S. 65 mit weiteren Hinweisen).
4.4.2
Der Umstand, dass der Forderungsverzicht der Eidgenossenschaft unter den in
Art. 40 Abs. 2 WEG
genannten Voraussetzungen zustande kam, ändert weder an der Rechtsgültigkeit noch an der Werthaltigkeit der Forderungen bis zum Zeitpunkt des Auflösungsvertrags etwas. Selbst ein auf gesetzlichen Gründen beruhender Forderungsverzicht ist steuerlich zu erfassen. Dann kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Forderung zu einem späteren Zeitpunkt noch werthaltig oder einklagbar gewesen wäre.
4.5
Was die Beschwerdeführer gegen die Einstufung des Schuldenerlasses als steuerbares Einkommen einwenden, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen:
Unbehelflich ist vorab ihr Hinweis auf den durch das WEG-Finanzierungssystem auferlegten Verzicht auf eine angemessene Miete.
BGE 140 II 353 S. 360
Bei diesem Verzicht handelt es sich - wie bereits hervorgehoben (vgl. oben E. 4.1.3) - nicht um eine vom begünstigten Vermieter erbrachte Gegenleistung. Weiter ist festzuhalten, dass nicht erzielte Mietzinsen beim Beschwerdeführer auch nicht der Besteuerung unterlagen. Tritt später der Erlass der Grundverbilligungsvorschüsse an die Stelle der in den vergangenen 25 oder 30 Jahren nicht erzielten (und somit nicht versteuerten) Marktmieten, so liegt im Umfang dieser erlassenen Vorschüsse ein steuerlich relevanter Reinvermögenszugang vor.
Einkommenssteuerlich ebenso wenig von Bedeutung ist das Argument der Beschwerdeführer, dass die Entwertung des Gebäudes infolge Alter und Abnutzung zulasten des Vermieters gehe, wenn der Markt keine angemessenen Mieterträge zulasse, aus denen die notwendigen Erneuerungsinvestitionen finanziert werden können. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht nur bei WEG-finanzierten Grundstücken der Eigentümer die Folgen der allmählichen Abnutzung eines Gebäudes zu tragen hat. Die von den Beschwerdeführern als "Erneuerungsinvestitionen" bezeichneten Kosten sind je nachdem bei der Grundstückgewinnsteuer als wertvermehrende Kosten anrechenbar (Art. 12 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]) oder allenfalls sogar bei der Einkommenssteuer als Unterhaltskosten abziehbar (
Art. 32 Abs. 2 DBG
). Insofern wirken sich die getätigten Investitionen steuermindernd aus. Es wäre inkonsequent, Zuflüsse in Form von Einkünften unbesteuert zu lassen, wenn die Abflüsse in Form von Kosten steuerlich geltend gemacht werden können. Auf jeden Fall kann aus den genannten Kosten und Investitionen nicht hergeleitet werden, dass Einkünfte aus verfallenen Grundverbilligungsvorschüssen, die an die Stelle angemessener Mieterträge treten, steuerlich privilegiert behandelt werden müssten.
Die Beschwerdeführer machen ferner geltend, dass sie aus ihrer Liegenschaft in St. Gallen insgesamt keinen Reinvermögenszugang erfahren, sondern vielmehr einen Reinvermögensabfluss erlitten hätten, was sie mit einer Berechnung untermauern, die kalkulatorische Abschreibungen miteinbezieht. Abschreibungen (
Art. 28 DBG
) sind auf Privatliegenschaften indes nicht zulässig und gehören nur bei Geschäftsliegenschaften zu den abziehbaren Kosten (
Art. 27 Abs. 2 lit. a DBG
). Im Gegenzug wird bei einer Veräusserung von Privatgrundstücken lediglich der Wertzuwachs (Erlös, soweit er die Anlagekosten übersteigt) der Grundstückgewinnsteuer unterworfen (
Art. 12 Abs. 1 StHG
);
BGE 140 II 353 S. 361
ansonsten sind Kapitalgewinne auf Privatgrundstücken steuerfrei (
Art. 16 Abs. 3 DBG
;
Art. 7 Abs. 4 lit. b StHG
).
5.
5.1
Mit den allgemeinen Abzügen (
Art. 33 und
Art. 33a DBG
) wird tatsächlichen Aufwendungen, die der Steuerpflichtige erbracht hat, Rechnung getragen (vgl. RAINER ZIGERLIG, in: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Zweifel/Athanas [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 1 zu
Art. 33 DBG
). Steuerlich abziehbar sind somit effektiv bezahlte Schuldzinsen. Unbezahlte Schuldzinsen können nicht abgezogen werden (vgl. RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 91 f. zu
§ 50 StG
/ZH); siehe auch das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 26. April 2002, in: StE 2003 B 27.2 Nr. 26, Freiburger Zeitschrift für Rechtsprechung [FZR] 2002 185).
5.2
Bei der WEG-Finanzierung beginnt die Verzinsung von Anfang an mit Ausrichtung der ersten Grundverbilligungsvorschüsse zu laufen. Die Fälligkeit der Zinsen ist aber aufgeschoben; sie werden zu den Schulden geschlagen. Soweit die aufgelaufenen Schuldzinsen periodisch von den steuerbaren Einkünften abgezogen werden (was gemäss Rundschreiben der ESTV, a.a.O., S. 2 Ziff. I/1/b zulässig ist und hier von den Beschwerdeführern in ihren jeweiligen Steuererklärungen tatsächlich auch so gehandhabt wurde), ergibt sich daraus Zweierlei: Einerseits stellen die Schuldzinsen später bei der tatsächlichen Bezahlung nicht abziehbare Schuldrückzahlungen dar (vgl. u.a. RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 12 zu
§ 31 StG
/ZH) und können dann nicht nochmals einkommensmindernd in Abzug gebracht werden. Andererseits ist ein späterer Erlass von zuvor bereits steuerlich in Abzug gebrachten Schuldzinsen als ausserordentliches Einkommen zu erfassen. Ansonsten würden sich nicht (mehr) tatsächlich zu entrichtende Schuldzinsen, denen kein früherer, aktueller oder künftiger Vermögensabgang gegenübersteht, auf systemwidrige Weise steuermindernd auswirken.
5.3
Was die Beschwerdeführer gegen die Erfassung der erlassenen Schuldzinsen als steuerbares Einkommen vorbringen, vermag nicht durchzudringen:
Die Beschwerdeführer wollen namentlich aus
Art. 40 Abs. 2 lit. b WEG
ableiten, dass sämtliche Schuldzinsen bezahlt worden seien, weil ansonsten kein Erlass gewährt worden wäre. Aus dieser Bestimmung ergibt sich aber lediglich, dass als Voraussetzung für den Erlass der Restschuld aus der WEG-Finanzierung die
fälligen
Vorschüsse und die (fälligen) Zinsbetreffnisse (die jeweils zur Darlehensschuld
BGE 140 II 353 S. 362
hinzugeschlagen und erst später tatsächlich entrichtet werden), bezahlt sein müssen. Dass der Beschwerdeführer nicht sämtliche Zinsen bezahlt haben kann, ergibt sich daraus, dass insgesamt Zinsen von Fr. 1'385'800.45 aufgelaufen waren, der Beschwerdeführer aber insgesamt nur Zahlungen in der Höhe von Fr. 1'294'833.- leistete. In welchem Ausmass die Leistungen des Beschwerdeführers in der Rückzahlung von Vorschüssen und der Begleichung von Schuldzinsen bestanden, ist unerheblich, weil beide Vorgänge dieselben Einkommenssteuerfolgen haben.
Im Übrigen profitierten die Beschwerdeführer sogar von einem Zinsvorteil, als sie die Schuldzinsen teilweise vor vielen Jahren einkommenssteuerwirksam abziehen konnten, und diese Beträge erst im Zeitpunkt des Erlasses im Jahre 2009 versteuern müssen. Aus einer nachträglichen Perspektive könnte es sachgerechter gewesen sein, wenn die Zinsen steuerlich nie zum Abzug gebracht worden wären, womit deren Erlass im Jahre 2009 auch nicht steuerbar wäre. Für diesen Zinsvorteil erfolgt aber keine steuerliche Korrektur. Desgleichen wird die von den Beschwerdeführern gewünschte Diskontierung auf dem Barwert der bis zum 31. Oktober 2013 fälligen Amortisationen und Zinsen vom Grundsatz der Einkommensbesteuerung ausgeschlossen, wonach Reinvermögenszugänge stets im Nominalbetrag steuerbar sind. Das schweizerische Steuerrecht kennt keine zinsbereinigte Einkommenssteuer.
III. Kantons- und Gemeindesteuern
6.
Die für die Staatssteuer massgeblichen Gesetzesvorschriften (vgl. insb. die Generalklausel von
Art. 7 Abs. 1 Satz 1 StHG
und Art. 19 des Steuergesetzes des Kantons Appenzell A.Rh. vom 21. Mai 2000 [StG/AR; bGS 621.11]; für den Schuldzinsenabzug: siehe
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
und
Art. 35 Abs. 1 lit. a StG
/AR) stimmen mit denjenigen überein, die für die direkte Bundessteuer gelten. Somit ist für die Kantons- und Gemeindesteuern ebenfalls ein Einkommenszufluss in dem von der Veranlagungsbehörde erfassten und vom Obergericht bestätigten Betrag anzunehmen.
IV. Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung
7.
7.1
Ein Verstoss gegen das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung im Sinne von
Art. 127 Abs. 3 BV
liegt u.a. dann vor, wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung; vgl.
BGE 138 I 297
E. 3.1
BGE 140 II 353 S. 363
S. 300 f. m.w.H.). Die Beschwerdeführer machen geltend, das angefochtene Urteil habe eine solche virtuelle Doppelbesteuerung zur Folge, ordne die Vorinstanz doch den von ihr angenommenen Einkommenszufluss dem beweglichen Vermögen zu, weshalb er im Wohnsitzkanton Appenzell A.Rh. zu besteuern sei. Stattdessen machen die Beschwerdeführer geltend, wenn überhaupt Einkünfte erzielt worden seien, dann solche aus unbeweglichem Vermögen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts sind das Grundeigentum und sein Ertrag aber grundsätzlich dem Kanton der gelegenen Sache (hier St. Gallen) zur ausschliesslichen Besteuerung vorbehalten (vgl. u.a. das Urteil 2P.65/2006, vom 31. August 2006, in: RDAF 2006 II S. 518 E. 2.2).
7.2
Im Urteil 2C_44/2008 vom 28. Juli 2008 hat sich das Bundesgericht ausführlich mit den Steuerfolgen der WEG-Finanzierung und namentlich der Rückzahlung (mit Einschluss eines allfälligen Erlasses) von Grundverbilligungsvorschüssen auseinandergesetzt (vgl. dort E. 3.2). Es hat einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der betroffenen Liegenschaft und der zugesprochenen Finanzierung (inkl. deren Rückerstattung) angenommen. Daran ist festzuhalten, was hier dazu führt, dass der vom Beschwerdeführer im Jahr 2009 realisierte Einkommenszufluss seinem unbeweglichen Vermögen zuzuweisen ist (vgl. hinsichtlich der Zusatzverbilligungen LOCHER, a.a.O., N. 51 zu
Art. 21 DBG
; diesem folgend ROGER M. CADOSCH, DBG, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2008, N. 4 zu
Art. 21 DBG
; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 37 zu
§ 21 StG
/ZH). Die erlassenen Grundverbilligungsvorschüsse kompensieren die Mietzinsverluste, welche der Liegenschafteneigentümer infolge der Auflagen aus dem öffentlich-rechtlichen WEG-Vertrag erlitten hat und die ihm die vollständige Rückzahlung der Grundverbilligungsvorschüsse aus ökonomischen Gründen verunmöglichten (vgl. oben E. 4.1.1). Deshalb rechtfertigt es sich, den staatlichen Einkommensersatz (in Form eines Schulderlasses seitens der Gläubigerin; vgl. E. 4.3) interkantonal gleich zuzuteilen wie jene Einkünfte, an deren Stelle sie treten. Das Gleiche gilt für die erlassenen Zinsen.
7.3
Eine Besteuerungskompetenz des Kantons Appenzell A.Rh. hinsichtlich des hier massgeblichen Einkommenszuflusses scheidet somit aus:
7.3.1
Ein Finanzertrag kann hier schon deshalb nicht vorliegen, weil ein solcher ein Guthaben (vgl.
Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG
und
Art. 23 Abs. 1 lit. a StG
/AR, z.B. ein Aktivdarlehen) oder sonstiges
BGE 140 II 353 S. 364
bewegliches Vermögen (vgl. Art. 20 Abs. 1 Ingress DBG und Art. 23 Abs. 1 Ingress StG/AR) voraussetzt, auf dem ein Zins oder eine sonstige Rendite erzielt worden wäre.
7.3.2
Ebenso wenig handelt es sich um übriges Einkommen (im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 und
Art. 23 DBG
bzw.
Art. 19 Abs. 1 und
Art. 26 StG
/AR). Übrige Einkünfte sind nur dann dem Wohnsitzort zuzuordnen, wenn sie keinen Zusammenhang mit dem Vermögen des Steuerpflichtigen haben. Wie bereits dargelegt (vgl. oben E. 7.2) ist hier ein untrennbarer Zusammenhang zwischen den massgeblichen Einkünften und dem unbeweglichen Vermögen der Beschwerdeführer zu bejahen. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73ed2875-7b0c-4430-b2c8-b91b6af5bb38 | Urteilskopf
119 II 347
71. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. September 1993 i.S. B. c. N. (Berufung) | Regeste
Mietvertrag (
Art. 253 OR
).
Ist der Mietzins von den Parteien nicht hinreichend bestimmt worden und liegt erst eine grundsätzliche Einigung über die Entgeltlichkeit der Gebrauchsüberlassung vor, ist ein Mietvertrag noch nicht geschlossen. Nur für die Dauer der bereits erfolgten Benutzung kann der Richter das Entgelt festlegen. | Erwägungen
ab Seite 347
BGE 119 II 347 S. 347
Aus den Erwägungen:
5.
Obwohl eine längere Vertragsdauer auf unbestimmte Zeit beabsichtigt war, bestand ein Konsens über den Mietzins bloss für die ersten 6 Monate. Der Mietvertrag besteht über diese Anfangsphase hinaus nur dann weiter, wenn die Bestimmung der Mietsache und die grundsätzliche Einigung auf Entgeltlichkeit der Gebrauchsüberlassung als unentbehrliche Bestandteile (essentialia negotii) für das Zustandekommen des Mietvertrages genügen (OR-ZIHLMANN, N. 1 zu
Art. 253 OR
). Bei fehlender Einigung über die Höhe des Mietzinses ist der Vertrag, wenn diese Auffassung zutrifft, vom Richter nach Massgabe dessen, was die Parteien unter den gegebenen Umständen in guten Treuen vereinbart hätten, zu ergänzen (
BGE 100 II 330
f.). Daraus ergäbe sich die vorliegend nicht umstrittene Konsequenz, dass die Auflösung des Vertrages einer Kündigung bedurfte.
a) Indessen ist die Rechtslage eine andere. Als Folge fundierter Kritik von JEANPRÊTRE (JdT 123/1975 I S. 610 ff.) und MERZ (ZBJV 112/1976 S. 99 ff.), die beide die Bestimmung oder Bestimmbarkeit
BGE 119 II 347 S. 348
des Mietzinses als essentiell betrachten und die Geltung eines den speziellen Regelungen für den Arbeitsvertrag, den Werkvertrag und den Auftrag (Art. 322 Abs. 1,
Art. 374 und 394 Abs. 3 OR
) entsprechenden allgemeinen Rechtssatzes (
BGE 100 II 330
S. 331) verneinen, beschränkte das Bundesgericht in
BGE 108 II 112
E. 4 S. 113 f. die Aussage über die Möglichkeit richterlicher Vertragsergänzung auf den Tatbestand bereits erfolgter Nutzung. In einem nicht publizierten Urteil vom 17. Juni 1985 i.S. P., E. I.2 äusserte es sich dann unmissverständlich dahin, dass sich die Parteien über die Höhe des Mietzinses einigen müssten und sich
BGE 108 II 112
nur auf die bereits verflossene Gebrauchsdauer bezogen habe. Somit komme der Vertrag selbst bei grundsätzlicher Einigung auf entgeltliche Gebrauchsüberlassung und trotz begonnener Erfüllung nicht zustande und der Mieter habe keinen Anspruch auf weiteren Gebrauch der Mietsache. Daher wurde in jenem Fall das Ausweisungsbegehren des Vermieters geschützt und eine Erstreckung mangels eines Vertragsverhältnisses abgelehnt.
Von dieser Rechtsprechung wieder abzugehen besteht kein Anlass. Nach Ablauf der ersten Phase von 6 Monaten der Miete folgte keine zweite. Ob sie für die Zeit ab Februar 1992 einen Mietvertrag zu anderen Konditionen abschliessen wollten, konnten die Parteien frei entscheiden; sie müssen das Risiko eines Scheiterns der Vertragsverhandlungen auch dann tragen, wenn sie voreilig mit einer Einigung gerechnet und mit dem Vollzug begonnen haben. Fehlender Konsens lässt sich, wenn es um den Willen zur Begründung eines Vertragsverhältnisses überhaupt geht, auch nicht durch ein gerichtliches Urteil ersetzen. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73f0be24-92e9-456b-b9af-10be53e2d65e | Urteilskopf
140 III 496
74. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. et consorts contre D. et E. (recours en matière civile)
4A_31/2014 du 27 août 2014 | Regeste
Miete; gegen Treu und Glauben verstossende Kündigung (
Art. 271 Abs. 1 OR
).
Die Kündigung im Hinblick auf Umbau- oder Renovationsarbeiten ist missbräuchlich, wenn das Projekt des Vermieters mit den Bestimmungen des öffentlichen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, so dass die notwendigen Bewilligungen mit Sicherheit nicht erlangt werden können (E. 4.1 und 4.2.1).
Eine derartige Kündigung widerspricht ebenfalls Treu und Glauben, wenn das Projekt des Vermieters im Moment, in dem die Kündigung ausgesprochen und dem Mieter zur Kenntnis gebracht wird, nicht hinreichend fortgeschritten und ausgearbeitet ist, um das Ausmass der geplanten Arbeiten abschätzen zu können und so zu bestimmen, ob diese einen Wegzug des Mieters erfordern (E. 4.1 und 4.2.2). | Erwägungen
ab Seite 496
BGE 140 III 496 S. 496
Extrait des considérants:
4.
Invoquant la protection contre les congés abusifs, les recourants se plaignent essentiellement d'une violation de l'
art. 271 al. 1 CO
.
BGE 140 III 496 S. 497
4.1
Les parties au contrat sont libres de résilier un bail de durée indéterminée pour le prochain terme légal ou contractuel; un motif particulier n'est pas exigé (
art. 266a al. 1 CO
). Le congé est toutefois annulable lorsqu'il contrevient aux règles de la bonne foi (
art. 271 al. 1 CO
; cf. également
art. 271a CO
). Tel est le cas lorsqu'il ne répond à aucun intérêt objectif, sérieux et digne de protection et qu'il apparaît ainsi purement chicanier. Le seul fait que la résiliation entraîne des conséquences pénibles pour le locataire n'est pas suffisant; il faut une disproportion crasse entre l'intérêt du preneur au maintien du contrat et l'intérêt du bailleur à y mettre fin. En règle générale, l'absence d'intérêt digne de protection du bailleur est également admise lorsque la motivation du congé, demandée par le locataire, est lacunaire ou fausse. Pour juger de la validité de la résiliation, il faut se placer au moment où celle-ci a été notifiée (
ATF 138 III 59
consid. 2.1 p. 61 s. et les arrêts cités).
Dans un arrêt de principe rendu en 2008 (
ATF 135 III 112
), le Tribunal fédéral a jugé qu'une résiliation de bail en vue de vastes travaux d'assainissement de l'objet loué ne contrevient pas aux règles de la bonne foi. Il en va ainsi même si le locataire se dit prêt à rester dans l'appartement durant les travaux et à s'accommoder des inconvénients qui en résultent, car sa présence est propre à entraîner des complications, des coûts supplémentaires ou une prolongation de la durée des travaux. La résiliation est critiquable uniquement s'il apparaît que la présence du locataire ne compliquerait pas les travaux, ou seulement de manière insignifiante, par exemple en cas de réfection des peintures ou lors de travaux extérieurs tels qu'une rénovation de façade ou un agrandissement de balcon. Dans la cause ayant donné lieu à cet arrêt, le bailleur avait détaillé les travaux prévus dans une lettre jointe à l'avis de résiliation (arrêt précité point A et consid. 4.2 p. 119 s.).
Par ailleurs, le congé en vue de travaux de transformation ou de rénovation est abusif lorsque le projet du bailleur ne présente pas de réalité tangible ou qu'il apparaît objectivement impossible, notamment parce qu'il est de toute évidence incompatible avec les règles du droit public applicable et que le bailleur n'obtiendra ainsi pas les autorisations nécessaires; la preuve de l'impossibilité objective incombe au locataire. La validité du congé ne suppose pas que le bailleur ait déjà obtenu les autorisations nécessaires, ni même qu'il ait déposé les documents dont elles dépendent (arrêt 4A_210/2014 du
BGE 140 III 496 S. 498
17 juillet 2014 consid. 3.1 et les arrêts cités; cf. également
ATF 136 III 190
consid. 4 p. 194 s.).
4.2
4.2.1
Les recourants soutiennent que les congés sont abusifs au motif que les travaux projetés sont incompatibles avec le droit public, plus précisément avec la loi vaudoise du 4 mars 1985 concernant la démolition, la transformation et la rénovation de maisons d'habitation, ainsi que l'utilisation de logements à d'autres fins que l'habitation (LDTR/VD; RSV 840.15).
La LDTR/VD soumet à autorisation la transformation et la rénovation, totales ou partielles, de maisons d'habitation; par rénovation, elle entend tous travaux d'une certaine importance, apportant une plus-value à l'immeuble, à l'exclusion des travaux d'entretien courant (art. 1). En règle générale, l'autorisation est refusée lorsque l'immeuble en cause comprend des logements d'une catégorie où sévit la pénurie (art. 3). L'autorisation est accordée pour des motifs de sécurité, de salubrité ou d'intérêt général; elle peut l'être à titre exceptionnel si d'autres circonstances le commandent impérativement (art. 4 al. 1). Le règlement d'application du 6 mai 1988 (RLDTR/VD; RSV 840.15.1) précise, d'une part, que le propriétaire peut être dispensé de présenter une demande d'autorisation lorsque les travaux envisagés représentent un coût inférieur aux 20 % de la valeur à neuf de l'assurance-incendie de l'immeuble (art. 1 al. 2) et, d'autre part, que l'autorisation est accordée en particulier lorsque l'opération envisagée apparaît indispensable ou opportune sur le plan technique (art. 12 al. 1).
Les recourants sont d'avis que le RLDTR/VD est en partie (art. 12 al. 1) incompatible avec la LDTR/VD. Ils critiquent longuement la pratique, à leur sens trop large, de l'administration cantonale en la matière et entendent démontrer que le projet des intimés est totalement incompatible avec ce qu'ils estiment être une application correcte de la LDTR/VD. Ce faisant, ils oublient que l'enjeu ne se situe pas là. En effet, le point n'est pas de savoir si l'administration cantonale applique correctement la LDTR/VD ou si le RLDTR/VD se concilie avec la LDTR/VD, questions que le Tribunal fédéral ne pourrait au demeurant revoir que sous l'angle de l'arbitraire; il n'est pas non plus nécessaire de se demander si une législation cantonale aussi restrictive et absolue que l'entendent les locataires serait compatible avec le droit fédéral (cf.
ATF 113 Ia 126
consid. 7b/aa p. 134 ss).
BGE 140 III 496 S. 499
Dans la présente cause, il s'agit uniquement d'examiner si les congés, motivés par des travaux futurs, contreviennent aux règles de la bonne foi parce que, au moment où ils ont été donnés, l'autorisation, par l'administration cantonale, des travaux envisagés apparaissait de toute évidence exclue.
A cet égard, il faut souligner que la législation cantonale accorde un important pouvoir d'appréciation à l'administration pour autoriser des projets, pouvoir dont celle-ci fait largement usage selon ce que les locataires affirment eux-mêmes. En règle générale, il ne devrait donc guère être possible de prédire que l'administration, de toute évidence, refusera une autorisation au sens de la LDTR/VD. En l'espèce, les éléments apportés par les locataires, à qui le fardeau de la preuve incombe, ne sont en tout cas pas à même de démontrer que le projet de rénovation ici en cause est de toute évidence incompatible avec les règles de droit public applicables et que les bailleurs n'obtiendront assurément pas les autorisations nécessaires.
Sous cet angle, le grief tiré d'une violation de l'
art. 271 al. 1 CO
se révèle mal fondé.
4.2.2
Selon les recourants, les résiliations sont également abusives pour une autre raison; au moment où les congés ont été signifiés, les travaux projetés ne seraient pas encore arrivés à maturité et n'auraient pas présenté de réalité tangible.
Comme déjà relevé, la résiliation du bail motivée par des travaux futurs n'est pas contraire aux règles de la bonne foi lorsque la présence du locataire serait susceptible d'entraîner des complications, des coûts supplémentaires ou une prolongation de la durée des travaux. Savoir si tel est le cas dépend des travaux envisagés. La validité du congé suppose ainsi qu'au moment de la résiliation du bail, le bailleur dispose d'un projet suffisamment mûr et élaboré pour pouvoir constater concrètement que la présence du locataire entraverait les travaux. C'est pourquoi le Tribunal fédéral a déjà admis qu'un congé en vue d'une rénovation importante contrevient aux règles de la bonne foi lorsqu'il n'est pas possible d'apprécier l'importance des travaux envisagés et de déterminer si ceux-ci nécessitent que le bâtiment soit vidé de ses locataires (arrêts 4A_425/2009 du 11 novembre 2009 consid. 3.2.2; 4A_518/2010 du 16 décembre 2010 consid. 2.4.2). En outre, faute de renseignements suffisamment précis, le locataire n'est pas en mesure de se faire une idée sur la réalité des intentions du bailleur et sur la gêne que sa présence entraînerait pour l'exécution
BGE 140 III 496 S. 500
des travaux envisagés; or, il a le droit d'obtenir du bailleur une motivation qui lui permette d'apprécier ses chances de contester le congé avec succès et de décider en connaissance de cause, dans les trente jours suivant la réception de la résiliation (
art. 273 al. 1 CO
), s'il entend procéder (
art. 271 al. 2 CO
).
En l'espèce, la motivation donnée par les intimés et le gérant à l'époque de la notification des congés en mai 2010 est succincte et très générale: "rénovation, transformation, restructuration", respectivement "restructuration de l'étage". Sur cette base, les locataires ne pouvaient guère imaginer quels travaux précis les toucheraient individuellement.
La Cour d'appel civile a retenu que le gérant avait visité les immeubles en février 2010 et transmis les plans de l'état actuel à l'un des bailleurs, que des plans indiquant les murs à démolir avaient été établis en juin 2010, que le gérant avait rédigé en août 2010 un rapport établissant un diagnostic sommaire destiné à donner une première évaluation de l'état des immeubles et à faire une première estimation des coûts d'une remise en état avant de passer à des études plus approfondies, qu'un architecte avait établi en avril 2011 un rapport sur les travaux à exécuter et que la mise à l'enquête avait commencé le 3 août 2011. A l'exception de la visite des immeubles par le gérant en février 2010, toutes ces opérations sont postérieures à la résiliation des baux.
Il ne ressort ainsi pas des faits constatés par la cour cantonale qu'au moment où les congés ont été donnés, les bailleurs disposaient d'un projet un tant soit peu élaboré; rien ne permet même de retenir qu'il existait une simple ébauche des travaux futurs. Or, à elle seule, la ferme intention générale de transformer et rénover les immeubles ne saurait être considérée comme déterminante. Par conséquent, il y a lieu d'admettre que les congés du 19 mai 2010, à tout le moins prématurés, contreviennent aux règles de la bonne foi. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
73f860a8-bad6-4427-98c7-c06fcbdee314 | Urteilskopf
81 II 17
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Februar 1955 i.S. Heckmann gegen Kraushaar. | Regeste
Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen gegen einen Schweizerbürger mit ausländischem Wohnsitze zur Zeit der Schwängerung.
Prinzip des Heimatrechts nach
Art. 28 Ziff. 2 NAG
.
Ausgenommen ist nur der Fall, dass der Wohnsitzstaat das Wohnsitzrecht des Beklagten als anwendbar erklärt.
Das trifft nicht zu, wenn nach seiner Gesetzgebung das Heimatrecht der Mutter anwendbar ist, und zwar gleichgültig, ob dieses Recht im gegebenen Falle mit dem Wohnsitzrecht des Beklagten übereinstimmen würde. | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 81 II 17 S. 17
Aus dem Tatbestand:
A.-
Die heute 15-jährige Klägerin Lore Heckmann wurde am 3. Dezember 1939 ausserehelich von der deutschen Serviertochter Anna Heckmann in Stuttgart geboren. Als Vater bezeichnete diese den Beklagten Kraushaar, Schweizerbürger, der sich vom 1. Dezember 1938 bis 30. Januar 1940 in Stuttgart aufhielt. Mehr als zwölf Jahre nach der Geburt liess die durch eine deutsche Behörde vertretene Klägerin die vorliegende Vaterschaftsklage auf Leistung von Unterhaltsbeiträgen einreichen. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern wies die Klage ab, ebenso am 19. Oktober 1954 das Obergericht des Kantons Solothurn.
Es erklärte das schweizerische Recht und insbesondere den
BGE 81 II 17 S. 18
Art. 308 ZGB
für anwendbar. Denn einmal sei nicht erwiesen, dass der Beklagte zur Zeit, da die Mutter der Klägerin schwanger wurde, in Deutschland festen Wohnsitz gehabt habe. Somit könne er sich auf den nach
Art. 24 ZGB
damals noch fortdauernden frühern Wohnsitz in der Schweiz berufen, was zur Anwendung des schweizerischen Rechtes führe. Dieses wäre aber mit Rücksicht auf die schweizerische Staatsangehörigkeit des Beklagten auch dann anwendbar, wenn er im Frühjahr 1939 seinen Wohnsitz in Stuttgart gehabt haben sollte. Denn Schweizer im Ausland unterstünden nach
Art. 28 NAG
dem Heimatrecht, sofern die Gesetzgebung an ihrem ausländischen Wohnsitze nicht das Wohnsitzrecht angewendet wissen wolle. Art. 21 des EG zum deutschen BGB stelle aber für die Unterhaltspflicht des ausserehelichen Vaters nicht das Prinzip des Wohnsitzrechtes auf, sondern erkläre für massgebend die Gesetze des Staates, dem die Mutter zur Zeit der Geburt des Kindes angehört. Diese Regelung stehe der Anwendung des Heimatsrechtes des Beklagten nicht entgegen. Nach
Art. 308 ZGB
sei die Klage nun verwirkt. Gründe für eine Erstreckung der gesetzlichen Verwirkungsfrist im Sinne der Rechtsprechung seien keine dargetan.
B.-
Mit der vorliegenden rechtzeitig eingereichten Berufung hält die Klägerin an ihrem Klagebegehren fest.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Bei Anwendung des schweizerischen Rechts erweist sich die Klage in der Tat nach
Art. 308 ZGB
als verwirkt. Denn es liegen keine Gründe vor, die die Überschreitung dieser gesetzlichen Verwirkungsfrist zu rechtfertigen vermöchten. Indessen beruft sich die Klägerin nach wie vor auf das deutsche Recht, das eine solche Verwirkung der Vaterschaftsklage nicht kennt. Sie hält das deutsche Recht für anwendbar, weil der Beklagte entgegen der Ansicht des Obergerichts zur Zeit, da die Schwängerung erfolgte, in Deutschland Wohnsitz gehabt habe, und weil bei diesem Sachverhalt auch
Art. 28 NAG
nicht die Anwendung des
BGE 81 II 17 S. 19
schweizerischen Rechtes als des Heimatrechtes des Beklagten verlange. Vielmehr räume diese Vorschrift dem Recht des Wohnsitzstaates den Vortritt ein, wo es nach der dortigen Gesetzgebung zur Anwendung zu kommen habe. Das treffe aber hier zu, denn das nach Art. 21 des EG zum deutschen BGB anwendbare Heimatrecht der Mutter sei eben das deutsche, also das Recht des Staates, in dem der Beklagte zur Zeit der Schwängerung seinen Wohnsitz hatte. Wenn das Bundesgericht ausgesprochen habe, der Auslandschweizer unterstehe nach
Art. 28 NAG
dem Heimatrecht, "sofern der Wohnsitzstaat ihn nicht gerade dem Wohnsitzrecht unterwirft", so sei damit nicht gesagt, dass diese Unterwerfung unter das Recht des Wohnsitzstaates ausdrücklich durch die Anknüpfung an den Wohnsitz des Beklagten erforderlich und nicht auch auf dem Umweg über die Anknüpfung an das Recht der Heimat der Mutter und des Kindes möglich sei.
Diese Ansicht der Klägerschaft ist indessen nicht zutreffend. Vorausgesetzt auch, der Beklagte habe zur Zeit der Schwängerung in Deutschland seinen Wohnsitz gehabt, ist nach der dem
Art. 28 NAG
von der neuern Rechtsprechung gegebenen Auslegung das schweizerische Heimatrecht des Beklagten anwendbar. Bei Ausländern wird davon ausgegangen, die auf Alimente gehende Vaterschaftsklage unterstehe, weil familienrechtlicher Natur, dem Rechts des Wohnsitzes der Parteien. Die frühere Rechtsprechung zog hiebei den Wohnsitz "zur Zeit der Schwängerung bzw. Geburt" in Betracht und räumte die Möglichkeit verschiedener Auffassungen nur ein, wenn entweder der Wohnsitz des in Anspruch genommenen Schwängerers und derjenige der Geschwängerten, oder aber der Wohnsitz zur Zeit der Schwängerung und derjenige zur Zeit der Niederkunft auseinanderfielen (
BGE 41 II 424
). Später wurde speziell der Wohnsitz des Beklagten als massgebend bezeichnet (
BGE 45 II 507
Mitte), und zwar zur Zeit der Schwängerung (
BGE 51 I 106
), was ständige Praxis geworden ist (
BGE 77 II 113
). Gegenüber Schweizerbürgern ist
BGE 81 II 17 S. 20
die besondere Vorschrift von
Art. 28 NAG
zu beachten. Daraus ist bereits in
BGE 53 II 93
gefolgert worden, das Rechtsverhältnis der ausserehelichen Vaterschaft eines Schweizers, der im Zeitpunkt der Schwängerung seinen Wohnsitz im Ausland hatte, unterstehe dem Rechte der Heimat, wenn er nicht nach Massgabe der ausländischen Gesetzgebung dem ausländischen Recht (seines Wohnsitzes) unterworfen sei. Die neueste Rechtsprechung hat dies, der Entwicklung der Lehre des internationalen Privatrechts entsprechend, weiter ausgebaut. In
BGE 78 II 200
ff. wurde mit ausführlicher Begründung, unter Hinweis auf die (freilich nicht einmütige) moderne Literatur, dargelegt, dem für Auslandschweizer geltenden
Art. 28 NAG
sei eine auf Heimat oder Wohnsitz des Kindes oder der Mutter abstellende Ordnung fremd; wenn Ziff. 2 von der Unterwerfung des im Ausland wohnhaften (bzw. wohnhaft gewesenen) Schweizers unter das ausländische Recht spreche, so könne nur das materielle Recht des Wohnsitzstaates gemeint sein; Art. 28 Ziff. 2 wolle also das Heimatprinzip für Auslandschweizer lediglich vor einem im Wohnsitzstaate etwa geltenden Wohnsitzprinzip zurücktreten lassen; der Auslandschweizer unterstehe vor schweizerischen Gerichten nach
Art. 28 Ziff. 2 NAG
dem Heimatrecht, sofern der Wohnsitzstaat ihn nur nicht gerade dem Wohnsitzrecht unterwerfe.
Da Art. 21 des EG zum deutschen BGB nicht das Wohnsitzrecht des Beklagten als anwendbar erklärt, schliesst er somit die Anwendung des Heimatrechtes nach
Art. 28 Ziff. 2 NAG
nicht aus. Es verschlägt nichts, dass im vorliegenden Fall das in der erwähnten deutschen Bestimmung aufgestellte ganz andersartige Prinzip zur Anwendung des deutschen Rechts führen würde, das (zufällig) auch das Recht des Wohnsitzes des Beklagten zur Zeit der Schwängerung gewesen sein mag, wie nach dem Gesagten hier zunächst vorausgesetzt wird. Denn nach der erwähnten, vom Bundesgericht anerkannten Auslegung des
Art. 28 Ziff. 2 NAG
wäre nur auf eine das Wohnsitzrecht des
BGE 81 II 17 S. 21
Beklagten als solches anwendbar erklärende Norm der deutschen Gesetzgebung Rücksicht zu nehmen, wie das Obergericht zutreffend entschieden hat.
An der erwähnten Rechtsprechung ist festzuhalten. Gewiss ist der Wortlaut des
Art. 28 Ziff. 2 NAG
nicht eindeutig und hat denn auch schon zu verschiedenen Streitfragen Anlass gegeben. Für eine weitergehende Berücksichtigung der im Wohnsitzstaate geltenden Vorschriften spricht sich neuerdings RATHGEB aus (La loi applicable aux Suisses à l'étranger en vertu de l'art. 28 ch. 2 ..., in der Festschrift für Hans Lewald, Basel 1953, S. 359 ff.). Die von der Rechtsprechung anerkannte Auslegung ist jedoch durch den Wortlaut des Gesetzes ebenfalls gedeckt und verdient aus den in
BGE 78 II 200
ff. dargelegten Gründen den Vorzug. Zur Vorgeschichte des
Art. 28 NAG
ist dort auf S. 204/5 ebenfalls Stellung genommen. Zu Unrecht will RATHGEB (a.a.O. S. 362) entscheidend auf die Fassung eines Entwurfes abstellen und der Textänderung, wie sie dem geltenden Gesetze zugrunde liegt, keine Bedeutung beimessen.
Ist somit dem angefochtenen Urteil in der Frage des anwendbaren Rechtes beizutreten, und erweist sich die Klage nach
Art. 308 ZGB
als verwirkt, so kann die Berufung nicht geschützt werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Solothurn vom 19. Oktober 1954 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
73ffe785-f6d4-491b-9063-2ec0f528cb52 | Urteilskopf
121 III 109
27. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 14 mars 1995 dans la cause W. contre Banque X. (recours en réforme) | Regeste
Art. 466 ff. OR
; Widerruf einer Anweisung.
Bereicherungsklage des Angewiesenen gegen den Anweisungsempfänger: anwendbares Recht (E. 2).
Das Widerrufsrecht kann der Anweisende selbst dann ausüben, wenn die Voraussetzungen für einen Widerruf der Anweisung gegenüber dem Anweisungsempfänger nicht erfüllt sind (E. 3).
Folgen für den gutgläubigen Anweisungsempfänger, wenn der Angewiesene einen Widerruf der Anweisung missachtet. Ansprüche des Angewiesenen gegen den Anweisenden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 121 III 109 S. 110
A.-
A., domicilié à Nicosie (Chypre), est titulaire d'un compte auprès de la Banque X., à Genève. Le 4 juillet 1989, il a émis un ordre de paiement écrit, portant sur les sommes de 14'000 US$ et de 30'000 fr., en faveur de W., domicilié à Genève, et destiné à la Banque X.; il a remis ledit ordre à son bénéficiaire.
Dans le courant de l'été 1989, W. s'est présenté aux guichets de la Banque X. en vue d'obtenir l'exécution de l'ordre de paiement. Il s'est vu opposer un refus motivé par l'insuffisance des fonds déposés sur le compte du donneur d'ordre.
Par télex du 16 octobre 1989, A. a révoqué l'ordre de paiement. Il n'est pas établi que W. ait eu connaissance de cette révocation, laquelle n'a pas été enregistrée dans le système informatique de la Banque X. en raison d'une erreur commise par un employé de celle-ci.
Le 7 mars 1990, W. s'est rendu à nouveau à la Banque X. A l'époque, le compte de A. était suffisamment provisionné. Aussi W. a-t-il pu obtenir le versement des deux sommes susmentionnées sur la base de l'ordre de paiement du 4 juillet 1989.
Le lendemain, A. a contesté la validité de cette opération, en se prévalant de la révocation antérieure de l'ordre de paiement. Admettant la réclamation de son client, la Banque X. a crédité le compte de l'intéressé, le 15 mars 1990, des deux sommes dont elle l'avait débité. Elle s'est ensuite retournée contre W. et lui a demandé la restitution de celles-ci. W. n'a pas obtempéré.
B.-
Le 11 février 1991, la Banque X. a ouvert une action en enrichissement illégitime contre W. aux fins d'obtenir le remboursement des 30'000 fr. et des 14'000 US$ qu'elle lui avait versés par erreur. Le défendeur a conclu au rejet de la demande.
Par jugement du 28 octobre 1993, le Tribunal de première instance du canton de Genève a condamné le défendeur à payer à la demanderesse la somme de
BGE 121 III 109 S. 111
30'000 fr. ainsi que le montant de 21'350 fr. représentant la contre-valeur des 14'000 US$, le tout avec intérêts.
Statuant le 24 juin 1994, sur appel du défendeur, la Cour de justice du canton de Genève a confirmé, pour l'essentiel, le jugement de première instance. Elle l'a cependant formellement annulé pour prononcer une condamnation en dollars, conformément à la conclusion topique prise par la demanderesse, et a en outre modifié le point de départ des intérêts moratoires, tel que l'avait fixé le premier juge.
C.-
Par la voie du recours en réforme, le défendeur, qui a également déposé un recours de droit public, invite le Tribunal fédéral à annuler l'arrêt de la Cour de justice et à débouter la demanderesse de toutes ses conclusions.
La demanderesse conclut au rejet du recours en réforme et à la confirmation de l'arrêt entrepris.
Traitant en priorité le recours en réforme, le Tribunal fédéral l'admet, annule l'arrêt attaqué et rejette la demande de la Banque X.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'ordre de paiement émis le 4 juillet 1989 par le client de la demanderesse en faveur du défendeur constituait, en droit, une assignation, à savoir un acte juridique par lequel l'assignant autorise l'assigné à remettre à l'assignataire une somme d'argent, entre autres choses, que l'assignataire est autorisé par le même assignant à recevoir chez l'assigné (ENGEL, Contrats de droit suisse, p. 534). Le point n'est pas litigieux. Que l'assignant ait été domicilié à l'étranger lorsqu'il a émis l'ordre en question importe peu au regard du droit international privé. Sans doute le fait que les parties à la présente procédure ont toutes deux leur domicile en Suisse n'est-il pas non plus décisif, s'agissant de déterminer le droit applicable, puisque, aux termes de l'
art. 128 al. 1 LDIP
(RS 291), les prétentions pour cause d'enrichissement illégitime sont régies par le droit qui régit le rapport juridique, existant ou supposé, en vertu duquel l'enrichissement s'est produit. Cependant, en matière d'assignation, la prestation caractéristique, au sens de l'
art. 117 LDIP
, est celle de l'assigné (KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, IPRG Kommentar, n. 67 ad art. 117), si bien que la loi de l'Etat dans lequel l'assigné a sa résidence habituelle ou son établissement s'applique à ses relations avec l'assignant et l'assignataire (
ATF 100 II 200
consid. 5b et les références). Or, l'établissement de la demanderesse et assignée se trouve en Suisse (cf.
BGE 121 III 109 S. 112
art. 21 al. 3 LDIP
). Ainsi, le problème litigieux doit être examiné à la lumière du droit suisse, plus précisément de l'
art. 63 al. 1 CO
en liaison avec les
art. 466 ss CO
. Les parties ne remettent d'ailleurs pas en cause l'applicabilité de ce droit à la présente contestation.
3.
Le défendeur conteste la validité de la révocation. Il invoque, à ce sujet, une violation de l'
art. 468 al. 1 CO
et soutient que l'assignée, une fois exécuté l'ordre de paiement, ne pouvait plus lui opposer des exceptions dérivant de ses relations avec l'assignant. Ce premier moyen ne résiste pas à l'examen.
a) L'
art. 470 al. 2 CO
permet à l'assignant de révoquer l'assignation, à l'égard de l'assigné, tant que celui-ci n'a pas notifié son acceptation à l'assignataire. Ce droit de révocation peut être exercé par l'assignant même dans l'hypothèse où les conditions d'une révocation de l'assignation à l'égard de l'assignataire (
art. 470 al. 1 CO
) ne sont pas remplies (TERCIER, Les contrats spéciaux, 2e éd., n. 4595; OR-TH. KOLLER, n. 5 ad art. 470). L'acceptation de l'assigné, au sens de l'
art. 470 al. 2 CO
, est une manifestation de volonté adressée à l'assignataire; elle n'a pas besoin de revêtir une forme spéciale et peut résulter d'actes concluants (TERCIER, op.cit., n. 4598; OR-TH. KOLLER, n. 5 ad art. 468 et les arrêts cités). L'acceptation a pour effet de créer une dette nouvelle, qualifiée d'"abstraite" et fondée sur le rapport d'assignation ou de prestation (Leistungsverhältnis) liant directement l'assigné et l'assignataire. Dans ce cas, l'assigné ne peut plus opposer à l'assignataire les exceptions dérivant des rapports de provision (Deckungsverhältnis) ou de valeur (Valutaverhältnis), conformément à l'
art. 468 al. 1 CO
(TERCIER, op.cit., n. 4599 et 4600; OR-TH. KOLLER, n. 5 et 6 ad art. 470).
b) En l'occurrence, il ressort des constatations de fait souveraines de la cour cantonale que la demanderesse n'a pas fait connaître à l'assignataire son acceptation avant de le payer. Il y a donc eu ici concomitance entre l'acceptation de l'assignation et son exécution, autrement dit acceptation de l'assignation par l'acte concluant consistant dans le paiement de la somme d'argent qui en formait l'objet (cf. l'
ATF 105 II 104
consid. 3d). Ce paiement a été opéré le 7 mars 1990, soit postérieurement à la révocation de l'assignation qui était intervenue le 16 octobre 1989. On objecterait en vain que la demanderesse avait signifié au défendeur son acceptation de l'assignation dans le courant de l'été 1989 déjà, du fait qu'elle s'était uniquement prévalue, à cette époque, de l'insuffisance des fonds déposés
BGE 121 III 109 S. 113
sur le compte de l'assignant pour refuser de payer l'assignataire. En effet, le refus de l'assignée ainsi motivé ne pourrait être regardé, dans le meilleur des cas, que comme une acceptation de l'assignation sous condition suspensive. Or, il n'est nullement établi que la demanderesse ait fait connaître au défendeur la réalisation de cette condition - c'est-à-dire le dépôt par l'assignant d'une provision suffisante - avant la date de la révocation, ni d'ailleurs que la couverture nécessaire ait été déposée sur le compte de l'assignant antérieurement à cette date-là. Ainsi, même dans l'hypothèse d'une acceptation conditionnelle, la manifestation de volonté de l'assignée n'a pu produire d'effets qu'après la révocation de l'assignation (cf., par analogie, l'
art. 151 al. 2 CO
). En concluant à la validité de la révocation, la Cour de justice n'a donc nullement violé le droit fédéral.
4.
A la suite d'une erreur de l'un de ses employés, la demanderesse a payé le défendeur, nonobstant la révocation antérieure de l'assignation. Les juges précédents lui ont reconnu le droit d'agir directement contre le bénéficiaire de la prestation, au titre de l'enrichissement illégitime. Le défendeur lui dénie, au contraire, un tel droit. Il convient donc d'examiner plus avant quels sont, à l'égard de l'assignataire, les effets de l'inobservation par l'assigné d'une révocation de l'assignation. Cette question n'a apparemment pas été approfondie par la jurisprudence et la doctrine suisses, comme le souligne la cour cantonale. En revanche, elle a retenu l'attention des tribunaux et des auteurs allemands.
a) Dans les attributions indirectes, chacune des deux relations causales sur lesquelles se fonde la prestation peut être entachée d'un vice. Le droit de répétition naît donc pour ou contre chacune des personnes entre lesquelles s'est opérée l'attribution viciée parce que sans cause (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, vol. I, p. 477). Partant de cette prémisse, le Tribunal fédéral, dans sa jurisprudence la plus récente en matière d'assignation, a exclu, en principe, la possibilité d'une action directe de l'assigné pour enrichissement illégitime de l'assignataire en cas de vices affectant le rapport de couverture, le rapport de valeur ou les deux rapports à la fois (
ATF 117 II 405
consid. 3a,
ATF 116 II 689
consid. 3b/aa). Dans le dernier arrêt en date, il a cependant réservé le droit de l'assigné de rechercher directement l'assignataire lorsque l'attribution faite par le premier au second est viciée en soi. A titre d'exemples d'une telle situation exceptionnelle, ledit arrêt cite le cas où l'attribution de l'assigné procède d'une méconnaissance des instructions de l'assignant, voire celui
BGE 121 III 109 S. 114
dans lequel elle a été subordonnée à la validité du rapport de provision, du rapport de valeur ou de l'un et l'autre (
ATF 117 II 405
consid. 3b p. 408 avec une référence à l'
ATF 92 II 335
au sujet de l'assignation "causale"). La doctrine allemande évoque, de son côté, les cas suivants: prestation effectuée à double par l'assigné, attribution d'un montant plus élevé que celui sur lequel portait l'assignation, versement opéré au bénéfice d'une autre personne que l'assignataire, falsification de l'assignation, etc. (cf., parmi d'autres: VON TUHR/PETER, op.cit., p. 478, note 27a; LARENZ/CANARIS, Lehrbuch des Schuldrechts, II/2, 13e éd., p. 227; LIEB, in Münchener Kommentar, n. 74 ad § 812 BGB; STAUDINGER/LORENZ, n. 51 ad § 812 BGB; ESSER/WEYERS, Schuldrecht, Bd II, Bes. Teil, 7e éd., p. 441; SOERGEL/MÜHL, n. 64 ss ad § 812 BGB). Elle avance, au premier chef, le besoin de protection de l'assignant, qui a effectué une attribution indirecte à son corps défendant, pour justifier le refus de l'exposer, dans ce genre de cas, à une action en enrichissement illégitime de l'assigné et renvoyer celui-ci à agir contre l'attributaire, à ses risques et périls (voir, par ex., LARENZ/CANARIS, ibid., et VON TUHR/PETER, ibid.).
Une partie de la doctrine allemande suggère de traiter de la même manière le cas de la révocation d'une assignation existante et celui du défaut d'assignation, ce qui l'amène à reconnaître inconditionnellement à l'assigné le droit de réclamer directement à l'assignataire le remboursement de ce qu'il lui a versé dans l'ignorance de la révocation de l'assignation (cf. notamment, LIEB, op.cit., n. 70a ad § 812 BGB; STAUDINGER/LORENZ, ibid.). Le Bundesgerichtshof s'en distance (BGHZ 89, p. 376 ss; 87, p. 246 ss et p. 393 ss; 61, p. 289 ss), approuvé en cela par une majorité d'auteurs (LARENZ/CANARIS, op.cit., p. 230 ss; ESSER/WEYERS, op.cit., p. 441/442; SOERGEL/MÜHL, n. 78 ad § 812 BGB; pour d'autres références, cf. BGHZ 89, p. 379, consid. 3). Dans une jurisprudence constante, il n'admet la possibilité d'une action en enrichissement illégitime de l'assigné contre l'assignataire que si ce dernier connaissait la révocation de l'assignation au moment où l'assigné l'avait payé. Cette jurisprudence, fondée sur la connaissance de la révocation, découle, en substance, des considérations suivantes: lorsque l'assigné paie l'assignataire, en dépit de la révocation antérieure de l'assignation, il le fait uniquement pour le compte de l'assignant. Examinée du point de vue de l'attributaire, qui revêt une importance capitale, la prestation de l'assigné est interprétée de la même manière, c'est-à-dire comme une attribution faite à l'assignant et dont la cause réside dans le rapport de couverture. Or, l'assignataire n'a pas à se soucier des vices afférents à
BGE 121 III 109 S. 115
un tel rapport, lesquels doivent être corrigés dans ce cadre-là. Il en va de l'intérêt du public à la bonne marche du trafic des paiements sans numéraire. Ainsi, de même que la banque qui s'exécute sans égard au fait que le compte de son client n'est pas suffisamment provisionné, celle qui le fait sans prêter garde à la révocation d'une assignation ne saurait se retourner ensuite contre l'assignataire qui n'a pas été informé de la révocation avant de recevoir la prestation. En revanche, l'attributaire qui en a été avisé en temps utile sait que l'assigné, en le payant sur la base d'une assignation révoquée, passe outre à l'interdiction de payer qui lui a été signifiée par l'assignant; autrement dit, il ne peut plus considérer de bonne foi le paiement qu'il reçoit comme une attribution de l'assignant. Au demeurant, ce dernier a un intérêt digne de protection à voir respectée sa volonté de ne plus consentir à l'exécution d'une assignation qu'il a valablement révoquée. Il est donc normal que l'assigné qui ne se plie pas à cette volonté en supporte seul les conséquences lorsque l'assignant a porté la révocation à la connaissance de l'assignataire et a ainsi fait tout son possible pour éviter que l'attribution indirecte ne soit effectuée contre sa volonté. Aussi se justifie-t-il, en pareille hypothèse, de contraindre l'assigné à s'en prendre directement à l'assignataire, que celui-ci ait eu ou non une créance dérivant du rapport de valeur à l'égard de l'assignant; la raison en est que, dans une telle situation, l'attributaire de la prestation, qui sait qu'elle est le fruit d'une erreur de l'assigné, ne doit pas pouvoir en tirer un quelconque avantage. S'agissant du fardeau de la preuve, comme la bonne foi est présumée, il appartient à celui qui allègue la mauvaise foi de l'assignataire d'en rapporter la preuve: à l'assignant donc, s'il est recherché directement par l'assigné (cf. BGHZ 87, p. 399 ss consid. 3); à l'assigné, s'il ouvre action contre l'assignataire. Ces principes jurisprudentiels, on l'a déjà relevé, sont approuvés par la doctrine dominante, avec ici ou là des réserves quant aux motifs juridiques qui les sous-tendent. Les tenants de celle-ci avancent généralement, à l'appui de cette solution, la nécessité de protéger l'assignataire qui s'est fié de bonne foi à l'apparence d'une assignation valable; ils mettent aussi en évidence, en ce qui concerne l'assignant, le fait, d'une part, qu'il a lui-même mis en branle le processus de paiement en invitant l'assigné à payer le tiers - ce qui n'est pas le cas lorsque l'assigné s'exécute en l'absence de toute assignation - et, d'autre part, qu'il a négligé d'aviser l'assignataire de la révocation de l'assignation à l'égard de l'assigné (voir, par ex., LARENZ/CANARIS, op.cit., p. 230/231,
BGE 121 III 109 S. 116
qui proposent toutefois d'assimiler la "fahrlässige Unkenntnis" à la "positive Kenntnis" de la révocation). Quant aux différentes actions visant à rétablir le statu quo ante lorsqu'une assignation a été exécutée en dépit de sa révocation, elles varient suivant que l'assignataire connaissait ou ignorait la révocation au moment où il avait accepté la prestation: dans la première hypothèse, l'assigné peut exiger de l'assignataire le remboursement de la somme qu'il lui a versée et le bénéficiaire de la prestation doit alors faire valoir contre l'assignant, comme s'il n'y avait pas eu d'assignation, son éventuelle créance dérivant du rapport de valeur. Dans la seconde hypothèse, si le paiement de l'assigné a éteint une dette de l'assignant envers l'assignataire, l'assigné peut agir contre l'assignant, qui s'est enrichi par ce paiement (diminution du passif) nonobstant la révocation de l'assignation, ce qui entraînera concrètement la validation du débit du compte de l'assignant auprès de l'assigné ou, à défaut de provision, l'obligation pour le premier de restituer au second une somme correspondant au paiement fait à l'assignataire (Rückgriffskondiktion). A l'inverse, si l'assignant n'était pas débiteur de l'assignataire, celui-ci aura seul été enrichi par la prestation de l'assigné; ce dernier devra donc contre-passer l'écriture, s'il a débité le compte de l'assignant, et il ne pourra pas exiger d'être remboursé par lui, s'il s'est exécuté sans être provisionné, sa prétention se limitant en définitive à la cession de la créance en enrichissement illégitime de l'assignant à l'encontre de l'assignataire (Kondiktion der Kondiktion ou Doppelkondiktion; cf., parmi d'autres: LARENZ/CANARIS, op.cit., p. 232/233; SOERGEL/MÜHL, n. 78 ad § 812 BGB), avec tous les inconvénients inhérents à la cession de créance (cf. TEVINI DU PASQUIER, Le crédit documentaire en droit suisse, thèse Genève 1990, p. 119).
Etant donné l'étroite parenté existant entre le droit allemand et le droit suisse relativement au problème de l'assignation, rien ne s'oppose à ce que l'on applique en Suisse, mutatis mutandis, les principes susmentionnés pour régler la question de la révocation de l'assignation. Aussi bien, la jurisprudence allemande concrétise, en cette matière, à côté de la règle spécifique voulant que la restitution s'opère normalement entre les participants à l'une des relations causales initiales (rapport de valeur et rapport de couverture), le principe général de la protection du tiers de bonne foi. Or, la première a également été posée par le Tribunal fédéral dans les arrêts précités (
ATF 117 II 405
consid. 3a,
ATF 116 II 689
consid. 3b/aa) et le second est à l'origine d'une abondante jurisprudence, notamment dans le domaine de la représentation (cf. l'
ATF 120 II 197
avec
BGE 121 III 109 S. 117
de nombreuses références). Ce sont là deux bonnes raisons qui militent en faveur de l'adoption en Suisse de principes déjà fermement établis outre-Rhin, quitte à les préciser ou à les modifier au besoin.
b) En l'espèce, selon les constatations de fait souveraines de la cour cantonale, l'ordre de paiement a été remis à son bénéficiaire par l'assignant. Il est ainsi établi que l'assignataire a eu connaissance de l'assignation. En revanche, il n'est pas prouvé qu'il ait eu connaissance de la révocation de l'assignation avant d'avoir été payé par l'assignée. Par conséquent, en vertu des principes qui ont été développés plus haut tant sur le fond qu'en ce qui concerne le fardeau de la preuve, la demanderesse, en sa qualité d'assignée, n'avait pas qualité pour ouvrir action contre l'assignataire. Que le défendeur ait eu ou non une créance envers l'assignant n'y change rien, quoi qu'en disent les juges précédents, en s'appuyant d'ailleurs sur un auteur qu'ils citent à mauvais escient. En effet, si l'assignation qu'elle avait acceptée n'avait pas été révoquée, l'assignée n'eût pas été fondée à refuser de payer l'assignataire pour un motif tiré du rapport de valeur (
art. 468 al. 1 CO
; cf. consid. 3a ci-dessus); la logique implique donc qu'elle ne puisse pas soutenir que l'assignant n'est pas débiteur de l'assignataire pour justifier l'ouverture d'une action en enrichissement illégitime contre ce dernier. Il suit de là que tous les arguments développés par le défendeur, dans son recours de droit public, au sujet de la constatation de la Cour de justice selon laquelle il n'aurait pas disposé d'une créance à l'égard de l'assignant à la date du paiement sont dénués de pertinence et n'ont aucune incidence sur le sort du présent litige.
Cela étant, il apparaît, au terme de cet examen de la cause, que la Cour de justice a violé le droit fédéral en faisant droit aux conclusions prises par la banque assignée à l'encontre du défendeur. Aussi convient-il d'admettre le recours en réforme, d'annuler l'arrêt attaqué et de rejeter l'action de la demanderesse. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7408b768-5c82-40ce-a20b-f7d26929a536 | Urteilskopf
118 II 333
66. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 11 juin 1992 dans la cause N. assurances contre B. (recours en réforme) | Regeste
Art. 4 und
Art. 6 VVG
. Versicherungsvertrag gegen Unfall: Verletzung der Anzeigepflicht, Rücktritt vom Vertrag.
1. Der Antragsteller verletzt die Anzeigepflicht, wenn er die ihm gestellten Fragen, ob er gegen Unfall versichert sei oder bereits einmal gewesen war und ob ein Antrag für eine Unfallversicherung einer andern Gesellschaft unterbreitet worden sei, verneint, obwohl er vor kurzem Unfallversicherungen bei dritten Gesellschaften abgeschlossen und beantragt hatte. Zusammenfassung der Grundsätze hinsichtlich der Verletzung der Anzeigepflicht (E. 2).
2. Innert nützlicher Frist handelt der Versicherer, der eine Verletzung der Anzeigepflicht vermutet, wenn er versucht, genaue Angaben zu erhalten und vom Vertrag zurücktritt, sobald er sie bekommen hat: Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die Frist von vier Wochen des
Art. 6 VVG
erst dann zu laufen beginnt, wenn der Versicherer vollständig über alle Punkte, welche die Verletzung der Anzeigepflicht betreffen, orientiert ist (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 334
BGE 118 II 333 S. 334
A.-
a) Selon deux polices datées du 13 janvier 1987, B. a contracté avec la compagnie N. R., pour une période allant du 1er novembre 1986 au 31 décembre 1989, une assurance contre les accidents ainsi qu'une assurance collective complémentaire contre les accidents, au sens de la loi fédérale sur l'assurance-accidents (LAA). Le 27 février 1987, il a proposé en outre une assurance individuelle contre les accidents à la compagnie G. Selon la police établie le 5 mai 1987, la période d'assurance était fixée du 27 février 1987 au 1er mars 1992; l'assurance devait couvrir les risques de décès et d'invalidité.
Le 13 mars 1987 enfin, B. a signé une proposition de la N. assurances pour une assurance individuelle contre les accidents professionnels et non professionnels. Cette assurance a été convenue pour une première période du 14 mars 1987 au 1er mars 1992. Moyennant une prime annuelle de 2'060 francs, les risques de décès et d'invalidité étaient assurés à concurrence de 200'000 francs dans chaque cas, et la compagnie s'engageait à payer une indemnité journalière, en cas d'incapacité de travail, de 450 francs dès le quinzième jour, pendant 730 jours au plus. B. avait pris l'initiative et requis lui-même l'indemnité journalière de 450 francs. Il a répondu négativement aux questions de savoir s'il était ou avait déjà été assuré contre les accidents (l'assurance LAA devant aussi être indiquée) et si une proposition pour une assurance contre les accidents était alors soumise à une autre compagnie. L'agente contactée, qui a établi la proposition, ignorait les polices et propositions antérieures et s'est étonnée que le client ne fût point encore assuré contre les accidents.
b) Le 26 avril 1987, B. a fait une chute à ski, subissant notamment une fracture de l'apophyse épineuse de la seconde vertèbre cervicale. Vu son incapacité de travail entre le 27 avril 1987 et le 29 mai 1988,
BGE 118 II 333 S. 335
la N. assurances lui a versé des indemnités journalières pour une somme de 168'525 francs.
c) Dans un rapport du 5 avril 1988, J., inspecteur de la N. assurances, s'est référé à un entretien qu'il venait d'avoir avec F., également employé de cette compagnie, au sujet de B. Après l'accident, F. avait suivi, à titre amical, des problèmes d'assurance avec la compagnie G. et la N. R. Il ne s'était cependant jamais occupé du dossier de B. auprès de son employeur. Il estimait que B. se remettait difficilement des suites de son accident, mais ne cherchait pas à "tricher", encore qu'il lui parût assuré "de façon farfelue".
Le rapport de J. est parvenu aux organes de la N. assurances quelques jours plus tard et a déclenché des investigations pour savoir si B. était déjà assuré pour des indemnités journalières lorsqu'il avait répondu au questionnaire de la proposition. Il fallait donc connaître la date des autres propositions et polices, ainsi que les conditions contractuelles.
Soupçonnant une réticence, la N. assurances s'est enquise par écrit, le 2 août 1988 et après divers entretiens, auprès des deux autres compagnies, qui lui répondirent l'une le 5, l'autre le 18 août. Alléguant avoir connu la réticence le 28 juillet 1988, l'assureur s'est départi du contrat le 19 août et a réclamé la restitution des indemnités journalières payées, à savoir une somme de 168'525 francs. B. a refusé, niant la réticence et invoquant en outre la tardiveté de la résolution du contrat.
d) La N. assurances a ouvert action devant le Tribunal de première instance du canton de Genève en remboursement des montants qu'elle avait versés, demandant aussi au Tribunal de constater, outre la légitimité de la résolution, que les primes versées lui restaient acquises.
Le défendeur a conclu au déboutement.
Le 3 septembre 1990, le tribunal a admis le mérite de la demande.
B.-
Statuant sur appel, la Deuxième Chambre de la Cour de justice civile a rejeté l'action, le 11 octobre 1991.
C.-
La N. assurances a recouru en réforme au Tribunal fédéral. Elle le requérait de lui allouer les conclusions qu'elle avait prises dans les instances cantonales.
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'intimé a répondu par la négative à la question 13a et b de la proposition: "êtes-vous ou avez-vous déjà été assuré contre les
BGE 118 II 333 S. 336
accidents (l'assurance LAA doit aussi être indiquée)? Une proposition pour une assurance accidents est-elle en ce moment soumise à une autre compagnie?" Or, c'était faux. A l'instar du premier juge, la Cour de justice a estimé qu'il y avait eu là réticence.
a) Si celui qui devait faire la déclaration a, lors de la conclusion du contrat, omis de déclarer ou inexactement déclaré un fait important qu'il connaissait ou devait connaître (réticence), l'assureur n'est pas lié par le contrat, à condition qu'il s'en soit départi dans les quatre semaines à partir du moment où il a eu connaissance de la réticence (
art. 6 LCA
). Le proposant doit déclarer par écrit à l'assureur suivant un questionnaire ou en réponse à toutes autres questions écrites tous les faits qui sont importants pour l'appréciation du risque tels qu'ils lui sont ou doivent être connus lors de la conclusion du contrat; sont important tous les faits de nature à influer sur la détermination de l'assureur de conclure le contrat ou de le conclure aux conditions convenues; sont réputés importants les faits au sujet desquels l'assureur a posé par écrit des questions précises, non équivoques (
art. 4 LCA
). Cette dernière présomption tend à faciliter la preuve de l'importance d'un fait pour la conclusion du contrat aux conditions prévues, en renversant le fardeau de la preuve (
ATF 75 II 163
consid. 3; ROELLI/KELLER, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908, I, 2e éd., p. 99/100). Les faits en question sont tous les éléments qui doivent être considérés lors de l'appréciation du risque et qui peuvent éclairer l'assureur, à savoir toutes les circonstances permettant de conclure à l'existence de facteurs de risque (
ATF 116 II 339
consid. 1a,
ATF 116 V 226
consid. 5a et les arrêts cités). Or les personnes surassurées ont tendance à se montrer moins prudentes, leur avenir économique leur paraissant protégé plus que de besoin. Aussi est-il admis en doctrine et en jurisprudence que l'existence d'autres contrats d'assurances pour le même risque est propre à influer sur la volonté de l'assureur de s'engager ou de le faire à telles conditions (
ATF 55 II 58
et les arrêts cités; ROELLI/KELLER, op.cit., p. 101/102, et les décisions citées, dont RBA VI p. 80 No 53; la question du fardeau de la preuve ne se pose donc pas - cf. SJ 1986 p. 559).
Selon l'arrêt entrepris, les questions posées portaient sur un élément important. Les objections de l'intimé tombent à faux. Peu importe que l'agente de la recourante se soit étonnée du montant de l'indemnité journalière demandée, ou que la succursale de Sion eût dû, sur ce point, en référer à la direction pour la Suisse romande, ou encore que les agents payés à la commission aient tendance à aboutir
BGE 118 II 333 S. 337
à tout prix sans se préoccuper d'une éventuelle surassurance. C'est d'ailleurs l'intimé qui a pris l'initiative de la proposition et des indemnités. Il n'a pas établi en procédure que la recourante aurait admis sa proposition, et aux mêmes conditions, s'il l'avait renseignée correctement.
b) Selon la jurisprudence (
ATF 116 II 340
/341 consid. 1c et les arrêts cités), il résulte clairement du texte des
art. 4 et 6 LCA
qu'il ne faut adopter ni un critère purement subjectif, ni un critère purement objectif pour juger si le proposant a rempli ou non ses obligations quant aux déclarations à faire. Du moment que la loi ne se contente pas de ce que le proposant communique à l'assureur, en réponse aux questions correspondantes, les faits importants pour l'appréciation du risque qui lui sont effectivement connus, mais qu'elle prescrit en outre que le proposant doit déclarer également les faits importants pour l'appréciation du risque qui doivent être connus de lui, cette loi institue un critère objectif (indépendant de la connaissance effective qu'a le proposant des faits concrets). Toutefois, pour appliquer ce critère, on tiendra compte des circonstances du cas particulier, notamment des qualités (intelligence, formation, expérience) et de la situation du proposant. En effet, celui-ci doit déclarer à l'assureur, outre les faits importants pour l'appréciation du risque qui lui sont effectivement connus, non pas d'une façon générale tous les faits de cette nature qui sont objectivement reconnaissables lors de la conclusion du contrat, mais seulement ceux qui font l'objet de questions écrites et qui lui sont connus ou doivent être connus de lui; ce principe vaut, non seulement dans le cas exceptionnel du proposant dont les facultés mentales ne sont pas normalement développées, mais dans tous les cas.
Ce qui est finalement décisif, c'est de juger si et dans quelle mesure le proposant pouvait donner de bonne foi une réponse négative à une question de l'assureur, selon la connaissance qu'il avait de la situation et, le cas échéant, selon les renseignements que lui avaient fournis des personnes qualifiées: la loi fédérale sur le contrat d'assurance exige du proposant qu'il se demande sérieusement s'il existe un fait qui tombe sous le coup des questions de l'assureur, mais elle n'exige pas de lui qu'il recueille des renseignements sur l'existence d'un pareil fait; le proposant remplit l'obligation qui lui est imposée s'il déclare, outre les faits qui lui sont connus sans autre réflexion, ceux qui ne peuvent pas lui échapper s'il réfléchit sérieusement aux questions posées (
ATF 116 II 341
consid. 1c, 116 V 227/228 consid. 5b et les références).
BGE 118 II 333 S. 338
Il ne faut certes admettre qu'avec la plus grande retenue l'existence d'une réticence. Cette retenue s'impose déjà du fait de la rigueur de la loi, qui prévoit la résolution du contrat, non son adaptation. Mais la violation du devoir concernant les déclarations obligatoires s'apprécie sans égard à une éventuelle faute du preneur (
ATF 116 II 341
consid. 1d et les arrêts cités).
En l'espèce, c'est en vain que l'intimé nie la réticence en arguant de sa bonne foi. Il connaissait ses relations contractuelles toutes récentes avec d'autres assurances, ou du moins devait s'en souvenir. Qu'il ait demandé à F. de s'occuper des assurances contractées ailleurs que chez la recourante, dont cet agent est l'employé, ne justifie pas a posteriori qu'il se soit tu à l'égard d'une autre personne qui lui avait présenté la proposition en cause. Si cette dernière s'est étonnée du montant des indemnités journalières désirées, cette circonstance ne faisait nullement penser à d'éventuelles assurances déjà contractées, bien au contraire. Enfin, la cour cantonale ne constate pas que l'intimé ait signé la proposition sans lire les réponses cochées par l'agent; et si tel avait été le cas, il ne devrait s'en prendre qu'à lui-même.
3.
L'
art. 6 LCA
dispose, comme on l'a vu, que si, lors de la conclusion du contrat, celui qui devait faire la déclaration a commis une réticence, l'assureur n'est pas lié par le contrat, à condition qu'il s'en soit départi dans les quatre semaines à partir du moment où il a eu connaissance (Kenntnis erhalten hat) de la réticence. C'est un délai de péremption (
ATF 116 V 229
consid. 6 et les références). La résolution peut intervenir après la survenance du sinistre (
ATF 116 II 341
/342 consid. 2a et les références). Le respect du délai doit être prouvé par l'assureur (ROELLI/KELLER, op.cit., p. 141 en haut et les références en notes).
a) Dans une affaire jugée le 19 septembre 1917 (
ATF 43 II 530
/531 consid. 1), un médecin avait "conseillé" à l'agent de l'assureur, au printemps, de se renseigner auprès d'un hôpital, mais il n'avait donné des indications plus précises qu'au début octobre, verbalement puis par écrit; sur quoi l'agent obtint de nouveaux renseignements sur l'endroit où l'assuré avait été soigné: c'est alors seulement que le délai de l'art. 6 avait commencé à courir, a estimé le Tribunal fédéral.
Un arrêt du 23 novembre 1921 fonde cette solution sur le texte clair de la loi (
ATF 47 II 483
/484 consid. 3). La juridiction cantonale avait interprété l'
art. 6 LCA
dans un sens extensif, comme si la disposition disait: "à partir du moment où l'assureur a eu connaissance ou aurait dû avoir connaissance de la réticence". Cette
BGE 118 II 333 S. 339
interprétation est erronée, a dit le Tribunal fédéral. Ce n'est pas sans motif que le législateur fait courir le délai de résolution à dater du jour où l'assureur a eu connaissance de la fausse déclaration et non pas dès celui où il aurait pu en avoir connaissance s'il avait procédé avec la diligence ordinaire. Si donc le législateur avait voulu attribuer un effet légal non seulement à un fait positif (la connaissance) mais encore à un élément subjectif (obligation d'user de la diligence habituelle), il l'eût dit expressément. C'est ainsi qu'à l'
art. 4 al. 1 LCA
, l'obligation du proposant porte non seulement sur les faits importants tels qu'ils lui sont connus, mais aussi sur ceux qui "doivent" lui être connus. De même à l'art. 8 ch. 3, la loi prévoit que malgré la réticence l'assureur ne pourra pas se départir du contrat s'il connaissait "ou devait connaître le fait qui n'a pas été déclaré" (cf.
ATF 111 II 395
consid. 3c bb). L'art. 6 est rédigé autrement: l'effet légal (détermination du moment à partir duquel le délai court) se produit à l'avènement d'une condition purement objective, la connaissance de la réticence, et ne dépend nullement de la question de savoir si, en prêtant l'attention usuelle, l'assureur eût dû connaître plus tôt le fait sur lequel l'assuré a gardé le silence. S'agissant de l'exercice d'un droit limité dans le temps en ce sens que l'inobservation du délai légal a pour conséquence la déchéance du droit lui-même (faculté de résoudre le contrat), les principes communément admis en matière d'interprétation de la loi ne permettent pas d'aggraver cet exercice en interprétant extensivement le texte légal. Ce point de vue est corroboré par la considération plus générale que, dans d'autres rapports de droit également, celui qui est au bénéfice d'une déclaration positive de son cocontractant peut s'en tenir à cette déclaration sans avoir à en contrôler l'exactitude, en se livrant à des investigations, même dans le cas où il a des doutes à ce sujet (ainsi par exemple en matière de vente, lorsque le vendeur affirme que certains défauts n'existent pas:
art. 200 al. 2 CO
). Dans l'espèce, l'assureur n'avait pas à tenir compte d'une dénonciation anonyme, de surcroît trop vague, ni à procéder à une enquête.
Cette jurisprudence a été rappelée dans un arrêt du 28 octobre 1932 (
ATF 58 II 382
ss). De simples soupçons, des faits qui pourraient inciter la compagnie à vérifier les déclarations du proposant et assuré ne suffisent pas pour faire courir le délai. Bien plus, si l'assureur montre plus de diligence qu'il ne lui en incombe, cette circonstance ne saurait tourner à son détriment.
Le 21 juin 1978, l'Obergericht du canton de Lucerne a exprimé la même opinion, qu'il fonde sur le commentaire de ROELLI/KELLER
BGE 118 II 333 S. 340
(I p. 139): le délai ne commence à courir que lorsque l'assureur reçoit des renseignements dignes de foi sur des faits dont on peut déduire avec certitude qu'une réticence a été commise; de simples présomptions, qui apportent une plus ou moins grande vraisemblance, ne sont pas suffisantes (RBA XIV p. 67 let. b).
Trois arrêts récents du Tribunal fédéral ont enfin, en 1983, 1988 et 1990, confirmé lapidairement cette jurisprudence de trois quarts de siècle, "en accord avec la doctrine". Le délai de quatre semaines ne commence à courir que lorsque l'assureur "est complètement orienté sur tous les points touchant la réticence et qu'il en a une connaissance effective, de simples doutes à cet égard étant insuffisants" (
ATF 109 II 160
consid. 2a; arrêt non publié P. c/ B. du 4 février 1988 consid. 2b;
ATF 116 V 229
consid. 6a et les références; cf. aussi
ATF 116 II 342
consid. 2a in fine).
b) En l'espèce, la jurisprudence conduit sans conteste à l'admission du recours et de l'action, ainsi qu'en a décidé le Tribunal de première instance. En effet, la note interne de J. - et les renseignements de F. qui l'avaient motivée - ne donnaient aucune indication sur la date des autres assurances contractées ou proposées par l'intimé. Or cette date était décisive pour la connaissance d'une réticence éventuelle. Bien plus, si un soupçon naissait, la compagnie n'était pas tenue d'enquêter, et surtout pas dans tel délai déterminé, avec diligence notamment. Elle a recherché néanmoins à obtenir les indications précises et s'est départie du contrat dès qu'elle les a reçues, d'abord verbalement, puis peu après par écrit.
Telle n'est pas l'interprétation de l'
art. 6 LCA
donnée par la cour cantonale. Celle-ci admet certes que la recourante devait connaître la date des autres contrats ou polices d'assurances, et même que la célérité avec laquelle la compagnie obtient les renseignements nécessaires sur tous les éléments nécessaires à déceler une réticence ne dépend pas toujours seulement d'elle, mais aussi de tiers. C'est son manque de diligence que l'autorité cantonale reproche à la recourante.
c) Il est évident que s'il refuse sciemment de prendre connaissance des éléments constitutifs de la réticence, l'assureur commet un abus de droit (
art. 2 al. 2 CC
) et qu'il faut assimiler ce cas à la connaissance effective elle-même (ROELLI/KELLER, op.cit., I p. 139; RBA VIII p. 61). L'intimé ne prétend pas que l'hypothèse soit réalisée en l'espèce.
d) La cour cantonale cite une note de MARCEL BRIDEL à la traduction de l'arrêt susmentionné du 28 octobre 1932 publié aux ATF 58
BGE 118 II 333 S. 341
II 382 ss (JdT 1933 I 531-533). Cet auteur rappelle d'abord la jurisprudence, qui rencontre l'assentiment d'auteurs considérables, en Suisse et à l'étranger. Mais s'il faut laisser à la compagnie le temps de rassembler ses preuves, elle ne doit pas temporiser "à seule fin de faire durer un contrat boiteux, qui lui vaut des avantages sans rien lui coûter" (
art. 25 et 26 LCA
): ce serait "inconciliable avec les exigences de la bonne foi". BRIDEL se réfère à d'autres auteurs, dont ROELLI, qui recourent à la notion d'abus de droit, mais "avec beaucoup trop de timidité". Finalement, il préconise une règle, qui ne trouve pas application en l'espèce, pour le cas où l'assureur aurait négligé de vérifier dans un délai convenable des faits pertinents dès qu'ils lui ont été révélés en cours de contrat, avant le sinistre.
L'argument ne porte donc guère au-delà de l'interdiction de l'abus de droit. La cour cantonale croit pouvoir ajouter qu'il faut désormais assouplir les principes d'une loi particulièrement favorable aux assureurs, ainsi qu'elle l'aurait fait sur un autre point (SJ 1986, p. 559); elle ajoute que BERNARD VIRET pense que le principe du "tout ou rien", s'agissant de la notion de réticence, entraîne des conséquences qui paraissent aujourd'hui excessives (La réticence dans l'assurance - maladie privée et sociale, in Revue Suisse d'Assurances, 1975/1976 p. 39 let. d). Ce sont là des considérations de lege ferenda (cf. A. MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2e éd., p. 236, n. 554 in fine).
Dernier motif de la cour cantonale, l'analogie avec l'invalidation pour erreur essentielle: la partie qui veut se départir du contrat doit faire diligence pour clarifier la situation lorsqu'elle conçoit des doutes sérieux (
art. 25 al. 1 CO
;
ATF 82 II 425
ss consid. 8), et cela quand bien même les effets de la résolution seraient ici moins graves pour l'autre partie. Le Tribunal fédéral des assurances a trouvé inadéquate cette analogie en matière de réticence (
ATF 116 V 225
consid. 4a). La cour de céans en a décidé ainsi en 1985 déjà (
ATF 61 II 283
/284 consid. 1:
art. 23 ch. 4 et 28 CO
). Les art. 4 ss de la loi spéciale règlent en effet complètement la réticence et ses conséquences, à l'exclusion des dispositions générales du code des obligations: les déclarations obligatoires lors de la conclusion du contrat (art. 4) n'ont pas pour effet un accord, mais sont aménagées et sanctionnées comme un devoir légal particulier (ROELLI/KELLER, op.cit., I p. 126/127 et les références). L'analogie n'est évidemment exclue que s'agissant des faits importants pour l'appréciation du risque concret (ibidem et
ATF 90 II 454
consid. 2). Le dernier argument de l'arrêt entrepris, lui non plus, ne peut donc justifier l'avis de la cour cantonale.
BGE 118 II 333 S. 342
e) Selon la jurisprudence, le juge peut toutefois s'écarter d'un texte clair lorsque des raisons sérieuses lui permettent de penser, sans doute possible, que ce texte ne restitue pas le sens véritable de la norme (
ATF 116 II 578
, 115 Ia 137 consid. 2b,
ATF 113 Ia 14
consid. 3c,
ATF 112 Ib 472
consid. 4c,
ATF 105 Ib 62
consid. 5b,
ATF 103 Ia 117
consid. 3) et conduit à des résultats que le législateur ne peut avoir voulus et qui heurtent le sentiment de la justice ou le principe de l'égalité de traitement (
ATF 112 III 110
consid. 4,
ATF 109 Ia 27
consid. 5d et les arrêts cités). De telles raisons peuvent découler des travaux préparatoires, du but et du sens de la disposition, ainsi que de la systématique de la loi (
ATF 115 Ia 137
consid. 2b et les arrêts cités). En dehors du cadre ainsi défini, des considérations fondées sur le droit désirable ne permettent pas de s'écarter du texte clair de la loi (
ATF 105 Ib 62
consid. 5b;
ATF 117 II 525
consid. 1c).
En l'espèce, ni la cour cantonale ni l'intimé ne donnent des raisons qui justifieraient de s'écarter du texte légal. Leurs arguments, examinés ci-dessus, ne sont pas pertinents. Il est au contraire judicieux d'éviter des résolutions hâtives et hasardeuses, l'abus de droit étant réservé. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
74163b9a-5d98-4c19-b858-a3377e21da01 | Urteilskopf
101 Ib 452
74. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 5 décembre 1975 dans la cause Udrisard contre Commission de libération du canton de Vaud | Regeste
Art. 103 OG
,
Art. 38 StGB
. Beschwerdebefugnis.
Obschon der Gefangene nicht frei ist, die bedingte Entlassung, die eine Art des Strafvollzugs ist, anzunehmen oder abzulehnen, kann er mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend machen, dass der angefochtene Entscheid nicht dem Gesetz entspreche (Erw. 1).
Art. 38 Ziff. 3 StGB
. Weisungen.
1. Es ist grundsätzlich angezeigt, einen Alkoholiker während der Probezeit unter die Aufsicht der Alkoholikerfürsorge zu stellen (Erw. 2 und 3).
2. Die kategorische Ablehnung einer Weisung durch den bedingt Entlassenen kann nicht ausser acht gelassen werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob eine günstige Voraussage trotzdem möglich ist, indem die bedingte Entlassung mit anderen Weisungen verbunden wird (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 453
BGE 101 Ib 452 S. 453
Daniel Udrisard subit actuellement trois peines aux Etablissements de Bellechasse. Il les aura purgées entièrement le 13 septembre 1976, et aux deux tiers le 24 décembre 1975.
Dans sa séance du 28 août 1975, la Commission de libération du canton de Vaud a décidé d'accorder la libération conditionnelle à Udrisard au 24 décembre 1975 avec un délai d'épreuve et de patronage de trois ans et à la condition qu'il soit soumis au contrôle de l'Office de surveillance antialcoolique durant le délai d'épreuve.
Udrisard forme un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Il déclare que pour des raisons personnelles il ne peut accepter l'une des conditions de la décision attaquée et il exprime la volonté de subir la totalité des peines en cours d'exécution. Dans une lettre complémentaire, il précise que, sur la base de "plusieurs expériences antécédentes", il ne peut accepter ni respecter "ces conditions", ce qui aurait pour effet, dit-il, de le faire revenir à Bellechasse. Invité à préciser quelle était la condition qu'il ne pouvait pas accepter, le recourant a indiqué qu'il s'agissait de la soumission au contrôle de l'Office de surveillance antialcoolique.
Dans ses observations, la Commission cantonale relève que la condition qu'elle a posée se justifie par le fait qu'Udrisard est un alcoolique, qui a déjà suivi deux cures de désintoxication. Le recourant admet qu'il a effectivement suivi deux cures
BGE 101 Ib 452 S. 454
de désintoxication au cours de l'année 1974; il précise qu'il s'était présenté deux fois de son plein gré dans une clinique spécialisée, et qu'il attribue son état au fait qu'indépendamment de graves problèmes d'ordre affectif, financier et professionnel, il travaillait dans un commerce de vins.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La libération conditionnelle ne constitue ni un droit, ni une faveur, ni un acte de clémence ou de grâce que le condamné peut refuser ou accepter à son gré. Il s'agit d'une véritable modalité d'exécution de la peine (SCHWANDER, Commentaire, n. 352; Bolle, in Stabilité et dynamisme du droit dans la jurisprudence du Tribunal fédéral, p. 255). En revanche, il n'est pas interdit au détenu de faire valoir par la voie du recours administratif au Tribunal fédéral que la décision dont il est l'objet n'est pas conforme à la loi. En effet, il a un droit digne de protection à faire annuler une décision qui ne lui accorderait qu'une liberté illusoire, si elle est assortie de conditions qu'il juge inacceptables (cf. art. 103 OJ). Le recours est donc recevable.
2.
En vertu de l'art. 38 ch. 3 CP, l'autorité compétente peut imposer au libéré, durant le délai d'épreuve, des règles de conduite, notamment quant au contrôle médical ou à l'abstention de boissons alcooliques.
La fixation de ces règles de conduite relève du pouvoir d'appréciation de l'autorité compétente. Et le Tribunal fédéral, en tant que juridiction administrative, s'il peut revoir les faits, s'interdit de substituer sa propre appréciation à celle de l'autorité cantonale et se borne à vérifier que celle-ci n'a pas abusé de son pouvoir appréciateur (RO 98 Ib 171 et 176; arrêts non publiés Falcy, A 606/75; Curchod, A 631/74). Il n'intervient qu'en cas d'excès du pouvoir d'appréciation, par exemple si la décision entreprise repose sur des considérations étrangères à l'institution (RO 98 Ib 107). Dans le cas de la fixation de règles de conduite, le Tribunal fédéral ne peut ainsi intervenir qu'au cas où la règle imposée apparaît comme manifestement inadaptée au cas du libéré ou choisie de façon arbitraire.
3.
En l'espèce, on ne saurait dire que la Commission de libération a imposé au recourant une règle de conduite inadaptée
BGE 101 Ib 452 S. 455
au vu des éléments dont elle disposait. S'agissant d'un alcoolique impénitent, qui présente sous l'influence de l'alcool un risque important de récidive, il était tout indiqué de rechercher la règle de conduite propre à permettre l'établissement d'un pronostic favorable, condition essentielle de la libération anticipée (art. 38 ch. 1 al. 1 dernière phrase).
Toutefois, l'autorité administrative, même de recours, doit en principe statuer ex nunc, chaque fois qu'elle est amenée à prendre une décision (cf. RO 58 I 370, 98 Ib 176 consid. 4, 98 Ib 179 consid. 2 lit. c et cit.; GRISEL, Droit administratif suisse, p. 510 lit. a in fine). Il convient dès lors de tenir compte de la déclaration de volonté clairement exprimée, par laquelle le recourant se refuse dès l'abord et très fermement à se soumettre au contrôle de l'Office de surveillance antialcoolique. Comme il n'est pas possible dans ces conditions et selon l'expérience de la vie, d'espérer qu'un alcoolique qui a subi sans succès durable deux cures de désintoxication pourra respecter la règle de conduite en cause, il faut bien admettre que le pronostic favorable posé par l'autorité cantonale ne peut être confirmé en l'état. Le recours doit donc être admis et la cause renvoyée à la Commission de libération pour qu'elle examine s'il est possible de faire néanmoins confiance au recourant, en lui fixant d'autres règles de conduite.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule la décision attaquée et renvoie la cause à la juridiction cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7416f4d7-ebcb-42e6-81cc-83e431d0f357 | Urteilskopf
97 V 155
37. Arrêt du 8 septembre 1971 dans la cause Froidevaux contre Caisse de compensation du canton de Berne et Tribunal administratif du canton de Berne | Regeste
Art. 9 Abs. 1 IVG
: medizinische Behandlung im Ausland.
- Entschuldbarer Irrtum des Versicherten bezüglich der in der Schweiz gebotenen therapeutischen Möglichkeiten.
- Wenn die Invalidenversicherung eine Behandlung im Ausland übernehmen muss, darf sie in der Regel ihre Leistungen nicht auf den Betrag der Kosten, die in der Schweiz entstanden wären, begrenzen. | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 97 V 155 S. 156
A.-
Joëlle Froidevaux, née en 1954, domiciliée chez ses parents, souffre depuis 1961 d'infiltrations centrales de la cornée, d'origine inconnue. Soignée sans résultat par quelques oculistes, elle a finalement été adressée en juillet 1963 au Prof. S., à Lausanne, comme étant le seul spécialiste capable de l'opérer. Ce praticien pratiqua une kératoplastie lamellaire le 3 avril 1964 à l'oeil droit et le 18 juin 1964 à l'oeil gauche, sans obtenir de succès. Après des interventions supplémentaires, il s'avéra en automne 1969 qu'il était indispensable de réopérer. Entre-temps, la vue de la patiente ne cessait de se détériorer. Dès avril 1964, Joëlle Froidevaux bénéficie des mesures médicales prévues par l'art. 12 LAI.
B.-
Ayant perdu confiance dans le Prof. S., Louis Froidevaux, père de Joëlle, écrivit le 19 octobre 1969 à la Commission cantonale bernoise de l'assurance-invalidité:
"Soucieux de la gravité du cas de notre fille, nous avons consulté le 13 octobre écoulé un éminent spécialiste de Lyon, le Dr C., élève du Prof. P. Lui aussi diagnostique l'opération dans les plus brefs délais. Il a toutefois préconisé un traitement préalable (culture de larmes et cryothérapie) qui sera terminé le mardi 21 courant à Belfort.
En conséquence nous vous supplions d'examiner le cas avec une attention particulière. Nous demandons l'autorisation d'effectuer ces délicates reprises de greffes chez ce grand chirurgien."
La Commission cantonale bernoise de l'assurance-invalidité demanda un rapport au Dr C., qui, le 24 octobre 1969, donna un tableau alarmant de l'état de la malade. Atteinte de maladie bilatérale du greffon et de conjonctivite tarsale printanière, elle ne voyait plus que dans la proportion de 1/10 à droite et de 1/20 à gauche et ne pouvait plus fréquenter l'école. Le médecin ajoutait: "Traitement médical en cours. Traitement chirurgical à envisager."
La Commission cantonale bernoise de l'assurance-invalidité soumit le cas à l'Office fédéral des assurances sociales, le 2 février 1970.
Le 20 mars 1970, le dit office répondit:
"Le traitement entrepris en France ne diffère pas sensiblement de celui qui a été fait en Suisse. Il s'agit également de faire des greffes, mais après un traitement par le froid (cryothérapie). L'expérience a montré que les résultats obtenus à Lyon ne sont pas supérieurs à ceux observés en Suisse et les échecs relatifs du Prof. S. ne tiennent pas à sa méthode opératoire, mais à la difficulté du cas. Si les parents manquent de confiance dans le Prof. S., ils peuvent choisir un autre
BGE 97 V 155 S. 157
spécialiste en Suisse. Il n'y a donc pas de raison médicale déterminante pour que l'assurance-invalidité prenne en charge le traitement de cette assurée à Lyon."
En conséquence, la Caisse de compensation notifia le 25 juin 1970 à l'assurée une décision de refus, fondée sur un prononcé du 29 avril 1970 de la Commission cantonale bernoise de l'assurance-invalidité.
C.-
Louis Froidevaux recourut, en alléguant que, désespéré de constater que sa fille perdait la vue, il avait consulté un spécialiste français des greffes de la cornée, le Dr R., oculiste à Belfort; que ce médecin avait refusé d'entreprendre une opération aussi difficile et lui avait indiqué le Dr C. comme étant l'un des seuls en Europe apte à la réussir; qu'effectivement une opération sur l'oeil gauche entreprise le 8 janvier 1970 à Lyon par le Dr C., après un traitement préparatoire spécial, avait obtenu un beau succès. Il produisit un certificat, du 19 août 1970, du Dr R., selon lequel l'acuité visuelle de l'oeil avait alors passé à 6/10 faible et la tension intra-oculaire était normale.
Le 17 décembre 1970, le Tribunal administratif du canton de Berne rejeta le recours. Selon les premiers juges, il n'était objectivement pas indispensable d'opérer en France: il existait "incontestablement en Suisse divers médecins spécialistes capables d'exécuter les mesures médicales nécessaires en l'espèce..."
D.-
Agissant au nom de sa fille Joëlle, Louis Froidevaux a formé en temps utile un recours de droit administratif à l'encontre du jugement cantonal. Il conclut derechef à ce que l'assurance-invalidité se charge des frais du traitement en France. Parlant du traitement du Dr C., il considère comme un exploit remarquable le succès "de ces opérations", ce dont on peut inférer que l'oeil droit a été opéré à son tour.
La Caisse cantonale bernoise de compensation conclut au rejet du recours.
Dans son préavis, l'Office fédéral des assurances sociales déclare qu'à sa connaissance, à part le Prof. S., un autre spécialiste au moins, le Prof. K., à Zurich, aurait été en mesure d'exécuter le traitement en Suisse. Il propose aussi de rejeter le recours.
Louis Froidevaux s'est déterminé sur le préavis de l'Office fédéral des assurances sociales en même temps que sur l'offre du Tribunal fédéral des assurances d'assister aux délibérations.
BGE 97 V 155 S. 158
Il affirme n'avoir obtenu, malgré les nombreuses démarches faites, aucune adresse de médecin en Suisse autre que celle du Prof. S., et que l'Office fédéral des assurances sociales ne lui a jamais communiqué le nom du Prof. K.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 9 al. 1er LAI, les mesures de réadaptation sont appliquées en Suisse ou, mais seulement à titre exceptionnel, à l'étranger. Le Tribunal fédéral des assurances a défini les circonstances dans lesquelles, exceptionnellement, une mesure médicale en soi justifiée est applicable à l'étranger: il est nécessaire qu'en toute objectivité elle ne puisse pas être exécutée en Suisse, à cause de son caractère particulier ou insolite (ATFA 1966 p. 99).
2.
Il importe donc de déterminer d'abord si, objectivement, la ou les greffes de la cornée opérées par le Dr C., à Lyon, auraient pu être exécutées en Suisse; avec des chances de succès sensiblement égales, comme l'a déjà précisé la Cour de céans dans l'arrêt non publié Wicki du 8 octobre 1962.
Il est notoire que le Prof. S., à Lausanne, est un spécialiste des greffes de la cornée. Aussi bien l'assurance-invalidité n'at-elle fait aucune difficulté pour lui confier l'exécution de cette mesure médicale, dont il n'est pas nécessaire de se demander si elle constituait bien une mesure de réadaptation, au sens de l'art. 12 LAI: cette question souffre de demeurer indécise en l'occurrence, vu les particularités de la présente espèce. Mais l'échec du traitement entrepris, assumé par l'assurance-invalidité, de juillet 1963 à septembre 1969, autorisait les parents de la recourante à chercher ailleurs les secours qu'ils attendaient de la Faculté, alors même que cet échec n'était pas imputable à une faute du médecin. Après plus de six ans de patience, le désir des parents Froidevaux d'essayer d'un autre médecin n'était point déraisonnable. Ni l'administration ni les premiers juges ne le contestent, mais les uns et les autres affirment qu'il y a en Suisse des spécialistes aptes à intervenir dans un cas tel que celui de la recourante avec autant de sécurité et d'efficacité que le Dr C.
Ce qui frappe à ce sujet, c'est que la demande de Louis Froidevaux, de faire traiter sa fille à Lyon, date du 19 octobre 1969 en tout cas. Or, pendant des mois, les organes de l'assurance-invalidité, de même que la commission de recours, se sont
BGE 97 V 155 S. 159
bornés à alléguer qu'il existait "incontestablement en Suisse divers médecins spécialistes capables d'exécuter les mesures médicales nécessaires en l'espèce", sans citer les noms de ces médecins. Il fallut attendre le 16 juin 1971 pour que, dans son préavis sur le recours de droit administratif, l'Office fédéral des assurances sociales mentionnât enfin le Prof. K., de Zurich. Il est permis d'en conclure qu'en Suisse le nombre des dits spécialistes est en réalité très faible: une ou deux personnes peut-être, outre le Prof. S. Selon l'Office fédéral des assurances sociales, la méthode et l'adresse du Prof. K. offriraient sensiblement la même sécurité que celle du Dr C. Il n'est pas nécessaire de vérifier cette allégation; car le recours devrait être admis même dans l'hypothèse où le Prof. K. ne le cèderait en rien au Dr C., comme il va être exposé ci-après.
3.
En effet, les époux Froidevaux affirment avoir cru qu'il n'existait en Suisse aucune possibilité de traiter leur fille aussi bien qu'elle l'a été en France. La correspondance figurant au dossier ne permet pas de douter de cette affirmation, cela d'autant moins que, comme on vient de le voir, si les parents se sont trompés en cela, l'existence éventuelle en Suisse d'un ou deux spécialistes compétents était loin d'être de notoriété publique. Saisie le 19 octobre 1969 d'une demande de traitement à l'étranger, dans un cas grave et relativement urgent, la Commission cantonale bernoise de l'assurance-invalidité aurait pu se renseigner dans un délai raisonnable sur les possibilités qu'offrait la Suisse et en avertir l'assurée. Car les mesures médicales constituent des prestations en nature, qu'il appartient en principe à l'assurance-invalidité d'ordonner - et d'ordonner à temps - (art. 60 LAI et 78 al. 1er RAI), sous réserve des dispositions sur le libre choix du médecin (art. 26 al. 1er LAI), d'une part, et sur l'exécution anticipée (art. 48 al. 2 LAI), d'autre part. En réalité, bien qu'informée des intentions du père de l'assurée, la Commission cantonale bernoise de l'assuranceinvalidité n'a écrit que le 2 février 1970 à l'Office fédéral des assurances sociales, qui lui a répondu le 20 mars 1970, tandis que la décision de refus est intervenue le 25 juin 1970. Une opération avait déjà eu lieu à Lyon le 8 janvier 1970.
Par conséquent, à supposer que les parents de la recourante se soient trompés sur les ressources médicales disponibles en Suisse, ils ont été entretenus dans cette erreur par le silence des organes de l'assurance-invalidité, dont le devoir aurait été - dans un cas aussi particulier - de les conseiller et de les guider.
BGE 97 V 155 S. 160
Or, en édictant la règle jurisprudentielle concernant le caractère objectif de l'impossibilité de l'exécution en Suisse, le Tribunal fédéral des assurances n'a pas entendu ne jamais tenir compte de l'erreur de fait dans laquelle un assuré se trouverait sans sa faute sur l'existence d'une telle impossibilité. Dans l'arrêt Wicki précité (v. aussi ATFA 1966 p. 99 consid. 3), la Cour de céans a mis à la charge de l'assurance-invalidité une opération "à coeur ouvert" pratiquée en France sur un mineur, parce que les parents Wicki croyaient, à tort mais sans qu'il y ait faute de leur part, l'opération impossible ou trop risquée en Suisse et que les organes de l'assurance-invalidité les avaient laissés dans l'ignorance des solutions qui en réalité s'offraient au pays. Le cas Froidevaux est analogue. Ici aussi il serait choquant que les parents de la recourante soient pénalisés pour avoir dû prendre seuls une décision qui au premier chef aurait incombé à la Commission cantonale bernoise de l'assuranceinvalidité.
Il n'est certes pas question, par là, d'adresser des reproches à l'administration, qui en général s'est montrée soucieuse des intérêts de Joëlle Froidevaux, entre autres en matière de subsides pour la formation professionnelle initiale. Sans doute la lacune relevée en l'occurrence est-elle imputable à l'excès de travail. Mais c'est une circonstance dont ni la recourante ni ses parents n'ont à répondre.
4.
Dès lors que l'assurance-invalidité se charge d'une mesure médicale exécutée à l'étranger, doit-elle en assumer les frais sans autre limite que celles de l'art. 14 LAI ou faut-il encore que ces frais ne dépassent pas ceux qui auraient été encourus si le traitement ou un traitement semblable avait eu lieu en Suisse? Le Tribunal fédéral des assurances a adopté le second terme de l'alternative dans l'arrêt Wicki, a refusé de le faire dans un arrêt Chamay, du 28 mai 1963, et a déclaré la solution incompatible avec la nature des mesures médicales et admissible uniquement dans des cas extrêmement exceptionnels dans un arrêt plus récent (ATFA 1966 p. 99 consid. 3). Dans ces trois affaires, le traitement en cause aurait objectivement pu être suivi en Suisse. Les réserves formulées après l'arrêt Wicki conduisent à renoncer en l'espèce à limiter les prestations de l'assurance-invalidité au montant qu'elles auraient atteint en Suisse.
Le recours doit dès lors être admis, sans frais (art. 134 OJ).
BGE 97 V 155 S. 161
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce: I. Le recours est admis.
II. La décision et le jugement attaqués sont réformés, dans ce sens que le traitement que la recourante a suivi à Lyon auprès du Dr C. incombe à l'assurance-invalidité.
III. La cause est renvoyée à la Commission cantonale bernoise de l'assurance-invalidité, afin qu'elle détermine les prestations à la charge de l'assurance et qu'elle suscite une nouvelle décision, conformément aux considérants. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7420931f-5c35-4fa5-823a-cfdfbec09a56 | Urteilskopf
108 Ib 57
9. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Februar 1982 i.S. Bundesamt für Polizeiwesen gegen Forster und Regierungsrat des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Aberkennung und Einziehung eines ausländischen Führerausweises.
1. Begriff des Motorfahrzeugführers aus dem Ausland (E. 2).
2. Es stellt noch keine Umgehung schweizerischer Zuständigkeitsbestimmungen (
Art. 45 Abs. 1 VZV
) dar, wenn eine in der Schweiz wohnhafte Person einen ausländischen Führerausweis zum Gebrauch im Ausland erwirbt, auch wenn dieser in der Schweiz nicht gültig ist (E. 3a). Sind die Voraussetzungen der Aberkennung eines ausländischen Führerausweises nicht gegeben, kommt dessen Einziehung grundsätzlich nicht in Betracht (E. 3b).
3. Darf auf einen nicht eingezogenen ausländischen Führerausweis dessen Ungültigkeit in der Schweiz vermerkt werden? Frage offen gelassen (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 108 Ib 57 S. 58
Matthias Forster, Inhaber eines schweizerischen Motorradführerausweises, erwarb während eines viermonatigen Aufenthaltes in den USA den Führerausweis für leichte Motorwagen. Das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau, an welches sich Forster nach seiner Rückkehr wandte, verfügte am 29. Oktober 1980 die dauernde Aberkennung des amerikanischen Führerausweises für das Gebiet der Schweiz, weil der Ausweis in Umgehung der schweizerischen Zulassungsvorschriften erworben worden sei; er wurde in der Folge eingezogen. Gegen diese Verfügung reichte Forster Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Thurgau ein. Er machte geltend, den ausländischen Führerausweis nicht in Umgehung, sondern nur unter Nichtbeachtung der schweizerischen Zulassungsbestimmungen erworben zu haben; demzufolge widersetzte er sich der Einziehung des Ausweises und verlangte diesen im Hinblick auf einen gelegentlichen Aufenthalt in den USA zurück. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hiess die Beschwerde am 31. März 1981 gut, hob die Verfügung des Strassenverkehrsamtes auf und wies das Amt an, Forster den eingezogenen Ausweis zurückzuerstatten.
Gegen diesen Entscheid richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Bundesamtes für Polizeiwesen; das Amt beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die dauernde Aberkennung des ausländischen Führerausweises zu bestätigen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus, der amerikanische Führerausweis Forsters sei in der Schweiz nicht gültig, weil er unter Umgehung der schweizerischen Zulassungsvorschriften erworben worden sei. Demnach sei der Ausweis abzuerkennen. Aus Gründen der wirksamen Kontrollierbarkeit müssten aberkannte ausländische Ausweise eingezogen werden; dies folge auch aus
Art. 45 Abs. 4 VZV
. Aus der Einziehung erwachse dem Inhaber kein Nachteil. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau und Forster beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Sache nach geht es im vorliegenden Fall um die Frage, ob der amerikanische Ausweis des Beschwerdegegners abzuerkennen und
BGE 108 Ib 57 S. 59
einzuziehen ist. Vorgängig ist aber zu prüfen, ob der Beschwerdegegner aufgrund des ausländischen Ausweises zum Führen von Motorfahrzeugen in der Schweiz und zum Erwerb eines schweizerischen Ausweises ohne neue Prüfung berechtigt ist. Hiezu nahm die Vorinstanz nur unklar Stellung. Auch der Beschwerdegegner machte während des gesamten Verfahrens nicht ausdrücklich geltend, der amerikanische Ausweis allein verschaffe ihm das Recht, ohne schweizerische Prüfung ein Motorfahrzeug in der Schweiz zu führen.
2.
Das Führen eines Motorfahrzeuges in der Schweiz setzt den Besitz eines schweizerischen Führerausweises voraus, soweit nicht ausländische Ausweise durch das schweizerische Recht anerkannt sind; ohne eine solche Anerkennung vermögen ausländische Ausweise in der Schweiz keine Wirkung zu entfalten.
a) Motorfahrzeugführer aus dem Ausland dürfen in der Schweiz während eines Jahres Motorfahrzeuge führen, wenn sie
- einen gültigen nationalen Führerausweis oder
- einen internationalen Führerausweis nach dem Abkommen vom 24. April 1926 über den Kraftfahrzeugverkehr oder nach den Abkommen vom 19. September 1949 oder 8. November 1968 über den Strassenverkehr besitzen (
Art. 42 Abs. 1 VZV
).
Wer als Motorfahrzeugführer aus dem Ausland gilt, legt die Bestimmung nicht fest. Jedenfalls fällt nicht derjenige darunter, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat. Für internationale Wochenaufenthalter ist
Art. 44 Abs. 2 VZV
anwendbar. Indes kann nach der Praxis der Behörden auch eine Person mit Wohnsitz in der Schweiz als Motorfahrzeugführer aus dem Ausland gelten. Dies ist der Fall, wenn der Erwerb des ausländischen Ausweises während eines Auslandaufenthaltes von nicht weniger als sechs Monaten erfolgte (vgl. Ziff. 32 Richtlinien der Vereinigung der Chefs der kantonalen Motorfahrzeugkontrollen vom 12. Mai 1977, erlassen im Einvernehmen mit der Eidgenössischen Polizeiabteilung, heute Bundesamt für Polizeiwesen).
b) Der Beschwerdegegner verliess unbestrittenermassen die Schweiz nicht mit der Absicht, seinen hiesigen Wohnsitz aufzugeben. Zwar schloss er seinen Angaben nach nicht aus, in einem späteren Zeitpunkt von Frauenfeld wegzuziehen. Allein die unbestimmte Vorstellung, den Wegzug einzuleiten oder vorzubereiten, ist jedoch nicht geeignet, den einmal begründeten Wohnsitz aufzugeben. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die
BGE 108 Ib 57 S. 60
Reise des Beschwerdegegners habe andere als touristische Zwecke verfolgt. Sein Aufenthalt in Utica (USA) war einzig deshalb notwendig, weil der Reisekollege auf die Ersatzbrille aus der Schweiz warten musste. Von einer Aufgabe des schweizerischen Wohnsitzes und einer eigentlichen Wohnsitznahme in den USA kann demzufolge nicht gesprochen werden. Der Aufenthalt in den USA betrug endlich weniger als sechs Monate. Beim Beschwerdegegner handelt es sich somit nicht um einen Fahrzeugführer aus dem Ausland (
Art. 42 Abs. 1 VZV
), weshalb der ausländische Ausweis nicht zum Eintausch gegen einen schweizerischen Führerausweis ohne neue Führerprüfung und zur Verwendung in der Schweiz berechtigt (
Art. 44 Abs. 3 VZV
; vgl. unveröffentlichtes Urteil vom 28. August 1978 i.S. St.). Die von der Vorinstanz unterlassene Feststellung, dass der amerikanische Führerausweis in der Schweiz ungültig ist, muss daher nachgeholt werden.
3.
Unter welchen Voraussetzungen ein ausländischer Führerausweis abzuerkennen ist, bestimmt
Art. 45 VZV
. Die Bestimmung hat u.a. folgenden Wortlaut:
"1. Ausländische Führerausweise können nach den gleichen Bestimmungen aberkannt werden, die für den Entzug des schweizerischen Führerausweises gelten. Sie sind ausserdem auf unbestimmte Zeit abzuerkennen, wenn sie in Umgehung der schweizerischen oder ausländischen Zuständigkeitsbestimmungen im Ausland erworben worden sind. Die Aberkennung eines ausländischen Führerausweises ist der zuständigen ausländischen Behörde direkt oder durch Vermittlung der Eidgenössischen Polizeiabteilung mitzuteilen.
2. (...)
3. Bei internationalen Führerausweisen ist die Aberkennung an der dafür vorgesehenen Stelle einzutragen. Der Eintrag ist mit dem Amtsstempel zu versehen.
4. (...)
5. (...)
6. Aberkennungen, die wegen Umgehung der schweizerischen oder ausländischen Zuständigkeitsbestimmungen verfügt wurden, erlöschen, wenn der Inhaber ohne rechtlichen Wohnsitz in der Schweiz sich mehr als drei zusammenhängende Monate im Ausland aufhält. Der Nachweis des dreimonatigen Aufenthalts im Ausland obliegt dem Ausweisinhaber.
7. (...)"
a) Sowohl
Art. 42 Abs. 4 VZV
als auch
Art. 45 Abs. 1 VZV
sprechen von "Umgehung... der Bestimmungen". Daraus folgt jedoch nicht, dass ausländische Führerausweise, die in der Schweiz nicht verwendet werden dürfen, stets abzuerkennen sind. Die schweizerischen (und a fortiori die ausländischen) Zuständigkeitsvorschriften
BGE 108 Ib 57 S. 61
gestatten vielmehr einer in der Schweiz wohnhaften Person, in einem ausländischen Staat den Führerausweis zu erwerben, wenn der Betreffende diesen nur im Ausland verwenden will. Erst die Verwendung des ausländischen Ausweises in der Schweiz stellt eine Umgehung der schweizerischen Zuständigkeitsbestimmungen dar und begründet die Aberkennung des ausländischen Ausweises. Allein dessen Besitz verstösst nicht gegen schweizerisches Recht und rechtfertigt keine Aberkennung, soweit nicht nachgewiesen ist, dass der Betreffende den Führerausweis benützt hat oder willens ist, dies zu tun. Das trifft auf den Beschwerdegegner nicht zu. Auch ist nicht einzusehen, inwiefern Praktikabilitätsgründe gegen diese Lösung sprechen. Diese sind umso weniger anzunehmen, als die schweizerischen Behörden in den meisten Fällen nicht wissen dürften, dass der Betreffende einen ausländischen (evtl. neben dem inländischen) Führerausweis hat. Aus dem Inhalt der VZV folgt nichts anderes. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Aberkennung eines ausländischen Ausweises grundsätzlich an die Bedingungen zum Entzug des schweizerischen Führerausweises knüpft. Sind die Voraussetzungen zum Entzug des schweizerischen Ausweises nicht gegeben, kann die Aberkennung erst Platz greifen, wenn eine Umgehung, bzw. Umgehungsgefahr der schweizerischen Zuständigkeitsbestimmungen im oben beschriebenen Sinne nachgewiesen ist.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann dem Inhaber eines aberkannten Führerausweises die Möglichkeit nicht verwehrt werden, mit dem ausländischen Ausweis im Ausland zu fahren (
BGE 102 Ib 292
). Die Einziehung des aberkannten Ausweises wurde daher grundsätzlich abgelehnt (unveröffentlichtes Urteil vom 14. Oktober 1980 i.S. Sch. E. 2a, b). Umso mehr kann die Einziehung nicht Platz greifen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Aberkennung nicht ausgesprochen wird. Vorbehalten bleibt der Fall, wo der ausländische gegen den schweizerischen Ausweis eingetauscht wird und er deshalb eingezogen werden kann (
Art. 44 Abs. 5 VZV
).
c) Im erwähnten Urteil Sch. hielt das Bundesgericht dafür, die Aberkennung könne nicht nur in internationale (
Art. 45 Abs. 3 VZV
), sondern auch in nationale Führerausweise eingetragen werden, wobei in jenem Fall allerdings die ausdrückliche Einwilligung der betreffenden Person vorlag. Im vorinstanzlichen Verfahren erklärte sich der Beschwerdegegner damit einverstanden, die Ungültigkeit seines Ausweises für das Gebiet der Schweiz durch einen
BGE 108 Ib 57 S. 62
besonderen Vermerk kennzeichnen zu lassen. Ob er hiezu auch verpflichtet werden kann, ist angesichts seiner Einwilligung nicht zu prüfen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen; es wird festgestellt, dass der amerikanische Führerausweis des Beschwerdegegners in der Schweiz nicht gültig ist. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
742243e0-3fd1-4ddf-8cc1-8544522a8bb6 | Urteilskopf
80 I 86
16. Arrêt du 12 février 1954 dans la cause Etienne contre Département fédéral de l'économie publique. | Regeste
Betriebsbewilligung:
1. Darf einer Person, die bereits Inhaberin eines Betriebes der Uhrenindustrie ist, die Bewilligung für die Eröffnung eines zweiten Betriebes erteilt werden? (Erw. 1-3).
2. Verhältnisse, wenn der bestehende Betrieb in der Form einer Aktiengesellschaft geführt wird, deren Aktionär und Geschäftsführer der Bewerber um die Bewilligung ist. (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 86
BGE 80 I 86 S. 86
A.-
Etienne, né en 1893, a exploité, à partir de 1918, en collaboration avec ses frères et son beau-frère, la fabrique d'horlogerie Etienne & Cie. En 1930, cette société obtint un sursis concordataire et cessa son activité, sur quoi elle fut rayée de la liste des membres de la Fédération horlogère. Etienne s'intéressa alors à une autre maison, qu'il exploita sous la raison sociale Soly SA et revendit en 1940. Il reprit ensuite une fabrique, propriété d'Ernest Tolk, à La Chaux-de-Fonds, la transféra à Bienne et l'exploita tout d'abord sous la forme d'une société à responsabilité limitée, puis sous celle d'une société anonyme: Octo SA Il est administrateur unique et principal actionnaire de cette société, qui est actuellement autorisée à occuper 30 ouvriers.
BGE 80 I 86 S. 87
Le 25 août 1953, Etienne a demandé l'autorisation d'ouvrir une fabrique de montres à ancre "par la remise en activité de l'ancienne fabrique d'horlogerie Etienne & Cie".
Le 23 novembre 1953, le Département fédéral de l'économie publique (en abrégé: le Département) a refusé l'autorisation, en bref par les motifs suivants:
Le requérant remplit les conditions auxquelles l'art. 4 al. 1 lit. a AIH subordonne l'autorisation d'ouvrir une nouvelle entreprise de la branche horlogère, car il est fabricant d'horlogerie depuis plus de trente ans. Il serait cependant contraire aux intérêts importants de l'industrie horlogère d'admettre qu'une personne qui, comme Etienne, exploite déjà une entreprise, en crée une seconde. Ce serait favoriser la spéculation sur les permis. Le statut de l'horlogerie a d'ailleurs aussi pour but d'éviter un accroissement excessif du nombre des entreprises. Peu importe qu'en l'espèce Etienne n'ait l'intention d'ouvrir une nouvelle entreprise que pour y établir plus tard l'un de ses fils. Le fait que le requérant ait été autrefois copropriétaire de la maison Etienne & Cie n'a pas d'influence sur la présente requête. Il ne peut être question de remettre en activité une entreprise dissoute depuis plus de vingt ans.
B.-
Contre cette décision, Etienne a formé, en temps utile, un recours de droit administratif. Il conclut à ce qu'il plaise au Tribunal fédéral lui accorder l'autorisation d'ouvrir une fabrique de montres à ancre et d'y occuper 30 ouvriers. Son argumentation se résume comme il suit:
Contrairement à ce qui est dit dans la décision attaquée, rien, dans les prescriptions relatives à l'industrie horlogère, n'interdit à une même personne d'être propriétaire de deux ou de plusieurs entreprises et de les diriger. Il est notoire que certains entrepreneurs se trouvent dans cette situation. Il n'y a du reste pas identité de personnes entre la société anonyme, Octo SA, titulaire de l'entreprise
BGE 80 I 86 S. 88
que dirige Etienne, et le titulaire de l'entreprise projetée, qui serait Etienne lui-même. Octo SA n'a pas été créée sur la base d'un permis qui aurait été accordé au recourant. De plus, celui-ci possède des brevets qui portent sur des nouveautés intéressantes en matière d'horlogerie. Il a un intérêt légitime à pouvoir les exploiter dans une entreprise qui lui soit propre. Il a donc aussi droit à l'autorisation de par l'art. 4 al. 1 lit. b AIH. Le Département a négligé d'examiner sous cet angle la requête qui lui était soumise. Enfin, on ne saurait admettre en principe qu'une personne qui exploite déjà une entreprise de l'industrie horlogère ne peut être autorisée à en ouvrir une seconde. Cette question ne peut être tranchée que de cas en cas. En l'espèce, l'ouverture de l'entreprise projetée ne léserait pas les intérêts importants de l'industrie horlogère. Etienne a un intérêt légitime à remettre en activité l'ancienne entreprise Etienne & Cie, dont il était copropriétaire.
C.-
L'Administration conclut au rejet du recours. Son argumentation sera reprise, en tant que besoin, dans l'exposé de droit du présent arrêt.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 4 al. 1 AIH accorde, sous certaines conditions qu'il précise, le droit à l'autorisation d'ouvrir ou de transformer une entreprise horlogère ou d'augmenter le nombre des ouvriers. Mais son préambule réserve expressément le cas où l'autorisation léserait "d'importants intérêts de l'industrie horlogère dans son ensemble ou d'une de ses branches dans son ensemble". C'est en vertu de ce préambule que le Département a refusé, dans la présente espèce, l'autorisation requise.
La loi ne définit pas la notion des "importants intérêts de l'industrie horlogère". Il appartient à la pratique et à la jurisprudence d'en fixer la portée. Le Tribunal fédéral a jugé qu'il pouvait revoir, sur ce point, la décision de l'autorité administrative, mais que, s'agissant d'une question
BGE 80 I 86 S. 89
essentiellement technique, il ne s'écarterait de l'avis du Département que pour des raisons graves (arrêts Vogt, du 19 décembre 1952, consid. 5; Kunz, du 27 novembre 1953, consid. 2, non publiés, et Reinhor, du 27 novembre 1953, consid. 2, RO 79 I 383).
Le Tribunal fédéral a également jugé que l'un des buts principaux de l'institution du permis était d'empêcher un développement inconsidéré de l'appareil de production dans l'industrie horlogère en temps de haute conjoncture, développement qui risquerait de produire un avilissement des prix et de la qualité avec chômage et déconfitures dès que l'activité économique se ralentirait (arrêts précités). De ce point de vue, il apparaît inadmissible que tout titulaire d'une entreprise, dans une branche donnée, puisse demander à en ouvrir d'autres, dans la même branche. Supposé en effet qu'une telle demande soit admissible en principe, il faudrait nécessairement y faire droit de par l'art. 4 al. 1 lit. a. Car tout entrepreneur, sauf peut-être certains cas exceptionnels, aura exercé dans la branche dont il s'agit une activité technique et commerciale suffisante et pourra justifier des connaissances nécessaires pour exploiter l'entreprise qu'il se propose d'ouvrir. Il s'ensuit que les entrepreneurs déjà établis pourraient pratiquement éluder tout contrôle et multiplier les entreprises de leur branche sans tenir aucun compte des intérêts généraux de cette branche ou même de l'industrie horlogère dans son ensemble. Or, c'est précisément ce que le législateur a voulu éviter par la réserve qu'il a introduite dans le préambule à l'art. 4 al. 1 AIH. De plus, la situation ainsi créée favoriserait grandement la spéculation sur les permis.
2.
Le refus du permis, dans la présente espèce, se justifie du reste par un autre motif encore.
L'art. 4 al. 1 AIH règle un certain nombre de cas où il y a augmentation de l'appareil de production. Ce sont l'ouverture de nouvelles entreprises (lit. a et b) et, lorsqu'il s'agit d'entreprises déjà existantes, d'une part la transformation (lit. b et c), c'est-à-dire en particulier
BGE 80 I 86 S. 90
l'adjonction d'une branche de fabrication à une autre (art. 3 al. 2 AIH) et, d'autre part, l'augmentation du nombre des ouvriers (lit. d). La loi soumet tous ces cas à l'autorisation, mais elle les distingue nettement les uns des autres en subordonnant l'autorisation, dans chacun d'eux, à des conditions différentes et nettement déterminées. Les règles qu'elle établit à cet égard ont pour but de soumettre les cas d'augmentation de l'appareil de production à un contrôle différencié. On ne saurait dès lors admettre que l'on élude, par exemple, les dispositions applicables en matière de transformation ou d'augmentation du nombre des ouvriers en formant une demande tendant à l'ouverture d'une nouvelle entreprise. Or tel est précisément le cas lorsque, comme dans la présente espèce, un entrepreneur qui exploite déjà une entreprise de l'industrie horlogère demande l'autorisation d'en ouvrir une nouvelle, soit dans la même branche, soit dans une branche différente. Dans le premier cas, sa demande tend à éluder les dispositions relatives à l'augmentation du nombre des ouvriers et, dans le second cas, celles qui régissent la transformation. En d'autres termes, celui qui possède déjà une exploitation et qui veut en ouvrir une autre peut requérir soit la transformation, soit l'augmentation du nombre de ses ouvriers, pourvu qu'il remplisse les conditions légales, mais il ne peut se réclamer de l'art. 4 al. 1 lit. a pour demander l'autorisation d'ouvrir une nouvelle entreprise.
C'est donc à juste titre qu'en l'espèce, le Département a rejeté la requête d'Etienne, qui était fondée exclusivement sur l'art. 4 al. 1 lit. a AIH.
3.
Etienne ne peut tirer aucun argument des brevets qu'il dit vouloir exploiter. Ou bien ces brevets concernent la branche à laquelle appartient l'entreprise qui existe déjà et ils peuvent y être exploités sans aucune autorisation nouvelle, ou bien ils concernent une autre branche, de sorte qu'on se trouve dans le cas de l'art. 4 al. 1 lit. b AIH, c'est-à-dire dans le cas de la transformation. Or Etienne peut requérir la transformation de son entreprise
BGE 80 I 86 S. 91
pourvu qu'il remplisse les conditions posées par la loi. Mais il ne peut demander à en ouvrir une nouvelle.
4.
Le recourant objecte en vain qu'il faut distinguer sa personne de celle que constitue l'entreprise Octo, organisée sous forme de société anonyme. Il estime que la nouvelle entreprise, dont l'ouverture est demandée, n'aurait pas le même titulaire que la fabrique Octo. Mais il n'en va ainsi que du pur point de vue juridique. Du point de vue conomique, en revanche, il y a identité entre Etienne et l'entreprise Octo SA, car il est certain qu'il en est le principal actionnaire et l'unique administrateur, de sorte que c'est lui qui l'exploite et dispose, dans la gestion, de tous les pouvoirs. S'agissant d'appliquer l'art. 4 AIH, on ne saurait dès lors admettre que l'entreprise déjà existante et l'entreprise projetée auraient deux titulaires distincts.
5.
L'autorisation demandée en l'espèce doit donc être refusée par le motif qu'Etienne exploite déjà une entreprise horlogère. Mais, alors même qu'il n'en exploiterait aucune, on pourrait se demander si la même solution ne se justifierait pas. Car, sous la raison sociale Soly SA, il a déjà possédé une fabrique d'horlogerie, qu'il a revendue en 1940. Supposé qu'il l'ait créée lui-même et qu'elle existe encore, il faudrait examiner s'il peut faire état de son expérience et de ses connaissances pour redemander l'autorisation d'ouvrir une nouvelle entreprise (art. 4 al. 1 lit. a AIH) ou si, au contraire, le fait qu'il a cédé sa fabrique après avoir consommé son droit à l'autorisation n'exclut pas que ce droit ne reprenne naissance. Il faut en effet prendre garde que l'application du statut de l'horlogerie ne crée, en définitive, des privilèges au profit des spéculateurs. Quoi qu'il en soit, du reste, il n'est pas nécessaire de trancher cette question dans la présente espèce.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7425388b-35fc-44dd-a667-eed477e13e06 | Urteilskopf
122 III 301
54. Estratto della sentenza 21 febbraio 1996 della ai Corte civile nella causa X. contro U. (ricorso per riforma) | Regeste
Zulässigkeit einer Berufung im Verfahren der Gegendarstellung.
Der Verfasser einer Gegendarstellung, die gestützt auf den erstinstanzlichen richterlichen Entscheid veröffentlicht worden ist, hat ein schützenswertes Interesse daran, den zu seinen Ungunsten ausgefallenen Entscheid der letzten kantonalen Instanz anzufechten. | Sachverhalt
ab Seite 302
BGE 122 III 301 S. 302
A.-
Nel mese di febbraio 1995 il quotidiano "A." ha pubblicato un lungo articolo e un trafiletto in cui si descrive in particolare il ruolo avuto nella vicenda legata alla vita e all'eredità di Y. da parte dell'avvocato X., legale e suo curatore nel periodo 1992/93. Sentitosi toccato da quella pubblicazione X. sottopose una sua risposta ai sensi dell'art. 28g e segg. CC. Vistosi opposto il rifiuto alla pubblicazione, X. ha inoltrato alla Pretura del distretto di Lugano un'azione nei confronti della U. AG, società editrice del giornale, volta ad ottenere la pubblicazione della risposta precedentemente trasmessa e, subordinatamente, una risposta opportunamente modificata dall'autorità giudiziaria. In occasione dell'udienza il Pretore, visto che la società editrice si è opposta alla pubblicazione della risposta così come proposta, ha sottoposto alle parti un progetto di testo da lui rimaneggiato e ha assegnato loro un termine di riflessione per esprimersi. Mentre l'attore ha aderito alla proposta, la convenuta l'ha respinta. Con sentenza 27 marzo 1995 il Pretore, in parziale accoglimento dell'istanza, ha ordinato la pubblicazione della risposta nel testo da lui proposto. La risposta elaborata dal primo giudice è stata pubblicata nel mese di marzo 1995. Il 27 novembre 1995 la I Camera civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha annullato la decisione del Pretore e ha respinto l'azione, ponendo le spese processuali e le ripetibili di entrambe le istanze a carico dell'attore.
B.-
L'11 gennaio 1996 X. ha inoltrato un ricorso per riforma al Tribunale federale con cui postula l'annullamento della decisione cantonale. Con risposta 5 febbraio 1996 la Società U. AG propone la reiezione del gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
a) Liti che concernono il diritto di risposta sono considerate contestazioni civili di natura non pecuniaria ai sensi dell'
art. 44 OG
; nel caso concreto il ricorso per riforma è quindi per principio dato (
DTF 112 II 193
consid. b).
b) La risposta, così come approvata dall'attore, è stata pubblicata dal giornale subito dopo l'emanazione della sentenza del Pretore. Secondo la convenuta è quindi difficile ravvisare in capo al ricorrente un interesse degno di protezione: diversa è infatti la situazione dell'impresa
BGE 122 III 301 S. 303
responsabile del mezzo di comunicazione, alla quale la giurisprudenza già ha riconosciuto un interesse degno di protezione a ricorrere anche se la risposta è nel frattempo stata pubblicata, perché il caso, per essa, potrebbe riproporsi.
Vero è che la scelta del legislatore di togliere imperativamente l'effetto sospensivo a eventuali ricorsi (
art. 28l cpv. 4 CC
) favorisce l'interessato al diritto di risposta, il quale si vede pubblicato quanto chiede già in virtù della decisione di primo grado ed indipendentemente da eventuali impugnative. Ma da ciò non si può ancora dedurre, come pretende la convenuta, che gli sia impedita la possibilità di impugnare la sentenza dell'ultima istanza cantonale che dovesse accertare l'inammissibilità del diritto di risposta. La dottrina ammette, senza porre distinzioni tra attore e convenuto, che le parti possono ricorrere al Tribunale federale con un ricorso per riforma contro le decisioni dell'ultima istanza cantonale in tema di diritto di risposta (TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, n. 1732, pag. 228; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, n. 3 all'
art. 54 OG
, pag. 411). Quest'ultimo autore, in particolare osserva che il legislatore togliendo OPA legis la possibilità di conferire l'effetto sospensivo ad un eventuale ricorso, ha in realtà rinunciato ad esigere l'esistenza di un interesse degno di tutela, perché il gravame è ricevibile anche se è divenuto privo di oggetto (ibidem).
In
DTF 114 II 387
il Tribunale federale ha rilevato che l'impresa responsabile del giornale ha un interesse degno di tutela a presentare un ricorso per riforma, perché la domanda di risposta può ripresentarsi, lasciando con ciò intendere che, contrariamente a quanto sostenuto da POUDRET, non è il caso di rinunciare al requisito dell'interesse degno di protezione anche nell'ambito dei rimedi di diritto concernenti il diritto di risposta. È per principio vero che una volta pubblicata la risposta in seguito alla decisione del giudice di prime cure, l'interesse a far verificare la conformità della decisione alla legge da parte dell'impresa del giornale appare attenuato (DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 3a ed., n. 716; R. SCHWEIZER, Freie Medienordnung und Individualsphärenschutz: Erfahrungen mit dem Gegendarstellungsrecht, in: Aktuelle juristische Praxis, 1994, pag. 1099, n. 91; RIKLIN, Schweizerisches Presserecht, n. 48, pag. 247). Altrettanto - o forse ancora maggiormente attenuato - può apparire l'interesse del richiedente ad impugnare una sentenza dell'ultima istanza cantonale che, contrariamente al primo giudice, statuisce l'inammissibilità della risposta già pubblicata.
BGE 122 III 301 S. 304
Nondimeno, anche in questa evenienza, non può essere escluso un interesse degno di protezione da parte della persona richiedente, sia perché la sentenza cantonale accerta l'inammissibilità della risposta, sia perché il richiedente stesso è condannato al pagamento di spese e ripetibili. La dottrina - praticamente unanime (HOTZ, Kommentar zum Recht auf Gegendarstellung, pag. 116; TERCIER, op.cit., n. 1724, pag. 227; PEDRAZZINI/OBERHOLZER, Grundriss des Personenrechts, 4a ed., n. 6.4.4.5.7 b, pag. 171; SCHWEIZER, op.cit., n. 90, pag. 1099) - riconosce infatti all'impresa che è stata costretta a pubblicare la risposta e che esce vincente nella successiva procedura di ricorso, il diritto di portare adeguatamente a conoscenza del pubblico l'esito della procedura ricorsuale: è quindi financo solare l'interesse del richiedente di poter far verificare la conformità al diritto federale del giudizio dell'ultima istanza cantonale a lui sfavorevole mediante un ricorso per riforma al Tribunale federale. Ne consegue che già per codesta ragione va riconosciuto al ricorrente un interesse degno di protezione a impugnare la sentenza con la quale i giudici di appello hanno ritenuto inammissibile il diritto di ottenere la pubblicazione della risposta contestata.
Ciò premesso non occorre indagare ulteriormente per sapere se un interesse degno di tutela può essere ravvisato anche nella necessità di contestare spese e ripetibili della sede cantonale; tema invero delicato, perché come pertinentemente rileva la convenuta, può essere esaminato dal Tribunale federale in un ricorso per riforma solo se il ricorso s'avvera ammissibile e se la decisione impugnata viene modificata nel merito (
art. 157 OG
). | null | nan | it | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
742ad33e-1640-463f-b5f8-ee4fd591ee38 | Urteilskopf
85 III 146
33. Entscheid vom 2. Oktober 1959 i.S. Kredit- und Verwaltungsbank Zug AG gegen Gazzola und Konsorten. | Regeste
Eröffnung des Konkurses über eine Bank (
Art. 36 BankG
, 55 Abs. 2 VV).
1. Die Frist zur Weiterziehung des kantonalen Konkurserkenntnisses läuft von der Zustellung des mit Begründung versehenen Entscheides an (
Art. 19 SchKG
, 77 Abs. 1 OG). Aufschiebende Wirkung nach
Art. 36 SchKG
kann schon vorher verlangt und erteilt werden (Erw. 1).
2. Darf das Konkursgericht ein erst nach dem Konkursbegehren hängig gewordenes Gesuch um bankenrechtliche Stundung (
Art. 29 BankG
, 46 VV) in entsprechender Anwendung von
Art. 173 a SchKG
berücksichtigen? Frage offen gelassen. Ein solches Gesuch fällt jedenfalls nicht mehr in Betracht, wenn es erst seit dem kantonalen Konkurserkenntnis gestellt worden ist (Erw. 2).
3. Zu einem Konkursbegehren nach
Art. 190 SchKG
ist jeder einzelne Gläubiger befugt, gleichgültig ob seine Forderung schon fällig ist (Erw. 3).
4. Wann liegt Zahlungseinstellung im Sinne von
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
vor? (Erw. 4).
5. Weiterziehung an das Bundesgericht wegen Unangemessenheit (Art. 55 Abs. 2 VV): Sie kommt nur in Frage, wenn und soweit der angefochtene Entscheid in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt war (Erw. 5).
6. Wird der Weiterziehung des Konkurserkenntnisses aufschiebende Wirkung nach
Art. 36 SchKG
erteilt und bis zum Rekursentscheid beibehalten, so erhält die Konkurseröffnung im Falle der Bestätigung das Datum des Rekursentscheides (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 147
BGE 85 III 146 S. 147
A.-
Gegen Organe der rekurrierenden Bank sind seit 1957 Strafuntersuchungen namentlich wegen Übertretung bankgesetzlicher Vorschriften hängig. Am 13. August 1959 wurde der eine Direktor, Max Kaufmann, wegen Kollusionsgefahr in Haft gesetzt, worüber das Polizeirichteramt Zug in der Presse eine Mitteilung erscheinen liess. Nach der Einvernahme des aus dem Ausland zurückgekehrten
BGE 85 III 146 S. 148
andern Direktors, Albert Zürcher, wurde Direktor Kaufmann am Sonntag, dem 16. August, aus der Haft entlassen. Die Bank hielt in der darauffolgenden Woche zwar ihre Schalter weiterhin offen; an den Eingangstüren war jedoch folgende Bekanntmachung angeschlagen:
"Konto-Korrent, Einlagehefte, Sparhefte, Depositen-Konto, Kassa-Obligationen.
Auf Grund der am letzten Wochenende erfolgten Publikation befürchten wir einen sogenannten ,Run'.
Aus vorsorglichen Gründen und zur Abwendung von Privilegien werden bis auf weiteres keine Kapitalrückzüge vorgenommen."
Demgemäss verweigerte die Bank jede solche Kapitalauszahlung. Gläubiger, die auf schriftlichem Wege Kapital abzuheben wünschten, erhielten ein vervielfältigtes Schreiben zugestellt, dem zu entnehmen war:
"Wir besitzen Ihre Zuschrift vom ... und teilen Ihnen höflich mit, dass in letzter Zeit von gewisser Seite mindestens sehr tendenziöse, kreditschädigende Publikationen erschienen sind. Zur Selbstverteidigung und zur rechtsgleichen Wahrung aller Gläubigerinteressen haben wir zur Abwendung eines sogenannten ,Run' auf unsere Bank vorübergehend jede Auszahlung zu Lasten der Anlage-Konti gesperrt.
Wir hoffen, den Zahlungsdienst, wenn die Sache einmal etwas abgeebnet ist, in circa drei bis vier Wochen wieder aufnehmen zu können."
Unter dem 19. August 1959 erliess die Bank folgende Mitteilung an die Presse:
"...
3. Seit Jahren liegt unsere Bank im Rechtsstreit mit der eidg. Bankenkommission wegen der Bewertung einzelner Aktivpositionen. Die Bankbilanzen sind Jahr für Jahr durch die aktienrechtliche Kontrollstelle geprüft und für richtig befunden worden. Die Verbindlichkeiten der Bank sind gemäss diesen Bilanzen und Kontrollberichten durch die vorhandenen Aktiven gedeckt.
B.-
Indessen hatten bereits am 18. August 1959 fünf Gläubiger der Bank beim Kantonsgericht Zug als der einzigen kantonalen Instanz nach
Art. 36 Abs. 5 BankG
die sofortige Eröffnung des Konkurses über die Schuldnerin wegen Einstellung der Zahlungen (
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
) verlangt.
BGE 85 III 146 S. 149
C.-
Nach Durchführung einer Parteiverhandlung und Einvernahme des Direktors Kaufmann eröffnete das Kantonsgericht am 25. August 1959, 17 Uhr, über die Bank den Konkurs. Als Konkursverwaltung bezeichnete das Gericht die von der eidgenössischen Bankenkommission vorgeschlagene Schweizerische Treuhandgesellschaft in Zürich.
D.-
Die Bank erhielt das Konkurserkenntnis zunächst, am 26. August 1959, nur im Dispositiv zugestellt, mit dem Vermerk, die vollständige Ausfertigung des Entscheides werde ihr später zugehen. Gleichen Tages erhob sie Rekurs an das Bundesgericht gemäss Art. 55 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum Bankengesetz, mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das Konkursbegehren, soweit darauf einzutreten sei, abzuweisen. Sie behielt sich eine Ergänzung der Rekursbegründung nach Empfang des vollständigen Entscheides vor und verlangte, dass dem Rekurs aufschiebende Wirkung beigelegt werde, was geschah. Nach Zustellung des mit Begründung ver sehenen Entscheides am 28. August reichte die Bank am 7. September eine zusätzliche Rekursbegründung ein.
E.-
Die Gläubiger, die das Konkursbegehren gestellt hatten, trugen auf Abweisung des Rekurses an. Die Bankenkommission äusserte sich am 4. September zum vorläufigen Rekurs und am 17. September zur Rekursergänzung, ohne einen formellen Antrag zu stellen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Entscheidungen der als einzige kantonale Instanz eingesetzten Konkursgerichte unterliegen dem Rekurs an das Bundesgericht nach den Vorschriften über die Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs (Art. 55 Abs. 2 VV zum BankG). Somit läuft die Weiterzugsfrist vom Empfang des mit Begründung versehenen Entscheides an (
Art. 19 SchKG
, 77 Abs. 1 OG). Es ist daher auch auf die
BGE 85 III 146 S. 150
binnen dieser Frist eingereichte Rekursergänzung einzutreten.
Anderseits stand der Rekurrentin frei, bereits im vorläufigen Rekurs die Erteilung aufschiebender Wirkung nachzusuchen. Diesem Gesuche war mit Rücksicht auf die in Frage stehenden Interessen und auf die Unvollständigkeit der Akten zu entsprechen. Es waren die Entscheidungsgründe des Kantonsgerichts und die allfällige Rekursergänzung abzuwarten, die in der Tat einging, worauf noch Vernehmlassungen eingeholt wurden (
Art. 81 OG
).
2.
In der ergänzenden Begründung verweist die Rekurrentin auf das von ihr erst seit dem angefochtenen Entscheid eingereichte Stundungsgesuch nach
Art. 29 BankG
. Dieses Gesuch kann jedoch nicht mehr als Grund zur Aussetzung des Entscheides über die Konkurseröffnung berücksichtigt werden. Nach Art. 46 Abs. 2 VV zum BankG ist ein Stundungsgesuch vorweg zu erledigen, wenn es vor dem Konkursbegehren angebracht worden ist, was hier nicht zutrifft. Freilich erhebt sich die Frage, ob nicht die bei der Teilrevision des SchKG vom 28. September 1949 eingeführte "Kann"-vorschrift des Art. 173 a auch auf Gesuche um bankenrechtliche Stundung anwendbar sei, ob also ein solches Gesuch, wenn auch nicht unbedingt, so doch unter Umständen nach Ermessen des Konkursgerichts, ebenso wie ein Gesuch um Bewilligung einer Nachlassstundung oder einer Notstundung die Aussetzung des Konkurserkenntnisses zu rechtfertigen vermöge, sofern es auch nur vor dessen Ausfällung hängig gemacht worden ist. Die Bejahung dieser Frage liegt nahe angesichts des
Art. 32 Abs. 1 BankG
, wonach die bankenrechtliche Stundung die in
Art. 317 g SchKG
umschriebenen Wirkungen einer Notstundung hat. Wie dem aber auch sei, kann ein Gesuch um bankenrechtliche Stundung nicht mehr zur Aussetzung des Konkurserkenntnisses führen, wenn es erst nach einer in kantonaler Instanz ausgesprochenen Konkurseröffnung gestellt wird. Im Rekursverfahren vor Bundesgericht ist ein solches Stundungsgesuch - als eine
BGE 85 III 146 S. 151
erst seit dem angefochtenen Entscheid eingetretene Tatsache - nach den auch hier anwendbaren Vorschriften über die Rechtspflege in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (
Art. 75 ff. OG
) nicht zu beachten. Das Bundesgericht hat die kantonalen Entscheidungen lediglich gemäss dem ihnen zu Grunde liegenden Tatbestande zu überprüfen. Damit stimmt überein, dass neue Begehren, Tatsachen, Bestreitungen und Beweismittel vor Bundesgericht nicht anbringen kann, wer dazu im kantonalen Verfahren Gelegenheit hatte (Art. 79 Abs. 1 Satz 2). Die Rekurrentin wurde zum Konkursbegehren angehört; wäre es aber nicht der Fall gewesen, so stünde ihr nur zu, die Vorbringen nachzuholen, die sie in kantonaler Instanz hätte machen können, also sich auf damals bereits eingetretene Tatsachen zu berufen, die das Konkursgericht nach ihrer Ansicht hätte berücksichtigen sollen. Das Stundungsgesuch, das sie nun geltend macht, lag zur Zeit der vorinstanzlichen Entscheidung nicht nur nicht vor, sondern die Rekurrentin erklärte vor Kantonsgericht noch ausdrücklich, es für überflüssig zu halten. Der Vorinstanz kann somit auch nicht etwa vorgeworfen werden, sie habe die Konkurseröffnung in übereilter Weise ausgesprochen, statt einem unmittelbar bevorstehenden Stundungsgesuch Raum zu geben. Vielmehr hat sich die Bank erst nach dem vorinstanzlichen Entscheide zur Einreichung des Stundungsgesuches entschlossen, das daher nicht geeignet sein kann, zur Anfechtung des kantonalen Entscheides zu dienen. Dessen Rechtmässigkeit ist ausschliesslich auf Grund der bei seiner Ausfällung bereits gegebenen Verhältnisse zu beurteilen.
3.
Belanglos ist der Einwand, der eine der fünf Gesuchsteller sei (als blosser Mit-, nicht Alleininhaber zweier Sparhefte) nicht legitimiert gewesen, ein Konkursbegehren zu stellen. Jedenfalls war auf die Begehren der vier andern Gesuchsteller einzutreten. Die Rekurrentin hält freilich dafür, auch deren Begehren seien, mangels Fälligkeit ihrer Forderungen, unzulässig gewesen. Diesem Einwand hält
BGE 85 III 146 S. 152
die Vorinstanz entgegen, angesichts der an den Eingangstüren ausgehängten Mitteilung wäre es zwecklos gewesen, die Sparhefte zur Abhebung eines Kapitalbetrages vorzuweisen. Daher seien die Sparguthaben bis zum Betrage von je Fr. 500.-- spätestens mit der Stellung des Konkursbegehrens fällig geworden. Die Frage der Fälligkeit spielt indessen gar keine Rolle. Zu einem Konkursbegehren nach
Art. 190 SchKG
ist jeder Gläubiger berechtigt, gleichgültig ob seine Forderung fällig ist oder nicht (JAEGER, N. 2 zu
Art. 190 SchKG
; JAEGER-DAENIKER, Praxis, ebendort). Nicht nur ist nach dem Wortlaut des Gesetzes Fälligkeit der Forderung nicht vorausgesetzt; es entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, die Gläubiger beim Vorliegen eines der betreffenden Konkursgründe ohne Rücksicht auf die Fälligkeit ihrer Forderungen in solcher Weise zu schützen. Mit der Konkurseröffnung wird die Fälligkeit dann eben herbeigeführt (
Art. 208 SchKG
), sofern es sich nicht um Forderungen mit Pfandrecht an Grundstücken des Schuldners handelt, die jedoch im Konkurse gleichfalls berücksichtigt werden (Art. 259/135 SchKG).
4.
Zur Frage, ob eine Zahlungseinstellung im Sinne von
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
vorliege (d.h. ob dieser Konkursgrund im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheides vorgelegen habe), stellt die Rekurrentin eine Reihe neuer Beweisanträge, die nach der bereits erwähnten Norm des
Art. 79 Abs. 1 OG
ausser Betracht fallen müssen. Nur dem Antrag auf Beizug eines Berichtes der Bankenkommission als eines mit amtlichen Aufgaben betrauten und mit den Verhältnissen vertrauten unparteiischen Organs konnte entsprochen werden (
Art. 81 OG
). Die vor Kantonsgericht beantragte Befragung von Direktor Kaufmann hat in der Verhandlung vom 25. August 1959 stattgefunden. Es erübrigte sich, diese Befragung inbezug auf die Überschuldungsfrage zu ergänzen und einen Bericht der aktienrechtlichen Kontrollstelle, Curator AG, einzuholen, wie die Rekurrentin es laut den vor Bundesgericht vorgelegten Plaidoyernotizen in der vorinstanzlichen Verhandlung verlangte.
BGE 85 III 146 S. 153
Ist doch die Curator AG laut ihrem Bericht vom 27. April 1959 zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung der Rekurrentin (Seite 8 des von dieser dem Kantonsgericht vorgelegten Jahresberichtes 1958) nicht in der Lage, den inneren Wert gewisser Aktivposten zu beurteilen. Vielmehr ist auf die bankengesetzlichen Revisionsberichte abzustellen, denen amtlicher Charakter zukommt (
Art. 18 ff. BankG
, Art. 30 ff. VV). Nach der Vernehmlassung der Bankenkommission und dem von ihr vorgelegten Revisionsbericht der "Experta" war die Rekurrentin Ende September 1958 mindestens im Betrage von Fr. ... überschuldet. Dass die von ihr gemäss
Art. 727 OR
bestimmte Kontrollstelle (Curator AG) zu weniger grossen - übrigens unter gewissen Vorbehalten genannten - Überschuldungszahlen kam, vermag diese Tatsache nicht zu entkräften.
Im übrigen hat die Rekurrentin der Vorinstanz keine konkreten Belege über die Möglichkeit einer baldigen Sanierung unterbreitet, sondern nur ihre Absicht betont, die Zahlungen in zwei bis drei Wochen wieder aufzunehmen. Die neuen Ausführungen in der Rekursergänzung (S. 3-5) sind unbeachtlich. Sie wären auch gar nicht geeignet, die Ergebnisse der bankengesetzlichen Revisionen zu widerlegen. Tun sie doch gerade dar, dass die Rekurrentin ihre Verpflichtungen nicht mehr aus eigenen Mitteln erfüllen kann, sondern schwer überschuldet ist und nur mit grossen (angeblich - unter Bedingungen - zugesicherten) fremden Mitteln sich sanieren könnte.
Unter diesen Umständen lässt sich gegen die auf
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
gestützte Konkurseröffnung rechtlich nichts einwenden. Nach Ansicht der Rekurrentin liegt zwar weder eine allgemeine noch eine dauernde und endgültige Zahlungseinstellung vor: Die Sperre betreffe nur die in der Mitteilung an die Kundschaft genannten Geschäftszweige. Auf andere Verpflichtungen, z.B. den Zinsendienst oder neue, nach Erlass der Sperre zur Abwicklung gelangende Geschäfte, beziehe sich diese Massnahme nicht.
BGE 85 III 146 S. 154
Sie sei sodann nur für kurze Zeit vorgesehen. Beide Standpunkte erweisen sich aber als unhaltbar.
a) Von der Einstellung "seiner" Zahlungen ist nicht nur bei Einstellung sämtlicher Zahlungen zu sprechen. Die Anwendung von
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
ist auch schon dann gerechtfertigt, wenn sich die Zahlungssperre auf einen wesentlichen Teil des Geschäftsbetriebes bezieht. So verhält es sich, wenn eine Bank, wie im vorliegenden Falle, ihrem ganzen Kundenkreis aus dem Kontokorrent -, Sparheft-, Kassa-Obligationen - Geschäft usw. mitteilt, sie leiste keine Zahlungen mehr. Wie die Vorinstanz an Hand des Jahresberichtes 1958 der Rekurrentin feststellt, handelt es sich dabei wert- und zahlenmässig um den überwiegenden Teil der Gläubiger. Die Behauptung, andere Verpflichtungen würden weiterhin erfüllt, ist übrigens durch nichts belegt. Dazu kommt, dass Zahlungen an einzelne Gläubiger bei der gegebenen Sachlage auf eine Gläubigerbegünstigung hinauslaufen würden, wie die Bankenkommission zutreffend bemerkt.
b) Um einer in solchem Umfang erfolgten Einstellung der Zahlungen die Bedeutung eines Konkursgrundes im Sinne von
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
abzusprechen, müsste man sie auf aussergewöhnliche Umstände vorübergehender Natur zurückführen können, so dass die Zahlungsfähigkeit nicht in Frage gestellt wäre. Einen solchen Sachverhalt vermag die Rekurrentin nicht darzutun. Wohl mag die Verhaftung eines Direktors und deren Bekanntwerden eine plötzliche "Run"-Gefahr geschaffen haben. Die hierauf von der Bank angeordnete Zahlungssperre liess aber eine auf wirklicher Zahlungsunfähigkeit beruhende Gefahr für die Gläubigergesamtheit vermuten. Dies um so mehr, als seit längerer Zeit Strafuntersuchungen gegen Organe der Bank hängig sind und sie, laut ihrer eigenen Mitteilung an die Presse, seit Jahren wegen der Bewertung von Aktivpositionen "im Rechtsstreit mit der eidgenössischen Bankenkommission liegt". Zur Entkräftung dieser Vermutung hätte es konkreter Beweise der Zahlungsfähigkeit
BGE 85 III 146 S. 155
bedurft, wie sie ordentlicherweise die bankengesetzlichen Revisionsberichte bieten. Der Rekurrentin standen aber solche Ausweise nicht zur Verfügung, da die massgebenden Berichte ungünstig lauten. Nicht einmal einen bestimmten Termin der Wiederaufnahme der Zahlungen konnte sie dem Konkursgericht nennen, wie sie denn auch in ihrer Bekanntgabe an die Kunden nur in unbestimmter Weise die Aufhebung der Sperre in einigen Wochen in Aussicht gestellt hatte. Berücksichtigt man die oben erwähnten Ursachen der Zahlungsschwierigkeiten, so ist vollends ausgeschlossen, den in Frage stehenden Konkursgrund zu verneinen. In Wahrheit liegt eine Zahlungseinstellung bis auf weiteres, auf unbestimmte Zeit, vor, somit eine dauernde im Sinne des
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
, d.h. eine nicht erwiesenermassen bloss vorübergehende Zahlungseinstellung (vgl. FRITZSCHE, II, S. 30/31).
5.
Falls der angefochtene Entscheid als rechtmässig befunden wird, möchte ihn die Rekurrentin dennoch nicht gelten lassen, da er unangemessen, d.h. unzweckmässig sei. Denn einerseits ziehe der Konkurs einer Bank mit Sicherheit für viele Gläubiger eine erhebliche Gefährdung ihrer Rechte nach sich, und anderseits erscheine es als untunlich, einen so zahlreiche Gläubiger in Mitleidenschaft ziehenden Konkurs mit seinen weitreichenden Auswirkungen auf das Begehren einiger weniger Gläubiger auszusprechen. Diese Betrachtungsweise vermag gegenüber
Art. 190 Ziff. 2 SchKG
nicht durchzudringen. Allerdings können nach dem zweiten Satz von Art. 55 Abs. 2 VV zum BankG alle Entscheide des Konkursgerichtes und der Nachlassbehörde auch wegen Unangemessenheit an das Bundesgericht weitergezogen werden (abweichend von
Art. 19 SchKG
, wonach der Rekurs an das Bundesgericht in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, im Unterschied zu den im Bereich der kantonalen Instanzen geltenden
Art. 17 und 18 SchKG
, nur wegen Gesetzwidrigkeit zulässig ist, abgesehen von der Beschwerde wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung). Indessen hat jene
BGE 85 III 146 S. 156
Vorschrift von Art. 55 VV zum BankG vor allem die Fälle im Auge, in denen das Konkursgericht oder die Nachlassbehörde als Beschwerdeinstanz gegenüber der Konkursverwaltung (gemäss
Art. 36 Abs. 2 BankG
) oder dem Kommissär (gemäss
Art. 37 Abs. 2 BankG
) geurteilt hat. In einem solchen Falle ist die Weiterziehung an das Bundesgericht ebenso wie die Beschwerde an die kantonale Instanz auch wegen Unangemessenheit zulässig (vgl. z.B.
BGE 62 III 192
Erw. 3, ferner ROSSY/REIMANN, Schweizerisches Bankengesetz, N. 2 der Vorbem. zu Art 36 ff., S. 69). Dieser Beschwerde- und Weiterziehungsgrund fällt aber nur in Betracht, wenn und soweit eine Entscheidung in das Ermessen der zuständigen Beamten und Behörden gestellt ist. Wo eine bestimmte Amtshandlung oder Verfügung beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen geboten ist, sei es dass sie auf Antrag eines Berechtigten oder von Amtes wegen vorgenommen bzw. getroffen werden soll, bleibt kein Raum für die Verweigerung oder Unterlassung aus Gründen der Angemessenheit oder Zweckmässigkeit. Das hiesse nichts anderes als sich über ein gesetzliches Gebot aus vom Gesetz nicht anerkannten Gründen hinwegsetzen. Aus diesem Gesichtspunkt erweist sich nun insbesondere die Anfechtung eines gegen eine Bank ergangenen Konkurserkenntnisses wegen Unangemessenheit als unzulässig, gesetzt auch, die erwähnte Norm der VV zum BankG sei grundsätzlich auch auf andere als im Beschwerdeverfahren ergangene Entscheidungen des Konkursgerichts zu beziehen. Die Anwendung der Art. 171/72, 189 und 190 ff. SchKG ist eben keine Frage der Angemessenheit. Da hier der von den Gesuchstellern geltend gemachte Konkursgrund vorlag, war die Konkurseröffnung auszusprechen. Die Anzahl der Gesuchsteller war hiebei gleichgültig, da nach dem eindeutigen Wortlaut von
Art. 190 SchKG
jeder Gläubiger die Konkurseröffnung verlangen kann.
Die besondere Frage, ob einer andern Art der Liquidation oder einer Sanierung der Vortritt vor der Eröffnung
BGE 85 III 146 S. 157
des Konkurses zu gewähren sei, stellt sich im vorliegenden Falle nicht, da zur Zeit des angefochtenen Entscheides kein anderes Verfahren hängig war (oben Erw. 2). Während Art. 46 Abs. 2 VV zum BankG die Aussetzung des Konkurserkenntnisses geradezu gebietet, wenn vor dem Konkursbegehren ein Stundungsgesuch der Bank gestellt worden ist, lässt sich ein später, immerhin vor dem Entscheid über das Konkursbegehren, angebrachtes Stundungsgesuch höchstens in entsprechender Anwendung von
Art. 173a SchKG
, also nach richterlichem Ermessen, als allfälliger Grund zur Aussetzung des Konkurserkenntnisses berücksichtigen. Ob diese neue Vorschrift auf Bankenstundungsgesuche entsprechend anzuwenden sei, ist Rechtsfrage; ob sich die Aussetzung des Konkurserkenntnisses auf Grund dieser Bestimmung (deren Anwendbarkeit vorausgesetzt) im einzelnen Falle rechtfertige, eine Frage der Angemessenheit. Hier ist aber, wie in Erw. 2 dargelegt wurde, weder zu jener Rechtsfrage noch zu der sich bei deren Bejahung erhebenden Ermessensfrage Stellung zu nehmen, da der tatsächliche Vorgang, an den sich die beiden Fragen knüpfen würden, sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereignet hat und daher nach den Vorschriften über den Rekurs an das Bundesgericht nicht mehr in Betracht fällt.
6.
Die dem Rekurs nach
Art. 36 SchKG
erteilte aufschiebende Wirkung ändert nichts daran, dass das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid gemäss
Art. 75 ff. OG
lediglich auf Grund der bei seiner Ausfällung bereits eingetretenen Tatsachen zu beurteilen hat. Dagegen hat die Aufschiebung des Vollzuges des kantonalen Konkurserkenntnisses nun zur Folge, dass als Datum der Konkurseröffnung dasjenige des heutigen Entscheides zu gelten hat, der erst den Hinfall der aufschiebenden Wirkung des Rekurses ausspricht. Nach früherer Auffassung wäre bei Erteilung aufschiebender Wirkung "das ganze Konkurserkenntnis suspendiert"; "wird es aber von der Berufungsinstanz bestätigt, so ist nicht etwa das Datum ihres
BGE 85 III 146 S. 158
Erlassen, sondern dasjenige des erstinstanzlichen Erkenntnisses für den Zeitpunkt der Konkurseröffnung bestimmend" (so JAEGER, N. 1 zu
Art. 175 SchKG
). Diese Betrachtungsweise stand im Einklang mit der Praxis der staatsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts, wonach die in erster Instanz ausgesprochene Konkurseröffnung als solche rechtskräftig wird, auch wenn Berufung eingelegt und ihr aufschiebende Wirkung erteilt wird, vorausgesetzt nur, dass der Berufungsentscheid dann auf Bestätigung lautet. Denn die aufschiebende Wirkung hemme nicht sowohl die Rechtskraft, als vielmehr bloss die Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Konkurserkenntnisses (vgl.
BGE 46 I 365
ff.,
BGE 47 I 205
ff.). Später setzte sich jedoch eine abweichende Ansicht durch, die JAEGER-DAENIKER, Praxis (N. 1 zu
Art. 175 SchKG
) mit Hinweis auf VETSCH (in SJZ 33 S. 152) dahin umschreibt, die Wirkung der Konkurseröffnung trete bei Weiterziehung des erstinstanzlichen Konkurserkenntnisses und Erteilung aufschiebender Wirrkung "erst in dem Moment ein, wo die aufschiebende Wirkung dahinfällt, also entweder das erstinstanzliche Erkenntnis bestätigt wird, oder im Zeitpunkt des Rückzuges der Berufung oder der Aufhebung der Suspensivwirkung". In diesem Sinne hat sich nun die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts in mehreren Entscheiden ausgesprochen (
BGE 53 III 204
ff. und namentlich
BGE 79 III 43
ff., wo eingehend zu abweichenden Lehrmeinungen Stellung genommen wird; damit übereinstimmend die Ausführungen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer in
BGE 54 III 11
, wonach Rechtsgeschäfte, die der Schuldner während der Hängigkeit seiner Berufung gegen das erstinstanzliche Konkurserkenntnis abschliesst, dann, wenn dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung beigelegt wurde, als vor der Konkurseröffnung abgeschlossen zu gelten haben). An dieser Betrachtungsweise (vgl. FRITZSCHE II 15 oben) ist festzuhalten, auch aus der praktischen Erwägung, dass es nicht wohl angeht, die Wirkungen einer infolge Anwendung von
Art. 36 SchKG
BGE 85 III 146 S. 159
im Weiterziehungsverfahren nicht eher bekannt gemachten Konkurseröffnung, namentlich die Konkursfolgen gemäss
Art. 204 Abs. 1 SchKG
, gleichwohl mit dem unter Umständen mehrere Monate zurückliegenden Datum des erstinstanzlichen Konkurserkenntnisses eintreten zu lassen.
Das Datum der Konkurseröffnung ist somit das des heutigen Entscheides, und zwar das der Ausfällung, womit die Rechtskraft eintritt (
Art. 38 OG
).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
1.- Der Rekurs wird abgewiesen und der angefochtene Entscheid bestätigt.
2.- Die dem Rekurs vom 27. August 1959 verliehene aufschiebende Wirkung fällt dahin. Datum der Konkurseröffnung: 2. Oktober 1959, 11 Uhr. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
742bacb3-426b-4bd1-9aeb-03d48f0dcf6e | Urteilskopf
103 IV 213
61. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 7 novembre 1977 dans la cause Ministère public du canton de Neuchâtel contre Jaeger | Regeste
Art. 1 AO
; Ausverkauf oder ähnliche Veranstaltung.
1. Der Beitritt zu einem Klub kann einem Detailverkauf nur gleichgestellt werden, wenn der Zweck des Klubs im wesentlichen darin besteht, den Mitgliedern Waren zum Kauf anzubieten (Erw. 2a).
2. Wenn der wirkliche Wert der in Aussicht gestellten Vergünstigung für die Käufer klar erkennbar ist, muss er berücksichtigt werden. Ein Gegenstand im Werte von weniger als 10 Rappen kann nicht als Zugabe betrachtet werden, sondern ist ein geringwertiger Reklamegegenstand im Sinne von
Art. 20 Abs. 2 UWG
(Erw. 2b).
Art. 1 Abs. 2 LG
; Lotterie.
Kann der Käufer eines durch einen Umschlag verdeckten Abziehbildes es gegen ein anderes seiner Wahl und gleichen Wertes umtauschen, so fehlt es an Begriffsmerkmalen der Lotterie, nämlich am vermögensrechtlichen Vorteil und dem Element des Zufalls (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 103 IV 213 S. 214
A.-
Francis Jaeger, responsable des éditions Hélio, à Bernex, a récemment créé le "COLATOUCLUB". Il a offert publiquement aux 1000 premiers membres de ce club "un magnifique autocollant spécial numéroté de membre fondateur". La cotisation annuelle de ce club est de 15 fr. Cette cotisation couvre les frais administratifs ainsi que l'envoi de 50 autocollants publicitaires au minimum.
Par ailleurs, Jaeger offre en vente un jeu de 62 écussons des communes neuchâteloises, qui peut être acquis pour la somme de 40 fr. 20. Ces écussons peuvent aussi être obtenus de manière isolée, par l'achat d'une pochette dont on ne peut voir le contenu et vendue au prix de 0 fr. 50. A condition de n'acquérir aucun écusson à double, l'acheteur peut se procurer la collection complète pour 31 fr. Chaque acheteur peut échanger auprès de Jaeger les vignettes qu'il possède à double contre celles qui lui manquent.
B.-
Jaeger a été renvoyé devant le Tribunal de police du district de Neuchâtel sous les préventions d'infraction à l'OF sur les liquidations et opérations analogues et d'infraction à la LF sur les loteries et paris professionnels. Il a été acquitté le 19 avril 1977.
Le 6 juillet 1977, la Cour de cassation pénale du canton de Neuchâtel a rejeté un pourvoi interjeté par le Ministère public du canton contre le jugement libérant Jaeger.
C.-
Le Procureur général du canton de Neuchâtel se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à la condamnation de Jaeger.
Celui-ci propose de rejeter le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Sur la prévention d'infraction à l'OF sur les liquidations (OL), la cour cantonale a considéré qu'il n'y avait
BGE 103 IV 213 S. 215
pas en l'espèce vente au détail au sens de l'
art. 1er OL
, mais adhésion à un club. Elle constate que les membres du club créé par l'intimé sont animés par un animus societatis bien réel, qui s'est manifesté de manière concrète. Elle relève que ce club a proposé notamment à ses jeunes membres des possibilités de correspondance avec des enfants tchèques, qu'il a organisé un concours de dessin, qu'il envoie tous les trois mois à ses membres un journal qui relate en bandes dessinées son activité, que les jeunes membres du club cherchent avec enthousiasme de nouveaux membres qui partageront leur passion pour les autocollants. En outre, la cour cantonale a considéré que l'offre d'un autocollant, fût-il décrit comme magnifique et numéroté, ne peut induire en erreur des enfants amateurs, qui savent pertinemment que le prix de revient de tous ces autocollants varie en fait assez peu; que c'est bien le caractère esthétique et la valeur de collection qui intéressent les futurs membres du club; qu'il est indéniable enfin que l'autocollant fait office de réclame et ne peut dès lors tomber sous le coup des dispositions de l'OL.
b) A l'appui de son pourvoi, le Procureur général conteste tout d'abord l'affirmation de la cour cantonale selon laquelle les membres du club seraient animés d'un véritable animus societatis et que c'est la passion pour les autocollants qui les réunirait. Pour lui, l'affaire a été lancée par une maison d'édition, par une entreprise commerciale qui fait du bénéfice grâce à la cotisation annuelle ainsi qu'au prix des autocollants qu'elle vend. Il fait état du fait qu'outre la cotisation, l'intimé encaisse 0 fr. 50 par autocollant vendu et que le résultat de l'opération consistant à vendre une collection complète d'autocollants comprenant 62 exemplaires est certainement appréciable pour son promoteur. Il rappelle que l'offre du "magnifique autocollant spécial numéroté" a été adressée à des centaines d'enfants qui ne se connaissaient pas encore à l'époque et qui ne pouvaient dès lors être animés d'un animus societatis quelconque, et que l'offre s'adressant à plusieurs milliers de membres d'une organisation est publique et tombe de ce fuit sous le coup de l'OL.
Le recourant soutient enfin que l'argumentation de la cour cantonale, selon laquelle l'offre du "magnifique autocollant" ne constituait pas un avantage et ne pouvait induire en erreur les enfants, n'est pas pertinente. Pour lui, d'une part, l'avantage
BGE 103 IV 213 S. 216
momentané offert paraît suffisamment important pour inciter les intéressés à adhérer au club et, d'autre part, c'est avant tout l'impression générale que donne l'annonce au public qui importe et non pas l'importance de l'avantage réellement offert. Quant au fait que l'objet ait été offert à titre de réclame, il ne saurait justifier sans autre l'application de l'
art. 1er OL
, ni la ratio legis ni le moindre argument de texte ne permettant de fonder une telle manière de voir; au contraire, la modicité de l'avantage consenti accentuerait la gravité de l'infraction, car la tromperie n'en serait que plus grande.
2.
a) En vertu de l'
art. 1er OL
, une liquidation ou une opération analogue est une vente au détail dans laquelle les acheteurs se voient offrir, par des annonces publiques, des avantages momentanés que le vendeur ne leur accorderait pas ordinairement.
La première condition, pour que l'on soit en présence d'une liquidation ou d'une opération analogue, est l'existence d'une vente au détail. Or, au vu des constatations de fait retenues par la cour cantonale, cette condition n'est pas réalisée ici. C'est en vain que le recourant conteste que les membres du club créé par l'intimé sont animés d'un véritable animus societatis. Pour affirmer l'existence de cet animus societatis, la cour cantonale est partie d'une appréciation correcte de cette notion, ainsi que cela ressort des divers éléments touchant à l'activité du club, à la solidarité et à l'enthousiasme des membres. Bien que portant sur un fait à portée juridique, l'affirmation de la cour cantonale est une constatation de fait qui lie la Cour de cassation pénale et contre laquelle il ne peut être présenté de griefs (art. 273 al. 1 litt. b et 277bis PPF). Certes, l'animus societatis ne suffit pas à lui seul à exclure, le cas échéant, l'existence d'une vente au détail, si le but de la société consiste essentiellement à offrir des biens en vente à ses membres. Mais, en l'espèce, à côté de la remise de 50 autocollants, l'activité du club est indépendante de toute opération de vente. A cet égard, on doit relever que le recourant commet une confusion, contraire aux faits constatés, en liant à l'activité du club, ou à l'appartenance à celui-ci, la vente et l'achat des 62 écussons des communes neuchâteloises. Il s'agit là d'une activité de la maison "COLATOUCLUB"; l'achat de ces écussons est offert à tous, indépendamment de l'appartenance
BGE 103 IV 213 S. 217
au club, et sans lien aucun avec le paiement des cotisations.
L'adhésion au club n'étant ainsi pas assimilable en l'espèce à une vente au détail, il importe peu que l'offre du "magnifique autocollant" aux mille premiers membres soit publique et momentanée. Ces conditions d'application de l'
art. 1er OL
- dont l'existence n'est d'ailleurs pas contestée - ne sont déterminantes que si l'on a affaire à une vente au détail.
b) Enfin, même si l'on pouvait admettre être en présence d'une vente au détail, c'est à juste titre que la cour cantonale a relevé que l'offre du "magnifique autocollant" ne pouvait induire en erreur des enfants amateurs, suffisamment avertis des prix dans ce domaine, et qu'elle faisait office de réclame, ne pouvant dès lors tomber sous le coup de l'OL.
Certes, ainsi que le relève le recourant, c'est l'impression générale que donne l'annonce au public qui importe et non pas l'importance réelle de l'avantage (
ATF 93 IV 109
consid. 2,
ATF 90 IV 111
consid. 1,
ATF 89 IV 220
). Mais lorsque, comme en l'espèce, l'importance réelle de l'avantage offert est parfaitement perceptible pour le public auquel s'adresse l'annonce, elle doit être prise en considération. Or, aussi tentant qu'il puisse être, un objet d'aussi peu de valeur que l'autocollant incriminé (6 ct.) ne peut pas être raisonnablement considéré comme un véritable avantage au sens de l'OL, c'est-à-dire comme une prestation dont la valeur est suffisante pour inciter le public à l'achat (cf.
ATF 90 IV 112
consid. 3). Il s'agit bien d'un objet de peu de valeur donné à titre de réclame, c'est-à-dire d'un objet qui n'est pas considéré comme une prime, en vertu de l'
art. 20 al. 2 LCD
.
C'est donc avec raison que les juges précédents ont libéré l'intimé de l'accusation d'infraction à l'OL.
3.
a) Sur la prévention d'infraction à la loi fédérale sur les loteries et les paris professionnels (LLP), la cour cantonale, se référant à la distinction faite par la jurisprudence entre la loterie et la vente de pochettes surprise, a estimé que la vente des enveloppes contenant des écussons des communes neuchâteloises devait être assimilée à la vente de cornets surprise, car, quel que soit le contenu des enveloppes, il a toujours la même valeur économique, et la vignette qui ne convient pas à l'acheteur peut être échangée contre celle qu'il désire. En outre, le hasard n'entre pour aucune part dans le prix de
BGE 103 IV 213 S. 218
collection, le choix préalable de l'acheteur entre l'achat de la collection complète ou l'achat des enveloppes isolées, avec possibilité d'échange, étant déterminant.
b) Le recourant soutient, au contraire, que l'opération incriminée doit être considérée comme une loterie. Pour que celui qui choisit d'acheter des enveloppes puisse obtenir une collection complète au prix de 31 fr. au lieu de 40 fr. 20, il faut qu'il ait la chance d'acquérir du premier coup les sachets comprenant chacun les armoiries de communes différentes, sinon de nombreuses enveloppes supplémentaires devront être achetées. L'avantage matériel inhérent à toute loterie serait donc ici constitué non par la valeur intrinsèque du bien à acquérir, à savoir l'armorial neuchâtelois complet, mais par le prix de ce bien, qui est très diffèrent selon la chance de l'amateur portant son choix sur le système d'achat "à l'aveugle". La mise n'étant pas forcément la même, la valeur de la collection complète différerait donc subjectivement de cas en cas, dépendant du hasard pour l'essentiel.
4.
a) Selon l'
art. 1er LLP
, qui prohibe les loteries, est réputée loterie toute opération qui offre, en échange d'un versement ou lors de la conclusion d'un contrat, la chance de réaliser un avantage matériel consistant en un lot, l'acquisition, l'importance ou la nature de ce lot étant subordonnées, d'après un plan, au hasard d'un tirage de titres ou de numéros ou de quelque procédé analogue.
Les caractères qui distinguent les loteries, au sens de cette disposition, sont au nombre de quatre: le versement d'une mise ou la conclusion d'un contrat; la chance de réaliser un avantage matériel, c'est-à-dire un gain; l'intervention du hasard, qui détermine, d'une part, si un gain est acquis et qui en fixe, d'autre part, l'importance ou la nature; enfin, l'existence d'un plan qui, d'avance, mesure exactement les gains qui sont attribués (
ATF 85 I 176
consid. 5).
Deux de ces caractères distinctifs peuvent ici donner lieu à discussion. Il s'agit de la chance de réaliser un avantage matériel et de l'intervention du hasard.
Pour déterminer si ces deux caractères distinctifs existent en l'espèce, il faut prendre en considération la situation respective de chacun de ceux qui choisissent d'acheter des enveloppes plutôt que d'acquérir la collection complète d'un seul coup. La différence de situation existant entre les acheteurs d'enveloppes et ceux qui achètent la collection d'un seul coup
BGE 103 IV 213 S. 219
n'est en effet en rien déterminante; comme le relève justement la cour cantonale, c'est le choix préalable de l'acheteur qui est alors déterminant et non le hasard.
Il n'y a chance de gain au sens de la LLP, c'est-à-dire chance de réaliser un avantage matériel, que si le joueur a, d'une part, la possibilité d'obtenir par le hasard quelque chose que d'autres n'obtiendront pas et, d'autre part, le sentiment de bénéficier de cette possibilité (cf.
ATF 85 I 179
). Or, en l'espèce, un tel avantage matériel n'existe pour aucun des acheteurs d'enveloppes. Tous obtiennent, par l'achat d'une enveloppe, une vignette de même valeur, qui leur donne auprès de l'intimé, si elle ne convient pas, la possibilité d'un échange contre la vignette de leur choix. Aucun n'obtient de la sorte quelque chose que d'autres joueurs n'obtiendront pas. Certes, celui qui obtient une vignette qu'il ne voulait pas et qui doit l'échanger pour être satisfait, devra consentir des frais de port que d'autres n'auraient pas à supporter dans la même mesure. Mais ce modeste avantage n'est pas constitué par le lot lui-même, seul élément déterminant au sens de la loi.
C'est à juste titre que la cour cantonale a assimilé la vente des enveloppes incriminées à la vente de cornets surprise, où le sentiment d'avoir gagné ou perdu, c'est-à-dire d'avoir obtenu ou non ce que la plupart des autres n'auront pas, n'existe presque jamais (
ATF 85 I 179
).
b) De toute manière, enfin, on doit considérer qu'il n'y a pas en l'espèce intervention du hasard, au sens de la loi. En effet, l'influence du hasard est supprimée par le droit conféré aux acheteurs d'enveloppes d'échanger la vignette qu'ils ont obtenue contre une autre de leur choix. Ils peuvent ainsi, en définitive, choisir librement et de leur propre initiative la vignette faisant l'objet de leur contrat d'achat; ce qui exclut l'intervention déterminante du hasard (cf.
ATF 58 I 278
/279).
En conséquence, faute de réalisation tant de l'élément de l'avantage matériel que de celui du hasard, l'opération effectuée par l'intimé ne peut être considérée comme une loterie, et c'est à bon droit qu'il a également été libéré du chef d'accusation d'infraction à la LLP.
Le pourvoi doit donc être rejeté dans sa totalité.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
742f0956-ff18-43d2-b29b-7a8d3d1e6206 | Urteilskopf
109 Ib 121
19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 1983 i.S. E. Pfister & Co. AG und Mitbeteiligte gegen Allod Verwaltungs-AG, Gemeinde Silvaplana und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 33 RPG
, Verfahren.
Mit den Rechtsschutzanforderungen des Bundesrechts nicht vereinbar ist, wenn ein Verwaltungsgericht als einzige kantonale Beschwerdebehörde die gegen einen Nutzungsplan erhobenen Einwendungen nicht frei prüft, sondern nur im Rahmen seiner normalerweise beschränkten Kognition (E. 5). | Erwägungen
ab Seite 122
BGE 109 Ib 121 S. 122
Aus den Erwägungen:
5.
Im allgemeinen steht den Verwaltungsgerichten keine freie Ermessens- und Zweckmässigkeitskontrolle zu; sie haben nur ausnahmsweise eine solche Prüfungsbefugnis in den Materien, in denen sie das Gesetz besonders vorsieht. Das gilt auch für das Bündner Verwaltungsgericht. Nach Art. 53 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Graubünden (VGG) ist im Rekursverfahren die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts beschränkt auf Rechtsverletzung einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens sowie unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts. Eine freie Ermessenskontrolle steht dem Gericht somit im Regelfall nicht zu. Nach
Art. 15 VGG
gelten jedoch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Vorschriften dieses Gesetzes nur, soweit die Gesetzgebung von Bund oder Kanton nichts anderes bestimmt. Art. 33 des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes verpflichtet die Kantone, wenigstens ein Rechtsmittel gegen Verfügungen und Nutzungspläne vorzusehen und die volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde zu gewährleisten.
Es stellt sich somit die Frage, ob das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführern das Recht deshalb verweigert hat, weil es ihre Einwendungen gegen den Quartierplan Foppas bzw. gegen die Ablehnung ihrer Einsprachen durch den Gemeindevorstand von Silvaplana nur im Rahmen der für Verwaltungsgerichte üblichen Kognitionsbeschränkung des
Art. 53 VGG
geprüft und die Rechtsschutzanforderung von
Art. 33 RPG
nicht berücksichtigt hat.
a) Es ist nicht bestritten, dass es sich beim Quartierplan Foppas um einen Nutzungsplan im Sinne der
Art. 14 ff. RPG
handelt. Als für jedermann verbindlicher Sondernutzungsplan regelt er
BGE 109 Ib 121 S. 123
die Erschliessung und Überbauung des Quartierplangebietes (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 2 Vorbemerkungen zu den Art. 14-20, S. 195). Er muss daher den Anforderungen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes genügen, auch wenn er sich primär auf das Quartierplangesetz der Gemeinde Silvaplana vom 30. März/23. August 1976 sowie auf das Raumplanungsgesetz vom 20. Mai 1973 für den Kanton Graubünden stützt. Diese Erlasse stehen im Dienste der verfassungsmässigen Zielsetzung der Raumplanung, eine zweckmässige Nutzung des Bodens und eine geordnete bauliche Entwicklung sicherzustellen (
Art. 22 quater BV
;
Art. 1 und 3 RPG
). Dass sie vor dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz in Kraft getreten sind, ändert daran nichts.
Handelt es sich wie beim Quartierplan Foppas um einen Nutzungsplan, der unter der Herrschaft des seit dem 1. Januar 1980 in Kraft stehenden Raumplanungsgesetzes öffentlich aufgelegt wurde, so gelangen dessen Rechtsschutzbestimmungen zur Anwendung (
BGE 107 Ib 115
). Dabei ist
Art. 33 RPG
selbständig anwendbar; was Auflagepflicht, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegründe angeht, bedarf er keines ausführenden Rechts der Kantone; diese haben bloss das hierfür nötige Organisations- und Verfahrensrecht zu erlassen (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 3 zu Art. 33, S. 340 f.).
b) Es ist also zu prüfen, ob das Verfahren, wie es im vorliegenden Fall durchgeführt wurde, den Mindestvorschriften des Bundesrechts für den Rechtsschutz genügt. Die öffentliche Auflage des Quartierplanes Foppas mit Einsprachemöglichkeit entspricht dem Gebot des
Art. 33 Abs. 1 RPG
. Auch hat das Bundesgericht anerkannt, dass die volle Überprüfung einer Einsprache durch eine vom Planungsträger unabhängige Instanz der Anforderung von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
genügt. Es verstösst somit nicht gegen Bundesrecht, wenn ein Regierungsrat als Plangenehmigungsbehörde über Einsprachen befindet, nachdem er diese frei geprüft hat (
BGE 108 Ia 34
E. 1a). Sieht das kantonale Recht den Weiterzug eines entsprechenden Einspracheentscheides an ein Verwaltungsgericht vor, so steht der Beschränkung der Kognition des Gerichts auf Rechtsverletzung einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens sowie auf unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts von Bundesrechts wegen nichts entgegen.
Im vorliegenden Fall hat jedoch der Gemeindevorstand als Planfestsetzungsbehörde über die Einsprachen entschieden. Dieses
BGE 109 Ib 121 S. 124
Vorgehen genügt der Anforderung von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
nur, wenn der Entscheid an eine Behörde mit voller Kognition weitergezogen werden kann. Das Bundesrecht verlangt eine Entscheidungsinstanz, die von der den Plan festsetzenden Instanz unabhängig ist (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 32 zu Art. 33, S. 355). Ob dies eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht ist, hat das kantonale Organisations- und Verfahrensrecht zu bestimmen. Das Bündner Recht sieht unbestrittenermassen nur den Weiterzug des Einspracheentscheides des Gemeindevorstandes an das Verwaltungsgericht vor. Diese Lösung ist mit den Rechtsschutzanforderungen des Bundesrechts dann vereinbar, wenn das Gericht den angefochtenen Einspracheentscheid ohne Beschränkung seiner Kognition überprüft.
c) Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich unmissverständlich, dass sich das Verwaltungsgericht an die Kognitionsbeschränkung gemäss
Art. 53 VGG
gebunden erachtete. Es kann sich daher allein fragen, ob es trotz der Betonung seiner beschränkten Prüfungsbefugnis in Wirklichkeit eine Prüfung vorgenommen hat, die den Anforderungen des Raumplanungsgesetzes genügt, wie dies die Beschwerdegegnerin und der Vorstand der Gemeinde Silvaplana behaupten. Sie wollen aus der Umschreibung der Planungspflicht in
Art. 2 RPG
eine Beschränkung des Rechtsschutzes herleiten, weil die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden gemäss Absatz 3 darauf zu achten haben, dass den ihnen nachgeordneten Behörden der Ermessensspielraum belassen wird, den sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Diese Auffassung geht schon deshalb fehl, weil sich
Art. 2 RPG
bei der Umschreibung der Planungspflicht nicht an reine Rechtsmittelinstanzen, sondern an die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden wendet. Diese haben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Entscheidungsfreiheit, die den nachgeordneten Planungsträgern zusteht, zu respektieren. Für das Verhältnis zwischen Kantonen und Gemeinden ergibt sich aus diesem Gebot, dass die kantonale Behörde, welche die Nutzungspläne der Gemeinden genehmigt (Art. 26 PPG), nicht ihr eigenes Ermessen an die Stelle haltbaren kommunalen Ermessens setzen soll (
BGE 106 Ia 71
E. 2a).
Aus der Regelung von
Art. 2 Abs. 3 RPG
ergibt sich für das Rechtsschutzverfahren keine Beschränkung der Kognition für diejenige Instanz, welche die vom Raumplanungsgesetz verlangte volle Überprüfung vorzunehmen hat. Doch besagt auch volle
BGE 109 Ib 121 S. 125
Prüfung bei Einwendungen gegen einen Nutzungsplan nicht, dass die Rechtsmittelinstanz Planungsbehörde wird. Wohl aber hat sie nicht nur zu prüfen, ob die den Plan festsetzende Behörde das ihr zustehende Planungsermessen überschritten oder missbraucht, mithin eine Rechtsverletzung begangen hat. Zu prüfen ist vielmehr ebenso, ob das Planungsermessen richtig und zweckmässig ausgeübt worden ist. Die mit voller Kognition betraute Behörde hat einzuschreiten, wenn sich die angefochtene Planfestsetzung als unzweckmässig oder unangemessen erweist (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 227 ff.; derselbe, Der Rechtsschutz, in: Das Bundesgesetz über die Raumplanung, Berner Tage für die juristische Praxis 1980, S. 69).
Wie sich aus den Erwägungen des angefochtenen Entscheids klar ergibt, hat das Verwaltungsgericht eine derartige Prüfung nicht vorgenommen. Sie setzt, wie dies Art. 3 des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden anordnet, eine bestmögliche Abwägung der schutzwürdigen öffentlichen und privaten Interessen voraus und verlangt die Beantwortung der Frage, ob bei der umstrittenen Planung in Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips im Rahmen des Planungszwecks jene Anordnungen getroffen wurden, die in ihrer gesamten Auswirkung alle Betroffenen am wenigsten belasten.
d) (...)
Da das Verwaltungsgericht als einzige kantonale Beschwerdebehörde die vom Bundesrecht verlangte volle Überprüfung nicht vorgenommen hat, ist sein Entscheid aufzuheben. Ob dieser auch in materieller Hinsicht die Eigentumsgarantie verletzt, ist bei diesem Ausgang des Verfahrens nicht zu prüfen. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7435bf49-48d8-4375-873a-f31effd9db53 | Urteilskopf
90 IV 259
55. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 novembre 1964 dans la cause Procureur général du canton de Berne contre Billieux. | Regeste
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
,
Art. 91 Abs. 1 SVG
.
Gründe, die es im allgemeinen rechtfertigen, dem wegen Fahrens in angetrunkenem Zustande Verurteilten den bedingten Strafvollzug zu verweigern. | Sachverhalt
ab Seite 260
BGE 90 IV 259 S. 260
A.-
Le 29 décembre 1963, vers 10 h. 30, Billieux se rendit en automobile dans un café, où il but un apéritif et quelques verres de vin blanc. Peu après midi, toujours dans son automobile, il se rendit, en compagnie d'un ami, dans un autre café, où il but à nouveau du vin blanc sans avoir rien mangé. Vers une heure et demie, conduisant son automobile à une vitesse de 50 km/h environ, il voulut changer de vitesse avant un parcours verglacé, mais son véhicule se mit à déraper; il en perdit la maîtrise et heurta tout d'abord une femme, qui fut grièvement blessée, puis un mur et enfin une barrière de bois, qu'il traversa pour finir sa course dans un pré. Une analyse du sang révéla chez Billieux une concentration d'alcool de 1,3 g ‰.
B.-
Le 11 février 1964, le président du Tribunal du district de Courtelary condamna Billieux pour avoir, étant pris de boisson, conduit un véhicule automobile, circulé à une vitesse excessive et perdu la maîtrise de sa voiture et pour lésions corporelles par négligence à quinze jours d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans et à 300 fr. d'amende avec délai d'épreuve de deux ans.
Le Ministère public ayant interjeté appel, la Première Chambre pénale de la Cour suprême du canton de Berne a, sauf pour l'amende qu'elle a supprimée, prononcé la même condamnation et refusé de faire droit aux conclusions de l'appelant, qui tendaient principalement au refus du sursis.
C.-
Le Ministère public du canton de Berne s'est pourvu en nullité contre cet arrêt. Il demande derechef que le sursis soit refusé à Billieux pour la peine d'emprisonnement qui lui a été infligée.
BGE 90 IV 259 S. 261
D.-
Billieux conclut au rejet du pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon la jurisprudence constante, celui qui, étant pris de boisson, conduit un véhicule à moteur, témoigne en général d'un mépris de la sécurité, voire de la vie d'autrui qui interdit de bien augurer des effets d'un éventuel sursis à l'exécution de la peine et commande le refus de cette mesure de faveur. Exceptionnellement, certaines circonstances spéciales permettront d'admettre que l'infraction n'est pas le fait du manque de scrupules et d'égards qui caractérise en général le conducteur pris de boisson; ainsi lorsque l'auteur ne s'est décidé à se mettre au volant que sous l'influence de l'alcool ou a été poussé à son acte par l'insistance pressante de tiers (RO 88 IV 7 et les arrêts cités). Même si, au nombre de ces circonstances, on compte non pas uniquement celles qui constituent la matérialité de l'acte (ainsi que la cour de céans l'avait précédemment admis: RO 79 IV 68), mais aussi celles qui touchent à la personnalité de l'auteur - par exemple les antécédents et le caractère - ces dernières circonstances, à elles seules, ne sauraient justifier le sursis (RO 88 IV 7). Les deux genres de facteurs à la fois doivent fonder la conclusion qu'il s'agit, dans l'espèce considérée, d'une aberration unique et non pas de la manifestation d'un défaut de caractère; dans ce cas, le sursis peut être envisagé.
Dans son arrêt du 25 mars 1964 en la cause Procureur général du canton de Berne contre Migy (non publié), le Tribunal fédéral a dit qu'il entendait maintenir cette jurisprudence, nonobstant les objections qu'elle avait suscitées en doctrine. Il ne peut que le répéter aujourd'hui.
La Cour suprême du canton de Berne objecte en vain que la présomption établie par la jurisprudence précitée "n'apparaît pas compatible avec le sens de la loi, surtout lorsque les circonstances permettant de la réfuter sont circonscrites dans des limites aussi étroites"; qu'en effet,
BGE 90 IV 259 S. 262
le Code pénal adapte la répression à la personnalité de l'auteur et s'oppose à toute règle stricte, qui empêcherait de tenir compte de la totalité des éléments d'appréciation tenant à cette personnalité; que la nouvelle loi sur la circulation routière n'a apporté aucun tempérament à ce principe, s'agissant d'un conducteur pris de boisson; qu'il faut donc, dans ce cas aussi, considérer toutes les circonstances qui permettent de prévoir l'effet favorable d'une condamnation avec sursis.
Ces motifs méconnaissent les particularités sociales du délit que réprime l'art. 91 al. 1 LCR. De très nombreuses informations, émanant des sources les plus autorisées, ont été publiées pour mettre en garde contre les dangers extrêmement graves que le conducteur pris de boisson fait courir non seulement aux biens, mais encore et surtout à l'intégrité corporelle et à la vie d'autrui. Le titulaire d'un permis de conduire surtout n'en saurait ignorer l'existence. Il sait ainsi que, dans la mesure où il consomme de l'alcool alors qu'il veut conduire ensuite un véhicule automobile, il se charge d'une responsabilité humaine exceptionnelle. Il sait en outre, par son expérience générale de la vie, d'une part qu'il risque d'autant plus de tomber dans l'excès qu'au für et à mesure qu'il boit, l'euphorie le gagne et son jugement moral s'affaiblit, d'autre part que, loin de se heurter auprès du public, comme pour les autres délits du droit commun, à une réprobation sans équivoque dont la conscience contrecarre sa résolution et son action, il trouvera la plupart du temps de l'indulgence voire une approbation tacite. Il est donc doublement averti que seule une ferme résolution peut le garantir des excès. En conséquence et du fait même qu'il a délibérément assumé la qualité de conducteur d'un véhicule automobile, on peut et doit exiger de lui qu'il s'impose, sinon l'abstinence totale, du moins une grande modération à l'égard de l'alcool. S'il boit néanmoins trop, c'est nécessairement qu'il n'a pris conscience ni de l'étendue de ses responsabilités, ni du devoir de vigilance que lui dictent d'une
BGE 90 IV 259 S. 263
part le caractère insidieux de l'intoxication alcoolique, d'autre part la légèreté du jugement public. Son acte manifeste donc effectivement une faiblesse de caractère qui ne permet plus, sauf circonstances exceptionnelles, de bien augurer des effets du sursis. Cette conclusion s'impose alors même que, par ailleurs, ses scrupules moraux et sa sensibilité à la désapprobation du milieu social l'auraient retenu de commettre des actes répréhensibles, de sorte que ses antécédents seraient bons.
Enfin il convient de rappeler ici le principe posé dans l'arrêt Schönbrod (RO 88 IV 6): l'intérêt public peut commander, en matière de sursis, de donner plus de poids a l'argument pris de la prévention générale lorsque là fréquence et le caractère particulièrement dangereux d'un délit exigent une sanction aggravée. Il en va ainsi pour le conducteur pris de boisson. D'une part, l'infraction commise est extrêmement fréquente et, dans un très grand nombre de cas, demeure impunie, soit qu'elle échappe à tout contrôle, soit que ce contrôle (le plus souvent rapide en cas de contravention constatée ou même d'accident peu grave) ne la révèle pas. D'autre part, les dangers qu'elle suscite sont exceptionnels. Ces deux facteurs appellent une sévérité particulière du juge lorsqu'il s'agit d'apprécier le cas du point de vue de l'art. 41 ch. 1 al. 2 CP.
2.
L'autorité cantonale a constaté souverainement en fait, que Billieux a une bonne réputation, en général et comme automobiliste, qu'il est sobre et même que, le jour de l'accident, il s'était livré pour la première fois de sa vie à un excès alcoolique. On peut donc admettre que ses antécédents n'excluraient pas le sursis.
Il en va autrement des circontances de l'accident. Le 29 décembre, aux environs de midi déjà, Billieux a bu jusqu'à l'ébriété. Il ne saurait exciper de l'atmosphère de fête qui régnait à ce moment proche du nouvel an. Un conducteur quelque peu scrupuleux aurait précisément estimé que cette circonstance disposait à certaines faiblesses. Il aurait donc jugé préférable de ne pas utiliser
BGE 90 IV 259 S. 264
sa voiture pour aller rejoindre des connaissances dans un café, avant le repas de midi. S'étant laissé entraîner à boire un apéritif et trois décilitres de vin blanc à jeun, il aurait dû être assez conscient de son état pour rentrer chez lui à pied, ce qu'il aurait pu faire, ou tout au moins pour renoncer à se rendre dans un autre café. Or il n'a pas agi de la sorte, mais a continué à boire ailleurs, puis s'est mis au volant, alors qu'il était dans un état fortement éthylique. En effet son alcoolémie atteignait 1,3 g‰. Cet état, d'après les constatations souveraines de l'autorité cantonale elle-même, a joué un rôle causal décisif dans l'accident qui a failli coûter la vie à la victime. Toute cette conduite était insensée. Les circonstances qui l'ont occasionnée, bien loin de la justifier, la rendent au contraire plus grave encore. Elle dénote un défaut très sensible du sens des responsabilités. Aucun homme de 47 ans et expérimenté - tel qu'était Billieux - ne pouvait avoir le moindre doute sur les conséquences possibles d'un tel comportement. Il ne saurait s'agir là que d'un manque de jugement et de caractère, non pas d'une aberration unique. L'attitude de l'inculpé devant le juge de première instance le confirme du reste. Car, au lieu de reconnaître son excès alcoolique, il l'a nié contre toute évidence. Peu importe, dès lors, selon les principes jurisprudentiels rappelés plus haut, que ses antécédents, comme automobiliste en particulier, soient bons. La cour cantonale elle-même a reconnu, dans l'arrêt entrepris, que si elle s'en était tenue à ces principes, elle aurait refusé le sursis.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué dans la mesure où il accorde le sursis à Billieux et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour que celle-ci se prononce à nouveau. | null | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
74371124-b001-4916-a8b4-9a8b6ef4b755 | Urteilskopf
140 III 409
61. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_93/2014 vom 4. Juli 2014 | Regeste a
Art. 6 Abs. 2 ZPO
; sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts.
Keine sachliche Zuständigkeit des Handelsgericht nach
Art. 6 Abs. 2 ZPO
, wenn der Beklagte nur in seiner Eigenschaft als Organ im Handelsregister eingetragen ist (E. 2).
Regeste b
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
;
Art. 812 OR
; Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften; Treuepflicht des Geschäftsführers einer GmbH; Auskunftsanspruch der GmbH.
Aus der Treuepflicht des Geschäftsführers nach
Art. 812 OR
ergibt sich kein materiellrechtlicher Anspruch der GmbH auf Auskunftserteilung. Sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts für das Auskunftsbegehren der GmbH zutreffend verneint (E. 3).
Regeste c
Art. 85 ZPO
; Stufenklage; unbezifferte Forderungsklage.
Abgrenzung der Stufenklage von der unbezifferten Forderungsklage. Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer unbezifferten Forderungsklage (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 410
BGE 140 III 409 S. 410
A.
B. (Beklagter, Beschwerdegegner), der Geschäftsführer der A. GmbH (Klägerin, Beschwerdeführerin; Sitz in St. Gallen), erklärte dieser mit Schreiben vom 25. Februar 2010 die "fristlose/ausserordentliche Kündigung aus wichtigen Gründen". In der Folge forderte die A. GmbH von B. in verschiedener Hinsicht Auskunft zu seiner bisherigen Tätigkeit als Geschäftsführer. B. verweigerte die Auskunft.
B.
Am 14. Oktober 2011 reichte die A. GmbH beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen Klage gegen B. ein. Sie forderte vorab Auskunft über diverse einzeln bezeichnete Geschäftsvorgänge (Ziff. 1) und weiter die Verurteilung des B. zur Zahlung von mindestens Fr. 10'000.- nebst Zins unter Vorbehalt der Mehrforderung und unter Vorbehalt der Klageänderung nach Erteilung der Auskunft gemäss Ziff. 1 oder nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens (Ziff. 2).
BGE 140 III 409 S. 411
Mit Entscheid vom 21. Oktober 2013 verneinte das Handelsgericht des Kantons St. Gallen seine sachliche Zuständigkeit für das Auskunftsbegehren und trat gestützt darauf auch auf das Leistungsbegehren nicht ein.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die A. GmbH, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. Oktober 2013 aufzuheben und es sei das Handelsgericht anzuweisen, auf die Klage einzutreten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin stellt zu Recht nicht in Frage, dass die Vorinstanz ihre sachliche Zuständigkeit nach
Art. 6 Abs. 2 ZPO
verneint hat, weil der Beschwerdegegner nur in seiner Eigenschaft als Organ, nicht jedoch als Unternehmer unter seiner Firma im Handelsregister eingetragen war (vgl. BERNHARD BERGER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 10 zu
Art. 6 ZPO
; VOCK/NATER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 12 zu
Art. 6 ZPO
; DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 24 zu
Art. 6 ZPO
; ALEXANDER BRUNNER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Kommentar, 2011, N. 19 zu
Art. 6 ZPO
).
3.
Die Vorinstanz ist mit der Beschwerdeführerin davon ausgegangen, dass der Kanton St. Gallen das Handelsgericht für zuständig erklärt hat, "Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften" zu beurteilen (
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
). Sie hat jedoch verneint, dass die Auskunftsbegehren (Ziff. 1 der Klage) als Teil der Stufenklage unter diese Zuständigkeitsbestimmung fallen, da für diese Begehren keine gesellschaftsrechtliche Grundlage bestehe. Die Beschwerdeführerin beanstandet dies als bundesrechtswidrig.
3.1
Die sachliche Zuständigkeit gemäss
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
bezieht sich auf Klagen, die ihre Grundlage in der dritten Abteilung des OR über "[d]ie Handelsgesellschaften und die Genossenschaft" (
Art. 552-926 OR
) haben, auf welche der Wortlaut verweist (BERGER, a.a.O., N. 46 zu
Art. 6 ZPO
; VOCK/NATER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 6
BGE 140 III 409 S. 412
ZPO
; RÜETSCHI, a.a.O., N. 36 zu
Art. 6 ZPO
). Die Beschwerdeführerin sucht denn auch, ihren Anspruch auf Auskunft gemäss Ziff. 1 ihrer Rechtsbegehren auf
Art. 812 OR
zu stützen. Danach müssen die Geschäftsführer sowie Dritte, die mit der Geschäftsführung befasst sind, ihre Aufgabe mit aller Sorgfalt erfüllen und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren (Abs. 1). Sie unterstehen der gleichen Treuepflicht wie die Gesellschafter (Abs. 2) und dürfen grundsätzlich keine konkurrenzierenden Tätigkeiten ausüben (Abs. 3). Die Geschäftsführer einer GmbH stehen wie die Geschäftsführer einer AG in einem schuldrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Doppelverhältnis zur Gesellschaft mit der Folge, dass sich das in einem Anstellungsverhältnis stehende Organ sowohl an die Treuepflicht des Arbeitnehmers nach
Art. 321a OR
wie auch an die organschaftliche Treuepflicht nach
Art. 812 OR
halten muss (
BGE 130 III 213
E. 2.1 S. 216 f. [zur AG]; WATTER/ROTH PELLANDA, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 9 zu
Art. 809 OR
; BRIGITTA KRATZ, in: GmbH, Genossenschaften, Handelsregister und Wertpapiere, 2. Aufl. 2012, N. 3a zu
Art. 809 OR
).
3.2
Ein materiellrechtlicher Anspruch auf Auskunft oder Rechenschaft kann sich aus Gesetz oder Vertrag ergeben und kann selbständig eingeklagt werden (vgl. z.B.
BGE 139 III 49
E. 3.4 S. 53;
BGE 138 III 728
E. 2 S. 729 ff.; Urteil des Bundesgerichts 5A_136/2012 vom 17. Dezember 2012 E. 3; vgl. auch YVES WALDMANN, Informationsbeschaffung durch Zivilprozess, 2009, S. 40 ff.; ALEXANDER MARKUS, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 18 zu
Art. 85 ZPO
; KARL SPÜHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 14 zu
Art. 85 ZPO
). Fraglich ist, ob sich aus der allgemeinen Treuepflicht nach
Art. 812 OR
ein solcher materiellrechtlicher Auskunftsanspruch ableiten lässt.
3.2.1
Die Vorinstanz hat die Frage verneint. Die Beschwerdeführerin gesteht denn auch zu, dass
Art. 812 OR
eine Auskunfts- oder Rechenschaftspflicht nicht ausdrücklich vorsieht und dass eine solche "bisher in Lehre und Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nicht thematisiert worden ist". Sie macht jedoch geltend, die Rechenschaftspflicht sei Bestandteil der allgemeinen Treuepflicht und werde auch in Bezug auf den Geschäftsführer ohne Auftrag, den Willensvollstrecker und den amtlichen Erbschaftsverwalter bejaht, obwohl eine solche Pflicht weder in
Art. 419 OR
noch in Art. 518 bzw.
Art. 554 ZGB
ausdrücklich vorgesehen sei.
BGE 140 III 409 S. 413
3.2.2
Die in
Art. 812 Abs. 1 und 2 OR
vorgesehene Treuepflicht der Geschäftsführer einer GmbH schreibt diesen vor, ihre eigenen Interessen und diejenigen von ihnen nahestehenden Personen hinter die Interessen der Gesellschaft zu stellen (CHRISTOPHE BUCHWALDER, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 6 zu
Art. 812 OR
; WATTER/ROTH PELLANDA, a.a.O., N. 6 zu
Art. 812 OR
; SIFFERT/FISCHER/PETRIN, in: GmbH-Recht, Revidiertes Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung [
Art. 772-827 OR
], 2008, N. 5 zu
Art. 812 OR
; KÜNG/CAMP, GmbH-Recht, Das revidierte Recht zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 2006, N. 5 zu
Art. 812 OR
). Insbesondere sind dem Geschäftsführer Insichgeschäfte grundsätzlich untersagt (BUCHWALDER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 812 OR
; WATTER/ROTH PELLANDA, a.a.O., N. 6 zu
Art. 812 OR
; SIFFERT/FISCHER/PETRIN, a.a.O., N. 5 zu
Art. 812 OR
). Zudem ergibt sich aus der Treuepflicht die Pflicht zur Geheimhaltung (BUCHWALDER, a.a.O., N. 11 zu
Art. 812 OR
; WATTER/ROTH PELLANDA, a.a.O., N. 7 zu
Art. 812 OR
; SIFFERT/FISCHER/PETRIN, a.a.O., N. 6 zu
Art. 812 OR
).
Ein materiellrechtlicher Anspruch auf Auskunftserteilung wurde in der Lehre und der Rechtsprechung aus dieser Norm bisher nicht abgeleitet. Ein solcher ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus den Materialien (vgl. Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3162 Ziff. 1.3.11, 3203 Ziff. 2.1.2.11). Systematisch und teleologisch ist zu berücksichtigen, dass in den von der Beschwerdeführerin angeführten Beispielen die Rechenschaftspflicht jeweils nicht aus den zitierten Artikeln abgeleitet, sondern Auftragsrecht (analog oder ergänzend) angewandt wird (zur Geschäftsführung ohne Auftrag:
BGE 112 II 450
E. 5 S. 458; zum Willensvollstrecker:
BGE 101 II 47
E. 2 S. 53; zum amtlichen Erbschaftsverwalter: vgl. nur KARRER/VOGT/LEU, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 4. Aufl. 2011, N. 38 zu
Art. 554 ZGB
). Eine analoge Anwendung von
Art. 400 OR
auf das
gesellschaftsrechtliche
Verhältnis zwischen Gesellschaft und Organ ist indessen nicht am Platz. Dieses mag zwar auftragsähnliche Merkmale aufweisen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die eigenständige auftragsrechtliche Rechenschaftspflicht nach
Art. 400 OR
allgemein und ohne Rücksicht auf die konkreten vertraglichen Vereinbarungen auf das gesellschaftsrechtliche Verhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Organen übertragen werden kann. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht lässt sich insofern nicht zu einem eigentlichen Auftrag erweitern.
BGE 140 III 409 S. 414
Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass die Verneinung eines eigenständigen materiellrechtlichen Anspruchs gestützt auf das Gesellschaftsrecht nicht bedeutet, dass der Geschäftsführer einer GmbH keine Auskunftspflicht hat, wie die Beschwerdeführerin offenbar zu befürchten scheint. Den Gesellschaftern muss der Geschäftsführer als Organ für die Gesellschaft nach
Art. 802 Abs. 1 OR
Auskunft erteilen (vgl. dazu WALDMANN, a.a.O., S. 174 ff.). Dies ist gleichzeitig ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber Auskunftspflichten ausdrücklich geregelt hat, wo er Bedarf für solche sah. Hätte er weitere gesellschaftsrechtliche Auskunftspflichten eines Organs einführen wollen, so wäre auch zu bestimmen gewesen, welchen übrigen Organen die Auskunft geschuldet wäre (Gesellschafterversammlung [
Art. 804 ff. OR
] oder Revisionsstelle [Art. 818 i.V.m.
Art. 727 ff. OR
]). Auskunftspflichten hat der Geschäftsführer zudem aus dem mit der Gesellschaft in der Regel parallel bestehenden Arbeits- oder Auftragsverhältnis (dazu sogleich E. 3.2.3). Daraus ergibt sich insgesamt, dass sich aus
Art. 812 OR
kein materiellrechtlicher Anspruch auf Auskunftserteilung des Geschäftsführers ableiten lässt.
3.2.3
Für Ansprüche auf Auskunft oder Rechenschaft gestützt auf den zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag (vgl.
Art. 321b OR
) erachtete sich die Vorinstanz als nicht zuständig. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe gegen die Praxis zum Doppelverhältnis verstossen, indem sie ihren Auskunftsanspruch als arbeitsvertraglichen und damit nicht als gesellschaftsrechtlichen Anspruch qualifiziert habe. Dies trifft nicht zu. Die Vorinstanz ist im Gegenteil davon ausgegangen, dass sich ein Auskunftsanspruch theoretisch sowohl gesetzlich gestützt auf das Recht der Handelsgesellschaften als auch vertraglich begründen liesse. Erst nachdem sie einen gesetzlichen gesellschaftsrechtlichen Anspruch verneint hatte, führte die Vorinstanz zusätzlich aus, für einen arbeitsrechtlichen Auskunftsanspruch sei sie nicht zuständig. Denn die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist nicht als Streitigkeit aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften i.S. von
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
zu beurteilen.
3.3
Die Vorinstanz hat somit zutreffend erkannt, dass sich aus den Bestimmungen zum Recht der Handelsgesellschaften und der Genossenschaft keine materielle Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Auskunftserteilung durch den Beklagten ergibt, der unabhängig und selbständig vom Vertragsverhältnis bestehen würde, das die Beschwerdeführerin mit ihrem
BGE 140 III 409 S. 415
ehemaligen Geschäftsführer eingegangen ist. Sie hat bundesrechtskonform verneint, dass die Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin auf Auskunftserteilung in Ziff. 1 ihrer Klage ihre Grundlage im Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben und damit in die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts nach
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
fallen.
4.
Die Vorinstanz hat aus ihrer fehlenden sachlichen Zuständigkeit zur Beurteilung der Auskunftsbegehren in Ziff. 1 der Klage abgeleitet, dass auch auf die Leistungsklage nach Ziff. 2 nicht einzutreten sei.
4.1
Die Beschwerdeführerin hat in der Klage erklärt, sie mache Ansprüche aus gesellschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit gegen den Beschwerdegegner als ihren ehemaligen Geschäftsführer geltend (Art. 827 i.V.m.
Art. 754 OR
). Es sei ihr ein Schaden dadurch entstanden, dass der Beschwerdegegner Geld von ihr bezogen und darüber nicht abgerechnet und es nicht zurückerstattet habe. Verantwortlichkeitsklagen fallen unstreitig in den sachlichen Zuständigkeitsbereich des Handelsgerichts nach
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
(BERGER, a.a.O., N. 46 zu
Art. 6 ZPO
; VOCK/NATER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 6 ZPO
; RÜETSCHI, a.a.O., N. 36 zu
Art. 6 ZPO
; BRUNNER, a.a.O., N. 37 zu
Art. 6 ZPO
).
4.2
Die Vorinstanz ist auf das Schadenersatzbegehren mit der Begründung nicht eingetreten, eine objektive Klagenhäufung nach
Art. 90 ZPO
sei nur zulässig, wenn für alle Ansprüche die gleiche sachliche Zuständigkeit bestehe. Fehle es an der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts in Bezug auf den materiellen Auskunftsanspruch, so sei auf die Stufenklage insgesamt nicht einzutreten, da die zweite Klage auf der ersten aufbaue.
Die Beschwerdeführerin hält dafür, ihr Leistungsbegehren in Ziff. 2 der Klage dürfe mit dem Auskunftsbegehren in Ziff. 1 nicht derart verknüpft werden, dass dieser Leistungsanspruch mit dem Auskunftsbegehren geradezu stehe und falle. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 85 ZPO
.
4.3
Art. 85 Abs. 1 ZPO
regelt sowohl die unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinne einerseits wie die Stufenklage andererseits (MARKUS, a.a.O., N. 1 zu
Art. 85 ZPO
; SPÜHLER, a.a.O., N. 9 zu
Art. 85 ZPO
). Die Stufenklage ist dadurch charakterisiert, dass ein materiellrechtlicher Hilfsanspruch auf Rechnungslegung mit einer unbezifferten Forderungsklage verbunden wird (
BGE 123 III 140
E. 2b S. 142;
BGE 140 III 409 S. 416
BGE 116 II 215
E. 4a S. 220). Eine Stufenklage liegt somit definitionsgemäss nicht vor, wenn kein selbständiger Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung besteht, der mit der unbezifferten Forderungsklage verbunden werden kann. Zu prüfen bleibt hingegen, ob das Leistungsbegehren der Beschwerdeführerin in Ziff. 2 der Klage als
unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinne
hätte behandelt werden müssen, wie sie behauptet.
4.3.1
Nach
Art. 85 Abs. 1 ZPO
kann die klagende Partei eine unbezifferte Forderungsklage erheben, wenn es ihr unmöglich oder unzumutbar ist, ihre Forderung bereits zu Beginn des Prozesses zu beziffern. Sie muss dabei einen Mindeststreitwert angeben, der als vorläufiger Streitwert gilt. Nach der Botschaft des Bundesrates wird damit die klagende Partei von der Verpflichtung befreit, ihr Rechtsbegehren zu beziffern (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7287 zu Art. 83 Entwurf). Dies hat insbesondere dort zu gelten, wo erst das Beweisverfahren die Grundlage der Bezifferung der Forderung abgibt; hier ist dem Kläger zu gestatten, die Präzisierung erst nach Abschluss des Beweisverfahrens vorzunehmen (so bereits vor Inkrafttreten der ZPO:
BGE 131 III 243
E. 5.1 S. 245 f.;
BGE 116 II 215
E. 4a S. 219). Da die ZPO die Bezifferung von Forderungsklagen grundsätzlich verlangt (
Art. 84 Abs. 2 ZPO
), ist jedoch der Anspruch soweit möglich und zumutbar zu substanziieren; so wird namentlich auch in Anwendungsfällen von
Art. 42 Abs. 2 OR
verlangt, dass der Geschädigte alle Umstände, die für den Eintritt eines Schadens sprechen und dessen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich und zumutbar behauptet und beweist (
BGE 122 III 219
E. 3a S. 221 mit Hinweisen; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 4A_463/2012 vom 19. Dezember 2012 E. 6).
4.3.2
Nach dem Gesagten genügt es entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht, einzig unter Hinweis auf fehlende Informationen auf die an sich erforderliche Bezifferung zu verzichten. Vielmehr obliegt der Beschwerdeführerin der Nachweis, dass und inwieweit eine Bezifferung unmöglich oder unzumutbar ist. Nur soweit ein Beweisverfahren schon für schlüssige Behauptungen unabdingbar ist, fehlt es an der Möglichkeit oder Zumutbarkeit der Bezifferung. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, ist die Forderung nach dem Grundsatz von
Art. 84 Abs. 2 ZPO
zu beziffern. Dass es aber der Beschwerdeführerin aus objektiven Gründen unmöglich oder wenigstens unzumutbar gewesen wäre, die von ihr
BGE 140 III 409 S. 417
eingeklagten Schadenspositionen zu beziffern oder dass sie gegebenenfalls sämtliche Umstände für Eintritt und Höhe des Schadens soweit zumutbar behauptet hätte, bringt sie nicht vor.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin hätte die Vorinstanz sie auch nicht dazu auffordern müssen, ihr Leistungsbegehren zu beziffern. Insbesondere stellt die fehlende Bezifferung vorliegend keinen Mangel i.S. von
Art. 132 Abs. 1 ZPO
dar, zu dessen Verbesserung das Gericht eine Nachfrist einzuräumen hätte. Bei Einreichung einer unbezifferten Forderungsklage ist es vielmehr Aufgabe der klagenden Partei, ihr Begehren so weit wie möglich zu beziffern und wo dies nicht möglich ist aufzuzeigen, dass die erwähnten Bedingungen für eine unbezifferte Forderungsklage erfüllt sind. Es liegt somit keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (
Art. 29 Abs. 2 BV
) vor.
4.4
Für eine unbezifferte Leistungsklage im engeren Sinne gemäss
Art. 85 ZPO
fehlt nach dem Gesagten der Nachweis seitens der Beschwerdeführerin, dass ihr eine Bezifferung der einzelnen Schadenspositionen nicht möglich bzw. nicht zumutbar war. Selbst wenn also das Leistungsbegehren in Ziff. 2 der Klage als unbezifferte Forderungsklage ausgelegt würde, die nach dem Willen der Beschwerdeführerin auch unabhängig vom Hilfsanspruch auf Rechnungslegung zu beurteilen sei, so ist auf diese mangels Bezifferung der Schadenersatzforderung nicht einzutreten (vgl. NICOLAS GUT, Die unbezifferte Forderungsklage nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2014, N. 131 mit Hinweisen; SABINE BAUMANN WEY, Die unbezifferte Forderungsklage nach
Art. 85 ZPO
, 2013, N. 547 ff.). Damit kann offenbleiben, ob die Vorinstanz bei gehöriger Substanziierung auf die unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinn auch dann hätte eintreten müssen, wenn die Beschwerdeführerin dieses Begehren ausdrücklich nur in Verbindung mit dem Auskunftsbegehren als Stufenklage hätte beurteilt haben wollen. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
74381c69-ddfb-4b30-8b25-ea10f16a81be | Urteilskopf
119 Ib 348
36. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 24 mars 1993 dans la cause Etat de Fribourg contre Hoirs B. et Commission fédérale d'estimation du 2e arrondissement (recours de droit administratif) | Regeste
Enteignung von Nachbarrechten und eidgenössische Umweltschutzgesetzgebung;
Art. 5 EntG
;
Art. 679 ff. ZGB
.
1. Im Verwaltungsgerichtsverfahren ist das Bundesgericht an die Anträge der Parteien gebunden (E. 1b - c).
2. Wird der Landerwerb für den Nationalstrassenbau auf dem Wege der Landumlegung vorgenommen, kann die zuständige Behörde zur Regelung von Problemen, die im Güterzusammenlegungsverfahren nicht gelöst werden können, zusätzlich ein Enteignungsverfahren eröffnen lassen (E. 2).
3. Verliert der Grundeigentümer durch die Güterzusammenlegung Land, das einen "Schutzschild" für sein Wohnhaus bildete, so kann er grundsätzlich für den daraus entstehenden Schaden eine Enteignungsentschädigung verlangen (E. 4a).
4. In der Rechtsprechung aufgestellte Grundsätze über die Enteignung von Nachbarrechten (E. 4b):
- Voraussetzung der Nichtvorhersehbarkeit (E. 5a).
- Voraussetzung der Spezialität (E. 5b); Zusammenfassung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung über die anwendbaren Lärm-Messmethoden und die Lärm-Grenzwerte (E. 5b/aa). In der heutigen eidgenössischen Umweltschutzgesetzgebung wird die Methode zur Ermittlung des Lärmpegels umschrieben und werden Immissionsgrenzwerte festgelegt; diese müssen für den Strassenverkehrslärm als Schwelle gelten, bei deren Überschreitung die Voraussetzung der Spezialität zu bejahen ist (E. 5b/bb - ff).
- Voraussetzung der Schwere (E. 5c).
5. Die Enteignungsentschädigung ist grundsätzlich in Geld zu entrichten. Unter bestimmten Umständen ist jedoch auch eine Sachleistung möglich (E. 6a), so in Form von Schallschutzmassnahmen an bestehenden Gebäuden (E. 6b).
Das Bundesgesetz über den Umweltschutz und das Enteignungsgesetz verfolgen unterschiedliche Zwecke, schützen aber in gewisser Hinsicht die gleichen Rechtsgüter (E. 6c/aa - bb). Der Enteignungsrichter ist gehalten, eine Sachleistung anzuordnen, wenn durch eine solche Massnahme die vom Enteigneten erlittenen Nachteile ganz oder teilweise behoben und gleichzeitig die Personen, die in einem den Immissionen ausgesetzten Gebäude wohnen, wirksam in ihrem Wohlbefinden beschützt werden können (E. 6c/cc). | Sachverhalt
ab Seite 350
BGE 119 Ib 348 S. 350
Pour l'acquisition du terrain nécessaire à la construction de la route nationale N 12 sur le territoire des communes de Vuadens, Vaulruz, Sâles et Semsales, le canton de Fribourg a eu recours à une procédure de remembrement. Des terrains agricoles appartenant à Léon B., au lieu-dit "La Gissetta" sur le territoire de la commune de Sâles, ont été inclus dans le périmètre. Ces quatre biens-fonds, dont la surface totale représentait 109'445 m2, étaient attenants; la ferme de cette exploitation agricole, bâtie en 1952, se trouvait sur l'une de ces parcelles. Le projet définitif de la route nationale a été mis à l'enquête en 1973; selon ces plans, l'axe de cette route est situé à 33 m de la façade nord de la ferme de Léon B. et le bord de la chaussée se trouve
BGE 119 Ib 348 S. 351
à une vingtaine de mètres de celle-ci. Les travaux de construction de ce tronçon ont débuté le 12 juillet 1976.
De son côté, le syndicat de remaniement parcellaire a élaboré un nouvel état de propriété, qu'il a mis à l'enquête en mai 1977. Cinq parcelles étaient attribuées à Léon B., trois au nord de la route nationale et deux au sud, dont la parcelle de la ferme; ces terrains représentent une surface totale de 111'383 m2 et aucune soulte n'a été prévue, les attributions de Léon B. dans le nouvel état correspondant à ses prétentions. Le syndicat a aussi aménagé un nouveau chemin de desserte le long des terrains de Léon B. ainsi qu'un passage sous la route nationale; en outre, il a procédé à la correction d'un ruisseau s'écoulant à proximité. Par ailleurs, dans une convention conclue le 28 janvier 1976 avec Léon B., l'Etat de Fribourg s'est engagé à déplacer un rideau d'arbres protecteur existant à l'est de la ferme, pour permettre l'aménagement du nouveau chemin de desserte, et il a donné acte au propriétaire que la "question des émissions excessives qui risquent de toucher [sa] ferme demeur[ait] réservée". Les opérations du remaniement parcellaire ont été achevées en 1989. Quant à la route nationale N 12, elle avait été ouverte au trafic le 23 novembre 1981.
A la suite du décès de Léon B., ses héritiers (les hoirs B.) sont devenus propriétaires en commun du domaine de la Gissetta, en particulier de la ferme (la mutation a été inscrite au registre foncier le 21 mai 1985). Le domaine est au demeurant affermé à S. et il est exploité par le fils de ce dernier, qui habite la ferme avec son épouse et ses deux enfants. Le logement comporte six pièces et il occupe la partie est du bâtiment.
Les hoirs B. se sont adressés au Bureau des autoroutes du canton de Fribourg au sujet des nuisances provoquées par la nouvelle route nationale à l'endroit de la ferme de la Gissetta. Cette autorité cantonale, qui a établi un rapport sur la base de mesures de niveaux sonores qu'elle avait effectuées le 9 juillet 1984, et qui avait aussi chargé en 1978 un expert en géotechnique de déterminer les effets sur ce bâtiment de la construction de la route nationale, a proposé d'estimer la moins-value subie par la ferme à 30% de sa valeur, ce qui correspondait à une indemnité de 66'000 francs. Les hoirs B. n'ont pas accepté cette proposition, évoquant une prétention de leur part en déplacement de la ferme. En conséquence, le Conseil d'Etat du canton de Fribourg a décidé, par arrêté du 18 juin 1985, d'ouvrir une procédure d'expropriation contre les hoirs B., pour fixer l'indemnité due en raison des nuisances de la route nationale. Devant la Commission
BGE 119 Ib 348 S. 352
fédérale d'estimation du 2e arrondissement, les hoirs B. ont conclu principalement au déplacement de toute leur ferme, voire à la construction d'une nouvelle habitation aux frais de l'Etat de Fribourg, 150 m plus au sud sur la même parcelle, ainsi qu'au versement d'un montant annuel de 12'000 francs pour les inconvénients subis entre le début des travaux et le déplacement du bâtiment; subsidiairement, ils demandaient le paiement d'une indemnité de 500'000 francs, plus l'indemnité annuelle de 12'000 francs précitée. Dans sa réponse, l'Etat de Fribourg (en l'espèce: l'expropriant) a proposé le rejet de ces conclusions et il a offert le versement d'une indemnité de 66'000 francs pour solde de tous comptes. Au cours de l'instruction, les parties sont convenues de faire établir une expertise relative aux nuisances sonores.
A l'audience de la Commission fédérale d'estimation du 2 septembre 1988, l'Etat de Fribourg a modifié ses conclusions et, en se référant à l'entrée en vigueur, le 1er avril 1987, de l'ordonnance sur la protection contre le bruit (OPB; RS 814.41), il a fait valoir que, si la Commission fédérale d'estimation admettait sa compétence en l'espèce, il lui incomberait d'ordonner l'isolation acoustique du bâtiment litigieux aux frais de l'expropriant (
art. 15 OPB
). Statuant le 25 novembre 1988, la Commission fédérale d'estimation a alloué aux hoirs B. une indemnité de 250'000 francs, à payer par l'expropriant, "pour la dépréciation de la ferme "La Gissetta" et les inconvénients résultant de la construction de la RN 12", indemnité portant intérêts dès le 23 novembre 1981.
L'Etat de Fribourg a formé un recours de droit administratif contre cette décision. Le Tribunal fédéral, rendant un jugement partiel, a admis ce recours et prononcé que les intimés avaient l'obligation de principe d'accepter une prestation en nature sous forme de mesures d'assainissement de leur bâtiment.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office et avec une pleine cognition la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 118 Ib 329
consid. 1, 358 consid. 1).
b) Dans la procédure de recours de droit administratif, le Tribunal fédéral ne peut aller au-delà des conclusions des parties: il ne peut pas accorder à l'exproprié une indemnité totale supérieure à celle qu'il a demandée, ni du reste inférieure à celle offerte par l'expropriant
BGE 119 Ib 348 S. 353
(
ATF 114 Ib 300
consid. 9,
ATF 109 Ib 31
consid. 1b et les arrêts cités). Le recours de droit administratif permet de faire valoir la violation du droit fédéral - y compris l'abus et l'excès du pouvoir d'appréciation (
art. 104 let. a OJ
); à l'encontre d'une décision d'une commission fédérale d'estimation, il peut aussi, en particulier, être formé pour constatation incomplète ou inexacte des faits pertinents (
art. 104 let. b OJ
). Le Tribunal fédéral peut revoir librement les constatations de fait (
art. 105 al. 1 OJ
) et il n'est pas soumis à la restriction de l'
art. 105 al. 2 OJ
, la Commission fédérale d'estimation n'étant ni un tribunal cantonal, ni une commission de recours au sens de cette disposition dans sa teneur en vigueur à la date de la décision attaquée - applicable en l'espèce, nonobstant la modification du 4 octobre 1991 de la loi d'organisation judiciaire entrée en vigueur le 15 février 1992 - (cf. dispositions finales de la nouvelle du 4 octobre 1991, ch. 3 al. 1;
ATF 115 Ib 430
consid. 2,
ATF 112 Ib 421
consid. 2b).
c) Les hoirs B. n'ont pas formé de recours de droit administratif contre la décision de la Commission fédérale d'estimation dans le délai de l'
art. 106 OJ
; ils n'ont pas non plus déposé de recours joint conformément à l'
art. 78 al. 2 LEx
. Ils prétendent dans leur réponse que les indemnités allouées par la décision attaquée ne constitueraient qu'une réparation partielle du dommage qu'ils ont subi: en tant qu'ils demandent que cette décision soit modifiée en leur faveur, leurs conclusions sont en principe irrecevables, dans la mesure toutefois où elles ne coïncident pas, le cas échéant, avec les conclusions prises devant le Tribunal fédéral par l'expropriant.
2.
Pour l'acquisition du terrain nécessaire à la construction de routes nationales, le législateur fédéral a laissé aux cantons, pour les cas où l'acquisition ne pourrait se faire de gré à gré, la faculté de procéder par voie de remembrement ou d'expropriation (art. 30 de la loi fédérale sur les routes nationales - LRN; RS 725.11), donnant à la première de ces procédures une certaine priorité sur la seconde (
ATF 105 Ib 96
/97 consid. 5a et les arrêts cités). A certaines conditions, l'art. 23 de l'ordonnance sur les routes nationales (ORN; RS 725.111) permet, en adjonction à la procédure de remembrement, l'ouverture d'une procédure d'expropriation. Cette procédure n'est cependant pas destinée à remettre en question les résultats du remaniement parcellaire ni à donner aux propriétaires intéressés la possibilité de présenter des prétentions qu'ils auraient négligé de faire valoir en temps utile; elle a pour seul objet d'ouvrir une voie dans laquelle il pourra être statué sur des questions que la procédure
BGE 119 Ib 348 S. 354
cantonale d'améliorations foncières ne permet pas de résoudre (
ATF 110 Ib 46
consid. 1,
ATF 105 Ib 336
consid. 2a et les arrêts cités; cf. HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, vol. II, Berne 1986, p. 386/387). En l'espèce, il n'est pas contesté que la procédure d'expropriation a été ouverte aux seules fins de fixer l'indemnité due pour les dommages causés au bâtiment par les travaux de construction de la route nationale et pour les nuisances consécutives à son ouverture à la circulation. Les moyens des intimés, qui critiquent globalement le résultat du remaniement parcellaire pour l'exploitation agricole dont ils sont les propriétaires, n'ont pas à être pris en considération dans la présente procédure.
4.
L'expropriant ne conteste pas le droit des intimés d'obtenir une indemnité en raison du bruit du trafic sur la route nationale, auquel est exposé le bâtiment d'habitation dont ils sont les propriétaires. La prétention des intimés est en effet fondée dans son principe, que l'on applique les règles régissant le remaniement ou que l'on tienne compte uniquement des dispositions relatives aux droits des voisins.
a) Comme la jurisprudence l'a relevé, le canton occupe une position spéciale lorsqu'il participe à une entreprise de remaniement aux fins de se procurer les terrains nécessaires à la construction d'une route nationale; d'une part il peut imposer une réduction générale de la surface des biens-fonds compris dans le périmètre, d'autre part ses prétentions en terrains dans le nouvel état ne dépendent de ses propres apports ni quant à la superficie, ni quant à leur valeur, ni quant à leur situation, mais sont prédéterminées par le projet d'exécution de la route, aux exigences prioritaires de laquelle le projet de nouvelle répartition doit s'adapter (
ATF 110 Ia 148
consid. 1,
ATF 105 Ib 12
consid. 3b,
ATF 99 Ia 497
consid. 4b). Le canton doit dès lors non seulement payer à leur valeur vénale les terrains ainsi obtenus (
art. 31 al. 2 let. b LRN
), mais doit encore indemniser les membres du syndicat pour les "inconvénients subsistant malgré l'attribution de nouveau terrain" (
art. 21 ORN
); ces inconvénients peuvent être comparés à ceux que mentionne l'art. 19 let. b et c LEx. Les indemnités dues à ce titre par le canton se déterminent également en fonction de la valeur vénale des terrains et en fonction des préjudices effectifs (
art. 31 al. 2 let. b LRN
,
art. 21 ORN
;
ATF 110 Ia 148
/149 consid. 1 et les arrêts cités).
Dans l'ancien état de propriété, avant l'attribution à l'Etat de Fribourg des terrains destinés à l'emprise de la route nationale, le bâtiment des intimés, au centre du domaine, était entouré d'un vaste espace libre de constructions et d'installations, qui le protégeait
BGE 119 Ib 348 S. 355
efficacement des nuisances sonores provenant des fonds voisins. Dans le remaniement, une bande large de 40 m environ, à proximité de la ferme, a été retranchée du domaine des intimés; l'attribution à l'Etat de Fribourg de ce terrain, indispensable pour la réalisation de la route nationale, était une condition imposée au syndicat d'améliorations foncières. La suppression, à la suite du remaniement, de cet espace "protecteur" pour le bâtiment des intimés représente pour eux un inconvénient au sens des dispositions précitées; dans ces conditions, ils sont fondés, en principe, à demander une indemnité d'expropriation.
b) Cela étant, il se justifie d'examiner l'autre fondement des prétentions des intimés, en faisant abstraction de la suppression de l'espace protecteur. L'
art. 7 al. 3 LEx
astreint l'expropriant à exécuter les ouvrages qui sont propres à mettre les fonds voisins, notamment, à l'abri des dangers et des inconvénients qu'impliquent nécessairement l'exécution et l'exploitation de son entreprise et qui ne doivent pas être tolérés d'après les règles du droit de voisinage. L'expropriant est donc tenu, en principe, de respecter à l'égard de ses voisins les obligations découlant pour le propriétaire des
art. 684 ss CC
. En vertu de l'
art. 5 LEx
, les droits résultant des dispositions sur la propriété foncière en matière de rapports de voisinage peuvent faire l'objet de l'expropriation et être supprimés ou restreints temporairement ou définitivement, moyennant le respect du principe de la proportionnalité énoncé à l'
art. 1er al. 2 LEx
. Dès lors, si les immissions proviennent de l'utilisation, conforme à sa destination, d'un ouvrage d'intérêt public pour la réalisation duquel la collectivité disposait du droit d'expropriation, le voisin ne peut pas exercer les actions du droit privé, à raison du trouble ou en responsabilité, prévues par l'
art. 679 CC
. La prétention en versement d'une indemnité se substitue à ces actions et il appartient non plus au juge civil, mais au juge de l'expropriation de statuer sur l'existence du droit et le montant de l'indemnité (
ATF 116 Ib 252
/253 consid. 2a et les arrêts cités). Conformément à la jurisprudence relative aux nuisances de bruit provenant du trafic routier et ferroviaire, la collectivité publique n'est tenue d'indemniser un propriétaire voisin que si le dommage qu'il subit est à la fois spécial, imprévisible et grave; c'est à ces seules conditions, cumulatives, que l'immission est excessive au sens de l'
art. 684 CC
(
ATF 118 Ib 205
consid. 8c,
ATF 117 Ib 18
consid. 2b,
ATF 116 Ib 21
consid. 3a et les arrêts cités). L'autorité recourante a d'emblée admis que ces conditions étaient réunies en l'espèce; comme on le verra plus bas (consid. 5), tel est effectivement le cas.
BGE 119 Ib 348 S. 356
5.
a) Dès qu'un projet de construction routière ou ferroviaire est connu, les voisins de la future voie ou route doivent en tenir compte et s'y adapter en prenant les mesures propres à éviter ou à limiter le dommage; seules les immissions d'un projet "imprévisible" peuvent justifier une indemnisation (
ATF 117 Ib 18
/19 consid. 2b et les arrêts cités). La réalisation de la route nationale N 12 sur le territoire de la commune de Sâles n'était pas prévisible lorsque Léon B. a édifié la ferme de la Gissetta, à l'écart du village et loin de toute agglomération importante (cf.
ATF 111 Ib 236
). Les intimés ont acquis en commun la propriété de cet immeuble par voie successorale; dans ces conditions, la date déterminante est celle de la construction du bâtiment et ils peuvent, au même titre que leur prédécesseur, se prévaloir de l'imprévisibilité du projet (
ATF 111 Ib 235
consid. 2a).
b) La condition de la spécialité est remplie lorsque les immissions atteignent une intensité qui excède la limite de ce qui est usuel et tolérable; il faut distinguer cette condition de celle de la gravité, qui se rapporte, elle, au dommage provoqué par les immissions (
ATF 117 Ib 18
consid. 2b,
ATF 116 Ib 21
consid. 3a et les arrêts cités).
aa) Dans sa jurisprudence développée à partir de l'arrêt de principe rendu en 1968 en la cause Werren (
ATF 94 I 286
ss), le Tribunal fédéral s'est fondé, quant aux méthodes de mesure des immissions et quant au seuil déterminant pour admettre leur spécialité, sur les connaissances scientifiques et sociologiques résultant des rapports et propositions des commissions spéciales instituées par les autorités fédérales (en particulier: le rapport de la Commission fédérale d'experts au Conseil fédéral, établi en 1963 et intitulé "La lutte contre le bruit en Suisse" [ci-après: rapport de 1963]; cf.
ATF 94 I 301
consid. 9a/aa), ou des rapports des experts qu'il avait spécialement désignés, la jurisprudence étant adaptée au fur et à mesure du développement de ces connaissances. L'arrêt rendu le 16 juillet 1984 en la cause Ammann et consorts (
ATF 110 Ib 340
ss) décrit cette évolution pour la période précédant l'entrée en vigueur, le 1er janvier 1985, de la loi fédérale sur la protection de l'environnement (LPE; RS 814.01).
Dans cet arrêt Ammann, le Tribunal fédéral avait rappelé qu'en Suisse, les situations de bruit avaient généralement été décrites au moyen des niveaux sonores statistiques "L1" et "L50" (soit des valeurs de niveaux qui ne sont dépassées que pendant 1% ou 50% du temps d'une période d'observation déterminée). Il avait aussi relevé qu'un nouveau procédé, par lequel l'intensité moyenne du bruit est mesurée, avait été élaboré: le niveau, exprimé également en décibels
BGE 119 Ib 348 S. 357
avec filtre de pondération A ["dB(A)"], est appelé "niveau moyen énergétique", en abrégé "Leq" (
ATF 110 Ib 348
/349 consid. 3; cf. Commission fédérale pour l'évaluation des valeurs limites d'immissions pour le bruit, 1er rapport partiel - Valeurs limites pour l'exposition au bruit du trafic routier, 1979, p. 14/15 [ci-après: rapport partiel de 1979]). Le Tribunal fédéral, fondé sur ce rapport partiel et sur l'avis des experts qu'il avait désignés, avait prescrit l'utilisation à l'avenir de la méthode "Leq", plus répandue, plus simple et mieux appropriée à caractériser de manière satisfaisante l'effet gênant du trafic de jour et de nuit que les doubles niveaux statistiques "L1" et "L50" (
ATF 110 Ib 353
/354 consid. 7).
Le rapport de 1963 avait proposé des "valeurs limites provisoires", exprimées en dB(A), pour différents niveaux sonores - le "bruit de fond" (équivalant au niveau "L50"), les "pointes fréquentes" (correspondant au niveau "L1") et les "pointes rares" -, cela en distinguant six zones principales de bruit (zones I à VI: zones de repos, tranquille d'habitation, mixte, etc.) et en prévoyant des valeurs de seuil plus élevées pendant le jour que pendant la nuit (cf. rapport 1963, p. 43 ss). Dans son arrêt Ammann, le Tribunal fédéral avait d'abord décidé de relever de 5 dB(A) les valeurs limites "L1" pour la nuit, telles qu'elles étaient fixées provisoirement pour les zones II à V (
ATF 110 Ib 349
ss consid. 4). Il avait ensuite considéré que la condition de la spécialité des nuisances était remplie in casu, le niveau du bruit routier dépassant nettement - il en était ainsi en l'occurrence avec un dépassement de 5 dB(A) - les valeurs limites. Le Tribunal fédéral avait renoncé à examiner si la spécialité pouvait aussi être reconnue lors d'un dépassement moindre. Il avait toutefois expliqué qu'une différence de niveau égale ou inférieure à 2 dB n'était en principe pas perceptible à l'oreille humaine, mais qu'en revanche une différence de 5 dB l'était clairement; par ailleurs, il avait rappelé que l'augmentation de 3 dB(A) ou de 10 dB(A) des niveaux Leq ou L50 correspondait à une multiplication par deux, dans le premier cas, ou par dix, dans le second, du volume du trafic (
ATF 110 Ib 352
/353 consid. 6).
bb) La loi fédérale sur la protection de l'environnement a pour but de protéger les hommes, en particulier, des atteintes nuisibles ou incommodantes (
art. 1er al. 1 LPE
). Selon le principe de l'
art. 13 al. 1 LPE
, le Conseil fédéral édicte par voie d'ordonnance des valeurs limites d'immissions applicables à l'évaluation de ces atteintes. En ce qui concerne les immissions de bruit du trafic routier, ces valeurs limites, définies aujourd'hui dans l'ordonnance sur la protection
BGE 119 Ib 348 S. 358
contre le bruit, sont déterminées sous la forme du niveau d'évaluation "Lr", sur la base de calculs ou de mesures (
art. 38 al. 1 OPB
en relation avec l'annexe 3 de cette ordonnance). A proximité d'une route sur laquelle ne circulent, comme en l'espèce, que des véhicules à moteur - à l'exclusion de trains -, ce niveau d'évaluation Lr est obtenu par un calcul logarithmique à partir d'un niveau d'évaluation partiel "Lr1", qui est lui-même "la somme du niveau moyen Leq,m, pondéré A, engendré par les véhicules à moteur, et de la correction de niveau K1" (comme l'exprime la formule: Lr1 = Leq,m + K1; cf. annexe 3 de l'OPB, ch. 3.31). La correction de niveau K1 se calcule en fonction du trafic moyen de jour et de nuit (nulle pour un trafic horaire supérieur à 100 véhicules, cette correction est au maximum de 5 dB(A) pour un trafic horaire inférieur à 31,6 véhicules - cf. annexe 3 de l'OPB, ch. 3.35).
En vertu de l'
art. 15 LPE
, les valeurs limites d'immission s'appliquant au bruit sont fixées de manière que, selon l'état de la science et de l'expérience, les immissions inférieures à ces valeurs ne gênent pas de manière sensible la population dans son bien-être; il faut en outre tenir compte de l'effet des immissions sur des catégories de personnes particulièrement sensibles, telles que les enfants, les malades, les personnes âgées et les femmes enceintes (
art. 13 al. 2 LPE
). Dans son message relatif à cette loi fédérale, le Conseil fédéral s'est référé à cet égard aux valeurs recommandées par le rapport de 1963, les critères légaux étant à ses yeux "à peu près aussi sévères" que ceux proposés par la première commission fédérale d'experts (FF 1979 III 787). L'ordonnance sur la protection contre le bruit fixe des valeurs différentes selon le degré de sensibilité de la zone dans laquelle se trouve le bâtiment touché (
art. 43 OPB
). Ainsi, dans une zone où aucune entreprise gênante n'est autorisée - zones d'habitation ou réservées à des constructions publiques, notamment -, le degré de sensibilité II est applicable et les valeurs limites d'immission sont, pour le bruit du trafic routier, de 60 dB(A) le jour et de 50 dB(A) la nuit (
art. 43 al. 1 let. b OPB
en relation avec le ch. 2 de l'annexe 3 de l'OPB). De même, dans une zone où sont admises des entreprises moyennement gênantes - zones mixtes et zones agricoles, notamment -, ces valeurs sont de 65 dB(A) le jour et de 55 dB(A) la nuit (
art. 43 al. 1 let
. c OPB en relation avec le ch. 2 de l'annexe 3 de l'OPB). Le rapport partiel de 1979 proposait des valeurs similaires, en définissant toutefois de manière légèrement différente les zones auxquelles les degrés de sensibilité II et III étaient à appliquer (op.cit., p. 31).
BGE 119 Ib 348 S. 359
cc) L'expert de la Commission fédérale d'estimation a procédé à des mesures acoustiques entre le 27 juin et le 13 octobre 1986. Dans son rapport du 14 juillet 1987, qui se réfère à la jurisprudence du Tribunal fédéral et aux nouvelles prescriptions fédérales sur la protection contre le bruit entrées en vigueur quelques mois auparavant, il a d'abord déterminé les niveaux moyens "L1", "L50" et "Leq" (p. 4); ensuite, il a notamment calculé le niveau d'évaluation "Lr" (improprement abrégé "Leq" ou "Leq 1986" aux pages 6 et 7 du rapport, ce que l'expert a confirmé durant l'instruction du présent recours) conformément aux dispositions de l'annexe 3 de l'OPB. Ainsi évaluées, les immissions à l'endroit le plus exposé de la partie habitée de la ferme des intimés (au milieu de la fenêtre ouverte d'une chambre à coucher du premier étage; cf.
art. 39 al. 1 OPB
) étaient les suivantes:
Jour: Lr = 72,4 dB(A)
Nuit: Lr = 64,0 dB(A)
En admettant l'application en l'espèce du degré de sensibilité III (zone agricole; cf.
art. 43 al. 1 let
. c OPB), ces niveaux dépassent les valeurs limites d'immission, plus précisément de 7,4 dB(A) pendant les phases diurnes et de 9 dB(A) pendant les phases nocturnes. Comme le relève l'expert (p. 7), le dépassement serait encore plus net en prenant en considération un degré de sensibilité II, applicable selon le rapport partiel de 1979 aux "régions tranquilles à la campagne" (op.cit., p. 31); il n'est toutefois pas nécessaire d'examiner en l'espèce si les critères retenus dans ce rapport partiel sont encore pertinents car, comme on le verra plus bas, le dépassement des valeurs limites découlant de l'application du degré de sensibilité III est ici à lui seul décisif.
dd) Dans un arrêt rendu en 1991, le Tribunal fédéral a jugé qu'en règle générale, la condition de la spécialité était remplie lorsque les immissions dépassaient les valeurs limites d'exposition fixées dans l'annexe 3 de l'OPB (
ATF 117 Ib 18
consid. 2b); dans cette affaire, il ne se justifiait pas d'examiner plus précisément lesquelles, parmi les différentes valeurs limites d'exposition au bruit - valeurs de planification, valeurs limites d'immission ou valeurs d'alarme -, étaient les valeurs déterminantes à cet égard (cf.
art. 40 OPB
, ch. 1 et 2 de l'annexe 3 de l'OPB).
En vertu de l'
art. 23 LPE
, les valeurs de planification, fixées dans l'ordonnance, sont inférieures aux valeurs limites d'immission; elles doivent être observées lors de la construction de nouvelles installations fixes ou en vue de la planification de nouvelles zones à bâtir
BGE 119 Ib 348 S. 360
(cf. art. 24 al. 1 et 25 al. 1 LPE,
art. 7 et 29 OPB
). A l'opposé, les valeurs d'alarme sont supérieures aux valeurs limites d'immission et elles sont destinées à permettre à l'autorité d'apprécier l'urgence de l'assainissement d'installations ne satisfaisant pas aux prescriptions (
art. 19 LPE
). Les valeurs limites d'immission constituent quant à elles le seuil à partir duquel les atteintes deviennent nuisibles ou incommodantes (
art. 13 al. 1 LPE
; cf. supra consid. 5b/bb; ANDRÉ SCHRADE, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 13, Zurich 1987, n. 13). Lorsque ces valeurs sont dépassées - étant admis préalablement que l'ordonnance, en les fixant, a respecté les principes énoncés dans la loi (notamment l'
art. 15 LPE
) -, les immissions gênent les personnes touchées de manière sensible dans leur bien-être physique, psychique et social; cette gêne, qu'il faut certes distinguer de la maladie, représente néanmoins une atteinte à la santé (selon la définition donnée à cette notion par l'Organisation mondiale de la santé; cf. Rapport partiel de 1979, p. 16/17 CHRISTOPH ZÄCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 15, Zurich 1987, n. 11). Ces valeurs de seuil sont fixées pour des niveaux de bruit "Lr" (niveaux d'"évaluation"), qui ne sont pas le simple résultat de mesures acoustiques, mais découlent de calculs intégrant divers éléments et prenant notamment en considération des aspects subjectifs pouvant influencer la perception du bruit et la gêne provoquée (cf.
ATF 110 Ib 353
consid. 6). Ainsi, les résultats des mesures - obtenus au moyen de la méthode "Leq" - sont corrigés selon un facteur "K", qui est fonction du trafic moyen de jour et de nuit, calculé en distinguant entre les catégories de véhicules à moteur (voitures de tourisme, cyclomoteurs, etc., d'une part, camions, motocycles, tracteurs, etc., d'autre part, ces derniers véhicules occasionnant de façon notoire une gêne plus importante); si des trains circulent sur la route, le bruit qu'ils produisent est pris en compte spécialement et la correction de niveau est subordonnée à l'absence de grincements fréquents et nettement perçus (cf. ch. 3 de l'annexe 3 de l'OPB).
Dans ces conditions, ces valeurs limites d'immission déterminées sous forme de niveaux d'évaluation "Lr" doivent être considérées comme le seuil à partir duquel la condition de la spécialité des nuisances est remplie et il ne se justifie pas, comme le proposait l'expert de la Commission fédérale d'estimation dans son rapport (p. 7), de soumettre encore la réalisation de cette condition à un dépassement de ces valeurs de 5 dB(A); d'ailleurs, dans l'arrêt Ammann précité, le Tribunal fédéral n'avait pas posé une telle exigence en ce qui
BGE 119 Ib 348 S. 361
concernait les niveaux de bruit "L1", "L50" ou "Leq" (cf. supra consid. 5b/aa). Au reste, dans les zones d'affectation auxquelles les degrés de sensibilité III et IV sont appliqués, les valeurs d'alarme, de jour, ne sont supérieures que de 5 dB(A) aux valeurs limites d'immission (cf. ch. 2 de l'annexe 3 de l'OPB). Dès lors, exiger un dépassement de 5 dB(A) des valeurs limites d'immission pour reconnaître le caractère excessif, au sens de l'
art. 684 CC
, des nuisances d'un ouvrage voisin équivaudrait dans de nombreux cas à fixer le seuil au niveau des valeurs d'alarme de l'ordonnance sur la protection contre le bruit; or, lorsque ces dernières valeurs sont dépassées, les personnes directement exposées sont menacées et les atteintes à leur santé peuvent être qualifiées d'aiguës (cf. Message relatif à la LPE, FF 1979 III 788; CHRISTOPH ZÄCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 19, Zurich 1988, n. 20). Dans l'application de la condition de la spécialité, une telle interprétation, avec ses conséquences, ne serait plus compatible avec la règle générale de l'
art. 684 CC
et elle équivaudrait à réduire dans une mesure considérable la portée de l'
art. 5 LEx
.
ee) Le Tribunal fédéral, autorité de surveillance des commissions fédérales d'estimation, est habilité à leur donner des indications ou des directives sur des questions qu'elles ont à traiter (
art. 63 LEx
; cf.
ATF 115 Ib 17
consid. 1, 430 consid. 3 et les arrêts cités). Dans ce cadre, il faut ici prendre acte de l'évolution des procédés de mesure du bruit, qui avait déjà été évoquée dans l'arrêt Ammann précité (cf. supra consid. 5b/aa). Avec l'entrée en vigueur des prescriptions fédérales sur la protection de l'environnement, il se justifie de réexaminer les critères appliqués jusqu'ici par la jurisprudence; l'ordonnance sur la protection contre le bruit ayant abandonné les mesures des niveaux statistiques "L1" et "L50" pour consacrer la seule méthode du "niveau moyen énergétique Leq", il conviendra à l'avenir de mesurer l'intensité du bruit selon ce seul procédé.
En outre, la condition de la spécialité des nuisances sera, en règle générale, considérée comme remplie lorsque le calcul des niveaux d'évaluation "Lr" révélera un dépassement des valeurs limites d'immission fixées pour le bruit du trafic routier dans l'annexe 3 de l'OPB.
ff) Il importe peu qu'en l'espèce, l'envoi en possession des terrains nécessaires à la réalisation de la route nationale ait été ordonné avant l'entrée en vigueur de la loi fédérale sur la protection de l'environnement. Il n'existait pas précédemment de normes légales très précises en la matière et, comme on l'a vu (cf. supra consid. 5b/aa), le
BGE 119 Ib 348 S. 362
Tribunal fédéral se fondait alors sur des propositions contenues dans des rapports d'experts qui énonçaient - comme le fait actuellement la législation fédérale - des règles sur les méthodes de mesure des nuisances et sur les valeurs limites. Dans ces conditions, rien ne s'oppose à ce que, pour se prononcer sur la dépréciation de l'immeuble des intimés intervenue avant 1985, l'on s'inspire des normes précises de la loi sur la protection de l'environnement et de ses ordonnances d'application.
c) Le dommage provoqué par le bruit du trafic a entraîné, selon les experts du Tribunal fédéral, une dévaluation du bâtiment des intimés de l'ordre de 40%; ce dommage est manifestement grave au sens de la jurisprudence relative à l'
art. 5 LEx
(
ATF 117 Ib 18
consid. 2b,
ATF 116 Ib 21
/22 consid. 3a et les arrêts cités). L'autorité recourante ne le conteste d'ailleurs pas.
Les trois conditions cumulatives pour admettre que les immissions de la route nationale sont excessives au sens de l'
art. 684 CC
sont donc réunies en l'espèce.
6.
Le fondement de l'indemnité étant établi, il reste à déterminer sous quelle forme elle doit être allouée.
a) En vertu de l'
art. 64 al. 1 let. a LEx
, la commission d'estimation statue en particulier sur la nature et le montant de l'indemnité (art. 16 à 18 LEx); il n'est pas nécessaire que les parties lui présentent une demande formelle et expresse, contrairement aux exigences posées pour d'autres prétentions (art. 64 al. 1 let. b, c, e, f et g LEx). En principe, selon l'
art. 17 LEx
, l'indemnité est payable en argent sous la forme d'un capital ou d'une rente, mais la prestation en argent peut être remplacée en tout ou partie par un équivalent en nature (
art. 18 al. 1 LEx
). L'attribution d'un immeuble à titre d'indemnité en nature n'est admissible qu'avec le consentement de l'exproprié et des créanciers gagistes (
art. 18 al. 3 LEx
); pour d'autres formes de réparation en nature, le consentement de l'exproprié n'est pas nécessaire si ses intérêts sont suffisamment sauvegardés (
art. 18 al. 2 LEx
). Selon la jurisprudence, la réparation en nature demeure toutefois l'exception par rapport au principe selon lequel l'indemnité est payable en argent (
ATF 105 Ib 90
, 196).
Devant la Commission fédérale d'estimation, les intimés ont conclu principalement au déplacement de la totalité de leur ferme, ou éventuellement du logement s'y trouvant; cette demande de réparation en nature a été écartée. En l'absence de recours de droit administratif des intimés, ces conclusions n'ont plus à être examinées. De son côté, l'autorité recourante avait proposé de procéder à l'isolation
BGE 119 Ib 348 S. 363
acoustique de l'habitation. La Commission fédérale d'estimation a cependant jugé qu'une telle mesure n'était pas propre à remédier de manière satisfaisante au dommage provoqué par le bruit de la route nationale et à garantir aux intimés une indemnisation pleine et entière, au sens de l'
art. 16 LEx
. L'autorité recourante prétend que cette argumentation est mal fondée et elle invoque les prescriptions fédérales de protection de l'environnement, qui imposeraient, selon elle, les mesures qu'elle avait proposées.
b) En refusant d'envisager une isolation acoustique du bâtiment au motif qu'elle ne constituerait pas une indemnisation pleine et entière, la Commission fédérale d'estimation a omis de considérer que la réparation en nature pouvait être partielle, le solde étant payable en argent, le cas échéant (cf.
art. 18 al. 1 LEx
). En revanche, elle a retenu à juste titre le caractère relatif des mesures d'isolation. Les fenêtres antibruit n'offrent en effet une protection efficace - et sans comparaison avec celle qu'assurent des fenêtres ordinaires - que lorsqu'elles sont fermées. Toutefois, compte tenu des longues périodes de l'année pendant lesquelles les fenêtres des locaux d'habitation restent closes en raison des conditions climatiques, de telles mesures d'isolation présenteraient déjà des avantages notables; on ne saurait donc qualifier leur efficacité de très limitée.
En outre, pour parer aux inconvénients éventuels d'une fermeture prolongée des fenêtres de l'appartement, un système de ventilation ou d'aération, lui-même silencieux, pourrait être installé. De telles mesures complémentaires peuvent aussi être prescrites à titre de réparation en nature au sens de l'
art. 18 LEx
.
Comme l'isolation acoustique avec, le cas échéant, le dispositif d'aération amélioreraient de façon substantielle les conditions d'utilisation du bâtiment des intimés, et que ceux-ci se contentent, sur cet aspect, de se référer dans leurs écritures à la décision attaquée sans faire valoir de motifs particuliers contre la réalisation de ces mesures (cf.
ATF 105 Ib 196
), il faut considérer que leurs intérêts seraient suffisamment sauvegardés, au sens de l'
art. 18 al. 2 LEx
, avec l'octroi d'une telle indemnité en nature. Certes, lorsque ce type de réparation se substitue à l'indemnité en argent prévue à l'
art. 17 LEx
, la faculté de l'exproprié de choisir l'usage qu'il fera de la compensation obtenue est réduite, mais cela ne constitue en principe pas, dans l'hypothèse de l'
art. 18 al. 2 LEx
, une atteinte à ses droits; il n'en va différemment que lorsqu'un immeuble est attribué à titre d'indemnité, l'exproprié devant alors consentir à être privé de cette liberté de choix (
art. 18 al. 3 LEx
; cf. supra consid. 6a).
BGE 119 Ib 348 S. 364
c) Il reste à examiner si, en écartant l'offre de réparation en nature présentée par l'autorité recourante, la Commission fédérale d'estimation a fait un usage admissible de son pouvoir d'appréciation (cf.
art. 104 let. a OJ
).
aa) La décision attaquée retient à juste titre que l'entrée en vigueur de la loi sur la protection de l'environnement, puis de l'ordonnance sur la protection contre le bruit, ne remettait pas en cause la compétence du juge de l'expropriation pour statuer sur l'octroi d'une indemnité en raison des immissions excessives liées à l'exploitation d'un ouvrage public. Ces nouvelles prescriptions fédérales n'empêchent pas une commission d'estimation d'ordonner une réparation en nature conformément à l'
art. 18 LEx
, quand bien même les mesures prescrites correspondraient, dans leur forme et dans leur résultat, à des mesures prévues par ailleurs directement par la loi fédérale sur la protection de l'environnement. Cependant, lorsqu'une requête est exclusivement fondée sur les prescriptions de cette dernière loi, le juge de l'expropriation n'est pas compétent pour statuer: l'exécution de ces normes incombe en principe aux autorités cantonales (
art. 36 LPE
; cf.
ATF 116 Ib 23
consid. 3b et les arrêts cités), le recours de droit administratif au Tribunal fédéral étant réservé (
art. 54 LPE
).
La loi sur la protection de l'environnement et la loi sur l'expropriation poursuivent en effet des buts différents et indépendants. La première tend à protéger "les hommes, les animaux et les plantes, leurs biocénoses et leurs biotopes des atteintes nuisibles ou incommodantes" (
art. 1er al. 1 LPE
), tandis que la seconde vise à permettre à la collectivité d'acquérir, de façon contraignante, les droits nécessaires à l'exécution de ses tâches d'intérêt public, pour autant que les principes de la proportionnalité et de l'indemnisation pleine et entière soient respectés (cf.
art. 1er LEx
;
ATF 118 Ib 204
consid. 8, 116 Ib 23 consid. 3b, 115 Ib 25; CHRISTOPH ZÄCH, op.cit., art. 20, n. 37).
bb) Ces deux législations se rejoignent toutefois à certains égards, en protégeant les mêmes biens juridiques. Ainsi, l'
art. 7 al. 3 LEx
impose à l'expropriant d'exécuter les ouvrages propres à mettre le public et les fonds voisins à l'abri des dangers et des inconvénients qu'impliquent nécessairement l'exécution et l'exploitation de son entreprise et qui ne doivent pas être tolérés d'après les règles du droit de voisinage (cf. supra consid. 4b). Le défaut des mesures nécessaires peut être invoqué, une fois les plans de l'ouvrage publiés, par la voie de l'opposition (
art. 35 let. b LEx
) et le prononcé rendu sur
BGE 119 Ib 348 S. 365
opposition par l'autorité compétente, selon l'
art. 55 LEx
, peut faire l'objet d'un recours de droit administratif.
Les convergences entre les deux législations apparaissent aussi dans des matières où la commission d'estimation est compétente en première instance. Ainsi, selon l'
art. 5 al. 1 LEx
, l'objet de l'expropriation n'est pas limité aux droits réels, mais le législateur l'a étendu aux droits personnels des locataires ou fermiers de l'immeuble à exproprier. Ceux-ci peuvent prétendre à une indemnité non seulement à raison du dommage résultant pour eux de l'extinction avant terme du bail (cf.
art. 23 al. 2 LEx
), mais aussi lorsque d'autres droits contractuels sont atteints, en particulier lorsque l'usage de la chose louée, conformément à ce que le bail stipule, n'est plus possible à cause de l'expropriation des droits du propriétaire résultant, selon l'
art. 684 CC
, des rapports de voisinage (
ATF 106 Ib 246
/247 consid. 4a; cf. HESS/WEIBEL, op.cit., vol. I, p. 103/104).
En étendant, avec les
art. 5 et 18 LEx
, l'objet de l'expropriation aux droits personnels des locataires et des fermiers, et en prévoyant dans le même temps la réparation en nature comme l'une des formes d'indemnités, le législateur de 1930 - faisant oeuvre de précurseur - avait déjà créé les instruments juridiques propres, d'une part, à assurer la réparation, par une compensation pécuniaire, du préjudice économique subi, et aussi, d'autre part, à protéger dans leur bien-être non seulement les propriétaires, mais aussi la population en général; or, les prescriptions sur la protection de l'environnement tendent aussi à ce dernier but.
cc) Il est sans importance, en l'espèce, que les fermiers du domaine des intimés, directement exposés aux immissions de la route nationale, n'aient pas fait eux-mêmes valoir des prétentions à l'encontre de l'expropriant. Les considérations précédentes sur les convergences entre les deux législations amènent en effet à la conclusion que la réparation en nature, lorsqu'elle est compatible avec les principes généraux du droit de l'expropriation - exigeant en particulier une indemnisation pleine et entière -, peut dans certains cas concourir également à l'accomplissement des buts de la loi sur la protection de l'environnement. Dès lors, le juge de l'expropriation a non seulement la possibilité, mais plus encore le devoir d'ordonner des prestations en nature selon l'
art. 18 LEx
lorsque, comme en l'espèce, un tel mode d'indemnisation est propre à réparer, à tout le moins en partie, le préjudice subi par le propriétaire exproprié et qu'en même temps il permet de protéger efficacement le bien-être des personnes habitant le bâtiment exposé.
BGE 119 Ib 348 S. 366
Au demeurant, il découle du principe général selon lequel l'exproprié est tenu de contribuer à la réduction du dommage, en prenant notamment les précautions nécessaires (cf. HESS/WEIBEL, op.cit., vol. I, p. 302 et 307), qu'il doit accepter les formes de réparation qui, tout en sauvegardant ses intérêts, tendent aussi à la protection des intérêts de l'expropriant ou de tiers. Du reste, l'
art. 679 CC
permet en principe d'ordonner au propriétaire qui excède son droit de prendre toutes les mesures adéquates pour écarter le danger et prévenir des dommages futurs, le juge civil pouvant déterminer librement les mesures qui s'imposent, même sans conclusions précises des parties (
ATF 111 II 445
; cf. ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, vol. IV/1/2, Berne 1974, n. 114 et 122 ad
art. 679 CC
); il n'y a aucun motif d'adopter une solution différente dans une procédure d'expropriation, le juge pouvant dans ce domaine, de façon générale, statuer sur la nature de l'indemnité même en l'absence de toute demande à cet égard (cf. supra consid. 6a).
dd) Il résulte de ce qui précède que la Commission fédérale d'estimation aurait dû admettre l'offre de l'autorité recourante tendant à réaliser l'isolation acoustique de la ferme des intimés, à tout le moins à titre de réparation partielle. Le recours doit être admis sur ce point, les intimés ayant l'obligation de principe d'accepter une réparation en nature sous forme de mesures d'assainissement de leur bâtiment.
8.
(A ce stade, il se justifie, pour des raisons d'opportunité et d'économie de la procédure, de rendre un jugement partiel (cf.
ATF 116 Ib 13
consid. 1 et les arrêts cités). Il sera statué ultérieurement sur les mesures d'assainissement qu'il convient d'ordonner pour la ferme de la Gissetta ainsi que sur l'éventuelle indemnité complémentaire en argent qui pourrait être allouée aux intimés afin que leur préjudice soit intégralement couvert.) | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7439ae8f-4043-4f23-bea6-7d39411ec347 | Urteilskopf
99 IV 185
41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. November 1973 i.S. Stocker gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 20 StGB
.
Begriff des Rechtsirrtums. | Erwägungen
ab Seite 185
BGE 99 IV 185 S. 185
3.
a) Nach ständiger Rechtsprechung zu
Art. 20 StGB
kann sich auf Rechtsirrtum nur berufen, wer zureichende Gründe zur Annahme hatte, er tue überhaupt nichts Unrechtes, und nicht schon, wer die Tat bloss für straflos hielt (
BGE 98 Ia 303
mit Verweisungen). Kommt aber auf das Bewusstsein der Straflosigkeit nichts an, genügt vielmehr für den Ausschluss eines Rechtsirrtums schon das unbestimmte Empfinden, dass das in Aussicht genommene Verhalten gegen das verstösst, was recht ist (
BGE 60 I 418
,
BGE 66 I 113
,
BGE 70 IV 100
,
BGE 72 IV 155
,
BGE 80 IV 21
), so ist damit aber auch gesagt, dass der Täter nicht nur im Bereich des Vorsatzes, sondern auch in demjenigen des Unrechtsbewusstseins sein Verhalten nicht juristisch exakt würdigen muss, wie es der Richter tut (
BGE 80 IV 21
), sondern dass er dieses bloss in der ihm als Laien zugänglichen Art an den rechtlichen Wertvorstellungen zu messen hat, die vom durchschnittlichen Bürger der Gemeinschaft getragen werden, der er angehört. Ob er dessen Anschauungen über das, was recht oder unrecht ist, selber teilt oder sie aus irgendwelchen ausserrechtlichen Gründen ablehnt, ist nicht massgebend (BGH Str. 4 S. 3/5; RUDOLPHI, Unrechtsbewusstsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, S. 187 mit weiteren Hinweisen). Im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seines Tuns handelt deshalb, wer weiss, dass sein Verhalten den Rechtsvorstellungen seiner Rechtsgemeinschaft widerspricht. Im allgemeinen entspricht die Rechtsordnung den vorherrschenden ethischen Wertvorstellungen in dem Sinne, dass jedenfalls erhebliche Verstösse gegen diese regelmässig auch rechtlich verpönt sind. Das Empfinden des Täters, seine Handlung widerspreche den herrschenden sittlichen
BGE 99 IV 185 S. 186
Vorstellungen über die sozialen Beziehungen, stellt einen gewichtigen Hinweis auf sein Unrechtsbewusstsein dar. Nimmt der Täter ausnahmsweise an, seine Handlung sei, obwohl nach vorherrschender sittlicher Anschauung verpönt, dennoch gemäss geltender Rechtsordnung erlaubt, so handelt er rechtsirrtümlich. Doch wird alsdann besonders sorgfältig zu prüfen sein, ob der Täter zu seiner rechtsirrtümlichen Annahme zureichende Gründe hatte. Zureichend ist ein Grund, wenn dem Täter aus seinem Rechtsirrtum kein Vorwurf gemacht werden kann, weil er auf Tatsachen beruht, durch die sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen (
BGE 98 IV 303
mit Verweisungen). Das Gesetz verlangt damit vom Täter eine Gewissensanspannung, eine gewissenhafte Überlegung oder ein Erkundigen bei Behörden oder vertrauenswürdigen Personen (s.
BGE 75 IV 153
,
BGE 78 IV 181
,
BGE 81 IV 242
,
BGE 82 IV 17
,
BGE 86 IV 196
,
BGE 91 IV 30
Nr. 9). Hat er von einer ihm objektiv gegebenen Gelegenheit, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens durch eigenes Nachdenken zu erkennen oder durch Einholung von Auskünften zu erfahren, keinen Gebrauch gemacht, obgleich dazu für ihn Anlass bestand, so handelt es sich um einen vermeidbaren und damit nach
Art. 20 StGB
unerheblichen Rechtsirrtum (S. RUDOLPHI, op.cit. S. 207).
Was Filmvorführungen anbelangt, verweist die Staatsanwaltschaft zutreffend auf die bundesgerichtliche Praxis zur Frage, welche Gründe im Sinne von
Art. 20 StGB
zureichend sind. So kann sich nach mehreren Entscheiden ein Kinobesitzer nicht schon deshalb auf Rechtsirrtum berufen, weil ein Film an einem anderen Ort unbeanstandet vorgeführt wurde, da hiefür verschiedenartige Gründe massgebend sein können (
BGE 99 IV 62
). Der Kassationshofverlangt zuverlässigere Unterlagen, z.B. Auskünfte von Behörden oder vertrauenswürdigen Personen (
BGE 92 IV 73
,
BGE 82 IV 17
,
BGE 81 IV 196
). Ausreichend ist z.B. ein früherer Freispruch durch den zuständigen Richter bei gleichem Sachverhalt, selbst wenn der Staatsanwalt vor der zweiten Tatbegehung den Täter ausdrücklich darauf aufmerksam macht, dass er selbst und die zuständige Verwaltungsbehörde den Freispruch als Fehlentscheid betrachteten (
BGE 91 IV 165
). | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7440ba4a-8e3d-4e23-be0a-5cdb43f02186 | Urteilskopf
106 V 129
31. Urteil vom 19. September 1980 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Schwitter und Rekurskommission des Kantons Glarus für die AHV | Regeste
Art. 4 AHVG
und 6 Abs. 1 AHVV.
Eigenleistungen beim Bau eines Wohnhauses, die nicht in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Beitragspflichtigen stehen und zu privaten Zwecken erfolgen, stellen nicht eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit dar. | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 106 V 129 S. 129
A.-
Melchior Schwitter ist als kantonaler Beamter tätig. Mit Verfügungen vom 11. Januar 1979 unterstellte ihn die Ausgleichskasse für die Jahre 1975 und 1976 der Beitragspflicht aus selbständiger Erwerbstätigkeit bei einem massgebenden Jahreseinkommen von Fr. 5'700.--. Sie stützte sich dabei auf eine Meldung der Steuerbehörde vom 28. April 1978, wonach Melchior Schwitter für Eigenarbeiten an seinem Ferienhaus für 1975 und 1976 mit einem Jahreseinkommen von Fr. 5'750.-- eingeschätzt worden ist.
B.-
Die Rekurskommission des Kantons Glarus für die AHV hiess eine hiegegen erhobene Beschwerde im wesentlichen mit der Feststellung gut, dass Melchior Schwitter nicht Selbständigerwerbender sei und dass der Begriff der Erwerbstätigkeit im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei (Entscheid vom 21. Mai 1979).
BGE 106 V 129 S. 130
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und Wiederherstellung der Kassenverfügungen vom 11. Januar 1979. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung wird geltend gemacht, Melchior Schwitter sei beim Bau seines Ferienhauses in einem Masse tätig gewesen, dass der Wert der aufgewendeten Arbeit als Erwerbseinkommen zu betrachten sei. Unerheblich sei, dass die Arbeit nicht in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit stehe, solange sie eine wirtschaftlich erhebliche Tragweite habe und der Schaffung von Privatvermögen diene. Ohne Belang sei auch, ob das Haus für den Eigengebrauch oder für den Verkauf bestimmt sei.
Melchior Schwitter bringt hiegegen vor, praxisgemäss liege Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit nur vor, wenn die Arbeitsleistung in Zusammenhang mit der üblichen Erwerbstätigkeit stehe. Mit den streitigen Eigenleistungen habe er weder ein Einkommen erzielt noch sei sein Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit hievon berührt worden. Zudem habe sich die Arbeit nicht nur auf die Jahre 1975 und 1976, sondern auf einen Zeitraum von vier Jahren erstreckt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 23 Abs. 4 AHVV
sind die Angaben der kantonalen Steuerbehörden über das für die Beitragsberechnung massgebende Erwerbseinkommen Selbständigerwerbender für die Ausgleichskassen verbindlich. Von rechtskräftigen Steuertaxationen darf nur abgewichen werden, wenn diese klar ausgewiesene Irrtümer enthalten, die ohne weiteres richtiggestellt werden können, oder wenn sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam sind.
Demgegenüber sind die Ausgleichskassen bei der Beurteilung der Frage, ob überhaupt Erwerbseinkommen und gegebenenfalls solches aus selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht an die Meldungen der kantonalen Steuerbehörden gebunden. Allerdings sollen sie sich bei der Qualifikation des Erwerbseinkommens in der Regel auf die Steuermeldungen verlassen und eigene Abklärungen nur vornehmen, wenn sich ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Steuermeldung ergeben (
BGE 102 V 30
Erw. 3).
BGE 106 V 129 S. 131
2.
Art. 21 WStB unterstellt Eigenleistungen insbesondere beim Bau von Häusern nicht ausdrücklich der Steuerpflicht. Praxisgemäss fallen als steuerbares Einkommen aber auch Arbeitsleistungen in Betracht, die der Steuerpflichtige für sich selbst oder ohne Entgelt für Angehörige erbringt (ASA 38 S. 375; KÄNZIG, Wehrsteuer, Ergänzungsband, N 15 zu Art. 21 WStB). Nach MASSHARDT (Wehrsteuerkommentar, N 12 zu Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB) stellt die blosse Einsparung von Auslagen durch Verrichtung von Arbeiten und Diensten, die ordentlicherweise einem Dritten zur Ausführung übergeben werden, noch kein Einkommen dar. Eigenleistungen sind hingegen dann als steuerbares Einkommen zu erfassen, wenn dadurch realisierbare Werte oder Mehrwerte entstehen. Sind diese Werte für den Eigenbedarf bestimmt, so werden sie in dem Zeitpunkt zur Besteuerung herangezogen, in dem sie erbracht bzw. hergestellt werden; sind sie für den Verkauf bestimmt, so wird das steuerbare Einkommen erst im Zeitpunkt der Veräusserung erzielt (ASA 47 S. 418). Eine einheitliche Steuerpraxis, wonach Eigenleistungen beim Bau eines Wohnhauses, welches zum Privatvermögen gehört, der Einkommenssteuer unterliegen, besteht indessen nicht. Die Steuerpflicht wird zum Teil davon abhängig gemacht, dass die durch die Eigenleistungen geschaffenen Werte oder Mehrwerte realisiert werden. Begründet wird dies namentlich damit, dass der für die Annahme steuerbaren Vermögens massgebende Wertzufluss erst mit der Veräusserung der Liegenschaft erfolgt, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige hiefür mehr erhält, als die Anlagekosten ausmachen (vgl. ZBl 1971 S. 26, 1970 S. 352).
3.
a) Zum Erwerbseinkommen gemäss
Art. 4 AHVG
und
Art. 6 Abs. 1 AHVV
gehören jene Einkünfte, die einem Versicherten aus einer Tätigkeit zufliessen und dadurch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen (
BGE 98 V 189
,
BGE 97 V 28
). Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt entschieden hat, gehört zum Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit auch der Wert eigener Arbeitsleistung, die bei der Schaffung von Privatvermögen, insbesondere beim Bau eines Hauses erbracht wird (ZAK 1969 S. 734; nicht veröffentlichte Urteile vom 23. Mai 1953 i.S. Eberhard und vom 16. September 1975 i.S. Baumann). Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob dies auch dann zu gelten hat, wenn es sich nicht um Eigenleistungen handelt, welche der Beitragspflichtige im Rahmen seines Betriebes
BGE 106 V 129 S. 132
für sich persönlich erbringt oder welche jedenfalls mit seiner Berufstätigkeit in Zusammenhang stehen.
b) In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass Eigenleistungen beim Bau eines Wohnhauses durch Unselbständigerwerbende, die nicht im Baugewerbe oder einem diesem verwandten Beruf tätig sind, sich meist in bescheidenem Rahmen halten. Sie werden steuerlich in der Regel nur erfasst, wenn sie vom Steuerpflichtigen ausdrücklich als Einkommen deklariert werden, was die Ausnahme darstellen dürfte. Da zudem unterschiedliche Rechtsauffassungen hinsichtlich der Steuerpflicht bestehen, ist eine rechtsgleiche Behandlung der Steuer- und damit auch der Beitragspflichtigen nicht gewährleistet.
In beitragsrechtlicher Hinsicht kommt dazu, dass der Einkommensbegriff des AHV-Rechts enger ist als derjenige des Wehrsteuerrechts. Er umfasst lediglich Einkünfte, welche dem Versicherten aus einer erwerblichen Tätigkeit zufliessen. An einem solchen Zufluss fehlt es bei ausschliesslich zu privaten Zwecken erbrachten Eigenleistungen, die sich in der Einsparung von Auslagen durch Verrichtung von Arbeiten, die Ordentlicherweise Dritten zur Ausführung übergeben werden, erschöpfen. Arbeitsleistungen, die der Geschäftsinhaber im Betrieb für sich selber erbringt, führen zwar ebenfalls zu keinem Einkommenszufluss; sie erfolgen jedoch im Rahmen der ordentlichen Erwerbstätigkeit und sind häufig mit einer Schmälerung des Geschäftserfolges verbunden, weshalb sich eine Beitragsbefreiung nicht rechtfertigen liesse. Demgegenüber handeln Private, deren Eigenleistung nicht in Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit steht, nicht als Erwerbstätige, falls eine Realisation der mit den Eigenleistungen geschaffenen Werte oder Mehrwerte nicht vorgesehen ist.
Aus den genannten Gründen gelangt das Gericht zum Schluss, dass Eigenleistungen, die nicht in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Beitragspflichtigen stehen und zu privaten Zwecken erfolgen, nicht zum beitragspflichtigen Erwerbseinkommen gehören. Vorbehalten bleiben Fälle, in welchen die Erbringung von Eigenleistungen zur Haupttätigkeit wird, was namentlich dann zutrifft, wenn der Beitragspflichtige ein bestehendes Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Eigenleistungen auflöst oder sich für längere Zeit beurlauben lässt (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. Mai 1953 i.S. Eberhard).
BGE 106 V 129 S. 133
Offen bleibt im übrigen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Beitragspflicht im Falle einer späteren Realisation der zu privaten Zwecken geschaffenen Werte oder Mehrwerte zu bejahen wäre.
4.
Der Beschwerdegegner ist als kantonaler Beamter tätig. Er hat die Eigenleistungen an seinem Ferienhaus in der Freizeit und den Ferien erbracht, und es spricht nichts dafür, dass er die dadurch geschaffenen Werte zu realisieren beabsichtigt. Die Eigenleistung fällt damit nicht unter die Beitragspflicht aus (nebenberuflicher) selbständiger Erwerbstätigkeit, woran auch die Steuermeldung vom 28. April 1978 nichts zu ändern vermag. Weil es im vorliegenden Fall um die Frage geht, ob es sich hinsichtlich der streitigen Eigenleistungen überhaupt um Einkommen handelt, sind die AHV-Organe nach dem eingangs Gesagten an die Steuermeldung nicht gebunden. Der Steuermeldung kann umso weniger ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, als es an einer einheitlichen Steuerpraxis zum fraglichen Sachverhalt fehlt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
74474b44-bfd4-419e-b08e-3e08b087d92c | Urteilskopf
137 II 199
16. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement gegen Swisscom (Schweiz) AG und Swisscom (Schweiz) AG gegen Wettbewerbskommission (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_343/2010 / 2C_344/2010 vom 11. April 2011 | Regeste
Art. 2, 3, 7, 30, 39 und 49a KG,
Art. 11 aFMG
,
Art. 25 VwVG
; kartellrechtliche Sanktion wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bei den Geschäftsbedingungen der Übernahme von Telefongesprächen anderer Anbieterinnen in das eigene Mobilfunknetz (so genannte Terminierung).
Wird eine kartellrechtliche Sanktion wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung als Folge des Erzwingens unangemessener Preise oder Geschäftsbedingungen geprüft, kommt dem Gesichtspunkt des Erzwingens selbständige Bedeutung zu; ein solches ergibt sich nicht bereits allein aus der marktbeherrschenden Stellung. Bei der Beurteilung des Marktmissbrauchs ist auch die fernmelderechtliche Gesetzesordnung zu berücksichtigen. Standen den Konkurrentinnen die Möglichkeiten der Interkonnektion offen, insbesondere um die fraglichen Terminierungspreise behördlich festsetzen zu lassen, schliesst dies aus, dass die Preise und Geschäftsbedingungen der Konkurrenz aufgezwungen wurden (E. 3-5).
Der Gesichtspunkt der Marktbeherrschung bildet ein Tatbestandsmerkmal und damit Voraussetzung der kartellrechtlichen Sanktion. Ohne entsprechendes schutzwürdiges Interesse ist es ausgeschlossen, darüber separat eine förmliche Feststellung zu treffen (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 200
BGE 137 II 199 S. 200
A.
A.a
Am 15. Mai 2000 eröffnete das Sekretariat der Wettbewerbskommission (nachfolgend: Sekretariat) eine erste Untersuchung gemäss dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG; SR 251) über die Verhältnisse auf dem Mobilfunkmarkt in der Schweiz wegen Anhaltspunkten für eine kollektiv marktbeherrschende Stellung der drei in diesem Markt tätigen Unternehmen Swisscom Mobile AG (inzwischen mit Swisscom Fixnet AG fusioniert zur Swisscom [Schweiz] AG), Orange Communications AG (Orange) und TDC Switzerland AG (Sunrise). Sowohl die Preise abgehender Verbindungen (Originierung) als auch diejenigen ankommender Verbindungen (Terminierung) wiesen ähnliche Strukturen und eine vergleichbare Höhe auf. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2001 stellte die Wettbewerbskommission diese Untersuchung ein. Im
BGE 137 II 199 S. 201
Retailmarkt (Endkundenbeziehungen) sei keine marktbeherrschende Stellung festzustellen, wohingegen im Wholesalemarkt (Geschäftsbeziehungen zwischen den Anbieterinnen von Fernmeldediensten [sog. FDA] unter sich) des Mobilfunknetzes (MF-Netz) für eingehende Dienste (Terminierung) Anhaltspunkte dafür weiterbestünden, weshalb insoweit die Eröffnung eines neuen Verfahrens vorbehalten bleibe (Recht und Politik des Wettbewerbes [RPW] 2002 S. 97 ff.).
A.b
Vom 1. Oktober 2002 bis zum 31. Mai 2005 berechnete die damalige Swisscom Mobile AG den anderen beiden Mobilfunkanbieterinnen sowie dem Swisscom-Festnetz (damals Swisscom Fixnet AG) einen Terminierungspreis von 33,5 Rappen pro Minute. Orange verlangte im gleichen Zeitraum in denselben Geschäftsbeziehungen einen solchen von 36,95 Rappen pro Minute und Sunrise einen solchen von 36,85 Rappen pro Minute. Per 1. Juni 2005 senkte die Swisscom Mobile AG ihren Terminierungspreis auf 20 Rappen pro Minute. Sunrise reduzierte den eigenen Terminierungspreis per 1. August 2005 auf 29,95 Rappen pro Minute und Orange per 1. Januar 2006 auf 32,95 Rappen pro Minute und per 1. Juli 2006 auf ebenfalls 29,95 Rappen pro Minute.
Mit im Januar 2007 unterzeichneter Vereinbarung einigten sich die Swisscom Mobile AG, Sunrise, Orange und die Swisscom Fixnet AG unter gleichzeitigem Rückzug der damals vor der Kommunikationskommission (ComCom) hängigen Interkonnektionsgesuche gegenseitig auf eine schrittweise Senkung der Mobilterminierungspreise bis 2009 von 20 auf 15 Rappen pro Minute für die Swisscom Mobile AG sowie von 29,95 auf 18 Rappen pro Minute für Orange und Sunrise.
A.c
Am 15. Oktober 2002 eröffnete das Sekretariat eine erneute Untersuchung gemäss dem Kartellgesetz gegen die drei Mobilfunkanbieterinnen Swisscom Mobile AG (nachfolgend: Swisscom), Orange und Sunrise. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Mobilfunkanbieterinnen (MFA) der Schweiz eine marktbeherrschende Stellung auf dem Wholesalemarkt für in ein Mobilnetz eingehende Fernmeldedienste innehätten und die Terminierungsgebühren in der Höhe und Art untereinander absprächen (BBl 2002 6827).
(...)
A.e
Mit Schreiben vom 25. März 2004 orientierte das Sekretariat die Swisscom, Orange und Sunrise über die Änderung des Kartellgesetzes mit Inkrafttreten am 1. April 2004 und die damit
BGE 137 II 199 S. 202
verbundene Einführung der Möglichkeit direkter Sanktionen. Am 1. April 2004 reichte die Swisscom ein als "Meldung gemäss Übergangsbestimmung" bezeichnetes Schreiben ein, das eine allfällige Sanktionierung für die Terminierungspreise im Mobilfunkmarkt verhindern sollte, worüber in der Folge ein Rechtsstreit entstand. Mit Urteil vom 8. Juni 2006 entschied das Bundesgericht letztinstanzlich, dass die fragliche Meldung eine eventuelle Sanktion nicht ausschliesse; über Sachverhalte, zu denen bereits ein Verfahren eingeleitet und die Eröffnung der betroffenen Unternehmung mitgeteilt worden sei, könne nicht sanktionsbefreiend Meldung erstattet werden (Urteil 2A.289/2005; vgl. auch das Urteil 2A.287/2005 vom 19. August 2005).
A.f
(...) Mit Antrag vom 7. April 2006 schlug das Sekretariat vor, die Swisscom für den Zeitraum vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005 mit einem Betrag von Fr. 488'936'331.- zuzüglich Zins zu sanktionieren, die Untersuchung gegenüber Orange und Swisscom für Sachverhalte bis zum 31. Mai 2005 hingegen einzustellen und die Untersuchung für die Zeit danach gegenüber allen drei Mobilfunkanbieterinnen fortzusetzen. Diese konnten sich in der Folge dazu äussern, wobei über den Umfang der ihnen zuzustellenden Unterlagen eine Auseinandersetzung mit der Wettbewerbskommission entstand. Am 11. Oktober 2006 erhielt die Swisscom Gelegenheit, sich zu einem weiteren, überarbeiteten "Entwurf für eine Teilverfügung" zu äussern.
B.
Am 5. Februar 2007 traf die Wettbewerbskommission die folgende Verfügung (publ. in: RPW 2007 S. 241 ff.):
"1. Es wird festgestellt, dass Swisscom Mobile AG im Wholesale-Markt für die in ihr MF-Netz eingehenden Fernmeldedienste im Bereich der Sprachtelefonie bis am 31. Mai 2005 über eine marktbeherrschende Stellung im Sinne von
Art. 4 Abs. 2 KG
verfügte.
2. Es wird festgestellt, dass Swisscom Mobile AG ihre marktbeherrschende Stellung gemäss Ziffer 1 dieses Dispositivs bis am 31. Mai 2005 im Sinne von
Art. 7 KG
missbrauchte, indem sie nach
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
unangemessene Terminierungsgebühren von anderen FDA erzwang.
3. Swisscom Mobile AG wird für das unter Ziffer 2 dieses Dispositivs genannte Verhalten für den Zeitraum vom 1. April 2004 bis 31. Mai 2005 gestützt auf
Art. 49a Abs. 1 KG
mit einem Betrag von CHF 333'365'685 belastet.
4. Für Sachverhalte bis zum 31. Mai 2005 wird betreffend Orange Communications AG und TDC Switzerland AG die Untersuchung eingestellt.
BGE 137 II 199 S. 203
5. Für Sachverhalte nach dem 31. Mai 2005 wird die Untersuchung fortgeführt.
(...)"
Zur Begründung führte die Wettbewerbskommission im Wesentlichen aus, die Swisscom habe den Wholesalemarkt für die in ihr Mobilfunknetz eingehenden Fernmeldedienste im Bereich der Sprachtelefonie bis zum 31. Mai 2005 im Sinne des Kartellrechts beherrscht. Dagegen hätten sich die ursprünglichen Anhaltspunkte für eine marktbeherrschende Stellung von Orange und Sunrise für denselben Zeitraum nicht erhärtet. Zwar hätten sich keine Hinweise für eine Behinderung von Orange und Sunrise ergeben; die von der Swisscom verlangten Terminierungsgebühren seien jedoch überhöht gewesen, seien in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Gegenleistung gestanden und könnten nicht als Ausdruck von Leistungswettbewerb, sondern müssten als solcher einer Dominanz auf dem wesentlichen Markt gelten. Die Swisscom habe sich somit bis zum 31. Mai 2005 unzulässig verhalten. Dafür sei sie in Anwendung des Kartellgesetzes zu sanktionieren. (...)
C.
Dagegen führte die Swisscom beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Zur Begründung machte sie zunächst Verfahrensfehler geltend. (...) In der Sache beruhe die Verfügung der Wettbewerbskommission sodann auf einer ungenügend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Weiter verstosse die Feststellung, die Swisscom habe den Markt für Terminierungsgebühren vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005 beherrscht, auch inhaltlich gegen Bundesrecht. Die Wettbewerbskommission sei insoweit von einer falschen Marktabgrenzung ausgegangen. Bundesrechtswidrig sei ebenfalls die Schlussfolgerung, die Swisscom habe ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht. (...)
D.
Am 24. Februar 2010 fällte das Bundesverwaltungsgericht das folgende Urteil:
"1.
1.1. Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziff. 2, 3 (...) der Verfügung vom 5. Februar 2007 werden aufgehoben.
Die Sache wird zur Neuausscheidung der vorinstanzlichen Verfahrenskosten im Sinne der Erwägungen an die Wettbewerbskommission zurückgewiesen.
1.2. Soweit die Dispositiv-Ziff. 1 der Verfügung vom 5. Februar 2007 angefochten ist, wird die Beschwerde abgewiesen.
(...)"
BGE 137 II 199 S. 204
Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, auch bei grundsätzlicher Anwendbarkeit strenger strafprozessualer Regeln erwiesen sich die verfahrensrechtlichen Anforderungen als eingehalten. Insbesondere nehme das Bundesverwaltungsgericht die Aufgaben der erforderlichen richterlichen Behörde in rechtsgenüglicher Weise wahr. In der Sache habe die Wettbewerbskommission den fraglichen Markt korrekt abgegrenzt und die Swisscom zu Recht als marktbeherrschend beurteilt. Hingegen fehle es an einem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung. Massgeblich sei insofern gemäss einer von der Wettbewerbskommission eingeräumten präzisierenden Berichtigung einzig das Verhältnis der Swisscom zu den konkurrierenden Unternehmungen auf dem Wholesalemarkt und nicht zu den Endkunden auf dem Retailmarkt. Die Swisscom habe jedoch die entsprechenden Terminierungsbedingungen, insbesondere ihre Preise, angesichts der fernmelderechtlichen Rahmenordnung wegen des anwendbaren Interkonnektionsregimes gegenüber den anderen Mobilfunkanbieterinnen nicht erzwingen können. Damit seien die Voraussetzungen einer kartellrechtlichen Sanktion für den fraglichen Zeitraum vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005 insgesamt nicht erfüllt.
E.
E.a
Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts reichte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) am 22. April 2010 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Verfahren 2C_343/2010) mit folgenden Anträgen ein:
"1. Die Dispositiv-Ziffern 1.1 (...) des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 seien aufzuheben und es sei der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Beschwerdegegnerin im Sinne der Dispositiv-Ziffer 2 der Verfügung der Wettbewerbskommission vom 5. Februar 2007 zu bestätigen. Darüber hinaus sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
2. Eventualiter: Die Dispositiv-Ziffern 1.1, (...) des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 seien aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
(...)"
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht erforderlich, dass die Swisscom unangemessene Terminierungspreise oder Geschäftsbedingungen erzwungen habe, da bereits ein Kausalzusammenhang zwischen der marktbeherrschenden Stellung und unangemessenen Bedingungen für eine Sanktionierung genüge. So
BGE 137 II 199 S. 205
oder so habe die Swisscom ein gewisses Mass an Druck ausgeübt, weshalb sie ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht habe.
E.b
In ihrer Stellungnahme vom 7. Juli 2010 schliesst die Swisscom auf vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. (...) Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
F.
F.a
Am 23. April 2010 erhob auch die Swisscom Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht (Verfahren 2C_344/2010) mit folgenden Rechtsbegehren:
"1. a) Dispositiv-Ziff. 1.2 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 (...) sei aufzuheben, und Dispositiv-Ziff. 1.1 Absatz 1 des Urteils sei aufzuheben und wie folgt neu zu fassen: "Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziff. 1, 2, 3 (...) der Verfügung vom 5. Februar 2007 werden aufgehoben."
b) Eventualiter sei Dispositiv-Ziff. 1.2 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 (...) aufzuheben, und das Bundesverwaltungsgericht sei anzuweisen, Dispositiv-Ziff. 1 der Verfügung der Wettbewerbskommission vom 5. Februar 2007 (...) aufzuheben.
(...)"
Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, die Feststellung, die Swisscom sei vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005 für die Terminierungsgebühren marktbeherrschend gewesen, verletze Bundesrecht. Auch wiederholt die Swisscom die bereits vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebrachten Verfahrensrügen. (...)
F.b
In ihrer Vernehmlassung vom 31. Mai 2010 schliesst die Wettbewerbskommission auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. (...) Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung auch zu dieser Beschwerde verzichtet. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements ab und heisst diejenige der Swisscom teilweise gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Nach
Art. 2 KG
gilt das Kartellgesetz für Unternehmen des privaten und des öffentlichen Rechts, die Kartell- oder andere Wettbewerbsabreden treffen, Marktmacht ausüben oder sich an Unternehmenszusammenschlüssen beteiligen (Abs. 1). Als Unternehmen
BGE 137 II 199 S. 206
gelten sämtliche Nachfrager oder Anbieter von Gütern und Dienstleistungen im Wirtschaftsprozess, unabhängig von ihrer Rechts- oder Organisationsform (Abs. 1
bis
). Das Kartellgesetz ist damit grundsätzlich auf die Swisscom als spezialgesetzliche Aktiengesellschaft des öffentlichen Rechts anwendbar, und zwar unabhängig davon, dass diese mehrheitlich dem Bund gehört (vgl. Art. 2 und 6 des Bundesgesetzes vom 30. April 1997 über die Organisation der Telekommunikationsunternehmung des Bundes [Telekommunikationsunternehmensgesetz, TUG; SR 784.11]). Nach
Art. 3 Abs. 1 KG
sind bei derAnwendung des Kartellgesetzes Vorschriften vorbehalten, die Wettbewerb nicht zulassen, insbesondere solche, die eine staatliche Markt- und Preisordnung begründen oder einzelne Unternehmen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Rechten ausstatten. In diesem Zusammenhang wird hier auf das Verhältnis der kartell- zu den fernmelderechtlichen Bestimmungen näher einzugehen sein (vgl. E. 3.4 und 5).
3.2
Nach
Art. 49a Abs. 1 KG
kann ein an einer unzulässigen Abrede gemäss Art. 5 Abs. 3 (Preis-, Mengen- und Gebietsabreden zwischen direkten Konkurrenten [harte Horizontalkartelle]) oder Abs. 4 KG (Preisbindungen und absoluter Gebietsschutz in Vertikalverträgen) beteiligtes Unternehmen oder ein Unternehmen, das sich nach
Art. 7 KG
(Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung [Marktmissbrauch]) unzulässig verhält, mit einem Betrag von bis zu zehn Prozent des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes belastet werden. Der Betrag bemisst sich nach der Dauer und der Schwere des Verhaltens; zudem ist der mutmassliche Gewinn "angemessen zu berücksichtigen", den das Unternehmen dadurch erzielt hat (vgl.
BGE 135 II 60
E. 2.1 S. 63).
3.3
Gemäss
Art. 7 Abs. 1 KG
verhalten sich marktbeherrschende Unternehmen unzulässig, wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindern oder die Marktgegenseite benachteiligen. Zu solchen unzulässigen Verhaltensweisen zählt nach
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
insbesondere die Erzwingung unangemessener Preise oder sonstiger unangemessener Geschäftsbedingungen. Als marktbeherrschend gelten einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf dem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (
Art. 4 Abs. 2 KG
).
BGE 137 II 199 S. 207
3.4
Für den Telekommunikationsmarkt gilt daneben die besondere Regelung des Fernmelderechts. Es ist zwischen den Verfahrensbeteiligten grundsätzlich nicht strittig, dass die kartell- und die fernmelderechtlichen Bestimmungen und Verfahren nebeneinander zur Anwendung gelangen. Insbesondere bildet das Interkonnektionsregime in diesem Sinne lediglich eine besondere sektorielle Regelung, die zur übrigen preis- und wettbewerbsrechtlichen Ordnung hinzutritt und diese nicht ausschliesst (Urteile des Bundesgerichts 2A.503/2000 vom 3. Oktober 2001 i.S. Commcare AG E. 6c, in: ZBl 103/2002 S. 244, 2A.142/2003 vom 5. September 2003 E. 4.1.3 und 4C.404/2006 vom 16. Februar 2007 E. 3, in: sic! 7-8/2007 S. 552; vgl. auch EVELYNE CLERC, in: Commentaire romand, Droit de la concurrence, 2002, N. 35 zu
Art. 7 KG
). Umstritten ist hier hingegen, wieweit sich Kartell- und Fernmelderecht gegenseitig beeinflussen. Zu beachten ist freilich, dass im vorliegenden Fall noch die frühere Fassung des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 (aFMG; AS 1997 2187) anwendbar ist, was von allen Verfahrensbeteiligten anerkannt wird. Die mit der Gesetzesnovelle vom 24. März 2006 angepassten Bestimmungen des Fernmeldegesetzes wurden erst auf den 1. April 2007 und damit nach dem hier massgeblichen Zeitraum in Kraft gesetzt (Fernmeldegesetz in der Fassung vom 24. März 2006, FMG; SR 784.10; AS 2007 921, 939).
3.5
Nach
Art. 3 lit. e aFMG
bedeutet Interkonnektion die Verbindung von Fernmeldeanlagen und Fernmeldediensten, die ein fernmeldetechnisches und logisches Zusammenwirken der verbundenen Teile und Dienste sowie den Zugang zu Diensten Dritter ermöglicht.
Art. 11 aFMG
enthält die wesentlichen Regeln des Interkonnektionsregimes. Danach unterliegen marktbeherrschende Anbieterinnen von Fernmeldediensten unter anderem der Pflicht einer kostenorientierten Preisgestaltung (
Art. 11 Abs. 1 aFMG
). Im Bereich der Grundversorgung besteht ein Regulierungstatbestand auch ohne marktbeherrschende Stellung (
Art. 11 Abs. 2 aFMG
). Können sich die beteiligten Konkurrentinnen nicht einigen, verfügt die Kommunikationskommission den Preis nach markt- und branchenüblichen Grundsätzen (
Art. 11 Abs. 3 aFMG
; vgl. etwa
BGE 132 II 47
, 257, 284;
BGE 131 II 13
; Urteil 2A.503/2000, a.a.O., in: ZBl 103/2002 S. 244).
4.
4.1
Die hier strittige kartellrechtliche Sanktion in Anwendung von
Art. 49a KG
setzt in der fraglichen Tatbestandsvariante eine marktbeherrschende Stellung (nach
Art. 4 Abs. 2 KG
) sowie einen
BGE 137 II 199 S. 208
Missbrauch derselben (gemäss
Art. 7 KG
) voraus. Während die Wettbewerbskommission beide Tatbestandselemente als erfüllt erachtete, bejahte das Bundesverwaltungsgericht zwar die marktbeherrschende Stellung der Swisscom bei ihren eigenen Terminierungsgebühren in der Periode vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005, verneinte aber einen Missbrauch dieser Stellung. Sollte sich die Auffassung der Vorinstanz als korrekt erweisen, müssten nicht alle von den Verfahrensbeteiligten erhobenen Rügen geprüft werden. Es rechtfertigt sich daher, zunächst den Streitpunkt des Marktmissbrauchs zu behandeln und sich erst danach den übrigen Fragen zuzuwenden, soweit diese je nach dem Ergebnis noch massgeblich erscheinen.
4.2
Die Vorinstanz stellte bei der Beantwortung der Frage, ob die Swisscom ihre Marktstellung missbraucht habe, im Wesentlichen darauf ab, dass diese aufgrund der regulatorischen Rahmenordnung des Fernmelderechts gar nicht in der Lage gewesen sei, ihre Preis- und sonstigen Geschäftsbedingungen durchzusetzen und damit zu "erzwingen", wie dies als Tatbestandselement von
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
vorausgesetzt sei. Das Volkswirtschaftsdepartement wendet dagegen ein, die Erzwingung der eigenen Bedingungen sei nicht erforderlich. Dieses Merkmal stelle kein eigenes Tatbestandselement dar, sondern verlangt sei einzig, dass zwischen der marktbeherrschenden Stellung und der Unangemessenheit der Preise und Geschäftsbedingungen ein Kausalzusammenhang bestehe. Die Swisscom habe denn auch die Höhe der Terminierungspreise nur schon deshalb bestimmen können, weil sie marktbeherrschend gewesen sei.
4.3
Der Sinn von
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
ist durch Auslegung zu ermitteln. Eine abschliessende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Tragweite von
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
gibt es bisher nicht (vgl. immerhin
BGE 130 II 149
E. 3.4.3 S. 159;
BGE 129 II 497
E. 6.5 S. 538 ff.). Im Schrifttum werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten, wobei regelmässig auf die Unklarheit der Regelung verwiesen wird (vgl. dazu etwa AMSTUTZ/CARRON, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N. 295 ff. zu
Art. 7 KG
; CLERC, a.a.O., N. 185 ff. zu
Art. 7 KG
; PETER REINERT, in: Kartellgesetz, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2007, N. 23 ff. zu
Art. 7 KG
).
4.3.1
Das Volkswirtschaftsdepartement hält dafür, das Kartellgesetz sei im Sinne des EU-Wettbewerbsrechts auszulegen, was zu einem restriktiveren Verständnis des Ausbeutungsmissbrauchs als dasjenige der Vorinstanz führe. Es gibt jedoch kein gemeinsames Wettbewerbsrecht der Schweiz und der Europäischen Union im
BGE 137 II 199 S. 209
Rahmen eines bilateralen Abkommens, das gegebenenfalls eine parallele Rechtsordnung nahelegen würde (vgl. etwa
BGE 136 II 5
E. 3.4 S. 12 f.,
BGE 136 II 65
E. 3.1 S. 70 f.). Vom Recht der Europäischen Union unabhängiges schweizerisches Recht ist grundsätzlich autonom auszulegen. Eine Koordination bzw. der Beizug des europäischen Rechts als Auslegungshilfe drängt sich immerhin soweit auf, als dies vom schweizerischen Gesetzgeber bezweckt war und sich die Regelungen auch inhaltlich entsprechen (vgl. etwa das Urteil 2A.503/2000 E. 9b, a.a.O., in: ZBl 103/2002 S. 244). Nach der Rechtsprechung ist insbesondere autonom nachvollzogenes EU-Recht europarechtskonform auszulegen, weil es dem Gesetzgeber diesfalls darum ging, eine parallele Regelung zu schaffen (vgl.
BGE 130 III 182
E. 5.5.1 S. 190;
BGE 129 III 335
E. 5.1 und 6 S. 350).
4.3.2
Die Kartellgesetznovelle von 1995 hatte keinen besonderen europapolitischen Hintergrund (Botschaft vom 23. November 1994 [...], BBl 1995 I 484). In den grundsätzlichen Bemerkungen zum Gesetzesentwurf (vgl. BBl 1995 I 497 ff.) wird das Ziel einer EU-Kompatibilität nicht genannt, ebenso wenig in den Ausführungen zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (vgl. BBl 1995 I 518 ff.). Der schweizerische Gesetzgeber wollte bei der damaligen Revision des Kartellgesetzes somit nicht in erster Linie zwecks Herstellung einer Europarechtskonformität autonom das EU-Recht nachvollziehen. Immerhin lehnte er sich bei der Formulierung der Missbrauchstatbestände an das EU-Recht an (vgl. BBl 1995 I 531 und 632 f.; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 25 zu
Art. 7 KG
). Insbesondere verwendete er sogar denselben Begriff des "Erzwingens", wie er heute auch in Art. 102 Abs. 2 lit. a der Konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 13. Dezember 2007 (AEUV; ABl. C 115 vom 9. Mai 2008 S. 47 ff.; ehemaliger Art. 82 EGV) enthalten ist. Nach der bundesrätlichen Botschaft zum Kartellgesetz von 1995 unter Einschluss von
Art. 7 KG
in der heutigen Fassung wurden die Regelungsmuster des Wettbewerbsrechts der Europäischen Union aber lediglich insoweit berücksichtigt, als nicht aus sachlichen Gründen unterschiedliche Lösungen angezeigt erschienen (vgl. BBl 1995 I 471). Auch aus der gleichen Terminologie lässt sich mithin nicht ableiten, dass zwingend eine identische Regelung angestrebt war. Zur Gesetzesnovelle von 2003, welche die Sanktionsregelung von
Art. 49a KG
mit sich brachte, schrieb der Bundesrat (Botschaft vom 7. November 2001 über die Änderung des Kartellgesetzes, BBl 2002 2051):
BGE 137 II 199 S. 210
"Die Europakompatibilität des schweizerischen Wettbewerbsrechts wird durch die Vorlage nicht unmittelbar berührt. Immerhin sind in der Rechtsordnung der EU für Wettbewerbsverstösse ebenfalls unmittelbare Sanktionen vorgesehen. Insofern nähert sich durch die Revision das "Schutzniveau" der schweizerischen Wettbewerbsgesetzgebung demjenigen der EU an. Vor dem Hintergrund bestehender Unterschiede in der konzeptionellen Ausrichtung (Verbots- statt Missbrauchsprinzip in der EU) lassen sich die einzelnen Elemente der Vorlage aber nur schlecht mit entsprechenden Instituten im europäischen Kontext vergleichen."
Auch diese Relativierung indiziert, dass das schweizerische Recht nicht vollständig demjenigen der Europäischen Union entspricht. Im Übrigen führt selbst nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union die wirtschaftliche Macht des Marktbeherrschers noch nicht für sich allein dazu, dass dessen Preise missbräuchlich sind, sondern es ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (vgl. zuletzt das Urteil des EuGH vom 17. Februar 2011 C-52/09
Konkurrensverket c. TeliaSonera Sverige AB
). Damit ergibt sich entgegen der Auffassung des Volkswirtschaftsdepartements auch nicht mit Blick auf das EU-Recht die zwangsläufige Folgerung, dass bereits bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung von einem Missbrauch auszugehen ist, ohne dass dem Tatbestandselement des "Erzwingens" eine davon unabhängige selbständige Bedeutung zukäme.
4.3.3
Der deutsche Wortlaut von
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
spricht deutlich von Erzwingung unangemessener Preise oder sonstiger unangemessener Geschäftsbedingungen. Die französisch- und italienischsprachigen Gesetzestexte unterscheiden sich insofern nicht wesentlich von der deutschen Fassung, werden dort doch die Begriffe "le fait d'imposer" und "l'imposizione" verwendet. Schon der Wortlaut verlangt daher mehr als eine blosse Ursächlichkeit zwischen marktbeherrschender Stellung und unangemessenem Geschäftsverhalten. In die gleiche Richtung deutet die bundesrätliche Botschaft vom 23. November 1994 zu
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
, worin wörtlich steht (BBl 1995 I 573):
"Nach dem Gesetzesentwurf müssen die unangemessenen Preise oder Geschäftsbedingungen 'erzwungen' werden. Dies bedeutet, dass zum Beispiel ein nachfragemächtiges Unternehmen Mittel anwendet oder anzuwenden droht, mit denen es seiner Forderung nach einem bestimmten Vorzugspreis oder anderen besonders vorteilhaften Geschäftsbedingungen Nachdruck verleiht."
4.3.4
Aus systematischer Sicht trifft es zu, wie das Volkswirtschaftsdepartement vorträgt, dass es sich bei den in
Art. 7 Abs. 2 KG
BGE 137 II 199 S. 211
aufgezählten Tatbeständen lediglich um eine nicht abschliessende Liste von Beispielen handelt, welche die Generalklausel von
Art. 7 Abs. 1 KG
illustrieren sollen. Dabei ist aber zu beachten, dass das Kartellrecht eine marktbeherrschende Stellung nicht verbietet (BBl 1995 I 547). Eine solche ist für sich allein nicht missbräuchlich (CLERC, a.a.O., N. 1 zu
Art. 7 KG
); vielmehr muss zur Marktbeherrschung als qualifizierendes Element eine unzulässige Verhaltensweise hinzutreten (vgl.
BGE 129 II 497
E. 6.5.1 S. 538), was sich im Übrigen bereits aus dem Wortlaut von
Art. 7 Abs. 1 KG
ergibt. Dieses Erfordernis wäre weitgehend obsolet, würde reine Ursächlichkeit für unangemessene Geschäftsbedingungen genügen, wobei immerhin zutrifft, dass zwischen der Marktbeherrschung und der Unangemessenheit überhaupt eine Kausalität vorliegen muss (dazu AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 21 zu
Art. 7 KG
; REINERT, a.a.O., N. 3 zu
Art. 7 KG
). Allerdings dürfte wohl regelmässig von einem Kausalzusammenhang auszugehen sein, sobald Marktbeherrschung einerseits und unangemessene Geschäftsbedingungen andererseits erstellt sind, was dazu führt, dass das Kriterium der Ursächlichkeit für sich allein als nicht sehr aussagekräftig erscheint. Das spricht ebenfalls dafür, dem zusätzlichen Verhaltenselement, dass die fraglichen Bedingungen der Marktgegenseite aufgezwungen werden müssen, eine eigenständige Bedeutung zuzumessen.
4.3.5
Indessen ist angesichts des Gesetzeszwecks der Verhinderung volkswirtschaftlich oder sozial schädlicher Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen (
Art. 1 KG
) nicht eine vollständige wirtschaftliche Unterjochung erforderlich.
Art. 7 KG
schützt Konkurrenten oder Handelspartner insbesondere davor, dass sie von marktbeherrschenden Unternehmen in ihren Handlungsmöglichkeiten in missbräuchlicher Weise behindert oder dass sie oder die Konsumenten in wettbewerbswidriger Weise benachteiligt werden (Verdrängungs- oder Behinderungs- sowie Ausbeutungsmissbrauch; vgl. BBl 1995 I 569; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 41 ff. zu
Art. 7 KG
). Überhöhte Preise oder nachteilige Geschäftsbedingungen können aber aus wirtschaftlichen Gründen auch freiwillig und durchaus im Eigeninteresse akzeptiert werden. Es kann hier offenbleiben, ob für die Annahme eines Marktmissbrauchs das Einverständnis zu den unangemessenen Vertragsinhalten, wie die Vorinstanz annimmt, geradezu gegen den Willen der Marktgegenseite erfolgen muss oder ob sich diese letztlich einfach aufgrund der Marktsituation gegen ihre eigenen Interessen fügt. Zu verlangen ist für einen Marktmissbrauch
BGE 137 II 199 S. 212
zumindest, dass die Marktgegenseite dem ökonomischen Druck, der sich auf die Marktbeherrschung stützt, nichts entgegenzusetzen hat bzw. diesem nicht ausweichen kann.
4.4
Dass die Swisscom auf die anderen Mobilfunkanbieterinnen Druck ausgeübt hätte, dem diese nichts entgegenzuhalten gehabt hätten, ist fraglich und letztlich in erster Linie eine Tatfrage. Diese braucht aufgrund der regulatorischen Rahmenordnung indessen nicht näher abgeklärt zu werden.
5.
5.1
Bei der Anwendung des Kartellrechts kann die besondere sektorielle Regelung des Fernmeldegesetzes nicht unbeachtet bleiben. Die beiden Rechtsordnungen stehen insoweit in einem engen Konnex und beeinflussen sich gegenseitig. Sinn macht daher nur eine Auslegung, die auch zu einem einheitlichen, in sich geschlossenen Gesamtsystem führt. Aus dem gleichen Grund, um eine Koordination von Wettbewerbs- und Telekommunikationsrecht sicherzustellen, sieht
Art. 11 Abs. 3 aFMG
die Konsultation der Wettbewerbskommission für die Beurteilung der Marktbeherrschung vor (vgl. BBl 1996 III 1427).
5.2
Geht es um Dienste der Grundversorgung nach
Art. 16 aFMG
, gilt die Pflicht zur Interoperabilität und ist eine Fernmeldediensteanbieterin selbst dann zur Interkonnektion verpflichtet, wenn sie keine marktbeherrschende Stellung innehat (
Art. 11 Abs. 2 aFMG
). Da eine Sanktionierung nach
Art. 49a KG
in Verbindung mit
Art. 7 KG
aber jedenfalls Marktbeherrschung voraussetzt, gilt eine Interkonnektionspflicht selbst bei Telekommunikationsdiensten, die nicht zur Grundversorgung zählen (
Art. 11 Abs. 1 aFMG
), wenn
Art. 49a KG
im fernmelderechtlichen Bereich der Zusammenschaltung Anwendung finden soll. Fällt mithin eine Sanktion gemäss
Art. 49a KG
in Verbindung mit
Art. 7 KG
im Telekommunikationsbereich in Betracht, gilt zugleich auch die regulatorische Rahmenordnung des Fernmeldegesetzes, soweit es um einen Sachverhalt geht, der den Bestimmungen über die Interkonnektion untersteht.
5.3
Noch im Jahre 2003 zählte die Versorgung mit Mobilfunk nur ausnahmsweise zur Grundversorgung, nämlich dann, wenn ein Anschluss ans Festnetz nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich gewesen wäre (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1A.124/2003 vom 23. September 2003 E. 3.3, in: URP 2003 S. 731; vgl. auch
Art. 16 aFMG
sowie
Art. 15 ff. FMG
). Es kann offenbleiben, wie es sich bei
BGE 137 II 199 S. 213
den hier strittigen Terminierungsleistungen im Mobilfunkbereich der Swisscom verhielte. Bei Marktbeherrschung, wie dies die Anwendung von
Art. 49a KG
in Verbindung mit
Art. 7 KG
voraussetzt, gälte für die betroffenen Terminierungsdienste unabhängig davon, ob es sich um Grundversorgung handeln würde oder nicht, ohnehin eine Pflicht zur Interkonnektion gemäss
Art. 11 Abs. 1 aFMG
.
5.4
Stünden somit, damit eine kartellrechtliche Sanktion überhaupt in Frage käme, so oder so die Möglichkeiten der Interkonnektion offen, kann dies bei der Beurteilung, ob ein Missbrauch einer allfälligen marktbeherrschenden Stellung vorliegt, nicht unberücksichtigt bleiben. Falls eine Nachfragerin der Swisscom mit deren Geschäftsbedingungen bzw. deren Preisangebot für die Terminierung nicht einverstanden gewesen wäre, hätte sie sich in Anwendung von
Art. 11 Abs. 3 aFMG
an die Kommunikationskommission wenden und die behördliche Festsetzung der Terminierungsbedingungen verlangen können. Diese Rahmenordnung schliesst die einseitige Erzwingung der Geschäftsbedingungen der Marktgegenseite aus, weil dadurch eine Ausweichmöglichkeit geschaffen wird. Zwar hätte das Interkonnektionsverfahren für das betroffene Unternehmen zweifellos einen gewissen Aufwand mit sich gebracht. Sowohl bei Orange als auch bei Sunrise handelt es sich aber um Unternehmungen, die einen solchen Aufwand ohne weiteres hätten leisten können. Das zeigt nicht zuletzt das spätere Interkonnektionsverfahren für die Mobilterminierungspreise zwischen denselben Konkurrentinnen, das im Januar 2007 mit einer Vereinbarung endete. Im Übrigen bietet das Interkonnektionsverfahren selbst in komplexeren Fällen die Möglichkeit entsprechender prozessualer Massnahmen wie insbesondere einstweiligen Rechtsschutz (vgl.
Art. 11 Abs. 3 aFMG
) oder rückwirkende Anordnung der korrigierten Preise inklusive Verzinsung derselben. Dass ein Interkonnektionsverfahren im vorliegenden Zusammenhang wirkungslos gewesen wäre, wie das Volkswirtschaftsdepartement behauptet, ist weder erhärtet noch ersichtlich und würde im Übrigen die fernmelderechtliche Gesetzesordnung mehr als in Frage stellen, wofür es keine zwingenden Anhaltspunkte gibt.
5.5
Unter diesen Voraussetzungen kann nicht davon ausgegangen werden, die Swisscom habe die Geschäftsbedingungen für ihre Terminierungsleistungen gegenüber der Marktgegenseite im Sinne von
Art. 7 Abs. 2 lit. c KG
erzwungen. Dieser stand es vielmehr frei, auf das Interkonnektionsverfahren auszuweichen und die angebotenen Vertragsinhalte behördlich überprüfen und regulieren zu lassen.
BGE 137 II 199 S. 214
Wenn die anderen Mobilfunkanbieterinnen auf die Einleitung eines Interkonnektionsverfahrens verzichteten, so kann dies jedenfalls nicht allein der Swisscom angelastet werden.
5.6
Das Volkswirtschaftsdepartement wendet dagegen ein, nicht nur die anderen Mobiltelefonieanbieterinnen seien ausgebeutet worden, sondern auch die Festnetztelefonieanbieterinnen, die Gespräche ins Mobilfunknetz der Swisscom eingespiesen hätten. Dasselbe gelte für die Endkunden, indem diese überhöhte Retailpreise hätten zahlen müssen.
5.6.1
Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich ausführlich damit auseinander, welches Verhalten der Swisscom genau vorgeworfen werde. Dabei verwies es einerseits auf die Verfügung der Wettbewerbskommission vom 5. Februar 2007, worin mit einlässlicher Argumentation ein Behinderungsmissbrauch der Konkurrenz auf Dienstleistungsebene ausgeschlossen wurde. Andererseits bezog sich die Vorinstanz im Zusammenhang mit der Frage des Ausbeutungsmissbrauchs auf Unklarheiten im Standpunkt der Wettbewerbskommission sowie auf eine entsprechende redaktionelle Unsorgfalt beim Verfassen der Sanktionsverfügung vom 5. Februar 2007. Die Vorinstanz vermochte sich dabei unter anderem auf die Vernehmlassung der Wettbewerbskommission an das Bundesverwaltungsgericht (vom 18. Juni 2007) selbst zu stützen, worin diese ihren Standpunkt korrigiert und dargelegt hatte, dass (einzig) die Fernmeldediensteanbieterinnen als Marktgegenseite anzusehen seien. Das Bundesverwaltungsgericht schloss daraus insgesamt, zu prüfen sei somit lediglich der Ausbeutungsmissbrauch zu Lasten anderer Fernmeldediensteanbieterinnen, d.h. primär zu Lasten von Sunrise und Orange. In diesem Sinne beschränkte die Vorinstanz den Streitgegenstand ausdrücklich auf den Ausbeutungsmissbrauch, den die Swisscom auf der Infrastrukturebene angeblich zum Nachteil ihrer Konkurrentinnen begangen haben soll. Diesen Streitgegenstand kann das Bundesgericht nicht ausweiten (vgl. nicht publ. E. 2.5). Damit erübrigt es sich, auf die Fragen einzugehen, ob der Vorwurf der Ausbeutung der Endkunden korrekt vorgetragen worden sei, welche Tragweite dabei insbesondere dem strafrechtlichen Anklageprinzip zukäme und ob der Swisscom dazu in geeigneter Weise das rechtliche Gehör gewährt worden wäre.
5.6.2
Was die Fixtelefonieanbieterinnen betrifft, so befanden sich diese grundsätzlich in der gleichen Situation wie die
BGE 137 II 199 S. 215
Konkurrentinnen bei der Mobiltelefonie. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, die von der Swisscom offerierten Geschäftsbedingungen über das Interkonnektionsverfahren behördlich überprüfen und allenfalls anpassen zu lassen. Selbst der Swisscom als damals grösster Anbieterin im Markt war es in diesem Sinne angesichts der Rechtsordnung nicht möglich, ihre Bedingungen der Konkurrenz einseitig aufzuzwingen. Die verlangten Terminierungsbedingungen wurden daher im Verhältnis zu den Festtelefonieanbieterinnen ebenfalls nicht im Sinne des Kartellgesetzes erzwungen. Erst recht traf dies für die damalige Swisscom Fixnet AG als grösste Festnetztelefonieanbieterin zu. Da sie zum gleichen Konzern wie die Swisscom Mobile AG gehörte, kann bei ihr sowieso nicht davon ausgegangen werden, die Terminierungsbedingungen seien ihr aufgezwungen worden.
5.6.3
Falls im Übrigen die Endkunden überhöhte Preise zahlen mussten, so ergab sich das eventuell aus einem Zusammenspiel aller beteiligten Unternehmen, was unter dem Gesichtspunkt der abgestimmten Verhaltensweisen kartellrechtlich hätte bedeutsam sein können. Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, dass die Preise bei der Mobiltelefonie und insbesondere für die Terminierung im hier fraglichen Zeitraum vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005 zumindest sehr hoch waren. Entsprechende ernsthafte Zweifel an deren Angemessenheit äussert auch das Bundesverwaltungsgericht, ohne dass es dies jedoch vertieft zu prüfen hatte. Angesichts des Verzichts der Konkurrenz der Swisscom, eine behördliche Kontrolle der Terminierungsbedingungen im Interkonnektionsverfahren anzustreben, stellt sich durchaus die Frage, ob der Wettbewerb nicht durch ein Zusammenspiel aller beteiligten Fernmeldediensteanbieterinnen in unzulässiger Weise beschränkt wurde. Mangels behördlicher ex-ante-Regelung bei der Interkonnektion bzw. als Folge der schweizerischen ex-post-Kontrolle (vgl. dazu
BGE 132 II 47
E. 4.7 S. 60; Urteil 2A.191/2005 vom 2. September 2005 E. 3, in: sic! 3/2006 S. 170), die nur von den betroffenen Konkurrentinnen und nicht von Amtes wegen ausgelöst werden kann, hilft das Interkonnektionsregime bei einer solchen Ausgangslage nicht weiter. Das gilt insbesondere dann, wenn die Marktgegenseite allenfalls wegen der Reziprozitätswirkung (vgl.
BGE 132 II 257
E. 7 S. 281 ff.; Urteil 2A.276/2006 vom 12. Juli 2006 E. 2.5 und 2.6, in: sic! 12/2006 S. 847) auch ein Interesse daran hat, die Preise eher hoch zu halten, soweit sie diese an die Endkunden überwälzen kann. Wie es sich damit verhält, muss hier aber offenbleiben.
BGE 137 II 199 S. 216
5.6.4
Der Gesetzgeber hat das ex-post-System beim Interkonnektionsregime genauso bewusst geschaffen, wie er kartellrechtliche Sanktionen an missbräuchlichem Verhalten angeknüpft hat. Es verbietet sich, darin einen Mangel zu sehen, der über eine extensive Auslegung des kartellrechtlichen Ausbeutungsmissbrauchs behoben wird, indem, unabhängig von der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse und namentlich der rechtlichen Rahmenordnung, bereits die Kausalität zwischen Marktbeherrschung und Unangemessenheit der Geschäftsbedingungen zwischen Konkurrentinnen für sich allein als Erzwingung derselben zu gelten hätte. Eine solche Anpassung der Voraussetzungen könnte nur der Gesetzgeber selbst über eine Gesetzesrevision vornehmen.
5.6.5
Wie das Bundesverwaltungsgericht zu Recht festhält, kann Marktgegenseite nur die auf dem relevanten Markt dem marktbeherrschenden Unternehmen als Nachfragerin und damit als Vertragspartnerin gegenüberstehende Unternehmung sein. Im Wholesalemarkt der Telekommunikation sind das die konkurrierenden Fernmeldediensteanbieterinnen. Gegenüber der Endkundschaft wäre wohl eher das Gesamtverhalten aller dieser Unternehmen bzw. insbesondere der drei Mobiltelefonieanbieterinnen mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Retailmarkt auf Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht zu hinterfragen gewesen. Genau das hat die Wettbewerbskommission in der ersten Phase der Untersuchung auch getan, später aber für die hier fragliche Zeitperiode ein unzulässiges gemeinsames Verhalten ausgeschlossen und das entsprechende Verfahren sowie weitere Untersuchungen gegen Orange und Sunrise eingestellt. Damit verlagerte sich aber auch der gegenüber der Swisscom aufrechterhaltene Vorwurf unzulässigen Verhaltens einzig auf die Ebene zwischen den verschiedenen Fernmeldediensteanbieterinnen mit den entsprechenden Auswirkungen auf die zu prüfenden Geschäftsbeziehungen im Wholesalemarkt. Ein Ausbeutungsmissbrauch lässt sich in diesem Verhältnis der Swisscom jedoch nur schon aufgrund des fernmelderechtlichen Interkonnektionsregimes nicht nachweisen.
5.7
Zusammenfassend ergibt sich, dass bei der Beurteilung des Missbrauchs einer allfälligen marktbeherrschenden Stellung die regulatorische Rahmenordnung des Telekommunikationsrechts mitzuberücksichtigen ist. Im vorliegenden Zusammenhang war es demgemäss der Swisscom nicht möglich, ihre Terminierungsbedingungen den
BGE 137 II 199 S. 217
hier einzig massgeblichen konkurrierenden Fernmeldediensteanbieterinnen aufzuzwingen, da diese auf das Interkonnektionsverfahren hätten ausweichen können. Damit entfällt ein Ausbeutungsmissbrauch bzw. eine entsprechende unzulässige Verhaltensweise nach
Art. 7 KG
, was bereits aus diesem Grunde eine Sanktion gemäss
Art. 49a KG
gegenüber der Swisscom ausschliesst. Ob
Art. 7 KG
insoweit genügend bestimmt wäre, um überhaupt als gesetzliche Grundlage für eine Sanktionierung zu taugen, kann mithin offenbleiben.
5.8
Demnach ist die Beschwerde des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements abzuweisen.
6.
6.1
Die Swisscom macht geltend, es verletze Bundesrecht, dass das Bundesverwaltungsgericht die Feststellung der Wettbewerbskommission geschützt habe, sie sei im fraglichen Zeitraum marktbeherrschend gewesen.
6.2
Nach
Art. 30 Abs. 1 KG
entscheidet die Wettbewerbskommission in der hier einschlägigen Tatbestandsvariante mit Verfügung über die zu treffenden Massnahmen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind nur der Endentscheid der Wettbewerbskommission bzw. allfällige Zwischen- oder Teilentscheide im Untersuchungsverfahren nach den massgeblichen Verfahrensregeln anfechtbar, nicht aber die im Kartellgesetz enthaltenen spezifischen Verfahrensschritte auf dem Weg zu diesem (
BGE 135 II 60
E. 3.1.3 S. 69). Bei der Endverfügung über eine Sanktion gemäss
Art. 49a KG
handelt es sich um einen Leistungs- oder Gestaltungsentscheid. Die Sanktion wird ausgesprochen, wenn die entsprechenden Tatbestandselemente vorliegen, oder es wird davon abgesehen, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Es kann hier offenbleiben, ob im zweiten Fall wie in strafrechtlichen Verfahren ausdrücklich ein Freispruch zu erfolgen hat; die Swisscom behauptet dies zwar in ihrer Begründung, hat aber keinen entsprechenden Antrag gestellt. So oder so hat sich das Entscheiderkenntnis auf die Rechtsfolge zu beschränken, d.h. die Anordnung einer Sanktion oder den Verzicht auf eine solche. Die Frage, ob die für die Sanktionierung erforderlichen Tatbestandselemente vorliegen, gehört grundsätzlich nicht ins Dispositiv, sondern bildet Bestandteil der Begründung des Entscheides. In diesem Sinne ist im Erkenntnis im Prinzip weder festzuhalten, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, noch ob eine solche allenfalls missbraucht wurde.
BGE 137 II 199 S. 218
6.3
Wie das Bundesgericht entschieden hat, besteht im kartellrechtlichen Melde- und Widerspruchsverfahren nach
Art. 49a Abs. 3 lit. a KG
kein Raum für Feststellungsentscheide ausserhalb des Untersuchungsverfahrens (
BGE 135 II 60
E. 3.1.3 S. 68). Eine andere Frage ist hingegen, ob die kartellrechtliche Untersuchung selbst zu einer Feststellung führen kann, und zwar auch wenn sie im Hinblick auf eine mögliche Sanktion nach
Art. 49a KG
erfolgt.
Art. 30 Abs. 1 KG
, wonach einzig über die zu treffenden Massnahmen zu entscheiden ist, sieht eine solche Möglichkeit entgegen der Ansicht der Wettbewerbskommission allerdings gerade nicht vor. Damit wäre ein Feststellungsentscheid einzig gestützt auf eine allenfalls andere gesetzliche Grundlage zulässig.
6.4
Gemäss
Art. 39 KG
finden die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes Anwendung, soweit das Kartellgesetz nicht hiervon abweicht. Nach
Art. 25 VwVG
(SR 172.021) kann die in der Sache zuständige Behörde von Amtes wegen oder auf Gesuch hin eine Feststellungsverfügung treffen (Abs. 1). Der Gesuchsteller hat dafür ein schutzwürdiges Interesse nachzuweisen (Abs. 2). Auch dazu hat das Bundesgericht für das Melde- und Widerspruchsverfahren nach
Art. 49a Abs. 3 lit. a KG
entschieden, ein Feststellungsanspruch nach
Art. 25 VwVG
ausserhalb eines Untersuchungsverfahrens würde die spezialgesetzliche Verfahrensregelung umgehen bzw. ihres Sinnes entleeren und sei daher ausgeschlossen (
BGE 135 II 60
E. 3.3 S. 73 ff.). Das Bundesgericht verwies unter anderem darauf, im Kartellrecht seien Sachverhalt und rechtliche Folge eng miteinander verknüpft und eine tatsächliche Feststellung laufe daher oft weitgehend auf eine Feststellung der Rechtsfolge hinaus (
BGE 135 II 60
E. 3.3.2 S. 75). Die Rechtslage mag sich für kartellrechtliche Sanktionsverfahren allenfalls anders darstellen. Ob in diesem Sinne Raum bleibt für die Anwendbarkeit von
Art. 25 VwVG
im Rahmen eines kartellrechtlichen Sanktionsverfahrens mit der Möglichkeit von Beweis- und Untersuchungsmassnahmen gemäss
Art. 40 ff. KG
, kann letztlich indes offenbleiben.
6.5
Für die Anwendbarkeit von
Art. 25 VwVG
wäre Ausgangspunkt, dass ein entsprechendes schutzwürdiges Feststellungsinteresse vorläge, das nicht bloss abstrakte, theoretische Rechtsfragen, sondern nur konkrete Rechte oder Pflichten zum Gegenstand hätte. Überdies müsste ausgeschlossen sein, dass das schutzwürdige Interesse ebenso gut mit einer rechtsgestaltenden Verfügung gewahrt werden
BGE 137 II 199 S. 219
könnte (vgl.
BGE 132 V 257
E. 1 S. 259;
BGE 126 II 300
E. 2c S. 303; RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Öffentliches Prozessrecht, 2. Aufl. 2010, Rz. 1279 ff.).
6.5.1
Dabei erscheint der Wortlaut von
Art. 25 Abs. 2 VwVG
zu eng. Auch eine Feststellungsverfügung von Amtes wegen steht nicht im Belieben der Behörden, sondern setzt ein dem schutzwürdigen Interesse eines Gesuchstellers analoges, diesfalls allerdings nicht privates, sondern öffentliches Feststellungsinteresse voraus (
BGE 130 V 388
E. 2.4 S. 391 f. mit Hinweis; ISABELLE HÄNER, in: VwVG, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], 2009, N. 14 zu
Art. 25 VwVG
). Ein solches ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Das strittige Sanktionsverfahren ist ausdrücklich beschränkt auf den Zeitraum vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005. Schon aus diesem Grunde kann die allfällige Feststellung der Marktbeherrschung für die fragliche Periode keine verbindliche Vorwirkung für den späteren Zeitraum zeitigen, für den die Untersuchung unter veränderten tatsächlichen Verhältnissen weiterläuft. Die Marktbeherrschung wird vielmehr ohnehin neu abzuklären sein. Das bedeutet zwar nicht, dass die Wettbewerbsbehörden in den noch hängigen oder allfälligen künftigen Verfahren nicht unter Berücksichtigung der prozessualen Rechte der Verfahrensbeteiligten auf bereits vorgenommene Untersuchungshandlungen oder Beweismassnahmen zurückgreifen könnten, soweit sich diese weiterhin als einschlägig erweisen sollten. Es ist aber ausgeschlossen, daraus für spätere Zeiträume ohne weitere Prüfung der Umstände direkt eine Marktbeherrschung der Swisscom abzuleiten.
6.5.2
Auch eine andere Rechtswirkung kartell- oder fernmelderechtlicher Natur ist nicht ersichtlich. So steht insbesondere nicht eine Meldepflicht nach
Art. 9 Abs. 4 KG
in Frage (vgl. dazu RPW 2005 S. 555 f.); ohnehin würde sich die Marktbeherrschung für den hier fraglichen Zeitraum nicht ohne weiteres auf spätere Unternehmenszusammenschlüsse auswirken, womit dahingestellt bleiben kann, wieweit insofern überhaupt ein selbständiger Feststellungsentscheid zulässig wäre. Auch ist kein Interkonnektionsverfahren hängig, in dem die Wettbewerbskommission gemäss
Art. 11 Abs. 3 aFMG
zur Frage der Marktbeherrschung konsultiert worden wäre; überdies handelt es sich dabei nicht um eine selbständige und als solche anfechtbare Feststellung, sondern lediglich um eine im Interkonnektionsverfahren zu entscheidende Vorfrage, und die Kommunikationskommission ist an die Stellungnahme der
BGE 137 II 199 S. 220
Wettbewerbskommission nicht gebunden (vgl. dazu etwa Urteil 2A.451/2005 vom 21. April 2006 E. 4.2, nicht publ. in:
BGE 132 II 284
).
6.5.3
Gibt es mithin kein schutzwürdiges Interesse an einer isolierten Feststellung der Marktbeherrschung, erweist sich die entsprechende Folgerung im Entscheiddispositiv selbst dann als bundesrechtswidrig, wenn
Art. 25 VwVG
anwendbar wäre.
6.6
Demnach ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 insoweit aufzuheben, als es in seiner eigenen Dispositiv-Ziffer 1.2 die Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung der Wettbewerbskommission vom 5. Februar 2007 schützt. Der angefochtene Entscheid ist in dem Sinne anzupassen (vgl.
Art. 107 Abs. 2 BGG
), dass auch die entsprechende selbständige Feststellung der Marktbeherrschung ersatzlos aufgehoben wird. Die Beschwerde der Swisscom ist insofern gutzuheissen.
6.7
Umgekehrt braucht im vorliegenden Verfahren freilich nicht weiter inhaltlich geprüft zu werden, ob die Vorinstanzen zu Recht von der Marktbeherrschung der Swisscom ausgegangen sind und dabei den relevanten Markt im Einklang mit dem Bundesrecht abgegrenzt haben. Erweist sich die rechtsverbindliche selbständige Feststellung der Marktbeherrschung als unzulässig, betrifft die entsprechende Einschätzung im Sinne einer Vorfrage nur ein Tatbestandselement einer allfälligen Sanktionierung, die für sich allein keine Rechtswirkung zu entfalten vermag. Die Swisscom hat kein schutzwürdiges Interesse und somit auch keinen Anspruch auf die ausdrückliche Feststellung, sie sei im vorliegenden Zusammenhang nicht marktbeherrschend gewesen, was sie so allerdings auch gar nicht ausdrücklich geltend macht. Zugleich besteht kein Anlass und kein Recht der Swisscom, dass das Bundesgericht vorfrageweise prüft, ob bei ihr Marktbeherrschung gegeben war. Eine Sanktionierung entfällt bereits aus einem anderem Grund, nämlich mangels Marktmissbrauchs, womit die Frage der Marktbeherrschung für sich allein keine rechtliche Bedeutung hat. Rein theoretische Rechtsfragen ohne Rechtsfolgen sind vom Bundesgericht nicht zu behandeln.
7.
Entfallen sowohl eine kartellrechtliche Sanktion nach
Art. 49a KG
als auch die selbständige Feststellung der Marktbeherrschung der Swisscom im Entscheiderkenntnis, erübrigt es sich, die von dieser geltend gemachten Verfahrensmängel zu prüfen. Damit ist auf die gerügten Verfahrensfehler, soweit sie nicht schon in anderem Zusammenhang behandelt wurden, nicht weiter einzugehen. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7448fae7-bf23-4c59-9312-8d5ec2a6efbe | Urteilskopf
122 II 130
17. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 9 janvier 1996 dans la cause société H. contre Chambre d'accusation du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Rechtshilfe;
Art. 98a Abs. 3 und
Art. 103 lit. a OG
.
Zusammenfassung der Rechtsprechung betreffend Legitimation zur Anfechtung von Rechtshilfemassnahmen (E. 2a und b). Da die Beschwerdeführerin nicht Inhaberin des Bankkontos ist, über welches Auskünfte erteilt werden sollen, ist sie nicht zur Beschwerde legitimiert, auch wenn die herauszugebenden Dokumente sie als Urheberin bestimmter Zahlungen erkennen lassen (E. 2c und d). | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 122 II 130 S. 131
Le 16, puis le 23 novembre 1993, la Chambre d'accusation de la Cour d'appel de Rennes a adressé aux autorités suisses plusieurs commissions rogatoires pour les besoins d'une information suivie contre E., pour faux, usage de faux et trafic d'influence aggravé. E. aurait perçu des sommes d'argent de diverses entreprises pour les appuyer auprès des responsables de l'attribution de marchés publics. Des précédentes commissions rogatoires avaient permis d'établir que E. était titulaire notamment du compte bancaire "M." auprès d'une banque genevoise. Le magistrat requérant désirait connaître l'identité des titulaires de comptes débités en faveur du compte M.
Par ordonnance du 13 janvier 1994, le juge d'instruction du canton de Genève est entré en matière. Ayant identifié un compte détenu par la société L. auprès de la Banque X. à Genève (ci-après: compte L.), débité le 24 avril 1992 de 137'250 fr. au profit du compte M., il a requis de la banque, conformément à la demande, la production des documents d'ouverture et des relevés et justificatifs des opérations portant sur 20'000 fr. ou plus, à partir du 1er février 1987.
Le 7 septembre 1994, le juge d'instruction a décidé de transmettre l'ensemble de ces documents.
La société L. a recouru en vain auprès de la Chambre d'accusation genevoise (la Chambre d'accusation). Par arrêt du 6 juin 1995, le Tribunal fédéral a partiellement admis son recours de droit administratif, excluant la transmission des relevés, et de justificatifs relatifs à des opérations portant sur moins de 20'000 fr.; en revanche, l'identité de l'ayant droit économique de la société et l'ensemble des autres justificatifs devaient être transmis.
Par lettre du 27 avril 1995, la société H. à Hong Kong, fit savoir au juge d'instruction qu'elle avait appris, le même jour, l'existence de la procédure d'entraide; parmi les documents saisis figurait un avis relatif à un transfert de 416'950 fr. en sa faveur, le 12 janvier 1993. Elle demanda l'accès au dossier, en s'opposant à toute communication de renseignements la concernant.
Par acte du 4 mai 1995, la société H. a recouru auprès de la Chambre d'accusation tant contre l'ordonnance d'entrée en matière du 13 janvier 1994 que contre l'ordonnance de clôture du 7 septembre 1994; elle se disait tiers non impliqué, soutenait que le juge d'instruction était sorti du cadre de la demande en révélant plus que l'identité de la société L., et lui reprochait de ne pas avoir procédé à un tri des documents à transmettre.
BGE 122 II 130 S. 132
Par ordonnance du 3 octobre 1995, la Chambre d'accusation a déclaré le recours irrecevable: la société H. ne pouvait s'opposer à la transmission de documents relatifs à un compte bancaire dont elle n'était pas titulaire.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, la société H. demande au Tribunal fédéral d'annuler l'ordonnance de la Chambre d'accusation, ainsi que les décisions d'entrée en matière et de clôture, et d'interdire la transmission de documents qui la concernent, subsidiairement de renvoyer la cause à la Chambre d'accusation afin qu'elle statue à nouveau.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La recourante s'est vu dénier la qualité pour recourir contre des mesures d'entraide judiciaire; elle est habilitée, au regard de l'
art. 103 let. a OJ
, à recourir contre ce prononcé (
ATF 120 Ib 183
consid. 1b et la jurisprudence citée). Pour le surplus, la recevabilité du recours ne donne pas lieu à d'autres remarques.
2.
a) A qualité pour recourir au Tribunal fédéral au moyen d'un recours de droit administratif quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée (
art. 103 lettre a OJ
). Selon l'
art. 98a al. 3 OJ
, qui a codifié la jurisprudence du Tribunal fédéral, la qualité pour recourir en instance cantonale pour violation du droit fédéral dans des causes susceptibles d'être déférées au Tribunal fédéral par un recours de droit administratif, doit être admise au moins aussi largement que pour ce recours (
ATF 118 Ib 442
).
b) En matière d'entraide judiciaire, la qualité pour recourir est reconnue à la personne physique ou morale directement touchée par un acte d'entraide, sans qu'elle ait à se prévaloir d'un intérêt juridiquement protégé. Point n'est besoin qu'elle soit affectée dans ses droits et obligations; il suffit qu'elle soit concrètement touchée - matériellement ou juridiquement - par la mesure ordonnée (
ATF 119 Ib 56
consid. 2a). Confrontée d'une part à la nécessité d'une protection juridique suffisante et, d'autre part, aux impératifs liés à l'exécution rapide des demandes d'entraide judiciaire, la jurisprudence considère que seul mérite la protection légale celui qui se trouve dans un rapport suffisamment étroit avec la décision attaquée, ce qui n'est pas le cas de celui qui n'est atteint que de manière indirecte ou médiate. Elle reconnaît ainsi généralement la qualité pour recourir au titulaire d'un compte bancaire au
BGE 122 II 130 S. 133
sujet duquel des renseignements sont demandés, ou à la personne directement soumise à une mesure de contrainte (perquisition, saisie ou interrogatoire; cf.
ATF 121 II 38
consid. 1b - remise du dossier d'une procédure officielle à laquelle l'intéressé est partie -,
ATF 118 Ib 442
consid. 2a et
ATF 116 Ib 106
consid. 2a - production de document en sa possession ou interrogatoire de ses employés), mais la dénie, par exemple, au détenteur économique (actionnaire d'une société anonyme ou fiduciant) d'un compte bancaire faisant l'objet d'investigations, ou à l'auteur de documents dont il n'a pas la possession (ATF
ATF 116 Ib 106
consid. 2a), quand bien même la transmission des renseignements requis entraînerait la révélation de son identité (
ATF 114 Ib 156
consid. 2a et les arrêts cités). Pour les mêmes raisons, la personne appelée à témoigner dans le cadre d'une procédure d'entraide judiciaire ne peut-elle s'opposer à la transmission des procès-verbaux d'audition que dans la mesure où les renseignements qu'elle est appelée à fournir la concernent personnellement ou lorsqu'elle se prévaut de son droit de refuser de témoigner, mais non lorsque sa déposition porte sur des comptes bancaires dont elle n'est pas juridiquement titulaire (
ATF 121 II 462
).
c) En l'espèce, la recourante n'est pas directement touchée par les mesures d'entraide judiciaire, qui consistent dans la production de la documentation relative à un compte bancaire dont elle n'est pas titulaire. Si certains documents la font apparaître comme auteur d'un versement déterminé en faveur de la société L., cela ne suffit pas pour lui reconnaître la qualité pour recourir, puisque ce n'est pas elle qui doit se soumettre directement à la mesure de contrainte. La solution contraire conduirait à un élargissement excessif du cercle des personnes habilitées à s'opposer à l'octroi de l'entraide judiciaire, et entraînerait dans de nombreux cas l'entrave, voire la paralysie de la collaboration internationale, contrairement au but de la loi et des traités internationaux souscrits par la Suisse dans ce domaine.
d) La recourante invoque l'
art. 10 EIMP
; cette disposition n'a toutefois pas pour but d'étendre la qualité pour recourir à toute personne dont l'identité est révélée par l'exécution d'une demande d'entraide judiciaire. La recourante ne saurait non plus se prévaloir du fait que le juge d'instruction a caviardé son identité sur les documents déjà transmis à l'autorité requérante puisque, ce faisant, le magistrat n'a fait que respecter l'effet suspensif lié au recours. | public_law | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
744abdf0-5535-44cb-affd-e4d20bfb496f | Urteilskopf
98 II 138
21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Mai 1972 i.S. Plascon AG gegen Luwa AG | Regeste
Art. 6 Abs. 1 MSchG
.
1. Anforderungen an die Unterscheidung von Wortmarken mit gemeinsamen Bestandteilen (Erw. 1).
2. Verwechslungsgefahr zwischen den Marken LUWA und LUMATIC (Erw. 2).
3. Keine Verwirkung des Klagerechts, wenn der Inhaber der verletzten Marke mit Rücksicht auf Geschäftsbeziehungen erst acht Jahre nach der Veröffentlichung des verwechselbaren Zeichens klagt, die Gegenpartei vorher aber in Abständen von 2-3 Jahren gewarnt hat (Erw. 3).
4. Das Verbot, eine verwechselbare Marke weiterhin zu verwenden, ist von Amtes wegen mit dem Hinweis auf die Strafdrohung des
Art. 292 StGB
zu verbinden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 98 II 138 S. 139
A.-
Die Luwa AG, die luft- und wärmetechnische Apparate, Maschinen und Anlagen herstellt, liess in den Jahren 1934 und 1954 beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum eine Marke registrieren, die aus einem Rechteck und dem darin stehenden Wort LUWA besteht. In den Jahren 1951 und 1958 hinterlegte sie ferner die reine Wortmarke LUWA und in den Jahren 1956, 1959 und 1960 die Wortmarken LUWAIR, UNILUWA, LUWAG, LUWERS und LUWETTE.
Die Plascon AG hinterlegte am 22. Februar 1962 die für Dampfgeneratoren aller Art bestimmte Wortmarke LUMATIC und gebrauchte sie auf den von ihr hergestellten automatischen
BGE 98 II 138 S. 140
Dampf-Luftbefeuchtern. Dieses Zeichen wurde unter Nr. 190 427 registriert und am 7. April 1962 veröffentlicht.
Die Luwa AG unterhält seit 1963 mit der Plascon AG geschäftliche Beziehungen. Sie lässt in Klima-Anlagen, die sie entwirft oder ausführt, Lumatic-Apparate einbauen.
Am 19. Januar 1965 liess die Luwa AG die Plascon AG schriftlich auffordern, die Marke LUMATIC löschen zu lassen und nicht mehr zu gebrauchen, da sie mit der Marke und der Firma LUWA verwechselt werden könne. In seiner Antwort vom 2. März 1965 stellte sich der Vertreter der Plascon AG auf den Standpunkt, die beiden Marken seien nicht verwechselbar. Er wies darauf hin, dass die Luwa AG die Marke Lumatic seit fast drei Jahren kenne und seit zwei Jahren Bezügerin und Wiederverkäuferin der mit ihr versehenen Erzeugnisse sei. Er bat um Mitteilung, dass das Schreiben vom 19. Januar 1965 gegenstandslos geworden sei. Die Luwa AG liess das nicht gelten, beharrte mit Schreiben vom 5. Mai 1967 und vom 10. September 1969 aber umsonst darauf, dass die Plascon AG die Marke Lumatic löschen lasse und auf deren weitere Verwendung für Dampfgeneratoren verzichte.
B.-
Am 8. April 1970 klagte die Luwa AG gegen die Plascon AG mit den Begehren, die Marke Lumatic nichtig zu erklären und der Beklagten jede weitere Verwendung der Bezeichnung Lumatic als Marke, Name oder in anderer Weise zu verbieten.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen, und erhob Widerklage auf Löschung der Marken Luwag und Luwers wegen Nichtgebrauchs.
Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft hiess am 30. November 1971 die Klage gut und wies die Widerklage ab.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung erklärt. Sie beantragt, das Urteil, soweit es die Klage und die Kosten des Klageverfahrens betrifft, aufzuheben, die Klage abzuweisen und die bezüglichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Jede Marke muss sich von den früher hinterlegten durch wesentliche Merkmale unterscheiden, wenn die Erzeugnisse, die sie kennzeichnet, nicht gänzlich von den Waren
BGE 98 II 138 S. 141
abweichen, die mit den älteren Zeichen versehen sind (
Art. 6 Abs. 1 und 3 MSchG
). Genügend unterscheidbar sind zwei Marken, wenn sie, als Ganzes betrachtet, nicht leicht zu einer Verwechslung Anlass geben können (
Art. 6 Abs. 2 MSchG
). Zu vergleichen sind somit nicht die einzelnen Bestandteile, sondern massgebend ist der Gesamteindruck, den die Marken machen (
BGE 78 II 381
,
BGE 82 II 233
f.,
BGE 84 II 446
,
BGE 87 II 37
,
BGE 88 II 376
, 378,
BGE 90 II 48
,
BGE 92 II 275
).
Der Gesamteindruck kann jedoch durch einen einzelnen Bestandteil entscheidend beeinflusst werden, so dass die Nachmachung oder Nachahmung dieses Teils leicht zu Verwechslungen führen kann. So hat das Bundesgericht als leicht verwechselbar erachtet z.B. die Marke "Niedermann VAC Packung unter Vacuum" einerseits und eine das Zeichen VAC und weitere Angaben enthaltende jüngere Etikette anderseits (
BGE 93 II 55
f.), ferner die Marken "Elisabeth Arden" und "Arden for men" einerseits und die jüngere Marke "Arlem" anderseits (
BGE 95 II 358
f.), die Marken "HR MEN,S CLUB Helena Rubinstein" und "MEN'S CLUB - Eau de Cologne - HELENA RUBINSTEIN MEN'S DIVISION" einerseits und die jüngeren Marken "EDEN CLUB" und "EDEN CLUB SUPER STAR" anderseits (
BGE 96 II 403
ff.). Die Abänderung eines Teils einer Wortmarke führt somit nicht notwendigerweise zu einem genügend unterscheidbaren neuen Zeichen. Das Bundesgericht hat z.B. "Hygis" und "Glygis" als verwechselbar erklärt (
BGE 47 II 363
f.), ebenso "Hero" und "Coro" (
BGE 52 II 166
ff.), "Alucol" und "Aludrox" (
BGE 78 II 380
f.), "Tobler-o-rum" und "Torero-Rum" (
BGE 88 II 378
f.), "Brismarine" und "Blue Marine" (
BGE 93 II 262
ff.), "Valvoline" und "Havoline" (
BGE 96 II 241
f.). Auch ergibt die Beifügung oder Weglassung unwesentlicher Silben oder nicht hervorstechender Wörter in der Regel nicht ein zulässiges neues Zeichen. Ungenügend ist z.B. der Unterschied zwischen "Tavannes Watch" und "Favret Watch Tavannes" (
BGE 59 II 214
), "Lady Cora" und "Cora" (
BGE 36 II 608
f.), "Dogma" und "Dog" (
BGE 82 II 541
ff.), "Compactus" und "Compact" (
BGE 84 II 316
ff.), "Favre-Leuba" und "Leuba" (
BGE 88 II 377
). Selbst wenn die ältere Marke im erweiterten oder verkürzten jüngeren Zeichen nur in veränderter Form wiederkehrt, kann die Verwechslungsgefahr bestehen. Das Bundesgericht hat sie z.B. bejaht bezüglich der
BGE 98 II 138 S. 142
Marken "Figor" "Cafidor" (
BGE 70 II 189
f.), "Sihl" und "Silta" (
BGE 77 II 328
f.), "Felina" und "florina die Feinwäsche für Sie" (
BGE 88 II 467
ff.), "Bic" und "Big-Pen" (
BGE 87 II 36
ff.), "Sihl" und "Silbond" (
BGE 92 II 261
), wobei es in den zwei letzteren Fällen berücksichtigte, dass die Silben "bond" bzw. "Pen" Sachbezeichnungen und daher schwache Zusätze seien. Es hat z.B. auch den Unterschied zwischen "Dacron" und "Dralon" (
BGE 90 II 48
f.) und zwischen "Ardena" und "Arlem" (
BGE 95 II 359
) für zu geringfügig gehalten.
Dagegen erachtete das Bundesgericht als nicht verwechselbar die Marken "Sihl" und "Cosil", weil erstere dem Namen eines bekannten Flusses entspreche, letztere dagegen reines Phantasiewort sei, das auch nicht bloss entfernt an dieses Gewässer erinnere, und weil die gekennzeichnete Ware nur von aufmerksamen Geschäftsleuten eingekauft werde (
BGE 92 II 275
f.). Es hat auch die Marken "Pond's" und "Respond" als genügend unterscheidbar angesehen, jedoch eingeräumt, dass ein Grenzfall vorliege (
BGE 97 II 80
ff.). Damit wollte es die Anforderungen an die Unterscheidbarkeit zweier Marken nicht grundsätzlich herabsetzen. Der Entscheid sagt denn auch nichts von einer Änderung der Praxis. Die Verwechslungsgefahr hängt zudem nach wie vor von den Umständen des einzelnen Falles und damit vom Ermessen des Richters ab (
BGE 82 II 540
,
BGE 84 II 444
). Zu berücksichtigen ist namentlich, welcher Natur die gekennzeichneten Waren sind, welche Kreise sie erwerben, welche Aufmerksamkeit die Abnehmer anzuwenden pflegen und über welches Erinnerungsvermögen sie verfügen (
BGE 83 II 220
,
BGE 84 II 445
,
BGE 87 II 37
,
BGE 88 II 379
). So wurden z.B. die Marken "Xylocain" und "Celecain" als genügend unterscheidbar gewürdigt, weil die mit ihnen versehenen Injektionsmittel nur von Fachleuten angewendet würden (
BGE 84 II 443
ff.). Stets ist zu bedenken, dass der Interessent die Marken auch dann genügend muss unterscheiden können, wenn er sie nicht gleichzeitig nebeneinander sieht (
BGE 58 II 455
,
BGE 78 II 381
f.,
BGE 87 II 37
,
BGE 93 II 265
).
2.
Die Marke der Beklagten besteht aus der Stammsilbe "Lu" und dem Zusatz "matic". Dieser kommt im Englischen z.B. in den Wörtern automatic, pneumatic, pragmatic und aromatic vor und entspricht im Französischen und Italienischen den Endungen matique bzw. matico. Er ist als Markenbestandteil
BGE 98 II 138 S. 143
sehr verbreitet, besonders in Marken für automatische Apparate und Maschinen (s. z.B. Schweizerisches Patent-, Muster- und Marken-Blatt (SPMM) 1971 Ausgabe C S. 436/7, 449, 450, 454, 556, 607, 671, 709, 798; 1972 C S. 19). Auch Marken für andere Waren enthalten häufig die Endsilben "matic" (SPMM 1971 C S. 233, 450, 487, 540, 817; 1972 C S. 1). Gelegentlich kommen auch die Endungen "matik" oder "matica" vor (
BGE 82 II 232
, SPMM 1971 C S. 278). Die Endung "matic" ist schliesslich in Firmennamen zu finden, die als Marken benützt werden dürfen. Bei voller Aufmerksamkeit und genauer Überlegung kann man daher die Marke Lumatic der Beklagten mit der Marke der Klägerin kaum verwechseln. Die beiden Zeichen haben nur die Silbe "Lu" gemeinsam, und die Endungen "matic" und "wa" sind nach Schriftbild und Sinn nicht ähnlich; "matic" weist auf einen Automaten hin und "wa" ist entweder reine Phantasieendung oder eine Abkürzung, z.B. für "Wasser".
Trotzdem sind die Marken "Lumatic" und "Luwa" verwechselbar. Es besteht die ernstliche Gefahr, dass ein Teil des Publikums das Zeichen der Beklagten gedanklich nicht in die Bestandteile "Lu" und "matic" zerlegt, sondern "Luma" und "tic" liest oder versteht. Die Beklagte räumt das im Grunde genommen selber ein, indem sie vorbringt, die Silbe "Lu" steche in ihrer Marke nicht wie in der Marke der Klägerin hervor. "Luma" aber ist der Marke "Luwa" sehr ähnlich. Ein kleiner Hör- oder Lesefehler genügt, um "Luma" als "Luwa" zu verstehen. Dann bleibt als unterscheidendes Merkmal nur noch die Endsilbe "tic". Sie genügt nicht, um Verwechslungen auszuschliessen. Sie ist nichtssagend, farblos, zu wenig charakteristisch und wird durch ihr häufiges Vorkommen als Endung in Marken zu einem schwachen Bestandteil herabgesetzt (vgl. z.B.
BGE 79 II 99
f.). Dass die eine Marke zwei, die andere dagegen drei Silben aufweist, bietet nicht Gewähr für genügende Unterscheidbarkeit. Es liegt der von der Rechtsprechung schon öfters behandelte Fall vor, wo der bloss leicht veränderten älteren Marke eine ungenügend hervorstechende Silbe angehängt wird. In solchen Fällen ist die Gefahr von Verwechslungen besonders gross, wenn der Inhaber der älteren Marke Serienmarken führt, die ihr gleichen. Die jüngere Marke kann dann leicht als weitere Abwandlung angesehen und die mit ihr gezeichnete Ware dem Betrieb des Inhabers
BGE 98 II 138 S. 144
der älteren Marke zugeschrieben werden (
BGE 73 II 61
,
BGE 77 II 329
,
BGE 82 II 542
). Die Auffassung der Beklagten, ihre Marke stehe ausserhalb des Rahmens, innerhalb dessen die Serienzeichen der Klägerin gebildet würden, hält nicht stand. Es ist nicht ausgeschlossen, dass "Lumatic" wie z.B. "Luwair", "Luwag" und "Luwette" als von "Luwa" abgeleitete Serienmarke der Klägerin aufgefasst wird. Die Gefahr der Irreführung über die Herkunft der Ware wird im vorliegenden Falle noch dadurch erhöht, dass Apparate der Beklagten in Anlagen der Klägerin eingebaut werden. Es kann wegen der Ähnlichkeit der Marken leicht der Eindruck entstehen, der Lieferant der Apparate sei identisch mit dem Ersteller der Anlage. Erhöhte Aufmerksamkeit, wie sie beim Besteller solcher Anlagen vorausgesetzt werden kann, und eine gewisse Fachkunde, über die er oder sein Berater oft verfügt, schliessen Irrtümer über die Herkunft der Ware nicht ganz aus. Zudem werden die Dampf-Luftbefeuchter der Beklagten auch im Einzelhandel angeboten, wo die Aufmerksamkeit der Kaufinteressenten oft gering ist. Die Klägerin braucht sich nicht gefallen zu lassen, als Herstellerin dieser Apparate angesehen zu werden. Auch das Publikum ist vor Täuschungen zu schützen. Dass tatsächlich schon solche vorgekommen seien, braucht nicht nachgewiesen zu werden.
Der Beklagten hilft auch der Einwand nicht, die Silbe "Lu" weise auf den Begriff Luft hin, sei Beschaffenheitsangabe und dürfe daher auch von der Beklagten benützt werden. Die Verwendung eines im Gemeingebrauch stehenden Bestandteils entbindet den Inhaber der jüngeren Marke nicht der Pflicht, diese so zu gestalten, dass sie sich als Ganzes durch wesentliche Merkmale von den älteren unterscheidet (
BGE 38 II 308
f.,
BGE 78 II 383
Erw. 4). Übrigens lenkt die Silbe "Lu" den Gedanken nicht unmittelbar auf den Begriff Luft. Andeutungen aber, die nur mit Hilfe der Einbildungskraft als Sachbezeichnung verstanden werden können, sind nicht Gemeingut im Sinne des
Art. 3 Abs. 2 MSchG
(
BGE 54 II 406
,
BGE 55 II 154
,
BGE 56 II 230
f., 410,
BGE 59 II 80
,
BGE 63 II 428
,
BGE 70 II 243
,
BGE 79 II 102
,
BGE 83 II 218
,
BGE 84 II 224
, 432,
BGE 90 II 263
,
BGE 93 II 56
, 263,
BGE 96 II 240
, 250).
3.
Die Beklagte hält die Klage für rechtsmissbräuchlich, weil die Klägerin zu lange zugewartet habe.
Dass Löschungs- und Unterlassungsansprüche aus Markenrecht, Firmenrecht oder unlauterem Wettbewerb auf Grund
BGE 98 II 138 S. 145
des
Art. 2 ZGB
durch Zeitablauf untergehen können, hat das Bundesgericht anerkannt (
BGE 73 II 189
Erw. 5,
BGE 76 II 394
ff.,
BGE 79 II 313
Erw. 2 a,
BGE 81 II 289
Erw. 2 c,
BGE 88 II 180
Erw. 3, 375 f.,
BGE 93 II 46
Erw. 2 c,
BGE 95 II 362
). Die Verwirkung ist jedoch nicht leichthin zu bejahen. Gemäss
Art. 2 Abs. 2 ZGB
darf ein Recht nur dann keinen Schutz finden, wenn sein Missbrauch offenbar ist, d.h. klar zutage liegt.
Diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn die Löschung einer Marke und das Verbot ihres weiteren Gebrauches gewichtigen Interessen ihres Benützers widersprechen. Die Behauptung der Beklagten, die Löschung der Marke Lumatic würde sie finanziell und moralisch unerträglich belasten, führt daher für sich allein nicht zur Abweisung der Klage. Auch die Meinung, eine Störung durch diese Marke sei nicht belegt, genügt zur Bejahung eines Rechtsmissbrauches nicht.
Es müsste der Klägerin vielmehr ein offensichtlich gegen Treu und Glauben verstossendes Verhalten vorgeworfen werden können. Ein solches liegt jedoch nicht vor. Die Klägerin hat die Beklagte schon am 19. Januar 1965 aufgefordert, die Marke Lumatic löschen zu lassen und sie nicht mehr zu gebrauchen. Damals waren seit der Veröffentlichung dieses Zeichens weniger als drei Jahre verstrichen. Die Klägerin handelte nicht gegen die gute Treue, indem sie so lange nicht vorstellig wurde. Wie rücksichtsvolle Geschäftsleute es zu tun pflegen, durfte und musste sie sich überlegen, ob das Zeichen sich mit "Luwa" wirklich nicht vertrage und sie benachteilige. Eiliges Handeln war umso weniger am Platze, als die Klägerin von 1963 an mit der Beklagten geschäftliche Beziehungen unterhielt. Der Widerspruch der Beklagten vom 2. März 1965 sodann konnte die Klägerin in ihrer Überzeugung, ihr Begehren sei berechtigt, nicht bestärken. Wenn sie, wie sie der Beklagten am 5. Mai 1967 mitteilen liess, mit Rücksicht auf den gegenseitigen Geschäftsverkehr noch weiter prüfen wollte, ob sich das Zeichen Lumatic wirklich als störend erweise, kann ihr deshalb auch hieraus kein Vorwurf gemacht werden. Die Beklagte hat zu dieser weiteren Überprüfung der Lage durch ihr Schreiben vom 2. März 1965 Anlass gegeben. Sie durfte umso weniger voraussetzen, das zweijährige Schweigen der Gegenpartei bedeute endgültigen Verzicht auf die Anfechtung der Marke, als sie die Klägerin am 2. März 1965 gebeten hatte,
BGE 98 II 138 S. 146
ihr mitzuteilen, dass das Schreiben vom 19. Januar 1965 gegenstandslos geworden sei. Dieses Ersuchen zeigt, dass die Beklagte die Sache nicht ohne weiteres als erledigt erachtete, sondern eine Antwort erwartete. Das geht auch daraus hervor, dass der Vertreter der Beklagten nach dem Empfang des Schreibens vom 5. Mai 1967 die Gegenpartei telefonisch ersuchte, zunächst einmal zum Inhalt des Briefes vom 2. März 1965 Stellung zu nehmen. Die Beklagte betrachtete die Diskussion weder im März 1965 noch im Mai 1967 als abgeschlossen. Sie musste sich bewusst sein, dass sie durch den dem Willen der Klägerin widersprechenden weiteren Gebrauch der Marke Lumatic Gefahr lief, sich vor dem Gericht verantworten zu müssen und allenfalls zu unterliegen. Wenn sie die Auseinandersetzung hätte beschleunigen wollen, hätte sie es der Klägerin sagen müssen oder eine Feststellungsklage einreichen können. In Wirklichkeit lag ihr an einer Beschleunigung nichts. Das geht aus ihrer telefonischen Reaktion vom Mai 1967 hervor, die als hinhaltende Verteidigung aufgefasst werden muss, denn es konnte der Beklagten nicht entgangen sein, dass das Schreiben vom 5. Mai 1967 die Antwort auf den Brief vom 2. März 1965 war. Beide Parteien haben die Diskussion um die Zulässigkeit der Marke Lumatic gelassen geführt. Das ist an sich begreiflich, denn es lag nicht ohne weiteres auf der Hand, dass die beiden Marken unverträglich seien und die Klägerin geschädigt werden könnte. Es verstiess daher nicht gegen Treu und Glauben, dass die Klägerin nach dem Brief vom 5. Mai 1967 abermals etwas mehr als zwei Jahre zuwartete, bis sie am 10. September 1969 zum dritten Male vorstellig wurde. Die gegenseitigen geschäftlichen Beziehungen, welche die Beklagte selber als "intensive und gute Zusammenarbeit" bezeichnet, rechtfertigten reifliche Überlegung und Rücksichtnahme, die denn auch darin zum Ausdruck kam, dass die Klägerin schliesslich Vergleichsverhandlungen anregte.
Die Auffassung der Beklagten, die geschäftlichen Beziehungen der Parteien vermöchten das Zuwarten der Klägerin nicht zu rechtfertigen, weil sie ausschliesslich im Interesse der Klägerin gelegen hätten, hält nicht stand. An geschäftlichen Beziehungen sind in der Regel beide Beteiligten interessiert. Nichts spricht dafür, dass es sich hier anders verhalten habe. Auch verkennt die Beklagte den Begriff des offenbaren Rechtsmissbrauchs, wenn sie vorbringt, die Klägerin hätte sie "periodisch
BGE 98 II 138 S. 147
im laufenden Geschäftsverkehr" auf die Nichtanerkennung der Marke Lumatic aufmerksam machen sollen. Häufigere Verwarnungen wären weltfremd gewesen und von der Beklagten auch nicht mehr ernst genommen worden. Die Beklagte durfte die Marke Lumatic schon vom Januar 1965 an nicht mehr in guten Treuen gebrauchen. Indem sie ihre Apparate weiterhin so benannte, nahm sie in Kauf, mit einem Zeichen zu werben, das sie später doch fallen lassen müsse. Anderseits ist nicht dargetan, dass die Klägerin aus dem Ruf, den die Beklagte ihren Erzeugnissen durch den widerrechtlichen Gebrauch der Bezeichnung Lumatic verschafft haben mag, Nutzen ziehen werde und dass sie es auf solchen Vorteil abgesehen habe, als sie mit der Klage zuwartete.
4.
Das Obergericht hat es unterlassen, mit dem Verbot, die Bezeichnung Lumatic weiterhin zu verwenden, den Hinweis auf die Strafandrohung des
Art. 292 StGB
zu verbinden. Da diese Androhung keinen dahin gehenden Antrag voraussetzt und von der Berufungsinstanz von Amtes wegen nachgeholt werden muss (
BGE 87 II 112
Erw. 5,
BGE 93 II 433
,
BGE 97 II 238
oben), ist sie auch im vorliegenden Falle in das Urteil aufzunehmen. Dass die Klägerin weder die Berufung noch die Anschlussberufung erklärt hat, steht dem nicht im Wege. Indem das Bundesgericht auf die Strafandrohung hinweist, ändert es das Urteil nicht zu Ungunsten der Beklagten ab (
BGE 95 II 460
Erw. 4,
BGE 96 II 262
oben).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 30. November 1971 bestätigt.
2.- Die Organe der Beklagten werden darauf hingewiesen, dass sie gemäss
Art. 292 StGB
mit Haft oder Busse bestraft würden, wenn sie dem Verbot, die Bezeichnung "Lumatic" weiterhin als Marke, als Name oder in irgend einer anderen Weise zu verwenden, zuwiderhandeln sollten. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
744c70b3-cf18-4c1e-a035-f99994398fa3 | Urteilskopf
122 V 47
8. Urteil vom 5. Februar 1996 i.S. F. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
,
Art. 85 Abs. 2 lit. e AHVG
,
Art. 69 Abs. 1 IVG
,
Art. 7 Abs. 2 ELG
,
Art. 22 Abs. 3 FLG
,
Art. 24 EOG
,
Art. 30bis Abs. 3 lit. e KUVG
,
Art. 87 lit. e KVG
,
Art. 108 Abs. 1 lit. e UVG
,
Art. 103 Abs. 4 und 6 AVIG
,
Art. 106 Abs. 2 lit. e MVG
,
Art. 73 Abs. 2 BVG
.
- Eine öffentliche Verhandlung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
setzt einen klaren und unmissverständlichen Parteiantrag voraus; blosse Beweisanträge wie etwa Begehren um eine persönliche Anhörung oder Befragung, ein Parteiverhör, eine Zeugeneinvernahme oder einen Augenschein genügen nicht.
- Der kantonale Richter hat grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung anzuordnen, wenn eine solche beantragt worden ist; Ausnahmegründe für ein zulässiges Absehen von einer beantragten öffentlichen Verhandlung.
- Anspruch auf öffentliche Verhandlung im kantonalen Verfahren bejaht in einer Streitigkeit um Versicherungsleistungen nach UVG, deren Beurteilung wesentlich von der Würdigung der medizinischen Berichte abhängt. | Sachverhalt
ab Seite 48
BGE 122 V 47 S. 48
A.-
Der 1948 geborene F. erlitt am 29. April 1980 einen Verkehrsunfall, welcher ein Cervikalsyndrom nach Schleudertrauma der Halswirbelsäule zur Folge hatte. Am 18. August 1989 wurde er vor dem Migros-Ladenzentrum in X von einer fehlgesteuerten Einkaufswagenreihe angefahren und zog sich dabei eine Oberschenkel- und Hüftkontusion zu, was zu anhaltenden Beschwerden im rechten Bein und in der Hüfte führte.
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei welcher F. als Angestellter der Firma Y obligatorisch versichert war, anerkannte ihre Haftung für diese beiden Unfälle und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Im Rahmen ihrer Abklärungen zu den Folgen des ersten Unfalls zog sie nebst Zeugnissen des behandelnden Arztes Dr. med. E. vom 20. und 31. Mai sowie vom 30. Juli 1980 zwei Stellungnahmen des Kreisarztes Dr. med. C. vom 12. August und 16. September 1980 bei. Bezüglich des zweiten Versicherungsfalles holte sie u.a. die Auskünfte des Dr. med. F. vom 26. September und 28. Dezember 1989 sowie vom 22. Januar und 3. April 1990 ein. Zudem liegen ein Austrittsbericht der Klinik Z vom 24. November 1989 über einen vom 1. bis 24. November 1989 dauernden Aufenthalt in der balneologischen Abteilung, eine Expertise des Zentrums für Medizinische
BGE 122 V 47 S. 49
Begutachtung vom 12. Juni 1991 sowie Stellungnahmen der Neurologen Dr. med. G. vom 6. und 13. März 1990 und Dr. med. J. vom 6. Februar 1992, des Chirurgen Dr. med. D. vom 4. September 1990 und mehrere Atteste des Hausarztes Dr. med. W. vor. Aufgrund dieser Unterlagen und der kreisärztlichen Berichte des Dr. med. B. vom 25. Januar und 17. April 1990 sowie vom 22. August 1991 und 20. Februar 1992 gelangte die SUVA zum Schluss, dass weitere ärztliche Behandlungen nicht mehr erforderlich seien und eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit bestehe. Sie kündigte deshalb am 18. Mai 1992 die Einstellung ihrer Leistungen per 1. Juni 1992 an und wies zugleich darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Invalidenrente und einer Integritätsentschädigung nicht erfüllt seien. Als der Versicherte damit nicht einverstanden war, holte sie eine zusätzliche Stellungnahme des Dr. med. S. von der anstaltsinternen Abteilung Unfallmedizin vom 27. Oktober 1992 ein. Nach deren Prüfung erliess sie am 17. November 1992 eine Verfügung, mit welcher sie mangels relevanten Kausalzusammenhangs zwischen den organischen sowie psychischen Gesundheitsstörungen und den erlittenen Unfällen sämtliche Versicherungsleistungen rückwirkend ab 1. Juni 1992 einstellte und auch die Ausrichtung einer Invalidenrente oder einer Integritätsentschädigung ablehnte. Mit Einspracheentscheid vom 6. April 1993 hielt sie an ihrem Standpunkt fest.
B.-
Beschwerdeweise liess F. die Gewährung weiterer Leistungen wie namentlich allfällige Heilbehandlungskosten, Taggelder, eine Invalidenrente sowie eine Integritätsentschädigung beantragen. Neu brachte er die Berichte des Dr. med. G. vom 29. Juni 1993, des Dr. med. W. vom 28. Januar 1994 und des Dr. med. S. vom 1. Februar 1994 bei. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die Beschwerde mit Entscheid vom 6. April 1994 ab. Eine öffentliche Verhandlung fand nicht statt.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt F. seine vor Vorinstanz gestellten materiellrechtlichen Begehren erneuern. In verfahrensmässiger Hinsicht beanstandet er, dass das kantonale Gericht von der beantragten Einholung zusätzlicher medizinischer Gutachten abgesehen und den angefochtenen Entscheid ohne Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung gefällt hat. Als zusätzliche Beweismittel reicht er am 15. November 1994 die Berichte der Abteilung für Neuropsychologische Rehabilitation des Universitätsspitals A. vom 11. Oktober 1994 und der Medizinischen Abteilung des Universitätsspitals A. vom 12. Oktober 1994 nach.
BGE 122 V 47 S. 50
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer erblickt darin, dass das vorinstanzliche Verfahren ohne öffentliche Verhandlung abgeschlossen wurde, eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Da mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch eine Verletzung der EMRK gerügt werden kann (
BGE 119 V 378
Erw. 4b mit Hinweis), stellt sich somit zunächst die Frage, ob das kantonale Rechtsmittelverfahren den sich aus dieser Konvention ergebenden prozessualen Erfordernissen genügte.
2.
Nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat (Satz 1).
a) Die Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
hängt demnach davon ab, ob es sich bei den vorliegend streitigen Leistungen nach UVG überhaupt um zivilrechtliche Ansprüche im Sinne dieser Bestimmung handelt. Massgebend dafür, ob ein Verfahren unter den Geltungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fällt, ist nicht, ob es sich dabei um ein Gerichts- oder ein Verwaltungsverfahren handelt, sondern allein, ob es dabei um einen zivilrechtlichen Anspruch geht. Über den Charakter des Anspruchs entscheiden die Konventionsorgane autonom und ohne Rücksicht auf die Begriffe des nationalen Rechts (
BGE 120 V 6
Erw. 3a,
BGE 119 V 379
Erw. 4b/aa,
BGE 115 V 254
Erw. 4c, je mit Hinweis; vgl. auch
BGE 121 I 34
Erw. 5c).
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hat das Eidg. Versicherungsgericht die Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
in
BGE 119 V 379
Erw. 4b/aa zunächst für Leistungsstreitigkeiten sämtlicher bundesrechtlicher Sozialversicherungszweige bejaht (bestätigt in
BGE 121 V 110
Erw. 3a,
BGE 120 V 6
Erw. 3a; vgl. auch SZS 1994 S. 370) und schliesslich in
BGE 121 V 111
Erw. 3a auch bezüglich sozialversicherungsrechtlicher Beitragsstreitigkeiten anerkannt. Der Sozialversicherungsprozess hat demnach sowohl bei Leistungsstreitigkeiten wie auch bei
BGE 122 V 47 S. 51
Abgabestreitigkeiten grundsätzlich den sich aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ergebenden Rechtsschutzanforderungen zu genügen.
b) Nach
Art. 108 Abs. 1 UVG
(Ingress) wird das Verfahren der kantonalen Versicherungsgerichte grundsätzlich von den Kantonen selbst geregelt, wobei es jedoch den in dieser Bestimmung einzeln aufgeführten Minimalanforderungen zu genügen hat. Als solche wird bezüglich der Öffentlichkeit der Verhandlung in
Art. 108 Abs. 1 lit. e UVG
festgehalten, dass die Parteien "in der Regel" zur Verhandlung vorgeladen werden (Satz 1) und die Beratung des Gerichts in Anwesenheit der Parteien stattfinden "kann" (Satz 2). Die vom solothurnischen Kantonsrat gestützt auf § 80 des kantonalen Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 15. November 1970 (BGS 124.11.) und § 54ter Abs. 1 des kantonalen Gesetzes über die Gerichtsorganisation vom 13. März 1977 (BGS 125.12) erlassene Verordnung über das Verfahren vor dem Versicherungsgericht und über die Organisation und das Verfahren des Schiedsgerichts in der Kranken- und Unfallversicherung vom 22. September 1987 (BGS 125.922) sieht in § 6 Abs. 3 vor, dass eine Parteiverhandlung nur in den vom Bundesrecht vorgesehenen Fällen stattfindet und "in der Regel" öffentlich ist. Sowohl
Art. 108 lit. e UVG
wie auch gestützt auf
Art. 108 UVG
erlassene kantonalrechtliche Bestimmungen sind aufgrund der derogatorischen Kraft des internationalen Rechts so auszulegen, dass sie der durch
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewährleisteten Garantie einer öffentlichen Verhandlung genügen (vgl.
BGE 120 V 7
Erw. 3b).
c) Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung stellt ein fundamentales Prinzip dar, das nicht nur für den einzelnen wichtig ist sondern ebensosehr als Voraussetzung für das Vertrauen in das Funktionieren der Justiz erscheint (
BGE 121 I 35
Erw. 5d,
BGE 120 V 7
Erw. 3b,
BGE 119 V 380
Erw. 4b/bb). Der Grundsatz der Öffentlichkeit bezieht sich sowohl auf die Parteiöffentlichkeit als auch auf die Publikums- und Presseöffentlichkeit (
BGE 120 V 7
Erw. 3b,
BGE 119 V 380
Erw. 4b/bb,
BGE 119 Ia 104
Erw. 4a). Er umfasst unter anderem den Anspruch des einzelnen, seine Argumente dem Gericht mündlich in einer öffentlichen Sitzung vortragen zu können (
BGE 121 I 35
Erw. 5d; vgl. auch
BGE 120 V 7
Erw. 3b, 119 V 380 Erw. 4b/bb). Dagegen gilt das Öffentlichkeitsprinzip nicht für die Beratung des Gerichts; diese kann unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden (HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 153; ZIMMERLI, EMRK und schweizerische Verwaltungsrechtspflege, in: Aktuelle
BGE 122 V 47 S. 52
Fragen zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1994, S. 64). Was die Verkündung des Urteils betrifft, so ist dem Öffentlichkeitsanspruch Genüge getan, wenn das Urteil in der Kanzlei des Gerichts von der interessierten Öffentlichkeit eingesehen und im Bedarfsfall als Kopie verlangt werden kann (
BGE 119 Ia 420
f. Erw. 5 mit Hinweisen). Eine mündliche Eröffnung ist nicht gefordert (HAEFLIGER, a.a.O., S. 159 mit Hinweis).
Die Konvention selber sieht im zweiten Satz von Art. 6 Ziff. 1 Ausnahmen von der Öffentlichkeit vor im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit oder wenn die Interessen von Jugendlichen, der Schutz des Privatlebens von Prozessparteien oder die Gefahr der Beeinträchtigung der Rechtspflege es gebieten (
BGE 121 I 35
f. Erw. 5e,
BGE 120 V 7
Erw. 3b in fine,
BGE 119 V 380
Erw. 4b/bb in fine).
d) Der EGMR hat im Urteil Schuler-Zgraggen vom 24. Juni 1993 (Série A, vol. 263, Ziff. 58) zur Öffentlichkeit in der Sozialversicherungsrechtspflege differenzierte Überlegungen angestellt und festgehalten, weder der Wortlaut noch der Sinn von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verbiete es, ausdrücklich oder stillschweigend auf eine öffentliche Verhandlung zu verzichten; der Verzicht müsse jedoch eindeutig erfolgen und es dürften ihm keine wichtigen öffentlichen Interessen entgegenstehen (bestätigt im Urteil Zumtobel vom 21. September 1993, Série A, vol. 268 A). Der Gerichtshof verneinte, obwohl im innerstaatlichen Verfahren keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden war, einen Verstoss gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, weil die Beschwerdeführerin - obschon das Reglement des Eidg. Versicherungsgerichts diese Möglichkeit in Art. 14 Abs. 2 vorsieht - keine Verhandlung verlangt hatte und die medizinischen und persönlichen Aspekte des Streites sie zweifellos auf die Anwesenheit von Publikum verzichten liessen, die Beschwerde keine Fragen von öffentlichem Interesse berührte, der Rechtsstreit hochtechnischer Art war, weshalb dessen Behandlung mittels Schriftenwechsels vorteilhafter war als mittels mündlicher Plädoyers, und weil insbesondere im Bereich des Sozialversicherungsrechts auch die Gebote der Effizienz und der Verfahrensökonomie und damit verbunden das Erfordernis der Entscheidung innert angemessener Frist (
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
) gebührend zu beachten seien (vgl. auch
BGE 120 V 8
Erw. 3c,
BGE 119 V 380
f. Erw. 4b/cc und b/dd).
e) Aufgrund dieser Erwägungen des EGMR erkannte das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 119 V 375
, bestätigt in
BGE 120 V 1
, dass im
BGE 122 V 47 S. 53
Bereich der Sozialversicherungsrechtspflege für die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich ein ausdrücklicher oder konkludenter Antrag erforderlich sei, sofern nicht wichtige öffentliche Interessen eine öffentliche Verhandlung gebieten. Auch bei Vorliegen eines entsprechenden Antrags sei indessen zu prüfen, ob aufgrund der vom EGMR im Urteil Schuler-Zgraggen vom 24. Juni 1993 aufgestellten Kriterien von einer öffentlichen Verhandlung abzusehen sei; dabei fielen namentlich die Gesichtspunkte der besseren Eignung des schriftlichen Verfahrens bei hochtechnischen Fragen und die im Sozialversicherungsprozess gebotene Einfachheit und Raschheit des Verfahrens (vgl. etwa
Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG
,
Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG
,
Art. 73 Abs. 2 BVG
) ins Gewicht. Im Bereich der Sozialversicherungsrechtspflege würde die systematische Durchführung von öffentlichen Verhandlungen der angestrebten Raschheit des Verfahrens zuwiderlaufen; letzterem Gesichtspunkt sei insbesondere bei offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Beschwerden (vgl.
Art. 36a OG
) Rechnung zu tragen (
BGE 120 V 8
Erw. 3d,
BGE 119 V 381
f. Erw. 4b/dd).
f) Mit der in
BGE 120 V 1
und
BGE 119 V 375
publizierten Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts hat sich die Lehre verschiedentlich kritisch auseinandergesetzt.
So bezweifelt Rhinow, ob
BGE 119 V 375
einer Beurteilung durch den EGMR standhalten würde, nachdem in jenem Fall auf eine öffentliche Verhandlung nicht nur nicht (stillschweigend) verzichtet, sondern eine solche sogar ausdrücklich verlangt worden war, davon aber unter Hinweis auf die offensichtliche Unbegründetheit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgesehen wurde (RHINOW, Öffentliches Prozessrecht, Basel und Frankfurt/Main 1994, S. 282, Rz. 1349). ZIMMERLI vertritt die Auffassung,
BGE 119 V 375
gehe über das Urteil des EGMR i.S. Schuler-Zgraggen hinaus, indem es auch dem Bürger, der nicht verzichten will, eine öffentliche Verhandlung verweigert und dies zumindest teilweise mit dem vorweggenommenen negativen Urteil in der Sache selbst begründet (ZIMMERLI, a.a.O., S. 64). Nach HANGARTNER erlaubt das Kriterium der wünschbaren Raschheit des Verfahrens nicht, in der Grosszahl der sozialversicherungsrechtlichen Fälle den Anspruch auf Öffentlichkeit der Verhandlungen abzulehnen; kaum angängig sei es auch, den Anspruch in sogenannt offensichtlich unbegründeten, aber nicht querulatorischen Fällen abzulehnen; ob die Beschwerde begründet sei, müsse ja gerade im Verfahren nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
beurteilt werden (HANGARTNER, in: AJP 1994 S. 787 f.
BGE 122 V 47 S. 54
Ziff. 14). Laut KLEY-STRULLER geht die Verweigerung der Öffentlichkeit der Verhandlungen durch das Eidg. Versicherungsgericht weit; die Konventionsorgane würden in einem weiteren Verfahren die Aushöhlung von
Art. 6 EMRK
nicht sanktionieren; das Eidg. Versicherungsgericht versuche, die Ausdehnung des Anwendungsbereiches von
Art. 6 EMRK
mit einer Entleerung der Verfahrensgarantien zu kompensieren (KLEY-STRULLER, in: AJP 1994 S. 1192 Ziff. 5; ähnlich, wenn auch abgeschwächt: STEINMANN, EuGRZ 1994 S. 173). FRÉSARD weist darauf hin, dass sich der Schluss des Eidg. Versicherungsgerichts, selbst bei fehlendem Verzicht könne die Durchführung einer Verhandlung verweigert werden, nicht direkt aus dem Urteil des EGMR i.S. Schuler-Zgraggen ergebe (FRÉSARD, L'applicabilité de l'art. 6 § 1 CEDH au contentieux de l'assurance sociale et ses conséquences sous l'angle du principe de la publicité des débats, in: SVZ 1994 S. 196 Ziff. 4.3). Auch gibt er zu bedenken, dass das Urteil des EGMR i.S. Schuler-Zgraggen hinsichtlich der Durchführung öffentlicher Verhandlungen keine nennenswerten Auswirkungen haben werde, wenn die hohe Technizität der Materie, verstanden im Sinne der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts, für sich allein Grund für die Ablehnung einer öffentlichen Verhandlung darstellt (FRÉSARD, a.a.O., S. 197 Ziff. 4.4). HERZOG bezeichnet die Interpretation des Urteils des EGMR i.S. Schuler-Zgraggen durch das Eidg. Versicherungsgericht als zu weitgehend und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verletzend (HERZOG,
Art. 6 EMRK
und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 345).
g) Inwieweit diese Kritik berechtigt ist, braucht an dieser Stelle nicht abschliessend beurteilt zu werden, weil die zurückhaltende Rechtsprechung hinsichtlich der Durchführung öffentlicher Verhandlungen vor dem Eidg. Versicherungsgericht nicht ohne weiteres auf das erstinstanzliche Rechtsmittelverfahren übertragen werden kann (so auch WOHLFART, Anforderungen der
Art. 6 Abs. 1 EMRK
und
Art. 98a OG
an die kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetze, in: AJP 1995 S. 1434).
3.
Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts ist die von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
geforderte Öffentlichkeit der Verhandlung - in Übereinstimmung mit der Praxis der Konventionsorgane - primär im erstinstanzlichen Rechtsmittelverfahren zu gewährleisten (
BGE 120 V 7
Erw. 3a in fine,
BGE 119 V 380
Erw. 4b/aa in fine, vgl. auch
BGE 121 I 40
f. Erw. 6a; ZBl 1995 S. 92 Erw. 3d-h; HAEFLIGER, a.a.O., S. 153 unten; WOHLFART, a.a.O., S. 1432). Die Normen des Bundesrechts wie jene von
Art. 85 Abs. 2
BGE 122 V 47 S. 55
lit. e AHVG
oder
Art. 108 Abs. 1 lit. e UVG
müssen dementsprechend konventionskonform ausgelegt werden (Erw. 2b;
BGE 120 V 7
Erw. 3b; MEYER-BLASER, Der Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das schweizerische Sozialversicherungsrecht, in: ZSR 1994 I. Halbband S. 406). Insbesondere fragt sich dabei, ob und unter welchen Voraussetzungen im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren von einer öffentlichen Verhandlung auch dann abgesehen werden kann, wenn eine solche ausdrücklich verlangt worden ist.
a) Die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sozialversicherungsprozess setzt nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts grundsätzlich einen - im erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden - Parteiantrag voraus (
BGE 120 V 8
Erw. 3d,
BGE 119 V 381
Erw. 3b/dd, je mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 121 I 38
Erw. 5f). Fehlt es an einem solchen, lässt sich in der Regel gegen ein ausschliesslich schriftliches Verfahren nichts einwenden, es sei denn, wesentliche öffentliche Interessen würden eine mündliche Verhandlung gebieten (a.M. WOHLFART, a.a.O., S. 1434). Insbesondere in Verfahren, die nach der Praxis des betroffenen Kantons üblicherweise ausschliesslich in Schriftform durchgeführt werden, muss sich die Partei, die eine öffentliche Verhandlung wünscht, der Notwendigkeit eines entsprechenden Antrags bewusst sein, weshalb dessen Fehlen als Verzicht zu werten ist (vgl. auch
BGE 121 I 40
f. Erw. 6a,
BGE 119 Ib 329
ff. Erw. 6c-e).
Der Antrag auf öffentliche Verhandlung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
muss klar und unmissverständlich vorliegen. Verlangt eine Partei beispielsweise lediglich eine persönliche Anhörung oder Befragung, ein Parteiverhör, eine Zeugeneinvernahme oder einen Augenschein, liegt bloss ein Beweisantrag vor, aufgrund dessen noch nicht auf den Wunsch auf eine konventionskonforme Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit zu schliessen ist (vgl. dazu
BGE 119 Ib 331
ff. Erw. 7; ZBl 1995 S. 94 Erw. 3g). Eine öffentliche Hauptverhandlung erscheint denn auch erst in einem späteren Prozessstadium, in der Regel kurz vor oder gar nach Abschluss des Beweisaufnahmeverfahrens, als sinnvoll, da vorher kaum genügend Grundlagen für eine sachgerechte Verhandlung vorliegen, welche das Gericht zu einer zuverlässigen verfahrensabschliessenden Beurteilung führen könnte.
b) Angesichts der durch die Konvention klar gewährleisteten Garantie ist anderseits aber davon auszugehen, dass die kantonale Rechtsmittelinstanz grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung anzuordnen hat, wenn eine solche
BGE 122 V 47 S. 56
in einem im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
zivilrechtlichen Prozess ausdrücklich oder zumindest konkludent beantragt worden ist (vgl.
BGE 121 I 39
Erw. 5i,
BGE 121 II 27
f. Erw. 4c und d). Nur ausnahmsweise kann es sich in solchen Fällen rechtfertigen, davon abzusehen.
aa) Als Ausnahmegründe fallen dabei in erster Linie die im zweiten Satz von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
aufgezählten Umstände in Betracht (Erw. 2c in fine).
bb) Weiter ist zu beachten, dass der Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung frühzeitig gestellt werden muss. Nur so bleibt der geforderte einfache und rasche Verfahrensablauf gewährleistet. Versäumt eine Partei die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs auf öffentliche Verhandlung, hat dieser deshalb grundsätzlich als verwirkt zu gelten. Eine erst in einem späteren Prozessstadium anbegehrte öffentliche Verhandlung lässt sich mit dem Grundsatz von Treu und Glauben kaum vereinbaren. In diesem Sinne hat es auch das Eidg. Versicherungsgericht abgelehnt, einer ausserhalb des ordentlichen Schriftenwechsels erfolgten Antragstellung Folge zu leisten (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 4. September 1995; vgl. auch
BGE 121 I 38
Erw. 5f und 41 Erw. 6a; ZBl 1995 S. 92 ff. Erw. 3d-f, je mit Hinweisen).
cc) Der Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot des Rechtsmissbrauchs können die Ablehnung eines Antrags auf öffentliche Verhandlung auch noch unter einem andern Aspekt rechtfertigen. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder gar rechtsmissbräuchlich ist (vgl. EGLI, La protection de la bonne foi dans le procès, in: BOLLA/ROUILLER (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, Zürich 1992, S. 239 f.).
dd) Gegen die Ablehnung einer beantragten öffentlichen Verhandlung lässt sich in der Regel auch nichts einwenden, wenn sich ohne eine solche mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist (a.M. HANGARTNER, in: AJP 1995 S. 647 Ziff. 14).
Keine Probleme ergeben sich diesbezüglich, wenn formelle Eintretensvoraussetzungen nicht erfüllt sind, etwa weil die Rechtsmittelfrist eindeutig versäumt wurde oder wenn die Rechtsschrift allfälligen unabdingbaren Formerfordernissen nicht genügt. In solchen
BGE 122 V 47 S. 57
Fällen kann ohne weiteres auf Nichteintreten wegen offensichtlicher Unzulässigkeit erkannt werden, weshalb sich eine mündliche Verhandlung über die materiellrechtliche Streitsache zum vornherein erübrigt.
Etwas problematischer erscheint die Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung demgegenüber wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Beschwerde, weil damit bereits über die Streitsache entschieden wird, welche Gegenstand einer allfälligen Verhandlung bilden würde. Immerhin sind aber auch hier Fälle denkbar, in welchen von einer öffentlichen Verhandlung zum vornherein keine Auswirkungen auf den zu fällenden Entscheid erwartet werden können und deren Anordnung deshalb im Hinblick auf die gebotene Verfahrensökonomie ohne Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
unterbleiben kann. Sicher trifft dies zu, wenn die Beschwerdeführung als mutwillig oder rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen ist. Auch wenn ein überzeugend begründeter Verwaltungsakt mit nicht sachbezogenen Argumenten angefochten wird oder die erhobenen Einwände - selbst wenn sie an sich zutreffen würden - mangels Relevanz für die zu beurteilende Streitfrage am Ergebnis nichts zu ändern vermögen, kann von einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden. Dasselbe gilt, wenn ein vom Gesetz gar nicht vorgesehener Anspruch geltend gemacht wird oder wenn einzig eine Rechtsfrage zur Diskussion steht, deren Antwort sich bereits klar aus der veröffentlichten Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts oder des Schweizerischen Bundesgerichts ergibt. In solchen Fällen ist die Beschwerde im erstinstanzlichen Verfahren zum vornherein als aussichtslos zu qualifizieren, weshalb sich auch im Hinblick auf die von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewährleistete Verfahrensgarantie nicht beanstanden lässt, wenn der kantonale Richter den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ablehnt (vgl. auch VILLIGER, Probleme der Anwendung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf verwaltungs- und sozialgerichtliche Verfahren, in: AJP 1995 S. 168).
ee) Als weiteres Motiv für die Verweigerung einer beantragten öffentlichen Verhandlung fällt die hohe Technizität der zur Diskussion stehenden Materie in Betracht (a.M. HANGARTNER, in: AJP 1995 S. 647 Ziff. 14). Dieses Argument darf indessen nicht dazu führen, dass in sozialversicherungsrechtlichen Prozessen generell von öffentlichen Verhandlungen Abstand genommen wird. Zwar gibt es in diesem Rechtsgebiet zahlreiche Streitsachen, welche sich wegen ihrer Komplexität und Unübersichtlichkeit kaum für eine mündliche Verhandlung eignen und sich praktisch auch nur in Schriftform verständlich
BGE 122 V 47 S. 58
darstellen lassen. Zu denken ist dabei etwa an rein rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme. Andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen materiell- oder verfahrensrechtlicher Natur wie etwa die Würdigung medizinischer Gutachten fallen jedoch in der Regel nicht darunter.
ff) Schliesslich kann der kantonale Richter von einer öffentlichen Verhandlung absehen, wenn er auch ohne eine solche allein aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen Rechtsbegehren der bezüglich der Verhandlung antragstellenden Partei zu entsprechen ist. In einer solchen Situation verdient die Forderung nach einer Verhandlung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
- unter Vorbehalt gewichtiger öffentlicher Interessen - keinen Rechtsschutz, weshalb es dem erstinstanzlichen Gericht nicht verwehrt sein kann, von einem nachträglichen Verzicht auf die zunächst beantragte öffentliche Verhandlung auszugehen (vgl. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, § 22 Rz. 438).
4.
Aufgrund dieser Kriterien ist zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung im kantonalen Verfahren zusteht.
a) In der der Vorinstanz eingereichten Beschwerde wird ausdrücklich und unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 24. Juni 1993 i.S. Schuler-Zgraggen darauf hingewiesen, dass es sich bei den geltend gemachten Ansprüchen um zivilrechtliche Ansprüche im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
handle, weshalb im gerichtlichen Verfahren die in dieser Norm statuierten Verfahrensgarantien zu beachten seien. Im einzelnen wird festgehalten, dass darunter - wie vom Europäischen Gerichtshof bestätigt - auch der Anspruch auf ein öffentliches Verfahren falle, soweit darauf nicht verzichtet werde.
Angesichts dieser Ausführungen in der Beschwerdeschrift kann keine Rede von einem eindeutigen Verzicht auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung sein. Vielmehr muss daraus geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer an einer solchen ausdrücklich interessiert war und sie deshalb zumindest sinngemäss auch beantragt hat. Insoweit konnte seine Absicht nicht missverstanden werden, weshalb ihm denn - entgegen der Argumentation der SUVA im vorliegenden Verfahren - auch nicht vorgeworfen werden kann, die fragliche Verhandlung gar nicht verlangt zu haben.
b) Die Vorinstanz hätte deshalb näher prüfen müssen, ob Gründe vorlagen, welche ein Absehen von der vom Beschwerdeführer verlangten öffentlichen Verhandlung hätten rechtfertigen lassen. Ihre dem angefochtenen Entscheid
BGE 122 V 47 S. 59
zu entnehmende Begründung, wonach die vorhandenen medizinischen Unterlagen eine schlüssige Beurteilung der streitigen Fragen zuliessen, vermag für die Verweigerung der durch die EMRK garantierten Öffentlichkeit der Verhandlung jedenfalls nicht zu genügen.
c) Die vorliegende Streitigkeit dreht sich im wesentlichen um die Fragen, ob der Beschwerdeführer aufgrund von mit den versicherten Unfällen zusammenhängenden Beschwerden somatischer oder psychischer Natur über den 1. Juni 1992 hinaus medizinischer Behandlung bedurfte und ihm deshalb weiterhin Taggelder zustanden oder ob er die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Invalidenrente und einer Integritätsentschädigung erfüllte. Dabei handelt es sich um Fragen, für deren Beantwortung weitgehend auf die medizinischen Berichte abzustellen ist. Die diesbezüglich vorhandenen Unterlagen müssen einer eingehenden Würdigung unterzogen werden, wobei es für das Ergebnis wesentlich auf die Gewichtung der einzelnen ärztlichen Stellungnahmen ankommt. Solange es in einer allfälligen Verhandlung einzig um die Auseinandersetzung mit den vorhandenen ärztlichen Äusserungen und nicht um das Einbringen neuer medizinischer Tatsachen geht, kann nicht von einer besseren Eignung des schriftlichen Verfahrens gesprochen werden. Diese für das Sozialversicherungsrecht typische Thematik lässt sich nicht als "hochtechnisch" im Sinne der Rechtsprechung des EGMR bezeichnen. Auch kann nicht gesagt werden, dass unter solchen Umständen eine zuverlässige Urteilsfindung eher in einem ausschliesslich schriftlichen Verfahren gewährleistet wäre und von einer - nach erfolgtem Schriftenwechsel - zusätzlich durchgeführten mündlichen Verhandlung zum vornherein keine neuen Erkenntnisse zu erwarten wären. Tatsächlich erscheint gerade in solchen Fällen eine mündliche Verhandlung als geeignet, zur Klärung allfälliger noch streitiger Punkte beizutragen. Auch wäre im konkreten Fall von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung keine ernsthafte Gefahr für die im Sozialversicherungsprozess gebotene Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zu erwarten gewesen. Gründe, welche dennoch gegen eine öffentliche Verhandlung sprechen, sind nicht ersichtlich und werden denn auch weder von der Vorinstanz noch von der Beschwerdegegnerin namhaft gemacht. Indem das kantonale Gericht unter diesen Umständen von der beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen hat, wurde dieser in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht hinreichend Rechnung getragen.
BGE 122 V 47 S. 60
d) Somit erweist es sich als unumgänglich, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den festgestellten Verfahrensmangel behebt und die vom Beschwerdeführer verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Da sie demnach erneut über die Sache befinden muss, wird sie unter Berücksichtigung der weiteren Parteivorbringen auch die allfällige Notwendigkeit der beantragten zusätzlichen Abklärungen nochmals zu prüfen haben und allenfalls die im vorliegenden Verfahren eingereichten neuen medizinischen Berichte in ihre Beweiswürdigung miteinbeziehen.
5.
(Kostenpunkt) | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
745109e5-165e-4423-ad98-a62c022787df | Urteilskopf
103 II 81
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Mai 1977 i.S. A. | Regeste
Beiratschaft (
Art. 395 ZGB
)
Die Beiratschaft kann auch persönliche Fürsorge umfassen, doch darf die körperliche und psychische Gesundheit nicht alleiniges Schutzobjekt sein. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 103 II 81 S. 81
Gestützt auf einen Beschluss des Bezirksrates W. steht der Geschäftsmann A. seit dem 10. August 1972 unter Beiratschaft gemäss
Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB
. Grundlage jenes Entscheides bildeten ein psychiatrisches Gutachten von Dr. med. B. vom 15. Februar 1971, das im Zusammenhang mit dem Scheidungsprozess der Eheleute A. eingeholt worden war, und ein von der Vormundschaftsbehörde veranlasster Ergänzungsbericht des Stadtärztlichen Dienstes X. vom 15. Juni 1971. Am 29. Januar 1975 stellte A. ein Gesuch um Aufhebung der vormundschaftlichen Massnahme, das jedoch vom Bezirksrat am 12. Februar 1976 abgewiesen wurde.
Die kantonale Justizdirektion bestätigte diesen Entscheid mit Verfügung vom 22. November 1976.
Hiegegen liess A. sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde erheben. Letztere wurde am 28. Februar 1977 abgewiesen, soweit darauf hatte eingetreten werden können.
BGE 103 II 81 S. 82
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Jede vormundschaftliche Massnahme ist aufzuheben, sobald der Grund ihrer Anordnung entfallen ist (Art. 433 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 397 Abs. 1 ZGB
). War sie wegen einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche errichtet worden, muss durch ein psychiatrisches Gutachten festgestellt worden sein, dass der Bevormundungs-, Verbeiständungs- oder Verbeiratungsgrund nicht mehr bestehe (
Art. 436 ZGB
).
Der Anordnung der Beiratschaft über den Berufungskläger lag ein von den beigezogenen Fachärzten diagnostiziertes körperliches Gebrechen (teilweise Zerstörung von Hirnsubstanz) zugrunde, das die Gutachter in seinen Auswirkungen praktisch einer Geisteskrankheit gleichsetzten. Mit den Sachverständigen, die überdies auf eine nihilistisch-destruktive Grundtendenz hingewiesen hatten, gelangte der Bezirksrat zum Schluss, der Berufungskläger sei zu einer erspriesslichen Mitarbeit in der Geschäftsleitung des von ihm aufgebauten Unternehmens, der heutigen C. AG, nicht mehr imstande. Er hielt eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit für notwendig, da sonst Erhaltung und Entwicklung der Gesellschaft, welche die Existenzgrundlage des Berufungsklägers bilde, gefährdet seien. Weil nach seiner Ansicht keine derart umfassende Schutzbedürftigkeit bestand, wie sie die Vormundschaft voraussetzt, ordnete der Bezirksrat eine kombinierte Beiratschaft an.
Bei der Beurteilung des Aufhebungsgesuches stützt sich die Justizdirektion auf ein Gutachten der Psychiatrischen Poliklinik des Kantonsspitals X. vom 19. Juni 1975 und auf deren ergänzenden Bericht vom 23. April 1976, welche sie in allen Teilen für schlüssig hält. Den Expertisen ist zu entnehmen, dass A. nach wie vor an den Folgen einer Gefässerkrankung des Gehirns leide, wobei immerhin eine Beruhigung des psychischen Befindens eingetreten sei. Der Sachverständige erachtet es jedoch für notwendig, den Berufungskläger weiterhin von einer Einflussnahme auf die Geschicke der C. AG fernzuhalten, da er angesichts seiner eingeschränkten Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie seiner noch immer affektbetonten Einstellung (namentlich seiner früheren, in der Geschäftsleitung
BGE 103 II 81 S. 83
mitwirkenden Ehefrau gegenüber) durch eine aktive Mitarbeit überfordert wäre. Die Vorinstanz, die annimmt, A. würde nach einer Aufhebung der Beiratschaft alles daran setzen, wieder massgeblich an der Leitung des Unternehmens teilhaben zu können, leitet daraus ab, dass die Gutheissung des Gesuches einer Entwicklung den Weg ebnen würde, die seinem persönlichen Wohl ausgesprochen abträglich wäre. Sie ist der Ansicht, die Beruhigung, die dank der Auswirkungen der vormundschaftlichen Massnahme eingetreten sei, geriete derart stark in Gefahr, dass deren Aufhebung nicht verantwortet werden könne. Dagegen räumt sie ein, dass der Berufungskläger selbst dann, wenn er die C. AG zugrunde richten wollte, sich (offenbar in Anbetracht des Vermögens, das er inzwischen von seiner Mutter geerbt haben soll) nicht mehr in finanzielle Not bringen könnte. Dass er nicht in der Lage wäre, sein privates, ausserhalb der Gesellschaft liegendes Vermögen zu verwalten, ohne seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden, nimmt die Vorinstanz zu Recht nicht an, zumal nach Ansicht des Sachverständigen nicht von vornherein die Vermutung besteht, A. könnte in diesem Bereich unzweckmässige Dispositionen treffen. Es geht ihr mit der Aufrechterhaltung der Beiratschaft demnach einzig darum, die Gesundheit des Berufungsklägers zu schützen, was sie denn auch ausdrücklich festhält.
Ob aus den Ausführungen des Psychiaters tatsächlich auf eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit von A. für den Fall der Aufhebung der vormundschaftlichen Massnahme zu schliessen sei, mag dahingestellt bleiben. Denn eine Schutzbedürftigkeit, die sich nicht auch und vor allem auf die wirtschaftlichen Interessen bezieht, reicht für eine Beiratschaft von vornherein nicht aus (vgl.
BGE 96 II 373
). Diese hat nur dort Platz, wo eine Person ohne Beschränkung der Handlungsfähigkeit ihre wirtschaftliche Existenz und allenfalls diejenige von Angehörigen, für die sie aufzukommen hat, ernstlich gefährden würde, für die Entmündigung jedoch kein genügender Grund vorliegt (
BGE 89 II 179
E. 2;
BGE 88 II 249
/50 E. 2). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts bedeutet dies freilich nicht, dass die Beiratschaft nicht auch persönliche Fürsorge umfassen könnte (
BGE 96 II 374
), doch darf die körperliche und psychische Gesundheit nicht alleiniges Schutzobjekt sein.
BGE 103 II 81 S. 84
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, die Verfügung der kantonalen Justizdirektion vom 22. November 1976 aufgehoben und dem Gesuch um Aufhebung der Beiratschaft entsprochen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
745511e0-c642-4a0e-9324-3ec0f2a00ddc | Urteilskopf
114 II 418
80. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1988 i.S. X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Teilung der Erbschaft; Mitwirkung der Behörde (
Art. 609 Abs. 2 ZGB
).
Der Art. 86 des appenzell-ausserrhodischen Gesetzes vom 27. April 1969 über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches ist insofern mit dem im Zivilgesetzbuch verankerten Grundsatz der freien vertraglichen Erbteilung, insbesondere mit
Art. 634 Abs. 1 ZGB
, nicht vereinbar, als er bestimmt, dass jede Erbteilung unter der Aufsicht und Mitwirkung der Erbteilungskommission stattfinde. | Sachverhalt
ab Seite 418
BGE 114 II 418 S. 418
Der am 14. Juni 1986 verstorbene A. hatte Rechtsanwalt X. zu seinem Willensvollstrecker eingesetzt. Dieser hat den Auftrag angenommen. Mit Schreiben vom 17. Juli 1986 forderte die Gemeindekanzlei Z. Rechtsanwalt X. unter anderem auf, nach erfolgter Erbteilung zwei Exemplare des Teilungsvertrages "zur Genehmigung und Berechnung der Erbschaftssteuern" einzureichen. Rechtsanwalt X. stellte sich auf den Standpunkt, die Einsetzung eines Willensvollstreckers schliesse die Mitwirkung der Teilungsbehörde aus. In einer formellen Verfügung vom 6. November 1987 bestätigte hierauf die Erbteilungskommission Z. die Aufforderung
BGE 114 II 418 S. 419
vom 17. Juli 1986. Den von Rechtsanwalt X. hiergegen erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat von Appenzell A.Rh. durch Beschluss vom 9. August 1988 ab.
Mit Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht stellt Rechtsanwalt X. das Begehren, er sei in Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheids von der Verpflichtung zur Einreichung des Teilungsvertrages zu befreien.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Seinen Entscheid stützt der Regierungsrat auf Art. 86 des appenzell-ausserrhodischen Gesetzes vom 27. April 1969 über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, wonach jede Erbteilung unter der Aufsicht und Mitwirkung der Erbteilungskommission stattfindet. Er ist der Ansicht, dass der Erbteilungsvertrag auch bei Einsetzung eines Willensvollstreckers zur Genehmigung einzureichen sei. Bei Erlass des Einführungsgesetzes sei der mögliche Konflikt mit dem im Schweizerischen Zivilgesetzbuch niedergelegten Grundsatz der freien vertraglichen Erbteilung erkannt worden; dennoch habe man aber am Obligatorium der amtlichen Teilung festgehalten. Der Regierungsrat weist auf die guten Erfahrungen hin, die mit dem alten Recht, das Erbschaftsprozesse zur Seltenheit habe werden lassen, gemacht worden seien. Im übrigen ist die kantonale Instanz der Auffassung, aus Lehre und Rechtsprechung ergebe sich nicht eindeutig, dass Art. 86 EGzZGB bundesrechtswidrig sei. Der Umstand, dass das Einführungsgesetz von 1969 vom Bundesrat genehmigt worden sei, spreche gegen eine Bundesrechtswidrigkeit. Unter den gegebenen Umständen sei der klare Wortlaut des kantonalen Rechts vorzuziehen und die klare, seit Jahrzehnten unangefochtene Praxis der ausserrhodischen Erbteilungskommissionen zu schützen.
2.
a) Das Zivilgesetzbuch wird vom Grundsatz der freien vertraglichen Erbteilung beherrscht (vgl.
Art. 607 Abs. 2 und
Art. 634 Abs. 1 ZGB
). Im Sinne einer Ausnahme sieht
Art. 609 Abs. 1 ZGB
die Mitwirkung der Behörde vor, wenn ein Gläubiger, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat oder der gegen diesen Erben Verlustscheine besitzt, es verlangt. Daneben bleibt es dem kantonalen Recht vorbehalten, für weitere Fälle eine amtliche Mitwirkung bei der Teilung vorzusehen (
Art. 609 Abs. 2 ZGB
).
BGE 114 II 418 S. 420
b) Die amtliche Mitwirkung nach kantonalem Recht besteht im wesentlichen darin, das Teilungsverfahren zu leiten und den Entwurf eines Teilungsvertrages vorzulegen. Anlass für das behördliche Eingreifen kann etwa sein, dass ein Erbe einen entsprechenden Antrag stellt oder handlungsunfähig oder unbekannten Aufenthalts ist (wobei in den beiden letzten Fällen vormundschaftliche Massnahmen zu treffen sind).
Die kantonalen Vorschriften betreffend die amtliche Mitwirkung bei der Erbteilung dürfen das das Zivilgesetzbuch beherrschende Prinzip der freien privaten Teilung nicht beeinträchtigen. Namentlich ist es unzulässig, die Verbindlichkeit eines von allen Erben angenommenen und unterzeichneten Teilungsvertrages von der Genehmigung durch die Teilungsbehörde abhängig zu machen (vgl.
BGE 62 II 130
E. 1;
BGE 60 II 22
;
BGE 51 II 488
ff., insbesondere 492; ESCHER, N. 1 ff. und 22 f. zu
Art. 609 ZGB
; TUOR/PICENONI, N. 21 f. zu
Art. 609 ZGB
; PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Band IV/2, S. 852).
3.
a) Die allgemeine Genehmigungspflicht, wie sie das Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch von Appenzell A.Rh. vorsieht, ist mit
Art. 634 Abs. 1 ZGB
, wonach die Teilung mit dem Abschluss des Teilungsvertrages für die Erben verbindlich wird, nicht vereinbar. Dass der Bundesrat das kantonale Gesetz genehmigt hat, vermag daran nichts zu ändern. Ob die erwähnte Unvereinbarkeit dort erst recht gegeben ist, wo der Erblasser einen Willensvollstrecker eingesetzt hat, dem nach Gesetz (
Art. 518 Abs. 2 ZGB
) unter anderem die Durchführung der Teilung "nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes" übertragen ist, mag dahingestellt bleiben (zu dieser Frage vgl. ESCHER, N. 23 zu
Art. 609 ZGB
; TUOR/PICENONI, N. 23 zu
Art. 609 ZGB
; PIOTET, a.a.O., S. 852).
b) Umstände, die im Interesse eines oder mehrerer Erben die Mitwirkung der Behörde nötig gemacht hätten, sind im vorliegenden Fall nicht dargetan. Insbesondere wurden keine Zweifel an einer ordnungsgemässen Durchführung der Teilung geäussert. Nach dem Gesagten sind deshalb in Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde der regierungsrätliche Beschluss vom 9. August 1988 und die durch diesen bestätigte Verpflichtung des Beschwerdeführers, der Erbteilungskommission den Teilungsakt zur Genehmigung einzureichen, aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7460ed20-6d04-4447-82c9-43ea04f054d4 | Urteilskopf
134 IV 17
2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_131/2007 vom 22. November 2007 | Regeste a
Strafzumessung (
Art. 47 StGB
) bei qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
).
Fall einer Täterin, die knapp 1 Kilogramm Kokain (Reinheitsgrad ca. 55 % bzw. 60 %) entgegennahm, um es auf Provisionsbasis zu veräussern, und welche im Zeitpunkt ihrer Festnahme 22 Gramm reines Kokain verkauft hatte. Eine Freiheitsstrafe von 27 Monaten ist auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Täterin mit den erhofften Einkünften die medizinische Behandlung ihres älteren Sohnes finanzieren wollte, nicht unhaltbar hoch (E. 2).
Regeste b
Berücksichtigung der Obergrenzen für den bedingten und den teilbedingten Vollzug (
Art. 42 Abs. 1,
Art. 43 Abs. 1 StGB
); Begründungspflicht (
Art. 50 StGB
).
Führt die Strafzumessung unter Würdigung aller wesentlichen Umstände, zu welchen auch die Wirkung der Strafe und ihres Vollzugs auf das Leben des Täters gehört, zu einer Freiheitsstrafe, die im Bereich des gesetzlichen Grenzwerts für den bedingten beziehungsweise teilbedingten Vollzug liegt, so hat sich der Richter zu fragen, ob eine Freiheitsstrafe, welche die Grenze nicht überschreitet, noch innerhalb des Ermessensspielraums liegt. Bejaht er die Frage, hat er die Strafe in dieser Höhe festzulegen. Verneint er sie, ist es zulässig, auch eine nur unwesentlich über der Grenze liegende Freiheitsstrafe auszufällen. Es bleibt kein Raum, die neue gesetzliche Grenze auf dem Weg der Gesetzesauslegung wieder zu relativieren. Insoweit kann die in
BGE 118 IV 337
begründete Praxis nicht ins neue Recht übernommen werden. In jedem Fall hat der Richter seinen Entscheid in diesem Punkt ausdrücklich zu begründen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 134 IV 17 S. 18
A.
Ende Januar 2006 übergab X. in ihrer Wohnung in Zürich 22 Gramm reines Kokain gegen einen Barbetrag von Fr. 2'600.- an A. Am folgenden Tag war sie bei ihrer Verhaftung im Besitz von 940 Gramm Kokain (Reinheitsgrad 55 % bzw. 60 %), welches sie wenige Tage zuvor im Hauptbahnhof Zürich von einem Unbekannten übernommen hatte und für diesen gegen eine Provision von maximal Fr. 20'000.- zu verkaufen beabsichtigte.
B.
Das Bezirksgericht Zürich (8. Abteilung) sprach X. am 2. Juni 2006 der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 in Verbindung mit
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
) schuldig und bestrafte sie mit 27 Monaten Gefängnis.
Dagegen erhob X. Berufung mit den Anträgen, sie sei mit einer Freiheitsstrafe von höchstens 24 Monaten zu bestrafen und der
BGE 134 IV 17 S. 19
Vollzug der Freiheitsstrafe sei unter Ansetzung einer angemessenen Probezeit aufzuschieben.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestrafte X. mit Urteil vom 26. Februar 2007 in Anwendung des inzwischen in Kraft getretenen neuen Rechts mit 27 Monaten Freiheitsstrafe. Es schob den Vollzug dieser Strafe im Umfang von 15 Monaten unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren auf. Im übrigen Umfang von 12 Monaten wurde die Strafe als vollziehbar erklärt.
C.
X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2007 sei aufzuheben, sie sei mit einer Freiheitsstrafe von höchstens 24 Monaten zu bestrafen und der Vollzug der Freiheitsstrafe sei unter Ansetzung einer angemessenen Probezeit aufzuschieben. Zudem ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Strafsachen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin wendet sich ausschliesslich gegen die Strafzumessung. Die Vorinstanz hat diese nach neuem Recht vorgenommen, weil es im vorliegenden Fall den teilbedingten Strafvollzug erlaube und damit für die Beschwerdeführerin milder sei. Diese Beurteilung ist zutreffend und wird von der Beschwerdeführerin denn auch nicht beanstandet.
2.1
Der am 1. Januar 2007 in Kraft getretene neue Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches hat die bisher geltenden Strafzumessungsgrundsätze in
Art. 47 Abs. 1 StGB
beibehalten. Danach misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Er berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in
Art. 47 Abs. 2 StGB
dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden.
Es liegt im Ermessen des Sachrichters, in welchem Umfang er die verschiedenen Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts greift auf Beschwerde in
BGE 134 IV 17 S. 20
Strafsachen hin nur in die Strafzumessung ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen beziehungsweise in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (vgl.
BGE 129 IV 6
E. 6.1;
BGE 127 IV 101
E. 2;
BGE 124 IV 286
E. 4a).
Nach
Art. 50 StGB
hat der Richter, sofern er sein Urteil zu begründen hat, die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten. Diese nunmehr gesetzlich festgeschriebene Begründungspflicht entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten Recht, wonach der Richter die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben muss, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe ungewöhnlich hoch oder auffallend milde ist (
BGE 127 IV 101
E. 2c;
BGE 121 IV 49
E. 2a/aa;
BGE 120 IV 136
E. 3a;
BGE 118 IV 337
E. 2a).
2.2
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil die Strafzumessung ausführlich begründet. Sie hat zunächst die objektiven und subjektiven Tatkomponenten gewichtet. Das Tatverschulden sei als erheblich einzustufen. Die Beschwerdeführerin habe die grosse Menge von zirka 1 Kilogramm Kokain entgegengenommen und sei bereit gewesen, diese wegen der in Aussicht stehenden Provision von maximal Fr. 20'000.- weiterzuveräussern. Sie habe die Betäubungsmittelmenge gestreckt und portioniert und sich hiefür eine Waage angeschafft. Sie habe im Zeitpunkt ihrer Verhaftung bereits Kokain für Fr. 2'600.- veräussert. Dass die Beschwerdeführerin die in Aussicht stehende Provision für die ärztliche Behandlung ihres in den USA lebenden älteren Sohnes verwenden wollte, ist gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil nur leicht strafmindernd zu berücksichtigen, da es nicht angehe, zu diesem Zweck durch den Handel mit Betäubungsmitteln die Gesundheit von zahlreichen anderen Menschen zu gefährden. Aufgrund der objektiven und subjektiven Tatkomponenten erscheint der Vorinstanz eine Freiheitsstrafe von 36-39 Monaten angemessen. Die Vorinstanz hat sodann die Täterkomponenten gewichtet. Sie sieht keine aussergewöhnlichen Umstände, welche der Beschwerdeführerin unter dem Titel der Strafempfindlichkeit beziehungsweise der Wirkung der Strafe zu ihren Gunsten anzurechnen wären. Die Verbüssung einer
BGE 134 IV 17 S. 21
Freiheitsstrafe stelle an sich für jeden in ein familiäres oder soziales Umfeld eingebetteten Verurteilten eine gewisse Härte dar. Die Beschwerdeführerin habe im Zeitpunkt ihrer deliktischen Tätigkeit sehr genau gewusst, dass sie für ihren jüngeren Sohn aufzukommen habe, der im Übrigen nicht mehr bei seinem Vater, sondern nunmehr ebenfalls in der Familie ihrer Tochter lebe. Die Vorinstanz gewichtet hingegen die Vorstrafenlosigkeit, das Geständnis und das kooperative Verhalten der Beschwerdeführerin in der Strafuntersuchung insgesamt klar strafmindernd. Unter Berücksichtigung dieser Täterkomponenten erscheint ihr eine Freiheitsstrafe von 28-30 Monaten angemessen. Wegen des Verbots der "reformatio in peius" bestimmt die Vorinstanz die Strafe in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils auf 27 Monate.
2.3
Was die Beschwerdeführerin gegen diese Strafzumessungserwägungen der Vorinstanz vorbringt, überzeugt nicht. Von einem bloss geringen Verschulden kann keine Rede sein. Der Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe mangels Vergleichswerten nicht einschätzen können, wie viele Personen mit der fraglichen Menge Kokain gefährdet werden könnten, ist unbehelflich. Bereits aus der ihr zugesicherten Provision von maximal Fr. 20'000.- konnte sie ersehen, dass es sich um eine grosse Betäubungsmittelmenge und damit auch um ein erhebliches Gefährdungspotential handelte. Dass die Beschwerdeführerin eine relativ untergeordnete Stellung hatte, kann sich nicht weitergehend auf die Verschuldensbewertung auswirken. Die Erwägung der Vorinstanz, von einer "sehr" untergeordneten Funktion könne keine Rede sein, ist nicht zu beanstanden. Die Feststellung der Vorinstanz, die deliktische Tätigkeit habe sich zwar tatsächlich nur über eine kurze Zeit erstreckt, doch sei sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern durch die Verhaftung der Beschwerdeführerin beendet worden, ist vertretbar, zumal die Beschwerdeführerin selbst ausdrücklich erklärt hat, sie hätte auch noch weiteres Kokain verkauft. Dass die Vorinstanz aus der kurzen Dauer der deliktischen Tätigkeit nichts zu Gunsten der Beschwerdeführerin ableitete, ist deshalb nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Vorinstanz den Umstand, dass die Beschwerdeführerin die Tat begangen hat, um die ärztliche Behandlung ihres nierenkranken älteren Sohnes zu finanzieren, aus den im angefochtenen Urteil erwähnten Gründen nur leicht strafmindernd berücksichtigt. Wenn die Vorinstanz aufgrund aller wesentlichen Strafzumessungsfaktoren eine Freiheitsstrafe im Bereich zwischen 28-30 Monaten als angemessen
BGE 134 IV 17 S. 22
erachtete und die Strafe mit Rücksicht auf das Verschlechterungsverbot auf 27 Monate festlegte, hat sie ihr Ermessen nicht überschritten.
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, entgegen der Ansicht der Vorinstanz seien auch nach dem neuen Recht bei der Strafzumessung die Grenzwerte zu berücksichtigen, bei welchen noch der bedingte Strafvollzug (24 Monate) beziehungsweise der teilbedingte Vollzug (36 Monate) möglich sei. Dabei könne allerdings nicht weiterhin nur eine den Grenzwert um höchstens drei Monate übersteigende Strafe auf den Grenzwert herabgesetzt werden. Denn ob eine Strafe den Grenzwert nicht erheblich überschreite, bestimme sich nicht in absoluten Zahlen, sondern in Prozenten des Grenzwerts. Daher könne nicht nur eine Freiheitsstrafe von 27 Monaten, sondern auch noch eine (an sich angemessene) Freiheitsstrafe von 28-29 Monaten auf den Grenzwert von 24 Monaten herabgesetzt werden, bei welchem der vollbedingte Vollzug möglich sei. Selbst eine (an sich angemessene) Freiheitsstrafe von 30 Monaten könne unter diesem Gesichtspunkt auf 24 Monate herabgesetzt werden. Dies dränge sich schon deshalb auf, weil der Richter bei der Strafzumessung zu oft wenig wissenschaftlich und kaum begründet runde Zahlen bevorzuge, weshalb denn auch selten eine Strafe beispielsweise von 29 Monaten ausgefällt werde. Somit sei die von der Vorinstanz in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils ausgefällte Freiheitsstrafe von 27 Monaten ohne weiteres auf 24 Monate herabzusetzen und der Vollzug dieser Strafe unter Ansetzung einer angemessenen Probezeit bedingt aufzuschieben, da die subjektiven Voraussetzungen des bedingten Vollzugs unstreitig erfüllt seien. Dies müsse auch gelten, wenn man eine von der Vorinstanz als angemessen erachtete, aber wegen des Verbots der "reformatio in peius" nicht ausgefällte Freiheitsstrafe von 28-30 Monaten als massgebenden Ausgangspunkt erachten wollte. Eine Freiheitsstrafe von 28 Monaten überschreite den Grenzwert von 24 Monaten im gleichen Prozentsatz wie eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten den altrechtlichen Grenzwert von 18 Monaten.
3.2
Nach der Praxis des Bundesgerichts zum alten Recht war die Grenze von 18 Monaten für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs (Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB) bei der Strafzumessung mit zu berücksichtigen, wenn eine Freiheitsstrafe von nicht erheblich längerer Dauer in Betracht fiel und die Voraussetzungen des bedingten Vollzugs im Übrigen erfüllt waren (
BGE 127 IV 97
E. 3 S. 101;
BGE 118 IV 337
BGE 134 IV 17 S. 23
E. 2c S. 339 ff.). Der Richter hat sich nach dieser Rechtsprechung mit der Frage auseinander zu setzen, ob angesichts der persönlichen Verhältnisse des Schuldigen der Vollzug einer Freiheitsstrafe nicht dem Zweck der Verbrechensverhütung zuwiderlaufe. Bejaht er dies - etwa weil sich der Täter im Urteilszeitpunkt in einer gefestigten beruflichen Stellung befindet und in günstigen familiären Verhältnissen lebt und durch den Strafvollzug aus diesem günstigen Umfeld oder einer vorteilhaften Entwicklung herausgerissen würde und damit entsozialisiert werden könnte -, hat er diesem Umstand gemäss Art. 63 aStGB unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Verhältnisse strafmindernd Rechnung zu tragen (
BGE 118 IV 337
E. 2c S. 340 f. mit Hinweis). Im Nachgang zu diesem Grundsatzentscheid präzisierte das Bundesgericht, es könne dabei allerdings nur um Fälle von Freiheitsstrafen bis zu 21 Monaten gehen (
BGE 127 IV 97
E. 3 S. 101 mit Hinweisen; Urteil 6S.262/2003 vom 19. Oktober 2003, E. 5.3). Damit wurde die gesetzliche Grenze für den bedingten Strafvollzug in bestimmten Fällen im Ergebnis überschritten. Schon früher war jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, es sei Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Möglichkeit des bedingten Strafvollzugs auch für längere Freiheitsstrafen vorsehen will (
BGE 118 IV 337
E. 2c S. 341).
3.3
Diese Möglichkeit besteht nach dem neuen Recht. Nunmehr können Freiheitsstrafen von 6 bis zu 24 Monaten bedingt sowie Freiheitsstrafen von 12 bis zu 36 Monaten teilbedingt ausgesprochen werden (
Art. 42 und 43 StGB
). Bedingte Strafen können mit einer unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse verbunden werden (
Art. 42 Abs. 4 StGB
). Damit wird das System des bedingten Strafvollzugs flexibler und verliert der Grenzwert für den bedingten Vollzug teilweise seine frühere einschneidende Bedeutung, welche der Rechtsprechung zum alten Recht bei Strafen von nicht erheblich mehr als 18 Monaten zu Grunde lag (siehe dazu bereits Urteil 6S.262/2003 vom 19. Oktober 2003, E. 5.3). Ziel der Revision war, mit teilbedingten Strafen im Sinne von
Art. 43 StGB
sowie mit der Strafenkombination nach
Art. 42 Abs. 4 StGB
die Sanktion in erhöhtem Masse zu individualisieren und den Strafvollzug zu entlasten, namentlich dort, wo früher eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt werden musste. Das gilt ohne Einschränkungen für zwei Jahre übersteigende Freiheitsstrafen, wobei die Möglichkeit zur Individualisierung durch die Obergrenze des bedingten Strafvollzugs (
Art. 42 Abs. 1 StGB
) beziehungsweise die Verschuldensklausel (
Art. 43 Abs. 1 StGB
)
BGE 134 IV 17 S. 24
begrenzt wird. Solche Freiheitsstrafen müssen zum Schuldausgleich teilweise vollstreckt werden, selbst wenn ihr vollständiger Aufschub unter spezialpräventiven Gesichtspunkten vorzuziehen wäre (
BGE 134 IV 1
E. 5.4.3 S. 13; Urteile 6B_43/2007 vom 12. November 2007, E. 4.4.3 nicht publ. in
BGE 134 IV 53
; 6B_214/2007 vom 13. November 2007, E. 5.10.3). Bei Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren kommt nur der vollständige Vollzug in Frage. Auch die relativ flexible Regelung im neuen Sanktionensystem sieht somit notwendigerweise objektive und starre Grenzen vor. Der Gesetzgeber hat diese - teils nach eingehendem politischen Ringen - neu festgesetzt in der offenkundigen Meinung, dass damit der Bereich des Vorranges spezialpräventiver Gesichtspunkte klar umschrieben wird. Es bleibt kein Raum, diese Grenzen auf dem Weg der Gesetzesauslegung wieder zu relativieren und entgegen dem klaren Wortlaut einen erweiterten Grenzbereich offen zu halten, um besonderen Anliegen eines Täters entgegenzukommen.
3.4
Damit wird nicht ausgeschlossen, die Folgen einer unbedingten Freiheitsstrafe in die Würdigung mit einzubeziehen. Dies hat im normalen Rahmen der Strafzumessung zu erfolgen.
Art. 47 Abs. 1 StGB
verlangt, bei der Festlegung der Strafe deren Wirkung auf das Leben des Täters zu berücksichtigen. Dass der Verurteilte durch die Verbüssung einer Freiheitsstrafe aus einem günstigen Umfeld herausgerissen wird, kann sich deshalb im einzelnen Fall nach wie vor strafmindernd auswirken und zur Folge haben, dass die auszufällende Strafe unter der schuldangemessenen Strafe liegt. Ob und wie weit dieser Strafminderungsgrund zum Tragen kommt, hängt von den konkreten Umständen ab und ist an sich unabhängig von der Höhe der Strafe.
3.5
Losgelöst davon hat der Richter bei der Strafzumessung angesichts der einschneidenden Konsequenzen des unbedingten Vollzugs den Umstand mit zu berücksichtigen, dass die subjektiven Voraussetzungen des Strafaufschubs im Sinne einer günstigen beziehungsweise nicht ungünstigen Prognose im konkreten Einzelfall an sich erfüllt sind. Diese folgenorientierte Überlegung kann durchaus in die Strafzumessung einfliessen, bei welcher dem Richter ein weites Ermessen zusteht. Liegt die ins Auge gefasste Sanktion in einem Bereich, der die Grenze für den bedingten Vollzug (24 Monate) beziehungsweise für den teilbedingten Vollzug (36 Monate) - wie übrigens auch für die Halbgefangenschaft nach
Art. 77b StGB
(1 Jahr) - mit umfasst, so hat sich der Richter die Frage zu stellen, ob eine
BGE 134 IV 17 S. 25
Strafe, welche die Grenze nicht überschreitet, noch vertretbar ist. Bejaht er sie, hat er diese Strafe zu verhängen. Andernfalls ist es ihm unbenommen, auch eine nur unwesentlich über dem Grenzwert liegende - angemessene und begründbare - Strafe auszufällen. Mit der Festlegung einer Obergrenze hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass der Täter, gegen welchen eine Strafe jenseits dieses Grenzbereichs auszusprechen ist, die nachteiligen Auswirkungen des Strafvollzugs auf sich zu nehmen hat. Dies gilt für den Täter, dessen Strafe nur knapp über der gesetzlichen Obergrenze liegt, genauso wie für denjenigen, welcher eine klar darüber hinausgehende, langjährige Freiheitsstrafe zu verbüssen hat. Die Praxis zum alten Recht hat teilweise dazu verleitet, eine Freiheitsstrafe von 22 oder gar 24 Monaten zu verhängen, obwohl eine kürzere, aber über 18 Monate liegende Strafe auch angemessen gewesen wäre. Dass dies nicht im Interesse des Täters lag, bedarf keiner weiteren Begründung. Erforderlich ist eine Strafzumessung, die alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, wobei der Richter sein pflichtgemässes Ermessen auszuüben und gleichzeitig die klaren gesetzlichen Schranken zu beachten hat.
3.6
Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass die in
BGE 118 IV 337
begründete Praxis nicht ins neue Recht übernommen werden kann. Führt die Strafzumessung unter Würdigung aller wesentlichen Umstände zu einer Freiheitsstrafe, welche im Bereich eines Grenzwertes liegt, hat sich der Richter zu fragen, ob - zugunsten des Beschuldigten - eine Sanktion, welche die Grenze nicht überschreitet, noch innerhalb des Ermessensspielraumes liegt. Bejaht er die Frage, hat er die Strafe in dieser Höhe festzulegen. Verneint er sie, ist es zulässig, auch eine nur unwesentlich über der Grenze liegende Freiheitsstrafe auszufällen. In jedem Fall hat der Richter diesen Entscheid im Urteil ausdrücklich zu begründen, andernfalls er seiner Begründungspflicht nach
Art. 50 StGB
nicht nachkommt.
3.7
Die Vorinstanz führt in ihrem Urteil aus, es bestehe - auch und insbesondere angesichts der neu geschaffenen Möglichkeit des teilbedingten Strafvollzugs - keine Notwendigkeit, die Grenze von 24 Monaten für die Gewährung des vollbedingten Strafvollzugs anzuheben beziehungsweise etwa eine Freiheitsstrafe von 27 Monaten auf 24 Monate herabzusetzen, um der Beschwerdeführerin dadurch den bedingten Strafvollzug zu ermöglichen. Hinzu komme, dass vorliegend ohnehin eine Freiheitsstrafe von etwa 28-30 Monaten schuldangemessen wäre. Die Ausfällung einer Freiheitsstrafe von 27
BGE 134 IV 17 S. 26
Monaten erfolge lediglich mit Rücksicht auf das Verschlechterungsverbot. Auch dies spreche gegen eine weitere Reduktion. Mit diesen Erwägungen hat die Vorinstanz dargelegt, dass eine Freiheitsstrafe von höchstens 24 Monaten, welche den vollbedingten Vollzug ermöglicht, nicht mehr angemessen ist. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
74612219-b26c-4e19-b80c-030344999b9d | Urteilskopf
99 III 12
4. Entscheid vom 27. April 1973 i.S. Ingenieurbüro R. Lampert-Brändli. | Regeste
Beschlagnahmerecht des Konkursamtes
1. Mit der Aufhebung der Betreibungen infolge der Eröffnung des Konkurses über den Schuldner (
Art. 206 SchKG
) werden die hängigen Widerspruchsprozesse gegenstandslos (Erw. 1).
2. Ein Grundstück, das nicht auf den Namen des Gemeinschuldners im Grundbuch eingetragen ist, kann von der Konkursverwaltung nur durch Klage zur Masse gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn es vor der Konkurseröffnung dem Pfändungsbeschlag unterlag. Tragweite von
Art. 199 Abs. 1 SchKG
(Erw. 2).
3. Gegenstände, die sich im Besitze eines Dritten befinden, der daran das Eigentum beansprucht, kann das Konkursamt nicht beschlagnahmen, solange der Richter nicht entschieden hat, dass sie zur Masse gehören (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 99 III 12 S. 13
A.-
In mehreren gegen Otto Strobel angehobenen Betreibungen wurde unter anderem die Liegenschaft Im Roggenacker 11 in Binningen gepfändet, die der Schuldner am 1. März 1968 ehevertraglich auf seine Ehefrau Lilly Strobel übertragen hatte und die auf deren Namen im Grundbuch eingetragen war. Gegen die Eigentumsansprache von Lilly Strobel erhoben verschiedene Gläubiger Widerspruchsklage. Am 8. Februar 1971, kurz vor Abschluss der Widerspruchsprozesse, erklärte sich Otto Strobel im Sinne von
Art. 191 SchKG
als insolvent, und es wurde über ihn der Konkurs eröffnet. Die Konkursverwaltung, das Konkursamt Binningen, trat am 4. August 1972 die Ansprüche der Masse an der Liegenschaft gemäss
Art. 260 SchKG
an vier Gläubiger ab, unter anderem auch an das Ingenieurbüro R. Lampert-Brändli.
Am 30. November 1972 verkaufte Lilly Strobel die Liegenschaft an Peter Loeffler. Zur Deckung allfälliger Grundstückgewinnsteuern hinterlegte sie vom Erlös einen Betrag von Fr. 10'000.-- bei der Bezirksschreiberei Binningen.
BGE 99 III 12 S. 14
Auf Begehren der Abtretungsgläubiger ordnete das Konkursamt Binningen am 1. März 1973 die "vorsorgliche konkursamtliche Beschlagnahme" dieses Depots an.
B.-
Die gegen diese Anordnung des Konkursamtes von Lilly Strobel erhobene Beschwerde wurde von der Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft mit Entscheid vom 2. April 1973 gutgeheissen.
C.-
Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt das Ingenieurbüro R. Lampert-Brändli, der Entscheid der Aufsichtsbehörde sei aufzuheben und das Konkursamt Binningen sei anzuweisen, den von ihm beschlagnahmten Betrag von Fr. 10'000.-- zur Konkursmasse des Otto Strobel zu ziehen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Mit der Eröffnung des Konkurses über Otto Strobel wurden die gegen diesen angehobenen Betreibungen aufgehoben (
Art. 206 SchKG
). Da im Widerspruchsverfahren zwischen den betreibenden Gläubigern und dem Dritten, der das Eigentum an einem gepfändeten Gegenstand beansprucht, lediglich darüber entschieden wird, ob der betreffende Gegenstand in der laufenden Betreibung zugunsten der Gläubiger verwertet werden dürfe oder ob er aus der Pfändung zu entlassen sei (
BGE 84 III 159
,
BGE 84 I 224
,
BGE 64 III 16
,
BGE 59 I 261
,
BGE 58 III 89
,
BGE 44 III 208
), wurden die hängigen Widerspruchsprozesse mit der Aufhebung der Betreibungen gegenstandslos (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 13. Mai 1966 i.S. Notz c. Hirschler, S. 5; JAEGER, N. 5 A zu Art. 107, N. 5 zu Art. 199 und N. 2 zu
Art. 207 SchKG
; BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechts, S. 632; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, II, 2. Aufl. S. 49; FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl. S. 205; STOCKER, SJK 986 S. 10). Wären diese Prozesse übrigens im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits abgeschlossen gewesen, so hätte sich die Rechtskraft der Urteile nicht auf das nachfolgende Konkursverfahren erstreckt (
BGE 92 III 18
,
BGE 86 III 142
mit Hinweisen).
2.
Im Konkurs verfügt nach
Art. 242 SchKG
die Konkursverwaltung über die Herausgabe von Sachen, welche von
BGE 99 III 12 S. 15
einem Dritten als Eigentum angesprochen werden. Hält sie den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem Dritten eine Frist zur Anhebung der Aussonderungsklage an. Dieses Vorgehen ist aber nur dann zulässig, wenn sich die Sache im Gewahrsam der Masse befindet. Ist dies nicht der Fall, so haben die Masse oder gegebenenfalls die Abtretungsgläubiger gemäss
Art. 260 SchKG
gegen den Dritten zu klagen, ohne an eine Frist gebunden zu sein. Beim Streit um Grundstücke darf die Konkursverwaltung nur dann nach
Art. 242 SchKG
vorgehen, wenn der Gemeinschuldner als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Lautet der Grundbucheintrag dagegen auf den Namen des Dritten, so kann das Grundstück nur durch Klage zur Masse gezogen werden (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 13. Mai 1966 i.S. Notz c. Hirschler, S. 5/6;
BGE 93 III 102
/3;
BGE 85 III 50
, 143;
BGE 76 III 12
; JAEGER, N. 3 B zu
Art. 242 SchKG
; BLUMENSTEIN, a.a.O. S. 763; FAVRE, a.a.O. S. 324/325; FRITZSCHE, a.a.O., II, S. 135/136, 138).
Dies gilt auch dann, wenn die umstrittene Sache vor der Konkurseröffnung dem Pfändungsbeschlag unterlag. Zwar fallen nach
Art. 199 Abs. 1 SchKG
gepfändete Vermögensstücke, deren Verwertung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung noch nicht stattgefunden hat, in die Konkursmasse. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass die Masse schlechthin in die Rechte der Pfändungsgläubiger eintrete (
BGE 58 III 60
,
BGE 51 III 140
; BRAND, SJK 999 S. 9; JAEGER-DAENIKER, N. 2 zu
Art. 206 SchKG
). Die Bestimmung will vielmehr lediglich zum Ausdruck bringen, dass mit der Konkurseröffnung das Vorzugsrecht der Pfändungsgläubiger, sich unter Ausschluss der übrigen Gläubiger aus dem gepfändeten Gegenstand bezahlt zu machen, dahinfällt. Sie hat dabei den Normalfall im Auge, dass sich der Gegenstand im Gewahrsam des Gemeinschuldners befindet und unbestrittenermassen zu dessen Vermögen gehört (JAEGER, N. 1 zu
Art. 199 SchKG
). Eine Ausnahme vom erwähnten Grundsatz, dass Sachen, die nicht im Gewahrsam des Gemeinschuldners stehen, bzw. Grundstücke, die nicht auf dessen Namen im Grundbuch eingetragen sind, durch Klage zur Masse gezogen werden müssen, soll damit nicht gemacht werden.
Nicht anders verhält es sich sodann, wenn behauptet wird, der Dritte habe die Sache durch ein anfechtbares Rechtsgeschäft
BGE 99 III 12 S. 16
erworben. Zur Konkursmasse gehört zwar nach
Art. 200 SchKG
alles, was gemäss den
Art. 214 und 285-292 SchKG
Gegenstand der Anfechtungsklage ist. Konkurssubstrat ist aber dabei nicht etwa derjenige Vermögensbestandteil, der durch das anfechtbare Rechtsgeschäft dem Vermögen des Gemeinschuldners entzogen wurde, sondern lediglich der obligatorische Anspruch auf Rückübertragung. Dieser Anspruch ist durch Klage geltend zu machen (BGE 52 III lo; JAEGER, N. 2 zu Art. 200 und N. 3 B zu
Art. 242 SchKG
; BLUMENSTEIN, a.a.O. S. 628; BRAND, SJK 999 S. 10).
Die Gewahrsamsverhältnisse bzw. der Grundbucheintrag sind schliesslich für die Parteirollenverteilung auch dann massgebend, wenn sich die Masse auf
Art. 188 Abs. 1 ZGB
beruft, wonach ein Vermögen, das bisher den Gläubigern des einen Ehegatten haftete, dieser Haftung durch güterrechtliche Auseinandersetzung oder durch Wechsel des Güterstandes nicht entzogen werden kann. Befindet sich daher der entsprechende Vermögensbestandteil im Gewahrsam der Ehefrau, bzw. ist das bis anhin haftende Grundstück auf deren Namen im Grundbuch eingetragen, so haben im Konkurs des Ehemannes die Konkursverwaltung oder gegebenenfalls die Abtretungsgläubiger die Weiterhaftung durch Klage geltend zu machen (LEMP, N. 46 zu
Art. 188 ZGB
; GYGI, Zum Gläubigerschutz bei Wechsel des Güterstandes im Konkursverfahren, ZBJV 1949 S. 166).
3.
Nach
Art. 221 SchKG
hat das Konkursamt die zur Sicherung des zur Konkursmasse gehörenden Vermögens erforderlichen Massnahmen zu treffen. Diese Sicherungsmassnahmen sind in
Art. 223 SchKG
näher umschrieben. Gegen stände, die sich im Besitze eines Dritten befinden, der daran das Eigentum beansprucht, unterliegen jedoch der Beschlagnahme durch das Konkursamt nicht, solange der Richter nicht entschieden hat, dass sie zur Masse gehören (
BGE 90 III 20
,
BGE 86 III 29
,
BGE 73 III 80
,
BGE 52 III 10
,
BGE 50 III 3
; FRITZSCHE, a.a.O., II, S. 107, 110). Das Konkursamt kann den Dritten auch nicht durch ein von ihm erlassenes Verbot an der Verfügung über solche Gegenstände hindern (
BGE 90 III 20
,
BGE 85 III 143
). Besteht die Gefahr, dass der Dritte die Gegenstände veräussert, bevor darüber entschieden ist, ob sie in die Masse fallen, so haben die Konkursverwaltung bzw. die Abtretungsgläubiger die erforderlichen vorsorglichen Massnahmen beim Richter zu erwirken.
BGE 99 III 12 S. 17
4.
Im vorliegenden Fall war bei der Eröffnung des Konkurses über Otto Strobel dessen Ehefrau Lilly Strobel als Eigentümerin des Grundstückes Im Roggenacker 11 im Grundbuch eingetragen. Die Konkursverwaltung konnte daher dieses Grundstück nur durch Klage zur Masse ziehen. Sie konnte der Eigentümerin nicht verbieten, darüber zu verfügen. Nachdem sie die Ansprüche der Masse gegen Lilly Strobel mit Verfügung vom 4. August 1972 im Sinne von
Art. 260 SchKG
an verschiedene Gläubiger abgetreten hatte, war es deren Sache, beim Richter die zur Sicherung ihrer Rechte aus den
Art. 285 ff. SchKG
bzw. 188 ZGB geeigneten Massnahmen, insbesondere die Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung im Sinne von
Art. 960 Ziff. 1 ZGB
, zu erwirken (
BGE 81 III 103
/104; GYGI, a.a.O. S. 167). Die Abtretungsgläubiger unterliessen dies aber, so dass dem Verkauf des Grundstückes an Peter Loeffier, der fast vier Monate nach der Abtretung erfolgte, nichts im Wege stand. Da das Konkursamt das Grundstück nicht beschlagnahmen und dessen Verkauf nicht verhindern konnte, war es noch viel weniger berechtigt, die "konkursamtliche Beschlagnahme" des Erlöses anzuordnen. Der Umstand, dass das Geld bei der Bezirksschreiberei hinterlegt war, die offenbar neben dem Grundbuchamt auch das Konkursamt führt, verschaffte der Konkursmasse entgegen der Ansicht des Rekurrenten selbstverständlich keinen Gewahrsam daran. Zu Recht hat deshalb die Aufsichtsbehörde die Beschwerde von Lilly Strobel gutgeheissen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7468366a-3a76-47f1-bef4-0d896b604ad4 | Urteilskopf
139 III 7
2. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A.X. et B.X. contre H.Z. et consorts (recours en matière civile)
4A_313/2012 du 5 novembre 2012 | Regeste
Art. 169 ZGB
,
Art. 266m, 266n und 266o OR
,
Art. 2 Abs. 2 ZGB
; Mietvertrag, Zustellung der Kündigung, Familienwohnung, Rechtsmissbrauch.
Bestand einer Familienwohnung im Sinne von
Art. 266m und 266n OR
. Beweislastverteilung (E. 2.2).
Ratio legis der doppelten Zustellung nach
Art. 266n OR
(E. 2.3.1).
Die Mieterin, die sich auf
Art. 266n OR
beruft und geltend macht, die Kündigung sei nichtig, da diese ihrem Ehemann nicht zugestellt worden sei, verhält sich rechtsmissbräuchlich, wenn der Ehemann die Familienwohnung verlassen hat und sich für die Kündigung überhaupt nicht interessiert (E. 2.3.2). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 139 III 7 S. 8
A.
A.X. et sa mère, B.X., sont locataires, depuis le 1
er
juillet 1993, d'un appartement de trois pièces au 4
e
étage de l'immeuble sis 2, rue (...), à Genève.
B.X. n'a jamais habité l'appartement, mais elle a signé le contrat de bail en qualité de colocataire pour fournir ainsi au bailleur une sorte de garantie en faveur de sa fille.
Le 4 février 2002, A.X. a épousé M., lequel a pris le nom de famille de son épouse. Il résulte des témoignages que les époux ont vécu ensemble dans l'appartement, puis que M.X. a quitté le domicile conjugal pour aller vivre chez une amie. La date de son départ n'a pas pu être établie avec certitude.
Depuis octobre 2004, H.Z. et F.Z. sont les propriétaires de l'appartement et, par voie de conséquence, les bailleurs.
Par avis officiel expédié le 19 mai 2009 à A.X., à l'adresse de l'appartement loué, et à B.X., tant à son adresse effective qu'à celle de l'appartement loué, les bailleurs ont résilié le bail pour le 31 août 2009, en invoquant le besoin personnel de loger un de leurs proches. Les plis recommandés n'ont pas été retirés par les locataires.
B.
Par requête adressée le 20 juillet 2009 à la Commission de conciliation en matière de baux et loyers du canton de Genève, A.X., B.X. et M.X. ont conclu à la nullité du congé, pour le motif qu'il n'avait pas été notifié à l'époux de A.X. Subsidiairement, ils ont demandé une prolongation de bail pour une durée de quatre ans.
Les bailleurs se sont opposés à la demande, en faisant valoir que l'appartement n'était plus le logement d'une famille en raison du départ de M.X. et que la prolongation du bail avait été demandée tardivement. Ils ont, de leur côté, demandé l'évacuation des locataires et les deux procédures ont été jointes.
Les deux requêtes jointes n'ayant pas été conciliées, le Tribunal des baux et loyers a été saisi.
BGE 139 III 7 S. 9
M.X. ne s'est pas présenté en comparution personnelle et n'a pas pris de conclusions, ni en première instance, ni en appel, montrant ainsi qu'il se désintéressait de la procédure et, par voie de conséquence, du sort de l'appartement en cause.
Par jugement du 19 mai 2011, le Tribunal des baux et loyers a déclaré valable le congé donné par H.Z. et F.Z. à A.X. et à B.X. pour l'appartement loué et a condamné les locataires à évacuer les lieux immédiatement, avec suite de débours.
Saisie d'un appel formé par A.X. et B.X., la Cour de justice, Chambre des baux et loyers, a confirmé le jugement attaqué par arrêt du 23 avril 2012. La cour cantonale a considéré qu'il appartenait aux locataires de prouver les faits permettant de constater que l'appartement était encore un logement familial au moment de la notification de la résiliation et qu'ils n'étaient pas parvenus à apporter cette preuve. Ainsi, les bailleurs n'étaient pas tenus de notifier séparément la résiliation à l'époux de A.X. Quant à la demande de prolongation du bail, elle a été formée tardivement, de sorte que le contrat s'est éteint et que les locataires doivent restituer les locaux.
C.
A.X. et B.X. exercent un recours en matière civile au Tribunal fédéral contre l'arrêt cantonal du 23 avril 2012. Invoquant une violation (...) des
art. 8 CC
, 266n et 266o CO, elles concluent, sous suite de dépens, à l'annulation des jugements cantonaux et au constat de la nullité du congé; subsidiairement, elles demandent le renvoi de la cause à la cour cantonale. (...)
Les intimés ont conclu au rejet du recours avec suite de dépens. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.2
Les recourantes se plaignent d'une violation de l'
art. 8 CC
en tant que norme régissant la répartition du fardeau de la preuve.
Il résulte des constatations cantonales que les parties sont liées par un contrat de bail à loyer (
art. 253 CO
), qui ne présente aucun caractère international.
En l'absence d'une disposition spéciale instituant une présomption, l'
art. 8 CC
répartit le fardeau de la preuve pour toutes les prétentions fondées sur le droit fédéral et détermine, sur cette base, laquelle des
BGE 139 III 7 S. 10
parties doit assumer les conséquences de l'échec de la preuve (
ATF 129 III 18
consid. 2.6 p. 24;
ATF 127 III 519
consid. 2a p. 522). Il en résulte que la partie demanderesse doit prouver les faits qui fondent sa prétention, tandis que la partie adverse doit prouver les faits qui entraînent l'extinction ou la perte du droit (
ATF 130 III 321
consid. 3.1 p. 323). Ainsi, les faits qui empêchent la naissance d'un droit ou en provoquent l'extinction doivent être prouvés par la partie qui les allègue (
ATF 132 III 186
consid. 8.3 p. 206). S'il existe une exception à une règle générale, il appartient à la partie qui invoque cette exception de prouver que les conditions en sont remplies (
ATF 132 III 186
consid. 5.1 p. 197).
En l'espèce, les bailleurs ont prouvé qu'ils avaient donné le congé en envoyant à chacune des locataires une formule agréée par le canton, dûment remplie, qui indique au locataire la manière dont il doit procéder s'il entend contester le congé ou demander la prolongation du bail (
art. 266l al. 2 CO
;
art. 9 al. 1 OBLF
[RS 221.213.11]). Ils ont ainsi établi les faits permettant de constater, selon la règle générale, la validité formelle de la résiliation.
Les recourantes invoquent cependant une règle d'exception pour le cas particulier où la chose louée est un logement familial (
art. 266m et 266n CO
). Il ressort clairement du titre marginal de la loi que l'
art. 266l CO
exprime le principe général et que l'hypothèse d'un logement familial constitue une exception. Il découle des principes rappelés ci-dessus que celui qui invoque une règle d'exception pour paralyser les effets d'un acte juridique doit prouver les faits permettant de constater que les conditions de l'exception sont réalisées. La doctrine s'est également exprimée dans ce sens (MURIEL BARRELET, in Droit du bail à loyer, Bohnet/Montini [éd.], 2010, n° 4 ad
art. 266n CO
).
C'est en vain que les recourantes s'appuient sur l'
ATF 136 III 257
(consid. 2.2 p. 259 s.), ainsi que sur l'avis d'un auteur de doctrine (IVO SCHWANDER, in Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, vol. I, 4
e
éd. 2010, n° 10 ad
art. 169 CC
), pour soutenir qu'il appartient à la personne qui allègue la perte du caractère familial du logement d'en apporter la preuve. Dans cet arrêt publié, le Tribunal fédéral, sous l'angle de l'
art. 169 CC
, a tranché un litige pendant entre deux conjoints; il a indiqué que lorsqu'il est établi qu'un logement - en l'espèce une villa que l'époux, titulaire des droits réels, désirait vendre - remplissait les caractéristiques du logement familial, il appartient alors à l'époux (qui a l'intention de vendre) de démontrer que tel n'est plus le cas au départ de l'épouse. Sous cet angle, ce précédent n'a donc aucun point
BGE 139 III 7 S. 11
commun avec la situation d'espèce qui nécessite de répartir le fardeau de la preuve, non pas entre les conjoints, mais entre les recourantes (colocataires) et les bailleurs.
Quant à la décision du Tribunal fédéral du 23 mars 2007 (arrêt 4C.441/2006) également citée par les recourantes, elle ne leur est d'aucune aide. Elle laisse plutôt entendre que c'est bien à l'époque de la notification de la résiliation que le locataire doit démontrer le caractère familial du logement (cf. arrêt précité consid. 4.3.2).
La cour cantonale n'a dès lors pas violé les règles sur le fardeau de la preuve découlant de l'
art. 8 CC
en affirmant qu'il incombait aux locataires de prouver les faits permettant de constater que le logement loué, au moment de la notification de la résiliation, constituait un logement familial.
Le grief soulevé à ce sujet par les recourantes est donc également infondé.
2.3
Invoquant une violation des
art. 266n et 266o CO
, les recourantes se prévalent de la jurisprudence selon laquelle, en cas de conflit conjugal, le logement ne perd pas nécessairement son caractère familial dès que les époux cessent de vivre ensemble (cf.
ATF 136 III 257
consid. 2.1 p. 259). Il ressort cependant de l'arrêt cité que cette jurisprudence est intimement liée à la ratio legis des dispositions précitées.
2.3.1
Les
art. 169 CC
, 266m et 266n CO ont été conçus dans le même but et tendent à protéger de manière particulière les époux ou partenaires enregistrés dans leur faculté d'occuper le logement de la famille.
La notion de logement de famille recouvre le lieu qui remplit la fonction de logement et de centre de vie de la famille. Seuls bénéficient de cette protection les époux mariés avec ou sans enfant(s) (
ATF 136 III 257
consid. 2.1 p. 259) et les partenaires enregistrés (RO 2005 5702).
Le logement perd son caractère familial en cas de dissolution définitive du mariage ou du partenariat enregistré, lorsque les deux époux ou partenaires ont renoncé à le considérer comme tel, lorsqu'ils l'ont quitté ou ont décidé de son attribution définitive à l'un d'eux (
ATF 114 II 396
consid. 5b p. 399). Le logement perd également son caractère familial lorsque l'époux ou le partenaire bénéficiaire de la protection légale quitte, de son propre chef, le logement familial de manière définitive ou pour une durée indéterminée (
ATF 136 III 257
consid. 2.1 p. 259; cf. également: PETER HIGI, Zürcher Kommentar,
BGE 139 III 7 S. 12
1995, n° 15 ad
art. 266m-266n CO
; BURKHALTER/MARTINEZ-FAVRE, Le droit suisse du bail à loyer, Commentaire, 2011, n° 10 ad
art. 266l-266o CO
).
La réglementation des
art. 169 CC
, 266m et 266n CO est conçue pour éviter, en cas de conflit conjugal (ou entre partenaires), que l'époux (ou le partenaire), qui n'est pas titulaire du droit réel ou du droit personnel dont dépend le logement familial, se trouve privé de toute possibilité de l'occuper parce que l'autre, ayant quitté les lieux, ou ayant la volonté de lui nuire, dispose du droit réel sur le logement ou ne fait pas valoir ses droits de locataire (cf.
ATF 114 II 396
consid. 5a p. 399).
Ainsi, il est prévu que, dans le cas d'un congé donné par le bailleur, celui-ci doit être communiqué séparément au locataire et à son conjoint ou partenaire (non titulaire du bail) afin que chacun puisse faire valoir, indépendamment de l'autre, les droits qui appartiennent normalement au locataire. Cette double notification est prévue sous peine de nullité (
art. 266o CO
). La double notification a donc pour but de protéger l'époux (ou le partenaire enregistré) non titulaire du bail contre le risque de ne pas recevoir la notification et d'être ainsi privé de toute possibilité de s'opposer au congé ou de demander une prolongation du bail (
ATF 118 II 42
consid. 3b p. 44).
2.3.2
En l'espèce, il n'a pas été constaté que l'époux de la première recourante aurait signé le bail en qualité de colocataire ou qu'il y aurait adhéré à la suite du mariage (cf. art. 11.3 al. 4 du contrat-cadre romand déclaré de force obligatoire générale par l'Arrêté y relatif du Conseil fédéral du 5 septembre 2001 [FF 2001 5509 et 5515]). Il n'a donc, sous l'angle des droits réels et du droit des obligations, aucun droit sur le logement en cause. L'
art. 266n CO
est conçu pour le protéger en cas de résiliation par le bailleur et lui permettre de faire valoir, le cas échéant, les droits qui appartiennent à un locataire. Or, il ressort des constatations cantonales que l'époux de la première recourante a quitté définitivement les lieux, qu'il se désintéresse de la présente procédure et, par voie de conséquence, du sort de l'appartement en cause.
Quant aux deux recourantes, elles ont reçu chacune, à leur adresse, une notification sur formule officielle qui leur indiquait quels étaient leurs droits. Elles n'ont donc en rien été lésées par l'absence de notification à l'époux. Si elles ne sont pas allées chercher les plis recommandés qui leur étaient destinés, elles ne peuvent s'en prendre qu'à elles-mêmes. Par leur argumentation, les recourantes invoquent en réalité l'intérêt d'un tiers (à savoir l'époux de la première recourante), alors que
BGE 139 III 7 S. 13
ce dernier se désintéresse totalement de la question. Elles tentent ainsi d'utiliser une norme protectrice d'une manière totalement étrangère à son but, ce qui constitue un abus de droit (cf.
ATF 135 III 162
consid. 3.3.1 p. 169;
ATF 134 I 65
consid. 5.1 p. 72 s.; expressément sous l'angle de l'
art. 169 CC
: YVAN GUICHARD, Les restrictions au droit de disposer du logement de la famille, 2002, p. 143 s. et note de pied 475). Leur argumentation doit donc être écartée.
2.4
Dès lors que les recourantes ne peuvent pas se prévaloir de l'absence de notification à l'époux de la première recourante d'une part parce qu'elles n'ont pas prouvé qu'il s'agissait encore d'un logement familial et, d'autre part, parce qu'elles invoquent de manière abusive une norme protectrice conçue dans l'intérêt d'un tiers, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en écartant la conclusion tendant à faire constater la nullité de la résiliation.
Comme les recourantes n'ont pas saisi l'autorité de conciliation dans les trente jours dès réception du congé (ce qui a été constaté par la cour cantonale), c'est à juste titre que leur demande de prolongation du bail a été rejetée (
art. 273 al. 2 let. a CO
).
Le bail ayant ainsi pris fin, les locataires ont l'obligation de restituer la chose louée (
art. 267 al. 1 CO
), de sorte qu'elles ont été condamnées à évacuer les lieux sans violer le droit fédéral. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7469b4a6-5cf1-4c33-aaef-d4250890f4eb | Urteilskopf
109 Ia 252
48. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 13 avril 1983 dans la cause AVLOCA et cons. contre Grand Conseil du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 88 OG
. Legitimation zur Beschwerde gegen die angeblich rechtswidrige Begünstigung Dritter durch einen Erlass.
Ein Privater kann mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen rechtsungleicher Behandlung einen Erlass anfechten, wenn er geltend macht, dieser privilegiere Dritte in objektiv nicht zu rechtfertigender Weise; dazu genügt es, dass sich der Betreffende in einer Lage befindet, die derjenigen der Dritten vergleichbar ist, und dass sich der den Dritten gewährte Vorteil gleichzeitig für ihn als Nachteil auswirkt (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 253
BGE 109 Ia 252 S. 253
Extrait des considérants:
4.
a) Aux termes de l'
art. 88 OJ
, le recours de droit public est ouvert aux particuliers et aux collectivités lésés par des arrêtés ou décisions qui les concernent personnellement ou qui sont d'une portée générale. Lorsque, comme en l'espèce, le recours est dirigé contre un arrêté de portée générale, la qualité pour recourir appartient à toute personne dont les intérêts juridiquement protégés sont effectivement ou pourront un jour être touchés par l'acte attaqué (
ATF 106 Ia 398
consid. 2;
ATF 104 Ia 152
;
ATF 103 Ia 371
consid. 1 et arrêts cités). D'une manière générale, le recours de droit public n'est pas ouvert à celui qui fait valoir des intérêts de pur fait ou qui invoque exclusivement la sauvegarde de l'intérêt général (
ATF 105 Ia 273
, 355 et renvois).
La question principale qui se pose ici est de savoir si les recourants ont qualité pour former un recours de droit public contre un acte législatif octroyant un avantage à des tiers, en l'occurrence sous la forme d'un allégement fiscal consenti à une certaine catégorie de contribuables.
Dans une jurisprudence ancienne, le Tribunal fédéral avait tout d'abord admis la recevabilité de recours de droit public dirigés contre des décisions ou des actes législatifs accordant des privilèges à des tiers, lorsque était alléguée une inégalité de traitement (ATF 10 313, 23 1565, 30 718; cf. E. KIRCHHOFER, Über die Legitimation zum staatsrechtlichen Rekurs, pp. 172-173). Il est
BGE 109 Ia 252 S. 254
toutefois revenu une première fois sur cette jurisprudence à l'occasion d'un contrôle concret de normes (
ATF 48 I 225
ss, spécialement 227/228; arrêt non publié en la cause Brasserie d'Orbe du 1er mai 1936, consid. 1). Ce revirement a ensuite été confirmé à l'occasion de recours dirigés directement contre des actes législatifs (
ATF 85 I 52
ss, spécialement consid. 3; puis, notamment, ATF
ATF 86 I 286
ss,
ATF 93 I 171
ss,
ATF 103 Ia 65
ss,
ATF 105 Ia 349
ss,
ATF 107 Ia 340
ss, 108 Ia 131 consid. 2). Cette dernière pratique dénie la qualité pour recourir à celui qui ne fait pas partie des personnes directement concernées par l'acte attaqué; fondée sur le fait que cet acte ne le touche pas dans ses intérêts juridiquement protégés mais tout au plus dans ses intérêts de fait, elle considère qu'il ne lui appartient pas de se plaindre de dispositions édictées dans l'intérêt général, si l'on veut éviter d'ouvrir la voie à l'action populaire.
Cette jurisprudence a été généralement critiquée par la doctrine (cf. principalement HANS HUBER, in ZBJV 96/1960, p. 353 ss et ZBJV 97/1961, pp. 325/326; MAX IMBODEN, in RDS 79/1960 I pp. 511/512; IRÈNE BLUMENSTEIN, in Archives de droit fiscal suisse 1960/61, p. 363 ss; HANS MARTI, in RDS 81/1962 II pp. 87/88 et plus récemment in Die staatsrechtliche Beschwerde, 4e éd., pp. 72/73; CLAUDE BONNARD, in RDS 81/1962 II p. 444 ss; JÖRG P. MÜLLER, in ZBJV 115/1979, pp. 167/168 et ZBJV 117/1981, pp. 247/248). Celle-ci relève notamment que la jurisprudence actuelle empêche, dans de nombreux cas, le Tribunal fédéral de contrôler si le législateur a respecté le principe de l'égalité de traitement, énoncé à l'
art. 4 Cst.
Le Tribunal fédéral est au demeurant lui-même fréquemment entré en matière sur des recours ayant pour objet les privilèges accordés par la législation fiscale à certaines catégories de contribuables et le désavantage en résultant pour les autres (cf. notamment
ATF 95 I 497
, 96 I 560, 99 Ia 351, 638, 100 Ia 60, 101 Ia 182, 103 Ia 107, 104 Ia 284).
Après un réexamen approfondi de la question, auquel a été associée la IIe Cour de droit public selon la procédure prévue à l'
art. 16 OJ
, il apparaît justifié de reconsidérer la jurisprudence actuelle quant aux conditions de recevabilité de recours dirigés contre des actes législatifs accordant des avantages à des tiers.
b) Le principe d'égalité dans la loi contenu à l'
art. 4 Cst.
oblige le législateur à traiter de la même manière des situations semblables et de manière différente celles qui ne le sont pas. En matière fiscale, le législateur cantonal doit donc respecter le principe d'égalité
BGE 109 Ia 252 S. 255
lorsqu'il adopte des règles générales d'imposition ou de taxation (
ATF 104 Ia 295
, 99 Ia 652/3, 96 I 566, 77 I 102, parmi d'autres). Selon HUBER, pour qui le principe d'égalité de traitement, au contraire des autres droits fondamentaux, sert exclusivement des intérêts particuliers, il y a inégalité de traitement dans le domaine fiscal lorsque des privilèges sont accordés indûment à certains contribuables; les intérêts de ceux qui ne bénéficient pas de ces avantages sont alors lésés, sans que l'intérêt public lui-même soit touché (Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1960, in ZBJV 97/1961, p. 326).
Le Tribunal fédéral peut souscrire à cette dernière opinion. En effet, la jurisprudence actuelle revient en définitive à dénier au principe d'égalité consacré à l'
art. 4 Cst.
la valeur d'un droit constitutionnel propre et indépendant.
c) Pour déterminer le cercle des personnes habilitées à invoquer, dans ce contexte, la lésion d'un intérêt juridiquement protégé, il y a lieu de considérer ce qui suit. Celui qui se prétend désavantagé par rapport à d'autres, du fait que sa situation est directement aggravée par les dispositions qu'il critique, n'a pas à être traité différemment de celui qui se prétend lésé parce que la loi octroie à un tiers un privilège qu'elle ne lui accorde pas. En matière fiscale, par exemple, il est indifférent, du point de vue du préjudice subi, que l'inégalité de traitement dont se plaint un contribuable célibataire provienne de ce que la loi impose plus lourdement les célibataires que les personnes mariées ou de ce qu'elle accorde un allégement fiscal aux personnes mariées, sans le consentir aux célibataires. Dans l'un et l'autre cas, en effet, le législateur opère une distinction entre deux catégories de personnes, en usant certes d'une technique législative différente, mais pour aboutir en définitive au même résultat, à savoir l'octroi de certains avantages aux uns et pas aux autres. Peu importe alors, dans l'hypothèse où les dispositions en cause accordent de manière expresse des avantages à des tiers, qu'elles ne s'appliquent pas directement à celui qui fait valoir l'inégalité de traitement. Ce qui est décisif, c'est bien plus l'effet discriminatoire produit sur ce dernier. Il incombera donc au recourant d'établir que la discrimination dont il dénonce l'inconstitutionnalité le touche - ou pourra le toucher - dans sa sphère privée et qu'il a un intérêt juridiquement protégé à obtenir sa suppression. Pour cela, il faudra qu'existe un lien de corrélation entre la situation du ou des tiers avantagés et celle du recourant.
BGE 109 Ia 252 S. 256
d) L'élargissement de la qualité pour recourir résultant des considérations qui précèdent ne concerne que l'hypothèse où l'avantage dénoncé par le recourant est contenu dans la loi elle-même; peu importe à cet égard que le recours soit dirigé contre l'acte législatif lui-même (donnant lieu à un contrôle dit abstrait des normes) ou contre une décision d'application de cet acte (donnant lieu à un contrôle dit concret ou incident des normes). En revanche, la pratique actuelle doit être maintenue pour les recours dirigés contre des décisions qui comportent par elles-mêmes un avantage accordé à un ou plusieurs tiers, lorsque le recourant ne met pas en cause une inégalité contenue dans la loi elle-même (cf. à titre d'exemples, décisions portant sur la non-réélection d'un fonctionnaire cantonal,
ATF 105 Ia 271
ss, spécialement 275; sur la soumission de travaux à un concurrent,
ATF 106 Ia 323
ss, spécialement 326/327 consid. b; sur l'autorisation de pratiquer une profession accordée à un tiers,
ATF 107 Ia 340
/341). Comme le relève notamment Huber (ZBJV 96/1960, pp. 354/355), le principe d'égalité tel qu'il s'impose au législateur doit être distingué du droit à l'égalité de traitement qui prévaut dans l'application de la loi. Ainsi, celui qui ne fait que revendiquer pour lui-même l'avantage accordé à un tiers par une décision d'espèce ne saurait bénéficier, quant à sa qualité pour recourir, des nouvelles règles dégagées ci-dessus. | public_law | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
74705fbd-aac9-4e25-bad1-827e2a850a1d | Urteilskopf
117 II 463
86. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. November 1991 i.S. SUISA gegen E. Räber-Müller's Erben (Berufung) | Regeste
Art. 9 Abs. 1 URG
; Übertragung von Werknutzungsrechten.
Wird das Urheberrecht übertragen, geht die ausschliessliche Rechtsmacht auf den Erwerber über. Vom nicht mehr Berechtigten können auch gutgläubig keine Nutzungsbefugnisse erworben werden.
Art. 167 OR
vermag daran nichts zu ändern (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 463
BGE 117 II 463 S. 463
A.-
Die SUISA, Schweizerische Gesellschaft für die Rechte der Urheber musikalischer Werke, ist eine Genossenschaft gemäss
Art. 828 ff. OR
. Sie bezweckt, die Rechte der Urheber von nichttheatralischen musikalischen Werken zu wahren und ist im Besitze der in
Art. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Verwertung von Urheberrechten (SR 231.2)
vorgesehenen Bewilligung. Ihre Tätigkeit stützt sie namentlich auf Verträge mit ihren Mitgliedern und ausländischen Verwertungsgesellschaften. Die ihr übertragenen oder abgetretenen Rechte übt sie im eigenen Namen aus und zieht insbesondere die für deren Verwertung geschuldeten Entschädigungen selbst ein. Mit Vertrag vom 25. Oktober 1984 trat ihr auch Armin Brunner die Urheberrechte an seinen geschaffenen und künftigen musikalischen Werken zur Verwertung ab.
E. Räber-Müller's Erben veranstalteten vom 21.-23. April 1989 im Kino Apollo in Chur vier Vorführungen des Stummfilms "Nosferatu"
BGE 117 II 463 S. 464
mit musikalischer Untermalung durch ein Orchester. Die dabei aufgeführte Musik von Johann Sebastian Bach war von Armin Brunner für diesen Film bearbeitet worden. Brunner hatte sein Einverständnis zu den Vorführungen gegeben und für die Benützung der Musik von den Veranstaltern, denen er die Abtretung der Werknutzungsrechte an die SUISA nicht angezeigt hatte, eine Entschädigung von Fr. 500.-- bezogen.
B.-
Gestützt auf ihren Tarif für Konzerte und konzertähnliche Darbietungen machte die SUISA gegenüber den E. Räber-Müller's Erben eine Entschädigung von Fr. 826.90 geltend. Diese bestritten eine Schuld und erhoben gegen den ihnen zugestellten Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag, worauf die SUISA die Forderung einklagte. Das Kantonsgericht (Ausschuss) von Graubünden wies die Klage am 10. April 1991 ab. Es gelangte zum Schluss, die Beklagten hätten nach Treu und Glauben annehmen dürfen, die Aufführungserlaubnis direkt vom Urheber erworben und dessen Urheberrechte vereinbarungsgemäss entschädigt zu haben; die Beklagten seien daher nach
Art. 167 OR
gültig befreit worden.
Das Bundesgericht heisst die Berufung der Klägerin gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Werknutzungsrechte des Urhebers, wie sie hier zur Beurteilung stehen, sind nach geltendem schweizerischen Recht (
Art. 9 Abs. 1 URG
) übertragbar. Daran soll nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion auch de lege ferenda festgehalten werden, nachdem vorübergehend erwogen worden ist, die Urheberrechte von einer Übertragung allgemein auszuschliessen und - nach deutschem und österreichischem Vorbild - lediglich die Einräumung von Nutzungsrechten zu gestatten (s. Botschaft des Bundesrates vom 19. Juni 1989 zu einem Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BBl 1989 III 533f.). Zulässig ist dabei gemäss allgemeinen Grundsätzen auch eine bloss fiduziarische Rechtsübertragung. Sie führt zum vollen Rechtserwerb des Fiduziars, sofern sie ernsthaft gewollt und nicht bloss simuliert ist. Der Fiduziar wird dadurch gegenüber Dritten, die sich um die internen Rechtsbeziehungen zwischen Treugeber und Treuhänder nicht zu kümmern haben (
BGE 115 II 471
), als Rechtsträger legitimiert und zu Verfügungen berechtigt (
BGE 85 II 99
; JÄGGI/GAUCH, N. 188 ff. zu
Art. 18 OR
; KRAMER, N. 128 zu
Art. 18 OR
; WIEGAND, Fiduziarische Sicherungsgeschäfte,
BGE 117 II 463 S. 465
ZBJV 116/1980, S. 541 f.). Treuhänderische Rechtsübertragungen in diesem Sinne werden regelmässig auch auf die monopolistisch konzipierten Verwertungsgesellschaften vorgenommen (ANGELA MAUHS, Der Wahrnehmungsvertrag, UFITA-Schriftenreihe 96/1990, S. 18 f.).
Das Urheberrecht wirkt absolut, d.h. gegenüber jedermann. Wird es übertragen, geht die ausschliessliche Rechtsmacht auf den Erwerber über; im Treuhandverhältnis gilt dies jedenfalls für die Dauer der Fiduzia. Das bedeutet zum einen, dass der Erwerber das Recht ebenfalls gegenüber jedermann durchsetzen kann, zum andern aber auch, dass der Veräusserer mit der Begebung der Rechtszuständigkeit von weiteren Verfügungen über das Recht ausgeschlossen wird und namentlich nicht mehr berechtigt ist, weitere Nutzungsbefugnisse einzuräumen (ANGELA MAUHS, a.a.O., S. 107 ff.). Mangels eines durch Besitz (wie z.B. in
Art. 714 Abs. 2 ZGB
) oder Registereintrag (wie z.B. in
Art. 973 ZGB
oder
Art. 33 Abs. 4 PatG
) begründeten Rechtsscheins können auch gutgläubig keine Rechte vom nicht oder nicht mehr Berechtigten erworben werden (Erläuterungen zum Vorentwurf II für ein revidiertes Urheberrechtsgesetz vom 1. Mai 1974, S. 25; RIKLIN, Das Urheberrecht als individuelles Herrschaftsrecht und seine Stellung im Rahmen der zentralen Wahrnehmung urheberrechtlicher Befugnisse sowie der Kunstförderung, Freiburg 1978, S. 121; TROLLER, Der gute Glaube im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, SJZ 46/1950, S. 205). Insoweit unterscheidet sich das Urheberrecht nicht vom Obligationenrecht. Auch danach ist eine zweite Zession bei gültiger Erstabtretung unwirksam, selbst wenn der Zweitzessionar von der früheren Abtretung keine Kenntnis hat und daher das vermeintliche Recht gutgläubig erwirbt (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, Band II, S. 338). An diesem Ergebnis vermag der vom Kantonsgericht angewandte Regelungsgedanke von
Art. 167 OR
nichts zu ändern. Diese Bestimmung ordnet weder die Aktivlegitimation an einer Forderung noch die Befugnis zur Begründung von Schuldverhältnissen, sondern ist ausschliesslich eine Schutzbestimmung zugunsten des in gutem Glauben an einen früheren Gläubiger zahlenden Schuldners (
BGE 56 II 368
).
Im vorliegenden Fall hat Armin Brunner der Klägerin nicht eine Forderung gegen die Beklagten abgetreten, sondern ein absolutes Recht, aus welchem die Klägerin eine Forderung ableitet, die ihr selbst und unmittelbar aus der Verletzung dieses Rechts erwachsen
BGE 117 II 463 S. 466
sein soll. Diese Forderung aber konnte nicht gegen ihren Willen mit einer Leistung an Brunner getilgt werden, und zwar unabhängig davon, ob die Leistung gut- oder bösgläubig bewirkt wurde.
Art. 167 OR
ist auf diesen Sachverhalt auch sinngemäss nicht anwendbar. Haben demnach die Beklagten das der Klägerin zustehende Urheberrecht verletzt, können sie sich ihrer Entschädigungspflicht nicht mit der Begründung entziehen, gutgläubig vom Rechtsvorgänger der Berechtigten eine Nutzungsbefugnis zugestanden erhalten und dafür eine Vergütung bezahlt zu haben. Soweit der angefochtene Entscheid der Leistung der Beklagten an den Urheber des aufgeführten Werkes befreiende Wirkung im Verhältnis zur Klägerin als Rechtsinhaberin zuspricht, verletzt er Bundesrecht.
Zur Rechtsnatur der von der Klägerin geforderten Entschädigung wie auch zur streitigen Höhe, insbesondere zum anwendbaren Tarif und den massgebenden Bemessungsgrundlagen, hat sich die Vorinstanz noch nicht geäussert. Es ist ihr Gelegenheit zu geben, dies nachzuholen. Die Streitsache ist daher zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen ans Kantonsgericht zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7489f247-0f46-4f6d-b464-9c057ad5d50d | Urteilskopf
126 I 172
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Juni 2000 i.S. X. gegen Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 31 Abs. 4 BV
,
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
; grundrechtliche Anforderungen an das Haftprüfungsverfahren beim freiheitsentziehenden vorzeitigen Massnahmenvollzug.
Rechtsnatur des vorzeitigen (vorläufigen) stationären Massnahmenvollzuges. Für den freiheitsentziehenden vorzeitigen Sanktionenvollzug vor Erlass eines rechtskräftigen Strafurteils gelten die grundrechtlichen Verfahrensregeln des strafprozessualen Freiheitsentzuges (E. 3a-b). Anforderungen an die kontradiktorische Ausgestaltung des Haftprüfungsverfahrens (E. 3c-e).
Art. 31 Abs. 3 BV
,
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
; zulässige Dauer des vorzeitigen stationären Massnahmenvollzuges.
Besondere Problematik der Prüfung der zeitlichen Verhältnismässigkeit einer vorläufigen freiheitsentziehenden Massnahme (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 126 I 172 S. 173
Am 26. Juli 1999 ersuchte (der seit 9. Februar 1999 in Untersuchungshaft befindliche) X. um Antritt des vorläufigen stationären Massnahmenvollzuges. Mit Verfügung vom 30. Juli 1999 bewilligte die zuständige Verfahrensleiterin des Strafgerichtes Basel-Stadt das Gesuch. Seit 30. August 1999 befindet sich X. im vorläufigen freiheitsentziehenden Massnahmenvollzug in der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel.
Mit Urteil vom 5. November 1999 sprach das Strafgericht (Dreiergericht) Basel-Stadt X. des mehrfachen (teilweise versuchten) Betruges schuldig und verurteilte ihn zu vier Monaten Gefängnis. Gleichzeitig schob es den Vollzug der Freiheitsstrafe auf und ordnete gegenüber dem Verurteilten eine freiheitsentziehende Massnahme nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
an (Einweisung in eine psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt). Gegen das Strafurteil ist eine Appellation hängig.
Am 14. April 2000 stellte X. letztmals ein Gesuch um Entlassung aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug. Mit Verfügung vom 9. Mai 2000 wies das Strafgericht Basel-Stadt (Statthalterin) das Haftentlassungsgesuch ab. Eine dagegen erhobene kantonale Beschwerde wurde am 26. Mai 2000 vom Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt ebenfalls abschlägig entschieden.
Gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes gelangte X. mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. Juni 2000 an das Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung der Bundesverfassung (
Art. 8, 10 und 31 BV
) bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention (
Art. 5 Ziff. 1 und 4 EMRK
; SR 0.101), und er beantragt seine unverzügliche
BGE 126 I 172 S. 174
Entlassung aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der vorzeitige freiheitsentziehende Massnahmenvollzug vor Erlass eines rechtskräftigen Strafurteils ist im materiellen Bundesstrafrecht nicht geregelt (vgl. Art. 42-44,
Art. 100bis StGB
). Es handelt sich dabei (wie beim vorzeitigen Strafvollzug) um eine Form der strafprozessualen Freiheitsentziehung, die sich auf kantonales Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht stützt. Der vorzeitige (oder vorläufige) Sanktionsvollzug kann mit Einverständnis des Angeschuldigten anstelle von Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft angeordnet werden, sofern ausreichende strafprozessuale Haftgründe gegeben sind, der Stand des Verfahrens die vorläufige Verbringung in eine Straf- bzw. Heil- und Pflegeanstalt erlaubt und eine längere unbedingte Freiheitsstrafe bzw. freiheitsentziehende Massnahme mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Mit dem vorläufigen Vollzug einer sichernden Massnahme sollen einerseits die strafprozessualen Haftzwecke gewährleistet werden. Anderseits ermöglicht er schon vor Erlass des rechtskräftigen Strafurteils ein Haftregime, welches auf die persönliche Situation des (massnahmebedürftig erscheinenden) Angeschuldigten zugeschnitten ist, bzw. erste Erfahrungen mit der voraussichtlich sachlich gebotenen Vollzugsform zu sammeln. Auch für den vorläufigen stationären Massnahmenvollzug gelten grundsätzlich die Verfahrensregeln des strafprozessualen Haftrechtes. Insbesondere stehen Angeschuldigte im vorzeitigen freiheitsentziehenden Sanktionsvollzug unter dem Schutz der Unschuldsvermutung (
Art. 32 Abs. 1 BV
,
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
) und der besonderen grundrechtlichen Garantien bei Freiheitsentziehung (
Art. 10 Abs. 2,
Art. 31 BV
,
Art. 5 EMRK
; vgl.
BGE 117 Ia 72
E. 1c S. 76, E. 1d S. 80, 257 E. 3c S. 259, 372 E. 3a S. 375, je mit Hinweisen; ANDREAS DONATSCH/NIKLAUS SCHMID, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1999 ff., § 36 N. 1 ff., 6, 11, 13; MARC FORSTER, Rechtsschutz bei strafprozessualer Haft, SJZ 94/1998 S. 2 ff./35 ff., S. 3, 38 ff.; MATTHIAS HÄRRI, Zur Problematik des vorzeitigen Strafantritts, Diss. BS 1987, S. 122 ff., 150 ff.; MARTIN SCHUBARTH, Zur Rechtsnatur des vorläufigen Strafvollzuges, ZStrR 96/1979 S. 295 ff., 311).
b) Soweit der vorzeitige stationäre Massnahmenvollzug zu einer Freiheitsentziehung aus strafprozessualen Gründen führt, sind keine
BGE 126 I 172 S. 175
sachlichen Gründe dafür ersichtlich, ihn bezüglich der massgeblichen Grundrechtsgarantien anders zu behandeln als den vorzeitigen Strafvollzug. Insbesondere gelten für vorläufige freiheitsentziehende Sanktionen die verfahrensrechtlichen Garantien von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
(
BGE 117 Ia 372
E. 3a S. 375; vgl. DONATSCH/SCHMID, a.a.O., § 36 N. 6, 13; FORSTER, a.a.O., S. 3).
Gemäss
Art. 31 Abs. 3 BV
hat jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden (vgl. auch
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
,
Art. 9 Ziff. 3 UNO-Pakt II
).
Art. 31 Abs. 4 BV
gewährleistet jeder Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wurde, das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges (vgl. auch
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
,
Art. 9 Ziff. 4 UNO-Pakt II
). Im Gegensatz zum Fall der Anordnung von strafprozessualer Haft (
Art. 31 Abs. 3 BV
,
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
) sehen
Art. 31 Abs. 4 BV
und
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
für die blosse Prüfung eines Haftentlassungsgesuches keine Vorführung vor den Richter bzw. mündliche Anhörung und Haftprüfungsverhandlung ausdrücklich vor (vgl.
BGE 125 I 113
E. 2a S. 115).
c) Dem Haftrichter muss für die Beurteilung der Rechtmässigkeit der Haft eine ausreichende tatsächliche Entscheidungsbasis zur Verfügung stehen. Namentlich muss er prüfen können, ob angesichts der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles ausreichend konkrete Indizien für das Vorliegen von strafprozessualen Haftgründen vorliegen und ob die Haftdauer verhältnismässig erscheint. Nach der übereinstimmenden Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesgerichtes verlangt
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
daher zwar ein Mindestmass an kontradiktorischer Ausgestaltung des Haftprüfungsverfahrens. Weder die EMRK noch die Bundesverfassung verlangen für die richterliche Prüfung von Haftentlassungsgesuchen jedoch eine mündliche Verhandlung bzw. eine persönliche Vorführung und Anhörung des Angeschuldigten durch den Haftrichter. Das rechtliche Gehör des Inhaftierten kann in der Regel auch auf andere Weise ausreichend gewahrt werden, etwa im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens (
BGE 125 I 113
E. 2a S. 115 mit Hinweisen; EGMR vom 21. Oktober 1986 i.S. Sanchez-Reisse c. CH, Série A, vol. 107 Ziff. 51 ff.). Dabei räumt die Rechtsprechung dem Angeschuldigten insbesondere den prozessualen Anspruch ein, zu jeder Vernehmlassung der Strafverfolgungsbehörden zu replizieren, unbekümmert darum, ob darin neue Tatsachen vorgebracht
BGE 126 I 172 S. 176
werden oder nicht (
BGE 125 I 113
E. 2a S. 115 mit Hinweisen). Ein mündliches Haftprüfungsverfahren könnte sich in Ausnahmefällen als sachlich geboten aufdrängen, so etwa, wenn für die Prüfung der Rechtmässigkeit der Haft die Erhebung von Beweisen durch den Haftrichter notwendig erschiene (vgl. Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Oktober 1997 i.S. R. B., E. 3b/dd = EuGRZ 1992 S. 553 ff.).
d) An dieser Praxis zum verfassungsmässigen Recht auf persönliche Freiheit und zu
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
ist auch nach Inkrafttreten von
Art. 31 Abs. 4 BV
weiterhin festzuhalten. Die vom Beschwerdeführer zusätzlich angerufenen
Art. 8 und 10 BV
haben in diesem Zusammenhang keine über das bereits Dargelegte hinausgehende Bedeutung.
e) Wie den Akten des kantonalen Haftprüfungsverfahrens zu entnehmen ist, hatte der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit, sein Haftentlassungsgesuch schriftlich zu begründen und auf die Vernehmlassungen der Strafjustizbehörden zu replizieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er anwaltlich verbeiständet war. Der Beschwerdeführer macht keine Umstände geltend, welche ausnahmsweise eine mündliche Verhandlung vor dem Haftrichter als sachlich geboten erscheinen liessen. Solche gehen auch aus den vorliegenden Akten nicht hervor.
f) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Verzicht auf eine mündliche haftrichterliche Verhandlung im hier zu beurteilenden Fall vor der Verfassung und der EMRK standhält.
4.
(Verfassungskonformität der Annahme von Fortsetzungsgefahr.)
5.
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine übermässige Dauer des vorläufigen Massnahmenvollzuges.
a) Gemäss
Art. 31 Abs. 3 BV
und
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Haftrichter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt. Im Weiteren kann eine Haft die
BGE 126 I 172 S. 177
zulässige Dauer auch dann überschreiten, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird, wobei sowohl das Verhalten der Justizbehörden als auch dasjenige des Inhaftierten in Betracht gezogen werden müssen. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesgerichts und der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention ist die Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles zu beurteilen (
BGE 124 I 208
E. 6 S. 215;
BGE 123 I 268
E. 3a S. 273, je mit Hinweisen).
b) Im Falle des vorzeitigen Massnahmenvollzuges stellt sich bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer eine besondere Schwierigkeit, da freiheitsentziehende sichernde Massnahmen grundsätzlich auf unbestimmte Zeit (nämlich so lange sie sachlich geboten erscheinen) angeordnet werden. Anders als beim vorzeitigen Strafvollzug kann beim vorzeitigen Massnahmenvollzug nicht von einer bestimmten Dauer der zu erwartenden Sanktion ausgegangen werden. Wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, besteht diese Schwierigkeit auch dann, wenn neben der sichernden Massnahme eine Freiheitsstrafe ausgefällt wurde bzw. absehbar erscheint.
c) Für das schweizerische Erwachsenenstrafrecht gilt das sogenannte "dualistisch-vikariierende System": Falls ein Massnahmebedürftiger schuldhaft delinquiert hat, ordnet der Richter sowohl die schuldangemessene Strafe (
Art. 63 StGB
) als auch die aus Präventionsgründen sachlich gebotene sichernde Massnahme an. Letztere kann an die Stelle der Strafe treten und wird regelmässig zuerst vollstreckt (vgl. JÖRG REHBERG, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, Jugendstrafrecht, 6. Aufl., Zürich 1994, S. 18; HANS SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. 2, 4. Aufl., Bern 1982, S. 35 ff.; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 1 N. 69 ff.). Von der Dauer der ausgefällten Freiheitsstrafe kann somit nicht auf die Dauer der gleichzeitig angeordneten freiheitsentziehenden Massnahme geschlossen werden: Anders als bei der Strafe kommt es für die Dauer einer sichernden Massnahme nicht auf das Verschulden an, sondern auf die Behandlungsbedürftigkeit des Verurteilten. Ist der Grund der Massnahme weggefallen, weil sie ihren Zweck erreicht hat (oder nicht mehr erreichen kann), wird sie aufgehoben. Ist das Massnahmenziel teilweise erreicht worden, kann der Verurteilte probeweise entlassen werden (
Art. 43 Ziff. 4 StGB
; vgl.
BGE 122 IV 8
E. 3a S. 15 f.;
BGE 121 IV 1
E. 2 S. 2 f.; STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 38, 107).
BGE 126 I 172 S. 178
d) Wie dargelegt, kann nicht einfach von der Höhe der ausgefällten (schuldadäquaten) Freiheitsstrafe auf die voraussichtliche Dauer der gleichzeitig angeordneten sichernden Massnahme geschlossen werden. Dennoch ist bei der Frage, wie lange eine sichernde Massnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit voraussichtlich dauern werde, auch der Schwere der Tatvorwürfe in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Dies umso mehr, als die hier in Frage kommende Massnahme nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
(Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt) jedenfalls ein Verbrechen oder Vergehen voraussetzt.
§ 75 Abs. 4 StPO
/BS sieht die Entlassung aus dem vorläufigen Massnahmevollzug (ausser beim Dahinfallen der Haftgründe) lediglich vor, wenn "nach Art und Dauer der vorzeitig angetretenen Sanktion die Voraussetzungen einer bedingten oder endgültigen Entlassung gegeben" sind.
e) Als strafprozessuale Zwangsmassnahme muss allerdings auch vorzeitiger Massnahmenvollzug verhältnismässig erscheinen. Für die Verneinung von Überhaft genügt somit ein blosser Hinweis darauf nicht, dass freiheitsentziehende Massnahmen auf unbestimmte Dauer ausgesprochen werden, zumal auch eine rechtskräftig ausgefällte sichernde Massnahme in regelmässigen Abständen zu kontrollieren wäre (vgl.
BGE 116 Ia 60
E. 3a S. 64). Im Falle von vorzeitigem stationärem Massnahmenvollzug hat der Haftrichter daher zu prüfen, ob aufgrund der Aktenlage mit einer Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Massnahme ernsthaft zu rechnen ist, deren gesamter Vollzug deutlich länger dauern könnte als die bisherige strafprozessuale Haft. Für den Haftrichter kann es allerdings schwierig sein, abzuschätzen, wann der Angeschuldigte nach einem rechtskräftig angeordneten Vollzug der sichernden Massnahme probeweise oder endgültig entlassen werden könnte. Dabei muss er sich an der Therapieprognose des gerichtlich bestellten psychiatrischen Gutachters orientieren sowie an der diesbezüglichen Einschätzung des erkennenden Strafgerichtes, sofern - wie hier - bereits ein (noch nicht rechtskräftiges) gerichtliches Urteil vorliegt.
f) Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer geltend, er befinde sich "seit dem 9. Februar 1999, d.h. seit über 16 Monaten" in Haft. Zwar wurde er vom Strafgericht Basel-Stadt "bloss" zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde aber zu Gunsten einer Massnahme nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
aufgeschoben. Auch wenn das Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist, muss der Beschwerdeführer somit ernsthaft damit rechnen, dass die sichernde Massnahme deutlich länger
BGE 126 I 172 S. 179
dauern könnte als die (schuldangemessene) Gefängnisstrafe von vier Monaten. Angesichts des Höchststrafmasses von 7 1/2 Jahren Zuchthaus für mehrfachen einfachen Betrug (Art. 146 Abs. 1 i.V.m.
Art. 68 StGB
) erklärt sich das relativ milde Strafmass von vier Monaten Gefängnis mit dem krankheitsbedingten reduzierten Mass an Schuldfähigkeit seitens des Verurteilten.
g) Das geringe Mass an strafrechtlicher Vorwerfbarkeit lässt hingegen keineswegs auf fehlende Behandlungsbedürftigkeit und Rückfallsneigung schliessen, ganz im Gegenteil: Die behandelnden Ärzte haben beim Beschwerdeführer ein "komplexes Störungsbild" diagnostiziert, welches aus präventiven Gründen eine "längerdauernde, intensive psychotherapeutische/psychoedukative Behandlung" notwendig erscheinen lasse. Im Ergänzungsgutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel vom 16. Juli 1999 wird der Behandlungszeitraum auf zwei bis drei Jahre veranschlagt. Für die Verhältnismässigkeit der vorläufigen sichernden Massnahme spricht sodann der Umstand, dass es sich bei mehrfachem Betrug (
Art. 146 Abs. 1 StGB
) um Verbrechen (und nicht bloss um Vergehen) im Sinne von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
handelt. S-chliesslich ist auch der hohen Rückfallsgefahr bzw. dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Beschwerdeführer bereits zahlreiche schwerwiegende Delikte verübt hat, woraus sich ein besonderes öffentliches Interesse an einer wirksamen präventiven Behandlung begründen lässt. Der Beschwerdeführer macht denn auch nicht geltend, die Behandlungsbedürftigkeit sei nicht mehr gegeben oder es wären in anderer Hinsicht die "Voraussetzungen einer bedingten oder endgültigen Entlassung" aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug erfüllt (vgl.
§ 75 Abs. 4 StPO
/BS).
h) In Würdigung sämtlicher Umstände muss der Beschwerdeführer ernsthaft mit dem Vollzug einer freiheitsentziehenden Massnahme rechnen, deren Gesamtdauer (bis zur probeweisen oder definitiven Entlassung) deutlich über der bisher erlittenen Haftdauer von knapp 17 Monaten liegen könnte. Darauf lässt nicht zuletzt auch das Ergänzungsgutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel vom 16. Juli 1999 schliessen, welches von einer mutmasslichen Behandlungsdauer von zwei bis drei Jahren ausgeht.
i) Schliesslich lässt sich aufgrund der vorliegenden Akten auch der Vorwurf nicht begründen, die kantonalen Behörden hätten das Strafverfahren nicht ausreichend vorangetrieben. Der blosse Umstand, dass das Strafgericht Basel-Stadt mehr als sechs Monate
BGE 126 I 172 S. 180
für die Ausfertigung der Urteilsbegründung benötigt habe, stellt keine Verschleppung des Verfahrens dar, welche eine Haftentlassung rechtfertigen würde. Dies umso weniger, als es sich um einen komplexen Straffall mit umfangreichen Akten handelt. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
748afbf2-b1ba-4744-bb7d-b44568f8602e | Urteilskopf
122 II 228
32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Juli 1996 i.S. Bundesamt für Polizeiwesen gegen S. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 90 Ziff. 2,
Art. 16 Abs. 3 lit. a und
Art. 32 SVG
;
Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV
; obligatorischer Führerausweisentzug.
Wer die Innerorts-Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 31 km/h überschreitet, begeht objektiv immer eine schwere Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 beziehungsweise
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
. Bejahung subjektiver Tatbestandselemente auf Grund örtlicher Situation (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 228
BGE 122 II 228 S. 228
S. überschritt am 26. August 1994 um 16.14 Uhr auf der Lukasstrasse in St. Gallen mit seinem Personenwagen die gesetzliche Innerorts-Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 31 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h). Das Untersuchungsrichteramt St. Gallen büsste ihn deswegen am 10. November 1994 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit Fr. 600.--.
BGE 122 II 228 S. 229
Das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons St. Gallen entzog S. am 13. Januar 1995 wegen desselben Vorfalls den Führerausweis für die Dauer von drei Monaten. Einen Rekurs des Betroffenen hiess die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen am 13. Dezember 1995 teilweise gut und setzte die Entzugsdauer auf zwei Monate fest.
Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und S. sei der Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten zu entziehen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen (
Art. 32 Abs. 1 SVG
; SR 741.01). Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge beträgt unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen 50 km/h in Ortschaften (Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelverordnung [VRV; SR 741.11]). Abweichende signalisierte Höchstgeschwindigkeiten gehen den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten vor (
Art. 4a Abs. 5 VRV
).
Gemäss
Art. 90 Ziff. 1 SVG
wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
Gemäss
Art. 16 Abs. 2 SVG
kann der Führer- oder Lernfahrausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Der Führer- oder Lernfahrausweis muss entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
).
b)
Art. 90 Ziff. 2 SVG
ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit abstrakt oder konkret gefährdet hat.
BGE 122 II 228 S. 230
Subjektiv erfordert der Tatbestand, dass dem Täter aufgrund eines rücksichtslosen oder sonstwie schwerwiegend regelwidrigen Verhaltens zumindest eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus (
BGE 121 IV 230
E. 2b/aa mit Hinweisen).
Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, gefährdet in schwerer Weise den Verkehr im Sinne von
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
. Diese beiden Vorschriften stimmen inhaltlich miteinander überein (
BGE 120 Ib 285
).
Nach der neueren Rechtsprechung gilt auf richtungsgetrennten Autobahnen, dass bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um wenig mehr als 30 km/h die konkreten Umstände zu prüfen sind für die Beantwortung der Frage, ob Art. 90 Ziff. 2 beziehungsweise
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
anwendbar ist. Ungeachtet der konkreten Umstände sind diese Bestimmungen dagegen stets anwendbar, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h überschritten wird (
BGE 118 IV 188
E. 2b;
BGE 119 Ib 154
E. 2a, je mit Hinweis). Ebenfalls unabhängig der konkreten Umstände ist objektiv eine schwere Verkehrsregelverletzung gemäss
Art. 90 Ziff. 2 SVG
erfüllt, wenn auf nicht richtungsgetrennten Autostrassen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h oder mehr überschritten wird (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Kassationshofes vom 3. Mai 1996 i.S. P.).
In
BGE 121 II 127
wurde auf die besonderen Gefahren von Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts hingewiesen. Die Zahl der vom Lenker zu verarbeitenden Reize ist innerorts grösser als ausserorts und auf der Autobahn, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfordert. Zudem sind innerorts viele schwache Verkehrsteilnehmer vorhanden (Fussgänger, Velofahrer), die - vor allem Kinder und ältere Menschen - einem besonderen Risiko ausgesetzt sind. Darüber hinaus besteht eine erhöhte Gefahr von Seitenkollisionen. In dem in BGE
BGE 121 II 127
zu beurteilenden Fall schützte das Bundesgericht den Entscheid der kantonalen Behörde, die einen mittelschweren Fall nach
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG
annahm bei einer Fahrzeuglenkerin, welche die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um
BGE 122 II 228 S. 231
27 km/h überschritten hatte. Es liess offen, ob nicht sogar ein schwerer Fall nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
anzunehmen gewesen wäre, da eine Erhöhung der Dauer des Führerausweisentzugs aus prozessualen Gründen ausser Betracht fiel (E. 4d).
c) Der Beschwerdegegner hat die signalisierte Höchstgeschwindigkeit innerorts um 31 km/h überschritten. Da auf nicht richtungsgetrennten Autostrassen bereits eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h objektiv eine schwere Verkehrsregelverletzung darstellt, ist auch hier von einer solchen auszugehen.
Im angefochtenen Entscheid äussert sich die Vorinstanz nur theoretisch über Geschwindigkeiten, die im Innerortsbereich gefahren werden dürfen, nicht aber über die besonderen Örtlichkeiten der Lukasstrasse in St. Gallen. In ihrer Vernehmlassung fügt sie abschliessend bei, die Lukasstrasse stelle keine typische Innerortsstrecke dar, da sie im Messbereich nicht überbaut sei. Diese Aussage berichtigt die Vorinstanz jedoch in der Duplik, weil sie früher irrtümlich davon ausgegangen sei, die Messung habe im Bereich der Brücke stattgefunden. Die Vorinstanz nimmt somit für den Bereich der Lukasstrasse 30, dem Ort der Geschwindigkeitsmessung, eine dichte Überbauung und auch Innerortscharakter an. Damit ist der Einwand des Beschwerdegegners gegenstandslos, das Bundesgericht sei im Rahmen von
Art. 105 Abs. 2 OG
an die vorinstanzliche Feststellung gebunden, vorliegend handle es sich nicht um eine typische Innerortssituation.
Aus dem Polizeirapport vom 6. September 1994, den vom Beschwerdegegner in der Vernehmlassung sowie der Duplik eingereichten Fotos und dem von der Stadtpolizei St. Gallen gefaxten Ausschnitt des Stadtplanes mit eingezeichneten Liegenschaften ergibt sich folgendes Bild: Die Radarmessung erfolgte auf der Höhe Lukasstrasse Nr. 30. Bereits vor dieser Liegenschaft steht linksseitig das Wohnhaus Nr. 34 mit einem Ausgang (Gartentor) auf das Trottoir. Noch vor dieser Liegenschaft besteht links eine öffentlich zugängliche Einfahrt und rechts - unmittelbar vor dem Trainingsplatz des FC St. Gallen - eine private Zufahrt. Ab der Liegenschaft Nr. 30 ist die linke Seite der Lukasstrasse dicht überbaut. Auf der rechten Seite erstreckt sich noch auf etwa 20 m der Trainingsplatz; anschliessend folgt auch hier eine dichte Überbauung mit überwiegend Gewerbe- oder Industriebetrieben sowie dazugehörigen Ausfahrten und Parkplätzen. Die Lukasstrasse beschreibt kurz vor der Liegenschaft Nr. 30 eine leichte Rechtskurve und ist auf der ganzen
BGE 122 II 228 S. 232
Länge beidseitig mit Trottoirs versehen. Sie verbindet die Ortsteile Neudorf und Heiligkreuz. Insbesondere aufgrund der dichten Überbauung und den Einfahrten im Bereich der Geschwindigkeitsmessung ist mit dem BAP und entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners der Innerortscharakter der fraglichen Stelle zu bejahen.
Diesen Verhältnissen hat der Beschwerdegegner mit seiner massiv übersetzten Geschwindigkeit in krasser Weise nicht Rechnung getragen. Er musste - da die Lukasstrasse zwei Ortsteile miteinander verbindet - insbesondere mit Fussgängern und Zweiradfahrern rechnen. Zudem musste er gewärtigen, dass Fahrzeuge aus verschiedenen Einfahrten vor und nach der Liegenschaft Nr. 30 auf die Lukasstrasse einbiegen würden. Diese anderen Verkehrsteilnehmer durften sich, auch soweit sie wartepflichtig waren, auf den Vertrauensgrundsatz berufen (
BGE 120 IV 252
E. 2d/aa). Sie mussten sich nicht darauf einstellen, dass ein Fahrzeug mit einer derart übersetzten Geschwindigkeit herannahen würde (vgl.
BGE 118 IV 277
, wonach auf Hauptstrassen ausserorts, wo die allgemeine Höchstgeschwindigkeit nach Art. 4a Abs. 1 lit. b VRV 80 km/h beträgt, generell mit Geschwindigkeiten von über rund 90 km/h nicht gerechnet werden muss). Unter diesen Umständen ist das Verhalten des Beschwerdegegners mindestens als grobfahrlässig zu bezeichnen, weshalb auch subjektiv eine schwere Verkehrsregelverletzung vorliegt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Verkehrsaufkommen im Zeitpunkt der Widerhandlung gering war und eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht aktenkundig ist. Denn die Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 beziehungsweise
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
setzt keine konkrete Gefahr voraus. Eine erhöhte abstrakte Gefahr genügt. Diese lag hier vor.
d) Die Ausführungen des Beschwerdegegners sowohl in Vernehmlassung als auch in der Duplik befassen sich hauptsächlich mit den örtlichen Gegebenheiten im Bereich der Brücke, nicht aber auf der Höhe der Lukasstrasse 30, dem hier entscheidenden Standort. Ausgehend von dieser falschen Annahme gehen denn auch seine rechtlichen Erwägungen an der Sache vorbei. Soweit der Beschwerdegegner geltend macht, der Strafrichter habe ihn nur wegen
Art. 90 Ziff. 1 SVG
verurteilt, woran die Administrativbehörde gebunden sei, kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (
Art. 36a Abs. 3 OG
). Schliesslich hilft dem Beschwerdegegner auch der Hinweis auf die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Ordnungsbussen vom 6. Oktober 1995 nicht weiter. Denn auch nach der neuen Ordnungsbussenverordnung vom 4.
BGE 122 II 228 S. 233
März 1996 werden Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts um 16 und mehr km/h wie bisher im ordentlichen Strafverfahren geahndet (Bussenliste 303.1; AS 1996, 1088).
4.
Nach dem Gesagten hat der Beschwerdegegner einen obligatorischen Entzugsgrund gesetzt (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
). Da er die neuerliche Verfehlung zudem innert zwei Jahren seit dem letzten Führerausweisentzug begangen hat, beträgt die Entzugsdauer mindestens sechs Monate (
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
;
BGE 119 Ib 154
E. 2b). | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7498f2a0-1356-478b-8f72-35aaec6334b2 | Urteilskopf
88 II 463
65. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 17 octobre 1962 dans la cause Tavernler contre Confédératlon sulsse et "Winterthour", compagnie d'assurances. | Regeste
Das direkte Klagerecht des Geschädigten gegen den Versicherer gemäss Art. 49 Abs. 1 MFG besteht nur bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung. | Sachverhalt
ab Seite 463
BGE 88 II 463 S. 463
Résumé des faits:
Tavernier a subi des lésions corporelles à la suite d'une collision entre sa motocyclette, qu'il pilotait, et un véhicule militaire. Il a intenté une action en réparation de son dommage à la Confédération suisse, détenteur du véhicule militaire, et à son assureur, la compagnie d'assurances "Winterthour".
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le dommage provient d'un accident survenu entre deux véhicules automobiles. La responsabilité civile entre détenteurs est régie par l'art. 37 LA, auquel renvoie l'art. 39, Ire phrase, LA (RO 68 II 124). Ces règles sont applicables aux véhicules de la Confédération (art. 47 LA), qui ne sont toutefois pas soumis à l'assurance-responsabilité civile obligatoire (art. 48 al. 4 LA).
2.
A l'appui de leur recours joint, les intimées contestent la qualité pour défendre de la "Winterthour", compagnie auprès de laquelle la Confédération a contracté une assurance-responsabilité civile facultative. L'art. 49 al. 1 LA confère au lésé une action directe contre l'assureur, dans les limites des sommes assurées par le contrat. Cette disposition légale ne précise pas si l'action directe
BGE 88 II 463 S. 464
est liée à l'assurance obligatoire ou si elle compète au lésé même en cas d'assurance facultative.
Malgré les termes généraux de ses motifs, l'arrêt publié au RO 61 II 202 n'étend pas l'action directe du lésé aux cas où le détenteur non soumis à l'obligation légale a contracté une assurance-responsabilité civile facultative. Il concerne la réparation du dommage causé en Suisse par l'emploi d'un véhicule automobile étranger, dont le détenteur était assuré. Or l'art. 54 LA, qui charge le Conseil fédéral d'édicter les prescriptions régissant l'assuranceresponsabilité civile des véhicules étrangers, n'avait pas encore été exécuté. Le Tribunal fédéral a alors appliqué les règles ordinaires, notamment les art. 48 et 49 LA. Dans l'espèce ainsi jugée, l'assurance obligatoire était bien prescrite par la loi. C'est seulement parce que les dispositions d'exécution n'avaient pas encore été édictées que l'assurance se trouvait provisoirement facultative (STREBEL, note 10 ad art. 49 LA). L'arrêt laisse donc intacte la question à résoudre aujourd'hui.
L'art. 49 al. 1 LA, qui prévoit l'action directe, suit immédiatement l'art. 48 LA, relatif à l'assurance-responsabilité civile obligatoire. La place de ces deux dispositions indique déjà une relation étroite entre les deux institutions qu'elles concernent. De plus, la ratio legis, qui est déterminante, conduit à la même interprétation. L'assurance obligatoire tend à garantir au lésé la réparation du dommage par un débiteur solvable. L'action directe vise le même but. Elle facilite en outre la marche à suivre pour obtenir satisfaction. Si le législateur a dispensé la Confédération et les cantons de l'assurance obligatoire, c'est parce que ces collectivités publiques disposent de moyens financiers suffisants et ne se déroberont pas à l'obligation de payer des dommages-intérêts, qu'elle ait été reconnue spontanément ou qu'elle résulte d'une condamnation pécuniaire. Par les mêmes motifs, l'action directe du lésé s'avère superflue. Il faut donc admettre, avec la doctrine (STREBEL, loc.cit.; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 1re éd., vol. II
BGE 88 II 463 S. 465
p. 1007, ad art. 49 al. 1 LA; cf. aussi 2e éd., vol. II/2 p. 746, ad art. 65 LCR), que l'art. 49 al. 1 LA s'applique seulement à l'assurance-responsabilité civile obligatoire. Lorsqu'un détenteur conclut une assurance facultative, on ne saurait présumer que les parties au contrat ont voulu une assurance dans le sens des prescriptions de la LA, comprenant notamment l'action directe, comme le suggère STREBEL (note 86 ad art. 48 LA). Pareille présomption nuirait à la sécurité du droit.
Les conclusions de Tavernier doivent dès lors être rejetées dans la mesure où elles sont dirigées contre la "Winterthour", qui n'a pas qualité pour défendre. | public_law | nan | fr | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
749a5778-1da9-4a24-9a4f-a32109060d6d | Urteilskopf
103 II 240
41. Arrêt de la Ire Cour civile du 15 novembre 1977 dans la cause Jeanneret contre commune du Landeron | Regeste
Art. 58 OR
. Haftung des Strasseneigentümers infolge mangelhafter Signalisierung.
Haftung einer Gemeinde als Eigentümerin einer Strasse, die durch einen weniger als 4 m hohen gewölbten Tunnel führt, weil das Signal "Höchsthöhe" nicht angebracht worden war (
Art. 19 Abs. 2,
Art. 14 Abs. 3 SSV
) (E. 2 und E. 3). Adäquater Kausalzusammenhang zwischen der mangelhaften Signalisierung und dem Schaden an einem Anhänger, dessen Dach an der Tunneldecke anstiess (E. 4). Konkurrierendes Verschulden des Fahrzeugführers (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 103 II 240 S. 241
William Jeanneret, qui est forain, exploite notamment une roulotte équipée pour le tir au fusil à air comprimé. Cette roulotte est large de 2 m 43; la hauteur maximum du toit, légèrement incliné, ne dépasse pas 3 m 40.
Le 22 septembre 1975, Jeanneret s'est rendu au Landeron en remorquant cette roulotte au moyen d'un camion. Pénétrant dans le bourg par le nord, il a emprunté la route qui passe sous deux tunnels en voûte percés dans d'anciennes tours de l'enceinte. Auparavant, il s'était rendu sur place en auto pour voir si la hauteur des tunnels était indiquée. En l'absence d'une signalisation de hauteur, il a pensé que son convoi pouvait passer. Lors de la traversée du premier tunnel, la partie la plus haute de la roulotte a heurté le bord gauche de la voûte et a été gravement endommagée.
Le point de choc se situe à une hauteur de 3 m 34 à partir de la chaussée. Celle-ci est large de 4 m 06, et le sommet de la voûte se trouve à 3 m 89 du milieu de la route. Il n'y avait pas de signal "hauteur maximale" (No 215) devant le passage ni comme signal avancé.
Jeanneret a rendu la commune du Landeron responsable du dommage causé à sa remorque, pour avoir omis de placer un signal indiquant la hauteur du tunnel. La commune a contesté sa responsabilité.
BGE 103 II 240 S. 242
Jeanneret a ouvert action contre la commune du Landeron en paiement de 20'000 fr. avec intérêt à 5% dès le dépôt de la demande, le 14 septembre 1976.
La défenderesse a conclu à libération.
Le Tribunal cantonal neuchâtelois a rejeté la demande par jugement du 4 juillet 1977, en estimant que l'accident était imputable à la faute exclusive du demandeur.
Jeanneret recourt en réforme au Tribunal fédéral en reprenant ses conclusions de première instance.
L'intimée propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal cantonal a examiné l'action, fondée sur les
art. 41 ss CO
, d'une part au regard de la loi neuchâteloise du 2 décembre 1903 sur la responsabilité civile de l'Etat et des communes, loi qui renvoie pour les actions civiles aux règles du Code des obligations, d'autre part au point de vue de l'
art. 58 CO
. Il a nié la responsabilité de la défenderesse selon cette dernière disposition en considérant que la "faute grave largement prépondérante" commise par le demandeur avait "interrompu le lien de causalité entre le dommage et le défaut de signalisation". Le demandeur conteste en instance de réforme l'interruption du lien de causalité; il fait valoir que la faute éventuelle qu'il a pu commettre ne saurait être tenue pour la seule cause de l'accident.
L'application du droit cantonal sur la responsabilité civile de l'Etat et des communes ne peut pas être revue en instance de réforme (art. 43 al. 1, 55 al. 1 litt. c OJ). La responsabilité de la défenderesse doit en revanche être examinée sous l'angle des art. 41 ss, notamment 58 CO.
2.
a) Une route avec ses parties intégrantes est un ouvrage au sens de l'
art. 58 CO
(
ATF 100 II 137
consid. 2 et les références citées; cf. aussi
ATF 102 II 345
). En l'espèce, les passages voûtés percés dans les anciennes tours de l'enceinte font partie intégrante de la route donnant accès au bourg du Landeron.
Le jugement attaqué ne constate pas expressément que la commune défenderesse est propriétaire de l'ouvrage en question. Mais le Tribunal cantonal l'admet implicitement, en examinant si la responsabilité de la défenderesse est engagée
BGE 103 II 240 S. 243
au regard de l'
art. 58 CO
en raison du défaut de signalisation dont elle répond, et en niant cette responsabilité parce que le lien de causalité entre le dommage et ce défaut de signalisation aurait été interrompu et que la route ne présenterait pas d'autres défauts au sens de l'art. 58. La défenderesse n'a d'ailleurs jamais contesté être propriétaire de la route, qu'elle qualifie elle-même de route communale, et a admis être responsable de la signalisation routière sur cette partie du territoire communal. Elle répond donc du dommage subi par le demandeur selon l'
art. 58 CO
, si ce dommage a été causé par un vice de construction ou un défaut d'entretien de l'ouvrage.
b) Une route, comme tout autre ouvrage, doit être construite et aménagée de manière à offrir une sécurité suffisante aux usagers eu égard à la circulation à laquelle elle est affectée (
ATF 102 II 345
s. consid. 1 c). Si elle présente des obstacles propres à entraver la circulation, ils doivent être dûment signalés (
ATF 84 II 266
). L'absence d'un signal indispensable peut constituer un défaut d'entretien au sens de l'
art. 58 CO
(arrêt non publié Bürgi c. Etat du Valais, du 21 octobre 1942, consid. 2; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/1, pp. 42, 82-84).
3.
L'
art. 19 al. 2 OSR
dispose ce qui suit:
"Le signal "Hauteur maximale" (215) est placé avant les passages souterrains, les tunnels, les galeries, les ponts couverts, etc., et interdit la circulation des véhicules qui, chargement compris, dépassent la hauteur indiquée. Il est indispensable là où l'espace n'est pas suffisant pour des véhicules de 4 m de hauteur. Ce signal est placé devant l'obstacle même ou comme signal avancé. Au surplus, les dispositions concernant les signaux de danger s'appliquent à l'installation de ce signal."
Selon BUSSY et RUSCONI (Code suisse de la circulation routière annoté, n. 2 ad
art. 19 OSR
), le signal "hauteur maximale", No 215, n'exige pas une ordonnance préalable des autorités et doit fixer en général une valeur inférieure de 20 cm à la hauteur effective du passage, selon la norme 640 840 de l'Union suisse des professionnels de la route sur le placement des signaux routiers, de mai 1971, norme qui a été approuvée par le Département fédéral de justice et police (
art. 74 al. 3 OSR
).
La hauteur du passage litigieux n'étant que de 3 m 89 à partir du milieu approximatif de la chaussée jusqu'au point le
BGE 103 II 240 S. 244
plus élevé de la voûte, il était exclu que des véhicules de 4 m de hauteur pussent emprunter ce passage, et la défenderesse était tenue de placer le signal "hauteur maximale". Elle devait d'autre part, selon l'
art. 14 al. 3 OSR
, poser un signal avancé annonçant la limitation de hauteur assez tôt pour permettre aux conducteurs d'emprunter une déviation (cf. en outre le texte allemand de l'
art. 19 al. 2 OSR
, aux termes duquel le signal No 215 "steht beim Hindernis selbst und als Vorsignal"). Le Tribunal cantonal considère avec raison que l'objection de la défenderesse, selon laquelle elle n'avait pas placé le signal 215 pour des raisons d'esthétique, ne résiste pas à l'examen: d'une part, elle avait posé sur le mur d'enceinte le signal 123 (enfants); d'autre part, cette objection est sans pertinence quant à l'obligation de placer un signal avancé.
La défenderesse a ainsi contrevenu de manière manifeste aux art. 19 al. 2 et 14 al. 3 OSR.
4.
a) La cour cantonale constate que le demandeur a subi un dommage en empruntant le passage voûté aménagé en tunnel dans le mur d'enceinte. Elle admet que le dommage procède de l'utilisation de ce passage, dont la hauteur maximale n'était pas signalée, et qu'il y a dès lors en principe un rapport de causalité naturelle entre le préjudice subi par le demandeur et le défaut de signalisation imputable à la défenderesse. Mais, selon les premiers juges, "cette causalité paraît douteuse". A leur avis, "il est vraisemblable qu'en présence du signal le demandeur ne se serait pas comporté d'une autre manière qu'il l'a fait pour franchir le tunnel, préalablement reconnu et permettant le passage d'un convoi ayant les dimensions de celui du demandeur". Il s'agit là d'une supposition et non d'une constatation liant le Tribunal fédéral. Le jugement déféré ne mentionne aucun indice quelconque qui pourrait fonder cette supposition. Quoi qu'il en soit, le Tribunal cantonal admet la causalité naturelle entre le manque de signalisation de la hauteur maximale et le dommage causé au demandeur, quand bien même elle lui paraît douteuse. Cette constatation concernant la causalité naturelle lie le Tribunal fédéral saisi d'un recours en réforme (
ATF 101 II 73
consid. 3,
ATF 98 II 291
,
ATF 96 II 37
, 395).
b) Les premiers juges estiment avec raison que la causalité naturelle ne suffit pas pour que la responsabilité de la défenderesse soit engagée; il faut que la causalité soit adéquate. Selon
BGE 103 II 240 S. 245
la jurisprudence (
ATF 101 II 73
consid. 3 a et les références), la causalité est adéquate si, d'après le cours ordinaire des choses et l'expérience de la vie, le fait considéré était propre à entraîner un effet du genre de celui qui s'est produit, la survenance de ce résultat paraissant de façon générale favorisée par une telle circonstance.
Le Tribunal cantonal considère que le demandeur, qui connaissait les lieux, est entré dans le passage litigieux trop à gauche, du côté où sa roulotte était la plus haute, à une vitesse inadaptée à la configuration des lieux, que le convoi avait des dimensions lui permettant de franchir ce passage et que, partant, l'accident est imputable à la faute du conducteur résultant de cette fausse manoeuvre. Il admet que cette faute est grave, qu'elle est largement prépondérante et qu'elle interrompt le lien de causalité adéquate entre le dommage subi par le demandeur et le défaut de signalisation: étant donné les dimensions du passage et celles du convoi, l'omission du signal 215 n'était pas de nature à causer l'accident si le demandeur avait circulé en prenant les précautions nécessaires.
c) Cette appréciation au sujet de la causalité adéquate relève du droit et peut dès lors être revue par le Tribunal fédéral en instance de réforme (
ATF 101 II 73
consid. 3, 98 II 291, 96 II 396).
Selon les constations du jugement attaqué, le demandeur avait déjà traversé le passage litigieux avec une autre installation démontable chargée sur un camion, mais non avec la remorque en cause. Avant de venir emprunter le même passage avec cette remorque, il s'était rendu sur place en voiture pour voir si la hauteur de la porte de la ville était indiquée. En l'absence d'une signalisation de hauteur maximale, il a pensé que son convoi pouvait passer.
Comme aucune limitation de hauteur n'était indiquée au moyen du signal obligatoire 215, le demandeur était en droit d'admettre qu'un véhicule de 4 m de hauteur et d'une largeur normale (2 m 30 selon l'
art. 9 al. 2 LCR
; 2 m 50 au maximum d'après l'
art. 64 OCR
) pouvait emprunter le passage litigieux.
Or d'après le plan de ce passage, comportant des mesures précises, versé au dossier cantonal par la défenderesse, un véhicule de 2 m 30 de largeur, circulant au milieu de la chaussée, ne pouvait pas passer s'il avait une hauteur
BGE 103 II 240 S. 246
de 3 m 57, car il heurtait alors la voûte. Compte tenu d'une marge de sécurité minimum, la hauteur autorisée devait être inférieure à 3 m 40, et la circulation interdite à des véhicules atteignant cette hauteur, ce qui était le cas de la remorque du demandeur sur un de ses côtés. Le fait que le heurt du point le plus élevé de la remorque avec le côté gauche de la voûte ne se serait pas produit si le demandeur avait circulé plus à droite ne permet pas de considérer qu'il ait commis une faute interrompant le lien de causalité adéquate. Vu l'absence de tout signal prescrivant la hauteur maximale, le demandeur était en droit d'admettre qu'il pouvait passer sans encombre. Il est en effet difficile d'apprécier à vue d'oeil la hauteur réelle d'un passage voûté. D'autre part, la présence d'un cycliste ou d'un piéton dans le passage litigieux pouvait obliger le demandeur à porter son véhicule sur la gauche dans la mesure nécessaire. Quant à la vitesse de 10-12 km/h à laquelle le demandeur a traversé ce passage, elle n'était pas manifestement inadaptée aux conditions de la route du moment que le demandeur était fondé à admettre que la hauteur était suffisante.
D'après le cours ordinaire des choses et l'expérience de la vie, le défaut de signalisation imputable à la défenderesse, soit l'omission de placer le signal 215 indiquant une hauteur maximale inférieure à 3 m 40, était propre à entraîner la collision de la remorque du demandeur avec la voûte et, partant, à causer le dommage qui s'est produit. La responsabilité de la défenderesse est dès lors engagée selon l'
art. 58 CO
.
5.
Le demandeur n'a pas exercé l'attention et la prudence que commandaient les circonstances. S'il était fondé à admettre, vu l'absence de tout signal de hauteur maximale, que son véhicule pouvait franchir le passage litigieux, la configuration même des lieux - hauteur apparente de la voûte, légère déviation par rapport à l'axe de la route -, ainsi que les caractéristiques de la roulotte devaient l'inciter à aborder ce passage avec une vigilance particulière. La hauteur du tunnel et de la remorque n'étant pas uniformes, il devait s'engager de manière à bénéficier de la hauteur maximum, pour la partie la plus élevée de son véhicule. Or il ne l'a pas fait. Selon les constatations du jugement attaqué, la remorque pouvait passer: "Il restait au niveau du point de choc, de part et d'autre de la roulotte, une distance de 25 cm à gauche et à
BGE 103 II 240 S. 247
droite, compte tenu du rétrécissement de la voûte à cet endroit-là. Au même niveau, c'est-à-dire à celui du point de choc, la partie la plus élevée de la roulotte, à supposer que celle-ci occupât le milieu de la chaussée, se trouvait, à la verticale, à une distance de 20 cm environ de la voûte et de 55 cm à son sommet." En pénétrant dans le tunnel trop à gauche, soit du côté précisément où sa roulotte était la plus haute, le demandeur a contribué par sa faute à provoquer l'accident. La reconnaissance à laquelle il avait procédé avant celui-ci et l'absence d'un signal de hauteur maximale ne le dispensaient pas d'exercer l'attention et de faire preuve de la prudence dictées par les circonstances. Or il n'a pas ralenti avant d'aborder ce passage délicat.
Le demandeur répond ainsi d'une faute concurrente, qui justifie la réduction d'un tiers de la responsabilité de la défenderesse, selon l'
art. 44 al. 1 CO
.
6.
Le jugement attaqué ne contient aucune constatation ni ne fournit aucun élément d'appréciation permettant au Tribunal fédéral de fixer le dommage. Il doit dès lors être annulé, et la cause renvoyée à la juridiction cantonale pour qu'elle détermine le dommage et statue à nouveau. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
749c71ac-c9c3-4a89-8a84-dc03585f08e3 | Urteilskopf
97 I 604
83. Urteil vom 15. Oktober 1971 i.S. Polizeidepartement des Kantons Solothurn gegen Hänggi und Eidg. Justiz und Polizeidepartement. | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Zulässigkeit (Art. 101 lit. c/Art. 97 f. OG), Beschwerdelegitimation (
Art. 103 OG
).
Der Entscheid des EJPD über den Nichtvollzug einer Administrativmassnahme nach SVG ist keine Vollstreckungsverfügung; er kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Die kantonale Polizeibehörde ist hierzu jedoch nicht legitimiert. | Sachverhalt
ab Seite 605
BGE 97 I 604 S. 605
Am 31. Oktober 1969 überholte Hans Peter Hänggi mit seinem Lastenzug auf der Strasse von Flumenthal nach Solothurn einen Personenwagen mit Anhänger. Dabei missachtete er die Sicherheitslinie und die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit. Er wuwurde deswegen durch den Amtsgerichtspräsidenten von Solothurn-Lebern zu einer Busse von Fr. 60.- verurteilt. Das Polizeidepartement des Kantons Solothurn entzog ihm am 11. Dezember 1969 den Führerausweis für die Dauer eines Monats. Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn am 22. Januar 1970 ab.
In der Folge gelangte Hänggi an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Dieses wies mit Entscheid vom 21. Juni 1971 die Beschwerde ab, verfügte jedoch, dass die Administrativmassnahme nicht mehr vollzogen werde.
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 28. Juli 1971 begehrt das Polizeidepartement des Kantons Solothurn, der Entscheid des EJPD sei insoweit aufzuheben, als er anordne, die Massnahme sei nicht zu vollziehen.
Das EJPD beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegenstand der Anfechtung ist ein Beschwerdeentscheid des EJPD, wonach die von der kantonalen Behörde verfügte und vom EJPD bestätigte Administrativmassnahme nicht mehr vollzogen wird. Gegen Departementsentscheide ist nach
Art. 98 lit. b OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich zulässig. Es kann sich nur fragen, ob eine der in Art. 99 bis 102
BGE 97 I 604 S. 606
OG aufgeführten Ausnahmen auf den vorliegenden Fall zutrifft, insbesondere, ob der Entscheid des EJPD eine Vollstreckungsverfügung darstellt, gegen welche die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
Art. 101 lit. c OG
nicht zulässig ist.
Dies ist nicht der Fall. Vollstreckungsverfügungen im Sinne von
Art. 101 lit. c OG
ändern an der Rechtsstellung des Betroffenen nichts mehr. Ein schutzwürdiges Interesse, sie mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechten zu können, besteht deshalb nicht, weil damit nur die aus irgendwelchen Gründen unterlassene oder bereits rechtskräftig abgewiesene Beschwerde in einem späteren Zeitpunkt nachgeholt bzw. wiederholt würde (BBl. 1965 II 1313). Die angefochtene Verfügung des EJPD ändert dagegen den Entscheid der kantonalen Behörde und damit auch die Rechtsstellung des Verfügungsadressaten. Sie stellt eine neue, selbständige Verfügung dar, auf die keine der in Art. 99 bis 102 OG aufgeführten Ausnahmen zutrifft. Sie kann mithin mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden.
2.
Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach
Art. 103 OG
berechtigt:
"a) wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat;
b) das in der Sache zuständige Departement oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die in der Sache zuständige Dienstabteilung der Bundesverwaltung gegen die Verfügung einer eidgenössischen Rekurskommission, einer eidgenössischen Schiedskommission, einer letzten kantonalen Instanz oder einer Vorinstanz im Sinne von Artikel 98 Buchstabe h ...;"
"c) jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt."
Zur Begründung der Legitimation des Polizeidepartements des Kantons Solothurn fällt
Art. 103 lit. b OG
zum vorneherein ausser Betracht. Diese Bestimmung betrifft nur Behörden des Bundes. Es ist daher zu prüfen, ob dem kantonalen Polizeidepartement die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des EJPD nach lit. a oder c des
Art. 103 OG
zukommt.
a) Aus
Art. 103 lit. a OG
kann die Legitimation nicht hergeleitet werden. Die nachfolgenden lit. b und c umschreiben in bestimmter Weise, wann grundsätzlich eine Behörde zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist. Ginge man davon aus, dass eine kantonale Behörde zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 97 I 604 S. 607
immer auch dann legitimiert sein soll, wenn sie nach
Art. 103 lit. a OG
durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Änderung oder Aufhebung hat, so verlöre die systematische Gliederung des
Art. 103 OG
völlig ihren Sinn; die lit. c wäre namentlich insoweit gänzlich überflüssig, ja widersprüchlich, als sie die Legitimation der nicht unter die lit. b fallenden Behörden von der Ermächtigung durch das Bundesrecht abhängig macht.
Aus der systematischen Gliederung und der Formulierung des
Art. 103 OG
ergibt sich, dass die lit. a grundsätzlich nicht die Legitimation von Behörden betrifft. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine kantonale Behörde, wenn sie durch eine Verfügung in ähnlicher oder gleicher Weise betroffen wird wie Private und sie ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung dieser Verfügung hat, ihre Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus
Art. 103 lit. a OG
herleiten kann (vgl. hierzu
BGE 92 I 63
;
BGE 74 I 50
; auch
BGE 96 I 328
und 467;
BGE 95 I 53
; W. BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 436; F. GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 117 Ziff. 5, 6).
Diese Auslegung wird durch den Werdegang des
Art. 103 OG
bestätigt. In den Beratungen der nationalrätlichen Kommission wurde wohl die Frage aufgeworfen, ob nicht die Kantone ermächtigt werden sollten, gegen einen Entscheid einer Bundesstelle Beschwerde zu führen (vgl. Protokoll der 2. Sitzung vom 17./18. Januar 1966, S. 55 f.). Ins Gesetz wurde eine entsprechende Bestimmung in der Folge jedoch nicht aufgenommen.
b) Die Legitimation. des Polizeidepartements des Kantons Solothurn lässt sich auch nicht auf
Art. 103 lit. c OG
stützen.
Das Bundesrecht kennt keine Bestimmung, welche die zum Entzug des Führerausweises zuständige kantonale Behörde ermächtigt, gegen den Entscheid des EJPD Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben. Art. 24 Abs. 1 zweiter Satz SVG enthält keine solche Bestimmung: Dort ist nur von der Beschwerde an eine kantonale Oberbehörde die Rede und wird das Recht dazu nur demjenigen Kanton eingeräumt, der die Administrativmassnahme beantragt hat (
Art. 23 Abs. 2 SVG
), nicht aber dem zur Anordnung der Massnahme zuständigen Kanton. Der Gesetzgeber schliesst damit, dass er im zweiten Satz des
Art. 24 Abs. 1 SVG
ausdrücklich bestimmt, welcher Kanton zur Beschwerde
BGE 97 I 604 S. 608
an eine kantonale Oberbehörde legitimiert ist, das Beschwerderecht eines andern, namentlich des zum Entzug des Führerausweises zuständigen Kantons aus.
Art. 24 Abs. 1 zweiter Satz SVG ist im vorliegenden Fall für die Administrativbehörden des Kantons Solothurn nicht anwendbar, da hier der Entzug des Führerausweises in ihre Zuständigkeit fällt.
c) Kann demnach die Legitimation des Polizeidepartements des Kantons Solothurn zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus
Art. 103 OG
nicht hergeleitet werden, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
749eebe9-252b-4b6f-9715-cf37c873818c | Urteilskopf
122 IV 365
56. Estratto della sentenza della Corte di cassazione penale del 24 ottobre 1996 nella causa N. e S. contro Corte di cassazione e di revisione penale del Cantone Ticino (ricorso per cassazione) | Regeste
Art. 59 und 60 StGB
;
Art. 268 ff. BStP
; Einziehung von Vermögenswerten; Verwendung zugunsten des Geschädigten; Rechtsmittel; Vermögenswerte aus verschiedenen Straftaten mit verschiedenen Geschädigten.
Soweit sich aus
Art. 59 und 60 StGB
Rechtsansprüche des Geschädigten ergeben, hat er die unrichtige Auslegung dieser Bestimmung mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen (E. III/1a-c).
Das Recht des Geschädigten auf Rückerstattung und Zusprechung beschlägt ausschliesslich Vermögenswerte, die das Ergebnis einer gegen ihn gerichteten Straftat darstellen. Dieses Recht ist nicht verletzt, wenn die zuständige Behörde, welche die Herkunft der beschlagnahmten oder eingezogenen Vermögenswerte ermittelt hat, sie einem andern Geschädigten rückerstattet oder zuspricht, dem sie rechtswidrig entzogen worden waren (E. III/2b). | Sachverhalt
ab Seite 366
BGE 122 IV 365 S. 366
A.-
Il 6 settembre 1995 il Presidente della Corte delle Assise correzionali di Lugano ha riconosciuto L. e P. - quest'ultimo con giudizio contumaciale - colpevoli di truffa, ricettazione e falsità in documenti, in relazione alla messa all'incasso di sette assegni di provenienza furtiva e recanti false firme di girata, e li ha condannati entrambi alla pena di 18 mesi di detenzione, sospesa condizionalmente con un periodo di prova di tre anni. La Corte ha inoltre condannato i due imputati a versare, in solido e in parti uguali, fr. 85'912.-- alla ditta G. GmbH e fr. 213'136.-- alla ditta K. Essa ha altresì confiscato i valori patrimoniali sequestrati agli imputati, ordinandone la restituzione (a parziale copertura degli importi loro riconosciuti), alle parti lese G. GmbH, K. e X. AG, in proporzione del danno subito.
L. e P. sono per contro stati assolti, per mancanza di dolo, dalle imputazioni concernenti i reati compiuti in danno delle ditte N. e S. Le pretese di risarcimento di quest'ultime sono quindi state respinte, mentre la decisione sulla confisca e sulla restituzione del provento, parzialmente sequestrato, dei reati commessi nei loro confronti è stata rinviata al procedimento contro H., cui risultano essere intestati i relativi conti bancari.
B.-
N. e S., costituitesi parti civili, hanno impugnato tale decisione dinanzi alla Corte di cassazione e di revisione penale (CCRP) del Cantone Ticino. In quanto ammissibile, il loro ricorso è stato parzialmente accolto con sentenza dell'8 febbraio 1996, nel senso che è stato prorogato giusta l'art. 258 cpv. 2 vCPP il procedimento contro P., nella misura in cui quest'ultimo era stato assolto dalle imputazioni contestategli.
N. e S. sono insorte con ricorsi per cassazione, di diritto amministrativo e di diritto pubblico dinanzi al Tribunale federale contro quest'ultima decisione, chiedendone l'annullamento. Con i ricorsi per cassazione e di diritto amministrativo, esse postulano, in via secondaria, che la decisione impugnata sia riformata, nel senso che i valori patrimoniali sequestrati vengano suddivisi fra tutte le parti civili in misura del danno subito. Esse domandano altresì che ai gravami sia conferito effetto sospensivo.
BGE 122 IV 365 S. 367
Non sono state richieste osservazioni sui ricorsi.
C.-
Con lettera del 24 aprile 1996 del suo patrocinatore, N. ha comunicato di ritirare i gravami da essa inoltrati.
Erwägungen
Considerando in diritto:
III.1.
Il Tribunale federale esamina d'ufficio e con libero potere d'esame l'ammissibilità dei rimedi esperiti dalla ditta S. (
DTF 121 II 72
consid. 1a, 248 consid. 1 con rinvii).
La ricorrente censura l'applicazione errata dell'art. 59 nonché quella mancata dell'
art. 60 CP
. Tali norme sono state modificate più volte. In relazione agli art. 58 seg. CP sono mutati pure i titoli marginali.
a) Gli art. 58 (confisca di oggetti pericolosi) e 59 (confisca di valori patrimoniali) CP, nella versione conforme alla LF del 18 marzo 1994, in vigore dal 1o agosto 1994, regolano la confisca conservativa ("Sicherheitseinziehung") e quella di valori patrimoniali ("Ausgleicheinziehung"), precedentemente disciplinate negli
art. 58, 58bis e 59 CP
. L'attuale art. 58 corrisponde sostanzialmente agli art. 58 cpv. 1 lett. b e 58 cpv. 3 CP previgenti, nella versione conforme al n. 1 dell'allegato al DPA del 22 marzo 1974, in vigore dal 1o gennaio 1975. Dal canto suo, l'
art. 59 n. 1 cpv. 1 CP
è subentrato al posto dei precedenti
art. 58 cpv. 1 lett. a e 59 CP
, mentre il n. 1 cpv. 2 della medesima norma ha sostituito l'
art. 58bis CP
anteriore.
aa) Nell'ambito del diritto previgente, il danneggiato era abilitato, come qualsiasi terzo, a far valere i propri diritti nei limiti dell'
art. 58bis cpv. 1 CP
, il cui testo era il seguente:
"1Se un terzo può far valere un diritto di proprietà su l'oggetto o il bene da confiscare ovvero ha acquisito il diritto di divenirne proprietario ignaro del reato commesso, l'oggetto o il bene gli sarà riconsegnato sempreché non debba essere reso inservibile o distrutto".
La novella del 1994 ha rafforzato la posizione della parte lesa. In particolare, l'
art. 59 n. 1 cpv. 1 CP
, più flessibile (FF 1993 III 219), stabilisce quanto segue:
"1Il giudice ordina la confisca dei valori patrimoniali che costituiscono il prodotto di un reato o erano destinati a determinare o a ricompensare l'autore di un reato, a meno che debbano essere restituiti alla persona lesa allo scopo di ristabilirne i dirittti".
BGE 122 IV 365 S. 368
Tale norma sancisce esplicitamente che i diritti del danneggiato sono prioritari (NIKLAUS SCHMID, Das neue Einziehungsrecht nach StGB Art. 58 ff., in: RPS 4/1995, pag. 339). Inoltre, per diritti della parte lesa non si intende solo il diritto di proprietà.
bb) Giusta l'
art. 270 PP
, nella versione in vigore fino al 31 dicembre 1992, solo l'accusato e l'accusatore pubblico nonché, in determinati casi, il querelante e l'accusatore privato erano legittimati a censurare la violazione del diritto federale con ricorso per cassazione. Ciononostante, la giurisprudenza del Tribunale federale aveva da tempo ravvisato la necessità di riconoscere tale legittimazione ricorsuale, in analogia all'
art. 271 cpv. 1 PP
, a chiunque fosse toccato direttamente da una misura fondata sugli
art. 58, 58bis e 59 CP
(
DTF 108 IV 154
consid. 1a; sentenza inedita del Tribunale federale, del 22 settembre 1992, nella causa R., consid. 1a).
cc) Secondo l'
art. 270 cpv. 1 PP
vigente, nella versione conforme alla LF del 4 ottobre 1991 concernente l'aiuto alle vittime di reati (LAV; RS 312.5), in vigore dal 1o gennaio 1993, può ricorrere per cassazione, oltre all'accusato e all'accusatore pubblico, anche il danneggiato se era già parte nella procedura e nella misura in cui la sentenza possa influenzare il giudizio in merito alle sue pretese civili. Anche in questo caso la novella legislativa ha quindi rafforzato la posizione (processuale) della parte lesa, cui è esplicitamente riconosciuta la legittimazione ricorsuale. Ne discende che, prescindendo per l'istante dalle condizioni specifiche poste alla legittimazione dalla norma citata, sembra conveniente che pure il diritto vigente riconosca al danneggiato la possibilità di ricorrere per cassazione contro la violazione dei diritti conferitigli dagli
art. 58 e 59 CP
.
b) L'originale art. 60 (assegnamenti alla parte lesa) cpv. 1 CP, risalente al 21 dicembre 1937, è stato modificato una prima volta giusta il n. 1 dell'allegato al DPA del 22 marzo 1974, in vigore dal 1o gennaio 1975. Il nuovo testo, non molto dissimile dal precedente nell'ambito che qui interessa, aveva il seguente tenore:
"1 Se alcuno è stato danneggiato da un crimine o da un delitto e se è prevedibile che il danno non sarà risarcito dal colpevole, il giudice potrà assegnargli, fino all'importo del danno stabilito giudizialmente o mediante transazione, gli oggetti e i beni confiscati, i doni o altri profitti devoluti allo Stato, o, dedotte le spese, il ricavo della loro realizzazione e la cauzione preventiva prestata".
BGE 122 IV 365 S. 369
Con l'entrata in vigore, il 1o gennaio 1993, della LAV, l'
art. 60 CP
ha subito una nuova e importante modifica:
"1Se alcuno è stato danneggiato da un crimine o da un delitto e se è prevedibile che il danno, non coperto da nessuna assicurazione, non sarà risarcito dal colpevole, il giudice assegna alla persona lesa, a sua richiesta, fino all'importo del danno stabilito giudizialmente o mediante transazione:
a. la multa pagata dal condannato;
b. gli oggetti e i beni confiscati, i doni e altri profitti devoluti allo Stato o, dedotte le spese, il ricavo della loro realizzazione;
c. i crediti compensatori;
d. l'ammontare della cauzione preventiva.
2 Il giudice può ordinare tali assegnamenti soltanto se la persona lesa cede allo Stato la parte corrispondente del suo credito.
3 I Cantoni istituiscono una procedura semplice e rapida per i casi nei quali il giudice non possa ordinare tale misura già nell'ambito della sentenza penale".
Con la novella legislativa in materia di confisca del 18 marzo 1994, in vigore dal 1o agosto 1994, l'
art. 60 cpv. 1 lett. b CP
è stato nuovamente modificato. Per quanto qui interessa, quest'ultima modifica è tuttavia, contrariamente a quella indotta dalla LAV, priva di rilevanza, trattandosi di un semplice cambiamento redazionale giustificato dalla soppressione dell'istituto della "devoluzione allo Stato" (art. 59 vCP), ora integrato nella confisca di valori patrimoniali (
art. 59 n. 1 cpv. 1 CP
) (FF 1993 III 218).
aa) Nel 1963, il Tribunale ha stabilito che la parte lesa non poteva ricorrere per cassazione contro decisioni fondate sull'
art. 60 CP
(
DTF 89 IV 171
). Le pretese fondate su tale articolo erano considerate indipendenti dall'azione penale, di modo che era esclusa una legittimazione ricorsuale ai sensi dell'
art. 270 PP
. D'altro canto, trattandosi non di pretese civili, bensì di pretese poggiate sul diritto pubblico, la parte lesa non poteva dedurre alcunché neppure dall'
art. 271 PP
. Secondo tale giurisprudenza, la circostanza che la legge federale di procedura penale non permettesse alla parte lesa di impugnare una decisione pronunciata in virtù dell'
art. 60 CP
, non significava che vi fosse una lacuna. In effetti, visto che il danneggiato non era ritenuto avere alcun diritto alle prestazioni previste dalla norma litigiosa, ma che dipendeva dal potere d'apprezzamento del giudice se accordarle o meno, sembrava ragionevole che il ricorso per cassazione fosse escluso. Dato che, all'epoca, il ricorso di diritto amministrativo non prevedeva ancora, quale motivo ricorsuale, l'eccesso o l'abuso del potere d'apprezzamento (
art. 104 lett. a OG
,
BGE 122 IV 365 S. 370
introdotto giusta il n. I della LF del 20 dicembre 1968, in vigore dal 1o ottobre 1969), non restava quindi che la via ricorsuale sussidiaria del ricorso di diritto pubblico, per arbitrio nell'esercizio del potere d'apprezzamento.
bb) La giurisprudenza testé illustrata, secondo cui la parte lesa non può impugnare con ricorso per cassazione decisioni fondate sull'
art. 60 CP
, è stata sostanzialmente confermata nella
DTF 104 IV 68
consid. 3d.
Nella
DTF 118 Ib 263
il Tribunale federale ha ribadito che le pretese fondate sull'
art. 60 CP
non sono di natura civile. La parte lesa non può pertanto far valere simili pretese nell'ambito di una causa diretta contro un cantone dinanzi al Tribunale federale, dato che non si tratta di una contestazione civile ai sensi dell'
art. 42 OG
.
Per la medesima ragione è escluso pure il ricorso per riforma (
art. 44-46 OG
e contrario).
cc) Prima ancora dell'entrata in vigore del nuovo
art. 60 CP
, nella versione ispirata dalla LAV, il Tribunale federale ha modificato la sua giurisprudenza: qualora siano adempiute le condizioni stabilite nell'
art. 60 CP
, il giudice è (ormai) tenuto ad assegnare alla persona lesa i beni confiscati (
DTF 117 IV 107
consid. 2c). Già per questo motivo sembra giustificato che, contrariamente alla prassi precedente, la parte lesa possa disporre della protezione offertagli dal ricorso per cassazione. Ciò deve valere, a maggior ragione, se si considera che l'
art. 60 CP
vigente attualmente conferisce esplicitamente al danneggiato, sempreché ne siano adempiute le condizioni, il diritto di ricevere gli assegnamenti previsti. Simile risultato appare peraltro conforme allo spirito della LAV, tendente a migliorare e rafforzare la posizione giuridica della parte lesa (
DTF 117 IV 107
consid. 2c).
dd) In concreto, si tratta di determinare con quale dei rimedi giuridici presentati la ricorrente può, in qualità di parte lesa, contestare la (errata o mancata) applicazione dell'
art. 60 CP
.
Parte della dottrina predilige il ricorso di diritto amministrativo (JEAN GAUTHIER, Quelques aspects de la confiscation selon l'art. 58 du code pénal suisse, in: Lebendiges Strafrecht, Festgabe Schultz, RPS 94/1977 pag. 373 e seg.; HANS SCHULTZ, Die Einziehung, der Verfall von Geschenken und anderer Zuwendungen sowie die Verwendung zugunsten Geschädigten gemäss StGB rev. Art. 58 f., in: ZBJV 114/1978 pag. 335; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, AT II, 1989, § 14 n. 44; YVONNE BERCHER, Le séquestre pénal, thèse 1992, pag. 184). Al proposito va tuttavia
BGE 122 IV 365 S. 371
rilevato che le opinioni espresse si riferiscono all'
art. 60 CP
previgente. Inoltre, esse prendono spunto dal fatto (non discusso) che il ricorso per cassazione risulta escluso dalla giurisprudenza del Tribunale federale; il ricorso di diritto amministrativo sembra quindi costituire un'alternativa più al ricorso di diritto pubblico che non al ricorso per cassazione. Altri autori propendono invece per quest'ultimo rimedio giuridico (NIKLAUS SCHMID, op.cit., in: RPS 4/1995, pag. 368; BERNARD CORBOZ, Le pourvoi en nullité interjeté par le lésé, in: SJ 1995, pag. 134 e seg.; DENIS PIOTET, Les effets civils de la confiscation pénale, 1995, pag. 50).
Ora, giusta l'
art. 97 cpv. 1 OG
, il Tribunale federale giudica in ultima istanza i ricorsi di diritto amministrativo contro le decisioni ai sensi dell'
art. 5 PA
. Queste ultime sono provvedimenti emanati dalle autorità nel singolo caso, fondati sul diritto pubblico federale (
art. 5 cpv. 1 PA
). Dato che la decisione impugnata si riferisce ad un caso ben preciso e che il Codice penale federale fa parte del diritto pubblico federale, nella fattispecie si è confrontati con una simile decisione. Senonché, va innanzitutto rilevato che il ricorso di diritto amministrativo non è di regola ammissibile contro decisioni in materia di procedimento penale (art. 100 lett. f OG). Anche qualora il giudizio in esame venisse considerato come una decisione in materia di esecuzione delle pene e delle misure, ciò che non appare scontato, il ricorso di diritto amministrativo risulterebbe comunque escluso. In effetti, secondo la giurisprudenza del Tribunale federale simili decisioni sono impugnabili con tale ricorso solo in quanto la legge non le abbia dichiarate di competenza degli organi giudiziari (
DTF 122 IV 8
consid. 1;
DTF 119 IV 5
;
DTF 116 IV 105
consid. 1; v. pure
art. 7 n. 3 del
Regolamento del Tribunale federale), ciò che non si verifica nel quadro dell'
art. 60 CP
, il quale designa esplicitamente il giudice quale autorità competente. La contestata decisione non può d'altronde neppure essere paragonata a quella concernente l'indennizzo o la riparazione morale previsti dalla LAV (art. 11 segg. LAV), pure suscettibile di ricorso di diritto amministrativo (
DTF 121 II 116
consid. 1). Certo, analogamente all'
art. 16 cpv. 1 LAV
, l'attuale
art. 60 cpv. 3 CP
prevede che, qualora il giudice non possa ordinare gli assegnamenti già nell'ambito della sentenza penale, ad esempio perché il risarcimento non può essere subito accertato o la persona lesa non è ancora a conoscenza della confisca, i Cantoni devono istituire una procedura semplice e rapida per decidere in merito a tali assegnamenti. Questa circostanza non è tuttavia determinante. Innanzitutto, in molti casi si potrà decidere - come è del
BGE 122 IV 365 S. 372
resto avvenuto in quello qui in esame - immediatamente, nell'ambito del connesso procedimento penale, rispettivamente, del procedimento indipendente di confisca. Va poi rilevato che, come testé illustrato, competente a decidere in merito agli assegnamenti sarà, anche in prima istanza, sempre e solo il giudice (v. invece l'
art. 17 LAV
, che prevede un'autorità giudiziaria unicamente quale ultima istanza cantonale). Da quanto esposto discende che la violazione dell'
art. 60 CP
va (preferibilmente) censurata mediante ricorso per cassazione. Tale risultato è peraltro giustificato anche da ragioni pratiche. Gli assegnamenti alla parte lesa (
art. 60 CP
) e la confisca (art. 58 seg. CP) sono misure fra loro correlate; entrambe si fondano sul diritto penale federale materiale. La loro violazione può - come nel caso in esame - essere sollevata simultaneamente nonché contemporaneamente ad altre censure proponibili senz'altro con ricorso per cassazione. In simili circostanze, appare inopportuno prevedere vie ricorsuali distinte. Motivi di semplicità e sicurezza del diritto giustificano bensì di concentrare le critiche relative all'applicazione degli
art. 58, 59 e 60 CP
in un unico rimedio giuridico: il ricorso per cassazione. Per converso, deve essere dichiarato inammissibile il ricorso di diritto amministrativo, nell'occasione inoltrato parallelamente dalla ricorrente.
c) Di principio, le decisioni fondate sugli
art. 58-60 CP
, in quanto fondate sul diritto penale federale, sono quindi suscettibili di essere impugnate mediante ricorso per cassazione federale (art. 268 cpv. 1, 269 cpv. 1 PP).
aa) Giusta l'
art. 270 cpv. 1 PP
, la facoltà di ricorrere spetta, oltre che all'accusato e all'accusatore pubblico, anche al danneggiato se era già parte nella procedura e nella misura in cui la sentenza possa influenzare il giudizio in merito alle sue pretese civili. Secondo la giurisprudenza, il danneggiato è legittimato a proporre ricorso per cassazione qualora siano adempiute le seguenti tre condizioni cumulative: egli deve aver avuto qualità di parte nell'ambito del precedente procedimento cantonale, deve aver fatto valere, nel limite del possibile, le sue pretese civili e, infine, la decisione impugnata deve essere suscettibile di influire sul giudizio concernente tali pretese (
DTF 120 IV 44
consid. 4, 5 e 6).
Il Tribunale federale ha tuttavia già avuto modo di rilevare che le condizioni testé illustrate non devono essere sempre adempiute. In questo senso, esso ha ad esempio statuito che, indipendentemente dai requisiti posti dall'
art. 270 cpv. 1 PP
, la vittima deve poter ricorrere per cassazione al Tribunale federale per far valere che le
BGE 122 IV 365 S. 373
autorità cantonali non le hanno accordato tutti i diritti conferitile dalla LAV, mentre il querelante deve poter sollevare dinanzi al Tribunale federale una pretesa violazione dell'art. 28 segg. CP (
DTF 120 IV 38
consid. 2c in fine, 44 consid. 7).
bb) Nella fattispecie, è pacifico che, in quanto danneggiata, la ricorrente era parte nella procedura penale cantonale e che, in quest'ambito, essa ha fatto valere le proprie pretese civili. Per converso, nella misura in cui essa censura la violazione degli
art. 59 e 60 CP
, non risulta che la decisione impugnata possa influenzare negativamente il giudizio relativo a tali pretese civili. In effetti, diversamente da una sentenza penale assolutoria, suscettibile di incidere negativamente sulla sussistenza o sull'estensione delle pretese civili che la persona lesa farà valere in sede civile (
DTF 120 IV 38
consid. 2c), la reiezione della richiesta tendente ad ottenere la restituzione o l'assegnazione (di parte) dei valori patrimoniali sequestrati/confiscati nell'ambito del procedimento penale concerne esclusivamente l'esistenza di un sostrato disponibile a titolo di garanzia, ossia la possibilità per la parte lesa di rifarsi del danno subito mediante i valori patrimoniali sequestrati/confiscati, ciò che non è di per sé suscettibile di pregiudicare il giudizio civile in merito alle pretese civili da essa vantate. Irrilevante è al proposito la circostanza che, quei valori essendo indisponibili, l'esecuzione di tale giudizio potrebbe rivelarsi difficoltosa. Non rientra infatti negli scopi dell'
art. 270 cpv. 1 PP
, nella versione conforme alla LAV, di facilitare al danneggiato la sua azione civile (
DTF 120 IV 38
consid. 2c; BERNARD CORBOZ, op.cit., in: SJ 1995, pag. 145 segg.).
A prescindere dalle condizioni sancite dall'
art. 270 cpv. 1 PP
, segnatamente dal requisito che la decisione impugnata sia suscettibile di influenzare negativamente il giudizio in merito alle sue pretese civili, va nondimeno ammessa la legittimazione ricorsuale della ricorrente. Nel caso concreto, è infatti ravvisabile una lacuna di legge. Secondo il diritto federale, qualora ne siano adempiute le condizioni, il giudice è tenuto a ristabilire i diritti del danneggiato mediante restituzione dei valori patrimoniali sottrattigli (
art. 59 n. 1 cpv. 1 CP
), rispettivamente, deve assegnargli, quale indennizzo per il danno subito, i valori patrimoniali confiscati o i risarcimenti ordinati (
art. 60 cpv. 1 CP
). Ora, non ha alcun senso conferire al danneggiato un diritto ad ottenere simili prestazioni se poi lo si priva della facoltà di aggravarsi contro un'asserita violazione delle relative norme legali federali. Ne consegue che alla persona lesa va riconosciuta la possibilità di ricorrere per cassazione contro la decisione
BGE 122 IV 365 S. 374
che rifiuta, a suo avviso erroneamente, la restituzione o gli assegnamenti richiesti. Nella fattispecie, può quindi essere entrato nel merito del ricorso per cassazione presentato dalla ricorrente.
cc) Dato che, giusta l'
art. 84 cpv. 2 OG
, il ricorso di diritto pubblico è ammissibile solo allorché la pretesa violazione di diritto non può essere sottoposta altrimenti al Tribunale federale, in concreto anche questo gravame, presentato a titolo cautelativo dalla ricorrente, va disatteso siccome inammissibile.
III.2.
La ricorrente censura l'applicazione errata dell'art. 59 nonché quella mancata dell'
art. 60 CP
. Essa sostiene di essere stata ingiustamente privata del risarcimento richiesto. A suo avviso, dato che le altre parti lese beneficiarie della restituzione non disponevano di alcun diritto di proprietà sui valori patrimoniali depositati sui conti bancari sequestrati, l'autorità cantonale avrebbe dovuto applicare l'
art. 60 CP
anziché l'
art. 59 CP
, con la conseguenza che anch'essa avrebbe goduto della ripartizione effettuata in tale ambito.
a) Il ricorso per cassazione può essere fondato unicamente sulla violazione del diritto federale; è riservato il ricorso di diritto pubblico per violazione di diritti costituzionali (
art. 269 PP
). La motivazione del ricorso non deve criticare accertamenti di fatto né addurre fatti nuovi né proporre eccezioni ed impugnazioni nuove (
art. 273 cpv. 1 lett. b PP
). La Corte di cassazione del Tribunale federale è vincolata dagli accertamenti di fatto dell'autorità cantonale (
art. 277bis cpv. 1 PP
).
Secondo l'insindacabile accertamento dei fatti compiuto dall'autorità cantonale, i valori patrimoniali sequestrati ai due imputati, in parte depositati su conti bancari loro intestati in parte rinvenuti direttamente nelle loro mani, sono direttamente riconducibili ai reati commessi nei confronti delle altre parti lese, cui sono stati pertanto restituiti. Per contro, i fondi provenienti dalle infrazioni realizzate nei confronti della ricorrente sono confluiti su altri conti, intestati ad un terzo imputato che sarà giudicato separatamente. La decisione in merito alla loro restituzione è stata quindi rinviata a quel processo.
b) Nelle circostanze descritte, contrariamente a quanto sostiene la ricorrente, l'autorità cantonale non ha leso l'art. 59 n. 1 cpv. 1 (in fine) CP. Nella misura in cui è stato possibile identificare chiaramente la provenienza dei valori patrimoniali sequestrati, ossia i loro movimenti, essa poteva senz'altro procedere, senza violare il diritto federale, alla loro diretta restituzione alle parti lese cui erano stati illecitamente sottratti (NIKLAUS SCHMID, op.cit., in: RPS 4/1995, pag. 340 e seg.; v. pure FF 1993 III 218). Al proposito, è irrilevante ch'essa
BGE 122 IV 365 S. 375
abbia previamente ordinato la confisca di tali valori (v.
DTF 112 IV 74
consid. 3c). Per questa ragione, è pure infondato il rimprovero, rivolto all'autorità cantonale, di aver restituito una porzione dei fondi sequestrati ad una parte lesa che non ne aveva fatto richiesta. D'altro canto, anche qualora avesse in concreto dovuto essere applicato l'
art. 60 CP
, non sarebbe comunque ravvisabile una sua lesione a scapito della ricorrente. A prescindere dal fatto che quest'ultima non può prevalersi, contrariamente alle sue asserzioni, di un accertamento giudiziario o mediante transazione delle proprie pretese di risarcimento, la sua esclusione dagli assegnamenti ordinati non violerebbe il diritto federale. In effetti, nella misura in cui i valori patrimoniali da essa rivendicati non rappresentano il prodotto di reati commessi nei suoi confronti, bensì di infrazioni compiute a danno di altre parti lese, la ricorrente non può vantare, ai sensi dell'
art. 60 CP
, alcuna pretesa sui medesimi. Diversamente da quanto essa sembra ritenere, l'
art. 60 CP
non prevede alcuna solidarietà fra le persone lese in ragione del danno subito. Ne discende che la decisione impugnata non lede il diritto federale e va pertanto confermata.
III.3.
(Spese) | null | nan | it | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
749f174f-b704-4b55-aaa2-bfd311751788 | Urteilskopf
105 Ib 382
56. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Juni 1979 i.S. K. gegen Wehrsteuerrekurskommission des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 105 Abs. 2 OG
(wesentliche Verfahrensbestimmung).
Die Rechtsmittelinstanz ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zum Beweis zu geben, sofern sie ihre Entscheidung auf umstrittene Tatsachen stützen will, die vor der Vorinstanz noch keine Rolle gespielt haben. Dieser Grundsatz ergibt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör und gilt als wesentliche Verfahrensbestimmung im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
, bei deren Verletzung das Bundesgericht die Feststellung des Sachverhaltes frei überprüfen kann. | Sachverhalt
ab Seite 382
BGE 105 Ib 382 S. 382
K., ein Inhaber einer Taxiunternehmung, machte geltend, der von ihm im kantonalen Steuerveranlagungsverfahren angegebene Vermögenszuwachs von rund Fr. 440'000.- sei im Umfang von Fr. 310'500.- auf ein Geschäft mit einem Gemälde zurückzuführen. Er habe dieses Gemälde für Fr. 6500.- gekauft und dreiviertel Jahre später für Fr. 317'000.- wieder
BGE 105 Ib 382 S. 383
verkauft. Die Veranlagungsbehörde war der Auffassung, die Erzielung dieses Gewinnes stehe in einem engen Zusammenhang mit einem von K. gewerbsmässig betriebenen (nach den Angaben von K. aber wieder aufgegebenen) Münzenhandel; darum müsse auch der Gewinn aus dem Geschäft mit dem Gemälde als gewerbsmässig erzieltes Einkommen betrachtet und dementsprechend besteuert werden. Die Wehrsteuerrekurskommission des Kantons Zürich, an die K. die Sache weitergezogen hatte, ging ihrerseits davon aus, dass das Geschäft mit dem Gemälde frei erfunden sei und dass der Vermögenszuwachs darum aus anderen Quellen geflossen sein müsse. Da bei dieser Betrachtungsweise nicht bewiesen war, dass der an sich unbestrittene Vermögenszuwachs auf einen nicht steuerbaren Kapitalgewinn zurückging, rechnete die Rekurskommission diesen Betrag zum steuerbaren Einkommen. Das Bundesgericht weist eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde ab. Es überprüft aus dem in E. 1 dargelegten Grund den von der Rekurskommission festgestellten Sachverhalt frei.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren ist das Bundesgericht grundsätzlich an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden, wenn diese Instanz ein Gericht oder eine Rekurskommission ist. Dies gilt dann nicht, wenn der Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen ermittelt worden ist (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
Das angefochtene Urteil ist von einer Rekurskommission gefällt worden. Das Bundesgericht hat somit vom Sachverhalt auszugehen, wie er im angefochtenen Entscheid dargestellt worden war, es sei denn, die Sachverhaltsfeststellung leide unter einem Mangel, der in der zitierten Bestimmung genannt ist.
b) Zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen, auf die
Art. 105 Abs. 2 OG
Bezug nimmt und deren Verletzung eine freie Überprüfung des Sachverhalts durch das Bundesgericht nach sich ziehen kann, zählt die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Dieser Grundsatz wird verletzt, wenn die urteilende Behörde, ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zum Beweis zu geben, ihre Entscheidung auf Tatsachen stützt, über die vor
BGE 105 Ib 382 S. 384
der Vorinstanz nicht Beweis geführt worden war, weil sie für deren Entscheidung nicht von Bedeutung waren.
Im vorliegend zu entscheidenden Fall war der Steuerkommissär bei seiner Einschätzung davon ausgegangen, der streitige Verkauf des Gemäldes habe tatsächlich stattgefunden, und K. habe dabei den von ihm behaupteten Gewinn erzielt. Davon ging auch der Einspracheentscheid der Steuerkommission aus. Steuerkommissär und Steuerkommission vertraten aber die Meinung, es habe sich dabei um einen gewerbsmässig erzielten Gewinn gehandelt, da K. in der fraglichen Zeit mit verschiedenen Objekten gehandelt habe.
Mit seiner Beschwerde focht K. diese Betrachtungsweise an. Irgendwelche Beweisanträge zur Abklärung des Kaufs und Verkaufs des Gemäldes hatte er nicht zu stellen, da diese nicht streitig waren. Freilich machte der Steuerkommissär in seiner Vernehmlassung an die Rekurskommission geltend, das Geschäft mit dem Gemälde sei frei erfunden. Der von K. deklarierte Gewinn müsse daher aus einer anderen Quelle geflossen sein. Diese Vernehmlassung wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnisnahme zugestellt. Dieser musste aber nicht voraussehen, dass die Rekurskommission den Kauf und Verkauf des Gemäldes ebenfalls als nicht bewiesen betrachten würde. Der Beschwerdeführer hatte deshalb keinen Anlass, im Verfahren vor der Rekurskommission Beweismittel zu nennen, die geeignet waren, den Inhalt seiner Darstellung zu bestätigen. Die Rekurskommission machte den Beschwerdeführer auch nicht darauf aufmerksam, dass sie seine Darstellung bezweifelte und dass deren Richtigkeit durch Beweismittel belegt werden müsste. Durch diese Unterlassung hat die Rekurskommission den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Dies führt dazu, dass das Bundesgericht gemäss
Art. 105 Abs. 2 OG
nicht an den im angefochtenen Entscheid festgestellten Sachverhalt gebunden ist, sondern diesen frei und aufgrund eigener Beweismassnahmen überprüfen kann, sofern es nicht vorzieht, den Fall an die Vorinstanz zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
749f75ff-ba58-42cb-8fcd-965a3fcaaa59 | Urteilskopf
123 V 43
9. Auszug aus dem Urteil vom 19. Februar 1997 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen M. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 6 Abs. 2 UVG
und
Art. 9 Abs. 2 UVV
: Unfallähnliche Körperschädigungen.
Sind die Begriffsmerkmale eines Unfalles, mit Ausnahme des ungewöhnlichen äusseren Faktors, erfüllt, kann ein Rotatorenmanschettenriss unter die in
Art. 9 Abs. 2 lit. f UVV
erwähnten Sehnenrisse subsumiert werden. | Erwägungen
ab Seite 43
BGE 123 V 43 S. 43
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz hat die Körperschädigungen, welche gemäss
Art. 6 Abs. 2 UVG
in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 2 UVV
auch ohne ungewöhnliche äussere Einwirkung den Unfällen gleichgestellt sind, und die dazu ergangene Rechtsprechung (
BGE 116 V 139
f. Erw. 4a, 147 Erw. 2b, je mit Hinweisen) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.
BGE 123 V 43 S. 44
2.
Der Beschwerdegegner hat unbestrittenermassen eine Rotatorenmanschettenruptur erlitten, welche am 1. Dezember 1993 von Dr. med. G. operativ angegangen werden musste. Zu prüfen ist, ob es sich dabei um eine unfallähnliche Körperschädigung handelt, welche auf das geltend gemachte Geschehen vom 17. August 1993 zurückzuführen ist.
(...).
a) Nach Auffassung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) handelt es sich bei der Rotatorenmanschette nicht um eine Sehne im eigentlichen Sinne, sondern um eine durch vier Sehnen gebildete Sehnenplatte, die den Oberarmkopf umfasst und eine für die Durchblutung und Ernährung kritische Zone enthält. Weil die Schulter als mobilstes und meistbenutztes Gelenk nur rudimentär durch Knochen und Bänder stabilisiert sei, würden die Sehnen durch die dynamisch stabilisierenden Muskeln übermässig beansprucht. Aufgrund dieser Sonderstellung degeneriere das Sehnengewebe an der Schulter früher, rascher und stärker als alle übrigen Sehnen. Dabei korreliere die degenerative Schädigung in ihrem Ausmass dermassen stark mit dem Lebensalter, dass sie weit eher als regelmässig auftretende schicksalshafte Erscheinung im Rahmen der natürlichen biologischen Alterung denn als Krankheit zu betrachten sei. Diese beginne sich von der Mitte des vierten Lebensjahrzehntes an klinisch auszuwirken und erfasse um das 55. Lebensjahr fast die Hälfte der Bevölkerung. Bei jungen Versicherten kann gemäss den Ärzten der SUVA zwar in seltenen Fällen ein Riss infolge eines ungewöhnlichen äusseren Faktors entstehen, doch seien dafür ungewöhnlich hohe Kräfte entsprechend einem Unfall im Rechtssinne erforderlich. In den übrigen Fällen handle es sich nicht um eine Schädigung mit Verletzungscharakter, sondern um Auswirkungen eines degenerativen Prozesses. Die Rotatorenmanschettenruptur figuriere daher nicht in der Liste von
Art. 9 Abs. 2 UVV
und könne auch nicht mit der Ruptur einer Sehne gleichgesetzt werden.
b) Die von der SUVA mit dieser Betrachtungsweise angestrebte Änderung ihrer bisherigen Verwaltungspraxis läuft darauf hinaus, bei Rissen der Rotatorenmanschette die Leistungspflicht nur noch anzuerkennen, wenn ein Unfallereignis und somit die Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors nachgewiesen ist. Dies widerspricht indessen zum einen dem Wortlaut von
Art. 9 Abs. 2 UVV
und zum andern dem Zweck des Instituts der unfallähnlichen Körperschädigung. Dieser besteht nicht darin, krankhafte oder degenerative Körperschäden von der obligatorischen Unfallversicherung
BGE 123 V 43 S. 45
auszuschliessen, sondern darin, die oft schwierige Abgrenzung zwischen Unfall und Krankheit zugunsten der Versicherten zu vermeiden. Die sozialen Unfallversicherer haben somit ein Risiko zu übernehmen, das nach der geltenden begrifflichen Abgrenzung von Unfällen und Krankheiten den letzteren zuzuordnen wäre (
BGE 116 V 155
Erw. 6c,
BGE 114 V 301
Erw. 3c; RKUV 1988 Nr. U 57 S. 373 Erw. 4b; BÜHLER, Die unfallähnliche Körperschädigung, in SZS 1996 S. 84). Hinzu kommt, dass es für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs praxisgemäss genügt, wenn das schädigende Geschehen eine Teilursache bildet (
BGE 117 V 360
Erw. 4a). Ein degenerativer oder pathologischer Vorzustand schliesst daher eine unfallähnliche Körperschädigung nicht aus, sofern ein unfallähnliches Ereignis den vorbestehenden Gesundheitsschaden verschlimmert oder manifest werden lässt (BÜHLER, a.a.O., S. 94). Bei den in
Art. 9 Abs. 2 lit. a bis h UVV
abschliessend erwähnten Verletzungen muss eine schädigende, äussere Einwirkung wenigstens im Sinne eines Auslösungsfaktors zu den (vor- oder überwiegend) krankhaften oder degenerativen Ursachen hinzutreten, damit eine unfallähnliche Körperschädigung vorliegt (
BGE 116 V 147
f. Erw. 2c, 114 V 301 Erw. 3c; RKUV 1988 Nr. U 57 S. 373 Erw. 4b; BÜHLER, a.a.O., S. 87). Ein Rotatorenmanschettenriss kann daher unter die in
Art. 9 Abs. 2 lit. f UVV
erwähnten Sehnenrisse subsumiert werden, sofern, mit Ausnahme des ungewöhnlichen äusseren Faktors (
BGE 114 V 301
Erw. 3c; RKUV 1988 Nr. U 57 S. 373 Erw. 4b; RUMO-JUNGO, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 57 ff.; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1989, S. 202), die Begriffsmerkmale eines Unfalles erfüllt sind (BÜHLER, a.a.O., S. 105 f.). | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
749fe55f-3e79-4c3d-82a9-56ee41773d0d | Urteilskopf
119 III 15
5. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 23. Februar 1993 i.S. H. (Rekurs) | Regeste
Pfändbarkeit einer Forderung (
Art. 92 Ziff. 10 und
Art. 93 SchKG
).
1. Die Erwerbsausfallentschädigung infolge vorübergehender Arbeitsunfähigkeit ist als Ersatzeinkommen relativ pfändbar (E. 1).
2. Stellt die angesprochene Haftpflichtversicherung ihre bisher geleisteten Zahlungen ein, so ist dieser Sachverhalt im Rahmen einer Revision der Pfändung zu berücksichtigen und kann dann erst auf einen Rekurs hin überprüft werden (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 15
BGE 119 III 15 S. 15
A.-
Das Betreibungsamt Basel-Stadt pfändete am 26. Mai 1992 für die Pfändungsgruppe Nr. 92/33268 bei H. eine Anzahl von Gegenständen und behielt sich vor, die dem Schuldner von der Haftpflichtversicherung seines Schädigers ausgerichtete Erwerbsausfallentschädigung von monatlich Fr. 25'000.-- in diese Verfügung noch einzubeziehen. Gemäss definitiver Pfändungsurkunde vom 8. Oktober 1992 wurde diese Versicherungsleistung schliesslich im Umfang von monatlich Fr. 15'000.-- gepfändet.
B.-
Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt wies die von H. dagegen erhobene Beschwerde am 5. Januar 1993 ab.
C.-
H. hat sich mit Rekurs vom 18. Januar 1993 an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gewandt. Er verlangt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und der Pfändung der Erwerbsausfallentschädigung. Eventualiter beantragt er die
BGE 119 III 15 S. 16
Sistierung des Rekursverfahrens, bis über den Umfang der Leistungspflicht der angesprochenen Haftpflichtversicherung rechtskräftig entschieden sei.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Der Rekurrent erachtet die Leistungen der Haftpflichtversicherung zur Deckung des ihm entstandenen Erwerbsausfalls als unpfändbar, da ihm diese als Entschädigung für Körperverletzung und Gesundheitsstörung ausgerichtet würden (
Art. 92 Ziff. 10 SchKG
).
a) Gemäss
Art. 92 SchKG
sind bestimmte Vermögenswerte aus moralischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen oder mit Rücksicht auf deren besondere Natur gänzlich unpfändbar (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. A. Bern 1988, S. 174 ff.; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, 3. A. Zürich 1984, S. 318 ff.; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2. A. Lausanne 1988, S. 178 ff.). Dazu gehören auch Renten und Kapitalbeträge, die als Entschädigung für Körperverletzung und Gesundheitsstörung dem Betroffenen oder seiner Familie geschuldet werden oder ausbezahlt worden sind (
Art. 92 Ziff. 10 SchKG
). Ob sie auf Vertrag oder Gesetz beruhen, ist für die Frage der Pfändbarkeit nicht entscheidend (AMONN, a.a.O., S. 179 N 35; JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 3. A. Zürich 1911,
Art. 92 N 20
). So hat die Praxis nicht nur die Genugtuungsleistungen (
BGE 73 III 56
) und (grundsätzlich) die Heilungskosten (
BGE 85 III 29
E. 2) als unpfändbar erachtet, sondern ebenso die Vermögenswerte, welche aus unpfändbaren Entschädigungen angeschafft worden sind (
BGE 82 III 81
E. 4).
b) Andere Vermögenswerte sind nur unter bestimmten, sachlich oder zeitlich einschränkenden Voraussetzungen pfändbar (
Art. 93 und
Art. 94 SchKG
; AMONN, a.a.O., S. 179; GILLIÉRON, a.a.O., S. 180 ff.; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 331 ff.). So sind Einkünfte aus Arbeit, aus Nutzniessung, aus Renten und Pensionen sowie aus Unterstützungsbeiträgen nur soweit pfändbar, als sie den Unterhaltsbedarf des Schuldners und seiner Familie übersteigen (vergleiche die Aufzählung in
Art. 93 SchKG
). Die Rechtsprechung hat dem Einkommenscharakter einer Leistung folgend die Taggelder der Krankenkasse, welche anstelle des Lohnes treten (
BGE 78 III 121
;
BGE 119 III 15 S. 17
BlSchK 49/1985, S. 69 ff.), und Stipendien, die unter anderem auch zur Deckung des Lebensunterhalts bestimmt sind (
BGE 105 III 53
E. 3), als beschränkt pfändbar erachtet.
c) Die in
Art. 93 SchKG
aufgeführten Einkünfte sind beschränkt pfändbar, soweit sie nicht in
Art. 92 SchKG
als unpfändbar erklärt werden (AMONN, a.a.O., S. 181 N 44). In Zusammenhang mit
Art. 92 Ziff. 10 SchKG
findet sich mitunter die allgemein gefasste Aussage, dass "nicht bloss eigentliche Schadenersatzleistungen (...), sondern alle Leistungen, die wegen Körperverletzung oder Gesundheitsstörung erfolgen, gleichgültig, unter welchem Titel sie geschuldet oder erbracht wurden" unpfändbar sind (
BGE 78 III 108
f.). Die Doktrin erwähnt hier vor allem die Ersatzleistung für verlorene Arbeitskraft, ohne diese von den nach
Art. 93 SchKG
beschränkt pfändbaren Ersatzeinkommen abzugrenzen (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 328 N 40; Jaeger, a.a.O.,
Art. 92 N 20
; GILLIÉRON, a.a.O., S. 180; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 4. A. Zürich 1975, S. 226).
Die dem Rekurrenten während der Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit zustehende Entschädigung für den Erwerbsausfall ist für ihn nichts anderes als ein Ersatzeinkommen. Mindestens solange diese Leistung nicht für die Folgen einer bleibenden Arbeitsunfähigkeit erfolgt, gibt es keinen Grund, sie gegenüber den in
Art. 93 SchKG
aufgeführten Einkünften zu bevorzugen. Der angefochtene Entscheid hat somit folgerichtig - und unter zutreffendem Hinweis auf die kantonale Praxis (BlSchK 46/1982, S. 23) - die relative Pfändbarkeit des hier in Frage stehenden Vermögenswertes bejaht.
2.
Im weitern macht der Rekurrent gegenüber dem Bundesgericht geltend, dass die angesprochene Haftpflichtversicherung ihre Zahlungen zwischenzeitlich eingestellt habe. Ein solcher Sachverhalt ist vorab im Rahmen einer Revision der Pfändung zu beurteilen (
BGE 93 III 37
E. 2) und kann dann erst auf einen Rekurs hin überprüft werden. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
74a7a965-5379-48a9-b02a-1d4b7553c9d7 | Urteilskopf
113 II 86
16. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. März 1987 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen Zürich Versicherungsgesellschaft (Berufung) | Regeste
Motorfahrzeughaftpflicht, Regressrecht der SUVA.
1.
Art. 91 KUVG
,
Art. 42 ff. OR
. Vorbestehendes Leiden, das die Invalidität des Verunfallten vergrössert und daher bei der Ermittlung des Schadens zu beachten ist. Tat- und Rechtsfragen; natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang (E. 1).
2.
Art. 100 KUVG
,
Art. 88 SVG
. Umfang des Regressrechts der SUVA gegen den haftpflichtigen Dritten. Sinn und Zweck des Quotenvorrechts zugunsten des Geschädigten (E. 2).
3. Eine konstitutionelle Prädisposition des Verunfallten kann sowohl die Schadensberechnung wie die Schadenersatzbemessung beeinflussen. Unterschiedliche Auswirkungen auf das Quotenvorrecht des Geschädigten und auf die Regressforderung der SUVA (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 113 II 86 S. 87
A.-
X., geb. 1923, verunfallte am 30. September 1971 als Mitfahrer auf einem Motorrad, das an einer Strassenverzweigung in Zürich mit einem Personenwagen zusammenstiess. Er erlitt schwere Verletzungen, musste jahrelang ärztlich behandelt werden und wurde wegen bleibender Behinderungen weitgehend arbeitsunfähig.
X. war als Hilfsarbeiter einer Druckerei obligatorisch gegen Unfall versichert. Mit Verfügung vom 5. August 1976 sprach die SUVA ihm eine Invalidenrente von 50% zu. Auf Beschwerde des Versicherten einigte sie sich mit ihm dahin, dass sie einen Invaliditätsgrad von 75% anerkannte, die Rente jedoch wegen eines krankhaften Vorzustandes seiner Brust- und Lendenwirbelsäule (Scheuermann Krankheit) gestützt auf
Art. 91 KUVG
um 25% kürzte, was eine Jahresrente von Fr. 11'916.-- ergab.
Die Halterin des Personenwagens war für ihre Haftpflicht bei der "Zürich" versichert. Diese anerkannte, dass die Lenkerin des Wagens das Vortrittsrecht des Motorradfahrers missachtet hatte und für den Unfall allein verantwortlich war. Sie hielt den Verunfallten
BGE 113 II 86 S. 88
zu 75% für invalid und ermittelte einen kapitalisierten Erwerbsausfall von Fr. 228'843.--. Wegen der vorbestehenden Wirbelsäulenerkrankung kürzte die "Zürich" ihre Haftung ebenfalls um 25%, wollte also den Schadenersatz des Verletzten für Erwerbsausfall auf Fr. 171'632.-- beschränkt wissen.
B.-
Die SUVA zahlte dem Geschädigten insgesamt Fr. 247'221.--, wovon Fr. 115'388.-- auf die kapitalisierte Invalidenrente entfielen. Sie wollte für ihre Leistungen gemäss
Art. 100 KUVG
auf die "Zürich" zurückgreifen, die jedoch nur eine Forderung von Fr. 156'310.-- anerkannte. Im Juli 1983 klagte die SUVA gegen die "Zürich" auf Zahlung des Restbetrages von Fr. 90'911.-- nebst 5% Zins seit 1. September 1977.
Am 11. Oktober 1984 schützte das Bezirksgericht Zürich die eingeklagte Forderung zu Fr. 33'700.-- und wies die Klage im Mehrbetrag ab. Es bejahte das Quotenvorrecht des Geschädigten und kürzte die Regressforderung der Klägerin entsprechend dem Abzug, der sich aus dem krankhaften Vorzustand des Geschädigten ergab, um Fr. 57'211.--.
Die Klägerin appellierte an das Obergericht des Kantons Zürich, das am 27. Mai 1986 im gleichen Sinn entschied.
C.-
Gegen diesen Entscheid hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie an der eingeklagten Forderung im vollen Umfang festhält.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 91 KUVG
, das vorliegend noch anwendbar ist, hat die SUVA ihre Leistungen für Invalidität zu kürzen, wenn unfallfremde Faktoren sie vergrössert haben. Unter diese Bestimmung fällt jeder pathologische Vorzustand, ohne den die seit dem Unfall bestehende Invalidität von geringerem Ausmass wäre, gleichviel ob er bereits vor dem Unfall Schmerzen verursacht oder die Erwerbsfähigkeit des Versicherten beeinträchtigt habe (
BGE 105 V 92
). Wegen eines solchen Vorzustandes hat die Klägerin die Rente des Geschädigten um 25% gekürzt. Sie spricht aber der Beklagten das gleiche Recht ab, weil die Kürzung nach
Art. 91 KUVG
nicht unbesehen auf die Leistungen des haftpflichtigen Dritten übertragen werden dürfe, der den gesamten unfallbedingten Schaden zu ersetzen habe; die Klägerin müsse die Rente
BGE 113 II 86 S. 89
lebenslänglich ausrichten und daher den Risikofaktor des Vorzustandes weit mehr gewichten als der Haftpflichtige.
a) Dazu ist vorweg festzuhalten, dass die Beklagte nach dem angefochtenen Urteil vom gleichen Invaliditätsgrad des Geschädigten ausgegangen ist wie die Klägerin und einen Erwerbsausfall von Fr. 228'843.-- ermittelt hat, der im kantonalen Verfahren unbestritten geblieben ist. Diese Feststellung der Vorinstanz bindet das Bundesgericht, da eine Ausnahme gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
weder behauptet noch zu ersehen ist. Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe den Vorzustand des Geschädigten bereits bei der Schadensberechnung berücksichtigt, ist neu und daher nicht zu hören (
BGE 110 II 312
). In welchem Umfang jemand durch Erwerbsausfall geschädigt wird, ist übrigens im wesentlichen eine Tatfrage, die vom kantonalen Richter zu entscheiden ist. Vorbehalten bleibt, ob er den Begriff des Schadens verkannt, den Ausfall in unzulässiger Weise ermittelt und sich im Rahmen des Ermessens gehalten habe, das ihm insbesondere bei Abschätzen des Schadens zusteht (
BGE 106 II 133
E. 5c,
BGE 105 II 81
/82,
BGE 82 II 399
E. 4).
Die Feststellungen des Obergerichts zur vorbestehenden Krankheit des Geschädigten betreffen ebenfalls tatsächliche Verhältnisse. Sie stützen sich auf eine ärztliche Untersuchung vom 29. April 1977, wonach der Geschädigte damals an der Lendenwirbelsäule eine verbreitete Spondylose und Osteochondrose aufwies, die sich u.a. in einem lumbalen Schmerzsyndrom mit hochgradiger Versteifung der Brust- und Lendenwirbelsäule offenbarten. Die Vorinstanz fand zusammen mit dem Arzt und dem Radiologen, dass die schweren pathologischen Veränderungen im Bereiche der Wirbelsäule keine Unfallfolgen waren, aber die Arbeitsunfähigkeit des Geschädigten erheblich vergrösserten, weil die Schmerzen ihn auch bei sitzender Tätigkeit behinderten. Diese Feststellungen des Obergerichts über die vorbestehende Scheuermann Krankheit als wesentliche Mitursache der erhöhten Invalidität beziehen sich auf den natürlichen Kausalzusammenhang und sind daher entgegen der Annahme der Klägerin für das Bundesgericht verbindlich (
BGE 101 II 73
E. 3 und
BGE 98 II 291
mit Hinweisen).
b) Ob sich ein vorbestehendes Leiden auch als adäquate Ursache einer erhöhten Erwerbsunfähigkeit ausgeben lässt, ist dagegen eine Frage der Rechtsanwendung, die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren frei überprüft werden kann (
BGE 107 II 243
unten). Nach der Lehre und Rechtsprechung zum rechtserheblichen Kausalzusammenhang genügt es grundsätzlich, dass der
BGE 113 II 86 S. 90
Haftpflichtige eine Schadensursache gesetzt hat, ohne die es nicht zum Unfall gekommen wäre; diesfalls vermögen Mitursachen den adäquaten Kausalzusammenhang in der Regel weder zu unterbrechen noch auszuschliessen (OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht I, 4. Aufl. S. 227/28; BREHM, N. 125 zu
Art. 41 OR
). Das leuchtet namentlich nach dem Sinn und Zweck des Vortrittsrechts ein, das im Strassenverkehr Zusammenstösse verhüten soll, aber häufig zu schweren Unfällen führt, wenn es missachtet oder erzwungen wird (
BGE 94 IV 27
und
BGE 92 IV 24
E. 3 mit Hinweisen). Wer dabei widerrechtlich einen gesundheitlich geschwächten Menschen verletzt, hat kein Recht darauf, so gestellt zu werden, als ob er einen gesunden geschädigt hätte.
Ein vorbestehendes Leiden des Geschädigten kann dagegen für den Umfang der Haftpflichtansprüche gemäss Art. 42 bis 44 OR von Bedeutung sein, was das Bundesgericht auf Berufung hin ebenfalls frei überprüfen kann. Einfache konstitutionelle Schwächen fallen mangels einer allgemeinen Eignung, einen Schaden herbeizuführen, als Herabsetzungsgründe zwar ausser Betracht (BREHM, N. 57 zu
Art. 44 OR
). Eigentliche Anomalien sowie akut oder latent vorbestehende Leiden können aber die Ansprüche des Verletzten schmälern; sie fallen unter den Begriff der konstitutionellen Prädisposition und gelten als mitwirkender Zufall, der die Berechnung des Schadens oder die Bemessung des Schadenersatzes beeinflussen kann und daher auch haftpflichtrechtlich zu beachten ist, gleichviel ob sie als Mitursache des Unfalles anzusehen sind oder bloss dessen Folgen verschlimmern (OFTINGER, S. 103; MERZ, Schweiz. Privatrecht Bd. VI/1, S. 233; KELLER/GABI, Haftpflichtrecht, S. 104).
c) Dem Obergericht ist darin beizupflichten, dass die vorbestehende Wirbelsäulenerkrankung des Geschädigten als rechtserhebliche Prädisposition zu betrachten ist, zumal sie sich, was ihre Auswirkungen angeht, durchaus mit der in
BGE 102 II 43
E. 3c beurteilten vergleichen lässt. Ob sie im Rahmen der Schadensberechnung oder der Schadenersatzbemessung zu berücksichtigen ist, kann einstweilen offenbleiben, da so oder anders nach richterlichem Ermessen zu bestimmen ist, in welchem Ausmass ihr bei der Ermittlung der Haftungsquote Rechnung zu tragen ist (MERZ, S. 234). Das Obergericht hat dieses Ermessen dadurch, dass es der Beklagten eine Kürzung von 25% zugestand, nicht überschritten, hat es damit deren Haftung doch um den gleichen Prozentsatz gekürzt, den die Klägerin für sich selbst beansprucht hat. Gewiss
BGE 113 II 86 S. 91
braucht die Abgrenzung adäquater Unfallursachen und -folgen von inadäquaten im Sozialversicherungsrecht nicht gleich auszufallen wie im Haftpflichtrecht (
BGE 96 II 398
), da nach
Art. 91 KUVG
unfallfremde Mitursachen eines Schadens berücksichtigt werden können, die den Haftpflichtanspruch nicht zu beeinflussen vermögen. Es ist indes nicht einzusehen, weshalb ein Umstand, der sich in beiden Bereichen auswirkt, in jenem erheblich, in diesem hingegen unerheblich sein soll. Die Praxis hält sich diesfalls bei der Berechnung des haftpflichtrechtlich relevanten Schadens im allgemeinen denn auch an die Ansätze, nach denen die SUVA ihre Leistungen gemäss
Art. 91 KUVG
kürzt (R. SCHAER, Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichsystemen, Rz. 357). Dass die Vorinstanz die Beklagte nur zu 75% für den Gesamtschaden des Verletzten aus Erwerbsunfähigkeit haftbar erklärt hat, ist daher bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
2.
Nach
Art. 100 KUVG
tritt die SUVA "bis auf die Höhe ihrer Leistungen" in die Ansprüche ein, die der Versicherte und seine Hinterlassenen gegen den haftpflichtigen Dritten haben. Seit 1960 hat sie dabei auch
Art. 88 SVG
zu beachten. Wenn einem Geschädigten der Schaden durch Versicherungsleistungen nicht voll gedeckt wird, können nach dieser Bestimmung Versicherer auf den Dritten oder dessen Haftpflichtversicherung nur zurückgreifen, soweit der Geschädigte dadurch nicht benachteiligt wird. Die Bestimmung enthält eine Beschränkung des Regressrechts zugunsten des sogenannten Quotenvorrechts des Geschädigten; sie gilt nach neuerer Rechtsprechung sinngemäss für alle von
Art. 100 KUVG
beherrschten Fälle. Die SUVA kann deshalb nur dann und insoweit auf den Schädiger zurückgreifen, als ihre Leistungen und jene des haftpflichtigen Dritten oder dessen Versicherung zusammen den ganzen Schaden übersteigen. Dem Geschädigten gereichen folglich ein Selbstverschulden oder andere Umstände, die mit der Kausalität zusammenhängen, erst dann zum Nachteil, wenn seine Schadenersatzansprüche geringer sind als der von der SUVA nicht gedeckte Schaden (
BGE 104 II 309
E. d mit Hinweisen).
Das gleiche ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Quotenvorrechts zugunsten des Geschädigten. Dieses Privileg will den Geschädigten nicht bereichern, sondern vor ungedecktem Schaden bewahren. Von einer Bereicherung kann aber keine Rede sein, solange die Leistungen der SUVA und des Dritten oder dessen Haftpflichtversicherung den Schaden nicht voll decken; das lässt sich erst sagen, wenn ihre Leistungen über den zu ersetzenden
BGE 113 II 86 S. 92
Schaden hinausgehen. Dieser Schaden ist in der Vermögenseinbusse zu erblicken, die der Geschädigte infolge des Unfalls tatsächlich erlitten hat, weshalb sich sein Quotenvorrecht zum vornherein nur auf solchen Schaden, nicht aber auf Folgen beziehen kann, die haftpflichtrechtlich irrelevant sind und daher aus anderen Gründen Anlass zu Leistungskürzungen durch die SUVA geben. Das eine wie das andere hängt in Fällen wie hier davon ab, ob die konstitutionelle Prädisposition schon bei der Feststellung und Berechnung des Schadens gemäss
Art. 42 OR
oder erst bei der Bemessung des Schadenersatzes nach Art. 43/44 OR zu berücksichtigen ist.
3.
In der Auseinandersetzung des Geschädigten mit der SUVA oder der Haftpflichtversicherung ist diese Frage kaum von Belang, da es im Ergebnis auf das gleiche herauskommt, ob der konstitutionellen Prädisposition durch Beschränkung des Gesamtschadens auf den Teil, der als adäquate Folge des haftungsbegründenden Ereignisses erscheint, oder durch Kürzung des Schadenersatzes Rechnung getragen wird. Schwierigkeiten können sich dagegen ergeben, wenn die SUVA auf die Haftpflichtversicherung zurückgreifen will und wegen der Verschiedenheit der Leistungssysteme streitig ist, ob und allenfalls welcher Teil des Schadens von der Regressforderung auszunehmen ist; diesfalls fragt sich vorweg, wo die konstitutionelle Prädisposition im Hinblick auf das Quotenvorrecht des Geschädigten einzuordnen ist (SCHAER, Rz. 342 ff.).
a) Das Bundesgericht nahm zunächst an, die konstitutionelle Prädisposition könne sowohl ein Faktor der Schadensberechnung als auch ein Grund zur Ermässigung der Schadenersatzpflicht gemäss
Art. 44 OR
sein (Urteile vom 2. März 1965 und vom 24. Mai 1966 i.S. Pedrolini, publ. in Rep. 99/1966 S. 30 ff.). Im Jahre 1982 gab es diese Auffassung auf und erklärte, dass eine Prädisposition im Haftpflichtrecht nicht unter dem Gesichtspunkt der Kausalität zu berücksichtigen sei, obschon dies rein logisch geboten wäre, sondern im Rahmen der Schadenersatzbemessung als Umstand, für den der Geschädigte einzustehen habe (nicht veröffentlichtes Urteil vom 7. Oktober 1982 i.S. Wullimann).
In der Lehre wird die konstitutionelle Prädisposition mehrheitlich als Herabsetzungsgrund im Sinne von
Art. 44 OR
aufgefasst und die Frage, ob sie allenfalls auch im Rahmen der Schadensberechnung zu berücksichtigen wäre, meistens übergangen (VON TUHR/PETER, OR Allg. Teil I, 3. Aufl. S. 109; MERZ, S. 233; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 55 Anm. 71; KELLER, Haftpflicht im
BGE 113 II 86 S. 93
Privatrecht, 3. Aufl. S. 56 und 101; KELLER/GABI, S. 104 f.). OFTINGER versteht sie als Anwendungsfall des konkurrierenden Zufalls und sieht eine dogmatisch befriedigende Lösung nur auf dem Boden des Kausalitätsgedankens, hat aber nichts einzuwenden, wenn ihr in der Praxis alternativ bei der Bemessung des Schadenersatzes Rechnung getragen wird; eine kumulative Berücksichtigung lehnt er hingegen ab (S. 98, 101 ff. und 280).
Anderer Meinung ist insbesondere SCHAER, der anknüpfend an die deutsche Lehre den Standpunkt vertritt, dass bestimmte Teilursachen, wie die konstitutionelle Prädisposition, zwar zu einem Schaden führen, der dem Haftpflichtigen aber nicht zurechenbar sei; die Prädisposition erscheine damit als Anwendungsfall der sogenannten hypothetischen Kausalität, die als Element der Schadensberechnung zu verstehen sei (Rz. 123 ff. und 1114). BREHM lässt sie gestützt auf die ältere Rechtsprechung sowohl als Element der Schadensberechnung wie als Herabsetzungsgrund gelten und schliesst selbst eine kumulative Berücksichtigung nicht aus (N. 58 zu
Art. 55 OR
).
b) Die konstitutionelle Prädisposition kann sehr unterschiedliche Formen und Folgen haben. Als haftpflichtrechtlich relevant gelten namentlich Vorzustände, die sich mit Sicherheit oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne das schädigende Ereignis ausgewirkt, die körperliche Integrität des Betroffenen beeinträchtigt oder seine Lebensdauer verkürzt hätten, zur Zeit des Ereignisses aber noch keine Folgen hatten. Dazu kommen vorbestehende Zustände (wie z.B. Bluter- oder Zuckerkrankheit, erhöhte Knochenbrüchigkeit, Neigung zu Neurosen), die für sich allein die Arbeitsfähigkeit des Geschädigten voraussichtlich nicht vermindert hätten, den durch den Unfall ausgelösten Schaden jedoch vergrössern, weil sie die Heilung erschweren oder verzögern. In beiden Arten von Fällen kann der krankhafte Vorzustand zur Zeit des Unfalles entweder bereits bekannt oder bloss latent vorhanden gewesen sein (OFTINGER, S. 102; SCHAER, Rz. 351 ff.).
Die beiden Arten sind rechtlich unterschiedlich zu beurteilen. Wenn der Schaden in vollem oder geringerem Umfang auch ohne den Unfall eingetreten wäre, ist er insoweit keine Folge davon, dem Haftpflichtigen folglich nicht zurechenbar und von der Schadensberechnung auszunehmen. Dem auf den Vorzustand entfallenden Schadensanteil ist z.B. dadurch Rechnung zu tragen, dass eine verkürzte Lebens- oder Aktivitätsdauer angenommen oder der Schaden aus dem Erwerbsausfall auf die Folgen der vorzeitigen
BGE 113 II 86 S. 94
oder überschiessenden Invalidität beschränkt wird. Wäre der Schaden dagegen ohne den Unfall voraussichtlich überhaupt nicht eingetreten, so bleibt der Haftpflichtige dafür auch dann voll verantwortlich, wenn der krankhafte Vorzustand den Eintritt des Schadens begünstigt oder dessen Ausmass vergrössert hat. Diesfalls besteht selbst bei singulären Auswirkungen kein Grund, sie vom Begriff des adäquaten Kausalzusammenhangs zum vornherein auszuschliessen, hiesse dies doch, den Geschädigten seine Schwächen selber entgelten lassen, als ob der Schädiger sich den Gesundheitszustand des Opfers aussuchen könnte. Unfallbedingte Vermögenseinbussen gehören so oder anders zum Schaden und sind deshalb in dessen Berechnung gemäss
Art. 42 OR
einzubeziehen. Dem Anteil der Prädisposition an der Kausalität kann dagegen im Rahmen des
Art. 44 OR
Rechnung getragen werden. Bei der zweiten Art von Fällen ist somit gleich vorzugehen wie bei konkurrierendem Selbstverschulden, das nach
Art. 43 OR
zu berücksichtigen ist. Diese Rechtsprechung geht weder zulasten des Haftpflichtigen noch zulasten des Geschädigten, weshalb daran festzuhalten ist (
BGE 102 II 41
E. 3 und 96 II 396/97 mit Zitaten; BREHM, N. 124 zu
Art. 41 OR
).
Eine Verbindung beider Betrachtungsweisen ist durchaus denkbar, z.B. bei Prädispositionen, welche nicht bloss den Eintritt des Schadens begünstigt oder dessen Ausmass vergrössert haben, sondern auch ohne den Unfall zu Vermögenseinbussen geführt hätten. Diese Möglichkeit ist schon im Falle Pedrolini angedeutet worden (Rep. 99/1966 S. 35 ff.). Selbst in solchen Fällen wird die Ersatzleistung aber nicht zweimal aus dem gleichen Rechtsgrund gekürzt, wenn die Begriffe des Schadens und des Schadenersatzes klar auseinandergehalten werden (BREHM, N. 58 zu
Art. 44 OR
).
c) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts waren die krankhaften Veränderungen, die der Geschädigte 1977 im Bereiche der Wirbelsäule aufwies, mit Sicherheit nicht unfallbedingt, sondern der vorbestehenden Scheuermann Krankheit zuzuschreiben. Diese Feststellungen, die das Bundesgericht binden, können nur dahin verstanden werden, dass der krankhafte Vorzustand des Geschädigten sich unmittelbar und unabhängig vom Unfall ausgewirkt hat. Die Verminderung der Arbeitsfähigkeit und die Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens, die sich daraus für X. ergaben und zur Leistungskürzung durch die SUVA geführt haben, können somit der haftpflichtigen Drittperson und ihrer Versicherung nicht zugerechnet werden. Daraus folgt, dass
BGE 113 II 86 S. 95
nicht die Ersatzleistung, sondern der haftpflichtrechtlich relevante Schaden für Erwerbsausfall um 25% zu kürzen war, was nach der Berechnung der Klägerin eine kapitalisierte Invalidenrente von Fr. 115'388.-- und zusammen mit ihren weiteren Leistungen die Summe von Fr. 247'221.-- ergab. Im Umfang der Kürzung konnte sich der Geschädigte zudem nicht auf ein Quotenvorrecht berufen, weshalb sich auch die Klägerin keine Kürzung gefallen lassen musste, als sie auf die Beklagte zurückgreifen wollte. Die Vorinstanzen haben dies verkannt, indem sie die Begriffe Schaden und Schadenersatz verwechselten. Das angefochtene Urteil ist daher wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben und die Klage in vollem Umfang gutzuheissen. Die Beklagte hat somit der Klägerin abgesehen vom Betrag, mit dem sie sich nach dem Urteil des Bezirksgerichts abgefunden hat, noch Fr. 57'210.-- nebst Zins zu bezahlen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
74a9439b-d02a-434f-b534-a71ea0a12e6c | Urteilskopf
102 Ib 296
50. Auszug aus dem Urteil vom 12. November 1976 i.S. Fatzer gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Entzug des Führerausweises.
- Der Verzicht auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges ist eine Massnahme, die weder im Gesetz vorgesehen ist, noch durch die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts gerechtfertigt wird (E. 3c, d).
- Unvereinbarkeit des Vollstreckungsverzichtes mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit (E. 3e).
- Unzulässigkeit, die Praxis des Vollstreckungsverzichtes als Gewohnheitsrecht zu betrachten (E. 3f). | Sachverhalt
ab Seite 296
BGE 102 Ib 296 S. 296
Die Polizeidirektion des Kantons Zürich entzog Adrian Fatzer am 19. Juni 1975 den Führerausweis für die Dauer von zwei Monaten. Sie ging davon aus, dass er am 13. April 1975 auf der Autobahn bei Kilchberg sein Fahrzeug nicht beherrscht hatte. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hielt auf Beschwerde hin die Massnahme, die er auf
Art. 16 Abs. 2 SVG
stützte, aufrecht. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
BGE 102 Ib 296 S. 297
Fatzer, es sei der Entscheid des Regierungsrates aufzuheben, eventuell sei eine Verwarnung auszusprechen. Ferner beantragt er, eventuell sei auf den Vollzug der Massnahme zu verzichten. Der Regierungsrat des Kantons Zürich und das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragen Abweisung der Beschwerde. Das EJPD fügt bei, es habe gegen einen Verzicht auf den Vollzug der Massnahme nichts einzuwenden.
Das Bundesgericht erachtet den Entzug des Führerausweises als gerechtfertigt und nimmt zur Frage des Vollzugsverzichtes wie folgt Stellung:
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Eventualiter beantragt der Beschwerdeführer, es sei auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges zu verzichten. Er stützt sich dabei auf die Praxis des EJPD, wonach ein fakultativer Warnungsentzug nicht mehr vollzogen wird, wenn seit der ihm zu Grunde liegenden Widerhandlung mehr als ein Jahr verstrichen ist und der Täter durch sein seitheriges Wohlverhalten gezeigt hat, dass er der Warnungsmassnahme nicht mehr bedarf (VPB 39/1975 Nr. 100).
Nach dieser Praxis wären im vorliegenden Fall die Voraussetzungen gegeben, um auf einen Vollzug zu verzichten. Das EJPD unterstützt denn auch in seiner Vernehmlassung einen Verzicht auf den Vollzug der Massnahme.
b) Das Bundesgericht hat bis jetzt zu dieser Praxis des EJPD nie Stellung nehmen müssen und hat die Frage offen gelassen, ob diese mit dem Gesetz vereinbar sei (
BGE 96 I 779
, Entscheid des Bundesgerichts vom 24.5.1972 i.S. T., in ZWallRspr. 1972, S. 445). Dabei wurde allerdings ausgeführt, es sei fraglich, ob die Behörden auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges verzichten könnten (
BGE 96 I 779
).
c) Der Verzicht auf den Vollzug des Führerausweisentzuges ist nicht eine Massnahme oder Modalität der Vollstreckung. Er ändert vielmehr mit einer neuen, selbständigen Verfügung zum Teil die ursprüngliche Entzugsverfügung (
BGE 97 I 605
f.). Diese wird zwar formell in Kraft gelassen und belastet damit den automobilistischen Leumund eines fehlbaren Lenkers. Sie erfährt aber eine Änderung, indem sie als nicht mehr vollziehbar erklärt wird.
Die Änderung von Entzugsverfügungen durch Verzicht auf die Vollstreckung findet ihre Grundlage nicht im Gesetz. Darauf
BGE 102 Ib 296 S. 298
ist bereits in der Doktrin hingewiesen worden (GYGI, Bundesrechtliche Rechtsmittel beim Entzug von Führerausweisen, in Rechtsprobleme des Strassenverkehrs, 1975, S. 127; STAUFFER, Der Entzug des Führerausweises, Diss. Bern 1966, S. 88 f.).
d) Die nachträgliche Änderung oder Aufhebung von Verfügungen durch die Verwaltung ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn das betreffende Gesetz keinen Hinweis darauf enthält. Die Rechtsprechung und Doktrin haben vielmehr Kriterien entwickelt für die Anpassung einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung an inzwischen eingetretene Tatsachen, für die Rücknahme von fehlerhaften Verfügungen und schliesslich für die Feststellung der Nichtigkeit.
Der Verzicht auf den Vollzug des Führerausweisentzuges kann keiner dieser Fallgruppen zugeordnet werden. Am ähnlichsten ist er der Anpassung von Verfügungen an inzwischen eingetretene Tatsachen.
Die Kriterien für diese Anpassung sind bei Verfügungen entwickelt worden, die dauernde Rechtsverhältnisse begründen und darum durch die zeitliche Entwicklung überholt werden können. Zudem bedeutet eine Anpassung einer Verfügung, wie sie von der Praxis entwickelt worden ist, meistens eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Verfügungsadressaten, die u.U. mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in Konflikt kommen kann. Darum wird in solchen Fällen eine Wertabwägung durchgeführt, auf Grund welcher eine Verfügung den neuen Verhältnissen angepasst wird, wenn das Interesse an der richtigen Anwendung des Rechtes dem Interesse an der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vorgeht.
Beim Verzicht auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges ist die Problemlage jedoch anders. Erstens ist die Dauer der Massnahme in den meisten Fällen nicht so lang, dass es nötig werden kann, inzwischen eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen. Zweitens handelt es sich beim Verzicht auf den Vollzug um eine Verbesserung der Stellung des Verfügungsadressaten. Aus diesem Grund dürfte die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz keine Rolle spielen. Der Verzicht auf den Vollzug des Führerausweisentzuges kann somit nicht dem Institut der Anpassung von Verfügungen, wie es von der Praxis entwickelt worden ist, zugeordnet werden.
BGE 102 Ib 296 S. 299
Die Praxis des Vollzugsverzichtes beim Führerausweisentzug ist denn auch nicht als Ausgleich der Prinzipien der Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und Legalität zu verstehen, sondern wurde durch die grossen Rückstände, die die Behörden bei der Behandlung von Beschwerden gegen solche Entzüge aufweisen, motiviert. Diese Rückstände entstehen zum Teil dadurch, dass die Administrativbehörden den Ausgang eines Strafverfahrens abwarten, bis sie selber entscheiden. Es ist denkbar, dass infolge dieser langen Rechtsmittelverfahren ein fehlbarer Fahrzeuglenker seinen Führerausweis noch Jahre nach einer Verkehrsregelverletzung zu deponieren hat. Es ist zwar verständlich, dass mit einem Verzicht auf den Vollzug versucht wurde, solche unbefriedigende Situationen für den fehlbaren Fahrzeuglenker zu mildern. Die Verwaltung darf aber auf Grund des Gesetzes verhängte Massnahmen nicht darum abändern, weil die Behandlung von Rechtsmitteln eine lange Zeit beansprucht hat. Bei den erwähnten Fallgruppen der Anpassung, Rücknahme und Feststellung der Nichtigkeit verlangt das Interesse an der Legalität die Änderung von Verfügungen. Im Fall des Verzichtes auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges verbietet aber gerade die Gesetzestreue eine Änderung einer Verfügung, während eine solche durch das Interesse an der Vermeidung der unbefriedigenden Folgen von langen Rechtsmittelverfahren motiviert ist. Ein solches Interesse kann jedoch nicht die Änderung von Massnahmen rechtfertigen, die auf gesetzliche Weise verhängt worden sind.
e) Der Vollzugsverzicht ist vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit zu beanstanden (GYGI, a.a.O. S. 127). Fahrzeuglenker, die einen Führerausweisentzug nämlich ohne Ergreifen eines Rechtsmittels akzeptieren, gelangen nie in den Genuss eines Vollzugsverzichtes. Fehlbare Fahrzeuglenker jedoch, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel bis zur letzten Instanz benützen, werden den Vollzug des Führerausweisentzuges vielfach so lange hinauszögern können, bis ein Vollzugsverzicht bei gleichzeitigem Vorliegen der anderen vom EJPD verlangten Voraussetzungen in Frage kommt. Dies ist um so eher möglich, wenn die Administrativbehörden den Ausgang eines länger dauernden Strafverfahrens in der gleichen Sache abwarten, bevor sie über den Führerausweisentzug entscheiden.
Der Vollzugsverzicht bevorzugt mit anderen Worten den
BGE 102 Ib 296 S. 300
beschwerdefreudigen vor dem einsichtigen fehlbaren Lenker. Eine solche, im Gesetz nicht vorgesehene ungleiche Behandlung verletzt den Grundsatz der Rechtsgleichheit.
f) Unzulässig ist es schliesslich, die Praxis des Verzichtes auf den Entzug des Führerausweises als Gewohnheitsrecht zu betrachten, wie dies von STAUFFER vorgeschlagen wird (a.a.O. S. 89). Einmal scheint die zeitliche Dauer der Praxis für eine Bildung von Gewohnheitsrecht sehr kurz. Entscheidend ist aber, dass das Bundesgericht mehrmals Vorbehalte zu dieser Praxis angebracht oder die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gesetz zumindest offen gelassen hat. Die Praxis des Entzugsverzichtes kann bei dieser Lage nicht die opinio iuris et necessitatis für sich in Anspruch nehmen, die Voraussetzung für die Bildung von Gewohnheitsrecht wäre.
g) Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der Verzicht auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges eine Massnahme ist, die weder vom Gesetz noch durch die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts gerechtfertigt wird. Diese Praxis ist daher rechtswidrig und muss aufgegeben werden (so auch GYGI, a.a.O. S. 127).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
74ad0d0f-cb0d-4703-9150-5c1ed9756043 | Urteilskopf
103 V 177
40. Urteil vom 27. Dezember 1977 i.S. Michel gegen Eidgenössische Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 4 und 5 MVG
.
Zur Haftung der Militärversicherung für Zahnschäden (Zusammenfassung und Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 177
BGE 103 V 177 S. 177
A.-
Max Michel brach sich am 26. September 1975 im Zivilschutzkurs beim Essen eines "Totenbeinli"-Bisquits den rechten oberen, bereits plombierten Eckzahn ab.
Durch Verfügung vom 5. März 1976 lehnte die Militärversicherung die Haftung für den Zahnschaden mit der Begründung ab, das Abbrechen eines vorbehandelten Zahnes beim normalen Kauakt sei eine dem Ergrauen der Haare vergleichbare Zerfallserscheinung. Das Abbrechen könne unter beliebigen Lebensumständen erfolgen und werde im Dienst nicht mehr gefördert als im Zivilleben. Die Voraussetzungen des Unfallbegriffs seien nicht erfüllt. Laut der Rechtsprechung gelte Zahnkaries zudem nicht als Krankheit. Weil nur Unfälle und Krankheiten als Gesundheitsschädigung im Sinne von
Art. 4 MVG
in Frage kämen, liege beim Versicherten daher keine solche Gesundheitsschädigung vor.
B.-
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Wies durch Entscheid vom 2. Juni 1976 die vom Versicherten gegen die Verfügung vom 5. März 1976 erhobene Beschwerde ab. Eine Haftung der Militärversicherung komme nur in Frage, wenn die Gesundheitsschädigung entweder durch Krankheit oder durch Unfall verursacht worden sei.
BGE 103 V 177 S. 178
Beim Zahnschaden des Versicherten handle es sich jedoch weder um eine Krankheit noch um einen Unfall. Der Versicherte begründe die Leistungspflicht der Militärversicherung lediglich mit dem Vorliegen einer dienstlichen Gesundheitsschädigung, ohne dass diese auf einen Unfall oder eine Krankheit zurückgehen müsse. Eine solche Rechtsauffassung könne aber nicht in das Militärversicherungsgesetz interpretiert werden. Denn sie hätte in Verbindung mit dem in der Militärversicherung geltenden Kontemporaneitätsprinzip zur Folge, dass jeder während des Dienstes in Erscheinung tretende Zahnschaden einen Anspruch des Versicherten gegenüber der Militärversicherung begründen würde, sofern nicht die
Art. 5 ff. MVG
entgegenstünden. Dies könne nicht der Sinn des Gesetzes sein.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Max Michel beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides vom 2. Juni 1976 und der Verfügung der Militärversicherung vom 5. März 1976 sei die Militärversicherung zu verhalten, ihm Fr. 892.20 für zahnärztliche Behandlung zu bezahlen.
Die Militärversicherung stellt den Antrag, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen.
Auf die Begründung dieser Rechtsbegehren wird - soweit erforderlich - in den Erwägungen zurückgekommen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 4 MVG
erstreckt sich die Haftung der Militärversicherung auf jede Gesundheitsschädigung, die während des Dienstes in Erscheinung tritt und gemeldet oder sonstwie festgestellt wird. Die Militärversicherung haftet dann nicht, wenn sie den Beweis erbringt, dass die Gesundheitsschädigung sicher vordienstlich ist oder sicher nicht durch Einwirkungen während des Dienstes verursacht werden konnte (
Art. 5 Abs. 1 lit. a MVG
) und dass die Gesundheitsschädigung sicher durch Einwirkungen während des Dienstes weder verschlimmert noch in ihrem Ablauf beschleunigt worden ist (
Art. 5 Abs. 1 lit. b MVG
). Erbringt die Militärversicherung den unter lit. a, nicht dagegen den unter lit. b verlangten Beweis, so haftet sie für die Verschlimmerung der Gesundheitsschädigung (
Art. 5 Abs. 2 MVG
).
BGE 103 V 177 S. 179
2.
Ein behandlungsbedürftiger Zahnschaden stellt eine Gesundheitsschädigung dar, wobei der Schaden entweder durch Unfall oder Krankheit verursacht wird. Zahnschäden und allenfalls völlige Zahnlosigkeit gelten nicht als schicksalhaftes, nicht zu korrigierendes Resultat eines normalen Abnützungs- und Alterungsprozesses. In dem von den Parteien zitierten Urteil Kobi vom 4. September 1975 hat das Eidg. Versicherungsgericht erklärt, es gehe nicht an, die Ablehnung der Haftung der Militärversicherung für einen behandlungsbedürftigen Zahnschaden in der Weise zu begründen, es liege weder eine auf Krankheit noch auf Unfall beruhende Schädigung und somit auch keine Gesundheitsschädigung im Sinne des
Art. 4 MVG
vor. In Betracht komme in einem solchen Fall lediglich die ganze oder teilweise Ablehnung der Haftung gemäss den in
Art. 5-7 MVG
niedergelegten Grundsätzen.
Daraus kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht geschlossen werden, der Begriff der Gesundheitsschädigung umfasse mehr als Unfall und Krankheit, weil einem spontanen Zahnbruch ohne unfallmässige Verursachung möglicherweise Krankheitswert abgesprochen werden könne. Diese Ansicht ist unter anderem deswegen unzutreffend, weil vorauszusetzen ist, dass sowohl der gesunde als auch der diesem gleichzustellende sanierte funktionstüchtige Zahn beim normalen Kauakt nicht abbricht bzw. dass ein beim normalen Kauakt abgebrochener Zahn nicht mehr gesund und funktionstüchtig war.
Im übrigen ist zu beachten, dass
Art. 1 MVG
unter dem Randtitel "Vollversicherte" diejenigen Personen aufzählt, die gegen Unfall und Krankheit versichert sind. Auch daraus folgt, dass es im Militärversicherungsgesetz keinen Raum gibt für andere als auf Unfall oder Krankheit bzw. auf Schäden mit Krankheitswert beruhende Versicherungsfälle. Der Begriff Gesundheitsschädigung stellt demnach den Oberbegriff von Unfall und Krankheit bzw. eine zur Bezeichnung von Unfall und Krankheit dienende Kurzumschreibung dar. Ob die Behauptung des Beschwerdeführers zutrifft, der von der Rechtsprechung entwickelte Unfall- und Krankheitsbegriff vermöge den militärversicherungsrechtlichen Begriff der Gesundheitsschädigung im Hinblick auf die Opferbereitschaft eines Versicherten im Sinne des Heldentods Winkelrieds nicht gänzlich auszufüllen, braucht im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden.
BGE 103 V 177 S. 180
3.
a) Nach der Rechtsprechung genügt die blosse Tatsache eines Zahnschadens im Dienst für die Haftung der Militärversicherung in der Regel nicht; vielmehr muss der Schaden auf einen Unfall zurückzuführen sein. Denn Zahnkrankheiten können ihrer Natur nach in den wenigsten Fällen als während einer kurzen Dienstzeit entstanden oder durch sie verursacht betrachtet werden (nicht veröffentlichte Urteile Jacquemai vom 25. Januar 1929, Garke vom 26. April 1938, Jselin vom 16. November 1938, Eng vom 1. Dezember 1938 und Müller vom 8. November 1940).
Im bereits zitierten Urteil Kobi vom 4. September 1975 hat das Gericht erklärt, es lasse sich nicht rechtfertigen, die Erfüllung des Unfallbegriffs - entgegen der bisherigen Rechtsprechung (nicht veröffentlichte Urteile Jacquemai vom 25. Januar 1929, Kungler vom 1. Oktober 1937, Eng vom 1. Dezember 1938 und Müller vom 8. November 1940) - davon abhängig zu machen, "ob das schädigende Ereignis einen völlig intakten oder aber einen bereits behandelten Zahn betroffen hat. Dass einzelne oder sogar eine Anzahl von Zähnen infolge zahnärztlicher Behandlung im Hinblick auf mechanischen Druck relativ geschwächt sind, bildet im Erwachsenenalter wohl die Regel, wogegen ein völlig intaktes Gebiss eher die seltene Ausnahme sein dürfte. Es ist zwar anzunehmen, dass ein völlig gesunder Zahn stärkeren Belastungen standhält als ein sanierter. Indessen bleibt ein behandelter Zahn in der Regel für den normalen Kauakt durchaus funktionstüchtig. Wenn ein solcher Zahn einer plötzlichen, nicht beabsichtigten und aussergewöhnlichen Belastung nicht standhält, darf die Annahme eines Unfalles nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, ein völlig intakter Zahn hätte selbst diese Belastung überstanden. Vorbehalten bleiben Fälle, wo der Zahn so geschwächt ist, dass er auch eine normale Belastung nicht ausgehalten hätte."
Scheidet unter solchen Umständen Unfall als Ursache für den als Gesundheitsschädigung im Sinne des
Art. 4 MVG
zu bewertenden Zahnbruch aus, verbleibt notwendigerweise als Ursache eine Krankheit. Damit kann sich unter anderem die Frage der Anwendbarkeit der Haftungsbestimmung des
Art. 5 Abs. 1 lit. b MVG
auf diesen krankhaften bzw. krankheitsbedingten Gesundheitsschaden stellen.
b) In dem seither nie korrigierten Urteil Raeber vom 16. Februar 1925 hat es das Eidg. Versicherungsgericht abgelehnt,
BGE 103 V 177 S. 181
die Karies als eine Krankheit im Sinne des Militärversicherungsgesetzes zu betrachten. Es handle sich dabei um eine Erscheinung, die so sehr blossen physiologischen Vorgängen, wie z.B. dem Ergrauen der Haare, dem Haarausfall und ähnlichen Zerfallserscheinungen vergleichbar sei und in so hohem Masse durch Zahnpflege aufgehalten werden könne, dass sie gemeinhin gar nicht als Krankheit eingeschätzt werde, obschon man es medizinisch zweifelsohne mit einem Krankheitszustand zu tun habe. Im übrigen stelle die Karies zugleich eine Erscheinung dar, die unter den beliebigsten Lebensbedingungen auftrete und die insbesondere durch den Dienst nicht mehr gefördert werde als durch das Zivilleben.
Ob beim heutigen Stand der Zahnmedizin und im Sinne des unter Erwägung 2 Gesagten an dieser Rechtsprechung, auf die sich die Militärversicherung in ihrer Verfügung vom 5. März 1976 beruft, festgehalten werden soll, kann offen gelassen werden, Weil dies für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht entscheidend ist.
4.
a) Als Unfall gilt nach der Rechtsprechung die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines mehr oder weniger ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper (
BGE 102 V 132
Erw. a,
BGE 100 V 78
Erw. 1a,
BGE 99 V 138
Erw. 1,
BGE 98 V 166
,
BGE 97 V 2
).
b) Der Beschwerdeführer gab am 24. November 1975 gegenüber dem Aussendienstinspektor der Militärversicherung folgendes zu Protokoll:
"Ich war im Begriffe, ein gekauftes Bisquits (Totenbeinli) zu essen. Ich kaute und stellte keinen harten Gegenstand fest. Plötzlich, ich dachte an eine Haselnussschale, hatte ich einen harten Gegenstand im Munde. Als ich nachschaute, war es ein abgebrochenes Zahnstück. Einen Knacks hatte ich nicht verspürt und es ist mir beim Beissen auch nicht aufgefallen, dass ich den Zahn forcierte. Der Zahn war früher plombiert worden. Einen anderen harten Gegenstand als das genannte Zahnstück hatte ich im Munde nicht festgestellt."
Auf Grund dieses Sachverhaltes kann der am 5. Tag des Zivilschutzkurses beim Beschwerdeführer eingetretene Zahnschaden nicht als Folge eines Unfalles qualifiziert werden. Denn es steht fest, dass ein gesunder bzw. ein sanierter und insoweit funktionstüchtiger Zahn beim normalen Kauakt, selbst beim Essen harter Nahrung, nicht abbricht. Aus der Tatsache des Zahnbruchs als solchem darf deshalb nicht abgeleitet
BGE 103 V 177 S. 182
werden, er müsse durch einen Unfall im Rechtssinne verursacht worden sein.
5.
Scheidet Unfall als Ursache für den als Gesundheitsschädigung gemäss
Art. 4 MVG
zu bewertenden Zahnbruch aus, so kann die Ursache nur darin liegen, dass der Zahn auf Grund eines krankhaften Geschehens bereits derart geschwächt war, dass er am 5. Diensttag einer zwar starken, für einen funktionstüchtigen Zahn jedoch noch normalen Belastung nicht mehr standgehalten hat und ohne aussergewöhnliche Einwirkung gebrochen ist. Dabei darf in Anbetracht der kurzen Dienstzeit als erwiesen erachtet werden, dass die massgebliche Gesundheitsschädigung - die krankheitsbedingte Schwächung des Zahnes - sicher grösstenteils vordienstlich war und sicher nicht durch Einwirkungen während des Dienstes verursacht werden konnte (
Art. 5 Abs. 1 lit. a MVG
).
Dagegen muss der während des Dienstes entstandene Zahnbruch, der auf eine vordienstliche Schwäche des Zahnes gegenüber hoher mechanischer Beanspruchung zurückzuführen ist, als Verschlimmerung der Gesundheitsschädigung betrachtet werden (
Art. 5 Abs. 1 lit. b MVG
), wofür die Militärversicherung gemäss
Art. 5 Abs. 2 MVG
haftet.
Anders könnte es sich nur verhalten, wenn der Zahn schon vor dem schädigenden Ereignis und vordienstlich durch Krankheit oder Unfall derart geschwächt oder locker gewesen wäre, dass ohnehin ein Bruch unmittelbar bevorgestanden und der Biss nur das zufällige, auslösende Moment gebildet hätte, in welchem Falle von einer relevanten Verschlimmerung der Gesundheitsschädigung nicht gesprochen werden könnte. Vorliegendenfalls liegt ein solcher Sachverhalt indessen nicht vor.
Da eine Leistungskürzung gemäss
Art. 41 Abs. 1 MVG
zum vorneherein entfällt, weil es sich bei den vom Beschwerdeführer geforderten Leistungen um Krankenpflegeleistungen handelt, die als solche kraft der speziellen Vorschrift von
Art. 41 Abs. 3 MVG
nicht gekürzt werden dürfen, braucht die Frage, in welchem Umfange die Versicherung nach
Art. 5 MVG
zu haften hätte, nicht geprüft zu werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft
BGE 103 V 177 S. 183
vom 2. Juni 1976 sowie die Verfügung der Militärversicherung vom 5. März 1976 aufgehoben. Die Militärversicherung wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer Fr. 892.20 zu bezahlen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
74b1c985-8ec1-4ad8-8b3f-bf45786bdaad | Urteilskopf
112 V 136
22. Extrait de l'arrêt du 24 janvier 1986 dans la cause Z'Graggen contre Office cantonal vaudois du travail et Commission cantonale vaudoise d'arbitrage pour l'assurance-chômage | Regeste
Art. 15 Abs. 1, Art. 81 Abs. 2 lit. a,
Art. 85 Abs. 1 lit. d und e AVIG
,
Art. 14 Abs. 1 AVIV
: Vermittlungsfähigkeit.
- Ist die Kasse im Zweifel über die Berechnungsart der Entschädigung und hat sie den Fall deshalb der zuständigen kantonalen Amtsstelle zum Entscheid unterbreitet, so hat diese von Amtes wegen zu prüfen, ob der Versicherte die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung erfüllt, insbesondere ob er vermittlungsfähig ist (Erw. 2).
- Begriff der Vermittlungsfähigkeit; Fall eines Versicherten, der teilzeitlich eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Erw. 3). | Erwägungen
ab Seite 136
BGE 112 V 136 S. 136
Extrait des considérants:
2.
a) Selon le recourant, la Caisse de chômage FOBB de Nyon a soumis le cas à l'office cantonal du travail pour la seule raison qu'elle ne pouvait trancher le point de savoir si l'entrée en vigueur - le 1er janvier 1984 - de la LACI "était de nature à modifier la base de salaire pour le calcul de l'indemnité journalière". Aussi, allègue-t-il que "la question devant faire l'objet d'une décision concernait uniquement le mode de calcul de l'indemnité journalière et non pas l'examen de l'aptitude au placement, qui, elle, n'était pas mise en cause".
b) Lorsqu'elle a des doutes sur le point de savoir si l'assuré a droit à l'indemnité, la caisse soumet le cas à l'autorité cantonale pour décision (
art. 81 al. 2 let. a LACI
).
BGE 112 V 136 S. 137
Selon l'
art. 85 al. 1 LACI
, les autorités cantonales vérifient l'aptitude des chômeurs à être placés (let. d) et (let. e) statuent sur les cas qui leur sont soumis par les caisses en vertu de l'
art. 81 al. 2 LACI
.
Est compétent en matière de placement l'office du travail de la commune de domicile du chômeur (
art. 17 al. 2 LACI
). Selon l'
art. 24 OACI
, si cet office considère que l'assuré n'est pas apte au placement ou ne l'est pas suffisamment, il en informe l'assuré et la caisse et avise l'autorité cantonale (alinéa 1); l'autorité cantonale examine l'aptitude au placement et communique ses conclusions à la caisse et à l'office du travail. La communication lie la caisse et l'office du travail (alinéa 2).
c) Il est constant que, à la suite du changement de caisse intervenu en janvier 1984, la caisse de chômage précitée a, en application de l'
art. 81 al. 2 let. a LACI
, soumis le cas du recourant à l'office intimé pour décision. A cet effet, elle a, le 3 février 1984, posé la question suivante: "Compte tenu de sa situation personnelle, l'assuré peut-il être indemnisé sur la base de l'attestation de l'employeur "A' à raison, en moyenne, de 22 indemnités par mois?" Cela ne signifie cependant pas que l'office cantonal du travail devait se limiter à trancher cette seule question. Il avait au contraire à statuer sur le point de savoir si le recourant avait droit à l'indemnité (
art. 85 al. 1 let
. e en relation avec l'
art. 81 al. 2 let. a LACI
). Aussi, lui incombait-il de vérifier d'office si l'assuré était apte au placement, conformément à l'
art. 8 al. 1 let
. f LACI, comme il en avait la compétence en vertu de l'
art. 85 al. 1 let
. d LACI. Or, la caisse ayant signalé dans sa requête que, "actuellement, l'assuré est occupé par son bureau d'architecture uniquement l'après-midi et ... n'a plus réalisé de salaire de par son activité indépendante depuis plusieurs mois déjà. Les seules ressources financières étant, pour l'instant, constituées par les indemnités de chômage. L'assuré désire plutôt trouver un emploi à mi-temps, mais effectue également des démarches pour obtenir un emploi à plein temps", il appartenait à l'office cantonal du travail, s'il entendait nier l'aptitude au placement du recourant pour ce motif, de rendre une décision sur ce point et de refuser l'indemnité demandée.
3.
a) L'aptitude au placement comprend, selon la définition légale (
art. 15 al. 1 LACI
), deux éléments: la capacité de travail, c'est-à-dire la faculté de fournir un travail - plus précisément d'exercer une activité lucrative salariée - sans que l'assuré soit empêché
BGE 112 V 136 S. 138
de le faire pour des causes inhérentes à sa personne (cf. pour l'ancien droit
ATF 110 V 208
consid. 1; v. aussi STAUFFER, Die Arbeitslosenversicherung, Zurich 1984, p. 37), et la disposition à accepter un travail convenable au sens de l'
art. 16 LACI
, ce qui implique non seulement la volonté de prendre un tel travail s'il se présente mais aussi une disponibilité suffisante, soit quant au temps que l'assuré peut consacrer à un emploi, soit quant au nombre des employeurs potentiels (cf. pour l'ancien droit
ATF 109 V 275
consid. 2a; v. en outre STAUFFER, op.cit., p. 42 ss).
b) En l'espèce, le recourant dont la capacité de travail est entière satisfait à la première condition de l'aptitude au placement. En revanche, la juridiction cantonale, comme l'office intimé, considère qu'en poursuivant son activité indépendante durant la période litigieuse, le recourant "limitait sensiblement (ses) possibilités ... d'accepter un emploi salarié" et ne remplissait donc pas la condition de disponibilité exigée par la loi.
Toutefois, le fait qu'un assuré - après avoir occupé un emploi à temps partiel avant de tomber au chômage - exerce une activité lucrative indépendante à temps partiel tout en recherchant un nouvel emploi également à temps partiel, ne suffit pas en soi à exclure son aptitude au placement (cf.
art. 14 al. 1 OACI
). Pour trancher cette question, il faut tenir compte des circonstances du cas concret, notamment du point de savoir si l'exercice d'un travail à titre indépendant a des conséquences sur la disponibilité de l'assuré et dans quelle mesure. Déjà sous l'empire de l'ancien droit, le Tribunal fédéral des assurances avait jugé qu'une activité indépendante peu importante, exercée à titre accessoire et dont le gain n'était pas assuré, ne faisait pas obstacle à l'aptitude à être placé (cf. l'ancien
art. 13 al. 1 let
. c LAC et DTA 1970 No 7 p. 15; comp. DTA 1978 No 6 p. 15). Il avait en revanche nié, dans le cas d'un architecte diplômé, l'aptitude au placement de l'assuré - au chômage après avoir occupé plusieurs emplois salariés - au motif que ce dernier avait consacré tout son temps disponible à préparer un concours d'architecture, activité non rémunérée, au lieu de se consacrer à la recherche d'un emploi salarié (DTA 1972 No 9 p. 21 s.).
Or, en l'espèce, aucun élément du dossier ne permet de mettre en doute les affirmations du recourant, selon lesquelles le temps consacré à son activité d'architecte indépendant s'inscrivait exclusivement dans le cadre de travaux de garantie faisant suite à l'exécution de mandats antérieurs, étant donné que lui-même avait
BGE 112 V 136 S. 139
toujours été prêt à accepter un emploi à plein temps, comme le prouve son engagement dans un tel emploi à partir du 1er mai 1984. C'est donc à tort que l'office intimé, de même que l'autorité cantonale de recours, ont nié l'aptitude du recourant à être placé à partir du 1er janvier 1984. Et cela d'autant plus qu'une telle aptitude ne semble pas avoir été contestée auparavant, au cours de la période de chômage du 1er octobre 1983 au 31 décembre 1983, indemnisée par la Caisse d'assurance-chômage FOBB de Genève, alors que les conditions auxquelles le nouveau droit subordonne l'aptitude au placement d'un assuré ne sont en tout cas pas plus restrictives que celles résultant de la pratique administrative et de la jurisprudence relatives à l'
art. 26 LAC
. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
74b3e6ed-b9e3-414f-9f92-cedd332a3766 | Urteilskopf
120 Ia 179
26. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. August 1994 i.S. M. L. gegen S. Kantonalbank und Obergericht des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; unentgeltliche Rechtspflege; Bedürftigkeit.
Zur Prüfung der Voraussetzung der Bedürftigkeit ist die gesamte finanzielle Situation des Gesuchstellers im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuches zu berücksichtigen. Er hat seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich zu belegen (E. 3a). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 120 Ia 179 S. 180
Mit Beschluss vom 23. November 1993 wies das Kantonsgericht das Gesuch von M. L. um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab (Ziffer 1); gleichzeitig verpflichtete es den Gesuchsteller, für fünf hängige Aberkennungsprozesse Sicherstellung der voraussichtlichen Gerichts- und Parteikosten in Höhe von insgesamt Fr. 92'000.-- zu leisten (Ziffer 2). Im anschliessenden Rekursverfahren bestätigte das Obergericht den angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege, hob hingegen in teilweiser Gutheissung des Rekurses Ziffer 2 des Beschlusses auf und setzte die zu leistende Sicherstellung auf insgesamt Fr. 82'000.-- fest.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt M. L., der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. Der Beschwerdeführer rügt, die kantonalen Instanzen hätten seine Bedürftigkeit zu Unrecht als nicht ausgewiesen erachtet, und zudem sei die mehrfach angebotene persönliche Einvernahme zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht durchgeführt worden.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege wird durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon greifen die direkt auf
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
gestützten Rechtsprechungsgrundsätze ein. Danach soll die Möglichkeit des Rechtsschutzes in nicht zum vornherein aussichtslosen Prozessen davon unabhängig sein, ob der Rechtsuchende vermögend ist oder nicht. Während das Bundesgericht die Rüge der Verletzung von direkt aus
Art. 4 BV
bzw.
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
hergeleiteten Rechtspflegeansprüchen mit freier Kognition untersucht, prüft es die Anwendung des betreffenden kantonalen Rechts nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Willkürverbots (
BGE 119 Ia 11
E. 3a S. 12, 251 E. 2b S. 253,
BGE 117 Ia 277
E. 5b S. 281, je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer rügt
BGE 120 Ia 179 S. 181
nicht, das Obergericht habe das massgebende kantonale Recht willkürlich angewendet. Er macht ausschliesslich geltend, die bundesrechtlichen Minimalgarantien nach
Art. 4 BV
seien missachtet worden.
a) Nach ständiger Rechtsprechung hat eine bedürftige Person in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess unmittelbar aufgrund von
Art. 4 BV
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen eines solchen bedarf (
BGE 120 Ia 14
E. 3a S. 15 und
BGE 118 Ia 369
E. 4 S. 370 mit Hinweisen). Hinsichtlich der Voraussetzung der Bedürftigkeit des Gesuchstellers prüft das Bundesgericht frei, ob die Kriterien zu deren Bestimmung im Sinne von
Art. 4 BV
zutreffend gewählt worden sind; die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörden dagegen werden nur auf Willkür hin überprüft (
BGE 119 Ia 11
E. 3a S. 12 mit Hinweis). Bedürftig ist ein Gesuchsteller, der die Leistung der erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur erbringen kann, wenn er die Mittel angreift, deren er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie bedarf (
BGE 119 Ia 11
E. 3a S. 12 mit Hinweisen). Zur Prüfung der Bedürftigkeit sind sämtliche Umstände im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuches zu würdigen; die entscheidende Behörde hat insbesondere zu berücksichtigen, welche Mittel binnen welcher Frist aufzubringen sind (
BGE 108 Ia 108
E. 5b S. 109 mit Hinweisen). Massgebend ist die gesamte wirtschaftliche Situation zur Zeit der Gesuchstellung; das heisst, es ist einerseits sämtlichen finanziellen Verpflichtungen des Gesuchstellers Rechnung zu tragen, und es sind anderseits nicht nur die Einkünfte, sondern auch die Vermögenssituation des Gesuchstellers beachtlich (
BGE 119 Ia 11
E. 3a, 5 S. 12 f.,
BGE 118 Ia 369
E. 4 S. 370 f. mit Hinweisen). Nur bei vollständiger Kenntnis der gesamten finanziellen Verhältnisse des Gesuchstellers kann namentlich beurteilt werden, ob und allenfalls in welchem Umfang ihm die Beanspruchung des Vermögens, etwa durch entsprechende Kreditaufnahme, nicht nur möglich, sondern auch zumutbar ist, um die Mittel aufzubringen, welche zur Führung nicht aussichtsloser Prozesse erforderlich sind. Für die Feststellung der wirtschaftlichen Situation des Gesuchstellers darf die entscheidende Behörde zwar die Beweismittel nicht formalistisch beschränken und etwa einseitig nur einen amtlichen Beleg über dessen finanzielle Verhältnisse zulassen (
BGE 119 III 28
E. 3b S. 31). Sie hat allenfalls unbeholfene Rechtsuchende auch auf die Angaben hinzuweisen, die sie zur Beurteilung des Gesuches benötigt. Grundsätzlich aber obliegt dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und
BGE 120 Ia 179 S. 182
Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich auch zu belegen (FAVRE, L'assistance judiciaire gratuite en droit Suisse, Diss. Lausanne 1989, S. 54 f.). Dabei dürfen umso höhere Anforderungen an eine umfassende und klare Darstellung der finanziellen Situation durch den Gesuchsteller selbst gestellt werden, je komplexer diese Verhältnisse sind. Verweigert ein Gesuchsteller die zur Beurteilung seiner aktuellen Gesamtsituation erforderlichen Angaben oder Belege, so kann die Bedürftigkeit ohne Verletzung von
Art. 4 BV
verneint werden.
b) Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer am 15. November 1993 ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zur Führung von fünf Aberkennungsprozessen gestellt, in denen er Forderungen der Beschwerdegegnerin von insgesamt über einer Million Franken bestreiten will. Zur Darstellung seiner finanziellen Situation hat er namentlich eine Erfolgsrechnung seiner Immobilien für das Jahr 1989 sowie seine Steuererklärung 1991/92 eingereicht. Die Erfolgsrechnung für das Jahr 1989 weist den Ertrag/Verlust von über 30 Liegenschaften (Mehrfamilienhäuser, Restaurants, Einfamilienhäuser, Stockwerkeigentumsanteile, Bauland) aus. Im Wertschriftenverzeichnis zur Steuererklärung 1991/92 (Bemessungsjahre 1989 und 1990) sind neben dem Aktienkapital der (konkursiten) L.+ M. AG weitere vier Aktienpakete anderer Gesellschaften und zwei Forderungen aufgeführt. Sowohl die Ertragsrechnung wie die Steuererklärung weisen massive Verluste für die Jahre 1989 und 1990 aus. Für einen Überblick, geschweige denn für eine vollständige Feststellung der finanziellen Situation des Beschwerdeführers im November 1993 genügen diese Unterlagen jedoch nicht. Bereits für das Jahr 1989 fehlt eine Aufstellung, die sämtliche Aktiven und Passiven des Beschwerdeführers ausweist und damit die Beurteilung erlauben würde, ob ihm damals eine Beanspruchung des Vermögens zur (allenfalls teilweisen) Bezahlung von Gerichts- und Anwaltskosten möglich gewesen wäre. Wie sich die Vermögenssituation im massgebenden Zeitpunkt der Gesuchstellung darstellt, kann aus den eingereichten Unterlagen überhaupt nicht erschlossen werden, wie das Obergericht zutreffend darlegt. Der für das Jahr 1989 in der Ertragsrechnung und für 1990 in der Steuererklärung angegebene Verlust ist zwar in absoluten Zahlen beeindruckend. Mangels jeglicher Angaben über den Wert und die Belastung der Aktiven des Beschwerdeführers kann indes nicht beurteilt werden, welche Geldmittel diesem heute noch zur Verfügung stehen. Entgegen der in seiner Beschwerdeschrift geäusserten Ansicht erlauben die vorhandenen Unterlagen
BGE 120 Ia 179 S. 183
keineswegs, die Bedürftigkeit als ausgewiesen zu erachten. Selbst wenn das Schreiben der Militärverwaltung belegt, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1989 und 1990 kein Einkommen erzielte, und wenn ein Auszug aus dem Betreibungsregister, dessen Einholung von Amtes wegen der Beschwerdeführer beantragt, überdies ergeben würde, dass erhebliche Forderungen gegen ihn in Betreibung gesetzt sind, so fehlt in jedem Fall der erforderliche umfassende Einblick in die aktuelle finanzielle Situation des Beschwerdeführers. Dass das Bedürftigkeitszeugnis des Fürsorgeamtes der Stadt S. keine Aussage über die Bedürftigkeit erlaubt, ist darin selbst vermerkt und wird im übrigen vom Beschwerdeführer auch nicht ernsthaft in Frage gestellt. Inwiefern schliesslich der provisorischen Veranlagung für die Staats- und Gemeindesteuern 1993 irgendwelche zusätzlichen Angaben entnommen werden könnten, ist nicht ersichtlich und auch nicht dargetan.
c) Der anwaltlich vertretene und geschäftserfahrene Beschwerdeführer behauptet nicht, er sei sich der Anforderungen an den Nachweis seiner gegenwärtigen finanziellen Situation nicht bewusst gewesen. Er behauptet vielmehr, der erforderliche Nachweis seiner wirtschaftlichen Verhältnisse sei ihm unmöglich, weil seine Geschäfte von Dritten und namentlich von der Beschwerdegegnerin geführt worden seien. Unter diesen Umständen durfte das Obergericht ohne Willkür annehmen, die vom Beschwerdeführer beantragte persönliche Befragung werde zur Sache nichts beitragen - zumal eine derartige Befragung zum Nachweis der Vermögens- und Einkommensverhältnisse selbst an sich nicht geeignet ist und höchstens dazu dienen könnte, die Art des Nachweises der Bedürftigkeit zu besprechen. Wie es sich im übrigen verhalten würde, wenn tatsächlich Unterlagen für den Gesuchsteller nicht zugänglich wären, die zur Darstellung oder zum Beleg seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich sind, kann offenbleiben. Denn der Beschwerdeführer behauptet nicht und weist erst recht nicht nach, dass er die Herausgabe derartiger Unterlagen vergeblich verlangt hätte. Das Obergericht hat im angefochtenen Urteil
Art. 4 BV
nicht verletzt, wenn es die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers als nicht ausgewiesen erachtete. Dass die Voraussetzungen für die Sicherstellung der Prozess- und Parteikosten bei Abweisung des Gesuches um unentgeltliche Rechtspflege gegeben sind, stellt der Beschwerdeführer nicht in Frage. Er bestreitet die angeordnete Sicherstellung auch der Höhe nach nicht. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
74b50ffd-5911-4c81-9653-7e0bdc9ee02f | Urteilskopf
141 V 612
67. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Agrisano Krankenkasse AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_209/2015 vom 14. Oktober 2015 | Regeste
Art. 24, 25 Abs. 2 lit. a, d und e, Art. 34 Abs. 1 und 2, Art. 64 Abs. 1 und 2 lit. a und b KVG; Art. 36 Abs. 2, 4 und 5,
Art. 103 Abs. 2 KVV
; Art. 4, 19 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009; Art. 25 Abs. 4-7 und Art. 62 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit; Übernahmepflicht des der versicherten Person vom französischen Leistungserbringer direkt in Rechnung gestellten Selbstbehalts durch den schweizerischen Krankenversicherer.
Werden die in Frankreich angefallenen Spitalkosten im Rahmen der internationalen Leistungsaushilfe direkt über den aushelfenden Träger auf der Basis der im Behandlungsland geltenden Erstattungssätze abgerechnet und sie anschliessend über die Verbindungsstelle dem zuständigen schweizerischen Krankenversicherer in Rechnung gestellt und von diesem beglichen (vgl. Art. 25 Abs. 4 Verordnung [EG] Nr. 987/2009), fällt hinsichtlich des nach französischem Recht bei der versicherten Person erhobenen Selbstbehalts eine ergänzende Leistungspflicht aus
Art. 34 KVG
i.V.m.
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
ausser Betracht (E. 7.3). | Sachverhalt
ab Seite 613
BGE 141 V 612 S. 613
A.
A.a
A. ist im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei der Agrisano Krankenkasse AG (nachfolgend: Agrisano) versichert. Vom 21.-27. Dezember 2012 hielt sie sich notfallmässig in stationärer Behandlung im Spital B. in Frankreich auf. Dort legte sie die Europäische Krankenversicherungskarte vor, wodurch die internationale Leistungsaushilfe aktiviert wurde. Mit Rechnung vom 20. Februar 2013 forderte das Spital A. auf, bis 13. März 2013 den Betrag von 2'395.64 Euro zu begleichen oder eine Kostenübernahmedeklaration der zuständigen Krankenkasse zu liefern. Dabei handelte es sich um den Selbstbehalt von 20 % der Spitalkosten.
BGE 141 V 612 S. 614
A. bezahlte den Betrag von 2'395.64 Euro bzw. Fr. 2'997.85 per 30. April 2013.
A.b
Die Gemeinsame Einrichtung KVG kam ihrer Aufgabe, dem Inkasso beim zuständigen Krankenversicherer in der Schweiz, mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 nach und ersuchte die Agrisano um Erstattung der Kosten von Fr. 11'993.40. Die Agrisano leistete diesen Betrag der Gemeinsamen Einrichtung KVG.
A.c
Nachdem A. die Agrisano mit Schreiben vom 2. März 2013 aufgefordert hatte, auch den von ihr geleisteten 20%igen Selbstbehalt zu begleichen, erliess diese am 20. März 2014 eine Verfügung, wonach eine Übernahme der Kostenbeteiligung im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht erfolgen könne. Nach dem einschlägigen französischen Recht habe die betroffene Person 20 % der Kosten selber zu tragen. Daran wurde auf Einsprache hin mit Entscheid vom 26. Mai 2014 festgehalten.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde mit dem Antrag, die Agrisano sei zu verpflichten, einen Betrag von Fr. 2'997.85 zuzüglich 5 % Zins ab 28. März 2014 zu bezahlen, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 17. Februar 2015).
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen. Sie ersucht um Aufhebung des angefochtenen Entscheids und erneuert ihr vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren.
Die Agrisano und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schliessen auf Abweisung der Beschwerde. A. hält replikweise an ihren Anträgen fest.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Es ist unbestritten, dass der vom 21.-27. Dezember 2012 dauernde Spitalaufenthalt der Beschwerdeführerin in Frankreich eine Notfallbehandlung im Ausland darstellt, für welche die Beschwerdegegnerin im Rahmen der internationalen Leistungsaushilfe grundsätzlich entschädigungspflichtig ist. Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Beschwerdegegnerin den der Beschwerdeführerin vom französischen Spital direkt in Rechnung gestellten und von dieser beglichenen Selbstbehalt in der Höhe von Fr. 2'997.85 zu erstatten hat. Erstellt ist dabei, dass die Beschwerdeführerin die Jahresfranchise von Fr. 300.- und den maximalen Selbstbehalt von Fr. 700.- für das
BGE 141 V 612 S. 615
Kalenderjahr 2012 bereits entrichtet hatte, sie sich also bei einem Aufenthalt in einem schweizerischen Spital an den anfallenden Kosten nicht mehr hätte beteiligen müssen.
3.
Das Prinzip der im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangenden internationalen Leistungsaushilfe basiert auf folgender Rechtsgrundlage.
3.1
Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage von Art. 8 des am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (
Art. 15 FZA
) Anhangs II FZA i.V.m. Abschnitt A dieses Anhangs wendeten die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 oder gleichwertige Vorschriften (nachfolgend: Verordnung 574/72) an.
Mit Wirkung auf 1. April 2012 sind diese beiden Rechtsakte durch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: Verordnung 883/2004 [geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009]) sowie (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109. 268.11; nachfolgend: Verordnung 987/2009) abgelöst worden. Diese neuen Verordnungen (in der bis 31. Dezember 2014 geltenden Fassung [somit ohne Änderung gemäss Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; AS 2015 345]) sind auf den hier zu beurteilenden, die Kostenbeteiligung für eine vom 21.-27. Dezember 2012 dauernde stationäre Behandlung betreffenden Fall in zeitlicher,
BGE 141 V 612 S. 616
persönlicher und sachlicher Hinsicht anwendbar (vgl. Urteil 8C_273/2015 vom 12. August 2015 E. 3.1;
BGE 141 V 396
E. 5.1 S. 400; ferner Ziff. IV des Informationsschreibens des BAG vom 21. Januar 2015 [abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/00316/03846/?lang=d
]).
3.2
Nach Art. 4 Verordnung 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Dabei ist im Rahmen des FZA auch die Schweiz als "Mitgliedstaat" im Sinne dieser Koordinierungsverordnungen zu betrachten (
Art. 1 Abs. 2 Anhang II FZA
;
BGE 141 V 246
E. 2.1 am Ende S. 249).
3.3
Gemäss Art. 19 Abs. 1 Verordnung 883/2004 haben, sofern in Abs. 2 der Bestimmung nichts anderes bestimmt ist, eine versicherte Person und ihre Familienangehörigen, die sich in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat aufhalten, Anspruch auf die Sachleistungen, die sich während ihres Aufenthalts als medizinisch notwendig erweisen, wobei die Art der Leistungen und die voraussichtliche Dauer des Aufenthalts zu berücksichtigen sind. Damit soll eine vorzeitige Rückkehr wegen Vorenthaltens notwendiger medizinischer Leistungen verhindert werden (Art. 25 Abs. 3 Verordnung 987/2009). Diese Leistungen werden vom Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht, als ob die betreffenden Personen nach diesen Rechtsvorschriften versichert wären.
3.3.1
Bei der Anwendung von Art. 19 Verordnung 883/2004 legt die versicherte Person dem Erbringer von Gesundheitsleistungen im Aufenthaltsmitgliedstaat ein vom zuständigen Träger ausgestelltes Dokument - die Europäische Krankenversicherungskarte - vor, das ihren Sachleistungsanspruch bescheinigt (Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Verordnung 987/2009). Dieses Dokument bescheinigt, dass die versicherte Person unter den Voraussetzungen des Art. 19 Verordnung 883/2004 zu denselben Bedingungen wie nach den Rechtsvorschriften des Aufenthaltsmitgliedstaats versicherte Personen Anspruch auf Sachleistungen hat (Art. 25 Abs. 2 Verordnung 987/2009). Art. 35 Abs. 1 Verordnung 883/2004 hält fest, dass die von dem Träger eines Mitgliedstaats für Rechnung des Trägers eines anderen Mitgliedstaats gewährten Sachleistungen in voller Höhe zu erstatten sind. Hat die versicherte Person die Kosten aller oder eines Teils der im Rahmen von Art. 19 Verordnung 883/2004 erbrachten
BGE 141 V 612 S. 617
Sachleistungen selbst getragen und ermöglichen die vom Träger des Aufenthaltsorts angewandten Rechtsvorschriften, dass diese Kosten der versicherten Person erstattet werden, so kann sie die Erstattung beim Träger des Aufenthaltsorts beantragen. In diesem Fall erstattet ihr dieser direkt den diesen Leistungen entsprechenden Betrag innerhalb der Grenzen und Bedingungen der nach seinen Rechtsvorschriften geltenden Erstattungssätze (Art. 25 Abs. 4 Verordnung 987/2009). Wurde die Erstattung dieser Kosten nicht unmittelbar beim Träger des Aufenthaltsorts beantragt, so werden sie der betreffenden Person vom zuständigen Träger nach den für den Träger des Aufenthaltsorts geltenden Erstattungssätzen oder den Beträgen erstattet, die dem Träger des Aufenthaltsorts im Falle der Anwendung von Art. 62 Verordnung 987/2009 in dem betreffenden Fall erstattet worden wären. Der Träger des Aufenthaltsorts erteilt dem zuständigen Träger auf dessen Ersuchen die erforderlichen Auskünfte über diese Erstattungssätze oder Beträge (Art. 25 Abs. 5 Verordnung 987/2009). Abweichend von Abs. 5 kann der zuständige Träger die entstandenen Kosten innerhalb der Grenzen und nach Massgabe der in seinen Rechtsvorschriften niedergelegten Erstattungssätze erstatten, sofern sich die versicherte Person mit der Anwendung dieser Bestimmung einverstanden erklärt hat (Art. 25 Abs. 6 Verordnung 987/2009). Sehen die Rechtsvorschriften des Aufenthaltsmitgliedstaats in dem betreffenden Fall keine Erstattung nach den Abs. 4 und 5 vor, so kann der zuständige Träger die Kosten innerhalb der Grenzen und nach Massgabe der in seinen Rechtsvorschriften festgelegten Erstattungssätze erstatten, ohne dass das Einverständnis der versicherten Person erforderlich wäre (Art. 25 Abs. 7 Verordung 987/2009).
3.3.2
Die internationale Koordination der Leistungsaushilfe im dargelegten Sinne erfolgt über die jeweiligen Verbindungsstellen. Verbindungsstelle in der Schweiz ist die Gemeinsame Einrichtung KVG (
Art. 18 Abs. 3 KVG
i.V.m.
Art. 19 KVV
[SR 832.102]). Nach erfolgter Leistungsaushilfe durch die Gemeinsame Einrichtung KVG fordert diese die erbrachten Leistungen beim zuständigen Krankenversicherer zurück.
4.
Das innerstaatliche Recht beinhaltet bezüglich der Abgeltung von Auslandsbehandlungen die folgenden Regelungen.
4.1
Gestützt auf
Art. 24 KVG
übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen gemäss den Art. 25-31 nach Massgabe der in den Art. 32-34 festgelegten Voraussetzungen. Die Leistungen umfassen unter anderem die
BGE 141 V 612 S. 618
Untersuchungen und Behandlungen, die ambulant, stationär, teilstationär oder in einem Pflegeheim, sowie die Pflegeleistungen, die in einem Spital durchgeführt werden von Ärzten oder Ärztinnen, Chiropraktoren oder Chiropraktorinnen und Personen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin bzw. eines Chiropraktors oder einer Chiropraktorin Leistungen erbringen (
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
); die ärztlich durchgeführten oder angeordneten Massnahmen der medizinischen Rehabilitation (
Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG
) sowie den Aufenthalt im Spital entsprechend dem Standard der allgemeinen Abteilung (
Art. 25 Abs. 2 lit. e KVG
).
4.2
Gemäss
Art. 34 Abs. 1 KVG
dürfen Versicherer im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keine anderen Kosten als diejenigen für die Leistungen nach den Art. 25-33 übernehmen. Gestützt auf
Art. 34 Abs. 2 KVG
kann der Bundesrat sodann bestimmen, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten von Leistungen nach
Art. 25 Abs. 2 KVG
übernimmt, die aus medizinischen Gründen im Ausland erbracht werden. Auf dieser Basis hat der Bundesrat
Art. 36 KVV
erlassen. Laut Abs. 2 der Bestimmung übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten von Behandlungen, die in Notfällen im Ausland erbracht werden. Ein Notfall liegt vor, wenn die versicherte Person bei einem vorübergehenden Auslandaufenthalt einer medizinischen Behandlung bedarf und eine Rückreise in die Schweiz nicht angemessen ist. Gemäss
Art. 36 Abs. 4 Satz 1 KVV
wird für Leistungen nach den Abs. 1 und 2 der Norm höchstens der doppelte Betrag der Kosten übernommen, die in der Schweiz vergütet würden.
Art. 36 Abs. 5 KVV
schliesslich hält fest, dass die Bestimmungen über die internationale Leistungsaushilfe vorbehalten bleiben.
4.3
Nach
Art. 64 Abs. 1 KVG
beteiligen sich die Versicherten an den Kosten der für sie erbrachten Leistungen. Diese Kostenbeteiligung besteht gemäss Abs. 2 der Vorschrift aus einem festen Jahresbetrag (Franchise; lit. a) und zehn Prozent der die Franchise übersteigenden Kosten (Selbstbehalt; lit. b). Der jährliche Höchstbetrag des Selbstbehalts gemäss
Art. 64 Abs. 2 lit. b KVG
beläuft sich auf Fr. 700.- für Erwachsene (
Art. 103 Abs. 2 KVV
).
5.
Die während der Hospitalisation in Frankreich vom 21.-27. Dezember 2012 angefallenen Kosten wurden über den aushelfenden Träger im Behandlungsland abgerechnet und im Anschluss daran über die Verbindungsstelle in der Schweiz - die Gemeinsame Einrichtung KVG - der Beschwerdegegnerin als zuständigem
BGE 141 V 612 S. 619
Krankenversicherer in Rechnung gestellt und von dieser beglichen. Der aushelfende Träger des Behandlungslandes erhob in der Folge die Kostenbeteiligung im Umfang von gemäss französischem Recht unbestrittenermassen 20 % der Gesamtkosten direkt bei der Beschwerdeführerin. Es handelt sich daher um einen "normalen" Leistungsaushilfefall nach Art. 25 Abs. 4 Verordnung 987/2009 (vgl. Näheres dazu im von der Gemeinsamen Einrichtung KVG erstellten Dokument "Unterwegs in Frankreich" [abrufbar unter:
https://www.kvg.org
] und im Informationsschreiben des BAG vom 21. Januar 2015, Ziff. II./1 [abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/00316/03846/?lang=d
]; ferner Stellungnahme des BAG vom 3. Juli 2015).
5.1
Das kantonale Gericht hat eine Rückerstattungspflicht der Beschwerdegegnerin bezüglich der von der Beschwerdeführerin geleisteten Kostenbeteiligung auf der Grundlage von innerstaatlichem Recht, namentlich von
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
, verneint. Als Begründung führte es im Wesentlichen an, die Abs. 4-7 von Art. 25 Verordnung 987/2009 sähen unter der Marginalie "Verfahren und Modalitäten der Übernahme und/oder Erstattung von Sachleistungen" unterschiedliche Wege der Kostentragung vor für den Fall, dass die versicherte Person die Kosten im Aufenthaltsland selber getragen habe. Es handle sich dabei um Ansprüche, die genuin durch das EU-Recht geschaffen worden seien, unabhängig vom nationalen Erstattungsrecht. Dieses vielfältige System der Kostenerstattung stelle zum einem eine Reaktion darauf dar, dass in der Praxis das "Regelsystem der Leistungsaushilfe" nicht funktioniere. Das vielfältige System der Kostentragung erweise sich aber auch als notwendig, um den Schutz der Grundfreiheiten auf Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten. Gemäss Art. 25 Abs. 6 Verordnung 987/2009 gäbe es einen Erstattungsanspruch nach den Sätzen des zuständigen Trägers, der in der Entscheidbefugnis des zuständigen Trägers liege, allerdings mit Zustimmung der versicherten Person. Dieser sei für beide Seiten regelmässig der einfachste, komme er doch ohne grossen Rekurs auf das Recht des Aufenthaltsstaats aus und verhindere, dass die versicherte Person schlechter gestellt werde als bei einer Leistungsbeanspruchung im Inland. Der betreffende Erstattungsweg sei in der Regel auch sachgerecht, liege doch zumeist ein Versagen (durch oder ohne "Verschulden" der versicherten Person) im System der aushelfenden Leistungserbringung vor. Dies treffe beispielsweise zu, wenn im Ausland eine höhere Selbstbeteiligung gefordert werde als im zuständigen Staat. Schon die
BGE 141 V 612 S. 620
Vorgängernorm Art. 34 Abs. 4 Verordnung 574/72 sei - wie neu auch Art. 25 Abs. 6 Verordnung 987/2009 - als "Kann-Bestimmung" ausgestaltet gewesen und habe bei Einigkeit vorgesehen, dass der zuständige Träger die Erstattung der verauslagten Kosten nach den für ihn massgebenden Erstattungssätzen habe vornehmen können. Art. 25 Verordnung 987/2009 führe im Verhältnis zur vorangegangenen Rechtsgrundlage lediglich noch zusätzlich einen Erstattungsanspruch gegen den Träger des Aufenthaltsorts ein, was im vorliegenden Fall jedoch keine Bewandtnis habe. Für eine ergänzende Leistungspflicht nach Massgabe von
Art. 36 Abs. 2 KVV
bestehe somit kein Raum mehr. So führe auch das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in Ziff. 5 seines Informationsschreibens über die Umsetzung des Freizügigkeitsabkommens und des EFTA-Abkommens im Bereich der Krankenversicherung vom 22. September 2003 aus, dass
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
nur noch für Leistungen anwendbar sei, die ausserhalb des EG-EFTA-Raums bezogen würden. In
Art. 36 Abs. 5 KVV
werde geregelt, dass die Bestimmungen über die internationale Leistungsaushilfe vorbehalten blieben. In solchen Fällen könne der Krankenversicherer gestützt auf Art. 34 Abs. 4 Verordnung 574/72 (bzw. nunmehr Art. 25 Abs. 6 Verordnung 987/2009) die Erstattung der verauslagten Kosten nach den in der Schweiz massgebenden Tarifen vornehmen, sofern nach diesen eine Erstattung möglich sei. Aus der Verordnung 987/2009 stehe der Beschwerdeführerin mangels Einverständnisses der Beschwerdegegnerin folglich kein Anspruch auf Vergütung des von ihr in der Höhe von Fr. 2'997.85 bezahlten Selbstbehalts zu. Abs. 2 und 4 des
Art. 36 KVV
kämen aus den erwähnten Gründen nicht zum Tragen.
5.2
Die Beschwerdeführerin hält dem letztinstanzlich zur Hauptsache entgegen, die in den Verordnung 883/2004 und 987/2009 geregelte internationale Leistungsaushilfe bezwecke, die Abwicklung von Rechnungen europäischer Leistungserbringer für Patienten mit Wohnsitz im Ausland zu vereinfachen. Ziel der Verordnungen sei gemäss Ziff. 2 der Einleitung zu Verordnung 987/2009 die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in der EU bzw. mit der Schweiz, damit die Personen im Geltungsbereich der Verordnung ihre Rechte so rasch und so gut wie möglich in Anspruch nehmen könnten. In der einleitenden Ziff. 17 zu Verordnung 987/2009 heisse es denn auch wörtlich, diese "Verordnung (...) sollte der Anwendung günstigerer innerstaatlicher Vorschriften insbesondere hinsichtlich der Rückerstattung von in einem anderen Mitgliedstaat
BGE 141 V 612 S. 621
entstandenen Kosten nicht entgegenstehen." Verordnung 987/2009 wolle also gerade verhindern, dass eine versicherte Person bezüglich der Kosten einer Behandlung im Ausland schlechter fahre als bei Anwendung innerstaatlichen Rechts. In diesem Lichte sei auch Art. 25 Abs. 6 Verordnung 987/2009 auszulegen. Die Bestimmung ermögliche im Gegenteil die Anwendung schweizerischen Rechts und lasse die Erstattung durch den schweizerischen Versicherungsträger zu. Sie wolle dem Staat des zuständigen Versicherungsträgers - hier der Schweiz - die Möglichkeit eröffnen, Auslagen zu erstatten. Entgegen der vorinstanzlichen Betrachtungsweise könne der betreffende Entscheid nicht im alleinigen Belieben des zuständigen Versicherungsträgers stehen, würde dadurch doch der Willkür Tür und Tor geöffnet und die Rechtssicherheit gefährdet. Vielmehr sei Abs. 6 von Art. 25 Verordnung 987/2009 im Sinne der erwähnten Zweckbestimmung der Verordnung auszulegen. Zum gleichen Ergebnis seien im Übrigen auch das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Entscheid KV.2006.00085 vom 20. Mai 2008) und das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft (Entscheid Nr. 730 08 139 vom 9. Januar 2009) gelangt. In beiden Entscheiden habe man die massgeblichen Bestimmungen des KVG und KVV ausgelegt und sei zum Schluss gelangt, dass der in
Art. 36 Abs. 5 KVV
statuierte Vorbehalt zugunsten der internationalen Leistungsaushilfe dem Schutz schweizerischer Versicherter bei notfallmässigen Behandlungen im Ausland diene. Eine Auslegung dergestalt, dass die Regelung von
Art. 36 KVV
durch die internationale Leistungsaushilfe gänzlich verdrängt werde, entspreche nicht dem mit den Koordinierungsverordnungen angestrebten Ziel.
Art. 36 Abs. 5 KVV
sei vielmehr so zu interpretieren, dass das nationale Recht nur insofern durch die internationale Leistungsaushilfe verdrängt werde, als sich diese als das für die betroffene Person günstigere Recht erweise. Zusammenfassend stehe die internationale Leistungsaushilfe einer Rückerstattung des Selbstbehalts durch die Beschwerdegegnerin gestützt auf
Art. 34 Abs. 2 KVG
i.V.m.
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
nicht entgegen. Die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie diesen Umstand ausser Acht gelassen habe.
6.
6.1
Das Personenfreizügigkeitsabkommen bezweckt, der versicherten Person auch für den Fall eines Auslandaufenthalts in einem Vertragsstaat im Versicherungsfall Krankheit die notwendige Versorgung mit medizinischen Sachleistungen zu gewährleisten. Die Sicherung beruht auf dem Grundprinzip der Leistungsaushilfe des
BGE 141 V 612 S. 622
ausländischen Krankenversicherers oder nationalen Gesundheitssystems (aushelfender Träger; aushelfender Staat) zu Lasten des Krankenversicherers oder nationalen Gesundheitssystems des Staats, welcher für die soziale Sicherheit des Patienten bei Krankheit zuständig ist (zuständiger Träger; zuständiger Staat). Es liegt dabei bildhaft gesprochen eine Art zwischenstaatlicher Amtshilfe oder stellvertretender Leistung vor. Der aushelfende Träger kann für die Aufwendungen, die er zugunsten der versicherten Person getätigt hat, die Erstattung der Kosten vom zuständigen Träger verlangen (GEBHARD EUGSTER, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, S. 564 f. Rz. 488 und 492 [nachfolgend: Bundesverwaltungsrecht]).
6.2
Die Gewährung von Leistungen im Rahmen der internationalen Leistungsaushilfe vollzieht sich in den Rechtsformen und nach den Vorschriften des aushelfenden Trägers. Dessen Recht bestimmt somit die Anspruchserfordernisse der jeweiligen Einzelleistung. Er prüft die Voraussetzungen des einzelnen Leistungsanspruchs, die Art und den Umfang der Leistungen sowie die Weise, wie sie zu erbringen sind, nach den gleichen rechtlichen Regeln und Formen der bei ihm versicherten Personen (EUGSTER, Bundesverwaltungsrecht, a.a.O., S. 566 Rz. 498;
ders
., Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Krankenversicherung [KVG], 2010, N. 13 zu
Art. 34 KVG
; ferner das vom BSV erarbeitete Dokument "Zwischenstaatliche Regelungen über Soziale Sicherheit", Ziff. 1.1 lit. c [abrufbar unter:
www.bsv.admin.ch/themen/internationales/00078/02123/index.html?lang=de
]). Auch die Kostenbeteiligung für Behandlungen in einem Mitgliedstaat richtet sich folglich nach dem Recht der sozialen Sicherheit des betreffenden ausländischen Staats (Urteile 9C_562/2010 vom 29. April 2011 E. 5.1, in: SVR 2012 KV Nr. 8 S. 25, und 9C_61/2007 vom 25. Februar 2008 E. 3; vgl. auch SILVIA BUCHER, Hospitalisation im europäischen Ausland, in: Ausserkantonale Hospitalisation: Eine Tür zu mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen?, 2006, S. 17 ff., insb. S. 25 Rz. 15 mit weiteren Hinweisen).
7.
7.1
Was das Verhältnis zwischen der internationalen Leistungsaushilfe gemäss FZA und
Art. 36 KVV
, namentlich dessen Abs. 5, anbelangt, wurde bislang einzig festgestellt, Ansprüche aus
Art. 36 Abs. 2 KVV
blieben insbesondere für den Fall erhalten, dass das Instrument der Leistungsaushilfe versage, weil sich die versicherte Person von einem ausländischen Leistungserbringer habe behandeln
BGE 141 V 612 S. 623
lassen, der nach dem ausländischen Krankenversicherungsrecht als solcher nicht zugelassen sei. In dieser speziellen Konstellation hat das Bundesgericht die Rückerstattung der entsprechenden Kosten durch den schweizerischen Krankenversicherer im Rahmen und in den Grenzen von
Art. 36 KVV
bejaht (Urteil 9C_562/2010 vom 29. April 2011 E. 5.2 f., in: SVR 2012 KV Nr. 8 S. 25, mit Verweis auf EUGSTER, Bundesverwaltungsrecht, a.a.O., S. 569 Rz. 504 und S. 577 Rz. 539).
7.2
Nicht geklärt ist dagegen in diesem Zusammenhang die Frage, ob der zuständige schweizerische Träger der betroffenen Person, die sich im Ausland zum dortigen Sozialversicherungstarif behandeln lässt - sich also der internationalen Leistungsaushilfe bedient -, ergänzend zu leisten hat, wenn die Voraussetzungen gemäss Art. 36 Abs. 1 oder 2 KVV erfüllt sind und eine Vergütung nach dieser Bestimmung den Betrag übersteigt, der vom ausländischen Träger im Rahmen der Leistungsaushilfe zu übernehmen und diesem vom zuständigen schweizerischen Träger zu erstatten ist.
7.3
Von dieser - hier nicht zu beurteilenden - Konstellation ist die höchstrichterlich bisher ebenfalls noch nicht entschiedene Frage zu unterscheiden, ob bei Notfallbehandlungen im Ausland eine die Leistungsaushilfe ergänzende Leistungspflicht aus
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
für eine Kostenbeteiligung zu bejahen ist, welche die betroffene Person nach dem ausländischen Recht zu tragen hat.
Die Beschwerdeführerin stellt sich diesbezüglich auf den Standpunkt, dass sie, da die für 2012 nach schweizerischem Recht gestützt auf
Art. 64 KVG
i.V.m.
Art. 103 KVV
vorgesehene Kostenbeteiligung bereits vollständig erbracht sei, den 20%igen französischen Selbstbehalt nicht mehr selber zu tragen habe, dieser also gleichsam an die in der Schweiz zu leistende Kostenbeteiligung anzurechnen und im Rahmen einer (ergänzenden) Leistungspflicht nach
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
von der Beschwerdegegnerin zu übernehmen sei.
7.3.1
Die in der Beschwerde vertretene Auffassung ist insofern bedenkenswert, als die Beschwerdeführerin im Rahmen der internationalen Leistungsaushilfe nach Massgabe von Art. 19 Abs. 1 Verordnung 883/2004 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 Verordnung 987/2009 zwar Leistungen nach dem Recht des aushelfenden Trägers, also Frankreich, bezogen hat (vgl. E. 6.2 hievor), diese letztlich aber von der schweizerischen obligatorischen Krankenpflegeversicherung getragen werden. Die betreffenden Leistungen könnten daher grundsätzlich ebenfalls als für die versicherte Person im Sinne von
Art. 64 Abs. 1 KVG
BGE 141 V 612 S. 624
erbrachte und der entsprechenden Kostenbeteiligungspflicht unterliegende Leistung angesehen werden. Eine derartige Sichtweise würde jedoch bedeuten, dass der schweizerische Krankenversicherer im Rahmen der internationalen Leistungsaushilfe die Kostenbeteiligung nach
Art. 64 KVG
auch dann müsste einfordern können, wenn der ausländische Krankenversicherer keine solche erhoben hätte. Dies ist jedoch klar abzulehnen. Das Kostenbeteiligungsrecht richtet sich gerade in den gemäss Art. 25 Abs. 4 Verordnung 987/2009 abzuwickelnden "klassischen" Leistungsaushilfsfällen als Teil des massgebenden Leistungsrechts ausschliesslich nach den zum Zuge kommenden ausländischen Rechtsvorschriften. Überdies finden sich weder im KVG noch in den Koordinierungsverordnungen Bestimmungen, welche vorsehen, dass eine ausländische Kostenbeteiligung an die schweizerische anzurechnen wäre (in diesem Sinne auch EUGSTER, Bundesverwaltungsrecht, a.a.O., S. 567 Rz. 499 und S. 569 Rz. 506).
7.3.2
Ebenso wenig steht in der vorliegend gegebenen Situation, in welcher die Kosten direkt über den aushelfenden Träger auf der Basis der im Behandlungsland geltenden Erstattungssätze abgerechnet und sie anschliessend über die Verbindungsstelle dem zuständigen Krankenversicherer in Rechnung gestellt und von diesem beglichen wurden (Art. 25 Abs. 4 Verordnung 987/2009), hinsichtlich des nach französischem Recht erhobenen Selbstbehalts eine ergänzende Leistungspflicht aus
Art. 34 KVG
i.V.m.
Art. 36 Abs. 2 und 4 KVV
zur Diskussion. Wie bereits mehrfach betont, vollzieht sich die Gewährung von Leistungen im Rahmen der derart abgewickelten internationalen Leistungsaushilfe in den Rechtsformen des aushelfenden ausländischen Trägers. Eine Verpflichtung des schweizerischen Krankenversicherers, vom ausländischen Träger unstreitig nicht zu deckende Kosten gestützt auf innerstaatliches Recht tragen zu müssen, besteht nicht. Daran ändert nichts, dass es dem schweizerischen Krankenversicherer als zuständigem Träger in den Fällen von internationaler Leistungsaushilfe gemäss Art. 25 Abs. 5-7 Verordnung 987/2009, in welchen die versicherte Person die Rechnungen direkt bei ihm einreicht, unbenommen bleibt, sich allenfalls ergänzend im Rahmen von
Art. 36 Abs. 4 KVV
an den ungedeckten Kosten zu beteiligen (Art. 25 Abs. 5 i.V.m. Art. 62 Verordnung 987/2009) bzw. die entstandenen Kosten mit oder ohne Einverständnis der versicherten Person nach schweizerischen Tarifen zu übernehmen (Art. 25 Abs. 6 und 7 Verordnung 987/2009; vgl. auch das vorgängig erwähnte Informationsschreiben des BAG vom 21. Januar 2015, Ziff. II./2).
BGE 141 V 612 S. 625
Zu keinem anderen Ergebnis führen schliesslich die von der Beschwerdeführerin angeführten kantonalen Entscheide (vgl. E. 5.2 hievor), beruhten die darin getroffenen Schlussfolgerungen doch gerade nicht auf einer internationalen Leistungsaushilfe im Sinne von Art. 25 Abs. 4 Verordnung 987/2009 (bzw. der entsprechenden vormaligen Bestimmung gemäss Verordnung 574/72).
Die Beschwerde ist daher abzuweisen und es bleibt im Ergebnis beim vorinstanzlichen Entscheid. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
74b7e3c0-f754-4f9b-b308-51d565483694 | Urteilskopf
120 Ib 42
7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Februar 1994 i.S. K. und P. F. gegen Zürcher Naturschutzbund, Gemeinde Stäfa, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 34 Abs. 1 RPG
; Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Entscheide über die Zulässigkeit des Eintretens auf ein Gesuch für eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
sind mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar (E. 1a).
Zulässigkeit der Wiedererwägung einer abgelehnten Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
.
Voraussetzungen der Wiedererwägung rechtskräftiger Verwaltungsentscheide (E. 2b).
Es ist nicht zulässig, eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
für das gleiche Baugesuch nur kurze Zeit nach deren Ablehnung durch das kantonale Verwaltungsgericht in Wiedererwägung zu ziehen (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 120 Ib 42 S. 43
K. und P. F. sind Eigentümer eines Grundstücks in der Gemeinde Stäfa. Die Parzelle liegt in der Landwirtschaftszone oberhalb des zusammenhängenden Siedlungsgebiets am Abhang des Pfannenstiels. Die Eheleute F. beabsichtigen, darauf neben dem bereits bestehenden Wohnhaus ein Schwimmbecken und ein Gewächshaus zu bauen.
Der Gemeinderat Stäfa verweigerte am 7. November 1989 die für das Vorhaben erforderliche Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700)
, nachdem er bereits am 21. Juni 1988 ein erstes Baugesuch abgelehnt hatte. Einen gegen die Bewilligungsverweigerung erhobenen Rekurs wies die Baurekurskommission II des Kantons Zürich am 7. August 1990 ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies am 16. November 1990 eine gegen den Entscheid der Baurekurskommission gerichtete Beschwerde ebenfalls ab. Dieses Urteil wurde nicht angefochten.
Am 9. November 1990 überwies die Gemeinde Stäfa das Baugesuch der Eheleute F. gestützt auf die am 1. Oktober 1990 in Kraft getretene Änderung der kantonalen Bauverfahrensverordnung ebenfalls der Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich (nachstehend Baudirektion genannt) zur Beurteilung der Frage, ob für die geplanten Bauten eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
erteilt werden könne. Diese erteilte am 28. Dezember 1990 die Ausnahmebewilligung für den Bau des Schwimmbeckens, verweigerte sie aber für die Erstellung des Gewächshauses. Der Zürcherische Naturschutzbund und die Gemeinde Stäfa erhoben gegen den Entscheid der Baudirektion Rekurs beim Regierungsrat. Dieser hiess am 3. Juni 1992 die Rechtsmittel gut und hob die Verfügung der Baudirektion auf, soweit sie für die Erstellung des Schwimmbeckens eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
erteilte. Die Eheleute F. fochten darauf den Entscheid des Regierungsrats beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich an, welches ihre Beschwerde am 22. Januar 1993 abwies.
K. und P. F. haben gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 22. Januar 1993 beim Bundesgericht ein Rechtsmittel eingereicht, das als
BGE 120 Ib 42 S. 44
Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder im Falle ihrer Unzulässigkeit als staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen sei. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Wiederherstellung der Ausnahmebewilligung der Baudirektion vom 28. Dezember 1990.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid bestätigt die Auffassung des Regierungsrats, dass die Baudirektion nach dem negativen Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 16. November 1990 nicht erneut über die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG
für den Bau eines Schwimmbeckens befinden durfte.
a) Nach
Art. 34 Abs. 1 RPG
können Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
beim Bundesgericht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Diesem Rechtsmittel unterliegen nicht nur die Verfügungen, mit denen eine Bewilligung nach
Art. 24 RPG
erteilt wird, sondern auch jene, welche eine solche Bewilligung verweigern. Ferner sind auch solche Entscheide mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, welche dadurch, dass auf ein Gesuch um Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht eingetreten wird, die Anwendung der Regelung von
Art. 24 RPG
ausschliessen (
BGE 116 Ib 8
E. 1 S. 9 f.;
BGE 115 Ib 206
E. 3 S. 208;
BGE 103 Ib 144
E. 2a S. 146;
BGE 100 Ib 368
E. 1 S. 370).
Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts behandelt - wie schon zuvor der Entscheid des Regierungsrats - die Frage nicht, ob für das von den Beschwerdeführern geplante Schwimmbecken die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG
erfüllt sind. Es spricht sich vielmehr nur dazu aus, ob die Baudirektion nach dem verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 16. November 1990 das gleiche Baugesuch erneut prüfen und über die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
entscheiden durfte. Nach der angeführten Rechtsprechung ist ein solcher Entscheid über die Zulässigkeit des Eintretens auf ein Gesuch für eine Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG
ebenfalls mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar.
Das von den Beschwerdeführern eingereichte Rechtsmittel ist somit als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen. Für die staatsrechtliche Beschwerde bleibt demzufolge kein Raum (
Art. 84 Abs. 2 OG
).
BGE 120 Ib 42 S. 45
b) Zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind alle Voraussetzungen erfüllt. Auf das Rechtsmittel ist daher einzutreten.
2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, das Verwaltungsgericht habe in willkürlicher Weise die Zuständigkeit der Baudirektion verneint, nach dem Urteil vom 16. November 1990 erneut über die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
zu entscheiden. Es habe die für eine Wiedererwägung von Verwaltungsverfügungen geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze ohne Grund missachtet. Der angefochtene Entscheid verletze daher
Art. 4 BV
.
a) Der angefochtene Entscheid geht davon aus, dass der Baudirektion nochmals das gleiche Baugesuch unterbreitet wurde, über welches das Verwaltungsgericht am 16. November 1990 entschied. Für einen zweiten Entscheid in der gleichen Sache bestehe aber wegen der materiellen Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Urteile kein Raum. Die Beschwerdeführer stellen sich dagegen auf den Standpunkt, dem Entscheid der Baudirektion komme die Bedeutung einer Wiedererwägung zu, welche unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei.
Im Zeitpunkt, als der Gemeinderat Stäfa das Baugesuch der Beschwerdeführer beurteilte, dem 7. November 1989, lag die Zuständigkeit zur Erteilung von Ausnahmebewilligungen gemäss
Art. 24 RPG
im Kanton Zürich bei den Gemeinden. Der Gemeinderat Stäfa war somit zuständig, über die für das Bauprojekt der Beschwerdeführer erforderliche Ausnahmebewilligung zu entscheiden. Bei der von ihm ausgesprochenen Bewilligungsverweigerung entfiel das sonst noch erforderliche Melde- und das allenfalls anschliessende Genehmigungsverfahren bei der Baudirektion. Mit dem Inkrafttreten der revidierten Bauverfahrensverordnung vom 5. September 1990 am 1. Oktober 1990 ging die Kompetenz zur Erteilung von Ausnahmebewilligungen gemäss
Art. 24 RPG
neu auf die Baudirektion über. Das Baugesuch der Beschwerdeführer war zu dieser Zeit noch nicht rechtskräftig beurteilt, vielmehr war das Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgericht pendent. Es stellte sich daher die Frage, ob für die Beurteilung des Baugesuchs noch die alte oder bereits die neue Zuständigkeitsordnung massgebend sei. Die Verfahrensbeteiligten waren sich in diesem Punkt nicht einig, was die Gemeinde Stäfa veranlasste, das Baugesuch der Beschwerdeführer am 9. November 1990 ebenfalls der Baudirektion zum Entscheid zu unterbreiten. Es sollte auf diese Weise offenbar für den Fall vorgesorgt werden, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen des damals
BGE 120 Ib 42 S. 46
hängigen Verfahrens zum Schluss käme, auf das Baugesuch der Beschwerdeführer finde bereits die neue Zuständigkeitsordnung Anwendung.
Erkennt man der Überweisung des Baugesuchs an die Baudirektion lediglich diese vorsorgliche Funktion zu, so durfte die Baudirektion auf das Gesuch nicht eintreten, nachdem das Verwaltungsgericht im Entscheid vom 16. November 1990 die Anwendbarkeit der neuen Zuständigkeitsordnung für das Baugesuch der Beschwerdeführer verneint hatte. Allerdings hätte es sich aufgedrängt, dass die Gemeinde Stäfa der Baudirektion nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts mitgeteilt hätte, dass sie an ihrer vorsorglichen Überweisung nicht mehr festhalte. Sie hat eine solche Mitteilung unterlassen, und aus ihren Ausführungen in den nachfolgenden Rechtsmittelverfahren ist zu schliessen, dass sie nach dem verwaltungsgerichtlichen Entscheid vom 16. November 1990 - obwohl zu ihren Gunsten lautend - an einer Wiedererwägung durch die Baudirektion interessiert war. Dies offenbar aus der Erwägung, dass es der Bauherrschaft ohnehin freigestanden hätte, mit einem neuen Baugesuch einen Entscheid der Baudirektion zu provozieren. Die Gemeinde legte somit der Überweisung des Baugesuchs an die Baudirektion zumindest nachträglich die Bedeutung einer Einladung an die neu zuständig gewordene Instanz bei, eine bereits beurteilte Sache wiederzuerwägen.
Unter diesen Umständen erscheint die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Baudirektion sei nicht wiedererwägungsweise, sondern in der gleichen, mit dem Entscheid vom 16. November 1990 bereits beurteilten Sache tätig geworden und daher von vornherein unzuständig gewesen, zumindest fragwürdig. Ob sie geradezu als willkürlich bezeichnet werden muss, kann offenbleiben, da das Verwaltungsgericht im Sinne einer Eventualbegründung auch zur Zulässigkeit der Wiedererwägung durch die Baudirektion Stellung nimmt.
b) Die Verwaltungsbehörden können unter bestimmten Voraussetzungen ihre Verfügungen in Wiedererwägung ziehen. Sie sind dazu aber nur gehalten, soweit sich eine entsprechende Pflicht aus einer gesetzlichen Regelung oder einer konstanten Verwaltungspraxis ergibt. Dem Einzelnen steht überdies gestützt auf
Art. 4 BV
ein Anspruch auf Wiedererwägung zu, wenn sich die Verhältnisse seit dem ersten Entscheid erheblich geändert haben oder wenn der Gesuchsteller Tatsachen und Beweismittel anführt, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung
BGE 120 Ib 42 S. 47
bestand (
BGE 113 Ia 146
E. 3a S. 151 f.;
BGE 109 Ib 246
E. 4a S. 251;
BGE 100 Ib 368
E. 3a S. 371 f.; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, vol. II, 1984, S. 948 f.).
Die Wiedererwägung von Verwaltungsentscheiden, die in Rechtskraft erwachsen sind, ist freilich nicht beliebig zulässig. Sie darf namentlich nicht dazu dienen, rechtskräftige Verwaltungsentscheide immer wieder in Frage zu stellen oder die Fristen für die Ergreifung von Rechtsmitteln zu umgehen (
BGE 109 Ib 246
E. 4a S. 250;
BGE 100 Ib 368
E. 3 S. 371; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, 1990, Nr. 41/B/VIII S. 127). Auch bei negativen Verfügungen scheidet eine Wiedererwägung aus, wenn den Behörden kurze Zeit nach einem abgelehnten Gesuch erneut ein identisches Gesuch unterbreitet wird (vgl.
BGE 100 Ib 368
E. 3a S. 372; GRISEL, a.a.O., S. 949).
c) Das Verwaltungsgericht hält die von der Baudirektion vorgenommene Wiedererwägung der Verweigerung der Ausnahmebewilligung für das Schwimmbecken für unzulässig. Mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 16. November 1990 sei über das Baugesuch der Beschwerdeführer rechtskräftig entschieden worden, und für eine Wiedererwägung desselben Gesuchs seien keine Gründe ersichtlich. Die Beschwerdeführer stellen die bindende Wirkung des erwähnten Urteils nicht in Frage, sie sind jedoch der Auffassung, dieses lasse Raum für eine günstigere Ermessensbetätigung der ersten Instanz in derselben Frage. Dadurch, dass im Urteil vom 16. November 1990 die Verweigerung der Ausnahmebewilligung durch die Gemeinde als "nicht rechtsverletzend" bezeichnet werde, sei über die Zulässigkeit einer abweichenden Ermessensbetätigung noch nicht entschieden worden. Es stehe vielmehr der ersten Instanz frei, auf den Entscheid über das Baugesuch zurückzukommen und ihr Ermessen in einem für die Baugesuchsteller günstigeren Sinn auszuüben, ohne sich mit dem Urteil vom 16. November 1990 in Widerspruch zu setzen.
Im genannten Urteil hatte das Verwaltungsgericht "die Bewilligungsfähigkeit des Vorhabens aufgrund von
Art. 24 RPG
" zu prüfen. Es war also zu untersuchen, ob für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung für ein Schwimmbecken die Voraussetzungen von
Art. 24 RPG
erfüllt sind. Dies ist eine Rechts- und keine Ermessensfrage (THOMAS MÜLLER, Die erleichterte Ausnahmebewilligung, Diss. Zürich, 1992, S. 155; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Nr. 37 B/IV S. 112;
BGE 97 I 134
E. 3 S. 140). Sie wird im Urteil vom 16. November 1990 vom Verwaltungsgericht negativ beantwortet und nicht
BGE 120 Ib 42 S. 48
- wie die Beschwerdeführer behaupten - in dem Sinne offengelassen, dass die Verweigerung der Ausnahmebewilligung zwar im Ermessen des Gemeinderats Stäfa gelegen hat und nicht rechtsverletzend war, eine andere Ermessensbetätigung aber auch nicht rechtsverletzend gewesen wäre. Der Wiedererwägungsentscheid der Baudirektion vom 28. Dezember 1990, der die Bewilligungsfähigkeit des Schwimmbeckens gestützt auf
Art. 24 RPG
bejahte, betraf somit die gleiche, bereits im Urteil vom 16. November 1990 behandelte Frage, die nun im entgegengesetzten Sinn entschieden wurde. Eine solche erneute Beurteilung der gleichen Frage, ohne dass sich inzwischen die tatsächlichen Verhältnisse oder die materielle Rechtslage verändert hatten, durfte das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid ablehnen. Die Zulassung der Wiedererwägung im vorliegenden Fall würde die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 16. November 1990 missachten. Den Beschwerdeführern hätte es freigestanden, dieses erste Urteil beim Bundesgericht anzufechten. Wenn sie darauf verzichtet haben, so können sie nicht verlangen, dass ihr identisches Baugesuch auf dem Wege der Wiedererwägung nochmals von allen Instanzen materiell beurteilt wird.
d) Der angefochtene Entscheid verletzt somit kein Bundesrecht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demzufolge abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
74c12053-a9a3-4d92-957a-62633a47cc70 | Urteilskopf
116 Ia 106
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. März 1990 i.S. L. gegen Einwohnergemeinde Gretzenbach und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und 22ter BV
; Entschädigung für Enteignungen im Rahmen einer Baulandumlegung, Stichtag.
Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung der zu Beginn eines Umlegungsverfahrens festgelegten Entschädigungsansätze (E. 2).
Dauert eine Landumlegung mehrere Jahre und steigen in dieser Zeit die Landpreise erheblich an, so kann als Stichtag für die Bemessung der Entschädigung für Minderzuteilungen und Landabtretungen an öffentliche Werke nicht der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung gewählt werden (E. 3).
In der Weigerung des Enteignungsrichters, die nötigen Abklärungen zur Bestimmung der Höhe des werkbedingten Vor- oder Nachteils vorzunehmen, liegt ein Verstoss gegen
Art. 4 BV
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 116 Ia 106 S. 107
Anfangs 1983 wurden in der Gemeinde Gretzenbach die Unterlagen für die Baulandumlegung "Grund", so auch das "Reglement über die speziellen Bedingungen", öffentlich aufgelegt. Während der Auflagefrist erhoben mehrere Grundeigentümer beim Gemeinderat Einsprache und gelangten hierauf an den Regierungsrat des Kantons Solothurn, vor dem sie unter anderem geltend machten, dass die im Reglement festgelegte Entschädigung von Fr. 40.--/m2 für Mehr- und Minderzuteilungen sowie für das an das Strassenareal abzutretende Land zu niedrig sei. Der Regierungsrat trat auf diese Rüge nicht ein und überwies die Akten zur Beurteilung der Entschädigungsfrage an die zuständige kantonale Schätzungskommission. Diese sistierte das Verfahren, weil die Unterlagen ihrer Meinung nach für einen Schätzungsentscheid noch nicht genügten, und bestätigte schliesslich, nachdem die Sistierungsverfügung von der Gemeinde Gretzenbach mit Erfolg beim Verwaltungsgericht angefochten worden war, mit Entscheid vom 10. November 1987 den angefochtenen Entschädigungsansatz von Fr. 40.--/m2.
Gegen den Entscheid der Schätzungskommission reichte L. beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde ein, das diese mit Urteil vom 13. März 1989 abwies. L. hat den Verwaltungsgerichtsentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie angefochten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss der solothurnischen Verordnung über Baulandumlegung und Grenzbereinigung vom 10. April 1979 (im folgenden:
BGE 116 Ia 106 S. 108
Umlegungs-Verordnung) gliedert sich die Baulandumlegung in die Verfahrensabschnitte Anordnung, Einleitung, Publikation der Grundlagen, Neuzuteilung und Kostenverteilung bzw. Berechnung des Geldausgleichs und der Entschädigungen (§§ 5-23). Als "Grundlagen" sind anschliessend an die Anordnung und Einleitung des Verfahrens der Perimeterplan und die den Altbestand wiedergebenden Verzeichnisse (§ 10 Ziff. 1) sowie das Reglement über die speziellen Bedingungen (Ziff. 2) öffentlich aufzulegen. Die speziellen Bedingungen setzen nach § 11 der Verordnung die "allgemeinen Abzüge, den Verteilungsmassstab, die Bewertung des Altbestandes und die Entschädigung für Mehr- und Minderzuteilungen fest". Über die Landabzüge und die Entschädigungen für Mehr- und Minderzuteilungen wird folgendes bestimmt:
"Landabzüge
§ 12. Anhand der Nutzungspläne legt die durchführende Behörde die
verhältnismässig auf alle beteiligten Grundstücke zu verteilenden
Landabzüge nach folgenden Grundsätzen fest:
a) Landabzüge für gemeinsame Abstell-, Spiel- und Ruheplätze erfolgen
ohne Entschädigung. Das Land wird Miteigentum der beteiligten
Grundeigentümer.
b) Landabzüge für öffentliche Erschliessungsanlagen und andere
öffentliche Bauten und Anlagen erfolgen gegen Entschädigung nach den für
die Enteignung geltenden Grundsätzen. Das Land geht in das Eigentum des
Gemeinwesens über, für das es bestimmt ist. Wenn das Gemeinwesen das für
Erschliessungsanlagen bestimmte Land nicht sofort übernimmt, kann es den
Grundeigentümern als gemeinschaftliches Eigentum zugeteilt werden.
Entschädigung für Mehr- und Minderzuteilungen
§ 15. Die Entschädigungen für entstehende Mehr- und Minderzuteilungen
sind nach den Grundsätzen der Enteignung festzusetzen."
2.
Das Verwaltungsgericht hat seinen Entscheid auf § 11 der Umlegungs-Verordnung gestützt und zunächst ausgeführt, dass es bei der Bestimmung der Entschädigungen für Mehr- und Minderwerte sowie für Landabzüge um die vorweg vorzunehmende Festlegung eines Teils der speziellen Bedingungen gehe; würden diese nicht sofort angefochten, so erwüchsen sie in Rechtskraft und könnten in einem späteren Verfahrensstadium nicht mehr in Frage gestellt werden. Hiezu ist - abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall einzig die Entschädigung für den Landabzug umstritten
BGE 116 Ia 106 S. 109
ist und diese in § 11 der Verordnung nicht erwähnt wird - grundsätzlich folgendes zu bemerken:
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gewährt die Eigentumsgarantie den in ein Landumlegungsverfahren einbezogenen Grundeigentümern einen Anspruch auf Realersatz oder, soweit ein solcher nicht geleistet werden kann, auf Geldausgleich in Höhe des Verkehrswertes, das heisst auf eine volle Entschädigung im Sinne von
Art. 22ter BV
. Aus dem Prinzip des wertgleichen Realersatzes oder der vollen Entschädigung ergibt sich in verfahrensmässiger Hinsicht, dass sich der betroffene Eigentümer unter Umständen auch nach Abschluss des Bonitierungs- oder Neuzuteilungsverfahrens noch bei der Bemessung des Geldausgleiches auf die wahren Wertverhältnisse berufen können muss. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Landumlegung mehrere Jahre dauert, sich während dieser Zeit die Preise auf dem Immobilienmarkt wesentlich ändern und die zu Beginn des Umlegungsverfahrens festgesetzten Bonitierungs- oder Entschädigungsansätze dem wahren Verkehrswert der Grundstücke in keiner Weise mehr entsprechen. Wird in einem solchen Fall eine Überprüfung der Neuzuteilung oder des Geldausgleichs aus rein formalrechtlichen Gründen abgelehnt, so läuft dies auf eine Rechtsverweigerung sowie auf eine Verletzung des Prinzips der vollen Entschädigung hinaus (
BGE 105 Ia 329
,
BGE 114 Ia 260
f., nicht publ. Entscheid vom 15. Dezember 1987 i.S. B. und R.; s. auch ANTOGNINI, Le respect de la garantie de la propriété dans les remaniements parcellaires, ZBl 72/1971 S. 8 f., FRIEDRICH, Das Verfahrensrecht der Güterzusammenlegung, Blätter für Agrarrecht 1970 S. 60). Im Hinblick auf diese Grundsätze erscheint der Hinweis des Verwaltungsgerichtes auf die Mehrstufigkeit des Verfahrens und die Unabänderlichkeit der einmal in Rechtskraft erwachsenen Entschädigungsansätze als zumindest fragwürdig.
3.
Das Verwaltungsgericht hat im weiteren aus dem Umstand, dass nach § 11 der kantonalen Umlegungs-Verordnung die Entschädigung für die Mehr- und Minderzuteilungen in den speziellen Bedingungen festzulegen ist, geschlossen, der Zeitpunkt für die Festsetzung der speziellen Bedingungen müsse in jedem Fall auch als Stichtag für die Entschädigungsbemessung gelten. Dabei hat es sich trotz entsprechender Rügen des Beschwerdeführers nicht mit der Frage befasst, ob eine solche Auslegung mit dem Gesetzes- und Verfassungsrecht vereinbar sei.
Nach den oben angeführten §§ 12 und 15 der solothurnischen Landumlegungs-Verordnung sind die Entschädigungen für Landabzüge
BGE 116 Ia 106 S. 110
für öffentliche Erschliessungsanlagen sowie für Mehr- und Minderzuteilungen nach den für die Enteignung geltenden Grundsätzen festzusetzen. Diese Vorschriften entsprechen im wesentlichen § 90 des kantonalen Baugesetzes vom 3. Dezember 1978, wonach Mehr- und Minderzuteilungen durch Geld auszugleichen sind und das Gemeinwesen für das ihm im Landumlegungsverfahren für öffentliche Bauten und Anlagen zugeteilte Land nach den für die Enteignung geltenden Grundsätzen Entschädigung zu leisten hat. Allerdings wird auch in dieser Bestimmung nicht präzisiert, ob die für die formelle oder die für die materielle Enteignung geltenden Grundsätze Anwendung finden sollen. Wie sich im folgenden zeigt, erweist sich der angefochtene Entscheid sowohl im einen als auch im anderen Fall als unhaltbar.
a) In den §§ 228-236 des solothurnischen Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 4. April 1954 (EG ZGB), in welchen die formelle Enteignung geregelt wird, wird über den dies aestimandi nichts bestimmt. Anwendbar sind daher direkt die verfassungsmässigen Grundsätze. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird dem verfassungsmässigen Anspruch des Enteigneten auf volle Entschädigung nur Rechnung getragen, wenn der Bewertungs-Stichtag nahe beim Zeitpunkt des Entzugs der enteigneten Rechte liegt. Das Bundesgericht hat daher vor der Einfügung von Art. 19bis in das Bundesgesetz über die Enteignung erklärt, dass die Enteignungsentschädigung grundsätzlich anhand des Verkehrswerts der enteigneten Rechte am Tage des Entscheids der Eidgenössischen Schätzungskommission zu berechnen sei (
BGE 89 I 343
). Nun ist zwar durch
Art. 19bis EntG
der Stichtag auf die Einigungsverhandlung vorverlegt, dem Enteigneten jedoch zugleich die Möglichkeit eingeräumt worden, sofort eine Zahlung in Höhe der voraussichtlichen Entschädigung zu verlangen (
Art. 19bis EntG
); dadurch bleibt dieser trotz der Verschiebung des Schätzungszeitpunktes zumindest theoretisch in der Lage, mit der Entschädigung ein Ersatzgrundstück zu erwerben (vgl. BGE
BGE 115 Ib 27
E. 7b,
BGE 114 Ia 262
). Im übrigen hat das Bundesgericht auch schon die Frage aufgeworfen, ob bei langer Verfahrensdauer nicht eine zweite, für den Schätzungszeitpunkt massgebende Einigungsverhandlung durchzuführen sei (vgl.
BGE 115 Ib 25
;
BGE 116 Ib 18
E. 2dd).
b) Für die materielle Enteignung bestimmt § 237bis EG ZGB, dass die Entschädigung nach dem Verkehrswert festzulegen sei, den das belastete Grundstück im Zeitpunkt des Inkrafttretens
BGE 116 Ia 106 S. 111
der Eigentumsbeschränkung habe. Diese Regelung stimmt mit der ständigen bundesgerichtlichen Praxis zum Entschädigungsanspruch aus
Art. 5 Abs. 2 RPG
überein (
BGE 114 Ib 111
E. 2a, 122 f., 283, 293 f. E. 5, je mit Hinweis auf weitere Urteile). Auch in diesem Rahmen hat das Bundesgericht schon eingeräumt, dass der Grundeigentümer benachteiligt werden könne, wenn das Gemeinwesen seinen Entschädigungsanspruch für materielle Enteignung bestreite, das Gerichtsverfahren lange daure und während dieser Zeit die Landpreise erheblich anstiegen. In einer solchen Situation müsse allenfalls ein Ausgleich geschaffen werden (
BGE 114 Ib 294
E. 5).
c) Aus diesen gesetzlichen bzw. verfassungsrechtlichen Regeln ergibt sich, dass die Auffassung des Solothurner Verwaltungsgerichtes, der Stichtag für die Bemessung der Entschädigungen für Landabzüge sowie für Mehr- und Minderzuteilungen falle selbst dann auf den Zeitpunkt der Festsetzung der speziellen Bedingungen, wenn dieser und der Zeitpunkt der Neuzuteilung oder Entschädigungszahlung weit auseinander liegen und sich die Landpreise in der Zwischenzeit verändern, mit
Art. 22ter BV
nicht vereinbar ist. Da im vorliegenden Fall das Reglement über die speziellen Bedingungen im Januar 1983 aufgelegt worden ist, die Neuzuteilung im August 1986 stattgefunden hat, eine Entschädigung offenbar noch heute nicht ausbezahlt ist und nach der allgemeinen Erfahrung in diesen Jahren die Baulandpreise erheblich angestiegen sind, ist der angefochtene Entscheid in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.
Ob hier der Stichtag für die Entschädigungsbemessung, wie der Beschwerdeführer verlangt, auf den Zeitpunkt der Neuzuteilung oder - da die kantonale Schätzungskommission nicht an die Parteianträge gebunden ist (§ 7 Abs. 2 der Verordnung über das Enteignungsverfahren vom 28. Oktober 1954) - auf ein noch späteres Datum zu legen sei, braucht gleich wie in
BGE 114 Ia 262
nicht näher untersucht zu werden, haben doch zunächst die kantonalen Instanzen über diese Frage zu befinden.
4.
Das Verwaltungsgericht hat schliesslich noch erklärt, dem Beschwerdeführer stehe auch deshalb keine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes zur Zeit der Neuzuteilung zu, weil dieser Wert durch die projektierte Landumlegung mitbestimmt worden sei und die Gemeinde für die durch die Landumlegung bewirkte Wertsteigerung nichts zu bezahlen habe. Man könne sich höchstens fragen, ob die Bodenpreise auch ohne die Landumlegung
BGE 116 Ia 106 S. 112
angestiegen wären und dem Grundeigentümer allenfalls diese Wertsteigerung zugute kommen müsse. Diese Frage lasse sich jedoch kaum in seriöser Weise beantworten und führe allzusehr in Hypothesen. Unter diesen Umständen erscheine die von der Schätzungskommission gewählte Lösung, die Entschädigungen aufgrund der Zustände zur Zeit der Auflage der speziellen Bedingungen festzusetzen, als korrekt.
Es trifft zu, dass werkbedingte Vor- und Nachteile bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen sind, und dieser Grundsatz, der sich aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip der vollen Entschädigung ergibt, auch im kantonalrechtlichen Enteignungsverfahren gilt (
BGE 104 Ia 470
ff.,
BGE 115 Ib 26
E. 5b und dort zitierte Entscheide). Bei der Bestimmung der Landabzugs-Entschädigung darf daher auch im vorliegenden Fall der Verkehrswert des fraglichen Grundstücks am massgebenden Stichtag in dem Masse reduziert werden, als er aufgrund der Vorwirkungen der Landumlegung angestiegen ist. Davon, dass die Bemessung des werkbedingten Vorteils allzu hypothetisch und daher kaum möglich sei, kann indessen keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei der Vornahme einer solchen Schätzung um eine fast alltägliche, in der Regel nicht mit erheblichen Schwierigkeiten verbundene Aufgabe des Enteignungsrichters, geht es doch einzig darum, die Preisentwickung der im Umlegungsgebiet liegenden Grundstücke jener von vergleichbaren Parzellen, die nicht ins Verfahren einbezogen worden sind, gegenüberzustellen. Schöpft der Enteignungsrichter bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mittel zur Abklärung der Preisverhältnisse aus, so liegt darin eine Rechtsverweigerung, gleich, wie wenn bei der Neuzuteilung nicht alle vorhandenen technischen Mittel zu Hilfe genommen werden (vgl.
BGE 105 Ia 327
E. 2c). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
74c4c0ca-058b-433e-a133-0bfe07bdb155 | Urteilskopf
138 I 1
1. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause H.X. et F.X. contre Cour de justice du canton de Genève (recours en matière civile)
4A_672/2011 du 31 janvier 2012 | Regeste a
Art. 50 Abs. 2 und
Art. 405 Abs. 1 ZPO
; Übergangsrecht, Entscheid über ein Ablehnungsbegehren, kantonales Beschwerdeverfahren.
Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts über ein Ablehnungsbegehren gegen einen Richter, den Parteien nach dem 1. Januar 2011 eröffnet, bezüglich eines vor diesem Datum eingeleiteten Verfahrens; anwendbares Recht im kantonalen Beschwerdeverfahren (E. 2.1).
Regeste b
Art. 30 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Ablehnung eines Richters, der eine Kammer des Mietgerichts präsidiert.
Ein Richter, der eine Kammer des Mietgerichts präsidiert, kann nicht einzig mit der Begründung abgelehnt werden, dieser habe zuvor als Anwalt für den SMV (Schweizerischer Mieterinnen- und Mieterverband) gearbeitet. Freundschaft oder Feindschaft zwischen einem Richter und einem Anwalt stellen nur dann einen Ausstandsgrund dar, wenn zwischen diesen eine Verbindung besteht, die durch ihre Intensität oder Qualität bei objektiver Betrachtung geeignet ist, den Richter in seiner Verfahrensleitung oder seiner Entscheidung zu beeinflussen (E. 2.2-2.4). | Erwägungen
ab Seite 2
BGE 138 I 1 S. 2
Extrait des considérants:
2.
2.1
Sous réserve des garanties minimales déduites des
art. 30 Cst.
et 6 par. 1 CEDH, les motifs de récusation sont régis par le droit de procédure applicable (cf. arrêt 8C_425/2009 du 9 octobre 2009 consid. 3).
En l'espèce, les trois procédures citées ont été introduites devant le Tribunal des baux et loyers avant l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2011, du Code de procédure civile unifié (CPC; RS 272) (arrêté du Conseil fédéral du 31 mars 2010). Elles restent donc soumises à l'ancien droit de procédure jusqu'au jugement final par le Tribunal des baux et loyers (
art. 404 al. 1 CPC
). Les incidents de procédure
BGE 138 I 1 S. 3
survenant durant la phase de première instance restaient en principe soumis au droit genevois de procédure civile.
Les décisions de première instance communiquées aux parties après le 1
er
janvier 2011 sont cependant susceptibles d'un recours déterminé par le nouveau droit (
art. 405 al. 1 CPC
). C'est donc à juste titre que la cour cantonale a considéré que la décision rendue en première instance sur la demande de récusation pouvait faire l'objet d'un recours au sens du CPC (
art. 50 al. 2 CPC
). Comme cette voie de recours ne tend en principe qu'à contrôler la bonne application du droit par l'autorité inférieure, la question de la récusation restait soumise au droit cantonal (cf. FREI/WILLISEGGER, in Basler Kommentar, ZPO, 2010, n° 15 ad
art. 405 CPC
; DENIS TAPPY, in Code de procédure civile commenté, 2011, n° 27 ad
art. 405 CPC
). Or, comme on l'a vu (consid. 1.4 non publié), le recours en matière civile n'est pas ouvert pour se plaindre d'une violation du droit cantonal. Certes, les recourants auraient pu invoquer une violation arbitraire du droit cantonal (
ATF 134 III 379
consid. 1.2 p. 382 s.;
ATF 133 I 201
consid. 1 p. 203;
ATF 133 III 462
consid. 2.3 p. 466). Ils devaient cependant, dans ce cas, indiquer avec précision quelle disposition du droit cantonal aurait été violée arbitrairement (
art. 106 al. 2 LTF
;
ATF 110 Ia 1
consid. 2a p. 3). Comme les recourants n'ont invoqué aucune disposition de procédure cantonale, le recours doit être examiné exclusivement à la lumière des
art. 30 al. 1 Cst.
et 6 par. 1 CEDH, qui ont été valablement invoqués.
2.2
La garantie d'un tribunal indépendant et impartial résultant des
art. 30 al. 1 Cst.
et 6 par. 1 CEDH - qui ont, de ce point de vue, la même portée - permet, indépendamment du droit de procédure cantonal, de demander la récusation d'un juge dont la situation ou le comportement est de nature à susciter des doutes quant à son impartialité. Elle vise à éviter que des circonstances extérieures à l'affaire puissent influencer le jugement en faveur ou au détriment d'une partie. Elle n'impose pas la récusation seulement lorsqu'une prévention effective est établie, parce qu'une disposition relevant du for intérieur ne peut guère être prouvée; il suffit que les circonstances donnent l'apparence d'une prévention et fassent redouter une activité partiale du magistrat. Cependant, seules les circonstances objectivement constatées doivent être prises en compte, les impressions purement subjectives de la partie qui demande la récusation n'étant pas décisives (
ATF 137 I 227
consid. 2.1 p. 229;
ATF 136 III 605
consid. 3.2.1
BGE 138 I 1 S. 4
p. 608 s.;
ATF 136 I 207
consid. 3.1 p. 210;
ATF 134 I 20
consid. 4.2 p. 21,
ATF 134 I 238
consid. 2.1 p. 240).
La partie qui a connaissance d'un motif de récusation doit l'invoquer aussitôt, sous peine d'être déchue du droit de s'en prévaloir ultérieurement (
ATF 136 I 207
consid. 3.4 p. 211;
ATF 134 I 20
consid. 4.3.1 p. 21).
2.3
Le Tribunal fédéral a déjà admis que l'on ne pouvait pas demander la récusation d'un juge présidant une chambre du Tribunal des baux et loyers pour le seul motif qu'il a travaillé précédemment comme avocat de l'Asloca. Dès lors que le juge a cessé toute activité pour cette association et qu'il n'a pas réellement connu de la cause en tant qu'avocat, rien ne permet de penser que le juge, en raison de son activité passée, serait tenté d'avantager les parties défendues par cette association ou qu'il aurait acquis dans ce cadre une faveur inconditionnelle pour la cause des locataires. La solution inverse aurait pour conséquence que le juge, pourtant choisi en raison de ses compétences dans le domaine du droit du bail, serait pratiquement inhabile à siéger dans la plupart des cas (arrêt 4P.147/1997 du 24 novembre 1997 consid. 3b/bb et cc). Il n'y a pas lieu de revenir sur cette jurisprudence.
Il a été constaté que la juge a quitté l'Asloca en février 2010. Les recourants ne prétendent pas que cette constatation serait arbitraire (sur la notion d'arbitraire, notamment dans l'appréciation des preuves: cf.
ATF 136 III 552
consid. 4.2 p. 560). On ne voit pas pourquoi elle le serait (cf.
art. 105 al. 2 LTF
), de sorte que le Tribunal fédéral est lié par cette constatation de fait (
art. 105 al. 1 LTF
).
Les trois procédures invoquées ont été introduites devant le Tribunal des baux et loyers après cette date, de sorte que la juge n'a pas pu s'en occuper en tant qu'avocate de l'Asloca devant cette juridiction. Elle aurait certes pu s'en occuper à un stade antérieur, soit dans une phase de préparation préalable à l'ouverture de l'action ou au stade de la conciliation. Les recourants ne prétendent pas l'avoir allégué et prouvé ou rendu vraisemblable dans la procédure cantonale. Ils ne démontrent donc pas que la cour cantonale aurait apprécié arbitrairement les preuves en concluant qu'il n'était pas établi que la juge ait elle-même fourni des prestations d'avocate dans l'une de ces trois procédures. Les recourants ne prétendent pas non plus que la juge serait intervenue comme avocate en faveur de l'une de leurs parties adverses dans une autre procédure. Il n'y a donc pas matière à compléter l'état de fait sur ces points (cf.
art. 105 al. 2 LTF
) et il n'est pas
BGE 138 I 1 S. 5
possible de raisonner avec ces hypothèses, qui ne correspondent pas à l'état de fait qui lie le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
).
2.4
Les recourants soutiennent également que la juge a gardé des liens d'amitié avec certains de ses anciens collègues, avocats de l'Asloca.
Ils reprochent à la cour cantonale d'avoir refusé d'examiner une page de Facebook qu'ils ont produite pour la première fois dans la procédure de recours. On ne saurait adresser à ce sujet le moindre reproche à la cour cantonale, puisque l'
art. 326 al. 1 CPC
prévoit clairement, pour la procédure de recours, que les preuves nouvelles sont irrecevables. Contrairement à ce qu'invoquent les recourants, les innombrables renseignements figurant sur internet ne peuvent pas être considérés comme notoires (cf.
ATF 134 III 224
consid. 7.2 p. 234,
ATF 134 III 534
consid. 3.2.3.3 p. 539).
Il arrive fréquemment qu'un juge et un avocat se connaissent. Par exemple, ils peuvent avoir fait leurs études ensemble, être membres d'un même parti politique, avoir été collègues à un certain stade de leur carrière ou encore pratiquer les mêmes loisirs. Une de ces situations banales ne saurait suffire pour constituer un motif de récusation. Que la juge d'espèce ait gardé de bons contacts avec ses anciens collègues ne suffit pas pour supposer objectivement qu'elle n'aurait pas le recul nécessaire pour traiter en toute impartialité les causes qui lui sont soumises. Il a déjà été jugé qu'une relation d'amitié ou d'inimitié entre un juge et un avocat ne pouvait constituer un motif de récusation que dans des circonstances spéciales, qui ne peuvent être admises qu'avec retenue; il faudrait qu'il y ait un lien qui, par son intensité et sa qualité, soit de nature à faire craindre objectivement qu'il influence le juge dans la conduite de la procédure et dans sa décision (cf. arrêt 1B_303/2008 du 25 mars 2009 consid. 2.2).
En l'espèce, les recourants ne prétendent pas avoir allégué et prouvé ou rendu vraisemblable qu'il existait, au moment où ils ont présenté leur demande de récusation, un lien d'amitié avec l'un ou l'autre des avocats cités qui soit d'une intensité telle que l'on puisse craindre objectivement que la juge ait perdu sa complète liberté de décision. Les recourants en restent à des généralités et l'état de fait retenu par la cour cantonale ne permet pas de discerner un lien particulièrement étroit au point de faire craindre objectivement la partialité du juge.
La cour cantonale n'a donc pas violé le droit fédéral en concluant que les recourants n'avaient établi aucun fait qui puisse constituer un motif de récusation. | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
74c5e2b9-c29b-441c-b997-bc3ddf5eca15 | Urteilskopf
101 V 261
53. Arrêt du 27 octobre 1975 dans la cause Brielmann contre Caisse de compensation de l'association des grands magasins suisses et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 28 AHVG
,
Art. 49 AHVV
.
- Über den Anspruch der Pflegekinder auf Waisenrente nach der Adoption durch den überlebenden Pflegeelternteil.
- Wirkung des Verzichts auf die durch den Tod des leiblichen Vaters begründete Waisenrente. | Sachverhalt
ab Seite 261
BGE 101 V 261 S. 261
A.-
André-Michel Leuenberger, né le 23 juin 1960, que sa mère avait abandonné à l'hôpital, a été recueilli par les époux Marcel-Henri et Emma Brielmann, qui l'ont d'emblée considéré comme leur propre enfant. Il a été autorisé à porter le nom de ses parents nourriciers, par décision du Conseil exécutif du canton de Berne du 1er décembre 1970.
En mai 1973, les prénommés ont entrepris les démarches requises en vue de l'adoption conjointe de l'enfant, possible seulement depuis la revision des dispositions en la matière du Code civil, l'épouse ayant des enfants d'un précédent mariage. Le 3 octobre 1973, Marcel-Henri Brielmann est mort subitement, avant que cette adoption eût été prononcée. Emma Brielmann a alors poursuivi la procédure en son nom personnel, et le 31 octobre 1973 la Cour de justice de Genève prononçait l'adoption de André-Michel - auquel étaient donnés les prénoms de Michel-Marcel - par la requérante.
Walter Leuenberger, père légitime présumé de l'enfant adopté, est décédé le 4 mai 1972. Les époux Brielmann ignoraient cette circonstance lorsqu'ils ont commencé les démarches susmentionnées.
BGE 101 V 261 S. 262
B.-
Saisie par Emma Brielmann d'une demande de rentes de survivants, la Caisse de compensation de l'association des grands magasins suisses a accordé une rente de veuve à la requérante. Il en est allé différemment de la rente d'orphelin réclamée en faveur de Michel-Marcel: après avoir consulté l'Office fédéral des assurances sociales, ladite caisse a rendu le 8 mai 1974 une décision de refus, motif pris de ce que l'enfant avait été adopté "dans le même mois où le mari était mort".
En revanche, la caisse précitée est intervenue auprès de la Caisse de compensation de l'industrie des liants, ayant appris que Walter Leuenberger s'était remarié et avait eu trois autres enfants pour lesquels cette caisse versait des rentes d'orphelins. Cette dernière caisse a accepté de servir une telle rente à Michel-Marcel Brielmann également, pour la période du 1er juin 1972 au 31 octobre 1973, mois de l'adoption. Ce versement rétroactif paraît avoir été effectué au courant du mois de mai 1974.
C.-
Emma Brielmann a recouru contre la décision du 8 mai 1974, en concluant à l'octroi de la rente d'orphelin réclamée. Déboutée par le Tribunal des assurances du canton de Vaud - qui s'est prononcé sur la seule décision formellement attaquée et n'a pas estimé devoir examiner le bien-fondé de celle de la Caisse de compensation de l'industrie des liants -, elle a interjeté recours de droit administratif.
D'accord sur le caractère paradoxal de la situation de l'enfant Michel-Marcel Brielmann, privé de rente malgré la perte de soutien subie, tant la caisse de compensation intimée que l'Office fédéral des assurances sociales renoncent à prendre des conclusions.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La première question à examiner a trait aux droits ouverts par le décès d'un père nourricier en faveur de son enfant recueilli ainsi qu'aux conséquences entraînées par l'adoption ultérieure de ce dernier par la mère nourricière, en faisant totale abstraction du prédécès du père par le sang.
Selon l'art. 49 al. 1 RAVS, édicté en application de l'art. 28 al. 3 LAVS, les enfants recueillis ont droit à une rente d'orphelin au décès des parents nourriciers, si ceux-ci en ont assumé gratuitement et de manière durable les frais d'entretien et
BGE 101 V 261 S. 263
d'éducation. Il ne fait aucun doute que ces conditions de gratuité et de durée étaient satisfaites en l'espèce, comme l'était aussi la condition de l'al. 4 du même article, exigeant que le parent nourricier soit assuré au moment de son décès. En principe, la mort de Marcel-Henri Brielmann ouvrait donc droit à une rente d'orphelin, qui aux termes de l'art. 25 al. 2 LAVS prenait naissance le 1er novembre 1973.
Mais l'art. 28 al. 1 LAVS dispose que les enfants adoptés ont droit à une rente d'orphelin uniquement au décès des parents adoptifs, et il est constant que l'adoption fait tomber toute rente d'orphelin antérieurement acquise (ATFA 1954 p. 208, RCC 1968 p. 509). Ainsi, l'adoption de Michel-Marcel Brielmann devait mettre fin en principe au droit de ce dernier à la rente d'orphelin. La pratique administrative apporte toutefois à ce principe un correctif: l'enfant recueilli qui est adopté par le parent nourricier survivant ne perd pas son droit à la rente d'enfant recueilli (Directives concernant les rentes, No 183).
L'Office fédéral des assurances sociales, suivi en cela par le juge cantonal, soutient que cette dérogation au principe de l'extinction du droit à la rente lors de l'adoption ultérieure n'est pas applicable en l'espèce parce que le droit à la rente d'enfant recueilli n'avait pas encore pris naissance à la date de l'adoption par la mère nourricière. Il est exact que le décès de Marcel-Henri Brielmann aurait ouvert droit à une rente d'orphelin prenant naissance le 1er novembre 1973 (cf. RO 100 V 208), alors que l'adoption par la mère nourricière a eu lieu la veille, soit le 31 octobre 1973. Il est exact aussi que la conclusion qu'en tirent l'Office fédéral des assurances sociales ainsi que les premiers juges répond à l'interprétation grammaticale des directives administratives. Mais pareille interprétation aboutit dans les circonstances de l'espèce à un résultat qui va à l'encontre des motifs mêmes justifiant la dérogation apportée en faveur des enfants recueillis; si l'adoption par le parent nourricier survivant ne fait pas tomber le droit à la rente de l'enfant recueilli, c'est qu'elle ne fait que confirmer - en lui donnant forme reconnue du droit de famille - le caractère durable du statut antérieur et que l'enfant ne change pas de milieu familial (cf. RCC 1952 p. 210).
Les termes du No 183 des directives précitées se révèlent donc trop étroits. Pour répondre aux motifs qui seuls la justifient, la dérogation doit être formulée comme il suit: l'adoption de
BGE 101 V 261 S. 264
l'enfant recueilli par le parent nourricier survivant ne prive pas l'enfant du droit à la rente découlant pour lui du décès du parent nourricier. Cela signifie en d'autres termes que, si l'enfant bénéficie déjà d'une rente d'enfant recueilli, cette adoption n'y met pas fin; et que, dans les cas exceptionnels où l'adoption intervient dans le mois même du décès, elle n'exclut pas la naissance du droit à la rente d'enfant recueilli dès le mois suivant.
Il en résulte en l'espèce que l'adoption de Michel-Marcel Brielmann par sa mère nourricière le 31 octobre 1973 n'entraîne pas privation du bénéfice de la rente d'enfant recueilli à laquelle le décès de son père nourricier, survenu le 3 octobre 1973, lui ouvre en principe droit dès le 1er novembre 1973.
Il n'y a pas lieu d'examiner ici l'effet que pourrait avoir l'adoption de l'enfant par un seul des parents nourriciers, du vivant des deux parents, au regard des nouvelles règles du Code civil en matière d'adoption.
2.
Mais la seconde question à examiner a trait aux conséquences du décès du père par le sang sur le droit de Michel-Marcel Brielmann à la rente d'enfant recueilli.
Selon l'art. 49 al. 2 RAVS, le décès des parents nourriciers n'ouvre droit à une rente que si l'enfant recueilli ne bénéficie pas déjà d'une rente ordinaire d'orphelin conformément aux
art. 25 à 28
LAVS. Or l'art. 25 al. 1 LAVS dispose qu'ont droit à une rente d'orphelin simple - sous réserve de l'art. 28 al. 1 LAVS, c'est-à-dire d'adoption - les enfants dont le père par le sang est décédé. La pratique et la jurisprudence considèrent comme père par le sang le père légitime selon le droit civil (art. 252 ss CCS, ATFA 1953 p. 226), même s'il ne l'est pas effectivement. C'est dire en l'espèce que le décès de Walter Leuenberger, survenu le 4 mai 1972, a ouvert à Michel-Marcel Brielmann droit à une rente d'orphelin dès le 1er juin 1972. Il paraît en découler que le décès ultérieur du père nourricier ne peut donc ouvrir droit à une rente d'enfant recueilli.
Mais pareil résultat est si choquant qu'il ne saurait correspondre à l'intention du législateur, voire s'insérer dans le système légal. On pourrait l'éviter en l'espèce en considérant que, l'adoption prononcée le 31 octobre 1973 entraînant extinction ce jour même de la rente d'orphelin antérieurement acquise, comme il a été dit plus haut, l'enfant ne bénéficiait pas d'une
BGE 101 V 261 S. 265
rente d'orphelin au moment de l'ouverture du droit à la rente d'enfant recueilli le 1er novembre 1973 et que la rente éteinte ne s'opposait pas à cette ouverture. Une telle construction ne résoudrait cependant que les situations très exceptionnelles où l'adoption par le parent nourricier survivant intervient dans le mois même du décès de l'autre parent nourricier; elle n'offre aucun secours dans tous les cas - de loin les plus usuels - où l'adoption intervient plus tard.
Une solution plus généralement applicable consiste à recourir aux principes jurisprudentiels en matière de renonciation à faire valoir un droit. Dans le domaine de l'assurance-invalidité d'abord, puis dans celui de l'assurance-vieillesse et survivants ensuite, le Tribunal fédéral des assurances a constaté que, encore que le droit en découle directement de la loi, les prestations ne sont servies que sur demande; il a prononcé que la renonciation - expresse ou tacite - à faire valoir un droit ou le retrait d'une demande de prestations entraîne les mêmes conséquences que l'inexistence du droit aux prestations, lorsque l'assuré justifie d'un intérêt digne d'être protégé (voir p.ex. ATFA 1969 p. 211 et les arrêts cités; RCC 1971 p. 303). Rien ne s'oppose à l'application de ce principe à l'enfant recueilli qui, en raison du décès de son père par le sang par exemple, aurait en soi droit à une rente d'orphelin: s'il y a renonciation valable à faire valoir ce droit ou retrait licite d'une demande présentée, sans qu'il y ait par là violation des règles de la bonne foi, il faudra le considérer comme ne bénéficiant pas d'une telle rente, et il aura donc tous les droits de l'enfant recueilli en cas de décès des parents nourriciers. - Les termes de l'art. 49 al. 2 RAVS incitent même à appliquer ce principe à l'enfant recueilli tout particulièrement; car, au contraire d'autres dispositions, cet alinéa parle non pas de l'enfant qui "n'a pas droit" à une rente selon les
art. 25 à 28
LAVS, mais de l'enfant qui "ne bénéficie pas déjà d'une rente ordinaire" (texte allemand: "bezieht"), ce qui peut laisser entendre que le versement de la rente est en cours, et par conséquent que cette rente a été demandée.
En l'espèce, aucune demande de rente en faveur de Michel-Marcel Brielmann n'a été présentée lors de la mort de Walter Leuenberger; sans doute ce décès a-t-il alors été ignoré, mais tout permet d'admettre - vu les liens familiaux - que les parents nourriciers et le tuteur de l'enfant n'auraient pas
BGE 101 V 261 S. 266
demandé une telle rente s'ils avaient eu connaissance du décès. Sans doute aussi la rente a-t-elle été versée rétroactivement en mains d'Emma Brielmann; mais c'est l'administration qui en a pris l'initiative, et l'on peut tenir pour certain que la mère adoptive n'aurait pas requis rétroactivement cette rente si Michel-Marcel Brielmann avait été mis au bénéfice d'une rente d'enfant recueilli au décès de son mari. De l'acceptation du versement, intervenu postérieurement à la décision de refus du 8 mai 1974, on ne saurait donc conclure que l'intéressé a sciemment fait valoir un droit et que son intérêt à y renoncer ne serait pas digne de protection. En bref, il faut considérer que, en pareilles circonstances, Michel-Marcel Brielmann ne bénéficiait pas déjà d'une rente conformément aux
art. 25 à 28
LAVS au décès de son père nourricier et, par conséquent, que ce décès lui a ouvert droit à la rente d'enfant recueilli.
3.
La Cour de céans n'est pas saisie de la décision de la Caisse de compensation de l'industrie des liants et n'a donc pas à examiner les répercussions du présent arrêt sur cette décision. Il suffit de constater ici que, vu les considérants ci-dessus, cet acte administratif était sans nul doute erroné. Il appartiendra à l'administration d'en tirer les conséquences.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis dans ce sens que le jugement cantonal et la décision attaquée sont annulés, Michel-Marcel Brielmann ayant droit à une rente d'orphelin à partir du 1er novembre 1973 en sa qualité d'enfant recueilli de Marcel-Henri Brielmann, conformément aux considérants. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
74c7282c-ff35-4a54-b0cf-ae006d22a579 | Urteilskopf
120 III 42
16. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 24 février 1994 dans la cause Etat du Koweït (recours LP) | Regeste
Art. 17-19 SchKG
.
Legitimation eines Staates zur Beschwerde und zum Rekurs gegen den Arrestvollzug, der Vermögenswerte einer öffentlichrechtlichen und seiner Ministerien unterstellten Körperschaft erfasst (E. 3).
Art. 274 Abs. 2 Ziff. 1 und 67 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG; Bezeichnung des Schuldners und seines Vertreters im Arrestbefehl.
Der Arrestbefehl kann und soll sogar das Organ nennen, welches von Gesetzes wegen die öffentlichrechtliche Körperschaft vertritt (E. 4a).
Im vorliegenden Fall bestehen keine Zweifel hinsichtlich der Identität des Schuldners und bezüglich der mit Arrest zu belegenden Vermögenswerte (E. 4b u. c).
Art. 97 Abs. 2 und 275 SchKG
.
Werden durch einen Gläubiger zwei oder mehrere Arreste gegen denselben Schuldner und für dieselbe Forderung erwirkt, so liegt darin ein Rechtsmissbrauch, wenn dieses Vorgehen zur Blockierung von Vermögenswerten in einem Umfang führt, der erheblich über dem Betrag liegt, der für die Befriedigung der aus Kapital, Zinsen und Kosten zusammengesetzten Forderung nötig ist (E. 5a). In einem solchen Fall ist es angezeigt, einen Teil oder alle der zuletzt ergriffenen Massnahmen zu widerrufen (E. 5b), wobei massgebend der Zeitpunkt der gemäss
Art. 99 SchKG
erfolgten Anzeige ist (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 120 III 42 S. 43
A.-
a) Le 5 mai 1993, Sarrio SA, société de droit espagnol, a requis le Tribunal du district de Zurich d'ordonner le séquestre des avoirs de "The Kuwait Investment Authority et/ou The Kuwait Investment Office" auprès du Crédit Suisse, à Zurich.
Le lendemain 6 mai, elle a requis du Tribunal de première instance de Genève le séquestre des avoirs des prénommés auprès de deux établissements bancaires genevois, Lombard Odier & Cie et Swiss-Kuwaiti Bank.
Fondés sur l'
art. 271 al. 1 ch. 4 LP
, les deux séquestres étaient destinés à garantir la même créance, objet d'une action ouverte par Sarrio SA devant un tribunal espagnol.
b) A Genève, le Tribunal de première instance a ordonné le séquestre le 10 mai à l'encontre de "Kuwait Investment Authority, agissant par le truchement de son organe exécutif Kuwait Investment Office". L'Office des poursuites de Genève a exécuté l'ordonnance le 11 mai, en adressant un avis de séquestre aux deux établissements bancaires concernés. Le séquestre ayant entièrement porté auprès de Lombard Odier & Cie, l'office décida de lever la mesure de séquestre exécutée auprès de la Swiss-Kuwaiti Bank. Le procès-verbal de séquestre a été communiqué le 21 juillet à la poursuivie.
A Zurich, la requête a tout d'abord été rejetée le 6 mai, puis admise le 17 juin, sur recours, par le Tribunal cantonal (Obergericht) qui a ordonné le
BGE 120 III 42 S. 44
séquestre - moyennant le versement de sûretés - au préjudice de "The Kuwait Investment Authority (KIA)/The Kuwait Investment Office (KIO)". L'office des poursuites de l'arrondissement zurichois compétent a exécuté l'ordonnance le 18 juin, par l'envoi d'un avis au Crédit Suisse. La mesure a, là aussi, porté intégralement. Le procès-verbal de séquestre a été communiqué le 29 juin à la poursuivie.
B.-
L'Etat du Koweït, agissant par son Ministère des Finances, lui-même représenté par "The Kuwait Investment Office", a porté plainte auprès de l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève contre l'exécution du séquestre opéré dans ce canton. Outre des griefs de nature formelle, il a fait valoir une violation des
art. 97 et 275 LP
: la mesure litigieuse, combinée avec celle parallèle de Zurich, excédait notablement le montant nécessaire pour garantir la créance en jeu; Sarrio SA commettait un abus de droit en obtenant un second séquestre, alors qu'elle était déjà au bénéfice d'une mesure de blocage suffisante pour la satisfaire complètement; selon le plaignant, c'était le séquestre opéré à Genève qui devait être considéré comme ayant été exécuté en second lieu, puisque la communication du procès-verbal de séquestre au débiteur était décisive en ce domaine.
L'autorité cantonale de surveillance a rejeté la plainte.
C.-
L'Etat du Koweït a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral, en lui demandant d'annuler la décision de l'autorité cantonale de surveillance, de constater la nullité de l'exécution du séquestre opéré le 21 juillet 1993, subsidiairement d'annuler l'exécution de ce séquestre.
La Chambre des poursuites et des faillites a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La qualité pour porter plainte est reconnue à toute personne lésée ou exposée à l'être dans ses intérêts juridiquement protégés, ou tout au moins touchée dans ses intérêts de fait, par une mesure ou une omission d'un organe de la poursuite (P.-R. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 56 et la jurisprudence citée).
a) Il est établi que KIA, dont les avoirs font l'objet du séquestre litigieux, est une corporation publique constituée par une loi koweïtienne du 20 juin 1982 et qu'elle est dotée d'une personnalité juridique
BGE 120 III 42 S. 45
distincte, tout en étant dépendante du Ministère des Finances koweïtien. Conformément à ses statuts, le but de cette corporation est d'assurer, au nom et pour le compte du Gouvernement koweïtien, la gestion et l'investissement de différents fonds de l'Etat du Koweït.
Contrairement à ce que soutient l'intimée, l'autorité cantonale de surveillance a donc retenu à juste titre que l'Etat du Koweït avait qualité pour se plaindre de la mesure de séquestre litigieuse, dès lors qu'il revendiquait formellement les biens séquestrés (GILLIÉRON, loc.cit. et p. 385 let. F).
b) Pour le motif précité et du simple fait que sa plainte n'a pas été admise par l'autorité cantonale de surveillance, l'Etat du Koweït a qualité pour recourir au Tribunal fédéral (GILLIÉRON, op.cit., p. 57 et SUZETTE SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, Berne 1990, p. 726 ss).
4.
a) Le recourant fait valoir que le libellé de l'ordonnance de séquestre n'était pas conforme aux art. 274 al. 2 ch. 1 et 67 al. 1 ch. 2 LP, de sorte que l'office aurait dû refuser de l'exécuter. Selon lui, la mention "agissant par le truchement de son organe exécutif Kuwait Investment Office" ne pouvait signifier que ce dernier était le représentant légal de la débitrice au sens de l'
art. 67 al. 1 ch. 2 LP
.
Le représentant légal, selon cette disposition, doit être distingué du représentant simplement contractuel (mandataires, agents, membres du Conseil d'administration d'une société, fondés de pouvoirs et de procuration, etc.) et des organes prévus par la loi pour représenter les corporations de droit public et les personnes morales. Il ne peut s'agir que d'une personne appelée en vertu de la loi à agir en lieu et place d'un individu ne possédant pas l'exercice de ses droits civils, tels le tuteur ou le détenteur de l'autorité parentale (C. JÄGER, Commentaire de la LP, n. 2 ad 47 et n. 13 ad art. 67).
De façon générale, les débiteurs comme les créanciers sont libres d'agir en personne ou de se faire représenter par un mandataire. Les personnes juridiques et les entités juridiques sont, quant à elles, représentées par leurs organes légaux et statutaires (cf.
art. 65 LP
; GILLIÉRON, op.cit., p. 78 let. e). Le créancier doit d'ailleurs énoncer dans sa réquisition de poursuite (ou de séquestre) le nom du représentant autorisé de la personne juridique ou de la société poursuivie (
ATF 117 III 10
consid. 5b p. 13; GILLIÉRON, op.cit., p. 126). Le recourant soutient donc à tort qu'aucune mention autre que celle de représentant légal au sens (étroit) de l'
art. 67 al. 1 ch. 2 LP
ne serait admise dans l'ordonnance de séquestre.
BGE 120 III 42 S. 46
Il est constant, en l'espèce, que le KIO est un bureau de représentation du KIA en dehors de l'Etat du Koweït. Dépourvu de la personnalité juridique, il bénéficie d'une certaine autonomie, mais demeure soumis au contrôle du Conseil d'administration de KIA dont il fait partie intégrante. La désignation de la débitrice, telle qu'elle figure dans l'ordonnance, indique donc clairement la relation de représentation entre KIA et KIO. Le fait que ce dernier soit dépourvu de la personnalité juridique ne l'empêche nullement d'agir comme représentant: certains organes d'une collectivité publique (départements, offices, services ou sections) peuvent en effet, bien que n'ayant pas le caractère de personnes morales de droit public, agir - notamment en justice - au nom et pour le compte de la collectivité publique dont ils sont les agents (ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, vol. I p. 197 ch. 4).
b) Au dire du recourant, l'ordonnance de séquestre laissait planer un doute sur l'identité du débiteur en mentionnant que la créance était "dirigée contre Kuwait Investment Authority/Kuwait Invest- ment Office", ce qui devait entraîner la nullité de la mesure.
Une telle mention, comme l'a retenu à juste titre l'autorité cantonale de surveillance, ne pouvait prêter à confusion en l'espèce et, en particulier, donner à penser qu'on avait affaire à deux débiteurs solidaires. L'ordonnance n'indiquait qu'un seul débiteur: Kuwait Investment Authority, lequel agissait par l'intermédiaire de son organe exécutif, le KIO. Il n'y avait aucune équivoque.
c) L'autorité cantonale de surveillance a néanmoins admis une certaine ambiguïté dans la désignation des biens à séquestrer. Aux termes de l'ordonnance, en effet, devaient être séquestrés "tous titres, objets, avoirs (...), appartenant à Kuwait Investment Authority et/ou Kuwait Investment Office". Elle a considéré toutefois que la précision apportée dans l'ordonnance quant à la qualité effectivement revêtue par le KIO, simple organe de KIA, permettait d'admettre que la créancière entendait s'en prendre aux seuls biens de KIA, qu'ils fussent inscrits sous son propre nom, sous celui de KIO ou encore sous les deux, ce qui était compréhensible du fait que seul le KIO était apparu dans les rapports contractuels invoqués, les publications officielles et les médias. Au demeurant, on ne pouvait reconnaître au KIO, en vertu des règles de droit civil, une qualité de propriétaire juridiquement distinct de la poursuivie.
Ces conclusions apparaissent justifiées au regard de ce qui a été dit aux considérants 3a et 4a et b ci-dessus. Il s'ensuit que l'autorité cantonale de surveillance a retenu à bon droit que l'office, à défaut d'irrégularité
BGE 120 III 42 S. 47
formelle ou de vice entraînant la nullité (
ATF 109 III 120
consid. 6 p. 126,
ATF 107 III 33
consid. 4 p. 37 s.), devait obtempérer à l'ordonnance de séquestre litigieuse.
5.
Il est constant en l'espèce que la créancière a obtenu, dans deux arrondissements distincts, deux séquestres en garantie d'une seule et même créance, et que les deux séquestres ont intégralement porté, faisant ainsi double emploi.
a) Il est certes admis que le même créancier puisse obtenir contre le même débiteur, pour la même créance, plusieurs séquestres en des lieux différents (
ATF 88 III 59
consid. 4 p. 66; GILLIÉRON, op.cit., p. 375 ch. 2). Un tel procédé ne doit toutefois pas constituer un abus de droit manifeste. En matière de séquestre, un tel abus existe lorsque la mesure, bien que conforme aux dispositions légales, a été obtenue à des fins ou dans des conditions qui font apparaître l'attitude du créancier requérant comme absolument incompatible avec les règles de la bonne foi (
ATF 107 III 33
consid. 4 p. 38,
ATF 105 III 18
s.). Tel est le cas de séquestres qui, requis dans différents arrondissements, permettent d'obtenir le blocage d'avoirs pour un montant notablement supérieur à celui nécessaire à satisfaire le créancier séquestrant en capital, intérêts et frais, contrairement à la règle posée à l'
art. 97 al. 2 LP
, applicable par renvoi de l'art. 275 de la même loi.
Pareille façon de procéder ne saurait se justifier, comme l'a retenu avec raison l'autorité cantonale, par le souci de se prémunir contre l'éventuelle intervention de créanciers subséquents qui chercheraient à se désintéresser sur les mêmes actifs (
art. 281 al. 1 LP
), vu le texte clair de l'
art. 97 al. 2 LP
.
De même, il n'est pas décisif, dans ce contexte, que le débiteur puisse recouvrer la libre disposition de ses avoirs en fournissant des sûretés conformément à l'
art. 277 LP
.
Enfin, le fait que le créancier réponde, en vertu de l'
art. 273 al. 1 LP
, du dommage que le séquestre peut occasionner n'entre pas davantage en ligne de compte. L'action prévue par cette disposition n'est donnée, en effet, que si le séquestre est injustifié, c'est-à-dire ordonné sans qu'il y ait un cas de séquestre ou fondé sur une créance garantie et couverte par un gage, inexistante ou non exigible (GILLIÉRON, op.cit., p. 393 ch. VII), hypothèses non réalisées en l'espèce.
b) La question de savoir si le cumul de deux ou plusieurs séquestres consacre l'abus manifeste d'un droit ne peut être tranchée qu'a posteriori, c'est-à-dire une fois que les mesures ont été exécutées et que l'on sait si
BGE 120 III 42 S. 48
et dans quelle mesure les séquestres ont porté. Si le caractère abusif d'un tel cumul est alors établi, il convient d'annuler, ou de réduire au strict nécessaire selon l'
art. 97 al. 2 LP
, les mesures dont l'exécution est la plus récente. La date d'exécution des séquestres est donc déterminante.
6.
Deux dates entrent en ligne de compte pour savoir lequel des deux séquestres a été exécuté en second lieu.
Pour le recourant, la date déterminante est celle de la notification du procès-verbal au débiteur (29 juin à Zurich et 21 juillet à Genève) et c'est donc l'exécution du séquestre genevois qui devrait être annulée; pour l'autorité cantonale, la date déterminante est celle de l'autorisation du séquestre (10 mai à Genève et 17 juin à Zurich), de sorte que c'est l'exécution du séquestre de Zurich qui devrait être annulée.
a) Le séquestre est exécuté, en ce qui concerne le débiteur, lorsque le préposé, fonctionnaire ou employé chargé de l'exécution lui ont fait savoir qu'il lui est interdit, sous les peines de droit (
art. 169 CP
), de disposer des biens séquestrés sans l'autorisation du préposé; cette communication est opérée lors de la notification du procès-verbal de séquestre au débiteur (GILLIÉRON, op.cit., p. 382). Pour le tiers, en revanche, c'est l'avis de l'
art. 99 LP
qui constitue l'acte d'exécution du séquestre (JÄGER, op.cit., n. 1B ad art. 275). Cet avis n'est certes pas une condition de validité du séquestre; simple mesure de sûreté, il a néanmoins pour effet d'informer le tiers qu'il ne peut plus désormais s'acquitter qu'en mains de l'office; le tiers doit l'observer sous peine d'engager sa responsabilité civile envers le créancier séquestrant (
ATF 103 III 36
consid. 3 p. 39,
ATF 101 III 65
consid. 6 p. 67).
b) Le jugement attaqué relève que c'est généralement par l'intermédiaire du tiers que le débiteur est avisé de la mesure exécutée à son encontre, ce qui est particulièrement vrai en matière de séquestre d'avoirs bancaires; dans une telle hypothèse, le débiteur désireux de sauvegarder ses intérêts par les voies de droit à sa disposition est généralement à même d'influencer la date de communication du procès-verbal de séquestre, dès lors qu'il peut élire domicile auprès d'un mandataire professionnel de l'arrondissement compétent aux fins de faire accélérer la notification de cet acte. D'une manière plus générale, le temps qui s'écoule jusqu'à la notification de l'acte dépend du mode de communication qui est utilisé et du pays dans lequel le débiteur est domicilié. Ainsi, la date de notification du procès-verbal de séquestre au débiteur est aléatoire.
BGE 120 III 42 S. 49
C'est en revanche le créancier seul qui choisit le moment où il entend requérir un ou plusieurs séquestres à l'encontre du débiteur; si elle estime la requête fondée, l'autorité compétente doit ordonner la mesure immédiatement et il incombe à l'office d'entreprendre son exécution aussitôt (
art. 56 LP
;
ATF 107 III 33
consid. 5 p. 39). La délivrance de l'ordonnance de séquestre et le début de son exécution par l'office interviennent ainsi presque simultanément.
c) La Chambre de céans peut se rallier au point de vue soutenu par l'autorité cantonale de surveillance, dont les motifs sont pertinents. Toutefois, pour prévenir d'éventuelles difficultés résultant de la "quasi-simultanéité" de l'autorisation et de l'exécution proprement dite, il y a lieu de retenir comme date décisive celle de la communication de l'avis de l'
art. 99 LP
au tiers.
Cela étant, le second séquestre exécuté au sens de ce qui précède est celui opéré à Zurich dès le 18 juin et il appartient aux autorités compétentes de ce canton de lever cette mesure, s'il est établi qu'elle consacre l'abus manifeste d'un droit. | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
74cbe23e-8e9a-4010-b085-5326f7e54c1a | Urteilskopf
113 Ib 236
39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. Juni 1987 i.S. X AG und Y AG gegen Y AG, X AG und Z AG sowie Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 8 GSchG
.
- Verursacht eine unsachgemäss installierte Entwässerungspumpe eine Gewässerverschmutzung, so kann der Tankreviseur, welcher aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nicht verpflichtet war, diese Anlage zu kontrollieren, nicht als Störer im Sinne des Gesetzes bezeichnet werden (E. 4b/aa).
- Ein Amt, das aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nicht verpflichtet war, die technischen Anlagen, welche die Gewässerverunreinigung verursacht haben, zu überprüfen, kann ebenfalls nicht als Störer im Sinne des Gesetzes betrachtet werden (E. 4b/bb). | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 113 Ib 236 S. 237
An einem Wochenende im Jahre 1983 erlitt eine erst kurz vorher von einem Monteur der X AG reparierte Pumpe im Heizungskeller der Y AG einen Defekt, worauf grosse Mengen Heizöl in den Keller ausflossen. Über eine sich automatisch einschaltende Entwässerungspumpe gelangte das Öl in die Meteorwasserkanalisation und von dort über einen Bach in die Limmat. Die Verschmutzung dieses Flusses wurde am Sonntagmorgen entdeckt. Bis der Verursacher und die Leckstelle gefunden werden konnten, flossen gegen 4000 l Heizöl in den Bach und die Limmat, was erhebliche Verschmutzungen dieser Gewässer und ihrer Ufer zur Folge hatte. Die dem Kanton Zürich für die notwendig gewordenen Schutz- und Sanierungsmassnahmen entstandenen Kosten belaufen sich auf ca. Fr. 677'000.--.
Mit Verfügung vom 10. Januar 1986 auferlegte die Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich die Kosten der antizipierten Ersatzvornahme zu 60% der X AG und zu 40% der Y AG. Beide Adressaten fochten diese Verfügung beim Regierungsrat des Kantons Zürich an, welcher beide Rekurse mit Entscheid vom 1. Oktober 1986 abwies.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
b) Der Regierungsrat kommt in der angefochtenen Verfügung wie bereits die Direktion der öffentlichen Bauten zum Schluss, als Verursacher des Ölunfalles kämen nur die Y AG und die X AG in Frage. Demgemäss verteilte er die Kosten der antizipierten Ersatzvornahme auch nur auf diese beiden Firmen. Dieses Vorgehen rügt die Y AG in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Nach ihrer Auffassung müssen ausserdem die Gemeinde S. als Aufsichtsbehörde bezüglich der Bauten und der Kanalisation, der
BGE 113 Ib 236 S. 238
Kanton Zürich als Aufsichtsbehörde über die Tankanlagen sowie die Tankrevisionsfirmen als Kontrollbeauftragte mit in die Verantwortung einbezogen werden. Diese Mitverursacher seien zu Unrecht nicht in die Kostentragungspflicht einbezogen worden. Wäre dies geschehen, so hätte sie selbst höchstens 20%, eventuell überhaupt keine Kosten zu übernehmen. Das Bauamt der Gemeinde S., das Gewässerschutzamt des Kantons Zürich und eventuell mehrere Tankreviseure hätten als Genehmigungs- und Kontrollinstanzen seit langem bestehende Vorschriftswidrigkeiten der Tankanlage übersehen und toleriert. Sie hätten die Bedingungen einer möglichen Gewässerverschmutzung bestehen lassen und seien daher an der Verursachung der in der Folge tatsächlich eingetretenen Gewässerverunreinigung als Verhaltensstörer mitverantwortlich. Die Y AG habe, nachdem sie alles gemacht habe, was die Aufsichtsbehörden verlangt hätten, der Überzeugung sein dürfen, über eine in jeder Hinsicht vorschriftsgemässe Tankanlage zu verfügen. Sie komme deshalb nur als (schuldlose) Zustandsstörerin in Betracht. Falls die genannten weiteren Mitverursacher nicht in die Kostentragungspflicht einbezogen würden, hält die Y AG dafür, dass die X AG, deren Verhaltensstörung als Ursache im Vordergrund stehe, weit höher als zu 60% zur Kostentragung herangezogen werden müsse.
aa) Zur Verantwortung der Tankreviseure
Nach Auffassung der Y AG hätten die Reviseure die Anlagen bezüglich ihrer Vereinbarkeit mit den Technischen Tankvorschriften vom 27. Dezember 1967 (TTV, SR 814.226.211) inspizieren und die diesen Vorschriften nicht entsprechenden Tatsachen der zuständigen Behörde melden müssen. Nach
Art. 1 der Verordnung über den Schutz der Gewässer vor wassergefährdenden Flüssigkeiten vom 28. September 1981 (VWF, SR 814.226.21)
gilt dieser Erlass unter anderem auch für Anlagen für das Lagern wassergefährdender Flüssigkeiten (lit. a) sowie für Umschlagplätze für wassergefährdende Flüssigkeiten (lit. b). Der Geltungsbereich erstreckt sich somit nicht auf den Brenner und die im Brenner eingebauten Förderpumpen. Die Ausrüstung des Tankreviseurs wäre hiefür nach Auffassung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) auch gar nicht geeignet (vgl. dazu Art. 47 lit. c VWF). Die genannte Verordnung, deren Art. 12 Abs. 1 die Grundlage für die TTV bildet, gilt auch nicht für Abwasseranlagen
BGE 113 Ib 236 S. 239
(Art. 1 Abs. 2 lit. h VWF). Der Reviseur hat nach den Darlegungen des EDI im Revisionsrapport zwar den Bodenablauf im Heizraum zu vermerken, weitere diesbezügliche Aufgaben kommen ihm aber nicht zu. Die automatische Lenzpumpe, welche den Unfall mitverursacht hat, befand sich aber nicht im Heizkeller, sondern im von diesem durch eine 15 cm hohe Schwelle abgetrennten Energiekanal. Diese Pumpe liegt, wie die Y AG selbst ausführt, "weit von der schadhaft gewordenen Pumpe entfernt und hat überhaupt keinerlei technische oder funktionelle Beziehung zur Ölzuleitung vom Aussenlager zum Heizkessel (Distanz 26 m)". Sie liegt somit klar ausserhalb des Verantwortungsbereichs des Tankreviseurs.
Die Y AG bezeichnet als Tankreviseur nur die Z AG. Weitere Revisionsfirmen sind nicht bekannt, und es finden sich in den Akten auch keine Anhaltspunkte darüber. Die Z AG hat am 25./26. Mai 1981 und am 20./21. Juli 1981 Revisionsarbeiten für die Y AG durchgeführt. Damals galt noch die VWF vom 19. Juni 1972 (AS 1972, 986 ff.). Die VWF vom 28. September 1981 trat erst am 1. November 1981 in Kraft. Kanalisationen und Sickerwasserlenzpumpen gehörten auch nach der VWF 1972 nicht zu den von dieser und den TTV geregelten Anlagen (vgl. Art. 1 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 lit. a VWF 1972).
bb) Zur Verantwortung der Gewässerschutzbehörde
Nicht viel anders liegen die Dinge in bezug auf das Amt für Gewässerschutz und Wasserbau des Kantons Zürich. Dieses Amt hat am 1. November 1982 bestätigt, dass die Stehtankanlage bezüglich Leckerkennung bei den Tanks, Dichte der Auffangbassins, Füllsicherungssystem und Umschlagplatz aufgrund der ausgeführten Sanierungsarbeiten und der entsprechenden Detailprüfungen in allen Belangen den Gewässerschutzvorschriften entspricht. Gleichzeitig hat es den Revisionsturnus von 5 auf 10 Jahre erhöht. Diese Amtshandlung ist nicht zu beanstanden, ist doch an der Tankanlage auch heute noch nichts auszusetzen. Die genannte Bestätigung erfolgte im Zusammenhang mit der Anpassung einer Altanlage nach Art. 57 VWF. Sie bezog sich deshalb nur auf die Vorschriften der VWF und der TTV, welche nicht verletzt worden sind. Die in Art. 13 f. Gewässerschutzgesetz (GSchG) genannten Pflichten treffen bezogen auf den vorliegenden Fall in erster Linie den Monteur der X AG sowie den Eigentümer der Einrichtungen und Anlagen, welche eine Gewässerverunreinigung bewirken können.
BGE 113 Ib 236 S. 240
Die Kontrollmassnahmen gemäss
Art. 6 GSchG
können zwar in gewissen Fällen zur Entlastung der Zustandsstörer beitragen, aber dies ist nicht ihr Zweck, wie es die Y AG anzunehmen scheint. Neben der X AG hat vor allem sie durch die unsachgemäss installierte Lenzpumpe (automatische Einschaltung und Anbringung der Warnautomatik am falschen Ort) den Ölunfall verursacht. Diese Wasserpumpe stellt, wie vorn festgestellt (E. 4b/aa), keine durch die VWF 1981 und die TTV geregelte Anlage dar. Gleich verhält es sich mit dem Meteorwasserkanal. Das Amt für Gewässerschutz und Wasserbau war demnach grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Abwasseranlagen bei der Abnahme der sanierten Tankanlage und der zugehörigen Rohrleitungen zu überprüfen. Die unsachgemäss angebrachte Pumpen- und Warnautomatik bewirkten aber letztlich, ausgelöst durch das wegen des Montagefehlers an der Ölpumpe ausgeflossene Öl, die Gewässerverunreinigung. Die Kontrollpflicht des Amtes für Gewässerschutz und Wasserbau steht damit in keinem Zusammenhang.
cc) Verantwortung des Bauamtes der Gemeinde S.
Die Baukommission der Gemeinde S. bewilligte am 12. November 1968 eine Abwasserleitung samt Pumpe im Energiekanal des Kesselhauses. Diese Bewilligung beruhte aber auf der Annahme, das durch die Pumpe geförderte Wasser werde über die damals bestehende Mischwasserkanalisation abgeleitet. Wäre diese Pumpe 1983 immer noch an eine solche Mischwasser- und nicht an eine Meteorwasserleitung angeschlossen gewesen, so hätte keine Gewässerverschmutzung erfolgen können. Die Umhängung der Entwässerungspumpe an die Reinwasserleitung erfolgte 1973. Darüber gibt es allerdings keine Unterlagen. Jedenfalls besteht keine Bewilligung zum Anschluss an die Meteorwasserleitung, wie dies Art. 13 der Verordnung über die Wasseranlagen der Gemeinde vom 30. Juni 1967 vorschreibt. Zudem wäre, wie der Regierungsrat zutreffend ausführt, für diese Art der Entsorgung gemäss
Art. 18 Abs. 1 GSchG
eine Bewilligung des Kantons erforderlich gewesen. Auch eine solche wurde nicht eingeholt. Ebenso fehlt eine Bewilligung für die Pumpe zur automatischen Entwässerung des Energiekanals. Bei dieser Pumpe wurde zudem der Alarmfühler so angebracht, dass ein Alarm erst ausgelöst worden wäre, wenn die Anlage völlig in der Flüssigkeit untergetaucht wäre. Diese automatische Pumpe muss mit dem so montierten Alarmfühler und der
BGE 113 Ib 236 S. 241
direkten Ableitung in den Bach im Blick auf das hohe Gefährdungspotential des mit dem Heizraum verbundenen Energiekanals als Werkmangel betrachtet werden.
Die Y AG erklärt, es sei unglaubwürdig, dass sie die umfangreiche und aufwendige Umstellung der Entwässerung des Energiekanals vom Misch- zum Trennsystem, die ihr zudem keinen Vorteil gebracht habe, unaufgefordert und ohne detaillierte Genehmigung von sich aus unternommen habe. Ebenso unglaubwürdig sei, dass das Bauamt, welches diese Umstellung in der ganzen Gemeinde veranlasst habe, sie, die Y AG, vergessen habe. Sie müsse von der Gemeinde aufgefordert worden sein, die nötigen Anpassungsmassnahmen vorzuschlagen und durchzuführen. Dies ist indessen nicht bewiesen. Die Akten liefern keinerlei Anhaltspunkte dafür. Aber selbst wenn die Gemeinde eine solche Aufforderung an die Y AG gerichtet hätte, was wahrscheinlich ist, so kann nicht angenommen werden, dass sie die Entwässerung in den Meteorwasserkanal mit automatischer Pumpe und unsachgemäss angebrachtem Warnsystem verlangt und bewilligt hatte. Die Hauptursache des Ölunfalles, soweit ihn die Y AG zu verantworten hat, liegt aber gerade in dieser Pumpen- und Alarmautomatik begründet. Der Regierungsrat hat somit zu Recht verneint, dass das Bauamt der Gemeinde S. eine Mitverantwortung am Ölunfall trägt.
dd) Diese Erörterungen führen zum Ergebnis, dass der Regierungsrat in zutreffender Weise nur die X AG sowie die Y AG als Störerinnen zur Tragung der Kosten der antizipierten Ersatzvornahme herangezogen hat. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
74d8af41-92e6-4711-9da7-9649cd7c978e | Urteilskopf
134 II 108
9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_699/2007 vom 30. April 2008 | Regeste
Art. 12 lit. a und c BGFA
; Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte; Doppelvertretungsverbot; Motorfahrzeughaftpflichtversicherung.
Umschreibung der disziplinwidrigen anwaltlichen Doppelvertretung (E. 3). Besteht bloss die abstrakte Möglichkeit eines Interessenkonflikts zwischen Versicherer und Versichertem, so verstösst der Rechtsanwalt, der beide Parteien in einem Prozess gegen einen Dritten vertritt, nicht gegen das Doppelvertretungsverbot (E. 4). Kein unzulässiges Prozessieren gegen die eigene Klientschaft, wenn sich zwei Versicherungsgesellschaften, für welche beide der Rechtsanwalt tätig ist, im gleichen Verfahren gemeinsam in der Beklagtenrolle finden (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 134 II 108 S. 109
Am 25. September 2006 reichte Y., welcher im Herbst 2001 bei einem Verkehrsunfall auf der Nationalstrasse A14 die Sicherheitsgurte nicht getragen hatte und verletzt worden war, Schadenersatzklage beim Kantonsgericht Zug ein. Zum einen fasste er den Lenker, mit dem er als Passagier mitgefahren war, und die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft (als Motorfahrzeughaftpflichtversicherung der Halterin des betreffenden Fahrzeugs) ins Recht. Zum anderen belangte er Z., der als Lenker eines Drittfahrzeugs den Unfall - in angetrunkenem Zustand am Steuer einschlafend - ausgelöst hatte, und die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft (als dessen Motorfahrzeughaftpflichtversicherung). Anwaltlich vertreten war Y. dabei durch Rechtsanwalt Dr. A., während Z. und die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft (heute: AXA Versicherungen AG) Rechtsanwalt Prof. Dr. X. mit der Wahrung ihrer Interessen betraut hatten.
Am 23. Januar 2007 gelangte Rechtsanwalt A. an die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zug und erstattete Anzeige gegen Rechtsanwalt X. wegen unzulässiger Doppelvertretung. Im daraufhin eröffneten Disziplinarverfahren kam die Aufsichtskommission zum Schluss, Rechtsanwalt X. habe gegen
Art. 12 lit. c BGFA
verstossen, und erteilte ihm einen Verweis (Beschluss vom 13. November 2007).
Das Bundesgericht heisst die von Rechtsanwalt X. hiergegen eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
In materieller Hinsicht geht es um die Frage, ob der Beschwerdeführer gegen die Berufspflicht von
Art. 12 lit. c des Bundesgesetzes
BGE 134 II 108 S. 110
vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61)
verstossen hat. Gemäss dieser Bestimmung haben die Rechtsanwälte "jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen", zu vermeiden. Die entsprechende Treuepflicht gegenüber dem Klienten ist umfassender Natur und erstreckt sich auf alle Aspekte des Mandatsverhältnisses (vgl. Urteil 2P.318/ 2006 vom 27. Juli 2007, E. 11.1). Sie steht im Zusammenhang mit der Generalklausel von
Art. 12 lit. a BGFA
, gemäss welcher die Rechtsanwälte "ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben" haben, wie auch mit
Art. 12 lit. b BGFA
, der sie zur Unabhängigkeit verpflichtet (vgl.
BGE 130 II 87
E. 4.2 S. 95). Aus dieser umfassenden Treue- und Unabhängigkeitspflicht ergibt sich insbesondere auch ein Verbot von Doppelvertretungen: Der Anwalt darf nicht in ein und derselben Streitsache Parteien mit gegenläufigen Interessen vertreten, weil er sich diesfalls weder für den einen noch für den anderen Klienten voll einsetzen könnte. Eine unzulässige Doppelvertretung muss nicht zwingend das gleiche formelle Verfahren oder allfällige mit diesem direkt zusammenhängende Nebenverfahren betreffen. Besteht zwischen zwei Verfahren ein Sachzusammenhang, so verstösst der Rechtsanwalt dann gegen
Art. 12 lit. c BGFA
, wenn er in diesen Klienten vertritt, deren Interessen nicht gleichgerichtet sind. Dabei ist grundsätzlich unerheblich, ob das erste, den gleichen Sachzusammenhang betreffende Verfahren bereits beendet oder noch hängig ist, zumal die anwaltliche Treuepflicht in zeitlicher Hinsicht unbeschränkt ist (vgl. MARTIN STERCHI, Kommentar zum bernischen Fürsprechergesetz, Bern 1992, N. 5b zu Art. 13; vgl. auch ANDREAS BAUMANN, Interessenkonflikte des Rechtsanwaltes, in: Aargauischer Anwaltsverband [Hrsg.], Festschrift 100 Jahre Aargauischer Anwaltsverband, Zürich 2005, S. 442; FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Diss. Bern 1986, S. 142). Gestützt auf
Art. 12 lit. c BGFA
ist es dem Anwalt weiter grundsätzlich untersagt, gerichtlich gegen einen Klienten vorzugehen, für den er zur gleichen Zeit ein anderes (hängiges) Mandat führt (vgl. GIOVANNI ANDREA TESTA, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Diss. Zürich 2000, S. 103 und 107). In persönlicher Hinsicht ist das Verbot von Doppelvertretungen nicht auf Verfahren begrenzt, zwischen denen ein Sachzusammenhang besteht, sondern erfasst überhaupt jede Form von sich widersprechenden Interessen (vgl. WALTER FELLMANN, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.],
BGE 134 II 108 S. 111
Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich/Basel/Genf 2005, N. 103 zu
Art. 12 BGFA
).
4.
4.1
Gemäss dem angefochtenen Beschluss hat sich der Beschwerdeführer zunächst insoweit eine disziplinwidrige Doppelvertretung zuschulden kommen lassen, als er im Haftpflichtprozess vor dem Kantonsgericht Zug zugleich die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft wie auch deren Versicherten vertreten hat. Obschon sich die Interessenlage des Motorfahrzeughaftpflichtversicherers regelmässig gleich präsentiere wie jene von dessen Versicherten, seien Interessenkollisionen möglich. Der Versicherer könne allenfalls den Schaden gegen den Willen des Versicherten übernehmen wollen oder umgekehrt seine Ersatzpflicht verneinen, obschon der Versicherte auf eine Befriedigung des Geschädigten dränge. Weiter sei nicht auszuschliessen, dass der Versicherer zu einem späteren Zeitpunkt Rückgriff auf den Versicherten nehmen wolle und dieser alsdann das Gefühl habe, im Erstprozess nur ungenügend vertreten worden zu sein. Ferner sei denkbar, dass der Versicherer durch den gemeinsamen Rechtsanwalt zu Informationen über den Versicherten komme, welche er nicht hätte erhalten können, wenn die Interessen des Versicherten von dessen eigenem Rechtsanwalt wahrgenommen würden. Gestützt auf diese Überlegungen kam die Aufsichtskommission zum Schluss, die gleichzeitige Vertretung von Z. und der Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft verstosse gegen
Art. 12 lit. c BGFA
.
4.2
Die grundsätzlichen Bedenken, welche die Aufsichtskommission einer gleichzeitigen Vertretung von Motorfahrzeughaftpflichtversicherer und Fahrzeuglenker durch denselben Rechtsanwalt entgegenbringt, erscheinen zwar nicht völlig unbegründet, vermögen jedoch keine Verletzung von
Art. 12 lit. c BGFA
darzutun:
4.2.1
Unbestrittenermassen sind die Interessen von Versicherer und Versichertem in der Regel deckungsgleich und lassen sich daher gewöhnlich gleichzeitig von ein und demselben Rechtsanwalt wahrnehmen. Allerdings ist eine gleichzeitige Vertretung von Versicherer und Versichertem durch einen einzigen Rechtsanwalt mangels gleichgerichteter Interessen dann ausgeschlossen, wenn Differenzen zwischen den Parteien des Versicherungsvertrags bestehen - sei es, weil der Deckungsumfang der Versicherung streitig ist, der Versicherer dem Versicherten eine Verletzung seiner Anzeigepflicht vorwirft (vgl.
BGE 134 II 108 S. 112
Art. 4 ff. des Bundesgesetzes vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag [VVG; SR 221.229.1]), die Versicherungsprämien (trotz Mahnung) nicht bezahlt worden sind (
Art. 20 VVG
) oder allenfalls das Vorliegen eines Kürzungsgrunds (etwa ein Selbstverschulden) in Frage steht (vgl. zum Ganzen HANS BÄTTIG/CHRISTOPH GRABER/ANTON SCHNYDER, in: Münch/Geiser [Hrsg.], Schaden - Haftung - Versicherung, Basel 1999, Rz. 8.43 ff.). Ist ein derartiger Konflikt bereits bei der ersten Kontaktnahme mit dem Rechtsanwalt absehbar, so darf dieser nur entweder die Versicherung oder den Versicherten als Klienten akzeptieren. Treten die Differenzen erst nach der Mandatierung des Rechtsanwalts zutage, so hat dieser beide Mandate niederzulegen (vgl. Verein Zürcherischer Rechtsanwälte [Hrsg.], Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, Zürich 1988, S. 133; TESTA, a.a.O., S. 109 f.) und darf künftig in Fragen, welche mit dem betreffenden Versicherungsfall in einem Sachzusammenhang stehen, weder die Versicherung noch den Versicherten vertreten. Das entsprechende Vertretungsverbot gilt ohne weiteres auch für allfällige Prozesse gegen Dritte, selbst wenn Versicherer und Versicherter in diesen den gleichen Rechtsstandpunkt einnehmen sollten.
4.2.2
An gleichgerichteten Interessen, welche die Vertretung beider Vertragspartner erlauben, fehlt es beispielsweise auch dann, wenn Versicherer und Versicherter unterschiedliche Ansichten über die Ersatzpflicht bzw. die Befriedigung des Geschädigten haben; der Vorinstanz ist insoweit Recht zu geben, als in solchen Fällen die gleichzeitige Vertretung von Versicherer und Versichertem ausgeschlossen ist. Die Aufsichtskommission verkennt jedoch, dass die blosse abstrakte Möglichkeit des Auftretens von Differenzen zwischen den Vertragsparteien nicht ausreicht, um auf eine unzulässige Doppelvertretung zu schliessen (so auch: HANS NATER, Interessenkonflikte: Theoretisches Konfliktsrisiko genügt nicht, in: SJZ 104/ 2008 S. 172, mit Hinweis auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich). Ansonsten wäre es einem Rechtsanwalt überhaupt nie möglich, zwei Personen zugleich zu vertreten, da immer denkbar ist, dass es zwischen diesen auf die eine oder die andere Art zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Streitgegenstands kommt.
4.2.3
Weiter übersieht die Aufsichtskommission, dass sich der Rechtsanwalt, der in der gleichen Angelegenheit zwei Mandanten vertritt, stets bewusst sein muss, dass deren Interessen zwar im Moment gleichgerichtet sein mögen, es zwischen ihnen künftig aber
BGE 134 II 108 S. 113
jederzeit zu Unstimmigkeiten mit gegensätzlichen Standpunkten kommen kann. Er hat deshalb alles zu unterlassen, was in einem allfälligen späteren Konflikt die Stellung eines Mandanten zum Vorteil des anderen schwächen könnte. Mit der Aufsichtskommission ist diesbezüglich festzuhalten, dass der Rechtsanwalt sensible Informationen, die einer der Klienten nur ihm anvertraut hat und die in der Folge nicht in den Prozess eingebracht und damit allen Beteiligten bekannt wurden, nicht unnötig dem anderen Klienten zur Kenntnis bringen darf. Eine entsprechende Verhaltensregel ergibt sich ohne weiteres aus der allgemeinen Verpflichtung des Rechtsanwalts zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung, so dass ihre Missachtung disziplinarisch als Verstoss gegen
Art. 12 lit. a BGFA
geahndet werden kann. Deshalb ist nicht angezeigt, allein wegen der theoretischen Möglichkeit solcher Berufspflichtverletzungen die gleichzeitige Wahrung der Interessen von Versicherer und Versichertem generell als unzulässige Doppelvertretung zu qualifizieren. Die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen der Klienten wegen der gleichzeitigen Vertretung mehrerer Personen erscheint im Haftpflichtrecht jedenfalls geringer als etwa bei der Vertretung von mehreren Mittätern im Strafprozess; in der Literatur wird einzig in diesem Bereich ein generelles Verbot von Doppelvertretung erwogen (weil das Mass des Verschuldens des einen Täters regelmässig von jenem des anderen abhängt; vgl. WOLFFERS, a.a.O., S. 142; BAUMANN, a.a.O., S. 445; TESTA, a.a.O., S. 111 ff.; differenziert: FELLMANN, a.a.O., N. 107 zu
Art. 12 BGFA
; offenbar gegen ein generelles Verbot: Verein Zürcherischer Rechtsanwälte, a.a.O., S. 132 f.).
4.2.4
Gegen die von der Aufsichtskommission vertretene extensive Auslegung von
Art. 12 lit. c BGFA
sprechen schliesslich Gründe der Prozessökonomie, der Wirtschaftlichkeit und der Waffengleichheit: Der Rechtsanwalt wird für seine Aufwendungen im Zusammenhang mit Streitigkeiten aus dem Bereich der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung regelmässig von der Versicherungsgesellschaft entschädigt. Der Versicherungsnehmer kommt so kostenlos in den Genuss einer rechtskundigen Vertretung. Wird es den Rechtsanwälten untersagt, in Haftpflichtprozessen gleichzeitig Versicherer und Versicherte zu vertreten, so haben Letztere künftig entweder als Laien ohne Rechtsbeistand selber zu prozessieren oder aber einen eigenen Anwalt zu mandatieren, der alsdann allein ihre Interessen vertritt. Wird ein weiterer Anwalt in den Prozess involviert, so führt dies zu Mehraufwand, ohne dass eine bessere Interessenvertretung
BGE 134 II 108 S. 114
garantiert ist. Zudem können die Aufwendungen für die Entschädigung des eigenen Vertreters des Versicherungsnehmers bei diesem zu einer beträchtlichen finanziellen Belastung führen.
4.3
Die Aufsichtskommission hat in Bezug auf den Haftpflichtprozess vor dem Kantonsgericht Zug keinen konkreten Interessenkonflikt zwischen der Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft und Z. festgestellt. Sie wirft dem Beschwerdeführer auch kein eigentliches Fehlverhalten bei der Vertretung seiner Mandanten vor. Vielmehr erachtet sie die gleichzeitige Vertretung von Versicherung und Versicherungsnehmer per se als unzulässig, was nach dem Gesagten auf einer unrichtigen Auslegung von
Art. 12 lit. c BGFA
beruht. Der Beschwerdeführer hat sich insoweit keine Verletzung der Berufspflichten zuschulden kommen lassen.
Dass die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft, falls der Klage von Y. stattgegeben und sie (zumindest teilweise) ersatzpflichtig erklärt würde, dannzumal allenfalls erwägen könnte, auf Z. wegen grobfahrlässigen Verhaltens Regress zu nehmen, ändert nichts. Es versteht sich von selbst, dass der Beschwerdeführer in einem allfälligen Regressverfahren weder die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft noch Z. vertreten dürfte. Mit Blick auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens, in dem sich die beiden gegenwärtigen Mandanten des Beschwerdeführers als Prozessgegner gegenüberstehen würden, reicht die Generalklausel von
Art. 12 lit. a BGFA
zur Wahrung der Interessen der Klientschaft aus; der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Verpflichtung zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung bereits heute gehalten, alles zu unterlassen, was den Ausgang eines allfälligen späteren Regressverfahrens beeinflussen könnte (vgl. E. 4.2.3).
5.
5.1
Den zweiten Fall einer disziplinwidrigen Doppelvertretung sieht die Aufsichtskommission darin, dass der Beschwerdeführer, der im Haftpflichtprozess vor dem Kantonsgericht Zug u.a. die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft vertritt, in einem anderen rechtshängigen Gerichtsverfahren die Interessen der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft wahrnehme. Zwar würden die beiden von Y. belangten Motorfahrzeughaftpflichtversicherer ihre Haftung im fraglichen Prozess je mit dem Hinweis auf das grobe Selbstverschulden von Y. bestreiten. Auch wenn sie insoweit keine gegensätzlichen Positionen verträten, nähmen sie hinsichtlich einer
BGE 134 II 108 S. 115
allfälligen Verantwortlichkeit der Lenker der bei ihnen versicherten Fahrzeuge letztlich doch rechtliche Standpunkte ein, die sich nicht vereinbaren liessen. Unter diesen Voraussetzungen vermöge der Beschwerdeführer, welcher hier für die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft tätig sei, aber ein anderes Gerichtsverfahren für die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft führe, objektiv keine Gewähr dafür zu bieten, dass im interessierenden Haftpflichtprozess alle seine Handlungen nur von den Interessen seiner Mandantin bestimmt seien.
5.2
Mit Blick auf das begründete Treueverhältnis ist schon das Prozessieren des Rechtsanwalts gegen einen
ehemaligen
Klienten nicht unproblematisch; mit
Art. 12 lit. c BGFA
unvereinbar ist es - unabhängig von einem allfälligen Sachzusammenhang zwischen den Verfahren - jedenfalls dann, wenn die Gefahr besteht, dass gegen den ehemaligen Klienten Kenntnisse aus dem zuvor für diesen geführten Mandat verwendet werden (Näheres bei TESTA, a.a.O., S. 116 ff.), oder wenn dem betroffenen Rechtsanwalt die Sonderstellung eines Vertrauensanwalts zukam. Umso weniger vereinbar mit der Treuepflicht ist das gerichtliche Vorgehen gegen einen
gegenwärtigen
Klienten. Für Versicherungsgesellschaften, bei denen das Führen von Prozessen zum Tagesgeschäft gehört, dürften zwar im konkreten Fall für die Auswahl des Rechtsvertreters dessen einschlägigen Spezialkenntnisse im Vordergrund stehen; der Umstand, ob der am geeignetsten erscheinende Anwalt allenfalls in einer anderen Angelegenheit für eine nun als Prozessgegnerin auftretende andere Versicherungsgesellschaft tätig (gewesen) ist, dürfte regelmässig zweitrangig sein. Wieweit es sich im Hinblick hierauf rechtfertigen könnte, das Doppelvertretungsverbot im Verhältnis zwischen Versicherungsunternehmen - die zudem häufig als Zweiggesellschaften mit verschiedenen Tätigkeitsbereichen organisiert sind - weniger streng zu handhaben als in jenem zwischen privaten Klienten, braucht hier jedoch aus folgendem Grund nicht weiter untersucht zu werden:
5.3
Wie der Beschwerdeführer nämlich zu Recht geltend macht, geht er gar nicht gerichtlich gegen die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft vor. Vielmehr findet sich Letztere im Haftpflichtprozess vor dem Kantonsgericht Zug - gleich wie die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft, deren Interessen er im fraglichen Verfahren vertritt - als Beklagte wieder; die beiden Versicherungsgesellschaften stehen als einfache Streitgenossenschaft dem Kläger Y. gegenüber und bestreiten ihre Haftung je mit dem
BGE 134 II 108 S. 116
Hinweis auf dessen grobes Selbstverschulden. Allein der Umstand, dass sich die beiden Gesellschaften dann, wenn der von ihnen gemeinsam vertretene Rechtsstandpunkt das Gericht nicht überzeugen und die Klage von Y. ganz oder teilweise Erfolg haben sollte, untereinander über eine Aufteilung des zu bezahlenden Schadenersatzes verständigen müssten, vermag beim Beschwerdeführer keine unzulässige Interessenkollision zu begründen. Unerheblich ist diesbezüglich, ob die Versicherungen - was das Selbstverschulden der Lenker der bei ihnen versicherten Fahrzeuge betrifft - tatsächlich schon im hängigen Haftpflichtprozess unterschiedliche Standpunkte einnehmen. Der Einwand des Beschwerdeführers, der Ausgang des von Y. angestrengten ersten Verfahrens vermöge nach den einschlägigen Bestimmungen der Zuger Zivilprozessordnung eine allfällige spätere gerichtliche Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Versicherungsgesellschaften nicht zu präjudizieren, ist unbestritten geblieben. Damit ist nach dem Gesagten nicht ersichtlich, inwiefern die Interessen der Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft vorliegend beeinträchtigt sein könnten. Von selbst versteht sich im Übrigen, dass, sollte es in der Zukunft zu einem konkreten Interessenkonflikt zwischen den beiden Versicherungsgesellschaften kommen, der Beschwerdeführer im betreffenden Verfahren - gleich wie im Verhältnis zwischen Motorhaftpflichtversicherer und Versicherungsnehmer (vgl. E. 4.2.1. i.f.) - weder die eine noch die andere Partei vertreten dürfte. | public_law | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
74df9e32-42e9-48a2-b801-5957138379f2 | Urteilskopf
126 III 415
72. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Juli 2000 i.S. H. gegen Obergericht des Kantons Luzern (Berufung) | Regeste
Begründung eines neuen Wohnsitzes nach Errichtung einer Beistandschaft; örtliche Zuständigkeit für die Entmündigung des Verbeiständeten.
Begründet eine Person einen neuen Wohnsitz, nachdem über sie eine Beistandschaft errichtet worden ist, so kann sie, vom Fall des
Art. 376 Abs. 2 ZGB
abgesehen, ausschliesslich am neuen Wohnsitz entmündigt werden (
Art. 376 Abs. 1 ZGB
). Die Vormundschaftsbehörde am früheren Wohnsitz ist auch dann nicht für die Entmündigung zuständig, wenn sie die Beistandschaft entgegen der analog anwendbaren Vorschrift des
Art. 377 Abs. 2 ZGB
nicht an die Behörde des neuen Wohnsitzes weiter gegeben, sondern selbst weiter geführt hat (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 416
BGE 126 III 415 S. 416
Nachdem im Jahre 1995 die über ihn errichtete Vormundschaft in eine Beistandschaft nach
Art. 393 Ziff. 2 ZGB
umgewandelt worden war, zog H. im August 1996 mit seiner Lebenspartnerin von P. nach L. und später nach R., wo sie heute noch an ein und derselben Adresse wohnen.
Am 28. Oktober 1997 erteilte der Gemeinderat von P. als Vormundschaftsbehörde, der die Beistandschaft weiter geführt hatte, der Psychiatrischen Klinik ... den Auftrag, ein Gutachten darüber zu erstellen, ob H. in Anwendung von
Art. 369 ZGB
zu entmündigen sei. Gestützt auf das Gutachten wandelte der Rat am 3. Dezember 1999 die Beistandschaft in eine Vormundschaft nach
Art. 369 ZGB
um und regelte die Folgen der Entmündigung (Dispositiv-Ziffern 3-7).
Am 11. Februar 2000 befand der Regierungsrat des Kantons Luzern entgegen der Auffassung von H., dass der Gemeinderat von P. für die Entmündigung zuständig sei. Die hiergegen gerichtete kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde von H. wies das Obergericht des Kantons Luzern am 3. April 2000 ab und bestätigte den regierungsrätlichen Entscheid.
Das Bundesgericht heisst die von H. eingereichte Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil des Obergerichts sowie die Dispositiv-Ziffern 3-7 des Entscheides des Gemeinderates von P. auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Obergericht hat die örtliche Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde von P. zur Entmündigung des Berufungsklägers bejaht; es ist zunächst davon ausgegangen, dieser habe sowohl in L. als auch in R. einen neuen Wohnsitz erworben, da die Beistandschaft gemäss
Art. 393 Ziff. 2 ZGB
keinen Wohnsitz am Ort
BGE 126 III 415 S. 417
der Vormundschaftsbehörde (
Art. 25 Abs. 2 ZGB
) begründe. Zwar sei die Beistandschaft in erster Linie zur Wahrung der finanziellen Interessen des Berufungsklägers errichtet worden; doch seien die Ursachen der Schwäche persönlich-subjektiver Natur, weshalb die Beistandschaft in analoger Anwendung von
Art. 377 ZGB
auf die Vormundschaftsbehörde des neuen Wohnsitzes hätte übertragen werden müssen. Solange aber kein Übergabe- bzw. Übernahmebeschluss der betroffenen Behörden vorliege, bleibe es bei der Zuständigkeit der Behörde am ursprünglichen Wohnsitz und sei dort ein Verfahren um Aufhebung oder Abänderung der Massnahme anhängig zu machen. Dass grundsätzlich nicht nur ein Recht, sondern auch die Pflicht zur Übergabe bzw. Übernahme vormundschaftlicher Massnahmen bestehe, könne für die Frage der Zuständigkeit nicht entscheidend sein. Im Übrigen könne der Betroffene von der Vormundschaftsbehörde die Übertragung der Massnahme an die zuständige Behörde verlangen und einen ablehnenden Entscheid mit Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde anfechten. Nachdem die Vormundschaftsbehörde von P. mit der Erteilung des Auftrages zur Begutachtung des Beschwerdeführers im Oktober 1997 das Entmündigungsverfahren eingeleitet habe, sei es angebracht, mit der Übertragung der Beistandschaft an die Gemeinde R. zuzuwarten.
Der Berufungskläger erblickt darin eine Verletzung von
Art. 376 Abs. 1 ZGB
, zumal nach dieser Bestimmung eine Bevormundung zwingend am Wohnsitz der zu bevormundenden Person zu erfolgen habe. Da er zum Zeitpunkt der Einleitung des Entmündigungsverfahrens seinen Wohnsitz nicht mehr in der Gemeinde P. gehabt habe, sei die dortige Vormundschaftsbehörde auch nicht zuständig gewesen, das Verfahren einzuleiten. Dass die im Jahre 1995 errichtete Beistandschaft immer noch von dieser Gemeinde geführt werde, könne nicht massgebend sein, zumal auch für die Beistandschaft das Wohnsitzprinzip gelte und sie nach dem anwendbaren
Art. 377 ZGB
schon längst an die Vormundschaftsbehörde des neuen Wohnsitzes hätte abgegeben werden müssen. Die von der Vorinstanz zur Stützung ihrer These aufgeführten Literaturstellen und Gerichtsentscheide seien nicht schlüssig und damit auch nicht geeignet, den Entscheid zu rechtfertigen.
b/aa) Im vorliegenden Fall sind die Ursachen der Schwäche des Berufungsklägers unbestrittenermassen persönlich-subjektiver Natur; das Obergericht geht - wie übrigens auch der Berufungskläger - zu Recht davon aus, dass
Art. 377 Abs. 2 ZGB
auf die besagte Beistandschaft analog anzuwenden ist (vgl. dazu: SCHNYDER/
BGE 126 III 415 S. 418
MURER, Berner Kommentar, N. 119 zu
Art. 377 ZGB
). Aufgrund dieser Bestimmung waren die Vormundschaftsbehörden von P. und L. bzw. nunmehr R. aber verpflichtet, die Übergabe bzw. die Übernahme der Beistandschaft zu beschliessen, nachdem der Berufungskläger die Gemeinde P. verlassen hatte und nach L. bzw. R. gezogen war (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 99 zu
Art. 377 ZGB
). Das Obergericht weist nun zwar zu Recht darauf hin, dass die Vormundschaftsbehörde am früheren Wohnsitz mangels entsprechender Beschlüsse grundsätzlich verpflichtet ist, die Beistandschaft weiter zu führen (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 118 i.V.m. N. 117 zu
Art. 377 ZGB
). Dennoch bleibt es dabei, dass die beiden Vormundschaftsbehörden nicht mehr frei waren bzw. sind, die Übergabe bzw. Übernahme der Beistandschaft zu beschliessen, so dass die Pflicht der Behörde des früheren Wohnsitzes naturgemäss befristet war bzw. ist. Aus dem Umstand, dass die Beistandschaft nach wie vor in P. geführt wird, kann somit für die örtliche Zuständigkeit zur Errichtung der Vormundschaft nichts hergeleitet werden.
bb) Das Obergericht stützt seine Argumentation auf die Lehrmeinung von GEISER (Basler Kommentar, N. 8 zu Art. 377) und SCHNYDER/MURER (a.a.O., N. 117 zu
Art. 377 ZGB
) sowie auf einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich (ZR 84/1985 Nr. 82). Soweit sich letztere beiden Zitatstellen auf die Beistandschaft beziehen, besagen sie im Ergebnis einzig, dass die Zuständigkeit der Behörde des ursprünglichen Wohnsitzes bestehen bleibt, solange die Beistandschaft von der Behörde am neuen Wohnsitz nicht formell übernommen worden ist. Sie äussern sich aber nicht zur Frage, wer in einem solchen Fall für die Errichtung der Vormundschaft zuständig ist. GEISER geht unter Berufung auf einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zug (ZVW 1991 Nr. 8 S. 116. ff.) davon aus, dass vor der Behörde am ursprünglichen Wohnsitz des Verbeiständeten ein Verfahren um Aufhebung oder Abänderung der Massnahmen anhängig zu machen ist. Im fraglichen Entscheid ging es indessen um eine Verwaltungsbeistandschaft, bei der die Wohnsitzzuständigkeit und damit die Pflicht zur Übertragung der Massnahme verneint worden war, weil sich die vormundschaftliche Hilfe einzig mit Bezug auf eine einzelne vorübergehende Angelegenheit aufgedrängt hatte. Weder GEISER noch der Entscheid, auf den er seine Auffassung stützt, äussern sich freilich zu Frage, ob die Vormundschaftsbehörde am ursprünglichen Wohnsitz des Verbeiständeten für dessen Entmündigung örtlich zuständig ist. Aus den angegebenen Textstellen lässt sich demnach - wie der Berufungskläger zu
BGE 126 III 415 S. 419
Recht hervorhebt - für die Lösung der strittigen Frage ebenfalls nichts gewinnen. Entscheidend ist denn auch ein anderer Gesichtspunkt: Dem Obergericht entgeht bei seiner Argumentation, dass im vorliegenden Fall gar keine Abänderung der bestehenden Massnahme zur Diskussion stand. Mit dem Entmündigungsentscheid wurde vielmehr eine neue vormundschaftliche Massnahme getroffen, die im Gegensatz zur alten entscheidend in die Freiheit des Berufungsklägers eingreift, indem sie ihn seiner Handlungsfähigkeit beraubt. Wer für die Errichtung der Vormundschaft zuständig ist, bestimmt aber nicht Art. 377, sondern
Art. 376 ZGB
. Damit erübrigt sich, auf die weiteren Ausführungen des Obergerichts zu
Art. 377 ZGB
und dessen Einfluss auf die Beistandschaft bzw. die Errichtung der Vormundschaft einzugehen.
c) Im vorliegenden Fall sind keine Grundlagen für eine Heimatzuständigkeit im Sinne von
Art. 376 Abs. 2 ZGB
erstellt, weshalb die örtliche Zuständigkeit für eine Bevormundung des Berufungsklägers ausschliesslich durch
Art. 376 Abs. 1 ZGB
geregelt wird (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 8 der Vorbemerkungen zu
Art. 376-378 ZGB
; vgl. ferner: DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 3. Aufl. Bern 1995, N. 855 ff.; RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, 2. Aufl. Bern 1997, § 4 N. 59, S. 61). Nach dieser Bestimmung hat die Bevormundung am Wohnsitz der zu bevormundenden Person zu erfolgen, wobei sich der Wohnsitz primär nach
Art. 23 und 26 ZGB
, subsidiär nach
Art. 24 ZGB
bestimmt. Das gilt auch für Verbeiständete und Verbeiratete, da sie keinen Wohnsitz nach
Art. 25 Abs. 2 ZGB
am Sitz der Vormundschaftsbehörde haben (
BGE 44 I 61
E. 2 S. 65; SCHNYDER/MURER, a.a.O, N. 41 zu
Art. 376 ZGB
). Massgebend ist schliesslich der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Einleitung des Entmündigungsverfahrens. Die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Wohnsitzverhältnisse entscheiden darüber, wo die Vormundschaft errichtet und unter Vorbehalt von
Art. 377 ZGB
geführt und beendigt wird (
BGE 50 II 95
E. 3 S. 98;
BGE 101 II 11
E. 2a; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 120 zu
Art. 376 ZGB
).
Nach dem angefochtenen Entscheid ist erstellt, dass der Berufungskläger bei Einleitung des Entmündigungsverfahrens, das unbestrittenermassen mit der Erteilung des Auftrages an den Experten im Oktober 1997 erfolgt ist, bereits seit langem nicht mehr in der Gemeinde P. wohnte (vgl. zum bundesrechtlichen Begriff des Zeitpunktes der Einleitung des Entmündigungsverfahrens:
BGE 50 II 95
E. 3 S. 99; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 122 zu
Art. 376 ZGB
). Vielmehr ist er im August 1996 mit seiner Lebenspartnerin von P. nach
BGE 126 III 415 S. 420
L. gezogen, wo er nach unbestrittener Auffassung des Obergerichts auch einen neuen Wohnsitz begründet hat. Damit aber war die Vormundschaftsbehörde von P. örtlich nicht zuständig, das Entmündigungsverfahren einzuleiten, geschweige denn den Berufungskläger zu entmündigen und zu bevormunden.
3.
War die Vormundschaftsbehörde von P. aber nicht zuständig, den Berufungskläger zu entmündigen und die Folgen der Entmündigung zu regeln, so ist die Berufung gutzuheissen und sind der angefochtene Entscheid sowie die Dispositiv-Ziffern 3-7 des Entscheides des Gemeinderates von P. als Vormundschaftsbehörde vom 3. Dezember 1999 aufzuheben. Zur Regelung der Kosten und Entschädigungen der kantonalen Verfahren ist die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.
Der Gemeinderat von P. hat nunmehr unverzüglich die Übergabe der Beistandschaft an die Behörde am heutigen Wohnsitz des Berufungsklägers (
Art. 377 Abs. 2 ZGB
) zu beschliessen und durchzuführen (vgl. E. 2b/aa). Dabei bleibt es ihm unbenommen, dieser Behörde unter Hinweis auf das Gutachten die Anordnung einer geeigneteren Massnahme anzuregen. Das Obergericht wird dem Gemeinderat entsprechend Weisung zu erteilen haben. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
74e1d257-5913-4fe1-a588-21b9bd4a128f | Urteilskopf
137 I 209
21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
1B_134/2011 vom 14. Juli 2011 | Regeste
Art. 17 und 36 BV
,
Art. 6 Ziff. 1 und
Art. 10 EMRK
,
§ 135 GVG
/ZH,
Art. 70 StPO
; Medienfreiheit, Gerichtsberichterstattung über eine nicht öffentliche strafgerichtliche Hauptverhandlung.
Der Berichterstatter, der sich der gerichtlichen Auflage für den Zugang zur Hauptverhandlung (hier: die Wahrung der Anonymität der Verfahrensbeteiligten) nicht unterzieht, darf davon ausgeschlossen werden (E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 210
BGE 137 I 209 S. 210
A.
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl erhob Anklage in einem Strafverfahren, in dem es hauptsächlich um häusliche Gewalt ging. Der Angeklagte und die Geschädigte lernten sich in einer therapeutischen Einrichtung kennen, wo sie sich nach traumatischen Erlebnissen (Suizid der Mutter bzw. Vergewaltigung) befanden. Nach der Entlassung lebten sie bis zum Vorfall, welcher zur Anklage führte, zusammen. Beide litten an erheblichen psychischen Problemen. Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, die Geschädigte im Verlaufe eines Streits mehrmals gewürgt zu haben, zuletzt mit einem Kabel. Damit habe er sich der Gefährdung des Lebens gemäss
Art. 129 StGB
schuldig gemacht.
Am 14. Januar 2010 fand vor dem Bezirksgericht Zürich (7. Abteilung) die Hauptverhandlung statt. Zum Schutz der Persönlichkeit des Angeklagten und der Geschädigten sowie mit Rücksicht auf das Alter des Angeklagten hatte das Bezirksgericht die Öffentlichkeit schon vor der Verhandlung vom Verfahren ausgeschlossen, die akkreditierten Gerichtsberichterstatter dagegen zugelassen.
Zu Beginn der Hauptverhandlung wies der Vorsitzende die Gerichtsberichterstatter unter anderem darauf hin, der Ausschluss der Öffentlichkeit habe zur Folge, dass von den Verfahrensbeteiligten keine persönlichen Daten wie Name oder Wohnort und keine Bilder publiziert werden dürften, seien diese inner- oder ausserhalb des Gerichtsgebäudes aufgenommen worden. Der Vorsitzende fragte X., Gerichtsberichterstatter der Zeitung "Blick", ob er Gewähr dafür bieten könne, dass die Privatsphäre der Prozessbeteiligten in diesem Sinne gewahrt werde; andernfalls könne X. von der bezirksgerichtlichen Verhandlung ausgeschlossen werden. X. antwortete, er könne "für gar nichts" garantieren, da über die Art und Weise der Berichterstattung der Chefredaktor entscheide. Darauf wurde X. von der Verhandlung ausgeschlossen.
B.
Den von X. dagegen erhobenen Rekurs wies das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) mit Beschluss vom 22. Februar 2011 ab, soweit es darauf eintrat.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Unzulässigkeit seiner Wegweisung aus der bezirksgerichtlichen Verhandlung festzustellen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
BGE 137 I 209 S. 211
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Am 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) in Kraft getreten. Der bezirksgerichtliche Beschluss erging vor diesem Datum. Gemäss
Art. 453 Abs. 1 StPO
ist daher das bisherige Recht massgebend.
(...)
4.
4.1
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze die Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit. Für einen Eingriff in diese Grundrechte fehle es an der gesetzlichen Grundlage.
4.2
Gemäss
Art. 16 BV
ist die Meinungs- und Informationsfreiheit gewährleistet (Abs. 1). Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten (Abs. 2). Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten (Abs. 3).
Art. 17 BV
regelt die Medienfreiheit. Danach ist die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen gewährleistet (Abs. 1). Zensur ist verboten (Abs. 2). Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet (Abs. 3).
Die Freiheit der Medien gehört zu den zentralen Ausprägungen des allgemeinen Grundrechts freier Meinungsäusserung. Normativer Kern der Medienfreiheit ist die Sicherung des ungehinderten Nachrichtenflusses und des freien Meinungsaustauschs. Geschützt ist die Recherchetätigkeit der Journalisten zur Herstellung von Medienerzeugnissen und zu deren Verbreitung in der Öffentlichkeit. Die damit vermittelte Freiheit des Medienschaffens ist nicht Selbstzweck. Vielmehr hat der ungehinderte Fluss von Informationen und Meinungen in einem demokratischen Rechtsstaat eine wichtige gesellschaftliche und politische Bedeutung. Den Medien kommt als Informationsträger die Funktion eines Bindeglieds zwischen Staat und Öffentlichkeit zu. Zugleich leisten die Medien einen wesentlichen Beitrag zur Kontrolle behördlicher Tätigkeiten. Um ihre Kontrollfunktion wirksam ausüben zu können, sind die Medien auf möglichst ungehinderten Zugang zu Informationen angewiesen. Der Informationszugang sorgt für Transparenz, was eine demokratische Kontrolle durch das Volk erst ermöglicht. Wird Medien der
BGE 137 I 209 S. 212
Einblick in gewisse Bereiche staatlichen Handelns verwehrt, öffnet dies Raum für Spekulationen und fördert das Misstrauen in staatliche Macht. Vom Schutz der Medienfreiheit erfasst wird grundsätzlich jede Form der journalistischen Informationsbeschaffung, unabhängig davon, ob die Informationen allgemein zugänglich sind oder nicht und ob der Beitrag legitime Informationsinteressen verfolgt oder nicht. Selbst Beiträge, welche lediglich der Unterhaltung, Sensationsgier oder Effekthascherei dienen, fallen in den grundrechtlichen Schutzbereich. Die Wertigkeit einer Publikation wird verfassungsrechtlich erst dann bedeutsam, wenn es gilt, entgegenstehende Interessen gegen die Medienfreiheit abzuwägen (
BGE 137 I 8
E. 2.5 S. 12 f. mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer wurde mit der Wegweisung aus der bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung daran gehindert, die sich daraus ergebenden Informationen zu beschaffen und sie anschliessend den Lesern seiner Zeitung zugänglich zu machen. Die Wegweisung stellt damit offensichtlich einen Eingriff in die Medienfreiheit nach
Art. 17 BV
dar.
Bei der Meinungsfreiheit gemäss
Art. 16 BV
handelt es sich nach der Rechtsprechung um ein gegenüber den speziellen Formen der Kommunikation subsidiäres Auffanggrundrecht (
BGE 127 I 145
E. 4b S. 151). Da hier die Medienfreiheit als spezielles Grundrecht freier Kommunikation betroffen ist, ist auf die vom Beschwerdeführer ebenso angerufene Meinungsfreiheit nicht weiter einzugehen.
Ob nebst der Medienfreiheit zusätzlich die Informationsfreiheit gemäss
Art. 16 Abs. 3 BV
betroffen sei, kann dahingestellt bleiben, da die Voraussetzungen der Einschränkung des Grundrechts gemäss
Art. 36 BV
insoweit die gleichen sind wie bei
Art. 17 BV
(vgl.
BGE 137 I 8
E. 2.7 S. 15).
4.3
Gemäss
Art. 36 BV
sind Einschränkungen der Medienfreiheit zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig sind.
Ob eine Einschränkung der Medienfreiheit im kantonalen Recht eine genügende gesetzliche Grundlage findet, prüft das Bundesgericht unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür, ausser wenn ein schwerer Eingriff zur Diskussion steht. Die Schwere des Eingriffs beurteilt sich nach objektiven Kriterien. Nicht entscheidend ist, wie er vom Betroffenen empfunden wird (vgl.
BGE 130 I 360
BGE 137 I 209 S. 213
E. 14.2 S. 362;
BGE 129 I 173
E. 2.2 S. 177;
BGE 128 II 259
E. 3.3 S. 269;
BGE 125 II 417
E. 6b S. 428; je mit Hinweisen).
4.4
Insbesondere im Strafprozess kann die detaillierte Ausbreitung der persönlichen Verhältnisse in die Privat- oder gar Geheimsphäre des Angeschuldigten eingreifen und sie ist überdies geeignet, die Unschuldsvermutung zu verletzen. Deshalb erfolgt die Gerichtsberichterstattung hier normalerweise in anonymisierter Form, zumal die Namensnennung im Bereich des Strafrechts in den meisten Fällen auch entbehrlich ist. Indes kann eine Berichterstattung mit Namensnennung im Zusammenhang mit dem Verdacht, es sei eine Straftat begangen worden, bei Personen der Zeitgeschichte je nach der Interessenlage gerechtfertigt sein (
BGE 129 III 529
E. 3.2 S. 532 f. mit Hinweisen).
Um Personen der Zeitgeschichte handelte es sich bei den Parteien des bezirksgerichtlichen Verfahrens nicht. Im Lichte der dargelegten Rechtsprechung hatte die Gerichtsberichterstattung daher in anonymisierter Form zu erfolgen. Der Vorsitzende des Bezirksgerichts verlangte somit vom Beschwerdeführer Gewähr für etwas, wozu dieser mit Blick auf den Schutz der Persönlichkeit der Verfahrensparteien ohnehin gehalten war. Insoweit kann kein schwerer Eingriff in die Medienfreiheit angenommen werden. Der Vorsitzende des Bezirksgerichts drohte dem Beschwerdeführer jedoch für den Fall, dass er die verlangte Gewähr nicht geben werde, den Ausschluss von der Verhandlung an und vollzog diesen dann auch. Ein solcher Ausschluss stellt in der Regel einen schweren Eingriff in die Medienfreiheit dar (
BGE 113 Ia 309
E. 5c S. 323). Im vorliegenden Fall ist allerdings davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Zugang zur Hauptverhandlung - gegebenenfalls auch noch kurz nach deren Beginn - hätte haben können, wenn er bzw. der "Blick" dies unbedingt gewollt hätten. Der Beschwerdeführer hätte diesfalls umgehend den Chefredaktor anrufen und diesen zur Abgabe der verlangten Erklärung veranlassen können. Ob der Eingriff in die Medienfreiheit bei dieser Sachlage als schwer einzustufen ist, kann offenbleiben. Selbst wenn man dies bejahen wollte, würde sich am Ergebnis nichts ändern, da der angefochtene Entscheid auch bei freier Prüfung auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage im kantonalen Recht beruht.
4.5
Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid - teilweise unter Hinweis auf die Erwägungen des Bezirksgerichts - auf §§ 135 und 124 des
BGE 137 I 209 S. 214
Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 des Kantons Zürich (GVG/ZH; LS 211.1).
Gemäss
§ 135 GVG
/ZH sind die Verhandlungen bei allen Gerichten öffentlich (Abs. 1). Von Verhandlungen über Straftaten, durch welche eine Person in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, wenn überwiegende Interessen des Opfers es erfordern (Abs. 3).
Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, die Geschädigte - zuletzt mit einem Kabel - mehrmals gewürgt und sich deshalb der Gefährdung des Lebens schuldig gemacht zu haben. Bei der Geschädigten handelt es sich somit um ein Opfer im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 OHG
(SR 312.5), da sie durch die Tat in ihrer körperlichen - und wohl auch psychischen - Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit gemäss
§ 135 Abs. 3 GVG
/ZH erfasst diese schlechthin und damit auch die Gerichtsberichterstatter. Diese Bestimmung unterscheidet nicht zwischen Gerichtsberichterstattern und anderen Personen.
§ 135 Abs. 4 GVG
/ZH sieht zwei Ausnahmen betreffend den Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Dieser kann zum einen nur für bestimmte Prozesshandlungen angeordnet werden. Zum andern können Gerichtsberichterstatter vom Ausschluss ausgenommen bzw. zugelassen werden (Satz 1). Das Gericht kann jedoch die Zulassung der Gerichtsberichterstatter mit der Auflage verbinden, dass die Identität des Opfers nicht veröffentlicht werden darf (Satz 2). Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass der Gerichtsberichterstatter, der sich der Auflage nicht unterzieht, von der Verhandlung ausgeschlossen werden darf. Er erfüllt die entsprechende Voraussetzung für seine (ausnahmsweise) Zulassung nach
§ 135 Abs. 4 Satz 2 GVG
/ZH nicht, womit es beim Ausschluss nach
§ 135 Abs. 3 GVG
/ZH bleibt.
4.6
Stellt demnach bereits
§ 135 GVG
/ZH eine genügende gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die Medienfreiheit dar, erübrigen sich Ausführungen zu
§ 124 GVG
/ZH.
4.7
Der Ausschluss des Beschwerdeführers wäre auch nach neuem Recht zulässig gewesen.
Gemäss
Art. 70 StPO
kann das Gericht die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ganz oder teilweise ausschliessen, wenn schutzwürdige Interessen einer beteiligten Person, insbesondere des
BGE 137 I 209 S. 215
Opfers, dies erfordern (Abs. 1 lit. a). Das Gericht kann Gerichtsberichterstatterinnen und Gerichtsberichterstattern unter bestimmten Auflagen den Zutritt zur Verhandlung gestatten, die nach Absatz 1 nicht öffentlich sind (Abs. 3).
Es gilt insoweit das zu
§ 135 GVG
/ZH Gesagte. Schliesst das Gericht die Öffentlichkeit nach
Art. 70 Abs. 1 StPO
aus, erfasst dies auch die Gerichtsberichterstatter (NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, S. 109 N. 282; SAXER/THURNHEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 16 zu
Art. 70 StPO
). Unterzieht sich ein Gerichtsberichterstatter der Auflage nicht, erfüllt er die entsprechende Voraussetzung für den Zutritt nach
Art. 70 Abs. 3 StPO
nicht und bleibt es damit bei seinem Ausschluss.
4.8
Zwei andere Gerichtsberichterstatter - ein freier und jener des "Tages Anzeiger" - hatten zur bezirksgerichtlichen Verhandlung unter der erwähnten Auflage Zugang. Der Vorsitzende hat vorher einzig den Beschwerdeführer gefragt, ob er sich an die Auflage halten werde. Dies ist unter den gegebenen Umständen nachvollziehbar. Nach der verbindlichen Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) hatte die Gerichtsberichterstattung des "Blick" im Vorfeld der bezirksgerichtlichen Verhandlung verschiedentlich zu Beanstandungen Anlass gegeben. So gab der "Blick" entgegen der ausdrücklichen Weisung eines obergerichtlichen Strafkammerpräsidenten den Wohnort eines minderjährigen Angeklagten den Lesern bekannt. Weder der darauf folgende Brief des Strafkammerpräsidenten noch eine Aussprache mit den Verantwortlichen des "Blick" zeigten Wirkung. In der Ausgabe vom 13. Januar 2010 - also einen Tag vor der bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung - veröffentlichte der "Blick" das Bild eines Angeschuldigten und verbarg dabei dessen Gesicht mit einem Balken über den Augen derart notdürftig, dass die Identität nicht geschützt war. Der Vorsitzende des Bezirksgerichts konnte damit - anders als bei den beiden anderen Gerichtsberichterstattern - nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass sich der Beschwerdeführer an die Auflage halten werde. Eine rechtsungleiche Behandlung nach
Art. 8 BV
macht der Beschwerdeführer insoweit nicht geltend und wäre unter den dargelegten Umständen auch nicht ersichtlich.
4.9
Die Wegweisung des Beschwerdeführers erfolgte zum Schutz der Persönlichkeit des Opfers und des Angeklagten. Diese litten
BGE 137 I 209 S. 216
nach der verbindlichen Sachverhaltsfeststellung der kantonalen Instanzen - auch noch nach der Entlassung aus einer therapeutischen Einrichtung, wo sie sich aufgrund traumatischer Erlebnisse befunden hatten - an erheblichen psychischen Problemen. Damit waren sie besonders schutzbedürftig. Die Offenlegung ihrer Identität hätte nicht nur - wie in anderen Fällen - ihre persönliche und berufliche Lage erschweren, sondern zudem ihren psychischen Zustand weiter verschlechtern können. Sie hatten ein Recht auf Schutz der Privatsphäre (
Art. 13 BV
und
Art. 8 EMRK
) und geistige Unversehrtheit (
Art. 10 Abs. 2 BV
). Der Eingriff in die Medienfreiheit war daher gemäss
Art. 36 Abs. 2 BV
zum Schutz ihrer Grundrechte gerechtfertigt.
4.10
Der Eingriff war zudem verhältnismässig.
Die Wegweisung stellte eine taugliche Massnahme zum Schutz der Persönlichkeit der Verfahrensparteien dar. Eine mildere Massnahme, die den verfolgten Zweck ebenfalls hätte erreichen können, stand nicht zur Verfügung.
Der Beschwerdeführer geht fehl, wenn er vorbringt, bei einer allfälligen Verletzung der Persönlichkeit der Verfahrensbeteiligten biete diesen
Art. 28 ff. ZGB
hinreichenden Schutz und wäre es deren Angelegenheit, ihre Rechte gestützt auf diese Bestimmungen wahrzunehmen. Wie das Bundesgericht bereits erkannt hat, ist der Persönlichkeitsschutz Anliegen des privaten wie des öffentlichen Rechts, namentlich des Prozessrechts. Die Gefahr einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte liegt nicht nur in einer unkorrekten Verfahrensabwicklung, sondern ebenso in einer unnötig verletzenden oder blossstellenden Gerichtsberichterstattung. Die Berichte über die Gerichtsverhandlungen haben somit die Persönlichkeit der Prozessbeteiligten zu beachten. Dies sicherzustellen sind auch die kantonalen Prozessrechte berufen. Die unnötige Verletzung oder Blossstellung von Prozessbeteiligten ist unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Es reicht nicht aus, den Verletzten auf seine zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Täter zu verweisen. Der Staat selbst hat an einer Verletzung teil, wenn er diese während oder im Anschluss an die Verhandlung duldet. So wenig er zulassen darf, dass an der Verhandlung gegen die Prozessbeteiligten von Privaten Gewalttätigkeiten verübt werden, darf er es hinnehmen, dass ihr Persönlichkeitsrecht verletzt wird (
BGE 113 Ia 309
E. 3d S. 314 ff. mit Hinweisen).
BGE 137 I 209 S. 217
Zweck und Mittel stehen überdies in einem vernünftigen Verhältnis. Dem Schutz der Persönlichkeit des Angeklagten und des Opfers im Strafverfahren kommt erhebliche Bedeutung zu. Mit Blick darauf war der Eingriff in die Medienfreiheit gerechtfertigt.
5.
Der angefochtene Entscheid ist auch im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht zu beanstanden.
5.1
Art. 10 Ziff. 1 EMRK
gewährleistet die Freiheit der Meinungsäusserung. Sie kann gemäss
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
jedoch Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind insbesondere zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer.
Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist somit nicht schrankenlos. Das gilt auch, soweit es um die Berichterstattung in der Presse über ernsthafte Fragen von allgemeinem Interesse geht. Aufgrund von
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
ist die Presse zur Einhaltung ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten bei der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäusserung gehalten. Diesen kommt besondere Bedeutung zu in Fällen, in denen die verbreiteten Informationen schwere Auswirkungen auf den guten Ruf und die Rechte anderer haben könnten (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Times Newspapers Ltd. gegen Vereinigtes Königreich
vom 10. März 2009 § 42).
So verhält es sich nach dem Gesagten (E. 4.9) hier. Der Angeklagte und das Opfer wären durch die Preisgabe ihrer Identität in der Presse erheblich getroffen worden. Massnahmen zur Verhinderung einer solchen Preisgabe waren umso mehr gerechtfertigt, als die Öffentlichkeit - da es um keine Personen der Zeitgeschichte ging - kein schutzwürdiges Interesse daran hatte, die Namen der Verfahrensparteien zu erfahren. Die Presse war auch ohne Offenlegung der Identität der Verfahrensparteien in der Lage, über die bezirksgerichtliche Verhandlung sachgerecht zu berichten und daran gegebenenfalls Kritik zu üben. Sie konnte ihre Wächter-Funktion also wahrnehmen. Die Nennung der Namen der Verfahrensbeteiligten war nicht von allgemeinem Interesse. Dem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Eingriffs nach
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
Rechnung zu tragen (Urteil
Caroline von Hannover gegen Deutschland
vom 24. Juni 2004 § 60 mit Hinweisen, in: EuGRZ 2004 S. 404).
Der Ausschluss des Beschwerdeführers von der bezirksgerichtlichen Verhandlung beruhte - wie dargelegt (E. 4.5 ff.) - auf einer
BGE 137 I 209 S. 218
gesetzlichen Grundlage und war notwendig zum Schutz der Rechte anderer. Er war deshalb gemäss
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
gerechtfertigt.
5.2
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
sieht im Übrigen den Ausschluss der Presse während des ganzen oder eines Teils des Verfahrens ausdrücklich vor, wenn der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangt. Diese Voraussetzung war hier in Bezug auf den Beschwerdeführer erfüllt. Dass das Bezirksgericht einzig diesen und nicht die Presse insgesamt von der Hauptverhandlung ausschloss, ist nicht zu beanstanden, da nur von ihm eine Beeinträchtigung des Privatlebens der Prozessparteien befürchtet werden musste, nicht aber von den beiden anderen Berichterstattern. Das Vorgehen des Bezirksgerichts wahrte auch insoweit den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
74e3dbb1-2577-4504-9d89-95b942b8555b | Urteilskopf
139 IV 25
4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
1B_264/2012 vom 10. Oktober 2012 | Regeste
Art. 3 Abs. 2 lit. c, Art. 101 Abs. 1, Art. 107 Abs. 1 lit. b, Art. 108 Abs. 1 lit. a und Abs. 2, Art. 139 Abs. 1,
Art. 146 Abs. 1,
Art. 147 Abs. 1,
Art. 224 Abs. 1 und
Art. 312 Abs. 2 StPO
; Recht auf Teilnahme bei der Einvernahme von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen.
Sachurteilserfordernisse und Streitgegenstand (E. 1-3). Verfahrensregeln der getrennten Einvernahmen und der Parteiöffentlichkeit von Beweiserhebungen (E. 4). Der Anspruch beschuldigter Personen auf Teilnahme an Beweiserhebungen gilt grundsätzlich auch für die Einvernahme von Mitbeschuldigten (E. 5.1-5.3). Mögliche Zielkonflikte im Hinblick auf die strafprozessuale Wahrheitsfindung und das Gleichbehandlungsgebot sowie Ausnahmen vom Grundsatz der Parteiöffentlichkeit (E. 5.4 und 5.5). Problematik der Zulassung von noch nicht einvernommenen Beschuldigten zu den Einvernahmen von Mitbeschuldigten (E. 5.5.2-5.5.4). Anspruch auf Teilnahme des bereits staatsanwaltlich verhörten Beschuldigten und seines Verteidigers an den Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen. Ausnahme vom Grundsatz der Parteiöffentlichkeit im vorliegenden Fall verneint (E. 5.5.5-5.5.11). | Sachverhalt
ab Seite 26
BGE 139 IV 25 S. 26
A.
Die Regionale Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau führt eine Strafuntersuchung gegen X. (nachfolgend: Beschuldigter) und zwei Mitbeschuldigte wegen Diebstahls. Im Hinblick auf die für den 19. Januar 2012 angekündigten Einvernahmen der beiden Mitbeschuldigten stellte der Beschuldigte ein Gesuch um Teilnahme an den Einvernahmen, welches die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 13. Januar 2012 abwies. Ein weiteres Gesuch des Beschuldigten um Teilnahme an den weiteren Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen und allfälligen Zeugen (eventuell vorerst beschränkt auf den Offizialverteidiger) entschied die Staatsanwaltschaft am 26. Januar 2012 ebenfalls abschlägig. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, mit Beschluss vom 13. April 2012 gut.
B.
Gegen den Beschluss des Obergerichts gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft, mit Beschwerde vom 9. Mai 2012 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides (soweit er die Teilnahmerechte des Beschuldigten betrifft).
BGE 139 IV 25 S. 27
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung ausdrücklich verzichtet. Der Beschuldigte beantragt mit Stellungnahme vom 6. Juni 2012 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist in Fällen wie dem vorliegenden zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG; vgl.
BGE 137 IV 340
E. 2.3 S. 344-346). Auch das Sachurteilserfordernis des nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteils bei nicht verfahrensabschliessenden Zwischenentscheiden (
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
) ist erfüllt. Die streitigen Grundsatzfragen sind rechtzeitig im hängigen Untersuchungsverfahren zu klären. Falls sich erst in einem späteren Beschwerdeverfahren gegen den Endentscheid herausstellen würde, dass der Ausschluss des Beschuldigten von den Einvernahmen unzulässig war, droht zum Nachteil der beschwerdeführenden Generalstaatsanwaltschaft ein empfindlicher Beweisverlust (vgl.
Art. 147 Abs. 4 StPO
[SR 312.0]). Bei einer verfrühten Zulassung des Beschuldigten zu Einvernahmen droht demgegenüber (nach den Darlegungen der Generalstaatsanwaltschaft) Kollusion bzw. eine Verfälschung der Beweisergebnisse. Auch aus Sicht des Beschuldigten drängt sich eine Klärung seiner gesetzlich verankerten Partei- und Teilnahmerechte im Untersuchungsverfahren auf. In ähnlichen Konstellationen (insbesondere betreffend Akteneinsicht bzw. drohende Beweisverluste) hat das Bundesgericht den Rechtsnachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
ebenfalls bejaht (
BGE 137 IV 340
E. 2.3.3 und 2.3.4 S. 345 f.; Urteile 1B_238/2011 vom 13. September 2011, in: Pra 2012 Nr. 34 S. 230 ff.; 1B_32/2010 vom 10. Mai 2010 E. 1).
2.
Das Obergericht erwägt im angefochtenen Entscheid zusammengefasst Folgendes: Die Parteien hätten (gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
) grundsätzlich das Recht, an sämtlichen Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft teilzunehmen. Dazu gehöre namentlich die Einvernahme von (mit)beschuldigten Personen, Zeugen oder Auskunftspersonen. Die von der Staatsanwaltschaft (und vom Zürcher Obergericht) vertretene These, wonach der in
Art. 146 Abs. 1 StPO
verankerte Grundsatz der getrennten Einvernahme eine Ausnahme zum Teilnahmerecht nach
Art. 147 Abs. 1 StPO
bilde, überzeuge nicht. Insofern sei der Praxis des Appellationsgerichtes
BGE 139 IV 25 S. 28
Basel-Stadt zu folgen. Gewisse Einschränkungen des Teilnahmerechtes seien zwar (gestützt auf
Art. 108 StPO
und allenfalls in Analogie zu
Art. 101 Abs. 1 StPO
) zulässig. Im vorliegenden Fall sei dem Beschuldigten die Teilnahme an den Befragungen von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen jedoch zu Unrecht verweigert worden.
3.
3.1
Die Staatsanwaltschaft stützt die von ihr verfügte Verweigerung der Teilnahme des Beschuldigten und seines Offizialverteidigers an den fraglichen Einvernahmen auf
Art. 146 Abs. 1 StPO
. Die Bestimmung bezwecke, Kollusionshandlungen zu verhindern. Daher sei es in der Anfangsphase des Strafverfahrens zulässig, die einzelnen Beschuldigten in dem Sinne getrennt voneinander zu befragen, dass sie und ihre Verteidiger wechselseitig von den Einvernahmen der übrigen Mitbeschuldigten (vorerst) ausgeschlossen werden. Damit könne sichergestellt werden, dass die Untersuchungsbehörde nicht von Anfang an allen Beschuldigten sämtliche Informationen offenlegen müsste und die Beschuldigten nicht die Möglichkeit hätten, ihre Aussagen an diejenigen der Mitbeschuldigten anzupassen. Diese Interpretation (von Art. 146 Abs. 1 i.V.m.
Art. 147 Abs. 1 StPO
) entspreche der bisherigen (vor Inkrafttreten der neuen StPO am 1. Januar 2011 geltenden) Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu
Art. 32 Abs. 2 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
.
3.2
Die beschwerdeführende Generalstaatsanwaltschaft macht überdies (zusammengefasst) geltend, im vorliegenden Fall sei jedenfalls eine Einschränkung des Teilnahmerechtes gestützt auf
Art. 108 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StPO
zulässig. Der in der StPO statuierte Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Beweisabnahmen konkretisiere primär den sich aus
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
ergebenden Anspruch des Beschuldigten auf Konfrontation mit belastenden Gewährspersonen. In seiner allgemeinen Ausrichtung gehe
Art. 147 Abs. 1 StPO
aber weit über diesen Anspruch hinaus. Die bisherige Praxis des Bundesgerichtes zu
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
und
Art. 32 Abs. 2 BV
habe lediglich grundrechtliche Minimalgarantien für das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen entwickelt. Der drohende Rechtsmissbrauch (im Sinne von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
) sei in möglichen Verdunkelungshandlungen zu sehen. Im Haftantrag der Staatsanwaltschaft vom 20. Dezember 2011 sei Kollusionsgefahr als Haftgrund gegen den Beschuldigten wie folgt begründet worden: "Es muss verhindert werden, dass die drei Verhafteten ihre Aussagen absprechen, mögliche
BGE 139 IV 25 S. 29
Mittäter warnen, resp. evtl. weiteres Deliktsgut, Einbruchswerkzeug oder Spuren verschwinden lassen resp. vernichten". Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft erscheint es sachgerecht, das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen "mit der gleichen Begründung" einzuschränken, mit der die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr angeordnet wurde.
4.
4.1
Die Artikel 142-146 StPO regeln (im Rahmen des 2. Abschnitts "Einvernahmen", im 1. Kapitel "Allgemeine Bestimmungen" unter dem 4. Titel "Beweismittel") die allgemeinen Modalitäten der strafprozessualen Einvernahmen.
Art. 146 StPO
trägt den Randtitel "Einvernahmen mehrerer Personen und Gegenüberstellungen". Er ordnet im Wesentlichen einvernahmetechnische Fragen der genannten Befragungsfälle.
Art. 146 Abs. 1 StPO
bestimmt, dass mehrere zu befragende Personen im Regelfall "getrennt einvernommen" werden. "Getrennt" voneinander bedeutet zunächst, dass Befragte (insbesondere Zeugen oder Mitbeschuldigte) im Rahmen der gleichen Einvernahmesitzung nicht gemeinsam (d.h. gleichzeitig oder wechselseitig) befragt werden, sondern nacheinander. Vorbehalten ist der Sonderfall der Konfrontationseinvernahme verschiedener Personen nach erfolgten ersten Befragungen (
Art. 146 Abs. 2 StPO
; vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1186). Sinn und Zweck von
Art. 146 Abs. 1 StPO
ist in diesem Sinne die ungestörte Wahrheitsfindung, insbesondere die Verhinderung von gegenseitigen Beeinflussungen bzw. Kollusion. Die Bestimmungen von
Art. 142-146 StPO
sind allgemeiner Natur und gelten für alle Einvernahmearten (Befragungen von Beschuldigten, Privatklägern, Zeugen, Auskunftspersonen usw.). Sie enthalten keine Vorschriften zu den
Teilnahmerechten
der Parteien bei Beweiserhebungen (namentlich bei Einvernahmen). Insbesondere lässt sich dem Wortlaut von
Art. 146 Abs. 1 StPO
nicht entnehmen, dass die Parteien zu den getrennten Einzeleinvernahmen nicht zuzulassen seien. Die Teilnahmerechte der Parteien werden (im sich anschliessenden 3. Abschnitt) in
Art. 147 und 148 StPO
separat geregelt:
4.2
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
statuiert den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen im Untersuchungs- und Hauptverfahren und bestimmt, dass die Parteien das Recht haben, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Dieses spezifische Teilnahme- und Mitwirkungsrecht fliesst aus dem Anspruch
BGE 139 IV 25 S. 30
auf rechtliches Gehör (
Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO
). Es kann nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen (vgl.
Art. 108,
Art. 146 Abs. 4 und
Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO
; s. auch
Art. 101 Abs. 1 StPO
) eingeschränkt werden (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 1187). Beweise, die in Verletzung von
Art. 147 Abs. 1 StPO
erhoben worden sind, dürfen nicht zulasten der Partei verwertet werden, die nicht anwesend war (
Art. 147 Abs. 4 StPO
). Zwischen
Konfrontations
einvernahmen mehrerer Personen (
Art. 146 Abs. 2 StPO
) und der Teilnahme an parteiöffentlichen
Einzel
befragungen mit dem Recht, dem einzeln Befragten in der Folge Ergänzungsfragen zu stellen (Art. 147 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
Art. 146 Abs. 1 StPO
), ist im Übrigen zu differenzieren.
4.3
Die Anwesenheit der Verteidigung bei
polizeilichen
Einvernahmen richtet sich nach
Art. 159 StPO
(
Art. 147 Abs. 1 Satz 2 StPO
). Bei Einvernahmen, welche die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt, können die Parteien die gleichen Rechte nach
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
beanspruchen (Art. 312 Abs. 2 i.V.m.
Art. 306 Abs. 3 StPO
; Botschaft StPO, BBl 2006 1187). Zeugen haben hingegen (im Gegensatz zu den Parteien) kein Teilnahmerecht bei parteiöffentlichen Beweiserhebungen. Deshalb folgt aus
Art. 146 Abs. 1 StPO
, dass Zeugen nicht nur einzeln und separat befragt werden, sondern dass sie vor ihrer Befragung auch keine Kenntnis von den Aussagen anderer Zeugen und Gewährspersonen (oder der Parteien) erhalten (vgl. auch
Art. 146 Abs. 4 lit. b StPO
).
5.
In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der gesetzliche Anspruch Beschuldigter auf Teilnahme an Beweiserhebungen auch für die Einvernahme von Mitbeschuldigten grundsätzlich gilt (Art. 147 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
Art. 146 Abs. 1 StPO
). Falls dies bejaht wird, ist weiter zu prüfen, ob im vorliegenden Fall eine gesetzliche Ausnahme vom Teilnahmeanspruch erfüllt ist.
5.1
Die in Erwägung 4 dargelegte Systematik der StPO und die Wortlaute der genannten Vorschriften sprechen für die grundsätzliche Zulassung beschuldigter Personen (und ihrer Verteidigung) zur parteiöffentlichen Einvernahme von Mitbeschuldigten (und weiteren Gewährspersonen). Insbesondere bildet das in
Art. 146 Abs. 1 StPO
verankerte Prinzip der "getrennten" Einvernahme keine selbstständige gesetzliche Ausnahme zu den spezifischen Parteirechten nach
Art. 147 Abs. 1 StPO
. Ein prinzipieller Teilnahmeanspruch beschuldigter Personen wird denn auch von der überwiegenden Literatur (sowie von der baselstädtischen, Berner und Waadtländer Gerichtspraxis) bejaht (vgl.
BGE 139 IV 25 S. 31
FELIX BOMMER, Ausschluss des Mitbeschuldigten von der Einvernahme der beschuldigten Person?, BE N'ius, Neues aus der Berner Justiz, 2012 Heft 10 S. 28 ff., 29; STEFAN CHRISTEN, Zum Anwesenheitsrecht der Privatklägerschaft im schweizerischen Strafprozessrecht, ZStrR 129/2011 S. 463 ff.; GUNHILD GODENZI, Heimliche Einvernahmen: Die Aushöhlung der Parteiöffentlichkeit der Untersuchung durch den Grundsatz der getrennten Einvernahme, ZStrR 129/2011 S. 322 ff.;
dies
., in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO;nachfolgend: Kommentar], 2010, N. 2 und 25 zu Art. 146StPO; FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, 2010, N. 1-4 der Vorbem. zu Art. 147 f. und N. 1 zu
Art. 147 StPO
; DORRIT SCHLEIMINGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 5 zu
Art. 147 StPO
; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 2009, Rz. 818, 823;OLIVIER THORMANN, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu Art. 146 und N. 1-2 zu
Art. 147 StPO
; ANDRÉ VOGELSANG,
Art. 147 StPO
: Wirksamer Gegenpol zur Allmacht der Staatsanwaltschaft oder bloss toter Buchstabe?, Anwalts-Revue 2012 S. 230 ff., 234; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 5 zu Art. 147StPO; Urteile AppGer/BS Nr. BE.2011.87 vom 19. Januar 2012 und Nr. BE.2011.20 vom 14. April 2011, in: forumpoenale 2011 S. 276; TC/VD vom 10. Mai 2012;
a.M.
KATHARINA GRAF, in: Polizeiliche Ermittlung, Handbuch, Albertini/Fehr/Voser [Hrsg.], 2008, S. 171 f.; DANIEL HÄRING, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 1 und 2 zu
Art. 146 StPO
; THOMAS HANSJAKOB, Geheime Erhebung von Beweisen nach StPO, forumpoenale 2011 S. 299 ff.; CHRISTOPH ILL, in: Kommentierte Textausgabe [...] StPO, Goldschmid/Maurer/Sollberger [Hrsg.],2008, S. 133; MARCEL MEIER, Kollusionsverhinderung im Vorverfahren der Schweizerischen Strafprozessordnung, Masterarbeit Luzern 2011, S. 34, 36; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar [nachfolgend: Praxiskommentar], 2009, N. 1 und 3 zu
Art. 146 StPO
[anders aber SCHMID, Handbuch, a.a.O., Rz. 818, 823]; Urteile ObGer/ZH Nr.UH110023 vom 11. Mai 2011, in: ZR 110/2011 S. 102; ObGer/AG Nr. SBK.2011.91 vom 19. Mai 2011, in: forumpoenale 2011 S. 208; ObGer/TG Nr. SW.2011.2011 vom 29. September 2011, in: RBOG 2011 S. 166; TC/GE Nr. ACPR/93/2011 vom 4. Mai 2011).
5.2
Dieses Zwischenergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien nicht entkräftet:
BGE 139 IV 25 S. 32
5.2.1
Der Vorentwurf zur StPO (VE/StPO, Fassung des Bundesamtes für Justiz, Juni 2001) sah in Art. 156 Abs. 1 VE/StPO eine dem
Art. 146 Abs. 1 StPO
ähnliche Regelung vor: "Die zu befragenden Personen werden in der Regel getrennt einvernommen". Zwar seien gemäss Begleitbericht zum VE/StPO "verschiedene Beschuldigte, Zeuginnen und Zeugen etc. einzeln unter Ausschluss der anderen einzuvernehmen" (Begleitbericht VE, S. 113). Diese etwas apodiktisch formulierte Aussage wird jedoch durch die weiteren Bestimmungen des Vorentwurfes und durch präzisierende Hinweise des Begleitberichtes relativiert: Zunächst schränkt Art. 156 Abs. 1 VE/StPO selbst ausdrücklich ein, dass die Einvernahmen nur "in der Regel" getrennt erfolgen sollen. Sodann wurde auch im Vorentwurf (Art. 158 Abs. 1 VE/StPO) bereits der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Beweisabnahmen statuiert. Art. 159 Abs. 1 VE/StPO räumte der Verteidigung das Recht ein, "bei den Einvernahmen der Beschuldigten durch Staatsanwaltschaft und Gerichte anwesend zu sein und ihnen Ergänzungsfragen zu stellen". Gemäss Begleitbericht zum Vorentwurf gilt dieses Teilnahmerecht "schon bei der ersten Einvernahme". Bei der Teilnahme an Einvernahmen von
Mitbeschuldigten
seien allerdings "die Einschränkungen von Art. 118" VE/StPO (sowie die Schutzmassnahmen gemäss Art. 160-164 VE/StPO) zu beachten (Begleitbericht VE, S. 115). Daraus ergibt sich, dass schon der VE/StPO den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen aufnahm und für zulässige Einschränkungen von Parteirechten auf den gesetzlichen
Ausnahmenkatalog
verwies. Diesbezüglich ist den Materialien folgende Entwicklung zu entnehmen:
5.2.2
Art. 118 Abs. 2 lit. c VE/StPO hatte noch vorgesehen, dass die Strafbehörden "für den geordneten Ablauf des Verfahrens" den Verfahrensausschluss bzw. die Beschränkung des rechtlichen Gehörs einer Partei anordnen konnten. Diese Regelung wurde allerdings weder in den bundesrätlichen Entwurf (Art. 106 E/StPO) übernommen, noch in die vom Parlament verabschiedete einschlägige Version von
Art. 108 Abs. 1 und 2 StPO
.
Art. 108 Abs. 1
lit. a
StPO
verlangt für eine Gehörsbeschränkung vielmehr den begründeten Verdacht, dass eine Partei "ihre Rechte missbraucht" (vgl. dazu näher unten, E. 5.5.6-5.5.11). Die übrigen Einschränkungsgründe von
Art. 108 Abs. 1
lit. b
StPO
entsprechen denjenigen des Vorentwurfes (Art. 118 Abs. 2 lit. a und b VE/StPO). Dementsprechend wird in der bundesrätlichen Botschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das (in vielen kantonalen Prozessgesetzen noch als Ausschlussgrund anerkannte) "gefährdete
BGE 139 IV 25 S. 33
Verfahrensinteresse" für sich allein
nicht mehr
genüge, "um das rechtliche Gehör vor allem in der Anfangsphase des Vorverfahrens einzuschränken" (Botschaft StPO, BBl 2006 1164).
5.2.3
Schliesslich war in Art. 156 Abs. 4 lit. b VE/StPO noch ausdrücklich vorgesehen gewesen, dass die Parteien vorübergehend von der Verhandlung ausgeschlossen werden konnten, wenn sie selbst im Verfahren "noch als
Beschuldigte,
Zeuginnen oder Zeugen, Auskunftspersonen oder Sachverständige einzuvernehmen" waren. Sowohl im bundesrätlichen Entwurf (Art. 143 Abs. 4 lit. b E/StPO) als auch in der in Kraft getretenen Fassung von
Art. 146 Abs. 4 lit. b StPO
wurden die Beschuldigten dann jedoch von dieser Einschränkung ihrer Parteirechte ausgenommen.
5.3
Die gegenüber der früheren Rechtslage gestärkten Partei- und Teilnahmerechte der Beschuldigten bei Beweiserhebungen, insbesondere der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit, bilden einen vom Gesetzgeber angestrebten Ausgleich zu der in der neuen StPO (ebenfalls bewusst) ausgebauten starken Stellung der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren (vgl. BOMMER, a.a.O, S. 28; STEFAN CHRISTEN, Anwesenheitsrecht im schweizerischen Strafprozessrecht mit einem Exkurs zur Vorladung [nachfolgend: Vorladung], Zürcher Studien zum Verfahrensrecht, Bd. 161, 2009, S. 8; GODENZI, Kommentar, a.a.O., N. 2 zu
Art. 147 StPO
; RIKLIN, a.a.O., N.1-4 zu Art. 16 und N. 1-4 der Vorbem. zu
Art. 147 StPO
; THORMANN, a.a.O., N. 1-3 zu
Art. 147 StPO
; VOGELSANG, a.a.O., S. 230 ff.). Diese Stärkung der Parteirechte im Untersuchungsverfahren rechtfertigt sich zudem unter dem Gesichtspunkt, dass im Hauptverfahren die nochmalige Erhebung von (im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobenen) Beweisen eingeschränkt ist (Art. 343 Abs. 3 i.V.m.
Art. 350 Abs. 2 StPO
; vgl. GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 337; RIKLIN, a.a.O., N. 4 zu Art. 16 und N. 3 der Vorbem. zu
Art. 147 StPO
). Einschränkungen der Parteirechte (insbesondere des in
Art. 147 Abs. 1 StPO
konkretisierten Anspruchs auf rechtliches Gehör) bedürfen einer ausreichend klaren gesetzlichen Grundlage und müssen verhältnismässig sein (vgl. 36 Abs. 1 und 3 i.V.m.
Art. 29 Abs. 2 und
Art. 32 Abs. 2 BV
sowie
Art. 107 und 108 StPO
).
5.4
Die Generalstaatsanwaltschaft und ein Teil der Lehre legen allerdings dar, dass die gesetzliche Regelung zu Effizienzverlusten der Strafuntersuchung in Kollektivfällen und zu gewissen prozessualen Ungleichbehandlungen von Mitbeschuldigten führen könne (vgl.
Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO
). Diese Problematik betrifft insbesondere
BGE 139 IV 25 S. 34
Beschuldigte, die als Erste (in Anwesenheit der Mitbeschuldigten) parteiöffentlich einvernommen werden (vgl. GRAF, a.a.O., S. 171 f.; HÄRING, a.a.O., N. 1 zu
Art. 146 StPO
; HANSJAKOB, a.a.O., S. 299 ff., 308; MEIER, a.a.O., S. 28 ff.; s. auch GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 349 f.).
5.4.1
Vor diesem Hintergrund enthält die StPO gewisse Korrekturmechanismen. Beweiserhebungen dienen nicht allein der Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs der Parteien, sondern primär auch der Wahrheitsfindung im Strafprozess (vgl. Art. 139 Abs. 1 i.V.m.
Art. 6 Abs. 1 StPO
). Zum einen sieht das Gesetz Ausnahmen von der Parteiöffentlichkeit vor (vgl. Art. 101 Abs. 1, Art. 108, Art. 146 Abs. 4 und Art. 149 Abs. 2 lit. b i.V.m.
Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO
, dazu nachfolgend, E. 5.5). Zum anderen führt selbst eine Verletzung von
Art. 147 Abs. 1 StPO
nicht zu einem vollständigen Beweisverwertungsverbot gegenüber allen Parteien, sondern ausschliesslich gegenüber der Partei, die an der Beweiserhebung nicht anwesend war (
Art. 147 Abs. 4 StPO
). Bei parteiöffentlichen Befragungenvon Mitbeschuldigten kann eine Entschärfung der genannten Problematik oft erreicht werden, wenn die Einvernahmen relativ rasch nacheinander erfolgen und bei der Festlegung der Reihenfolge und Modalitäten von Beweiserhebungen konkreten Beeinflussungsgefahren im Einzelfall Rechnung getragen wird. Die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft bestimmt die Reihenfolge und den Ablauf von parteiöffentlichen Befragungen. Sie hat insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass in Anwesenheit von Parteien und Parteivertretern keine unzulässigen Beeinflussungen oder Absprachen erfolgen (vgl. Art. 16 Abs. 2 i.V.m.
Art. 63,
Art. 142 Abs. 1,
Art. 143 Abs. 5 und
Art. 311 Abs. 1 StPO
). Was
Ergänzungsfragen
von Mitbeschuldigten an parteiöffentlichen Einvernahmen betrifft, schreibt
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
nicht vor, in welchem
Zeitpunkt
das zusätzliche Recht, Fragen an den Erstbefragten zu stellen, zu gewährleisten ist ("und einvernommenen Personen Fragen zu stellen"). Wann das Fragerecht ausgeübt werden darf, bestimmt die Verfahrensleitung (vgl. WOHLERS, a.a.O., N. 6 zu
Art. 147 StPO
).
5.4.2
In den Hauptanwendungsfällen des Anspruchs der Parteien auf Ergänzungsfragen, nämlich bei der Einvernahme von
Zeugen
(und weiteren Gewährspersonen) sowie bei der
Konfrontations
einvernahme erscheint es unproblematisch, wenn die Ergänzungsfragen sofort nach der Einvernahme gestellt werden: An der Befragung von Zeugen können alle Mitbeschuldigten gleichberechtigt und in identischer
BGE 139 IV 25 S. 35
Rolle teilnehmen und dabei Ergänzungsfragen stellen. Im Falle von
Konfrontations
einvernahmen von Mitbeschuldigten (
Art. 146 Abs. 2 StPO
) können sich alle Gegenübergestellten wechselseitig zu den Aussagen der Befragten äussern und (im Rahmen der gleichen Konfrontationseinvernahme) Ergänzungsfragen stellen. Bei der parteiöffentlichen Einzelbefragung von Mitbeschuldigten (
Art. 147 Abs. 1 StPO
) ist nach Massgabe der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles in sachgerechter Weise vorzugehen.
5.4.3
Separate (nicht parteiöffentliche) polizeiliche Befragungen sind im Ermittlungsverfahren möglich, wenn die Polizei im Rahmen ihrer
selbstständigen
Ermittlungstätigkeit Befragungen von tatverdächtigen Personen durchführt (
Art. 306 Abs. 2 lit. b StPO
). Falls die Staatsanwaltschaft hingegen Einvernahmen (vor oder nach Eröffnung der Strafuntersuchung) an die Polizei
delegiert,
gelten die Bestimmungen von
Art. 147 Abs. 1 StPO
betreffend Teilnahmerechte (Art. 312 Abs. 1 und 2 i.V.m.
Art. 306 Abs. 3 StPO
; zum Anspruch des polizeilich befragten Beschuldigten auf Beizug des eigenen Verteidigers s. auch
Art. 159 Abs. 1 StPO
).
5.5
Zu prüfen bleibt, ob im vorliegenden Fall eine zulässige Ausnahme von der grundsätzlichen Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen gegeben ist bzw. ob der verfügte Ausschluss des Beschuldigten und seines Offizialverteidigers von den Einvernahmen von Mitbeschuldigten und Gewährspersonen bundesrechtskonform erscheint.
5.5.1
Im Rahmen ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör haben die Parteien namentlich das Recht, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen (Art. 107 Abs. 1 lit. b i.V.m.
Art. 147 Abs. 1 StPO
). Die Strafbehörden können das rechtliche Gehör einschränken, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Partei ihre Rechte missbraucht (
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
), oder wenn die Einschränkung erforderlich ist für die Sicherheit von Personen bzw. zur Wahrung öffentlicher oder privater Geheimhaltungsinteressen (
Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO
). Einschränkungen gegenüberRechtsbeiständen sind nur zulässig, wenn der Rechtsbeistand selbst Anlass für die Beschränkung gibt (
Art. 108 Abs. 2 StPO
). Zulässige Einschränkungen sind zu befristen oder auf einzelne Verfahrenshandlungen zu begrenzen (
Art. 108 Abs. 3 StPO
). Ein vorübergehender Ausschluss von Einvernahmeverhandlungen ist ausserdem zulässig, wenn bei der fraglichen Person eine Interessenkollision besteht oder diese Person im Verfahren noch als Gewährsperson (Zeugin, Zeuge, Auskunftsperson oder sachverständige Person) einzuvernehmen ist (
Art. 146 Abs. 4 lit. a und b
BGE 139 IV 25 S. 36
StPO
). Falls Verfahrensbeteiligte (oder deren Angehörige) stark gefährdet erscheinen, kann im Übrigen (als prozessuale Schutzmassnahme) die Einvernahme der verfahrensbeteiligten Person unter Ausschluss der Parteien angeordnet werden (
Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO
). Diese Beschränkungsmöglichkeiten des rechtlichen Gehörs gelten grundsätzlich für das
gesamte
Untersuchungsverfahren.
5.5.2
Im
Anfangsstadium
der Untersuchung, nämlich bis zur
ersten Einvernahme
von beschuldigten Personen, ist bei der Auslegung von
Art. 147 StPO
auch der sachlich eng damit zusammenhängenden Bestimmung von
Art. 101 Abs. 1 StPO
betreffend Akteneinsicht Rechnung zu tragen. Danach können die Parteien "
spätestens
nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten des Strafverfahrens einsehen" (
Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO
).
Art. 108 StPO
bleibt ausdrücklich "vorbehalten" (
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 StPO
). Nach der Praxis des Bundesgerichtes besteht zu Beginn der Strafuntersuchung noch kein absoluter Anspruch auf eine vollständige Akteneinsicht. In begründeten Fällen kann allerdings schon im frühen Verfahrensstadium eine - allenfalls partielle - Akteneinsicht sachlich geboten sein, etwa betreffend relevante Haftakten in Haftprüfungsverfahren (vgl.
Art. 225 Abs. 2 StPO
;
BGE 115 Ia 293
E. 5 S. 302-306 mit Hinweisen).
5.5.3
Die Vorinstanz erwägt in einem obiter dictum, dass sich - bei noch nicht staatsanwaltlich einvernommenen Beschuldigten - in "Analogie" zu
Art. 101 Abs. 1 StPO
ein Ausschluss von der Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen ergeben könne. Das Teilnahmerecht dürfe ausnahmsweise und in engen Grenzen eingeschränkt werden, wenn der (grundsätzlich teilnahmeberechtigte) Beschuldigte selbst
noch nicht
mit den Sachverhalten konfrontiert wurde, die den Mitbeschuldigten in den fraglichen Einvernahmen vorgehalten werden sollen. Die Vorinstanz verneinte für den vorliegenden Fall eine entsprechende prozessuale Konstellation.
5.5.4
Zu diesem obiter dictum hat das Bundesgericht im hier zu beurteilenden Fall ebenfalls nicht abschliessend Stellung zu nehmen, da der beschuldigte private Beschwerdegegner (im Hinblick auf die Anordnung von Untersuchungshaft) bereits durch die Staatsanwaltschaft
einvernommen
worden ist (vgl.
Art. 224 Abs. 1 StPO
). Angesichts der grossen praktischen Bedeutung der betreffenden Fragen drängen sich diesbezüglich immerhin einige (hier nicht entscheiderhebliche) grundsätzliche Erwägungen auf:
BGE 139 IV 25 S. 37
5.5.4.1
Bei der Auslegung der StPO ist eine
Kohärenz
zwischen den inhaltlich konnexen Bestimmungen betreffend Akteneinsicht und Teilnahme an Beweiserhebungen anzustreben. Soweit der Wortlaut von
Art. 147 Abs. 1 StPO
den aufgezeigten Zielkonflikten (zwischen der strafprozessualen Wahrheitsfindung einerseits und den Parteirechten bzw. der prozessualen Gleichbehandlung von Mitbeschuldigten anderseits) keine Rechnung trägt (vgl. oben, E. 5.4), hat eine sachgerechte wertungskohärente Lückenfüllung (bzw. teleologische Reduktion) der Norm zu erfolgen. Danach kann die Staatsanwaltschaft - ähnlich wie bei der Akteneinsicht nach
Art. 101 Abs. 1 StPO
- im Einzelfall prüfen, ob
sachliche Gründe
für eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen. Solche Gründe liegen insbesondere vor, wenn im Hinblick auf noch nicht erfolgte Vorhalte eine konkrete Kollusionsgefahr gegeben ist. Falls die Befragung des Mitbeschuldigten sich auf untersuchte Sachverhalte bezieht, welche den (noch nicht einvernommenen) Beschuldigten persönlich betreffen und zu denen ihm noch kein Vorhalt gemacht werden konnte, darf der Beschuldigte von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Die blosse Möglichkeit einer abstrakten "Gefährdung des Verfahrensinteresses" durch rechtmässiges prozesstaktisches Verhalten rechtfertigt hingegen noch keinen Ausschluss von den Einvernahmen (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 1164; YASMINA BENDANI, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu
Art. 108 StPO
; CHRISTEN, Vorladung, a.a.O., S. 149 Fn. 790; GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 347 f.; VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 4 f. zuArt. 108 StPO; MEIER, a.a.O., S. 22; SCHLEIMINGER, a.a.O., N. 14 zu
Art. 147 StPO
; VEST/HORBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 5 zu
Art. 108 StPO
; Urteil AppGer/BS Nr. BE.2011.87 vom 19. Januar 2012 E. 6.1). In den meisten Kantonen entsprach dies auch schon (vor Inkrafttreten von
Art. 147 StPO
) der grundsätzlichen Rechtslage nach
altem
Recht (vgl. dazu HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 76 N. 18).
5.5.4.2
Wie es sich damit verhält, braucht hier, wie schon erwähnt, nicht weiter vertieft zu werden. Keine Beschränkungen im Sinne von
Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO
rechtfertigen sich jedenfalls für Beschuldigte, welche bereits einschlägig einvernommen worden sind.
5.5.5
Im Ergebnis ist der Vorinstanz darin zuzustimmen, dass sich im vorliegenden Fall aus einer Auslegung von Art. 147 Abs. 1 i.V.m.
BGE 139 IV 25 S. 38
Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO
kein Ausschluss der Parteiöffentlichkeit begründen lässt. Der angefochtene Entscheid erweist sich insofern als bundesrechtskonform.
5.5.6
Weiter ist zu prüfen, ob sich hier,
nach erfolgter Einvernahme
des Beschuldigten, gestützt auf
Art. 108 StPO
eine Ausnahme von der (in
Art. 147 Abs. 1 StPO
grundsätzlich gewährleisteten) Parteiöffentlichkeit von Beweiserhebungen ableiten lässt. Auch
Art. 101 Abs. 1
Satz 2
StPO
statuiert (namentlich für besondere Kollusionsrisiken nach erfolgten ersten Einvernahmen) den ausdrücklichen Vorbehalt von
Art. 108 StPO
. Zwar folgt aus der blossen Stellung als Mitbeschuldigter noch keine spezifische "Interessenkollision" i.S. von
Art. 146 Abs. 4 lit. a StPO
(vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 1186 unten; BOMMER, a.a.O., S. 30; GODENZI, Kommentar, a.a.O., N. 23 f. zu
Art. 146 StPO
; HÄRING, a.a.O., N. 22 zu
Art. 146 StPO
; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 13 f. zu
Art. 146 StPO
). Bei der Beurteilung des Ausschlussgrundes von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
ist jedoch konkreten Anhaltspunkten für rechtsmissbräuchliches Verhalten Rechnung zu tragen. Dies umso mehr, als neben den Parteirechten auch dem strafprozessualen Ziel der Wahrheitsfindung (Art. 139Abs. 1 i.V.m.
Art. 6 Abs. 1 StPO
) Nachachtung zu verschaffen ist. Entsprechenden besonderen Verdunkelungsgefahren wird zwar primär im Anfangsstadium der Untersuchung (bis zu den ersten Befragungen von Mitbeschuldigten oder wichtigen Zeugen) Rechnung zu tragen sein (vgl. dazu oben, E. 5.5.2-5.5.4). Sie können aber - aufgrund von entsprechenden Beweisergebnissen - auch erst später im Verfahren eintreten, etwa wenn eine rechtsmissbräuchliche direkte Beeinflussung der Aussagen von Dritten konkret droht.
5.5.7
Die Möglichkeit, dass
bereits befragte
Beschuldigte später ihr prozesstaktisches Verhalten den Aussagen von Mitbeschuldigten anpassen könnten, wurde vom Gesetzgeber grundsätzlich in Kauf genommen, indem er den Parteien ein Teilnahmerecht bei sämtlichen Beweiserhebungen einräumte (
Art. 147 Abs. 1 StPO
) und die Gesichtspunkte von
Art. 101 Abs. 1 StPO
hier nicht anwendbar sind. Insoweit hat der Gesetzgeber die Weichen zugunsten einer grosszügigen Handhabung der Parteiöffentlichkeit gestellt (vgl. oben, E. 5.2 und 5.3). Die blosse Möglichkeit einer abstrakten "Gefährdung des Verfahrensinteresses" rechtfertigt - nach erfolgten ersten Einvernahmen - noch keinen Ausschluss (vgl. dazu die Literaturhinweise oben, E. 5.5.4.1). Analoges gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes auch für den Haftgrund der Kollusionsgefahr (vgl. MARC
BGE 139 IV 25 S. 39
FORSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 6 f. zu
Art. 221 StPO
; MARKUS HUG, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 21 zu
Art. 221 StPO
). Anders zu entscheiden hiesse, dass praktisch in allen untersuchten Fällen von kollektiver Kriminalität von Vornherein immer ein Haftgrund gegen alle Mitbeschuldigten bestünde.
5.5.8
Zwar kann ein Rechtsmissbrauchsverdacht im Sinne von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
möglich sein, wenn (gestützt auf
Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO
wegen Verdunkelungsgefahr) bereits strafprozessuale Haft gegen den Beschuldigten angeordnet wurde. Ein "automatischer" Ausschluss der Parteirechte nach
Art. 147 Abs. 1 StPO
bei Haftfällen wäre jedoch unzulässig: Regelmässig wird Haft aus qualifizierten allgemeinen Verdunkelungsgründen angeordnet (z.B. Spurenvernichtung, Bedrohung oder aktive Beeinflussung von Zeugen usw.). Ein Ausschluss gestützt auf
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
verlangt demgegenüber (auch bei Inhaftierten) Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten im Hinblick auf die fragliche Beweiserhebung. Die blosse Möglichkeit, dass der (nach
Art. 224 Abs. 1 StPO
bereits obligatorisch befragte) Inhaftierte sein späteres Aussageverhalten jenem von Mitbeschuldigten anpassen könnte, genügt weder als Haftgrund, noch für einen pauschalen Ausschluss der Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen.
5.5.9
Bei der Prüfung des Ausschlussgrundes von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
ist - nach Massgabe des jeweiligen Einzelfalles - noch weiteren Gesichtspunkten angemessen Rechnung zu tragen. Wie bereits dargelegt (oben E. 5.4), darf die Parteiöffentlichkeit unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebotes (
Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO
) nicht zu einer im Ergebnis unfairen Benachteiligung zwischen Mitbeschuldigten führen. Soweit ein Ausschluss des Beschuldigten aufgrund von Rechtsmissbrauchsverdacht zulässig ist, darf auch die Verteidigung eine entsprechende Kollusion nicht befördern. Bei der Wahrnehmung der Interessen ihrer Klientschaft hat die Verteidigung die Rechtsordnung zu respektieren, wozu auch die gesetzlichen Vorschriften zum Rechtsmissbrauchsverbot gehören. Soweit den Verteidiger oder die Verteidigerin nicht persönlich ein konkreter Rechtsmissbrauchsverdacht (im Sinne von Art. 108 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. a StPO) trifft, kann die Staatsanwaltschaft in begründeten Fällen auch prüfen, ob der an Einvernahmen teilnehmenden Verteidigung gegenüber ihrer Klientschaft eine zeitlich eng befristete förmliche Geheimhaltungsverpflichtung aufzuerlegen ist.
BGE 139 IV 25 S. 40
5.5.10
Im vorliegenden Fall macht die Generalstaatsanwaltschaft (mit Recht) nicht geltend, dass Einschränkungen gestützt auf
Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO
(oder Art. 146 Abs. 4 bzw.
Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO
) zulässig wären. Sie stellt sich jedoch auf den Standpunkt, es bestehe (im Sinne von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
) der begründete Verdacht, dass der Beschuldigte seine Rechte missbraucht. Auch der Offizialverteidiger gebe Anlass zu einem Ausschluss von den Einvernahmen. Die Untersuchungshaft des Beschuldigten sei unter anderem wegen Kollusionsgefahr angeordnet worden. Laut Haftantrag vom 20. Dezember 2011 müsse verhindert werden, dass die Beschuldigten ihre Aussagen untereinander absprechen, mögliche Mittäter warnen bzw. Deliktsgut, Einbruchswerkzeug oder Spuren verschwinden lassen. Rechtsmissbrauchsgefahr bestehe (nach den Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft im kantonalen Beschwerdeverfahren) auch beim Offizialverteidiger, da dieser einseitig für seinen Mandanten tätig sei und seinerseits kolludieren könnte.
5.5.11
Diese Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft begründen vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen keinen Verdacht von Rechtsmissbrauch im Sinne von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
. Inwiefern aufgrund der Teilnahme des Beschuldigten an den Einvernahmen konkrete rechtsmissbräuchliche Verdunkelungshandlungen (wie Spurenvernichtung, gesetzwidrige Beeinflussungen, direkte Absprachen usw.) erfolgen könnten, wird in der Beschwerde nicht dargelegt. Ebenso wenig konkretisiert die Generalstaatsanwaltschaft Verdachtsgründe für ein Verhalten des Offizialverteidigers, welches als rechtsmissbräuchlich im Sinne von
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
eingestuft werden könnte. Auch für den von der Staatsanwaltschaft pauschal verfügten Ausschluss des Beschuldigten und seines Offizialverteidigers von den ersten Einvernahmen allfälliger Auskunftspersonen oder Zeugen fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.
5.6
Der angefochtene Entscheid erweist sich im Ergebnis als bundesrechtskonform. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
74e3f26e-e2aa-4e0a-99bf-a4ecd2792980 | Urteilskopf
84 I 227
32. Extrait de l'arrêt du 19 novembre 1958 dans la cause Gaulé contre Conseil d'Etat du canton du Valais. | Regeste
1. Willkür. Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Eine Behörde, die ihre Überprüfungsbefugnis willkürlich beschränkt, verweigert dem Betroffenen das rechtliche Gehör.
2. Gemeindeautonomie. Sind die Gemeinden des Kantons Wallis inbezug auf die Erteilung von Patenten zum Ausschank alkoholischer Getränke autonom? | Sachverhalt
ab Seite 227
BGE 84 I 227 S. 227
A.-
La loi valaisanne du 24 novembre 1916 sur les hôtels, auberges, débits de boissons et autres établissements similaires (LH) distingue les concessions pour l'exploitation d'hôtels, qui sont accordées par le Conseil d'Etat, et les concessions pour les restaurants et débits de boissons, qui sont délivrées par le Conseil communal (art. 2). Celui-ci est également compétent pour octroyer à un hôtel l'autorisation d'exploiter un débit de boissons ouvert au public de la localité (art. 14). Le nombre des débits de boissons alcooliques est fixé par le Conseil communal dans un règlement qui est soumis à l'homologation du Conseil d'Etat et qui, en principe, ne peut pas permettre l'ouverture de plus d'un établissement par 200 habitants (art. 16). Des exceptions sont cependant
BGE 84 I 227 S. 228
possibles avec l'approbation du Conseil d'Etat (art. 16). Lorsque l'autorité communale refuse une concession, sa décision peut être déférée au Conseil d'Etat (art. 28), qui statue selon les formes prescrites par l'arrêté du 13 juin 1942 concernant la procédure du contentieux de l'administration par-devant le Conseil d'Etat et ses départements.
B.-
Depuis 1941, Gerhard Gaulé est propriétaire de l'hôtel du Pas de l'Ours, situé à Crans-sur-Sierre, sur le territoire de la commune de Lens. Il est au bénéfice pour cela d'une concession délivrée par le Conseil d'Etat. Au mois de mars 1958, il sollicita l'octroi d'une concession au sens de l'art. 14 LH pour établir un débit de boissons alcooliques dans son hôtel. La concession lui fut refusée par le Conseil communal de Lens, puis, à la suite d'un recours, par le Conseil d'Etat. Celui-ci considéra qu'en refusant la concession, le Conseil communal avait agi dans les limites de ses compétences propres, que dès lors les pouvoirs du Conseil d'Etat étaient limités à l'examen de l'arbitraire et que la décision attaquée n'était pas entachée d'arbitraire.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, Gaulé requiert le Tribunal fédéral d'annuler cette décision et d'inviter l'autorité compétente à lui accorder la concession litigieuse. Il se plaint notamment d'une violation de l'art. 4 Cst. Ses moyens seront repris ci-après dans la mesure utile.
Le Conseil d'Etat conclut au rejet du recours. La commune de Lens ne prend pas de conclusions précises. Il ressort cependant de son mémoire qu'elle propose également le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1./2. - ......
3.
Le Conseil d'Etat n'a revu que sous l'angle de l'arbitraire le litige qui lui était soumis. Selon le recourant, il aurait ainsi violé l'art. 4 Cst. Il ne pourra échapper à ce grief que s'il avait des raisons valables de restreindre
BGE 84 I 227 S. 229
de la sorte son pouvoir d'examen. C'est ce qu'il y a lieu de rechercher.
De ce point de vue, il importe de relever en premier lieu que la loi sur les hôtels, auberges, débits de boissons et autres établissements similaires ne définit ni dans un texte ni implicitement l'étendue de la cognition du Conseil d'Etat quand celui-ci est appelé à statuer en vertu de l'art. 28. Il est vrai que cette disposition renvoie "aux formes prescrites pour les procédures devant le contentieux du Conseil d'Etat". Toutefois, ces règles sont contenues actuellement dans l'arrêté du 13 juin 1942, qui ne renferme pas non plus de règle déterminant expressément ou implicitement l'étendue du pouvoir de contrôle du Conseil d'Etat soit d'une manière générale soit pour le cas particulier de l'art. 28 LH. D'ailleurs, le Conseil d'Etat - qui n'eût pas manqué de le faire s'il avait pu - ne cite pas de texte limitant son droit d'examen dans les cas où il statue comme l'autorité de recours prévue par l'art. 28 LH. On doit admettre dès lors qu'aucune règle légale n'autorise cette restriction.
Il est vrai que, même sans une disposition expresse, une autorité de recours peut être admise, du point de vue de l'art. 4 Cst., à restreindre l'étendue de sa cognition lorsqu'elle a pour cela des raisons sérieuses et que la loi ne s'y oppose pas. Ainsi en va-t-il souvent quand il s'agit de questions d'appréciation que l'autorité de première instance est mieux à même de trancher que la juridiction de recours parce qu'elles dépendent soit de circonstances locales moins connues du second juge soit d'un contact personnel avec le justiciable, contact réservé au premier juge seulement. Cependant ni dans sa décision ni dans sa réponse au recours, le Conseil d'Etat n'invoque de motif de ce genre. Il se place sur un terrain différent. Il estime que, dans le cas de l'art. 28 LH, il ne peut intervenir que sous l'angle de l'arbitraire, parce qu'en refusant une concession pour un débit de boissons au sens des art. 2 et 14 LH, le Conseil communal agit dans le cadre de son
BGE 84 I 227 S. 230
autonomie. Cette argumentation serait peut-être acceptable si, en n'accordant pas la concession demandée par Gaulé, le Conseil communal avait vraiment agi dans les limites de son autonomie. Tel n'est cependant pas le cas.
L'autonomie communale est la faculté pour les communes de régler leurs affaires de façon indépendante dans les limites de la constitution et de la loi (RO 83 I 123). Elle est garantie dans le canton du Valais par l'art. 69 Cst. val. Il est clair toutefois qu'elle n'existe que pour les affaires qui rentrent dans les compétences exclusives des communes. La question est dès lors de savoir si le droit pour le Conseil communal de décider de l'octroi ou du refus d'une concession pour un débit de boissons est une affaire de ce genre. Cette question doit sans conteste être résolue négativement. Bien que, même dans le domaine de l'autonomie communale, la loi sur les hôtels, auberges, débits de boissons et autres établissements similaires ne puisse être examinée que sous l'angle de l'arbitraire, puisqu'elle fait partie du droit cantonal (RO 72 I 28), il en ressort cependant à l'évidence qu'elle règle complètement toutes les questions essentielles concernant l'industrie des auberges. Il en va ainsi notamment dans la mesure où elle confie aux communes le soin d'accorder la concession. En effet, les communes ne sont pas libres d'agir à leur guise. Elles sont soumises au contraire à des règles précises sur tous les points importants (genre des établissements pour lesquels une concession est nécessaire, nombre d'établissements, nombre de concessions pour une personne, causes de refus d'une concession, conditions de l'octroi, émoluments, règles de procédure, droit du Conseil d'Etat d'annuler la concession accordée par le Conseil communal, dispositions concernant le renouvellement, les modifications, le transfert et le retrait des concessions, règles de police; voir
art. 15 à 28
, 29 à 39, 40 ss. LH). Les compétences des communes se réduisent à fixer, dans un règlement soumis d'ailleurs à l'homologation du Conseil d'Etat, le nombre des débits
BGE 84 I 227 S. 231
de boissons alcooliques pouvant être ouverts sur leur territoire et à accorder les concessions pour les débits de boissons visés aux art. 2 et 14 LH. Il ne saurait dès lors être question en cette matière d'une autonomie de la commune. Celle-ci n'agit qu'en vertu de pouvoirs qui lui ont été délégués par les autorités cantonales dans un domaine que, de toute évidence, ces dernières ont entendu régler complètement.
Dès lors, le Conseil d'Etat a manifestement tort d'invoquer l'autonomie communale pour justifier la restriction qu'il a cru devoir apporter à son pouvoir d'examen. Comme par ailleurs il ne se fonde sur aucune disposition légale et ne se prévaut d'aucune autre raison sérieuse, il est tombé dans l'arbitraire. Du même coup, il a violé le droit du recourant d'être entendu, droit qui comprenait en l'espèce celui d'exiger que l'affaire fût revue librement et sous toutes ses faces. Sans doute, le recourant n'a-t-il pas démontré que son recours a des chances d'être admis s'il est examiné avec plein pouvoir. Peu importe, cependant, car le droit d'être entendu, tel qu'il découle de l'art. 4 Cst., est un droit de nature formelle, dont la violation entraîne l'annulation de l'acte attaqué, même si le recourant n'établit pas que cette annulation a pour lui un intérêt matériel (RO 83 I 240, no 31). En l'espèce, la décision du Conseil d'Etat doit donc être cassée en vertu de l'art. 4 Cst., sans qu'il y ait lieu de rechercher si elle devrait l'être pour d'autres raisons encore, par exemple pour violation de l'art. 31 Cst.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
74e71d4a-5096-4ac7-a11b-63e691521806 | Urteilskopf
96 I 369
58. Urteil vom 9. Juni 1970 i.S. Gemeinde Flims gegen Walter und Altorfer AG. | Regeste
Gemeindeautonomie; unbestimmter Rechtsbegriff, Ermessen.
Hat die Gemeinde im Einzelfall einen dem autonomen Gemeinderecht angehörenden unbestimmten Rechtsbegriff anzuwenden, so steht ihr ein Beurteilungsspielraum offen, wenn ein Grenzfall vorliegt und vorwiegend örtliche Verhältnisse zu würdigen sind. Greift die zuständige kantonale Behörde in diesen Beurteilungsspielraum ein und hebt sie eine vertretbare Entscheidung der Gemeinde auf, so verletzt sie die Gemeindeautonomie, denn sie masst sich damit eine Überprüfungsbefugnis an, die im wesentlichen einer Ermessenskontrolle gleichkommt und dem Wesen der Gemeindeautonomie widerspricht. | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 96 I 369 S. 369
A.-
Die Stimmbürger der Gemeinde Flims haben am 17. März 1968 ein neues Baugesetz (BG) mit Zonenplan angenommen, welches vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden am 4. November 1968 genehmigt worden ist. Der Erlass ersetzt das Baugesetz der Gemeinde Flims vom 15. Oktober 1961.
BGE 96 I 369 S. 370
Laut Art. 31 des alten Baugesetzes hatte der Eigentümer für eine ausreichende Zufahrt zu seinem Grundstück zu sorgen. Die entsprechende Bestimmung des neuen Baugesetzes (Art. 45 BG) bildet Bestandteil der Vorschriften über das Baubewilligungsverfahren (Art. 44 ff. BG) und lautet wie folgt:
"Baureife Baubewilligungen werden für andere als land- und forstwirtschaftliche Bauten nur für baureife Grundstücke erteilt. Ein Grundstück gilt als baureif:
wenn alle Anlagen für die Zufahrt, die Wasser- und Energieversorgung sowie die Abwasserbeseitigung vorschriftsgemäss mit dem Bau erstellt werden".
B.-
Dr. Rudolf Walter ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 2492 in Flims/Scheia. Die Fraktion Scheia liegt am Südhang nordöstlich von Flims und nordwestlich von Fidaz. Sie kann vom Kurhaus Fidaz aus auf einer ungefähr zwei Meter breiten, im unteren Teil eine Steigung von 18 Prozent aufweisenden Naturstrasse erreicht werden. Die Parzelle Nr. 2492 liegt ungefähr 80 Meter von der erwähnten Zufahrtsstrasse entfernt am Ende eines Weges, der 50 Meter oberhalb der zweiten Strassenbiegung nach Nordosten abzweigt. Zwischen der Scheiastrasse und der Parzelle Walter stehen drei Ferienhäuser (Grundstücke Nr. 2428, 2423 und 2424). Dem Eigentümer des letztgenannten, unmittelbar neben der Parzelle Nr. 2492 liegenden Grundstücks Nr. 2424 ist die Baubewilligung im Jahre 1967 erteilt worden. Die Zufahrt von der Scheiastrasse zum Grundstück Walter ist durch Wegrechte über die erwähnten Nachbarparzellen gewährleistet.
C.-
Am 20. Januar 1969 reichte die Firma Altorfer AG, Wald, im Namen von Dr. Walter ein Baugesuch für die Erstellung eines Ferienhauses auf der Parzelle Nr. 2492 ein. Das Baugesuch wurde mit Schreiben vom 24. März 1969 ergänzt.
Mit Verfügung vom 24. bzw. 31. März 1969 entschied der Gemeinderat von Flims, das Baugesuch werde gestützt auf Art. 45 BG solange zurückgestellt, bis die im allgemeinen Wegnetzplan vorgesehene Quartierstrasse von der Post Fidaz bis zur Parzelle des Gesuchstellers gebaut sei. Da sich die Gemeinde mit diesem Projekt nicht sogleich befassen könne, stehe es dem Gesuchsteller frei, die Strasse auf eigene Kosten erstellen zu lassen; dabei bestehe die Möglichkeit, dass die Gemeinde sie später übernehme und die Kosten im Perimeterverfahren
BGE 96 I 369 S. 371
auf die Anstösser aufteile. Im übrigen könnte die Baubewilligung auch erteilt werden, wenn der Gesuchsteller für einen angemessenen Ausbau der Scheiastrasse sorge.
D.-
Dr. Walter und die Altorfer AG, welcher Kosten auferlegt worden waren, erhoben gegen die Verweigerung der Baubewilligung Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses führte einen Augenschein durch und hiess die Beschwerde am 14. Juli 1969 gut; es wies die Gemeinde an, die nachgesuchte Baubewilligung zu erteilen und der Altorfer AG die verlangten Gebühren und Kosten zurückzuerstatten. Zur Begründung führte es im wesentlichen folgendes aus: Der Augenschein habe ergeben, dass die Parzelle Walter erschlossen sei. Wohl sei die Scheiastrasse im Winter schwer befahrbar; sie werde aber von allen Einwohnern der Fraktion Scheia von jeher benutzt und gehöre zu den Bergstrassen, die nicht für den Autoverkehr gebaut und später den neuen Verhältnissen nicht rechtzeitig angepasst worden seien. Mit Rücksicht darauf erscheine die dem Gesuchsteller auferlegte Bedingung, entweder den unteren Teil der Scheiastrasse auszubauen oder die projektierte Quartierstrasse zu erstellen, als unverhältnismässig. Im übrigen habe sich die Gemeinde bereits anlässlich der Überbauung des Nachbargrundstücks im Jahre 1967 darüber Rechenschaft geben müssen, dass die Parzelle Nr. 2492 in absehbarer Zeit überbaut würde. Die in der Zwischenzeit erfolgte Revision des Baugesetzes vermöge eine unterschiedliche Behandlung nicht zu rechtfertigen, denn der Wortlaut von Art. 45 BG enthalte gegenüber Art. 31 des alten Baugesetzes keine materielle Änderung.
E.-
Die Gemeinde Flims führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie beantragt, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 14. Juli 1969 sei aufzuheben. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
F.-
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Dr. Walter und die Altorfer AG beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
G.-
Eine Instruktionskommission des Bundesgerichts hat am 9. Mai 1970 einen Augenschein durchgeführt. Für dessen Ergebnis wird auf die nachstehenden Erwägungen verwiesen.
BGE 96 I 369 S. 372
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Eine Gemeinde ist nach ständiger Rechtsprechung zur Autonomiebeschwerde legitimiert, wenn der kantonale Entscheid oder Erlass sie in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt trifft und sie mit hinreichender Begründung eine Verletzung der Gemeindeautonomie rügt (
BGE 95 I 36
mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat eine baupolizeiliche Verfügung der Beschwerdeführerin aufgehoben und diese gegen ihren Willen verpflichtet, die für das Grundstück Nr. 2492 nachgesuchte Baubewilligung zu erteilen. Damit ist die Beschwerdeführerin als Trägerin hoheitlicher Gewalt unmittelbar betroffen. Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten (
BGE 95 I 36
; unveröffentlichtes Urteil vom 1. Oktober 1969 i.S. Gemeinde Flims gegen Wertli, Erw. 1).
2.
Wie das Bundesgericht in den letzten Jahren wiederholt entschieden hat (
BGE 95 I 37
,
BGE 94 I 64
mit Verweisungen), fällt das öffentliche Baurecht im Kanton Graubünden grundsätzlich in den Autonomiebereich der Gemeinden. Das Baugesetz der Gemeinde Flims stellt demnach autonomes Gemeinderecht dar. Die Anwendung desselben durch die zuständige kantonale Instanz kann vom Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüft werden (
BGE 96 I 153
,
BGE 95 I 37
).
3.
Streitig ist, ob die Parzelle Nr. 2492 über eine "vorschriftsgemässe Zufahrt" verfügt und im Sinne von Art. 45 BG als baureif bezeichnet werden kann. Der Ausdruck "vorschriftsgemäss" lässt erwarten, dass die Anforderungen, denen die Zufahrt im Einzelfall zu genügen hat, entweder im Baugesetz selber oder in einem Ausführungserlass umschrieben werden. Was indessen unter einer "vorschriftsgemässen Zufahrt" im Einzelnen zu verstehen ist, wird weder im Baugesetz noch anderswo näher ausgeführt. Eine sachgemässe Auslegung und Anwendung von Art. 45 BG ist deshalb nur möglich, wenn dabei die für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geltenden Regeln beachtet werden; die Ermittlung des Sinngehalts von Art. 45 BG hat mit andern Worten in gleicher Weise zu erfolgen wie die Auslegung von Art. 31 des alten Baugesetzes, der im Ausdruck "ausreichende Zufahrt" einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält. Die Beschwerdeführerin macht in diesem Zusammenhang geltend, bereits der Wortlaut von Art.45 BG
BGE 96 I 369 S. 373
gestatte eine Verschärfung der Baubewilligungspraxis; das Verwaltungsgericht geht demgegenüber davon aus, die erwähnte Bestimmung des neuen Baugesetzes habe am bisherigen Rechtszustand (Art. 31 des alten Baugesetzes) nichts geändert. Ob unter einer "vorschriftsgemässen Zufahrt" das gleiche zu verstehen ist wie unter einer "ausreichenden Zufahrt", mag indessen offen bleiben, wenn der angefochtene Entscheid, der diese Frage bejaht, die Gemeindeautonomie verletzt.
4.
Unbestimmte Rechtsbegriffe gewinnen ihren Inhalt aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie aus deren Stellung im Gesetz und im Rechtssystem (
BGE 93 I 6
), bedürfen also der Auslegung (
BGE 95 I 297
). Das Bundesgericht hat den Grundsatz aufgestellt, die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sei als Beantwortung einer Rechtsfrage von der Ermessensbetätigung zu trennen (
BGE 91 I 75
,
BGE 94 I 135
,
BGE 95 I 40
). Es anerkennt freilich, dass den kantonalen Behörden bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Einzelfall ein gewisser Beurteilungsspielraum (latitude de jugement) offen stehen kann (
BGE 91 I 75
,
BGE 93 I 6
). Insbesondere wenn örtliche Verhältnisse zu würdigen sind, ein Grenzfall vorliegt und die Auslegung schwierig ist, lässt sich die Rechtsanwendung innerhalb des soeben erwähnten Beurteilungsspielraums nicht scharf von der Ermessensbetätigung trennen (vgl.
BGE 94 I 135
; IMBOBEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl., Nr. 221 I, S. 73). Mit Rücksicht darauf übt das Bundesgericht eine gewisse Zurückhaltung, wenn es in derartigen Fällen die Entscheidung einer kantonalen Behörde zu überprüfen hat. Es widerspräche in der Tat dem Wesen der Rechtskontrolle, wenn der Staatsgerichtshof in solchen Fällen einer vertretbaren Auslegung des fraglichen unbestimmten Rechtsbegriffs die Anerkennung versagen und in völlig freier Überprüfung von der Rechtsauffassung der kantonalen Behörde abweichen würde. Soll die Rechtskontrolle indessen nicht in unzulässiger Weise beschränkt werden, so darf ein Beurteilungsspielraum bloss innerhalb enger, möglichst genau umschriebener Grenzen anerkannt werden (vgl. F. GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 140 oben).
Ähnlich wie das Bundesgericht haben kantonale Gerichte ihre Überprüfungsbefugnis zu beschränken, wenn der fragliche unbestimmte Rechtsbegriff dem autonomen Gemeinderecht angehört. Die Gemeinde ist in diesem Fall kraft ihrer Doppelstellung
BGE 96 I 369 S. 374
als Gesetzgeberin und Rechtsanwenderin in besonderem Masse dazu berufen, den Sinngehalt des umstrittenen Begriffs zu ermitteln. Sie verfügt über sämtliche Materialien, vermag ihre Entscheidung auf eine umfassende Kenntnis der örtlichen Verhältnisse zu stützen und ist am ehesten in der Lage, die künftige Entwicklung vorauszusehen. Insbesondere in Zweifelsfällen, wenn die Auslegung schwierig ist und in besonderem Masse örtliche Verhältnisse zu würdigen sind, kommt der Entscheidung der Gemeinde besonderes Gewicht zu. Mit Rücksicht auf Wesen und Schutzfunktion der Gemeindeautonomie rechtfertigt es sich, der Gemeinde in derartigen Fällen einen Beurteilungsspielraum im soeben umschriebenen Sinne zuzuerkennen. Dies hat zur Folge, dass der kommunale Verwaltungsakt von der übergeordneten kantonalen Behörde nur aufgehoben werden darf, wenn sich die Gemeinde im Zusammenhang mit der Anwendung des fraglichen unbestimmten Rechtsbegriffs auf den Einzelfall eines Missbrauchs oder einer Überschreitung ihrer Beurteilungsermächtigung schuldig gemacht oder wenn sie verfassungsmässige Rechte des Bürgers verletzt hat. Liegt keine derartige Rechtsverletzung vor und hebt die kantonale Behörde eine vertretbare Entscheidung der Gemeinde dennoch auf, so verletzt sie die Gemeindeautonomie, unbekümmert darum, ob ihre eigene Wertung der konkreten Verhältnisse der Willkürrüge zu entgehen vermöchte, denn sie masst sich damit eine Überprüfungsbefugnis an, die im wesentlichen einer Ermessenskontrolle gleichkommt und dem Wesen der Gemeindeautonomie widerspricht.
Im vorliegenden Fall ist demnach nicht in erster Linie zu prüfen, ob sich das Verwaltungsgericht einer willkürlichen Anwendung von autonomem Gemeinderecht schuldig gemacht hat (vgl.
BGE 95 I 37
/8), sondern ob der Beschwerdeführerin bei der Behandlung des Baugesuchs für die Parzelle Nr. 2492 ein Beurteilungsspielraum im oben umschriebenen Sinne offen gestanden hat. Da sich dieser - wie erwähnt - unmittelbar aus dem Wesen und aus der Schutzfunktion der Gemeindeautonomie ergibt und da die bezügliche Entscheidung den Umfang der Gemeindeautonomie auf dem Gebiete der Rechtsanwendung massgeblich beeinflusst, steht dem Bundesgericht dabei die freie Prüfung zu, zumal das öffentliche Baurecht im Kanton Graubünden grundsätzlich zum verfassungsmässig garantierten Autonomiebereich der Gemeinde gehört (
BGE 94 I 64
,
BGE 95 I 37
BGE 96 I 369 S. 375
Erw. 2). Ist die Frage zu bejahen und erscheint die Verweigerung der Baubewilligung durch die Gemeinde aufgrund der gesamten Umstände als vertretbar und verfassungsgemäss, so verletzt der angefochtene Entscheid nach dem Gesagten die Gemeindeautonomie.
5.
Die Scheiastrasse ist stellenweise sehr steil und schmal; die Strassenbiegungen sind unübersichtlich, und ein Kreuzen von Motorwagen ist weitgehend unmöglich. Nach starkem Schneefall ist die Fraktion Scheia oft überhaupt nicht erreichbar, da die Schneeräumung Schwierigkeiten bereitet und den Einzatz von Unimog-Schneeschleudern erfordert. Schneewände von gegen zwei Metern Höhe sind keine Seltenheit. Insbesondere die öffentlichen Dienste (Feuerwehr, Kehrichtabfuhr, Krankentransporte) werden durch die prekären Strassenverhältnisse aufs schwerste behindert. Der Augenschein hat ferner ergeben, dass die Scheiastrasse auch ausserhalb der Wintersaison bis zur Grenze des Zumutbaren beansprucht wird. Mit Rücksicht darauf lässt es sich sachlich begründen, das Baugesuch Dr. Walters mangels "ausreichender" bzw. "vorschriftsgemässer" Zufahrt zur Zeit abzuweisen. Andererseits ist es nicht unhaltbar, die Baute zuzulassen, mit der Begründung, die Zufahrt vermöge den Bedürfnissen noch gerade zu genügen. Es liegt mithin ein Grenzfall vor. Aufgrund der gesamten Umstände rechtfertigt es sich, der Beschwerdeführerin bei der Behandlung des Baugesuchs für die Parzelle Nr. 2492 einen Beurteilungsspielraum im oben umschriebenen Sinn zuzuerkennen. Zu prüfen bleibt demnach, ob die Beschwerdeführerin davon einen übermässigen Gebrauch gemacht hat, d.h. ob die Verweigerung der Baubewilligung gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit oder gegen das Gebot der rechtsgleichen Behandlung verstösst.
6.
a) Polizeiliche Eingriffe müssen verhältnismässig sein; sie dürfen nicht weiter gehen, als es der Zweck der Massnahme verlangt (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl., Nr. 342 S. 219; A. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 184 ss.). Die Verweigerung der Baubewilligung für das Grundstück Nr. 2492 steht nicht im Widerspruch zu diesem anerkannten Grundsatz. Anders als durch ein Verbot weiterer Bauten lässt sich eine Verkehrsgefährdung, welche von der Beschwerdeführerin mit haltbaren Gründen als unzumutbar bezeichnet worden ist, nicht verhindern, solange die Scheiastrasse
BGE 96 I 369 S. 376
nicht ausgebaut oder die geplante Quartierstrasse nach Fidaz nicht erstellt ist. Daran ändert nichts, dass im vorliegenden Fall nicht die private Zufahrt, sondern eine öffentliche Strasse den Anforderungen nicht genügt. Freilich obliegt es der Gemeinde, für eine angemessene Erschliessung ihres Baugebiets zu sorgen. Die Fraktion Scheia ist indessen erst im Zusammenhang mit dem Erlass des neuen Baugesetzes eingezont und der Bauzone B zugewiesen worden. Das Recht einer Gemeinde, der zu erwartenden baulichen Weiterentwicklung durch sachgemässe Planung Rechnung zu tragen, schliesst die Befugnis in sich, die Erschliessung neugeschaffener Bauzonen zeitlich zu staffeln. Nichts deutet darauf hin, dass die Erschliessung der Fraktion Scheia übermässig verzögert werden soll, beabsichtigt doch die Beschwerdeführerin, die bestehende Zufahrtsstrasse in absehbarer Zeit selbst auszubauen und die geplante Quartierstrasse nach Fidaz zu erstellen. Die Beschwerdeführerin widersetzt sich im übrigen einer sofortigen Überbauung der Parzelle Nr. 2492 nicht, sofern der Gesuchsteller die Zufahrtsstrasse auf eigene Kosten ausbaut; sie erklärt sich bereit, neu hinzukommende Anstösser in diesem Fall zu verpflichten, an die Strassenbaukosten anteilsmässig beizutragen. Die Verfügungen der Beschwerdeführerin vom 24. bzw. 31. März 1969 verletzen demnach den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht.
b) Dr. Walter vermag aus der Überbauung der Nachbargrundstücke keine Rechte abzuleiten. Die Beschwerdeführerin gibt zwar zu, früher eine weniger strenge Praxis befolgt zu haben. Dies hindert sie jedoch nicht, im Hinblick auf die künftige Entwicklung und die damit verbundenen Gefahren eine sachlich gerechtfertigte Praxisänderung vorzunehmen (
BGE 94 I 16
und insbesondere
BGE 93 I 259
Erw. 2 b). Die heutigen Verhältnisse stimmen im übrigen mit denjenigen des Jahres 1967 (Überbauung des Grundstücks Nr. 2424) nicht überein, da in der Zwischenzeit - wie bereits erwähnt - ein Zonenplan aufgestellt worden ist, der auch die Fraktion Scheia erfasst. Diese planerische Massnahme lässt erwarten, dass in absehbarer Zeit weitere Baugesuche eingereicht werden, sind doch bereits Verhandlungen über Landkäufe in der neugeschaffenen Bauzone im Gange. Dem Entscheid über das streitige Bauvorhaben kommt deshalb erhebliche präjudizielle Wirkung zu. Auch dieser Umstand lässt eine Überprüfung der Baubewilligungspraxis als gerechtfertigt erscheinen, unbekümmert darum, ob der Wortlaut
BGE 96 I 369 S. 377
von Art. 45 BG ohne weiteres eine Verschärfung der Praxis erlaubt. Die Verweigerung der streitigen Baubewilligung steht daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht im Widerspruch zu
Art. 4 BV
.
7.
Da die Beschwerdeführerin von ihrer Beurteilungsermächtigung keinen übermässigen Gebrauch gemacht hat, erweist sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung der gemeinderätlichen Verfügungen vom 24. bzw. 31. März 1969 als unzulässig. Die Autonomiebeschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 14. Juli 1969 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
74eb2060-5911-41a0-be98-718ef87ea50c | Urteilskopf
82 II 205
30. Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Mai 1956 i.S. Hiestand gegen Vormundschaftsbehörde Oberrieden und Bezirksrat Horgen. | Regeste
Berufung an das Bundesgericht. Parteien im Verfahren betr. Errichtung einer Beiratschaft. Letztinstanzlicher kantonaler Entscheid? (
Art. 48 OG
).
Errichtung einer Beiratschaft (
Art. 395 ZGB
). Die Kantone bestimmen die sachlich zuständigen Behörden und sind in der Ausgestaltung des kantonalen Instanzenzugs frei. | Sachverhalt
ab Seite 205
BGE 82 II 205 S. 205
Auf Antrag der Vormundschaftsbehörde Oberrieden errichtete der Bezirksrat Horgen am 10. Juni 1955 für Frl. Hiestand eine Beiratschaft im Sinne von
Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB
. Hiegegen rekurrierte Frl. Hiestand an die Direktion der Justiz des Kantons Zürich. Diese hat am 27. Dezember 1955 verfügt, der Rekurs werde in dem Sinne gutgeheissen, dass die Rekurrentin unter blosse Mitwirkungsbeiratschaft nach
Art. 395 Abs. 1 ZGB
gestellt werde.
Gegen diesen Entscheid hat Frl. Hiestand die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, er sei aufzuheben und die Handlungsfähigkeit sei ihr unbeschränkt zu belassen; eventuell sei die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss § 91 Abs. 1 des zürcherischen Einführungsgesetzes zum ZGB (EG) erfolgen die Beschränkung
BGE 82 II 205 S. 206
der Handlungsfähigkeit (
Art. 395 ZGB
) und die Aufhebung dieser Beschränkung durch den Bezirksrat auf Antrag des Waisenamtes. Im vorliegenden Falle wirkte demgemäss die Vormundschaftsbehörde Oberrieden als Antragsstellerin, der Bezirksrat dagegen wie nachher die Justizdirektion als entscheidende Behörde. Daher kann im Berufungsverfahren ausser der Berufungsklägerin nur die Vormundschaftsbehörde als Partei gelten.
2.
In Verfahren, welche die Entmündigung, die Anordnung einer Beistandschaft oder die Aufhebung dieser Verfügungen zum Gegenstand haben, ist nach
Art. 44 lit. c OG
die Berufung an das Bundesgericht zulässig. Wie aus den in dieser Gesetzesbestimmung angeführten Artikeln des ZGB (Art. 369-372, 392-395) klar hervorgeht, ist hier unter "Beistandschaft" die Beiratschaft im Sinne von
Art. 395 ZGB
mitzuverstehen. Der angefochtene Entscheid ist also in einer Sache ergangen, die mit der Berufung vor das Bundesgericht gebracht werden kann.
Die Berufung ist indes nach
Art. 48 OG
nur gegen Entscheide zulässig, die nicht durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden können. Ob ein Entscheid einer kantonalen Behörde durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden könne, ist dem Grundsatze nach eine Frage des kantonalen Rechts, die das Bundesgericht bei der ihm obliegenden Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung zu prüfen hat.
Die Zuständigkeit der Justizdirektion des Kantons Zürich zur Beurteilung von Rekursen gegen bezirksrätliche Entscheide über die Anordnung einer Beiratschaft kann ihren Grund nur darin haben, dass der Bezirksrat gemäss §§ 41 und 75 EG vormundschaftliche Aufsichtsbehörde erster Instanz und die Justizdirektion die vom Regierungsrat auf Grund von § 44 Ziff. 9 und § 75 EG als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde zweiter Instanz bezeichnete Amtsstelle ist; denn die Justizdirektion ist nach der zürcherischen Behördenorganisation nur in ihrer Eigenschaft als obere vormundschaftliche Aufsichtsbehörde
BGE 82 II 205 S. 207
Rekursinstanz gegenüber dem Bezirksrat (vgl. O. FEHR, Die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Zürich, S. 235, 228). Gegen Entscheide der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde zweiter Instanz ist nach dem letzten Satzteil von § 75 EG Rekurs an den Regierungsrat zulässig. Diese Bestimmung entspricht § 13 Abs. 2 des zürcherischen Gesetzes betr. die Organisation und Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner Direktionen vom 26. Februar 1899, wonach gegen alle Verfügungen in Sachen, die einer Direktion zur Erledigung zugewiesen sind, das Recht des Rekurses an den Regierungsrat offensteht, und dem in § 46 EG ausgesprochenen Grundsatze, dass gegen alle Entscheidungen und Verfügungen einer untern Verwaltungsbehörde Rekurs an die obere Behörde zulässig ist. Der hier in Frage stehende Rekurs ist ein ordentliches Rechtsmittel; er hat Devolutiveffekt und grundsätzlich auch Suspensiveffekt (vgl. § 46 EG). Nach kantonalem Recht ist also der angefochtene Entscheid kein letztinstanzlicher im Sinne von
Art. 48 OG
, sondern wäre diese Eigenschaft erst einem auf Rekurs hin ergangenen Entscheid des Regierungsrates, der obersten kantonalen Verwaltungsbehörde, zugekommen.
Im Entscheide
BGE 47 II 17
Erw. 2, den die Berufungsklägerin anruft, hat das Bundesgericht nun allerdings erklärt, nach
Art. 361 ZGB
seien die Kantone nur berechtigt, eine oder zwei Instanzen der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde vorzusehen; die Einführung einer dritten Instanz sei bundesrechtwidrig; daher könne (wo ein solcher Weiterzug möglich ist) schon der Entscheid der zweitinstanzlichen Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht weitergezogen werden, auch wenn das kantonale Recht, wie es nach den angeführten Bestimmungen im Kanton Zürich der Fall ist, eine dritte Instanz vorsieht. In
BGE 64 II 336
und
BGE 67 II 205
hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung dann aber dahin verdeutlicht, dass die aus
Art. 361 ZGB
sich ergebende Beschränkung des kantonalen Instanzenzugs nur für die Angelegenheiten gilt,
BGE 82 II 205 S. 208
die das Bundesrecht den vormundschaftlichen Behörden im Sinne dieser Bestimmung übertragen hat. Wo dagegen das Bundesrecht die Bezeichnung der sachlich zuständigen Behörden den Kantonen überlässt, sind diese in der Ausgestaltung des Instanzenzuges frei, und zwar gilt dies auch dann, wenn ein Kanton eine Angelegenheit, für die er die sachliche Zuständigkeit nach seinem Gutfinden ordnen kann, den vormundschaftlichen Behörden zuweist.
Der Entscheid darüber, ob die Verfügung der Justizdirektion vom 27. Dezember 1955 der Berufung an das Bundesgericht unterliege oder ob dieses Rechtsmittel erst gegen einen Rekursentscheid des Regierungsrates hätte ergriffen werden können, hängt demnach davon ab, ob die Errichtung einer Beiratschaft im Sinne von
Art. 395 ZGB
kraft Bundesrechts Sache der vormundschaftlichen Behörden ist oder ob das Bundesrecht die Bestimmung der hiefür zuständigen Behörden den Kantonen überlässt.
3.
Art. 395 ZGB
sagt nichts darüber, welche Behörde zuständig ist, im Sinne dieser Bestimmung die Handlungsfähigkeit einer Person zu beschränken und ihr einen Beirat zu geben. Die Antwort auf diese Frage muss daher anderswo gesucht werden.
Auf Art. 395, der mit dem Randtitel "III. Beschränkung der Handlungsfähigkeit" im Unterabschnitt "A. Fälle der Beistandschaft" des Abschnittes über "Die Beistandschaft" steht, folgt unter dem Randtitel "B. Zuständigkeit" der Art. 396, der bestimmt, die Vertretung durch einen Beistand werde für die der Beistandschaft bedürftige Person von der Vormundschaftsbehörde ihres Wohnsitzes angeordnet (Abs. 1); die Anordnung einer Vermögensverwaltung erfolge durch die Vormundschaftsbehörde des Ortes, wo das Vermögen in seinem Hauptbestandteil verwaltet worden oder der zu vertretenden Person zugefallen ist (Abs. 2). Art. 397, der mit dem Randtitel "C. Bestellung des Beistandes" versehen ist, sagt sodann in Abs. 1: "Für das Verfahren gelten die gleichen Vorschriften wie bei der Bevormundung."
BGE 82 II 205 S. 209
Unter der Anordnung der Vertretung durch einen Beistand bzw. einer Vermögensverwaltung, wofür Art. 396 die Zuständigkeit regelt, ist nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht etwa bloss die Wahl des Beistandes, d.h. die Bezeichnung der mit der Führung der Beistandschaft betrauten Person, sondern vor allem die Errichtung der Beistandschaft, d.h. der Beschluss zu verstehen, der anordnet, dass in einem bestimmten Fall eine Beistandschaft errichtet wird. Hätte das Gesetz in Art. 396 nur die Zuständigkeit für die Wahl des Beistandes ordnen wollen, so hätte es sich anders ausdrücken müssen. Daher ist anzunehmen, dass Art. 396 nicht nur für die Wahl des Beistands, sondern auch für die Errichtung der Beistandschaft gelte. Der französische und der italienische Text dieser Bestimmung können nicht zu einem andern Schlusse führen. Sie sind zwar so gefasst, dass es möglich wäre, sie bloss auf die Zuständigkeit für die Wahl des Beistands zu beziehen (Le curateur est nommé ..." bzw. "... désigné ..."; "La nomina del curatore ..."). In einem weitern Sinne können aber die Ausdrücke "Ernennung", "nomination" und "nomina", auf einen Beistand bezogen, auch die Anordnung der Beistandschaft bezeichnen (vgl. den deutschen und italienischen Text von Art. 392 und 393, wo die entsprechenden Zeitwörter "ernennen", "nominare" im Zusammenhang mit der Frage verwendet werden, in welchen Fällen eine Beistandschaft zu errichten ist, und auch den Randtitel "Bestellung des Beistandes", "Nomination", "Nomina del curatore" zu dem vom Verbeiständungsverfahren handelnden Art. 397). Die romanischen Texte von Art. 396 zwingen daher keineswegs zu einer Auslegung, die dem klaren Sinne des deutschen Textes widerspräche. Es liesse sich im übrigen kein vernünftiger Grund dafür finden, die örtliche Zuständigkeit (um die es in Art. 396 in erster Linie geht) für die Wahl des Beistandes anders zu ordnen als für die Errichtung der Beistandschaft. Die Rechtsprechung hat denn auch stets angenommen, dass Art. 396 die örtliche Zuständigkeit für die
BGE 82 II 205 S. 210
Anordnung (= Errichtung) der Beistandschaft festsetzt (
BGE 46 II 3
unten,
BGE 81 II 419
).
Da Art. 396 die Anordnung der Vertretung durch einen Beistand und die Anordnung einer Vermögensverwaltung je der "Vormundschaftsbehörde" eines bestimmten Ortes, zuweist, ist darin nicht nur eine Vorschrift über die örtliche, sondern auch eine solche über die sachliche Zuständigkeit zur Errichtung einer Beistandschaft zu erblicken (so auch KAUFMANN, 2. Aufl., N. 1 und 26 zu Art. 396). Für die Errichtung einer Beistandschaft sind also nach Bundesrecht die vormundschaftlichen Behörden zuständig. - Stellt Art. 396 demnach eine Sondervorschrift für die örtliche und sachliche Zuständigkeit zur Errichtung einer Beistandschaft dar, so kann die in Art. 397 enthaltene Verweisung auf die Vorschriften über die Bevormundung nicht den Sinn haben, dass diese Zuständigkeit sich in örtlicher Beziehung nach Art. 376 und in sachlicher Beziehung nach Art. 373 richte (vgl.
BGE 81 II 420
, wo festgestellt wurde, dass die den Kantonen in Art. 376 Abs. 2 eingeräumte Befugnis, für ihre im Kanton wohnenden Bürger die vormundschaftlichen Behörden der Heimat als zuständig zu erklären, mit Bezug auf die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft nicht gelte).
Art. 396 kann nun aber trotz dem durch die Systematik des Gesetzes vermittelten Zusammenhang mit Art. 395 nicht ohne weiteres auf die Errichtung einer Beiratschaft Anwendung finden. Sein erster Absatz, der von der Anordnung der "Vertretung durch einen Beistand" spricht, bezieht sich nach seinem Wortlaut auf die Vertretungsbeistandschaft im Sinne von Art. 392, nicht dagegen auf die Mitwirkungs- oder Verwaltungsbeiratschaft im Sinne von Art. 395, und sein zweiter Absatz ist offensichtlich für die Verwaltungsbeistandschaft im Sinne von Art. 393 aufgestellt worden, die zur Voraussetzung hat, dass ein Vermögen vorhanden ist, das niemand verwaltet (vgl.
BGE 80 II 198
), nicht für den Fall, dass zum Schutze einer Person, die die tatsächliche Möglichkeit zur Verwaltung
BGE 82 II 205 S. 211
ihres Vermögens besitzt, eine Beschränkung ihrer Handlungsfähigkeit hinsichtlich der Vermögensverwaltung als notwendig erscheint; denn indem Art. 396 Abs. 2 für die Anordnung der Vermögensverwaltung die Vormundschaftsbehörde des Ortes, wo das Vermögen in seinem Hauptbestandteil verwaltet worden oder der zu vertretenden Person zugefallen ist, als zuständig bezeichnet, nimmt er nur gerade auf den Fall Bezug, dass irgendwo ein Vermögen liegt, um das sich niemand kümmert. Die Fassung von Art. 396 wurde eben im wesentlichen aus dem Vorentwurf von 1900 übernommen, der im entsprechenden Abschnitt (über "Die Anordnung der Beistandschaft", Art. 422-425) als Fälle der Beistandschaft nur die Vertretung und die Vermögensverwaltung im Sinne der heutigen Art. 392 und 393 vorsah. Art. 396 bestätigt also hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit nach seinem Wortlaut nur, was sich schon aus Art. 392 und 393 ergibt: dass es nämlich in den Fällen dieser Artikel Sache der Vormundschaftsbehörde ist, einen Beistand zu ernennen, d.h. eine Beistandschaft zu errichten. Lässt sich Art. 396 demnach im Falle des Art. 395 nicht unmittelbar anwenden, so kann sich nur noch fragen, ob und wieweit jene Bestimmung auf die Anordnung einer Beiratschaft im Sinne von Art. 395 analog angewendet werden könne.
Mit Bezug auf die örtliche Zuständigkeit hat die Rechtsprechung diese Frage in der Weise beantwortet, dass sie unter Hinweis auf Art. 396 Abs. 1 (und 376) die Behörden des Wohnsitzes der schutzbedürftigen Person für die Anordnung beider Formen der Beiratschaft als zuständig erklärte (
BGE 46 II 3
ff.,
BGE 81 II 419
). Auf die Verwaltungsbeiratschaft im Sinne von Art. 395 Abs. 2 den von der "Vermögensverwaltung" handelnden Art. 396 Abs. 2 anzuwenden, wurde abgelehnt mit der Begründung, der Gesetzessystematik komme hier keine erhebliche Bedeutung zu, weil Art. 395 erst in der parlamentarischen Beratung (vom Ständerat) in den Abschnitt über die Beistandschaft eingeschoben worden sei; bei solchen Einschiebungen liege
BGE 82 II 205 S. 212
die Gefahr nahe, "dass sie dem übrigen Gesetzesinhalt nicht nach jeder Hinsicht angepasst sind und das System in der einen oder andern Richtung durchbrechen"; das treffe zweifellos im Verhältnis zwischen Art. 395 Abs. 2 und 396 Abs. 2 zu; Art. 396 Abs. 2 passe für die reine Vermögensverwaltung des Art. 393, weil diese sehr wohl von der Person des in seiner Handlungsfähigkeit unbeschränkten Verbeiständeten losgelöst und am Ort, wo das Vermögen liegt, vorgenommen werden könne, nicht dagegen für die Beiratschaft, die stets die Handlungsfähigkeit des Betroffenen beschränke; denn im Falle, dass die Beiratschaft nicht an dessen Wohnort geführt würde, stünde der Beirat den von ihm zu berücksichtigenden Verhältnissen des Verbeirateten oft fremd gegenüber und wäre die Beschränkung der Handlungsfähigkeit für diesen wegen Erschwerung des Kontakts mit dem Beirat weit drückender als bei Führung der Beiratschaft am Wohnort (
BGE 46 II 3
ff.). Es hätte beigefügt werden können, dass die Behörden des Wohnsitzes in der Regel mit den Tatsachen, die zur Anordnung einer Beiratschaft (sei es eine Mitwirkungs-, sei es eine Verwaltungsbeiratschaft) Anlass geben können, in der Regel am besten vertraut sind und am raschesten handeln können (vgl.
BGE 81 II 419
unten), und dass für die Verwaltungsbeiratschaft schon deshalb nicht eine andere örtliche Zuständigkeit gelten kann als für die Mitwirkungsbeiratschaft, auf die Art. 396 Abs. 2 offensichtlich nicht angewendet werden kann, weil unter Umständen beide Massnahmen miteinander zu verbinden sind (vgl.
BGE 66 II 14
,
BGE 81 II 266
). Die Praxis hat also auf beide Formen der Beiratschaft den in 396 Abs. 1 und 376 Abs. 1 ZGB ausgesprochenen Grundsatz der Zuständigkeit der Wohnsitzbehörden angewendet, weil dadurch die Verwirklichung der Zwecke, denen die Vorschriften über die Beiratschaft dienen sollen, am besten gewährleistet wird.
Entsprechende Überlegungen müssen auch bei der Lösung der Frage wegleitend sein, welche Behörden für
BGE 82 II 205 S. 213
die Anordnung einer Beiratschaft sachlich zuständig seien. Die im Abschnitt über die Beistandschaft geregelte Beiratschaft ist ihrer Natur nach in Wirklichkeit eine Vormundschaft minderen Grades (
BGE 80 II 17
). Ihre Anordnung setzt nach dem Wortlaut von
Art. 395 ZGB
voraus, dass eine Entmündigung nicht geboten, aber doch eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit notwendig ist, und ihre Wirkungen sind zwar nicht so umfassend wie diejenigen der Vormundschaft, haben aber in dem Bereiche, auf den sie sich erstrecken, ähnlichen Charakter wie diese, da sie den Verbeirateten am selbständigen Abschluss bestimmter Geschäfte hindern (Abs. 1) bzw. ihm die Befugnis entziehen, sein Vermögen selber zu verwalten (Art. 2). In der Praxis können sich leicht Fälle ergeben, wo man sich ernstlich fragen kann, ob eine Vormundschaft oder nur eine Beiratschaft am Platze sei. Es wäre also unzweckmässig und einer richtigen Anwendung des Gesetzes abträglich, wenn über die Anordnung einer Beiratschaft eine andere Behörde zu befinden hätte als über die Entmündigung. Daher ist auf die sachliche Zuständigkeit für die Anordnung einer Beiratschaft ungeachtet der Tatsache, dass Art. 395 unter den Bestimmungen über die Beistandschaft steht, nicht der für diese massgebende Art. 396, sondern der für die Entmündigung geltende
Art. 373 ZGB
analog anzuwenden, d.h. für die Anordnung einer Beiratschaft muss wie für die Entmündigung gelten, dass die Kantone die sachlich zuständigen Behörden bestimmen (so auch schon
BGE 67 II 205
f. in Übereinstimmung mit KAUFMANN, 2. Aufl., N. 30 zu Art. 396 und N. 21 zu Art. 397, und EGGER, 2. Aufl., N. 6 zu
Art. 397 ZGB
). Die in
BGE 56 II 423
ohne nähere Begründung vertretene Auffassung, dass nach
Art. 376 und 396 ZGB
die Entmündigung und die Bestellung eines Beirats (gemeint die Anordnung einer Beiratschaft) wie die Verbeiständung Sache der vormundschaftlichen Behörden seien, erweist sich als unzutreffend. (Ob aus den gleichen Gründen anzunehmen sei, dass die Kantone mit heimatlicher
BGE 82 II 205 S. 214
Armenfürsorge die Anordnung einer Beiratschaft für ihre im Kanton wohnenden Bürger wie gemäss Art. 376 Abs. 2 die Anordnung und Führung einer Vormundschaft den heimatlichen Behörden übertragen können, trotzdem diese Bestimmung, wie schon bemerkt, für die Anordnung einer Beistandschaft nicht gilt, braucht heute nicht entschieden zu werden.)
Die analoge Anwendung von Art. 373 auf die sachliche Zuständigkeit für die Beiratschaft schafft freilich keine absolute Gewähr dafür, dass für die Verbeiratung überall die gleichen Behörden zuständig sind wie für die Entmündigung, weil diese Vorschrift sich darauf beschränkt, die Bezeichnung der zuständigen Behörden den Kantonen zu überlassen, und folglich die Kantone nicht zwingt, die Anordnung der Beiratschaft den gleichen Behörden zuzuweisen wie die Entmündigung. Sie macht dies den Kantonen aber wenigstens möglich, und die meisten Kantone scheinen von dieser Möglichkeit denn auch Gebrauch gemacht zu haben (vgl. KAUFMANN, 2. Aufl., N. 22 ff. zu
Art. 397 ZGB
). Eine Ausnahme macht allerdings gerade Zürich, wo gemäss § 85 EG der auf Grund von
Art. 369 oder 370 ZGB
zu Entmündigende nach Zustellung des Beschlusses des Bezirksrats eine gerichtliche Entscheidung verlangen kann und der Rekurs an die obere Aufsichtsbehörde und den Regierungsrat ausgeschlossen ist, während im Falle der Beschränkung der Handlungsfähigkeit im Sinne von
Art. 395 ZGB
gemäss § 91 Abs. 2 EG ein gerichtliches Verfahren nicht stattfindet. Diese Besonderheit des zürcherischen Rechts kann aber auf die Auslegung der bundesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften keinen Einfluss haben.
Im vorliegenden Falle haben also der Bezirksrat und die Justizdirektion nicht eine Kompetenz ausgeübt, die ihnen als vormundschaftlichen Behörden von Bundesrechts wegen zukäme, sondern sie haben als die Behörden gehandelt, die nach dem in dieser Hinsicht massgebenden kantonalen Recht für den Entscheid über die Anordnung
BGE 82 II 205 S. 215
einer Beiratschaft zuständig sind. Die Verfügung der Justizdirektion hätte daher durch Rekurs an den Regierungsrat angefochten werden können, was nach
Art. 48 OG
ihre Anfechtung durch Berufung an das Bundesgericht ausschliesst.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
74f2f27b-4f17-4126-8c55-6ecf8c681450 | Urteilskopf
116 Ib 386
49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1990 i.S. R. gegen Schweizerische Bundesbahnen, Kreisdirektion III, und Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Enteignungsrechtliche Entschädigungsforderung des Pächters; Rechtzeitigkeit der Anmeldung, Verwirkung des Anspruchs, Treu und Glauben.
Rechtzeitigkeit der Geltendmachung und Verwirkung der enteignungsrechtlichen Entschädigungsansprüche der Grundeigentümer (E. 3a) und der Mieter und Pächter (E. 3b). Folgen der Verwirkung gemäss der Lehre im Privatrecht (E. 3c/aa) sowie nach Lehre und Rechtsprechung im öffentlichen Recht (E. 3c/bb). Zweck, formelle Voraussetzungen und Schranken der in den
Art. 36,
Art. 37 und
Art. 41 EntG
vorgesehenen Verwirkung.
Keine Verwirkung gewisser Entschädigungsansprüche im vorliegenden Fall, da der Enteignete aufgrund des Verhaltens der Enteignerinnen nach Treu und Glauben annehmen durfte, eine formelle Anmeldung der Ansprüche sei nicht nötig (E. 4).
Berechnung der für die vorzeitige Pachtauflösung geschuldeten Entschädigung (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 387
BGE 116 Ib 386 S. 387
A.-
Am 26. Mai 1983 ersuchten die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Kreis III, den Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 10, ein Enteignungsverfahren für das Teilprojekt 7 (Stettbach) der Zürcher S-Bahn einzuleiten. Zugleich stellten sie vorsorglich ein Begehren um vorzeitige Besitzeinweisung. In ihrer Eingabe wiesen die SBB darauf hin, dass das Bauvorhaben dringlich sei und die Bauarbeiten bereits im Juni/Juli 1983 aufgenommen werden sollten. Da eine Besitzeinweisung auf diesen Zeitpunkt im Rahmen des erst noch anzuhebenden Enteignungsverfahrens ausgeschlossen sei, werde versucht werden, "auf freiwilliger Basis mit den betroffenen Grundeigentümern und Pächtern eine vorzeitige Besitzerteilung zu erreichen". Im übrigen gaben die SBB dem Schätzungskommissions-Präsidenten bekannt, dass die Aussteckung bereits vorgenommen und den Grundeigentümern mit Schreiben vom 21. April 1983 angezeigt worden sei.
Mit Verfügung vom 8. Juni 1983 ordnete der stellvertretende Präsident der Schätzungskommission die öffentliche Auflage der Pläne in den Gemeinden Zürich und Dübendorf an, die vom 24. Juni bis 25. Juli 1983 dauerte. Die persönlichen Anzeigen wurden den betroffenen Grundeigentümern am 24. Juni 1983 zugestellt. Zu diesen zählen auch die Stadt Zürich als Eigentümerin der in der Gemeinde Dübendorf liegenden landwirtschaftlich genutzten Parzellen Nrn. 2759-2765 und 3577 (Plan Nrn. 18-24, 16) sowie die Erben G. als Eigentümer des ebenfalls zum Gemeindebann Dübendorf gehörenden Grundstücks Nr. 10573 (Plan Nr. 8).
B.-
Bereits vor der Einleitung des Enteignungsverfahrens waren die SBB mit Schreiben vom 30. März 1983 an den Stadtrat von Zürich gelangt und hatten diesen darauf hingewiesen, dass der Bahnbau im Bereich Stettbach schon im Juni in Angriff genommen werden sollte, eine vorzeitige Besitzeinweisung durch den Schätzungskommissions-Präsidenten aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich sei. Die SBB ersuchten deshalb den Stadtrat, ihnen die Inanspruchnahme der für die Bauarbeiten benötigten Grundstücke
BGE 116 Ib 386 S. 388
ab Juni 1983 (teils Juni 1984 oder 1985) zu bewilligen. Um diesem Wunsch zu entsprechen, wandte sich die Liegenschaftenverwaltung der Stadt an ihre Pächter und veranlasste am 25. April 1983 R., folgende Vereinbarung zu unterzeichnen:
"Pachtland-Entlassung
Durch den Bau der Zürcher S-Bahn, Station Stettbach/Dübendorf, werden
verschiedene Pachtgrundstücke ganz oder teilweise für dieses Bauvorhaben
beansprucht.
Demzufolge werden im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Pachtvertrag
Zsb.-Nr. 16 820.1 auf den 30. September 1983 entlassen: Kat.-Nrn.
2759-2765 und 3577 total 37 283 m2; eine Neuverpachtung ist nicht möglich.
Der Pachtzins reduziert sich ab 1. Oktober 1983 auf Fr. 5'524.-- und ist
wie bisher in vierteljährlichen Raten zu bezahlen.
Allfällige Kulturausfall-Entschädigungen sind bei der SBB geltend zu
machen."
Im Besitze dieser Erklärung legten die SBB R. eine bereits ausformulierte und von ihnen unterzeichnete Vereinbarung über die vorzeitige Rückgabe bzw. Übergabe des Pachtlandes vor. In dieser wird festgehalten, dass das Pachtverhältnis über die fraglichen Grundstücke am 30. September 1983 erlösche (Art. 2) und der Pächter auf Wunsch der SBB eine Teilfläche von ca. 119 Aren auf den 1. Juli 1983 sowie das Grundstück Nr. 3577 sofort zurückgebe (Art. 3), während die SBB den Pächter für den Ernteausfall entschädige (Art. 3 Abs. 2 und Art. 4). R., der damals keinen Anwalt zur Seite hatte, unterschrieb die Vereinbarung am 7. Juni 1983. Der Chef der Verwaltungsabteilung des Kreises III der SBB und der Liegenschaftenverwalter der Stadt Zürich, deren Genehmigung in der Vereinbarung vorbehalten worden war, unterzeichneten diese am 17. Juni bzw. 20. Juli 1983. Ebenfalls am 20. Juli 1983 erklärte sich die Stadt mit der vorzeitigen Inbesitznahme ihrer Grundstücke durch die SBB einverstanden, grösstenteils rückwirkend auf den 1. Juli 1983.
C.-
Während der Eingabefrist verlangte die Stadt Zürich, dass die vorgesehene vorübergehende Beanspruchung eines Teils ihrer Parzellen auf die ganzen Parzellenflächen ausgedehnt werde, da auf Wunsch der SBB die Pachtverträge über die ganzen Grundstücke auf den 30. September bzw. 31. Oktober 1983 aufgelöst worden seien. Die Erben G. stellten mit Eingabe vom 22. Juli 1983 ein Entschädigungsbegehren in Höhe von Fr. 300'000.-- für die mehrjährige Beanspruchung der Parzelle Nr. 10573, unter dem Vorbehalt, diese Forderung nach Konsultation eines Fachmannes noch
BGE 116 Ib 386 S. 389
zu berichtigen. Der Pächter R. meldete am 25. Juli 1983 Entschädigungsforderungen für den "Entzug von Pachtland während der Bauzeit" an, wobei er als betroffene Grundstücke die Parzellen Nrn. 12556, 5122, 9605 und 2683 (ohne Bezeichnung der Eigentümer) nannte, während die von R. ebenfalls gepachteten Grundstücke der Stadt Zürich und der Erben G. unerwähnt blieben.
An der Einigungsverhandlung vom 21. September 1983 reduzierten die Erben G., die mit dem Pächter R. und einem gemeinsamen Rechtsanwalt erschienen waren, gestützt auf eine landwirtschaftliche Expertise ihr Entschädigungsbegehren für die vorübergehende Inanspruchnahme auf Fr. 4'700.-- pro Hektare und Jahr. Die SBB erklärten sich bereit, diese Forderung zu prüfen.
An der Schätzungsverhandlung vom 26. Juni 1985 machte die Stadt Zürich geltend, dass dem Pächter R. eine Erwerbsausfall-Entschädigung für die Zeit bis zum ordentlichen Kündigungstermin zuerkannt werden müsse und sich die Enteignerinnen nicht in gutem Glauben auf die "Pachtland-Entlassung" berufen könnten, die einzig im Hinblick auf den Bahnbau vereinbart worden sei. Auch R. selbst, der am Tag zuvor zur Einigungsverhandlung geladen war, hatte eine Erwerbsausfall-Entschädigung über den Zeitpunkt der vorzeitigen Pachtauflösung hinaus verlangt, da diese nicht als gültige Kündigung der Pachtverträge betrachtet werden könne. Die SBB beriefen sich indessen auf diese Vertragsauflösung, die dem Entschädigungsanspruch des Pächters ein Ende gesetzt habe. Im übrigen anerkannten sie die vom landwirtschaftlichen Experten vorgeschlagenen Ansätze zur Ermittlung des Erwerbsausfalls, nämlich Fr. 47.-- pro Are und Jahr bis Ende 1983, Fr. 53.50 pro Are für 1984 und Fr. 55.50 pro Are für 1985.
Hinsichtlich der Grundstücke der Stadt Zürich wies R. in einer Eingabe vom 10. Juli 1985 nochmals darauf hin, dass ihm eine Erwerbsausfall-Entschädigung bis 31. Oktober 1985 zustehe, da die Pachtverträge frühestens auf diesen Zeitpunkt hätten gekündigt werden können. Die SBB hielten in ihrer Stellungnahme vom 7. August 1985 an ihrer Auffassung fest, wonach R. der "Pachtland-Entlassung" freiwillig zugestimmt habe und daher das Pachtverhältnis gültig auf den 30. September 1983 aufgelöst worden sei. Dagegen machten die Enteignerinnen weder in dieser Eingabe noch in anderen Rechtsschriften geltend, dass die Entschädigungsansprüche von R. wegen verspäteter Anmeldung verwirkt sein könnten.
BGE 116 Ib 386 S. 390
D.-
Mit Entscheid vom 26. Oktober 1985 sprach die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10, R. für die vorzeitige Aufhebung des Pachtvertrages über die Parzellen Nrn. 12656, 5122, 9605 und 2683 eine Entschädigung von insgesamt Fr. 6'911.50 sowie 5% Zins ab 1. Oktober 1983 zu. Die weitergehenden Forderungen des Pächters - also auch die Forderungen für die Grundstücke der Erben G. und der Stadt Zürich - wurden abgewiesen. Die Schätzungskommission hielt hiezu fest, dass die fraglichen Entschädigungsansprüche verspätet angemeldet worden und die Voraussetzungen für eine Schätzung der enteigneten Rechte ohne Anmeldung gemäss Art. 38 des Enteignungsgesetzes nicht gegeben seien.
E.-
R. hat gegen den Entscheid der Schätzungskommission Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und Antrag auf Ausrichtung folgender zusätzlicher Entschädigungen gestellt:
"1. Fr. 3'030.-- nebst 5% Zins seit 1. Oktober 1983 für einen Teil von
Kat. Nr. 10573 (Ent. Nr. 8);
2. Fr. 3'745.-- nebst 5% Zins seit 1. Oktober 1984
sowie Fr. 20'692.-- nebst 5% Zins seit 1. Oktober 1985 für 70 Aren bzw.
372.83 Aren von Kat. Nr. 2759-2765 und 3577 (total 37 283 m2). "
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Schätzungskommission hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, dass der Pächter R. seine Entschädigungsansprüche für die vorübergehende Enteignung der Grundstücke der Erben G. und der Stadt Zürich nicht innert der in
Art. 30, 36 und 37 EntG
vorgesehenen Frist geltend gemacht habe und die Voraussetzungen für eine nachträgliche Forderungsanmeldung gemäss
Art. 41 Abs. 1 lit. a oder b EntG
nicht erfüllt seien. Eine Schätzung der enteigneten Rechte ohne Anmeldung (
Art. 38 EntG
) falle ebenfalls nicht in Betracht. Die Entschädigungsansprüche des Pächters für die betreffenden Grundstücke seien daher verwirkt.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist diese Betrachtungsweise der Schätzungskommission allzu formalistisch, widerspricht dem Geist des Enteignungsgesetzes und verstösst angesichts der tatsächlichen Vorkommnisse gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Ob dem so sei, ist in näherer Betrachtung der enteignungsrechtlichen Regeln über die Geltendmachung der Entschädigungsforderungen und die Säumnisfolgen zu untersuchen.
BGE 116 Ib 386 S. 391
3.
a) Die Frist, während der die enteigneten Grundeigentümer ihre Schadenersatzforderungen, die Begehren um Ausdehnung der Enteignung und die Gesuche um Realersatz anmelden können (
Art. 36 lit. a-c EntG
), ist eine Verwirkungsfrist (
BGE 113 Ib 38
E. 3,
BGE 105 Ib 9
,
BGE 100 Ib 202
ff.; für die Einsprachen vgl.
BGE 111 Ib 284
E. 3a,
BGE 104 Ib 341
f. E. 3a). Entschädigungsforderungen, welche nicht binnen der Auflagefrist (
Art. 31 Abs. 1 und 3 EntG
) oder - bei verspäteter Zustellung der persönlichen Anzeige - innert der verlängerten Eingabefrist (
Art. 31 Abs. 2 EntG
) erhoben werden, gelten daher grundsätzlich als verwirkt, soweit nicht einer der in
Art. 41 Abs. 1 EntG
genannten Gründe für die nachträgliche Geltendmachung von Forderungen gegeben und die weitere Verwirkungsfrist von
Art. 41 Abs. 2 EntG
eingehalten worden ist. Wird das abgekürzte Verfahren durchgeführt (
Art. 33 EntG
), kann allerdings die Verwirkung einzig jenen Enteigneten entgegengehalten werden, die durch eine persönliche Anzeige zur Anmeldung ihrer Begehren aufgefordert und auf die Rechtsfolgen für den Unterlassungsfall hingewiesen worden sind (Art. 34 Abs. 1 lit. e und f): Die Säumnis kann nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur dann eine derart schwere Folge wie die Verwirkung der Entschädigungsansprüche haben, wenn der Enteignete ausdrücklich auf diese aufmerksam gemacht worden ist (
BGE 111 Ib 284
E. 3a,
BGE 106 Ib 235
, je mit Hinweisen auf weitere Urteile).
b) Auch die Mieter und Pächter, deren persönliche Rechte Gegenstand der Enteignung bilden können (
Art. 5 Abs. 1 EntG
), sind zur Anmeldung ihrer Forderungen innert der Auflagefrist verpflichtet (
Art. 37 EntG
). Sofern die obligatorischen Rechte im Grundbuch vorgemerkt sind, ist den Berechtigten gleich wie den Grundeigentümern die persönliche Anzeige zuzustellen und läuft für diese allenfalls die verlängerte Frist gemäss
Art. 31 Abs. 2 EntG
. Sind die Miet- und Pachtverträge dagegen nicht im Grundbuch verzeichnet, so haben die Vermieter und Verpächter ihren Mietern und Pächtern sofort nach Empfang der Anzeige von der Enteignung Mitteilung zu machen (
Art. 32,
Art. 34 Abs. 1 lit. g EntG
). Gegenüber Mietern und Pächtern ist somit der Enteigner von der Pflicht zur direkten Benachrichtigung befreit, da ihm weder zugemutet werden kann, die einzelnen Berechtigten an den enteigneten Grundstücken ausfindig zu machen, noch er in der Lage wäre abzuklären, ob durch die Expropriation überhaupt in die Miet- und Pachtverträge eingegriffen wird. Der Grundeigentümer, dem in diesem Fall die gesetzliche Anzeigepflicht obliegt,
BGE 116 Ib 386 S. 392
handelt nicht als Vertreter des Mieters oder Pächters, sondern als Hilfsperson des Enteigners. Ersetzt demnach die Mitteilung des Eigentümers an den Mieter oder Pächter die persönliche Anzeige des Enteigners, so läuft - wie das Bundesgericht in
BGE 100 Ib 296
für das abgekürzte Verfahren festgehalten hat - die Eingabefrist für den Mieter oder Pächter erst vom Empfang dieser Mitteilung an. Ob dies auch für das normale Verfahren gelte, in welchem durch die öffentliche Bekanntmachung auf die
Art. 38-41 EntG
und die Verwirkungsfolge hingewiesen wird, braucht hier nicht geprüft zu werden.
c) Die Frage, welches die Folgen der Verwirkung seien und ob diese nach unbenütztem Ablauf der Verwirkungsfrist stets einträten, ist in der Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet worden:
aa) Nach herrschender Doktrin auf dem Gebiet des Privatrechtes geht eine Forderung durch Verwirkung vollständig und endgültig unter. Der Richter beachtet die Verwirkung von Amtes wegen, der Gläubiger braucht sie nicht anzurufen und kann auch nicht darauf verzichten (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. A. 1974, S. 161 f.; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. A. 1980, S. 276 ff.; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, 2. A. 1981, N 2136; PIERRE ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 537). KARL SPIRO vertritt indessen die Ansicht, dass die Verwirkung nicht notwendigerweise mit einem völligen Rechtsverlust verbunden sei. In bestimmten Fällen begründe sie lediglich eine Einrede, auf die verzichtet werden könne; es treffe daher nicht zu, dass die Verwirkung stets von Amtes wegen zu berücksichtigen sei (Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. II, §§ 422-426 S. 1127 ff.). EUGEN BUCHER hält ebenfalls abweichend von der herrschenden Meinung fest, dass das positive Recht keine generelle Verwirkungsregelung, sondern - im Gegensatz zu den allgemeinen Verjährungsvorschriften - nur einzelne Verwirkungstatbestände kenne, auf die oft verjährungsrechtliche Regeln anzuwenden seien, welche allerdings dem Einzelfall angepasst werden müssten (Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. A. 1988, § 25 II; s. a. RAYMOND JEANPRÊTRE, Bemerkung zu
BGE 113 II 118
, JdT 1988 I S. 151).
bb) Auch im öffentlichen Recht erlischt gemäss der Lehre die Forderung, wenn die zur ihrer Erhaltung nötige Handlung innert
BGE 116 Ib 386 S. 393
der Verwirkungsfrist nicht vorgenommen wird. Die Verwirkungsfrist kann weder gehemmt, noch unterbrochen oder wiederhergestellt werden. Die Verwirkung führt zu völligem Untergang des Rechts, ohne dass eine Naturalobligation bestehen bliebe (GRISEL, Traité de droit administratif, S. 662 f. und dort angeführte Entscheide).
Einigen dieser Grundsätze ist allerdings in der Rechtsprechung keine absolute Bedeutung zugemessen worden. So ist im Sozialversicherungsrecht eingeräumt worden, in bestimmten Fällen, wenn die gesetzliche Ordnung als lückenhaft betrachtet werden dürfe, könne auch eine Verwirkungsfrist wiederhergestellt werden (
BGE 102 V 114
ff. E. 2). Weiter hat das Bundesgericht in einem Veranwortlichkeitsprozess davon abgesehen, der Verwirkung Rechnung zu tragen, weil sich die Eidgenossenschaft als Beklagte ohne irgendwelchen Vorbehalt auf die Sache eingelassen hatte (
BGE 106 Ib 364
E. 3a). In Enteignungssachen ist festgehalten worden, dass die in
Art. 40 EntG
vorgesehene Verwirkung für Begehren um Schutzvorrichtungen gemäss
Art. 7 Abs. 3 EntG
nicht eintrete, wenn sich die Notwendigkeit von Schutzmassnahmen erst nach der Inbetriebnahme des Werkes zeige; die dannzumal eingereichten Gesuche seien den Regeln über die nachträgliche Entschädigungsanmeldung (Art. 41 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 lit. b EntG) zu unterstellen. In einem neueren Entscheid ist die Frage offengeblieben, ob der Pächter des enteigneten Grundstücks seine Forderung rechtzeitig geltend gemacht habe, weil der Enteigner ausdrücklich darauf verzichtet hatte, sich auf die Verwirkung zu berufen (nicht publ. Entscheid vom 29. März 1990 i.S. Savoldelli E. 1b). Schliesslich hat das Bundesgericht, sei es in Enteignungssachen, sei es auf anderen Gebieten, stets betont, dass die Verwirkung dann nicht von Amtes wegen beachtet werden dürfe, wenn die entsprechende Einrede als rechtsmissbräuchlich bzw. unvereinbar mit dem Gebot von Treu und Glauben erschiene (
BGE 106 Ib 235
E. 2b,
BGE 113 Ib 38
E. 3 und dort zitierte Urteile; vgl. auch GUHL/MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 278 mit Hinweisen auf weitere Entscheide).
Diesen Urteilen ist zu entnehmen, dass beim Entscheid über die Verwirkungsfolge wohl von den allgemeinen Prinzipien auszugehen ist, daneben aber berücksichtigt werden muss, welchen Zweck der Gesetzgeber im fraglichen Rechtsgebiet mit dem Institut verfolgen wollte, und schliesslich den im konkreten Fall gegebenen Umständen Rechnung getragen werden soll.
BGE 116 Ib 386 S. 394
d) Was den Zweck der in den
Art. 36, 37 und 41 EntG
vorgesehenen Verwirkung anbelangt, so soll sie den Enteigner vor nachträglichen Entschädigungsforderungen schützen, welche er nicht erwarten musste und die sich auf die Kosten des Werkes auswirken bzw. für den Verzicht auf die Enteignung ausschlaggebend sein könnten (vgl.
Art. 14 Abs. 1 EntG
). Dieser Schutz wird dem Enteigner allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb gewisser Schranken gewährt: Zum einen ist die Verwirkung der Entschädigungsansprüche nur möglich, wenn vom Enteigner gewisse Formen eingehalten worden sind. Zum anderen muss ausgeschlossen werden, dass der Enteigner aus jeder Unachtsamkeit des Enteigneten Nutzen ziehen und sich seiner Pflicht zur Abgeltung der durch die Enteignung verursachten voraussehbaren Schäden entschlagen kann. Hiezu im einzelnen noch folgendes
aa) Wie bereits dargelegt (oben lit. a), gehört zu den formellen Voraussetzungen der Verwirkung insbesondere, dass der Enteigner den Enteigneten die persönliche Anzeige zukommen lässt, und zwar nicht nur den "aus dem Grundbuch oder den öffentlichen Büchern ersichtlichen", sondern auch den "ihm sonst bekannten Entschädigungsberechtigten" (
Art. 31 Abs. 1 EntG
). Wird die Zustellung der persönlichen Anzeige unterlassen, so läuft für jene, die nach
Art. 31 Abs. 1 EntG
ein Anrecht auf sie hätten, die Verwirkungsfrist nicht. Die gegenteilige Meinung von HEINZ HESS (HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, N 12 und 15 zu
Art. 31 EntG
) kann, wie sich aus
Art. 31 Abs. 2 EntG
ergibt, nicht richtig sein. Das Bundesgericht hat denn auch im zitierten
BGE 100 Ib 200
ff. lediglich ausgeführt, dass im Falle öffentlicher Planauflage und Bekanntmachung die Verwirkungsandrohung von
Art. 41 EntG
für alle Betroffenen gelte (also auch für diejenigen, die nach
Art. 31 Abs. 1 EntG
keinen Anspruch auf eine persönliche Anzeige haben); dagegen hat es sich mit der Frage des Fristenlaufes für die persönlich zu Benachrichtigenden nicht auseinandergesetzt.
bb) Eingeschränkt wird die Verwirkung der enteignungsrechtlichen Entschädigungsansprüche vor allem durch die Bestimmungen von
Art. 38 und
Art. 72 Abs. 2 EntG
.
Art. 38 EntG
verpflichtet die Schätzungskommission, die enteigneten Rechte auch ohne Anmeldung zu schätzen, soweit sie sich aus der Grunderwerbstabelle ergeben oder offenkundig sind; der Enteigner kann daher hinsichtlich der Rechte, die ihm bekannt sein müssen, keinen Vorteil aus der Säumnis der Enteigneten ziehen.
Art. 72 Abs. 2 EntG
bestimmt, dass die Schätzungskommission bei der Festsetzung
BGE 116 Ib 386 S. 395
der Höhe der Entschädigung nicht an die Anträge der Parteien gebunden ist. Die Anmeldung nur ungenügender Forderungen schadet somit dem Enteigneten nicht und bewahrt auch die nicht geltend gemachten Teilansprüche vor der Verwirkung. Daran ändert
Art. 36 lit. a EntG
nichts, da diese Bestimmung, nach welcher die Entschädigungsbegehren im einzelnen zu beziffern sind, als reine Ordnungsvorschrift zu betrachten ist (
BGE 102 Ib 280
E. 1b und dort zitierte Urteile).
4.
Aus der geschilderten gesetzlichen Ordnung und den in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen ergibt sich für den vorliegenden Fall folgendes:
a) Die Schätzungskommission hält im angefochtenen Entscheid zu Recht fest, dass die Entschädigungsforderungen von R. nicht zu den offenkundigen Rechten im Sinne von
Art. 38 EntG
zählen könnten, die auch ohne Anmeldung zu schätzen sind und dadurch der Verwirkung entgehen. Der Umstand, dass der Enteigner zufällig von der Existenz von Miet- oder Pachtverträgen weiss und die berechtigten Personen sowie den Vertragsinhalt kennt, macht diese Rechtsverhältnisse noch nicht "offenkundig". Soweit das Wissen des Enteigners um solche Vertragsverhältnisse für die Verwirkung der Entschädigungsansprüche von Bedeutung sein kann, wirkt es sich nicht im Rahmen von
Art. 38 EntG
aus.
b) Was das Entschädigungsbegehren für die Parzelle Nr. 10573 der Erben G. betrifft, so hat der Beschwerdeführer nie behauptet, dass ihm die Grundeigentümer keine oder verspätete Mitteilung von der Enteignung gemacht und dadurch eine rechtzeitige Forderungsanmeldung seinerseits verunmöglicht hätten. Hingegen macht er geltend, seine Forderung sei in jener der Erben G. enthalten gewesen, hätten doch diese für die Inanspruchnahme ihres Grundstücks während fünf Jahren ein Entschädigungsbegehren in Höhe von Fr. 300'000.-- gestellt und habe dieser Betrag auch die dem Pächter zustehende Erwerbsausfall-Vergütung umfasst. Dieser Meinung ist jedoch nicht zu folgen. Zwar verbietet es das Gesetz dem Pächter und Verpächter nicht, eine gemeinsame, die Entschädigungsbegehren beider Seiten enthaltende Eingabe einzureichen; in einer solchen muss jedoch der Pächter als entschädigungsberechtigter Enteigneter klar bezeichnet werden. Nun wird aber in der Rechtsschrift der Erben G. vom 22. Juli 1983 weder der Name des Pächters genannt, noch von dessen Begehren gesprochen und von einem Pachtverhältnis überhaupt nichts erwähnt. Der Enteignungsrichter hatte deshalb keinen Anlass, in dieser
BGE 116 Ib 386 S. 396
Eingabe auch eine Forderungsanmeldung des Pächters zu erblicken, und ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Entschädigungsansprüche des Beschwerdeführers hinsichtlich des Grundstücks Nr. 10573 erstmals an der Einigungsverhandlung vom 21. September 1983, das heisst erst nach Ablauf der Eingabefrist gemäss
Art. 36 und 37 EntG
geltend gemacht worden seien.
c) Vom Pachtverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und der Stadt Zürich erhielten die SBB bereits vor der Eröffnung des Enteignungsverfahrens nähere Kenntnis. Es fragt sich, ob unter solchen Umständen der Enteigner nicht auch dem Pächter als einem ihm "sonst bekannten Entschädigungsberechtigten" (
Art. 31 Abs. 1 EntG
) eine persönliche Anzeige zustellen müsste. Wäre dies zu bejahen, so hätte hier für den Beschwerdeführer, der keine Anzeige erhielt, die Verwirkungsfrist gar nicht zu laufen begonnen. Indessen erlauben die Bestimmungen von
Art. 31 und 32 EntG
eine solche Auslegung wohl nicht. Vielmehr ist, wie bereits erwähnt (E. 3b),
Art. 32 EntG
als Spezialvorschrift zu
Art. 31 EntG
zu betrachten, die den Enteigner der Pflicht zur persönlichen Benachrichtigung von Mietern und Pächtern, deren Verträge im Grundbuch nicht verzeichnet sind, enthebt, unabhängig davon, ob ihm die Vertragsverhältnisse bekannt seien oder nicht.
d) Die SBB haben sich vor der Schätzungskommission nicht auf die Verwirkung der Entschädigungsforderungen des Beschwerdeführers berufen, sondern verlangt, dass dessen Begehren aus materiellrechtlichen Gründen abgewiesen würden. Daraus ergibt sich jedoch nichts zugunsten des Beschwerdeführers, es sei denn, man wolle die in
BGE 106 Ib 364
angestellte Erwägung (nach welcher die Verwirkung nicht zu beachten ist, wenn sich das Gemeinwesen auf Verantwortlichkeitsklage hin vorbehaltlos auf die Sache einlässt) in Enteignungssachen übernehmen, obschon sich die Lehre zu diesem Urteil eher reserviert geäussert hat (GYGI, Die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtes im Jahre 1980, ZBJV 118/1982 S. 300, GRISEL, a.a.O., S. 663). Ein solcher Schritt liesse sich aber nicht rechtfertigen: Er würde zum Wegfall eines wichtigen Unterscheidungsmerkmals von Verjährung und Verwirkung führen und wäre auch mit dem Wortlaut von
Art. 41 Abs. 2 EntG
nicht zu vereinbaren ("Die Entschädigungsforderungen gelten als verwirkt...", "Les demandes d'indemnité sont réputées irrecevables par forclusion...", "Sono da considerare come perente le pretese d'indennità..."); ausserdem hätte er zur Folge,
BGE 116 Ib 386 S. 397
dass der Präsident der Schätzungskommission vor seinem Entscheid über die Zulässigkeit einer nachträglichen Forderungseingabe jedesmal den Enteigner anhören müsste (vgl. Art. 19 der Verordnung für die eidgenössischen Schätzungskommissionen vom 24. April 1972, SR 711.1).
Anders wäre die Sache wohl, wenn die SBB ausdrücklich erklärt hätten, sich nicht auf die Verwirkung berufen zu wollen. Es ist nicht einzusehen, weshalb es dem Enteigner untersagt sein sollte, auf den Schutz der Verwirkung zu verzichten, der allein seinen Interessen dient. Ein solches Verbot könnte ihm unter Umständen sogar schaden, so etwa bei nachträglichen Gesuchen um Ausdehnung der Enteignung oder um Realersatz oder wenn gütliche Vereinbarungen auf dem Spiele stehen. Die Frage braucht hier aber nicht abschliessend beantwortet zu werden, da die SBB keine Verzichtserklärung abgegeben haben.
e) Somit muss es für die Forderung des Beschwerdeführers betreffend die Parzelle G. dabei bleiben, dass sie ohne irgendein Zutun der Enteignerinnen verspätet angemeldet worden und deshalb verwirkt ist.
Etwas anderes gilt dagegen für die Entschädigungsansprüche, die sich auf die Grundstücke der Stadt Zürich beziehen:
Wie der Sachverhaltsdarstellung zu entnehmen ist, haben sich die SBB schon kurz vor Eröffnung des Enteignungsverfahrens an die Stadt Zürich als Grundeigentümerin gewandt, um diese zur Zustimmung zu einer früheren Besitzergreifung, als sie im Enteignungsverfahren möglich gewesen wäre, zu bewegen. Die Stadt Zürich hat hierauf mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse am geplanten Werk den Pächter R. von der Notwendigkeit der "Pachtland-Entlassung" überzeugt und nach Unterzeichnung der entsprechenden Vereinbarung am 25. April 1983 die SBB davon unterrichtet. Die SBB, in deren Interesse die Stadt Zürich damals handelte, müssen sich demnach entgegenhalten lassen, dass der Beschwerdeführer - was sich auch aus dem Text der Vereinbarung ergibt - nur unter dem Druck und zugunsten des bevorstehenden Bahnbaues in die Änderung des Pachtvertrages eingewilligt hat. Zu Recht hat daher die Schätzungskommission festgestellt, nach den Regeln von Treu und Glauben könne nicht angenommen werden, der Pächter habe mit der Anerkennung der vorzeitigen Pachtauflösung ebenfalls auf seine Rechte gegenüber den Enteignerinnen verzichtet. Dies wird heute von den SBB auch nicht mehr behauptet.
BGE 116 Ib 386 S. 398
Für die Frage der Verwirkung ist von wesentlicher Bedeutung, dass die SBB, nachdem sie in den Besitz der "Pachtland-Entlassung" gelangt waren, sich selbst an den Pächter gewandt und ihn, der damals noch nicht von einem Anwalt vertreten war, zur Unterzeichnung der bereits vorbereiteten Vereinbarung über die Freigabe der Grundstücke auf den 1. Juli und über die Ernteausfall-Entschädigung für 1983 veranlasst haben. Diese Vereinbarung, die vom Beschwerdeführer am 7. Juni 1983 unterschrieben worden ist, hat ihre Gültigkeit erst mit der ausdrücklich vorbehaltenen Genehmigung durch die zuständige Stelle der Stadt Zürich erlangt, die am 20. Juli 1983 erfolgte. Die Vereinbarung ist somit erst nach Einleitung des Enteignungsverfahrens, nämlich während der Eingabefrist, geschlossen worden und stellt, zusammen mit den vorbereitenden Papieren, einen Enteignungsvertrag dar, der dem öffentlichen und nicht dem privaten Recht untersteht (
BGE 116 Ib 244
,
BGE 114 Ib 147
ff. E. 3b). Mit diesem Vertrag, der übrigens dem Präsidenten der Schätzungskommission mitzuteilen war (
Art. 54 Abs. 1 EntG
), ist der Beschwerdeführer als Pächter gleich den in der Grunderwerbstabelle aufgeführten Grundeigentümern in das Verfahren und damit in den Kreis der Enteigneten einbezogen worden. Unter diesen Umständen durfte er davon absehen, in seiner Forderungseingabe nochmals zu erwähnen, dass er auch Grundstücke der Stadt Zürich pachte, eine Tatsache, die den SBB bestens bekannt war. Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, der Beschwerdeführer sei an sich gehalten gewesen, in seiner Eingabe auch diese Parzellen aufzuführen, so dürfte ihm ohne weiteres zugute gehalten werden, dass er angesichts des Vorgehens der SBB annehmen durfte, er sei von dieser Verpflichtung befreit.
Mit gutem Grund ist daher die Einrede der Verwirkung unterblieben. Sie hätte als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden müssen, da von Rechtsmissbrauch nicht nur dann zu sprechen ist, wenn der Schuldner arglistig handelt, in der Absicht, die Gegenpartei von der rechtzeitigen Anmeldung ihrer Ansprüche abzuhalten, sondern auch, wenn er ohne Arglist durch sein Verhalten das Vertrauen erweckt hat, dass die Geltendmachung der Ansprüche nicht nötig sei, und er sich trotz seines früheren Verhaltens auf die Verwirkung beruft (
BGE 83 II 98
f., 49 II 322).
Es ergibt sich, dass die Schätzungskommission in bezug auf die Forderungen des Beschwerdeführers für die Grundstücke der Stadt Zürich zu Unrecht von deren Verwirkung ausgegangen ist
BGE 116 Ib 386 S. 399
und ihm auch für diese Parzellen eine Entschädigung zuerkannt werden muss.
5.
Zu prüfen bleibt die Frage nach der Höhe der dem Beschwerdeführer zusätzlich zuzusprechenden Vergütung. Diese Frage kann ebenfalls vom Bundesgericht beantwortet werden, da die Elemente der Schadensberechnung bekannt und von keiner Seite angefochten worden sind.
Nach den Angaben des Beschwerdeführers, die in den Akten ihre Bestätigung finden und von den Enteignerinnen nicht bestritten werden, hätte der von R. und der Stadt Zürich am 28. November 1966 eingegangene Pachtvertrag frühestens auf den 31. Oktober 1985 aufgelöst werden können und hat der Pächter durch den Bahnbau im Jahre 1984 70 Aren und im Jahre 1985 372.83 Aren bewirtschaftbaren Boden eingebüsst. Der landwirtschaftliche Ertrag ist von der Schätzungskommission gestützt auf den von allen anerkannten Expertenbericht für 1984 auf Fr. 53.50 pro Are und für 1985 auf Fr. 55.50 pro Are festgesetzt worden. Von diesen Beträgen ist - was in der Beschwerde übersehen worden ist - der der Grundeigentümerin geschuldete Pachtzins abzuziehen, der sich nach den Akten auf jährlich Fr. 10.-- pro Are beläuft. Der Erwerbsausfall berechnet sich somit wie folgt:
für das Jahr 1984
70 Aren à Fr. 53.50 Fr. 3'745.--
Pachtzins - Fr. 700.-- Fr. 3'045.--
-------------
für das Jahr 1985
372.83
Aren à Fr. 55.50 Fr. 20'692.--
Pachtzins - Fr. 3'728.-- Fr. 16'964.--
------------- -------------
insgesamt Fr. 20'009.--
=============
Der Teilbetrag von Fr. 3'045.-- ist ab 1. November 1984 und der Gesamtbetrag von Fr. 20'009.-- ab 1. November 1985 zu den vom Bundesgericht festgelegten Ansätzen zu verzinsen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
74fbede4-b416-4d40-80c5-ab3074c50ee5 | Urteilskopf
116 IV 300
58. Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1990 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 11,
Art. 63 ff.,
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
; Strafzumessung bei verminderter Zurechnungsfähigkeit und Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, darunter Mord.
1. Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe erweitern den ordentlichen Strafrahmen und bilden zugleich Straferhöhungs- und -minderungsgründe (E. 2a).
2. Der Richter muss Strafschärfungs- und -milderungsgründe mindestens straferhöhend bzw. -mindernd berücksichtigen, wobei sich diese in ihrer zweiten Bedeutung kompensieren können (E. 2a). Vorgehen bei der Bemessung der Strafe nach
Art. 68 Ziff. 1 StGB
(E. 2b, 2c/aa und dd).
3. Das Höchstmass der Strafe und der Strafart gemäss
Art. 68 Ziff. 1 StGB
richtet sich nach der abstrakt angedrohten Strafe (E. 2c/bb und cc).
4. Bei Konkurrenz eines in verminderter Zurechnungsfähigkeit begangenen Mordes mit einer weiteren Straftat kann aus diesen Gründen auf lebenslängliches Zuchthaus erkannt werden. | Sachverhalt
ab Seite 301
BGE 116 IV 300 S. 301
K. wird vorgeworfen, im Jahre 1987 innert rund einem Monat in Zürich und Winterthur zwei ihm zuvor unbekannte Frauen, die sich gegen seine gewaltsame sexuelle Annäherung zur Wehr setzten, durch eine Vielzahl von Messerstichen getötet und zwei weitere Frauen ebenfalls unter Einsatz eines Messers vergewaltigt bzw. zu einer andern unzüchtigen Handlung genötigt zu haben. Er befand sich bei allen Taten im Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit.
Am 8. März 1990 bestrafte ihn die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich unter anderem wegen wiederholten Mordes, wiederholter Notzucht sowie wiederholter Nötigung zu einer anderen unzüchtigen Handlung zu lebenslänglichem Zuchthaus und einer Landesverweisung für die Dauer von 15 Jahren.
K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer wurde im wesentlichen wegen zweier Morde und zweier Vergewaltigungen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die Vorinstanz ging in allen vier Fällen unangefochten von einem ausserordentlich schweren Verschulden aus. Andererseits billigte sie dem Beschwerdeführer bei den Notzuchtsdelikten eine in leichtem bis mittlerem sowie bei den Tötungsdelikten in mittlerem bis schwerem Grad verminderte Zurechnungsfähigkeit zu. Dies rechtfertige eine erhebliche Strafmilderung. Demgegenüber führe der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer mehrerer Straftaten schuldig gemacht habe, die jede für sich allein die Ausfällung einer empfindlichen Strafe
BGE 116 IV 300 S. 302
rechtfertige, zu einer sehr erheblichen Strafschärfung. In Würdigung sämtlicher Strafzumessungsgründe sei eine Bestrafung mit lebenslänglichem Zuchthaus angemessen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihr Ermessen überschritten und Bundesrecht verletzt, indem sie trotz Verminderung der Zurechnungsfähigkeit bei allen vier Taten die Höchststrafe ausgesprochen habe. Bei Strafmilderung wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit könne auch bei Konkurrenz mehrerer Taten nicht auf lebenslängliches Zuchthaus erkannt werden.
2.
a) Die Strafzumessung ist vom Schuldprinzip beherrscht. Gemäss
Art. 63 StGB
misst der Richter die Strafe innerhalb des für den betreffenden Tatbestand geltenden Strafrahmens nach dem Verschulden des Täters zu, wobei er die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat. Bei den einzelnen hier massgebenden Umständen kann es sich um Straferhöhungs- oder um Strafminderungsgründe handeln (TRECHSEL, Kurzkommentar, Zürich 1989,
Art. 63 N 11
). Mord ist seit dem 1. Januar 1990 mit lebenslänglichem Zuchthaus oder mit Zuchthaus von zehn bis zwanzig Jahren bedroht; innerhalb dieses Strafrahmens ist die Strafe gestützt auf
Art. 63 StGB
zu bemessen.
Daneben sieht das Gesetz eine Strafrahmenerweiterung vor, wenn einer oder mehrere der im Gesetz besonders aufgeführten Strafschärfungs- oder Strafmilderungsgründe erfüllt sind (vgl. Art. 64 bis 68 StGB). Bei ihrem Vorliegen ist der Richter also nicht mehr an den für das betreffende Delikt geltenden Strafrahmen gebunden (s. unten E. 2b). Strafschärfungs- bzw. Strafmilderungsgründe sind aber immer zugleich auch Straferhöhungs- bzw. Strafminderungsgründe, die der Richter von Amtes wegen mindestens straferhöhend bzw. strafmindernd berücksichtigen muss (vgl.
BGE 116 IV 13
f.; TRECHSEL, a.a.O., N 5 vor
Art. 64,
Art. 68 N 13
). Wenn Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe zusammenfallen, können sie sich einerseits kompensieren (z.B. BRUNS, Das Recht der Strafzumessung, Köln 1985, S. 206/207), und ist andererseits der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen des zu beurteilenden Deliktes nach oben bzw. nach unten erweitert.
b) Im vorliegenden Fall ist einerseits der Strafschärfungsgrund des Zusammentreffens von strafbaren Handlungen oder Strafbestimmungen (
Art. 68 StGB
) und andererseits der Strafmilderungsgrund
BGE 116 IV 300 S. 303
der verminderten Zurechnungsfähigkeit (Art. 11 i.V.m.
Art. 66 StGB
) zu berücksichtigen.
aa)
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
bestimmt, dass der Richter den Täter, der durch eine oder mehrere Handlungen mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, zu der Strafe der schwersten Tat verurteilt und deren Dauer angemessen erhöht. Beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen oder Strafbestimmungen hat der Richter also zunächst die schwerste Tat sowie unter Berücksichtigung aller Strafzumessungsgründe deren Strafe (die sog. Einsatzstrafe) zu bestimmen und diese daraufhin angemessen zu erhöhen. Der Richter ist verpflichtet, diesen Strafschärfungsgrund mindestens straferhöhend zu berücksichtigen (TRECHSEL, a.a.O.,
Art. 68 N 13
). Er kann die Strafe überdies über den gesetzlichen Strafrahmen hinaus schärfen, wobei er nach der ausdrücklichen Vorschrift des
Art. 68 StGB
einerseits das höchste Mass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte überschreiten darf und anderseits an das Höchstmass der Strafart gebunden ist.
bb) Gemäss
Art. 11 StGB
kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern, wenn der Täter zur Zeit der Tat vermindert zurechnungsfähig war. Der Richter ist dabei weder an die Strafart noch an das Strafmass, wohl aber an das gesetzliche Mindestmass der jeweiligen Strafart gebunden (
Art. 66 StGB
). Nach herrschender und zutreffender Auffassung muss der Richter den Strafmilderungsgrund der verminderten Zurechnungsfähigkeit mindestens strafmindernd berücksichtigen (
BGE 116 IV 13
unten; vgl. STRATENWERTH, AT I, Bern 1982,
§ 11 N 35
mit Hinweisen; TRECHSEL,
Art. 11 N 6
). Er darf also nicht auf das Höchstmass des für die in Frage stehende Tat angedrohten Strafrahmens erkennen.
c) Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob bei einem in verminderter Zurechnungsfähigkeit begangenen Mord trotzdem die Verhängung des Höchstmasses, d.h. einer lebenslangen Zuchthausstrafe, zulässig ist, weil der Täter weitere Straftaten begangen hat.
aa) Hat der Täter mehrere Straftaten begangen, ist gemäss
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
eine Gesamtstrafe auszufällen. Wenn die schwerste Tat ein in verminderter Zurechnungsfähigkeit begangener Mord ist, kann die Strafe für dieses Delikt zwanzig Jahre Zuchthaus nicht überschreiten, da sie nach dem oben Gesagten bei verminderter Zurechnungsfähigkeit zwingend mindestens zu mindern ist, was bedeutet, dass anstelle der lebenslangen Zuchthausstrafe höchstens die zweitschwerste Sanktion des StGB, nämlich
BGE 116 IV 300 S. 304
eine zwanzigjährige Zuchthausstrafe, ausgefällt werden darf. Es stellt sich die Frage, ob es nun gestützt auf
Art. 68 StGB
zulässig ist, diese sog. Einsatzstrafe wegen der übrigen Straftaten auf lebenslängliches Zuchthaus zu erhöhen.
Dafür spricht zunächst, dass die Strafe dem Verschulden des Täters entsprechen soll (
Art. 63 StGB
). Der Strafschärfungs- bzw. Straferhöhungsgrund des Zusammenfallens von strafbaren Handlungen oder Strafbestimmungen erhöht dieses Verschulden und muss deshalb zwingend zu einer entsprechend höheren Strafe führen. Auch den vermindert zurechnungsfähigen Täter trifft ein Verschulden, wenn dieses - im Vergleich zum voll zurechnungsfähigen Täter - auch geringer ist. Dieses - reduzierte - Verschulden wächst aber mit jeder zusätzlich begangenen strafbaren Handlung. Mit jeder weiteren Tat muss die Strafe also auch beim vermindert zurechnungsfähigen Täter höher ausfallen. Erst wenn das Strafmaximum gemäss
Art. 68 StGB
erreicht ist, kann die Strafe nicht mehr erhöht werden.
bb) Es stellt sich die weitere Frage, ob bei einem in verminderter Zurechnungsfähigkeit begangenen Mord nur mehr eine zeitige Freiheitsstrafe im Sinne von
Art. 68 StGB
"angedroht" ist, weil die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zwingend mindestens zu einer Strafminderung führt und die lebenslängliche Zuchthausstrafe deshalb ausgeschlossen ist.
Dies ist zu verneinen. Gemäss
Art. 68 StGB
erhöht der Richter die Dauer der Einsatzstrafe angemessen, wobei er das höchste Mass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte überschreiten darf und gleichzeitig an das Höchstmass der Strafart gebunden ist. Das höchste Mass der angedrohten Strafe ist bei Mord lebenslängliches Zuchthaus, und dies auch dann, wenn die Tat bei verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen worden ist, weil auf die abstrakt im Gesetz angedrohte Strafe abzustellen ist. Auch die zweite Einschränkung von
Art. 68 StGB
ist so zu verstehen, dass der Richter an das gesetzliche Höchstmass der angedrohten Strafart gebunden ist (und nicht an das gesetzliche Höchstmass der für die Einsatzstrafe zugemessenen Strafart). Da beim Mordtatbestand lebenslängliches Zuchthaus angedroht ist, ist das Höchstmass der angedrohten Strafe zugleich auch jenes der Strafart (
Art. 35 StGB
).
cc) Ginge man demgegenüber von der für die Einsatzstrafe zugemessenen Strafe aus, stellte sich die Frage, ob die zeitige Freiheitsstrafe eine andere Strafart als die lebenslängliche Strafe
BGE 116 IV 300 S. 305
darstellt (so z.B. STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht BT I und II, Teilrevisionen 1987-1990, Bern 1990,
§ 1 N 18
). Dies ist indessen zu verneinen, so dass selbst in diesem Falle lebenslängliches Zuchthaus als Höchstmass der Strafart zu betrachten wäre.
Die einzelnen Strafarten werden im ersten Abschnitt des dritten Titels des StGB aufgezählt. Bei den Strafen wird zunächst zwischen Freiheitsstrafen (
Art. 35-41 StGB
), Geldstrafen (
Art. 48-50 StGB
) und Nebenstrafen (
Art. 51-56 StGB
) unterschieden. Die Freiheitsstrafen teilen sich in die Zuchthausstrafe (
Art. 35 StGB
), die Gefängnisstrafe (
Art. 36 StGB
) und die Haftstrafe (
Art. 39 StGB
). Diese drei Strafarten werden nicht weiter unterschieden. Gemäss dem ausdrücklichen Wortlaut von
Art. 35 StGB
ist die Zuchthausstrafe (ob zeitig oder lebenslänglich) die schwerste im Gesetz vorgesehene Freiheitsstrafe. Dafür, dass die zeitige Zuchthausstrafe keine andere Strafart als die lebenslängliche darstellt, spricht im übrigen, dass auch bei der lebenslänglichen Freiheitsstrafe gemäss
Art. 38 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
eine bedingte Entlassung nach 15 Jahren möglich ist. Im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet "lebenslänglich" also in aller Regel nicht, dass sich der Gefangene bis an sein Lebensende im Strafvollzug befinden muss. Dies ist vielmehr nur der Fall, wenn bei einem Verurteilten die Voraussetzungen einer bedingten Entlassung nie erfüllt sind.
dd) Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, es sei unhaltbar, die Höchststrafe trotz Vorliegens eines Milderungsgrundes auszufällen, da damit kein Unterschied gegenüber der Bestrafung jenes Täters gemacht werde, dem kein Milderungsgrund zugebilligt werden könne. Diese Auffassung übersieht, dass den Strafmilderungsgründen sowohl bei der Bemessung der Einsatzstrafe als auch bei deren angemessenen Erhöhung nach
Art. 68 Ziff. 1 StGB
in dem Sinne strafmindernd Rechnung zu tragen ist, dass nicht nur die Einsatzstrafe tiefer angesetzt, sondern diese auch weniger stark erhöht wird. Diese Strafreduktion kann dann aber durch die ebenso vorgeschriebene Erhöhung der Strafe gemäss
Art. 68 Ziff. 1 StGB
aufgewogen werden (vgl. oben E. 2a a.E.).
Im übrigen ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass gewisse sachlich nicht zu begründende Ungleichbehandlungen eine unvermeidliche Konsequenz des Umstandes darstellen, dass der Gesetzgeber eine absolute Höchststrafe vorgesehen hat; beispielsweise verändert sich das Strafmass auch dann nicht, wenn der Täter zunächst einen Mord und später weitere Morde begeht, und
BGE 116 IV 300 S. 306
schon für den ersten Fall die Ausfällung von lebenslänglichem Zuchthaus angebracht ist.
d) Nachdem der Beschwerdeführer nicht bestreitet, dass im vorliegenden Fall der Strafschärfungsgrund der mehrfachen Tatbegehung den Strafmilderungsgrund der verminderten Zurechnungsfähigkeit ohne weiteres zumindest aufwiegt, ergibt sich aus dem Gesagten, dass die Vorinstanz bei der Strafzumessung Bundesrecht nicht verletzt hat. Die Beschwerde erweist sich deshalb als unbegründet und ist abzuweisen. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
74fdf5a0-df14-42a6-b76b-991b7cfa7c38 | Urteilskopf
123 III 53
8. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 6 février 1997 dans la cause Communauté des copropriétaires de la PPE X. contre époux L. (recours en réforme) | Regeste
Art. 649a und 712h-k ZGB
,
Art. 49 Abs. 2 VZG
und
Art. 1 Abs. 2 OR
; Nichthaften des Ersteigerers einer Stockwerkeinheit für fällige Beiträge an die gemeinschaftlichen Kosten und Lasten.
Die Bestimmungen der von den Miteigentümern vereinbarten Nutzungs- und Verwaltungsordnung können dem Rechtsnachfolger eines Miteigentümers nur insoweit im Sinne von
Art. 649a ZGB
entgegengehalten werden, als sie einen unmittelbaren Bezug zur gemeinschaftlichen Verwaltung und Nutzung der Sache haben. Das trifft nicht zu auf eine Bestimmung, wonach der Erwerber einer Stockwerkeinheit solidarisch mit dem Veräusserer für die Bezahlung von fälligen gemeinschaftlichen Kosten und Lasten hafte (E. 3).
Voraussetzungen, unter denen bei der Zwangsverwertung eines Grundstücks der Ersteigerer verpflichtet sein kann, Zahlungen über den Zuschlagspreis hinaus zu leisten (E. 4).
Stillschweigende Äusserung eines Verpflichtungswillens (E. 5)? | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 123 III 53 S. 54
A.-
B. était propriétaire par étages de deux appartements, constituant les lots nos 77 et 78, dans les immeubles de la communauté des copropriétaires de la PPE X. (ci-après: la Communauté), à Genève.
Le règlement d'administration et d'utilisation de la copropriété (ci-après: le Règlement), mentionné au Registre foncier, prévoit à son art. 5 al. 3 que "le cessionnaire [d'une part de copropriété] est tenu solidairement avec le cédant au paiement des contributions communes des trois dernières années et de l'année en cours".
Dès 1990, B. a cessé de s'acquitter de ses contributions aux charges communes. La Communauté a fait inscrire une hypothèque selon l'
art. 712i CC
pour les contributions impayées jusqu'au 18 septembre 1991 sur le lot no 77; celui-ci n'a été grevé d'aucune autre hypothèque depuis lors.
BGE 123 III 53 S. 55
B.-
A la suite d'une poursuite en réalisation de gage requise par une banque, l'appartement constituant le lot no 77 a été vendu aux enchères forcées le 21 juin 1994.
Le 30 mai 1994, la Communauté avait produit à l'état des charges sa créance garantie par hypothèque ainsi que son autre créance en paiement des contributions échues; seule la première a été inscrite à l'état des charges.
Lors de la vente aux enchères, le préposé, donnant suite à une requête de la Communauté, a lu aux futurs acquéreurs une lettre de celle-ci comportant une mise en garde contre les contributions communes impayées qu'elle entendait faire supporter au nouveau copropriétaire sur la base de l'art. 5 al. 3 du Règlement; il a précisé que l'office ne se prononçait pas sur les chances d'une telle démarche contre l'acquéreur.
Sans aucune autre discussion au sujet des contributions communes arriérées, l'appartement constituant le lot no 77 a été adjugé aux époux L.
C.-
Par demande du 16 janvier 1995, la Communauté a saisi le Tribunal de première instance de Genève d'une demande en paiement de 41'500 fr. avec intérêts à 5% l'an dès le 21 juin 1994 dirigée contre les époux L. Ceux-ci ont conclu au rejet de l'action.
Le Tribunal a rejeté la demande par jugement du 30 novembre 1995, que la Cour de justice du canton de Genève a confirmé sur appel par arrêt du 13 septembre 1996.
D.-
La Communauté a exercé un recours en réforme au Tribunal fédéral contre cet arrêt; elle a conclu avec dépens principalement à l'admission de l'action et subsidiairement au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour administration des preuves utiles. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Il convient d'abord d'examiner si l'art. 5 al. 3 du Règlement est opposable aux défendeurs en vertu de l'
art. 649a CC
.
a) Selon l'
art. 649a CC
, le règlement d'utilisation et d'administration convenu par les copropriétaires, les mesures administratives prises par eux, de même que les décisions et ordonnances judiciaires, sont aussi opposables à l'ayant cause d'un copropriétaire et à l'acquéreur d'un droit réel sur une part de copropriété. Cette disposition vaut tant pour la copropriété ordinaire que pour la copropriété par étages (
ATF 110 Ia 106
consid. 4b); elle est également applicable à
BGE 123 III 53 S. 56
celui qui a acquis une part de copropriété par étages dans une vente aux enchères forcée (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, Band VI/1/1, 1981, n. 14 ad
art. 649a CC
). La règle posée par l'
art. 649a CC
ne vaut toutefois que pour le champ d'application propre du règlement d'administration et d'utilisation, et non pour l'ensemble des relations entre copropriétaires (
ATF 110 Ia 106
consid. 4c; STEINAUER, Questions choisies en rapport avec la propriété par étages, in: RVJ 1991 p. 285 ss, spéc. p. 306; HUBER, in: RNRF 1966 p. 254). Autrement dit, les dispositions du règlement ne sont opposables à l'ayant cause d'un copropriétaire que dans la mesure où elles ont un rapport direct avec l'administration et l'utilisation communes de la chose (MEIER-HAYOZ/REY, Berner Kommentar, Band IV/1/5, 1988, n. 84 ad
art. 712g CC
).
b) Une disposition réglementaire prévoyant, comme en l'espèce, que l'acquéreur d'une part de copropriété par étages est tenu solidairement avec l'aliénateur au paiement de contributions communes échues n'a manifestement aucun rapport direct avec l'administration et l'utilisation communes de la chose en copropriété. Elle ne vise en effet pas à déterminer les modalités d'administration ou d'utilisation de la chose entre les copropriétaires, mais uniquement à instituer en faveur de la communauté une garantie supplémentaire - par rapport aux sûretés prévues aux
art. 712i et 712k CC
- sous la forme d'une responsabilité solidaire du successeur d'un copropriétaire pour le paiement de contributions communes en rapport avec l'utilisation de la chose par l'aliénateur (cf. LIVER, Schweizerisches Privatrecht, Band V/1, 1977, p. 70, selon lequel les contributions échues sont exclues des obligations personnelles envers la communauté passant à l'acquéreur en vertu de l'
art. 649a CC
). Admettre l'opposabilité d'une telle disposition réglementaire à l'ayant cause d'un propriétaire d'étages apparaît d'autant moins envisageable que, comme le relèvent avec pertinence les défendeurs, cela reviendrait à accorder à la communauté, en cas de réalisation forcée, un privilège injustifiable par rapport aux créances garanties par gage inscrites à l'état des charges. En effet, les enchérisseurs devraient nécessairement tenir compte, en enchérissant, de la dette qu'ils auraient ainsi à payer en sus du prix de vente, de sorte que celui-ci serait réduit d'autant, au détriment des créanciers gagistes. Or le législateur a précisément renoncé de manière expresse à instituer en faveur de la communauté une hypothèque légale valable sans inscription au registre foncier et de rang préférable à tous les autres droits inscrits, considérant que rien ne permettrait de justifier un tel privilège
BGE 123 III 53 S. 57
pour les contributions aux frais et charges communs par rapport aux créances garanties par des gages constitués par contrat (FF 1962 II 1498; cf.
ATF 106 II 183
consid. 1). C'est ainsi à bon droit que la cour cantonale a considéré que l'art. 5 al. 3 du Règlement n'est pas opposable aux défendeurs.
c) La demanderesse argue que cette solution aboutirait à créer deux types de propriétaires avec plus ou moins de droits en fonction de leur mode d'acquisition: les copropriétaires qui ont acquis leur part lors d'enchères forcées se verraient appliquer une partie seulement du Règlement, tandis que les autres copropriétaires s'en verraient opposer l'intégralité. Il n'en est rien. En effet, une disposition telle que l'art. 5 al. 3 du Règlement, par sa nature même, ne vise pas les copropriétaires originaires, mais uniquement leurs ayants cause; or elle est inopposable à ceux-ci, quel que soit le mode d'acquisition de leur part de copropriété. Il s'ensuit que le Règlement s'applique bien dans la même mesure à l'ensemble des copropriétaires.
d) La demanderesse allègue également que la solution retenue permet à l'acquéreur d'échapper au paiement des contributions communes échues tout en profitant du fonds de rénovation. Cette question ne se poserait toutefois que si la créance litigieuse portait sur des contributions au fonds de rénovation - facultatif - au sens de l'
art. 712m al. 1 ch. 5 CC
, pour lesquelles la communauté bénéficie au demeurant aussi d'un droit à l'inscription d'une hypothèque légale selon l'
art. 712i CC
(STEINAUER, Les droits réels, t. I, 2e éd., 1990, n. 1355; PATRICK BLOCH, le fonds de rénovation dans la propriété par étages, thèse de licence Lausanne 1988, p. 39; PIERRE GIOVANOLA, les obligations réciproques des propriétaires d'étages et leurs sanctions, thèse de licence Lausanne 1986, p. 30). Or tel n'est pas le cas selon les constatations de fait de l'autorité cantonale, qui lient le Tribunal fédéral (
art. 63 al. 2 OJ
).
e) C'est enfin en vain que la demanderesse avance que la possibilité d'inclure dans le règlement de copropriété une clause de solidarité pour les contributions communes n'est pas écartée par la doctrine. En effet, le seul auteur qu'elle cite se borne en réalité à relever qu'une telle clause serait avantageuse pour la communauté; il n'examine pas la question plus avant, pour le motif que la solidarité ne s'impose pas dès lors que la communauté dispose d'une hypothèque légale (FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, Reglement für die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer, 2e éd., 1972, § 21 n. 8).
4.
a) Il convient dès lors d'examiner si les défendeurs peuvent néanmoins être tenus de payer la créance litigieuse sur la base des
BGE 123 III 53 S. 58
conditions de la vente aux enchères forcée. En effet, les conditions de vente arrêtées par l'office (
art. 134 al. 1 LP
) sont comparables à une offre au sens des
art. 3 ss CO
- à laquelle elles ne sauraient toutefois être assimilées de manière générale (cf.
art. 52 ORFI
; RS 281.42) - dans la mesure où elles constituent pour l'adjudicataire la base de son engagement: s'il enchérit, c'est sur la base de ces conditions; il ne peut pas refuser tel ou tel paiement que les conditions de vente prévoiraient clairement en plus du prix d'adjudication, sans qu'il importe de savoir si cette condition était normale, si la créance était exigible, si elle était garantie par gage et si, comme telle, elle eût déjà été couverte par le prix d'adjudication (
ATF 60 III 31
consid. 2). Inversement, l'adjudicataire ne peut pas être tenu d'effectuer en sus du prix de vente d'autres paiements que ceux qui sont clairement prévus par les conditions de vente (art. 49 al. 2 aORFI; cf. la nouvelle teneur, plus précise, de cette disposition).
b) En l'espèce, les conditions de vente ne mentionnaient pas la créance litigieuse, dont la Communauté a fait savoir aux défendeurs lors de la vente aux enchères - à travers la lettre lue par le préposé, lequel a expressément précisé que l'office ne se prononçait pas sur les chances d'une telle démarche contre l'acquéreur - qu'elle entendait leur en réclamer le paiement sur la base de l'art. 5 al. 3 du Règlement. Cette créance ne figurait pas non plus dans l'état des charges - auquel les conditions de vente doivent nécessairement se référer (
art. 135 al. 1 LP
et
art. 45 al. 1 let. a ORFI
) - dès lors qu'elle n'était pas garantie par gage. L'hypothèque prévue par l'
art. 712i CC
n'a en effet pas le caractère d'un droit de gage légal direct qui déploie ses effets sans inscription au registre foncier; elle ne naît au contraire que par son inscription (
ATF 106 II 183
consid. 1). Or, en l'occurrence, la Communauté n'a fait inscrire une hypothèque selon l'
art. 712i CC
que pour les charges impayées jusqu'au 18 septembre 1991 (dont la délégation aux défendeurs était au demeurant exclue en vertu de l'art. 135 al. 1 dernière phrase LP). Au vu de ce qui précède, la Communauté ne saurait se fonder sur les conditions de vente pour réclamer le paiement des contributions communes échues aux défendeurs; ceux-ci ont enchéri sur la base de conditions de vente qui ne prévoyaient nullement un tel paiement, et ne peuvent dès lors être tenus de l'effectuer (
art. 49 al. 2 ORFI
;
ATF 60 III 31
consid. 2).
Au surplus, la demanderesse ne peut être suivie lorsqu'elle prétend que les contributions échues aux frais et charges communs doivent être mises à la charge de l'adjudicataire sans imputation sur le
BGE 123 III 53 S. 59
prix de vente, à l'instar des redevances courantes (pour le gaz, l'eau, l'électricité, etc.). L'
art. 49 al. 1 let. b ORFI
, invoqué par la demanderesse, ne vise en effet que les redevances courantes (en allemand "laufende Abgaben"); il ne saurait donc être appliqué à des contributions échues, indépendamment du point de savoir si on peut les assimiler aux redevances pour le gaz, l'eau ou l'électricité.
5.
Il reste par conséquent à examiner si, ainsi que le prétend la demanderesse, les défendeurs se sont engagés envers elle, lors de la vente, à répondre solidairement avec l'ancien propriétaire des contributions communes arriérées. En effet, rien n'empêchait les défendeurs de s'engager directement envers la Communauté à reprendre cumulativement la dette de B. en paiement des contributions communes arriérées.
a) La demanderesse relève que le préposé aux enchères a lu aux futurs acquéreurs la lettre de la Communauté, d'où il résultait clairement que celle-ci entendait faire supporter les charges communes impayées au nouveau copropriétaire sur la base de l'art. 5 al. 3 du Règlement; dès lors, en se portant sans discussion acquéreurs de la part de copropriété en cause, les défendeurs auraient manifesté tacitement leur volonté de s'engager solidairement au sens de l'
art. 143 al. 1 CO
, en acceptant tacitement l'offre de reprise cumulative de dette contenue dans la lettre de la Communauté.
Selon l'art. 1er al. 2 C0, la volonté de conclure un contrat peut être manifestée de manière expresse ou tacite. Une manifestation de volonté tacite ne peut cependant être retenue qu'en présence d'un comportement univoque, dont l'interprétation ne suscite raisonnablement aucun doute (
ATF 113 II 522
consid. 5c). Cette restriction découle du principe de la confiance (KRAMER/SCHMIDLIN, Berner Kommentar, Band VI/1/1, 1986, n. 11 ad
art. 1er CO
). De manière générale, un comportement purement passif ne saurait ainsi être tenu pour la manifestation d'une volonté de s'engager, en particulier pour l'acceptation d'une offre (KRAMER/SCHMIDLIN, op.cit., n. 12 ad
art. 1er CO
et les références; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, Band V/1, n. 64 ad
art. 1er CO
; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 3e éd., 1989, p. 164).
En l'espèce, l'absence de réaction des défendeurs après la lecture par le préposé de la lettre de la Communauté peut d'autant moins être tenue pour l'acceptation d'une offre de reprise cumulative de dette que les défendeurs ne pouvaient raisonnablement considérer ladite lettre comme telle. Selon les constatations de l'autorité cantonale, il ne s'agissait en effet clairement pas d'une offre, mais d'une
BGE 123 III 53 S. 60
mise en garde contre les charges non payées qui ne seraient pas couvertes par la vente et que la Communauté entendait faire supporter au nouveau copropriétaire selon son Règlement. Contrairement à ce que soutient la demanderesse, l'
art. 6 CO
ne saurait ainsi trouver application. | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
74fecdb0-19d0-484b-a9ae-d21408e20c0f | Urteilskopf
101 Ia 336
59. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1975 i.S. Verband der Schweizerischen Automatenbranche und Mitbeteiligte gegen Kanton Basel-Landschaft | Regeste
Kantonales Verbot von Geldspielautomaten. Derogatorische Kraft des Bundesrechtes; Handels- und Gewerbefreiheit; persönliche Freiheit.
1. Das Bundesgesetz über die Spielbanken ordnet die Zulassung und den Betrieb von Spielapparaten nicht abschliessend. Es liegt in der Kompetenz der Kantone, in diesem Bereiche weitergehende Vorschriften zu erlassen und Spiele zu untersagen, die bundesrechtlich nicht verboten sind (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 4).
2. Das vom Kanton Basel-Landschaft erlassene generelle Verbot von Geldspielautomaten verstösst nicht gegen
Art. 31 BV
. Kontrollschwierigkeiten als zulässiges Motiv für Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit (E. 5 u. 6).
3. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit schützt nur die elementaren Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltung. Das Verbot des Aufstellens von Geldspielautomaten berührt die potentiellen Spieler nicht im geschützten Kernbereich freier menschlicher Betätigung (E. 7).
4. Übergangsregelung; erforderliche Frist zur Ausserbetriebsetzung der verbotenen Spielapparate (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 337
BGE 101 Ia 336 S. 337
Der Landrat des Kantons Basel-Land verabschiedete am 30. Mai 1974 ein Gesetz über Spielautomaten und Spiellokale, das u.a. folgende Vorschriften enthält:
§ 1
"Spielautomaten im Sinne dieses Gesetzes sind Geräte und Apparate, deren entgeltlicher Betrieb einer auf Ungewissheit gerichteten Tätigkeit gleichkommt und bei denen der Spielausgang vom Zufall oder von der Geschicklichkeit abhängt."
BGE 101 Ia 336 S. 338
§ 2
"1 Das Aufstellen solcher Spielautomaten zum öffentlichen Gebrauch und gegen Entgelt ist verboten, wenn Geld- oder Warengewinne abgegeben werden.
2 Werden keine Geld- oder Warengewinne abgegeben, ist das Aufstellen solcher Spielautomaten zulässig.
3 Der Regierungsrat kann generell die Höhe des Entgelts begrenzen."
§ 3
"1 Die gewerbsmässige Verwendung der zulässigen Spielautomaten ist bewilligungspflichtig.
2 ..."
§ 17
"1 Für die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits eröffneten Spiellokale und schon betriebenen Spielautomaten sind innert zweier Monate die Bewilligungen einzuholen.
2 Spielautomaten, deren Verwendung aufgrund dieses Gesetzes unzulässig ist, sind innert zweier Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ausser Betrieb zu nehmen."
Gegen dieses Gesetz, das in der Volksabstimmung vom 20. Oktober 1974 angenommen wurde, führen der Verband der Schweizerischen Automatenbranche, Zürich, und eine Reihe weiterer Einzelpersonen staatsrechtliche Beschwerde mit der Rüge, § 2 Abs. 1 des Gesetzes sei verfassungswidrig. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, im wesentlichen aus folgenden.
Erwägungen
Erwägungen:
4.
Die Rüge, das allgemeine Verbot von Geldspielautomaten verletze den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, beruht auf der Annahme, das Bundesrecht regle das Aufstellen von Geldspielautomaten in Art. 3 des Bundesgesetzes über die Spielbanken (SBG) abschliessend, den Kantonen verbleibe diesbezüglich keine Rechtssetzungsbefugnis; die gemäss
Art. 3 SBG
bundesrechtlich zulässigen Geschicklichkeitsspielgeräte könnten durch ein kantonales Gesetz nicht verboten werden.
Das Spielbankengesetz ist ein Ausführungserlass zu dem in
Art. 35 BV
umschriebenen Spielbankenverbot.
Art. 3 SBG
hat den Zweck, die als Glücksspielunternehmung unter das Spielbankenverbot fallenden Automaten von durch
Art. 35 BV
und das SBG nicht erfassten Spielgeräten abzugrenzen. Für diese Grenzziehung stellt das Gesetz darauf ab, ob "der Spielausgang in unverkennbarer Weise ganz oder vorwiegend auf Geschicklichkeit beruht". Ist diese Voraussetzung erfüllt, so gilt der Apparat nicht als Glücksspielunternehmung im Sinne von
BGE 101 Ia 336 S. 339
Art. 1-3 SBG
und das bundesrechtliche Spielbankenverbot steht der Verwendung des Spielgerätes nicht entgegen. Mit dieser Regelung wollte der Bund keine abschliessende Ordnung für die Zulassung und den Betrieb irgendwelcher Spielapparate treffen, sondern nur den Bereich des Spielbankenverbotes abgrenzen. Sogar über eigentliche Glücksspiele können die Kantone gemäss
Art. 13 SBG
weitergehende, dem Bundesrecht nicht widersprechende Vorschriften erlassen. Die Gesetzgebung über das Aufstellen der nach
Art. 3 SBG
nicht unter das Spielbankengesetz fallenden Geschicklichkeits-Spielautomaten wird vom Bundesrecht vollständig den Kantonen überlassen. Weder aus
Art. 3 SBG
noch aus einer andern Norm der Bundesgesetzgebung lässt sich ableiten, das Bundesrecht wolle die Verwendung solcher Geschicklichkeitsgeräte gewissermassen gewährleisten und verbiete den Kantonen, deren Aufstellung und Betrieb zu beschränken oder überhaupt zu untersagen. Im Gegenteil ergibt sich aus
Art. 35 BV
und aus dem SBG, dass die gesetzgeberische Zuständigkeit des Bundes sich eindeutig auf die Spielbanken und auf die den Spielbanken gleichzustellenden Glücksspielunternehmungen beschränkt, während die Kompetenz zur Regelung der gewerbsmässigen Veranstaltung anderer Spiele den Kantonen verblieben ist.
Das Bundesgericht hat bereits in
BGE 80 I 352
E. 1 in diesem Sinne entschieden und in
BGE 90 I 323
E. 2 wiederum bestätigt, dass das SBG die Kantone nicht hindert, Spiele zu untersagen, die bundesrechtlich nicht verboten sind. Gegen diese Rechtsprechung wird in den vorliegenden Beschwerden nichts Stichhaltiges vorgebracht. In dem vom Verband der Schweizerischen Automatenbranche eingereichten Gutachten kommt Prof. Gygi ebenfalls zum Schluss, die Rechtssetzungszuständigkeit der Kantone, Vorschriften über die nicht dem bundesrechtlichen Spielbankenverbot unterstehenden Geldspielgeräte zu erlassen, könne nicht verneint werden. Die Rüge, das Verbot der Geldspielgeräte in § 2 Abs. 1 des angefochtenen Gesetzes verletze den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, erweist sich als unbegründet. Die Verschärfung der bundesgerichtlichen Praxis in bezug auf die Zulassung von Geldspielautomaten als Geschicklichkeitsgeräte gemäss
Art. 3 SBG
(
BGE 97 I 755
) hat an der dargelegten Verteilung der Rechtssetzungskompetenz zwischen Bund und Kanton nichts geändert.
BGE 101 Ia 336 S. 340
5.
Das gewerbsmässige Aufstellen und "Betreiben" von Spielautomaten ist eine Tätigkeit, die grundsätzlich unter dem Schutze der Handels- und Gewerbefreiheit steht. Nach der Rechtsprechung zu
Art. 31 BV
dürfen die Kantone die Ausübung einer solchen Tätigkeit aus polizeilichen sowie aus sozialen und sozialpolitischen Gründen einschränken (
BGE 97 I 504
E. 4b und c). Die Einschränkung muss in der Regel auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, und sie darf nicht über das hinaus gehen, was erforderlich ist zur Erreichung des polizeilichen oder sozialpolitischen Zweckes, durch den sie gedeckt ist (
BGE 99 Ia 373
f.,
BGE 97 I 508
,
BGE 80 I 353
).
a) Die hier in Frage stehende Einschränkung - Verbot aller Spielautomaten, die Geld- oder Warengewinne abgeben - ist in einem formellen Gesetz geregelt. Sie beruht unbestrittenermassen auf einer klaren gesetzlichen Basis.
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, für die angeordnete Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit fehle ein hinreichender Grund, es bestehe keinerlei Schutzbedürfnis. Im Gutachten von Prof. Gygi wird die Auffassung vertreten, das "Behüten vor unnötigen Ausgaben" sei, jedenfalls im Zusammenhang mit Geschicklichkeitsspielen, kein verfassungsrechtlich zulässiges öffentliches Interesse. Ein Verbot von Geldspielapparaten könne schwerlich als soziale oder sozialpolitische Massnahme angesprochen werden. Nach der Meinung des Gutachters lässt sich ein generelles Verbot der verbleibenden, bundesrechtlich zulässigen Geschicklichkeits-Geldspielgeräte mit
Art. 31 BV
nicht vereinbaren, auch nicht wegen der praktischen Schwierigkeiten einer wirksamen Kontrolle.
Der Regierungsrat hält dem entgegen, dass ein Verbot von Geldspielautomaten einem eminenten öffentlichen Interesse entspreche; es gehe um den Schutz Jugendlicher und um den Schutz sozial in irgendeiner Form benachteiligter oder gefährdeter Menschen; man wolle verhindern, dass nicht begüterte Personen zum Verspielen hoher Geldsummen verleitet werden. Entscheidende Bedeutung wird sodann vom Regierungsrat dem Argument beigemessen, dass der Aufsteller alles Interesse daran habe, das Geschicklichkeitsspielgerät in Richtung Glücksspiel zu verändern und dass der Kanton finanziell und personell ausserstande sei, solche Veränderung durch laufende Kontrollen der bundesrechtlich bewilligten Geräte zu verhindern.
BGE 101 Ia 336 S. 341
c) In
BGE 80 I 353
E. 2c kam das Bundesgericht zum Schluss, ein kantonales Verbot der Verwendung von Geldspielgeräten verstosse nicht gegen
Art. 31 BV
, der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren der Spielsucht sei ein haltbarer polizeilicher Grund für eine solche Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit. Auch in
BGE 90 I 323
wurde festgestellt, das dort angefochtene Verbot von Spielapparaten, die einen Geld- oder Sachgewinn in Aussicht stellen, verstosse nicht gegen
Art. 31 BV
.
Inzwischen ist die Bewilligungspraxis zu
Art. 3 SBG
verschärft worden. Durch die strengern Kriterien für die Zulässigkeit von Geschicklichkeitsautomaten dürfte die Gefahr der Spielsucht für Jugendliche und sozial benachteiligte Personen erheblich vermindert sein, sofern wirklich nur Geräte aufgestellt und betrieben werden, die nach der heutigen Rechtsprechung als Geschicklichkeitsgeräte im Sinne von
Art. 3 SBG
qualifiziert werden können. Wer die erforderliche Geschicklichkeit nicht besitzt, wird das in der Regel bald feststellen und das Spiel aufgeben. Der wirklich geschickte und daher erfolgreiche Spieler aber hat bei echten Geschicklichkeitsgeräten erhebliche Gewinnchancen und wird daher nicht zu Verlust kommen.
Ob der Schutz des Publikums gegen grosse Verluste und gegen die Gefahr der Spielsucht auch nach der Verschärfung der bundesrechtlichen Zulassungskriterien ein allgemeines Verbot der Geldspielautomaten durch das kantonale Recht vor
Art. 31 BV
noch ausreichend zu rechtfertigen vermag, kann hier dahingestellt bleiben; denn dieses Verbot erscheint, wie sich aus der nachfolgenden Erwägung ergibt, aus einem andern Grund als verfassungsrechtlich haltbar.
6.
Das in der neuern bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
Art. 3 SBG
aufgestellte Erfordernis, der zu bewilligende Geschicklichkeitsapparat dürfe nicht leicht verstellbar, d.h. ohne äussere Änderung durch einen kleinen Eingriff in ein vorwiegend vom Zufall bestimmtes Spiel (Glücksspiel) umzuwandeln sein, sollte die Gefahr derartiger Manipulationen an bundesrechtlich zulässigen Geldspielapparaten verringern. Der Regierungsrat hebt jedoch in seiner Vernehmlassung hervor, Veränderungen seien stets möglich; wenn ein Apparat - im Sinne der neuern Praxis - nicht leicht manipulierbar sei, so könne er doch durch den Fachmann umgebaut werden und die Veränderung sei dann umso schwerer zu
BGE 101 Ia 336 S. 342
entdecken. Das Bestehen solcher Änderungsmöglichkeiten wird von den Beschwerdeführern an sich nicht in Abrede gestellt. Es leuchtet auch ein, dass das Aufdecken solcher Änderungen bei komplizierteren, nicht leicht manipulierbaren Geräten schwieriger ist und wohl nur durch gründliche fachmännische Kontrollen aller aufgestellten Apparate möglich wäre.
Die nach der Verschärfung der bundesrechtlichen Bewilligungspraxis verbleibende technische Möglichkeit der Umwandlung eines Geschicklichkeitsgerätes in ein Glücksspielgerät vermag ein gänzliches Verbot der Geldspielapparate zu begründen, wenn die Gefahr solcher Änderungen als erheblich erscheint und ihr nicht durch gelegentliche Kontrollen ohne übermässigen Verwaltungsaufwand wirksam begegnet werden kann.
a) Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, eine Prüfung des Typs bei Einführung eines neuen Spielapparates verbunden mit späteren Stichproben und allenfalls mit periodischen Kontrollen in grösseren Zeitabständen, ähnlich wie bei den Autos, würde vollauf genügen. Der Vergleich mit dem System der technischen Prüfung von Motorfahrzeugen vermag jedoch nicht zu überzeugen. Während bei Autos und Motorrädern das Interesse des Halters und das öffentliche Interesse an einem technisch einwandfreien Zustand in der Regel parallel laufen, fehlt bei den Geldspielautomaten ein entsprechendes Interesse des Aufstellers am unveränderten Zustand der einmal bewilligten Apparate. Zudem lassen sich gefährliche Veränderungen und Defekte von Motorfahrzeugen oft auch im Zuge der laufenden polizeilichen Überwachung des Verkehrs feststellen. Abänderungen von Geldspielapparaten hingegen sind weder von Spielern noch von Polizeiorganen leicht zu erkennen. In der Regel wird nur eine fachmännische Kontrolle die sichere Feststellung einer unzulässigen Abänderung erlauben.
b) Die Gefahr, dass auch nicht leicht verstellbare Geschicklichkeitsgeräte doch manipuliert und in Glücksspielgeräte umfunktioniert werden, erscheint aus folgenden Gründen als recht erheblich:
Die vom bundesrechtlichen Verbot nicht erfassten Geschicklichkeitsgeräte im Sinne von
Art. 3 SBG
haben für die kommerzielle Auswertung offensichtlich gewichtige Nachteile. Erfordern sie eine hohe Geschicklichkeit, so werden die zu
BGE 101 Ia 336 S. 343
wenig geschickten Spieler, welche nicht zum Erfolg kommen, das Spiel bald aufgeben und als Kunden ausser Betracht fallen. Trotzdem besteht erfahrungsgemäss die Wahrscheinlichkeit, dass immer wieder einzelne besonders Geschickte den Apparat "leeren", d.h. alles vorhandene Geld gewinnen und so dem Aufsteller jeglichen Verdienst verunmöglichen. Sind die Anforderungen an die Geschicklichkeit geringer, so besteht zwar für einen grösseren Personenkreis eine Erfolgschance und damit ein Spielanreiz, aber die Gefahr, dass der Apparat "geleert" wird, ist umso grösser. Der Aufsteller wird also kaum etwas verdienen. - Während ein Glücksspielgerät (Zufallsspiel) technisch so eingestellt werden kann, dass sich über grössere Zeiträume eine stets gleichbleibende Treffer- und Auszahlungsquote und damit auch ein gleichbleibender Anteil des Aufstellers an den Spieleinsätzen ergibt, dürfte nach dem, was dem Gericht bis heute bekannt ist, eine analoge, unter Wahrung der Spielgewinnchancen den Anteil des Aufstellers sichernde Konstruktion eines Geschicklichkeitsspielgerätes nicht möglich sein. Die kommerzielle Auswertung eines Spielapparates, bei welchem der Ausgang wirklich ganz oder vorwiegend auf Geschicklichkeit beruht, bietet kaum lösbare Probleme.
Wegen der dargelegten Schwierigkeiten wird der Aufsteller von bundesrechtlich bewilligten Geschicklichkeitsspielapparaten immer wieder in Versuchung kommen, den Spielverlauf so zu ändern oder von einem Fachmann ändern zu lassen, dass der Einfluss der Geschicklichkeit zurückgedrängt wird und der Erfolg vorwiegend vom Zufall abhängt. Die bisherige Erfahrung bestätigt die Richtigkeit dieser Überlegungen. Auch wenn bei neuern Spielapparaten auf elektronischer Basis entscheidende Umwandlungen weniger leicht vorgenommen werden können als bei den Automaten vom Typus Go-N-Stop, so ändert dies nichts an den aus der Struktur des Geschicklichkeitsgerätes sich ergebenden Schwierigkeiten einer lohnenden kommerziellen Auswertung und beseitigt die sich daraus für den Aufsteller ergebende grosse Versuchung zu Änderungen nicht.
c) Die vom Regierungsrat behauptete erhebliche Gefahr von Manipulationen, welche den Spielcharakter eines Apparates grundlegend ändern, ist durch sachliche Argumente hinreichend belegt. Um einigermassen Gewähr zu haben, dass nur
BGE 101 Ia 336 S. 344
unveränderte Geschicklichkeitsspielautomaten in Betrieb sind, wäre ein grosser Verwaltungsaufwand nötig.
Wenn ein Kanton eine an der Grenze zur bundesrechtlich verbotenen Veranstaltung von Glücksspielen stehende gewerbliche Aktivität untersagt, weil er den notwendigen Aufwand für die zur Verhinderung rechtswidriger Machenschaften unerlässliche Kontrolle mit guten Gründen als unverhältnismässig betrachtet, so verstösst dies nicht gegen
Art. 31 BV
. Diese Verfassungsnorm verpflichtet die Kantone nicht, auch eine gewerbliche Tätigkeit zuzulassen, bei welcher von vornherein die Gefahr rechtswidrigen Verhaltens besonders gross ist, so dass nur durch eine intensive, kontinuierliche Überwachung eine wirksame Verhütung gesetzwidriger Handlungen, insbesondere von Verstössen gegen das bundesrechtliche Glücksspielverbot, gewährleistet werden könnte. Dass Kontrollschwierigkeiten unter Umständen ein haltbares Motiv für Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit sein können, ergibt sich auch aus der bisherigen Rechtsprechung (vgl.
BGE 98 Ia 404
f.,
BGE 91 I 465
f.).
d) Von den Beschwerdeführern wird nun allerdings darauf hingewiesen, dass in Kantonen ohne generelles Verbot der Geldspielapparate sich eine wenig aufwendige polizeiliche Kontrolle als genügend erwiesen habe und dass keine Unzukömmlichkeiten entstanden seien. Als Belege hiefür sind briefliche Auskünfte der Stadtpolizei Zürich, der Polizeidirektion Nidwalden und des Polizeikommandos Zug eingereicht worden.
Hiezu ist folgendes zu bemerken: Die Spieler werden sich in der Regel nur an die Polizei wenden, wenn - nach ihrer Meinung - ein Spielautomat zu wenig Gewinne auszahlt. Die Umwandlung eines Geschicklichkeitsapparates in einen Glücksspielautomaten wird wohl von den Spielern meistens nicht beanstandet, sofern ihnen der veränderte Apparat angemessene Erfolgschancen bietet, auch wenn diese vorwiegend auf Zufall beruhen und nicht auf dem Einsatz der Geschicklichkeit. Der Durchschnittsspieler sucht das Glücksspiel, nicht den Geschicklichkeitstest. Das lässt sich auch der von den Beschwerdeführern eingereichten Spezialliteratur entnehmen. Ein Geldspielapparat, der auch im Blindspiel (ohne geschickte Beeinflussung) angemessene Erfolgschancen bietet und daher als Glücksspielgerät verwendbar ist, wird vom Durchschnittsspieler,
BGE 101 Ia 336 S. 345
der gerade dieses "kleine Glücksspiel" sucht, nicht beanstandet. Erfassen die Polizeiorgane nicht von Amtes wegen durch einlässliche und häufige Kontrollen alle Umwandlungen von bewilligten Geschicklichkeitsgeräten in Glücksspielapparate, so werden eben abgeänderte, dem
Art. 3 SBG
nicht mehr entsprechende Spielautomaten ohne Reklamation und ohne Aufsehen faktisch als Glücksspielgeräte betrieben. Zwar entstehen dadurch keine katastrophalen Zustände, aber es wird vermutlich auf diese Weise eine unbestimmte Anzahl bundesrechtswidriger Glücksspielautomaten nicht entdeckt; die Durchsetzung von
Art. 3 SBG
bleibt damit unter Umständen recht lückenhaft.
Einem Kanton, welcher durch Volksentscheid Geldspielautomaten generell verbietet, um sich von der finanziell und personell schwer lösbaren Überwachungsaufgabe zu entlasten, kann nicht entgegengehalten werden, in andern Kantonen komme man mit wenig Kontrollarbeit durch, solange der dringende Verdacht nicht widerlegt ist, bei einer beschränkten Überwachung (Stichproben, periodische Kontrollen in grössern Abständen) würden immer wieder bundesrechtlich bewilligte Apparate unentdeckt in bundesrechtswidrige Glücksspielautomaten umgewandelt.
e) Diese Erwägungen führen zum Schluss, dass das angefochtene Verbot von Geldspielautomaten
Art. 31 BV
nicht verletzt. Das allgemeine kantonale Verbot dient praktisch in erster Linie der Durchsetzung des bundesrechtlichen Verbotes von Glücksspielapparaten gemäss
Art. 3 SBG
, dessen Umgehung bei Bewilligung von Geschicklichkeitsgeldspielapparaten nach den bisherigen Erfahrungen nur mit einer rigorosen und kostspieligen Kontrolle konsequent verhindert werden könnte.
7.
Von einigen Beschwerdeführern wird die Rüge erhoben, das angefochtene Gesetz verletze die persönliche Freiheit des Bürgers; der einzelne habe als von der Rechtsordnung in seiner Selbstverantwortung zu respektierender Mensch die Entscheidungsgewalt darüber, ob er gegebenenfalls seine Geschicklichkeit an einem Geldspielautomaten erproben wolle oder nicht; durch das Verbot der Geldspielautomaten werde diese rechtsstaatlich grundlegende freie Entscheidungsmöglichkeit ohne sachlichen Grund erheblich beschränkt.
a) Die persönliche Freiheit ist ein ungeschriebenes Individualrecht (
BGE 99 Ia 509
E. 3 und dort erwähnte frühere
BGE 101 Ia 336 S. 346
Urteile). Nach der neuern Rechtsprechung gewährleistet die Garantie der persönlichen Freiheit nicht bloss das Recht auf freie Bewegung und körperliche Unversehrtheit, sondern schützt den Bürger auch in der ihm eigenen Fähigkeit, eine bestimmte tatsächliche Begebenheit zu würdigen und demnach zu handeln (BGE
BGE 90 I 36
,
BGE 97 I 49
E. 3 und 842 E. 3,
BGE 99 Ia 509
E. 3). Im Zuge der Entwicklung dieser neuem Praxis wurden in einzelnen Urteilsbegründungen sehr weitgehende Formulierungen gewählt; so heisst es etwa in
BGE 97 I 842
E. 3, das Grundrecht der persönlichen Freiheit schütze den Bürger auch in seiner Freiheit, über seine Lebensweise zu entscheiden, insbesondere seine Freizeit zu gestalten. Die sich in solchen Erwägungen abzeichnende Ausweitung des Begriffs der persönlichen Freiheit wurde von HUBER (SJZ 1973 S. 113 ff.) mit einlässlicher Begründung kritisiert. HUBER setzt sich dafür ein, dass der Begriff der persönlichen Freiheit, entsprechend seinem überlieferten Gehalt, wiederum auf Bewegungsfreiheit und körperliche Integrität zu beschränken sei. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dieser Kritik ist an dieser Stelle nicht erforderlich. Auf jeden Fall umfasst auch die in neuern Urteilen vorgenommene Erweiterung des Schutzbereichs dieses Grundrechts sinngemäss nicht jede noch so nebensächliche Wahl- oder Betätigungsmöglichkeit des Menschen. Mögen auch in einzelnen Sätzen neuerer Urteile die Grenzen des erweiterten Grundrechts der persönlichen Freiheit nicht erkennbar sein, so lassen sich doch zum Teil denselben Erwägungen an anderer Stelle gewisse Kriterien für eine vernünftige Begrenzung des erweiterten Grundrechtsschutzes entnehmen: So wird wiederholt hervorgehoben, die Garantie der persönlichen Freiheit gewährleiste (subsidiär, sofern kein anderes Freiheitsrecht in Frage steht) "alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen" (
BGE 97 I 49
/50, 842 E. 3,
BGE 98 Ia 514
E. 4a,
BGE 99 Ia 509
E. 3). In der gleichen Richtung geht die Erklärung, der Bürger könne sich "in Fällen, in denen kein dem geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungsrecht angehörendes Freiheitsrecht in Frage steht, zum Schutze seiner Persönlichkeit und Menschenwürde" auf das Grundrecht der persönlichen Freiheit berufen (
BGE 97 I 50
). Auch im Rahmen des erweiterten - nicht auf Bewegungsfreiheit und körperliche Integrität beschränkten - Grundrechts der persönlichen Freiheit schützt
BGE 101 Ia 336 S. 347
das Bundesgericht nur elementare Möglichkeiten, die für die Persönlichkeitsentfaltung wesentlich sind und jedem Menschen zustehen sollten (vgl. auch A. GRISEL, La Liberté personnelle et les limites du pouvoir judiciaire, noch nicht publiziert, und JÖRG P. MÜLLER, Bemerkungen zur Schweizerischen Rechtsprechung 1971, ZSR 91/1972 I, S. 216 f.).
b) Selbst wenn der Kreis dieser verfassungsrechtlich geschützten Formen menschlicher Betätigung weit gezogen wird, so gehört doch offensichtlich die Möglichkeit, mit Spielapparaten um Geld zu spielen, nicht zu den "elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung", für welche ein verfassungsrechtlicher Schutz beansprucht werden kann. Das Verbot des Aufstellens solcher Apparate tangiert die potentiellen Spieler nicht in jenem Kernbereich freier menschlicher Betätigung, der nach der neuern Praxis zum Gehalt der verfassungsrechtlich geschützten persönlichen Freiheit gehört. - Die Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit erweist sich daher als unbegründet.
8.
Ist somit das Begehren um Aufhebung des Verbots von Geldspielautomaten abzuweisen, so bleibt noch der in der einen Beschwerde subeventualiter gestellte Antrag auf Aufhebung der Übergangsbestimmung von § 17 Abs. 2 zu prüfen. Dieser Antrag wird mit der Rüge begründet, die in dieser Bestimmung vorgesehene Frist von zwei Monaten für das Ausserbetriebsetzen der nicht mehr zulässigen Apparate sei viel zu kurz, verletze daher die Eigentumsgarantie sowie die Handels- und Gewerbefreiheit und erweise sich als unverhältnismässig.
a) Aus der Handels- und Gewerbefreiheit lässt sich kein Anspruch auf temporäre Weiterführung eines unter ein verfassungsrechtlich haltbares Verbot fallenden Gewerbes ableiten. Die Beschwerdeführer legen nicht dar, inwiefern
Art. 31 BV
durch die angefochtene Übergangsbestimmung verletzt sein soll. Auch für die Rüge der Unverhältnismässigkeit fehlt eine dem
Art. 90 OG
entsprechende Begründung. Aus den Darlegungen in der Beschwerdeschrift lässt sich hingegen als Begründung einer Verletzung der Eigentumsgarantie der Vorwurf entnehmen, durch die kurze Übergangsfrist werde in wohlerworbene vermögenswerte Rechte der Aufsteller eingegriffen, die im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Geldspielapparate angeschafft und aufgestellt haben.
BGE 101 Ia 336 S. 348
b) Der regierungsrätliche Bericht an den Landrat mit dem Vorschlag eines generellen Verbots der Geldspielapparate datiert vom 24. April 1973. Im Laufe des weitern Gesetzgebungsverfahrens zeigte sich keine Opposition. Aufsteller von Geldspielapparaten mussten also seit 1973 - spätestens aber seit der Beratung des Gesetzes im Landrat im Frühling 1974 - mit einem generellen Verbot rechnen. Am 20. Oktober 1974 wurde das Gesetz vom Volk angenommen; der Landrat hat es auf den 1. Januar 1975 in Kraft gesetzt. Gemäss § 17 Abs. 2 waren unzulässige Apparate bis Ende Februar 1975 - d.h. fast zwei Jahre nach der Publikation der massgebenden Gesetzesvorlage, rund ein Jahr nach deren Beratung im kantonalen Parlament und etwas mehr als vier Monate nach der kantonalen Volksabstimmung - ausser Betrieb zu nehmen.
Nach den Angaben der Beschwerdeführer kostet ein Apparat Fr. 2'000.-- bis Fr. 6'000.-- und für die Amortisation sollen je nach Apparat ein bis vier Jahre erforderlich sein. - Dass ein Aufsteller unter den geschilderten Umständen in guten Treuen Investitionen machte, welche im Zeitpunkt der Ausserbetriebsetzung nicht amortisiert waren, ist unwahrscheinlich und durch nichts belegt. Allenfalls vorhandene, bundesrechtlich zulässige Apparate sind überdies in andern Kantonen noch verwendbar.
Eine Beeinträchtigung verfassungsrechtlich geschützter, vermögenswerter Ansprüche durch die getroffene Übergangsregelung ist nicht dargetan. Der Antrag auf Aufhebung von § 17 Abs. 2 muss daher abgewiesen werden.
Dass das Bundesgericht im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beim Widerruf einer rechtskräftig erteilten Bewilligung eine längere Übergangsfrist für angezeigt hielt (
BGE 97 I 761
), kann hier nicht von entscheidender Bedeutung sein; denn im vorliegenden Verfahren handelt es sich um die Frage der Verfassungsmässigkeit einer kantonalen Übergangsregelung beim gesetzlichen Verbot einer bisher ohne Bewilligung tolerierten gewerblichen Tätigkeit. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7502f352-28e5-45c8-98db-5980804ec164 | Urteilskopf
116 Ia 162
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Juni 1990 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
; Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens.
Es ist verfassungswidrig, einem nicht verurteilten Angeschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden (E. 2a, b; Änderung der Rechtsprechung).
Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens Kosten aufzuerlegen, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise (d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus
Art. 41 OR
ergebenden Grundsätze) gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die aus der gesamten schweizerischen Rechtsordnung stammen kann, klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (E. 2c-e).
Kognition des Bundesgerichts bei Beschwerden, mit denen eine Kostenauflage wegen Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung angefochten wird (E. 2f). | Sachverhalt
ab Seite 163
BGE 116 Ia 162 S. 163
Der Regierungsrat des Kantons Aargau bewilligte der Genossenschaft W. mit Beschluss vom 24. Februar 1966 den Verkauf von Rodungsland an die Einwohnergemeinde M. und verpflichtete die Genossenschaft, den gesamten Verkaufserlös in einem neu zu gründenden Hauptgut zu kapitalisieren. Ein Wiedererwägungsgesuch, es sei die Verteilung des Verkaufserlöses unter die Genossenschafter zuzulassen, wurde vom Regierungsrat am 24. Juni 1966 abgelehnt, und auch ein weiterer dahingehender Vorstoss hatte keinen Erfolg. Notar G., der die Genossenschaft in dieser Angelegenheit beriet, gelangte nach durchgeführten Abklärungen zum Schluss, die Verteilung des Erlöses unter die Genossenschafter sei
BGE 116 Ia 162 S. 164
rechtlich zulässig. Daraufhin beschlossen die Genossenschafter, die Verteilung des Erlöses sei vorzunehmen. Dieser Beschluss wurde ausgeführt.
Gestützt auf diesen Sachverhalt erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau im Mai 1986 Anklage, und zwar gegen jene beiden Genossenschafter, denen die Geschäftsführung oblag, wegen qualifizierter ungetreuer Geschäftsführung, gegen die anderen Genossenschafter und gegen Notar G. wegen Gehilfenschaft zu qualifizierter ungetreuer Geschäftsführung. Mit Urteil vom 25. September 1986 sprach das Bezirksgericht Zofingen alle Angeklagten frei, überband die Verfahrenskosten dem Staat und sprach den Angeklagten Parteientschädigungen zu. Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte am 8. Juli 1987 in Gutheissung der Berufung der Staatsanwaltschaft die beiden geschäftsleitenden Genossenschafter wegen qualifizierter ungetreuer Geschäftsführung zu bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafen von je 6 Monaten, die anderen Genossenschafter und Notar G. wegen Gehilfenschaft zu qualifizierter ungetreuer Geschäftsführung zu bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafen von je 4 Monaten. Notar G. wandte sich in dieser Strafsache mit Erfolg an das Bundesgericht, und zwar zunächst mit einer Nichtigkeitsbeschwerde, hernach mit staatsrechtlichen Beschwerden. Am 11. Mai 1989 stellte das Aargauer Obergericht das Strafverfahren gegen G. zufolge Verjährung ein. Es auferlegte G. der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und sprach ihm für dieses Verfahren keine Entschädigung zu. G. erhob gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss § 164 Abs. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau (StPO) entscheidet das Gericht im Falle eines Freispruchs des Angeklagten oder einer Einstellung des Verfahrens über die Verfahrenskosten und über die Entschädigung des Angeklagten nach den Regeln, die bei der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gelten. Die Kosten einer eingestellten Untersuchung trägt nach
§ 139 Abs. 2 StPO
in der Regel der Staat. Sie können ganz oder teilweise dem Beschuldigten auferlegt werden, wenn er durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen die Untersuchung verschuldet oder ihre Durchführung erschwert hat (
§ 139 Abs. 3 StPO
). Unter den gleichen Voraussetzungen kann
BGE 116 Ia 162 S. 165
dem Beschuldigten eine Entschädigung verweigert werden, wenn das Verfahren fallengelassen oder eingestellt wird (
§ 140 Abs. 1 StPO
).
Mit dem angefochtenen Entscheid hat das Obergericht das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer zufolge Verjährung eingestellt. Zur Frage der Kosten- und Entschädigungsfolgen führte es aus, der Beschwerdeführer habe das Strafverfahren durch ein moralisch verwerfliches Verhalten verursacht. Er habe gewusst, dass der Regierungsrat mit Beschlüssen vom 24. Februar 1966 und 24. Juni 1966 eine Verteilung des Erlöses aus dem Waldverkauf der Genossenschaft W. abgelehnt habe und dass auch weitere Vorstösse beim Regierungsrat in der gleichen Angelegenheit erfolglos geblieben seien. Gleichwohl habe er die Verteilung des Verkaufserlöses als rechtlich zulässig erklärt. Der Beschwerdeführer habe damit seine eigene Rechtsauffassung über diejenige des Regierungsrates gesetzt, der in dieser Frage die zuständige oberste Aufsichtsbehörde sei. Dies habe er sich als ethisch vorwerfbares Verhalten anzurechnen. Aus den Aussagen, welche die Mitangeklagten D., L. und R. an der Berufungsverhandlung vom 4. Juni 1987 gemacht hätten, ergebe sich, dass der Beschwerdeführer mit seinen juristischen Auskünften, die im Gegensatz zu den Beschlüssen des Regierungsrates gestanden hätten, "vorwerfbar kausal" das Strafverfahren verursacht habe; deshalb seien ihm die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens anteilsmässig zu 1/7 mit Fr. 87.10 zu überbinden und habe er die Verteidigungskosten in erster Instanz selbst zu tragen.
2.
Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe
Art. 4 BV
verletzt, indem es ihm 1/7 der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auferlegt und ihm für dieses Verfahren keine Entschädigung zugesprochen habe. Er behauptet, es bedeute eine willkürliche Auslegung der §§ 139 Abs. 3 und 140 Abs. 1 StPO, einem Angeklagten bei Einstellung des Verfahrens die Kosten wegen eines einzig unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens zu überbinden. Ausserdem ist er der Meinung, sein Verhalten sei vom Obergericht in unhaltbarer Weise als moralisch verwerflich qualifiziert worden. Im weiteren macht der Beschwerdeführer dem Sinne nach geltend, der angefochtene Entscheid verstosse auch gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung gemäss
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
.
a) Nach der Aargauer Strafprozessordnung können dem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens die
BGE 116 Ia 162 S. 166
Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn er durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen die Untersuchung verschuldet oder ihre Durchführung erschwert hat. Gleichlautende oder ähnliche Vorschriften finden sich in fast allen kantonalen Strafprozessordnungen. Es liegt ihnen der Gedanke zugrunde, es solle nicht der Staat und damit nicht der einzelne Bürger als Steuerzahler für Verfahrenskosten aufkommen müssen, die von einem Angeschuldigten durch vorwerfbares Verhalten verursacht worden sind (
BGE 107 Ia 166
f.). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hielt in dem die Schweiz betreffenden Urteil vom 25. März 1983 i.S. Minelli (Série A, vol. 62 = EuGRZ 1983, S. 475 ff.) allgemein fest, eine Regelung, wonach dem Beschuldigten im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens Kosten auferlegt werden könnten, verstosse an sich nicht gegen das in
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
verankerte Prinzip der Unschuldsvermutung. Dieses werde aber dann verletzt, wenn im Einzelfall die Begründung des Kostenentscheids den Eindruck erwecke, das Gericht halte den nicht verurteilten Beschuldigten gleichwohl für strafrechtlich schuldig, ohne dass seine Schuld zuvor in einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren nachgewiesen worden sei und ohne dass er insbesondere seine Verteidigungsrechte habe ausüben können. Im Fall Minelli bejahte der Europäische Gerichtshof eine Verletzung der Unschuldsvermutung deswegen, weil sich aus der Begründung des Kostenentscheides ergebe, dass das Gericht den Angeschuldigten für schuldig gehalten habe, obschon das Strafverfahren materiell wegen Eintritts der Verjährung nicht habe zu Ende geführt werden können und somit der Angeschuldigte von den ihm nach
Art. 6 Ziff. 1 und 3 EMRK
zustehenden Rechten keinen Gebrauch habe machen können (EuGRZ 1983, S. 479 f. Ziff. 34, 37 und 38). Das Bundesgericht hat in einem Entscheid vom 21. September 1983 (
BGE 109 Ia 160
ff.) seine Rechtsprechung zur Kostenauflage bei Einstellung des Verfahrens oder bei Freispruch im Lichte des erwähnten Urteils des Europäischen Gerichtshofes überprüft. Es hielt fest, es gehe nicht an, in der Begründung des Kostenentscheids dem Angeschuldigten - obschon er nicht verurteilt wurde - direkt oder indirekt vorzuwerfen, er habe sich strafbar gemacht, denn in einem solchen Fall käme der Kostenauflage sozusagen die Wirkung einer Strafe zu. Dagegen sei es mit Konvention und Verfassung vereinbar, einem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens die Kosten aufzuerlegen, wenn die
BGE 116 Ia 162 S. 167
Auflage mit einem zwar nicht strafbaren, aber unter zivilrechtlichen oder ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhalten begründet werde und zwischen diesem Verhalten und den entstandenen Kosten ein Kausalzusammenhang bestehe. In einem Urteil vom 29. Juni 1988 (
BGE 114 Ia 299
ff.) erklärte das Bundesgericht, der Begriff des unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens erfasse nicht nur Verletzungen zivilrechtlicher Pflichten, vielmehr falle darunter "jede Verletzung allgemeiner gesetzlicher Pflichten" (
BGE 114 Ia 299
, 306 E. 5b). Das Gericht warf in diesem Urteil zudem die Frage auf, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten sei, wonach einem Angeschuldigten Kosten wegen eines Verhaltens überbunden werden könnten, das allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbar sei. Die Frage wurde offengelassen, da sich in jenem Fall die Kostenauflage bereits als unhaltbar erwies, weil der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Angeschuldigten und den entstandenen Kosten fehlte. Im vorliegenden Fall muss die Frage entschieden werden, denn das Obergericht hat dem Beschwerdeführer für das erstinstanzliche Verfahren einzig deshalb Kosten überbunden und eine Entschädigung verweigert, weil er das Strafverfahren durch ein ethisch vorwerfbares Verhalten veranlasst habe, und der Beschwerdeführer macht geltend, die kantonale Instanz habe damit die §§ 139 Abs. 3 und 140 Abs. 1 StPO willkürlich ausgelegt.
b) Das Bundesgericht ging in ständiger Praxis davon aus, dass eine Kostenbelastung des nicht verurteilten Beschuldigten wegen eines ethisch vorwerfbaren Verhaltens mit der Verfassung vereinbar sei. Diese Rechtsprechung stiess auf Kritik. Es wurde vor allem eingewendet, die Pflicht zur Kostentragung wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten verpönten Benehmens bedeute eine unhaltbare Einschränkung der Freiheitsrechte, denn es gehe zum Beispiel nicht an, wenn eine Meinungsäusserung zwar als strafrechtlich zulässig beurteilt, aber doch mit der Auferlegung staatlicher Verfahrenskosten geahndet werde (JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, Bern 1985, S. 266; CLAUDE ROUILLER, La condamnation aux frais de justice du prévenu libéré de toute peine en relation, notamment, avec la présomption d'innocence, SJZ 80/1984, S. 210 f.; GUIDO JENNY, Einstellung und Freispruch mit Kosten, BJM 1985, S. 10 f.). Das Bundesgericht hat dieser Kritik in einem unveröffentlichten Urteil vom 10. Mai 1988 i.S. D. Rechnung getragen: Ein wegen unzüchtiger Veröffentlichung eingeleitetes
BGE 116 Ia 162 S. 168
Strafverfahren war mangels Unzüchtigkeit der Veröffentlichung eingestellt worden. Dem Angeschuldigten wurden aber Kosten überbunden mit der Begründung, die Veröffentlichung sei zwar nicht unzüchtig im Sinne des StGB, habe ihrer Anstössigkeit wegen jedoch Anlass zur Eröffnung der Strafuntersuchung gegeben. Das Bundesgericht erklärte die Kostenauflage im wesentlichen deshalb als unzulässig, weil der Schutz der öffentlichen Moral gegen unzüchtige Veröffentlichungen durch
Art. 204 StGB
gewährleistet werde, so dass ein staatlicher Immoralitätsvorwurf ausserhalb des Tatbestandes von
Art. 204 StGB
nicht mehr zulässig sei. Sodann wies das Bundesgericht im bereits erwähnten Urteil
BGE 114 Ia 299
ff. darauf hin, dass nicht alles, was als moralisch verwerflich gelte, auch rechtlich verboten sei. Recht und Moral seien bei der Rechtsanwendung auseinanderzuhalten. Es erscheine daher als problematisch, für die Kostenfolge bei nicht verurteilendem Abschluss eines Strafverfahrens an ein rechtlich nicht verbotenes Verhalten anzuknüpfen, werde doch auf diese Weise der Angeschuldigte ohne Rechtsgrundlage belastet. Diesen Überlegungen kommt erhebliches Gewicht zu. Beim Entscheid darüber, ob dem Angeschuldigten im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens Kosten auferlegt werden dürfen, muss das in Frage stehende Verhalten des Beschuldigten aufgrund der Rechtsordnung beurteilt werden; eine moralische Wertung des Verhaltens kann für den Entscheid über die Kostenfolgen nicht massgebend sein. An der Auffassung, wonach es zulässig ist, dem nicht verurteilten Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden, kann nicht mehr festgehalten werden.
c) Demnach dürfen einem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens nur dann Kosten auferlegt werden, wenn er durch ein unter rechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares Verhalten die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird von einem "prozessualen Verschulden im weiteren Sinne" gesprochen, wenn der Angeschuldigte durch ein vorwerfbares Verhalten Anlass zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegeben hat; von einem "prozessualen Verschulden im engeren Sinne" ist dann die Rede, wenn er durch ein vorwerfbares Benehmen im Strafprozess dessen Durchführung erschwert hat (
BGE 109 Ia 164
E. 4b). Mit der Bezeichnung "prozessuales Verschulden" will das Bundesgericht zum Ausdruck bringen, dass
BGE 116 Ia 162 S. 169
es sich bei der Kostenpflicht des freigesprochenen oder aus dem Verfahren entlassenen Angeschuldigten nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden handelt, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines "Prozesses verursacht" wurde (
BGE 109 Ia 164
E. 4a, 107 Ia 167 mit Hinweisen). Gemäss
Art. 41 Abs. 1 OR
ist zum Ersatz verpflichtet, "wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit". Im Zivilrecht wird demnach eine Haftung dann ausgelöst, wenn jemandem durch ein widerrechtliches und - abgesehen von den Fällen der Kausalhaftung - ausserdem schuldhaftes Verhalten ein Schaden zugefügt wird. Widerrechtlich im Sinne von
Art. 41 Abs. 1 OR
ist ein Verhalten dann, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. den Rechtsunterworfenen ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben (KARL OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Auflage, Zürich 1975, S. 128;
BGE 115 II 18
E. 3a,
BGE 109 II 124
E. 2a,
BGE 94 I 642
f. E. 5, je mit Hinweisen). Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, unter anderem aus Privat-, aus Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt (OFTINGER, a.a.O., S. 129; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 12 und 13 zu
Art. 41 OR
;
BGE 90 II 279
f. E. 4, 88 II 281,
BGE 78 II 422
E. 2a, je mit Hinweisen). Zu diesen Normen gehört z.B. der wichtige Grundsatz des ungeschriebenen Rechts, dass derjenige, der einen gefährlichen Zustand schafft oder unterhält, für die nötigen Schutzmassnahmen zu sorgen hat (
BGE 95 II 96
E. 2 mit Hinweisen). Im weitern gelten als Verhaltensnormen das Verbot des Handelns wider Treu und Glauben (
Art. 2 Abs. 1 ZGB
) sowie das Verbot des rechtsmissbräuchlichen Handelns (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
). Jeder Verstoss gegen eine derartige Verhaltensnorm wird als widerrechtlich aufgefasst (OFTINGER, a.a.O., S. 129). Was sodann den Begriff des Verschuldens anbelangt, so wird als Verschulden im Sinne des Zivilrechts ein menschliches Verhalten bezeichnet, das die Ursache eines Schadens darstellt und als so tadelnswert angesehen wird, dass es die Haftbarmachung des Schädigers zu rechtfertigen vermag (OFTINGER, a.a.O., S. 141). Dabei wird das in Frage stehende Verhalten nach einem objektiven Massstab bewertet, d.h. es wird verglichen mit jenem Verhalten, das nach der Rechtsordnung unter den gegebenen
BGE 116 Ia 162 S. 170
Verhältnissen von einem Durchschnittsmenschen erwartet werden durfte. Tadelnswert und damit schuldhaft ist ein Verhalten dann, wenn es von dem unter den gegebenen Verhältnissen als angebracht geltenden Durchschnittsverhalten abweicht, wobei das Verschulden um so schwerer wiegt, je grösser das Ausmass der Abweichung vom Durchschnittsverhalten ist (OFTINGER, a.a.O., S. 141; HANS KASPAR AEBI, Der Begriff des Verschuldens im Privatrecht und im Strafrecht, Diss. Zürich 1957, S. 57; ALEX ZINDEL, Kosten- und Entschädigungsfolgen im Strafverfahren des Kantons Zürich, Diss. Zürich 1972, S. 38). Die Frage nach der Abweichung von einem Durchschnittsverhalten ist, wie gesagt wird, die "objektive Seite" des Verschuldens. Dessen subjektive Seite ist die Urteils- oder Zurechnungsfähigkeit (OFTINGER, a.a.O., S. 141; ZINDEL, a.a.O., S. 39 ff.). Eine schädigende Handlung wird demjenigen nicht zugerechnet, der nicht urteilsfähig ist. Trotz fehlender Urteilsfähigkeit kann aber der Richter den Schädiger zu teilweisem oder vollem Schadenersatz verpflichten, wenn die Billigkeit dies nahelegt (
Art. 54 Abs. 1 OR
; OFTINGER, a.a.O., S. 154 f.).
Wie ausgeführt, handelt es sich bei der Kostenpflicht des Angeschuldigten wegen Veranlassung oder Erschwerung eines Strafverfahrens um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein widerrechtliches und vorwerfbares Verhalten. Wird demzufolge für die Frage der Kostentragung an den zivilrechtlichen Begriff der Widerrechtlichkeit angeknüpft, so ist das Benehmen eines Angeschuldigten dann als widerrechtlich zu qualifizieren, wenn es in klarer Weise gegen Normen der Rechtsordnung verstösst, die den Rechtsunterworfenen direkt oder indirekt zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten (Verhaltensnormen). Ein widerrechtliches Verhalten reicht aber für die Kostenhaftung des Angeschuldigten nicht aus. Erforderlich ist zudem, dass es die adäquate Ursache für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens war. Dies trifft dann zu, wenn das gegen geschriebene oder ungeschriebene, kommunale, kantonale oder eidgenössische Verhaltensnormen klar verstossende Benehmen des Angeschuldigten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung des Lebens geeignet war, den Verdacht einer strafbaren Handlung zu erwecken und damit Anlass zur Eröffnung eines Strafverfahrens zu geben oder die Durchführung des im Gange befindlichen Strafprozesses zu erschweren (vgl. ZINDEL, a.a.O., S. 27 und 34). Dabei ist zu betonen, dass eine
BGE 116 Ia 162 S. 171
Kostentragung nur dann in Frage kommt, wenn sich die Behörde aufgrund des normwidrigen Verhaltens des Angeschuldigten in Ausübung pflichtgemässen Ermessens zur Einleitung eines Strafverfahrens veranlasst sehen konnte. Jedenfalls fällt eine Auferlegung von Kosten an den Angeschuldigten insoweit ausser Betracht, als die Behörde aus Übereifer, aufgrund unrichtiger Beurteilung der Rechtslage oder vorschnell eine Strafuntersuchung eingeleitet hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, dass der Überbindung von Verfahrenskosten an den Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens Ausnahmecharakter zukommt. Im weiteren setzt die Kostenauflage - abgesehen von Ausnahmefällen - ein im zivilrechtlichen Sinne schuldhaftes Verhalten des Angeschuldigten voraus, und zwar unbekümmert darum, ob die betreffende Bestimmung des kantonalen Strafverfahrensrechts ausdrücklich ein schuldhaftes Verhalten verlangt (
BGE 109 Ia 164
). Geht man vom dargelegten zivilrechtlichen Verschuldensbegriff aus, so ergibt sich, dass das Verhalten des Angeschuldigten dann schuldhaft ist, wenn es von dem unter den gegebenen Verhältnissen als angebracht geltenden Durchschnittsverhalten abweicht. Je mehr es vom Durchschnittsverhalten abweicht, desto schwerer wiegt das Verschulden. Den verschiedenen Formen des Verschuldens wird in den kantonalen Vorschriften über die Kostenfolgen bei nicht verurteilendem Verfahrensabschluss mit den Ausdrücken "leichtfertig" und "verwerflich" Rechnung getragen (vgl. dazu ZINDEL, a.a.O., S. 38 ff.). Damit ein freigesprochener oder aus dem Verfahren entlassener Angeschuldigter kostenpflichtig erklärt werden kann, muss er - von Ausnahmefällen abgesehen - urteils- bzw. zurechnungsfähig sein. Es ist jedoch mit
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
und
Art. 4 BV
vereinbar, einen wegen Zurechnungsunfähigkeit freigesprochenen Angeklagten in sinngemässer Anwendung von
Art. 54 Abs. 1 OR
aus "Billigkeitserwägungen" mit Kosten zu belasten, wenn er sie objektiv verursacht hat und das kantonale Verfahrensrecht dafür eine genügende gesetzliche Grundlage enthält (
BGE 113 Ia 76
ff.;
BGE 112 Ia 371
ff.).
d) Aus dem Gesagten folgt, dass einem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens grundsätzlich dann Kosten auferlegt werden können, wenn er im Sinne der vorstehenden Erwägungen in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat.
BGE 116 Ia 162 S. 172
aa) Ein prozessuales Verschulden im engeren Sinne ist zum Beispiel dann anzunehmen, wenn der Angeschuldigte die Untersuchung durch wahrheitswidrige Angaben auf eine falsche Fährte führt oder das Verfahren erschwert und verlängert, indem er nicht zu Verhandlungen erscheint (
BGE 109 Ia 164
E. 4b). Soweit durch ein solches, gegen prozessuale Verhaltensnormen klar verstossendes Benehmen Kosten entstehen, können sie dem Beschuldigten auferlegt werden. Dabei ist festzuhalten, dass das blosse Wahrnehmen verfahrensmässiger Rechte, etwa des Schweigerechtes des Angeschuldigten, für eine Kostenauflage nicht genügt. Vielmehr muss der Angeschuldigte in einem solchen Fall ein hinterhältiges, gemeines oder krass wahrheitswidriges Benehmen an den Tag gelegt haben, damit ihm wegen Erschwerung oder Verlängerung des Verfahrens Kosten überbunden werden können (ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, Basel 1984, S. 167;
BGE 109 Ia 166
ff.,
BGE 103 IV 10
ff.). Dies trifft zum Beispiel dann zu, wenn der Angeschuldigte in rechtsmissbräuchlicher Weise von seinem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch gemacht hat (
BGE 109 Ia 168
; z.B. durch Unterlassen der zumutbaren Aufklärung der Strafverfolgungsorgane über entlastende Momente). Dass es das Bundesgericht als zulässig erachtet, dem Angeschuldigten wegen eines in der dargelegten Weise gegen prozessuale Pflichten verstossenden Verhaltens bzw. wegen eines prozessualen Verschuldens im engeren Sinne Kosten aufzuerlegen, wird in der Literatur kaum kritisiert.
bb) Auf Kritik stiess dagegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Kostenauflage bei nicht verurteilendem Verfahrensabschluss auch dann zulässig ist, wenn der Angeschuldigte durch ein fehlerhaftes und vorwerfbares Verhalten Anlass zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegeben hat bzw. wenn ihm ein prozessuales Verschulden im weiteren Sinne zur Last gelegt wird. In der Literatur wird die Meinung vertreten, auf eine Kostenüberbindung wegen eines solchen Verhaltens sei gänzlich zu verzichten (in diesem Sinne THOMAS HANSJAKOB, Kostenarten, Kostenträger und Kostenhöhe im Strafprozess, Diss. St. Gallen 1988, S. 230; MARTIN SCHUBARTH, Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, Basel 1978, S. 26; MÜLLER/MÜLLER, a.a.O., S. 266; DOMINIQUE PONCET, La protection de l'accusé par la convention européenne des droits de l'homme, Genf 1977, S. 81). Andere Autoren wollen die Kostenauflage wegen Veranlassung eines Strafverfahrens auf bestimmte Fälle beschränken, nämlich
BGE 116 Ia 162 S. 173
auf ausgesprochen krasse Fälle der Verdachtserregung (MAX WAIBLINGER/ALFRED WILHELM in ZBJV 91/1955, S. 144 f.) oder auf solche Fälle, in denen die Eröffnung einer Strafuntersuchung durch ein Verhalten des Angeschuldigten ausgelöst wurde, das als "manifestement abusif ou incorrect" (ROUILLER, a.a.O., S. 207), als geradezu missbräuchlich oder provokativ (JENNY, a.a.O., S. 13 ff.) oder als offensichtlich durch keine achtenswerten Beweggründe gerechtfertigt und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint (WALTER GRESSLY, Die Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens, in Mélanges Assista, Genf 1989, S. 479 ff.).
Das Bundesgericht kann sich der Ansicht dieser Autoren nicht anschliessen und sieht sich auf Grund der vorgebrachten Kritik nicht veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung in diesem Punkt zu ändern. Zunächst ist festzuhalten, dass das von den erwähnten Autoren vorgeschlagene Kriterium des missbräuchlichen oder provokativen Verhaltens eine bedeutend unklarere und ungeeignetere Grundlage für die Kostenpflicht bei nicht verurteilendem Verfahrensabschluss darstellt als das vom Bundesgericht verwendete Kriterium des zivilrechtlich vorwerfbaren klaren Verstosses gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm. Sodann ist die ratio legis der Bestimmungen über die Kostenauflage im Auge zu behalten. Die in fast allen kantonalen Strafverfahrensgesetzen enthaltenen Vorschriften, wonach eine Überbindung von Verfahrenskosten an den nicht verurteilten Angeschuldigten im Falle einer durch leichtfertiges oder verwerfliches Verhalten ausgelösten Einleitung oder Erschwerung eines Strafverfahrens zulässig ist, bezwecken den Schutz der Staatsfinanzen vor einer Belastung mit Verfahrenskosten, die ein Beschuldigter durch vorwerfbares Verhalten veranlasst hat. Es wird von jedermann ein Verhalten gemäss den Normen der Rechtsordnung verlangt. Hat ein Angeschuldigter in Verletzung einer solchen Norm den dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung erweckt und dadurch ein Strafverfahren veranlasst, wodurch Kosten entstehen und eine Schädigung des Staatsvermögens bewirkt wird, so wäre es stossend und unbefriedigend, wenn letztlich der einzelne Bürger als Steuerzahler für diesen Schaden aufkommen müsste. Das Bundesgericht hat ausgeführt, es sei mit
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
und
Art. 4 BV
vereinbar, die Kostenauflage mit einem fehlerhaften Verhalten des Angeschuldigten zu begründen, das sich sachlich mit dem Vorwurf decke, der Gegenstand der strafrechtlichen Anschuldigung gebildet habe,
BGE 116 Ia 162 S. 174
wobei die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verurteilung nach dem entsprechenden Straftatbestand gefehlt hätten (
BGE 109 Ia 164
f. E. 4b). Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dem nicht verurteilten Angeschuldigten die Verfahrenskosten wegen eines Verhaltens aufzuerlegen, das in objektiver Hinsicht die Merkmale eines Straftatbestandes erfüllt, denn mit dem in
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
verankerten Grundsatz der Unschuldsvermutung kann nur die Vermutung gemeint sein, dass der Betroffene nicht sämtliche zu seiner Verurteilung erforderlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit (tatbestandsmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten) kumulativ erfüllt hat (STEFAN TRECHSEL, Struktur und Funktion der Vermutung der Schuldlosigkeit, SJZ 77/1981, S. 338). Wie sich aus der Rechtsprechung der Strassburger Organe ergibt, verletzt ein Kostenentscheid das Prinzip der Unschuldsvermutung nur dann, wenn seine Begründung den Eindruck erweckt, dem nicht verurteilten Angeschuldigten werde eben doch ein strafrechtliches Verschulden zur Last gelegt. Hingegen erachten sie es nicht als konventionswidrig, wenn ein Angeschuldigter deshalb mit Kosten belastet wird, weil er das Strafverfahren durch ein leichtfertiges oder verwerfliches Verhalten im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der kantonalen Strafprozessordnungen veranlasst hat (vgl. die drei die Schweiz betreffenden Nichtzulassungsentscheide der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 17. Mai 1984 in Sachen B., G. und K. sowie die drei die Bundesrepublik Deutschland betreffenden Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 25. August 1987 i.S. Lutz, Englert und Nölkenbockhoff, Série A, vol. 123 = EuGRZ 1987, S. 399 ff.). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach der Praxis des Bundesgerichts bei der Prüfung der Gründe für eine Kostenauflage stets auch darauf zu achten ist, dass durch die Auferlegung von Kosten an einen nicht strafrechtlich verurteilten Beschuldigten nicht etwa Freiheitsrechte, namentlich die Meinungsäusserungsfreiheit, beeinträchtigt werden (
BGE 109 Ia 166
). Wo Freiheitsspielräume des Einzelnen allein durch das Strafgesetz beschränkt werden, kann nicht von einem zivilrechtlich schuldhaften Verhalten gesprochen werden und ist somit eine Kostenauflage unzulässig (in diesem Sinne JENNY, a.a.O., S. 11, und ROUILLER, a.a.O., S. 210 f.). Was den Umfang der Kostenpflicht anbelangt, so darf die Haftung des Beschuldigten nicht weiter gehen, als der Kausalzusammenhang zwischen dem ihm vorgeworfenen fehlerhaften Verhalten und den Kosten verursachenden behördlichen
BGE 116 Ia 162 S. 175
Handlungen reicht. Aus dieser Überlegung heraus hat das Bundesgericht schon entschieden, es sei zwar unter dem Gesichtspunkt von Verfassung und Konvention zulässig gewesen, dem Beschuldigten die Kosten der Voruntersuchung aufzuerlegen, doch hätten ihm jene des Gerichtsverfahrens nicht überbunden werden dürfen, da nach dem Ergebnis der Untersuchung kein hinreichender Anlass bestanden habe, Anklage zu erheben (
BGE 109 Ia 163
mit Hinweis). Ob einem nicht verurteilten Angeschuldigten Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegt werden dürfen, braucht hier nicht erörtert zu werden.
Selbstverständlich ist, dass ein Entscheid, mit dem einem Angeschuldigten im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Strafverfahrens Kosten überbunden werden, verfassungswidrig ist, wenn er im Ergebnis in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (
BGE 114 Ia 27
f. E. 3b, 218 E. 2a, je mit Hinweisen).
e) Zusammenfassend ergibt sich, dass es mit
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
und
Art. 4 BV
unvereinbar ist, in der Begründung des Entscheids, mit dem einem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens Kosten auferlegt werden, dem Angeschuldigten direkt oder indirekt vorzuwerfen, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten dann zu überbinden, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise (d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus
Art. 41 OR
ergebenden Grundsätze) gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die - wie erwähnt - aus der gesamten schweizerischen Rechtsordnung stammen kann, klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat.
f) Wird eine Kostenauflage wegen Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, so prüft das Bundesgericht frei, ob der Text des Kostenentscheids direkt oder indirekt den Vorwurf einer strafrechtlichen Schuld enthält. Nur auf Willkür hin untersucht es dagegen, ob der Angeschuldigte in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und durch dieses Benehmen das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. Es geht insoweit nicht mehr um den Schutzbereich von
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
, welche
BGE 116 Ia 162 S. 176
Bestimmung den guten Ruf des Angeschuldigten gegen den direkten oder indirekten Vorwurf schützen will, ihn treffe trotz Freispruch oder Einstellung des Verfahrens eine strafrechtlich relevante Schuld (
BGE 114 Ia 302
E. 2b). Die Voraussetzungen der Kostenauflage (Veranlassung oder Erschwerung des Strafverfahrens durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen) werden demgegenüber durch die Vorschriften der kantonalen Strafprozessordnungen umschrieben, und in diesem Bereich greift ausschliesslich
Art. 4 BV
Platz, wonach die betreffenden Gesetzesbestimmungen nicht willkürlich angewendet werden dürfen (unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 29. Juni 1988 in Sachen D., Z., K. und B.).
g) Im angefochtenen Entscheid hat das Obergericht des Kantons Aargau dem Beschwerdeführer für das erstinstanzliche Verfahren einzig deshalb Kosten überbunden und eine Entschädigung verweigert, weil er das Strafverfahren durch ein ethisch vorwerfbares Verhalten veranlasst habe. Es führte aus, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass der Regierungsrat des Kantons Aargau mit Beschlüssen vom 24. Februar und 24. Juni 1966 eine Verteilung des Erlöses aus dem Waldverkauf der Genossenschaft W. abgelehnt habe und dass auch weitere Vorstösse beim Regierungsrat in der gleichen Angelegenheit erfolglos geblieben seien. Gleichwohl habe er die Verteilung des Verkaufserlöses als rechtlich zulässig erklärt. Der Beschwerdeführer habe damit seine eigene Rechtsauffassung über diejenige des Regierungsrates gesetzt, der in dieser Frage die zuständige oberste Aufsichtsbehörde sei. Dies habe er sich als ethisch vorwerfbares Verhalten anzurechnen.
Mit diesen Erwägungen wird in keiner Weise der Eindruck erweckt, der Beschwerdeführer könnte allenfalls doch im Sinne des Strafrechts schuldig sein. Eine Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung liegt daher nicht vor. Hingegen ist es - wie oben (E. 2b) ausgeführt wurde - verfassungsrechtlich unzulässig, einem nicht verurteilten Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden. Das Obergericht hat mit der angeführten Begründung die §§ 139 Abs. 3 und 140 Abs. 1 StPO in sachlich nicht vertretbarer Weise ausgelegt. Es bedeutete deshalb bei dieser Sachlage eine Verletzung des
Art. 4 BV
, dass es dem Beschwerdeführer für das erstinstanzliche Verfahren Kosten überband und ihm eine Entschädigung verweigerte. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid ist mit Bezug auf die Ziffern 2a und 3a des Dispositivs aufzuheben. Das Obergericht hat
BGE 116 Ia 162 S. 177
über die Kosten- und Entschädigungsfolgen erneut zu befinden. Es darf dabei gleich entscheiden wie im angefochtenen Entscheid, falls es zur begründeten Auffassung gelangt, der Beschwerdeführer habe im Sinne der vorstehenden Erwägungen in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine Verhaltensnorm (in der vorliegenden Sache allenfalls gegen eine solche Norm aus dem Gebiet des Notariatsrechts) klar verstossen und dadurch Anlass zur Einleitung des Strafverfahrens gegeben. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7506ac46-78b0-4366-b276-5a4d63d43f3a | Urteilskopf
98 Ia 449
71. Arrêt du 3 février 1972 dans la cause Rossier contre Conseil d'Etat du canton de Genève. | Regeste
Art. 30 Abs. 1 und 161 Abs. 1 ZGB
1. Die der verheirateten Frau durch
Art. 161 Abs. 1 ZGB
auferlegte Pflicht, den Familiennamen ihres Ehemanns zu tragen, verbietet es ihr, wie ohne Willkür angenommen werden kann, für sich eine Änderung des Familiennamens zu verlangen (Erw. 3).
2. Fehlen wichtiger Gründe im Sinne des
Art. 30 Abs. 1 ZGB
(Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 449
BGE 98 Ia 449 S. 449
A.-
La loi genevoise sur l'exercice des professions médicales et des professions auxiliaires, du 11 décembre 1926, soumet l'exercice de l'une de ces professions à la surveillance du Conseil d'Etat (art. 3), ainsi qu'à l'inscription à un registre professionnel tenu à jour par le département compétent et dans lequel figurent les noms, prénoms et date de naissance des personnes intéressées, de même que l'indication des diplômes et des pièces ayant motivé l'inscription (art. 7 et 8). L'autorisation d'exercer une de ces professions, et notamment celle de masseur et praticien en physiothérapie, qui en fait partie (art. 1er al. 5), est personnelle; l'usage d'un pseudonyme est interdit (art.11).
B.-
Florence Hainard, originaire de Genève et née dans cette ville le 11 mars 1922, a été autorisée le 17 mai 1946 à y
BGE 98 Ia 449 S. 450
pratiquer la profession de masseuse par un arrêté du Conseil d'Etat. Elle s'est ensuite rendue à l'étranger pour quelques années, puis elle est revenue à Genève où elle s'est mariée, en 1956, à Gabriel Poupardin du Rivage et où elle s'est derechef installée comme physiothérapeute. Elle a été réinscrite au registre des professions sous le nom de Florence de Rivage en vertu d'un nouvel arrêté du 3 mai 1963 modifiant celui du 17 mai 1946.
Le 11 décembre 1968, le divorce des époux Poupardin du Rivage a été prononcé, à la suite de quoi l'Institut d'hygiène du Département genevois de la prévoyance sociale et de la santé publique a fait savoir, le 25 avril 1969, qu'au vu de ce changement d'état civil, l'autorisation d'exercer la profession de masseuse et de praticienne en physiothérapie serait dorénavant accordée à Florence-Lise Hainard et non plus à Florence de Rivage. Un sursis a toutefois été accordé à l'intéressée, qui annonçait son prochain remariage avec le ressortissant genevois Claude Rossier. La cérémonie ayant eu lieu en mars 1970, le Conseil d'Etat a rendu le 5 août suivant un arrêté autorisant Florence Rossier (née Hainard) à exercer sa profession dans le canton de Genève. Le registre de la profession de physiothérapeute a été modifié en ce sens.
C.-
Par requête du 30 novembre 1971, dame Florence Rossier a demandé au Conseil d'Etat l'autorisation de changer son nom de famille et de porter à l'avenir celui de de Rivage. Elle soulignait que, dans la pratique de tous les jours, elle avait continué à se faire appeler Florence de Rivage, seul nom sous lequel elle est connue professionnellement tant à Genève qu'à l'étranger et que, de ce fait, l'obligation d'abandonner ce nom afin de se conformer aux dispositions légales lui causerait un préjudice important. Elle estimait dès lors qu'il existait de justes motifs pour autoriser le changement de nom requis. Par décision du 21 juin 1972, le Conseil d'Etat a rejeté cette requête comme mal fondée. Il a estimé que la requérante était à même d'aviser de son récent remariage tant sa clientèle que les médecins usant de ses services; de plus, la femme mariée ayant l'obligation légale de porter le nom de son époux, elle ne serait pas légitimée à demander un changement de nom pour elle.
D.-
Agissant par la voie du recours de droit public, dame Florence Rossier requiert l'annulation de cette décision et le renvoi de la cause au Conseil d'Etat pour qu'il réexamine la
BGE 98 Ia 449 S. 451
requête en changement de nom de la recourante et l'autorise à porter officiellement le nom de Florence de Rivage. Elle expose en substance que la décision attaquée viole à son préjudice l'art. 4 Cst., en considérant que l'art. 161 al. 1 CC est de droit impératif, alors que les limitations imposées à la femme par les art. 149 al. 1 et 161 al. 1 CC ne seraient plus du tout absolues, à la suite de la grande évolution du statut de la femme, depuis la dernière guerre. Elle se réfère en outre à diverses déclarations émanant de milieux médicaux et selon lesquelles l'obligation, pour elle, d'abandonner le nom sous lequel elle est professionnellement connue lui causerait un dommage important.
Dans sa réponse, le Conseil d'Etat conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recours de droit public, sous réserve de quelques exceptions dont les conditions ne sont pas réunies en l'espèce, n'a qu'une fonction cassatoire et ne peut conduire qu'à l'annulation de la décision attaquée. La cour de céans ne peut donc statuer sur les conclusions plus étendues que forme dame Rossier. Dans l'hypothèse d'une admission du recours, l'autorité cantonale devrait de toute manière prendre sa nouvelle décision dans le sens des motifs développés dans l'arrêt du Tribunal fédéral (cf. ATF Kacens c. Conseil exécutif du canton de Berne, du 4 novembre 1970, p. 4).
2.
Selon l'art. 30 al. 1 CC, le gouvernement du canton d'origine peut, s'il existe de justes motifs, autoriser une personne à changer de nom. La question de l'existence de justes motifs relève du pouvoir d'appréciation de l'autorité cantonale. Une décision négative ne pourra dès lors être taxée d'arbitraire et par conséquent annulée que si elle est évidemment inconciliable avec les règles du droit et de l'équité (art. 4 CC), c'est-à-dire si l'importance des motifs invoqués est absolument évidente et que l'autorité cantonale ne la conteste que pour des raisons qui ne doivent manifestement jouer aucun rôle, ou tout au moins aucun rôle décisif. La juridiction constitutionnelle n'interviendra donc que si l'autorité cantonale excède son pouvoir d'appréciation ou en abuse (RO 70 I 219/220; ATF non publiés: Crétin c. Berne du 30 avril 1958, Taubert c. Neuchâtel du 21 décembre 1967, Buillard c. Fribourg du 8 octobre 1970 (RO 96 I 429), Mirimanoff c. Genève et Kacens c. Berne du 4 novembre 1970).
BGE 98 Ia 449 S. 452
La notion de "justes motifs" est un concept indéterminé et la pratique des gouvernements cantonaux est à cet égard fort variable. Le projet du code civil suisse ne parlait que de "motifs suffisants" (cf. art. 31 du projet de 1904). Le texte finalement adopté, qui marque une restriction par rapport à celui qui était proposé, démontre que cette disposition doit être appliquée avec retenue. En règle générale, on admet l'existence de justes motifs pouvant fonder un changement de nom, lorsque le nom légal cause à la partie requérante un préjudice sérieux et durable; il ne s'agit cependant pas là d'une condition nécessaire, car l'autorisation de changement de nom peut également être justifiée par des intérêts d'ordre moral, spirituel ou affectif. Le fait d'être généralement connu depuis un temps relativement long sous un nom autre que son nom légal peut donc notamment constituer un juste motif suivant les circonstances. Encore faut-il que cette situation n'ait pas été suscitée volontairement par la partie requérante (cf. KRAFFT, Revue de l'état civil, 1934, cahier 1, p. 23 ss. et 42 ss., 1951, p. 318; KRAFFT, Le nom des personnes physiques, p. 15 et 16; JEQUIER, Revue de l'état civil, 1964, p. 359; FJS no 1167 a II p. 2 et 3; ATF Mirimanoff déjà cité, p. 4).
3.
En vertu de l'art. 161 al. 1 CC, la femme porte le nom de son mari. Dès la conclusion du mariage, la femme perd par ce fait même son propre nom de jeune fille. Toutefois, selon EGGER, les conjoints peuvent, d'après le droit coutumier, ajouter au nom du mari celui de la femme et former ainsi un double nom. Demeure aussi réservé le droit de porter un pseudonyme ou un nom d'artiste (cf. Commentaire du CC ad art. 161 no 2, 2e éd., p. 225; LEMP, n. 2 ad art. 161 CC; GROSSEN, Schweiz. Privatrecht, p. 336). En revanche si, durant la séparation de corps comme durant le veuvage, la femme conserve le nom patronymique de son mari, elle doit reprendre, une fois divorcée, le nom de famille qu'elle portait avant la célébration du mariage (art. 149 al. 1 CC). Cette disposition est de droit strict. L'autorisation donnée par le mari à la femme de continuer à porter son nom après le divorce n'implique qu'une simple renonciation de sa part à son droit de le lui faire interdire judiciairement; elle ne saurait avoir d'effets à l'égard notamment des organes de l'Etat, en ce qui concerne la tenue des registres d'état civil (RO 38 II 56). Il est des cas cependant où les intérêts légitimes de la femme divorcée ne peuvent être
BGE 98 Ia 449 S. 453
suffisamment protégés que si elle est en mesure de conserver le nom qu'elle avait acquis par le mariage; elle doit alors recourir à la procédure du changement de nom. Tel serait le cas par exemple d'une femme dirigeant une affaire commerciale, qui ne serait connue que sous le nom acquis par le mariage et dont l'abandon provoquerait une sérieuse perte de clientèle.
Ces considérations font-elles brèche au principe posé à l'art. 161 al. 1 CC? Cette disposition, édictée dans l'intérêt de l'ordre public, est de droit impératif. Elle est fondée sur l'essence du mariage qui est constituée par l'union des conjoints en vue de la fondation d'une nouvelle famille. L'obligation de porter un même nom de famille, celui du mari, correspond aux exigences de la communauté matrimoniale (Lebensgemeinschaft) créée par le mariage. Mais a-t-elle un caractère plus absolu que celle résultant de l'art. 149 al. 1 CC? Dans son commentaire du code civil suisse, CURTI-FORRER (n. 5 ad art. 30) souligne qu'au vu des prescriptions des art. 161 et 270 CC imposant à la femme et aux enfants de porter le nom du mari et du père, le gouvernement d'un canton ne pourra les autoriser à prendre un autre nom, à moins que la chose ne soit justifiée par des raisons péremptoires. Mais il précise aussitôt que, pour la femme du reste, ces raisons seraient sans doute aussi une cause de divorce.
KRAFFT, dans son étude sur le changement de nom publiée dans la Revue de l'état civil de janvier 1934, cahier 1 (p. 24) et déjà citée ci-devant, estime qu'une femme qui a épousé un étranger dont elle est séparée de corps et qui a été réintégrée dans sa nationalité suisse n'a pas qualité pour demander au gouvernement de son canton d'origine le changement de son nom, le principe que les époux doivent porter le même nom ne devant pas souffrir d'exception et la séparation de corps maintenant l'état de mariage. Il en conclut dès lors qu'il serait contraire à l'ordre public que les époux portent des noms de famille différents.
Dans le fichier de documentation de la Commission internationale de l'état civil, volume relatif au Droit des personnes et de famille, fiche III: Suisse no A 5 sous rubrique: nom de la femme mariée, il est également relevé que le fait de l'acquisition par la femme du nom de famille de son mari, à la conclusion du mariage, constitue le signe apparent de la communauté conjugale. Il est de plus spécifié que la femme mariée ne perd
BGE 98 Ia 449 S. 454
pas le nom de famille du mari si elle est reconnue (par son père) ou légitimée ou adoptée, mais qu'elle change de nom de famille si le nom du mari change, celui-ci pouvant changer de nom de famille ensuite de reconnaissance, légitimation ou adoption, ou autorisation en vertu de l'art. 30 CC. En revanche, est-il précisé, la femme mariée ne peut pas demander un changement de nom.
L'autorité cantonale s'est en l'espèce expressément référée à ces références de doctrine pour soutenir qu'au vu de son obligation légale de porter le nom de son époux, la recourante n'était pas légitimée à demander un changement de nom pour elle. On ne saurait dans ces conditions prétendre qu'en lui déniant la qualité pour requérir un changement de nom, le Conseil d'Etat genevois a interprété d'une manière manifestement erronée ou insoutenable les dispositions du droit fédéral, notamment celles des art. 161 al. 1 et 30 al. 1 CC.
4.
De toute manière, la recourante ne peut en l'occurrence se prévaloir de justes motifs. Il faudrait en effet pour cela que le nom dont elle demande le changement lui cause un préjudice économique sérieux, effectif et durable. Certes, elle se réfère à cet égard à un certain nombre de déclarations émanant de professeurs de médecine et de médecins et aux termes desquelles, dès lors qu'elle est connue dans le domaine de la physiothérapie sous le nom de Madame de Rivage, un changement de patronyme pourrait nuire à ses relations professionnelles. Toutefois, ces déclarations constituent davantage une attestation de capacité qu'un critère décisif d'appréciation concernant l'éventualité d'un préjudice. De plus, en règle générale, les qualités professionnelles, dans un pareil domaine, jouent à l'égard de la clientèle un rôle plus important que le nom sous lequel le physiothérapeute exerce son activité. La recourante pourrait donc éviter tout dommage, ainsi que le propose le Conseil d'Etat, en avisant les médecins et les clients qui ont recours à elle de son récent mariage et, partant, de son nouveau nom. Quant à la clientèle future, son importance ne sera évidemment pas dépendante de l'ancien nom.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable. | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7507855c-0d2a-42a1-a57f-f67a9abaa3c4 | Urteilskopf
107 IV 63
19. Urteil des Kassationshofes vom 29. Mai 1981 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Gewässerschutz.
1.
Art. 1 und 2 GSchG
. Begriff des Gewässers, insbesondere im Zusammenhang mit Kanalisationen und Kläranlagen (Erw. 2).
2. Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG. Begriffe des Ablagerns und des Versickernlassens wasserverunreinigender Stoffe (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 64
BGE 107 IV 63 S. 64
A.-
Die Firma W., St. Gallen, hatte von H. den Auftrag erhalten, rund 5000 Liter Heizöl zu liefern. Als am 27. Juli 1978 der Chauffeur des Tankzugs, S., das Öl in Unterehrendingen abliefern wollte, war H. nicht zu Hause, da S. keinen Zugang zum Keller fand, füllte er 5121 Liter Heizöl in den Einfüllstutzen, ohne die vorgeschriebene Messung des Tankinhalts vorgenommen und die Hektronic-Einfüllsicherung angeschlossen zu haben und ohne den Abfüllvorgang im Tankraum zu überwachen. Wegen eines Defektes der Tankzuleitung flossen die über 5000 Liter Heizöl nicht in den Tank, sondern in die Auffangwanne. Da diese nicht dicht war, lief ein Teil des Öls in den benachbarten Waschraum und von dort durch einen nicht ganz schliessenden Deckel im Boden in die Kanalisation und schliesslich in die Kläranlage.
B.-
Das Bezirksgericht Baden sprach S. am 19. Juni 1980 von der Anklage der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG; SR 814.20) frei.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 19. Februar 1981 eine gegen den erstinstanzlichen Entscheid eingereichte Berufung der Staatsanwaltschaft ab, weil Kanalisationen und Kläranlagen keine Gewässer im Sinne des GSchG seien, die Handlungen des Beschwerdegegners weder ein Ablagern noch ein Versickernlassen nach Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG darstellten und die Übertretung von
Art. 13 GSchG
verjährt sei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des S. wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung im Sinne von Art. 37 Abs. 1 al. 1, event. al. 2 i.V.m. Abs. 2 GSchG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
S. hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesamt für Umweltschutz beantragt sinngemäss Abweisung der Beschwerde, welcher Stellungnahme sich die Bundesanwaltschaft anschliesst.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Unbestritten ist, dass wegen einer Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdegegners beim Abfüllen des Heizöls vom
BGE 107 IV 63 S. 65
Tankwagen in den Tank der Liegenschaft H. ca. 560 Liter Heizöl durch die Kanalisation in die Kläranlage geflossen sind, wo das Öl durch die Ölwehr gebunden werden konnte, sodass es nicht in den Vorfluter und damit in ein offenes Gewässer gelangte.
Während das Obergericht zum Schluss kam, dieser Sachverhalt falle nur unter den Auffangtatbestand des
Art. 40 Abs. 3 GSchG
, und nicht unter
Art. 37 Abs. 1 GSchG
, weil das in Kanalisationen und Kläranlagen gefasste Wasser kein Gewässer im Sinne des Gesetzes sei, vertritt die Staatsanwaltschaft den gegenteiligen Standpunkt. Die Auffassung des Obergerichtes widerspreche dem klaren Wortlaut des
Art. 1 GSchG
, wonach dem Schutz dieses Gesetzes die natürlichen und die künstlichen Gewässer unterständen. Der Gesetzgeber habe damit jede Ansammlung von Wasser von einer bestimmten Ausdehnung, mithin auch Klärbecken, schützen wollen. Dass Kanalisationen und Kläranlagen gerade dazu da seien, ungereinigte Abwässer aufzunehmen, ändere daran nichts; in die Kanalisation dürften nur solche Schadstoffe geleitet werden, welche in der Anlage abgebaut werden könnten, was bei Heizöl nicht der Fall sei.
2.
Nach Art. 37 Abs. 1 al. 1 GSchG macht sich strafbar, wer widerrechtlich feste, flüssige oder gasförmige Stoffe jeder Art, die geeignet sind, das Wasser zu verunreinigen, mittelbar oder unmittelbar in die Gewässer einbringt oder ablagert.
Das GSchG umschreibt den Begriff des Gewässers selber nicht. Er ist indessen schon nach seiner natürlichen Lesart nicht gleichbedeutend mit demjenigen des Wassers. Vielmehr hat er einen engeren, auf den Wasserhaushalt der Natur bezogenen Sinngehalt und ist insbesondere auch im Rahmen des GSchG in diesem Sinne zu verstehen. So folgt schon aus den in
Art. 2 GSchG
aufgezählten Schutzfunktionen, dass dem Gesetz nur Wasser als Teil des natürlichen Wasserkreislaufs unterstellt werden wollte (s. auch Art. 1 und 2 der Verordnung über Abwassereinleitungen vom 8. Dezember 1975; SR 814.225.21). ob dieses auf oder unter der Erde, in einem natürlichen oder einem künstlichen Bett (Kanälen, Becken usw.) fliesst oder steht (s.
Art. 1 GSchG
), ist solange belanglos, als es in jenem Kreislauf bleibt. Wo es jedoch aus diesem ausgeschieden, von ihm abgesondert wird, wie das gerade bei Abwässern der Fall ist, die in Kanalisationen und Kläranlagen geleitet werden, um die natürlichen biologischen Verhältnisse des Wasserhaushaltes vor Verunreinigung zu schützen, bzw. jene Verhältnisse durch besondere Behandlung des abgesonderten Wassers wieder
BGE 107 IV 63 S. 66
herzustellen, da hat man es nicht mit Gewässern im Sinne des GSchG zu tun, die dem besonderen Schutz dieses Gesetzes unterstehen. Entsprechend vertritt denn auch das einschlägige Schrifttum die Auffassung, dass die Masse, die in Kanalisationen und Kläranlagen fliesst, kein Gewässer im Sinne des GSchG ist (K. OFTINGER, Haftpflicht wegen Verunreinigung eines Gewässers, SJZ 68/1972 S. 105; D. SCHINDLER, Rechtsfragen des Gewässerschutzgesetzes in der Schweiz, ZSR 1965, n.F. 84 II S. 449; S. PIRACCINI, Die objektiven Vergehenstatbestände des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971, Diss. Zürich 1978, S. 27 ff. mit Hinweisen auf die ausländische Lehre).
Das schliesst freilich nicht aus, dass das Einbringen eines wassergefährdenden Stoffs in einen Abwasserlauf oder in eine Kläranlage als eine strafbare Handlung unter Art. 37 Abs. 1 al. 1 GSchG fallen kann. Tritt nämlich die Verunreinigung aus der Kanalisation in ein offenes Gewässer oder verlässt der verunreinigende Stoff die Kläranlage, weil er in dieser nicht abgebaut wurde, und gelangt er in den Vorfluter und damit in ein Gewässer, so liegt eine mittelbare Gewässerverschmutzung im Sinne der genannten Gesetzbestimmung vor (s.
BGE 101 IV 420
). Auch wo beispielsweise der verunreinigende Stoff dank dem rechtzeitigen Eingreifen der Behörden in der Kläranlage mit besonderen Mitteln gebunden werden kann, so dass er nicht in den Vorfluter gelangt, liegt ein Versuch der genannten Widerhandlung vor, sofern der Täter vorsätzlich gehandelt hat.
3.
Im vorliegenden Fall, in welchem der Beschwerdegegner das Heizöl zwar schuldhaft rechtswidrig in die Kanalisation und schliesslich in die Kläranlage hat fliessen lassen, wurde er vom Obergericht nach dem Gesagten mit Recht von der Anklage der Widerhandlung gegen Art. 37 Abs. 1 al. 1 GSchG freigesprochen. Nachdem ein Austreten des Öls aus der Kläranlage in den Vorfluter hatte vermieden werden können, fehlte es schon objektiv an einem Einbringen des wasserverunreinigenden Stoffes in das Gewässer, zumal dieser Tatbestand ein Verletzungsdelikt und nicht wie Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG ein Gefährdungsdelikt umschreibt (s.
BGE 101 IV 420
). Eine Bestrafung wegen Versuchs aber schied aus, weil S. unbestrittenermassen nur Fahrlässigkeit zur Last fällt.
4.
Schliesslich ist entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft auch Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG nicht anwendbar. Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer widerrechtlich Stoffe jeder Art, die geeignet sind, das Wasser zu verunreinigen, ausserhalb
BGE 107 IV 63 S. 67
der Gewässer ablagert oder versickern lässt und dadurch die Gefahr einer Verunreinigung des Wassers schafft. Was dem Beschwerdegegner als pflichtwidrige Handlung zur Last fällt, stellt weder ein Ablagern noch ein Versickernlassen dar. Unter Ablagern ist das endgültige Deponieren oder Niederlegen fester Stoffe ausserhalb des Gewässers zu verstehen (s.
Art. 27 Abs. 1 GSchG
; PIRACCINI, op.cit. S. 91). Und ein Versickernlassen ist nur gegeben, wenn eine Flüssigkeit auf das Erdreich ausgeschüttet wird, die in dieses eindringt und so in den Untergrund gelangt. Das ergibt sich unmissverständlich aus den romanischen Texten des Gesetzes, die von "... laisser s'infiltrer dans le sous-sol..." bzw. "... lascia disperdere nel sottosuolo..." sprechen sowie aus der Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG entsprechenden Verhaltensnorm des
Art. 14 Abs. 2 GSchG
und der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes (s. die Hinweise bei PIRACCINI, op.cit. S. 94 f.;
BGE 101 IV 420
). Wo, wie im vorliegenden Fall, die wassergefährdende Flüssigkeit auf befestigten, flüssigkeitsundurchlässigen Boden ausfliesst und nicht ins Erdreich, sondern in eine Kanalisation gerät, kann von einem Versickernlassen nicht die Rede sein. In solchen Fällen ist, sofern der Stoff nicht ins Gewässer gelangt, d.h. mittelbar in dieses "eingebracht" wird (Art. 37 Abs. 1 al. 1 GSchG), einzig der an die allgemeine Verhaltensnorm des
Art. 13 GSchG
anschliesssende
Art. 40 GSchG
anwendbar, es wäre denn, der Täter sei als Eigentümer oder Inhaber von Einrichtungen zur Herstellung, zur Verarbeitung, zum Umschlag, zur Beförderung oder zur Lagerung wassergefährdender Stoffe nach
Art. 38 GSchG
strafrechtlich verantwortlich. Das traf hier nicht zu.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
750cd1fb-b409-4f22-9d3e-a6d3b793b144 | Urteilskopf
140 V 116
18. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle Bern gegen S. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_57/2014 vom 14. April 2014 | Regeste
Art. 37 Abs. 4 und
Art. 52 Abs. 3 ATSG
;
Art. 64 Abs. 1 VwVG
in Verbindung mit
Art. 55 ATSG
; Anspruch auf Parteientschädigung im Vorbescheidverfahren der Invalidenversicherung.
Im nichtstreitigen IV-rechtlichen Vorbescheidverfahren liegt kein Obsiegen oder Unterliegen der versicherten Person vor, weshalb sich keine analoge Anwendung des
Art. 52 Abs. 3 ATSG
hinsichtlich der rechtsprechungsgemässen ausnahmsweisen Zusprechung einer Parteientschädigung im Einspracheverfahren rechtfertigt; im Weiteren besteht auch keine spezialgesetzliche Grundlage für die Zusprechung einer Parteientschädigung im Vorbescheidverfahren (E. 3).
Ist die strittige Entschädigung unter dem Rechtstitel der unentgeltlichen Verbeiständung geschuldet, steht sie dem amtlichen Rechtsbeistand selber zu. Fehlt dem Rechtsvertreter im letztinstanzlichen Verfahren die Parteistellung, kann die Höhe des amtlichen Honorars nicht in diesem Verfahren beurteilt werden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 117
BGE 140 V 116 S. 117
A.
Die IV-Stelle Bern (nachfolgend: IV-Stelle) gewährte dem 1955 geborenen S. mit Verfügung vom 22. August 2012 ab 1. September 2012 - wobei über die Nachzahlung der Rente ab 1. September 2006 zu einem späterem Zeitpunkt verfügt werde - eine Viertelsrente der Invalidenversicherung. Dagegen liess S. beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde erheben.
Mit Verfügung vom 4. Oktober 2012 sprach die IV-Stelle dem Rechtsvertreter des Versicherten, Fürsprecher X., für das Verwaltungsverfahren ein amtliches Honorar im Betrag von Fr. 1'814.40 zu, nachdem das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 7. Juni 2012 den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung bejaht hatte.
BGE 140 V 116 S. 118
Dagegen erhoben der Versicherte sowie sein Fürsprecher X., in eigener Sache, Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit dem Rechtsbegehren, es sei die Verfügung vom 4. Oktober 2012 aufzuheben und es sei S. eine Parteientschädigung von Fr. 2'408.40 zuzusprechen, eventualiter sei unter Aufhebung der Verfügung die zugesprochene amtliche Entschädigung auf Fr. 2'408.40 festzusetzen. Mit Entscheid vom 17. Januar 2013 hiess das angerufene Gericht die Beschwerde des S. gut und wies die IV-Stelle an, ihm eine Parteientschädigung von Fr. 2'408.40 zu bezahlen, während die Beschwerde des Fürsprechers X. als gegenstandslos geworden abgeschrieben wurde.
Auf die von der IV-Stelle geführte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten trat das Bundesgericht mit Urteil 8C_155/2013 vom 9. Dezember 2013 mit der Begründung nicht ein, es handle sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 90 ff. BGG
, der mittels Beschwerde gegen den Endentscheid des kantonalen Gerichts anfechtbar sein werde.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schrieb mit Entscheid vom 5. Dezember 2013 das in der Hauptsache noch hängige Beschwerdeverfahren zufolge Rückzugs der Beschwerde als erledigt vom Protokoll ab.
C.
Die IV-Stelle erhebt erneut Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Entscheid vom 5. Dezember 2013 und beantragt, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 17. Januar 2013 insofern aufzuheben, als dem Versicherten für den Zeitraum des Vorbescheidverfahrens vom 3. Januar bis 27. Juli 2011 eine Parteientschädigung von Fr. 2'408.40 zugesprochen worden sei. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Im Streit steht der Anspruch des Versicherten auf eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 2'408.40 für den Zeitraum des invalidenversicherungsrechtlichen Vorbescheidverfahrens vom 3. Januar bis 27. Juli 2011, wobei das kantonale Gericht bereits mit rechtskräftigem Entscheid vom 7. Juni 2012 einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren bejaht hatte.
BGE 140 V 116 S. 119
3.
3.1
Gemäss vorinstanzlicher Feststellung im Entscheid vom 17. Januar 2013 setzte die Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 4. Oktober 2012 unter Bezugnahme auf die Kostennote des Fürsprechers vom 18. Juni 2012 ein amtliches Honorar für das Vorbescheidverfahren für die Zeit vom 3. Januar bis 27. Juli 2011 auf Fr. 1'814.40 fest, während der Fürsprecher eine Entschädigung von Fr. 2'408.40 beantragt hatte. Das kantonale Gericht erwog, gestützt auf
Art. 37 Abs. 4 ATSG
(SR 830.1) habe die im Vorbescheidverfahren obsiegende versicherte Person, welche im Falle des Unterliegens die unentgeltliche Verbeiständung beanspruchen könnte, Anspruch auf Parteientschädigung. Weiter führte das kantonale Gericht aus, bei der Bemessung des Anwaltshonorars im Sozialversicherungsverfahren gelange nicht das kantonale Recht, sondern Bundesrecht zur Anwendung (
BGE 131 V 153
E. 6.1 S. 158). Sodann sei gemäss
Art. 12a ATSV
(SR 830.11) in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE; SR 173.320.2) ein Minimum von Fr. 200.- und ein Maximum von Fr. 400.- pro Stunde anzunehmen, weshalb der in der Honorarnote vom 18. Juni 2012 geltend gemachte Stundensatz von Fr. 270.- angemessen und demnach eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 2'408.40 geschuldet sei.
3.2
Beschwerdeweise wird vorgetragen, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für die Zusprechung einer Parteientschädigung im Vorbescheidverfahren der Invalidenversicherung.
Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG
beziehe sich ausschliesslich auf das Einspracheverfahren. Sodann sei es hinsichtlich der Höhe der Parteientschädigung stossend, wenn ein Rechtsvertreter bei der Parteientschädigung einen höheren Betrag erhalte als bei der Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
3.3
Nach
Art. 52 Abs. 3 ATSG
werden im sozialversicherungsrechtlichen Einspracheverfahren in der Regel keine Parteientschädigungen zugesprochen. Der Einsprecher, der im Falle des Unterliegens die unentgeltliche Verbeiständung beanspruchen könnte, hat aber bei Obsiegen Anspruch auf eine Parteientschädigung (
BGE 132 V 200
E. 4.1 S. 201;
BGE 130 V 570
ff.). Dabei bezieht sich der Grundsatz des
Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG
auf das Einspracheverfahren.
BGE 140 V 116 S. 120
3.4
3.4.1
Mit Blick auf die Zusprechung einer Parteientschädigung im Vorbescheidverfahren der Invalidenversicherung, welches im Rahmen der am 1. Juli 2006 in Kraft getretenen 4. IV-Revision das seit 1. Januar 2003 eingeführte Einspracheverfahren wieder ersetzt hat (
Art. 57a IVG
und
Art. 73
ter
IVV
[SR 831.201]), entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht (heute Bundesgericht) im Urteil I 667/01 vom 17. Februar 2003, dass im Vorbescheidverfahren derInvalidenversicherung mangels gesetzlicher Grundlage kein Anspruch auf Parteientschädigung besteht, wobei der Fall vorbehalten bleibt, dass die Verweigerung der Parteientschädigung einer Verletzung des Willkürverbots gleichkommt. Das Vorbescheidverfahren stellt ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Gewährung des rechtlichen Gehörs dar, indem die IV-Stelle die Parteien anhören muss, bevor sie eine Verfügung erlässt, gegen die Beschwerde erhoben werden kann. Damit ist dieses nicht mit dem Einspracheverfahren gleichzusetzen, welches im Gegensatz zum Vorbescheidverfahren ein streitiges Verwaltungsverfahren darstellt, in welchem der Einsprecher folglich obsiegen kann. Im nichtstreitigen Vorbescheidverfahren liegt hingegen kein Obsiegen oder Unterliegen der versicherten Person vor, weshalb sich auch keine analoge Anwendung des
Art. 52 Abs. 3 ATSG
hinsichtlich der rechtsprechungsgemässen ausnahmsweisen Zusprechung einer Parteientschädigung im Einspracheverfahren rechtfertigt.
3.4.2
Eine Rechtsgrundlage für die Zusprechung einer Parteientschädigung für das dem Verfügungserlass vorangehende Administrativverfahren ist auch nicht in
Art. 64 Abs. 1 VwVG
(SR 172. 021; in Verbindung mit
Art. 55 ATSG
) zu erblicken, welcher sich auf das Beschwerdeverfahren bezieht. Bei der Pflicht zur Entrichtung einer Parteientschädigung handelt es sich nicht um einen allgemeinen prozessualen Grundsatz, und eine solche ist insbesondere im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren unüblich. Sie bedarf daher einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, worauf die IV-Stelle zutreffend verwies. Der Gesetzgeber hat beim Erlass des Verwaltungsverfahrensgesetzes bewusst darauf verzichtet, die Möglichkeit der Zusprechung einer Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren vorzusehen (
BGE 132 II 47
E. 5.2; MARCEL MAILLARD, in: Praxiskommentar zum VwVG, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], 2009, N. 1 zu
Art. 64 VwVG
). Mangels spezialgesetzlicher Grundlage besteht daher kein Anspruch auf Zusprechung
BGE 140 V 116 S. 121
einer Parteientschädigung im Vorbescheidverfahren. Damit ist der beschwerdeführerischen Argumentation folgend, die strittige Entschädigung nicht unter dem Rechtstitel der Parteientschädigung, sondern im Rahmen der unentgeltlichen Verbeiständung geschuldet.
4.
Bei der unentgeltlichen Verbeiständung handelt es sich um ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen dem Staat und dem Rechtsanwalt (
BGE 132 V 200
E. 5.1.4 S. 205), das einen Honoraranspruch des Rechtsbeistands gegenüber dem Staat begründet. Steht dieser Anspruch demnach dem amtlichen Rechtsbeistand selber zu und nicht der verbeiständeten Partei, kann - mangels Parteistellung des Rechtsvertreters in diesem Verfahren - die Höhe der zustehenden Entschädigung hier nicht beurteilt werden. Daraus ergibt sich, dass die Vorinstanz in ihrem Entscheid vom 17. Januar 2013 die Beschwerde des Rechtsvertreters in eigener Sache mit dem eventualiter gestellten Rechtsbegehren um Zusprechung einer amtlichen Entschädigung in der Höhe von Fr. 2'408.40 zu Unrecht wegen Gegenstandslosigkeit vom Geschäftsverzeichnis abschrieb (Dispositiv- Ziffer 2). Das kantonale Gericht hat daher das Verfahren betreffend die Beschwerde des Rechtsvertreters erneut aufzunehmen und über die Höhe seines Honoraranspruchs im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege zu entscheiden. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
750cde53-162e-439b-8c7b-f8075b592a11 | Urteilskopf
98 V 8
2. Arrêt du 24 janvier 1972 dans la cause Société vaudoise et romande de secours mutuels contre Vernez et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Wenn die Krankenkassen auch gegen Unfall versichern (Art. 14 Abs. 2 Vo III), haben sie sich an die allgemeingültigen Grundsätze der Krankenversicherung zu halten (Art. 3, insbesondere Abs. 3;
Art. 5, 12 ff. KUVG
) und dürfen die grobe Fahrlässigkeit des Ansprechers nicht zu einem Ausschlussgrund machen.
Hingegen können sie - wie die SUVA - ausserordentliche Risiken von der Versicherung ausnehmen, wie etwa die Ausübung bestimmter Sportarten oder auch das Wagnis im Sinne des
Art. 67 Abs. 3 KUVG
. | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 98 V 8 S. 8
A.-
Danielle Vernez, née en 1949, célibataire, est assurée auprès de la Société vaudoise et romande de secours mutuels (SVRSM). Le 14 février 1970, alors qu'elle se trouvait à bord d'une automobile conduite par son fiancé en état d'ébriété manifeste, elle fut victime d'un accident de la circulation, à la suite duquel elle dut être hospitalisée. Par décision du 11 novembre 1970, la caisse-maladie, ayant appris les circonstances précises de l'accident, réduisit ses prestations de 50% du fait que l'état d'ébriété manifeste du conducteur ne pouvait avoir échappé à Danielle Vernez.
B.-
Cette dernière recourut par l'intermédiaire de Me K. en alléguant que l'état d'ébriété du conducteur n'était pas "manifeste" pour elle et qu'en tous les cas, une réduction de 50% était excessive; elle concluait ainsi à l'annulation de la décision attaquée. De son côté, la caisse-maladie estimait que l'accident en cause résultait d'une faute grave de l'ayant droit, faute qui, en
BGE 98 V 8 S. 9
principe, aurait même autorisé la caisse à refuser d'assumer le risque.
Par jugement du 1er avril 1971, le Tribunal des assurances du canton de Vaud réforma la décision attaquée en ramenant la réduction de 50% à 30% et considérant qu'"une faute de l'assuré n'exclut pas la couverture d'assurance, mais ne permet en règle générale qu'une réduction des prestations correspondant au degré de la faute, et à titre exceptionnel seulement un refus pur et simple des prestations". Le premier juge a estimé qu'une réduction de 50% était excessive en l'espèce.
C.-
Contre ce jugement, la SVRSM a déposé un recours de droit administratif au Tribunal fédéral des assurances. Elle conclut au rétablissement de sa décision.
Invité à se prononcer, l'Office fédéral des assurances sociales s'abstient de prendre position.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
A l'appui de sa décision litigieuse, la caisse recourante invoque le texte de l'art. 19 lit. c de ses conditions d'assurance, aux termes duquel "sont exclus de l'assurance les maladies et accidents causés volontairement par l'assuré ou résultant d'une faute grave de celui-ci", en ce qui concerne les frais médicaux et pharmaceutiques.
Ni les statuts de la caisse recourante ni les conditions d'assurance ne distinguent, en ce qui concerne les prestations, entre la maladie et l'accident. On constate ainsi que l'art. 19 des conditions d'assurance associe trois fois les deux termes. Cela paraît prouver que la caisse a entendu les soumettre juridiquement au même régime, dans la mesure où l'accident est assuré.
En vertu de l'art. 14 al. 2 de l'Ordonnance III (cf. art. 3 al. 5 LAMA), les caisses doivent indiquer expressément dans leurs statuts si et dans quelle mesure elles allouent des prestations en cas d'accident. Selon l'art. 4 al. 1er des statuts de la SVRSM, "la caisse pratique l'assurance en cas de maladie, d'accidents et de décès, conformément aux conditions d'assurance". Comme il a été exposé ci-avant, ces conditions d'assurance ne font aucune distinction entre la maladie et l'accident sur le plan des prestations assurées.
2.
La SVRSM conclut de la liberté laissée aux caissesmaladie de déterminer à quelles conditions elles entendent soumettre
BGE 98 V 8 S. 10
les cas d'accidents, selon l'art. 14 al. 2 de l'Ordonnance III, qu'il lui est loisible d'exclure le risque d'accident imputable à une faute grave de l'ayant droit. Si ce raisonnement était exact, il ne justifierait l'art. 19 lit. c des conditions générales que dans la partie de cette disposition qui traite des accidents, car il n'existe dans la législation, en ce qui concerne la maladie, aucune règle semblable à celle de l'art. 14 al. 2 de l'Ordonnance III. Mais même en matière d'assurance-accident, la prétention de la SVRSM d'exclure le risque lorsqu'il est réalisé à raison d'une faute grave de l'ayant droit se heurte à de sérieuses objections.
En effet, dans la pratique de l'assurance privée, la faute grave n'est pas une cause d'exclusion du risque, mais de réduction de la prestation (cf. art. 14 al. 2 LCA). A plus forte raison en doit-il être ainsi dans une assurance sociale. Cela d'autant plus que l'assurance-accident est subventionnée par la Confédération comme l'assurance-maladie. Par suite, les principes applicables dans l'assurance-maladie doivent valoir également pour l'assurance-accident. Lorsque les caisses-maladie assurent les risques d'accident, elles doivent s'en tenir aux normes générales valables pour l'assurance-maladie et ne pas faire de la faute grave une cause d'exclusion du risque. En revanche, elles peuvent exclure de l'assurance des risques extraordinaires et clairement définis tels que, par exemple, la pratique d'activités sportives déterminées ou même l'entreprise téméraire au sens de l'art. 67 al. 3 LAMA, comme le fait la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents.
Si elles veulent exclure de l'assurance de tels risques, les caisses sont tenues de l'exprimer clairement et de façon non équivoque dans leurs statuts ou dans leurs conditions d'assurance. Admettre une solution différente reviendrait à créer un climat d'insécurité pour l'assuré, qui doit pouvoir se référer à des conditions d'assurance précises. Le risque exclu constitue en effet l'exception et toute caisse-maladie ne le traitant pas comme tel viole un principe essentiel de l'assurance, ainsi qu'il a été déclaré dans l'arrêt Medardi, du 1er octobre 1968 (ATFA 1968 p. 160).
3.
En revanche, il est conforme à une règle admise aussi bien par l'assurance privée que par l'assurance sociale (art. 14 al. 2 LCA déjà cité, 98 al. 3 LAMA, 7 LAM et 7 LAI) de réduire les prestations assurées, lorsque le sinistre a été causé par une négligence grave de l'ayant droit. Cette règle vaut aussi dans l'assurance-maladie, même lorsque les statuts ou les conditions
BGE 98 V 8 S. 11
d'assurance ne le rappellent pas. Car il serait contraire au principe de la mutualité de faire supporter à l'ensemble des assurés la pleine conséquence des fautes graves commises par quelques uns d'entre eux.
Sur la question de principe, il faut donc confirmer en l'espèce le jugement cantonal.
En ce qui concerne le taux de la réduction, il y a lieu de rappeler que le Tribunal fédéral des assurances dispose d'un pouvoir d'examen étendu dans les causes relatives à l'octroi ou au refus de prestations (art. 104 et 132 OJ). Toutefois, en l'occurrence, l'autorité de recours ne saurait se distancer de l'appréciation du juge cantonal, car il a correctement exercé le pouvoir d'appréciation que la loi lui confère, et sa décision n'est pas inopportune. Il s'ensuit que le jugement attaqué mérite entière confirmation.
4.
L'intimée obtenant gain de cause, il se justifie de lui allouer des dépens conformément à l'art. 156 al. 1er OJ.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours de droit administratif est rejeté. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7511bb89-b92d-4acb-b55a-c6e477451dc4 | Urteilskopf
126 III 334
59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Juni 2000 i.S. A. gegen Bank X. (Berufung) | Regeste
Gerichtsstand am Erfüllungsort gemäss
Art. 113 IPRG
.
Ein Gerichtsstand am Erfüllungsort gemäss
Art. 113 IPRG
steht auch bei bestrittener Gültigkeit des in Frage stehenden Vertrages zur Verfügung (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 334
BGE 126 III 334 S. 334
Am 11. April 1990 unterzeichnete A. (Beklagter) einen öffentlich beurkundeten Solidarbürgschaftsvertrag, in welchem er sich gegenüber der Bank X. (Klägerin) verpflichtete, für Forderungen der Klägerin gegenüber der Z. Holding, Curaçao, Netherland Antilles, bis zum Höchstbetrag von sFr. 25 Millionen solidarisch zu haften. Die Solidarbürgschaft steht unbestrittenermassen im Zusammenhang
BGE 126 III 334 S. 335
mit einem Rückzahlungsanspruch der Klägerin aus einem mit der Z. Holding abgeschlossenen Lombardkreditvertrag vom 19. März/11. April 1990.
Der Bürgschaftsvertrag vom 11. April 1990 bestimmt in Ziffer 9, dass auf die Solidarbürgschaft schweizerisches Recht anzuwenden ist und allfällige Streitigkeiten ohne Rücksicht auf den jeweiligen Wohnsitz des Bürgen durch die Gerichte des Kantons Zürich beurteilt werden sollen.
Mit Klage vom 1. Juli 1998 belangte die Klägerin den Beklagten gestützt auf den Bürgschaftsvertrag vom 11. April 1990 beim Bezirksgericht Zürich auf sFr. 1 Million nebst Zins. Mit Eingabe vom 28. Januar 1999 beantragte der Beklagte im Hauptstandpunkt, es sei die Klage mangels Zuständigkeit von der Hand zu weisen.
Das Bezirksgericht Zürich und das hierauf mit der Sache befasste Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit mit Beschlüssen vom 25. Februar 1999 bzw. 28. Januar 2000 ab.
Der Beklagte hat gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. Januar 2000 eidgenössische Berufung eingelegt. Darin beantragt er dem Bundesgericht, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und auf die Klage sei mangels Zuständigkeit nicht einzutreten; eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung der Zuständigkeit des Bezirksgerichts Zürich.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach den Darlegungen der Vorinstanz kann dahingestellt bleiben, ob die Parteien gültig einen Gerichtsstand in Zürich vereinbart haben, da die zürcherischen Gerichte gestützt auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäss
Art. 113 IPRG
auch bei fehlender Gerichtsstandsvereinbarung örtlich zuständig wären.
a) Der Beklagte erhebt gegen diese Sichtweise den grundsätzlichen Einwand, über die Gültigkeit eines Vertrages könnten nur die Gerichte am ordentlichen Gerichtsstand befinden; die Gerichte am mutmasslichen Erfüllungsort seien dafür nicht zuständig. Er stützt seine Rüge auf die in der Literatur vertretene Auffassung, wonach die Zuständigkeit des Gerichtes am Erfüllungsort nur dann gegeben sei, wenn die Leistung an diesem Ort erbracht werden soll. Dies
BGE 126 III 334 S. 336
setze voraus, dass die Leistung ihr Fundament in einem gültigen Vertrag habe. Stehe gerade die Gültigkeit des Vertrages in Frage, so solle darüber am ordentlichen Gerichtsstand und nicht am Erfüllungsort entschieden werden (KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, IPRG-Kommentar, Zürich 1993, N. 19 zu
Art. 113 IPRG
; in diesem Sinn auch DUTOIT, Droit international privé suisse, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 2. Aufl., N. 3 zu
Art. 113 IPRG
).
b) Die vom Beklagten vertretene Ansicht hätte zur Folge, dass jeder am Erfüllungsort anhängig gemachten Leistungsklage die Einwendung entgegengehalten werden könnte, der Vertrag sei nicht gültig zustande gekommen, um die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes entfallen zu lassen. Damit jedoch würde, wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, die Zuständigkeit am Erfüllungsort weitgehend ausgehöhlt (AMSTUTZ/VOGT/WANG, Basler Kommentar, N. 11 zu
Art. 113 IPRG
; PATOCCHI, Das neue internationale Vertragsrecht der Schweiz, in: Schriftenreihe SAV, Band 7, Internationales Privatrecht/Lugano-Abkommen, Zürich 1989, S. 19).
Gegen die Auffassung des Beklagten spricht zudem der Gedanke der Harmonisierung der Regelungen des IPRG und des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.11). Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäss
Art. 5 Ziff. 1 LugÜ
steht nach herrschender Auffassung auch dann zur Verfügung, wenn der Bestand oder die Gültigkeit eines Vertrags in Frage stehen (
BGE 122 III 298
E. 3a S. 299; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 6. Aufl., S. 113 Rz. 45k; KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., N. 10 zu Art. 5 EuGVÜ; VALLONI, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Lugano- und Brüsseler-Übereinkommen, Diss. Zürich 1997, S. 203). Begründet wird diese Rechtslage auch in Bezug auf das LugÜ damit, dass es bei anderer Betrachtungsweise genügen würde, dass der Beklagte das Bestehen einer gültigen vertraglichen Verpflichtung bestreitet, um den Gerichtsstand des Erfüllungsortes auszuschalten (
BGE 122 III 298
E. 3a S. 299; KROPHOLLER, a.a.O.).
Mit der Vorinstanz ist somit auch im Anwendungsbereich des IPRG davon auszugehen, dass - sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - ein Gerichtsstand am Erfüllungsort gemäss
Art. 113 IPRG
selbst bei bestrittener Gültigkeit des in Frage stehenden Vertrages zur Verfügung steht (so auch das Handelsgericht des Kantons Zürich in einem Beschluss vom 9. Januar 1996, ZR 95/1996 S. 300). | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7515fdb5-b5e7-4bd3-a639-e2cf729dc0ac | Urteilskopf
108 II 204
44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Juni 1982 i.S. L. gegen W. (Berufung) | Regeste
Rechtliche Wirkungen des Konkubinats.
Keine analoge Anwendung der Grundsätze des ehelichen Güterrechts (E. 3). Bei der Auseinandersetzung nach Auflösung des Konkubinats ist Rechtsschutz zu gewähren (E. 3a und b). Ob und inwieweit die Regeln über die einfache Gesellschaft auf ein Konkubinatsverhältnis anwendbar sind, ist aufgrund der konkreten Umstände zu entscheiden (E. 4 und 5). Beurteilung des Klageanspruchs nach den Liquidationsbestimmungen der einfachen Gesellschaft (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 108 II 204 S. 204
A.-
W. und L. führten seit Herbst 1971 einen gemeinsamen Haushalt, zunächst in Windisch, später in Gebenstorf. Ab Mai 1975 arbeitete W. auf Montage im Ausland und kehrte nur etwa alle zwei Monate für das Wochenende nach Hause zurück. Zuvor hatte er seiner ebenfalls erwerbstätigen Freundin im Hinblick auf seine Abwesenheit eine notariell beglaubigte Generalvollmacht ausgestellt. In der Folge liess er ihr jeweils sein Salär mit insgesamt Fr. 49'374.98 auszahlen. Ende 1976 wurde die Freundschaft aufgelöst. Im November 1978 betrieb W. die vormalige Freundin für einen Betrag von Fr. 64'600.-- aus einkassierten Lohngeldern, und am 27. August 1979 erhob er gegen sie Klage auf Zahlung von Fr. 30'000.-- nebst Zins.
B.-
Das Bezirksgericht Baden hiess die Klage für einen Teilbetrag von Fr. 10'000.-- nebst Zins gut. Auf Appellation beider
BGE 108 II 204 S. 205
Parteien schützte das Obergericht des Kantons Aargau die Klage am 25. September 1981 für den gesamten Betrag von Fr. 30'000.-- nebst 5% Zins seit 20. November 1978.
C.-
Die Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage gänzlich, eventuell nur im Fr. 10'000.-- übersteigenden Betrag abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Obergericht anerkennt, dass einem Konkubinatsverhältnis eine einfache Gesellschaft zugrunde liegen könnte, hält es aber für fraglich, ob zwischen den Parteien während der Auslandabwesenheit des Klägers auch noch ein solches bestanden habe und schliesst eine einfache Gesellschaft besonders deshalb aus, weil mit der Lohnverwaltung durch die Beklagte nicht gemeinsame Geschäfte der Parteien, sondern solche des Klägers zu besorgen gewesen seien. So gelangt die Vorinstanz zu einem Auftragsverhältnis gemäss
Art. 394 ff. OR
und im besonderen zur Ablieferungspflicht der Beklagten nach
Art. 400 Abs. 1 OR
, soweit sie nicht vereinbarungsgemässe Verwendung darzutun vermochte.
Die Beklagte hält dem entgegen, dass die Anwendung von Auftragsrecht den bestehenden persönlichen Beziehungen der Parteien nicht gerecht werde, und sie wendet sich unter Hinweis auf
Art. 8 ZGB
namentlich dagegen, dass sie die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen habe. Als durch nichts belegt und aktenwidrig rügt sie die vorinstanzliche Erwägung, offensichtlich habe der Ausstellung einer Generalvollmacht der Wille der Parteien zugrunde gelegen, dass die Beklagte den Lohn für den Kläger entgegennehme, daraus seine Verpflichtungen erfülle und den Rest ihm aushändige oder zu seinen Gunsten anlege.
2.
Dass die Parteien ab Herbst 1971 im Konkubinat lebten, in einer ausserehelichen Geschlechts- und Wohngemeinschaft, ist schon vom Bezirksgericht unwidersprochen festgestellt und vom Obergericht bestätigt worden. Dieses bezweifelt freilich, dass das auch noch für die Zeit der Auslandabwesenheit des Klägers, also vom Mai 1975 bis zur Auflösung der Freundschaft Ende 1976, zutreffe. Wie es sich damit verhält, hat das Bundesgericht als Frage der rechtlichen Würdigung festgestellter Tatsachen frei zu prüfen (
Art. 63 Abs. 3 OG
).
BGE 108 II 204 S. 206
Als Konkubinat wird im allgemeinen nur ein auf längere Zeit beziehungsweise auf Dauer angelegtes Zusammenleben bezeichnet. Dieser Situation entspricht es, dass selbst längere Abwesenheit eines Partners, beispielsweise ein Spitalaufenthalt oder wie hier ein beruflich bedingter Auslandaufenthalt, keineswegs die Auflösung der Gemeinschaft zu bedeuten braucht. Als der Kläger seine Arbeit im Ausland aufnahm, hatten die Parteien schon mehr als drei Jahre zusammengelebt. Der Kläger wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, wie lange seine Auslandabwesenheit dauern werde. In der Folge kehrte er etwa alle zwei Monate für ein Wochenende zur Beklagten zurück, und zwar - wie die Vorinstanz selbst sagt - nach Hause. Zugestandenermassen verbrachte er sogar noch im Jahre 1976 infolge Krankheit drei oder vier Wochen bei der Beklagten. Dass der Kläger die Wäsche durch seine Mutter besorgen liess, war angesichts der Berufstätigkeit der Beklagten verständlich und fällt daher ebensowenig ins Gewicht wie der Umstand, dass er Bücher und Schallplatten bei seinen Eltern beliess. Ferner weist die Tatsache, dass die Beklagte während der Auslandabwesenheit des Klägers eine Generalvollmacht besass, auf ein anhaltendes Vertrauensverhältnis und auf ein Fortbestehen der Gemeinschaft hin.
In Übereinstimmung mit dem Bezirksgericht ist deshalb ein Konkubinat der Parteien bis Ende 1976 zu bejahen.
3.
Damit stellt sich die Frage nach den rechtlichen Wirkungen des Konkubinats. Die Beklagte macht vor Bundesgericht geltend, es bestehe diesbezüglich wohl eine Gesetzeslücke, die der Richter nach
Art. 1 Abs. 2 ZGB
auszufüllen habe, wobei es naheliege, die Vorschriften des ehelichen Güterrechts heranzuziehen. Die Vorinstanzen und mit ihnen die herrschende Lehre sprechen sich zu Recht gegen eine solche Analogie aus. Mit der Wahl des Konkubinats ziehen die Partner diese Form des Zusammenlebens jener der Ehe bewusst vor, weil sie die rechtliche Bindung als solche oder deren Ausgestaltung, etwa beim Güterrecht, bei der gemeinsamen Besteuerung usw., ablehnen. Da die mit einer Heirat verbundenen Wirkungen von ihnen gerade nicht angestrebt werden, können die güterrechtlichen Grundsätze auch nicht bloss sinngemäss auf ein Konkubinatsverhältnis angewendet werden.
a) Die angebliche Gefährdung der Ehe durch das Konkubinat hat vereinzelt in Lehre und Rechtsprechung zur These geführt, ein eheähnliches Zusammenleben unter Ablehnung der Heirat verdiene überhaupt keinen Rechtsschutz (GROSSEN, Le ménage de fait
BGE 108 II 204 S. 207
devant la loi suisse, in Travaux de l'Association Henri Capitant, 1957, Suppl., S. 15; PATRY, Précis de droit suisse des sociétés, 1976, Band I, S. 207; LIPP, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft und das bürgerliche Recht, in Archiv für die zivilistische Praxis, 180/1980, S. 573;
BGE 97 I 407
; SJZ 75/1979, S. 132, Nr. 32).
Diese pauschale Verweisung in einen rechtsleeren Raum ist indes zu verwerfen (HENRI BRON, Les conséquences juridiques de l'union libre notamment à l'égard des tiers, Diss. Lausanne 1940, S. 75 ff.; COHEN, Les prétentions patrimoniales à la fin de l'union libre, in SJ 102/1980, S. 338; STRÄTZ, Rechtsfragen des Konkubinats im Überblick, in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 27/1980, S. 304; FINGER, Wohngemeinschaft, Partnerschaft, Lebensgemeinschaft, in Juristenzeitung, 36/1981, S. 497). Wenn die Partner für ihre Gemeinschaft die Ehe ablehnen, besagt dies keineswegs, dass sie überhaupt alle Rechtsfolgen ihres Zusammenlebens ausschliessen wollen. Ohne nähere Prüfung allein im vermeintlichen Interesse des Instituts der Ehe den Partnern eines Konkubinats schlechterdings jeden Rechtsschutz zu versagen, käme einer Kapitulation der Rechtsordnung gegenüber einer verbreiteten Erscheinungsform unserer Gesellschaft gleich. Eine solche Haltung wäre auch unvereinbar mit Entscheidungen, nach denen in verschiedenen Rechtsbereichen der Tatsache des Konkubinats bereits Rechnung getragen wird (
BGE 106 II 3
,
BGE 106 III 16
f., 105 II 244 E. II und 249 E. 4,
BGE 104 II 155
E. 1,
BGE 85 II 381
f.).
Die geschilderte Kontroverse lässt sich im übrigen erheblich mildern, wenn eine rechtliche Ordnung des Konkubinats nicht pauschal bejaht oder verworfen wird. Es steht ausser Frage, dass der persönliche, nicht der vertragsrechtliche Charakter solcher Beziehungen überwiegt. Wo wie wohl meist auf präzise vertragliche Absprachen über die Ausgestaltung des Zusammenlebens verzichtet wird, liegt ein Vertrauensverhältnis vor, das nach dem mutmasslichen Willen der Partner nicht von Rechtsregeln bestimmt sein soll. Insoweit lässt sich Abstinenz der Rechtsordnung vertreten, steht doch den Beteiligten jederzeit und unentziehbar das Recht zu, das Konkubinat zu beenden. Anders kann es sich jedoch verhalten, wenn nach Auflösung der Gemeinschaft gemeinsame Anschaffungen oder Ersparnisse oder aber Schulden vorhanden sind, über die befunden werden muss. Nichts erlaubt den Schluss, dass die Partner von vornherein auch für den Fall der Auflösung der Beziehung den Rückgriff auf Rechtsnormen ausschliessen wollten. Zwar wird die freiwillige Übereinkunft auch
BGE 108 II 204 S. 208
dann Vorrang haben; gelingt sie nicht, muss jedoch eine Liquidation nach Rechtsgrundsätzen möglich sein.
b) Weil vorliegend allein die vermögensrechtliche Auseinandersetzung nach der Auflösung des Konkubinats zur Beurteilung steht, ist auch auf das in der Lehre etwa vertretene Argument nicht weiter einzugehen, das Konkubinat verdiene aufgrund von
Art. 20 Abs. 1 OR
keinen Rechtsschutz. Denn die Sittenwidrigkeit des Konkubinats sowie seine Widerrechtlichkeit können jedenfalls dann nicht eingewendet werden, wenn es gar nicht um Aufnahme, Aufrechterhaltung oder Ausgestaltung des Zusammenlebens geht, sondern ausschliesslich um die rechtliche Auseinandersetzung nach der Auflösung (HAUSHEER, in ZBJV 116/1980, S. 102 f.). Anzuknüpfen ist dabei an die Überlegungen, die das Bundesgericht bei der Beurteilung letztwilliger Zuwendungen an einen Konkubinats- oder Ehebruchpartner angestellt hat. Solche Zuwendungen werden nur dann im Sinne von
Art. 519 Ziff. 3 ZGB
als unwirksam betrachtet, wenn sie ein sittenwidriges, namentlich ein ehebrecherisches Verhalten zu fördern bestimmt sind (
BGE 85 II 381
, 93 II 165). Was für Leistungen gilt, die immerhin noch als Belohnung einer ausserehelichen Beziehung betrachtet werden könnten, muss erst recht für die finanzielle Liquidation eines Konkubinats gelten, wo dieser Aspekt völlig zurücktritt.
4.
Ob dem Konkubinatsverhältnis der Parteien eine einfache Gesellschaft zugrunde gelegen hat, ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft. Die einfache Gesellschaft ist die vertragsmässige Verbindung von zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften oder Mitteln (
Art. 530 Abs. 1 OR
). Die Leistungen der Gesellschafter können dabei sehr verschieden und brauchen nicht im voraus bestimmt zu sein (
BGE 104 II 112
). Die vertragsmässige Verbindung kann auch stillschweigend erfolgen und sich aus dem Verhalten der Partner ergeben, wobei diesen nicht bewusst sein muss, dass daraus eine einfache Gesellschaft entsteht (Bundesgericht in SJ 102/1980, S. 192; PATRY, a.a.O., S. 205; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 8, N. 60).
a) Beim Zusammenleben von zwei Personen muss in jedem einzelnen Fall näher geprüft werden, ob und inwieweit die konkreten Umstände die Anwendung der Regeln über die einfache Gesellschaft erlauben. Es sind Konkubinatsverhältnisse denkbar, in denen die Partner sich in jeder Beziehung eine derart starke Selbständigkeit bewahren, dass für die Annahme einer einfachen
BGE 108 II 204 S. 209
Gesellschaft kein Raum bleibt. Von der Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften oder Mitteln kann nur dort gesprochen werden, wo ein Wille besteht, die eigene Rechtsstellung einem gemeinsamen Zweck unterzuordnen, um auf diese Weise einen Beitrag an die Gemeinschaft zu leisten. Dies wird der Fall sein, wenn sich die Konkubinatspartner zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft mit gemeinsamer Kasse zusammenfinden, an die beide durch finanzielle Leistungen oder Haushaltarbeiten beitragen. Da auch blosse Gelegenheitsgesellschaften zulässig sind, darf bei einem auf längere Zeit angelegten Verhältnis wie dem Konkubinat nicht verlangt werden, dass alle Einkünfte zusammengelegt und daraus alle Auslagen bestritten werden. Es ist jedoch festzuhalten, dass auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Konkubinatspartnern Gesellschaftsrecht stets nur insoweit anwendbar ist, als ein Bezug zur Gemeinschaft gegeben ist. Keineswegs ausgeschlossen ist daher auch, dass zwischen den Partnern nebst der einfachen Gesellschaft noch besondere Auftrags- oder sonstige Vertragsverhältnisse bestehen.
b) Vorliegend hatten die Parteien die Wohnung in Gebenstorf gemeinsam gemietet, und sie führten zusammen einen Haushalt, für dessen Kosten sie beide aufkamen, wobei der Kläger namentlich an die Wohnungs- und Einrichtungskosten, aber auch an andere Auslagen beitrug. Entsprechend gesteht er denn auch der Beklagten aus den Lohngeldern Fr. 15'000.-- und DM 5'000.-- "unter irgendwelchen Titeln" zu. Diese Umstände erlauben den Schluss, dass zwischen den Parteien eine einfache Gesellschaft bestanden hat. Es entspricht dabei dem Vertrauensverhältnis im Konkubinat, dass auf nähere Vereinbarungen bezüglich der laufenden beiderseitigen Leistungen und wohl auch auf Rechtsschutz etwa im Sinne einer subsidiären Beitragsparität nach
Art. 531 Abs. 2 OR
verzichtet wurde. Insoweit würde in der Tat das Gesellschaftsrecht keine befriedigende Lösung bringen. Das steht vorliegend aber nicht zur Beurteilung, geht es doch ausschliesslich um die Auseinandersetzung nach der Auflösung der Gemeinschaft. Selbst wenn anzunehmen ist, dass zwei Partner die beiderseitigen Leistungen während des Zusammenlebens als rechtlich nicht erzwingbar betrachten, darf wie dargelegt ein solcher Wille nicht auch für die Auseinandersetzung nach dem Ende der Beziehung unterstellt werden.
5.
Wie bereits angedeutet, schliesst das Vorliegen einer einfachen Gesellschaft nicht aus, dass hinsichtlich der Lohngelder des
BGE 108 II 204 S. 210
Klägers zwischen den Parteien ein selbständiges Inkassomandat vereinbart worden ist. Dass die vom Kläger unterzeichnete Generalvollmacht auch mit einem Gesellschaftsverhältnis vereinbar ist, anerkennt die Vorinstanz zu Recht. Es ist daher zu prüfen, ob das Inkasso der Lohngelder im Rahmen der einfachen Gesellschaft erfolgt oder ob diesbezüglich ein besonderes, nach den Bestimmungen über den Auftrag zu beurteilendes Inkassomandat anzunehmen ist.
Es ist keineswegs aussergewöhnlich, dass im Rahmen einer einfachen Gesellschaft Leistungen erbracht werden, die für sich allein durchaus einem besonderen zweiseitigen Vertragstypus zuzuordnen wären (SIEGWART, N. 61 Vorbem. zu
Art. 530-551 OR
). So kann ein Geldbeitrag eines Gesellschafters für sich betrachtet Darlehen oder Schenkung sein, eine Dienstleistung auf Arbeitsvertrag oder Auftrag schliessen lassen. Nur eine Gesamtwürdigung der Situation, nicht eine isolierte Betrachtung, führt zu einer befriedigenden Lösung (SIEGWART, N. 2 f. Vorbem. zu
Art. 530-551 OR
; VON STEIGER, in Schweizerisches Privatrecht, VIII/1, S. 327).
Nach dem angefochtenen Urteil waren aus den der Beklagten ausbezahlten Lohngeldern des Klägers die ihn betreffenden Verpflichtungen zu erfüllen. Dies ist eine verbindliche Feststellung, erfasst aber auch die Beiträge des Klägers an den gemeinsamen Haushalt, wie das die Vorinstanz in anderem Zusammenhang selbst annimmt. So betrafen die Zahlungen an die gemeinsame Wohnungsmiete und -einrichtung offensichtlich nicht ein Geschäft des Klägers allein, sondern ein gemeinschaftliches Anliegen. Das Argument der Fremdnützigkeit, das nach dem vorinstanzlichen Urteil für Auftragsrecht spricht, überzeugt daher von vornherein nicht. Abgesehen davon liegt es auf der Hand, dass diese Inkassovereinbarung nur aufgrund des bestehenden Konkubinats zustande gekommen ist. Die Erteilung einer Generalvollmacht an die Beklagte erscheint geradezu als Mittel, um die Fortführung des Konkubinatsverhältnisses während der Auslandabwesenheit des Klägers zu gewährleisten. Sie lässt sich zwanglos nach den Regeln über die Geschäftsführung durch einen Gesellschafter beurteilen. Nach Ansicht des Obergerichts führt dies zum gleichen Resultat, nämlich ebenfalls zur Anwendung von Auftragsrecht.
Art. 540 Abs. 1 OR
bestimmt dies zwar grundsätzlich, jedoch unter ausdrücklichem Vorbehalt anders lautender Bestimmungen.
Art. 538 Abs. 3 OR
hält denn auch fest, dass der geschäftsführende Gesellschafter nur dann nach den Bestimmungen über den Auftrag
BGE 108 II 204 S. 211
haftet, wenn er für diese Tätigkeit eine Vergütung bezieht, was vorliegend nicht zutrifft.
Es zeigt sich auch in anderer Hinsicht, dass die Inkassovereinbarung nicht derart vom Konkubinatsverhältnis der Parteien getrennt werden kann, wie dies im kantonalen Verfahren geschehen ist. Laut angefochtenem Urteil hat der Kläger gemäss seiner eigenen Darstellung nämlich schon bei den Wochenendbesuchen bei der Beklagten festgestellt, dass von seinen Lohnbetreffnissen kein Geld übrig war. Trotzdem hat er nie Auskunft oder gar Rechenschaft über die getätigten Ausgaben verlangt. Nach der Auflösung der Beziehung Ende 1976 hat er bis Februar 1979 ebenfalls nichts wesentliches unternommen, um gegen die Beklagte vorzugehen. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigte nach Ansicht des Bezirksgerichts sogar die Annahme eines schenkungsweisen Verzichts auf Ablieferung des Überschusses. Das Obergericht verwirft diesen Schluss nur deshalb, weil es nicht zu erkennen vermag, weshalb der Kläger der ebenfalls erwerbstätigen Beklagten den Rest seines Lohnes hätte schenken sollen. Auch das schliesst aber nicht aus, dass der Kläger selbst zumindest davon ausging, dass sein Lohn das Schicksal anderer Leistungen an die Gemeinschaft teilen sollte.
Es ergibt sich somit, dass die Inkassovereinbarung nicht auf einem selbständigen Mandat beruht hat, sondern im Rahmen der einfachen Gesellschaft erfolgt ist.
6.
Auf den Klageanspruch findet daher nicht Auftragsrecht Anwendung, sondern er ist nach den Liquidationsbestimmungen der einfachen Gesellschaft zu beurteilen. Es trifft nicht zu, wie die Beklagte meint, dass das aufgrund der vorliegenden Klage nicht möglich sei, vielmehr auf Liquidation hätte geklagt werden müssen. Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, sind keine gemeinsamen Vermögenswerte mehr vorhanden, die zu liquidieren wären, sondern es steht ausschliesslich noch ein Ersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte zur Beurteilung (SIEGWART, N. 3 und 25 zu
Art. 548-550 OR
).
a) Was vorliegend von der gemeinsamen Tätigkeit der Parteien verbleibt, ist ein Verlust. Dieser entspricht nicht etwa dem prozessual streitigen Fehlbetrag von Fr. 30'000.--. Nach dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht mehr feststellen, ob die Beklagte diesen Betrag für sich verwendet oder ob sie das Geld, wie sie behauptet, jeweils in das Stubenbuffet gelegt und der Kläger es dort behändigt hat. Verlust im Sinne der Liquidationsvorschriften ist jedoch nicht,
BGE 108 II 204 S. 212
was während der Gesellschaftstätigkeit verschwunden oder verbraucht worden ist, sondern ein Überschuss der Passiven über die Aktiven. Die Lohneingänge des Klägers stellen dabei keine Vermögensbeiträge dar, die bei der Liquidation vorweg zurückzuerstatten wären (
Art. 549 Abs. 2 OR
). Dagegen steht fest, dass bei der Auflösung des Konkubinats der Parteien Ende 1976 eine Steuerschuld des Klägers im Betrage von Fr. 10'070.30 noch unbezahlt war. Die in die gleiche Zeit fallenden Lohneingänge hätten auch zur Begleichung dieser Rechnung verwendet werden sollen, was die Beklagte vor Bundesgericht anerkennt. Damit handelt es sich um eine Gesellschaftsschuld, die in der Folge vom Kläger selbst abbezahlt werden musste. Daraus ergibt sich ein Gesellschaftsverlust von Fr. 10'070.30 und zugunsten des Klägers eine Regressforderung gegen die Beklagte für den hälftigen Anteil (SIEGWART, N. 23 zu
Art. 533 OR
).
b) Eine weitergehende Forderung kann dem Kläger nur als Schadenersatz aus Verantwortlichkeit zustehen, der ebenfalls im Rahmen der Liquidation geltend gemacht werden kann (SIEGWART, N. 4 zu
Art. 548-550 OR
). Die Beklagte haftet dem Kläger als Gesellschafterin für das Mass an Sorgfalt, das sie in ihren eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, unterliegt dagegen wie erwähnt nicht der strengeren Haftung eines besonders entschädigten Geschäftsführers (
Art. 538 Abs. 1 und 3 OR
). Im übrigen beurteilt sich die erforderliche Sorgfalt nach den konkreten Verhältnissen, namentlich auch nach der persönlichen Struktur der Gesellschaft (VON STEIGER, a.a.O., S. 390).
Nach den sorgfältigen Abwägungen der Vorinstanz ist indes weder bewiesen noch beweisbar, welche der Parteien für den Fehlbetrag von Fr. 30'000.-- verantwortlich ist. Dieser Beweisnotstand, der sich auftragsrechtlich gegen die Beklagte ausgewirkt hat, muss sich gesellschaftsrechtlich gegen den Kläger richten (
Art. 8 ZGB
). Entfällt Auftragsrecht, so kann die Beklagte auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie keine Buchhaltung geführt und sich die Bezüge des Klägers nicht hat quittieren lassen. Dass derartiges angesichts der persönlichen Beziehungen und der einfachen Verhältnisse der Parteien gar nicht zu erwarten war, hat schon das Bezirksgericht zu Recht festgestellt.
Anders verhält es sich mit der Verantwortlichkeit der Beklagten dafür, dass die Steuerschuld des Klägers nicht bezahlt worden ist. Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, auf die das Obergericht sinngemäss verweist, hat die Beklagte trotz Erhalt der
BGE 108 II 204 S. 213
Steuerrechnungen die im Oktober 1976 fällige Zahlung unterlassen, was sie dem Kläger verheimlicht hat. Dass die Lohneingänge dafür nicht gereicht hätten, wird nicht geltend gemacht und wäre nach dem Beweisergebnis der Vorinstanz auch nicht mehr feststellbar. Die Beklagte hat daher für die Steuerrestanz von Fr. 10'070.30 vollumfänglich und nicht nur im Betrage ihres Verlustanteils Ersatz zu leisten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 25. September 1981 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Fr. 10'070.30 nebst 5% Zins seit 20. November 1978 zu bezahlen; im Mehrbetrag wird die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
75176390-4a26-4054-ae7f-4dabcf73a9ad | Urteilskopf
112 Ib 409
66. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Oktober 1986 i.S. Stockwerkeigentümergemeinschaft Uto-Ring und Mitbeteiligte gegen Capaul Bau AG, Gemeinde Flims und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Bau einer Quartierstrasse aufgrund eines Strassenplans und Bewilligungen gemäss
Art. 24 RPG
, 26 FPolV, Art. 24 des Bundesgesetzes über die Fischerei (FG) und
Art. 22 NHG
.
1. Ein Strassenplan ist ein Nutzungsplan im Sinne des RPG; ein plankonformes Strassenprojekt bedarf deshalb keiner Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
(E. 1b und c).
2. Verhältnis zwischen dem Genehmigungsverfahren bei Strassenplänen und den Bewilligungsverfahren nach
Art. 26 FPolV
, 24 FG und 22 NHG (E. 2b und c) und Ausgestaltung dieser Bewilligungsverfahren (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 409
BGE 112 Ib 409 S. 409
Die Liegenschaften Nr. 3565 der Stockwerkeigentümergemeinschaft Uto-Ring, Nr. 3749 der Stockwerkeigentümergemeinschaft
BGE 112 Ib 409 S. 410
Casa Arcula und Nr. 3739 von Elisabeth Hotz in Flims-Dorf grenzen unmittelbar an den bewaldeten Bachgraben des La Val-Baches. Im Bereich des einige Meter tiefen Bachgrabens sieht der Strassenplan der Gemeinde Flims vom 27. März/11. Juli 1977 die Erstellung einer ca. 200 m langen und 4,0 m breiten Stichstrasse vor. Diese hat die Funktion einer öffentlichen Quartierstrasse und soll der Erschliessung von vier an ihrem östlichen Ende gelegenen Bauparzellen in "Lanezzi" mit einer Gesamtfläche von ungefähr 6000 m2 dienen. Die Strasse ist ebenfalls in dem von der Gemeinde am 9. September 1979 beschlossenen Strassenplan für die Erschliessungsetappe I enthalten, den die Regierung am 25. August 1980 genehmigte. Die Strassenplanrevision vom 3. Oktober 1982/29. November 1982 bezog sich nicht auf die Via Lanezzi.
Am 15. Februar 1983 reichte die Capaul Bau AG, Flims, als Eigentümerin eines Teils des zu erschliessenden Gebietes der Baubehörde Flims ein Baugesuch für die Erstellung der Via Lanezzi ein. Das Ausführungsprojekt sieht vor, auf einer Fläche von 1675 m2 die Bestockung im Bachgraben zu entfernen, den La Val-Bach in eine Röhre zu verlegen, anschliessend den Bachgraben einzudecken und darauf die neue Erschliessungsstrasse zu erstellen. Gegen dieses Projekt erhoben u.a. die Stockwerkeigentümergemeinschaft Uto-Ring, die Stockwerkeigentümergemeinschaft Casa Arcula und Elisabeth Hotz am 29. Juni 1983 Einsprache bei der Baubehörde Flims.
Die Gemeindebehörde wies am 1. Oktober 1985 die Einsprachen der benachbarten Grundeigentümer ab, soweit sie darauf eintrat, und erteilte für das Strassenprojekt Via Lanezzi die Baubewilligung unter dem Vorbehalt des Landerwerbs und der Erteilung der erforderlichen Rodungsbewilligung für 1675 m2 bestockte Fläche.
Hiegegen erhoben die Stockwerkeigentümergemeinschaften Uto-Ring und Casa Arcula sowie Elisabeth Hotz Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Zur Begründung machten sie geltend, die Via Lanezzi komme ins übrige Gemeindegebiet zu liegen, weshalb vorerst ein Zustimmungsverfahren gemäss Art. 2 der kantonalen Verordnung über Bewilligungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen und über Planungszonen vom 28. Januar 1980/25. Mai 1981 und 13. Dezember 1982 (BAB) durchzuführen sei. Zudem beeinträchtige das Strassenprojekt das Orts- und Landschaftsbild und laufe den Anliegen des Natur- und Heimatschutzes zuwider. Auch bestehe für den Bau der Quartierstrasse keine Notwendigkeit. Im übrigen hätte vor Erteilung der
BGE 112 Ib 409 S. 411
Bau- eine Rodungsbewilligung eingeholt werden müssen. Das Verwaltungsgericht wies am 15. Januar 1986 den Rekurs ab, soweit es darauf eintrat. Es begründete seinen Entscheid im wesentlichen damit, dass für die Strasse ein kantonales Zustimmungsverfahren zwar erforderlich sei, es aber im Kanton Graubünden dafür neben dem BAB-Verfahren noch ein besonderes Verfahren gebe, welches ebenfalls
Art. 25 RPG
entspreche. Es handle sich um das Genehmigungsverfahren von kommunalen Strassenplänen gemäss Art. 37 des kantonalen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 (KRG). Nachdem der Strassenplan in diesem Verfahren genehmigt worden sei, erweise sich ein separates Verfahren für das Detailprojekt als nicht nötig. Dass die Bau- noch vor der Rodungsbewilligung erteilt worden sei, könne nicht beanstandet werden; es sei aufgrund des entsprechenden Vorbehalts klar, dass mit dem Strassenbau nicht vor der Erteilung der Rodungserlaubnis begonnen werden dürfe. Auf die übrigen Einwendungen könne nicht eingetreten werden. Über die generelle Linienführung und die Notwendigkeit der Lanezzistrasse sei bereits im Plangenehmigungsverfahren umfassend befunden worden. In bezug auf das Ausführungsprojekt seien die Rekurrenten nicht legitimiert, sich auf Bestimmungen über den Schutz des Landschafts-, Orts- und Strassenbildes sowie den Natur- und Heimatschutz zu berufen, da die angerufenen Vorschriften keine nachbarschützende Wirkung besässen.
Die gegen diesen Entscheid gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde heisst das Bundesgericht im Sinne der Erwägungen gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 34 Abs. 1 RPG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unter anderem gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
zulässig. Im vorliegenden Fall vertreten die Beschwerdeführerinnen die Auffassung, die streitige, im übrigen Gemeindegebiet gelegene Quartierstrasse bedürfe - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - einer Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
. Sie rügen demnach, das Verwaltungsgericht habe
Art. 24 RPG
zu Unrecht nicht angewendet. Diese Rüge ist im Rahmen einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (
BGE 108 Ib 380
E. 1a;
BGE 105 Ib 107
E. 1a mit Hinweisen). Da die Beschwerdeführerinnen überdies als Anstösser der projektierten
BGE 112 Ib 409 S. 412
Strasse ohne weiteres im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
zur Beschwerde legitimiert sind (vgl. E. 2d unten) und ihre Beschwerde auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt, ist insoweit darauf einzutreten.
b) Strassenpläne stellen Sondernutzungspläne im Sinne des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes dar (vgl.
BGE 111 Ib 14
/15 E. 3b mit Hinweisen). Für die hier zur Diskussion stehende Strassenplanung der Gemeinde Flims ist dies vom Bundesgericht in den beiden nicht veröffentlichten Urteilen vom 29. Mai 1985 i.S. Stockwerkeigentümergemeinschaft Uto-Ring und Mitbeteiligte und vom 21. Mai 1986 i.S. R. ausdrücklich festgehalten worden. Während die Rahmennutzungspläne den umfassenden Grund der zugelassenen Nutzungen legen, gestalten die Sondernutzungspläne sie aus oder schaffen davon abweichende Regelungen (EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, N. 2 der Vorbemerkungen zu
Art. 14-20 RPG
). Der von einem Strassenplan erfasste Boden erhält eine besondere Zweckbestimmung, die sich von derjenigen des von der Strasse durchquerten Bodens unterscheidet. Mit dem Bau der Strasse wird dieser Sondernutzungsplan verwirklicht; da es hiebei gerade nicht um eine Abweichung von einer Nutzungszone geht, liegt ein Anwendungsfall von
Art. 24 RPG
klarerweise nicht vor. In diesem Sinn hat das Bundesgericht denn auch bereits in
BGE 112 Ib 166
/167 E. 2b entschieden. Dass es sich in jenem Fall um eine Kantonsstrasse handelte, während hier eine Quartierstrasse zur Diskussion steht, ist raumplanungsrechtlich ohne Belang.
c) Die Beschwerdeführerinnen scheinen nicht geltend machen zu wollen, für das Strassenprojekt habe, obwohl es nach dem Gesagten keiner Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
bedurfte, trotzdem die Zustimmung des kantonalen Departementes des Innern und der Volkswirtschaft eingeholt werden müssen. Eine solche Rüge wäre auch unbegründet. Gemäss
Art. 25 Abs. 2 RPG
sind lediglich Ausnahmen nach
Art. 24 RPG
durch eine kantonale Behörde oder mit deren Zustimmung zu bewilligen. Diese Vorschrift selber verlangt nicht, dass alle Gesuche für Bauvorhaben ausserhalb der Bauzonen der zuständigen kantonalen Behörde übermittelt werden. Dafür hat allenfalls kantonales Recht zu sorgen (EJPD/BRP, a.a.O., N. 8 zu
Art. 25 RPG
). Im Kanton Graubünden sind zwar denn auch die zonenkonformen Vorhaben dem kantonalen Prüfungsverfahren unterstellt (Art. 2 und 4 BAB), und
BGE 112 Ib 409 S. 413
das Bundesgericht hat diese Regelung als dem Sinn von
Art. 25 Abs. 2 RPG
entsprechend befunden (
BGE 109 Ib 128
/129 E. 2c). Mit dieser Regelung kann in der Tat verhindert werden, dass Ausnahmen nach
Art. 24 RPG
unter dem Mantel des ordentlichen Bewilligungsverfahrens verschwinden (vgl. EJPD/BRP, a.a.O., N. 8 zu
Art. 25 RPG
). Diese Gefahr besteht indessen bei Strassenplänen wie dem hier vorliegenden nicht, da nach dem Gesagten eine Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG
in keinem Fall erforderlich ist. Die Frage nach der Zonenkonformität der Strasse kann sich mithin so gar nicht stellen; die Bewilligungsbehörde hat vielmehr in diesem Zusammenhang einzig zu prüfen, ob sich ein Ausführungsprojekt im Rahmen des Strassenplanes bewege. Art. 2 und 4 BAB sind demnach in diesen Fällen nicht anwendbar, und die Baubehörde von Flims war nicht gehalten, das Ausführungsprojekt dem Departement des Innern und der Volkswirtschaft zur Zustimmung vorzulegen.
d) Zusammenfassend ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis (vgl. dazu
BGE 108 Ib 30
E. 1 mit Hinweis) davon ausgehen durfte, für das Detailprojekt der Lanezzistrasse habe sich ein kantonales Zustimmungsverfahren und die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
erübrigt.
2.
a) Die Beschwerdeführerinnen machen weiter geltend, es ständen der geplanten Strasse fundamentale und von der Gesetzgebung in besonderem Masse geschützte Interessen des Landschafts- und Naturschutzes entgegen; zu ihren entsprechenden Vorbringen hätten aber weder die Baubehörde Flims noch das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Stellung genommen.
Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens ist einzig der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 15. Januar 1986. Darin wurde auf die erwähnten Argumente der Beschwerdeführer in der Tat nicht eingetreten. Soweit die Beschwerdeführerinnen sinngemäss geltend machen, durch diesen Nichteintretensentscheid werde die Anwendung von Bundesverwaltungsrecht ausgeschlossen, ist dies im Rahmen einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (vgl.
BGE 103 Ib 146
E. 2a mit Hinweisen); die Beschwerdeführerinnen sind durch diesen Entscheid beschwert und demnach gemäss
Art. 103 lit. a OG
beschwerdebefugt. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb auch insoweit einzutreten.
b) Nach der unbestrittenen Darstellung im angefochtenen Entscheid sieht das Ausführungsprojekt für die Lanezzistrasse vor,
BGE 112 Ib 409 S. 414
auf einer Fläche von 1675 m2 die Bestockung im Bachgraben des La Val-Baches zu entfernen, den Bach in eine Röhre zu verlegen sowie schliesslich den Bachgraben einzudecken und darauf die neue Erschliessungsstrasse zu erstellen. Dieser technische Eingriff unterliegt klarerweise der Bewilligungspflicht gemäss Art. 24 des Bundesgesetzes über die Fischerei vom 14. Dezember 1973 (FG), wonach "die Gewässer oder ihr Wasserhaushalt, die Wasserläufe sowie die Ufer ..." nur mit besonderer Bewilligung der für die Fischerei zuständigen kantonalen Behörde verändert werden dürfen. Ebenso kann kein Zweifel daran bestehen, dass es für das fragliche Bauvorhaben einer Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 22 NHG
, d.h. einer Bewilligung für die Beseitigung der Ufervegetation, bedarf (zum Begriff der Ufervegetation: BGE vom 17. April 1985 i.S. F. AG in ZBl 87/1986 S. 399 ff., zur intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit von
Art. 18 und 21 NHG
in der durch das Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 geänderten Fassung:
BGE 112 Ib 42
ff. E. 1c mit Hinweisen, 306 E. 12e).
c) Das Bundesgericht hat sich in
BGE 106 Ib 41
ff. über das Verhältnis von Plangenehmigungs- und Rodungsbewilligungsverfahren bei Strassen ausgesprochen. Es hat erwogen, dass die Rodungsbewilligungsbehörden nicht die Befugnis hätten, sich in alle Einzelheiten der Strassenprojektierung einzumischen. Sie dürften nur dann die Standortgebundenheit eines rechtskräftig beschlossenen öffentlichen Strassenwerks verneinen und die Rodungsbewilligung verweigern, wenn die Baubehörden die Strassenplanung im Hinblick auf den vom Gesetz geforderten Schutz des Waldes offensichtlich mit ungenügender Sorgfalt durchgeführt hätten, insbesondere wenn sie in dieser Hinsicht entweder überhaupt keine Überlegungen oder nur solche angestellt hätten, die ohne weiteres als unsachgemäss erkennbar seien (a.a.O., S. 44 E. 2). Diese Grundsätze lassen sich auch auf das Verhältnis Plangenehmigung - Bewilligungen nach Fischerei- bzw. Natur- und Heimatschutzgesetz übertragen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt sich indessen im vorliegenden Fall nicht mit Grund sagen, die Regierung des Kantons Graubünden habe die entsprechenden Belange bereits im Plangenehmigungsverfahren umfassend geprüft. Jedenfalls fehlt dafür in den Akten (namentlich in den Plangenehmigungsbeschlüssen) jeder Anhaltspunkt. Das Verwaltungsgericht ist daher auf die diesbezüglichen Einwendungen der Beschwerdeführer, soweit diese die generelle Linienführung der
BGE 112 Ib 409 S. 415
Lanezzistrasse betreffen, zu Unrecht mit dem Hinweis auf das abgeschlossene Plangenehmigungsverfahren nicht eingetreten.
d) In gleicher Weise fehl geht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, insoweit sich die Beschwerdeführerinnen mit den erwähnten Vorbringen gegen das Ausführungsprojekt wendeten, könne darauf mangels Legitimation nicht eingetreten werden, da die angerufenen Vorschriften grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung besässen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfen die Kantone für Streitigkeiten, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden können, auf kantonaler Ebene an die Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen stellen, als sie
Art. 103 lit. a OG
für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht (
BGE 109 Ib 216
E. 2b;
BGE 104 Ib 248
E. 4 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer sind im Sinne dieser Vorschrift als direkte Anstösser ohne Zweifel berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der Baubewilligung. Nachbarbeschwerden gegen Baubewilligungen zählen zu den typischen Tatbeständen von Drittbeschwerden, auf welche grundsätzlich einzutreten ist (
BGE 110 Ib 147
E. 1b;
BGE 104 Ib 253
ff. E. 7, je mit Hinweisen; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 158).
Nach dem Gesagten ist auf die Rügen der Beschwerdeführerinnen, die im Zusammenhang mit den Bewilligungen nach
Art. 24 FG
und
Art. 22 NHG
mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht werden können (
Art. 104 OG
), im entsprechenden kantonalen Verfahren einzutreten. Wie es sich mit den übrigen, nicht geprüften Einwendungen verhält, ist hier nicht zu entscheiden. Hätten die Beschwerdeführerinnen den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts auch diesbezüglich beanstanden wollen, hätten sie sich mittels einer staatsrechtlichen Beschwerde über eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beklagen müssen. Eine solche Rüge erheben sie indessen nicht, jedenfalls nicht in einer
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
auch nur einigermassen genügenden Form.
e) In der Baubewilligung vom 1. Oktober 1985 für die Lanezzistrasse ist von der Baubehörde Flims einzig die Rodungsbewilligung und der Landerwerb vorbehalten worden. Nach den vorstehenden Erwägungen ist für das Bauvorhaben darüber hinaus eine Bewilligung nach
Art. 24 FG
und
Art. 22 NHG
erforderlich. Bei dieser Sachlage hätten diese beiden Bewilligungen ebenfalls vorbehalten werden müssen, wobei sich fragen liesse, ob die Erteilung
BGE 112 Ib 409 S. 416
der allgemeinen Baubewilligung noch vor derjenigen der besonderen Bewilligungen sachgerecht sei. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls Bundesrecht verletzt, indem es in seinem Entscheid dem Erfordernis, eine Bewilligung gemäss.
Art. 24 FG
und
Art. 22 NHG
einzuholen, nicht Rechnung getragen hat.
3.
Es ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Sinne der vorstehenden Erwägungen gutzuheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 15. Januar 1986 aufzuheben ist.
Das projektierte Bauvorhaben wird den für die Erteilung der fischerei- und naturschutzrechtlichen Bewilligungen sowie der Rodungsbewilligung zuständigen Behörden zu unterbreiten sein. Dabei wird allenfalls in Anwendung des Fischerei- und des Natur- und Heimatschutzgesetzes eine einheitliche Bewilligung erteilt werden können (
BGE 107 Ib 152
E. 3a). Soweit in diesem Zusammenhang eine Abwägung der Gesamtinteressenlage (
Art. 25 Abs. 2 FG
) erforderlich ist, werden darin alle in Frage kommenden Interessen zu berücksichtigen und daher auch der Gesichtswinkel von
Art. 26 FPolV
zu beachten sein (vgl.
BGE 111 Ib 311
E. 5 mit Hinweisen). Dabei ist für die Erteilung der fischerei- und naturschutzrechtlichen Bewilligung nicht das Vorliegen einer definitiven Rodungsbewilligung gefordert. Hingegen muss feststehen, dass die Verwirklichung des Werkes einem das Interesse an der Walderhaltung überwiegenden Bedürfnis entspricht (
Art. 26 Abs. 1 FPolV
). | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
751976d8-35f7-4d29-8fca-9af42ac960ac | Urteilskopf
102 III 67
13. Arrêt du 22 juillet 1976 dans la cause X. S.A. | Regeste
Aberkennungsklage (
Art. 83 Abs. 2 SchKG
); Einstellung des Betreibungsverfahrens.
Ob die Klage rechtzeitig angehoben wurde, ist vom für den Aberkennungsprozess zuständigen Richter zu entscheiden. Die Betreibungsbehörden brauchen den richterlichen Entscheid nur dann nicht abzuwarten, wenn offensichtlich feststeht, dass die Klage nach Ablauf der gesetzlichen Frist angehoben wurde. Sobald hierüber Zweifel bestehen, haben sie davon abzusehen, die Rechtsöffnung als endgültig zu betrachten und das Vollstreckungsverfahren fortzusetzen (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 102 III 67 S. 67
A.-
a) Le 27 août 1974, la société X. S.A., à Neuchâtel, a fait notifier, par l'office des poursuites de Lausanne-Est, un commandement de payer à Y., à Lausanne.
BGE 102 III 67 S. 68
Ce commandement de payer a été frappé d'opposition totale.
Par décision du 6 mars 1975, le Président du Tribunal du district de Lausanne a prononcé la mainlevée provisoire. Le recours formé en temps utile par le poursuivi contre ce prononcé a été rejeté par arrêt de la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois du 1er mai 1975. Ce recours n'avait pas fait l'objet d'une ordonnance d'effet suspensif, le recourant ne l'ayant d'ailleurs pas demandé. Dans l'intervalle, la poursuivante avait requis la continuation de la poursuite et obtenu une saisie provisoire, exécutée les 14 et 23 avril 1975. A la place des biens à saisir, le poursuivi a remis à l'Office un acte de cautionnement d'une banque lausannoise, daté du 23 avril 1975.
Par demande du 12 mai 1975, Y. a ouvert action en libération de dette contre X. S.A. devant la Cour civile du canton de Vaud.
Estimant que la saisie était devenue définitive, faute d'action en libération de dette introduite dans les dix jours dès la communication du prononcé de mainlevée de première instance et faute d'effet suspensif accordé au recours contre ce prononcé, la poursuivante est intervenue auprès de l'Office les 27 novembre, 10 et 15 décembre 1975, en vue d'obtenir le règlement de la poursuite. Par lettre du 16 janvier 1976, l'Office a refusé de procéder au paiement. La poursuivante a porté plainte contre cette décision.
b) Le 12 février 1976, le Président du Tribunal du district de Lausanne, autorité inférieure de surveillance, a rejeté la plainte. Sa décision est motivée en substance comme il suit:
D'après la jurisprudence du Tribunal fédéral, fondée sur l'
art. 36 LP
, un prononcé de mainlevée rendu en première instance entre en force dès sa notification, sauf si le droit cantonal de procédure prévoit un recours ayant effet suspensif ex lege ou que l'autorité de recours ait expressément accordé l'effet suspensif in casu. Hormis ces deux hypothèses, le délai de dix jours prévu à l'
art. 83 al. 2 LP
pour ouvrir action en libération de dette part de la communication de la décision de mainlevée rendue en première instance (
ATF 47 III 68
, 101 III 42 consid. 3).
En droit vaudois, l'art. 59 de la loi d'application de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite (LVLP) dispose
BGE 102 III 67 S. 69
qu'en cas de recours contre un prononcé soumis à la procédure sommaire de poursuite (mainlevée, notamment) l'exécution du prononcé n'est suspendue que s'il en est ainsi ordonné par le président de l'autorité de recours. Il en découle qu'au regard de la jurisprudence fédérale précitée, l'action en libération de dette avait été introduite tardivement en l'espèce, l'effet suspensif n'ayant pas été ordonné lors du recours exercé par le poursuivi contre la décision de mainlevée provisoire du 6 mars 1975.
Toutefois, antérieurement à 1940, le recours en cette matière avait automatiquement effet suspensif selon la procédure vaudoise. La règle selon laquelle le recours n'a d'effet suspensif que s'il en est ainsi ordonné remonte à la LVLP de 1940 et a été reprise dans l'actuelle LVLP, de 1955. Or, malgré la modification législative de 1940, une pratique constante s'est maintenue jusqu'ici dans le canton de Vaud, suivant laquelle le délai de dix jours pour ouvrir action en libération de dette part de l'expiration du délai de recours contre le prononcé de mainlevée ou, en cas de recours, dès la communication de l'arrêt de la juridiction cantonale supérieure. Cette pratique, expressément consacrée par la jurisprudence, a été appliquée immuablement pendant trente-six ans avant que l'on s'avise, par la publication de l'arrêt
ATF 101 III 40
ss, qu'elle n'était pas conforme à la jurisprudence fédérale.
On peut dès lors se demander si, durant une période transitoire, les actions en libération de dette introduites dans le délai admis jusqu'ici ne seront pas considérées comme valablement ouvertes en vertu d'un droit coutumier. Le juge ordinaire, notamment la Cour civile du canton de Vaud, n'ayant pas tranché la question, un doute subsiste à cet égard. Or, lorsqu'il en est ainsi, les autorités de poursuite ne doivent pas préjuger de la décision du juge du fond.
B.-
X. S.A. a recouru contre ce prononcé auprès de la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois, autorité cantonale supérieure de surveillance. Cette juridiction a rejeté le recours le 4 juin 1976, pour les motifs suivants:
En règle générale, selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, c'est le juge dont relève l'action en libération de dette qui est compétent pour décider si l'action a été introduite en temps utile. Les autorités de poursuite ne sont pas tenues d'attendre la décision judiciaire seulement s'il ressort indubitablement
BGE 102 III 67 S. 70
du dossier que l'action a été ouverte après l'expiration du délai légal; pour peu qu'il y ait doute à ce sujet, elles doivent s'abstenir de considérer la mainlevée comme définitive et de suivre à l'exécution forcée. Or, en l'espèce, l'autorité inférieure a estimé avec raison qu'un doute subsistait à cet égard, compte tenu de la pratique, jusqu'ici constante, des autorités vaudoises. Ce doute est aujourd'hui d'autant plus fondé que, dans un jugement du 11 mai 1976, la Cour civile du canton de Vaud a tenu pour recevable, soit introduite en temps utile, une action en libération de dette où la question de l'observation du délai légal se présentait exactement comme dans la présente affaire. Vu ce jugement tout récent, il serait surprenant que la Cour civile adopte une solution différente lorsqu'elle statuera sur l'action pendante devant elle entre les parties.
C.-
X. S.A. recourt au Tribunal fédéral. Elle demande qu'il soit prononcé que la saisie est définitive et qu'il peut y être donné suite.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La recourante fait valoir, comme devant l'autorité cantonale supérieure de surveillance, qu'en présence de textes clairs une coutume cantonale ne saurait l'emporter sur la loi et la jurisprudence du Tribunal fédéral. En l'espèce, dit-elle, il n'y a aucun doute que l'action en libération de dette a été ouverte tardivement, puisqu'il s'est écoulé plus de deux mois entre la décision de mainlevée de première instance et le dépôt de la demande; les autorités de poursuite devaient donc considérer la saisie comme définitive et suivre à l'exécution forcée.
2.
a) La première question qui se pose en l'occurrence est de savoir si, en vertu d'une pratique appliquée pendant plus de trente ans par les autorités vaudoises nonobstant le texte de la LVLP, le recours en matière de mainlevée provisoire a effet suspensif, le délai pour ouvrir action en libération de dette ne commençant à courir que dès la communication de l'arrêt de la juridiction cantonale supérieure. Mais il s'agit là d'un problème de droit cantonal, qui ne peut pas être examiné par le Tribunal fédéral (
art. 43 al. 1, 81 OJ
). Le recours est donc irrecevable sur ce point.
b) La question de savoir si l'action en libération de dette a
BGE 102 III 67 S. 71
été introduite en temps utile n'est ainsi pas claire en l'espèce. Dans ces conditions, conformément à une jurisprudence bien établie, rappelée à bon escient par l'autorité cantonale supérieure de surveillance et qui n'est pas critiquée par la recourante (
ATF 28 I 275
,
ATF 53 III 68
consid. 1,
ATF 65 III 91
, 91 III 17 consid. 1; cf. JAEGER, n. 7 ad
art. 83 LP
), les autorités de poursuite sont tenues d'attendre la décision judiciaire. Respectant ces principes, l'arrêt attaqué ne viole pas le droit fédéral.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
Subsets and Splits
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