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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
52099ef0-ced3-4bae-816b-e3ef142fc62b | Urteilskopf
121 IV 286
46. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. August 1995 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau und K. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 18 Abs. 3, 125 Abs. 2 StGB,
Art. 32 SVG
,
Art. 4a Abs. 1 VRV
; fahrlässige schwere Körperverletzung, Geschwindigkeitsüberschreitung; Kausalität.
Voraussetzungen der Fahrlässigkeit (E. 3).
Mit der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit darf nur unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen gefahren werden (E. 4b; Bestätigung der Rechtsprechung). Das überraschende Betreten des Fussgängerstreifens auf einer belebten Strasse zur Mittagszeit ist nicht derart aussergewöhnlich, dass damit schlechterdings nicht gerechnet werden müsste (E. 4b).
Bei Kollisionen zwischen einem Personenwagen und einem Fussgänger ist der Erfolg der schweren Körperverletzung schon bei einer geringfügigen Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar. Fall eines Automobilisten, der mit 50 km/h eine Kollision verursacht hat, deren schwere Verletzungsfolgen bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h vermeidbar gewesen wären (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 287
BGE 121 IV 286 S. 287
A.-
Am 6. Mai 1992 ereignete sich in Sirnach ein Unfall, bei dem A. als Lenker eines Personenwagens den Fussgänger K. anfuhr, welcher überraschend den Fussgängerstreifen betreten hatte. Dieser erlitt dabei schwere Verletzungen. Mit Urteil vom 18. November 1993 sprach das Bezirksgericht Münchwilen A. von der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung und des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall frei. Die Zivilforderung verwies es auf den Zivilweg. Auf Berufung des Geschädigten sowie der
BGE 121 IV 286 S. 288
Staatsanwaltschaft hin erklärte das Obergericht des Kantons Thurgau A. in zweiter Instanz mit Urteil vom 15. September 1994 der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1'500.--, bedingt löschbar nach Ablauf einer Probezeit von einem Jahr. Hinsichtlich des Freispruchs von der Anklage des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall bestätigte es den erstinstanzlichen Entscheid. Ferner stellte es fest, dass dem Opfer dem Grundsatz nach unter Vorbehalt eines allfälligen Mitverschuldens ein zivilrechtlicher Entschädigungsanspruch zustehe.
B.-
Gegen diesen Entscheid führt A. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen; eventualiter sei die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Dem zu beurteilenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer fuhr am Mittwoch, den 6. Mai 1992, um 11.50 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Wilerstrasse in Sirnach von Gloten her, mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, in Richtung Dorfmitte. Etwa 40 m vor dem Fussgängerstreifen im Bereich der Einmündung der Obermattstrasse bemerkte er den Beschwerdegegner, der als Fussgänger mit raschen Schritten von rechts aus der Obermattstrasse herannahte, wobei die Sicht durch ein vor der Einmündung dieser Strasse wartendes Fahrzeug teilweise beeinträchtigt wurde. Auf dem gegenüberliegenden Trottoir auf der Höhe des Fussgängerstreifens befand sich zur gleichen Zeit eine Gruppe Kinder. In der Folge setzte der Beschwerdegegner zur Überquerung der Wilerstrasse an und betrat praktisch ohne Verzögerung den Fussgängerstreifen. Trotz einem Bremsmanöver, das der Beschwerdeführer einleitete, als er sich rund 18 m vor der Unfallstelle befand, gelang es ihm nicht mehr, eine Kollision zu verhindern. Der Zusammenprall ereignete sich auf dem Fussgängerstreifen, ca. 1,5 m vom rechten Trottoirrand entfernt. Der Beschwerdegegner schlug mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde an den Strassenrand geschleudert. Durch den Zusammenstoss erlitt er ein lebensgefährliches
BGE 121 IV 286 S. 289
Schädel-Hirn-Trauma, das zu einer bleibenden Hirnleistungsstörung führte.
b) Die Vorinstanz stellt gestützt auf ein vom Beschwerdeführer vor erster Instanz eingereichtes verkehrstechnisches Gutachten fest, dass sich die Kollision hätte vermeiden lassen, wenn die Zufahrtsgeschwindigkeit des Beschwerdeführers nicht 50 km/h, sondern höchstens 42 km/h betragen hätte. Aufgrund der Umstände sei eine Geschwindigkeit von maximal 40 km/h den Verhältnissen angemessen gewesen. Denn der Beschwerdeführer habe unmittelbar vor der Mittagessenszeit generell mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen und zusätzlichen Fussgängern rechnen müssen. Er habe denn auch den Beschwerdegegner, der sich auf den Fussgängerstreifen zubewegte, wahrgenommen und auf dem linken Trottoir auf der Höhe des Streifens spielende Kinder gesehen. Ausserdem habe an der Verzweigung Obermattstrasse ein nicht vortrittsberechtigter Personenwagen gewartet, der die Fahrbahn aus der Sicht des Beschwerdeführers etwas verengt haben dürfte.
c) Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von
Art. 32 und 33 SVG
(SR 741.01) sowie
Art. 6 VRV
(SR 741.11) geltend. Der Lenker eines Motorfahrzeuges sei nicht generell verpflichtet, seine Geschwindigkeit im Bereich eines Fussgängerstreifens zu reduzieren. Es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass der Beschwerdegegner die Wilerstrasse überqueren würde. Er habe keine Möglichkeit gehabt, zu bremsen und die Kollision zu vermeiden.
3.
Eine Verurteilung nach
Art. 125 Abs. 2 StGB
wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung setzt voraus, dass der Erfolg durch sorgfaltswidriges Verhalten des Täters verursacht wurde. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen (
Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB
) und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritt. Erkennbar bzw. voraussehbar ist die Gefahr des Erfolgseintritts für den Täter, wenn sein Verhalten geeignet ist, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Es genügt dabei, wenn der Täter in groben Zügen den zum Erfolg führenden Kausalverlauf als Folge seines pflichtwidrigen Verhaltens voraussehen konnte (
BGE 121 IV 10
E. 3;
BGE 118 IV 130
E. 3,
BGE 116 IV 306
E. 1a; REHBERG, Strafrecht I, 5. Aufl. 1993, S. 206; TRECHSEL/NOLL, Schweizerisches
BGE 121 IV 286 S. 290
Strafrecht, Allg. Teil I, 4. Aufl. 1994, S. 245; NAY, Der Lawinenunfall aus der Sicht des Strafrichters, ZGRG 13/94, S. 51). Die Vorhersehbarkeit ist zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursachen hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolges erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (
BGE 120 IV 300
E. 3e,
BGE 115 IV 100
E. 2b und 199 E. 5c). Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Das schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (
BGE 121 IV 10
E. 3). Im zu beurteilenden Fall richtet sich der Umfang der Sorgfalt nach den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes.
Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt nicht, dass er vorhersehbar war. Vielmehr stellt sich die weitere Frage, ob der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Ein solcher hypothetischer Kausalzusammenhang lässt sich nicht mit Gewissheit beweisen. Deshalb genügt es für die Zurechnung des Erfolgs, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolges bildete (
BGE 118 IV 130
E. 6a mit Hinweisen; REHBERG, a.a.O., S. 207; NAY, a.a.O., S. 52).
4.
a) Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, verletzte der Beschwerdeführer das Vortrittsrecht des Beschwerdegegners als Fussgänger nicht, da dieser nach dem verkehrstechnischen Gutachten den Streifen überraschend und zu einem Zeitpunkt betrat, als es dem Beschwerdeführer bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit nicht mehr möglich war, sein Fahrzeug rechtzeitig anzuhalten (18 m vor Kollisionsstelle, 50 km/h). Es lagen zu dem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer den Fussgänger zum ersten Mal erblickte (40 m vor der Kollisionsstelle), auch keine konkreten Anzeichen oder zuverlässigen Anhaltspunkte für ein überraschendes Betreten des Streifens, mithin für ein Fehlverhalten des Beschwerdegegners vor (vgl.
BGE 121 IV 286 S. 291
BGE 118 IV 277
E. 4a;
115 II 283
E. 1b, 95 II 184 E. 4b); denn der Umstand, dass der Beschwerdegegner mit raschen Schritten von rechts aus der Obermattstrasse Richtung Wilerstrasse herannahte, wies nicht auf seine Absicht hin, die Wilerstrasse auf dem noch einige Meter entfernten Fussgängerstreifen zu überqueren. Der Beschwerdeführer war daher nicht verpflichtet, bereits 40 m vor der Kollisionsstelle eine Vollbremsung einzuleiten.
Zu prüfen ist indes, ob der Beschwerdeführer mit unangemessener Geschwindigkeit fuhr und ob er gegebenenfalls bei angemessener Geschwindigkeit die Verletzung des Fussgängers hätte vermeiden können.
b) Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz fuhr der Beschwerdeführer mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h auf den Fussgängerstreifen zu. Diese Geschwindigkeit hält sich zwar im Rahmen der in Ortschaften zulässigen allgemeinen Höchstgeschwindigkeit (
Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV
). Indes darf diese Höchstgeschwindigkeit nicht unter allen Umständen ausgefahren werden, sondern gilt nur bei günstigen Verhältnissen. Denn gemäss
Art. 32 Abs. 1 SVG
ist die Geschwindigkeit stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Deshalb richtet in der Regel seine Geschwindigkeit nicht nach den Umständen, wer innerorts mit 50 km/h an einem nahe der Strasse gelegenen Kindergarten zu einer Zeit, wo sich dort Kinder befinden, vorbeifährt (
BGE 121 II 127
E. 4a). Eine schwere Verkehrsgefährdung nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
begeht auch ein Fahrzeuglenker, der trotz starkem Regen auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h fährt und infolge Aquaplanings ins Schleudern gerät (
BGE 120 Ib 312
E. 4c).
Die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen belegen, dass im zu beurteilenden Fall die für die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit vorausgesetzten günstigen Verhältnisse nicht bestanden. Denn auf der Wilerstrasse herrschte zur Mittagszeit Verkehr, auf beiden Trottoirs zirkulierten Fussgänger und auf dem linken befand sich auf der Höhe des Fussgängerstreifens eine Gruppe spielender Kinder, die die Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers in Anspruch nahmen. Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, hätte der Beschwerdeführer seine Fahrt verlangsamen müssen und war eine Geschwindigkeit von 50 km/h unter diesen Umständen übersetzt. Bei dieser Sachlage war für ihn voraussehbar, dass er bei einem überraschenden Fehlverhalten des Fussgängers oder der Kinder nicht mehr rechtzeitig
BGE 121 IV 286 S. 292
bremsen und eine Körperverletzung verursachen könnte. Jedenfalls lässt sich nicht sagen, das Betreten des Fussgängerstreifens sei ganz aussergewöhnlich gewesen, so dass damit schlechterdings nicht hätte gerechnet werden müssen. Der Beschwerdeführer hätte daher seine Geschwindigkeit schon zu dem Zeitpunkt mässigen müssen, als er den Fussgänger zum ersten Mal erblickte. Die Vorinstanz verletzt daher kein Bundesrecht, wenn sie annimmt, unter den gegebenen Umständen sei nur eine Geschwindigkeit von 40 km/h angemessen gewesen.
c) Zu bejahen ist auch die Vermeidbarkeit des Erfolgs. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hätte die Kollision mit dem Fussgänger vermieden werden können, wenn der Beschwerdeführer bei Einleitung seines Bremsmanövers mit einer Geschwindigkeit von nur 40 km/h gefahren wäre. Selbst bei einer ganz leicht höheren Geschwindigkeit oder einer um weniges verzögerten Reaktionszeit (vgl. dazu
BGE 115 II 283
E. 1b mit Hinweisen) wäre die Kollision zumindest viel weniger heftig ausgefallen und hätte der Beschwerdegegner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weniger schwere Verletzungen davongetragen als bei der mit 50 km/h unangemessenen Geschwindigkeit, die der Beschwerdeführer innehielt. Eine Mässigung der Fahrgeschwindigkeit hätte der Beschwerdeführer bereits zu Beginn der Einmündung der Obermattstrasse durch Weggehen vom Gaspedal und allenfalls leichtes Bremsen ohne weiteres erreichen können und müssen, bis er sich 18 m vor der Kollisionsstelle befand. Welche schwerwiegenden Folgen selbst vermeintlich geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitungen bei Fahrzeug-Fussgänger-Kollisionen haben können, zeigen die physikalischen Gesetze: Ein Fahrzeug, das mit einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h statt einer solchen von 40 km/h fährt, weist an jenem Punkt, wo es bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h stillstehen würde, immer noch eine Geschwindigkeit von 37,9 km/h auf. Bei einer Differenz der Bremsausgangsgeschwindigkeiten um 5 km/h beträgt die Kollisionsgeschwindigkeit des mit 50 km/h fahrenden Autos dort, wo es bei 45 km/h stillstehen würde, noch 27,3 km/h (Bericht von Prof. Dr. Felix Walz, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich, zu Handen des Kassationshofes; vgl. dazu
BGE 121 II 127
E. 4b und 230, E. 2c).
Der Schuldspruch wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verstösst daher nicht gegen Bundesrecht und die Beschwerde erweist sich insoweit als unbegründet. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5213c427-5e34-4d80-98ed-042b626745a5 | Urteilskopf
85 IV 67
17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1959 i.S. Hulmann gegen Statthalteramt Zürich. | Regeste
Art. 2 lit. f der Mietzinskontrollverordnungen des Bundesrates vom 30. Dezember 1953 und 28. Dezember 1956.
1. Der Entscheid der Verwaltungsbehörde über die Frage, ob möblierte Einzelzimmer in üblicher Weise vermietet seien oder nicht, ist vom Strafrichter frei zu überprüfen (Erw. 1).
2. Es ist nicht üblich, alle oder den grösseren Teil der Zimmer eines Privathauses einzeln möbliert zu vermieten (Erw. 1).
3. Die Unterstellung der nicht in üblicher Weise vermieteten möblierten Einzelzimmer unter die Preiskontrolle ist gesetzmässig (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 85 IV 67 S. 68
A.-
Hulmann ist seit Ende 1955 Eigentümer der Liegenschaft Turnerstrasse 40 in Zürich 6. Er bewohnte zwei der zehn Zimmer und vermietete die übrigen acht. Im Juli 1956 zog er in das dazu erworbene Einfamilienhaus Bucheggstrasse 154 in Zürich 6 um. Er vermietete dort vier der sechs Zimmer sowie die beiden, die er an der Turnerstrasse 40 nicht mehr selber benützte.
Hulmann gab jedes der Zimmer einzeln und möbliert an zwei oder mehrere Mieter ab und setzte die Mietzinse fest, ohne dass er die Bewilligung der zuständigen Behörde eingeholt hatte.
Am. 8. November 1956 und 27. Februar 1957 bestimmte die städtische Preiskontrolle Zürich die höchstzulässigen Mietansätze, die durchwegs niedriger waren als die von den Mietern verlangten und bezogenen Beträge. Die gegen die Mietzinsfestsetzung geführten Beschwerden Hulmanns wurden, in letzter Instanz von der Eidg. Mietzinsrekurskommission, abgewiesen.
B.-
Am 5. November 1958 verfällte das Statthalteramt des Bezirkes Zürich Hulmann in eine Busse von Fr. 100.-- wegen Übertretung des Art. 14 Abs. 1 der Verordnung über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung des Kündigungsrechts vom 30. Dezember 1953 und des Art. 16 Abs. 1 dieser Verordnung in der Fassung vom 28. Dezember 1956.
Auf Einsprache des Verurteilten bestätigte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich am 15. Dezember 1958 den angefochtenen Entscheid, mit dem Zusatz, dass die Busse im Strafregister nicht eingetragen wird.
BGE 85 IV 67 S. 69
C.-
Hulmann beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde, er sei freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 14 Abs. 1 der Mietzinskontrollverordnung (VMK) vom 30. Dezember 1953 und
Art. 16 Abs. 1 VMK
vom 28. Dezember 1956 darf für Objekte, die am 31. August 1939 nicht oder in anderer Zusammensetzung vermietet waren und für welche ein höchstzulässiger Mietzins noch nicht behördlich festgesetzt wurde, ein Mietzins nur mit Bewilligung der zuständigen Amtsstelle gefordert oder angenommen werden. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Bestimmungen nicht erfüllt seien. Er beruft sich dagegen auf Art. 2 Abs. 2 der Bundesbeschlüsse über die Durchführung einer beschränkten Preiskontrolle (PKB) vom 10. Juni 1953 und 28. September 1956, um darzutun, dass Mietzinse für möblierte Einzelzimmer nicht der Preiskontrolle unterstellt seien.
Art. 2 Abs. 2 PKB vom 10. Juni 1953 bestimmt, dass möblierte Einzelzimmer von der Mietzinskontrolle ausgenommen sind.
Art. 2 lit. f VMK
vom 30. Dezember 1953 beschränkt diese Ausnahme auf die in üblicher Weise vermieteten möblierten Einzelzimmer. Diese Ordnung wurde auch nach 1956 beibehalten, einerseits durch Art. 2 Abs. 2 PKB vom 28. September 1956, wonach die bis zum 31. Dezember 1956 frei gegebenen Objekte von der Mietzinskontrolle ausgenommen bleiben, anderseits gemäss
Art. 2 lit. f VMK
vom 28. Dezember 1956, dessen Text mit
Art. 2 lit. f VMK
vom 30. Dezember 1953 wörtlich übereinstimmt. Im vorliegenden Falle haben die Preiskontrollbehörden festgestellt, das der Beschwerdeführer seine Zimmer nicht in üblicher Weise vermietet habe und dass sie demzufolge der Mietzinskontrolle unterworfen seien.
BGE 85 IV 67 S. 70
Dieser Entscheid der Verwaltungsbehörden ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz für den Strafrichter nicht verbindlich. Abgesehen von dem hier nicht zutreffenden Fall, dass ein Verwaltungsakt rechtsgestaltende Wirkung hat oder nach gesetzlicher Vorschrift von den Gerichten als Tatbestand hinzunehmen ist, steht dem Zivil- und Strafrichter grundsätzlich das Recht zu, unabhängig von der Verwaltung zu entscheiden und vorfrageweise auch solche Rechtsfragen zu lösen, die dem Erkenntnisgebiet der Verwaltung angehören. Ob ihn im letztern Fall eine bereits ergangene Entscheidung des Präjudizialpunktes durch die zuständige Verwaltungsbehörde binde, stehe dahin (
BGE 79 I 285
). Die Frage, ob Einzelzimmer der Mietzinskontrolle unterstehen, d.h. ob sie in üblicher Weise vermietet seien oder nicht, ist weder in den Preiskontrollbeschlüssen noch in den Mietzinskontrollverordnungen von 1953 und 1956 dem Entscheid der Verwaltungsbehörden vorbehalten worden. Der Richter kann und muss sie daher frei überprüfen.
Dem Entscheid der Verwaltungsbehörden ist jedoch beizupflichten. Dass ein Hauseigentümer ein oder zwei Zimmer, die er für den eigenen Gebrauch nicht benötigt, einzeln vermietet, kommt häufig vor und entspricht der Gewohnheit. Dagegen muss als aussergewöhnlich bezeichnet werden, dass in einem dreistöckigen Haus, das nach seiner baulichen Einrichtung die Vermietung ganzer Wohnungen zuliesse, sämtliche und in einem andern Haus der Grossteil der Zimmer einzeln vermietet werden und dass überdies jedes dieser Zimmer von zwei oder mehreren Mietern benützt wird. Fällt somit das Vorgehen des Beschwerdeführers nicht unter die übliche Art der Vermietung von Einzelzimmern im Sinne von Art. 2 lit. f der VMK von 1953 und 1956, so kann er sich auch nicht auf die Ausnahmebestimmungen der Art. 2 Abs. 2 der PKB von 1953 und 1956 berufen.
2.
Hulmann bestreitet die Gesetzmässigkeit der
BGE 85 IV 67 S. 71
Art. 2 lit. f der VMK von 1953 und 1956, indem er geltend macht, der Bundesrat sei nicht befugt gewesen, die in den Bundesbeschlüssen von 1953 und 1956 vorgesehene Freigabe möblierter Einzelzimmer auf dem Verordnungsweg wieder einzuschränken. Die Rüge betrifft aus den bereits angeführten Gründen ein Sachgebiet, das in die Entscheidungskompetenz des Richters fällt. Sie ist daher zu überprüfen, und zwar, da in Art. 14 Abs. 1 PKB vom 10. Juni 1953 und in Art. 15 Abs. 1 PKB vom 28. September 1956 dem Bundesrat die Ermächtigung zum Erlass der erforderlichen Ausführungsvorschriften vorbehaltlos erteilt wurde, nur unter dem Gesichtspunkt, ob die beanstandeten Verordnungsvorschriften objektiv geeignet sind, das von der Delegationsnorm gesetzte Ziel zu erreichen (
BGE 84 IV 76
).
Diese Frage ist zu bejahen. Eine Preiskontrolle, auch eine beschränkte, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie wirksam ist, d.h. wenn die Bestimmungen, auf der sie beruht, eingehalten werden. Wäre es nach der Freigabe der Vermietung von Einzelzimmern gestattet, ein Haus ganz oder zum grössern Teil einzelzimmerweise zu vermieten, so würden diese Objekte der behördlichen Mietzinskontrolle entzogen, und der Vermieter wäre in der Festsetzung der Mietzinse frei, während der Eigentümer, der sein Haus als Ganzes oder wohnungsweise vermietet, der Preiskontrolle unterstellt bliebe. Als Folge dieser Ungleichheit wäre zu befürchten, dass viele der von der Preiskontrolle betroffenen Hauseigentümer der Versuchung nicht widerstehen könnten, ihr Haus oder ihre Wohnungen ebenfalls einzelzimmerweise zu vermieten, um sich der behördlichen Bewilligungspflicht zu entziehen. Dass eine solche Umgehung der Mietzinskontrollvorschriften dem Zweck der Preiskontrolle zuwiderlaufen, ja dessen Erreichung in erheblichem Umfange in Frage stellen würde, ist offensichtlich. Die beanstandeten Verordnungsvorschriften, deren Sinn gerade darin besteht, dieser Gefahr zu begegnen, stehen somit im Einklang mit den Absichten des Gesetzgebers
BGE 85 IV 67 S. 72
und können nicht als gesetzwidrig bezeichnet werden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
521942cc-44db-4ec0-bf6f-d88ba4978b07 | Urteilskopf
137 III 158
28. Estratto della sentenza della I Corte di diritto civile nella causa A. contro B. (ricorso in materia civile)
4A_206/2010 del 15 dicembre 2010 | Regeste
Art. 41 und 84 OR
; in ausländischer Währung lautende Geldschulden; ausservertragliche Verpflichtungen.
Art. 84 OR
ist auch auf Forderungen aus unerlaubter Handlung anwendbar und folglich auch in einem Schadenersatzprozess (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 159
BGE 137 III 158 S. 159
A.
In data 28 maggio 2002 B. ha sottoscritto una dichiarazione giurata (
affidavit
), in cui ha segnatamente dichiarato che D., direttore e azionista principale della C. SA, aveva comperato nel proprio interesse e per il tramite di una società di sua proprietà (A.) una nave, al cui acquisto era pure interessata F., cliente della C. SA.
Sulla base di tale documento la F. ha chiesto e ottenuto dalla Federal High Court of Nigeria di Lagos l'emanazione, il 13 giugno 2002, di un decreto di sequestro della predetta nave.
B.
In realtà la A. era estranea a D. e in ogni caso l'acquisto della nave era avvenuto dopo che F. vi aveva rinunciato per mancanza dei mezzi finanziari necessari. L'11 aprile 2006 B. è stato condannato penalmente per falsità in documenti, per aver attestato fatti non veri in una dichiarazione giurata (
affidavit
) redatta da un terzo.
C.
C.a
A. ritiene B. responsabile dei seguenti danni che avrebbe subito dalla procedura di sequestro:
- USD 130'000 per il mancato noleggio della nave;
- USD 77'000 per il mancato incasso di controstallie;
- USD 91'000 quale perdita di guadagno per il mancato utilizzo della nave;
- USD 1'850'000 per la perdita subita al momento della vendita della nave;
- USD 313'992 per spese di varia natura;
- GPB 70'579 per le note dei legali nigeriani;
- EUR 86'320 per le note dei legali italiani;
- USD 43'819 per le note dei legali panamensi;
- MTL 8'317 per le note dei legali maltesi.
C.b
Intenzionata a ottenere il risarcimento di tale pregiudizio, il 30 settembre 2003 A. ha adito direttamente il Tribunale d'appello del Cantone Ticino, chiedendo la condanna di B. ex art. 41 segg. CO al pagamento "dell'importo più alto tra (i) un importo in CHF pari alla somma di USD 2'191'819, GPB 70'579, EUR 86'320 e MTL 8'317 ai rispettivi tassi di cambio al giorno della sentenza e (ii) CHF 3'532'393", oltre interessi.
Con sentenza 1° marzo 2010, la II Camera civile del Tribunale d'appello ha respinto la petizione, perché l'attrice ha postulato il pagamento di una somma in franchi svizzeri nonostante il fatto che il debito sia stato contratto in valuta estera.
BGE 137 III 158 S. 160
D.
Il 19 aprile 2010 A. è insorta dinanzi al Tribunale federale con un ricorso in materia civile tendente, in via principale, all'annullamento della sentenza cantonale e al rinvio degli atti al Tribunale d'appello, affinché si pronunci nel merito della causa. In via subordinata ha invece domandato la modifica della predetta decisione nel senso dell'integrale accoglimento della petizione.
Con risposta 4 agosto 2010 B. ha proposto la reiezione del ricorso.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso.
(riassunto)
Erwägungen
Dai considerandi:
3.
La prima censura ricorsuale concerne l'applicabilità dell'
art. 84 CO
alla fattispecie in esame, che la ricorrente contesta per due motivi.
3.1
Innanzitutto perché la vertenza riguarda una pretesa extra-contrattuale, fondata su di un atto illecito (art. 41 segg. CO), e pertanto - a dire della ricorrente - non soggetta alla norma citata.
La convinzione della ricorrente è sbagliata. L'applicazione dell'
art. 84 CO
- che tratta della moneta del pagamento dei debiti pecuniari - non è infatti riservata all'adempimento delle obbligazioni contrattuali. Come osservato dall'opponente nella risposta, l'
art. 84 CO
si riferisce ai debiti pecuniari ("Geldschulden", "dettes d'argent") in generale, indipendentemente dalla loro causa, contrattuale o extracontrattuale (cfr. sentenza 4C.191/2004 del 7 settembre 2004 consid. 6, in SJ 2005 I pag. 174 segg., relativa a una domanda di risarcimento danni per violazione contrattuale;
DTF 115 III 36
consid. 3, relativa a un'azione per indebito arricchimento; URS LEU, in Basler Kommentar, Obligationenrecht vol. I, 4
a
ed. 2007, n. 7 ad
art. 84 CO
; ROLF H. WEBER, Berner Kommentar, 2
a
ed. 2005, n. 71 e 318 seg. ad
art. 84 CO
; MARIUS SCHRANER, Zürcher Kommentar, 3
a
ed. 2000, n. 29, 81-84, 182 seg. ad
art. 84 CO
; GUHL/KOLLER/SCHNYDER/DRUEY, Das schweizerische Obligationenrecht, 9
a
ed. 2000, § 11 n. 1 segg. pag. 89).
3.2
Secondariamente la ricorrente contesta l'applicabilità dell'
art. 84 CO
perché, contrariamente a quanto ritenuto dalla Corte cantonale, la controversia non ha per oggetto un debito espresso in valuta estera ("Fremdwährungsschuld", "dette exprimée dans une monnaie étrangère"). Malgrado il fatto che il danno patrimoniale da lei patito si sia verificato all'estero ("Schuldwährung") - spiega la ricorrente - la valuta con la quale dev'essere effettuato il pagamento del debito con
BGE 137 III 158 S. 161
effetto liberatorio ("Erfüllungswährung") non è infatti quella straniera bensì quella svizzera.
3.2.1
Questa sua tesi si fonda sull'opinione espressa da ROLF H. WEBER, il quale, premesso che in presenza di pretese pecuniarie di origine extra-contrattuale la questione della valuta mediante la quale dev'essere saldato il debito non può essere risolta in maniera generale, ammette se del caso, per motivi di praticità, la possibilità di far capo alla moneta del paese in cui si è verificato l'atto illecito (op. cit., n. 318 ad
art. 84 CO
).
Posto che in concreto, l'atto illecito (l'allestimento del falso
affidavit
) è stato perpetrato in Svizzera, che le parti hanno pattuito l'applicabilità del diritto svizzero alla vertenza e che sono state le autorità elvetiche a condurre la procedura penale sfociata nella condanna dell'opponente, la ricorrente si reputa legittimata a chiedere e ottenere un risarcimento in franchi svizzeri.
3.2.2
Nemmeno questa argomentazione ricorsuale può venir condivisa.
In primo luogo va precisato che lo stesso ROLF H. WEBER, visti i diversi tipi di obbligazioni extra-contrattuali possibili, predilige piuttosto un approccio individualizzato, che permetta di tener debitamente conto delle circostanze specifiche del caso concreto (op. cit., n. 318 ad
art. 84 CO
), ed evoca solo sussidiariamente la possibilità di far capo alla moneta del paese in cui si è verificato l'atto illecito.
Altri autori, considerato che la domanda di risarcimento danni mira alla compensazione della reale perdita di valore subita, propongono invece di tener conto della moneta dello stato in cui si è verificata la perdita patrimoniale (MARIUS SCHRANER, op. cit., n. 182 ad
art. 84 CO
; cfr. per il diritto tedesco STAUDINGER/SCHMIDT, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1997, n. 28 ad § 244 BGB).
L'argomento è convincente. Considerato che il danno si definisce - nel senso giuridico del termine - come una diminuzione involontaria del patrimonio netto, corrispondente alla differenza fra lo stato attuale del patrimonio del danneggiato e quello presumibile se l'evento dannoso non si fosse prodotto (
DTF 133 III 462
consid. 4.4.2 pag. 471 con rinvii), e che lo scopo della domanda di risarcimento è quello di rimediare a tale danno, appare sensato provvedervi mediante la valuta nella quale la diminuzione del patrimonio si è realizzata.
BGE 137 III 158 S. 162
In una fattispecie come quella in esame, nella quale le varie posizioni di danno vantate dalla ricorrente si sono tutte concretamente verificate in uno stato straniero e hanno potuto essere determinate con precisione nella relativa moneta (cfr. quanto esposto sub C.a), la decisione di ammettere che il debito debba essere saldato in quella stessa moneta appare dunque corretta.
3.3
Ne discende l'applicabilità dell'
art. 84 CO
alla causa in esame. | null | nan | it | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
521a38a6-9af8-452a-9694-611301534fe8 | Urteilskopf
116 Ib 367
46. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. November 1990 i.S. Zentrale Inkassostelle der Kies- und Transportwerke Bern und Umgebung und Mitbeteiligte sowie VSL International AG gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (Verwaltungsrechtliche Klagen) | Regeste
Verantwortlichkeit des Bundes für das Verhalten seiner Beamten bei der Submission.
Art. 3,
Art. 10,
Art. 11 VG
;
Art. 41 OR
; V vom 31. März 1971 über die Ausschreibung und Vergebung von Arbeiten und Lieferungen bei Hoch- und Tiefbauten des Bundes (Submissionsverordnung).
1. Zulässigkeit einer verwaltungsrechtlichen Klage nach
Art. 3 Abs. 1,
Art. 20 Abs. 1 VG
, mit der Schadenersatz wegen widerrechtlicher Arbeitsvergebung durch Beamte des Bundes geltend gemacht wird; Abgrenzung zur zivilrechtlichen Klage (E. 1, 2).
2. Widerrechtlichkeit der schädigenden Handlung oder Unterlassung als Voraussetzung der Haftung nach
Art. 3 Abs. 1 VG
und
Art. 41 Abs. 1 OR
(E. 4).
3. Widerrechtlichkeit bei der Submission (
Art. 3 Abs. 1 VG
), besonders nach Art. 8 der Submissionsverordnung: Die Auswahl eines Bewerbers als Generalunternehmer, welcher sich später als zahlungsunfähig erweist, ist nicht widerrechtlich (E. 5).
4. Widerrechtlichkeit bei der Abwicklung des Werkvertrags (
Art. 41 Abs. 1 OR
): erhöhte Sorgfaltspflicht im Interesse der Subunternehmer? (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 368
BGE 116 Ib 367 S. 368
Im Jahre 1986 beschloss der Bund, die Armeeapotheke in Ittigen durch einen grossen Anbau zu erweitern. Das Amt für Bundesbauten schrieb die Arbeiten gemäss Art. 2 Abs. 1 der Submissionsverordnung (SR 172.056.12) öffentlich aus. Acht Unternehmungen bewarben sich für die Bauarbeiten. Am 30. September 1986 übertrug das Amt für Bundesbauten die Baumeisterarbeiten am Ergänzungsbau der Armeeapotheke der Firma Kästli Bau AG, welche das Angebot mit dem niedrigsten Preis eingereicht hatte. Für die Ausführung der Arbeiten zog die Kästli Bau AG zahlreiche Unterakkordanten bei, darunter die heutigen Kläger.
Am 31. Dezember 1987, noch vor Ende der Bauarbeiten, stellte die Kästli Bau AG den Betrieb ein, und im Sommer 1988 wurde
BGE 116 Ib 367 S. 369
der Konkurs über sie eröffnet. Den Unterakkordanten wurde die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts verweigert. Die Gläubiger der 5. Klasse erhielten eine Konkursdividende von 40%.
Am 29. Mai 1989 erhoben die in der Zentralen Inkassostelle der Kies- und Transportbetonwerke Bern und Umgebung zusammengeschlossenen sowie drei weitere Subunternehmer verwaltungsrechtliche Klage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft mit dem Begehren, der Bund habe ihnen den im Konkurs der Kästli Bau AG erlittenen Schaden zu ersetzen. Am 20. September 1989 erhob die VSL International AG, welche ebenfalls als Subunternehmer im Konkurs der Kästli Bau AG zu Schaden gekommen war, verwaltungsrechtliche Klage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft auf Leistung von Schadenersatz.
Nach einer Instruktionsverhandlung am 9. Mai 1990 wurde das Verfahren vorläufig auf die Fragen beschränkt, ob die verwaltungsrechtlichen Klagen zulässig seien, ob - wenn sie zulässig sind - der Bund bei schlechter Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe grundsätzlich für den zwischen Dritten entstandenen Schaden hafte, und ob - wenn dies zutrifft - im vorliegenden Fall die für den Bund handelnden Beamten sich widerrechtlich verhalten haben. Für den Fall, dass anstelle der verwaltungsrechtlichen die zivilrechtliche Klage zulässig sein sollte, erklärten sich die Parteien damit einverstanden, dass der Prozess vor dem Bundesgericht zu Ende geführt werde.
Das Bundesgericht weist die Klagen als verwaltungsrechtliche Klagen und, unter Vorbehalt allfälliger Ansprüche aus
Art. 672 ZGB
, als zivilrechtliche Klagen ab. Bezüglich der Ansprüche aus
Art. 672 ZGB
wird das Verfahren weitergeführt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Kläger stützen ihre Ansprüche auf das Verantwortlichkeitsgesetz. Sind solche Ansprüche des Bundes oder gegen den Bund streitig, urteilt das Bundesgericht als einzige Instanz auf dem Wege der verwaltungsrechtlichen Klage (
Art. 10 Abs. 1 VG
in Verbindung mit
Art. 116 ff. OG
).
b) Das Amt für Bundesbauten erteilte den Auftrag für die Erweiterung der Armeeapotheke einer Unternehmung, über welche später der Konkurs eröffnet wurde. Die Kläger werfen dem Amt für Bundesbauten vor, es hätte dies voraussehen müssen und den Auftrag nicht der Kästli Bau AG erteilen dürfen. Die Kästli
BGE 116 Ib 367 S. 370
Bau AG sei auch sonst mit dem Auftrag überfordert gewesen, was das Amt für Bundesbauten schon anhand der schlechten Referenzen über diese Unternehmung hätte feststellen können. Mit der Erteilung des Auftrages an die Kästli Bau AG habe das Amt für Bundesbauten die Submissionsverordnung verletzt und damit den Schaden, den die Kläger im Konkurs der Kästli Bau AG erlitten hätten, rechtswidrig verursacht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Submissionsverordnung fällt die Beschlussfassung einer Behörde über den Zuschlag ausgeschriebener Arbeiten zwar unter die Verwaltungstätigkeit im weitesten Sinn. Sie ist aber nicht Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber den Bewerbern. Vielmehr nimmt das Gemeinwesen die Offerte eines Bewerbers zum Abschluss eines privatrechtlichen Geschäfts (Werkvertrag) an, während es die Offerten der andern Bewerber ablehnt (
BGE 101 IV 410
E. 1b, mit Hinweis). Dennoch richtet sich die Auswahl eines Bewerbers nach den Vorschriften der Submissionsverordnung, also nach Bestimmungen des öffentlichen Rechts. Soweit die Kläger ihren Anspruch auf Schadenersatz damit begründen, die Arbeiten am Erweiterungsbau der Armeeapotheke seien auf rechtswidrige Weise vergeben worden, erheben sie einen öffentlichrechtlichen Anspruch, der nach
Art. 116 lit. c OG
mit verwaltungsrechtlicher Klage geltend gemacht werden muss.
c) Die verwaltungsrechtliche Klage gegen den Bund auf Leistung von Schadenersatz ist ausserdem nur dann zulässig, wenn ein Beamter den behaupteten Schaden dem Kläger in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit zugefügt hat (
Art. 3 Abs. 1 VG
).
Die Errichtung von Bauten und Anlagen des Bundes gehört zum allgemeinen Aufgabenbereich des Eidgenössischen Departementes des Innern (
Art. 4 lit. g der Verordnung vom 9. Mai 1979 über die Aufgaben der Departemente, Gruppen und Ämter (AufgabenV; SR 172.010.15)
). Innerhalb des Departementes ist das Amt für Bundesbauten zuständig für Neu- und Umbau, Erweiterung und Unterhalt der Bauten und Anlagen des Bundes, eingeschlossen diejenigen des Eidgenössischen Militärdepartementes und der Eidgenössischen Technischen Hochschulen und der mit ihnen verbundenen Anstalten, soweit nicht andere Stellen zuständig sind (Art. 5 Ziff. 8 lit. a AufgabenV). Nach dem Bundesratsbeschluss vom 17. November 1914 betreffend die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von Geschäften (SR 172.011) ist das Eidgenössische
BGE 116 Ib 367 S. 371
Departement des Innern zur Vergebung von Bauarbeiten und Lieferungen in Beträgen über 1 Mio. Franken ermächtigt (Art. 5 Abs. 1 Ziff. 6); das Amt für Bundesbauten ist für solche Vergebungen bis zu Beträgen von 1 Mio. Franken an einen einzelnen Unternehmer ermächtigt (Art. 9 Ziff. 4) und ausserdem gemäss Art. 9 Ziff. 6 zuständig für die "Vorbereitungen für Wettbewerbe in Ansehung von Projekten zu grössern Bauten; Oberleitung und Überwachung der Ausführung der Bauten bei Aufstellung der Pläne und Bauleitung durch Architekten ausserhalb der Baudirektion" (heute: Amt für Bundesbauten).
Die Beamten, welche im Rahmen dieser Zuständigkeitsvorschriften die Baumeisterarbeiten für die Armeeapotheke vergaben und dabei an die Vorschriften der Submissionsordnung gebunden waren, handelten in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit, denn sie durften die Auswahl unter den Bewerbern nicht mit der für das Zivilrecht charakteristischen (Vertrags-)Freiheit treffen.
d) Bevor die Klage beim Bundesgericht erhoben wird, muss der Anspruch beim Eidgenössischen Finanzdepartement geltend gemacht werden (Art. 10 Abs. 2, 20 Abs. 2 VG). Bestreitet der Bund den Anspruch oder erhält der Geschädigte innert drei Monaten keine Stellungnahme, so hat dieser innert weiteren sechs Monaten bei Folge der Verwirkung Klage einzureichen (Art. 10 Abs. 2, 20 Abs. 3 VG). Ausserdem erlischt die Haftung des Bundes, wenn der Geschädigte sein Begehren auf Schadenersatz nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des Schadens, auf alle Fälle nach zehn Jahren seit dem Tage der schädigenden Handlung des Beamten, einreicht (
Art. 20 Abs. 1 VG
).
Die Kästli Bau AG stellte den Betrieb am 31. Dezember 1987 ein; im Sommer 1988 wurde über sie der Konkurs eröffnet. Die Kläger 1 reichten ihre Schadenersatzbegehren am 2. September 1988 und am 9. Dezember 1988 beim Eidgenössischen Finanzdepartement ein. Dieses lehnte mit Schreiben vom 25. November 1988 und vom 4. Januar 1989 die Forderungen ab. Die Begehren und anschliessend die Klage wurden somit rechtzeitig eingereicht. Die Klägerin 2 reichte das Schadenersatzbegehren am 22. Dezember 1988 ein. Das Eidgenössische Finanzdepartement wies es am 3. Juli 1989 ab. Die Klage wurde am 20. September 1989 erhoben. Die Fristen nach
Art. 10 und
Art. 20 VG
sind damit eingehalten.
2.
a) Nach
Art. 117 lit. a OG
ist die verwaltungsrechtliche Klage unzulässig, wenn die zivilrechtliche Klage nach
Art. 41 OG
BGE 116 Ib 367 S. 372
offensteht. Gemäss
Art. 41 lit. b OG
beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz zivilrechtliche Ansprüche von Privaten und Organisationen gegen den Bund, wenn der Streitwert wenigstens Fr. 8'000.-- beträgt.
b) Die Kläger 1 berufen sich, unter Hinweis auf die Unpfändbarkeit des Verwaltungsvermögens, auf eine erhöhte Sorgfaltspflicht des Bundes. Auch die Klägerin 2 macht geltend, das Amt für Bundesbauten habe nach der Vergebung der Arbeiten seine Sorgfaltspflicht verletzt, weil es hinsichtlich der Verwendung des Werklohnes nicht die zum Schutze der Subunternehmer notwendigen Vorkehren getroffen habe.
Die Kläger stützen diese Forderungen somit auf die nach ihrer Auffassung rechtswidrige Erfüllung des mit der Generalunternehmerin abgeschlossenen Werkvertrags. Während sich die Auswahl des Generalunternehmers nach öffentlichrechtlichen Bestimmungen richtet, unterstehen der Abschluss und die Durchführung des Werkvertrags zwischen dem Gemeinwesen und dem Unternehmer allein dem Privatrecht. Der Bund tritt dabei als Subjekt des Zivilrechtes auf. Gemäss
Art. 11 Abs. 1 VG
haftet er in dieser Beziehung nach den Bestimmungen des Zivilrechts. Der eingeklagte Schadenersatzanspruch wird deshalb nach
Art. 41 lit. b OG
vom Bundesgericht als einziger Instanz beurteilt, sofern der Streitwert mindestens Fr. 8'000.-- beträgt. Da der Streitwert im vorliegenden Fall Fr. 8'000.-- überschreitet, sind die eingereichten Klagen als zivilrechtliche Klagen entgegenzunehmen, soweit sie sich auf die Durchführung des mit der Kästli Bau AG geschlossenen Werkvertrags beziehen. Das ist zulässig, weil die Parteien selbst beantragt haben, die Klagen seien als zivilrechtliche Klagen zu behandeln, falls die verwaltungsrechtliche Klage nicht zulässig sein sollte. Da für die zivilrechtliche Klage nach
Art. 41 lit. b OG
keine zu
Art. 10 und 20 VG
analoge Verwirkungsfrist besteht, ist auf die Klagen einzutreten.
c) Die Kläger rufen zur Begründung ihres Anspruches auch
Art. 672 ZGB
an. Sie machen damit einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinne von
Art. 41 lit. b OG
geltend. Die Klagen sind deshalb auch in dieser Hinsicht als zivilrechtliche Klagen entgegenzunehmen.
Nach der Instruktionsverhandlung vom 9. Mai 1990 wurde das Verfahren vorläufig auf die Eintretensfrage und auf die weitere Frage beschränkt, ob ein widerrechtliches Verhalten der Beamten vorliege. Deshalb lässt sich heute nicht entscheiden, ob die Kläger
BGE 116 Ib 367 S. 373
ihren Anspruch zu Recht auf
Art. 672 ZGB
stützen. Falls die Klage nicht sonst gutgeheissen wird, ist das Verfahren in diesem Punkt weiterzuführen.
3.
a) Soweit das OG keine besonderen Bestimmungen enthält (
Art. 40 OG
), finden auf das Verfahren sowohl der verwaltungsrechtlichen als auch der zivilrechtlichen Klage die Vorschriften des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess (BZP; SR 273) Anwendung.
b) Die Kläger 1 haben gemeinsam Klage erhoben. Das ist zulässig, denn gemäss
Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP
können mehrere Personen in der gleichen Klage als Kläger auftreten, wenn gleichartige, auf einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grunde beruhende Ansprüche den Streitgegenstand bilden und die Zuständigkeit des Bundesgerichtes für jeden einzelnen Anspruch begründet ist.
c) Die Klägerin 2 leitet ihre Ansprüche aus dem gleichen Ereignis wie die Kläger 1 ab. Über ihre Ansprüche kann daher im gleichen Urteil entschieden werden, ohne dass die beiden Verfahren zu vereinigen sind.
4.
a) Zwischen den klagenden Subunternehmern und der Beklagten beziehungsweise dem für diese handelnden Amt für Bundesbauten bestanden keine direkten vertraglichen Beziehungen. Die Kläger machen denn auch keine Ansprüche aus Vertrag geltend. Ihr allfälliger Schadenersatzanspruch richtet sich deshalb nach
Art. 3 Abs. 1 VG
, soweit sie geltend machen, das Amt für Bundesbauten habe ihnen den behaupteten Schaden im Submissionsverfahren zugefügt. Soweit sich die Kläger aber darauf berufen, das Amt für Bundesbauten habe sie auch bei der Erfüllung des Werkvertrags geschädigt, stützen sie sich sinngemäss auf das Privatrecht, und ihr allfälliger Schadenersatzanspruch richtet sich nach
Art. 41 Abs. 1 OR
. Sowohl nach
Art. 3 Abs. 1 VG
als auch nach
Art. 41 Abs. 1 OR
haftet die Beklagte nur, wenn sie den behaupteten Schaden den Klägern widerrechtlich zugefügt hat. Im vorliegenden Fall ist somit zu prüfen, ob das Amt für Bundesbauten, das heisst die zuständigen Beamten, bei der Vergebung der Baumeisterarbeiten oder bei der Überwachung des Bauvorganges und den damit verbundenen Aufgaben - durch Tun oder Unterlassen - widerrechtlich gehandelt haben.
b) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre liegt den Blankettnormen nach
Art. 3 Abs. 1 VG
und
Art. 41 Abs. 1 OR
die sogenannte objektive Widerrechtlichkeitstheorie
BGE 116 Ib 367 S. 374
zugrunde. Danach ist die Schadenszufügung widerrechtlich, wenn sie gegen eine allgemeine gesetzliche Pflicht verstösst, sei es, dass ein absolutes Recht des Geschädigten verletzt (Erfolgsunrecht) oder eine reine Vermögensschädigung durch Verstoss gegen eine einschlägige Schutznorm bewirkt wird (Verhaltensunrecht). Die Widerrechtlichkeit liegt im objektiven Normverstoss und entfällt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt (
BGE 115 II 18
E. 3a, mit Hinweisen). Vorausgesetzt wird dabei, dass die verletzten Verhaltensnormen zum Schutz vor solchen Schädigungen dienen (vgl. OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band II/1, 4. Aufl., S. 35 (Rz. 101)).
c) Wer eine Handlung unterlässt, zu der er von der Rechtsordnung nicht verpflichtet ist, verstösst nicht gegen diese und handelt nicht rechtswidrig. Eine allgemeine Rechtspflicht, im Interesse anderer tätig zu werden, besteht nicht. Widerrechtlichkeit durch Unterlassen kann daher nur entstehen, wenn das Gesetz ein Handeln verlangt oder die Unterlassung ausdrücklich ahndet. Dabei versteht sich von selbst, dass die Verletzung einer Handlungspflicht nicht irgendwelche beliebigen Schadenersatzpflichten auszulösen vermag; vielmehr ist die Handlungspflicht nur dann haftpflichtrechtlich von Bedeutung, wenn sie im Interesse des Geschädigten besteht und aus einer Schutzvorschrift zu dessen Gunsten folgt. Widerrechtliche Unterlassung setzt damit eine Garantenstellung für den Geschädigten voraus (
BGE 115 II 19
E. b, mit Hinweisen). Schutznormen, welche eine Garantenstellung begründen, können sich aus irgendeinem Teil des objektiven, selbst des ungeschriebenen Rechts, und aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben (
BGE 115 II 20
E. c, mit Hinweisen).
5.
a) In Anwendung dieser Grundsätze und nach der Praxis ist die Schadenszufügung dann widerrechtlich im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 VG
, wenn die Tätigkeit des Beamten gegen Gebote und Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutze des verletzten Rechtsgutes dienen (
BGE 107 Ib 163
f. E. 3a;
BGE 103 Ib 68
). Ein solcher Verstoss kann unter Umständen in der Überschreitung oder im Missbrauch des dem Beamten durch Gesetz eingeräumten Ermessens liegen. Die Rechtsprechung hat auch die Verletzung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen als widerrechtlich bezeichnet (
BGE 89 I 493
E. e,
BGE 107 Ib 164
).
b) Im vorliegenden Fall kann sich die Widerrechtlichkeit vor allem aus der Verletzung einer Bestimmung der Submissionsverordnung ergeben. Allerdings begründet rechtswidriges Verhalten
BGE 116 Ib 367 S. 375
der Behörde nach dem Gesagten nicht in jedem Fall eine Haftung nach
Art. 3 Abs. 1 VG
, sondern nur dann, wenn es gegen eine Bestimmung der Submissionsverordnung verstösst, welche gerade dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dient. Auch der von den Klägern 1 angerufene
BGE 89 II 47
setzt einen solchen Schutz voraus.
c) Art. 8 der Submissionsverordnung enthält die Grundsätze für die Vergebung von Arbeiten. Nach Abs. 1 sind Arbeiten an denjenigen Bewerber zu vergeben, der das günstigste Angebot macht; das günstigste Angebot ist dabei dasjenige, das bei fachgerechter und rechtzeitiger Ausführung der Arbeiten den tiefsten Preis aufweist. Bei gleich günstigen Angeboten sind zusätzlich frühere gute Leistungen, Wohnsitz oder Geschäftsniederlassung in der Nähe des Ausführungsortes der Arbeiten und die Abwechslung unter den Bewerbern zu berücksichtigen (Abs. 2). Ein Angebot ist nicht zu berücksichtigen, wenn es den Submissionsbedingungen nicht entspricht, verspätet oder inhaltlich ungeeignet ist oder der Bewerber keine genügende Erfahrung und Sachkenntnis aufweist oder unlauteren Wettbewerb treibt (Abs. 3).
Im Unterschied zu einigen kantonalen und kommunalen Submissionsverordnungen ist die Zahlungsfähigkeit des Bewerbers kein Zuschlagskriterium. Die Behörde des Bundes, welche Arbeiten vergibt, hat deshalb nicht zu prüfen, ob ein Bewerber zum Zeitpunkt der Submission und auch später seine Zahlungspflichten erfüllen kann. Die Submissionsverordnung enthält zum vornherein keinerlei Bestimmungen, welche die Gläubiger vor der Wahl eines wirtschaftlich schwachen Bewerbers schützen könnten.
d) Das Amt für Bundesbauten verstiess somit nicht gegen ein zum Schutz der Gläubiger des Bewerbers erlassenes Gebot oder Verbot der Rechtsordnung, als es die Arbeiten für die Erweiterung der Armeeapotheke an die Kästli Bau AG vergab, ohne zu prüfen, ob diese ihre finanziellen Verpflichtungen erfüllen konnte. Sein Verhalten ist nicht widerrechtlich im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 VG
; der Bund haftet wegen der Vergebung der Arbeiten nicht für den Schaden, den die Gläubiger der Kästli Bau AG im Konkurs erlitten.
e) Die Kläger berufen sich zusätzlich auf den Schutz von Treu und Glauben. Zur Begründung verweisen sie auf ihr Vertrauen in die richtige Anwendung der Submissionsverordnung. Da jedoch das Amt für Bundesbauten bei der Vergebung der Arbeiten die Submissionsverordnung nicht verletzt hat, erweisen sich die Vorbringen der Kläger als unbegründet.
BGE 116 Ib 367 S. 376
6.
a) Soweit die Kläger rügen, die handelnden Beamten hätten auch nach der Vergebung der Arbeiten ihre Sorgfaltspflicht verletzt, berufen sie sich nicht auf eine ausdrückliche Vorschrift, welche eine Garantenstellung im Sinne von
Art. 41 Abs. 1 OR
und damit eine erhöhte Sorgfaltspflicht der Bundesorgane im Interesse der Subunternehmer begründet, wenn Bauarbeiten an einen Generalunternehmer vergeben werden. Sie tun dies zu Recht nicht, denn das Bundesprivatrecht kennt keine derartige Vorschrift.
Damit bleibt zu prüfen, ob die von den Klägern behauptete Sorgfaltspflicht sich aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz ergibt.
b) Zunächst trifft denjenigen eine Schutzpflicht, der eine Gefahr schafft (vgl. für die Haftung des Staates
BGE 89 I 493
E. e). Der Bund hat mit der Vergebung der Arbeiten an die Kästli Bau AG indessen keine Gefahrensituation geschaffen, die für ihn eine Schutzpflicht im Interesse der Subunternehmer zur Folge gehabt hätte.
c) Auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben können die Kläger nichts für sich ableiten, denn wo jemand weder nach Vertrag noch nach Gesetz zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist, kann eine solche Pflicht höchstens in engen Grenzen bestehen. Es würde jedenfalls zu weit führen, dem Besteller eines Werks gestützt auf
Art. 2 ZGB
allgemein die Pflicht auferlegen zu wollen, beim Abschluss und bei der Abwicklung eines Generalunternehmervertrages geeignete Vorkehren dafür zu treffen, dass die vom Generalunternehmer zu bezahlenden Handwerker für ihre Werklohnforderungen auch wirklich befriedigt werden. Eine solche Pflicht könnte höchstens dort in Erwägung gezogen werden, wo mit Zahlungsschwierigkeiten des Generalunternehmers aufgrund konkreter Anhaltspunkte von Anfang an gerechnet werden muss und der Bauherr wissen muss, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens Vertragspartner des Generalunternehmers zu Schaden kommen, wenn er bei der Durchführung des Werkvertrags nicht die Vorsichtsmassnahmen trifft, die ihm zivilrechtlich möglich sind (
BGE 108 II 311
E. b).
Aus den Akten - unter Berücksichtigung der Beweisanträge, welche die Kläger im Anschluss an die Instruktionsverhandlung gestellt haben - ergeben sich keine Anhaltspunkte, wonach von Anfang an mit der späteren Zahlungsunfähigkeit der Kästli Bau AG hätte gerechnet werden müssen. Dass der Bund im Vertrag mit der Kästli Bau AG einen Vorbehalt - Verwendung der
BGE 116 Ib 367 S. 377
Zahlungen für die Subunternehmer - anbrachte, vermag daran nichts zu ändern. Die Kläger machen nicht geltend, sie selber hätten den Bund auf solche Verdachtsgründe hingewiesen.
d) Eine erhöhte Sorgfaltspflicht und mit ihr eine Haftung des Bundes lassen sich auch nicht daraus ableiten, dass an Liegenschaften, die zum Verwaltungsvermögen gehören, keine Bauhandwerkerpfandrechte errichtet werden können. Das öffentliche Recht bietet keine Grundlage für eine solche Staatshaftung. Das Bundesprivatrecht kennt nur den Anspruch des Bauhandwerkers auf Errichtung eines gesetzlichen Grundpfandrechts, nicht aber eine persönliche Haftung des Grundeigentümers für die Werklohnforderungen von Handwerkern, mit denen dieser nicht in einem Vertragsverhältnis steht. Die Einführung einer solchen Haftung auf dem Wege der Lückenfüllung, wie es die Kläger verlangen, würde nicht in das System unseres Zivilrechts passen, das eine ausservertragliche Haftung nur für widerrechtliche Schädigungen und ungerechtfertigte Bereicherungen kennt (
BGE 103 II 238
f. E. 5).
e) Die zuständigen Beamten haben somit auch bei der Erfüllung des Werkvertrags nicht widerrechtlich gehandelt. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
521b14de-39c0-410c-98a6-1351c6fe72b5 | Urteilskopf
113 II 359
63. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Juni 1987 i.S. U. J. und Mitbeteiligte gegen X. SA (Berufung) | Regeste
Haftung des Luftfrachtführers. Art. 25 des Warschauer Abkommens vom 12. Oktober 1929 (Haager Fassung).
Die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers setzt auch bei Personenschäden den Nachweis voraus, dass er oder seine Leute sich der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts tatsächlich bewusst waren; blosses Erkennenmüssen genügt nicht. | Sachverhalt
ab Seite 359
BGE 113 II 359 S. 359
A.-
Am 26. November 1983 startete der von der X. SA gehaltene und betriebene Jumbo Jet Boeing B-747-283-B zu einem Linienflug Paris-Bogotà mit vorgesehener erster Landung in Madrid. Ungefähr 12 km vom angeflogenen Flughafen Madrid-Barajas entfernt prallte das Flugzeug auf drei sich folgenden Hügeln auf. Der dritte Aufprall und das ausbrechende Feuer führten zur
BGE 113 II 359 S. 360
Zerstörung der Maschine. 181 der insgesamt 192 Personen an Bord fanden den Tod, darunter R.J.
Der Unfall ist im wesentlichen auf folgende Ursachen zurückzuführen: Der durchgeführte Instrumentenflug mit Landeanweisungen bedingte die Eingabe einer Checkliste. Dabei gab der Copilot die Höhe des angeflogenen Flugplatzes richtig mit 1998 Fuss an, doch unterlief ihm bei der Angabe der Überflugshöhe über das äussere Schwellenfunkfeuer in der Anflugschneise ein folgenschwerer Ablesefehler, indem er statt 3282 Fuss 2382 Fuss angab. In der Folge sank das Flugzeug im Anflug unter die vorgeschriebene Überflugshöhe. Daraufhin setzte das Ground Proximity Warning System (GPWS) mit der Warnung ein "Terrain, terrain, whoop, whoop, pull up". Bei diesem System handelt es sich um einen automatisch funktionierenden Radiohöhenmeter, der mit akustischen und optischen Signalen auf potentiell gefährliche Flugbahnen hinweist, insbesondere auf Risiken einer Bodenberührung. Nebst der zitierten akustischen Warnung leuchtet zusätzlich ein rotes Signal mit der Aufschrift "GPWS" oder "Pull up" auf. Kommandant und Copilot nahmen die Warnung wohl zur Kenntnis, beachteten sie indessen nicht, ergriffen insbesondere keine Sofortmassnahmen.
B.-
Am 17. März 1986 klagten die Mutter und die beiden Brüder der getöteten R.J. beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Fluggesellschaft auf Zahlung von rund Fr. 270'000.-- Schadenersatz und Genugtuung. Am 19. Juni 1986 schlossen die Parteien einen Vergleich über die Beschränkung des Verfahrens auf die Frage, ob die Beklagte gemäss Art. 25 des Warschauer Abkommens über die in dessen Art. 22 festgesetzten Limiten hinaus hafte; für den Fall der Verneinung dieser Frage durch das Handelsgericht sollte die Beklagte den Klägern vergleichsweise nebst den bereits bezahlten Beträgen noch Fr. 43'400.-- bezahlen. Mit Urteil vom 28. Oktober 1986 wies das Handelsgericht die Klage, soweit sie den vergleichsweise anerkannten Betrag überstieg, ab, weil das von Art. 25 für eine Ausdehnung der Haftung vorausgesetzte subjektive Bewusstsein der objektiv unbestrittenermassen fehlerhaft handelnden Piloten, ihr Verhalten werde wahrscheinlich den eingetretenen Schaden zur Folge haben, von den Klägern nicht bewiesen sei.
C.-
Die Kläger haben gegen das Urteil des Handelsgerichts Berufung eingereicht und beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
BGE 113 II 359 S. 361
zurückzuweisen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung. Das Bundesgericht weist sie ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Zutreffend gehen die Vorinstanz und die Parteien davon aus, dass der Rechtsstreit nach den Vorschriften des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. Oktober 1929 (Warschauer Abkommen, SR 0.748.410, BS 13 653) in der Fassung des Haager Protokolls vom 28. September 1955 (SR 0.748.410.1, AS 1963 663, abgekürzt WA) zu entscheiden ist, dem im Zeitpunkt des Flugzeugabsturzes sowohl Frankreich als Abflugstaat (AS 1963 676) wie Kolumbien als Bestimmungsstaat (AS 1971 1825) beigetreten sind (Art. 1 Abs. 2 WA) und welches auch die Schweiz als möglicher Gerichtsstandsstaat ratifiziert hat (Art. 28 WA; AS 1963 663).
Art. 22 WA beschränkt die Haftung des Luftfrachtführers auf bestimmte Beträge. Die Beschränkung entfällt, wenn die in Art. 25 WA umschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Bestimmung lautet in der für die Auslegung massgebenden (
BGE 108 II 235
E. 4a mit Hinweis) französischen Originalfassung (RO 1963 664):
"Les limites de responsabilité prévues à l'article 22 ne s'appliquent pas s'il est prouvé que le dommage résulte d'un acte ou d'une omission du transporteur ou de ses préposés fait, soit avec l'intention de provoquer un dommage, soit témérairement et avec conscience qu'un dommage en résultera probablement, pour autant que, dans le cas d'un acte ou d'une omission de préposés, la preuve soit également apportée que ceux-ci ont agi dans l'exercice de leurs fonctions."
Die Kläger machen geltend, das Handelsgericht habe das nach Art. 25 WA haftungsbegründende Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, zu Unrecht subjektiv verstanden, anstatt es aus den Umständen zu objektivieren. Absicht werfen auch die Kläger dem Bedienungspersonal nicht vor. Demnach ist zunächst zu prüfen, ob die Vorinstanz die Anwendbarkeit von Art. 25 WA allein aufgrund des von ihr für das Bundesgericht als Tatfrage verbindlich festgestellten fehlenden Bewusstseins (
BGE 95 II 40
E. 3) der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verneinen durfte. Sollte sich diese Auslegung als zutreffend erweisen, kann mit der Vorinstanz offenbleiben, ob die kumulative Voraussetzung, nach der das Verhalten der Besatzung "téméraire" sein muss, erfüllt wäre.
BGE 113 II 359 S. 362
3.
In seinem Anwendungsbereich ist das WA an die Stelle des Landesrechts getreten (vgl.
BGE 108 II 235
E. 4a); es enthält unmittelbar anwendbare Sachnormen. Die Auslegung von Art. 25 WA richtet sich daher ausschliesslich nach Staatsvertragsrecht (vgl.
BGE 110 II 57
f. E. 3a). Sie folgt im allgemeinen dem Grundsatz des Vorrangs des Vertragstextes. Der von den beteiligten Staaten anerkannte und der Auslegung durch das Handelsgericht jedenfalls nicht entgegenstehende Wortlaut von Art. 25 WA bildet den nächstliegenden und zugleich wichtigsten Anhaltspunkt für den gemeinsamen wahren Verpflichtungswillen (
BGE 97 I 363
E. 3 mit Hinweisen), welcher die Vertragsinterpretation beherrscht (
BGE 101 Ia 538
E. 5b). Bei der Ermittlung des Rechtssinns der Norm sind sodann Gegenstand und Zweck des Vertrages zu berücksichtigen, die sich vorab aus dessen Entstehungsgeschichte ergeben können; liegt der Vertragszweck u.a. darin, eine internationale Rechtsvereinheitlichung zu bewirken, wie dies auf Art. 25 WA ausgesprochen zutrifft (GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, Kommentar zum WA, N 12 zu Art. 25), erlangen auch ausländische Urteile und internationale Bemühungen, diese Einheit herbeizuführen, besondere Bedeutung (vgl. dazu etwa
BGE 107 II 63
E. 3).
a) Die Entstehungsgeschichte des Art. 25 WA zeigt, dass diese Bestimmung in ihrer ursprünglichen Fassung die erweiterte Haftung u.a. für den Fall vorsah, dass der Luftfrachtführer oder sein Personal den Schaden durch Fahrlässigkeit herbeigeführt hatte, die nach der lex fori dem Vorsatz gleichstand (BS 13 S. 664). Grund für die fehlende Rechtsvereinheitlichung war das angelsächsische Recht, das - im Gegensatz zum kontinentaleuropäischen Recht - den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht kannte, sondern ihn mit dem Vorsatz unter dem Begriff des "wilful misconduct" zusammenfasste (vgl.
BGE 93 II 347
und dortige Hinweise). Die schweizerische Rechtsprechung ihrerseits legte den ursprünglichen Art. 25 dahingehend aus, dass die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit begründet werde (BGE 93 II ibidem).
Die Neuumschreibung und Vereinheitlichung der Voraussetzungen einer unbegrenzten Haftung des Luftfrachtführers war das umstrittenste Problem der Haager Konferenz zur Revision des Warschauer Abkommens (OTTO RIESE, Die internationale Luftprivatrechtskonferenz im Haag zur Revision des Warschauer Abkommens, Zeitschrift für Luftrecht 5 (1956) S. 30). Die Meinungen,
BGE 113 II 359 S. 363
wo die Vereinheitlichung zu finden sei, gingen weit auseinander (vgl. zur Entstehungsgeschichte RIESE, a.a.O.; RUDOLF GERBER, Die Revision des Warschauer Abkommens, Diss. Zürich 1957, S. 85 f. und insbesondere RENÉ H. MANKIEWICZ, L'origine et l'interprétation de l'article 25 de la Convention de Varsovie amendée à La Haye en 1955, Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht (ZLW) 26 (1977) S. 175 ff.). Grundlage der Beratungen bildeten die Vorschläge des "Legal Committee" von Rio de Janeiro aus dem Jahr 1953, dessen Unterausschuss eine unbegrenzte Haftung in Übereinstimmung mit der bisherigen kontinentaleuropäischen Praxis zu Art. 25 auch bei grober Fahrlässigkeit vorschlug, was indessen nicht die Zustimmung der vorberatenden Kommission fand, die darauf ihrerseits zuhanden der Haager Konferenz einen Vorschlag verabschiedete, der die unbegrenzte Haftung auf Fälle vorsätzlicher Handlungen in der Absicht der Schadensstiftung und unter Ausschluss der groben Fahrlässigkeit beschränkte (MANKIEWICZ, a.a.O., S. 177; GERBER, a.a.O., S. 57 FN 70, S. 59 FN 78 und S. 85 f.). Dieser Vorschlag fand an der Haager Konferenz die Zustimmung namentlich der Vereinigten Staaten, Australiens, Japans und Neuseelands, wurde aber abgelehnt durch die Delegierten der Bundesrepublik Deutschland, Spaniens und Frankreichs, welche die unbegrenzte Haftung nicht auf ausgesprochene Ausnahme- und rein theoretische Fälle beschränkt wissen wollten (MANKIEWICZ, a.a.O., S. 178 f.). In der Folge brachte der norwegische Delegierte den Vorschlag ein (MANKIEWICZ, a.a.O., S. 179), die Schädigung müsse auf ein Verhalten zurückzuführen sein, "... accompli soit avec intention ..., soit avec témérité et sans se soucier, qu'un dommage va probablement en résulter ...". Die Diskussionen um den Begriff des "sans se soucier" führten schliesslich zu demjenigen der "conscience", zum Bewusstsein an Stelle der Sorglosigkeit, und fanden im geltenden Vertragstext ihren Niederschlag. Erwähnenswert ist dabei namentlich, dass der Delegierte der Niederlande gegenüber dem Vorschlag Norwegens ausdrücklich den Vorbehalt anbrachte, dieser ermögliche es dem Richter wiederum, auf objektive Kriterien abzustellen (MANKIEWICZ, a.a.O., S. 181). Weiter wurde eine Formulierung "qu'il savait ou aurait dû savoir" abgelehnt (MANKIEWICZ, a.a.O., S. 184). Ebenfalls abgelehnt wurde zwar ein Antrag Australiens, den in der englischen Fassung verwendeten Begriff "knowledge" auf "actual knowledge" einzuschränken, um eine objektivierte Zurechnung des Bewusstseins in der gerichtlichen
BGE 113 II 359 S. 364
Beurteilung auszuschliessen; begründet wurde die Ablehnung aber damit, der Zusatz sei nicht notwendig und überdies nicht ins Französische und Spanische übersetzbar (MANKIEWICZ, a.a.O., S. 184 f.).
Die Entstehungsgeschichte des Haager Protokolls macht deutlich, dass die Tendenz der Rechtsvereinheitlichung wesentlich auf den anglo-amerikanischen Rechtskreis ausgerichtet war, indem die kontinentaleuropäische Praxis, die für eine unbegrenzte Haftung des Luftfrachtführers auch grobe Fahrlässigkeit genügen liess, bewusst aufgegeben und als zusätzliches Erfordernis das als innere Tatsache verstandene Bewusstsein der Schadenswahrscheinlichkeit in das Übereinkommen aufgenommen wurde. An diesem Ergebnis vermag nichts zu ändern, dass die bundesdeutsche Delegation im Zeitpunkt ihrer Zustimmung zum Haager Protokoll offenbar der Auffassung war, grobe Fahrlässigkeit genüge weiterhin, um die unbegrenzte Haftung des Luftfrachtführers zu begründen (RIESE, a.a.O., S. 33), und auch der Schweizerische Bundesrat in seiner Botschaft diese Interpretation für möglich hielt (BBl 1962 I 1409; FF 1962 I 1457). Die diesbezüglichen Äusserungen, auf die sich die Kläger berufen, stehen in offensichtlichem Widerspruch zu den in dieser Hinsicht entgegen der klägerischen Behauptung eindeutigen Materialien, die auch nichts für den Standpunkt hergeben, dem in Art. 25 WA übrigens klar als kumulative Voraussetzung formulierten Bewusstsein könne gegenüber der "témérité" wegen der Beweisschwierigkeiten nur subsidiäre Bedeutung zukommen. Diese Schwierigkeiten waren den Konferenzteilnehmern durchaus bewusst, weshalb denn auch die Forderung, das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts müsse einem Indizienbeweis zugänglich sein, unwidersprochen blieb (Nachweise bei GULDIMANN, Internationales Lufttransportrecht, N 11 zu Art. 25 WA; GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 19 zu Art. 25 WA; MANKIEWICZ, The Liability Regime of The International Air Carrier, S. 116 f.; vgl. zur Grundsatzfrage auch KUMMER, Berner Kommentar, N 92 zu
Art. 8 ZGB
). Im übrigen bestätigt die Diskussion über die Beweisschwierigkeiten das Ergebnis der historischen Auslegung, ist doch das Bewusstsein der Schadenswahrscheinlichkeit als Wissenselement nur zu beweisen, wenn es subjektiv, d.h. als innere Tatsache verstanden wird, wogegen die objektive, d.h. abstrakte Zurechnung eines hypothetischen Wissens als rechtliche Schlussfolgerung aus den konkreten Umständen nicht Gegenstand der - beweismässigen - Sachverhaltsermittlung
BGE 113 II 359 S. 365
bildet, sondern Rechtsanwendung darstellt (
BGE 99 II 329
; KUMMER, a.a.O., N 96 zu
Art. 8 ZGB
).
b) Zu keinem anderen Auslegungsergebnis führt die teleologische Methode. Das Ziel der Neufassung von Art. 25 WA lag darin, die Voraussetzungen einer unbegrenzten Haftung des Luftfrachtführers zu verschärfen, jedenfalls bezogen auf die kontinentaleuropäische Praxis, welche derjenigen des anglo-amerikanischen Rechtskreises angepasst werden sollte. Gerechtfertigt wurde die Verschärfung damit, dass das Haager Protokoll gleichzeitig die Haftungsgrenzen des Art. 22 Abs. 1 verdoppelte (vgl. zum Grundsatz der Erschwerung der unbegrenzten Haftung die Urteile
BGE 98 II 241
mit Hinweis auf SCHLEICHER/REYMANN/ABRAHAM, Das Recht der Luftfahrt, 3. A. 1966, Bd. II, S. 1004, sowie des deutschen Bundesgerichtshofes vom 16. Februar 1979 in BGHZ 74 (1979) S. 168, und vom 12. Januar 1982 in NJW 1982 I S. 1218; sodann GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 3 und 14 zu Art. 25 WA; GERBER, a.a.O., S. 86; GULDIMANN, a.a.O., N 11 Ziff. 2 zu Art. 25 WA; SESSELI, La notion de faute dans la Convention de Varsovie, Diss. Lausanne 1961, S. 155).
Allfällige Beweisschwierigkeiten (KUMMER, ZBJV 110 (1974) S. 87) vermögen am teleologischen Auslegungsergebnis nichts zu ändern (GULDIMANN, a.a.O., N 11 zu Art. 25 WA; GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 19 a.E. zu Art. 25 WA), zumal es nicht angeht, den Ausnahmecharakter von Art. 25 WA durch eine extensive Auslegung zu unterlaufen.
Dass das Bewusstsein ein tatsächliches sein muss und blosses Erkennenmüssen nicht genügt, wird im übrigen bestätigt durch die im Haager Protokoll neu formulierten Anforderungen an den Begriff einer willentlichen Schädigung. Im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung verlangt Art. 25 WA nicht lediglich Vorsatz, sondern Absicht. Damit sollte klargestellt werden, dass sich das Bewusstsein des Schädigers nicht bloss auf sein Verhalten, sondern auch auf den Erfolg, d.h. den Schaden richten muss (GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 15 zu Art. 25 WA).
c) In der Literatur herrscht die Auffassung vor, das Bewusstseinserfordernis in Art. 25 WA sei subjektiv, als innere Tatsache zu verstehen (vgl. aus dem jüngeren Schrifttum GULDIMANN, a.a.O., N 6 zu Art. 25 WA; GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 17 zu Art. 25 WA; MANKIEWICZ, in ZLW 26 (1977) S. 186; MANKIEWICZ, The Liability ..., S. 117).
BGE 113 II 359 S. 366
Soweit GIESEN (Frühstück in London ..., Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 82 (1983) S. 59) der Auffassung ist, an der streng subjektiven Auffassung könne heute nicht mehr festgehalten werden, ist ihm de lege lata nicht zu folgen. Weder die Berufung auf Beweisschwierigkeiten noch der Hinweis darauf, die 1955 beschlossenen Haftungsgrenzen seien nach heutigen Massstäben nicht mehr als hoch einzuschätzen, rechtfertigen eine von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck abweichende Auslegung, ebensowenig der Hinweis auf die zunehmende wirtschaftliche Tragbarkeit unbegrenzter Ersatzleistungen. Diese Postulate lassen sich allenfalls auf dem Wege einer Vertragsänderung, nicht aber im Verfahren der Rechtsanwendung verwirklichen.
d) Die Rechtsprechung hat sich ebenfalls vornehmlich zur subjektiven Auffassung bekannt, so insbesondere in Belgien, Grossbritannien und Italien (wo allerdings jüngstens die Haftungsgrenzen nach Art. 22 Abs. 1 WA als verfassungswidrig erklärt wurden; vgl. KUHN, Keine Haftungslimitierung ... vor italienischen Gerichten, ZLW 35 (1986) S. 99 ff.), wogegen die französische Praxis vorerst der objektivierten Betrachtungsweise folgte, aber in neuester Zeit eher auch der subjektiven Auffassung zuneigt (Nachweise bei GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 17 zu Art. 25 WA, SCHONER, Die internationale Rechtsprechung zum WA, ZLW 29 (1980) S. 353 ff., MANKIEWICZ, The Liability ..., S. 115 ff. Ziff. 158).
Die Rechtsprechung der Vereinigten Staaten ist insofern nicht aussagekräftig, als die USA dem Warschauer Abkommen bis heute nur in der ursprünglichen Fassung von 1929, nicht aber in derjenigen des Haager Protokolls von 1955 beigetreten sind.
Die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland kann noch nicht als gefestigt bezeichnet werden (GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, SCHONER sowie MANKIEWICZ, je a.a.O.). Abzulehnen ist jedenfalls die vom deutschen Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 16. Februar 1979 angetönte Auffassung, unter Umständen gestatte Art. 25 WA herabgesetzte Anforderungen an eine Haftungsausdehnung, wenn Personen- und nicht Sachschäden zu beurteilen seien (BGHZ 74 (1979) S. 168). Eine solche Differenzierung findet im Staatsvertrag keine Stütze (gleicher Meinung GIEMULLA/LAU/MÖLLS/SCHMID, N 17 zu Art. 25 WA; GIESEN, a.a.O.). Die These ist in der deutschen Rechtsprechung auch mit der Begründung verworfen worden, es lasse sich durchaus die umgekehrte Prämisse vertreten, dass der natürliche Selbsterhaltungstrieb der Besatzung bei Gefahr für Leib und Leben die Erkenntnis
BGE 113 II 359 S. 367
der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts eher hinausschiebe, wenn nicht verdränge (Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 22. Oktober 1980, ZLW 30 (1981) S. 89). Die Richtigkeit dieses dahin verstandenen Gegenarguments, dass der Selbsterhaltungstrieb einem bewussten Bestehenlassen einer Gefahr für Leib und Leben entgegenstehe, führt indessen nicht zwingend zum von den Klägern daraus gezogenen Schluss, bei Personenschäden sei die objektive Betrachtungsweise anzuwenden, da die Annahme des Oberlandesgerichts Frankfurt auf einem Erfahrungssatz beruht, der nicht in jedem Fall zutreffen muss.
Schliesslich hat sich auch das Schweizerische Bundesgericht bei Sachschäden zur subjektiven Auffassung bekannt, indem es für die unbegrenzte Haftung des Luftfrachtführers voraussetzt, der Handelnde müsse sich der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bewusst sein (
BGE 98 II 240
ff. E. 4, insb. S. 242).
4.
An der letztgenannten Rechtsprechung ist auch bei Personenschäden festzuhalten. Sie entspricht - wie dargelegt - Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Zweck und Bedeutung der Ausnahmenorm von Art. 25 WA und steht überdies in Einklang mit der herrschenden internationalen Lehre und Rechtsprechung, entspricht mithin auch dem Bestreben nach Rechtsvereinheitlichung unter den Vertragsstaaten.
Da beweismässig insbesondere feststeht, dass die Piloten auch nach Einsetzen akustischer und optischer Warnsignale des GPWS bis wenige Sekunden vor dem Aufprall in ruhigem Ton weitergesprochen und keine Sofortmassnahmen ergriffen haben, fehlt es am von Art. 25 WA vorausgesetzten Bewusstsein. Die Klageabweisung durch die Vorinstanz ist somit zu bestätigen. Den Klägern muss freilich zugestanden werden, dass die vom Bundesgericht anzuwendende lex lata Fluggesellschaften mit unqualifiziertem Personal begünstigen kann. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
521c91bd-bb71-4748-9133-773128b037a8 | Urteilskopf
140 V 277
37. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_165/2014 vom 25. Juni 2014 | Regeste
Art. 41 Abs. 3 KVG
(in der seit 1. Januar 2009 geltenden Fassung); örtlicher Geltungsbereich.
Art. 41 Abs. 3 KVG
, welcher die anteilsmässige Vergütung von stationären Behandlungen, die aus medizinischen Gründen in einem nicht auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführten Spital stattfinden, durch Versicherer und Wohnkanton vorsieht, ist lediglich auf Behandlungen in der Schweiz anwendbar (E. 4.2). | Sachverhalt
ab Seite 277
BGE 140 V 277 S. 277
A.
A.a
Die 1914 geborene A. ist bei der CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG (nachfolgend: Concordia) obligatorisch krankenpflegeversichert. Während eines Aufenthalts in den USA musste sie vom 26. bis 27. Februar 2012 im Spital B. stationär behandelt werden, wofür ihr der Betrag von USD 16'320.65 zuzüglich Arztkosten von USD 1'136.- und Medikamentenkosten von USD 132.87 in Rechnung gestellt wurde. Hievon übernahm die
BGE 140 V 277 S. 278
Concordia den doppelten Betrag der Kosten, die in der Schweiz vergütet würden (
Art. 36 Abs. 4 KVV
[SR 832.102]), ausmachend Fr. 3'312.- plus Medikamentenkosten von Fr. 122.80 (Schreiben vom 2. Mai 2012).
A.b
Ein Gesuch der A. um anteilsmässige Übernahme der Kosten lehnte die Dienststelle Gesundheit des Kantons Luzern mit Entscheid vom 1. Februar 2013 ab mit der Begründung, eine Mitfinanzierungspflicht des Kantons bei Hospitalisationen im Ausland sei gesetzlich nicht vorgesehen.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 21. Januar 2014 ab.
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei der Kanton Luzern zu verpflichten, den Betrag von Fr. 3'312.- nebst 5 % Verzugszins seit 10. Mai 2012 für die notfallmässige Behandlung im Spital B. in den USA vom 26. bis 27. Februar 2012 zu übernehmen und der Beschwerdeführerin auszuzahlen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Im Streit steht die Frage, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf anteilsmässige Vergütung der durch die stationäre Behandlung in den USA entstandenen Kosten zu Lasten des Wohnkantons hat.
Die seit 1. Januar 2009 geltende Fassung von
Art. 41 Abs. 3 KVG
lautet wie folgt: Beansprucht die versicherte Person bei einer stationären Behandlung aus medizinischen Gründen ein nicht auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführtes Spital, so übernehmen der Versicherer und der Wohnkanton die Vergütung anteilsmässig nach Artikel 49a. Mit Ausnahme des Notfalls ist dafür eine Bewilligung des Wohnkantons notwendig.
3.
Die Vorinstanz erwog, gemäss Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (Urteil K 91/04 vom 15. November 2004, in: RKUV 2005 S. 35) beziehe sich aArt. 41 Abs. 3 KVG (in der bis 31. Dezember 2008 gültig gewesenen Fassung) auf das Verhältnis zwischen inner- und ausserkantonalen Spitälern in der Schweiz. Eine analoge Anwendung auf ein internationales Verhältnis falle ausser Betracht. Im Rahmen der KVG-Revision von 2007 sei in
Art. 41 Abs. 3 KVG
auf eine Unterscheidung zwischen öffentlichen und
BGE 140 V 277 S. 279
öffentlich subventionierten Spitälern auf der einen Seite und nicht subventionierten Privatspitälern auf der anderen Seite verzichtet worden. Ziel dieser Änderung sei die Gleichstellung zwischen öffentlichen und privaten Spitälern. Indes habe
Art. 41 Abs. 3 KVG
, was das Territorialitätsprinzip betreffe, keine Änderung erfahren. Folglich könne die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu aArt. 41 Abs. 3 KVG weiterhin Geltung beanspruchen. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf
Art. 36 KVV
berufe, übersehe sie, dass diese Bestimmung die Leistungspflicht der Krankenversicherer betreffe, nicht aber die Wohnsitzkantone zur Zahlung von Auslandsbehandlungen verpflichte. Die Kostenübernahme von Auslandsbehandlungen richte sich damit abschliessend nach
Art. 34 Abs. 2 KVG
i.V.m.
Art. 36 KVV
. Schliesslich verbiete sich aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung die Annahme einer richterlich zu schliessenden Gesetzeslücke.
4.
4.1
Die Beschwerdeführerin rügt eine Bundesrechtsverletzung dergestalt, dass unter der Herrschaft der neuen, ab 1. Januar 2012 geltenden Spitalfinanzierung nicht an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten werden könne. Auch wenn der Wortlaut des neuen
Art. 41 Abs. 3 KVG
die Auslandsbehandlung nicht explizit erwähne, gehe aus den Materialien zum revidierten KVG klar hervor, dass mit der neuen Spitalfinanzierung generell und ausnahmslos die anteilsmässige Finanzierung (dual-fixe Abgeltung) der Leistungen der stationären Behandlungen durch Wohnkanton und Krankenversicherer eingeführt werden sollte.
Art. 41 Abs. 3 KVG
müsse unter Berücksichtigung dieser neuen Zielsetzung ausgelegt werden.
4.2
Gesetzgeberische Absicht des bis Ende 2008 in Kraft gestandenen aArt. 41 Abs. 3 KVG war es, einen gewissen Lastenausgleich zwischen Kantonen mit unterschiedlichen Spitalversorgungsgraden sowie eine verstärkte Koordination zwischen den Kantonen im Bereich der Spitalplanung zu erzielen (
BGE 133 V 123
E. 3.2 S. 126; erwähntes Urteil K 91/04 E. 3.1; je mit Hinweisen). Der klare Wortlaut des aArt. 41 Abs. 3 machte deutlich, dass sich die Norm lediglich auf medizinisch begründete, ausserhalb des Wohnkantons durchgeführte Behandlungen in der Schweiz bezog. Mit Teilrevision vom 21. Dezember 2007 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG; AS 2008 2049), in Kraft getreten am 1. Januar 2009 (AS 2008 2057), begründete der Bundesgesetzgeber ein neues System der Spitalfinanzierung, welches durch die Kantone bis Ende
BGE 140 V 277 S. 280
2011 umzusetzen war (Abs. 1 der Übergangsbestimmungen [AS 2008 2056]; vgl. auch BERNHARD RÜTSCHE, Neue Spitalfinanzierung und Spitalplanung, 2011, S. 5). Dass sich mit dieser Revision an der Zielsetzung von
Art. 41 Abs. 3 KVG
etwas geändert haben sollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr wird diese mit der neuen Spitalfinanzierung bekräftigt (
BGE 138 II 398
E. 2.3.1-2.3.3 S. 406 f.). In der Botschaft vom 15. September 2004 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Spitalfinanzierung) wird denn auch ausgeführt, es sei klarzustellen, dass der Wohnkanton nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb des Kantons, unabhängig von der Aufführung eines Spitals auf seiner eigenen Liste, den nach Art. 49 (KVG) geschuldeten Anteil zu übernehmen habe, wenn aufgrund medizinischer Notwendigkeit ein ausserhalb seiner eigenen Liste zugelassener Leistungserbringer aufgesucht werden müsse (BBl 2004 5551, 5577 Ziff. 3 zu
Art. 41 Abs. 3 KVG
; vgl. auch BBl 2001 741 ff. betreffend die - vom Parlament abgelehnte - Teilrevision des KVG; vgl. Hinweis in
BGE 138 II 398
E. 2.3.1 S. 406). Die Formulierungen "ausserhalb des Kantons" bzw. "ein ausserhalb seiner eigenen Liste zugelassener Leistungserbringer" machen deutlich, dass die Regelung - nach wie vor - nur ausserkantonale Leistungserbringer (und nicht Leistungserbringer ausserhalb der Schweiz) beschlägt. Insbesondere erhellt dies daraus, dass von einem "zugelassenen Leistungserbringer" die Rede ist, womit der Gesetzgeber Bezug nimmt auf die auf der Spitalliste des Wohn- oder Standortkantons aufgeführten Spitäler (
Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG
; BBl 2004 5576 Ziff. 3 zu
Art. 41 Abs. 1 KVG
; vgl. auch GEBHARD EUGSTER, Bundesgesetz über die Krankenversicherung [KVG], 2010, N. 8 zu
Art. 41 KVG
i.f. S. 283; RÜTSCHE, a.a.O., S. 59 Rz. 124). Zu keinem anderen Ergebnis führen die von der Beschwerdeführerin zitierten Stellen in den Materialien (BBl 2004 5564 Ziff. 1.5, 5569 Ziff. 2.3), welche - ebenso wie die übrigen Teile der Botschaft - nirgends einen Hinweis enthalten auf stationäre Behandlungen im Ausland. Auch der Einwand, der Gesetzgeber habe ausnahmslos (und damit auch für Auslandsleistungen) eine anteilsmässige Finanzierung der stationären Behandlungen beabsichtigt, geht fehl. Diese Annahme trifft bereits für stationäre Behandlungen in der Schweiz nicht zu (BBl 2004 5576 Ziff. 3). Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die Empfehlungen zum Verfahren betreffend die Beiträge der Kantone bei ausserkantonalen Spitalbehandlungen nach
Art. 41 Abs. 3 KVG
der Schweizerischen Konferenz der kantonalen
BGE 140 V 277 S. 281
Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) vom 2. September 2011 (abrufbar unter
http://www.gdk-cds.ch
) beruft, kann sie daraus ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten. Abgesehen davon, dass die Empfehlungen für das Gericht nicht verbindlich sind, bezieht sich die von der Beschwerdeführerin zitierte Empfehlung 1 Ziff. 1.4 ausschliesslich auf Behandlungen in Spitälern der Schweiz.
Nach dem hievor Ausgeführten regelt Art. 41 Abs. 3 (i.V.m. Art. 49a) KVG auch in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung allein stationäre Behandlungen in der Schweiz. Die für Auslandsbehandlungen einschlägige Norm (
Art. 34 Abs. 2 KVG
), welche durch die neue Spitalfinanzierung keine Änderung erfahren hat, sieht eine Leistungspflicht ausschliesslich für die Krankenversicherer vor (erwähntes Urteil K 91/04 E. 4).
4.3
Wie bereits im kantonalen Verfahren macht die Beschwerdeführerin geltend, es sei von einer echten Gesetzeslücke auszugehen, welche richterlicher Schliessung bedürfe. Mit der Vorinstanz verbietet sich jedoch der Schluss auf eine echte Lücke, da sich die Antwort auf die vorliegende Rechtsfrage direkt aus dem Gesetz ergibt und zwar in dem Sinne, dass der Kanton keinen anteilsmässigen Beitrag für die Auslandsbehandlung zu erbringen hat (
Art. 34 Abs. 2 KVG
e contrario). | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
521d3a48-682e-4c71-97e9-9f6cfb655aab | Urteilskopf
103 V 71
19. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1977 i.S. Pannuti gegen Schweizerische Krankenkasse für das Bau- und Holzgewerbe und verwandte Berufe (SKBH) und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 5bis Abs. 4 KUVG
und Art. 12 Vo II.
- Grenzgänger, die aus der Kollektivversicherung der Krankenkasse ausscheiden müssen, können auch dann in deren Einzelversicherung übertreten, wenn die Grenzgängerbewilligung abläuft und krankheitshalber nicht erneuert wird.
- Die Krankenkasse kann die Verpflichtung zur Aufklärung der Kollektivversicherten über ihr Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung dem Arbeitgeber überbinden, bleibt aber für deren Erfüllung verantwortlich. | Erwägungen
ab Seite 72
BGE 103 V 71 S. 72
Aus den Erwägungen:
3.
Vorinstanz und SKBH gehen stillschweigend davon aus, Domenico Pannuti sei auf Ende 1975 aus der bisherigen Arbeitgeberfirma und damit gleichzeitig auch aus der Kollektivversicherung ausgeschieden. Diese Annahme widerspricht den Akten nicht und kann deshalb als zutreffend angesehen werden, bestätigte doch die Firma am 14. Februar 1977, dass sie für den Versicherten wegen dessen Gesundheitszustands für das Jahr 1976 keine Zusicherung (für eine Grenzgängerbewilligung) eingeholt habe. Indessen darf aus den nachstehend darzulegenden Gründen nicht angenommen werden, das Ausscheiden aus der Versicherung sei notwendigerweise eine Folge des Ablaufs der Grenzgängerbewilligung.
4.
a) Nach Art. 14 Abs. 1 lit. b der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die kollektive Krankenversicherung der SKBH erlischt der Versicherungsanspruch "durch Aufgabe der Tätigkeit im kollektivversicherten Betrieb, mit Ausnahme von Art. 15". Dieser Vorbehalt entspricht der Ordnung, Welche
Art. 5bis Abs. 4 KUVG
und Art. 10 ff. Verordnung II vorsehen. Danach besitzt der Versicherte, der aus der Kollektivversicherung ausscheidet, grundsätzlich das Recht, in
BGE 103 V 71 S. 73
die Einzelversicherung der Kasse überzutreten. Auch der Grenzgänger ist dazu berechtigt (EVGE 1968 S. 8 f.). Die Kasse ist ihrerseits gehalten, ihn über dieses Recht in schriftlicher Form aufzuklären (
BGE 100 V 135
). Zwar überträgt Art. 15 Abs. 2 der erwähnten allgemeinen Versicherungsbedingungen die Aufklärungspflicht dem Arbeitgeber, was an sich zulässig ist; die Kasse wird dadurch aber nicht von ihrer Verantwortung für die Erfüllung dieser Obliegenheit entbunden (Beschluss des Gesamtgerichts vom 30. Juni 1975). Kann der Versicherte sein Recht auf Übertritt infolge eines Verschuldens der Kasse nicht geltend machen, so ist er rückwirkend auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Kollektivversicherung in die Einzelversicherung aufzunehmen (Art. 11 Abs. 2 Verordnung II). Ein solches Verschulden kann etwa darin begründet sein, dass die Kasse bzw. der von ihr beauftragte Arbeitgeber der Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist (vgl. dazu
BGE 100 V 135
).
b) Im vorliegenden Fall halten Vorinstanz und SKBH dafür, dass mit dem Ablauf der Grenzgängerbewilligung Ende Dezember 1975 eine Verpflichtung zu weiteren Versicherungsleistungen an den Beschwerdeführer nicht bestehe. Dieser Auffassung kann indessen nicht beigepflichtet werden, da sie im Einzelfall zu stossenden Rechtsungleichheiten führen und vor allem auch den Grundsatz der Gegenseitigkeit verletzen würde. Je nachdem, ob ein Versicherter schon bald nach der Erteilung der in der Regel längstens auf ein Jahr befristeten Grenzgängerbewilligung oder erst kurz vor deren Ablauf erkrankt, könnte er die Versicherungsleistungen während längerer oder nur noch für eine relativ kurze Zeit beanspruchen. Bei geringfügigen Fällen würde die Krankenkasse ihre Leistungen in vollem Umfang erbringen, bei langdauernden Erkrankungen aber gegebenenfalls nur teilweise, und zwar lediglich bis zum Ablauf der Grenzgängerbewilligung und nicht, wie dies das Gesetz beispielsweise für die Krankengeldversicherung vorsieht (
Art. 12bis Abs. 3 KUVG
), während wenigstens 720 Tagen innerhalb von 900 aufeinanderfolgenden Tagen.
Es ist deshalb der vom Bundesamt für Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung geäusserten Ansicht zuzustimmen und der Grenzgänger hinsichtlich seiner Ansprüche gegenüber der Krankenkasse gleich zu behandeln wie jeder andere Versicherte, der sich in derselben gesundheitlichen und versicherungsrechtlichen
BGE 103 V 71 S. 74
Lage befindet. Dies gilt allerdings nur, solange er in der benachbarten Grenzzone wohnt und dort den von der Krankenkasse für notwendig erachteten medizinischen und administrativen Kontrollen zugänglich bleibt. Dass er keinen Wohnsitz in der Schweiz besitzt, ist dagegen unerheblich. Wenn er, obwohl er täglich einen Teil der Zeit im Ausland verbringen muss, bezüglich der Beitragspflicht gleich behandelt wird wie ein Versicherter mit schweizerischem Wohnsitz, so sind ihm auch dieselben Leistungen zu gewähren. Die Kasse darf ihm im Krankheitsfall nicht entgegenhalten, er wohne ausserhalb ihres Tätigkeitsgebietes, nachdem sie zuvor die Beiträge ohne Rücksicht auf seine Stellung als Grenzgänger festsetzte und erhob. Allerdings darf sie ihre Leistungen von dem Zeitpunkt an einstellen, da der Versicherte seinen Wohnsitz von der benachbarten Grenzzone endgültig in eine andere ausländische Gegend verlegt. Das Eidg. Versicherungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf EVGE 1968 S. 8 f.
c) Aus diesen Ausführungen erhellt, dass der Grenzgänger, der aus der Kollektivversicherung ausscheidet, auch dann in die Einzelversicherung übertreten und darin verbleiben kann, wenn die Grenzgängerbewilligung abgelaufen ist. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
5224be4c-accc-4bfa-94b3-a13525926241 | Urteilskopf
89 II 214
30. Urteil der I. Zlvilabteilung vom 25. Junl 1963 i.S. Moser gegen Tang. | Regeste
Trödelvertrag. Internationales Privatrecht.
Rechtswahl, Anforderungen (Erw. 1a).
Trödelvertrag, Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Fehlen einer Rechtswahl (Erw. 1b).
Schadenersatz wegen Nichterfüllung, konkrete und abstrakte Schadensberechnung, OR Art. 97 ff. 42, 191 Abs. 3. | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 89 II 214 S. 214
A.-
Frau Moser, die in Zürich ein Kunst- und Antiquitätengeschäft betreibt, erhielt am 30. März 1959 in Pforzheim von dem damals in Hongkong, heute in New York wohnhaften Antiquitätenhändler Tang 15 chinesische Rollbilder "in Konsignation" (on consignment). Diese Bilder sollten gemäss Vereinbarung der Parteien in den Geschäftsräumen der Frau Moser ausgestellt und wenn möglich verkauft werden. Für die geplante Ausstellung sollte Tang noch weitere Bilder und sonstige Kunstgegenstände chinesischer Herkunft zur Verfügung stellen. Hiezu kam es jedoch nicht, da zwischen den Parteien über den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen Streit entstand. Von den übergebenen 15 Rollbildern verkaufte Frau Moser in der Folge zwei Stück.
B.-
Mit Klage vom 7. Februar/17. April 1961 beantragte
BGE 89 II 214 S. 215
Tang, Frau Moser sei zur Herausgabe der ihr übergebenen Bilder, eventuell zur Bezahlung des vereinbarten Übernahmepreises von Fr. 22'297.60 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und erhob Widerklage, mit der sie eine Schadenersatzforderung von Fr. 10'000. - geltend machte und für diese ein Retentionsrecht an den noch vorhandenen 13 Rollbildern beanspruchte.
Da der Kläger die ihm auferlegte allgemeine Prozesskaution nicht leistete, wies das Bezirksgericht Zürich die Hauptklage von der Hand. Die allein noch anhängige Widerklage wies es mit Urteil vom 30. Mai 1962 für den Betrag von Fr. 2000. - zur Zeit und im übrigen gänzlich ab.
Das Obergericht Zürich, II. Zivilkammer, verwarf die Berufung der Beklagten hiegegen mit Urteil vom 18. Dezember 1962 und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid. Beide kantonalen Instanzen wendeten schweizerisches Recht an.
C.-
Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Beklagte erneut, der Kläger sei in Gutheissung der Widerklage zu verpflichten, ihr Fr. 10'000. - nebst 5% Zins seit 30. Juni 1959 zu bezahlen, und es sei festzustellen, dass ihr für diesen Betrag ein Retentionsrecht an den gemäss Empfangsschein vom 30. März erhaltenen Rollbildern (abzüglich zweier inzwischen verkaufter Stücke) zustehe. Der Kläger ersucht um Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegenstand des Streites bildet ein Vertragsverhältnis des internationalen Schuldrechts. Da mit der Berufung gemäss
Art. 43 OG
nur die Verletzung schweizerischen Rechtes gerügt werden und das Bundesgericht nur dieses überprüfen kann, ist von Amtes wegen die Frage des anwendbaren Rechtes zu untersuchen.
a) Schuldverträge unterstehen nach den Regeln des internationalen Privatrechts der Schweiz dem Rechte, das
BGE 89 II 214 S. 216
die Parteien durch Vereinbarung als massgebend erklärt haben. Diese Unterstellung kann beim Vertragsschluss oder nachträglich, spätestens im Verfahren vor dem kantonalen Sachrichter, vorgenommen werden. Die blosse Anrufung von Bestimmungen des schweizerischen Rechts durch beide Parteien genügt jedoch nicht. Ein auf übereinstimmender Erklärung beruhender Verweisungsvertrag kann vielmehr nur angenommen werden, wenn dabei beide Parteien das Bewusstsein und den Willen hatten, eine Rechtswahl zu treffen (
BGE 88 II 327
,
BGE 87 II 201
und dortige Literaturhinweise).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich ohne nähere Begründung auf Bestimmungen des schweizerischen Rechts berufen. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass sich vorerst die Frage des anwendbaren Rechtes stelle, und erklärt, sie gehe mit dem Kläger darin einig, dass schweizerisches Recht anzuwenden sei. Der Kläger hat sich dazu nicht weiter geäussert. Ob sich unter diesen Umständen eine beidseitige bewusste Rechtswahl annehmen lasse, erscheint als zweifelhaft. Die Frage kann jedoch offen bleiben. Denn selbst beim Fehlen einer Rechtswahl ergibt sich auf Grund der Anknüpfung nach objektiven Gesichtspunkten die Anwendbarkeit schweizerischen Rechts.
b) Mangels einer Rechtswahl durch die Parteien ist das Recht des Landes massgebend, mit dem der Vertrag den engsten räumlichen Zusammenhang aufweist (
BGE 88 II 474
Erw. 3 und dortige Hinweise). Dieser Zusammenhang besteht in der Regel mit dem Recht des Landes derjenigen Partei, welche die charakteristische Leistung des in Frage stehenden Vertragsverhältnisses zu erbringen hat (
BGE 79 II 297
f.,
BGE 88 II 199
und dortige Hinweise).
Bei dem streitigen Vertragsverhältnis handelt es sich um einen Trödelvertrag, wie die Vorinstanz (Urteil S. 5 Erw. 5) mit zutreffender Begründung angenommen hat und im Berufungsverfahren seitens beider Parteien anerkannt wird.
Beim Trödelvertrag liegt das Schwergewicht auf der
BGE 89 II 214 S. 217
Verpflichtung des Trödlers. Dieser hat die für das Rechtsverhältnis charakteristische Leistung zu erbringen, die darin besteht, entweder den vereinbarten Preis für die ihm zum Verkauf überlassene Ware zu bezahlen oder diese zurückzugeben. Da sich im vorliegenden Fall der Wohn- und Geschäftssitz des Trödlers, d.h. der Beklagten, in Zürich befindet, besteht somit der engste räumliche Zusammenhang mit der Schweiz, was zur Anwendbarkeit des schweizerischen Rechtes führt. Auf die Berufung ist somit einzutreten.
2.
Die streitige Widerklageforderung stellt sich als Schadenersatzanspruch dar. Zu dessen Begründung hat die Beklagte im wesentlichen vorgebracht, der Kläger habe sich zur Lieferung noch weiterer Trödelware verpflichtet, sie aber nicht geliefert und sei daher gemäss
Art. 97 ff. OR
schadenersatzpflichtig. Weiter habe er den Vertrag auch dadurch verletzt, dass von den 15 gelieferten Rollbildern 13 Fälschungen gewesen seien. Deswegen sei ihr der Gewinn entgangen, den sie aus dem Verkaufechter Rollbilder hätte erzielen können. Zur Frage der Schadenshöhe hat die Beklagte sodann ausgeführt, hinsichtlich der 13 noch vorhandenen Rollbilder sei von einem Konsignationspreis von DM 21'912. - auszugehen. Von diesen Bildern hätte sie mindestens die Hälfte verkaufen können, und zwar mit einer Gewinnmarge von 50% von oben bzw. 100% von unten gerechnet, so dass sich ihr Gewinn auf mindestens Fr. 11'000. - belaufen hätte. Für die übrigen Kunstgegenstände, die ihr noch hätten übergeben werden sollen, sei ein Konsignationspreis von DM 29'519.60 vorgesehen gewesen; auch von diesen Sachen hätte sie mindestens die Hälfte absetzen können; da bei Artikeln dieser Art die Gewinnmarge etwas geringer sei, nämlich 25% von oben bzw. 33% von unten gerechnet, hätte ihr Gewinn mindestens Fr. 5000. - betragen. Zum Beweis für diese Behauptungen berief sich die Beklagte auf W. Höchstätter, der zu den ersten Fachleuten auf diesem Gebiet gehöre, sowie auf Expertise.
BGE 89 II 214 S. 218
3.
Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass beim Trödelvertrag die Verpflichtung des Trödlers in der Alternativobligation bestehe, entweder den vereinbarten Preis zu bezahlen oder die Ware zurückzugeben. Die Eigenart der Alternativobligation gestalte den Trödelvertrag zu einem bedingt synallagmatischen Vertrag. Da die Beklagte noch keine Wahl getroffen habe, bleibe offen, ob sie gestützt auf
Art. 107 ff. OR
eine Schadenersatzforderung geltend machen könne. Aber selbst wenn sie dies könnte, dürfe sie nicht einfach den Weg der abstrakten Schadensberechnung wählen, wie sie dies getan habe. Sie müsse vielmehr den behaupteten Schaden konkret nachweisen, was sie nicht getan habe; ihre Schadenersatzforderung sei daher mangels Substanzierung abzuweisen.
4.
Mit der Berufung macht die Beklagte unter Hinweis auf zwei Schreiben ihres früheren Anwaltes geltend, sie habe hinsichtlich der ihr übergebenen Bilder ihr Wahlrecht im Sinne der Rückgabe ausgeübt. Die gegenteilige Annahme der Vorinstanz beruhe auf einem offensichtlichen Versehen. In rechtlicher Beziehung habe sie ihren Schadenersatzanspruch nicht auf Art. 107 ff., sondern auf
Art. 97 OR
gestützt.
In bezug auf die ihr nicht gelieferten weiteren Kunstgegenstände sei sie gar nie in die Lage gekommen, ein Wahlrecht auszuüben. Auch hier komme als Rechtsgrundlage für den Schadenersatzanspruch nicht Art. 107, sondern wiederum der von ihr angerufene
Art. 97 OR
in Betracht.
Es erübrigt sich jedoch, die Begründetheit dieser Rügen zu prüfen; denn die Abweisung des Schadenersatzbegehrens durch die Vorinstanz stützt sich letztlich nicht auf die mit ihnen angefochtenen Feststellungen und Erwägungen, sondern auf die Auffassung, dass die von der Beklagten gewählte Methode der abstrakten Schadensberechnung unzulässig sei und für einen konkreten Schadensnachweis die erforderliche Substanzierung fehle.
5.
Die Beklagte wendet demgegenüber in der Berufung
BGE 89 II 214 S. 219
ein, sie habe nie eine abstrakte Schadensberechnung angestellt, sondern einen entgangenen Gewinn unter Berücksichtigung des gewöhnlichen Laufs der Dinge im Sinne von
Art. 42 Abs. 2 OR
geltend gemacht. Darin liege eine konkrete Schadensberechnung.
Dieser Einwand erweist sich jedoch als unstichhaltig.
a) Konkret ist eine Schadenberechnung nur, wenn ganz bestimmte schädigende Ereignisse, oder, bei Geltendmachung entgangenen Gewinns, ganz bestimmte gewinnbringende Ereignisse, die durch das schädigende Verhalten verunmöglicht wurden, nachgewiesen werden können. Das wären hier Verkäufe der Rollbilder an bestimmte Personen zu bestimmten Preisen. Darüber ist aber in den Rechtsschriften der Beklagten nichts zu finden. Insbesondere wird auch der Zeuge Höchstätter nicht zum Beweis von solchen angerufen, sondern nur dafür, dass die Beklagte die Bilder mit Gewinn hätte verkaufen können. Ob dies der Fall sei, ist aber keine Zeugen-, sondern eine Expertenfrage, und Höchstätter hätte daher höchstens als Experte darüber Auskunft geben können.
b) Nach dem schweizerischen Recht ist grundsätzlich ein konkreter Schadensnachweis erforderlich (Art. 99 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 42 Abs. 1 OR
). Ausnahmen hievon müssen also im Gesetz ausdrücklich vorgesehen werden. Die Beklagte beruft sich nun freilich auf
Art. 42 Abs. 2 OR
, wonach der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge abzuschätzen ist. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist aber ausdrücklich auf den nicht ziffernmässig nachweisbaren Schaden beschränkt und enthebt also den Ansprecher nicht der Pflicht zum ziffernmässigen Schadensnachweis, sofern ein solcher möglich ist. Im vorliegenden Fall, wo es sich darum handelt, den aus der Nichtlieferung von Kunstgegenständen und der Lieferung von falschen Bildern angeblich entstandenen Schaden festzusetzen, und wo behauptet wird, deren Verkauf hätte zum Doppelten bezw. zu 133% des Konsignationspreises erfolgen
BGE 89 II 214 S. 220
können, ist ein ziffernmässiger Nachweis dieser Differenz nicht ausgeschlossen.
c) Die entscheidende Frage geht dahin, ob im vorliegenden Fall die von der Beklagten beantragte Methode der Schadensberechnung zulässig sei. Sie ist es nach dem Gesagten nur, wenn sie im Gesetz vorgesehen ist.
Das Bezirksgericht, dem sich die Vorinstanz anschloss, hat angenommen, die Beklagte wolle den in
Art. 215 Abs. 2 OR
vorgesehenen, dem kaufmännischen Verkehr vorbehaltenen Berechnungsmodus anwenden; Voraussetzung hiefür wäre aber, dass die Ware einen Markt- oder Börsenpreis hätte, was hier nicht zutreffe.
Die Beklagte wendet ein, die erste Instanz habe wohl eher
Art. 191 Abs. 2 OR
im Auge gehabt: zudem habe sie den Begriff des Verkäuflichkeitswertes im Sinne von
BGE 78 II 432
ausser acht gelassen.
Die beiden erwähnten Gesetzesbestimmungen gehören zwar dem Kaufrecht an, während hier ein Trödelvertrag in Frage steht. Sie könnten jedoch allenfalls analog angewendet werden, weil der Trödelvertrag eine unverkennbare Verwandtschaft mit dem Kaufvertrag aufweist. Er wurde denn auch früher von einzelnen Autoren wie auch vom Bundesgericht als Kaufvertrag mit Suspensivbedingung der Nichtrückgabe konstruiert (vgl.
BGE 55 II 42
f.; OFTINGER, Der Trödelvertrag, S. 28, Fussnote 36).
Art. 215 OR
fällt jedoch hier nicht in Betracht, weil er vom Verzug des Käufers handelt, d.h. vom Falle, wo dieser seiner Zahlungspflicht nicht nachkommt, während hier die Folgen der Nichterfüllung der Lieferpflicht durch den Verkäufer zur Diskussion stehen. Diesen Fall hat, wie die Beklagte zutreffend bemerkt,
Art. 191 Abs. 2 OR
im Auge. Danach kann der Käufer als seinen Schaden die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Preise, um den er sich einen Ersatz für die nicht gelieferte Sache in guten Treuen erworben hat, geltend machen. Einen solchen Deckungskauf hat aber die Beklagte nicht abgeschlossen. Nur bei Waren, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, kann der Käufer
BGE 89 II 214 S. 221
gemäss
Art. 191 Abs. 3 OR
, ohne sich den Ersatz anzuschaffen, die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem Preis zur Erfüllungszeit als Schadenersatz verlangen. Das ist der sog. abstrakte Schaden (OSER/SCHÖNENBERGER,
Art. 191 OR
N. 10). Von einem Markt- oder Börsenpreis kann hier jedoch nicht die Rede sein. Ihn besitzen nur Waren, die auf dem Markt oder an der Börse regelmässig und zu einem festzustellenden Durchschnittskurs gehandelt werden (OSER/SCHÖNENBERGER Art. 191 N.11). Kunstwerke, um die es sich hier handelt, sind gerade die ausgesprochensten Prototypen von Sachen, die keinen Markt- oder Börsenpreis besitzen; ihnen kommt vielmehr ein gänzlich individueller, ja meist nur ein Liebhaberpreis zu.
Was die Berufung auf den sog. Verkäuflichkeitspreis gemäss
BGE 78 II 432
betrifft, so vermag auch sie der Beklagten nicht zu helfen. In diesem Entscheid wurde allerdings vom Erfordernis eines eigentlichen, auf Kursnotierungen beruhenden Marktpreises als Voraussetzung für die Zulässigkeit der abstrakten Schadensberechnung abgesehen und der Nachweis der blossen Verkäuflichkeit zu einem nach objektiven Gesichtspunkten feststellbaren üblichen Preis als genügend bezeichnet. Dazu wurde aber bemerkt, ein Marktpreis in diesem weiteren Sinne könne nicht angenommen werden, wenn es zwar zu gelegentlichen Abschlüssen gekommen sei, aber zu Preisen, die von den persönlichen besonderen Umständen beim Käufer oder Verkäufer abhingen. Es leuchtet nun ohne weiteres ein, dass dieser Begriff des "Marktpreises im weiteren Sinn" auf den Kauf von Kunstgegenständen, die überhaupt keine "Ware" in diesem Sinn sind, nicht übertragen werden kann.
Andere Ausnahmen vom Prinzip des konkreten Schadensnachweises als die besprochenen kennt das Gesetz nicht. Somit ist die Schadenersatzklage der Beklagten mit der Vorinstanz schon mangels Schadensnachweises zu verwerfen.
6.
In der Schadenersatzforderung von Fr. 10'000. - ist ein Betrag von Fr. 2'000. - mitenthalten, den die
BGE 89 II 214 S. 222
Beklagte dem Kläger als Vorschuss gewährte und der auf den Übernahmepreis der vom Kläger gelieferten Bilder angerechnet werden sollte. Die Vorinstanz hat diese Forderung "zur Zeit" abgewiesen.
Zu dieser Forderung wird in der Berufungsschrift nichts ausgeführt. Es fehlt somit in diesem Punkte an der nach
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
erforderlichen Begründung, was die Berufung insoweit unwirksam macht. Dasselbe gilt auch mit Bezug auf die Frage des von der Beklagten beanspruchten Retentionsrechts.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 18. Dezember 1962 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5230914b-cb08-46a8-9fb8-a8496f9ec55a | Urteilskopf
139 II 243
16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen L. AG und Gemeinde Breil/Brigels (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_646/2012 vom 22. Mai 2013 | Regeste
Beschränkung des Zweitwohnungsbaus (
Art. 75b und 197 Ziff. 9 BV
); unmittelbare Anwendbarkeit der neuen Verfassungsbestimmungen seit dem 11. März 2012.
Überblick über den Meinungsstand (E. 2-7).
Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmungen am 11. März 2012 (E. 8).
Art. 75b Abs. 1 i.V.m.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
enthält ein unmittelbar anwendbares Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in Gemeinden, in denen der 20-%-Anteil erreicht oder überschritten ist (E. 9 und 10).
Dieses Verbot gilt für alle Baubewilligungen, die seit dem 11. März 2012 in den betroffenen Gemeinden erstinstanzlich erteilt worden sind: Vor dem 1. Januar 2013 erteilte Bewilligungen sind auf Anfechtung hin aufzuheben; später erteilte Baubewilligungen sind nach
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
nichtig (E. 11). | Sachverhalt
ab Seite 244
BGE 139 II 243 S. 244
A.
Am 13. Juli 2012 reichte die L. AG ein Baugesuch für ein Mehrfamilienhaus (...) in der Dorferweiterungszone D3 der Gemeinde Breil/Brigels ein. (...)
Gegen das Bauvorhaben erhoben mehrere Stockwerkeigentümer der benachbarten Grundstücke (...) Einsprache. Sie beriefen sich insbesondere auf die Verletzung der neuen Verfassungsbestimmung über Zweitwohnungen (
Art. 75b BV
).
Mit Bau- und Einspracheentscheid vom 20. August 2012 wies der Gemeindevorstand Breil/Brigels die Einsprache ab und erteilte der Bauherrschaft am 21. August 2012 die Baubewilligung unter Auflagen und Bedingungen.
B.
Dagegen reichten die Einsprecher Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden ein. Dieses wies die Beschwerde am 12. November 2012 ab. Es ging davon aus,
Art. 75b BV
und seine Übergangsbestimmungen (
Art. 197 Ziff. 9 BV
) seien erst auf Baubewilligungen anwendbar, die ab dem 1. Januar 2013 erteilt würden.
C.
Dagegen haben die Einsprecher am 13. Dezember 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht erhoben. (...)
Am 22. Mai 2013 hat das Bundesgericht die Beschwerde in öffentlicher Sitzung gutgeheissen. Es hob die angefochtenen Entscheide auf und verweigerte die Baubewilligung.
(Auszug)
Erwägungen
BGE 139 II 243 S. 245
Aus den Erwägungen:
2.
Das Verwaltungsgericht führte aus, dass die neue Verfassungsbestimmung gemäss
Art. 195 BV
an dem Tag in Kraft getreten sei, an dem sie von Volk und Ständen angenommen wurde, mithin am 11. März 2012. Das Stimmvolk habe jedoch dem in
Art. 75b BV
angelegten faktischen Baustopp für Zweitwohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 % nur unter Berücksichtigung der übergangsrechtlichen Regelung von
Art. 197 Ziff. 9 BV
(in den Abstimmungsunterlagen noch
Art. 197 Ziff. 8 BV
) zugestimmt. Der neue
Art. 75b BV
dürfe deshalb nur zusammen mit dem neuen
Art. 197 Ziff. 9 BV
gelesen und verstanden werden. (...)
Daraus ergebe sich, dass bis zum 31. Dezember 2012 schweizweit noch das bestehende Recht gelte. Dies habe zur Folge, dass auch in jenen Gemeinden wie Breil/Brigels, welche die kritische Grenze von 20 % Zweitwohnungen überschritten haben, im Jahr 2012 noch Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt werden durften. (...)
3.
Im gleichen Sinne haben auch die verwaltungsgerichtlichen Abteilungen der Kantone Wallis (Urteil A1 12 176 vom 23. Oktober 2012) und Waadt (Urteil AC.2012.0127 vom 22. November 2012) entschieden. (...)
4.
Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend,
Art. 75b BV
sei am 11. März 2012 in Kraft getreten und müsse ab diesem Zeitpunkt auch angewendet werden. Im vorliegenden Fall sei völlig unstreitig, dass es sich beim Bauvorhaben um einen Zweitwohnungsbau handle und dass der Anteil an Zweitwohnungen in Breil/Brigels über 20 % liege; hieran ändere auch die Verordnung des Bundesrates nichts.
Die den Initianten der Zweitwohnungsinitiative nahestehende Vereinigung Helvetia Nostra, die Beschwerde gegen zahlreiche Baubewilligungen für Zweitwohnungen erhoben hat, vertritt die Auffassung, dass
Art. 75b Abs. 1 BV
genügend präzise sei, um unmittelbar angewendet zu werden. (...) Aus
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
e contrario ergebe sich lediglich, dass Baubewilligungen, die nach dem 11. März 2012 und vor dem 1. Januar 2013 erteilt worden sind, nicht nichtig, sondern anfechtbar seien. Es sei nicht vorstellbar, dass das Volk mit der Zustimmung zur Initiative die massive und missbräuchliche Erteilung von Baubewilligungen für Zweitwohnungen bis zum 31. Dezember 2012 gewollt habe. (...)
BGE 139 II 243 S. 246
5.
Die Gemeinde Breil/Brigels schliesst sich der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Graubünden an. (...) Art. 75b Abs. 1 i.V.m.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
könne auch nicht erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren angewendet werden. Dem stehe bereits die Spezialregelung in
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
entgegen, die auf den Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung abstelle. (...)
6.
In einer ersten Stellungnahme vom 15. März 2012 zur Annahme der Zweitwohnungsinitiative ging das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) davon aus, dass
Art. 75b BV
(...) auf alle Baugesuche anwendbar [sei], die nach dem 11. März 2012 eingereicht werden. Gebe es Zweifel an der Übereinstimmung mit dem neuen Verfassungsartikel, so seien die Baugesuchsverfahren zu sistieren, bis die Ausführungsgesetzgebung in Kraft sei und das Gesuch beurteilt werden könne. (...)
In seinem Erläuternden Bericht zur Verordnung über Zweitwohnungen vom 17. August 2012 (S. 17 f. zu Art. 9) führt das ARE aus, dass
Art. 75b BV
mindestens teilweise direkt anwendbar sei. Namentlich
Art. 75b Abs. 1 BV
, wonach der Anteil an Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde auf 20 % beschränkt sei, lasse sich direkt anwenden, noch bevor das in
Art. 75b BV
vorgesehene Ausführungsrecht erlassen sei. Die Spielräume bei der Auslegung des Begriffs der Zweitwohnung hinderten die direkte Anwendbarkeit nicht. Zwar nehme die Verordnung bloss auf die Gesamtheit der Wohneinheiten und nicht auch auf die Bruttogeschossfläche Bezug (weil die nötigen Daten für die Bruttogeschossfläche nicht innert nützlicher Frist beschafft werden könnten); die 20 %-Quote sei jedoch bereits erreicht bzw. überschritten, wenn sie auch nur für einen der beiden Parameter, nämlich den Gesamtbestand der Wohnungen, erfüllt sei.
7.
In der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.
7.1
[Zusammenfassung: Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der neuen Verfassungsbestimmungen für Baubewilligungen, die vor dem 1. Januar 2013 erteilt wurden, plädieren:
- ERIC BRANDT, Résidences secondaires: premières jurisprudences cantonales, Plaidoyer 6/2012 S. 38 ff., insb. 42 f.;
- JEANRENAUD/SULC, Lex Weber: premiers commentaires de l'ordonnance dans l'attente de la législation d'exécution, Not@lex, Revue de droit privé et fiscal du patrimoine 4/2012 S. 165 ff., insb. 185 f.;
BGE 139 II 243 S. 247
- RAMEL/FAVRE, "Lex Weber": le jour après..., Anwaltsrevue 6-7/2012 S. 279 ff., insb. 285 f.;
- FABIAN MÖSCHING, Ab welchem Zeitpunkt ist die Zweitwohnungsinitiative anwendbar?, Jusletter 10. Dezember 2012, Rz. 25, 35 und 41 ff.;
- GEORG M. GANZ, Zweitwohnungsinitiative: Verfassungsauftrag und Umsetzung, Jusletter 10. Dezember 2012, Rz. 33;
- ROLAND NORER, Zum Geltungsbereich der Zweitwohnungsverordnung, in: Rechtliche Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative, Norer/Rütsche (Hrsg.), 2013, S. 11 ff., insb. 36 f.]
7.2
BERNHARD WALDMANN (Die Zweitwohnungsverordnung [im Folgenden: Zweitwohnungsverordnung], Jusletter 10. Dezember 2012;
derselbe
, Zweitwohnungen - vom Umgang mit einer sperrigen Verfassungsnorm [im Folgenden: Zweitwohnungen], in: SchweizerischeBaurechtstagung 2013, S. 123 ff.) teilt den Ansatz des Verwaltungsgerichts Graubünden, kommt aber zu einem anderen Ergebnis für Baubewilligungen, die am 1. Januar 2013 noch nicht rechtskräftig geworden sind.
Er ist der Auffassung, dass
Art. 75b BV
primär einen Gesetzgebungsauftrag enthalte mit dem Ziel, die Obergrenze des Zweitwohnungsanteils in allen Gemeinden einzuhalten, d.h. auch in solchen, in denen der Anteil heute bereits überschritten sei (Zweitwohnungen, a.a.O., S. 136). Um zu verhindern, dass bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung die Zielsetzungen der neuen Verfassungsnorm unterlaufen werden, statuiere
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
ein vorsorgliches Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen (Zweitwohnungen, a.a.O., S. 140).
Nur
dieses vorübergehende Verbot entfalte unmittelbare Rechtswirkungen; sein Geltungsbereich und Inhalt würden durch die vom Bundesrat erlassene Zweitwohnungsverordnung konkretisiert (Zweitwohnungsverordnung, a.a.O., Rz. 6 und 7; Zweitwohnungen, a.a.O., S. 140 ff.).
Der Bundesrat habe das Inkrafttreten der Verordnung und damit auch den Geltungsbereich des vorsorglichen Baubewilligungsverbots auf den 1. Januar 2013 angesetzt. Dieser Entscheid sei angesichts des Wortlauts von
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
vertretbar (...) (Zweitwohnungen, a.a.O., S. 142/143; Zweitwohnungsverordnung, a.a.O., Rz. 21). (...) Dagegen komme das neue Recht für alle Baubewilligungen zur Anwendung, die am 1. Januar 2013 noch nicht rechtskräftig geworden seien. Die Zweitwohnungsinitiative sei Ausdruck
BGE 139 II 243 S. 248
eines erheblichen öffentlichen Interesses, das eine unmittelbare Anwendung im Beschwerdeverfahren gegen Verfügungen finden müsse, die noch unter dem alten Recht erlassen worden seien (Zweitwohnungsverordnung, a.a.O., Rz. 23 f.; Zweitwohnungen, a.a.O., S. 143).
Nach der von WALDMANN vertretenen Auffassung hätte somit das Verwaltungsgericht (das noch 2012 entschied) die vorliegend streitige Baubewilligung zu Recht nach altem Recht bestätigt; das Bundesgericht, das nach dem 1. Januar 2013 entscheidet, müsste sie jedoch in Anwendung von
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
für nichtig erklären.
7.3
JACQUES DUBEY (La Suisse: son territoire, sa démocratie et son fédéralisme, Le point sur les résidences secondaires et la révision de la LAT, in: Journées suisses du droit de la construction, 2013, S. 93 ff.) vertritt einen ähnlichen Ansatz wie WALDMANN (...).
Im Unterschied zu WALDMANN ist DUBEY jedoch der Auffassung, dass dieses Moratorium für
sämtliche
ab dem 1. Januar 2013 erteilte Bewilligungen für Zweitwohnungen gilt; diese seien nichtig, unabhängig vom Zweitwohnungsanteil in der betreffenden Gemeinde (a.a.O., S. 113 f.). Allerdings hält DUBEY diesen weiten Anwendungsbereich selbst für unverhältnismässig, weshalb der Bundesrat befugt gewesen sei, den Anwendungsbereich des Moratoriums per Polizeiverordnung einzuschränken (a.a.O., S. 124). (...)
7.4
[Zusammenfassung: Andere Autoren teilen die Auffassung des ARE, wonach
Art. 75b Abs. 1 BV
jedenfalls die Bewilligung von Baugesuchen verbiete, die nach diesem Datum eingereicht wurden:
- ARNOLD MARTI, Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative - ungelöste Rätsel und des Pudels Kern, ZBl 113/2012 S. 281 f.;
- MICHEL ROSSINELLI, Résidences secondaires: l'illusion des cantons alpins, Le Temps, 31. August 2012;
- ANASTASI/CANONICA/MOLO, Riflessioni sulla limitazione delle residenze secondarie, Dalla Costituzione al progetto di ordinanza, Jusletter 2. Juli 2012, Rz. 3;
- EMANUEL DETTWILER, Die Zweitwohnungsverordnung. Eine Übersicht mit ausgewählten Schwerpunkten, SJZ 109/2013 S. 89 ff.]
8.
Gemäss
Art. 195 BV
und
Art. 15 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1)
treten Änderungen der Bundesverfassung mit der Annahme durch Volk und Stände in Kraft, sofern die Vorlage nichts anderes bestimmt,
BGE 139 II 243 S. 249
und zwar unabhängig vom Datum ihrer Publikation in der Amtlichen Sammlung (vgl. Botschaft vom 22. Oktober 2003 zum Publikationsgesetz, BBl 2003 7729).
Art. 75b BV
und seine Übergangsbestimmungen sind daher am 11. März 2012 in Kraft getreten.
Verfassungsbestimmungen können genügend bestimmt sein, um mit ihrem Inkrafttreten ohne ausführende Gesetzgebung (ganz oder teilweise) mit Wirkungen auch für Private unmittelbare Anwendung zu finden (vgl. YVO HANGARTNER, Unmittelbare Anwendbarkeit völker- und verfassungsrechtlicher Normen, ZSR 126/2007 I S. 154 ff.). Ob dies der Fall ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (
BGE 139 I 16
E. 4.2.3 S. 25 f. mit Hinweisen).
Verfassungsbestimmungen sind grundsätzlich nach denselben Regeln auszulegen wie Normen des einfachen Gesetzesrechts (
BGE 131 I 74
E. 4.1 S. 80;
BGE 128 I 327
E. 2.1 S. 330 mit Hinweisen; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 109 Rz. 527); allerdings ist gewissen verfassungsrechtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen (vgl. dazu
BGE 139 I 16
E. 4.2 S. 24 ff. mit Hinweisen). Auszurichten ist die Auslegung auf die ratio legis, die zu ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach seinen eigenen, subjektiven Wertvorstellungen, sondern nach den Vorgaben des Gesetz- bzw. Verfassungsgebers aufgegeben ist (
BGE 128 I 34
E. 3b S. 40 f.). Beruht eine Verfassungsbestimmung auf einer Volksinitiative, ist das subjektive Verständnis der Initianten nicht massgeblich. Dagegen können die Begründung der Initiative sowie Argumente und Stellungnahmen der Initianten wie auch der Initiativgegner und der Behörden im Vorfeld der Abstimmung im Rahmen der historischen Auslegung berücksichtigt werden (Urteil 1P.292/2003 vom 5. April 2004 E. 1.4, nicht publ. in:
BGE 130 I 134
.;
BGE 129 I 392
E. 2.2 S. 395).
9.
Ausgangspunkt der Auslegung ist der Text der Verfassungsbestimmung. Dieser lautet:
Art. 75b Zweitwohnungen
1
Der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde ist auf höchstens 20 Prozent beschränkt.
2
Das Gesetz verpflichtet die Gemeinden, ihren Erstwohnungsanteilplan und den detaillierten Stand seines Vollzugs alljährlich zu veröffentlichen.
BGE 139 II 243 S. 250
Art. 197
(...)
9. Übergangsbestimmungen zu Art. 75b (Zweitwohnungen)
1
Tritt die entsprechende Gesetzgebung nach Annahme von Artikel 75b nicht innerhalb von zwei Jahren in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen über Erstellung, Verkauf und Registrierung im Grundbuch durch Verordnung.
2
Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar des auf die Annahme von Artikel 75b folgenden Jahres und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden, sind nichtig.
9.1
Art. 75b Abs. 1 BV
setzt einen Höchstanteil von 20 % für Zweitwohnungen fest. Dieser gilt sowohl für den Gesamtbestand der Wohneinheiten als auch für die für Wohnzwecke genutzte Bruttogeschossfläche einer Gemeinde. Die Verfassungsbestimmung enthält damit eine präzise Vorgabe zum Zweitwohnungsanteil, die grundsätzlich einer direkten Anwendung zugänglich erscheint (anders als der in
Art. 8 Abs. 2 RPG
verwendete unbestimmte Begriff des "ausgewogenen Verhältnisses" von Erst- und Zweitwohnungen). Auch die Formulierung "ist ... beschränkt" deutet darauf hin, dass es sich um eine unmittelbar verbindliche Vorgabe handelt.
Art. 75b Abs. 2 BV
enthält dagegen klarerweise einen Gesetzgebungsauftrag, um die Veröffentlichung von Erstwohnungsanteilplänen und den Vollzug durch die Gemeinden sicherzustellen. Auch
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
geht davon aus, dass es für die Umsetzung von
Art. 75b Abs. 1 BV
weiterer Ausführungsbestimmungen bedarf, insbesondere "über Erstellung, Verkauf und Registrierung im Grundbuch". Hierfür wird dem Gesetzgeber eine Frist von zwei Jahren eingeräumt, ansonsten der Bundesrat befugt ist, die nötigen Ausführungsbestimmungen zu erlassen.
Immerhin lässt sich
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
entnehmen, dass die neue Verfassungsbestimmung schon vor Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen gewisse Rechtswirkungen entfalten soll, insoweit also direkt anwendbar ist. Nach dieser Bestimmung sind Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden, nichtig. Würde man diese Bestimmung isoliert anwenden, wären ab diesem Datum
alle
Baubewilligungen für Zweitwohnungen in der ganzen Schweiz nichtig, unabhängig vom Zweitwohnungsanteil der Gemeinde; dies kann nicht gemeint sein. Vielmehr
BGE 139 II 243 S. 251
ist davon auszugehen, dass
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
auf
Art. 75b Abs. 1 BV
verweist, d.h. der Grundbestimmung zu entnehmen ist, welche Baubewilligungen bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung unzulässig bzw. nichtig sind (so auch WALDMANN, Zweitwohnungen, a.a.O., S. 140).
Art. 75b Abs. 1 BV
begrenzt den Anteil von Zweitwohnungen pro Gemeinde auf höchstens 20 %. Ist dieser Anteil (sei es am Gesamtbestand der Wohneinheiten, sei es an der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche) in einer Gemeinde bereits erreicht oder überschritten, so ergibt sich grundsätzlich unmittelbar aus der Verfassung, dass keine weiteren Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt werden dürfen (so auch ARE, Erläuternder Bericht, S. 17 f.). Umgekehrt dürfen in Gemeinden, die den Plafond noch nicht erreicht haben, neue Zweitwohnungen weiterhin bewilligt werden (vorbehältlich restriktiverer Bestimmungen des kantonalen oder kommunalen Baurechts). Dementsprechend beschränkt sich auch das in
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
enthaltene Bewilligungsverbot für Zweitwohnungen auf Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von 20 % und mehr.
Das Baubewilligungsverbot nach
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
gilt bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung und soll verhindern, dass die angestrebte Plafonierung von Zweitwohnungen auf 20 % negativ präjudiziert wird, indem bereits in der Übergangszeit Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt werden. Es handelt sich somit um ein vorläufiges Verbot, das im Ergebnis einem Baustopp bzw. einer Planungszone gleichkommt, in allen Gemeinden, in denen der 20 %-Anteil erreicht oder überschritten ist.
9.2
Diese Auslegung kann sich auf den Titel der Initiative ("Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen") und die Materialien stützen: So ging der Bundesrat in seiner Botschaft vom 29. Oktober 2008 zur eidgenössischen Volksinitiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!" (BBl 2008 8757 ff., insb. Ziff. 4.2 S. 8766 f. [im Folgenden: Botschaft]) wie auch in den Erläuterungen zur Volksabstimmung vom 11. März 2012 S. 12 (im Folgenden: Abstimmungserläuterungen) davon aus, dass die Initiative zu einem "Baustopp" für Zweitwohnungen in Tourismusorten führen werde (vgl. die Zitate unten E. 11.4).
9.3
Davon gehen im Grundsatz auch die kantonalen Verwaltungsgerichte (oben E. 2 und 3) und die Literatur (oben E. 7) aus. Streitig ist
BGE 139 II 243 S. 252
jedoch, ob dieses Baubewilligungsverbot auf Zweitwohnungsbauten Anwendung findet, die zwischen dem 11. März und dem 31. Dezember 2012 bewilligt worden sind. Dagegen werden im Wesentlichen zwei Einwände erhoben:
- Zum einen wird geltend gemacht, dass die Verfassungsbestimmungen zu unbestimmt seien, um sie unmittelbar anzuwenden, weshalb sie zunächst noch durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber konkretisiert werden müssten. Die Zweitwohnungsverordnung sei jedoch erst am 1. Januar 2013 in Kraft getreten und könne somit auf den streitigen Zeitraum nicht angewendet werden (vgl. dazu im Folgenden, E. 10).
- Zum anderen wird aus
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
e contrario geschlossen, dass bis zum 1. Januar 2013 noch das alte Recht anwendbar sei (vgl. dazu unten, E. 11).
10.
Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verfassungsbestimmung setzt voraus, dass Tatbestand und Rechtsfolgen genügend genau formuliert sind: Das Legalitätsprinzip verlangt eine hinreichende und angemessene Bestimmtheit der anzuwendenden Rechtssätze im Dienste des Gesetzesvorbehalts, der Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Rechtsanwendung (
BGE 135 I 169
E. 5.4.1 S. 173;
BGE 132 I 49
E. 6.2 S. 58 f.; je mit Hinweisen). Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidungen, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab (
BGE 136 I 87
E. 3.1 S. 90 f. mit Hinweisen).
Im Folgenden ist zu prüfen, ob insbesondere der Begriff der Zweitwohnung, der sowohl in Art. 75b Abs. 1 als auch in
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
verwendet wird, hinreichend bestimmt ist, um den Anwendungsbereich des Baubewilligungsverbots bis zur gesetzlichen Konkretisierung umreissen zu können.
10.1
Der Begriff der Zweitwohnung wird nicht nur in
Art. 75b BV
, sondern auch in anderen Gesetzen und Verordnungen verwendet:
In
Art. 8 Abs. 2 RPG
(in der Fassung vom 17. Dezember 2010, in Kraft seit 1. Juli 2011) werden die Kantone verpflichtet, in ihren Richtplänen Gebiete zu bezeichnen, in denen besondere
BGE 139 II 243 S. 253
Massnahmen ergriffen werden müssen, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen sicherzustellen. Der Begriff der Zweitwohnung wird weder im Gesetz noch in der Verordnung definiert. In seiner Planungshilfe für die kantonale Richtplanung "Zweitwohnungen" vom Juni 2010 (Ziff. 3 S. 8) geht das ARE davon aus, dass Zweitwohnung jede Wohnung ist, die keine Erst- oder Hauptwohnung ist. Als Erst- oder Hauptwohnung gelten Wohnungen, die entweder von Ortsansässigen genutzt werden (als Eigentümer oder in Miete), d.h. von Personen mit zivilrechtlichem Wohnsitz nach
Art. 23 ZGB
, oder die von Personen bewohnt werden, die am Ort oder in der Region berufstätig sind bzw. in Ausbildung stehen und über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erstreckt sich die verfassungsmässig vorgesehene Wohneigentumsförderung (
Art. 108 BV
) nur auf Erst- und nicht auf Zweitwohnungen (
BGE 132 I 157
E. 5.3 S. 165 mit Hinweisen). Dementsprechend schliessen Art. 2 Abs. 3 des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974 (WEG; SR 843) und Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 21. März 2003 über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum (Wohnraumförderungsgesetz, WFG; SR 842) Zweit- und Ferienwohnungen von ihrem Anwendungsbereich aus. Die Nutzung einer geförderten Wohnung als Zweitwohnung stellt eine Zweckentfremdung dar (Art. 15 Abs. 1 der Verordnung vom 30. November 1981 zum WEG [VWEG; SR 843.1]). Art. 4 Abs. 1 der Verordnung vom 3. Oktober 1994 über die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge (WEFV; SR 831.411) verlangt, dass die Wohnnutzung am Wohnsitz oder am gewöhnlichen Aufenthalt der versicherten Person erfolgen muss.
Das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1983 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG; SR 211.412.41) unterscheidet zwischen Haupt-, Zweit- und Ferienwohnungen.
Art. 2 Abs. 2 lit. b BewG
i.V.m. Art. 5 der dazugehörigen Verordnung vom 1. Oktober 1984 (BewV; SR 211.412.411) definiert nur die Hauptwohnung, die sich am Ort des rechtmässigen und tatsächlichen Wohnsitzes des Erwerbers befinden muss. Während der Erwerb einer Hauptwohnung bewilligungsfrei ist, kann der Erwerb einer Zweitwohnung bewilligt werden, wenn der Erwerber zum Ort aussergewöhnlich enge, schutzwürdige Beziehungen unterhält (
Art. 9 Abs. 1 lit. c BewG
i.V.m.
Art. 6 BewV
). Dagegen kann der Erwerb einer
BGE 139 II 243 S. 254
Ferienwohnung in einem Fremdenverkehrsort nur im Rahmen des kantonalen Kontingents bewilligt werden (
Art. 9 Abs. 2 BewG
).
An den Zweitwohnungsbegriff knüpfen zudem zahlreiche kommunale Vorschriften über Quoten, Kontingente oder Lenkungsabgaben für Zweitwohnungen an (vgl. z.B.
BGE 136 I 142
ff. betr. Samnaun;
BGE 135 I 233
ff. betr. Chermignon;
BGE 117 Ia 141
ff. betr. Sils;
BGE 116 Ia 207
ff. und Urteil 1P.415/1998 vom 1. Juni 1999, in: RDAT 2000 I Nr. 23 S. 397, beide betr. Paradiso; 1P.404/1997 vom 9. November 1998, in: RDAT 1999 I Nr. 20 S. 76 betr. Minusio;
BGE 112 Ia 65
ff. betr. Bever). In der Regel stellen diese Bestimmungen auf den Wohnsitz der Eigentümer bzw. Mieter ab; z.T. genügt (für eine Hauptwohnung) auch ein längerer Aufenthalt zu Studien- oder beruflichen Zwecken (vgl.
BGE 116 Ia 207
E. 3c S. 212 betr. Paradiso).
Im Urteil 1P.666/1996 vom 23. Januar 1998 (E. 5c) äusserte sich das Bundesgericht zur Regelung der Stadt Zürich, wonach Zweitwohnungen nicht auf den Mindestwohnanteil anzurechnen seien. Die Bestimmung definierte den Zweitwohnungsbegriff nicht; die Stadt wollte hierfür auf den gewöhnlichen Aufenthalt bzw. auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse abstellen. Den Parteien, welche die Unklarheit des Begriffs der Zweitwohnung beanstandet hatten, hielt das Bundesgericht entgegen, dass es auch in anderen Rechtsgebieten (Steuerrecht, Internationales Privatrecht) üblich sei, für die Ermittlung der örtlichen Zugehörigkeit einer Person auf den gewöhnlichen Aufenthalt oder den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse abzustellen und sich diese Begriffe als praktisch handhabbar erwiesen hätten; insofern dürfte ihre Anwendung im vorliegenden Zusammenhang nicht zu grösseren Abgrenzungsschwierigkeiten führen.
10.2
Auch nach allgemeinem Sprachgebrauch steht die "Zweitwohnung" im Gegensatz zur "Erstwohnung" oder "Hauptwohnung". Diese befindet sich am Wohnsitz oder am gewöhnlichen Aufenthaltsort einer Person, an dem sie sich ständig oder über längere Zeit aufhält und i.d.R. auch steuerpflichtig und stimmberechtigt ist. Zweitwohnungen sind demnach grundsätzlich alle Wohnungen, die keine Erstwohnung sind.
Dieses Verständnis liegt der Umschreibung der Zweitwohnung in
Art. 2 lit. a der Verordnung vom 22. August 2012 über Zweitwohnungen (SR 702; im Folgenden: Zweitwohnungsverordnung)
zugrunde. Danach sind Zweitwohnungen Wohnungen, die nicht
BGE 139 II 243 S. 255
dauernd durch Personen mit Wohnsitz in der Gemeinde genutzt werden. Art. 2 lit. b Zweitwohnungsverordnung stellt den Erstwohnungen die Wohnungen gleich, die dauernd durch Personen zu Erwerbs- oder Ausbildungszwecken genutzt werden (lit. b; vgl. dazu Erläuternder Bericht, S. 6).
Dies entspricht grundsätzlich dem Verständnis der Initianten: In ihrem Argumentarium auf der Internetseite des Initiativkomitees, auf die auch in den Abstimmungserläuterungen verwiesen wurde, führten sie aus, dass eine Zweitwohnung eine zweite Wohnung sei, die von Privatpersonen während des Jahres nur zeitweise zu Ferienzwecken genutzt werde, unter Ausschluss von Nebenwohnsitzen für Schul- und Arbeitszwecke (S. 26; vgl. allerdings unten, E. 10.4 zu den "warmen Betten").
10.3
Legt man den Zweitwohnungsbegriff im oben skizzierten Sinne aus, so lässt sich auch der Zweitwohnungsanteil der Gemeinden relativ leicht ermitteln.
Wie das ARE im Erläuternden Bericht (S. 4. f.) darlegt, kann hierfür - zumindest annäherungsweise - auf das eidgenössische Gebäude- und Wohnungsregister abgestellt werden, indem als potenzielle Zweitwohnung jede Wohnung betrachtet wird, der keine Person mit Niederlassung zugeordnet ist (vgl.
Art. 3 lit. b des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2006 über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister [RHG; SR 431.02]
; kritisch wegen der Miterfassung leer stehender Wohnungen JEANRENAUD/SULC, a.a.O., S. 170 f.). Hilfsweise kann auf den Anteil der zeitweise bewohnten Wohnungen gemäss Volkszählung 2000 abgestellt werden (so auch Botschaft, S. 8761 Ziff. 2.2 und S. 8766 Ziff. 4.2).
Gestützt auf diese statistischen Grundlagen hat der Bundesrat im Anhang der Zweitwohnungsverordnung die Gemeinden aufgelistet, von denen zu vermuten ist, dass der Anteil der Zweitwohnungen am Gesamtbestand an Wohnungen über 20 % liegt. Diese Vermutung kann von den Gemeinden widerlegt werden (Art. 1 Abs. 3 Zweitwohnungsverordnung). Es ist davon auszugehen, dass auch Private im Einzelfall eine Überprüfung des Zweitwohnungsanteils einer Gemeinde herbeiführen können, z.B. im Baubewilligungs- oder Beschwerdeverfahren.
Ist schon die 20 %-Grenze für den Gesamtbestand an Wohnungen überschritten, so kann auf eine Ermittlung des
BGE 139 II 243 S. 256
Bruttogeschossflächenanteils der Zweitwohnungen verzichtet werden (so auch WALDMANN, Zweitwohnungen, a.a.O., S. 134; a.M. JEANRENAUD/SULC, a.a.O., S. 168, die beide Kriterien kumulativ anwenden wollen).
10.4
Gegen den oben umschriebenen Begriff der Zweitwohnung kann allerdings eingewendet werden, dass sich die Initiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen" vor allem gegen sogenannte "kalte Betten" und nicht gegen "warme Betten" richtete. In ihrem Argumentarium gingen die Initianten davon aus, dass Ferienwohnungen, die kommerziell vermietet werden (Parahotellerie), keine Zweitwohnungen seien, weil sie viel stärker genutzt würden (durchschnittlich 200 Nächte gegenüber 30 bis 60 Nächten/Jahr bei Zweitwohnungen).
Dementsprechend geht Art. 4 lit. b Zweitwohnungsverordnung davon aus, dass qualifiziert touristisch bewirtschaftete Zweitwohnungen weiterhin bewilligt werden dürfen (vgl. Erläuternder Bericht, S. 11 f.; WALDMANN, Zweitwohnungsverordnung, a.a.O., Rz. 34). Voraussetzung ist, dass die Wohnungen nicht individuell ausgestaltet sind sowie dauerhaft und ausschliesslich zur kurzzeitigen Nutzung durch Gäste zu marktüblichen Bedingungen angeboten werden, sei es im Rahmen strukturierter Beherbergungsformen (Ziff. 1) oder durch den oder die im selben Haus wohnenden Eigentümer oder Eigentümerin (Ziff. 2).
Es wird letztlich Aufgabe des Gesetzgebers sein, diese Fragen zu regeln.
10.5
Unter dem Blickwinkel des Legalitätsprinzips ergibt sich somit Folgendes:
Soweit
Art. 75b Abs. 1 BV
eine absolute Grenze von 20 % am Gesamtwohnungsbestand und an der Wohnnutzfläche jeder Gemeinde festschreibt, besteht Klarheit und Bestimmtheit des Tatbestands und der Rechtsfolge hinsichtlich derjenigen neuen Wohnnutzungen, die unzweifelhaft unter den Zweitwohnungsbegriff fallen und in einer Gemeinde mit eindeutig überschiessendem Zweitwohnungsanteil beabsichtigt sind. Die so erfassten Sachverhalte ("kalte Betten") sind relativ einfach abzugrenzen und nicht komplex. Die mögliche Rechtsänderung wurde schon lange im Voraus publik und das sich daraus ergebende Verbot wurde breit diskutiert; die insoweit betroffenen Normadressaten waren bekannt. Der sofortigen Anwendbarkeit dieses "harten Kerns" der neuen, speziellen Verfassungsnorm steht daher nichts entgegen, auch wenn sie eine nicht unerhebliche Beschränkung der Eigentumsgarantie (
Art. 26 BV
) bedeutet.
BGE 139 II 243 S. 257
Art. 75b BV
bedarf aber in weiten Teilen der Konkretisierung durch Ausführungsvorschriften. Dies gilt einerseits für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in den betroffenen Gemeinden noch Baubewilligungen für bestimmte, besonders intensiv genutzte Arten von Zweitwohnungen ("warme Betten") erteilt werden dürfen. Andererseits ist klärungsbedürftig, ob und inwieweit die Umnutzung von Erst- zu Zweitwohnungen bzw. die Erweiterung und der Ersatz bestehender Zweitwohnungen zulässig ist.
Soweit Ausführungsrecht unabdingbar ist, um den Anwendungsbereich und die Rechtswirkungen der Verfassungsnorm definitiv und exakt bestimmen zu können, beschränkt sich die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 75b Abs. 1 i.V.m.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
auf ein vorsorgliches Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in den betroffenen Gemeinden bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen. Im Ergebnis kommt dieses vorsorgliche Verbot einer Planungszone gleich. Es ist weit auszulegen, um dem Gesetzgeber nicht vorzugreifen und eine Präjudizierung der künftigen Ausführungsbestimmungen zu vermeiden.
Es handelt sich insoweit um eine bloss vorübergehende Einschränkung der Eigentumsgarantie zwischen dem Abstimmungstermin und dem Erlass der Ausführungsbestimmungen. Dieser soll innerhalb von zwei Jahren nach dem Abstimmungstermin erfolgen (
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
). Für derartige vorsorgliche und zeitlich beschränkte Massnahmen sind keine hohen Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm zu stellen.
10.6
Namentlich in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von demjenigen, der dem Urteil
BGE 139 I 16
zugrunde lag:
Die unmittelbare Anwendung der
Art. 121 Abs. 3-6 BV
(Ausschaffungsinitiative) würde zu gravierenden Eingriffen in die Grundrechte der betroffenen Ausländer führen, mit einschneidenden, i.d.R. nicht wieder gutzumachenden Nachteilen für sie und ihre Familien; dabei stellen sich heikle völkerrechtliche Probleme. In dieser Situation verbieten es die Grundsätze der Legalität und der Gewaltenteilung, die neuen Verfassungsbestimmungen (ganz oder teilweise) direkt anzuwenden, bevor der in Abs. 4 ausdrücklich damit beauftragte Gesetzgeber die erforderliche Konkretisierung und Feinabstimmung vorgenommen hat (vgl.
BGE 139 I 16
E. 4.3.4 S. 27 f.).
BGE 139 II 243 S. 258
Im Übrigen richtet sich auch die Übergangsbestimmung zu
Art. 121 BV
(
Art. 197 Ziff. 8 BV
) ausschliesslich an den Gesetzgeber und sieht - anders als
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
- keine unmittelbaren Rechtsfolgen vor.
10.7
Die vorliegend zu beurteilende Rechtslage ist dagegen mit derjenigen nach Annahme der Rothenthurm-Initiative am 6. Dezember 1987 vergleichbar. Damals wurde Art. 24
sexies
Abs. 5 mit folgendem Wortlaut in die damalige Bundesverfassung (aBV) eingefügt:
5
Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und von nationaler Bedeutung sind Schutzobjekte. Es dürfen darin weder Anlagen gebaut noch Bodenveränderungen irgendwelcher Art vorgenommen werden. Ausgenommen sind Einrichtungen, die der Aufrechterhaltung des Schutzzweckes und der bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung dienen.
Die Übergangsbestimmung sah vor, dass schutzzweckwidrige Anlagen, Bauten und Bodenveränderungen, die nach dem 1. Juni 1983 erstellt worden waren, zu Lasten der Ersteller abgebrochen und rückgängig gemacht werden müssten. Sie entfaltete somit (ähnlich
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
) direkte Rechtsfolgen für Private und Gemeinwesen.
Rechtsprechung und Literatur gingen übereinstimmend davon aus, dass
Art. 24
sexies
Abs. 5 aBV
ein unmittelbar anwendbares, eigentümerverbindliches, absolutes Veränderungsverbot enthalte (
BGE 117 Ib 237
E. 2b S. 246 f.;
BGE 118 Ib 11
E. 2e S. 15;
BGE 123 II 248
E. 3a/aa S. 251;
BGE 127 II 184
E. 5b/aa S. 192; Urteile 1A.178/1991 vom 17. Dezember 1992 E. 2a, in: ZBl 94/1993 S. 522; 1A.42/1994 vom 29. November 1994 E. 1a, in: ZBl 97/1996 S. 122, URP 1996 S. 364 und RDAF 1997 I S. 459 und 505; THOMAS FLEINER-GERSTER, Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Stand Oktober 1989, N. 47 zu
Art. 24
sexies
BV
; BERNHARD WALDMANN, Der Schutz von Mooren und Moorlandschaften, 1997, S. 70 ff.; JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, in: Kommentar NHG, Allg. Teil, Keller/Zufferey/Fahrländer [Hrsg.], 1997, 2. Kap. Rz. 91 f.).
Allerdings mussten die Moorbiotope und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und nationaler Bedeutung erst noch durch ein Inventar des Bundes bezeichnet und von den Kantonen parzellenscharf abgegrenzt werden.
Art. 24
sexies
Abs. 5 aBV
wurde daher - bis zur definitiven Festlegung der Schutzobjekte - bei der Prüfung aller Projekte angewandt, die
möglicherweise
ein Schutzobjekt berühren und den Moor- oder Moorlandschaftsschutz negativ präjudizieren
BGE 139 II 243 S. 259
könnten (Urteil 1A.237/1992 vom 21. Dezember 1993 E. 5c mit Hinweisen). Dabei wurde vorläufig - bis zur definitiven Inventarisierung - eine grosszügige Abgrenzung der Moorlandschaften zugrunde gelegt (Urteil 1A.178/1991 vom 17. Dezember 1992 E. 3, in: ZBl 94/1993 S. 522). Später schützte das Bundesgericht eine restriktivere Abgrenzung der fraglichen Moorlandschaft durch Bundesrat und Kanton (
BGE 127 II 184
E. 5 S. 190 ff.).
10.8
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, ist es grundsätzlich möglich, den örtlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Baubewilligungsverbots gemäss Art. 75 Abs. 1 i.V.m.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
zu bestimmen, ohne dem Gesetzgeber vorzugreifen und dessen Gestaltungsspielraum unnötig einzuengen. Sofern es um klassische Ferienwohnungen in Tourismusgebieten geht, ist die Qualifikation als Zweitwohnung ohnehin unstreitig.
Dies belegt der vorliegende Fall: Bereits das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, dass der Zweitwohnungsanteil der Gemeinde Breil/Brigels über 20 % liege, unabhängig davon, ob ein weiter oder enger Zweitwohnungsbegriff zugrunde gelegt wird. Die streitige Baute soll im Rahmen einer Ferienresidenz erstellt werden. Die Beschwerdegegnerin macht selbst nicht geltend, dass eine touristische Bewirtschaftung der Wohnungen vorgesehen sei.
11.
Streitig ist jedoch der zeitliche Anwendungsbereich dieses Baubewilligungsverbots.
11.1
Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist die Rechtmässigkeit von Verwaltungsakten (mangels einer anderslautenden übergangsrechtlichen Regelung) grundsätzlich nach der Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zur beurteilen. Später eingetretene Rechtsänderungen sind nur ausnahmsweise zu berücksichtigen, wenn zwingende Gründe für die sofortige Anwendung des neuen Rechts sprechen (
BGE 135 II 384
E. 2.3 S. 390;
BGE 125 II 591
E. 5e/aa S. 598; je mit Hinweisen; so auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, S. 71 Rz. 327; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 190 f. Rz. 20 f.; MOOR/FLÜCKIGER/MARTENET, Droit administratif, Bd. I, 2012, S. 187 f. und 194 f.). Zwingende Gründe für eine sofortige Anwendung des neuen Rechts hat das Bundesgericht insbesondere im Bereich des Gewässer-, Natur-, Heimat- und Umweltschutzrechts als gegeben erachtet (
BGE 135 II 384
E. 2.3 S. 390).
BGE 139 II 243 S. 260
Art. 75b BV
ist am 11. März 2012 in Kraft getreten (
Art. 195 BV
,
Art. 15 Abs. 3 BPR
). Nach den allgemeinen Grundsätzen ist die Bestimmung (vorbehältlich einer abweichenden Regelung) auf alle Baubewilligungen anwendbar, die ab diesem Datum erteilt worden sind. Dementsprechend ging das Bundesgericht in zwei Urteilen vom 14. Dezember 2012 (1C_215/2012 E. 2.4 und 1C_159/2012 E. 6.2) davon aus, dass
Art. 75b BV
nicht auf Bauvorhaben anwendbar sei, die vor dem 11. März 2012 kantonal letztinstanzlich beurteilt worden waren; eine erstmalige Anwendung von
Art. 75b BV
im Verfahren vor Bundesgericht rechtfertige sich nicht.
11.2
Eine rechtswidrige Verfügung ist im Allgemeinen anfechtbar. Eine Baubewilligung, die geltendem Recht widerspricht, wird somit auf Rekurs oder Beschwerde von der zuständigen Rechtsmittelbehörde aufgehoben. Wird sie nicht angefochten, so wird sie rechtskräftig. Der Widerruf einer rechtskräftigen Baubewilligung ist nur ausnahmsweise, unter qualifizierten Voraussetzungen, möglich und kann u.U. Entschädigungsfolgen nach sich ziehen (
BGE 115 Ib 152
E. 3a S. 155 mit Hinweisen; HALLER/KARLEN, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1999, S. 225 Rz. 821-826).
Von der Anfechtbarkeit zu unterscheiden ist die Nichtigkeit einer Verfügung. Nichtigen Verfügungen geht jede Verbindlichkeit und Rechtswirksamkeit ab. Die Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten. Nach der Rechtsprechung ist eine Verfügung nur ausnahmsweise nichtig, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgrund fallen hauptsächlich funktionelle und sachliche Unzuständigkeit einer Behörde sowie schwerwiegende Verfahrensfehler in Betracht (
BGE 132 II 21
E. 3.1 S. 27 mit Hinweisen).
11.3
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
bestimmt, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden,
nichtig
sind. Was mit Baubewilligungen geschehen soll, die nach Inkrafttreten von
Art. 75b BV
am 11. März 2012, aber vor dem 1. Januar 2013 erteilt wurden, ist nicht ausdrücklich geregelt und deshalb auslegungsbedürftig.
Nach den oben dargelegten allgemeinen Grundsätzen führt eine Verletzung von
Art. 75b Abs. 1 BV
zur Anfechtbarkeit von
BGE 139 II 243 S. 261
Baubewilligungen, die seit Inkrafttreten der Norm am 11. März 2012 erteilt worden sind. Vor diesem Hintergrund kann
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
als eine Verschärfung der Rechtsfolge (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit) ab dem 1. Januar 2013 verstanden werden. Für den Zeitraum davor bleibt es bei der Anfechtbarkeit verfassungswidriger Baubewilligungen.
Es wird aber auch die Auffassung vertreten, der Verfassungsgeber habe mit dieser Regelung nicht nur die Rechtsfolge verschärfen, sondern auch eine spezielle intertemporale Regelung treffen wollen, wonach
Art. 75b Abs. 1 BV
erst auf Baubewilligungen anwendbar sei, die ab dem 1. Januar 2013 erteilt werden. Diese Auslegung wurde insbesondere von den Verwaltungsgerichten Graubünden, Wallis und Waadt gewählt (vgl. oben E. 2 und 3). Sie hätte zur Folge, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen bis zum 31. Dezember 2012 noch nach altem Recht erteilt werden durften.
11.4
Die Übergangsbestimmungen der Initiative wurden im Vorfeld der Abstimmung kaum thematisiert (die Ausführungen des Bundesrats in den Abstimmungserläuterungen S. 7 betreffen den indirekten Gegenvorschlag, d.h. die Übergangsbestimmungen zur Änderung des RPG vom 17. Dezember 2010).
Allerdings gingen die Bundesbehörden und die Gegner der Initiative übereinstimmend davon aus, dass deren Annahme zu einem sofortigen Baustopp für Zweitwohnungen in zahlreichen Gemeinden führen würde. So schrieb der Bundesrat in den Abstimmungserläuterungen (S. 12; Hervorhebung nicht im Original):
"Die Initiative ist zu starr. Die Beschränkung der Zweitwohnungen auf einen fixen Anteil von 20 Prozent aller Wohnungen würde in zahlreichen Gemeinden zu einem
abrupten Baustopp
führen".
Im Dossier 08.073 der Bundesversammlung "Argumentarien contra" zur Volksinitiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen" (Stand 20. Januar 2012, S. 4 unten) wurde ausgeführt:
"Die Initiative würde ein
sofortiges
Umnutzungsverbot von Erst- in Zweitwohnungen und einen
Baustopp
für neue Zweitwohnungen bewirken".
Ähnlich argumentierte Economiesuisse in ihrer Medienmitteilung vom 24. Februar 2012 (Zweitwohnungsinitiative trifft strukturschwache Regionen ins Mark):
"Der Zweitwohnungsanteil soll in allen Gemeinden der Schweiz auf maximal 20 Prozent beschränkt werden. In Regionen, die vom Tourismus leben, ist der Anteil jedoch weit höher. Ein
sofortiger Baustopp
würde die
BGE 139 II 243 S. 262
Tourismuskantone Wallis, Graubünden, Tessin und Bern empfindlich treffen. 136 der 175 Bündner Gemeinden - davon 80 in strukturschwachen Regionen - dürften keine Zweitwohnungen mehr errichten".
Diesen Argumenten widersprachen die Initianten nicht etwa mit Hinweis auf eine Schon- oder Übergangsfrist für die Bewilligung von Zweitwohnungen nach Annahme der Initiative; im Gegenteil: In ihrem Argumentarium hoben sie hervor, dass die Initiative dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen wirksam entgegentrete und ihre Annahme bedeute, dass in Gemeinden mit über 20 % Zweitwohnungen
keine
weiteren Zweitwohnungen mehr gebaut oder Erstwohnungen in Zweitwohnungen umgenutzt werden könnten.
Unter diesen Umständen mussten die Stimmbürger (auch als juristische Laien) mit der sofortigen Anwendung der Initiative im Falle ihrer Annahme rechnen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Abstimmung ohne die Übergangsbestimmung in
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
anders ausgefallen wäre.
11.5
Für die sofortige Anwendung der neuen Verfassungsbestimmungen sprechen auch Sinn und Zweck der Initiative. Wie bereits ihr Titel ("Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!") besagt, soll die Zerstörung von Natur und Landschaften durch den Zweitwohnungsbau beendet werden. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn Zweitwohnungen noch während einer Übergangsfrist von bis zu einem Jahr (je nach Festsetzung des Abstimmungsdatums) nach altem Recht erteilt werden dürften. Es war vorhersehbar, dass eine derartige Übergangsfrist zu einer Flut von Baugesuchen und -bewilligungen kurz vor Jahreswechsel führen würde. Die Initianten erhoben denn auch sofort nach der Abstimmung systematisch Einsprache gegen Baubewilligungen für Zweitwohnungen in Tourismusgemeinden.
11.6
Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
keine Übergangsfrist für die Weiteranwendung des bisherigen Rechts enthält, sondern ab dem 1. Januar 2013 bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung eine verschärfte Rechtsfolge anordnet (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit). Dadurch wird Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt, die Initiative möglichst rasch und wirksam umzusetzen. Würde das Ausführungsgesetz zu viele Ausnahmen zulassen, könnten die Initianten dagegen das Referendum ergreifen, ohne befürchten zu müssen, dass in der Zwischenzeit Baubewilligungen für Zweitwohnungen in den betroffenen Gemeinden
BGE 139 II 243 S. 263
erteilt und rechtskräftig werden könnten. Bei dieser Zielsetzung macht es Sinn, die schwerwiegende Nichtigkeitsfolge erst zu einem Zeitpunkt eintreten zu lassen, in dem frühestens ein Ausführungsgesetz vorliegen könnte, d.h. am 1. Januar des auf die Annahme von
Art. 75b BV
folgenden Jahres.
Für den Zeitraum davor bleibt es dagegen bei den normalen Rechtsfolgen: Baubewilligungen, die nach dem 11. März 2012 und vor dem 1. Januar 2013 erteilt wurden, sind anfechtbar. Werden sie nicht angefochten, erwachsen sie in Rechtskraft und können (vorbehältlich ihres Widerrufs) ausgenützt werden. Baubewilligungen, die vor dem 11. März 2012 erstinstanzlich erteilt wurden, fallen nicht unter die neuen Verfassungsbestimmungen und bleiben gültig, unabhängig vom Zeitpunkt, in dem sie rechtskräftig geworden sind.
11.7
Eine andere Auslegung erscheint auch nicht unter den Aspekten von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes geboten. Besonderen Situationen des Vertrauensschutzes kann im Einzelfall im Baubewilligungsverfahren Rechnung getragen werden (vgl. auch
BGE 139 II 263
). | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
523125d0-cb0f-4ecd-a524-0cbc4170f241 | Urteilskopf
80 II 71
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. April 1954 i. S. Schweiz. Krankenkasse Helvetia gegen Strahm. | Regeste
Genossenschaft, Ausschluss von Mitgliedern.
Zulässigkeit der Berufung; Rechtsnatur des Streits um die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft;
Art. 44, 46 OG
. Zulässigkeit neuer Vorbringen zum Streitwert;
Art. 36 Abs. 2 OG
(Erw. 1).
Tragweite von
Art. 30 KUVG
in Bezug auf Streitigkeiten über den Ausschluss von Krankenkassenmitgliedern (Erw. 2, 3).
Unzulässigkeit der Übertragung der Ausschlusskompetenz an das geschäftsführende Organ einer Genossenschaft;
Art. 846 Abs. 3 OR
(Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 80 II 71 S. 72
A.-
Gustav Strahm ist seit Jahren Mitglied der Schweiz. Krankenkasse Helvetia. Diese ist eine vom Bundesrat gemäss
Art. 1 Abs. 3 KUVG
anerkannte Krankenkasse. Nach Art. 5 VO I über die Krankenversicherung betr. die Anerkennung von Krankenkassen usw. vom 7. Juli 1913 (BGS 8 S. 323) müssen die Kassen entweder die Rechtsform der Genossenschaft nach
Art. 828 OR
, des Vereins gemäss
Art. 60 ZGB
oder der Stiftung gemäss
Art. 80 ZGB
aufweisen. Kassen, welche die Rechtsform der Genossenschaft wählen, bedürfen nach der erwähnten Vorschrift des Eintrags im Handelsregister nicht; sie besitzen die Rechtspersönlichkeit schon gemäss
Art. 29 Abs. 1 KUVG
.
Die Helvetia ist gemäss § 1 ihrer Statuten eine Genossenschaft. Oberstes Organ im Sinne der Art. 879/892 OR ist nach § 53 der Statuten die Generalversammlung der schweizerischen Delegierten. Verwaltung im Sinne von
Art. 894 OR
ist der Zentralvorstand (§ 59); ein Ausschuss
BGE 80 II 71 S. 73
desselben, der "engere Zentralvorstand" (§ 59 Abs. 4) ist nach § 61 Abs. 2 Ziff. 5 für den Ausschluss von Mitgliedern zuständig. § 62 sieht als geschäftsführendes Organ eine Zentralverwaltung vor, welcher der Zentralvorstand einen Teil seiner Geschäfte übertragen kann. In die Zuständigkeit der Zentralverwaltung fällt gemäss Beschluss des Zentralvorstandes vom 19. Januar/5. Februar 1949 u.a. auch der Ausschluss von Mitgliedern. § 94 der Statuten sodann bestimmt unter dem Marginale "Gerichtsstand und Instanzenweg":
"Privatrechtliche Streitigkeiten zwischen der Kasse und ihren Mitgliedern werden durch die ordentlichen Gerichte endgültig entschieden...
Vor der gerichtlichen Anhängigmachung eines Rechtsstreites hat der Kläger den nachstehend vorgeschriebenen Instanzenweg zu betreten, ansonst die Beklagte nicht verpflichtet ist, auf die Klage einzutreten."
Der Instanzenweg wird in § 94 Abs. 3 und 4 dahin geregelt, dass nach erfolglos verlaufenem Vermittlungsverfahren vor dem Sektionsvorstand die Zentralverwaltung entscheidet, gegen deren Entscheid binnen 14 Tagen beim Zentralvorstand Rekurs erhoben werden kann.
B.-
Mit Schreiben vom 21. März 1950 wurde Strahm wegen grober Statutenverletzungen von der Sektion Basel 3 aus der Genossenschaft ausgeschlossen. Hiegegen rekurrierte er am 2. Mai 1950 an die Zentralverwaltung. Diese erklärte mit Schreiben vom 17. Mai 1950 den Entscheid der Sektion als berechtigt. Den Entscheid der Zentralverwaltung zog Strahm nicht an den Zentralvorstand weiter.
C.-
Am 17. Mai 1951 erhob Strahm gegen die Kasse Klage mit dem Begehren um Feststellung, dass er immer noch Kassenmitglied sei.
Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, der Ausschlussentscheid der Sektion sei mangels Zuständigkeit nichtig gewesen und habe durch die Bestätigung seitens der Zentralverwaltung keine Gültigkeit erlangen können. Übrigens sei auch die Zentralverwaltung nicht zuständig
BGE 80 II 71 S. 74
gewesen; denn die Befugnis zum Ausschluss von Mitgliedern, die nach
Art. 846 Abs. 3 OR
grundsätzlich der Generalversammlung zustehe, könne zwar durch die Statuten an die Verwaltung im Sinne des Gesetzes, also bei der Beklagten an den Zentralvorstand, delegiert werden. Eine Weiterdelegation an die Zentralverwaltung als lediglich geschäftsführendes Organ sei dagegen unstatthaft. Die Zentralverwaltung wäre ferner auch deswegen zum Ausschluss nicht zuständig, weil ihr diese Befugnis in den Statuten nicht ausdrücklich übertragen werde.
Die Beklagte bestritt ihre Pflicht zur Einlassung auf die Klage wegen Nichteinhaltung des Instanzenweges gemäss § 94 der Statuten. Die dort vorgesehene Regelung sei zulässig, da nach
Art. 30 KUVG
die Anrufung des ordentlichen Richters überhaupt ausgeschlossen werden könne. Eventuell beantragte sie Abweisung der Klage. Sie anerkennt, dass die Sektion zum Ausschluss nicht zuständig gewesen sei. Das sei aber unbeachtlich, da die Zentralverwaltung in Bestätigung des Sektionsentscheides ihrerseits den Ausschluss vorgenommen habe. Die Zentralverwaltung sei zwar nicht Verwaltung im Sinne von
Art. 846 OR
, sondern geschäftsführendes Organ nach
Art. 898 OR
. Der Ausschluss eines Mitgliedes stelle aber bei einer Krankenkasse, bei der die Aufhebung der Versicherung durch Aufhebung der Mitgliedschaft erfolgen müsse, einen Akt der Geschäftsführung dar, weshalb es ohne Verstoss gegen
Art. 846 OR
zulässig sei, die Kompetenz hiezu gemäss Art. 898 der Zentralverwaltung zu übertragen, zumal wenn dem Ausgeschlossenen ein Rekursrecht an den Zentralvorstand eingeräumt werde. Eine andere Lösung sei für die Beklagte mit ihrem Bestand von 450'000 Mitgliedern unmöglich. Nach den Statuten sei die Zentralverwaltung zum Ausschluss von Mitgliedern befugt, da nach § 62 Abs. 1 der Zentralvorstand einen Teil der Geschäftsführung und somit auch das nach § 61 Abs. 2, Ziff. 5 dem engern Vorstand zustehende Recht zum Ausschluss dem Verwalter übertragen könne, wie es durch
BGE 80 II 71 S. 75
den Beschluss des Zentralvorstandes von 1949 geschehen sei.
D.-
Das Zivilgericht von Basel-Stadt wies die Klage ab. Das Appellationsgericht schützte sie mit Urteil vom 30. Oktober 1953.
E.-
Mit der vorliegenden Berufung hält die Beklagte am Antrag auf Klageabweisung fest.
Der Kläger beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Zulässigkeit der Berufung, die in erster Linie zu prüfen ist, ergibt sich nach der Auffassung der Beklagten daraus, dass die vorliegende Streitsache eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von
Art. 44 OG
darstellt.
Während die Rechtsprechung des Bundesgerichts den Streit um die Mitgliedschaft bei der A.-G. als vermögensrechtlichen betrachtet, die Berufungsfähigkeit also von einem Streitwert von mindestens Fr. 4000.-- abhängig macht (
BGE 66 II 46
), gilt ihr in der Tat der Streit um die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft gleich wie beim Verein als nichtvermögensrechtlicher Natur (
BGE 56 II 297
). Diese Unterscheidung mag sich je nach der Art der Genossenschaft rechtfertigen. Es gibt Genossenschaften, bei denen die Mitgliedschaft sich nicht im wirtschaftlichen Interesse erschöpft, sondern daneben einen ideellen Gehalt einschliesst, wie denn
Art. 828 OR
als Zweck der Genossenschaft "in der Hauptsache" die Förderung bestimmter wirtschaftlicher Interessen ihrer Mitglieder bezeichnet. Bei den Versicherungsgenossenschaften und insbesondere bei den anerkannten Krankenkassen ist indessen die Mitgliedschaft völlig gleichbedeutend mit Versicherungsinteresse, mit der Versicherung nach Massgabe der statutarischen Versicherungsleistungen der Kasse. Dieses Interesse ist aber ein rein vermögensrechtliches, das sogar dem Betrage - jedenfalls dem Höchstbetrage - nach genau
BGE 80 II 71 S. 76
festgestellt werden kann. Einem solchen Streit über die Mitgliedschaft nichtvermögensrechtlichen Charakter beizulegen, ist nicht am Platze (vgl. hiezuBGE 39 II 413). Für die Zulässigkeit der Berufung ist daher ein Streitwert von mindestens Fr. 4000.-- erforderlich.
In der Klagebeantwortung hat die Beklagte ausgeführt, dass der Kläger infolge seiner lange dauernden Krankheit in den Jahren 1948/50 seine Genussberechtigung in der ordentlichen Krankenversicherung gemäss § 39 Abs. 1 lit. a der Statuten mit dem 21. März 1950 erschöpft habe; infolgedessen wäre er für die Dauer von 12 Monaten in der Genussberechtigung eingestellt gewesen und hätte hernach nochmals während 180 Tagen Anspruch auf die vollen Leistungen gehabt. Hiegegen hat der Kläger in der Replik keine Einwendungen erhoben, und dementsprechend hat die Vorinstanz (Urteil S. 2) festgestellt, dass der Appellationsstreitwert gegeben sei, da dem Kläger, sofern seine Mitgliedschaft nicht erloschen sei, noch Anspruch auf ein Taggeld von Fr. 16.- während 180 Tagen zustehe, was Fr. 2880.-- ausmacht.
In der Berufung trägt die Beklagte nun unter Hinweis auf die Ergänzungsversicherung für Tuberkulose eine neue Berechnung der Bezugsberechtigung vor, die, wenn sie richtig ist, ein Interesse von über Fr. 8000.-- ergibt. Diese Änderung in der Streitwertberechnung ist, obwohl sie sich auf neue tatsächliche Vorbringen stützt, nicht zu beanstanden. Denn
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
, der neue Tatsachenvorbringen ausschliesst, gilt in Bezug auf den Streitwert nicht. Dieser ist gemäss
Art. 36 Abs. 2 OG
durch das Bundesgericht von Amteswegen zu ermitteln. Parteierklärungen zum Streitwert binden den Richter (im Gegensatz zum früheren OG) nicht. Infolgedessen muss auch die Partei auf ihre vor den kantonalen Instanzen vorgenommene Streitwertberechnung im Berufungsverfahren zurückkommen können.
Nach der Darstellung der Berufung stünden dem Kläger bei weiterer Dauer seiner Mitgliedschaft - neben
BGE 80 II 71 S. 77
dem Anspruch aus der ordentlichen Krankenversicherung während weiteren 180 Tagen - noch Ansprüche zu aus der Tuberkuloseversicherung, wo er seine Genussberechtigung noch nicht erschöpft habe. Diese Versicherung gibt dem Versicherten während 1080 Tagen, eventuell während 1800 Tagen, Anspruch auf das volle Taggeld (§ 39 A Abs. 1 und 3 der Statuten). Ein solcher Anspruch setzt allerdings Aufenthalt in einer Heilanstalt voraus, und auch sonst ist die Berechnung der Berufungsklägerin nicht über jeden Zweifel erhaben, zumal bei Mitberücksichtigung der vom Versicherten zu erbringenden Prämienleistungen. Da aber ihre Unrichtigkeit nicht dargetan ist, mag der Berufungsstreitwert als gegeben betrachtet werden.
2.
In der Sache selbst ist der Berufungsklägerin zuzugeben, dass der Ausschluss durch die höchsten Organe, wie
Art. 846 Abs. 3 OR
ihn für die Genossenschaft vorschreibt, äusserst unpraktisch ist für eine Krankenkasse mit annähernd einer halben Million Mitgliedern. Bei ihr ist Mitgliedschaft gleichbedeutend mit Krankenversicherung und der Ausschluss aus der Kasse bedeutet also nichts weiteres als die Auflösung der Versicherung. Allein nachdem schon der Gesetzgeber vorgeschrieben hat (Art. 5 VO I KV), dass sich die anerkannten Krankenkassen privatrechtlich, als Genossenschaft, Verein oder Stiftung, zu organisieren haben, muss das Gesetz, unter das sie demgemäss gestellt sind, für die Beklagte also das Recht der Genossenschaft, auf sie angewendet werden, soweit nicht Sondervorschriften eingreifen. Daran ändert nichts, dass ihre Statuten durch die Behörde - Bundesamt für Sozialversicherung, EVD, Bundesrat (Art. 13-15, 21 VO I KV) - genehmigt sind. Die Genehmigung ist nur Voraussetzung für die Anerkennung der Krankenkasse und deren Anspruch auf den Bundesbeitrag, verschafft aber den Statuten nicht Rechtskraft, soweit sie mit dem Gesetz im Widerspruch stehen. Als solche Sondervorschriften sind zu erwähnen der Erwerb der Rechtspersönlichkeit ohne Eintrag im Handelsregister schon auf
BGE 80 II 71 S. 78
Grund der behördlichen Anerkennung (
Art. 29 Abs. 1 KUVG
) und die aus der Ordnung der Freizügigkeit sich ergebenden Austrittsgründe einerseits und der Anspruch auf Aufnahme in eine andere Kasse anderseits (VO III betr. gesetzliche Freizügigkeit... vom 30. Juli 1935, BGS 8 S. 341), die das OR nicht kennt. Hinsichtlich des Ausschlusses dagegen bestehen keine solchen von der gesetzlichen Ordnung abweichenden Vorschriften.
3.
Nach der Ansicht der Beklagten wäre eine solche Sondervorschrift in
Art. 30 Abs. 1 KUVG
zu erblicken. Dieser bestimmt unter dem Randtitel "Gerichtsstand":
"Privatrechtliche Streitigkeiten der Kassen unter sich oder mit ihren Mitgliedern oder Drittpersonen werden vom ordentlichen Richter entschieden, wenn die kantonale Gesetzgebung oder, soweit es sich um Streitigkeiten der Kassen mit ihren Mitgliedern handelt, die Statuten nichts anderes bestimmen."
Die Berufungsklägerin legt unter Hinweis auf die Ausführungen des Berichterstatters Usteri im Ständerat anlässlich der Gesetzesberatung (Sten. Bull. 1909, StR S. 388 zu Art. 15 des Entwurfs) dieser Bestimmung die Bedeutung bei, dass die Kasse in Streitigkeiten mit ihren Mitgliedern den Entscheid unter Ausschluss des Rechtsweges ihren Organen vorbehalten könne; dann sei aber auch die in ihren Statuten vorgesehene, weniger weit gehende Regelung zulässig, wonach vor der Anrufung des Richters der kasseneigene Instanzenzug durchlaufen werden muss. Ersteres vorausgesetzt, wäre letzteres unbestreitbar.
Nach diesen Gesetzesmaterialien hat Usteri die streitige Gesetzesvorschrift unmissverständlich im Sinne der Berufungsklägerin ausgelegt, und es besteht kein Zweifel, dass wenigstens der Ständerat (im Nationalrat wurde darüber nicht gesprochen) dieser Auffassung beipflichtete (auf die Auslegung Usteris stellen ebenfalls ab GUTKNECHT, Kommentar zum KUVG, Art. 30; HÜNERWADEL, Krankenversicherung S. 29; HUBER, Der Rechtsschutz in der
BGE 80 II 71 S. 79
Krankenversicherung S. 91; FLEINER, Bundesstaatsrecht S. 546 Anm. 52; auch kantonale Gerichte haben sich ihr angeschlossen). Ein solches Privileg des Richtens in eigener Sache, das mit einem grundlegenden Prinzip des Rechtsstaates im Widerspruch stünde, könnte indessen nur anerkannt werden, wenn es im Gesetz selbst eindeutig zum Ausdruck käme, zumal das Bundesgericht, wie Usteri selbst erwähnte, 3 Jahre vorher, mit Urteil vom 20. Juni 1906 i.S. Braillard c. Société des secours mutuels de la Glâne, eine Statutenbestimmung, die im Sinne Usteris der Generalversammlung richterliche Funktionen einräumte, als rechtlich unhaltbar erklärt hatte. An solch eindeutigem Ausdruck fehlt es aber. Die Bestimmung handelt, wie ihr Marginale sagt, vom Gerichtsstand. Sie bezeichnet als zuständig den ordentlichen Richter, wenn die kantonale Gesetzgebung oder die Statuten nichts anderes vorsehen. Bezüglich der kantonalen Gesetzgebung kann das selbstverständlich nur bedeuten: Wenn sie keinen andern Richter bestimmt. Dann ist es aber unerfindlich, wieso es für die im gleichen Zusammenhang erwähnten Statuten eine andere Bedeutung haben sollte. Aus diesem Gesetzeswortlaut - und dieser, nicht was der Gesetzgeber sich bei Erlass einer Bestimmung vorgestellt hat, ist massgebend (
BGE 78 I 29
f.) - kann schlechterdings nichts anderes herausgelesen werden, als die Prorogationsbefugnis der Statuten und allenfalls noch die Zulässigkeit schiedsgerichtlicher Erledigung. Auch der Bundesrat hat der Vorschrift keinen weitergehenden Sinn beigelegt, wie aus seiner Botschaft zu Art. 15 des Entwurfes (BBl 1906 VI S. 360) erhellt, wo ausgeführt wird:
"Dieser Artikel bezweckt nur, in privatrechtlichen Sachen jede Rechtsprechung seitens der Bundesaufsichtsbehörde auszuschliessen. Er entspricht dem Art. 13 des Aufsichtsgesetzes von 1885 betreffend die privaten Versicherungsunternehmungen... Nichts wird übrigens die kantonale Gesetzgebung und, hinsichtlich der Streitfälle mit ihren eigenen Mitgliedern, die Kassen selbst hindern, eine andere als die gewöhnliche Gerichtsbarkeit einzuführen."
BGE 80 II 71 S. 80
Die eigenmächtige Entscheidungsbefugnis der Kasse selbst stellt aber, wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, überhaupt keine Gerichtsbarkeit dar.
So im Sinne des klaren Wortlautes verstanden, deckt die Bestimmung auch den kasseninternen Instanzenzug vor Anrufung des Richters und als Bedingung derselben nicht.
4.
Demnach gilt für die beklagte Kasse die in
Art. 846 Abs. 3 OR
vorgesehene Ordnung. Diese erklärt in erster Linie die Generalversammlung zur Ausschliessung eines Mitgliedes zuständig. Die Statuten können jedoch die Verwaltung damit beauftragen. Die Berufungsklägerin will unter der Verwaltung nicht nur das der Generalversammlung nächstfolgende Organ im Sinne von Art. 894 f. OR, das bei ihr der Zentralvorstand ist, verstanden wissen, sondern auch die Verwaltung im Sinne von
Art. 898 OR
, d.h. die mit der Geschäftsführung betraute Stelle, die nicht der Verwaltung gemäss Art. 894 anzugehören braucht und bei der Beklagten der Verwalter (die Zentralverwaltung) ist, der dem Zentralvorstand tatsächlich nicht angehört, sondern von ihm gewählter Angestellter ist (§ 62 der Statuten). Diese Auffassung ist unhaltbar. In
Art. 898 OR
spricht das Gesetz gerade nicht von Verwaltung, wie in Art. 894, oder von Verwaltungsausschüssen, wie in Art. 897, sondern von Geschäftsführung und Vertretung. Wenn aber von Gesetzeswegen für den Ausschluss in erster Linie das höchste Organ berufen ist, dann verbietet sich die Annahme, dass bei der Erlaubnis zur statutarischen Übertragung dieser Befugnis an die Verwaltung unter dieser nicht bloss das auf die Generalversammlung folgende Genossenschaftsorgan, sondern auch eine demselben untergeordnete Stelle im blossen Anstellungsverhältnis mit Geschäftsführungsbefugnis verstanden sei. Dem Geschäftsführer, der nicht einmal Genossenschafter zu sein braucht, kann das Gesetz nicht eine Befugnis einräumen wollen, die in das persönliche Verhältnis zur Genossenschaft eingreift, nämlich
BGE 80 II 71 S. 81
die Befugnis, das persönliche Band zu lösen. Die Begründung der Beklagten, bei ihr sei der Ausschluss von Mitgliedern bloss ein Akt der Geschäftsführung, ist rechtlich irrig. Die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft ist eine Frage der körperschaftlichen Organisation, die als solche ausser dem Bereich der Geschäftsführung für die Körperschaft steht.
Der Vergleich, den die Berufungsklägerin mit der durch
Art. 848 OR
für die Genossenschaft in der Privatversicherung vorgesehenen Regelung macht, ist unbehelflich. Die genànnte Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedschaft in der Genossenschaft, die mit Abschluss des Versicherungsvertrages erworben wird, auch mit Auflösung des Vertrages verloren geht; da die Vertragsauflösung zweifellos der Geschäftsführung zusteht, nimmt also praktisch diese den Ausschluss des Mitgliedes vor. Aber diese Spezialvorschrift kann für die Auslegung des
Art. 846 Abs. 3 OR
nicht herangezogen werden, und ihre direkte oder auch nur analoge Anwendung auf das vorliegende Versicherungsverhältnis, wo kein Vertrag abgeschlossen wird, der die Mitgliedschaft nach sich zieht, sondern die Versicherung sich an den Erwerb der Mitgliedschaft knüpft, ist ausgeschlossen. Dass der Unterschied theoretisch ist, indem in beiden Fällen Mitgliedschaft und Versicherung zusammenfallen, ändert nichts.
Die zwingende Ordnung des Gesetzes lässt der Berufungsklägerin somit nur die Möglichkeit, den Ausschluss durch den Zentralvorstand vorzunehmen. Dass der von der Ausschlussverfügung Betroffene an den Zentralvorstand rekurrieren kann, genügt nicht, weil er eben von Gesetzeswegen diese Verfügung überhaupt nicht zu beachten braucht. Anders verhielte es sich nur, wenn der kasseneigene Instanzenzug der Statuten gesetzlich zugelassen wäre, wie es bei einer in die Rechtsform des Vereins gekleideten Kasse gemäss
Art. 72 Abs. 3 ZGB
zuträfe.
5.
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Zentralverwaltung durch die Statuten überhaupt
BGE 80 II 71 S. 82
mit dem Ausschluss betraut sei und ob das Gesetz eine ausdrückliche Statutenvorschrift verlange oder eine zwar nicht ausdrückliche, aber immerhin deutliche Regelung in diesem Sinne genüge.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 30. Oktober 1953 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5238ea5a-9085-4fcc-9840-37bd17e6dda5 | Urteilskopf
96 II 45
9. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 12 janvier 1970 dans la cause Zufferey contre Fournier. | Regeste
Art. 61 Abs. 1 OR
.
1. Diese Bestimmung bezieht sich insbesondere auf die Notare als Personen öffentlichen Glaubens.
2. Wenn ein Kanton über die Haftung von öffentlichen Beamten und Angestellten gesetzliche Bestimmungen erlassen hat, beurteilt sich deren Ersatzpflicht ausschliesslich nach dem kantonalen öffentlichen Recht. Das ist der Fall für die Notare des Kantons Wallis. | Erwägungen
ab Seite 46
BGE 96 II 45 S. 46
D'après l'art. 61 al. 1 CO, la législation cantonale peut déroger aux dispositions fédérales sur l'acte illicite en ce qui concerne la responsabilité encourue par des fonctionnaires et employés publics pour le dommage ou le tort moral qu'ils causent dans l'exercice de leur fonction. Cette règle s'applique à toute personne qui, même sans être au service de l'Etat, est investie d'attributions de droit public. En particulier, elle vise les notaires en leurs qualités d'officiers publics (RO 27 II 298, 90 II 278; arrêt non publié de la Ire Cour civile du 6 mars 1962, en la cause C. c. D.; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 12 et BECKER, n. 7 ad art. 61 CO).
Selon une jurisprudence constante (RO 23 I 487;
49 II 435
;
73 I 367
; arrêt non publié C. c. D., précité), c'est une mission de l'Etat, imposée par le droit fédéral aux cantons qui l'exercent de par leur souveraineté (art. 55 du titre final du code civil), que d'assurer aux particuliers dans le cadre de la procédure gracieuse soit directement par ses propres organes, soit par l'intervention de certaines personnes déterminées et spécialement désignées à cet effet, la sécurité des transactions et le respect du droit lors de la création, la modification ou l'extinction de certains rapports juridiques. Les relations existant entre la personne chargée de cette fonction ministérielle et la partie qui recourt à ses services relèvent en principe du droit public cantonal; la première est un agent de l'Etat.
Dans le canton du Valais, le notaire, bien qu'il ne soit pas un fonctionnaire au sens de l'art. 21 de la constitution cantonale (art. 1er al. 2 de la loi du 15 mai 1942 sur le notariat), est "l'officier public préposé à la réception des actes authentiques" (art. 47 al. 2 de la loi d'application du code civil), soit des déclarations et constatations auxquelles les intéressés doivent ou veulent donner un caractère authentique; il ne peut refuser sans raison son ministère; sa rémunération est fixée par un tarif (art. 14 et 18 de la loi sur le notariat). En conséquence, lorsqu'il dresse un acte authentique, il agit en tant que fonctionnaire
BGE 96 II 45 S. 47
ou employé public au sens de l'art. 61 al. 1 CO, et non en vertu d'un mandat privé.
Lorsque, comme en l'espèce, sont remplies les conditions d'application de l'art. 61 al. 1 CO, il suffit que le canton ait légiféré sur la responsabilité des fonctionnaires ou employés publics pour que le Code des obligations cesse de s'appliquer à cette responsabilité, sinon à titre de droit supplétif cantonal. Or, comme le Tribunal fédéral l'a reconnu dans son arrêt C. c. D. précité, le canton du Valais a légiféré sur la responsabilité des notaires; l'art. 19 de la loi sur le notariat déclare en effet le notaire civilement responsable des fautes qu'il commet dans l'exercice de sa profession. Il s'ensuit que la responsabilité du notaire valaisan en tant qu'officier public est exclusivement régie par le droit public cantonal. | public_law | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
523a1c98-cc97-465b-844a-fab2d645ed0d | Urteilskopf
122 IV 340
52. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1996 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 292 StGB
; Verfügung einer unzuständigen Behörde.
Die Bestrafung aufgrund einer unzuständigerweise erlassenen Verfügung ist ausgeschlossen.
Offengelassen, wie bei einer klarerweise rechtsmissbräuchlichen Missachtung einer im Sinne von
Art. 292 StGB
von einer unzuständigen Behörde erlassenen Verfügung zu entscheiden wäre. | Sachverhalt
ab Seite 341
BGE 122 IV 340 S. 341
A.-
Am 17. Februar 1994 klagte W. gegen S. und beantragte eine superprovisorische Verfügung. Diesem Antrag entsprechend verbot das Gerichtspräsidium Aarau (Gerichtspräsident) gleichentags im summarischen Verfahren betreffend Persönlichkeitsschutz (
Art. 28 ff. ZGB
) S. unter Straffolge von
Art. 292 StGB
im Sinne einer vorläufigen Massnahme gemäss
§ 294 ZPO
/AG mit sofortiger Wirkung, gegenüber Dritten die Behauptung, der Kläger habe sich sexuelle Übergriffe auf Jugendliche zuschulden kommen lassen, in dieser oder ähnlicher Art zu verbreiten.
Am 22. Februar 1994 machte S. örtliche Unzuständigkeit des Gerichtspräsidiums Aarau geltend.
Am 21. Juli 1994 entschied das Gerichtspräsidium Aarau im summarischen Verfahren betreffend Persönlichkeitsschutz (
Art. 28 ff. ZGB
), auf die Klage werde nicht eingetreten, die vorläufige Massnahme vom 17. Februar 1994 falle dahin und W. trage die Kosten.
B.-
Am 6. Februar 1995 büsste das Bezirksamt Aarau S. im Strafbefehlsverfahren wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung (
Art. 292 StGB
) mit Fr. 600.-- Busse. Der Strafbefehl hat folgenden Wortlaut:
"Am 17.02.94 verfügte der Gerichtspräsident von Aarau im Sinne einer vorläufigen Massnahme gegen [S.] wie folgt:
1. [S.] wird mit sofortiger Wirkung richterlich verboten, gegenüber Dritten die Behauptung, [W.] habe sich sexuelle Übergriffe auf Jugendliche zuschulden kommen lassen, in dieser oder ähnlicher Art zu verbreiten.
2. [S.] wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorsorgliche Anordnung gemäss Ziff. 1 vorstehend die Bestrafung gemäss
Art. 292 StGB
angedroht.
Art. 292 StGB
lautet: [...].
Unter Missachtung dieser richterlichen Verfügung und in Kenntnis der angedrohten strafrechtlichen Folgen äusserte sich [S.] gegenüber dem Zeugen U. am 10.03.94 in Aarau in dem Sinne, dass [W.] in mindestens zwei Fällen strafrechtlich relevante (sexuelle) Handlungen begangen habe, infolge Verjährung aber nicht mehr belangt werden könne. Er nannte die Namen von zwei Personen, welche angeblich in sexuelle Handlungen [W.s] involviert waren und legte eine Liste von Personen vor, mit welchen [W.] angeblich Kontakt gehabt hatte."
S. erhob Einsprache und machte vor dem Bezirksgericht Aarau geltend, der objektive Tatbestand von
Art. 292 StGB
sei nicht erfüllt, weil die Verfügung vom 17. Februar 1994 mangels Zuständigkeit des Gerichtspräsidiums Aarau nicht rechtmässig gewesen sei. Das Bezirksgericht Aarau verurteilte ihn am 23. August 1995 wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung zu Fr. 300.-- Busse. Eine vorläufige Massnahme nach
§ 294 ZPO
werde im Falle
BGE 122 IV 340 S. 342
dringender Gefahr im summarischen Verfahren schon vor Anhören der Gegenpartei angeordnet und deren Voraussetzungen wie auch die Prozessvoraussetzungen müssten bloss glaubhaft gemacht werden. Diese bloss summarische Prüfung sei systemimmanent. Der Massnahmerichter habe seine örtliche Zuständigkeit annehmen dürfen, weil der Beschwerdeführer unter der angegebenen Adresse in Aarau tatsächlich erreichbar gewesen sei. Somit sei die Verfügung vom 17. Februar 1994 rechtens erfolgt.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 21. Dezember 1995 eine Berufung des S. im Schuld- und Strafpunkt ab.
C.-
S. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihn vom Vorwurf der Verletzung von
Art. 292 StGB
freizusprechen.
D.-
Das Obergericht des Kantons Aargau verzichtet auf Gegenbemerkungen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung soweit Eintreten. W. verzichtet auf Vernehmlassung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Eintretensfrage)
2.
Die Tatbestandserfüllung von
Art. 292 StGB
setzt unter anderem eine von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten erlassene Verfügung voraus. Darunter ist die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit zu verstehen. Das Vorliegen einer von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten erlassenen Verfügung ist als Tatbestandsmerkmal eine Bundesrechtsfrage und entsprechend vom Strafrichter frei zu prüfen. Es erweist sich unter strafrechtlichen Gesichtspunkten als unerheblich, ob eine Verfügung zivilprozessual rechtens erfolgte, ob eine unzuständigerweise ausgesprochene Verfügung als nichtig oder nur anfechtbar zu beurteilen ist und ob dem Betroffenen Rechtsmittel zur Verfügung standen oder nicht. Die Bestrafung aufgrund einer unzuständigerweise erlassenen Verfügung ist nach Lehre und Rechtsprechung ausgeschlossen (
BGE 98 IV 106
E. 3b; ZR 87/1988 S. 146 Nr. 58; vgl. PETER STADLER, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [
Art. 292 StGB
], Zürcher Diss. 1990, S. 117 f.; WALTER EIGENMANN, Die Androhung von Ungehorsamsstrafen durch den Richter [
Art. 292 StGB
], Zürcher Diss. 1964, S. 34, wobei dieser Autor die Zuständigkeit als objektive Strafbarkeitsvoraussetzung betrachtet; ROLF LOEPFE, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [Schweizerisches Strafgesetzbuch Art. 292], Zürcher Diss. 1947,
BGE 122 IV 340 S. 343
S. 66; ebenso HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Berlin 1943, S. 726; MAX IMBODEN, Strafgerichtliche Verwaltungskontrolle, ZStrR 75/1959 S. 149; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, partie spéciale, tome II, Neuchâtel 1956, Art. 292 N. 2; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Auflage, Zürich 1996, S. 306; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Zürich 1964, S. 492).
Der Beschwerdeführer erhob unverzüglich und zu Recht die Einrede der fehlenden Zuständigkeit. Es kann daher offenbleiben, wie bei einer klarerweise rechtsmissbräuchlichen Missachtung einer im Sinne von
Art. 292 StGB
von einer unzuständigen Behörde oder einem unzuständigen Beamten erlassenen Verfügung zu entscheiden wäre bzw. ob sich die Berufung auf die fehlende Zuständigkeit als rechtsmissbräuchlich erweisen könnte.
Ging nach dem Gesagten die Verfügung vom 17. Februar 1994 von einer im Sinne von
Art. 292 StGB
unzuständigen Behörde aus, konnte auch keine Bestrafung gemäss
Art. 292 StGB
erfolgen. Der Schuldspruch verletzt daher Bundesrecht, so dass die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die kantonale Behörde zurückzuweisen ist.
3.
(Kostenfolge) | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
523d8949-761e-41dc-b062-aaba13a554e8 | Urteilskopf
104 II 23
5. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Januar 1978 i.S. Karrer gegen Idtensohn und Frei | Regeste
Art. 56 Abs. 1 OR
. Haftung des Tierhalters.
1. Entscheidend für den Begriff des Halters ist, dass dieser in einem Gewaltverhältnis zum Tier steht und darüber verfügen kann (E. 2a).
2. Umstände, die den Nutzniesser eines Pferdes als Tierhalter erscheinen lassen und eine gleichzeitige Haftung des Eigentümers ausschliessen (E. 2b und c).
3. Eine erfahrene Reiterin haftet für den durch das Pferd angerichteten Schaden, wenn sie sich schuldhaft verhält (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 23
BGE 104 II 23 S. 23
A.-
Am Nachmittag des 18. November 1967 unternahmen
Diana Idtensohn, Mario Karrer und vier andere Herren vom Breitfeld bei St. Gallen einen Geländeritt in Richtung Schloss Oberberg. Diana Idtensohn ritt das 3 bis 4jährige Pferd "Globus", das sie schon seit 14 Tagen regelmässig von der
BGE 104 II 23 S. 24
Reitanstalt des Albert Frei gemietet und teilweise auch selbst gepflegt hatte.
Als die Reitergruppe sich unterwegs auf einer nahezu ebenen Wiese befand, hielt Karrer sein Pferd 35-40 m vor einem Weidhag, den er als Hindernis benutzen wollte, kurz an. Diana Idtensohn, die bis dahin aus Vorsicht immer am Schlusse der Gruppe geritten war, wartete zu diesem Zeitpunkt etwa 5 m schräg vor dem Pferd Karrers, dem sie vermutlich den Vortritt lassen wollte. Plötzlich scheute ihr Pferd, wich einige Schritte rückwärts und schlug aus. Es traf das rechte Bein Karrers, der durch den Hufschlag einen offenen Unterschenkelbruch erlitt.
B.-
Im Februar 1972 belangte Karrer Diana Idtensohn und Albert Frei, die er für solidarisch haftbar hielt.
Das Bezirksgericht St. Gallen und auf Appellation hin am 11. Juni 1976 auch das Kantonsgericht St. Gallen erklärten die Beklagte Idtensohn für haftbar und wiesen die Klage gegen Frei ab.
C.-
Die Beklagte und der Kläger haben Berufung eingelegt. Diana Idtensohn beantragt, das Urteil des Kantonsgerichtes aufzuheben, ihre Haftung zu verneinen und die Klage ganz abzuweisen. Karrer begehrt, dass die Klage grundsätzlich auch gegen den Beklagten Frei geschützt werde.
Das Bundesgericht weist die beiden Berufungen ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 56 Abs. 1 OR
haftet für den von einem Tier angerichteten Schaden, wer dasselbe hält. Der Halter wird von der Haftung nur befreit, wenn er beweist, dass er die nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet habe oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre (
BGE 102 II 235
und
BGE 85 II 245
mit Hinweisen).
Der Kläger macht geltend, die Vorinstanz habe die Haltereigenschaft des Beklagten Frei zu Unrecht verneint. Dieser sei Eigentümer des Pferdes "Globus" gewesen, habe es in seinem Reitstall verwahrt, füttern und pflegen lassen und auch bestimmt, wer es reiten sollte. Die Beklagte Idtensohn dagegen wirft dem Kantonsgericht vor, den Begriff des Tierhalters im Sinne von
Art. 56 OR
verkannt zu haben, da es den Übergang der Haltereigenschaft vom Eigentümer auf den Mieter von der
BGE 104 II 23 S. 25
nach den Umständen gebotenen Sorgfalt, insbesondere von der Eigenart des Pferdes abhängig mache. Die Eigenschaften des Tieres bestimmten wohl das Mass der Sorgfalt, seien für die Frage, wer als Halter zu gelten habe, jedoch ohne Belang.
a) Diesen Einwänden ist vorweg entgegenzuhalten, dass die Haftung des Tierhalters auf gesetzlich überbundenen Sorgfaltspflichten beruht. Weil ein Tier durch sein Verhalten gefährlich werden und andere schädigen kann, folglich eine gewisse Sorgfalt erfordert, hat sein Halter für den Schaden, den es anrichtet, aufzukommen. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund seiner Haftung ist darin zu erblicken, dass der Halter meistens aus dem Tier einen Nutzen oder Vorteil zieht. Entscheidend für den Begriff des Halters ist indessen, dass dieser in einem Gewaltverhältnis zum Tier steht, darüber also verfügen kann; denn zu einer bestimmten Sorgfalt kann nur verhalten werden, wer tatsächlich in der Lage ist, die Herrschaft oder Gewalt über das Tier auszuüben (
BGE 67 II 122
E. 2BGE 64 II 375 E. 2,
BGE 58 II 374
). In diesem Sinne erlaubt der Begriff denn auch festzustellen, wer wegen Verletzung einer Sorgfaltspflicht, wie
Art. 56 OR
sie voraussetzt, haftbar erklärt werden soll.
Haftbar ist, wer zur Zeit der Schädigung Halter ist. Das ist meistens der Eigentümer, kann aber auch der Nutzniesser sein, wenn jener das Tier diesem überlassen und letzterer dadurch die Möglichkeit erhalten hat, nicht nur seine Gewalt über das Tier auszuüben, sondern auch die vom Tierhalter geforderte Sorgfalt anzuwenden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist als Halter auch anzusehen, wer das Tier bloss vorübergehend in Gewahrsam hat. Fragen kann sich diesfalls bloss, ob er allein oder zusammen mit dem Eigentümer als Halter zu gelten habe oder ob seine Haltereigenschaft durch eine Unsorgfalt, die der Eigentümer zu vertreten hat, aufgehoben werde. Das entscheidet sich nicht allgemein, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles, namentlich von der Art des Tieres sowie den Befugnissen und dem Verhalten der Beteiligten ab. Allgemein zu beachten ist immerhin, dass die Verfügungsmacht des Nutzniessers über das Tier zum vorneherein beschränkt ist, seine Gewaltausübung sich folglich nicht mit den Rechten eines Eigentümers zu decken braucht (Oftinger, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 3. Aufl. II/1 S. 193/4 und 202 ff.).
BGE 104 II 23 S. 26
b) Das Kantonsgericht hält die Behauptung des Klägers nicht für bewiesen, dass das Pferd "Globus" zur Zeit des Unfalles ein "böser Schläger" gewesen sei. Es stellt fest, der Zeuge Hungerbühler, der am Geländeritt vom 18. November 1967 teilnahm, habe eine derartige Charakterisierung des Pferdes ausdrücklich zurückgewiesen und bloss erklärt, dass die Beklagte Idtensohn ihm vor dem Ritt sagte, ihr Pferd schlage; er sei aber trotz ihrer Äusserung damit einverstanden gewesen, dass sie sich der Reitergesellschaft anschloss. Das Kantonsgericht nimmt sodann in Würdigung des Beweises an, dass es sich um ein noch junges, übermütiges Tier handelte und dass solche Pferde erfahrungsgemäss gelegentlich auszuschlagen pflegten, deswegen jedoch nicht als bösartig gälten. Es stützt seine Annahme mit der Übung der ehemaligen Eidgenössischen Pferdeanstalt in Thun, solche Pferde für den Unterricht an Offiziersschulen abzugeben und sie schon nach kurzer Zeit von den Reitschülern selber satteln zu lassen.
Die Beklagte Idtensohn wusste um den jugendlichen Übermut des Tieres und dass es hin und wieder gegen andere Pferde ausschlug. Sie hatte es, wie das Kantonsgericht weiter feststellt, in den zwei Wochen vor dem Unfall regelmässig geritten, gepflegt und sich mit seiner Eigenart vertraut gemacht. Sie bezeichnete es in der Klageantwort als ein durchaus braves, ja geradezu harmloses Tier ohne böse Eigenschaften. Die Pflege bestand darin, dass sie das Pferd vor und nach dem Ausreiten putzte und es auch selber sattelte und säumte. Dazu kommt, dass die Beklagte mit dem Eigentümer ein Pauschalentgelt von Fr. 150.- im Monat vereinbarte, die sog. A-Lizenz besass und als gute Durchschnittsreiterin galt. Nach diesen Umständen muss sie für die Zeit, in der sie das Pferd in Gewahrsam hatte, als Tierhalterin betrachtet werden. Sie verfügte nicht nur selbständig über das Pferd, sondern war als erfahrene Reiterin auch in der Lage, die von einem Tierhalter verlangte Sorgfalt anzuwenden.
Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte das Pferd angeblich nicht auswählen konnte, ihre Verfügungsmacht sich auf die Befugnisse eines Reiters beschränkte und dass "Globus" auch anderen Personen zum Ausreiten überlassen wurde. Es genügt, dass die Beklagte jeweils während ein paar Stunden die faktische Gewalt über "Globus" hatte und diese auch ausüben konnte, zumal der Eigentümer ihr nach eigenen
BGE 104 II 23 S. 27
Angaben bereits seit 14 Tagen das gleiche Pferd zuteilen liess, auf ihre Vertrautheit mit dem Tier also bewusst Rücksicht nahm. Es lässt sich im Ernst auch nicht sagen, die Verfügungsgewalt eines erfahrenen Reiters werde durch allgemeine Weisungen des Vermieters, wie z.B. ein Pferd zu schonen oder müde zu reiten, entscheidend beeinflusst oder gar aufgehoben. Solche Weisungen, für die dem angefochtenen Urteil übrigens nichts zu entnehmen ist, können nur heissen, dass der Mieter seine Reitweise dem jeweiligen Zustand des Pferdes anzupassen hat, was sich schon von selbst versteht.
c) Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, hatte der Beklagte Frei bis zum Unfall keinen Anlass, das Pferd "Globus" wegen dessen jugendlichen Übermutes oder weil es gelegentlich gegen andere Pferde ausschlug, nicht zum Ausreiten herzugeben. Was der Kläger zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung vorbringt, scheitert an den Feststellungen der Vorinstanz über die Eigenart des Pferdes und ist daher als unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung des Kantonsgerichtes nicht zu hören. Da die Beklagte Idtensohn mit der Eigenart des Tieres bereits vertraut war und als gute Reiterin galt, brauchte der Vermieter ihr auch keine besonderen Weisungen zu erteilen oder sie gar vor dem Pferd zu warnen. Er durfte nach Treu und Glauben vielmehr davon ausgehen, dass die Beklagte im Umgang mit "Globus" die wegen dessen Alters gebotene Vorsicht beachten werde.
Bei dieser Sachlage geht es nicht an, den Beklagten Frei für die Zeit des Unfalles als Tierhalter bezeichnen zu wollen, weil er Eigentümer des Pferdes war, es in seinem Reitstall verwahren und pflegen liess, es bestimmten Reitern zuteilte und damit Geld verdiente. Entscheidend für die Tierhalterschaft ist, dass das Pferd, wenn jeweils auch nur für einige Stunden, in den Gewahrsam einer erfahrenen Reiterin überging und diese in der Lage war, andere vor einer Schädigung durch das Tier zu bewahren. Die Halterschaft muss nicht durch eine längere Dauer der Beziehung zum Tier "ersessen" werden (OFTINGER, a.a.O., S. 203/4). Als Tierhalter während der Reitstunden, folglich auch zur Zeit des Unfalles, ist daher im vorliegenden Fall nur die Beklagte Idtensohn anzusehen. Damit ist der Berufung des Klägers, der auch den Beklagten Frei als Halter behandelt wissen will, die Grundlage entzogen.
3.
Die Beklagte Idtensohn versucht ihrer Haftung vor
BGE 104 II 23 S. 28
allem mit dem Einwand zu entgehen, dass nach einer Grundregel im Reitsport der nachfolgende Reiter auf vorangehende Pferde Rücksicht nehmen müsse.
Der Einwand geht schon deshalb fehl, weil sie gerade wegen des Alters und der Eigenart ihres Pferdes bis zur Unfallstelle am Schlusse der Gruppe neben Hungerbühler geritten sein will. Das kann nur heissen, dass sie sich der Gefahr, die ihr Pferd in einer vorderen Position für andere schuf, durchaus bewusst war. Das entspricht nicht nur ihren eigenen Angaben im kantonalen Verfahren, wonach es sich bei jungen Pferden empfehle, am Schlusse der Gruppe zu reiten. Ihr Verhalten bis zur Unfallstelle deckt sich auch mit den Aussagen Hungerbühlers, der trotz ihrer negativen Äusserung über "Globus" damit einverstanden war, dass sie sich der Reitergesellschaft anschloss, also hinten Platz nahm. Umsoweniger ist zu verstehen, dass sie auf der offenen Wiese, wo der Unfall sich ereignete, ihr Pferd vor dasjenige des Klägers lenkte und anhielt, statt ihren Platz zu behalten oder seitlich auszuscheren.
Das Kantonsgericht macht ihr wegen dieses Verhaltens mit Recht den Vorwurf, unüberlegt gehandelt zu haben. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob sie auf das Scheuen des Pferdes richtig reagiert habe, um zu vermeiden, dass es gegen dasjenige des Klägers zurückwich. So oder anders hat sie den ihr nach
Art. 56 Abs. 1 OR
obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht. Es muss ihr vielmehr, wie das Kantonsgericht beifügt, eine für den Unfall kausale Pflichtverletzung in der Beaufsichtigung des Pferdes vorgeworfen werden, weshalb sie für den Schaden auch nach den Vorschriften über die Verschuldenshaftung aufzukommen hätte (vgl.
BGE 102 II 260
E. 2a). | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52411a12-eedd-4131-a771-ebb8fe215628 | Urteilskopf
124 III 211
39. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 27 mai 1998 dans la cause N. (recours LP) | Regeste
Pfändung eines zum Teil aus Mitteln der beruflichen Vorsorge erworbenen Grundstücks (
Art. 30c BVG
und
Art. 30e BVG
;
Art. 92 Abs. 1 Ziff. 10 SchKG
).
Die kantonalen Aufsichtsbehörden müssen allfällige Wirkungen, welche die Verfügungsbeschränkung gemäss
Art. 30e BVG
auf das Verwertungsverfahren hat, prüfen und ihnen gegebenenfalls unabhängig davon Rechnung tragen, ob die Verfügungsbeschränkung im Grundbuch angemerkt ist (E. 1).
Ein Grundstück, welches aus dem Vorbezug von Freizügigkeitsleistungen im Sinne von
Art. 30c BVG
erworben worden ist, kann gepfändet werden, und demzufolge ist
Art. 92 Abs. 1 Ziff. 10 SchKG
nicht anwendbar (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 124 III 211 S. 212
En février 1997, N. a fait l'objet d'une première saisie portant sur sa villa en PPE. L'office des poursuites a aussitôt communiqué cette saisie au registre foncier pour annotation, conformément à l'
art. 101 LP
; puis il a donné avis de la saisie et de l'annotation au débiteur, ainsi qu'au créancier hypothécaire, au bénéfice d'une cédule hypothécaire en 1er rang pour un montant de 325'000 fr. Il n'a toutefois notifié le procès-verbal de saisie que le 7 octobre 1997. Le 17 avril 1997, le débiteur et la Fondation collective LPP X. ont requis du conservateur du registre foncier l'inscription, sur le même immeuble, de la mention prévue à l'art. 30e de la loi fédérale sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité (LPP; RS 831.40) (restriction du droit d'aliéner). Le 7 juillet 1997, l'office a opéré une seconde saisie sur la villa, laquelle a donné lieu à l'annotation au registre foncier d'une nouvelle restriction du droit d'aliéner.
Le 24 octobre 1997, le débiteur a porté plainte contre la saisie exécutée dans le cadre de la première poursuite. Il invoquait la violation de l'
art. 92 al. 1 ch. 10 LP
. Par lettre du 3 novembre 1997, la Fondation collective LPP X. a attesté avoir payé une somme de 385'579 fr. au débiteur en date du 1er août 1997, à titre de versement anticipé dans le cadre de la loi fédérale sur l'accession à la propriété. Le 5 novembre 1997, le créancier hypothécaire a déclaré de son côté que le financement de la villa saisie était constitué d'un prêt hypothécaire de 455'000 fr. et d'un financement LPP de 385'579 fr. (840'579 fr. au total). Statuant comme autorité inférieure de surveillance, le président du tribunal de district a rejeté la plainte pour les motifs essentiels suivants: la créance dont le débiteur était titulaire auprès de son institution de prévoyance était devenue exigible le jour où celui-ci avait requis le versement anticipé de son capital de prévoyance dans le but d'acquérir la propriété de son logement; l'institution de prévoyance s'étant déjà acquittée de sa dette en remettant les fonds à l'intéressé, ceux-ci étaient saisissables; partant, l'immeuble acquis au moyen de ces fonds était également saisissable et
BGE 124 III 211 S. 213
ne tombait pas sous le coup de l'
art. 92 al. 1 ch. 10 LP
. Saisie d'un recours du plaignant, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois l'a rejeté par arrêt du 15 avril 1998.
Le débiteur a recouru le 24 avril 1998 à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral, afin qu'elle déclare sa villa insaisissable et annule le procès-verbal de saisie. La Chambre des poursuites et des faillites a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Aux termes de l'arrêt attaqué, le débiteur ne pouvait se prévaloir après coup, soit postérieurement à l'exécution de la saisie, d'un motif d'insaisissabilité qui n'existait pas lorsque la saisie a été imposée sur l'immeuble incriminé. Le recourant reproche à la Cour cantonale, à ce propos, de vouloir faire dépendre le caractère d'insaisissabilité de la mention au registre foncier de la restriction du droit d'aliéner selon l'
art. 30e LPP
.
a) Contrairement à ce que semble retenir l'arrêt attaqué (consid. 2 p. 6), la restriction en cause ne peut faire l'objet, aux termes de la loi, que d'une mention au sens des
art. 962 CC
et 78 ss de l'ordonnance sur le registre foncier (ORF; RS 211.432.1), et non pas d'une annotation selon les
art. 959 ss CC
et 70 ss ORF (cf. Message concernant l'encouragement à la propriété du logement au moyen de la prévoyance professionnelle, FF 1992 VI 242 ch. 133.3; P.-H. Steinauer, Les droits réels, t. I, 3e éd. 1997, § 19 ch. 835). L'effet d'une mention au registre foncier n'est en principe ni constitutif ni déclaratif; il consiste uniquement à informer sur l'existence du rapport juridique concerné; en conséquence, l'existence et le contenu de celui-ci sont indépendants de la mention (H. DESCHENAUX, Le registre foncier, Traité de droit privé suisse, vol. V, t. II,2, p. 586 s.; STEINAUER, op.cit., § 19 ch. 839 s.).
b) En vertu de l'
art. 30e al. 2 LPP
, l'institution de prévoyance est tenue de requérir la mention de la restriction du droit d'aliéner au registre foncier lors du versement anticipé de l'avoir de prévoyance. La mention ayant été requise en l'espèce le 17 avril 1997 et le versement effectué le 1er août suivant, on ne saurait faire grief à l'autorité cantonale d'avoir retenu qu'au moment de la première saisie (février 1997), seule en cause dans la plainte du recourant, un motif d'insaisissabilité fondé sur la LPP n'existait pas.
C'est néanmoins à tort que la Cour cantonale, après avoir constaté que la Fondation collective LPP X. avait requis la mention au registre
BGE 124 III 211 S. 214
foncier le 17 avril 1997 et effectué le versement anticipé le 1er août 1997, retient que le débiteur n'était pas en droit le 7 octobre 1997, lors de la notification du procès-verbal de saisie, de se prévaloir du financement partiel de son immeuble par des fonds issus de son institution de prévoyance. La restriction du droit d'aliéner en cause était certes postérieure à l'exécution de la première saisie; mais, comme elle découlait d'une disposition impérative du droit public fédéral (STEINAUER, op.cit., § 19 ch. 835), les autorités cantonales de surveillance se devaient - indépendamment même de la mention au registre foncier - d'examiner son incidence éventuelle sur la procédure de réalisation pendante et d'en tenir compte le cas échéant, étant donné leur pouvoir d'intervenir d'office et tout temps en pareille hypothèse (
art. 22 al. 1 LP
;
ATF 117 III 39
consid. 4b p. 42; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 61).
c) Au demeurant, la notification du procès-verbal de saisie faisant courir le délai de plainte (GILLIÉRON, op.cit., p. 194; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, SchKG, 4e éd. 1997, art. 114 n. 3), le recourant ne saurait se voir reprocher d'avoir attendu cette notification pour faire valoir tous ses arguments à l'encontre de la saisie.
Il ne s'ensuit pas, cependant, que l'arrêt attaqué doive être annulé. En effet, la Cour cantonale est de toute façon entrée en matière sur les arguments du recourant et, comme on le verra ci-après, c'est à juste titre qu'elle les a rejetés.
2.
Le recourant se prévaut de l'insaisissabilité de son immeuble, dans la mesure où il a été acquis au moyen d'avoirs LPP. A ses yeux, l'arrêt attaqué consacre une violation de l'
art. 92 al. 1 ch. 10 LP
, qui déclare insaisissables "les droits aux prestations de prévoyance et de libre passage non encore exigibles à l'égard d'une institution de prévoyance professionnelle".
La faculté conférée à un assuré LPP par l'
art. 30c LPP
d'obtenir de son institution de prévoyance le versement anticipé d'un montant lui permettant d'acquérir son propre logement est une exception au principe selon lequel les prestations fondées sur la LPP ne doivent être ni cédées ni mises en gage avant leur exigibilité (
art. 331b CO
;
ATF 121 III 285
consid. 1b p. 287/288; Message déjà cité, FF 1992 VI 233 ch. 111.22). Lorsque l'assuré fait valoir son droit au versement anticipé, la propriété du logement acquise par ce biais représente un élément de la prestation de prévoyance ou de libre passage et remplace la part soustraite de la prestation en espèces, de sorte que la prestation servie ultérieurement, lors de la survenance d'un
BGE 124 III 211 S. 215
cas de prévoyance ou de libre passage, est réduite en conséquence (Message déjà cité, FF 1992 VI 240 ch. 133.2). Contrairement à ce que soutient le recourant, la restriction du droit d'aliéner à mentionner au registre foncier et l'obligation de rembourser en cas de vente ne signifient pas que le versement anticipé garde sa "qualification de prévoyance professionnelle". Ces mesures n'ont pas d'autre justification que de garantir de manière simple qu'un assuré ne retire pas du cercle de la prévoyance le capital anticipé qu'il a reçu pour l'utiliser à des fins de consommation (Message déjà cité, FF 1992 VI 241 ch. 133.3). Dès lors, en revanche, que sont réalisées, comme en l'espèce, les conditions du versement d'une prestation de libre passage, celle-ci devient saisissable (
ATF 120 III 75
).
Avec l'autorité cantonale, il y a donc lieu d'admettre que le bien immobilier acquis au moyen du versement anticipé peut être saisi et que l'
art. 92 al. 1 ch. 10 LP
n'est, partant, pas applicable. En décider autrement reviendrait à créer une inégalité de traitement entre les débiteurs ayant acquis la propriété de leur logement au moyen de leurs fonds propres ou d'emprunts bancaires et ceux qui, à cette même fin, se sont servis de leurs avoirs de prévoyance: le bien immobilier en question serait saisissable dans le premier cas, mais pas dans le second, ce qui créerait du même coup une discrimination injustifiable entre les créanciers.
Il suit de là que le recours doit être rejeté. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52458c8a-b714-437f-9711-e4cedc98717f | Urteilskopf
83 I 81
13. Urteil vom 27. Februar 1957 i.S. B. und D.-B. gegen S. und Justizdirektion des Kantons Bern. | Regeste
1.
Art. 58 Abs. 1 BV
: Tragweite der Gewährleistung des verfassungsmässigen Richters (Erw. 3).
2. Gebühren:
Für Verrichtungen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit (Ausstellung von Erbbescheinigungen) steht dem bernischen Notar ein Entgelt von Gebührencharakter zu (Erw. 5).
Erfordernis der gesetzlichen Grundlage (Erw. 5).
Grundsätze für die Bemessung einer Notariatsgebühr (Erw. 6, 7). | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 83 I 81 S. 81
A.-
Friedrich B., der am 23. November 1953 in Bern starb, hinterliess als einzige Erben den Sohn Fritz B. und die Tochter Lucie D. geb. B. Im Auftrag der Erben nahm
BGE 83 I 81 S. 82
Notar S. in Bern das Inventar des Nachlasses auf; er besorgte ausserdem einige weitere die Erbschaft betreffende Geschäfte. So erstellte er je eine sogen. Erbgangsurkunde über die Grundstücke des Erblassers in den Grundbuchkreisen Bern, Laupen und Tafers; unter Vorlegung dieser Urkunden meldete er den gesetzlichen Eigentumsübergang vom Erblasser auf die Erbengemeinschaft zur Eintragung im Grundbuch an. Am 31. Dezember 1955 stellte er den Erben für seine Bemühungen Gebühren von Fr. 12'000.-- und Auslagen von Fr. 548.35 in Rechnung. Die Erben anerkannten und beglichen die Forderung bis auf einen Rechnungsposten von Fr. 5901.80, der sich auf Gebühren für die Errichtung der drei Erbgangsurkunden bezieht, wofür 3‰ des amtlichen Werts der Liegenschaften von Fr. 1'513,289.-- zuzüglich 30% Teuerungszulage verlangt wurden.
B.-
Gestützt auf Art. 25 des bernischen Gesetzes über das Notariat (NG) vom 31. Januar 1909 ersuchten die Erben die Justizdirektion des Kantons Bern um amtliche Kostenfestsetzung mit dem Antrag auf angemessene Herabsetzung des genannten Rechnungspostens. Sie machten geltend, die Leistungen, die der Notar in diesem Zusammenhang zu erbringen gehabt habe, rechtfertigten die Höhe der Gebühr nicht. Die Einwohnergemeinderäte stellten den eingesetzten Erben für 5 bis 10 Franken eine Erbbescheinigung aus. Der Notar dürfe für diesen Teil der Erbgangsurkunde nicht wesentlich mehr berechnen. Für die weiter darin enthaltene Liegenschaftsbeschreibung, die überflüssig sei, dürfe höchstens so viel verlangt werden wie für einen Grundbuchauszug. Das Eintragungsgesuch, das sich daran anschliesst, sei keine öffentliche Urkunde, weshalb dafür keine Notariatsgebühr erhoben werden dürfe.
C.-
Am 27. Oktober 1956 hat die Justizdirektion auf Grund eines Gutachtens der Notariatskammer die streitige Gebühr auf Fr. 3026.60 herabgesetzt. Sie hat dabei festgestellt, dass sich Notar S. an den Tarif des Verbands bernischer Notare gehalten hat. Der angewendete Gebührenansatz
BGE 83 I 81 S. 83
stütze sich auf frühere Moderationsentscheide und ein Kreisschreiben der Justizdirektion. Im allgemeinen habe es sich durchaus bewährt, die Gebühr für Erbgangsurrkunden auf 3‰ des amtlichen Werts der darin aufgeführten Liegenschaften anzusetzen. Im vorliegenden Fall stehe eine so bemessene Entschädigung indes zum Arbeitsaufwand des Notars in keinem rechten Verhältnis. Die Gebühr sei deshalb ausnahmsweise auf 2‰ des amtlichen Werts der Grundstücke festzusetzen.
D.-
Fritz B. und Frau Lucie D. geb. B. führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
Art. 4 und 58 Abs. 1 BV
. Sie beantragen, der Entscheid der Justizdirektion sei aufzuheben und die ihm zugrunde liegenden Bestimmungen des bernischen Notariatsrechts seien für nicht (amtlich) tarifierte Verrichtungen des Notars als unanwendbar zu erklären.
E.-
Die Justizdirektion des Kantons Bern und Notar S. schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 23 Abs. 3 NG wird die Höhe der vom Notar zu beziehenden Gebühren regelmässig durch einen vom Grossen Rat aufzustellenden Tarif bestimmt. Die Entschädigung für Verrichtungen, auf die sich der Tarif nicht ausdrücklich erstreckt, ist zwischen dem Notar und den Parteien zu vereinbaren. In jedem Fall aber haben die zahlungspflichtige Partei und der Notar das Recht, die geschuldeten Gebühren durch die Justizdirektion amtlich festsetzen zu lassen (Art. 25 NG).
Dem Entscheid dieser Behörde kommt nach dem Gesetz die Bedeutung eines "rechtskräftigen Administrativurteils" zu. Dieses ergeht nur über die Höhe der Kostenforderung des Notars; über die Schuldpflicht hat im Streitfall der Zivilrichter zu entscheiden (ZBJV 65 S. 175; MBVR 35 Nr. 182, 36 Nr. 132 und 134, 40 Nr. 236; vgl. auch
BGE 38 I 504
ff.). Hinsichtlich der Höhe der Kostenforderung ist der Richter an den Entscheid der Justizdirektion
BGE 83 I 81 S. 84
gebunden. Die Festsetzungsverfügung stellt damit nicht bloss eine gutachtliche Äusserung dar, sondern einen individuellen, konkreten kantonalen Hoheitsakt, der ein bestimmter Rechtsverhältnis nach einer Richtung hin endgültig und verbindlich ordnet. Eine solche Verfügung kann Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde bilden.
Während die Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 58 Abs. 1 BV
schon vor Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs erhoben werden kann (
Art. 86 Abs. 2 OG
), kann die Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
erst an den Entscheid der letzten kantonalen Instanz angeschlossen werden (
Art. 87 OG
). Da die Justizdirektion als einzige kantonale Instanz urteilt, ist diese Voraussetzung erfüllt. Ob die Kostenfestsetzung als Endentscheid oder als Zwischenentscheid zu betrachten sei, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da die Beschwerde auch im zweiten Fall zulässig ist, sofern der Entscheid für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat (
Art. 87 OG
). Dies trifft unter den vorliegenden Verhältnissen ohne weiteres zu.
2.
Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie eine Verletzung der Gewährleistung des verfassungsmässigen Richters (
Art. 58 Abs. 1 BV
). Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei, weil von einer unzuständigen Instanz erlassen, aufzuheben, und die dem Entscheid zugrunde liegenden Bestimmungen des bernischen Notariatsrechts (Art. 25 NG sowie § 12 des Dekrets betreffend die Ausführung des Gesetzes über das Notariat vom 24. November 1909) seien für nicht (amtlich) tarifierte Verrichtungen der Notare als unanwendbar zu erklären. Ist das zweite Beschwerdebegehren lediglich dahin zu verstehen, dass die erwähnten kantonalen Bestimmungen im vorliegenden Fall nicht anzuwenden seien, so kommt ihm keine selbständige Bedeutung zu. Sollte es den Beschwerdeführern dagegen darum gehen, jene Vorschriften allgemein für nicht tarifierte Verrichtungen als unanwendbar erklären zu lassen, so könnte auf diesen Antrag nicht eingetreten
BGE 83 I 81 S. 85
werden. Eine Erklärung dieses Inhalts liefe auf eine teilweise Aufhebung von Art. 25 NG und § 12 des Dekrets hinaus. Das kann aber, nachdem die Frist zur Anfechtung des Notariatsgesetzes und der zugehörigen Verordnung längst abgelaufen ist, nicht mehr verlangt werden.
3.
Mit der Vorschrift, niemand dürfe seinem verfassungsmässigen Richter entzogen werden, gewährleistet
Art. 58 Abs. 1 BV
dem Bürger die Freiheit, nur von dem Richter Recht zu nehmen, der nach den bestehenden Verfassungsbestimmungen, Gesetzen und Verordnungen allgemein für die Streitsachen zuständig ist, zu denen der konkrete Prozess gehört (FLEINER/GIACOMETTI, Bundesstaatsrecht, S. 867). Dass ihre Sache von der nach kantonalem Recht zuständigen Instanz beurteilt worden ist, räumen die Beschwerdeführer selbst ein, wenn sie erklären, die bernische Notariatsgesetzgebung habe sie veranlasst, die Justizdirektion anzurufen. Entgegen ihrer Auffassung verstossen die betreffenden kantonalen Vorschriften ihrerseits nicht gegen
Art. 58 Abs. 1 BV
. Dieser Verfassungssatz fordert weder eine bestimmte Gerichtsorganisation noch ein bestimmtes Verfahren. Insbesondere verlangt
Art. 58 Abs. 1 BV
nicht, dass zivilrechtliche Ansprüche ausschliesslich durch Zivilgerichte, verwaltungsrechtliche Streitigkeiten dagegen nur durch Verwaltungsbehörden zu beurteilen seien (vgl. BGE 16 728, 27 I 35).
Auf die Einwendungen, welche die Beschwerdeführer gegen die Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens vorbringen, könnte daher nur unter dem Gesichtswinkel des von ihnen gleichfalls angerufenen
Art. 4 BV
eingetreten werden. Die Beantwortung der Frage, ob ihnen in formeller Hinsicht das Recht verweigert worden sei, erübrigt sich jedoch, da ihre Beschwerde, wie sich im Folgenden ergibt, jedenfalls wegen materieller Rechtsverweigerung gutzuheissen ist.
4.
Die angefochtene Kostenfestsetzung bezieht sich auf die Ausstellung sogen. Erbgangsurrkunden. Diese Urkunden sind von der Praxis der bernischen Notariate und
BGE 83 I 81 S. 86
Grundbuchämter im Hmnblick auf die Anmeldung und Eintragung des Eigentumsübergangs kraft gesetzlicher Erbfolge entwickelt worden. Erster Bestandteil der Urkunde bildet die Erbbescheinigung, der herkömmlicherweise ein Verzeichnis der Liegenschaften des Erblassers (mit genauer Beschreibung jedes einzelnen Grundstücks) und das Gesuch an das Grundbuchamt um Eintragung des erbrechtlichen Eigentumsüberganges folgen.
Diese Teile sind von verschiedener rechtlicher Natur. Die Ausstellung der Erbbescheinigung ist der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit zuzurechnen (GULDENER, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 9). Ob nach bernischem Recht allein der Notar den gesetzlichen Erben eine solche Bescheinigung ausstellen dürfe (wie die Justizdirektion in einem Kreisschreiben vom 19. Juni 1934, ZBGR 20 S. 167 f., unter Hinweis auf die herrschende Meinung annimmt), oder ob diese Befugnis daneben auch den Einwohnergemeinderäten zukomme, die zur Ausstellung von Erbbescheinigungen an eingesetzte Erben zuständig sind, kann dahingestellt bleiben. Nimmt ein Notar, wie das hier der Fall war, diese Verrichtung vor, so handelt es sich dabei jedenfalls um eine berufliche Dienstleistung, die er nur in seiner Eigenschaft als Notar erbringen kann.
Im Gegensatz dazu liegen den weiteren Bestandteilen der Erbgangsurkunde nicht eigentlich notarielle Verrichtungen zugrunde. Den erbrechtlichen Eigentumsübergang können die Erben, die im Besitz einer Erbbescheinigung sind, ohne Hilfe des Notars beim Grundbuchamt zur Eintragung anmelden. Die entsprechende Erklärung braucht nicht öffentlich beurkundet zu werden. Der dieses Begehren enthaltende dritte Teil der Erbgangsurkunde ist deshalb von den Beschwerdeführern unterzeichnet worden. Das Verzeichnis der Liegenschaften des Erblassers ist als Teil des Eintragungsgesuchs aufzufassen.
5.
Arbeit und Verantwortung des Notars sind demnach vornehmlich mit der Ausstellung der Erbbescheinigung verknüpft. Als Akt der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit
BGE 83 I 81 S. 87
stellt diese Verrichtung eine Amtshandlung dar (vgl.
BGE 73 I 385
), die, was die hier zu beurteilenden Rechtsfolgen anbelangt, durch das öffentliche Recht geregelt wird. Für Verrichtungen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit steht dem Notar denn auch nicht eine Vergütung im Sinne des Obligationenrechts zu, sondern ein Entgelt von Gebührencharakter (MARTI, Der Notar des Kantons Bern, in Notar und Recht, Festschrift des Verbands bernischer Notare 1953, S. 37).
Gemäss Art. 23 NG ist der Notar berechtigt, eine Entschädigung sowie den vollen Ersatz der Auslagen zu fordern. Der Gebührenanspruch des Notars beruht somit dem Grundsatze nach auf einer besonderen gesetzlichen Grundlage, wie sie für Gebühren, die den Bürger erheblich belasten, verlangt werden muss (
BGE 82 I 28
). Das Gesetz oder die von ihm abgezweigte Verordnung hat aber gleichzeitig auch den Gebührentarif festzusetzen; denn die Bestimmung der Höhe der Gebühr darf im Rechtsstaat nicht der Entscheidung von Fall zu Fall überlassen bleiben (FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 135 f., 426; vgl. auch
BGE 80 I 327
). Wohl kann eine Gebührenordnung kaum je sämtliche denkbaren Anwendungsfälle einzeln erfassen. Alle wichtigeren gebührenpflichtigen Amtshandlungen sollten darin indes in einer Weise berücksichtigt werden, dass sich allfällige Lücken mittels Auslegung unschwer ausfüllen lassen.
Das bernische Notariatsrecht geht andere Wege. Das Dekret betreffend die Notariatsgebühren vom 13. März 1919 enthält lediglich 6 Gebührenansätze (während der vom Verband bernischer Notare erlassene Tarif vergleichsweise allein für eigentlich notarielle Handlungen 59 Gebührenansätze vorsieht). Die Lücken der Gebührenordnung sucht Art. 23 Abs. 3 NG dadurch zu schliessen, dass er die Festsetzung der Entschädigung für Verrichtungen, auf die sich der Tarif nicht ausdrücklich erstreckt, der freien Vereinbarung zwischen dem Notar und den Parteien anheimstellt. Um den Beteiligten und namentlich dem Bürger, der
BGE 83 I 81 S. 88
bei dieser Regelung praktisch weitgehend von den mit der "ausschliesslichen Befugnis zur Vornahme von Handlungen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit" (Art. 1 Abs. 2 NG) ausgestatteten Angehörigen des "autorisierten" Notariatsberufes (Art. 1 Abs. 1 NG) abhängig ist, ein gewisses Mass von Rechtssicherheit zu gewährleisten, öffnet Art. 25 NG beiden Seiten die Möglichkeit, die Notariatsgebühr (nachträglich) durch die Justizdirektion amtlich festsetzen zu lassen.
Wie weit diese Ordnung den oben angeführten rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht wird, braucht nicht geprüft zu werden. Zu untersuchen ist einzig, ob der angefochtene Entscheid, der im Rahmen dieser Ordnung ergangen ist, der Rüge der Willkür standhalte.
6.
Zu den wichtigen und häufig vorzunehmenden Verrichtungen, auf die sich der Dekretstarif nicht erstreckt, gehört auch die Ausstellung von Erbbescheinigungen bzw. von Erbgangsurkunden. Dass sie, da Gesetz und Verordnung hiefür keine bestimmte Gebühr festlegen, überhaupt nicht zur Entrichtung einer solchen verpflichtet seien (vgl.
BGE 80 I 327
und dortige Zitate), machen die Beschwerdeführer nicht geltend. Sie fechten vielmehr ausschliesslich die Höhe der streitigen Gebühr an und bemängeln die Art der Kostenberechnung.
Bei Festsetzung der Entschädigung hat die Justizdirektion auf Art. 23 Abs. 3 NG hingewiesen, der bei Fehlen eines amtlichen Gebührenansatzes die freie Vereinbarung zwischen Notar und Bürger Platz greifen lässt. Sie ist aber richtigerweise nicht davon ausgegangen, dass die Parteien im vorliegenden Fall eine solche Abrede getroffen hätten. Zu Recht hat sie ihnen nicht unterstellt, sich stillschweigend auf den Konventionaltarif des Verbands bernischer Notare geeinigt zu haben, der den Beschwerdeführern gar nicht bekannt war. Dass dieser Tarif für die Justizdirektion nicht verbindlich ist, steht ausser Frage (MBVR 11 Nr. 43, 39 Nr. 202); sie hat sich nur insofern darauf berufen, als ihre eigene "jahrzehntealte
BGE 83 I 81 S. 89
Praxis" (die sie in einem Kreisschreiben vom 14. Mai 1935 zusammengefasst hat) darin eingegangen ist.
Mangels gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen über die Höhe der geschuldeten Gebühr hat die Justizdirektion ihren Entscheid nach freiem Ermessen getroffen, wobei sie sich im einzelnen auf allgemeine finanzrechtliche Grundsätze berufen hat. Nach Rechtsprechung und Wissenschaft ist die Gebühr ein besonderes Entgelt für eine bestimmte, durch den Pflichtigen veranlasste Amtshandlung. Um als Gegenleistung für die beanspruchte amtliche Tätigkeit gelten zu können, muss die Abgabe der Höhe nach in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten dieser Verrichtung und der Grösse der damit verbundenen Verantwortung stehen. Unter den Kosten sind dabei nicht nur die unmittelbaren Aufwendungen für die verlangte Amtshandlung zu verstehen; es fällt darunter auch ein entsprechender Anteil an den allgemeinen Unkosten (
BGE 53 I 482
,
BGE 56 I 515
,
BGE 72 I 394
ff.). Die Verteilung der Unkosten auf die einzelnen Verrichtungen braucht nicht notwendigerweise dem durch diese verursachten Arbeits- und Kostenaufwand zu entsprechen; vielmehr dürfen die Gebühren im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der mit der Amtshandlung verbundenen Verantwortung nach dem Interesse des Pflichtigen an der behördlichen Verrichtung und nach dessen Leistungsfähigkeit so abgestuft werden, dass die Gebühren für bedeutende Geschäfte den Ausfall aus Verrichtungen ausgleichen, für die wegen der Geringfügigkeit des Interesses keine kostendeckende Entschädigung verlangt werden kann (
BGE 53 I 468
/7,
BGE 72 I 396
). So können die Grundbuchgebühren nach dem Wert der einzutragenden Rechte (
BGE 53 I 486
ff.), die Gebühren für die Prüfung vormundschaftlicher Inventare und Rechnungen nach der Höhe des Mündelvermögen (
BGE 29 I 45
und das in
BGE 53 I 487
angeführte nicht veröffentlichte Urteil vom 13. April 1927 i.S. Tobler), die Gerichtsgebühren nach dem Streitwert berechnet werden. Dieser Staffelung sind jedoch insofern gewisse Grenzen
BGE 83 I 81 S. 90
gesetzt, als dadurch nicht die Benützung bestimmter Institute verunmöglicht oder übermässig erschwert werden darf (
BGE 48 I 540
,
BGE 73 I 383
Erw. 8,
BGE 75 I 111
ff.,
BGE 79 I 213
Erw. 2 und 3,
BGE 82 I 286
Erw. 4), und als die Abgabe nie den Charakter einer Gebühr verlieren darf, wie das der Fall wäre, wenn sie zu den wirklichen Kosten der verlangten Verrichtung in keinem vernünftigen Verhältnis mehr stünde.
7.
Mit den Beschwerdeführern ist festzustellen, dass die vom Notar erbrachte Leistung und die von der Justizdirektion festgesetzte Gegenleistung in einem solchen Missverhältnis stehen. Beim heutigen Ausbau des Zivilstandswesens sind die gesetzlichen Erben in der Regel ohne Schwierigkeiten und grossen Zeitaufwand zu ermitteln, was die mit der Ausstellung einer Erbbescheinigung verbundenen Risiken entsprechend verringert. Der Konventionaltarif des Verbands bernischer Notare sieht denn auch für "Erbgangsbescheinigungen in Titel" lediglich eine Gebühr von 5 bis 20 Franken (zuzüglich 30% Teuerungszulage) vor. Dass dieser von den unmittelbar daran Interessierten gewählte Ansatz den tatsächlichen Aufwendungen nicht gerecht werde, ist nach dem Gesagten nicht anzunehmen. Die Ausstellung von Erbbescheinigungen zuhanden des Grundbuchamtes verursacht aber weder mehr Arbeit, noch schliesst sie eine höhere Verantwortung in sich als die Errichtung von "Erbgangsbescheinigungen in Titel". Eine Entschädigung in der genannten Höhe dürfte daher auch in Fällen wie dem vorliegenden den wirklichen Aufwendungen des Notars Rechnung tragen. Wie dargelegt, darf der dafür ausgesetzte Betrag um einen dem Interesse an der Verrichtung angepassten Anteil an den allgemeinen Unkosten erhöht werden, wobei der Umstand berücksichtigt werden kann, dass der Notar für viele kleinere Geschäfte nur ungenügend bezahlt wird. Dieser Zuschlag darf indes nicht so bemessen werden, dass die Entschädigung für die unmittelbaren Aufwendungen nur noch den kleinsten Teil der Gebühr ausmacht. Dies trifft hier jedoch zu. Wenn die Justizdirektion die Entschädigung
BGE 83 I 81 S. 91
für eine keine besonderen Schwierigkeiten und Risiken in sich schliessende Verrichtung auf weit mehr als das Dutzendfache dessen festgesetzt hat, was dem Notar für den mit der Ausstellung der Erbbescheinigung verbundenen Zeitaufwand bestenfalls hätte zugesprochen werden können, so hat sie damit die Grundsätze, nach denen die Gebühr zu bemessen ist, offensichtlich verkannt.
Dass die in Frage stehenden Erbgangsurkunden neben der Erbbescheinigung das Gesuch um Eintragung des erbrechtlichen Eigentumsüberganges und ein ausführliches Liegenschaftsverzeichnis enthalten, vermag daran nichts zu ändern. Das Gesuch an das Grundbuchamt, das von den Erben selbst unterzeichnet ist, umfasst lediglich wenige Zeilen. Dem Liegenschaftsverzeichnis aber darf bei der Festsetzung der Gebühr nicht die Bedeutung beigelegt werden, die ihm dem Umfang nach zuzukommen scheint. Die darin enthaltenen (vom Standpunkt des Bundesrechts aus übrigens nicht erforderlichen) Liegenschaftsbeschreibungen stellen nichts anderes dar als die Wiedergabe von Grundbuchauszügen, die ihrerseits öffentlichen Glauben geniessen. Der mit ihrer Erstellung verbundene Aufwand kann nur gering eingeschätzt werden.
8.
Nach dem Gesagten hat die Justizdirektion bei Festsetzung der streitigen Gebühr den für die Bemessung einer solchen massgebenden Grundsätzen und Umständen nicht Rechnung getragen. Sie hat damit die Grenzen des pflichtgemässen Ermessens überschritten. Ihr Entscheid erscheint insofern als willkürlich; er ist, weil gegen
Art. 4 BV
verstossend, aufzuheben, ohne dass auf die weiteren Einwendungen der Beschwerdeführer einzutreten wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird insofern teilweise gutgeheissen, als der Entscheid der Justizdirektion des Kantons Bern vom 27. Oktober 1956 aufgehoben wird. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
524e7ba7-8250-4176-a605-821a48952983 | Urteilskopf
106 III 114
25. Arrêt de la Ire Cour civile du 9 décembre 1980 dans la cause Fer contre Masse en faillite d'Alduc S.A. (recours en réforme) | Regeste
Verrechnung im Konkurs (
Art. 213 und 214 SchKG
).
1.
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG
schliesst die Verrechnung einer nach der Konkurseröffnung fälligen, aber vorher begründeten Forderung nicht aus (E. 3).
2.
Art. 214 SchKG
setzt eine Täuschungsabsicht voraus. Fehlen einer solchen im vorliegenden Fall (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 106 III 114 S. 115
A.-
Bernard Fer était débiteur de 246'184 fr. 70 envers Alduc S.A. Il s'était aussi porté caution à concurrence de 450'000 fr. pour le compte courant que cette société avait ouvert auprès de l'Union de banques suisses. Le 15 juin 1976, Fer apprit qu'Alduc S.A. allait déposer son bilan. Le 24 juin, il donna à l'Union de banques suisses l'ordre de prélever 246'184 fr. 70 sur ses avoirs et d'en créditer le compte courant de la société. Fer agissait sur les conseils de la banque et entendait à la fois se libérer en partie de son cautionnement et éteindre sa dette envers Alduc S.A. Il fit préciser dans l'avis de crédit adressé à la société que le paiement était fait en remboursement "de son compte courant débiteur" chez elle. La banque lui confirma le lendemain l'exécution de l'ordre et la réduction de ses obligations de caution à 203'815 fr. 30.
Alduc S.A. fut déclarée en faillite le 9 juillet 1976. La masse réclama à Fer le paiement des 246'184 fr. 70. Fer fit valoir qu'il avait versé cette somme à l'Union de banques suisses comme caution et qu'il était subrogé dans les droits de la banque jusqu'à due concurrence. Il déclara compenser sa créance récursoire avec les prétentions de la masse, laquelle invoqua l'
art. 214 LP
pour contester la compensation.
B.-
La masse en faillite de la société Alduc S.A. a ouvert contre Bernard Fer une action en paiement de 246'184 fr. 70, avec intérêt.
Par jugement du 2 juin 1980, le Tribunal cantonal du canton de Neuchâtel a admis la demande, écarté le moyen tiré de la compensation et condamné le défendeur au paiement de 246'184 fr. 70 avec intérêt à 5% dès le 17 avril 1977.
C.-
Le défendeur a déposé un recours en réforme tendant au rejet de l'action pour cause de paiement ou de compensation.
Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé le jugement attaqué et débouté la demanderesse.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le défendeur estime avoir éteint sa dette envers la demanderesse par son paiement à l'Union de banques suisses le 25 juin 1976. La cour cantonale a jugé ce moyen mal fondé et de surcroît tardif, car le défendeur n'avait pas régulièrement allégué avoir payé sa dette, mais uniquement avoir exercé la compensation.
BGE 106 III 114 S. 116
Le défendeur conteste la tardiveté du moyen tiré du paiement. Ce point relève du droit cantonal et ne saurait être revu en instance de réforme. Il n'est d'ailleurs pas décisif. La cour cantonale a justement rejeté le moyen sur le fond. La dette d'une somme d'argent est présumée portable (
art. 74 al. 2 ch. 1 CO
). Les parties peuvent convenir d'un autre mode de paiement et le créancier peut même autoriser tacitement son débiteur à se libérer auprès d'un tiers. Ainsi, celui qui se fait ouvrir un compte de chèques postaux et en informe le public est censé reconnaître l'effet libératoire des versements opérés à ce compte (
ATF 55 II 201
ss). Cependant rien dans les faits constatés par la cour cantonale ne permet de considérer que la demanderesse ait implicitement autorisé, par son attitude, le défendeur à s'acquitter de sa dette auprès de l'Union de banques suisses. Avant de donner son ordre de virement à la banque, le défendeur aurait dû préciser à la demanderesse qu'il entendait ainsi se libérer de sa dette envers elle. La demanderesse aurait alors pu s'y opposer et faire valoir que la banque n'était ni cessionnaire de la créance ni domicile de paiement. Le défendeur n'a donc pu se libérer de sa dette par son virement. Il s'est en revanche acquitté des engagements qu'il avait contractés envers la banque comme caution. Il a remboursé une partie du compte dont il garantissait le découvert. L'attitude ultérieure du défendeur confirme cette interprétation. Dans ses pourparlers avec la demanderesse, il a constamment soutenu être subrogé dans les droits de la banque. Il a déclaré compenser sa créance récursoire avec sa dette, dont il reconnaissait par là l'existence.
2.
Il n'est pas établi que la créance de l'Union de banques suisses contre la demanderesse fût exigible avant l'ouverture de la faillite. Le 24 juin 1976, le défendeur n'était donc pas encore tenu de désintéresser la banque, mais il était en droit de le faire avec son accord (
art. 504 al. 3 CO
). Cet accord est constant. Par son paiement, le défendeur a été subrogé dans les droits de la banque. Il ne pouvait cependant faire valoir sa prétention récursoire avant l'exigibilité de la créance principale (art. 504 al. 3 et 507 al. 1 CO). La faculté de compenser lui a été ouverte par le prononcé de la faillite de la demanderesse. En effet, l'ouverture de la faillite rend exigibles toutes les créances contre le failli, y compris donc celles dans lesquelles la caution a été subrogée par son paiement anticipé (
art. 208 LP
). De plus, les
BGE 106 III 114 S. 117
créanciers ont le droit, dans la faillite de leur débiteur, de compenser leurs créances, même si elles ne sont pas exigibles, avec celles que le failli peut avoir contre eux (
art. 123 al. 1 CO
). L'exercice de la compensation dans la faillite est toutefois soumis aux restrictions prévues aux
art. 213 et 214 LP
.
3.
Aux termes de l'
art. 213 al. 2 ch. 1 LP
, la compensation n'a pas lieu lorsque le débiteur du failli est devenu son créancier postérieurement à l'ouverture de la faillite. La cour cantonale a jugé à bon droit que cette disposition ne s'applique pas au défendeur. C'est en effet au moment où il a désintéressé la banque créancière qu'il a acquis, par subrogation, une créance récursoire contre la demanderesse. Peu importe que ses droits n'aient pas été immédiatement exigibles. L'article précité exclut la compensation si la créance opposée à celle de la masse tire sa cause juridique d'un fait postérieur à l'ouverture de la faillite (JAEGER, Commentaire de la loi sur la poursuite, n. 9 ad art. 213). La faculté de compenser reste en revanche ouverte lorsque la créance est affectée d'un terme, mais a sa source dans un acte antérieur au prononcé de faillite. Le texte clair de l'
art. 123 al. 1 CO
interdit une autre solution.
4.
L'
art. 214 LP
permet de contester la compensation lorsque le débiteur du failli a acquis, avant l'ouverture de la faillite, mais en ayant connaissance de l'insolvabilité de son créancier, une créance contre lui en vue de se procurer, par la compensation, un avantage au préjudice de la masse. La cour cantonale a appliqué cette disposition. Le défendeur connaissait, le 24 juin 1976, l'imminence de la faillite de la demanderesse. Il a exécuté par anticipation ses engagements de caution envers l'Union de banques suisses pour acquérir par subrogation une créance qu'il entendait opposer en compensation à la demanderesse. Ces seuls éléments ne justifient toutefois pas l'application de l'
art. 214 LP
. Cette disposition d'exception ne saurait être interprétée de manière extensive (
ATF 95 III 88
). Le législateur a voulu prévenir des abus. L'
art. 214 LP
vise les manoeuvres déloyales de nature à vider la masse de sa substance ou à compromettre l'égalité des créanciers. Il empêche qu'un débiteur de l'insolvable ne se libère au moyen de créances acquises à vil prix. Il déjoue également les manoeuvres des créanciers de l'insolvable qui cèdent leurs droits à certains de ses débiteurs pour se procurer ainsi une somme supérieure au dividende de faillite (ATF 14 p. 641 s.). L'application de l'
art. 214 LP
BGE 106 III 114 S. 118
suppose donc une intention frauduleuse qui fait défaut en l'espèce. Le défendeur n'a pas noué de rapport juridique nouveau pour acquérir la créance opposée en compensation, pas plus qu'il n'est intervenu dans des relations auxquelles il n'aurait pas été partie. Il n'a fait qu'exercer une faculté qu'il tirait d'un rapport juridique antérieur et que la loi lui reconnaissait expressément à l'
art. 504 al. 3 CO
. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
5255cc19-adf6-4ab5-8734-3a3d0bac0e54 | Urteilskopf
121 I 367
48. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Oktober 1995 i.S. V. gegen Einwohnergemeinde X. und Regierungsrat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Recht auf Existenzsicherung.
Das Recht auf Existenzsicherung ist durch ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes gewährleistet (E. 2a-c).
Auf dieses Recht können sich auch Ausländer berufen, unabhängig davon, welchen aufenthaltsrechtlichen Status sie haben (E. 2d).
Entzug von Fürsorgeleistungen wegen Rechtsmissbrauchs? Fall ehemaliger Flüchtlinge, die sich weigern, in ihrem (früheren) Heimatstaat ein Gesuch um Wiedereinbürgerung zu stellen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 367
BGE 121 I 367 S. 367
Die drei Brüder V. (geb. 1955, 1958 und 1960) lebten seit dem Jahre 1980 zusammen mit ihrer Mutter als anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz. Mit
BGE 121 I 367 S. 368
Urteil des Richteramtes Bern vom 29. Oktober 1987 wurden sie zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt, und es wurde gegen sie eine dreijährige Landesverweisung ausgesprochen. Die Landesverweisung konnte vorerst nicht vollzogen werden. Aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse in der Tschechoslowakei stellte jedoch die Botschaft dieses Landes am 7. November 1990 den Gebrüdern V. Reisepapiere für tschechoslowakische Staatsangehörige aus, worauf sie in die Tschechoslowakei ausgeschafft wurden. Mit dem Vollzug der Landesverweisung erlosch das ihnen gewährte Asyl (Art. 44 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979; SR 142.31). Im September 1991 reisten die drei Brüder illegal wieder in die Schweiz ein. Sie wohnen seither bei ihrer Mutter in X., die durch Heirat Schweizer Bürgerin geworden ist. Eine erneute Ausschaffung nach (nunmehr) Tschechien war bisher nicht möglich, da sich die Behörden dieses Landes auf den Standpunkt stellen, den Gebrüdern V. sei seinerzeit die Staatsbürgerschaft entzogen worden; sie könnten sie zwar wiedererlangen, müssten hiefür aber ein Gesuch stellen, was die Gebrüder V. indessen bis heute nicht getan haben.
Nach ihrer Wiedereinreise in die Schweiz ersuchten die Gebrüder V. die Gemeinde X. um soziale Unterstützung, was die Gemeinde ablehnte. Nach Durchführung verschiedener Rechtsmittelverfahren schützte schliesslich der Regierungsrat des Kantons Bern den ablehnenden Entscheid der Gemeinde mit Beschluss vom 26. Oktober 1994.
Zur Begründung führte der Regierungsrat an, der rechtliche Status der Gebrüder V. sei nicht geregelt. Die Bundesbehörden prüften weiterhin ihre Rückübernahme durch Tschechien. Die Gebrüder V. hätten es in der Hand, ein Gesuch um Wiedereinbürgerung zu stellen, was ihnen erlauben würde, nach Tschechien zurückzukehren und dort erwerbstätig zu sein. Mit ihrer Weigerung, ein solches Gesuch zu stellen, hielten sie ihre Notlage absichtlich aufrecht. Das sei rechtsmissbräuchlich, weshalb ihnen die Fürsorgeleistungen vollumfänglich entzogen werden könnten.
Gegen den Beschluss des Regierungsrates haben die Gebrüder V. am 5. Dezember 1994 staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 86 Abs. 1 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Es stellt sich die
BGE 121 I 367 S. 369
Frage, ob die Beschwerdeführer vorerst an das kantonale Verwaltungsgericht hätten gelangen müssen. Streitgegenstand ist die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen, auf welche nach Art. 68 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 3. Dezember 1961 über das Fürsorgewesen (FüG) kein klagbarer Anspruch besteht. Da gemäss Art. 77 Abs. 1 lit. k des bernischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 23. Mai 1989 (VRPG) die Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht unzulässig ist gegen Verfügungen betreffend finanzielle Leistungen der öffentlichen Hand, auf die kein Rechtsanspruch besteht, erweist sich der angefochtene Entscheid des Regierungsrates als letztinstanzlich im Sinne von
Art. 86 Abs. 1 OG
. Diese Rechtslage, welche noch zum Zeitpunkt der Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde am 5. Dezember 1994 galt, hat sich in der Zwischenzeit geändert. Anfang 1995 ist die neue Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993 in Kraft getreten. Diese sieht in Art. 29 vor, dass jede Person bei Notlagen Anspruch auf Obdach, auf die für ein menschenwürdiges Leben notwendigen Mittel und auf grundlegende medizinische Versorgung hat. Die gesetzliche Regelung, wonach kein klagbarer Anspruch auf Fürsorgeleistungen besteht, ist insoweit obsolet, so dass heute im Sinne von Art. 77 Abs. 1 lit. k VRPG ein Anspruch auf diese staatlichen Leistungen gegeben ist und das Verwaltungsgericht zu deren Beurteilung zuständig wäre (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. April 1995, in BVR 1995 S. 565 ff.). Für das vorliegende Verfahren ist dies jedoch noch nicht der Fall, weshalb das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs erfüllt ist.
b) Nach
Art. 88 OG
steht die Befugnis zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde Bürgern (Privaten) hinsichtlich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in rechtlich geschützten eigenen Interessen beeinträchtigt wird; zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen wie auch zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen ist die Beschwerde nicht gegeben. Die eigenen rechtlichen Interessen, auf die sich der Beschwerdeführer berufen muss, können entweder durch Gesetzesrecht oder aber auch unmittelbar durch ein angerufenes spezielles Grundrecht geschützt sein. Das in
Art. 4 BV
enthaltene Willkürverbot verschafft für sich allein noch keine geschützte Rechtsstellung im Sinne von
Art. 88 OG
(
BGE 120 Ia 110
E. 1a, mit Hinweisen).
BGE 121 I 367 S. 370
Die Beschwerdeführer machen geltend, sie seien in ihrem bundesverfassungsmässigen Recht auf Existenzsicherung verletzt worden. Weiter berufen sie sich darauf, der Regierungsrat sei bei der Anwendung des bernischen Gesetzes über das Fürsorgewesen in Willkür verfallen, und schliesslich berufen sie sich auf den in Art. 29 Abs. 1 der neuen bernischen Kantonsverfassung (in Kraft seit 1. Januar 1995) verankerten Anspruch auf die für ein menschenwürdiges Leben notwendigen Mittel. Diese kantonale Grundrechtsgarantie fällt allerdings für die Beurteilung durch das Bundesgericht ausser Betracht. Massgebend ist im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde die Rechtslage, wie sie bestand, als der angefochtene Entscheid erging (
BGE 120 Ia 286
E. 2c/bb S. 291;
BGE 119 Ia 460
E. 4d S. 473;
BGE 102 Ia 243
E. 2 S. 246). Der Beschluss des Regierungsrates kann daher nicht an einem (im kantonalen Recht verankerten) Grundrecht gemessen werden, welches noch nicht in Kraft war, als der Regierungsrat am 26. Oktober 1994 über die Fürsorgeansprüche entschied. Zu prüfen ist im folgenden, ob sich die Beschwerdeführer auf ein bundesverfassungsmässiges Recht auf Existenzsicherung berufen können.
2.
a) Die Bundesverfassung sieht (anders nunmehr der Entwurf 1995 einer neuen Verfassung) ein Grundrecht auf Existenzsicherung nicht ausdrücklich vor. Es sind ihr jedoch auch ungeschriebene verfassungsmässige Rechte zu entnehmen. Eine Gewährleistung von in der Verfassung nicht genannten Freiheitsrechten durch ungeschriebenes Verfassungsrecht wurde vom Bundesgericht in bezug auf solche Befugnisse angenommen, welche Voraussetzung für die Ausübung anderer (in der Verfassung genannter) Freiheitsrechte bilden oder sonst als unentbehrliche Bestandteile der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Bundes erscheinen. Um die dem Verfassungsrichter gesetzten Schranken nicht zu überschreiten, hat das Bundesgericht stets auch geprüft, ob die in Frage stehende Gewährleistung bereits einer weitverbreiteten Verfassungswirklichkeit in den Kantonen entspreche und von einem allgemeinen Konsens getragen sei (
BGE 115 Ia 234
E. 10 S. 268;
BGE 104 Ia 88
E. 5c S. 96 mit Hinweisen). So hat das Bundesgericht die Eigentumsgarantie (ZBl 62/1961, S. 69 ff.), die Meinungsäusserungsfreiheit (
BGE 87 I 114
E. 2 S. 117), die persönliche Freiheit (
BGE 89 I 92
E. 3 S. 98), die Sprachenfreiheit (
BGE 91 I 480
) und die Versammlungsfreiheit (
BGE 96 I 219
) als ungeschriebene verfassungsmässige Rechte des Bundes anerkannt, nicht aber beispielsweise ein Recht auf freie Grabmalgestaltung (
BGE 96 I 104
E. 1 S. 107), ein Recht
BGE 121 I 367 S. 371
auf Bildung (
BGE 103 Ia 369
E. 4a S. 377/378;
BGE 103 Ia 394
E. 2 S. 398/399) oder eine über den Gehalt von Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit hinausreichende Demonstrationsfreiheit (
BGE 100 Ia 392
E. 4b und c S. 399 ff.).
b) Die Sicherung elementarer menschlicher Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Obdach ist die Bedingung menschlicher Existenz und Entfaltung überhaupt. Sie ist zugleich unentbehrlicher Bestandteil eines rechtsstaatlichen und demokratischen Gemeinwesens (JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Bern 1991, S. 40). Insoweit erfüllt die Existenzsicherung die Voraussetzungen, um als ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht gewährleistet zu werden.
Es stellt sich damit die weitere Frage, ob ein solches Grundrecht von einem allgemeinen Konsens getragen ist. Dieser Konsens ist nicht ausschliesslich am geschriebenen Verfassungsrecht der Kantone zu messen, welches seinerseits lückenhaft ist. Er kann sich auch aus der tatsächlich geübten Praxis und der Verfassungsrechtslehre oder aus anderen Quellen ergeben (J.P. MÜLLER, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1978, ZBJV 116/1980, S. 237; ANDRÉ GRISEL, Les droits constitutionnels non écrits, Festschrift Häfelin, Zürich 1989, S. 59; MICHEL ROSSINELLI, Les libertés non écrites, Diss. Genf 1987, S. 217). Was vorerst das geschriebene kantonale Verfassungsrecht betrifft, gewährleisten die Verfassung des Kantons Basel-Landschaft sowie die neue - hier noch nicht anwendbare - Verfassung des Kantons Bern ausdrücklich ein Grundrecht auf Existenzsicherung (
§ 16 KV/BL
,
Art. 29 Abs. 1 KV/BE
). Dasselbe gilt für die von der Landsgemeinde des Kantons Appenzell A.Rh. am 30. April 1995 angenommene, von der Bundesversammlung zur Zeit noch nicht gewährleistete neue Verfassung (Art. 24 Abs. 1). Andere Kantonsverfassungen haben die Sozialhilfe in Form von Staatszielbestimmungen oder Gesetzgebungsaufträgen geregelt (PASCAL COULLERY, Das Recht auf Sozialhilfe, Bern 1993, S. 122 f.). Wenn in den neueren Verfassungen der Kantone Aargau (§ 25 Abs. 2 und § 39), Uri (Art. 44), Solothurn (Art. 22), Thurgau (§ 65) und Glarus (Art. 26) bewusst davon abgesehen wurde, einen individualrechtlichen Anspruch auf Existenzsicherung zu verankern (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, Rz. 23 zu § 25), beruht dies kaum auf einem grundsätzlichen Vorbehalt in der Sache, sondern eher auf der Überlegung, dass die staatliche Sozialhilfe wesensgemäss
BGE 121 I 367 S. 372
subsidiären Charakter hat und das Zusammenwirken von Bund, Kantonen und Gemeinden auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit notwendigerweise der gesetzlichen Regelung bedarf. Auf der Ebene der Gesetzgebung wird in allen Kantonen, ob als individuelles Recht ausgestaltet oder nicht, davon ausgegangen, dass Bedürftigen Hilfe zu leisten ist, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (FELIX WOLFFERS, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern/Stuttgart/Wien 1993, S. 90). Der Grundsatz, dass der in wirtschaftliche Not geratene Bürger (von seiner Heimatgemeinde) unterstützt werden muss, ist dem schweizerischen Recht seit langer Zeit bekannt; er geht bis ins 16. Jahrhundert zurück (FRITZ FLEINER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Tübingen 1923, S. 526). Das Bundesgericht seinerseits hat in älteren Entscheiden (zur interkantonalen Armenpflege) schon erklärt, es sei sowohl Gebot der Menschlichkeit wie auch dem Zweck des modernen Staates inhärente Pflicht, die auf seinem Gebiete befindlichen Personen nötigenfalls vor dem physischen Verderben zu bewahren (
BGE 51 I 325
E. 2 S. 328;
BGE 40 I 409
E. 2 S. 416).
In der Lehre wird ein Grundrecht auf Existenzsicherung praktisch einhellig anerkannt (grundlegend J.P. MÜLLER, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, in ZSR 92/1973 II 896 ff.; derselbe, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, S. 3, 39 ff.; siehe auch GRISEL, a.a.O., S. 76 f.; PETER SALADIN, Persönliche Freiheit als soziales Grundrecht?, in Mélanges Berenstein, Lausanne 1989, S. 104; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Un droit social encadré, ZSR 110/1991 I S. 165; ROSSINELLI, a.a.O., S. 218 ff.; WOLFFERS, a.a.O., S. 78 ff.; COULLERY, a.a.O., S. 109 ff.; UELI KIESER, Gewährleistet die Bundesverfassung ein ungeschriebenes Recht auf Sozialhilfe?, in ZBl 92/1991 S. 189 ff.). Dabei wird in erster Linie die Auffassung vertreten, es handle sich um ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht. Es wird aber auch auf verschiedene weitere verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte Bezug genommen: Das Verfassungsprinzip der Menschenwürde, welches jeder Person garantiert, was sie um ihres Menschseins willen vom Gemeinwesen erwarten darf; das Recht auf Leben als Kerngehalt der persönlichen Freiheit, welches nicht mehr gewahrt wäre, wenn die minimalsten Voraussetzungen des Überlebens nicht gesichert wären; die persönliche Freiheit in ihrer Ausprägung als Garantie aller elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung; der Gleichheitssatz, dem auch die Funktion zukomme, minimale materielle Gerechtigkeit zu garantieren; schliesslich die Verfassungsvorschrift von
Art. 48 Abs. 1 BV
, wonach Bedürftige von dem
BGE 121 I 367 S. 373
Kanton unterstützt werden, in dem sie sich aufhalten, was auch als grundrechtlicher Anspruch verstanden werden könne.
c) Kann demnach angenommen werden, die Gewährleistung eines verfassungsmässigen Rechts auf Existenzsicherung werde von einem weitgehenden Konsens getragen, stellt sich die weitere Frage, ob ein solches Recht hinreichend justiziabel ist. Während grundrechtliche Abwehransprüche diesbezüglich keine Probleme aufwerfen, setzen Leistungsansprüche voraus, dass diese normativ hinreichend bestimmt sind und vom Richter mit den ihm zur Verfügung stehenden Verfahren und Mitteln konkretisiert und durchgesetzt werden können (J.P. MÜLLER, Kommentar BV, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 88, 89). Der Richter hat dabei die funktionellen Grenzen seiner Zuständigkeit zu beachten. Er hat, angesichts der Knappheit staatlicher Ressourcen, nicht die Kompetenz, die Prioritäten bei der Mittelaufteilung zu setzen. Unmittelbar grundrechtsgeboten und vom Richter durchsetzbar kann daher immer nur ein Minimum staatlicher Leistung sein (DIETER GRIMM, Rückkehr zum liberalen Grundrechtsverständnis?, recht 1988, S. 49).
Das Grundrecht auf Existenzsicherung erfüllt diese Bedingungen der Justiziabilität. Es ist als solches auf ein grundrechtsgebotenes Minimum (Hilfe in Notlagen) ausgerichtet. Die damit verbundenen Staatsausgaben sind aufgrund der Sozialhilfegesetzgebung in den Kantonen anerkannt; sie bedürfen keiner finanzpolitischen Grundentscheidung mehr. Was unabdingbare Voraussetzung eines menschenwürdigen Lebens darstellt, ist hinreichend klar erkennbar und der Ermittlung in einem gerichtlichen Verfahren zugänglich. In Frage steht dabei allerdings nicht ein garantiertes Mindesteinkommen. Verfassungsrechtlich geboten ist nur, was für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen Bettelexistenz zu bewahren vermag. Es ist in erster Linie Sache des zuständigen Gemeinwesens, auf Grundlage seiner Gesetzgebung über Art und Umfang der im konkreten Fall gebotenen Leistungen zu bestimmen. Dabei kommen sowohl Geldleistungen wie auch Naturalleistungen in Betracht (WOLFFERS, a.a.O., S. 127 ff.). Lediglich dann, wenn das einfache Gesetzesrecht im Ergebnis dem verfassungsrechtlichen Minimalanspruch nicht zu genügen vermag, ist unmittelbar darauf abzustellen. Hier ist es freilich nicht angezeigt, dazu im einzelnen Ausführungen zu machen, da nicht Art und Umfang der Leistungen streitig sind, sondern sich einzig die Frage stellt, ob den Beschwerdeführern die Unterstützung überhaupt verweigert werden durfte.
BGE 121 I 367 S. 374
d) Die Beschwerdeführer sind allerdings nicht schweizerische Staatsangehörige.
Soweit ein Grundrecht menschenrechtlich begründet ist, steht es sowohl Schweizern als auch Ausländern zu (J.P. MÜLLER, Kommentar BV, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 99). Das Bundesgericht hat die menschenrechtliche Komponente in den bereits zitierten älteren Entscheiden (
BGE 51 I 325
;
BGE 40 I 409
) betont, wenn es ausführte, es sei sowohl Gebot der Menschlichkeit wie auch dem Zweck des modernen Staates inhärente Pflicht, die auf seinem Gebiete befindlichen Personen nötigenfalls vor dem physischen Verderben zu bewahren. Diese Hilfepflicht anerkannte das Bundesgericht unabhängig davon, welche rechtliche Beziehung zum jeweiligen Kanton besteht (
BGE 40 I 409
E. 2 S. 416), und es hielt fest, die Fürsorgepflicht gegenüber Ausländern (im konkreten Fall einer nicht aufenthaltsberechtigten, mit gefälschten Papieren eingereisten Russin und ihrem Sohn) bestehe auch dann, wenn kein völkerrechtlicher Vertrag es gebiete, und so lange, als die Repatriierung nicht möglich sei (
BGE 51 I 325
E. 2 S. 328/29). Der Geltungsbereich des Grundrechts auf Existenzsicherung ist damit nicht allein auf schweizerische Staatsangehörige beschränkt; er erstreckt sich auch auf Ausländer, unabhängig davon, welcher aufenthaltsrechtliche Status ihnen zukommt. Das schliesst freilich Differenzierungen nicht aus: Wer in der Schweiz (als Schweizer oder Ausländer) niedergelassen ist, hat andere Unterstützungsbedürfnisse als derjenige, der bei einem kurzfristigen Aufenthalt in Not gerät oder bei dem noch nicht feststeht, ob er (z.B. als Asylbewerber) in der Schweiz bleiben kann oder nicht.
e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführer auf das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung berufen können und demnach auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist.
3.
a) Die Fürsorgekommission der Gemeinde X. hat den Beschwerdeführern jede Unterstützungsleistung mit der Begründung verweigert, ihr aufenthaltsrechtlicher Status sei nicht geregelt. Im angefochtenen Entscheid des Regierungsrates wird dieser Standpunkt zu Recht nicht übernommen. Wie bereits ausgeführt, kommt es für die Pflicht des Staates, Menschen zu helfen, die sich auf seinem Gebiet aufhalten und in Not geraten sind, nicht auf das rechtliche Verhältnis an, das zu ihm besteht. Die Verpflichtung, die erforderliche Hilfe zu leisten, gilt so lange, bis sie ausreisen oder heimgeschafft werden können (siehe auch WERNER THOMET,
BGE 121 I 367 S. 375
Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger, 2. Aufl., Zürich 1994, S. 142, Rz. 229). Wohl sind die Unterstützungsbedürfnisse anderer Art und können die Leistungen auch entsprechend anders bemessen werden, wenn lediglich ein vorübergehender tatsächlicher Aufenthalt vorliegt. Die Verweigerung jeglicher Unterstützung lässt sich aber mit dem verfassungsmässigen Recht auf Existenzsicherung nicht vereinbaren.
b) Im angefochtenen Entscheid wird der Anspruch auf Fürsorgeleistungen mit dem Argument abgelehnt, die Beschwerdeführer handelten rechtsmissbräuchlich. Es ist anerkannt, dass selbst ohne gesetzliche Grundlage ein vollständiger Leistungsentzug zulässig ist, wenn sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich verhält (WOLFFERS, a.a.O., S. 168). Rechtsmissbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (
BGE 121 II 97
E. 4 S. 103;
BGE 110 Ib 332
E. 3a S. 336/37;
BGE 94 I 659
E. 4 S. 667).
Die Sozialhilfe hat zum Zweck, Notlagen zu verhüten und zu beheben. Sie soll, wie sich das bernische Gesetz über das Fürsorgewesen ausdrückt, den Bedürftigen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen (Art. 53 Abs. 1 FüG). Auf die Ursachen der Bedürftigkeit kommt es hiebei nicht an. Während die Sozialversicherungen bestimmte Risiken abdecken sollen, ist die Sozialhilfe subsidiär, als "Netz unter dem Netz", auf alle Formen von Bedürftigkeit ausgerichtet, gänzlich unabhängig von deren Ursache (WOLFFERS, a.a.O., S. 35; ANNE MÄDER/URSULA NEFF, Vom Bittgang zum Recht, Bern 1988, S. 23). Die Beschwerdeführer können für ihren Unterhalt nicht selber aufkommen, da sie nicht berechtigt sind, in der Schweiz erwerbstätig zu sein. Gemäss Art. 14a Abs. 1 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) verfügt das Bundesamt für Flüchtlinge zwar die vorläufige Aufnahme, wenn der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist, was den kantonalen Behörden erlauben würde, dem Ausländer eine unselbständige Erwerbstätigkeit zu bewilligen (
Art. 14c Abs. 3 ANAG
). Ein solcher Entscheid ist bis anhin von den Bundesbehörden aber nicht getroffen worden (die kantonale Fremdenpolizeibehörde könnte ihn beantragen,
Art. 14b Abs. 1 ANAG
), weshalb die Beschwerdeführer nicht in der Lage sind, selber für sich zu sorgen. Wenn sie in dieser Situation um Fürsorgeleistungen ersuchen, nehmen sie dieses Rechtsinstitut nicht für einen ihm fremden Zweck in Anspruch.
BGE 121 I 367 S. 376
c) Das übersieht der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid an sich nicht. Er argumentiert damit, dass es die Beschwerdeführer in der Hand hätten, bei den tschechischen Behörden ein Gesuch um Wiedereinbürgerung zu stellen, was ihnen erlauben würde, in dieses Land zurückzukehren und dort erwerbstätig zu sein.
Die Beschwerdeführer sind im Jahre 1980 in die Schweiz gekommen und lebten hier als anerkannte Flüchtlinge. Ihre Flüchtlingseigenschaft verloren sie zehn Jahre später aufgrund der Regelung von Art. 44 Abs. 2 des Asylgesetzes mit dem Vollzug einer Landesverweisung, welche ihnen gegenüber zusammen mit kurzen bedingten Gefängnisstrafen ausgesprochen worden war. Im Jahre 1989 wurde ihnen die Staatsbürgerschaft der Tschechischen Sozialistischen Republik und damit auch diejenige der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik entzogen. Nach dem Gesetz Nr. 88 vom 28. März 1990 der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, welches mit Verfassungsgesetz des tschechischen Nationalrates vom 15. Dezember 1992 von der Tschechischen Republik übernommen wurde, hätten die Beschwerdeführer bis zum 31. Dezember 1993 die Möglichkeit gehabt, durch schriftliche Erklärung die Staatsbürgerschaft wieder zu erlangen. Ob dies auch heute noch möglich wäre, erscheint zweifelhaft. Nach dem Gesetz der Tschechischen Republik vom 29. Dezember 1992 über den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit könnten sie von der ordentlichen Einbürgerungsvoraussetzung des fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts (§ 7 Abs. 1 lit. a) befreit werden, da sie früher die tschechische und tschechoslowakische Staatszugehörigkeit besassen, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie ihren Wohnsitz auf dem Gebiet der Republik haben (§ 11 Abs. 1). Diese Regelung schliesst freilich nicht aus, dass die tschechischen Behörden bereit sein könnten, ihre ehemaligen Staatsbürger zu übernehmen und ihnen anschliessend, nachdem sie dort erneut Wohnsitz begründet haben, die Staatsbürgerschaft wieder zu verleihen. Die entsprechenden diplomatischen Bemühungen des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten scheinen indessen definitiv gescheitert zu sein, wie einem Schreiben des Bundesamtes für Flüchtlinge vom 17. Mai 1995 an die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern entnommen werden kann.
Auch wenn es den schweizerischen Behörden unbenommen bleibt, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Behörden der Tschechischen Republik zur Übernahme der Beschwerdeführer zu bewegen, kann kein Rechtsmissbrauch darin
BGE 121 I 367 S. 377
erblickt werden, dass diese die tschechische Staatsbürgerschaft nicht wieder erlangen wollen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass sie als Flüchtlinge anerkannt worden waren, als sie im Jahre 1980 ihre damalige Heimat verlassen hatten. Ist aber davon auszugehen, dass sie seinerzeit in der Tschechoslowakei staatlich verfolgt wurden, kann kaum verlangt werden, dass sie sich durch freiwillige Annahme der Staatsbürgerschaft wieder unter den Schutz des Staates stellen, der sie verfolgt hatte. Daran ändert nichts, dass die politischen Verhältnisse heute andere sind als damals. Überdies fällt in Betracht, dass die Beschwerdeführer lange Jahre in der Schweiz lebten, ihre Mutter Schweizerbürgerin geworden ist und sie als anerkannte Flüchtlinge den Kontakt zu ihrem Heimatstaat nicht aufrechterhalten konnten, zumal bereits eine Besuchsreise zum Widerruf des Asyls hätte führen können (WALTER KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 162).
d) Selbst wenn den Beschwerdeführern aus ihrem Verhalten ein Vorwurf zu machen wäre, könnte der Standpunkt des Regierungsrates nicht geteilt werden. Er lässt die einschlägige Regelung des bernischen Gesetzes über das Fürsorgewesen ausser acht. Danach kann die unerlässliche Unterstützung einem Bedürftigen auch dann nicht verweigert werden, wenn er seine Bedürftigkeit "in gröblicher Weise selber verschuldet" hat (Art. 65 FüG). Das entspricht dem die Sozialhilfe prägenden Grundsatz, dass die Gründe für die Notlage irrelevant sind (Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 14. Mai 1986, BVR 1988 S. 36; ebenso WOLFFERS, a.a.O., S. 167, der festhält, dass kein Kanton den vollständigen Leistungsentzug wegen selbstverschuldeter Notlage kennt). Rechtsmissbrauch liegt erst dann vor, wenn das Verhalten des Bedürftigen einzig darauf ausgerichtet ist, in den Genuss von Hilfeleistungen zu gelangen, wenn er also beispielsweise bewusst eine Erwerbsmöglichkeit ausschlägt, um sich stattdessen unterstützen zu lassen (WOLFFERS, a.a.O., S. 168). Das lässt sich vorliegend aber nicht sagen. Die Beschwerdeführer weigern sich nicht deshalb, bei den tschechischen Behörden ein Wiedereinbürgerungsgesuch zu stellen, weil sie Unterstützungsleistungen bei der Gemeinde X. beziehen wollen. Sie tun dies allenfalls darum, weil sie in der Schweiz bleiben wollen, dem Land, in dem sie mit kurzem Unterbruch seit 1980 leben und das sie seinerzeit als Flüchtlinge anerkannt hatte. Ihre Bedürftigkeit ist Folge davon, dass sie weder ausgeschafft werden können, noch ihnen erlaubt ist, hier erwerbstätig zu sein. Bei dieser Sachlage nehmen sie aber das Rechtsinstitut der
BGE 121 I 367 S. 378
Sozialhilfe nicht zweckwidrig in Anspruch. Ein offenbarer Rechtsmissbrauch liegt nicht vor. Der angefochtene Entscheid verletzt daher das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung.
4.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als begründet. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern ist aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
525aa8e6-add5-4341-b3fe-2ae04d2a28ca | Urteilskopf
107 IV 35
12. Urteil des Kassationshofes vom 30. März 1981 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden gegen Dr. G. (Nichtigkeitsbeschwerde). | Regeste
Art. 181 StGB
. Nötigungsversuch.
Fall eines Arbeitgebers, der einen Arbeitnehmer zur Einreichung der Kündigung und zum Verzicht auf die Angabe von Gründen für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu veranlassen sucht mit der Androhung, andernfalls werde kein Abschlusszeugnis ausgestellt. Die Verweigerung des Arbeitszeugnisses ist ein rechtswidriges Mittel und kann einen ernstlichen Nachteil darstellen. | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 107 IV 35 S. 36
A.-
Die deutschen Staatsangehörigen Horst und Ella E. waren seit Sommer 1978 (1. Juni bzw. 1. September 1978) beim Spital X. als Anästhesiepfleger angestellt. Der damals interimistisch als Chirurg am Spital tätige Dr. G. richtete am 2. Februar 1979 an das Ehepaar E. folgendes Schreiben:
"Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen, dem Unterzeichneten und Dr. H. ist aus verschiedenen Gründen unbefriedigend. Ich bin im Besitze von 3 Bewerbungen von Schweizerbürgern mit abgeschlossener Ausbildung. Ich bitte Sie deshalb, ungehend die Kündigung einzureichen. Dies ermöglicht mir, Ihnen ein Abschlusszeugnis auszustellen..."
Am 6. Februar 1979 schrieb er dem Ehepaar E. einen zweiten Brief:
"Besten Dank für Ihr Schreiben vom 5.2.1979. Ich bin gerne bereit, Ihnen die verschiedenen Gründen zu nennen, die die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Unterzeichneten, sowie mit Herrn Dr. H. erschwert haben. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass ich Ihnen danach kein Abschlusszeugnis aushändigen kann. Ich bitte Sie, sich die Situation zu überlegen. Ich mache Sie ebenso darauf aufmerksam, dass in den nächsten Tagen die beiden ersten ernsthaften Bewerberinnen für eine Anästhesiestelle orientierungshalber einen Tag in diesem Spital verbringen werden. In Anbetracht dieser Situation sollte es klar sein, dass ich diesen beiden Bewerberinnen, sofern sie die fachlichen Qualitäten aufweisen, als Schweizerbürgerinnen den Vorrang geben würde.
Ich bitte Sie deshalb, mir Ihre Entscheidung bis zum 15.2.1979 zukommen zu lassen. Sofern bis zu diesem Zeitpunkt Ihrerseits keine Entscheidung getroffen worden ist, werde ich mich veranlasst sehen, unter Angabe der Gründe durch Herrn Dr. Z. das Arbeitsverhältnis mit Ihnen
BGE 107 IV 35 S. 37
kündigen zu lassen..."
B.-
Das Kantonsgericht Obwalden verurteilte Dr. G. am 7. Mai 1980 wegen vollendeten Nötigungsversuches zu einer Busse von Fr. 500.-. Das Obergericht hat die hiegegen eingereichte Appellation am 18. November 1980 gutgeheissen und Dr. G. von Schuld und Strafe freigesprochen.
C.-
Die Staatsanwaltschaft Obwalden führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Obwalden vom 18. November 1980 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Dr. G. stellt in seiner Vernehmlassung den Antrag, auf die Nichtigkeitsbeschwerde sei nicht einzutreten, sofern auf sie eingetreten werde, sei sie vollumfänglich abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In der Vernehmlassung des Beschwerdegegners wird geltend gemacht, die Frage, ob die angedrohte Verweigerung eines Zeugnisses einen "ernstlichen Nachteil" im Sinne von
Art. 181 StGB
darstelle, sei rein tatsächlicher Nature und deren Beurteilung durch die Vorinstanz daher gemäss
Art. 277bis BStP
mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht anfechtbar.
Mit dieser Argumentation wird der Begriff der für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellung verkannt. Tatsächlicher Natur sind die Feststellungen darüber, was der Täter wusste und wollte und was er effektiv getan hat. Ob aber das festgestellte Verhalten den im Gesetz umschriebenen Tatbestand erfüllt, ob also im konkreten Fall der angedrohte Nachteil als ernstlicher Nachteil im Sinne von
Art. 181 StGB
zu qualifizieren ist, stellt eine Frage der Auslegung und Anwendung des Bundesrechts dar, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde dem Kassationshof zum Entscheid vorgelegt werden kann.
Der Einwand, die in der Nichtigkeitsbeschwerde erhobene Rüge sei unzulässig, erweist sich somit nicht als stichhaltig. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist einzutreten.
2.
Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen des Obergerichts ist davon auszugehen, dass Dr. G. die Eheleute E. mit der Drohung, er werde ihnen sonst kein Arbeitszeugnis ausstellen, zu veranlassen suchte, selber zu kündigen und auf das Erfragen der Gründe für die von ihm verlangte Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu verzichten.
BGE 107 IV 35 S. 38
Soweit der Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung behauptet, seine Äusserungen seien dahin zu verstehen gewesen, dass er lediglich "kein gutes Zeugnis" ausstellen könne, setzt er sich in klaren Widerspruch zu den unmissverständlichen Feststellungen der Vorinstanz und deren Schlussfolgerung, dass Dr. G. in seinen Briefen die Möglichkeit, ein gutes Zeugnis auszustellen, in der gegebenen Situation von vornherein ausgeschlossen hat. Seine briefliche Drohung konnte - entsprechend ihrem Wortlaut - nur den Sinn haben, dass überhaupt kein Zeugnis ausgestellt werde.
Die mit dieser Drohung verfolgten Ziele waren an sich nicht unerlaubt. Der Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer ersuchen, seinerseits die Kündigung einzureichen, indem er ihm z.B. in Aussicht stellt, sonst werde ihm (unter Wahrung der gesetzlichen bzw. vertraglichen Fristen) gekündigt. Es steht dem Arbeitgeber an sich auch frei, eine einlässliche Erörterung der Gründe, die ihn zur Auflösung des Vertrages veranlassen, zu vermeiden. Rechtswidrig war im vorliegenden Fall das Mittel, mit dem Dr. G. sein Ziel zu erreichen suchte. Gemäss
Art. 330a OR
hat der Arbeitnehmer einen unabdingbaren (
Art. 362 OR
) Anspruch auf ein Zeugnis. Die Drohung, man werde sonst kein Arbeitszeugnis ausstellen, ist kein zulässiges Mittel, um einen Arbeitnehmer zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Das wird auch im Urteil der Vorinstanz zutreffend festgehalten.
3.
Das Obergericht nahm aber an, die Verweigerung des Arbeitszeugnisses sei kein ernstlicher Nachteil: Schon der Hinweis auf
Art. 330a OR
durch die Eheleute E. hätte Dr. G. zur Ausstellung eines Zeugnisses veranlasst. Zudem sei der gesetzlich geregelte Anspruch auf ein Zeugnis ohne weiteres in einem einfachen, raschen und kostenlosen Gerichtsverfahren (
Art. 343 OR
) durchsetzbar. Die Drohung, kein Zeugnis auszustellen, sei daher nicht geeignet, die Betroffenen zur Kündigung und zum Verzicht auf Bekanntgabe der Gründe für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu motivieren. Man dürfe auch ganz allgemein die Bedeutung des Arbeitszeugnisses nicht überschätzen.
Nach der Rechtsprechung ist ein angedrohter Nachteil ernstlicher Natur (im Sinne von
Art. 181 StGB
), wenn die Androhung geeignet ist, auch eine verständige Person in der Lage des Betroffenen gefügig zu machen (
BGE 105 IV 122
mit Verweisungen).
BGE 107 IV 35 S. 39
Damit der Tatbestand der Nötigung - mindestens in der Form eines (tauglichen) Versuchs - erfüllt ist, muss die verwendete Drohung objektiv als Beeinflussungsmittel geeignet erscheinen und subjektiv vom Täter bewusst eingesetzt werden, um den Betroffenen - entgegen seinem eigentlichen Willen - zu dem vom Täter gewünschten Verhalten zu veranlassen.
a) Auch wenn das Arbeitszeugnis heute vielleicht eine kleinere Rolle spielt als früher, so ist doch - vor allem für eine Fachkraft mit besonderer Verantwortung im Spitalwesen - die Drohung, es werde kein Arbeitszeugnis ausgestellt, nicht eine harmlose, den Betroffenen kaum beeinflussende Äusserung, sondern es geht dabei um einen ins Gewicht fallenden Nachteil für das weitere Fortkommen. Dass der angedrohten Weigerung mit dem Hinweis auf die gesetzliche Pflicht gemäss
Art. 330a OR
und nötigenfalls mit einer Klage beim Arbeitsgericht schliesslich erfolgreich begegnet werden könnte, nimmt der Drohung nicht von vornherein jede Wirkung; denn die Kenntnis der gesetzlichen Regelung und der Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung ist keineswegs allgemein vorauszusetzen. Zudem wird mancher Arbeitnehmer davor zurückschrecken, wegen eines Arbeitszeugnisses ein arbeitsgerichtliches Verfahren einzuleiten, und es vorziehen, durch Erfüllung der Forderungen des Arbeitgebers zu seinem Zeugnis zu kommen. Diese Reaktion dürfte vor allem bei einem Ausländer naheliegend sein. Die verwendete Androhung war somit an sich durchaus geeignet, die Adressaten zum gewünschten Verhalten (Kündigung und Verzicht auf irgendwelche Erklärungen über die Gründe der Auflösung des Arbeitsverhältnisses) zu veranlassen. Die Möglichkeit, einen angedrohten Nachteil gegebenenfalls mit verhältnismässig geringem Aufwand auf dem Rechtsweg zu vermeiden oder zu beseitigen, schliesst nicht aus, dass diese Androhung zur beabsichtigten Beeinflussung geeignet ist und sich somit auf einen ernstlichen Nachteil (im Sinne von
Art. 181 StGB
) bezieht.
Die Vorinstanz hat im konkreten Fall mit der Folgerung, die Androhung der Verweigerung des Arbeitszeugnisses habe keinen ernstlichen Nachteil zum Inhalt,
Art. 181 StGB
unrichtig ausgelegt und somit Bundesrecht verletzt.
b) Dass Dr. G. die unzulässige Androhung, er werde sonst kein Arbeitszeugnis ausstellen, vorsätzlich als Druckmittel verwendete, um das Ehepaar E. zur Kündigung und zum Verzicht
BGE 107 IV 35 S. 40
auf Erklärungen über die Gründe der Auflösung der Vertrages zu bewegen, ergibt sich aus dem Text des zweiten Briefes eindeutig. Er hat diese Drohung in der gegebenen Situation als taugliches Mittel erachtet, um die Eheleute E. zu dem von ihm gewünschten Verhalten, zu welchem sie freiwillig nicht bereit waren, zu bewegen. Diese Auffassung von Dr. G. ist übrigens im Rahmen des konkreten Sachverhaltes ein weiteres Indiz dafür, dass objektiv ein ernstlicher, d.h. für den massgebenden Entschluss der Betroffenen wesentlicher Nachteil angedroht wurde.
4.
Die Frage, ob der Beschwerdegegner gute, sachliche Gründe hatte, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Ehepaares E. zu verlangen, ist vom Kassationshof nicht zu untersuchen.
Da Dr. G. ein unzulässiges Druckmittel verwendete, ist die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gutzuheissen.
Art. 181 StGB
erfasst nicht nur schwerwiegende Taten, sondern - wie der Strafrahmen zeigt - auch rechtswidrige Beeinträchtigungen der Handlungsfreiheit, die als verhältnismässig leicht eingestuft werden können.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners wegen versuchter Nötigung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5262f454-5240-4991-9df6-9c75e87c71a7 | Urteilskopf
100 Ia 287
40. Auszug aus dem Urteil vom 18. September 1974 i.S. Primarschulgemeinde Küsnacht gegen Dr. R. Allemann und Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Gemeindeautonomie; Zulassung zu einem Kleinhallenbad.
Umfang der Autonomie der Gemeinde, wo sie aus eigener Initiative Einrichtungen erstellt und betreibt. Dürfen die kantonalen Behörden einen Gemeindeerlass lediglich auf seine Rechtmässigkeit überprüfen, so ist die Gemeindeautonomie verletzt, wenn sie zu Unrecht eine Rechtsverletzung annehmen (Erw. 2).
Die Benützung einer Anstalt setzt regelmässig eine Zulassung voraus (Erw. 3 a).
Der sachlich begründete, einer vernünftigen Begrenzung des Benützerkreises dienende Ausschluss Auswärtiger von der Benützung kommunaler Anstalten, die nach ihrer Aufnahmekapazität auf die Bedürfnisse der Einwohnerschaft zugeschnitten sind, ist nicht verfassungswidrig (Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 288
BGE 100 Ia 287 S. 288
A.-
Die Primarschulgemeinde Küsnacht betreibt im Rahmen ihrer Schulanlage "Heslibach" in Küsnacht ein Kleinhallenbad mit einem Schwimnmbecken von 10 m x 25 m. Dieses Kleinhallenbad ist, wenn es nicht von den Schulen der Gemeinde beansprucht wird, auch der Öffentlichkeit zugänglich. In der Benützungsordnung vom 10. Dezember 1970 wurde festgelegt, dass nur die Einwohner und die Bürger von Küsnacht Zutritt zum Bad haben (Badeordnung Art. 1 Abs. 1 Satz 1).
Gestützt auf diese Bestimmung wurde Dr. Allemann, der in Herrliberg wohnt und nicht Bürger von Küsnacht ist, als er am 12. April 1972 das Kleinhallenbad während der allgemeinen Öffnungszeit benützen wollte, vom Aufsichtspersonal abgewiesen.
Der Regierungsrat, an den Dr. Allemann die Angelegenheit nach erfolgloser Beschwerde bei der Primarschulpflege und erfolglosem Rekurs an den Bezirksrat Meilen weiterzog, hiess den Rekurs gut und hob die den Benützerkreis einschränkende Bestimmung der Badeordnung auf.
B.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrates reichte die Primarschulgemeinde Küsnacht staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, der angefochtene Regierungsratsbeschluss sei aufzuheben.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Regierungsrat habe Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Badeordnung für die Schwimmhalle Küsnacht zu Unrecht aufgehoben und dadurch die Autonomie der Schulgemeinde verletzt. Es dürften zwischen Personen, die in einer Gemeinde wohnen oder dort Bürger seien, und solchen, die zum betreffenden Ort keine nähere Beziehung haben, rechtliche Unterschiede gemacht werden, wenn triftige sachliche Gründe solche Unterschiede erheischen. Im Falle des Kleinhallenbades Heslibach bestehe bei
BGE 100 Ia 287 S. 289
freiem Zutritt auch für Auswärtige wegen des Mangels an Hallenbädern in der Umgebung die Gefahr der ständigen Überfüllung des Bades, sodass dann der Zutritt zeitweilig für jedermann gesperrt werden müsste. Durch eine solche Lösung würden Teile der ortsansässigen Bevölkerung von der Benützung des Bades praktisch ausgeschlossen oder darin jedenfalls stark behindert. Das Bad sei aber von der Gemeinde doch in erster Linie für die eigenen Bedürfnisse geschaffen worden und es bestehe ein vordringliches Interesse der Gemeindeeinwohner, die durch ihre Steuergelder finanzierten Institutionen auch tatsächlich benützen zu können. Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung gehe nicht so weit, in einem Fall wie dem vorliegenden Auswärtige und Einheimische betreffend Benützungsmöglichkeit gleichzustellen. Angesichts der beschränkten räumlichen Verhältnisse, der kurzen für die öffentliche Benützung zur Verfügung stehenden Zeit und des zu erwartenden Andrangs auswärtiger Besucher habe die Schulgemeinde den Kreis der Benützer auf die Einwohner und die Bürger der Gemeinde beschränken dürfen.
C.-
Namens des Regierungsrates beantragt die Direktion des Innern Abweisung der Beschwerde. Dr. Allemann stellt sinngemäss den gleichen Antrag. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
In materieller Hinsicht muss zunächst geprüft werden, ob der Primarschulgemeinde in dem hier zur Diskussion stehenden Bereich - Ordnung der Benützung einer kommunalen Anstalt - Autonomie zukommt.
Nach der Verfassung des Kantons Zürich gibt es neben politischen Gemeinden und Kirchgemeinden die Schulgemeinden (Primarschulgemeinden und Oberstufenschulgemeinden) als selbständige Körperschaften, welche für die Belange der Volksschule zuständig sind (Art. 42 und 52 Abs. 2 KV). Für die Schulgemeinden gilt wie für die andern Gemeinden der in Art. 48 KV umschriebene Grundsatz der Gemeindeautonomie; sie sind befugt, "ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken der Verfassung und der Gesetze selbständig zu ordnen". Zum autonomen Wirkungsbereich einer Gemeinde gehört traditionsgemäss die Regelung des Betriebes und der
BGE 100 Ia 287 S. 290
Benützung der von ihr errichteten Anstalten (wie Schulen, Heime, Spitäler, Bibliotheken usw.), unter Vorbehalt übergeordneter gesetzlicher Vorschriften des Kantons und des Bundes. Fällt die Errichtung und der Betrieb einer öffentlichen Anstalt in den gesetzlich geregelten Aufgabenkreis der Gemeinde, so ist die ihr auf diesem Gebiet zustehende Entscheidungsfreiheit in der Regel durch kantonales Recht begrenzt. Hingegen geniesst die Gemeinde dort, wo sie aus eigener Initiative Einrichtungen aufbaut und betreibt, zu deren Schaffung sie nicht verpflichtet ist und die nicht irgendwelchen gesetzlichen Vorschriften des Kantons unterstehen, eine umfassendere Gestaltungsfreiheit.
Das Kleinhallenbad der Primarschulgemeinde Küsnacht ist eine solche ohne gesetzliche Verpflichtung geschaffene kommunale Institution. Spezielle Vorschriften des kantonalen Rechts, welche die Entscheidungsfreiheit der Gemeinde einschränken könnten, bestehen offenbar nicht. In bezug auf die Ordnung des Betriebs des Kleinhallenbades hat die Beschwerdeführerin als Trägerin der von ihr erstellten Einrichtung demnach eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Gemeindeautonomie (
BGE 100 Ia 203
E. 2 mit Verweisungen; betr. Autonomie beim Betrieb kommunaler Anstalten vgl.
BGE 100 Ia 92
).
Ist folglich davon auszugehen, dass die Primarschulgemeinde Küsnacht bezüglich des Erlasses einer Badeordnung autonom ist, bleibt zu prüfen, ob der Regierungsrat, indem er im Zusammenhang mit einem Rechtsanwendungsfall die strittige Bestimmung über den Benützerkreis aufhob, tatsächlich in ihren geschützten Autonomiebereich eingegriffen hat.
Ob eine Gemeinde durch einen über autonomes Recht befindenden Rechtsmittelentscheid einer kantonalen Behörde in ihrer Autonomie verletzt ist, hängt vom Umfang der der Rekursinstanz zustehenden Überprüfungsbefugnis ab. Dürfen die kantonalen Behörden einen Gemeindeerlass lediglich auf seine Rechtmässigkeit überprüfen, so ist die Gemeindeautonomie verletzt, wenn sie zu Unrecht annehmen, es liege eine Rechtsverletzung vor, oder wenn sie auch die Zweckmässigkeit des Erlasses überprüfen und dadurch ihre Prüfungsbefugnis überschreiten (
BGE 93 I 160
).
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der Regierungsrat
BGE 100 Ia 287 S. 291
an sich kraft seiner Funktion als Aufsichtsbehörde verfassungswidrige Vorschriften oder Reglemente der Gemeinde aufheben kann; sie macht jedoch geltend, die strittige Benützungsvorschrift stelle - entgegen der Ansicht des Regierungsrates - keinen Verstoss gegen das sowohl in der Bundesverfassung (Art. 4) wie auch in der kantonalen Verfassung (Art. 2) verankerte Prinzip der Rechtsgleichheit dar. Die Autonomie der Primarschulgemeinde Küsnacht ist verletzt, wenn der Regierungsrat zu Unrecht eine Verletzung dieses Grundsatzes angenommen hat.
Nach der mehrfach, zuletzt in
BGE 96 I 456
bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichts bindet
Art. 4 BV
sowohl die rechtsanwendenden wie die rechtssetzenden, die kantonalen ebenso wie die kommunalen Behörden. Ausser den Schranken, die sich aus dem übrigen Verfassungs- und aus dem Bundesrecht ergeben, haben deshalb der kantonale und der kommunale Gesetzgeber das Gleichheitsprinzip nach
Art. 4 BV
zu beachten. Gegen diesen verfassungsmässigen Grundsatz verstösst ein allgemeinverbindlicher Erlass dann, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt, sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist. Bei der Umschreibung der Zulassungsbedingungen ist das Gemeinwesen als Träger einer Anstalt also insofern an das Prinzip der Rechtsgleichheit gebunden, als keine sachlich nicht vertretbaren Einschränkungen und Unterscheidungen getroffen werden dürfen (
BGE 92 I 510
).
3.
a) Die Benützung einer Anstalt ist nicht eine Art des Gemeingebrauchs öffentlicher Sachen, wie die Direktion des Innern in ihrer Vernehmlassung annimmt, sondern die Anstaltsbenützung setzt regelmässig eine Zulassung voraus (WOLFF H. J., Verwaltungsrecht II, 3. Aufl. S. 337). Die Zulassung kann sehr formlos erfolgen und an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft sein (z.B. Anmeldung und Registrierung als Bibliotheksbenützer, Zahlung einer Eintrittsgebühr bei Museen und Schwimmbädern). Oft verlangt aber die Art der Institution (z.B. höhere Schule) oder ihre beschränkte Kapazität (Schwimmbad, Sportanlage, Altersheim) eine gewisse Begrenzung des möglichen Benützerkreises.
Es ist Sache des Anstaltsträgers, die Benützungsordnung
BGE 100 Ia 287 S. 292
und die Zulassungsbedingungen festzulegen. Die Kompetenz zur Regelung dieser Frage ergibt sich aus der Trägerschaft selber und es bedarf keiner speziellen gesetzlichen Ermächtigung hiezu. Durch kantonale Vorschriften oder Subventionsbedingungen kann die Autonomie des Anstaltsträgers zur Regelung der Anstaltsordnung beschränkt sein. Solche Einschränkungen der Autonomie bestehen jedoch im vorliegenden Fall nicht.
b) Die Einrichtungen einer Gemeinde sind in der Regel nach ihrer Grösse und Aufnahmekapazität auf die Bedürfnisse der Einwohnerschaft zugeschnitten. Wenn zur Vermeidung eines übermässigen Andranges und unangenehmer Wartezeiten die Benützung eines Kleinhallenbades den Gemeindeeinwohnern, welche die Steuerzahler des die Institution tragenden Gemeinwesens sind, vorbehalten wird, so bedeutet dies keine Rechtsungleichheit. Aus
Art. 4 BV
lässt sich nicht ableiten, dass eine Gemeinde als Trägerin einer öffentlichen Anstalt verpflichtet sei, deren Benützung jedermann - d.h. auch auswärtigen Interessenten - zu gestatten, selbst unter Benachteiligung der Gemeindeeinwohner. Die Begrenzung des Benützerkreises auf Gemeindeeinwohner verletzt
Art. 4 BV
folglich nicht.
Zwar erscheint in dieser Beziehung eine gewisse interkommunale Grosszügigkeit und Solidarität als wünschenswert. In einer bevölkerungsdichten Agglomeration kann aber einer Gemeinde nicht zugemutet werden, dass sie die auf die Bedürfnisse ihrer Einwohner zugeschnittenen Anstalten ohne weiteres auch Auswärtigen, insbesondere den Bewohnern benachbarter Gemeinden, öffnet und damit einen übermässigen Andrang in Kauf nimmt, zum Nachteil der Gemeindeeinwohner, für welche die Institutionen eigentlich bestimmt sind. Der sachlich begründete, einer vernünftigen Begrenzung des Benützerkreises dienende Ausschluss Auswärtiger von der Benützung kommunaler Anstalten ist nicht verfassungswidrig (vgl. hiezu GRISEL, Droit administratif suisse, S. 122 oben; WOLFF, a.a.O. S. 338 oben).
c) Der Regierungsrat ging davon aus, dass die Gefahr eines übermässigen Andrangs in Spitzenzeiten bestehe. In der Beschwerdeantwort bestreitet Dr. Allemann diese Gefahr unter Hinweis auf die liberaleren Benützungsordnungen anderer Hallenbäder in der Region Zürich; er fügt jedoch gleich bei,
BGE 100 Ia 287 S. 293
dass der Gefahr eines übermässigen Andranges wie in andern Gemeinden durch zeitweise Sperre des Bades zu begegnen wäre. Der Grad der Wahrscheinlichkeit einer zeitweiligen Überschreitung der Aufnahmekapazität ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Badeordnung letztlich nicht entscheidend. Eine Gemeinde, die das Risiko der Überfüllung einer kommunalen Anstalt durch die Zulassung Auswärtiger nicht in Kauf nimmt, sondern zum Schutze der Gemeindeeinwohner den Benützerkreis von vornherein auf Personen mit engeren Beziehungen zur Gemeinde (Einwohner und Bürger) beschränkt, trifft auf jeden Fall nicht eine Unterscheidung, die vor
Art. 4 BV
nicht haltbar ist, sondern bleibt mit dieser Benützungsordnung im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen.
d) Dieser Schluss steht nicht im Widerspruch zum Urteil vom 24. Oktober 1973, in welchem das Bundesgericht wegen Verletzung von
Art. 43 Abs. 4 und
Art. 60 BV
eine kantonale Vorschrift als verfassungswidrig bezeichnete, die bei der kantonalen Altersbeihilfe für Nichtkantonsbürger eine längere Karenzfrist vorsieht als für Kantonsbürger (
BGE 99 Ia 630
). In jenem Urteil ging es um das in besondern Verfassungsnormen statuierte Gebot der Gleichstellung niedergelassener Schweizerbürger anderer Kantone mit den Kantonsbürgern. Im vorliegenden Fall aber handelt es sich um die Frage, ob
Art. 4 BV
die Gemeinden verpflichtet, bei kommunalen Anstalten ohne Rücksicht auf die Aufnahmekapazität ortsfremden Interessenten einen gleichen Anspruch auf Anstaltsbenützung einzuräumen wie Ortsansässigen. Wenn es in vielen Bereichen als stossend und durch die Entwicklung weitgehend überholt erscheint, innerhalb der Einwohnerschaft eines Gemeinwesens zwischen Bürgern und andern niedergelassenen Schweizern zu unterscheiden, so lässt sich daraus gegen einen durch die Aufnahmekapazität der Institution begründeten Ausschluss Ortsfremder (Nicht-Einwohner) von der Benützung einer kommunalen Anstalt nichts ableiten.
Eine gewisse Parallele besteht hingegen zwischen der Regelung der Zulassung zur Anstaltsbenützung und der Bewilligung gesteigerten Gemeingebrauches an öffentlichen Strassen und Plätzen (
BGE 99 Ia 398
ff betr. Taxibewilligungen): Wie die Domizilklausel ein erlaubtes Mittel zur notwendigen Auswahl unter den Bewerbern um eine der nicht unbeschränkt
BGE 100 Ia 287 S. 294
möglichen Bewilligungen für gesteigerten Gemeingebrauch (z.B. Benützung von Taxistandplätzen) sein kann, so bildet auch bei der Ordnung der Benützung von Anstalten der Gemeinde die Beschränkung auf ortsansässige Interessenten ein verfassungsrechtlich zulässiges Kriterium zur sachlich gerechtfertigten Begrenzung des Benützerkreises. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
52684c6f-6806-46f5-b25e-6354c4e02c98 | Urteilskopf
121 III 156
34. Arrêt de la Ière Cour civile du 2 mai 1995 dans la cause A. contre dame T. (recours en réforme) | Regeste
Mietvertrag; Nichtigkeit, Unwirksamkeit und Anfechtbarkeit von Kündigungen.
Nur gültige Kündigungen unterstehen den besonderen Bestimmungen über den Kündigungsschutz (
Art. 271 ff. OR
). Unwirksame Kündigungen, wie zum Beispiel nichtige Kündigungen, müssen deshalb nicht innerhalb der dreissigtägigen Frist von
Art. 273 Abs. 1 OR
angefochten werden (Änderung der mit
BGE 119 II 147
E. 4 begründeten Rechtsprechung). Vorbehalten bleibt die Korrektur wegen Rechtsmissbrauchs. Folgen des Nichteinhaltens der Frist im vorliegenden Falle. | Sachverhalt
ab Seite 157
BGE 121 III 156 S. 157
A.-
Par contrat du 29 juillet 1992, dame T. a remis à bail à A. un appartement de quatre pièces sis dans un immeuble de Plan-les-Ouates. Le loyer a été fixé à 2'500 fr. par mois, charges comprises. Conclu pour une durée d'une année, soit du 16 juillet 1992 au 15 juillet 1993, le bail se renouvelait d'année en année, sauf dénonciation donnée trois mois avant son échéance.
Le 7 décembre 1992, A. a résilié le contrat avec effet immédiat, en invoquant principalement un défaut d'isolation phonique de l'immeuble et le comportement d'un voisin habitant l'appartement du dessus. La bailleresse a contesté le bien-fondé de cette résiliation par lettre du 11 décembre 1992. Le même jour, elle a mis en demeure ledit voisin de cesser de perturber le locataire de l'appartement du dessous, avec commination de résiliation immédiate de son bail pour justes motifs.
A. a quitté l'appartement le 4 janvier 1993 et, depuis lors, n'a plus payé son loyer.
B.-
Le 17 mai 1993, dame T. a assigné A. en paiement de la somme de 16'250 fr. représentant les loyers pour la période allant du mois de janvier 1993 jusqu'au 15 juillet de la même année, date de l'expiration du bail.
Après échec de la conciliation devant la Commission de conciliation compétente, la cause a été introduite devant le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève qui a rejeté la demande en paiement, par jugement du 4 janvier 1994, au motif que les droits de la bailleresse étaient périmés en vertu de l'
art. 273 al. 1 CO
.
Statuant le 17 octobre 1994, sur appel de la demanderesse, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a annulé le jugement de première instance et condamné le défendeur à payer à la demanderesse le montant de 16'250 fr., plus intérêts. Contrairement au Tribunal des baux et loyers, elle a jugé que l'
art. 273 CO
n'était pas applicable en l'espèce. Aussi le locataire, qui avait résilié indûment le bail de manière anticipée, n'était-il pas libéré de ses obligations envers la bailleresse, conformément à l'
art. 264 CO
.
BGE 121 III 156 S. 158
C.-
Le défendeur interjette un recours en réforme. Il y invite le Tribunal fédéral à déclarer irrecevable la demande en paiement et, partant, à débouter la demanderesse de toutes ses conclusions. A titre subsidiaire, le défendeur conclut au renvoi de la cause à la Chambre d'appel afin qu'elle complète ses constatations de fait en ce qui concerne les défauts de la chose louée.
Le Tribunal fédéral rejette le recours et confirme l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'
art. 273 al. 1 CO
, la partie qui veut contester le congé doit saisir l'autorité de conciliation dans les 30 jours qui suivent la réception du congé. La cour cantonale a-t-elle violé ou non le droit fédéral en excluant le congé litigieux du champ d'application de cette disposition? Pour répondre à cette question, il faut examiner de manière approfondie si l'introduction de l'annulabilité du congé, aux
art. 271 et 271a CO
, et la fixation d'un délai de 30 jours pour la faire valoir, à l'
art. 273 al. 1 CO
, signifient que tous les vices affectant la validité d'un congé - hormis les cas de nullité absolue, en particulier ceux visés par l'
art. 266o CO
- doivent être impérativement soumis dans les 30 jours à l'autorité de conciliation, sous peine de forclusion.
a) La doctrine est divisée. D'aucuns sont d'avis que l'obligation de la partie recevant un congé d'ouvrir action dans les 30 jours concerne exclusivement la faculté de se plaindre du caractère abusif de la dénonciation au regard des
art. 271 et 271a CO
; selon cette conception, l'
art. 273 al. 1 CO
n'affecte en rien le droit de se prévaloir non seulement de la nullité du congé pour vice de forme, mais encore du fait que les conditions prévues par la loi pour donner valablement un congé ne sont pas remplies (BARBEY, Protection contre les congés concernant les baux d'habitation et de locaux commerciaux, p. 203, n. 298). L'écoulement du délai de 30 jours n'a donc pas d'effet guérisseur sur les congés non valables formellement ou matériellement; il fait perdre uniquement l'exception de violation de la bonne foi, au sens des
art. 271 et 271a CO
(EIHOLZER, Anfechtung von ausserordentlichen Kündigungen im Mietrecht, in: RSJ 88/1992, p. 325 ss, 326).
D'autres auteurs ne partagent pas cet avis. Pour eux, à l'exception des cas de nullité, tous les congés affectés d'un vice, quel qu'il soit, doivent être attaqués dans le délai de 30 jours de l'
art. 273 CO
, sous peine de péremption, y compris les congés extraordinaires mentionnés à l'
art. 274g
BGE 121 III 156 S. 159
CO
. Ainsi, selon CORBOZ (La nullité du congé dans le nouveau droit du bail, in: Cahiers du bail 94, p. 33 ss, 44), l'annulabilité est la règle. Il ne peut y avoir nullité, hormis les cas expressément prévus par la loi, qu'à titre exceptionnel, lorsque les circonstances sont telles que le système de l'annulabilité n'offre manifestement pas la protection nécessaire. Cet auteur met cependant à part le congé qui ne respecte pas le délai ou le terme; se fondant sur l'
art. 266a al. 2 CO
, qui prévoit le report des effets d'un tel congé au prochain terme pertinent, il estime qu'il serait contraire à la ratio legis d'exiger une contestation de ce type de congé suivant la procédure instituée par l'
art. 273 al. 1 CO
, dès lors que le congé lui-même n'est pas en cause, mais seulement la date de ses effets (op.cit., p. 55). En définitive, et bien qu'il mette en doute la solidité du point de vue selon lequel d'autres congés que ceux qui contreviennent à la bonne foi sont soumis au délai de l'
art. 273 al. 1 CO
, Corboz pense que, dans tous les cas où le destinataire du congé pourrait agir en temps utile, il faut l'exiger de lui, la construction de l'annulabilité, dans l'esprit du nouveau droit, devant avoir la préférence (op.cit., p. 57). Telle paraît être également l'opinion d'ENGEL (Contrats de droit suisse, p. 189/190, ch. 4), de TERCIER (Les contrats spéciaux, p. 254, n. 2069/2070 et p. 258, n. 2096), de LACHAT/MICHELI (Le nouveau droit du bail, 2e éd., p. 322 et 332) et de LACHAT/STOLL (Das neue Mietrecht für die Praxis, 3e éd., p. 340), sans que l'on puisse toutefois se faire une idée exacte de l'avis de ces différents auteurs sur la question controversée, qu'ils ne traitent pas expressément. En revanche, l'auteur d'une thèse récente est encore plus catégorique que Corboz, puisqu'il soutient que, sauf dans les cas où le congé est radicalement nul, celui qui reçoit un congé et n'agit pas dans le délai de 30 jours fixé par l'
art. 273 CO
perd le droit d'invoquer non seulement les vices tombant sous le coup des
art. 271 et 271a CO
, mais tous les vices dont pourrait être entaché le congé (CALAMO, Die missbräuchliche Kündigung der Miete von Wohnräumen, thèse Saint-Gall 1993, p. 288 à 292). D'autres auteurs enfin partagent cette opinion en tant qu'elle s'applique aux congés extraordinaires mentionnés à l'
art. 274g CO
ou à certains d'entre eux (cf. ROBERTI, Institut und Verfahren der Schlichtungsbehörde in Mietsachen, thèse Zurich 1993, p. 90, n. 113; Commentaire de l'USPI, n. 17 ad
art. 273 CO
).
b) Le Tribunal fédéral n'a pas encore examiné la question dans sa globalité et de façon approfondie. Dans l'
ATF 117 II 554
où a été posé, conformément à l'
art. 274g CO
, le principe voulant que le juge de l'expulsion soit compétent pour statuer sur l'opposition au congé même si l'autorité de
BGE 121 III 156 S. 160
conciliation en a déjà été saisie, il n'a pas exclu qu'une objection touchant la validité du congé puisse être soulevée directement devant le juge de l'expulsion (consid. 2c, p. 558; cf. CORBOZ, op.cit., p. 56, note 111). Cependant, dans l'
ATF 119 II 147
consid. 4a et b, auquel se réfèrent les partisans de l'application générale du délai de l'
art. 273 CO
, il a affirmé, à propos d'une résiliation extraordinaire du contrat pour défaut de paiement du loyer qui avait été signifiée au locataire avant l'expiration du délai de paiement prévu par l'
art. 257d al. 1 CO
, que les congés sont en principe annulables sous l'empire du nouveau droit et que le locataire aurait donc dû agir dans les 30 jours s'il ne voulait pas que le congé devînt efficace. Dans un arrêt ultérieur, qui avait trait à une affaire où un locataire se voyait reprocher d'avoir résilié prématurément le bail en violation des conditions du contrat - reproche que la cour cantonale avait refusé d'examiner parce que le bailleur n'avait pas contesté la validité du congé anticipé dans le délai péremptoire de l'
art. 273 al. 1 CO
-, le Tribunal fédéral n'a pas eu à examiner la question de principe ainsi posée, mais il a néanmoins relevé, en passant, que cette question était peut-être délicate et sa réponse moins évidente que ne l'avait admis la cour cantonale (arrêt non publié du 22 août 1994, dans la cause 4C.121/1994, consid. 3).
Cela étant, il convient de trancher clairement la question controversée et de mettre un peu d'ordre dans l'application aux différentes sortes de congé des règles sur la protection contre les congés abusifs, qui ont été posées au chapitre III du Titre huitième du Code des obligations. Il faut, notamment, dissiper la confusion qu'a pu engendrer la façon dont a été jugé le cas particulier du congé extraordinaire pour retard dans le paiement du loyer, traité à l'
ATF 119 II 147
.
c) aa) Pour clarifier la situation, il sied de partir du principe cohérent selon lequel seuls les congés valables sont soumis aux dispositions spécifiques sur la protection contre les congés et sur l'annulation de ceux-ci. Les résiliations visées par ces dispositions sont celles qui, abstraction faite des actes contraires à la bonne foi au sens des
art. 271 et 271a CO
, respectent en tous points les conditions légales et contractuelles applicables aux parties. En effet, seuls peuvent être annulés, en bonne logique, des actes qui, sans l'existence du facteur d'annulabilité prévu par la loi, seraient efficaces et valables.
Il est donc inexact d'affirmer que tous les congés que la loi ne frappe pas de nullité sont annulables et doivent, en conséquence, être attaqués dans le délai de 30 jours de l'
art. 273 al. 1 CO
. A côté des congés radicalement
BGE 121 III 156 S. 161
nuls ou désignés comme tels, il en existe d'autres qui, sans être annulables, sont inefficaces et dénués d'effet (unwirksam, wirkungslos) parce qu'ils ne satisfont pas aux exigences légales ou contractuelles auxquelles est subordonné leur exercice. A titre d'exemples de cette catégorie de congés, on peut citer le congé motivé par le défaut de paiement du loyer alors qu'en réalité le loyer a été payé, le congé donné pour de justes motifs qui ne sont pas réalisés, le congé signifié pour une date ne correspondant pas au terme contractuel ou légal (cf. l'
art. 266a al. 2 CO
), le congé donné en raison d'une violation des devoirs de diligence qui se révélera inexistante, etc. Dans de tels cas, celui qui reçoit un congé inefficace et sans effet, ou qui est mis en face d'une résiliation abrupte injustifiée, n'est nullement tenu d'agir dans les 30 jours devant l'autorité de conciliation, et son inaction dans ce délai ne saurait rendre le congé efficace. Le non-respect du délai n'a pour effet que de priver celui qui a reçu le congé du droit de faire valoir que la résiliation serait encore contraire à la bonne foi au sens des
art. 271 et 271a CO
, ce qui pourrait revêtir une certaine importance dans l'hypothèse où l'inefficacité du congé ne serait en définitive pas reconnue.
Le principe voulant que tous les congés autres que ceux pour lesquels la loi prévoit la nullité doivent être attaqués dans le délai de l'
art. 273 CO
est non seulement contraire à l'esprit et au but de la loi, mais se heurte, de surcroît, au plan et au texte de celle-ci. En effet, comme le relève pertinemment CORBOZ (op.cit., p. 57), l'
art. 273 CO
figure au chapitre III en regard du titre marginal "C. Procédure: autorité et délais"; il semble ainsi se référer aux deux hypothèses qui viennent d'être traitées sous lettres A et B au sein du chapitre III; il est donc douteux que l'
art. 273 CO
soit applicable en dehors des hypothèses du chapitre III, c'est-à-dire l'annulation du congé qui contrevient aux règles de la bonne foi et la prolongation du bail. Le non-respect d'une autre disposition légale ou contractuelle n'est pas visé par le chapitre III.
On peut ajouter que HIGI, bien qu'il n'ait pas encore traité des
art. 271 ss CO
dans son commentaire, fait clairement la distinction entre les congés annulables et les congés inefficaces, lorsqu'il traite des cas de congés extraordinaires, et tient pour inexacte ("unzutreffend") la jurisprudence de l'
ATF 119 II 147
(Commentaire zurichois, n. 47 et 57 ad
art. 257d CO
et n. 84 ad
art. 257f CO
).
bb) L'exigence du respect du délai de l'
art. 273 CO
à l'endroit des congés inefficaces, telle qu'elle a été posée dans l'
ATF 119 II 147
, doit donc être abandonnée comme infondée. Dès lors, celui qui reçoit un congé
BGE 121 III 156 S. 162
inefficace ou prétendu tel peut attendre que son cocontractant agisse en exécution de ce qu'il croit être son droit ou agir lui-même en exécution du contrat sans observer le délai de 30 jours prévu par la disposition précitée.
Il faut, bien évidemment, réserver l'abus de droit que commettrait celui qui garderait le silence face à un congé qu'il estimerait inefficace et dénué d'effet, amenant ainsi son cocontractant à inférer de son silence ou de son inaction qu'il admet la validité du congé (cf. l'arrêt non publié du 7 avril 1994, dans la cause 4C.465/1993, consid. 3c).
cc) Dans la présente espèce, la Chambre d'appel n'a, dès lors, nullement violé le droit fédéral en considérant que l'
art. 273 al. 1 CO
n'était pas applicable et que, par voie de conséquence, la bailleresse n'était pas déchue de ses droits à l'égard du défendeur pour n'avoir pas saisi dans les 30 jours l'autorité de conciliation en vue de contester le congé immédiat que son locataire lui avait donné en invoquant de prétendus défauts affectant la chose louée. Elle a, au contraire, appliqué correctement ce droit en entrant en matière sur l'action en exécution du contrat de bail intentée par la demanderesse, l'inaction de celle-ci dans le délai de l'
art. 273 CO
n'emportant que la déchéance du droit de soutenir que le congé, à le supposer valable, contrevient de toute façon aux règles de la bonne foi, au sens des
art. 271 et 271a CO
.
Enfin, l'hypothèse d'un abus de droit imputable à la bailleresse peut être écartée d'emblée en l'espèce, attendu que la demanderesse a informé immédiatement le défendeur qu'elle contestait le bien-fondé du congé litigieux.
2.
Il n'y a aucune raison de donner suite à la requête du défendeur tendant au renvoi de la cause à la cour cantonale. En effet, contrairement à ce que prétend l'intéressé, la cause a été suffisamment instruite et peut faire l'objet d'un jugement. Les constatations de la Chambre d'appel ne révèlent aucun élément permettant d'admettre que le locataire se serait conformé aux exigences des
art. 259b ss CO
, de manière à pouvoir résilier le contrat de bail avec effet immédiat. Il apparaît, bien plutôt, que le défendeur n'a pas réussi à démontrer que le congé donné par lui était justifié, soit efficace et valable.
Dans ces conditions, la Chambre d'appel a refusé à bon droit de libérer le défendeur du paiement du loyer avant l'échéance du bail. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52731052-46b1-4391-bed9-a1d6eed5e395 | Urteilskopf
124 III 469
81. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 2 septembre 1998 dans la cause Z. S.A. contre W. (recours en réforme) | Regeste
Arbeitsvertrag; Verzicht auf Überstundenentschädigung.
Art. 321c Abs. 3 OR
ist nur teilweise zwingend (E. 2). Jedoch kann der Arbeitnehmer nicht gültig auf eine Entschädigung für bereits geleistete Überstundenarbeit verzichten (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 469
BGE 124 III 469 S. 469
A.-
a) W. a été engagé par X. S.A., le 1er juin 1973, comme photocompositeur et responsable d'atelier de photocomposition.
Dès 1986, il a travaillé comme calculateur au département «continu». La lettre modifiant les conditions de son engagement prévoyait que les heures supplémentaires qui n'auraient pas été compensées seraient rétribuées trimestriellement sur la base du salaire horaire.
En 1993, à la suite d'une fusion entre X. S.A. et Y. S.A., W. a été transféré, «tous droits acquis», dans la nouvelle société Z. S.A.
Au début de l'année 1994, la nouvelle société a souhaité harmoniser et réglementer la politique des heures supplémentaires au sein de l'entreprise. La direction a établi une note destinée aux chefs de service et indiquant que seules les heures expressément demandées aux collaborateurs par leur responsable seraient considérées comme heures supplémentaires et, partant, compensées. Il n'est pas établi que W., qui n'était pas chef de service, ait eu connaissance de cette note.
b) W. consignait ses heures supplémentaires sur une formule remise à son employeur à la fin de chaque mois. Le décompte ainsi établi était reporté par l'employeur sur la fiche de salaire mensuelle de l'intéressé. Ainsi, la fiche de salaire relative au mois de février 1994 contient un poste indiquant 80,5 heures supplémentaires, portant le total de ces dernières à 472,75; celle de mars 1994 mentionne que 46 heures supplémentaires ont été effectuées durant ce mois.
BGE 124 III 469 S. 470
Le 14 mars 1994, W. a présenté à son employeur une requête tendant au paiement de ses heures supplémentaires. Le 17 mars 1994, l'employeur a accepté de payer 200 heures supplémentaires avec le salaire de mars 1994.
Les fiches de salaire ultérieures de W. indiquaient, comme les précédentes, les heures supplémentaires accomplies par le salarié. Ainsi, le total des heures supplémentaires était de 613,50 en décembre 1994, 852,25 en décembre 1995 et 823,75 en mai 1996.
c) Le 19 juin 1996, Z. S.A. reprochait par écrit à W. d'avoir prolongé ses vacances de deux jours sans autorisation. Dans cette lettre, elle lui rappelait un entretien qui avait eu lieu une année plus tôt, en mai 1995, et au cours duquel il avait été précisé que le travail devait être effectué dans l'horaire normal de 40 heures hebdomadaires; aucune heure supplémentaire ne pouvait être prise en considération à moins d'avoir été expressément ordonnée par l'employeur. Dans cette même lettre, l'employeur critiquait la lenteur de W., considérée comme seule cause des heures supplémentaires. Compte tenu de ces circonstances, l'employeur décidait de ramener le décompte d'heures supplémentaires à zéro. W. a contresigné ladite lettre.
La fiche de salaire du mois de juin 1996 indique «0» dans la rubrique consacrée aux heures supplémentaires.
d) Le 18 juillet 1996, Z. S.A. a résilié le contrat de travail de W. pour le 31 octobre 1996. Le 20 septembre 1996, elle a libéré l'employé de son obligation de travailler.
B.-
Le 27 mars 1997, W. a assigné Z. S.A. en paiement de 37'861 fr., plus intérêts, à titre de rémunération des heures de travail supplémentaires. Il a réclamé en outre une indemnité pour licenciement abusif et des arriérés d'allocations familiales et de vacances. La défenderesse a conclu au rejet de la demande.
Par jugement du 18 juillet 1997, le Tribunal des prud'hommes du canton de Genève a condamné la défenderesse à payer au demandeur 31'777 fr., intérêts en sus, à titre de rétribution des heures supplémentaires effectuées jusqu'au 31 mai 1995. Les autres prétentions du demandeur ont été écartées.
Saisie par les deux parties, la Chambre d'appel de la juridiction des prud'hommes a confirmé ce jugement par arrêt du 12 janvier 1998.
C.-
La défenderesse recourt en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut au rejet de la demande.
Le Tribunal fédéral rejette le recours et confirme l'arrêt attaqué.
BGE 124 III 469 S. 471
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Selon l'
art. 321c al. 3 CO
, l'employeur est tenu de rétribuer les heures de travail supplémentaires qui ne sont pas compensées par un congé en versant le salaire normal majoré d'un quart au moins, sauf clause contraire d'un accord écrit, d'un contrat-type de travail ou d'une convention collective.
L'
art. 321c al. 3 CO
n'est qu'en partie impératif; les parties peuvent y déroger, mais seulement dans le cadre d'un accord écrit, d'un contrat-type de travail ou d'une convention collective de travail (STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5e éd., n. 7 ad
art. 321c CO
; STAEHELIN, Commentaire zurichois, n. 21 ad
art. 321c CO
; REHBINDER, Commentaire bernois, n. 11 ad
art. 321c CO
; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Commentaire du contrat de travail, 2e éd., n. 9 ad
art. 321c CO
; BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2e éd., n. 11 ad
art. 321c CO
). Peu importe que l'
art. 321c al. 3 CO
ne figure pas dans les catalogues des
art. 361 et 362 CO
, comportant les listes des dispositions absolument ou relativement impératives, car ces listes ne sont pas exhaustives. En effet, comme l'a indiqué le Conseil fédéral, en visant expressément l'
art. 321c al. 3 CO
, lors de la dernière révision de ces dispositions, les normes prévoyant clairement à quelles conditions formelles et dans quelles limites matérielles des dérogations sont licites ne figurent pas dans cet inventaire (Message du Conseil fédéral du 9 mai 1984 concernant l'initiative populaire «pour la protection des travailleurs contre les licenciements dans le droit du contrat de travail» et la révision des dispositions sur la résiliation du contrat de travail dans le code des obligations, in FF 1984 II 574 ss, 639 in fine).
b) Contrairement à ce qu'a admis la cour cantonale, les indications fournies par la défenderesse, en mai 1995, quant au non-paiement des heures supplémentaires ne liaient nullement le demandeur. Supposé même que le travailleur ait accepté ces indications, sa déclaration serait dépourvue d'effet, faute d'avoir revêtu l'une des formes prévues à l'
art. 321c al. 3 CO
. En l'absence de convention collective de travail ou de contrat-type, l'accord du demandeur n'aurait été valable que s'il avait été conclu en la forme écrite, condition qui n'est pas réalisée en l'espèce.
3.
Il y a dès lors lieu d'examiner si l'employeur et le travailleur pouvaient valablement convenir, en juin 1996, que les heures supplémentaires accomplies jusqu'en mai 1995 ne seraient pas rétribuées. Dans l'affirmative, il faudra déterminer si la lettre de la défenderesse
BGE 124 III 469 S. 472
du 19 juin 1996, contresignée par le demandeur, comportait un accord en vertu duquel celui-ci aurait renoncé à la rémunération des heures supplémentaires litigieuses.
a) Aux termes de l'
art. 341 al. 1 CO
, le travailleur ne peut pas renoncer, pendant la durée du contrat et durant le mois qui suit la fin de celui-ci, aux créances résultant de dispositions impératives de la loi.
Dans un arrêt publié aux
ATF 105 II 40
consid. a, le Tribunal fédéral a déclaré que l'
art. 321c al. 3 CO
faisait obstacle à la renonciation, par le travailleur, au paiement d'heures supplémentaires déjà accomplies. De fait, la mise en oeuvre combinée des art. 321c al. 3 et 341 al. 1 CO répond au besoin de protéger le travailleur qui, sous l'effet de pressions de la part de son employeur ou craignant de perdre son emploi, ne fait pas valoir immédiatement son droit au paiement d'heures supplémentaires; une telle protection se révèle nécessaire en période de récession économique (arrêt cité, p. 41 in fine). A vrai dire, dans cette affaire, le droit à la rémunération découlait d'une convention collective de travail et non pas simplement de l'
art. 321c al. 3 CO
. De plus, la renonciation, par le travailleur, n'avait pas revêtu la forme écrite. Toutefois, selon la maxime figurant en tête de l'arrêt, ces circonstances ne paraissent pas avoir été décisives.
Il n'est pas contesté que, en application de l'
art. 321c al. 3 CO
, les parties peuvent, sous l'une des formes prescrites, prévoir que les heures supplémentaires accomplies à l'avenir seront rémunérées sans supplément ou ne seront pas rémunérées, à tout le moins lorsque la rémunération des heures supplémentaires est forfaitairement comprise dans le salaire de l'intéressé (Message du Conseil fédéral du 25 août 1967 concernant la révision des titres dixième et dixième bis du code des obligations, in FF 1967 II 249 ss, 314/315; STAEHELIN, op.cit., n. 21 ad
art. 321c CO
; BRÜHWILER, ibid.; STREIFF/VON KAENEL, op.cit., n. 5 ad
art. 321c CO
; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, 2e éd., in Schweizerisches Privatrecht, VII/1, iii, p. 76; M. MÜLLER, Die rechtliche Behandlung der Überstundenarbeit, thèse Zurich 1986, p. 121 ss). Un tel accord peut intervenir tant au début qu'au cours des rapports de travail.
En revanche, la question est controversée de savoir si l'
art. 321c al. 3 CO
empêche le travailleur de renoncer au paiement d'heures supplémentaires déjà effectuées. Pour une partie de la doctrine, le caractère impératif de l'
art. 321c al. 3 CO
justifie cette solution (STREIFF/VON KAENEL, op.cit., n. 6 ad
art. 341 CO
; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, op.cit., n. 2 ad
art. 341 CO
). De l'avis contraire, BRÜHWILER
BGE 124 III 469 S. 473
(op.cit., n. 4d
art. 341 CO
) estime, quant à lui, que l'
art. 341 al. 1 CO
permet au travailleur de renoncer à des créances déjà nées, découlant de l'
art. 321c al. 3 CO
, car le caractère impératif de cette disposition ne touche que la forme de la renonciation et non pas la créance elle-même; ainsi, à ses yeux, il faut considérer comme valable une renonciation écrite à la rétribution d'heures supplémentaires déjà effectuées. D'autres auteurs paraissent s'exprimer dans ce sens, mais il ne ressort pas clairement de leurs explications si la renonciation dont ils traitent sous l'angle de l'
art. 341 al. 1 CO
couvre non seulement la rémunération des heures supplémentaires futures, mais aussi celle des heures supplémentaires passées (comparer REHBINDER, op.cit., n. 4 ad
art. 341 CO
, qui ne vise d'ailleurs que le supplément de salaire, avec les n. 20 et 21 ad
art. 341 CO
; voir aussi: HOFMANN, Verzicht und Vergleich im Arbeitsrecht, thèse Zurich 1985, p. 149 et STAEHELIN, op.cit., n. 8 ad
art. 341 CO
).
Il faut s'en tenir au principe selon lequel, en l'absence d'un accord formellement valable et antérieur à leur accomplissement, le droit à la rétribution des heures supplémentaires revêt un caractère impératif. En effet, il ressort des travaux préparatoires qu'en édictant l'
art. 321c al. 3 CO
, le législateur fédéral envisageait la renonciation au paiement des heures supplémentaires futures, dont la rétribution était forfaitairement incluse dans le salaire, mais non pas la renonciation à la rémunération des heures supplémentaires déjà accomplies (Message précité concernant la révision des titres dixième et dixième bis du code des obligations, in FF 1967 II 314; pour un historique détaillé des délibérations aux Chambres, cf. M. MÜLLER, op.cit., p. 126 à 129). De ce point de vue, les impératifs de protection rappelés par le Tribunal fédéral dans l'
ATF 105 II 39
consid. 1a conservent toute leur justification.
b) En l'espèce, faute d'un accord formellement valable liant les parties, le demandeur avait droit à la rémunération des heures supplémentaires accomplies jusqu'en mai 1995. Comme ce droit résulte d'une disposition impérative - l'
art. 321c al. 3 CO
-, l'intéressé ne pouvait pas y renoncer avant le 30 novembre 1996.
Dans ces conditions, il n'y a pas lieu d'interpréter la lettre du 19 juin 1996 pour déterminer si, comme l'affirme la défenderesse, le demandeur a manifesté la volonté de renoncer au paiement des heures supplémentaires exécutées avant mai 1995. En effet, même s'il fallait interpréter cette lettre dans le sens voulu par la défenderesse, une telle renonciation serait nulle. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
5274f4a2-d6a3-488a-8cf8-8aaaf09da7db | Urteilskopf
93 II 424
54. Urteil der 1. Zivilabteilung vom 19. Dezember 1967 i.S. Burberrys Ltd gegen Paul Hubatka Söhne | Regeste
Verwechselbarkeit von Marken,
Art. 6 MSchG
.
Gänzliche Warenverschiedenheit,
Art. 6 Abs. 3 MSchG
. (Erw. 1).
Grundsätze für die Vergleichung von Markenbestandteilen. Bedeutung der Duldung ähnlicher Marken Dritter (Erw. 2).
Massgeblichkeit des Gesamteindrucks einer aus Firmanamen und Bildbestandteil bestehenden kombinierten Marke. Einfluss der Weglassung des Wortbestandteils in der jüngeren Marke (Erw. 3).
Verkehrsgeltung ist nicht Voraussetzung für die Schutzfähigkeit einer Marke oder des Bestandteils einer solchen (Erw. 4).
Kumulative Anwendbarkeit des Marken- und Wettbewerbsrechts (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 425
BGE 93 II 424 S. 425
A.-
Die Firma Burberrys Limited in London ist Inhaberin einer Wort/Bildmarke, die in der Schweiz erstmals 1914 hinterlegt und in der Folge jeweils erneuert wurde, letztmals am 9. November 1957 unter der Nr. 167954. Die Marke besteht aus einem schwarzen Rechteck mit weiss verziertem Rand. Oben ist in weisser Schrift der Firmenname "Burberrys" angebracht; darunter befindet sich das weisse Bild eines Ritters auf galoppierendem Pferd. Die Marke ist gemäss der Eintragung von 1957 bestimmt für "Textil-Stückwaren und Bekleidungsartikel (einschliesslich Fussbekleidungen)".
Die Firma Paul Hubatka & Söhne (heute: Paul Hubatka Söhne) in Altstätten hinterlegte am 21. September 1965 beim eidgen. Amt für geistiges Eigentum die für "Textilerzeugnisse aller Art" bestimmte Marke Nr. 213904, die aus dem gezeichneten Bild eines Ritters auf einem sich leicht bäumenden Pferd besteht.
Die Firma Burberrys Ltd. forderte am 1. November 1966 die Firma Hubatka Söhne auf, die Marke Nr. 213904 löschen zu lassen, da sie mit ihrer älteren Marke Nr. 167 954 verwechselbar sei. Die Firma Hubatka lehnte dieses Begehren ab.
B.-
Am 8. Februar 1967 erhob die Firma Burberrys Ltd. gegen die Firma Paul Hubatka Söhne beim Handelsgericht St. Gallen Klage auf Nichtigerklärung der Marke Nr. 213904 der Beklagten und Untersagung ihres Gebrauchs im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit Textilerzeugnissen.
Die Beklagte bestritt eine Verwechslungsgefahr und beantragte, die Klage abzuweisen.
C.-
Das Handelsgericht St. Gallen wies am 12. Juli 1967 die Klage mit der Begründung ab, die Marke der Beklagten unterscheide sich genügend von jener der Klägerin.
BGE 93 II 424 S. 426
D.-
Gegen das Urteil des Handelsgerichts hat die Klägerin die Berufung erklärt, mit der sie an ihrem Löschungs- und Untersagungsbegehren festhält.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 6 Abs. 3 MSchG
braucht sich eine Marke nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 durch wesentliche Merkmale von der bereits eingetragenen Marke eines andern zu unterscheiden, wenn sie für Erzeugnisse oder Waren bestimmt ist, die ihrer Natur nach gänzlich von den mit der älteren Marke versehenen abweichen.
Die Beklagte beansprucht ihre Marke für "Textilerzeugnisse aller Art". Unter dieser Warengattung fallen auch die Erzeugnisse, für welche die Marke der Klägerin bestimmt ist, nämlich die Textilstückwaren und die Bekleidungsartikel, diese allerdings nur insoweit, als sie aus Textilien hergestellt sind. Die Beklagte vermag sich daher nicht auf
Art. 6 Abs. 3 MSchG
zu berufen. Das gälte selbst dann, wenn ihre Behauptung zutreffen sollte, die Klägerin gebrauche ihre Marke nur für Bekleidungsartikel, nicht auch für Textil-Stückwaren. Denn auch in diesem Falle könnte nicht gesagt werden, die Beklagte beanspruche ihre Marke für Waren, die gänzlich von den mit der Marke der Klägerin versehenen abweichen. Eine gänzliche Abweichung läge nicht einmal dann vor, wenn die eine Marke nur für Bekleidungsstücke, die andere nur für Textil-Stückwaren bestimmt wäre.
2.
Die Beklagte macht geltend, ihre Marke unterscheide sich selbst dann genügend von derjenigen der Klägerin, wenn man nur die beiden Bilder miteinander vergleiche, also den in der Marke der Klägerin überdies enthaltenen Bestandteil "Burberrys" beiseite lasse.
Für die Vergleichung zweier Marken als Ganzes ist gemäss ständiger Rechtsprechung der Gesamteindruck entscheidend, den sie beim Betrachter hinterlassen (
BGE 90 II 48
, 264 und dort erwähnte Entscheide). Entsprechend muss auch bei der Vergleichung von Markenbestandteilen auf den Gesamteindruck abgestellt werden, den diese erwecken. Abweichungen in einzelnen Punkten, die ihn nicht entscheidend beeinflussen. sind rechtlich ohne Belang. Massgebend ist der Eindruck beim letzten
BGE 93 II 424 S. 427
Käufer der Ware, der die beiden Marken nicht immer gleichzeitig zu Gesicht bekommt und daher nur deren charakteristische Merkmale miteinander vergleichen kann, nicht dagegen auch die nebensächlichen Einzelheiten, die er entweder überhaupt nicht beachtet oder rasch wieder vergisst. Bei der Beurteilung der Unterscheidbarkeit von Marken und von Bestandteilen solcher ist auf das Erinnerungsvermögen des Durchschnittskäufers abzustellen unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, unter denen sich der Handel mit Waren der in Frage stehenden Gattung abzuwickeln pflegt (vgl. z.B.
BGE 58 II 455
Erw. 2,
BGE 78 II 381
f.,
BGE 87 II 37
).
Nach diesen Grundsätzen unterscheidet sich das Ritterbild, das die Beklagte als Marke hat eintragen lassen, nicht genügend von dem in der Marke der Klägerin enthaltenen Ritterbild. Beide Ritter sitzen zu Pferd und halten eine nach vorn gerichtete Lanze. Zwar galoppiert das Pferd in der Marke der Klägerin, während sich jenes in der Marke der Beklagten leicht bäumt; aber beide berühren den Boden nur mit den Hinterhufen, und bei beiden sind die Beine paarweise ungefähr parallel. Auch die Haltung des Kopfes und die Stellung des Schweifes sind bei beiden Pferden ungefähr gleich. Dass jenes der Klägerin gegen links gerichtet ist, das andere gegen rechts, beeinflusst den in der Erinnerung haften bleibenden Gesamteindruck nicht entscheidend. Dasselbe gilt für den Umstand, dass die Schabracke des Pferdes bei der Marke der Beklagten etwas weiter hinunterreicht und auch den Hals und den Kopf des Tieres bedeckt. Auch die Verschiedenheiten in der Ausrüstung des Ritters sind nicht derart, dass der in der Erinnerung des Käufers zurückbleibende Gesamteindruck ein wesentlich anderer wäre. So ist namentlich bedeutungslos, dass bei der Marke der Klägerin an der Lanze eine Flagge weht, der Ritter einen Schild trägt und der Helm samt Zier anders gestaltet ist als auf der Marke der Beklagten. Solchen Einzelheiten schenkt das kaufende Publikum in der Regel keine Beachtung. Es behält nur den Eindruck eines Ritters auf galoppierendem oder sich leicht bäumendem Pferd in Erinnerung. Die beiden Bilder unterscheiden sich auch nicht etwa in der Farbe; beide sind weiss. Die Vergleichung der beiden Figuren führt zum gleichen Ergebnis wie z.B. in den FällenBGE 30 II 603Erw. 3,
BGE 33 II 176
Erw. 3 undBGE 35 II 667Erw. 2, wo ein auf den Hinterbeinen stehender mit einem liegenden Löwen, ein Kranich mit einem doppelköpfigen Adler und eine
BGE 93 II 424 S. 428
nach links schauende mit einer gegen rechts gewendeten Helvetia miteinander zu vergleichen waren.
Die Beklagte wendet ein, die Verwechslungsgefahr entfalle schon bei verhältnismässig geringen Abweichungen, weil ein Ritter zu Pferd ein schwaches Zeichen sei, das die Klägerin nicht allein beanspruchen könne. Dieser Einwand ist unbegründet. Zwar liessen Dritte im Jahre 1936 das Bild einer Amazone als Marke für Strümpfe und Strickwaren, im Jahre 1947 das Bild eines Ritters mit Lanze und Schild zu Pferd als Marke für Baumwollgewebe und schliesslich im Jahre 1953 das Bild eines Ritters auf sich bäumendem Pferde als Marke für Decken in das internationale Register eintragen. Diese Marken vermochten jedoch die Kennzeichnungskraft der klägerischen Marke nicht zu schwächen, da sich aus ihnen allein noch nicht ableiten lässt, es sei weit verbreitete Übung, das Bild eines Ritters zu Pferd als Marke für Textilien zu verwenden. Die drei erwähnten Marken sind zudem jünger als jene der Klägerin. Man könnte dieser also nur vorwerfen, sie habe, nachdem sie ursprünglich allein das Rittermotiv gebraucht hatte, in der Folge das Erscheinen ähnlicher Marken geduldet. Solche Duldung hat jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts höchstens zur Folge, dass der Inhaber der älteren Marke das Recht einbüsst, sich gegenüber einem lange Zeit unbehelligt gelassenen Nachahmer auf die Verwechslungsgefahr zu berufen; dagegen verliert er damit nicht das Recht, sich gegen den Gebrauch neuer, mit der seinigen verwechselbarer Marken zur Wehr zu setzen (
BGE 73 II 61
, 189 Erw. 5,
BGE 82 II 543
Erw. 4,
BGE 83 II 219
Erw. 2). Die wiederholte Nachahmung des älteren Zeichens durch Dritte setzt auch nicht die Verwechslungsgefahr herab, so dass an die Unterscheidungskraft neuer Marken geringere Anforderungen zu stellen wären als in einem Zeitpunkt, da die Marke des Verletzten noch von niemandem nachgeahmt worden war.
3.
Im weiteren ist zu prüfen, ob gemäss der Auffassung der Beklagten die Verwechselbarkeit deshalb zu verneinen sei, weil die Marke der Klägerin ausser der Ritterfigur auch das Wort "Burberrys" enthält.
Auch bei der Beurteilung dieser Frage ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den die beiden Marken beim Publikum in der Erinnerung hinterlassen. Die Verwechselbarkeit darf nicht schon deshalb verneint werden, weil der Firmenname "Burberrys", der in der Marke der Beklagten fehlt, in jener der
BGE 93 II 424 S. 429
Klägerin eine wesentliche Rolle spielt. Denn das schliesst nicht aus, dass auch die Ritterfigur den Gesamteindruck so erheblich beeinflusst, dass ihre Übernahme in die Marke der Beklagten das Publikum über die Herkunft der Ware im Sinne von
Art. 24 lit. a MSchG
irreführen kann. Gemäss
Art. 6 Abs. 2 MSchG
dürfen denn auch Figuren, die in einer bereits hinterlegten Marke enthalten sind, nur dann in einer neuen Marke wiedergegeben werden, wenn diese sich dennoch von der andern hinlänglich unterscheidet und, als Ganzes betrachtet, nicht leicht zu einer Verwechslung Anlass geben kann.
Der Gesamteindruck, den die Marke der Klägerin erweckt, wird vom Wortbestandteil "Burberrys" keineswegs so entscheidend beeinflusst, dass der Bildbestandteil als vollständig nebensächlicher Natur erschiene und seine (nur unwesentlich veränderte) Übernahme das Publikum nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht irrezuführen vermöchte. Die Ritterfigur nimmt etwa drei Viertel der Höhe des schwarzen Markenfeldes ein, das Wort "Burberrys" dagegen nur etwa ein Viertel. Auch wer vor allem den Namen "Burberrys" beachtet, kann unmöglich die Figur gänzlich übersehen. Sie ist auch nicht so klein, dass Durchschnittskäufer ihre wesentlichen Züge nicht zu erkennen vermöchten oder sie nicht in der Erinnerung behielten. Es mag sein, dass gewisse Käufer mehr vom Namen "Burberrys" als vom Bildbestandteil der Marke beeindruckt werden, namentlich Fachleute, die mit der Klägerin unmittelbar verkehren und eher auf die Qualität der angebotenen Ware achten als auf die Marke. Es gibt wahrscheinlich auch Käufer, die das Bild der Marke in sich aufnehmen, es aber nach einer gewissen Zeit nicht mehr beschreiben können, während ihnen der Name "Burberrys" länger in Erinnerung bleibt. Das genügt aber nicht, um die beiden Marken als nicht leicht verwechselbar erscheinen zu lassen. Abgesehen davon, dass es auch Käufer mit stärkerem Erinnerungsvermögen gibt, muss auchjenen Fällen Rechnung getragen werden, in denen der Käufer die beiden Marken kurz nacheinander zu Gesicht bekommt, wie es beim Einkauf von Kleidungsstücken oder andern Textilwaren durchaus möglich ist. In solchen Fällen kann der Kunde trotz des Namens "Burberrys", der nur in der Marke der Klägerin vorkommt, durch das beiden Marken gemeinsame Bild des Ritters zu Pferd über die Herkunft der Ware irregeführt werden. Zudem sind Wort und Bild einer gemischten Marke erfahrungsgemäss nicht untrennbar miteinander
BGE 93 II 424 S. 430
verbunden. Erscheint einmal nur das Bild, so schliesst der Käufer daraus nicht notwendigerweise, die Ware stamme aus einem andern Betrieb. Diesen Schluss zieht er selbst dann nicht immer, wenn er im Firmennamen einen Bestandteil einer bestimmten Marke sieht. Da das Publikum den Inhalt des Markenregisters gewöhnlich nicht kennt, kann sich der Käufer vorstellen, ein und derselbe Geschäftsinhaber führe mehrere Marken, die eine mit, die andere ohne seinen Namen, um auf Unterschiede in der Beschaffenheit der Ware hinzuweisen. Er kann auch meinen, die Marke ohne Namen gehöre einem Fabrikanten oder Händler, der mit dem andern wirtschaftlich eng verbunden ist; denn verbundene Unternehmen lehnen öfters ihre Marken aneinander an.
Nach der Rechtsprechung ist die Nachahmung ei nes Markenbildes auch dann unerlaubt, wenn der Nachahmer dem Zeichen seinen Firmennamen beifügt (
BGE 47 II 235
,
BGE 62 II 333
). Anderseits genügt aber auch die Weglassung eines für die ältere Marke charakteristischen Wortes in der sie im übrigen nachahmenden jüngeren Marke nicht, um Verwechslungen auszuschliessen (
BGE 58 II 458
f.; unveröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. März 1966 i.S. Avia-Verband c. Caltex Oil AG, Erw. 2). So verhält es sich im vorliegenden Fall: Die Beklagte hat das für die Marke der Klägerin charakteristische Wort "Burberrys" weggelassen, lehnt sich aber mit ihrem Zeichen an den ebenfalls wesentlichen Bildbestandteil der klägerischen Marke so stark an, dass leicht der Eindruck entstehen kann, die Ware stamme aus dem Betrieb der Klägerin oder aus einem mit dieser wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
4.
Die Gründe, aus denen die Vorinstanz die Klage abgewiesen hat, vermögen gegen diese Überlegungen nicht aufzukommen. So ist es für die Frage der Verwechselbarkeit rechtlich belanglos, dass nach den Feststellungen des Handelsgerichts der Name "Burberrys" sowohl für die Fachkreise als auch für das Publikum einen Begriff darstellt und dass nicht wenige Leute den qualitativ einzigartigen Regenmantel der Klägerin ausdrücklich unter seiner Wortbezeichnung verlangen, und das gleiche gilt für die weitere Feststellung, es sei allgemein bekannt, dass die Marke der Klägerin aus dem Wort "Burberrys" und einem Bild bestehe, aber selbst Leute aus der Textilbranche könnten das Bild dieser Marke nicht ohne weiteres aus dem Gedächtnis beschreiben. Aus diesen Feststellungen zieht das Handelsgericht
BGE 93 II 424 S. 431
den Schluss, im täglichen Verkehr sei nicht das Bild des Ritters, sondern der Name "Burberrys" für die Erzeugnisse der Klägerin kennzeichnend, denn die Ausführungen der fachkundigen Richter über die Verhältnisse unter Fachleuten dürften ohne weiteres auch auf den Kreis der Käufer übertragen werden; auch diesen werde sich in erster Linie der Name "Burberrys" einprägen, nicht das Motiv des Ritters zu Pferd, zumal dieses Bild keinerlei Gedankenverbindung zu irgendwelchen Textilerzeugnissen vermittle. Diese Begründung läuft darauf hinaus, nur das Wort "Burberrys" markenrechtlich zu schützen, weil der Bildbestandteil der Marke sich im Verkehr nicht durchgesetzt habe. Das Handelsgericht erklärt denn auch abschliessend, dem Ritter mit Pferd auf der Marke der Klägerin gehe eine Verkehrsgeltung, wie das Bundesgericht sie z.B. in Sachen Avia-Verband /Caltex Oil AG bejahe, vollständig ab. Damit verkennt die Vorinstanz jedoch, dass Marken und Bestandteile von solchen grundsätzlich nicht erst dann schutzfähig sind, wenn sie sich dem Käufer als Kennzeichen der Ware bestimmter Herkunft eingeprägt haben und das Publikum die Erzeugnisse unter dem betreffenden Zeichen zu verlangen pflegt. Die Marke und ihre Bestandteile haben Anspruch auf gerichtlichen Schutz gegen Nachahmungen, sobald die Förmlichkeiten der Hinterlegung und Eintragung erfüllt sind (
Art. 4 MSchG
), also schon in einem Zeitpunkt, in dem das Publikum sie noch kaum kennt. Eine Ausnahme gilt nur für Zeichen und Zeichenbestandteile, die ursprünglich Gemeingut waren und nur dadurch individualisierende Kraft erlangten, dass sie sich im Verkehr nach und nach als Kennzeichen für die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten Betrieb durchsetzten, wie es z.B. in den FällenBGE 55 I 271f. ("Tunbridge Wells" als Marke für Biskuits) undBGE 59 II 212f. ("Tavannes" als Bestandteil von Uhrenmarken) zutraf. Ferner kann die Verkehrsgeltung die hinweisende Kraft eines von Natur aus schwachen Zeichens im Laufe der Zeit erhöhen (
BGE 63 II 285
,
BGE 73 II 188
,
BGE 83 II 221
,
BGE 90 II 264
). Im vorliegenden Falle kommt dagegen auf die Verkehrsgeltung nichts an. Die Ritterfigur der klägerischen Marke war weder jemals im Gemeingut noch ein bloss schwaches Zeichen, sondern besass von Anfang an volle Unterscheidungskraft. Die Auffassung des Handelsgerichts hätte die unerträgliche Folge, dass der Inhaber einer aus Wort und Bild bestehenden, an sich schutzfähigen Marke selbst die sklavische Nachahmung des Bildes nicht verbieten lassen könnte, wenn
BGE 93 II 424 S. 432
feststeht, dass das Publikum die Ware unter der Bezeichnung des Markenwortes zu verlangen pflegt und nicht ohne weiteres in der Lage ist, den Bildbestandteil aus dem Gedächtnis zu beschreiben. Sogar reine Bildmarken blieben gegen sklavische Nachahmungen schutzlos, wenn das Publikum beim Kauf nicht auf sie Bezug nimmt, sondern die Ware z.B. durch Nennung der Firma des Herstellers zu bezeichnen pflegt.
5.
Auch die Anbringen der Beklagten in der Berufungsantwort führen zu keinem andern Ergebnis. Das Handelsgericht ist entgegen ihrer Auffassung nicht vom zutreffenden Begriff der Verwechslungsgefahr ausgegangen, sondern es hat die Marke der Klägerin in den Namen "Burberrys" einerseits und das Bild des Ritters zu Pferd anderseits zerlegt und ihr den Schutz gegenüber der Marke der Beklagten abgesprochen, weil nur jener, nicht auch dieser Teil Verkehrsgeltung erlangt habe. Daher kommt auch auf die Ausführungen, mit denen die Beklagte die Kennzeichnungskraft des Bildbestandteils zu widerlegen sucht, nichts an. Namentlich geht die Behauptung der Beklagten, die Klägerin verwende in der Reklame für Regenmäntel den Namen "Burberrys", am Kern der Sache vorbei. Die betreffenden Inserate (Klagebeilagen 8 und 9) enthalten übrigens die ganze Marke der Klägerin. Der Einwand der Beklagten sodann, der Bildteil sei ein "ausgesprochen schwaches Zeichen", wurde bereits widerlegt.
6.
Die Klägerin stellt nur die Begehren, die Eintragung der Marke Nr. 213904 nichtig zu erklären und der Beklagten zu untersagen, diese Marke im Zusammenhang mit Textilerzeugnissen im geschäftlichen Verkehr zu verwenden.
Das erste Begehren ist nach dem Markenschutzgesetz wegen der Verwechselbarkeit der beiden Marken begründet; die Ungültigkeitserklärung der Marke wird zur Löschung der Eintragung im Markenregister führen (
Art. 34 MSchG
).
Das Begehren auf Untersagung des Gebrauchs ist ebenfalls begründet. Soweit die Verwendung des Zeichens auf der Ware selbst oder auf ihrer Verpackung in Frage steht, hat die Klägerin den Unterlassungsanspruch sowohl auf Grund des MSchG (
BGE 58 II 171
) als auch des UWG (
Art. 1 Abs. 2 lit. d,
Art. 2 Abs. 1 lit. b UWG
); denn die beiden Gesetze sind kumulativ anwendbar (
BGE 92 II 264
Erw. III/1 und dort erwähnte Entscheide). Für den übrigen geschäftlichen Verkehr, wie z.B. in der Reklame oder im Briefwechsel, besteht der Unterlassungsanspruch
BGE 93 II 424 S. 433
ausschliesslich nach dem Wettbewerbsrecht.
Mit dem Unterlassungsgebot ist von Amtes wegen der Hinweis auf die Strafbestimmung des
Art. 292 StGB
zu verbinden (
BGE 87 II 112
Erw. 5).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom 12. Juli 1967 aufgehoben.
2.- Die schweizerische Markeneintragung Nr. 213904 der Beklagten wird nichtig erklärt.
3.- Der Beklagten wird untersagt, die den Gegenstand der schweizerischen Markeneintragung Nr. 213904 bildende Bildmarke im Zusammenhang mit Textilerzeugnissen im geschäftlichen Verkehr zu verwenden. Widerhandlung würde gemäss
Art. 292 StGB
mit Haft oder Busse bestraft. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52755224-25e4-4038-ba4f-4dc75fdc0bb5 | Urteilskopf
111 Ib 45
9. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 13 mars 1985 dans la cause Consortage de l'alpage de Tortin et World Wildlife Fund Suisse contre Conseil d'Etat du canton du Valais et Commune de Nendaz (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 25 Abs. 2 FPolV
; Begriff der Waldstrasse.
Eine Strasse, die einen Wald durchquert, kann nur dann als Waldstrasse im forstrechtlichen Sinne bezeichnet werden, wenn sie der Bewirtschaftung und Erhaltung des Waldes dient und in Bezug auf Ausbau und Linienführung den forstwirtschaftlichen Bedürfnissen entspricht. Dies ist nicht der Fall bei einer Strasse, die im wesentlichen der touristischen Entwicklung der Region dient. | Sachverhalt
ab Seite 46
BGE 111 Ib 45 S. 46
Le 17 mars 1981, le Conseil municipal de la commune de Nendaz a déposé auprès du Département de l'intérieur du canton du Valais, en vue de l'ouverture d'une procédure d'expropriation, le projet de route Siviez-Tortin-Cleuson. Le dernier secteur de cette route, soit celui qui va de Pra Mounet à la plaine de Tortin, devait être amélioré, en ce sens qu'un nouveau tracé était prévu afin de desservir le trafic touristique en direction des installations de remontée mécanique qui partent de la région de Tortin. Ce projet a suscité, lors de sa mise à l'enquête publique, plusieurs oppositions, dont celle du Consortage de l'alpage de Tortin, propriétaire de fonds à exproprier.
Par décision du 20 octobre 1981, le Département de l'intérieur a rejeté les oppositions, déclaré d'utilité publique le projet litigieux et autorisé la commune de Nendaz à exproprier avec prise de possession immédiate les droits réels nécessaires à sa réalisation. Le 14 juillet 1982, le Conseil d'Etat a rejeté le recours formé par le Consortage de l'alpage de Tortin contre cette décision. Le Tribunal administratif cantonal a constaté, quant à lui, par décision du 3 janvier 1983, que l'exécution du projet nécessitait une autorisation préalable de défricher portant sur 450 arbres forestiers. Il a en conséquence suspendu l'instruction du recours jusqu'à droit connu sur l'autorisation de défricher à obtenir par la commune de Nendaz.
Le 18 mai 1983, la commune de Nendaz a déposé auprès de l'Inspection cantonale des forêts une demande de défrichement pour une surface de 13'400 m2, soit 900 m2 pour le tronçon Pra Mounet-Tortin et 12'500 m2 pour le tronçon Tortin-Cleuson. Le premier tronçon était considéré comme une route forestière; la
BGE 111 Ib 45 S. 47
surface 900 m2 correspondait donc à celle mise à contribution pour la construction de la nouvelle route, dans la mesure où celle-ci dépassait le gabarit d'une route forestière. A la suite d'une inspection des lieux, la commune de Nendaz a cependant décidé de limiter sa demande de défrichement au tronçon Pra Mounet-Tortin, soit aux 900 m2 excédant l'emprise d'une route forestière.
Par décision du 6 juin 1984, le Conseil d'Etat du canton du Valais, admettant sa compétence, a accordé l'autorisation de défricher cette surface.
Le Consortage de l'alpage de Tortin et le World Wildlife Fund Suisse ont déposé un recours de droit administratif contre cette décision.
Le Conseil d'Etat du canton du Valais s'est référé à sa décision. La commune de Nendaz a proposé le rejet des recours. Le Département fédéral de l'intérieur a mis en doute la compétence du Conseil d'Etat pour rendre la décision attaquée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
c) Aux termes de l'art. 25 al. 2 OFor, les coupes effectuées pour les constructions forestières ne sont pas considérées comme défrichement. Aux termes de la décision attaquée, il en va ainsi des routes forestières dont le gabarit n'excède pas 3 m 50 de largeur. Les recourants ne contestent pas cette manière de voir et le Tribunal fédéral, saisi d'un recours de droit administratif, n'a pas à en vérifier d'office le bien-fondé. Ils contestent, en revanche, que l'ouvrage litigieux puisse être considéré comme une route forestière. De son côté, l'autorité intimée admet implicitement que si ce grief était admis, l'autorisation de défricher serait de la compétence des autorités administratives fédérales en vertu de l'art. 25bis al. 1 lettre a OFor.
La notion de route forestière n'est pas définie dans le droit forestier fédéral. Il va cependant de soi qu'une route ne saurait être considérée comme une construction forestière au sens de l'art. 25 al. 2 OFor pour la seule raison qu'elle traverse des régions boisées et, en particulier, des forêts qui se prêtent à l'exploitation. Comme le souligne le Département fédéral de l'intérieur dans ses observations relatives aux recours, il faut en outre qu'elle soit nécessaire à l'exploitation de la forêt, serve dans une large mesure à la conservation de celle-ci et réponde aux exigences forestières du
BGE 111 Ib 45 S. 48
point de vue du tracé et de l'équipement. Les milieux spécialisés définissent d'ailleurs, comme route forestière, celle qui constitue la condition indispensable à l'entretien et à l'exploitation de la forêt, en y permettant l'accès de la main-d'oeuvre et des engins aussi bien que le transport du bois récolté (Rapport principal de la Commission d'experts sur une conception globale d'une politique suisse en matière d'économie des forêts et du bois, Berne 1975, p. 89).
L'autorité intimée est arrivée à la conclusion que le tronçon discuté était une route forestière en se fondant sur son utilité pour la gestion de la forêt traversée, telle qu'elle avait été "reconnue par le Service forestier". La commune requérante reprend, mot pour mot, cette formule dans sa réponse au recours de droit administratif. En réalité, la reconnaissance du caractère forestier de l'ouvrage litigieux consiste en une simple affirmation de l'Inspecteur forestier d'arrondissement contenue dans la lettre, par laquelle il a transmis la demande communale à l'Inspection cantonale des forêts. Tout au long de la procédure d'expropriation, il n'a en revanche été question, au premier chef, pour définir l'utilité publique du projet, que du développement touristique de Super-Nendaz et de ses environs. Dans la procédure de défrichement, la commune requérante s'est également arrêtée, en vue de la pesée des intérêts en présence, à démontrer la prépondérance de ses besoins touristiques. C'est également sur ceux-ci que les services administratifs ayant donné à l'autorité intimée un préavis favorable sur la demande d'autorisation de défricher se sont appuyés. Enfin, et cela n'est pas indifférent, le Consortage de l'alpage de Tortin qui, en sa qualité de propriétaire des forêts concernées, a la maîtrise sur leur exploitation commerciale, conteste toute nécessité à l'aménagement routier litigieux.
Au vu de ce qui précède, il faut admettre que le dernier tronçon de la route Siviez-Tortin constitue un changement durable de la vocation du sol forestier au sens de l'art. 25 al. 1 OFor; il n'est ainsi pas possible de suivre l'autorité intimée lorsqu'elle définit celui-ci comme une route forestière dans la mesure où il ne dépasse pas 3 m 50 de largeur. Une solution contraire équivaudrait à dispenser partiellement, en principe, de l'autorisation de défricher toutes les routes qui traversent des régions forestières, sous le prétexte qu'elles pourraient avoir, une fois, une certaine utilité pour l'exploitation des bois. Tel n'est manifestement pas le but qu'a poursuivi le Conseil fédéral en édictant l'art. 25 al. 2 OFor.
BGE 111 Ib 45 S. 49
Il en résulte que l'autorisation de défricher doit être requise non seulement pour la surface en cause de 900 m2, mais pour toute la surface de l'aire forestière mise à contribution par le projet litigieux. L'autorisation de défricher relève ainsi de la compétence des autorités fédérales; les recours de droit administratif doivent dès lors être admis au sens des considérants qui précèdent et l'affaire transmise au Département fédéral de l'intérieur. | public_law | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
52808d13-bad0-4623-b7cd-b1b2cffb17f9 | Urteilskopf
108 II 135
27. Arrêt de la Ire Cour civile du 4 mai 1982 dans la cause Crameri contre Caisse de retraite des entreprises Migros (recours en réforme) | Regeste
Anfechtung des Mietzinses bei Hypothekarzinssenkung (
Art. 19 BMM
).
Zum Vergleich gemäss
Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM
können Mietzinse anderer Wohnungen und Geschäftsräume nur herangezogen werden, wenn sie der Senkung des Hypothekarzinssatzes entsprechend herabgesetzt worden sind (E. 1).
Als letzte, massgebliche Mietzinsfestsetzung (106 II 356) gilt jene bei Vertragsschluss oder anlässlich späterer Erhöhung oder Herabsetzung des Mietzinses; wechselt bei gleichbleibender Höhe lediglich dessen Zusammensetzung, so liegt keine neue Mietzinsfestsetzung vor (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 136
BGE 108 II 135 S. 136
A.-
Adrien Crameri a conclu avec la Caisse de retraite des entreprises Migros deux contrats de bail, comme locataire: un contrat du 24 janvier 1974 portant sur un appartement de 4 1/2 pièces pour un loyer mensuel global de 404 francs, chauffage, eau chaude et électricité compris; un contrat du 29 avril 1974 portant sur l'emplacement d'un garage souterrain pour un loyer mensuel de 50 francs. Selon le bail de l'appartement, le propriétaire d'un véhicule à moteur est obligé de louer un emplacement de garage.
Le propriétaire a notifié au locataire les hausses suivantes qui n'ont fait l'objet d'aucune contestation:
Pour l'appartement: loyer porté à 444 francs dès le 24 juin 1974, et loyer porté à 485 francs dès le 24 mars 1975;
Pour le garage: loyer porté à 55 francs dès le 24 mars 1975.
Ultérieurement la propriétaire a notifié au locataire, sur formule officielle de hausse, que dès le 24 juin 1977, eu égard aux importantes fluctuations du prix du mazout, les charges accessoires jusqu'ici forfaitaires étaient séparées du loyer proprement dit, qui était fixé à 419 fr., plus un acompte mensuel de 66 fr. La lettre accompagnant cette notification précisait que chaque locataire avait ainsi la garantie de payer les dépenses effectives de chauffage, et ajoutait: "Comme vous le constatez sur la notification officielle incluse, le montant total n'est pas modifié."
Le 6 septembre 1979, à la suite de pourparlers engagés avec les locataires en vue de répercuter la baisse du taux d'intérêt hypothécaire sur les loyers, la Caisse a accordé une baisse de 7% du loyer des appartements dès le 24 septembre 1979, ce qui a réduit le loyer de Crameri à 390 fr. par mois, plus charges.
Les locataires ont cependant demandé deux baisses successives de 7% au lieu d'une seule et ont saisi la commission de conciliation le 12 septembre 1979. La conciliation a échoué.
B.-
Le 7 décembre 1979, Crameri a saisi l'autorité judiciaire d'une demande de baisse de loyer de 14% pour l'appartement (au lieu de 7%) et pour le garage (au lieu de 0%).
BGE 108 II 135 S. 137
Par jugement du 4 août 1981, le président du Tribunal du district de Neuchâtel a réduit les loyers litigieux à 390 fr. et 51 fr. 25 dès le 24 mars 1979 et à 363 fr. et 47 fr. 50 dès le 24 septembre 1979.
Sur recours de la défenderesse, la Cour de cassation civile du canton de Neuchâtel, par arrêt du 3 novembre 1981, a cassé le jugement de première instance et rejeté la demande.
C.-
Le demandeur recourt en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut à ce que l'arrêt du 3 novembre 1981 soit réformé en ce sens que le loyer de l'appartement est réduit de 7% avec effet au 24 mars 1979, et que le loyer du garage est réduit de 14%, répartis à raison de 7% dès le 24 mars 1979 et de 7% dès le 24 septembre 1979.
Le Tribunal fédéral admet le recours, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouveau jugement dans le sens des considérants.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'arrêt attaqué relève que les loyers litigieux se tiennent dans les limites des loyers usuels dans la localité et qu'ils sont dès lors présumés admissibles selon l'
art. 15 al. 1 lettre a AMSL
.
a) Ainsi que l'admet avec raison la cour cantonale, cette présomption légale n'est pas absolue et le juge peut s'en écarter s'il a des raisons sérieuses de penser que le loyer est néanmoins abusif, sur le vu d'indices résultant des allégations du preneur ou de l'étude du cas sous l'angle de l'art. 15 (
ATF 103 II 48
s.,
ATF 102 Ia 22
). En l'espèce, les baisses du taux hypothécaire qui se sont régulièrement succédé entre 1975 et 1979 constituent précisément un élément important, qui autorise le juge à s'écarter de la présomption de l'
art. 15 al. 1 lettre a AMSL
et à examiner l'effet de ces baisses sur le niveau admissible des loyers.
b) L'application du critère du loyer comparatif dans le cadre d'une action en réduction du loyer fondée sur la baisse du taux hypothécaire suppose d'ailleurs que les loyers dits usuels aient été adaptés à cette baisse; l'
art. 19 AMSL
serait en effet illusoire si la requête d'un locataire pouvait être mise en échec du seul fait que le marché usuel n'a pas ou n'a que partiellement réagi à la diminution des frais (
ATF 106 II 363
consid. 5d). Or, en l'espèce, non seulement on ne dispose d'aucun élément permettant de retenir que les loyers usuels mentionnés de façon toute générale ont été adaptés en fonction des baisses successives du taux hypothécaire, mais on peut très sérieusement en douter sur le vu
BGE 108 II 135 S. 138
des observations de la cour cantonale dans le cadre du présent recours; elle indique en effet que, à la différence de la défenderesse qui a baissé ses loyers de 7%, peu de propriétaires en ont fait autant à l'époque.
c) Ainsi, la constatation selon laquelle les loyers litigieux se tiennent dans les limites des loyers usuels de la localité n'empêche pas qu'il faille entrer en matière sur la requête de baisse et examiner si elle est fondée ou non au regard de l'évolution des prix et des charges depuis le dernier loyer qui pouvait être considéré comme convenable.
2.
A la différence du premier juge, qui était parti de la dernière hausse de loyer, au 24 mars 1975, la cour cantonale a considéré la fixation du loyer au 24 juin 1977 comme le moment déterminant pour la comparaison des anciennes et des nouvelles bases de calcul, au sens de la jurisprudence. Elle a donc pris comme base de comparaison non pas le taux hypothécaire de 6% existant en 1975, mais celui de 4 3/4% de juin 1977, calculant d'après cette base les effets sur le loyer de la baisse du taux hypothécaire invoquée par le locataire (4 1/4% en mars 1979 et 4% en septembre 1979). Elle a dès lors considéré comme justifiée, du fait de la baisse du taux hypothécaire, une réduction de loyer de 6,54% en mars 1979 et de 9,5% en septembre 1979. Compte tenu des facteurs de hausse, soit 1,24% en mars 1979 et 2,32% en septembre 1979 pour le maintien du pouvoir d'achat du capital exposé aux risques, et 2,28% à titre de hausse des coûts, elle a admis que la baisse de 7% accordée par la propriétaire dès septembre 1979 n'aboutissait pas à un loyer abusif. Quant au garage, la cour cantonale a considéré qu'il n'y avait pas lieu d'en baisser le loyer, étant donné que le montant total du loyer du garage et de l'appartement n'apparaissait pas comme abusif après la baisse du loyer de ce dernier accordée par la propriétaire.
a) Selon la jurisprudence, la modification des bases de calcul qui entre en considération pour une baisse de loyer, selon l'
art. 19 AMSL
, doit être survenue depuis la dernière fixation du loyer, celle-ci constituant le moment déterminant pour la comparaison des anciennes et des nouvelles bases de calcul (
ATF 106 II 359
consid. 3a, 167 ss consid. 3, 4b).
Il faut entendre par dernière fixation du loyer, en dehors de la détermination du loyer en début de bail, la modification du loyer correspondant à une adaptation à de nouvelles bases de calcul. Sauf réserve expresse et précise de la part du bailleur -
BGE 108 II 135 S. 139
notification d'une hausse nettement limitée à un facteur déterminé, indication de facteurs précis de hausse dont il déclare faire abstraction - le loyer ainsi adapté est en effet censé apporter au bailleur une couverture normale de ses charges et un rendement convenable; il sert donc de base pour examiner si l'évolution ultérieure des charges justifie ou non une nouvelle adaptation.
Une modification du bail qui ne remet pas en cause le montant du loyer, qui ne constitue pas une nouvelle fixation du loyer en fonction de bases de calcul modifiées, ne saurait en revanche constituer un point de référence pour juger de l'admissibilité d'une adaptation postérieure.
b) En l'espèce, seules les modifications du montant du loyer notifiées par la défenderesse en 1974 remplissent les conditions d'une fixation de loyer déterminante pour l'adaptation des loyers du demandeur aux nouvelles bases de calcul.
La notification de hausse de mars 1974, avec effet au 24 juin 1974, qui portait le loyer global (charges et forfait de chauffage compris) de 404 francs à 444 francs par mois, se fondait expressément sur la hausse du coût de la vie et sur l'augmentation des charges qui en découlait, et la bailleresse précisait que l'adaptation de loyer à laquelle elle procédait pouvait être considérée comme équitable. Cette notification, soit la lettre qui l'accompagnait, réservait expressément une adaptation à une hausse à venir du taux hypothécaire. Et l'adaptation ainsi annoncée est survenue en novembre 1974, par la notification d'une nouvelle hausse de loyer, de 9,3%, avec effet au 24 mars 1975, fondée uniquement sur la hausse du taux hypothécaire.
La notification d'une modification du bail pour le 24 juin 1977 ne saurait en revanche constituer un acte de fixation ou d'adaptation du loyer au sens indiqué plus haut. Il s'agit d'une modification portant uniquement sur la décomposition du loyer, dont un élément de charge jusqu'alors forfaitaire était depuis lors soumis à décompte. Cette modification ne touche en rien le montant du loyer préexistant. La notification faite par la bailleresse, avec la précision que le montant total du loyer n'était pas modifié, ne pouvait être comprise que comme un acte ne touchant pas au montant du loyer et ne pouvant dès lors être remis en cause ou contesté valablement par le locataire.
Il n'est partant pas nécessaire d'examiner le grief du recours relatif à la non-prise en considération d'une pièce produite par la
BGE 108 II 135 S. 140
défenderesse, dont il ressortirait qu'aux yeux de celle-ci, le loyer n'avait pas été modifié en 1977.
c) C'est donc à tort que la cour cantonale a fixé les loyers litigieux en tenant compte des variations des bases de calcul survenues depuis 1977 seulement, au lieu de se fonder sur la situation existant aux 24 juin 1974 et 24 mars 1975, dates auxquelles ont pris effet les dernières hausses de loyers notifiées au demandeur. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5284d9a2-a6d5-4b2b-a42f-9ae092a29045 | Urteilskopf
115 V 357
48. Estratto della sentenza del 13 novembre 1989 nella causa C. contro Cassa di compensazione del Cantone Ticino e Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino | Regeste
Art. 3 Abs. 4 lit. e und g ELG
,
Art. 11a und 17 Abs. 1 lit. b ELKV
: Transportkostenabzug.
Die ELKV-Regelung hält sich im Rahmen des Gesetzes (in der seit 1. Januar 1987 gültigen Fassung), indem sie - abgesehen von Notfällen oder vom notwendigen Transport mit Krankenwagen - die vom Einkommen abziehbaren Transportkosten begrenzt. | Erwägungen
ab Seite 357
BGE 115 V 357 S. 357
Estratto dai considerandi:
2.
Nella fattispecie si tratta di stabilire quale sia l'importo deducibile dal reddito del beneficiario di prestazioni complementari a titolo di trasporto al luogo di cura ambulatoriale, in particolare quali siano state le ripercussioni su questo punto della modificazione, con il 1o gennaio 1987, del diritto applicabile.
Giusta l'
art. 5 cpv. 2 LPC
l'importo delle prestazioni complementari corrisponde alla differenza fra un certo limite di reddito fissato dalla legge e il reddito annuo determinante del richiedente. Si deve quindi stabilire come le spese di trasporto litigiose debbano essere computate nel calcolo del reddito determinante del beneficiario di prestazioni complementari.
a) Vigente il diritto applicabile sino al 31 dicembre 1986, secondo l'art. 3 cpv. 4 lett. e LPC dal reddito erano dedotte "le spese insorte durante l'anno in corso e debitamente comprovate di medico, dentista, farmacista, cura ospedaliera, cura a domicilio come anche mezzi ausiliari". L'
art. 3 cpv. 4bis 2
a frase LPC precisava che "il Consiglio federale determina i medicamenti e i mezzi ausiliari, come pure gli apparecchi per la cura e il trattamento i cui costi possono essere dedotti" e che "esso
BGE 115 V 357 S. 358
disciplina le condizioni che legittimano una deduzione delle spese e stabilisce in quali casi un mezzo ausiliario, o un apparecchio per la cura o per il trattamento può essere dato in prestito". L'art. 19 OPC, fondato su questo disposto legale, affermava dal canto suo che "il Dipartimento federale dell'interno emana le prescrizioni necessarie circa le spese deducibili di medico, dentista, farmacista, cura ospedaliera, cura a domicilio e per mezzi ausiliari" ed "emana inoltre disposizioni relative alla consegna, a titolo di prestito, di mezzi ausiliari come pure di apparecchi di trattamento e di cura". Il Dipartimento, a sua volta, sulla base della predetta delega aveva emanato l'OMPC, il cui art. 11, relativo alle "spese di trasporto", prevedeva che "sono deducibili le spese di trasporto in una vettura d'ambulanza e le indennità per gli accompagnatori".
Il Tribunale federale delle assicurazioni ha avuto modo di interpretare quest'ultimo disposto in una sentenza 28 dicembre 1982 in re W., pubblicata in
DTF 108 V 235
. La Corte ha così affermato che con questa norma non si era voluto limitare la facoltà di dedurre le, gravose, spese di trasporto in essa contenute, una simile limitazione apparendo priva di senso, ritenuto come pure le usuali spese di viaggio siano idonee ad influire sulla situazione economica dell'assicurato in misura rilevante dal profilo del diritto alle prestazioni complementari. L'
art. 11 OMPC
indicava al contrario, proseguiva il Tribunale, che a maggior ragione dovevano essere prese in conto le usuali spese di viaggio nella misura in cui si erano considerate persino le, più importanti, spese di ambulanza e di accompagnamento (
DTF 108 V 243
consid. 5b).
Con il 1o gennaio 1984 la delega dell'
art. 3 cpv. 4bis LPC
è stata modificata nel senso che "il Consiglio federale determina le spese di medico, dentista, medicamenti, cure e mezzi ausiliari, come pure i contributi all'assicurazione contro le malattie che possono essere dedotti". L'autorità esecutiva federale ha dal canto suo emanato un nuovo art. 19 OPC, il cui cpv. 2, in vigore da quella stessa data, disponeva che "il Dipartimento federale dell'interno stabilisce le spese deducibili di medico, dentista, medicamenti, cura e mezzi ausiliari". Il Dipartimento, infine, ha all'
art. 11a OMPC
, in vigore dal 1o febbraio 1984, riferito sempre alle "spese di trasporto", affermato che "le spese di trasporto dimostrate possono essere dedotte solo se sono state provocate da un'urgenza o dall'uso indispensabile di un'autoambulanza".
BGE 115 V 357 S. 359
b) Giusta l'
art. 3 cpv. 4 LPC
nel tenore vigente dal 1o gennaio 1987 dal reddito sono dedotte fra l'altro "le spese intervenute durante l'anno in corso e debitamente comprovate di soggiorno in case o ricoveri, di medico, dentista, farmacista, cura ospedaliera, cura a domicilio, come anche per mezzi ausiliari" (lett. e), nonché "le spese supplementari per il sostentamento generale dovute all'invalidità e debitamente comprovate, fino a una somma annua di 3600 franchi per persona" (lett. g). L'art. 3 cpv. 4bis seconda frase LPC afferma che "il Consiglio federale stabilisce le spese di soggiorno in case e ricoveri, di medico, dentista, farmacista, cure e mezzi ausiliari, come pure i contributi all'assicurazione contro le malattie e le spese supplementari causate da invalidità che possono essere dedotti". All'art. 19 cpv. 2 OPC il Consiglio federale ha quindi affermato che "il Dipartimento federale dell'interno stabilisce le spese di medico, dentista, medicamenti, cura e mezzi ausiliari e le spese supplementari dovute all'invalidità che possono essere dedotte". Il Dipartimento ha in quell'occasione lasciato immutato il testo dell'
art. 11a OMPC
. All'art. 17 cpv. 1 dell'ordinanza medesima ha invece predisposto essere considerate "spese supplementari dovute all'invalidità" se "debitamente comprovate, a condizione che non siano coperte da una prestazione dell'AVS o dell'AI o da un assegno per grandi invalidi dell'assicurazione contro gli infortuni", segnatamente (lett. b) "i trasporti al luogo del trattamento medico più vicino". Il disposto precisa che "sono rimborsate le spese corrispondenti alle tariffe dei trasporti pubblici per il percorso più diretto" e che "se l'impedimento obbliga l'assicurato a ricorrere a un altro mezzo di trasporto, le spese relative sono prese in considerazione".
c) Da quanto precede emerge che successivamente all'epoca della resa della sentenza in
DTF 108 V 235
ed entro la modifica legislativa entrata in vigore il 1o gennaio 1987 il disciplinamento ha subito modifiche.
Le modifiche, con il 1o gennaio 1984, delle deleghe di cui agli
art. 3 cpv. 4bis LPC
e 19 OPC erano intese a permettere rispettivamente al Consiglio federale e al Dipartimento dell'interno di determinare la misura del computo dei premi dell'assicurazione contro le malattie (cfr. Rapporto esplicativo 26 maggio 1983 della Commissione del Consiglio degli Stati in FF 1983 III 286; RCC 1983 pag. 297 e 1984 pag. 78). Questo tema è estraneo all'oggetto della vertenza.
Viceversa l'introduzione, con effetto dal 1o febbraio 1984, dell'
art. 11a OMPC
in sostituzione del precedente
art. 11 OMPC
BGE 115 V 357 S. 360
si riferisce direttamente al punto oggi litigioso. Ci si potrebbe chiedere se il predetto nuovo disposto - più restrittivo della norma da esso sostituita in quanto segnatamente ammette essere le spese di trasporto deducibili nella limitata misura in cui esse siano causate da una situazione di urgenza o da un uso indispensabile dell'ambulanza - consentisse ancora la deduzione delle spese di semplice trasporto al luogo di terapia, come ammesso dalla giurisprudenza di questa Corte. Il tema può comunque rimanere irrisolto dal momento che devono nell'evenienza concreta essere accertati solo i diritti dell'assicurata successivamente al 1o gennaio 1988.
Orbene, se si esamina la genesi della nuova disposizione di legge vigente dal 1o gennaio 1987 e si considerano i suoi riflessi sulle disposizioni regolamentari, vuol essere osservato che la norma di cui all'art. 3 cpv. 4 lett. g LPC non era prevista nel Messaggio 21 novembre 1984 del Consiglio federale sulla seconda revisione dell'assicurazione per l'invalidità (cfr. FF 1985 I 17; v. pure FF 1985 I 114). Essa venne introdotta per volontà del Consiglio degli Stati, il quale ritenne necessario introdurre una deduzione, limitandola a Fr. 3600.-- all'anno, per le spese supplementari dovute all'invalidità. Per simili spese supplementari si dovevano intendere segnatamente quelle non già coperte altrimenti da assegni per grandi invalidi; escluse dal reddito dovevano essere ad esempio le spese di trasporto al luogo di cura più vicino, ritenuto nella misura del possibile l'obbligo di far capo ai mezzi pubblici (Boll.uff. CSt 1985 289, rel. Dobler). Questa opinione venne contestata dal Consiglio federale (Boll.uff. CSt 1985 289, rel. Egli). Il Consiglio nazionale si adeguò alla decisione del Consiglio degli Stati. I relatori ripresero gli argomenti avanzati dal Consiglio degli Stati, insistendo sulla necessità di permettere ai beneficiari di prestazioni complementari di rimanere il più a lungo possibile nel proprio ambiente domestico e di procrastinare quindi il momento del ricovero in istituti specializzati (Boll.uff. CN 1985 1395 segg., rel. Zehnder, Etique, Weber, Pitteloud e Grendelmeier). In questa circostanza il Consiglio federale diede il suo assenso (Boll.uff. CN 1985 1397, rel. Egli).
d) È manifesto ora che se la nuova disposizione contenuta all'art. 3 cpv. 4 lett. g da un lato favorisce gli assicurati al beneficio di prestazioni complementari, dall'altro, essa, quantomeno per ciò che concerne le spese di trasporto, li danneggia nella misura in cui pone un limite di spese deducibili in precedenza ignorato.
BGE 115 V 357 S. 361
L'OMPC, poi, ha con l'art. 17 cpv. 1 lett. b riconosciuto, limitandolo nel contempo, il diritto alla deduzione delle usuali spese di trasporto precedentemente ammessa nell'ambito d'applicazione dell'art. 11 sino al 31 gennaio 1984, rispettivamente, se del caso, dell'art. 11a da quest'ultima data al 31 dicembre 1986. Né si può dire che il Dipartimento federale dell'interno, su delega del Consiglio federale, abbia, adottando la nuova norma dell'OMPC, violato le disposizioni di legge, dal momento che, come si è visto, essa riproduce la volontà testuale del legislatore.
Corollario di quanto precede è che, ovviamente, l'
art. 11a OMPC
, perlomeno dal 1o gennaio 1987, non può più che riferirsi alle spese di trasporto nel senso letterale della norma, ossia a quelle rese necessarie da una situazione di urgenza oppure dovute all'uso indispensabile di un'autoambulanza. | null | nan | it | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
52872075-4978-4a55-8221-105576737a87 | Urteilskopf
97 I 423
57. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Mai 1971 i.S. Badische Anilin- und Soda-Fabrik Aktiengesellschaft gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. | Regeste
Erfindung neuer Kristallformen, Patentschutz.
1. Zurückweisung von Patentgesuchen gemäss
Art. 59 Abs. 1 und 2 PatG
(Erw. 1).
2.
Art. 2 Ziff. 4 und 53 PatG
. Begriff des chemischen Stoffes: Kennzeichnendes Merkmal ist die Beschaffenheit des Stoffes, nicht der chemische Weg, auf dem er hergestellt wird (Erw. 2).
3. Schutzfähigkeit einer Erfindung, die darin besteht, dass einem chemischen Stoff durch besondere Eingriffe eine für ihn nicht bekannte Kristallform verliehen wird (Erw. 3).
4.
Art. 51 und 52 PatG
. Bedeutung des Patentanspruches; Anforderungen an dessen Inhalt, wenn für ein Erzeugnis Patentschutz verlangt wird (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 424
BGE 97 I 423 S. 424
A.-
Die Badische Anilin- und Soda-Fabrik Aktiengesellschaft reichte am 31. Januar 1968 beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum das aus einer Teilung des Patentgesuches Nr. 9990/63 hervorgegangene Patentgesuch Nr. 1456/68 ein, dessen Patentansprüche wie folgt lauten:
"I. ss-Modifikation des Perylen-3,4,9,10-tetracarbonsäure-bis [(4phenylazo)-phenylimid], gekennzeichnet durch ein Röntgenbeugungsdiagramm, das bei einem Beugungswinkel von 6,5° und 19,3° zwei Linien starker Intensität, bei 13,5° eine Linie mittlerer Intensität und bei 7,4°, 11,0°, 13,0°, 15,2°, 16,4°, 17,8°, 22,0°, 22,7°, 24,1°, 24,3°, 25,0°, 25,6°, 26,2°, 27,3°, 27,7° und 28,8° 16 Linien geringer Intensität aufweist.
II. Verwendung der ss-Modifikation des Perylen-3,4,9,10-tetracarbonsäure-bis [(-phenylazo)-phenylimid] nach Patentanspruch I als Pigmentfarbstoff."
Am 6. August 1968 und 13. Juni 1969 beanstandete das Amt den Patentanspruch I, weil Erfindungen chemischer Stoffe von der Patentierung ausgeschlossen seien (
Art. 2 Ziff. 4 PatG
). In der zweiten Beanstandung wies es "nebenbei" auch darauf hin, dieser Patentanspruch enthalte keine "Lehre zum technischen
BGE 97 I 423 S. 425
Handeln", weil aus der Angabe der Kristallform nicht geschlossen werden könne, wie diese zu erzielen sei. Die Gesuchstellerin hielt indessen das Gesuch unverändert aufrecht. Das Amt wies es deshalb am 30. Dezember 1970 "in Anwendung von
Art. 13 Abs. 1 PatV
I, gestützt auf
Art. 59 Abs. 2 PatG
" zurück. Es führte aus, es habe nach wie vor keinen Grund, von seiner Auffassung abzuweichen, wonach Patentanspruch I einen chemischen Stoff im Sinne von
Art. 2 Ziff. 4 PatG
zum Gegenstand habe.
B.-
Die Gesuchstellerin führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, die Rückweisungsverfügung aufzuheben und das Amt anzuweisen, die Prüfung des Patentgesuches nach Art. 59 Abs. 2 bis 4 PatG und
Art. 13 Abs. 2 und 3 PatV
I fortzusetzen.
Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Amt für geistiges Eigentum hat das Patentgesuch "in Anwendung von
Art. 13 Abs. 1 PatV
I, gestützt auf
Art. 59 Abs. 2 PatG
" zurückgewiesen.
Diese Formel ist unklar.
Art. 13 Abs. 1 PatV
I weist das Amt an, ein den Vorschriften von Art. 8 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung entsprechendes Patentgesuch zunächst darauf hin zu prüfen, ob es gemäss
Art. 59 Abs. 1 PatG
zurückzuweisen sei. Diese Bestimmung des Gesetzes gebietet die Zurückweisung eines Gesuches, wenn es ausschliesslich eine gewerblich nicht anwendbare oder eine durch
Art. 2 PatG
von der Patentierung ausgeschlossene Erfindung betrifft.
Art. 59 Abs. 2 PatG
dagegen spricht von der Zurückweisung von Gesuchen, die den in Art. 9 oder 49 bis 55 des Gesetzes oder den in der Vollziehungsverordnung enthaltenen Bestimmungen nicht entsprechen. Gegen welche dieser Bestimmungen das Gesuch verstosse, sagt die angefochtene Verfügung nicht. Ihre Begründung erschöpft sich darin, das Amt könne nicht von seiner Auffassung abweichen, wonach der Patentanspruch I einen chemischen Stoff im Sinne von
Art. 2 Ziff. 4 PatG
zum Gegenstand habe. Insbesondere wirft die Verfügung diesem Patentanspruch nicht mehr vor, er gebe keine "Lehre zum technischen Handeln".
2.
Das Patentgesetz verwendet den Begriff des chemischen Stoffes in Art. 2 Ziff. 4, wo es Erfindungen solcher Stoffe von der Patentierung ausschliesst, jedoch beifügt, die Bestimmung
BGE 97 I 423 S. 426
erstrecke sich nicht auf Legierungen. Es gebraucht ihn ferner in Art. 53, aus dem sich ergibt, dass Patentansprüche für Verfahren zur Herstellung von chemischen Stoffen zulässig sind, aber nur ein bezüglich des chemischen Vorganges bestimmtes Verfahren definieren dürfen.
a) Zu
Art. 2 Ziff. 4 PatG
wurde in der Botschaft des Bundesrates vom 25. April 1950 ausgeführt, die Vorschrift über die Legierungen sei neu. Falls bei einer Legierung eine chemische Reaktion auftrete, könne man sich fragen, ob die Legierung ein chemischer Stoff im Sinne des Gesetzes sei. Weil Legierungen ihrer Natur nach jedoch aus mehreren Stoffen beständen, habe das Amt für geistiges Eigentum sie seit Jahren durchwegs nicht als chemische Stoffe behandelt; die neue Vorschrift solle diese Praxis des Amtes sanktionieren und eine einheitliche Behandlung der Erfindungen von Legierungen durch die Patenterteilungsbehörde und die Gerichte sicherstellen (BBl 1950 I 1007). Daraus folgt, dass sich die gesetzgebenden Behörden der Auffassung des Amtes für geistiges Eigentum anschliessen wollten, wonach die chemische Reaktion, die bei der Herstellung eines Erzeugnisses auftreten kann, dieses nicht notwendigerweise zum "chemischen Stoff" macht.
Zu
Art. 2 Ziff. 2 und 3 PatG
bemerkte die Botschaft, das jetzige Gesetz schliesse die Erfindungen von Arzneimitteln von der Patentierung aus, falls die Arzneimittel chemische Stoffe seien oder auf anderem als auf chemischem Weg hergestellt werden. Bei dieser Ordnung seien dagegen Arzneimittelerfindungen patentierbar, wenn das Arzneimittel auf chemischem Weg gewonnen werde, aber kein chemischer Stoff sei. Für diese Ausnahme liessen sich indessen keinerlei triftige Gründe anführen; es liege offensichtlich eine Gesetzeslücke vor, deren Beseitigung angezeigt sei. Erfindungen von Arzneimitteln seien daher künftig ohne Ausnahme von der Patentierung ausgeschlossen (BBl 1950 I 1004). Die gleiche Lücke bestehe bei Erfindungen von Nahrungsmitteln und Getränken, die keine chemischen Stoffe seien, aber in einem chemischen Verfahren hergestellt werden; auch hier rechtfertige es sich, die Lücke zu schliessen und den Stoffschutz ohne Ausnahme zu versagen (BBl 1950 I 1006). Daraus erhellt ebenfalls, dass nicht jeder "chemische Weg" zu einem "chemischen Stoff" im Sinne des Gesetzes führt.
Indem das schweizerische Gesetz das den "chemischen Stoff" kennzeichnende Merkmal nicht im "chemischen Weg",
BGE 97 I 423 S. 427
sondern in der Beschaffenheit des Stoffes selbst sieht, stimmt es mit der Praxis zu den früheren deutschen Patentgesetzen überein; denn diese liessen in § 1 Abs. 2 Ziff. 2 für Erfindungen "von Stoffen, die auf chemischem Wege hergestellt werden", nur Verfahrenspatente zu. Das Reichsgericht, der Bundesgerichtshof und das Patentamt verstanden unter den "auf chemischem Wege hergestellten" Stoffen aber nur chemische Individuen, nämlich Verbindungen und Elemente (EGGERT, Chemische Sachpatente, in Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht [GRUR] 1964 S. 592 f.; vgl. auch REIMER, Patentgesetz, 3. Auflage, § 1 Anm. 90; W. BERNHARDT, Lehrbuch des deutschen Patentrechts, München 1957, S. 52). Der "chemische Weg", dessen sich der Erfinder bedienen mochte, schloss also die Erteilung von Sachpatenten nicht notwendigerweise aus.
Unter dem "chemischen Stoff" im Sinne des schweizerischen Rechtes ist ebenfalls ein sogenanntes chemisches Individuum zu verstehen, d.h. das was der Chemiker "chemische Verbindung" nennt und mit einer chemischen Formel zu bezeichnen pflegt, sei es mit der Bruttoformel (z.B. für Acetylen C2H2), sei es mit der Struktur- oder Konstitutionsformel (z.B. für Acetylen H-C= C-H). Das Amt für geistiges Eigentum räumt dies ausdrücklich ein und bemerkt mit Recht, der in
Art. 2 Ziff. 4 und 53 PatG
enthaltene Begriff des chemischen Stoffes müsse so ausgelegt werden, dass er nach beiden Bestimmungen sinnvoll sei. Die Erfindung eines chemischen Stoffes ist somit nicht im Aufdecken einer chemischen Reaktion, die sich im Verlaufe der Bildung eines neuen Erzeugnisses abspielen mag, zu erblicken; sie besteht vielmehr im Auffinden einer Verbindung von Atomen zu bisher nicht bekannt gewesenen Molekülen (vgl.
BGE 82 I 208
Erw. 4,
BGE 91 I 222
).
b) Im vorliegenden Fall fragt sich deshalb nicht, ob im Verlaufe der Erzeugung der im Patentanspruch I definierten ss-Modifikation aus der a-Modifikation des chemischen Stoffes "Perylen-3,4,9,10-tetracarbonsäure-bis [(4-phenylazo)-phenylimid]" chemische Vorgänge stattfinden können. Solche allein würden die ss-Modifikation nicht zu einen neuen chemischen Stoff machen. Das wird vom Amt denn auch nicht behauptet.
3.
a) Das Amt räumt der Beschwerdeführerin ein, dass die im Patentanspruch I definierte ss-Modifikation in einer besonderen Kristallform des daselbst genannten chemischen Stoffes besteht. Es führt aus, das ergebe sich zwingend daraus,
BGE 97 I 423 S. 428
dass die im Patentanspruch angegebenen physikalischen Daten das Röntgenbeugungsdiagramm beträfen, wie es nur kristallisierten Körpern zukomme und jeweilen für die Kristallart eines Körpers charakteristisch sei. Die Beschwerdeführerin verlangt also Patentschutz nicht für den chemischen Stoff "Perylen-3,4, 9,10-tetracarbonsäure-bis [(4-phenylazo)-phenylimid]", sondern nur für eine bestimmte Kristallform desselben, die sie erfunden haben will.
Das Amt verweigert ihr diesen Schutz mit der Begründung, die Kristallform gehöre zum Wesen des Stoffes; sie sei durch seine Natur bedingt, gleich wie z.B. der Siedepunkt und der Schmelzpunkt chemischer Stoffe. Das treffe jedenfalls dann zu, wenn ein Stoff nur in einer einzigen Form kristallisieren könne, und es bestehe kein triftiger Grund, das Auffinden einer neuen Kristallform (einer neuen "Modifikation") eines in mehreren Formen kristallisierenden Stoffes anders zu behandeln.
b) Diese Auffassung ist mit dem vom Amt selber anerkannten Begriff des chemischen Stoffes nicht vereinbar. Wenn unter einem solchen das durch eine Formel ausgedrückte chemische Individuum (die chemische Verbindung) zu verstehen ist, kann die "Erfindung eines chemischen Stoffes" im Sinne von
Art. 2 Ziff. 4 PatG
nur in der Schaffung eines neuen chemischen Individuums, d.h. eines Stoffes mit neuer chemischer Formel bestehen, nicht auch darin, dass man (durch eine schöpferische und technisch fortschrittliche Leistung) einem bestehenden Stoff eine bisher für ihn nicht bekannte Kristallform gibt. Erfunden ist in einem solchen Falle nur die neue Kristallform, nicht der Stoff als solcher.
c) Dass an einem bestimmten Stoffe wegen der Naturgesetze, die ihn beherrschen, nicht beliebige Kristallformen geschaffen werden können, ändert nichts. Das Patentgesetz steht nicht auf dem Boden, eine Erfindung sei nur dann patentierbar, wenn sie vollständig willkürlich, frei von allen natürlichen Gegebenheiten möglich ist. Das zeigt sich schon bei den Verfahrenspatenten. Die Verfahren zur Herstellung chemischer Stoffe sind nicht frei wählbar, sondern weitgehend durch die Natur bedingt, aber dennoch patentierbar. Bei den Erzeugnispatenten ist es nicht anders. So wurde in der Botschaft zum Patentgesetz die Beeinflussung physiologischer Vorgänge auf dem Gebiete der Landwirtschaft und des Gartenbaues als patentierbar erachtet (BBl 1950 I 998), und das Bundesgericht hat sich dieser Auffassung
BGE 97 I 423 S. 429
angeschlossen (
BGE 79 I 82
). Auch hat das Amt ein Erzeugnispatent z.B. für einen bei gewöhnlicher Temperatur duktilen Wolframdraht für elektrische Glühlampen erteilt, obschon die Duktilität nur auf der (mechanisch bewirkten) Überführung der inneren kristallinischen Struktur des Wolframkörpers in ein faseriges Gefüge beruhte, also vom Wesen dieses Stoffes abhing und in ihm seine Grenzen fand. Das Bundesgericht hat dieses Patent grundsätzlich geschützt (
BGE 49 II 507
ff.). Die Beschwerdeführerin behauptet sodann, nach ständiger Praxis des Amtes würden auch für Erfindungen kolloidaler Systeme und fadenbildender Polymerer Erzeugnispatente erteilt, obschon die Fähigkeit, solche Systeme oder Fäden und Fasern zu bilden, natürliche Eigenschaften der verwendeten chemischen Stoffe seien. Das Amt widerlegt das nicht, sondern entgegnet nur, das Kristallsystem sei eine "durch die Natur des Stoffes bedingte 'Konstante' im Gegensatz zu mehr oder weniger willkürlich wählbaren Merkmalen, wie etwa der künstlich erzeugten Form eines Stoffes". Dass die Zahl der möglichen Kristallformen bei emem bestimmten chemischen Stoff nur sehr klein ist, während die Natur dem Erfindergeist auf dem Gebiete der Bildung kolloidaler Systeme und der Polymerisation angeblich mehr Spielraum lässt, macht jedoch keinen Unterschied. Patente werden wegen der in der Schaffung des neuen Erzeugnisses liegenden erfinderischen Leistung und wegen des mit ihr verbundenen technischen Fortschrittes erteilt. Ob das Auffinden eines neuen Erzeugnisses erfinderisch und technisch fortschrittlich sei, hängt aber grundsätzlich nicht davon ab, wie gross der Spielraum war, den die Natur dem Erfinder liess. Indem das Amt die Zurückweisung des Gesuches damit begründet, die neue Kristallform könne nicht Gegenstand eines Erzeugnispatentes sein, weil die Leistung des Erfinders nur im Aufdecken einer "Konstanten der Natur" bestehe, spricht es dieser Leistung in Wirklichkeit wegen angeblichen Ungenügens ihres schöpferischen Grades oder ihres technischen Fortschrittes die Eigenschaft einer Erfindung ab. Das ist nicht zulässig, da das vorliegende Patent nicht der amtlichen Vorprüfung untersteht.
Der Vergleich der Kristallform mit dem Siedepunkt und dem Schmelzpunkt eines chemischen Stoffes ist nicht schlüssig. Diese "Konstanten" sind nicht schutzfähig, weil sie bekannt oder ohne Leistung von Erfindungshöhe feststellbar sind. Sollte es möglich sein, sie durch neue schöpferische Einwirkungen auf
BGE 97 I 423 S. 430
den chemischen Stoff zu verändern und dadurch technische Fortschritte zu erzielen, so könnten grundsätzlich auch die neu geschaffenen Siede- bzw. Schmelzpunkte Gegenstand von Erzeugnispatenten sein.
d) Das Amt bringt noch vor, wenn ein Stoff nur in einer einzigen Form kristallisiere, komme man nicht darum herum, auch den kristallisierten Stoff als chemischen Stoff im Sinne des Patentgesetzes zu betrachten. Es bestehe nun aber kein triftiger Grund, einem kristallisierten Stoff den Charakter eines chemischen Stoffes dann abzusprechen, wenn er in mehr als einer Form kristallisieren könne.
Dem ist entgegenzuhalten, dass Patentschutz nicht für den Stoffals solchen, sondern nur für seine Kristallform beansprucht wird. Ist nur eine einzige Kristallform möglich, so kommt sie in der Natur vor und braucht nur entdeckt zu werden, oder sie ist bereits bekannt oder ohne erfinderische Leistung feststellbar. Im einen wie im andern Falle ist sie nicht schutzfähig; insbesondere können für blosse Entdeckungen Patente nicht erteilt werden (BLUM/PEDRAZZINI, Art. 1 Anm. 8 lit. c). Wenn zwei oder mehr Kristallformen ein und desselben Stoffes in der Natur vorkommen, ist von ihnen das gleiche zu sagen: sie sind bekannt oder entdeckbar und können daher nicht Gegenstand eines Patentes sein. Das ist kein Grund, auchjene Kristallformen nicht zu patentieren, die dem Stoff durch schöpferische Eingriffe des Menschen zusätzlich zu den schon bekannten oder in der Natur vorkommenden Formen verliehen werden. Wer dank einer schöpferischen Leistung auf eine neue Kristallform stösst, macht eine Erfindung, im Gegensatz zum Benützer einer schon bekannten oder zum Entdecker einer in der Natur schon bestehenden Kristallform.
Das Ergebnis einer solchen Leistung wäre nur dann nicht patentierbar, wenn man
Art. 2 Ziff. 4 PatG
ausdehnend auslegen oder auf die Erfindung blosser Eigenschaften chemischer Stoffe sinngemäss anwenden müsste. Weder das eine noch das andere ist zulässig, da diese Bestimmung im Verhältnis zu
Art. 1 PatG
, wonach für neue gewerblich anwendbare Erfindungen Patente erteilt werden, Ausnahmenorm ist.
e) Auch die schweizerische Lehre und das Schrifttum zum früheren deutschen Recht halten die Erteilung von Sachpatenten für die Erfindung neuer Kristallformen bereits bekannter chemischer Stoffe für zulässig, so C. A. STEFFEN, Erfindungen von
BGE 97 I 423 S. 431
chemischen Verfahren und Arzneimitteln nach schweizerischem Recht (1945) S. 65; BLUM/PEDRAZZINI, Art. 2 Anm. 23 S. 249; E. MÜLLER, Chemie und Patentrecht, 3. Auflage (1951) S. 24; P. MEDIGER, Das Problem des Stoff- und Verfahrensschutzes im Patentrecht (1953) S. 13; EGGERT in GRUR 1964 597. Einige dieser Autoren, so auch BLUM/PEDRAZZINI, setzen voraus, dass die neue Kristallform durch besondere Eingriffe, z.B. Impfen, herbeigeführt werde. Mit dem Argument, solche Eingriffe dürften nur im Anspruch zu einem Verfahrenspatent ausgedrückt werden, vermag das Amt für geistiges Eigentum diese Auffassungen nicht zu entkräften. Gewiss gehört der Eingriff als solcher nur in die Definition einer Verfahrenserfindung. Das schliesst aber nicht aus, dass der Erfinder ausser dem Patentschutz für das Verfahren (oder statt desselben) den Patentschtz für das Ergebnis verlangen kann.
Nach deutschem Recht stellt sich diese Frage heute nicht mehr, weil das Patentgesetz vom 2. Januar 1968 nun auch für die Erfindung chemischer Stoffe Sachpatente (Stoffpatente) zulässt.
4.
a) Das Amt für geistiges Eigentum kommt in der Vernehmlassung zur Beschwerde unter Hinweis auf einen in "Schweizerisches Patent- und Muster und Modellblatt" 1965 I 32 ff. veröffentlichten Entscheid seiner Beschwerdeabteilung und auf das dort angeführte Schrifttum auf den Vorwurf zurück, Patentansprüche müssten eine "Lehre zum technischen Handeln" enthalten. Es vermisst eine solche im vorliegenden Patentanspruch I, weil dessen physikalische Angaben den Fachmann nicht in die Lage versetzten, die ss-Modifikation des "Perylen-3, 4, 9, 10-tetracarbonsäure-bis [(4-phenylazo)-phenylimid]" zu erzeugen, eine Erfindung aber von vornherein nur in der Art und Weise liegen könne, wie diese Modifikation zugänglich sei.
b) Der Patentanspruch ist massgebend für den sachlichen Geltungsbereich des Patentes (
Art. 51 Abs. 2 PatG
). Er hat die Definition der Erfindung zu enthalten (
Art. 51 Abs. 1 PatG
). Mehr verlangt das Gesetz von ihm nicht. Die Darlegungen, die dem Fachmann erlauben, die Erfindung auszuführen, brauchen nicht in den Patentanspruch aufgenommen zu werden.
Art. 50 Abs. 1 PatG
verweist sie ausdrücklich in die Beschreibung. Das gleiche tat schon Art. 26 Abs. 2 aPatG, und auf demselben Boden stand der Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 Ziff. 7 aPatG,
BGE 97 I 423 S. 432
wonach das Patent nichtig zu erklären war, wenn die Erfindung "durch die Beschreibung" nicht so dargelegt wurde, dass Fachleute sie ausführen konnten. Dass Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3 des geltenden Gesetzes hievon abweichend von der Darlegung "durch die Patentschrift" spricht, hat nicht den Sinn, der Patentanspruch müsse Auskunft darüber geben, wie die Erfindung ausgeführt werden könne. Mit dieser Fassung wollte der Gesetzgeber nur sagen, es liege kein Nichtigkeitsgrund vor, wenn die die Ausführung der Erfindung ermöglichenden Darlegungen sich statt aus der Beschreibung aus den Zeichnungen oder sonstigen Beilagen oder aus dem Patentanspruch ergäben (BLUM/PEDRAZZINI, Art. 26 Anm. 8 S. 123; TOLLER, Immaterialgüterrecht II 715; DE MESTRAL, L'obtention et le maintien du brevet, S. 275). Das Amt für geistiges Eigentum darf ein Patentgesuch nicht mit der Begründung zurückweisen, der Patentanspruch gebe nicht Aufschluss darüber, wie die Erfindung ausgeführt werden könne.
Eine andere Auffassung lässt sich auch dem Schrifttum nicht entnehmen, das im angerufenen Entscheid der Beschwerdeabteilung des Amtes angeführt ist.
Insbesondere sprechen sich BLUM/PEDRAZZINI in Anm. 6 zu Art. 1 S. 73 ff. und BLUM, Patentrecht, Marken-, Muster- und Modellschutz, 2. Auflage S. 29, nicht über die Formulierung des Patentanspruches aus, sondern darüber, was man allgemein unter einer Erfindung verstehe. Sie sagen, die erfinderische Leistung liege "in der Aufstellung einer neuen Regel zum technischen Handeln". Das heisst nicht, die Erfindung sei nur patentierbar, wenn sie schon auf Grund ihrer Definition ausgeführt werden könne.
Das gleiche ist von TROLLER, Immaterialgüterrecht I 152 (2. Auflage I 165) zu sagen, wo vom "Merkmal der Erfindung als Regel, als Anleitung zum technischen Handeln" die Rede ist.
Auch WALLESER, Der Patentanspruch nach schweizerischem Recht S. 17 oben, äussert sich nur über den Begriff der Erfindung im allgemeinen, indem er in ihr "eine Anleitung zum zweckmässigen Vorgehen in der Technik" sieht. Wie eine konkrete Erfindung im Patentanspruch zu umschreiben sei und in welchem Teil der Patentschrift dargelegt werden müsse, wie sie ausgeführt werden könne, sagt er an der zitierten Stelle nicht.
MATTER, ZSR 1944 S. 59a, sodann versteht unter der "Anweisung
BGE 97 I 423 S. 433
zum technischen Handeln" die "technische Lehre". Er sagt von ihr, ein anderer Autor (WILDHAGEN, Zur Frage der Patentauslegung, Abhandlungen zum Arbeitsgebiet des Reichspatentamtes, Berlin 1927, 35 ff.) habe vorgeschlagen, sie "aus dem Patent herauszuschälen", um der starren technologischen Umschreibung des Patentanspruches zu entrinnen. Dass das schweizerische Patentgesetz vom Patentanspruch mehr als die blosse Definition der Erfindung verlange, erklärt Matter nicht.
c) Gemäss
Art. 52 Abs. 1 PatG
kann unter anderem "ein Erzeugnis" als Erfindung patentiert werden. Wird für ein solches Patentschutz beantragt, so hat der Patentanspruch dieses Erzeugnis zu definieren.
Das hat die Beschwerdeführerin im vorliegenden Falle getan, indem sie im Patentanspruch I die zu patentierende Kristallform des dort genannten chemischen Stoffes durch deren Röntgenbeugungsdiagramm kennzeichnete. Sie war nicht verpflichtet, im Patentanspruch auszuführen, wie diese Kristallform erzeugt werden könne, denn sie beantragt nicht die Erteilung eines Verfahrenspatentes. Indem das Amt ihr vorwirft, die jeder Erfindung eigene "Lehre zum technischen Handeln" könne im vorliegenden Falle nur darin liegen, wie die erwähnte Kristallform (sog. ss-Modifikation) zugänglich sei, geht es von der Auffassung aus, nur ein Verfahren, nicht dagegen die Kristallform als Erzeugnis sei patentierbar. Das ergibt sich auch daraus, dass es in anderem Zusammenhang sagt, ein Erzeugnis-Patentanspruch solle frei sein von Merkmalen, die ein Verfahren charakterisieren.
Wie der Fachmann die Kristallform erzeugen kann, durfte die Gesuchstellerin in der Patentbeschreibung ausführen. Dass sie das dort nicht getan habe, wirft das Amt ihr vorläufig nicht vor und ist angesichts der Ausführungen auf den S. 5 ff. des Patentgesuches für das Bundesgericht nicht offensichtlich. Die Sache muss zu weiterer Behandlung des Patentgesuches an das Amt zurückgewiesen werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, die Rückweisungsverfügung des Eidg. Amtes für geistiges Eigentum vom 30. Dezember 1970 aufgehoben und die Sache zu weiterer Behandlung des Patentgesuches an das Amt zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
52872480-a212-4fd0-8012-a11c579a6f8a | Urteilskopf
125 V 65
9. Arrêt du 23 mars 1999 dans la cause R. contre Office AI pour les assurés résidant à l'étranger et Commission fédérale de recours en matière d'AVS/AI pour les personnes résidant à l'étranger | Regeste
Art. 84 AHVG
;
Art. 21 Abs. 1 und
Art. 35 VwVG
;
Art. 32 Abs. 3 OG
: Rechtsmittelbelehrung in Verfügungen, die an einen im Ausland wohnhaften Versicherten gerichtet sind; Übergabe einer Beschwerdeschrift an eine ausländische Poststelle.
Um sich gegenüber einem im Ausland wohnhaften Versicherten auf die in
Art. 21 Abs. 1 VwVG
enthaltene Regel berufen zu können, wonach eine Beschwerdeschrift der schweizerischen Post zu übergeben ist, muss die Verwaltung diese Gesetzesbestimmung in der Rechtsmittelbelehrung wörtlich wiedergeben. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 125 V 65 S. 65
A.-
R., ressortissant suisse, résidant en Grèce depuis le mois de janvier 1984, a déposé le 13 août 1996 une demande de prestations de l'assurance-invalidité auprès de l'ambassade de Suisse en Grèce. Par décision du 5 août 1997, notifiée le 20 août 1997 par l'intermédiaire de ladite
BGE 125 V 65 S. 66
ambassade, l'Office AI pour les assurés résidant à l'étranger (ci-après: OAI) a rejeté la demande.
B.-
Par acte daté du 18 septembre 1997, expédié sous pli recommandé exprès le 19 septembre 1997 à l'adresse de l'ambassade précitée et parvenu à cette dernière le 24 septembre 1997, l'assuré a recouru contre cette décision devant la Commission fédérale de recours en matière d'assurance-vieillesse, survivants et invalidité pour les personnes résidant à l'étranger (ci-après: la commission).
Le même jour, 19 septembre 1997, il avait adressé un autre exemplaire du recours, également sous pli recommandé, directement au siège de la commission, à Lausanne.
Par jugement du 26 mars 1998, la présidente de la commission a déclaré le recours irrecevable au motif qu'il était tardif.
C.-
R., représenté par un avocat, a formé devant le Tribunal fédéral un recours de droit public contre ce jugement dont il demande l'annulation, avec suite de dépens. Le Tribunal fédéral a transmis le recours au Tribunal fédéral des assurances comme objet de sa compétence.
Le recourant reproche à l'OAI une indication insuffisante des voies de droit dans sa décision du 5 août 1997 et il fait grief à la commission d'avoir violé l'interdiction du formalisme excessif. Il invoque la protection de sa bonne foi.
L'OAI intimé a renoncé à se déterminer. L'Office fédéral des assurances sociales n'a pas pris position.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Dans la mesure où le recourant invoque à l'appui de ses conclusions le grief de formalisme excessif le recours est infondé. En effet, comme cela ressort de la jurisprudence, l'exigence de la remise d'un envoi postal à la Poste Suisse (selon la nouvelle formulation de l'
art. 32 al. 3 OJ
qui devrait aussi s'appliquer à l'
art. 21 al. 1 PA
) ne constitue précisément pas un formalisme excessif.
C'est ainsi que, dans un arrêt du 19 février 1971, le Tribunal fédéral a jugé que la réception d'un acte juridique soumis à un délai constitue une espèce d'acte de la puissance publique ne pouvant appartenir qu'à un bureau de poste suisse. Le fait que la Poste Suisse est mise sur le même pied que l'autorité officielle - en ce qui concerne la faculté de recevoir des actes judiciaires avec plein effet du point de vue de la procédure - est une concession faite aux exigences du trafic (
ATF 97 I 6
).
BGE 125 V 65 S. 67
Dans un arrêt du 14 février 1978, le Tribunal fédéral a précisé que la règle selon laquelle un acte de recours doit être remis en temps utile à un bureau de poste suisse a été adoptée pour des motifs sérieux. Il n'est nullement exclu que, dans certains pays, la date du sceau postal puisse ne pas correspondre à celle de la remise de l'envoi. Par ailleurs, la règle précitée permet d'éviter que l'autorité judiciaire ne sache pas, durant un laps de temps plus ou moins long, si une décision est attaquée ou pas. Afin de respecter le principe de l'égalité de traitement, une telle règle doit être appliquée de manière stricte. Dans ce contexte, le grief de formalisme excessif est infondé (
ATF 104 Ia 5
consid. 3).
De son côté, la Cour de céans a jugé que la remise d'un acte de recours à un bureau de poste étranger n'est pas assimilée à la remise à un bureau de poste suisse et est donc inefficace (arrêt non publié Y. du 23 juin 1993).
2.
(Inapplicabilité à un ressortissant suisse de l'art. 8 de l'Arrangement administratif du 24 octobre 1980 concernant les modalités d'application de la Convention de sécurité sociale du 1er juin 1973 entre la Suisse et la Grèce [RS 0.831.109.372.11; RO 1981 184].)
3.
a) Dans un arrêt du 22 janvier 1998, mettant en cause un assuré domicilié en Turquie, le Tribunal fédéral des assurances a jugé que l'indication des voies de droit au pied d'une décision rendue en matière d'assurance-accidents était incomplète, car elle se bornait à mentionner qu'une opposition écrite devait être adressée au siège de l'assureur-accidents - en l'espèce la CNA - à Lucerne. Or, pour respecter ses obligations d'organisme de droit public agissant dans l'exercice de ses compétences décisionnelles, l'assureur-accidents aurait également dû mentionner dans sa décision que l'assuré avait le droit de s'exprimer en turc et qu'il pouvait aussi adresser son opposition à l'Institut des assurances sociales à Ankara, ainsi que le prévoit la Convention de sécurité sociale turco-suisse du 1er mai 1969 (
ATF 124 V 51
consid. 4).
b) Cette jurisprudence s'applique également dans le domaine de l'AVS/AI, lorsqu'il existe une disposition conventionnelle analogue, aussi bien pour les décisions de l'autorité administrative (
art. 21 al. 1 PA
), que pour les jugements de l'autorité de recours de première instance (
art. 32 al. 3 OJ
).
4.
En l'espèce, c'est avec raison que le recourant se plaint d'une indication insuffisante des voies de recours dans la décision administrative litigieuse (
art. 35 PA
). A cet égard, ainsi que le Tribunal fédéral des
BGE 125 V 65 S. 68
assurances l'a précisé dans l'arrêt précité, on doit exiger d'une autorité administrative agissant dans l'exercice de ses compétences décisionnelles qu'elle renseigne de manière exacte et complète un assuré domicilié à l'étranger, lorsqu'il existe des règles particulières relatives à l'exercice formel du droit de recours contre sa décision. Cela résulte des principes de "Fairness" et d'égalité des armes qui protègent les intérêts de l'administré face à l'appareil administratif dans l'exercice de ses droits fondamentaux.
En l'occurrence, pour pouvoir se prévaloir de l'
art. 21 al. 1 PA
, l'office intimé aurait dû mentionner en toutes lettres cette règle particulière du droit suisse dans la formule relative à l'indication des voies de recours jointe à sa décision du 5 août 1997. On ne saurait, en effet, dans ce contexte, se borner à invoquer l'adage "nul n'est censé ignorer la loi" pour imputer à faute au recourant le fait de n'avoir pas déposé son recours le 19 septembre 1997, soit à l'ambassade de Suisse à Athènes, soit dans un bureau de poste suisse.
En conséquence, il convient d'annuler le jugement attaqué et de renvoyer la cause à la commission de recours pour qu'elle se prononce sur le fond.
5.
(Frais et dépens) | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
5288b46d-a1ec-4f75-8558-c46b09fd3fdd | Urteilskopf
123 IV 100
16. Urteil des Kassationshofes vom 2. September 1997 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 43 Ziff. 1, 2 und 3 StGB
; Voraussetzungen der Verwahrung und ihr Verhältnis zu ambulanten Massnahmen.
Unheilbare, hochgefährliche sowie behandlungsfähige, kurz- oder mittelfristig gefährliche Täter sind von Anfang an zu verwahren. Bestehen dagegen kurz- oder mittelfristig gute Heilchancen und erscheint eine Verwahrung derzeit nicht notwendig, muss aber einer in bestimmten Situationen trotz Behandlung möglichen Gefahr mit sichernden Mitteln begegnet werden können, kann ein Strafvollzug mit ambulanter Massnahme angezeigt sein (E. 2).
Verschlechtert sich der Zustand des Täters, kann nachträglich die Verwahrung angeordnet werden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 100
BGE 123 IV 100 S. 100
Nach dem Scheitern ihrer Beziehung tötete B. am 16. Oktober 1995 seine im Bett liegende Freundin, indem er ihr mit seinem Sturmgewehr aus 50 cm Entfernung von hinten in den Kopf schoss. Anschliessend stiess er ihr ein Rüstmesser zweimal in den Bauch, um die vermeintlich noch Lebende von ihren Leiden zu erlösen.
BGE 123 IV 100 S. 101
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte ihn am 7. März 1997 wegen vorsätzlicher Tötung (sowie Missbrauchs und Verschleuderung von Material;
Art. 73 MStG
) zu 8 Jahren Zuchthaus. Es ordnete eine ambulante Massnahme gemäss
Art. 43 StGB
und den Vollzug der Freiheitsstrafe an.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts (wegen Verletzung von
Art. 43 StGB
) aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Vorinstanz stützt sich im Massnahmenpunkt auf das psychiatrische Gutachten: Der Gutachter hält eine Verwahrung derzeit nicht für notwendig, aber eine ambulante Behandlung für dringend; weitere Taten seien zu erwarten, wenn es nicht gelinge, im Rahmen einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung das Risiko einer durchaus unberechenbaren persönlichkeitsbedingten Fremd- und auch Selbstgefährdung zu vermindern. Die empfohlene psychotherapeutisch-psychoanalytische Massnahme lasse hoffen, das Risiko zu reduzieren. Erneute erhebliche psychische Konflikte könnten sich auch im Rahmen einer ambulanten Massnahme einstellen, die, sollte sich der Beschwerdegegner nicht mehr im sicheren Rahmen einer Strafanstalt befinden, gerade im Zusammenhang einer Beziehung zu einer Frau zu einer akuten Fremd- und Selbstgefährdung führen könnten, so dass unter solchen Umständen auch kurzfristig eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik notwendig werden könnte.
Die Vorinstanz führt zusammenfassend aus, nach dem überzeugenden Gutachten sei eine Verwahrung derzeit nicht notwendig; vielmehr stehe eine ambulante Massnahme im Sinne von
Art. 43 StGB
im Vordergrund, während ein Aufschub der Freiheitsstrafe wegen der bestehenden latenten Selbst- und Drittgefährdung und aus Gründen der Rechtsgleichheit nicht in Frage komme.
Der Beschwerdegegner müsse eine achtjährige Zuchthausstrafe mindestens zu zwei Dritteln verbüssen. In dieser Zeit sei die öffentliche Sicherheit ebenso gut gewährleistet wie bei einer Verwahrung. Könne er nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe nicht bedingt entlassen werden, müsse er die gesamte Strafe verbüssen. Zudem könne die unbefristete ambulante Massnahme über die Entlassung hinaus fortgesetzt werden. Weiter bleibe möglich, ihn noch nach
BGE 123 IV 100 S. 102
Verbüssung der Strafe in eine Heil- oder Pflegeanstalt einzuweisen oder eine andere sichernde Massnahme und letztlich eine Verwahrung anzuordnen.
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz gehe grundsätzlich von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Urteilszeitpunkt, während des Strafvollzugs und für die Zeit danach aus. Es verletze daher
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
, den Beschwerdegegner nicht bereits jetzt zu verwahren.
Weiter beziehe sich
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB
seinem Wortlaut nach nur auf den Fall, dass der Vollzug der Strafe zwecks ambulanter Behandlung aufgeschoben worden sei, während er eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung nicht erfasse. Die Strafvollzugspraxis im Kanton Zürich nehme denn auch an, dass in einem solchen Fall die nachträgliche Anordnung einer Verwahrung nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
nicht möglich sei, auch nicht gestützt auf
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB
. Die Vorinstanz führe für ihre Auffassung keinerlei Präjudizien an. Dagegen halte Stratenwerth für den Fall des Scheiterns der ambulanten Massnahme hinsichtlich einer nachträglichen Anordnung der Verwahrung nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
fest, ein Täter, der zunächst als ungefährlich eingeschätzt worden sei, später aber die öffentliche Sicherheit in schwerwiegender Weise gefährde, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Auch er halte offensichtlich ein Absehen von einer Verwahrung im Urteil nur für statthaft, wenn der Täter im Urteilszeitpunkt als ungefährlich eingeschätzt werde.
2.
Die Vorinstanz schliesst sich somit dem Gutachten an, wonach eine Verwahrung gemäss
Art. 43 StGB
nicht notwendig erscheint und davon abgesehen werden kann, jedoch einer trotz der Behandlung möglichen Gefährdung mit sichernden Mitteln muss begegnet werden können. Die Beschwerdeführerin nimmt dagegen an, der Beschwerdegegner müsste verwahrt werden.
Es hängt vom Geisteszustand und der Gefährlichkeit des Täters ab, ob auf Strafvollzug mit ambulanter Behandlung oder auf Anstaltseinweisung zu erkennen ist. Der Täter ist von Anfang an zu verwahren, wenn das notwendig ist (
BGE 123 IV 1
;
BGE 118 IV 108
). Die Verwahrung gemäss
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
hat zwei Typen von Tätern im Auge. Es sind dies einmal diejenigen Täter, die weder heilbar noch pflegebedürftig sind, also die hochgefährlichen Täter, die keiner Behandlung zugänglich sind. Die andere Kategorie bilden Täter, die zwar behandlungsbedürftig und behandlungsfähig sind, von denen aber auch während einer Behandlung schwere
BGE 123 IV 100 S. 103
Delikte zu befürchten wären, wenn sie im Sinne von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ambulant oder in einer Heil- und Pflegeanstalt behandelt würden. Es sind dies Täter, bei denen trotz ärztlicher Behandlung oder Pflege ernstlich die Gefahr schwerer Straftaten und vor allem von Gewaltdelikten bleibt, sei es innerhalb oder ausserhalb der Anstalt. Die Heilchancen sind bei dieser Täterkategorie kurz- oder mittelfristig derart ungewiss, dass in diesem Zeitraum schwere Delikte zu befürchten wären. Die Beurteilung der Notwendigkeit im Sinne von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
muss daher sowohl dem Sicherungsaspekt (Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern) wie dem Heilungsaspekt (Behandlung im Hinblick auf Heilung und Entlassung) Rechnung tragen (
BGE 121 IV 297
E. 2b;
123 IV 1
E. 3b).
Der Beschwerdegegner ist behandlungsbedürftig und behandlungsfähig, und die Heilchancen erscheinen kurz- oder mittelfristig als gut, doch besteht in bestimmten Situationen ein Risiko, so dass einer trotz Behandlung möglichen Gefahr mit sichernden Mitteln begegnet werden können muss. Der Beschwerdegegner lässt sich daher nicht unter die beiden genannten Tätertypen einordnen. Er gehört vielmehr einem dritten Tätertypus an, der noch nicht eindeutig aus dem Anwendungsbereich von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
herausfällt und der deshalb auch noch nicht klar jenem von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
zugerechnet werden kann. Denn unter Abs. 1 fallen solche Täter, bei denen eine psychiatrische Behandlung notwendig ist, jedoch der Sicherungsaspekt derart zurücktritt, dass die Strafe aus spezialpräventiven Gründen aufgeschoben werden kann (vgl. BGE
BGE 120 IV 1
), sowie nicht gefährliche Täter, die gemäss
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen werden können (vgl.
BGE 123 IV 1
E. 3b), und schliesslich die in diesem Zusammenhang wenig problematischen Täter, die lediglich einer ambulanten Massnahme bedürfen, sei es im Vollzug oder in der Freiheit. Eine solche Typisierung hat Orientierungsfunktion und darf weder den Sinn und Zweck der ganzen Regelung von
Art. 43 StGB
noch das sachrichterliche Ermessen (
BGE 120 IV 1
E. 2c;
BGE 100 IV 12
E. 3b) einschränken. In jedem Anwendungsfall sind die weitern massgeblichen Gesichtspunkte des Sanktionen- und Massnahmenrechts zu beachten.
Nach diesen Kriterien verletzt der Verzicht auf eine Verwahrung
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
nicht. Die Vorinstanz folgt der Empfehlung des Gutachters und trägt der vom Gutachter festgestellten Gefahr und damit dem Schutz der Allgemeinheit Rechnung, indem
BGE 123 IV 100 S. 104
sie mit der ambulanten Massnahme gleichzeitig den Vollzug der Freiheitsstrafe anordnet. Sie beurteilt die Sache zu Gunsten des Beschwerdegegners im Rahmen ihres Ermessens. Die Rüge ist abzuweisen.
3.
Die Beschwerdeführerin wendet sich auch gegen die weiteren Ausführungen der Vorinstanz, weil deren Auffassung, wie einer künftigen Gefahr begegnet werden könnte, mit
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB
nicht vereinbar sei.
a) Die Bestimmungen von
Art. 43 Ziff. 2 und 3 StGB
hängen systematisch zusammen.
aa) Ziff. 2 regelt den Aufschub der Strafe, die der Richter bei Anstaltseinweisung aufschiebt (Abs. 1) und bei ambulanter Massnahme aufschieben kann (Abs. 2).
bb) Ziff. 3 regelt das Vorgehen, wenn sich die Entscheidung gemäss Ziff. 1 und 2 nachträglich als ungeeignet erweist:
- Ziff. 3 Abs. 1 bezieht sich auf Ziff. 2 Abs. 1: Bei Erfolglosigkeit entscheidet der Richter, ob und inwieweit die infolge Anstaltseinweisung aufgeschobene Freiheitsstrafe noch zu vollstrecken ist.
- Ziff. 3 Abs. 2 bezieht sich auf Ziff. 2 Abs. 2: Bei Unzweckmässigkeit oder Gefährlichkeit der ambulanten Massnahme ist der Täter nötigenfalls in eine Anstalt einzuweisen, andernfalls ist zu entscheiden, ob und inwieweit aufgeschobene Strafen noch zu vollstrecken sind.
- Ziff. 3 Abs. 3 bezieht sich auf Ziff. 3 Abs. 1 und 2: Kommt weder Anstaltseinweisung noch ambulante Massnahme in Frage, kann eine andere sichernde Massnahme angeordnet werden, deren Voraussetzungen erfüllt sind.
cc) Aus dem systematischen Zusammenhang der Kann-Vorschrift in Ziff. 2 Abs. 2 mit der entsprechenden Ziff. 3 Abs. 2 lässt sich schliessen, dass Ziff. 2 Abs. 2 für alle ambulanten Massnahmen gilt.
b) Das Bundesgericht hat in diesem Sinne bereits in
BGE 100 IV 12
Stellung genommen: Danach ist zunächst klar, dass die ambulante Massnahme mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe verbunden oder diese zu Gunsten der ambulanten Massnahme aufgeschoben werden kann (a.a.O., E. 1), sofern der Täter nicht gefährlich ist (E. 2a). Erweist sich die ambulante Massnahme aber zum vornherein als ungenügend, ist der Täter bereits durch Haupturteil in eine Anstalt einzuweisen. Erweist sich die ambulante Massnahme erst nachträglich als unzweckmässig oder gefährlich, bleibt die Behandlung aber erforderlich, kann der Täter in eine Anstalt eingewiesen werden
BGE 123 IV 100 S. 105
(
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
). Befindet sich der Täter im Strafvollzug und muss die ambulante Massnahme in die Anstaltsbehandlung umgewandelt werden, so kann das ebenfalls gemäss
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
geschehen (E. 2b). Erweist sich die ambulante Massnahme in der Strafanstalt als undurchführbar, kann die Massnahme gemäss
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB
geändert werden (E. 3b). Gefährdet der Täter, in Freiheit gesetzt, Dritte, ist er zu verwahren (Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 3 Abs. 2 StGB; E. 2c). Und schliesslich ermöglicht
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB
selbst bei erfolglos stationär oder ambulant durchgeführten Massnahmen, eine andere oder erneut auch eine gleichartige Massnahme anzuordnen (
BGE 106 IV 101
E. 2d und e; vgl.
BGE 100 IV 142
E. 2). Diese Rechtsprechung sorgt somit für eine einzelfall- und situationsgerechte Anwendung des komplexen Massnahmenrechts; sie folgt dem Sinn und Zweck der ganzen Regelung, die flexibel sein soll (
BGE 106 IV 101
E. 2d). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
c) Die Beschwerdeführerin setzt sich mit diesem Entscheid nicht auseinander. Doch ist nicht einzusehen, weshalb sich
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB
nur auf den Fall beziehen soll, in dem der Vollzug der Freiheitsstrafe zwecks ambulanter Behandlung aufgeschoben worden war (zu diesem Fall
BGE 106 IV 101
), nicht aber auf Massnahmen im Vollzug, deren Änderung notwendig wird.
Wenn sodann in der Regel die Freiheitsstrafe sofort und eine ambulante Massnahme gleichzeitig vollzogen werden (
BGE 116 IV 101
E. 1a;
BGE 100 IV 12
E. 1), so heisst das doch auch, dass
Art. 43 Ziff. 3 StGB
nicht bloss auf den Fall der ambulanten Behandlung unter Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe beschränkt sein kann. Zudem werden Massnahmen im Sinne von
Art. 43 StGB
wie andere Massnahmen auf unbestimmte Zeit angeordnet, ohne Rücksicht auf Art und Dauer der ausgesprochenen Strafe; massgebend sind der Geisteszustand des Täters und die Auswirkungen der Massnahme auf die Gefahr weiterer Straftaten (
BGE 100 IV 12
E. 2c; REHBERG, Fragen bei der Anordnung und Aufhebung sichernder Massnahmen, ZStrR 93/1977 S. 186; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, 2. Band, 4. Auflage, S. 162; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Bern 1989, § 11 N. 103). Es bestehen deshalb verschiedene Handlungsmöglichkeiten, wenn das ambulante Massnahmenziel im Vollzug oder in der Freiheit nicht erreicht wird (vgl. URSULA FRAUENFELDER, Die ambulante Behandlung geistig Abnormer und Süchtiger als strafrechtliche Massnahme nach
Art. 43 und 44 StGB
,
BGE 123 IV 100 S. 106
Zürcher Diss. 1978, S. 179 und 180). Stratenwerth bezeichnet es zwar als eher unwahrscheinlich, dass ein Täter, der zunächst als ungefährlich eingeschätzt worden sei, nunmehr "die öffentliche Sicherheit in schwerwiegender Weise" gefährde (a.a.O., § 11 N. 119). Mit dieser Formulierung stellt er aber die Möglichkeit oder die Anwendbarkeit von
Art. 43 StGB
auf solche Fallkonstellationen nicht in Abrede.
Das Bundesrecht ermöglicht somit auf der einen Seite, zunächst die ambulante Massnahme anzuordnen und die Strafe aufzuschieben, wenn der Täter für Dritte nicht gefährlich erscheint (Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB), und ihn nachträglich im Falle der Verschlechterung seines Zustands gestützt auf
Art. 43 Ziff. 3 StGB
zu verwahren. Auf der andern Seite hindert die Verbindung der ambulanten Massnahme mit dem Strafvollzug den Richter nicht, die Massnahme nachträglich zu ändern und dem Verurteilten die nötige Psychotherapie zu verschaffen (
BGE 100 IV 12
E. 2b) bzw. ihn nötigenfalls zu verwahren (
Art. 43 Ziff. 3 StGB
).
4.
Zusammenfassend hat die Vorinstanz die Sache im Umfang ihrer Anwendung von
Art. 43 StGB
in der Linie der Rechtsprechung (
BGE 100 IV 12
;
BGE 120 IV 1
;
BGE 121 IV 297
;
BGE 123 IV 1
) beurteilt. Die angefochtene Entscheidung verletzt daher kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (
Art. 278 BStP
). | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
528a5515-301a-4395-92e1-8f13920a19f6 | Urteilskopf
121 III 249
49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Juli 1995 i.S. M. N. gegen Erben des E. S. (Berufung) | Regeste
Herabsetzung (
Art. 522 ff. ZGB
); Beginn der Verwirkungsfrist nach
Art. 533 ZGB
.
Der in seinem Pflichtteilsanspruch beeinträchtigte Erbe muss nur diejenigen Elemente des Sachverhalts kennen, die den möglichen Erfolg einer Herabsetzungsklage erwarten lassen; es bedarf keiner absoluten Gewissheit (E. 2a). Die Herabsetzungsklage muss deshalb auch dann zugelassen werden, wenn dem Kläger die Bezifferung seines Anspruchs noch nicht möglich ist und wenn nach kantonalem Verfahrensrecht unbezifferte Rechtsbegehren nicht zulässig wären (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 249
BGE 121 III 249 S. 249
N. glaubt sich in ihrem Pflichtteilsanspruch verletzt, weil der von Bruder und Schwägerin bezahlte Kaufpreis von Fr. 60'000.-- für den Erwerb
BGE 121 III 249 S. 250
einer Liegenschaft in S. von ihrer verstorbenen Mutter weit unter dem Verkehrswert gelegen habe. Sie klagte auf Herabsetzung und forderte von den Erwerbern einen Betrag von je Fr. 70'000.--. Vom Bezirksgericht K. wurde sie damit am 21. Dezember 1993 abgewiesen, weil der Anspruch sowohl verwirkt als auch wegen Fehlens einer Schenkungskomponente unbegründet sei. Die Klägerin unterlag auch beim Obergericht des Kantons Aargau, das mit Urteil vom 26. Januar 1995 ebenfalls Verwirkung annahm. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig ist, ob die Kenntnisse der Klägerin, welche dieser bereits mehr als ein Jahr vor Anhebung der Klage beim Friedensrichter am 9. August 1990 zugeschrieben werden, ausgereicht haben, um die Verwirkungsfrist gemäss
Art. 533 Abs. 1 ZGB
(zur Rechtsnatur
BGE 108 II 288
E. 2 S. 292,
BGE 98 II 176
E. 10 S. 178 ff.) in Gang zu setzen.
a) Die Frist läuft nach der genannten Bestimmung vom Zeitpunkt an, in dem der durch eine Verfügung von Todes wegen (
Art. 522 ZGB
) oder durch eine Verfügung unter Lebenden (
Art. 527 ZGB
) in seinem Pflichtteilsanspruch beeinträchtigte Erbe von der Verletzung seiner Rechte und damit vom Klagegrund Kenntnis erhalten hat (
BGE 108 II 288
E. 3a S. 293,
BGE 73 II 6
E. 5 S. 12; TUOR, N. 5 zu
Art. 533 ZGB
; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 3. Aufl., § 6 N. 90; PICENONI, Die Verjährung der Testamentsungültigkeits- und Herabsetzungsklage, in SJZ 63, 1967, S. 102). Dazu bedarf es der Kenntnis derjenigen Elemente, die den möglichen Erfolg einer Herabsetzungsklage erwarten lassen, jedoch nicht einer absoluten Gewissheit (ESCHER, N. 2 zu
Art. 533 ZGB
).
b) Dabei beschränkt sich die Anforderung an die Kenntnis, dem Wortlaut der Bestimmung entsprechend, auf die blosse Tatsache der Pflichtteilsverletzung. Der benachteiligte Erbe muss nur darum wissen. Dass bereits das genaue Ausmass der Pflichtteilsverletzung feststehe, ist nicht erforderlich. Literatur und Judikatur verstehen die Anforderung regelmässig in diesem Sinne. Der pflichtteilsberechtigte Erbe braucht daher etwa von der Höhe des Nachlasses nur eine ungefähre Kenntnis zu haben (nicht publizierter Entscheid des Bundesgerichts vom 2.5.1991 i.S. W., E. 2b, unter Bezugnahme auf
BGE 108 II 293
), und auch das nur, wenn er nicht ohnehin gänzlich übergangen ist (PIOTET, Erbrecht, in SPR IV/1, S. 506;
BGE 121 III 249 S. 251
MÜLLER-HELLBACH, Die Verjährung erbrechtlicher Klagen, Diss. Zürich 1975, S. 98). Ist der Pflichtteil mit einer Nutzniessung belastet, so ist er auf jeden Fall verletzt; auf ihren Wert kommt es nicht an (
BGE 108 II 288
E. 3a S. 293). Und im Falle des Eingriffes durch eine letztwillige Verfügung muss diese dem Betroffenen nicht vollständig bekannt sein, wenn er wenigstens erkennen kann, dass seine Ansprüche verletzt sind (so der erwähnte Entscheid i.S. W., E. 4b). Der Zeitpunkt der Kenntnis ist nach den gesamten Umständen zu ermitteln.
Aus dem Gesagten erhellt, dass der Beginn des Fristenlaufes nicht von der Befähigung des Pflichtteilsberechtigten abhängt, die Klage bereits auf einen dem letztlich erreichbaren Mass der Herabsetzung entsprechenden Betrag beziffern zu können. Das widerspräche dem in der verhältnismässig kurzen Frist zum Ausdruck kommenden Bestreben des Gesetzgebers, die Unsicherheit über Gültigkeit und Tragweite der Verfügung möglichst rasch zu beseitigen. Folglich muss die Herabsetzungsklage auch dann zugelassen und verlangt werden, wenn dem Kläger die Bezifferung seines Rechtsbegehrens noch nicht möglich ist. Das hätte auch dann zu gelten, wenn das kantonale Verfahrensrecht unbezifferte Begehren nicht zuliesse. Wie das Bundesgericht schon in anderem Zusammenhang festgestellt hat, kommt dem Erfordernis der Durchsetzbarkeit des materiellen Bundesrechts der Vorrang vor einschränkendem kantonalem Prozessrecht zu. Ein Begehren ist daher nicht nur dann in unbezifferter Form zuzulassen, wenn das Bundesrecht es ausdrücklich vorschreibt, sondern allgemein dann, wenn der Kläger nicht in der Lage oder es ihm nicht zumutbar ist, die Höhe seines Anspruches genau anzugeben (
BGE 116 II 215
E. 4a S. 219). Bei der Herabsetzungsklage dürfte das in der Regel zutreffen.
c) Die lebzeitige Abtretung eines Vermögenswertes ist der Herabsetzung bzw. Ausgleichung dann unterworfen, wenn die Verfügung des nachmaligen Erblassers ganz oder teilweise unentgeltlich war. Das trifft zu, wenn keine oder eine im Wert geringere Gegenleistung erbracht worden ist, der Zuwendung also das ökonomische Äquivalent fehlt. Ob und wieweit eine Zuwendung als unentgeltlich zu qualifizieren ist, beurteilt sich auf Grund der Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Vornahme (
BGE 120 II 417
E. 3a S. 420, mit Hinweisen). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
5292d717-2cd5-434d-b531-4b7805e367a4 | Urteilskopf
105 V 309
65. Urteil vom 26. Oktober 1979 i.S. Arribas gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 74 Abs. 3 KUVG
. Überversicherung: Ermittlung des entgehenden Verdienstes bei Saisonarbeitern:
- Massgebend sind die Verhältnisse während der Dauer des Krankengeldanspruchs (Erw. I/3a).
- Ein Saisonnier gilt während der "toten Saison" nicht als Arbeitsloser, weshalb die Ansätze gemäss Art. 29a Abs. 4 VO II keine Anwendung finden (Erw. I/3b).
- Pauschalberechnung der Überversicherung für die gesamte Abrechnungsperiode (Erw. I/4).
Art. 45 Abs. 1 IVG
und 39bis Abs. 2 lit. c IVV. Rentenkürzung:
- Anrechnung von Einkünften, die ein Teilerwerbsfähiger erzielen könnte (Erw. II).
- Verhältnis zu den allgemeinen Grundsätzen für die Invaliditätsbemessung (Erw. II/1). | Sachverhalt
ab Seite 310
BGE 105 V 309 S. 310
A.-
Der 1945 geborene, als Saison-Hilfsarbeiter tätig gewesene spanische Staatsangehörige Lucio Arribas erlitt am 3. Juli 1974 in seinem Heimatland mit dem Auto einen Nichtbetriebsunfall, wofür die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die gesetzlichen Leistungen erbrachte. Nachdem die Behandlung per 19. Juni 1976 abgeschlossen worden war, gewährte ihm die SUVA eine Rente von anfänglich 35% bzw. Fr. 346.-- pro Monat und ab 1. Juli 1977 von 25% bzw. Fr. 247.-- pro Monat. Seit dem 1. Juni 1975 bezieht der Versicherte ausserdem eine Rente der Invalidenversicherung. Ferner erbrachte die "Basler" Versicherungsgesellschaft, bei der er eine Motorfahrzeugversicherung abgeschlossen hatte, bis und mit dem 19. Juni 1976 Taggeldleistungen im Gesamtbetrag von Fr. 17'154.80.
Mit Verfügung vom 15. November 1976 stellte die SUVA eine Krankengeld-Überversicherung von Fr. 17'699.25 fest und machte unter Verrechnung mit Krankengeld-Restguthaben des Versicherten eine entsprechende Rückforderung geltend. Der Überversicherungssaldo wurde dabei wie folgt ermittelt:
Krankengeldanspruch (SUVA)
vom 6. Juli 1974-19. Juni 1976 Fr. 31'556.45
Taggeld-Leistungen der "Basler" Fr. 17'154.80
Rente der Invalidenversicherung
vom 1. Juni 1975-19. Juni 1976 Fr. 8'604.55 Fr. 57'315.80
------------
Verdienstentgang (inkl. Karenzzeit) Fr. 39'616.55
-------------
Krankengeld-Überversicherung brutto Fr. 17'699.25
Mit einer weiteren Verfügung vom 6. Januar 1977 eröffnete die SUVA dem Versicherten eine Kürzung der Rente, nachdem sie auch diesbezüglich eine Überversicherung festgestellt hatte. Unter Berücksichtigung der Verhältnisse zur Zeit des Rentenbeginns
BGE 105 V 309 S. 311
am 20. Juni 1976 wurde folgende Berechnung angestellt:
Monatliche SUVA-Rente Fr. 346.--
Monatliche Rente der
Invalidenversicherung Fr. 758.--
Erzielbares Invalideneinkommen
monatlich Fr. 750.-- Fr. 1'854.--
-------------
Mutmassliches Einkommen ohne Unfall Fr. 1'555.--
-------------
Rentenüberversicherung Fr. 299.--
B.-
Gegen beide Verfügungen liess Lucio Arribas beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde führen und geltend machen, dass weder mit Bezug auf das Krankengeld noch die Rente eine Überversicherung bestehe. Der entgangene Verdienst sei in der Krankengeldberechnung zu tief angesetzt worden, indem eine tote Saison von drei Monaten angenommen worden sei, obwohl der effektive Erwerbsunterbruch kürzer ausgefallen wäre. Soweit für diese Zeit eine Pauschalierung vorgenommen werde, müsse auf die für verheiratete Arbeitslose massgebenden Ansätze abgestellt werden. Ferner sei es nicht zulässig, die Überversicherung global für die gesamte Behandlungszeit zu berechnen, weil dies zur Folge habe, dass die SUVA für gewisse Perioden (tote Saison) mehr als ihre eigenen Leistungen zurückverlangen könne. Mit Bezug auf die Rentenkürzung wurde gerügt, dass das erzielbare Invalideneinkommen zu hoch angesetzt worden sei und der Situation eines invaliden Ausländers auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt keine Rechnung trage.
Am 24. November 1978 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde ab. Was den der Berechnung der Krankengeld-Überversicherung zugrundegelegten Verdienstausfall betrifft, wurde ausgeführt, dass eine Übertretung des Saisonarbeiterstatuts nicht mit Mehrleistungen der Versicherung honoriert werden dürfe. Eine Pauschalierung des Ausfalls während der toten Saison auf der Grundlage der für invalide Arbeitslose geltenden Ansätze komme nicht in Frage, weil Lucio Arribas in der betreffenden Zeit im Sinne des AlVG nicht versicherungsfähig gewesen sei. Ferner wurde auf die Gerichtspraxis zu
Art. 79 Abs. 2 KUVG
verwiesen, welche bei Saisonarbeitern die Ergänzung des effektiv erzielten auf den massgeblichen Jahresverdienst ausschliesst. Eine Aufspaltung
BGE 105 V 309 S. 312
der globalen Abrechnungsperiode verbiete sich im Hinblick auf Gesetz, Praktikabilität, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und die wirtschaftlichen Interessen der Mehrzahl der Versicherten. Zur Kürzungsfrage wurde schliesslich festgestellt, dass das berücksichtigte Invalideneinkommen der zumutbaren wirtschaftlichen Verwertbarkeit der verbliebenen Leistungsfähigkeit entspreche.
C.-
Rechtsanwalt Dr. S. führt namens des Versicherten Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung des Entscheides des kantonalen Versicherungsgerichts und der SUVA-Verfügung vom 15. November 1976 (Krankengeld) sei festzustellen, dass keine Überversicherungsschuld zugunsten der SUVA bestehe. Eventuell sei die Sache zur Neuberechnung der Krankengeld-Überversicherung an die SUVA zurückzuweisen. Ferner sei die am 6. Januar 1977 verfügte Rentenkürzung aufzuheben und die SUVA zu verpflichten, dem Versicherten die ungekürzte Rente auszurichten... Die Begründung entspricht im wesentlichen dem bereits vor der kantonalen Instanz Vorgebrachten. Es stelle ein widersprüchliches Verhalten dar, wenn die SUVA der Rentenbemessung einen kürzeren Arbeitsunterbruch zugrundegelegt habe als der Überversicherungsberechnung. Wiederum wird verlangt, dass ein invalider Saisonnier mit Bezug auf die tote Saison dem invaliden Arbeitslosen gleichgestellt werde. Im übrigen würden invalide Saisonarbeiter auch in der toten Saison eine Erwerbseinbusse erleiden, indem sie in der Ausübung geldwerter Arbeit wie dem Unterhalt ihres Hauses usw. behindert seien. Die Globalabrechnung der Überversicherung widerspreche dem Gedanken des Gesetzes, dass sachlich und zeitlich nur Gleiches mit Gleichem verglichen werden dürfe. Neu wird behauptet, es seien zu Unrecht Spitaltaggelder des Privatversicherers in die Überversicherungsberechnung einbezogen worden. Im Kürzungsverfahren dürften nur solche Erwerbseinkünfte angerechnet werden, die ein Versicherter effektiv erzielt oder böswillig zu erzielen unterlassen habe. Schliesslich verstosse es gegen den "Grundsatz der Niederlassungsfreiheit", wenn bei der Bemessung des Invalideneinkommens auf die Verhältnisse in der Schweiz abgestellt werde.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
BGE 105 V 309 S. 313
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist einerseits die Berechnung der Krankengeld-Überversicherung gemäss Verfügung der SUVA vom 15. November 1976 und anderseits die Rentenkürzung gemäss Verfügung vom 6. Januar 1977.
I. Krankengeld-Überversicherung
I.1.
Wenn für denselben Unfall auch Leistungen von anderen Versicherern ausgerichtet werden, so darf das Krankengeld der SUVA den von diesen nicht gedeckten Teil des entgehenden Verdienstes nicht überschreiten (
Art. 74 Abs. 3 KUVG
). Soweit die SUVA entsprechende Leistungen schon erbracht hat, ist sie verpflichtet, diese zurückzufordern (
BGE 102 V 98
Erw. III).
I.2.
Die Zulässigkeit des Einbezugs der Rente der Invalidenversicherung und des als Entschädigung für Verdienstausfall ausgerichteten Taggeldes der "Basler" Versicherung in die Überversicherungsberechnung wird vom Beschwerdeführer zu Recht nicht bestritten (
BGE 102 V 95
Erw. II 3). Hingegen macht er geltend, dass in den Leistungen des Privatversicherers ein nicht näher bezifferter Betrag an Spitaltaggeldern, dessen Höhe sich aus den im vorinstanzlichen Verfahren aufgelegten Akten ergeben müsse, enthalten sei. Die entsprechenden Belege enthalten jedoch keinerlei Hinweise, welche diese Auffassung bestätigen könnten. Aus einer Auskunft der "Basler" Versicherung vom 13. August 1976 ergibt sich vielmehr, dass das Spitaltaggeld (96 Tage à Fr. 20.--) zusätzlich zu dem in der Überversicherungsberechnung berücksichtigten Betrag von Fr. 17'154.80 ausgerichtet worden ist. Die Behauptung des Beschwerdeführers entbehrt somit jeder Grundlage.
I.3.
Zur Hauptsache wird mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wie im vorinstanzlichen Verfahren eine Erhöhung des der Überversicherungsberechnung zugrundegelegten Verdienstausfalls von Fr. 39'616.55 verlangt.
a) Ein erster Einwand richtet sich dagegen, dass die SUVA ihrer Berechnung eine "tote Saison" - verstanden als jährlicher Arbeitsunterbruch des Saisonarbeiters - von 90 Tagen zugrundegelegt habe, obwohl der Beschwerdeführer in den beiden Jahren vor dem Unfall für lediglich 52 Tage mit
BGE 105 V 309 S. 314
der Arbeit ausgesetzt habe. Die Vorinstanz hat diese Betrachtungsweise mit der Begründung abgelehnt, dass sie auf die Honorierung eines gesetzwidrigen Verhaltens hinauslaufen würde, weil die Arbeitsunterbrechung gemäss fremdenpolizeilichen Vorschriften länger hätte dauern müssen. Der Beschwerdeführer wiederum hält dem entgegen, dass die Verlängerung der Saisonarbeitszeiten mit stillschweigender Billigung der Behörden erfolge, welche Tatsache für den vorliegenden Fall massgebend sei. Wie es sich damit verhält, kann indessen dahingestellt bleiben; denn für die Ermittlung des entgangenen Verdiensts ist - wie übrigens auch im Rahmen von
Art. 26 KUVG
(RSKV 1978 Nr. 314, S. 39 ff., 45) - nicht auf die Verhältnisse vor Eintritt der Invalidität, sondern auf jene während der Behandlungszeit bzw. des Krankengeldanspruchs abzustellen. Es kann somit im vorliegenden Fall nicht darauf ankommen, wie lange der Arbeitsunterbruch in den Jahren 1972 und 1973, als der Beschwerdeführer beim Baugeschäft B. & Co. beschäftigt war, jeweils dauerte; entscheidend ist vielmehr, mit welchem Unterbruch er bei der Firma E., bei welcher er zur Zeit des Unfalles in Stellung war, rechnen musste. Diese Firma gibt nun aber an, dass ihre Saisonarbeiter, den fremdenpolizeilichen Vorschriften entsprechend, regelmässig während 3 Monaten (vom 1. November bis 31. Januar) aussetzen mussten.
Aus dem Gesagten erhellt ferner, dass der SUVA kein widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden kann, wenn sie bei der Überversicherungsberechnung von einem Arbeitsunterbruch von 3 Monaten ausgeht, während sie der Bestimmung des massgebenden Jahresverdienstes im Sinne von
Art. 78 KUVG
einen kürzeren Unterbruch zugrundegelegt hat; denn hierfür war laut dieser Gesetzesbestimmung auf die Verhältnisse im Jahr vor dem Unfall abzustellen, als der Beschwerdeführer effektiv einen kürzeren Unterbruch zu verzeichnen hatte. Hätte sich der Unfall ein Jahr später ereignet, so wäre nach den gegebenen Umständen auch bei der Festsetzung des Jahresverdienstes von einem dreimonatigen Unterbruch auszugehen gewesen.
b) Der Beschwerdeführer bemängelt sodann, dass die SUVA den Verdienstausfall während der "toten Saison" mit einem Ansatz von Fr. 40.--/Tag bei Aufenthalt in der Schweiz und Fr. 25.--/Tag bei Aufenthalt im Ausland zu tief angesetzt habe.
BGE 105 V 309 S. 315
Dies bedeute eine rechtsungleiche Behandlung der Saisonniers gegenüber den Arbeitslosen, denen gemäss Art. 29a Abs. 4 VO II über die Unfallversicherung ein entgehender Lohn von Fr. 90.--/Tag ( = Ansatz für Verheiratete mit Kindern) zugebilligt werde. Diese Argumentation verfängt indessen schon deshalb nicht, weil der Erwerbsunterbruch des Saisonniers dem Wesen der Saisonarbeitstätigkeit entspricht und nach Erhebungen der SUVA tatsächlich auch 94% dieser Arbeiter während der "toten Saison" keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Dem Verdienstausfall des Saisonniers und des Arbeitslosen liegen somit wesentlich verschiedene tatsächliche Verhältnisse zugrunde, welche im vorliegenden Fall auch die Anwendung unterschiedlicher Ansätze zu rechtfertigen vermochten, ohne dass dadurch gegen das Gleichbehandlungsgebot verstossen worden wäre. Die Vorinstanz weist im übrigen zu Recht darauf hin, dass die Saisonniers auch insoweit eine Sonderbehandlung erfahren, als nach der Rechtsprechung keine Aufrechnung des Teiljahresverdiensts auf den Jahresverdienst im Sinne von
Art. 79 Abs. 2 KUVG
erfolgen kann (Urteil vom 2. Mai 1978 i.S. Massimo, EVGE 1959, S. 97; vgl. auch MAURER, Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 238 f.).
c) Im weiteren wendet der Beschwerdeführer gegen die von der SUVA berücksichtigten Ansätze ein, dass viele Saisonarbeiter während der "toten Saison" durch Unterhalt und Bewirtschaftung ihres kleinen Besitzes im Heimatland geldwerte Arbeitsleistungen erbringen und bei Invalidität eine entsprechende Erwerbseinbusse erleiden würden. Es wird jedoch nicht behauptet, dass diese Situation auf den Beschwerdeführer zutreffe, und erst recht werden keine Angaben zum Ausmass eines entsprechenden Erwerbsausfalles gemacht, der erfahrungsgemäss auf keinen Fall höher sein könnte als der angenommene Pauschalverdienst. Die Anwendung der Ansätze gemäss SUVA-Praxis ist somit im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.
I.4.
Schliesslich stellt der Beschwerdeführer die Überversicherungsberechnung auch deshalb in Frage, weil sie sich über die gesamte Abrechnungsperiode für das Krankengeld erstreckt. Dies verstosse gegen den Grundsatz, dass im Bereiche der Überversicherung nur sachlich gleiche Leistungen und gleiche Zeitabschnitte einander gegenübergestellt werden dürften,
BGE 105 V 309 S. 316
und führe des weiteren dazu, dass sich die SUVA mit Bezug auf bestimmte Teilperioden auf Kosten der Versicherten bereichern könne. Er verlangt deshalb, dass die Überversicherungsfrage jeweils im Hinblick auf einzelne Zeitabschnitte beurteilt werde.
Ein solches Vorgehen ist jedoch, wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, sowohl aus rechtlichen wie aus praktischen Überlegungen abzulehnen. Sinn und Zweck des
Art. 74 Abs. 3 KUVG
, der - analog zu
Art. 26 KUVG
- eine Bereicherung des Versicherten während der Zeit des Krankengeldbezugs ausschliessen will, erheischen eine globale Abrechnung der Überversicherung für die ganze Bezugsperiode. Das Eidg. Versicherungsgericht hat denn auch - weder im Bereich der öffentlichen Unfallversicherung noch der Krankenversicherung - die Zulässigkeit einer solchen Globalabrechnung je in Frage gestellt (vgl. z.B.
BGE 102 V 91
ff., 99 V 140 ff., RSKV 1978 Nr. 314, S. 39 ff.). Diese Betrachtungsweise gewährleistet namentlich einen sachlich gerechtfertigten Ausgleich zwischen Perioden mit unterschiedlichen Einkommensverhältnissen. Von einer Bereicherung der SUVA auf Kosten des Versicherten könnte nur dann gesprochen werden, wenn diese mehr zurückfordern würde, als sie gesamthaft an Krankengeldleistungen erbracht hat. Eine Aufteilung in verschiedene Abrechnungsperioden hätte demgegenüber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine Benachteiligung der Versicherten zur Folge, wie das von der SUVA angeführte Beispiel des Hinzutritts einer Rente der Invalidenversicherung belegt. Dazu kommt, dass sich die Einteilung der Zeitabschnitte - von der unpraktikablen Lösung der Eintagsabrechnung abgesehen - auf keine zuverlässigen Kriterien stützen könnte und insoweit weitgehend willkürlichen Charakter hätte. Mit Recht sehen deshalb SUVA und Vorinstanz durch ein solches Vorgehen auch die Grundsätze der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit gefährdet. Die Berücksichtigung der gesamten Krankengeldperiode für die Überversicherungsberechnung ist daher nicht zu beanstanden.
II. Rentenkürzung
II.1.
Gemäss
Art. 45 Abs. 1 IVG
sind Renten der SUVA und der Militärversicherung insoweit zu kürzen, als sie zusammen
BGE 105 V 309 S. 317
mit einer Rente der Invalidenversicherung den mutmasslichen Jahresverdienst überschreiten. Für die Kürzung werden ausser den zusammenfallenden Renten auch Erwerbseinkünfte angerechnet, die der teilweise erwerbsfähige Versicherte erzielt oder noch erzielen könnte (
Art. 39bis Abs. 2 lit. c IVV
). Das erzielbare Einkommen beurteilt sich - wie im Rahmen des
Art. 28 Abs. 2 IVG
- unter dem Gesichtswinkel der Zumutbarkeit (EVGE 1967 S. 75 f.), und es umfasst daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht nur jene Einkünfte, die ein Versicherter böswillig zu erzielen unterlässt. Im Gegensatz zur allgemeinen Invaliditätsschätzung, welche von der durchschnittlichen Erwerbsunfähigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage ausgeht, ist jedoch bei der Kürzung die jeweils aktuelle jährliche Verdiensteinbusse zu berücksichtigen, ungeachtet dessen, ob der Arbeitsmarkt ausgeglichen sei oder nicht. Dennoch wird auch im Kürzungsverfahren regelmässig auf die der Rentenbemessung zugrundeliegende Invaliditätsschätzung abgestellt werden können und davon nur abgewichen werden müssen, wenn die konkreten, im Kürzungsverfahren massgebenden Umstände dies verlangen (EVGE 1967 S. 76 f.).
II.2.
Unter dem Gesichtswinkel der Kürzungsfrage ist im vorliegenden Fall ausschliesslich die Frage streitig, ob der Beschwerdeführer nach seinem Unfall noch ein Einkommen von Fr. 750.-- pro Monat hätte erzielen können.
Der Vertreter des Versicherten verneint dies unter Hinweis auf die generellen Schwierigkeiten behinderter ausländischer Arbeitskräfte auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt, bzw. von Rückwanderern in ihren Heimatländern. Tatsache ist jedoch, dass der Beschwerdeführer in den Monaten August bis Oktober 1976 als Küchenbursche im Hotel E. in Basel zu einem Durchschnittsverdienst von rund Fr. 1'300.-- pro Monat gearbeitet hat und diese Stelle auch weiterhin hätte behalten können, wenn er sie nicht von sich aus aufgegeben hätte, um nach Spanien zurückzukehren. Dass ihn diese Arbeit überfordert habe, erscheint wenig glaubwürdig, wenn auf den Bericht des Kantonsspitals Basel vom 9. September 1976 abgestellt wird, wonach dem Beschwerdeführer eine ganztägige Tätigkeit, die kein schweres Heben, weites Gehen oder häufiges Treppensteigen erfordert, aus gesundheitlicher Sicht "ohne weiteres" zumutbar erscheint. Die Frage braucht indes
BGE 105 V 309 S. 318
nicht weiter verfolgt zu werden, da die SUVA das erzielbare Einkommen mit Fr. 750.-- ohnehin weit unter dem an jener Stelle realisierten Verdienst eingesetzt hat. Es bestehen sodann keine Anhaltspunkte dafür, dass die konjunkturelle Lage die erwerbliche Situation des Beschwerdeführers entscheidend zu verschlechtern vermöchte. In diesem Zusammenhang sei lediglich auf den notorischen - und durch den aufgelegten Bericht des kantonalen Arbeitsamtes Basel-Stadt bestätigten - Mangel an Hilfskräften im Gastgewerbe und in verschiedenen anderen Branchen hingewiesen. Schliesslich kann offen bleiben, ob sich dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland die gleichen Verdienstmöglichkeiten anbieten, da ihn nichts daran gehindert hätte, weiterhin in der Schweiz sein Auskommen zu suchen (vgl.
BGE 98 V 173
,
BGE 96 V 31
). Zu Unrecht glaubt der Beschwerdeführer, eine solche Betrachtungsweise stehe im Widerspruch zum "Grundsatz der Niederlassungsfreiheit", und er tut denn auch nicht dar, auf welche Rechtsgrundlagen er eine entsprechende Garantie abstützen will.
Art. 45 BV
scheidet schon deshalb aus, weil diese Bestimmung lediglich die Niederlassungsfreiheit von Schweizern innerhalb der Schweiz gewährleistet. Auf staatsvertraglicher Ebene enthalten weder die Menschenrechtskonvention noch der schweizerisch-spanische Niederlassungsvertrag, das Abkommen über die Anwerbung spanischer Arbeitskräfte und deren Beschäftigung in der Schweiz oder das einschlägige Abkommen über Soziale Sicherheit eine Bestimmung, welche ihm ein solches Recht zuerkennen würde.
Die Rentenkürzung erfolgte somit zu Recht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
529a0a28-dabe-4127-ac85-e6e161f2a741 | Urteilskopf
136 III 597
89. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. SA und Mitb. gegen L. und M. LLC (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_391/2010 / 4A_399/2010 vom 10. November 2010 | Regeste a
Anfechtbare Schiedsentscheide gemäss
Art. 190 IPRG
i.V.m.
Art. 77 Abs. 1 BGG
.
Kreis der anfechtbaren Schiedsentscheide (E. 4.1); prozessleitende Verfügungen des Schiedsgerichts wie z.B. die Verfügung über die Leistung des Kostenvorschusses sind nicht mit Beschwerde in Zivilsachen anfechtbar (E. 4.2 und 5.1).
Regeste b
Anordnungen betreffend die Entschädigung des Schiedsgerichts.
Nach dem 12. Kapitel des IPRG ist das Schiedsgericht nicht ermächtigt, in einem vollstreckbaren Titel über den Entschädigungsanspruch der Schiedsrichter gegenüber den Parteien verbindlich zu entscheiden; entsprechende Anordnungen stellen einfache Rechnungsstellungen ohne Entscheidqualität dar (E. 5.2). | Sachverhalt
ab Seite 598
BGE 136 III 597 S. 598
Die Beschwerdegegner sind Kläger in einem Schiedsverfahren, das sie am 21. Januar 2008 mit einer Schiedsanzeige bei der Zürcher Handelskammer (im Folgenden: ZHK) eingeleitet haben. Auf der Beklagtenseite stehen die A. SA und B. SA (Beschwerdeführerinnen 1 und 2), C. und Mitb. (Beschwerdeführerinnen 3-11) sowie weitere fünf Parteien.
Mit Schreiben vom 20. November 2008 richtete sich das Schiedsgericht an die Parteien mit der Aufforderung, zur Höhe des Streitwerts Stellung zu nehmen. Gleichzeitig kündigte es die Modalitäten zur Zahlung der Vorschüsse an. In ihren Stellungnahmen bestritten die Beklagten die Existenz einer Schiedsklausel und die Zuständigkeit des Schiedsgerichts.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2008 teilte das Schiedsgericht den Parteien mit, dass es das Verfahren zunächst auf die Frage der Zuständigkeit beschränke. Den Streitwert schätzte es einstweilen auf einen Betrag von USD x. Davon ausgehend setzte es den Kostenvorschuss in Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Internationalen Schiedsordnung der Schweizer Handelskammern (Swiss Rules of International Arbitration; im Folgenden: "Swiss Rules") auf CHF y fest, zahlbar je zur Hälfte durch die Kläger und die Beklagten bis am 9. bzw. 16. Januar 2009.
Mit Verfügung Nr. 3 vom 13. März 2009 stellte das Schiedsgericht das Verfahren mangels fristgerechter Zahlung des Kostenvorschusses einstweilen ein. Mit Verfügung Nr. 4 vom 10. Juni 2009 bestätigte das Schiedsgericht die Einstellung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme es nun ausdrücklich von der Bezahlung des Kostenvorschusses abhängig machte. Dazu setzte es erneut Frist bis am 30. Juni 2009 und drohte den Parteien an, bei ausbleibender Zahlung einen formellen "Teil- oder Zwischenentscheid" über die Kosten auszufällen. Mit Verfügung Nr. 5 vom 11. Dezember 2009 wiederholte das Schiedsgericht die Ankündigung, innert Kürze einen Teil- oder Zwischenentscheid über die Kosten auszufällen im Hinblick auf dessen "Vollstreckbarkeit gemäss
Art. 193 Abs. 2 IPRG
" ("with a view towards its enforceability, jointly and severally, pursuant to Article 193[2] Private International Law Act").
BGE 136 III 597 S. 599
Am 7. Juni 2010 erliess das Schiedsgericht einen Zwischenentscheid ("Interim Award"). Darin erklärte es das Verfahren in Anwendung von Art. 41 Ziff. 4 der Swiss Rules für sistiert bis zur Zahlung der bisher aufgelaufenen Honorare und Auslagen des Schiedsgerichts (Buchstabe A des Dispositivs), stellte fest, dass die Parteien dem Schiedsgericht in solidarischer Haftbarkeit je die Hälfte der erwähnten Honorare und Auslagen von total Fr. z schuldeten (Buchstabe B), und verurteilte die Parteien zur Bezahlung ihres Anteils auf ein Bankkonto des Schiedsgerichts innert 60 Tagen nach Zustellung des Entscheides (Buchstaben C und D). Abschliessend hielt das Schiedsgericht klärend fest, dass es hiermit in keiner Weise Begehren und Anträge der Parteien "ausserhalb des Rahmens des vorliegenden Teilentscheids" behandle und entscheide (Buchstabe E).
Mit Eingaben vom 7. Juli 2010 haben die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 und die Beschwerdeführerinnen 3-11 unabhängig voneinander beim Bundesgericht Beschwerden gegen den Zwischenentscheid ("Interim Award") vom 7. Juni 2010 erhoben. Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 beantragen, es seien die Dispositiv-Buchstaben B, C und D des Entscheids aufzuheben; die Beschwerdeführerinnen 3-11 verlangen die Aufhebung des ganzen Entscheids.
Die Beschwerdegegner verzichten in ihren Vernehmlassungen auf Antragstellung. Das Schiedsgericht verzichtet auf Vernehmlassung.
Mit Präsidialverfügungen vom 8. September 2010 wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung erteilt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Die Beschwerde in Zivilsachen gemäss
Art. 77 BGG
i.V.m.
Art. 190-192 IPRG
ist nur zulässig gegen Schieds
entscheide
(
BGE 136 III 200
E. 2.3.1 S. 203). Dabei bestimmt sich nicht nach der äusseren Bezeichnung, sondern ausschliesslich nach dem Inhalt der schiedsgerichtlichen Anordnung, ob es sich um einen anfechtbaren Entscheid i.S. der genannten Bestimmungen handelt (
BGE 136 III 200
E. 2.3.3 S. 205).
4.1
Zu den mit Beschwerde in Zivilsachen anfechtbaren Schiedsentscheiden gehören die Endentscheide, mit denen ein Schiedsgericht die Klage ganz oder teilweise gutheisst, abweist oder darauf nicht eintritt (
BGE 130 III 76
E. 3.1.1 S. 78 f.). Anfechtbar sind weiter Teilentscheide, mit denen das Schiedsverfahren für einen quantitativen
BGE 136 III 597 S. 600
Teil des Streitgegenstands abgeschlossen wird, indem einzelne streitige Ansprüche vorweg umfassend beurteilt werden und das Verfahren über die anderen vorerst ausgesetzt wird (
BGE 130 III 76
E. 3.1.2 S. 79). Schliesslich können aus den in
Art. 190 Abs. 2 lit. a und b IPRG
genannten Gründen auch Vor- und Zwischenentscheide angefochten werden, mit denen das Schiedsgericht eine prozessuale oder materielle Vorfrage vorab gesondert entscheidet (
Art. 190 Abs. 3 IPRG
;
BGE 130 III 76
E. 3.1.3 S. 79, E. 3.2.1 S. 79 f., E. 4 S. 82 ff.).
4.2
Nicht unter die anfechtbaren Schiedsentscheide i.S. von
Art. 190 IPRG
fallen demgegenüber die prozessleitenden Verfügungen, welche das Schiedsgericht nicht binden und auf die es im Verlaufe des Verfahrens wieder zurückkommen kann (
BGE 136 III 200
E. 2.3.1 S. 203;
BGE 122 III 492
E. 1b/bb S. 494). Zu den prozessleitenden Verfügungen zählt u.a. der Entscheid des Schiedsgerichts über die Leistung eines Kostenvorschusses (SÉBASTIEN BESSON, in: Swiss Rules of International Arbitration, Commentary, Zuberbühler und andere [Hrsg.], 2005, N. 6 zu Art. 31 Swiss Rules; MARKUS WIRTH, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2007, N. 8 zu
Art. 188 IPRG
; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, 2. Aufl. 1993, S. 286; PHILIPP HABEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 15 zu
Art. 378 ZPO
). Prozessleitende Verfügungen stellen sodann auch Beschlüsse des Schiedsgerichts über eine vorübergehende Sistierung des Verfahrens dar (
BGE 116 Ia 154
E. 3a S. 158; MARKUS WIRTH, a.a.O., N. 8 zu
Art. 188 IPRG
; RÜEDE/HADENFELDT, a.a.O., S. 286; SÉBASTIEN BESSON, a.a.O., N. 9 zu Art. 31 Swiss Rules), wobei diese vor Bundesgericht immerhin dann angefochten werden können, wenn das Schiedsgericht mit dem Beschluss über die Sistierung implizit auch über seine Zuständigkeit befindet (
BGE 116 Ia 154
E. 3a S. 159; vgl. auch Urteil 4A_210/2008 vom 29. Oktober 2008 E. 2.1).
5.
Sowohl die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 als auch die Beschwerdeführerinnen 3-11 qualifizieren den angefochtenen Zwischenentscheid vom 7. Juni 2010 als Teilentscheid. Dieser habe eine vermeintliche Forderung der Schiedsrichter gegen die Parteien aus dem Schiedsrichtervertrag (
receptum arbitri
) zum Gegenstand. Das Schiedsgericht verlange eine abschliessende Entschädigung für (angeblich) bereits geleistete Arbeit und nicht etwa bloss einen Kostenvorschuss. Damit werde das Schiedsverfahren durch den angefochtenen Entscheid für einen "quantitativen (allerdings ausserhalb des Streitgegenstands liegenden) Teil" abgeschlossen, während das
BGE 136 III 597 S. 601
Verfahren über die Begehren der Parteien (einschliesslich die Zuständigkeitsfrage) vorerst ausgesetzt bleibe.
5.1
Der angefochtene Entscheid äussert sich - wie die Beschwerdeführerinnen selbst anerkennen - in keiner Weise zum Streitgegenstand zwischen den Parteien. Er stellt daher keinen Teilentscheid dar, da er das Verfahren auch nicht für einen Teil des Streitgegenstands abschliesst (vgl. E. 4.1).
Entgegen seiner äusseren Bezeichnung als Zwischenentscheid ("Interim Award") klärt der angefochtene Entscheid auch keine materielle oder prozessuale Vorfrage, deren Beantwortung im Hinblick auf einen verfahrensabschliessenden Entscheid notwendig wäre. Bei den im Dispositiv getroffenen Anordnungen handelt es sich vielmehr um prozessleitende Verfügungen (vgl. E. 4.2):
5.1.1
In Buchstabe A wird die Sistierung des Verfahrens angeordnet. Darauf kann das Schiedsgericht jederzeit wieder zurückkommen und das Verfahren weiterführen bzw. bei ausbleibender Zahlung des Kostenvorschusses mit Abschreibungsbeschluss definitiv beenden (vgl. BERGER/KELLERHALS, Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 2006, Rz. 1450 und 457, mit Hinweis auf die Regelung der Swiss Rules). Die Sistierung enthält auch keine implizite Bejahung der Zuständigkeit, hält das Schiedsgericht in Buchstabe E des Dispositivs doch ausdrücklich fest, dass es in keiner Weise Begehren und Anträge der Parteien "ausserhalb des Rahmens des vorliegenden Teilentscheids" behandle und entscheide. Damit hat das Schiedsgericht namentlich auch nicht sinngemäss über seine Zuständigkeit entschieden, zumal es das Verfahren auf diese Frage beschränkte und die Zuständigkeit von allen Beklagten bestritten wird.
5.1.2
Bei den Anordnungen in den Buchstaben B, C und D des Dispositivs handelt es sich sodann inhaltlich nicht um eigentliche Kostenentscheide, sondern lediglich um erneute Aufforderungen zur Zahlung des Kostenvorschusses. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass das Schiedsgericht die Sistierung in Buchstabe A auf Art. 41 Ziff. 4 der Swiss Rules abstützt. Nach dieser Bestimmung kann das Schiedsverfahren entweder ganz eingestellt oder (vorübergehend) unterbrochen werden, wenn der
Kostenvorschuss
("deposit of costs") nicht bezahlt wird. Wenn daher der Widerruf der Sistierung (Buchstabe A) von der Zahlung der Honorare und Auslagen des Schiedsgerichts abhängig gemacht wird, so handelt es sich dabei funktional
BGE 136 III 597 S. 602
um Kostenvorschüsse. Dass diese betragsmässig dem bisher aufgelaufenen Aufwand des Schiedsgerichts entsprechen, ändert an dieser Qualifikation nichts. Denn ein Schiedsgericht kann im Verlaufe des Verfahrens durchaus auch Vorschüsse einziehen, die der Sicherstellung nicht nur künftiger, sondern auch bereits entstandener Ansprüche dienen. Schliesslich spricht das Schiedsgericht in Rz. 88 des angefochtenen Entscheids ausdrücklich von der Pflicht zur Zahlung der Kostenvorschüsse ("duty of payment of the deposits") und behält sich vor, in einem Endentscheid ("final Award") eine endgültige Entscheidung ("final decision") über die Verlegung der Kosten zu treffen. Daraus ergibt sich, dass es sich bei den Anordnungen in den Buchstaben B, C und D weder hinsichtlich der Kostenverteilung unter den Parteien noch hinsichtlich der Kostenhöhe um einen definitiven Entscheid handelt, an den sich das Schiedsgericht gebunden sieht.
5.1.3
Damit stellen die Anordnungen sowohl in Buchstabe A (Sistierung) als auch in den Buchstaben B, C und D (Aufforderung zur Zahlung der Kostenvorschüsse) prozessleitende Verfügungen dar, die das Schiedsgericht nicht binden und auf die es jederzeit wieder zurückkommen kann. Dagegen ist die Beschwerde in Zivilsachen i.S. von
Art. 77 BGG
i.V.m.
Art. 190 IPRG
nicht zulässig.
5.2
Aber selbst wenn das Schiedsgericht in den Buchstaben B, C und D einen eigentlichen Kostenentscheid hätte fällen wollen, könnten die entsprechenden Anordnungen nicht mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten werden:
5.2.1
Das 12. Kapitel des IPRG enthält keine ausdrückliche Bestimmung, welche das Schiedsgericht ermächtigen würde, einen verbindlichen Entscheid über seine Kosten auszufällen (ANTON HEINI, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 26 zu
Art. 189 IPRG
; BERGER/KELLERHALS, a.a.O., Rz. 1477 ff.; vgl. demgegenüber für die interne Schiedsgerichtsbarkeit Art. 33 Abs. 1 lit. g des Konkordats vom 27. März 1969 über die Schiedsgerichtsbarkeit [KSG] bzw. Art. 384 Abs. 1 lit. f der auf den 1. Januar 2011 in Kraft tretenden Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 [AS 2010 1739 ff.; SR 272]).
Ein Teil der Lehre vertritt die Meinung, dass die Parteien dem Schiedsgericht vertraglich die Kompetenz einräumen können, sein Honorar autoritativ festzusetzen (FRANZ HOFFET, Rechtliche Beziehungen zwischen Schiedsrichtern und Parteien, 1991, S. 251 f.;
BGE 136 III 597 S. 603
POUDRET/BESSON, Comparative Law of International Arbitration, 2. Aufl. 2007, Rz. 443). Vereinzelt wird vertreten, dass ein Schiedsgericht gestützt auf
Art. 182 Abs. 2 IPRG
mit Rechtsprechungskompetenzen hinsichtlich seines eigenen Honoraranspruchs ausgestattet sei (WIRTH, a.a.O., N. 63 zu
Art. 189 IPRG
, der sich in seiner Auffassung bestätigt sieht durch eine Textstelle bei ANDREAS BUCHER [Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 1989, Rz. 359 in fine]
,
wo das "Dispositiv über die Verfahrenskosten" als mögliches Objekt einer Rüge gemäss
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
[
ordre public]
bezeichnet wird).
Nach dem wohl überwiegenden Teil der Lehre wird das Schiedsgericht hingegen nicht als ermächtigt angesehen, in einem vollstreckbaren Titel über den ihm gestützt auf den Schiedsrichtervertrag (
receptum arbitri
) zustehenden Entschädigungsanspruch zu entscheiden (ANTON HEINI, a.a.O., N. 26 zu
Art. 189 IPRG
; BERGER/KELLERHALS, a.a.O., Rz. 1479; HANS-HEINRICH INDERKUM, Der Schiedsrichtervertrag [...], 1988, S. 150; für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des IPRGvgl. auch MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 611). Dies zum einen, weil Ansprüche aus dem Verhältnis zwischen dem Schiedsgericht und den Parteien nicht unter die Schiedsvereinbarung fallen; zum anderen, weil damit ein nicht hinnehmbares Urteilen in eigener Sache verbunden wäre (BERGER/KELLERHALS, a.a.O., Rz. 1479; INDERKUM, a.a.O., S. 151). Die Kostenentscheidung im Dispositiv eines Schiedsspruchs stellt somit nichts anderes dar als eine für die Parteien unverbindliche Rechnungsstellung (INDERKUM, a.a.O., S. 151), bzw. eine Umschreibung des privatrechtlichen Anspruchs der Schiedsrichter aus dem Schiedsrichtervertrag, über den im Bestreitungsfall der staatliche Richter zu entscheiden hat (HEINI, a.a.O., N. 26 f. zu
Art. 189 IPRG
). Nur im Verhältnis zwischen den Parteien hat die Angabe der Höhe der Verfahrenskosten im Schiedsspruch die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils, d.h. nur insoweit, als damit über deren Kostentragungs- und -erstattungspflichten untereinander entschieden wird (BERGER/KELLERHALS, a.a.O., Rz. 1479).
5.2.2
Die Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur autoritativen Entscheidung beschränkt sich auf den ihm von den Parteien unterbreiteten Streitgegenstand; sie endet dort, wo nicht mehr der Streit zwischen den Parteien, sondern das Verhältnis zwischen den Parteien auf der einen und dem Schiedsgericht auf der anderen Seite betroffen ist. Nach zutreffender Auffassung sind daher Streitigkeiten
BGE 136 III 597 S. 604
zwischen den Parteien und dem Schiedsgericht über die Entschädigung der Schiedsrichter vor den zuständigen Zivilgerichten auszutragen (BERGER/KELLERHALS, a.a.O., Rz. 1735).
Im Übrigen liesse sich auch aus jenen Lehrmeinungen, die eine Rechtsprechungskompetenz des Schiedsgerichts über seine Honorare unter bestimmten Umständen bejahen, nicht ableiten, dass dem Schiedsgericht eine solche Kompetenz bereits in einem so frühen Verfahrensstadium zukäme, in dem es - wie hier - noch nicht einmal (explizit oder implizit) über seine eigene Zuständigkeit befunden hat. Auch aus Art. 32 Ziff. 1 der Swiss Rules, wonach das Schiedsgericht Kostenentscheide auch in Entscheiden treffen könne, die nicht Endurteile sind ("may also award costs in awards that are not final"), ergibt sich nichts anderes. Damit mögen akzessorische Kostenentscheide in Zwischen- oder Teilentscheiden im eigentlichen Sinne gemeint sein, nicht aber eigenständige, in vollstreckbare Titel gekleidete Zwischenabrechnungen über das Schiedsrichterhonorar.
Mangels entsprechender Entscheidkompetenz des Schiedsgerichts bilden die Buchstaben B, C und D des vorliegend angefochtenen "Interim Awards" somit auch dann keine autoritativen Anordnungen mit Entscheidqualität, wenn man in ihnen eine Abrechnung über die bisher entstandenen Kosten des Schiedsgerichts und nicht bloss eine Aufforderung zur Zahlung des Kostenvorschusses sehen will. Es handelt sich diesfalls um einfache Rechnungsstellungen, denen es am Charakter eines anfechtbaren Entscheids i.S. des
Art. 77 BGG
i.V.m.
Art. 190 IPRG
mangelt (vgl. auch HEINI, a.a.O., N. 26 zu
Art. 189 IPRG
). Eine Beschwerde in Zivilsachen ist dagegen unzulässig. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
529a4f3b-7f16-409a-8c5a-e27922b95ec0 | Urteilskopf
120 Ia 343
48. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1994 i.S. A. gegen Stadt X. und Finanzdirektion des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Abgabenerhebung.
Sozialabzüge und Steuertarif ergeben sich aus dem Gesetz.
Art. 4 BV
ist verletzt, wenn im Hinblick auf die rechtsgleiche Besteuerung von Ehepaaren und Konkubinatspaaren einem Konkubinatspartner, der für den Unterhalt von Kindern im eigenen Haushalt aufkommt, der ihm gesetzlich zustehende höhere persönliche Abzug und günstigere Steuertarif verweigert werden. | Sachverhalt
ab Seite 343
BGE 120 Ia 343 S. 343
A. ist Beamter mit Wohnsitz in X. Er lebt seit 1987 mit B. im Konkubinat. Im Jahre 1989 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. B. ist seit 1992 nicht mehr erwerbstätig, sondern besorgt den gemeinsamen Haushalt.
A. wurde für die Staats- und Gemeindesteuern 1993 mit einem Reineinkommen von Fr. ... und einem Reinvermögen von Fr. ... eingeschätzt. Am 30. April 1993 stellte das Steueramt der Stadt X. für die Staats- und Gemeindesteuern Rechnung, wobei es beim Einkommen den einfachen persönlichen Abzug von Fr. 4'800.-- und den Kinderabzug von Fr. 5'000.-- gewährte sowie den strengeren Tarif b für Ledige zur Anwendung brachte.
Im Begleitschreiben erklärte das Steueramt, der höhere persönliche Abzug beim Einkommen von Fr. 9'600.-- für getrennt lebende, geschiedene, verwitwete und ledige Steuerpflichtige, die für den Unterhalt von Kindern im eigenen Haushalt aufkämen, und der im Zusammenhang damit stehende Tarif a könnten gemäss der neuen Weisung der Finanzdirektion vom 30. Oktober 1992 über Sozialabzüge und Steuertarife nicht mehr gewährt werden, wenn der
BGE 120 Ia 343 S. 344
Steuerpflichtige mit einer Person in Hausgemeinschaft lebe, die ihrerseits den persönlichen Abzug zugute habe; würde der erhöhte persönliche Abzug mit dem Abzug des Partners kumuliert, so würden Ehepaare gegenüber Konkubinatspaaren stärker besteuert, was vom Bundesgericht als verfassungswidrig erklärt worden sei.
Mit Verfügung vom 15. Juni 1993 bestätigte das Steueramt der Stadt X. diese Steuerberechnung.
B. wurde mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 0.-- eingeschätzt.
Im Rekurs an die Finanzdirektion des Kantons Zürich verlangte der Steuerpflichtige, es sei ihm beim Einkommen der höhere persönliche Abzug von Fr. 9'600.-- zu gewähren (nebst dem Kinderabzug) und es sei die Steuer nach dem günstigeren Tarif a zu berechnen. Er begründete diesen Antrag wie folgt:
Die Weisung der Finanzdirektion vom 30. Oktober 1992 über Sozialabzüge und Steuertarife beruhe nicht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Gemäss § 31 und 32 des zürcherischen Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 (nachfolgend abgekürzt StG) seien der höhere persönliche Abzug und der günstigere Tarif a Ledigen zu gewähren, die mit Kindern zusammenleben, für deren Unterhalt sie aufkommen. Das gelte auch für einen im Konkubinat lebenden Steuerpflichtigen mit Kindern.
§ 31 und 32 StG
sähen keine besondere Besteuerung von Konkubinatspartnern vor. Die angefochtene Besteuerung bewirke zudem eine rechtsungleiche Behandlung, indem er und seine Lebensgefährtin zusammen höher besteuert würden als ein Ehepaar oder ein Alleinstehender in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen mit einem Kind. Die rechtsgleiche Lösung könne nur darin bestehen, dass dem erwerbstätigen Konkubinatspartner nebst dem Tarif a der höhere persönliche Abzug von Fr. 9'600.-- zugestanden werde oder dass ihm mindestens der vom andern Partner infolge geringeren Reineinkommens nicht konsumierte Teil des Sozialabzuges gewährt werde.
Mit Entscheid vom 29. September 1993 wies die Finanzdirektion des Kantons Zürich den Rekurs ab.
Hiegegen führt der Steuerpflichtige gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde. Er beanstandet wie bereits im Verfahren vor der Finanzdirektion, dass die Weisung der Finanzdirektion nicht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhe. Ferner rügt er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie eine rechtsungleiche Behandlung.
BGE 120 Ia 343 S. 345
Die Finanzdirektion des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Steueramt der Stadt X. verzichtete auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den Entscheid der Finanzdirektion auf aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer beruft sich in erster Linie darauf, die Weisung der Finanzdirektion vom 30. Oktober 1992 über Sozialabzüge und Steuertarife - und damit auch die angefochtene Besteuerung - beruhe nicht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 4 BV
bedürfen öffentliche Abgaben - von Ausnahmen abgesehen - der Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinn. Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit ist verletzt, wenn das Gesetz den Kreis der Steuerpflichtigen, den Steuergegenstand und die Grundzüge der Steuerbemessung nicht enthält (
BGE 118 Ia 320
E. 3a S. 323;
BGE 112 Ia 39
S. 43 ff.;
BGE 105 Ia 134
S. 144 ff.).
Dienstanweisungen, sog. Verwaltungsverordnungen, die den Bürger nicht zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten, sondern bloss Regeln für das verwaltungsinterne Verhalten der Beamten aufstellen, enthalten keine Rechtssätze. Sie dienen der Schaffung einer einheitlichen Verwaltungspraxis und sollen den Beamten die Rechtsanwendung erleichtern (
BGE 117 Ib 225
S. 231,
BGE 117 Ib 358
S. 364;
BGE 99 Ib 371
S. 373;
BGE 98 Ia 508
S. 510). Da sie nicht vom verfassungsmässigen Gesetzgeber stammen, sondern von einer Verwaltungsbehörde, können sie keine von der gesetzlichen Ordnung abweichenden Bestimmungen vorsehen. Bei der von der Zürcher Finanzdirektion am 30. Oktober 1992 erlassenen Weisung über Sozialabzüge und Steuertarife (vgl. Zürcher Steuerbuch I A, Nr. 17/40) handelt es sich um eine solche Verwaltungsverordnung. Die in Anwendung dieser Weisung ergangene Steuerveranlagung muss sich folglich direkt auf das Gesetz und seine Ausführungserlasse abstützen können.
b) In der Schweiz bilden Konkubinatspaare nach geltendem Steuerrecht keine besondere Kategorie von Steuerpflichtigen. Die Partner einer solchen Gemeinschaft werden getrennt veranlagt wie alleinstehende Personen, so dass jeder für sein eigenes Einkommen und Vermögen steuerpflichtig ist und ein Ausgleich irgendwelcher Verluste, Schulden oder Abzüge zwischen den Einkommen und Vermögen nicht stattfindet. Während Einkommen und Vermögen
BGE 120 Ia 343 S. 346
von zusammenlebenden Ehegatten addiert werden und sich unter Umständen ausgleichen, hängt die Steuerbelastung des Konkubinatspaares bis zu einem gewissen Grad davon ab, wie sich Einkommen und Vermögen auf die beiden Partner verteilen. Das Konkubinatspaar fährt - bei einem bestimmten Gesamteinkommen - steuerlich am günstigsten, wenn beide Partner gleich viel verdienen, und um so ungünstiger, je mehr sich ihre Einkommen unterscheiden (
BGE 118 Ia 1
S. 3/4).
Hat ein Konkubinatspaar Kinder, wird derjenige Partner, der die elterliche Gewalt oder die Obhut besitzt oder für den Unterhalt des Kindes aufkommt im allgemeinen nach den für Halbfamilien geltenden Regeln besteuert, sofern das kantonale Recht diese Ordnung vorsieht. Es wird ihm je nach kantonaler Gesetzgebung der höhere Sozialabzug für Kinder und gegebenenfalls der für Ehegatten geltende günstigere Tarif für die Steuerbemessung gewährt. Der andere Konkubinatspartner wird steuerlich entsprechend seinem Zivilstand, das heisst als Lediger, Verwitweter oder Geschiedener, behandelt (
BGE 118 Ia 1
S. 3/4).
c) Diese Lösung liegt auch dem Zürcher Steuerrecht zugrunde. Gemäss
§ 8 Abs. 1 StG
werden Einkommen und Vermögen der in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten zusammengerechnet, diese werden somit gemeinschaftlich veranlagt. Da das Gesamteinkommen des Ehepaares für den Lebensunterhalt von zwei Personen dienen muss, sieht das Gesetz bei der Einkommenssteuer einen günstigeren Tarif a (§ 32 Abs. 1) sowie einen höheren persönlichen Abzug vor (§ 31 Abs. 1 Ziff. 1 lit. a). Derselbe Tarif ist auch anwendbar auf "getrennt lebende, geschiedene, verwitwete und ledige Steuerpflichtige, die mit Kindern im Sinne von § 31 Abs. 1 Ziff. 3 zusammenleben" (
§ 32 Abs. 1 StG
). Solchen Steuerpflichtigen wird zudem der höhere persönliche Abzug nach
§ 31 Ziff. 1 lit. a StG
gewährt.
Diese Ordnung hat zur Folge, dass dann, wenn ein Konkubinatspaar Kinder hat, derjenige Teil, dem die Obhut über die Kinder zusteht (oder der die elterliche Gewalt innehat oder für den Unterhalt der Kinder aufkommt), ebenfalls nach dem günstigeren Tarif a besteuert wird und er die höheren persönlichen Abzüge geltend machen kann. Der andere Konkubinatspartner hat, sofern er nicht auch eigene Kinder (beispielsweise aus einer früheren Ehe) in die Gemeinschaft mitgebracht hat, nur Anspruch auf den einfachen persönlichen Abzug für die "andern Steuerpflichtigen" (§ 31 Abs. 1 Ziff. 1 lit. b StG); zudem findet auf ihn der gegenüber dem Tarif a progressiver
BGE 120 Ia 343 S. 347
ausgestaltete Tarif b (
§ 31 Abs. 2 StG
) Anwendung.
d) Dieser gesetzlichen Regelung entsprach auch die Praxis, wie sie in der bis Ende 1992 gültigen Weisung der Finanzdirektion vom 31. Oktober 1990 über Sozialabzüge und Steuertarife (vgl. Zürcher Steuerbuch I A, Nr. 17/49) zum Ausdruck kam. Danach konnte derjenige Konkubinatspartner, der für den Unterhalt eigener Kinder im gemeinsamen Haushalt aufkam, den höheren persönlichen Abzug von (damals) Fr. 8'600.-- und den günstigeren Tarif a beanspruchen. Hatten beide Partner Kinder in die Gemeinschaft mitgebracht, so gelangten beide Partner in den Genuss dieser Vergünstigungen. Handelte es sich um gemeinsame Kinder beider Partner, so standen der entsprechende höhere persönliche Abzug und der günstigere Tarif a demjenigen Elternteil zu, der für den Unterhalt der Kinder aufkam (Ziff. 27 lit. d, Ziff. 16); der andere Partner hatte Anspruch auf den Kinderabzug, sofern er Unterhaltsbeiträge bezahlte (Ziff. 32). Wer Anspruch auf den höheren persönlichen Abzug hatte, war auch nach dem günstigeren Tarif a zu besteuern (Ziff. 16). - Dieselbe Praxis lag bereits der Weisung der Finanzdirektion über Sozialabzüge und Steuertarife vom 31. Oktober 1986 (Zürcher Steuerbuch IA, Nr. 17/48) und früheren zugrunde.
Allerdings hat die Finanzdirektion ihre Praxis in der ab dem Steuerjahr 1993 gültigen Weisung vom 30. Oktober 1992 über Sozialabzüge und Steuertarife geändert. Danach können zwei unverheiratet zusammenlebende Personen nur noch je den niedrigeren persönlichen Abzug von Fr. 4'800.-- beim Einkommen geltend machen, und zwar unabhängig davon, ob einer oder beide Partner für den Unterhalt von Kindern im gemeinsamen Haushalt aufzukommen haben. Zudem gelangt auf beide Konkubinatspartner der strengere Tarif b für alleinstehende Personen auch dann zur Anwendung, wenn Kinder vorhanden sind (Ziff. 27 Abs. 2, Ziff. 16).
e) Ob die neue Verwaltungspraxis der Finanzdirektion, wie sie in der ab dem Steuerjahr 1993 anwendbaren Weisung vom 30. Oktober 1992 zum Ausdruck kommt und auch im angefochtenen Entscheid befolgt wurde, auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruht, ist fraglich. Das Zürcher Steuergesetz steht auf dem Boden der Familienbesteuerung; das heisst, in ungetrennter Ehe lebende Ehepaare sowie Elternteile, die mit Kindern zusammenleben, deren Unterhalt sie bestreiten, können die höheren persönlichen Abzüge und den günstigeren Tarif a beanspruchen. Das muss auch für Konkubinatspartner gelten, wenn sie für den Unterhalt von Kindern im gemeinsamen Haushalt
BGE 120 Ia 343 S. 348
aufzukommen haben. Die Gewährung des höheren persönlichen Abzuges und des günstigeren Tarifs a kann beim Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Norm nicht davon abhängen, dass der Elternteil, der die Vergünstigung geltend macht, mit keiner anderen Person im Konkubinat zusammenlebt. Das Zürcher Steuergesetz sieht - wie übrigens auch die Steuerrechte der anderen Kantone oder der Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt; SR 642.11) und das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) - für Konkubinatspaare keine besondere Besteuerung vor. Dann müssen aber die Konkubinatspartner entsprechend ihrer Stellung als Ledige, getrennt Lebende, Geschiedene oder Verwitwete besteuert werden. Der Tatsache, dass der Partner einer solchen Gemeinschaft für den Unterhalt von Kindern im gemeinsamen Haushalt aufkommt, ist daher - der gesetzlichen Ordnung entsprechend - durch Anwendung des höheren persönlichen Abzuges und des günstigeren Tarifs a Rechnung zu tragen.
f) Die Weisung der Finanzdirektion vom 30. Oktober 1992, wonach der höhere persönliche Abzug und der günstigere Tarif a einem Elternteil, der für den Unterhalt von Kindern im eigenen Haushalt aufkommt, nur gewährt wird, wenn er nicht mit einer anderen Person im Konkubinat lebt, hält deshalb vor dem Gesetz nicht stand. Mit der gesetzlichen Regelung ist folglich nicht zu vereinbaren, dass die Finanzdirektion im angefochtenen Entscheid den Beschwerdeführer, der unbestrittenermassen für den Unterhalt des im gleichen Haushalt lebenden gemeinsamen Kindes sorgt, gestützt auf ihre Weisung nach Tarif b besteuert und ihm den höheren persönlichen Abzug verweigert.
Die Finanzdirektion hat im angefochtenen Entscheid ihre neue Praxis damit begründet, dass die bisherige Praxis zu einer höheren Besteuerung der verheirateten Paare mit Kindern gegenüber Konkubinatspaaren mit Kindern geführt habe. Das rechtfertigt es jedoch nicht, Konkubinatspaare in einer im Gesetz nicht vorgesehenen Weise zu besteuern. Dieses Vorgehen ist durch das Gesetz nicht abgestützt. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Ist aber die staatsrechtliche Beschwerde bereits aus diesem Grund gutzuheissen, so erübrigt es sich, die in der Beschwerde weiter vorgetragenen Rügen zu prüfen.
Zur Frage der rechtsgleichen Besteuerung von Ehepaaren und Konkubinatspaaren mit Kindern im Kanton Zürich kann im übrigen auf das heutige Urteil (
BGE 120 Ia 329
ff.) verwiesen werden. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
529e11e5-50b0-463f-b253-5d52582c4ab3 | Urteilskopf
82 II 268
39. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1956 i.S. H. c. Sch. | Regeste
Vaterschaftsklage;
Art. 315 ZGB
.
Aus unzüchtigem Lebenswandel vor der Empfängniszeit darf auf ebensolches Verhalten während derselben nur geschlossen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte in dieser Zeit vorliegen. | Sachverhalt
ab Seite 268
BGE 82 II 268 S. 268
A.-
H. gebar am 3. Juli 1954 ausserehelich den Knaben M. Vom Juli 1953 an und dann während der kritischen
BGE 82 II 268 S. 269
Zeit (6. Sept. 1953 - 4. Jan. 1954) hatte sie, damals 18 1/2 Jahre alt, wiederholt Geschlechtsverkehr mit dem um 5 Jahre älteren Sch. Sowohl das Bezirksgericht Arbon als das Obergericht des Kantons Thurgau (Urteil vom 5. April 1956) haben die vom Beklagten erhobene Einrede aus
Art. 315 ZGB
geschützt und die Vaterschaftsklage abgewiesen. Die Annahme unzüchtigen Lebenswandels der Klägerin gründen die Vorinstanzen auf folgende, für das Bundesgericht verbindlich festgestellte Tatsachen:
a) Im Juli 1953 nahm die Kindsmutter nach einem Tanzanlass im Hotel B. in A. ihren Liebhaber Sch. (den Beklagten) und ein zweites Paar (ihre Freundin W. und deren Begleiter, von dem nur der Vorname R. bekannt ist) mit nach Hause, wo die vier im Schlafzimmer der in den Ferien abwesenden Eltern paarweise in den zwei Betten übernachteten und wiederholt geschlechtlich verkehrten.
b) Einige Wochen später, in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1953 nahm die Kindsmutter nach dem gemeinsamen Besuch des Seenachtfestes in R. ihren Liebhaber Sch. und einen Bekannten desselben, S., den sie erst an diesem Abend kennengelernt hatte, ins elterliche Schlafzimmer mit, wo sie mit Sch. im einen, S. im andern Bett nächtigten; dabei vollzog sie mit Sch. wiederholt den Geschlechtsverkehr, was S. im andern Bett hören und (in der Morgendämmerung) sehen konnte.
c) Am Morgen nach dieser Nacht (16. August 1953), als sich Sch. zu einer Besorgung für etwa eine halbe Stunde aus der Wohnung H. entfernte, kam es - wie die Vorinstanz angesichts der Behauptung des S. und trotz der Bestreitung der Klägerin verbindlich feststellt - im Wohnzimmer auf dem Sofa zwischen der Klägerin und S. zum Coitus, wobei sich erstere besonders indezent und initiativ benahm.
In ihrer Würdigung kommt die Vorinstanz zum Schlusse, bei diesen Fällen von Geschlechtsverkehr in Anwesenheit Dritter seien die in einigen früheren Urteilen vom Bundesgericht angenommenen Entschuldigungsgründe nicht gegeben. Weder hätten die Drittpersonen geschlafen oder sonst
BGE 82 II 268 S. 270
nichts gemerkt, noch habe für die Parteien irgendwelche Notwendigkeit bestanden, jene überhaupt im gleichen Schlafzimmer nächtigen zu lassen; das Motiv für die Klägerin hiezu könne nur in ihrem Bestreben, die eigene geschlechtliche Lust zu erhöhen, erblickt werden. Den Partner ihrer Freundin W. habe die Klägerin nur nach seinem Vornamen gekannt und den S. erst am Abend vor dem gemeinsamen Übernachten kennengelernt. Ein Mädchen, das mit seinem Liebhaber in Gegenwart von ihm nur flüchtig oder überhaupt nicht bekannten Personen wiederholt Geschlechtsverkehr pflege und überdies unmittelbar nachher sich einem Dritten auf die festgestellte ausgeschämte Art hingebe, handle derart schamlos, dass, obwohl diese Vorfälle sich einige Wochen vor Beginn der kritischen Zeit abspielten, die Schlussfolgerung sich aufdränge, sie habe auch während der Empfängniszeit noch mit andern Männern als dem Beklagten geschlechtlich verkehrt.
B.-
Mit der vorliegenden Berufung machen die Kläger geltend, die Vorinstanz habe die Einrede aus
Art. 315 ZGB
zu Unrecht geschützt, und beantragen Gutheissung der Klage.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Wie das Bundesgericht kürzlich seine Praxis in Bezug auf
Art. 315 ZGB
zusammengefasst und präzisiert hat, beruht die Vorschrift, wie Art. 314 Abs. 2, auf dem Gedanken, dass die Klage abgewiesen werden muss, wenn die Vaterschaft des Beklagten unsicher ist, und will die Fälle treffen, wo zwar keine Tatsachen nachgewiesen sind, die erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2 zu begründen vermöchten, wo aber die Lebensführung der Mutter als Ganzes eine einigermassen zuverlässige Feststellung der Vaterschaft unmöglich macht. Dies trifft dann - und nur dann - zu, wenn sich die Mutter um die Empfängniszeit in sexueller Beziehung gewohnheitsmässig so hemmungslos zeigte, dass sich der Verdacht aufdrängt, sie
BGE 82 II 268 S. 271
habe damals nicht nur mit dem Beklagten, sondern auch noch mit unbekannten weitern Männern Umgang gehabt (
BGE 79 II 26
).
Bei der Würdigung der Tatbestände unter diesem Gesichtspunkt hat sich die Rechtsprechung im Laufe der Jahre zu einer etwas weitergehenden subjektiven Differenzierung veranlasst gesehen, so insbesondere bezüglich der Schlüsse, die aus den Umständen, unter denen Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten stattgefunden hat, gezogen werden können, und hier u.a. auch im Hinblick auf den Vollzug des Geschlechtsverkehrs in Anwesenheit Dritter. So wurden Milderungsgründe darin erblickt, dass die Kindsmutter von der Anwesenheit einer Drittperson im Zimmer des Beklagten vorher keine Kenntnis gehabt hatte, die Drittperson schlief oder sich schlafend stellte oder schwerhörig, eine gute Bekannte, oder das zweite Paar in gleicher Weise mit sich selbst beschäftigt war (vgl.
BGE 69 II 135
,
BGE 76 II 177
, Urteil vom 23. Sept. 1948 i.S. Tuor, vom 25. April 1952 i.S. Hänni, vom 3. April 1952 i.S. Rehbeil).
Im vorliegenden Falle liegen mildernde Umstände darin, dass die Klägerin mit dem Beklagten von den beiden Familien her seit langem bekannt war, ein Verhältnis von längerer Dauer bestand und beim Vorfall vom Juli die eine Drittperson ihre Freundin war. Dagegen war deren Freund Roland ihr nicht näher und beim zweiten Vorfall vom August der Kamerad des Beklagten, S., ihr bisher überhaupt nicht bekannt gewesen. Sehr gravierend ist zweifellos der dritte Vorfall, wo sich die Klägerin nach der Nacht mit dem Beklagten während der kurzen Abwesenheit desselben dem Dritten hingab.
Die drei Vorfälle zusammen qualifizieren das damalige Verhalten der Klägerin ohne weiteres als unzüchtig. Schon eher fraglich erscheint, ob von unzüchtigem Lebenswandel gesprochen werden kann, worunter eine gewohnheitsmässige sexuelle Haltlosigkeit zu verstehen ist (
BGE 79 II 25
). Die vereinzelten Verfehlungen der Klägerin zeigen doch
BGE 82 II 268 S. 272
nicht eine Gewohnheit der Ausschweifung, eine Grundhaltung, sondern eher ein momentanes Überborden der Sinnlichkeit.
Nun fand der letzte Vorfall jedoch drei Wochen vor Beginn der kritischen Zeit und ca. 6 Wochen vor dem mutmasslichen effektiven Schwängerungsdatum (um den 3. Oktober 1953) statt. Für diesen Zeitpunkt wie für die ganze kritische Zeit ist ein verdächtiges Verhalten der Klägerin - abgesehen vom Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten - nicht dargetan. Ein unzüchtiger Lebenswandel vor oder nach der Empfängniszeit ist an sich nicht geeignet, die Einrede des Art. 315 zu begründen. Frage kann nur sein, ob das unzüchtige Verhalten der Kindsmutter vor der Empfängniszeit den sichern Schluss ziehen lasse, dass sie auch "um die Empfängniszeit" einen unzüchtigen Lebenswandel geführt habe. Die Vorinstanz bejaht dies in Ansehung der hochgradigen Schamlosigkeit, die die Klägerin anlässlich der drei Vorfälle im Juli/August an den Tag gelegt habe und angesichts deren sich die Schlussfolgerung "geradezu aufdränge", sie habe sich auch während der Empfängniszeit mit Dritten vergangen.
Ob sich diese Schlussfolgerung rechtfertigt, ist keine tatsächliche Feststellung, sondern eine der Überprüfung des Bundesgerichts unterliegende Rechtsfrage, nämlich die rechtliche Würdigung jener festgestellten Tatsachen nach der allgemeinen Lebenserfahrung (
BGE 79 II 26
f.).
Dass der für einen früheren Zeitpunkt festgestellte unzüchtige Lebenswandel auch während der kritischen Zeit fortgedauert habe, darf indessen nur angenommen werden, wenn auch für die kritische Zeit selber konkrete Anzeichen für verdächtige Beziehungen zu andern Männern vorliegen. Das Fortdauern des früheren Wandels kann nicht schon allein aus dem der menschlichen Natur erfahrungsgemäss innewohnenden Beharrungsvermögen abgeleitet werden, ebensowenig aus dem Fehlen von positiven Anhaltspunkten für eine inzwischen eingetretene Besserung der Gesinnung; dies käme einer Umkehrung der
BGE 82 II 268 S. 273
Beweislast gleich. Damit die fragliche Schlussfolgerung zulässig sei, müssen konkrete Anhaltspunkte in der kritischen Zeit vorhanden sein, die gleichsam eine Verbindung, eine Leitspur bilden vom festgestellten früheren zum späteren supponierten Verhalten (
BGE 40 II 6
, 168;
BGE 43 II 143
). So wurde ein Fortdauern des vorherigen unzüchtigen Lebenswandels einer Klägerin angenommen, weil sie in der kritischen Zeit nach wie vor sich in Bars herumgetrieben, dem Trunke ergeben, ausgelassen aufgeführt und gern mit Männern abgegeben, kurz in den Lebensgewohnheiten verharrt hatte, welche die leichtfertige Anknüpfung geschlechtlicher Beziehungen begünstigen (Urteil vom 3. März i.S. B. c. L.); ferner bezüglich einer Klägerin, die, nach einem extrem unzüchtigen Verhalten auf einer Autofahrt mit zwei Unbekannten vor der kritischen Zeit, während derselben immer wieder ganze Nächte bei Tanzanlässen wegblieb, sich von Burschen begleiten liess und solche auf ihr Zimmer nahm (Urteil vom 18. Dezember 1953 i.S. G. c. St.). Umgekehrt wurde es abgelehnt, aus häufigen abendlichen Ausgängen einer Klägerin in Herrenbegleitung in der kritischen Zeit auf geschlechtliche Abenteuer zu schliessen, weil aus der Zeit vorher und nachher keinerlei Vorfälle bekannt waren, die gezeigt hätten, dass solche Ausgänge bei ihr gern mit Abenteuern endeten (
BGE 76 II 180
).
Im vorliegenden Falle ist für die Zeit nach dem 16. August 1953 und für die (am 6. September 1953) beginnende) kritische Zeit nach den Feststellungen der Vorinstanz und dem Inhalt der Akten zu Lasten der Klägerin nichts nachgewiesen, ausser der Fortdauer des Verhältnisses mit dem Beklagten. Sie war damals (August 1953) noch nicht einmal 18 1/2 Jahre alt; nach ihrer Angabe - für deren Unrichtigkeit nichts spricht - war der Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten nach dem Tanzanlass im Juli ihr erster. Es ist nun durchaus denkbar, dass sie, als das Verhältnis zum Beklagten sich festigte, sich gänzlich an ihn hielt und die Hemmungslosigkeit,
BGE 82 II 268 S. 274
die sie im Juli/August anlässlich der ersten Ausbrüche ihrer Sinnlichkeit zeigte, in der Folge überwand. Sodann war es zu den beiden ersten Vorfällen im Anschluss an sommerliche Volksfeste und in Ferienabwesenheit der Eltern gekommen, sodass die Annahme einiges für sich hat, nach dem Wegfall jener Anlässe und Gelegenheit möge die Klägerin weniger in Versuchung gekommen sein. Jedenfalls liegt kein konkreter Hinweis dafür vor, und der Beklagte hat auch nicht Beweis dafür beantragt, dass sie sich weiterhin mit andern Burschen abgegeben hätte; und ohne solche Indizien vermag das frühere unzüchtige Betragen die Einrede des Art. 315 nicht zu begründen.
Ist mithin diese Einrede zu verwerfen, so bleibt weiter zu prüfen, ob Tatsachen im Sinne des
Art. 314 Abs. 2 ZGB
geltend gemacht werden können. Insbesondere ist eine Blutuntersuchung verlangt worden. Ferner sind die Ansprüche der Kläger vom Beklagten hinsichtlich der Höhe bestritten worden. Die Vorinstanz hat daher die Sache unter diesen Gesichtspunkten neu zu beurteilen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 5. April 1956 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
529ee582-a6f4-4ad1-938f-80be6ebabead | Urteilskopf
105 Ia 54
14. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Mai 1979 i.S. Y. und Z. gegen Kanton Solothurn und Kantonale Rekurskommission Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
,
Art. 4 BV
; Erbschaftssteuer.
1. Drittpersonen steht die Beschwerdebefugnis nicht zu, wenn sie in einem Verfahren nur dadurch betroffen sind, dass sie sich einem Steuerpflichtigen gegenüber verpflichtet haben, eine geschuldete Steuer zu übernehmen (E. 1b).
2. Im Erbschaftssteuerrecht ist grundsätzlich ein Vergleich zwischen den Erben zu berücksichtigen, wenn durch diesen ernsthafte Zweifel an der erbrechtlichen Lage beseitigt werden und wenn sich die getroffene Vereinbarung nicht offensichtlich gegen den Fiskus richtet (E. 2 und 3a). | Sachverhalt
ab Seite 55
BGE 105 Ia 54 S. 55
Zum Nachlass des Verstorbenen X. gehörte unter anderem ein Wohnhaus in G., Kanton Solothurn. In seinem Testament hatte X. seine Schwester, Frau Y., als einzige gesetzliche Erbin auf den Pflichtteil gesetzt; zudem hatte er die Ausrichtung verschiedener Vermächtnisse angeordnet und für den Rest des Nachlasses Frau Z. als Erbin eingesetzt.
Am 31. Oktober 1973 führte Frau Y. beim Friedensrichteramt in M., Kanton Luzern, dem letzten Wohnsitz des Erblassers, Klage gegen Frau Z., im wesentlichen mit den Anträgen, es sei deren Erbunwürdigkeit festzustellen und das Testament sei ungültig zu erklären, soweit es Frau Z. begünstige. Zur Begründung brachte die Klägerin vor, der Erblasser sei zur Zeit der Errichtung des angefochtenen Testaments handlungsunfähig gewesen, da er unter dem dauernden Einfluss starker Medikamente gestanden sei; zudem habe ihn Frau Z. auf raffinierte Art ausgenützt und ihn mit der Drohung, ihn zu verlassen, zur Abfassung des Testaments genötigt. Frau Z. erhob ihrerseits Widerklage mit dem Antrag, es sei die Erbunwürdigkeit von Frau Y. festzustellen.
In der Folge schlossen die Parteien jedoch einen Vergleich, wonach sie im wesentlichen die hälftige Teilung des Nachlasses vereinbarten. Sie einigten sich insbesondere auch, sämtliche Erbschafts- und Nachlasssteuern vor der Teilung vom Gesamtnachlass abzuziehen und damit intern diese Steuern hälftig zu tragen.
Am 28. Februar 1975 erliess die Amtsschreiberei in G. an beide Erbinnen Rechnungen für die im Hinblick auf den Übergang
BGE 105 Ia 54 S. 56
des Hauses in G. zu entrichtenden Erbschaftssteuern. Sie berücksichtigte dabei den Vergleich nicht, sondern ging allein vom Testament aus und rechnete demgemäss Frau Z. drei Viertel, Frau Y. dagegen nur einen Viertel des steuerbaren Nachlasses an. Der anzuwendende Steuersatz betrug unbestrittenermassen für Geschwister 6%, für nicht mit dem Erblasser verwandte eingesetzte Erben dagegen 24%.
Die Einsprachen der Erbinnen wurden abgewiesen. Beide führten Beschwerde an die Kantonale Rekurskommission Solothurn (Rekurskommission). Sie beantragten im wesentlichen, der Steuerberechnung sei die Erbschaftsteilung gemäss Vergleich, und nicht das Testament des X. zugrundezulegen. Am 14. Juni 1976 erklärte die Rekurskommission die Beschwerden in diesem Hauptpunkt als unbegründet, wies die Sache jedoch wegen Rechnungsfehler an die Vorinstanz zurück.
Nachdem neue Steuerrechnungen ausgestellt worden waren, erhoben die beiden Erbinnen gegen die Entscheide der Rekurskommission und die Steuerrechnungen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Sie beantragen, die angefochtenen Entscheide und Rechnungen seien aufzuheben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
sind gemäss
Art. 87 OG
grundsätzlich nur gegen letztinstanzliche kantonale Endentscheide zulässig. Die Urteile der Rekurskommission vom 14. Juni 1976 erfüllten zwar das Erfordernis der Letztinstanzlichkeit, nicht aber zugleich dasjenige des Endentscheides; sie konnten daher unmittelbar im Anschluss an ihren Erlass nicht angefochten werden. Als Endentscheid gilt dagegen die Ausstellung der (neuen) Steuerrechnungen. Beruhen solche Rechnungen auf einem Entscheid der obersten kantonalen Rechtsmittelinstanz, so wird dieser als im voraus von ihr gebilligt betrachtet, und es ist daher nicht notwendig, nochmals den kantonalen Instanzenweg zu durchlaufen, bevor staatsrechtliche Beschwerde geführt werden kann (
BGE 98 Ia 154
,
BGE 93 I 453
f.). Die Beschwerdeführerinnen haben sich im vorliegenden Falle an die bundesgerichtliche Rechtsprechung gehalten, indem sie innert gesetzlicher Frist nach Erhalt der Steuerrechnungen diese und zugleich die ihnen zugrundeliegenden Entscheide der Rekurskommission angefochten
BGE 105 Ia 54 S. 57
haben. Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.
b) Fraglich ist, ob neben Frau Z., der ohne Zweifel die Beschwerdebefugnis zusteht, Frau Y. ebenfalls zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist.
Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege und nicht danach, ob ein Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung hatte (
BGE 102 Ia 99
E. 1,
BGE 101 Ia 544
mit Hinweisen). Zur Führung einer solchen Beschwerde ist nur berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung unmittelbar in seinem Rechtsbereich betroffen wird und sich daher auf eine Beeinträchtigung rechtlich geschützter eigener Interessen zu berufen vermag (
BGE 99 Ia 592
f.;
BGE 97 I 265
).
Nach herrschender Lehre steht Drittpersonen im Steuerverfahren kein Beschwerderecht zu, auch wenn sie sich dem Steuerpflichtigen gegenüber verpflichtet haben, eine geschuldete Steuer zu entrichten (GRUBER, Handkommentar zum bernischen Gesetz über die direkten Staats- und Gemeindesteuern, Bern 1975, S. 213 Ziff. 1, 221/2 Ziff. 1; GRÜNINGER/STUDER, Kommentar zum Basler Steuergesetz, Basel 1970, S. 99; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Band IV, N. 21 zu § 160; KÄNZIG, Wehrsteuer, Ergänzungsband, 2. Aufl. Basel 1972, N. 5 zu Art. 99). Dies muss erst recht zur Verneinung der Legitimation im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren führen. Die Beschwerdebefugnis steht nur dem durch eine Verfügung direkt benachteiligten Steuerpflichtigen zu.
Im vorliegenden Fall wird Frau Y. durch den Entscheid der Rekurskommission nicht persönlich in ihrem Rechtsbereich betroffen. Bei Gutheissung der Beschwerde wäre die Erbschaftssteuer für sie amtlich sogar auf einen höheren Betrag festzusetzen. Frau Y. würde dann nicht nur für den ihr gemäss Testament verbliebenen Viertel, sondern für den ihr gemäss Vergleich zukommenden hälftigen Anteil an der Hinterlassenschaft zur Steuer herangezogen. Ihr Interesse an der Beschwerdeführung beruht indessen darauf, dass sie auf Grund des erwähnten Vergleichs intern für die gesamte steuerliche Belastung des Nachlasses zur Hälfte aufkommen muss, dass sie also insgesamt besser fährt, wenn ein grösserer Teil des Nachlasses
BGE 105 Ia 54 S. 58
bei ihr (zu niedrigerem Steuersatz) und ein kleinerer bei Frau Z. (zu höherem Satz) veranlagt wird. Durch die angefochtene Veranlagung wird somit nur Frau Z. direkt benachteiligt, indem ihr weit mehr als die Hälfte des steuerpflichtigen Rücklasses (in der korrigierten Veranlagung etwa 64%) zugerechnet wird. Nur sie ist demnach zur staatsrechtlichen Beschwerde befugt. Indem Frau Y. zusammen mit Frau Z. Beschwerde geführt hat, verzichtet sie lediglich sinngemäss darauf, nach einer allfälligen Gutheissung der Beschwerde und Neuveranlagung durch die zuständige kantonale Instanz die Einrede der reformatio in peius zu erheben. Auf die Beschwerde von Frau Y. ist daher nicht einzutreten.
2.
Es ist unbestritten, dass bei einer in der Art des solothurnischen Rechtes ausgestalteten Erbschaftssteuer grundsätzlich auf den Rechtszustand abzustellen ist, wie für bei Eröffnung des Erbganges kraft Gesetzes oder kraft Verfügung von Todes wegen gegeben war (MONTEIL, Das Objekt der Erbschafts- und Schenkungssteuern in der Schweiz, S. 37; SIEVEKING, La nature et l'objet de l'impôt sur les successions en Suisse, S. 31; GUENG, Zum neuen st. gallischen Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht, in: Steuer-Revue 1971, S. 154;
BGE 73 I 19
). Indessen sind Lehre und Rechtsprechung dazu gelangt, Ausnahmen zuzulassen, und zwar dann, wenn über die erbrechtliche Lage eine ernstliche Ungewissheit besteht. In solchen Fällen ist die durch richterliches Urteil oder von den Beteiligten in guten Treuen durch Vergleich getroffene Lösung massgebend. Veröffentlichte Urteile des Bundesgerichtes zu dieser Frage bestehen allerdings nicht. Der im angefochtenen Entscheid erwähnte
BGE 73 I 19
bezieht sich nicht auf den Fall der Beilegung eines Erbenstreites durch Vergleich, weshalb ihm hier keine wesentliche Bedeutung zukommen kann. Die Rekurskommission des Kantons Solothurn hat in einem Entscheid aus dem Jahre 1964 (Bericht der Solothurnischen Kantonalen Rekurskommission in Steuersachen, 1964, Nr. 22, S. 107) ausgeführt, nach ihrer ständigen Praxis sei es "nur bei zweifelhafter Erbrechtslage nötig und erlaubt, die in der Erbteilung oder durch gerichtliches Urteil getroffene Lösung für die Steuerfestsetzung zu Rate zu ziehen" (vgl. auch nicht veröffentlichtes Urteil Sch. vom 15. Februar 1978, in dem diese solothurnische Praxis gebilligt wurde). In die nämliche Richtung geht die zürcherische Rechtsprechung, die in einer Reihe von
BGE 105 Ia 54 S. 59
Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes wie folgt umschrieben wird:
"Auf Verträge der Erben unter sich oder mit Dritten kommt grundsätzlich erbschaftssteuerrechtlich nichts an, es sei denn, hiedurch würden ernsthafte tatsächliche oder rechtliche Zweifel über Bestand und Umfang des Erbanspruches beseitigt und derart ein Zivilrechtsstreit vermieden oder erledigt."(ZBl. 75/1974 S. 269 und 68/1967 S. 414 mit Hinweisen.)
Von den bereits genannten Autoren spricht sich SIEVEKING unter Verweisung auf die Rechtsprechung mehrerer weiterer Kantone für eine grosszügige Berücksichtigung von Vergleichen aus ("En outre, la convention de partage peut se révéler nécessaire lorsqu'il s'agit d'interpréter un testament peu clair et d'éviter un procès. Dans ce cas, il va de soi que les parts successorales fixées par un tel arrangement constituent les montants imposables"; a.a.O. S. 33). Auch MONTEIL (a.a.O. S. 37) und GUENG (a.a.O. S. 155) lassen Ausnahmen vom Grundsatz der Massgeblichkeit der unmittelbar nach dem Todesfall bestehenden erbrechtlichen Lage zu. Auf Grund dieses Standes von Lehre und Rechtsprechung ist zu prüfen, ob die Rekurskommission den zwischen den Beschwerdeführerinnen geschlossenen Vergleich ohne Willkür unberücksichtigt lassen durfte.
3.
a) Die Rekurskommission hat einlässlich dargelegt, dass und weshalb ein vor oder nach Klageanhebung zwischen zwei Erbschaftsprätendenten geschlossener Vergleich für die Steuerbehörden nicht in gleichem Masse verbindlich sei wie ein gerichtliches Urteil. Ihre Auffassung ist zutreffend, jedoch für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites nicht von entscheidender Bedeutung. Wie sich aus den vorstehend wiedergegebenen Entscheidungen ergibt, geht es nicht darum, ob die zivilrechtliche Lage durch Urteil oder durch Vergleich abgeändert wurde, sondern einzig darum, ob ernsthafte tatsächliche oder rechtliche Zweifel über Bestand und Umfang der beidseitigen Erbansprüche vorlagen, die durch eine Verständigung beseitigt wurden. Legt man dem Urteilsbegriff eine so grosse Bedeutung zu, wie dies die Rekurskommission im angefochtenen Entscheid getan hat, so würde man in Erbschaftsstreitigkeiten die Beteiligten praktisch zwingen, es mit Rücksicht auf das Steuerrecht in jedem Fall auf einen Prozess ankommen zu lassen und diesen bis zur rechtskräftigen Entscheidung durchzufechten oder zum mindesten einen Vergleich immer erst vor
BGE 105 Ia 54 S. 60
Gericht zu schliessen. Es leuchtet ein, dass es nicht Aufgabe des Steuerrechts sein kann, solches Vorgehen zu fördern. Das Steuerrecht hat vielmehr nach seiner Natur den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Hatten die Beteiligten Anlass zu Zweifeln an der Rechtslage und lag es ihnen daran, einen Rechtsstreit zu vermeiden oder rasch zu beendigen, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb steuerrechtlich nicht auf das durch den Vergleich geschaffene Ergebnis abgestellt werden sollte, jedenfalls dann, wenn der Vergleich keine Machenschaft darstellt, durch die der Steueranspruch des Staates verkürzt werden soll. Dem Gebot der Steuergerechtigkeit wird damit besser entsprochen als beim Abstellen auf eine Rechtslage, die zwar möglicherweise dem Wortlaut der Verfügung von Todes wegen besser entspräche, aber aus beachtenswerten Gründen nie zur wirtschaftlichen Realität geworden ist. Bei der Berücksichtigung erbrechtlicher Vergleiche einen strengen Massstab anzulegen, rechtfertigt sich auch deshalb nicht, weil die Beteiligten in aller Regel dem mutmasslichen Willen des Erblassers und damit dem Sinn seiner Verfügungen dann am besten gerecht werden, wenn sie Rechtsstreitigkeiten über den Nachlass vermeiden oder so rasch als möglich beendigen. Daraus folgt, dass es nicht Sache der Steuerbehörden und der Verwaltungsgerichte sein kann, im Nachhinein in der Art eines Zivilrichters zu prüfen, ob die zwischen den Erbansprechern vergleichsweise getroffene Regelung den materiellen Prozessaussichten genau entsprochen habe oder nicht. Zur Berücksichtigung des Vergleiches muss vielmehr genügen, dass aus der Sicht der Parteien Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit oder der Tragweite einer Verfügung von Todes wegen oder hinsichtlich der auszurechnenden Zuwendungen unter Lebenden bestehen konnten und dass die getroffene Verständigung weder ungewöhnlich noch offensichtlich gegen den Fiskus gerichtet war. In diesem Sinne ist die angeführte Rechtsprechung kantonaler Instanzen zu verdeutlichen.
b) Die Rekurskommission hat im einzelnen ausgeführt, dass und weshalb nach ihrem Dafürhalten ernsthafte Zweifel über die Gültigkeit des Testamentes des Erblassers X. nicht bestehen konnten. Sie hat dargelegt, Frau Y. habe offenbar selbst nicht an die behauptete Handlungsunfähigkeit des Erblassers geglaubt, da sie sonst die Ungültigerklärung des ganzen Testamentes und nicht nur der Frau Z. begünstigenden Teile hätte
BGE 105 Ia 54 S. 61
beantragen müssen; ferner habe sie für die behauptete Erbunwürdigkeit von Frau Z. keinerlei Beweise angeboten. Diese Erwägungen sind an und für sich gewiss nicht willkürlich; indessen tragen sie der steuerrechtlichen Situation, wie sie vorstehend dargelegt worden ist, nicht hinlänglich Rechnung. Es kann nicht darum gehen, Jahre später zu erwägen, ob die Chancen der auf Ungültigkeit eines Testamentes oder auf Erbunwürdigkeit klagenden Partei grösser oder kleiner gewesen wären, sondern die Frage, ob sie Anlass zu ernstlichen Zweifeln und zu deren Beseitigung auf dem Wege eines Vergleiches gehabt hätte, ist auf Grund der Sachlage zu beurteilen, wie sie sich den Parteien im Zeitpunkt des Streites darbot. Unter diesem Gesichtswinkel kommt einigen Punkten Gewicht zu, die von der Rekurskommission nicht oder kaum gewürdigt worden sind.
aa) Da die Rekurskommission dafür hielt, Frau Y. habe ernstlich gar nicht an die behauptete Testierunfähigkeit ihres verstorbenen Bruders oder an die Erbunwürdigkeit der Frau Z. glauben können, so hätte sich die Frage aufgedrängt, ob dieser Schluss nicht durch das Verhalten von Frau Z. widerlegt werde. Wenn sie nicht den geringsten Anlass gehabt hätte, an einem für sie günstigen Prozessausgang zu zweifeln, hätte sie wohl kaum leichthin zugunsten der mit ihr damals offensichtlich verfeindeten Frau Y. auf einen Viertel einer Millionenerbschaft verzichtet. Dass Frau Z. schon damals durch einen Anwalt vertreten war, verleiht diesem Argument erhöhte Bedeutung.
bb) Aus den Notizen über die vor dem Friedensrichter aufgestellten Behauptungen geht hervor, dass Frau Y. gewillt war, im Prozess das Privatleben ihres verstorbenen Bruders und vor allem dasjenige von Frau Z. mit Einschluss des intimen Bereichs aufzurollen. Der Wunsch, ein solches Verfahren - gleichgültig, welchen Ausgang es schliesslich nehme - unter Inkaufnahme eines finanziellen Opfers zu vermeiden, ist begründet und darf steuerrechtlich nicht einfach unbeachtet bleiben. Jedenfalls darf bei einer derartigen Situation an die objektive Berechtigung der Zweifel an der Haltbarkeit der testamentarisch geschaffenen Rechtslage kein strenger Massstab angelegt werden. Es besteht kein ausreichender Anlass, einem vorwiegend psychologisch begründeten, rein juristisch gesehen für die betreffende Partei ungünstigen Vergleich die steuerrechtliche Anerkennung zu versagen.
BGE 105 Ia 54 S. 62
cc) Aus den erwähnten Notizen ist ferner ersichtlich, dass im Laufe der Auseinandersetzung, die dem Vergleich voranging die gesetzliche Erbin (Frau Y.) der Frau Z. "aktenmässig belegte Verstösse gegen ihre Offenbarungspflicht" gemäss
Art. 610 Abs. 2 ZGB
vorwarf. Der Anwalt von Frau Y. drohte Frau Z. sogar mit strafrechtlicher Verfolgung wegen Betrugs. Schon auf Grund dieser Vorgänge allein, die bei der Rekurskommission keine Beachtung fanden, ist eine ernstliche Ungewissheit über die erbrechtliche Lage kaum mehr von der Hand zu weisen.
dd) Nicht behandelt hat die Rekurskommission sodann die wesentliche Frage, auf welchem Rechtsgrund der Erwerb des zweiten Viertels des Nachlasses durch Frau Y. beruhen könnte, wenn dieser Rechtsgrund nicht im Erbrecht erblickt wird. Da dieser Viertel Frau Y. ohne materielle Gegenleistung zugefallen ist, käme nur Schenkung in Betracht. Es besteht indessen kein Anhaltspunkt dafür, dass Frau Z. der Frau Y. einen Viertel des Nachlasses habe schenken wollen, insbesondere nicht wenige Tage nach der Sühneverhandlung, an der sie von deren Anwalt aufs schärfste angegriffen worden war (vgl. zur Frage der Erforderlichkeit des Schenkungswillens:
BGE 102 Ia 425
f. und
BGE 98 Ia 263
E. 3). Fällt aber eine Schenkung ausser Betracht, so muss es sich auch beim zweiten Viertel des Nachlasses, der über den Pflichtteil hinaus an Frau Y. fiel, rechtlich um einen Erwerb unmittelbar aus dem Vermögen des Erblassers oder in der Terminologie des solothurnischen Erbschaftssteuergesetzes um einen Teil der "reinen Habschaft" gehandelt haben. Dieser ist bei ihr und nicht bei Frau Z. zu versteuern.
ee) Die Rekurskommission nimmt ungeachtet ihrer Auffassung, die Beteiligten hätten keine ernsthaften Zweifel an der Gültigkeit des Testamentes hegen können, nicht den Standpunkt ein, die beiden Beschwerdeführerinnen hätten bewusst den Fiskus benachteiligen wollen und etwa deshalb das Verfahren vor dem Friedensrichter als blosses Scheingefecht inszeniert. Darin liegt ein innerer Widerspruch; denn eine dritte Möglichkeit ist nicht erkennbar.
Die Rekurskommission hat somit wesentliche Gesichtspunkte ausser Betracht gelassen. Werden diese gesamthaft gewürdigt, so drängt sich die steuerrechtliche Berücksichtigung des zwischen den beiden Beschwerdeführerinnen geschlossenen Vergleichs auf. Die abweichende Lösung der Rekurskommission
BGE 105 Ia 54 S. 63
verletzt, so betrachtet, in stossender Weise den Gerechtigkeitsgedanken (
BGE 102 Ia 3
/4;
100 Ia 6
). Das angefochtene Urteil und die auf ihm beruhende Steuerrechnung halten daher vor
Art. 4 BV
nicht stand und sind demgemäss aufzuheben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Auf die Beschwerde von Frau Y. wird nicht eingetreten. Die Beschwerde von Frau Z. wird gutgeheissen, und es werden demgemäss das Urteil der Kantonalen Rekurskommission Solothurn vom 14. Juni 1976 i.S. Z. sowie die gestützt darauf ergangene Rechnung der Amtsschreiberei G. aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
52a2b5db-565d-461a-b3cc-41f4a7d71cbb | Urteilskopf
104 II 184
30. Arrêt de la Ire Cour civile du 11 juillet 1978 dans la cause Maillard contre Guye et Gutknecht | Regeste
Art. 50 OR
. Solidarische Haftung neunjähriger Kinder, die mit Pfeil und Bogen spielen (E. 2). Schadenersatzbemessung unter Berücksichtung des Alters der Kinder und der wirtschaftlichen Umstände (E. 3).
Ersetzung der Heilungskosten.
Art. 96 VVG
ist auf die im Sinne von
Art. 1 KUVG
anerkannten Krankenkassen nicht anwendbar; Anspruchskonkurrenz des Geschädigten gemäss
Art. 51 OR
gegenüber dem haftpflichtigen Dritten und der Krankenkasse (E. 4).
Genugtuung (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 184
BGE 104 II 184 S. 184
Le 4 mars 1972, les enfants Stéphane Guye, André Maillard et Jean-Fred Gutknecht, âgés tous trois de neuf ans, jouaient avec un arc, sommairement confectionné d'un bâton et d'une ficelle, et une flèche constituée par la baguette d'un petit drapeau. Leur jeu consistait à atteindre avec la flèche l'un des
BGE 104 II 184 S. 185
participants qui, une fois touché, tirait à son tour. C'est ainsi que Maillard, atteint par Gutknecht, est entré en possession de l'arc et a visé Guye, qui s'écartait de lui. Alors qu'il se trouvait à environ 3 m, Guye s'est arrêté et retourné. Il a reçu à ce moment, dans l'oeil droit, la flèche décochée par Maillard. Il a totalement perdu l'usage de cet oeil.
Le 31 janvier 1973, le Président de la Chambre des mineurs a adressé une réprimande à André Maillard.
Stéphane Guye a ouvert action contre André Maillard en paiement, avec intérêt, de 142'823 fr. à titre de dommages-intérêts - prétention ramenée par la suite à 105'573 fr. - et de 20'000 fr. à titre de réparation morale, sous réserve d'une revision du jugement au sens de l'
art. 46 al. 2 CO
.
Le défendeur a conclu à libération et a appelé en cause Jean-Fred Gutknecht.
Ce dernier a proposé le rejet des conclusions dirigées contre lui.
Par jugement du 13 mars 1978, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a admis l'action du demandeur contre le défendeur et rejeté l'action de celui-ci contre l'appelé en cause. Elle a condamné le défendeur à payer au demandeur 125'573 fr. en capital.
Le défendeur recourt en réforme au Tribunal fédéral en concluant à la réduction de la somme qu'il doit au demandeur à 82'013 fr. et au remboursement de la moitié de cette somme par l'appelé en cause.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La Cour civile vaudoise estime que le défendeur a commis une faute évidente en tirant à courte distance contre le demandeur qui lui faisait face, et que cette faute est seule à l'origine des lésions subies, ce qui exonère l'appelé en cause; quant au demandeur, on peut tout au plus voir dans son attitude l'acceptation d'un risque, mais non un comportement fautif contribuant à l'apparition du dommage ou à son aggravation. Considérant d'une part le discernement restreint du défendeur, dû à son jeune âge, et l'acceptation des risques du jeu par le lésé, d'autre part la situation économique des parties, et notamment l'existence d'une assurance couvrant la responsabilité
BGE 104 II 184 S. 186
civile du défendeur, les premiers juges admettent que "d'évidents motifs d'équité commandent... d'astreindre le défendeur à la pleine réparation du dommage", ainsi que le permet l'
art. 54 al. 1 CO
.
Le défendeur ne conteste pas le principe de sa responsabilité civile à l'égard du demandeur, mais il estime qu'il n'a pas à réparer plus des 2/3, éventuellement des 3/4 du dommage. On doit en effet reprocher au demandeur, selon lui, "d'avoir accepté le risque que comporte la participation à un jeu reconnu dangereux", ainsi que "de s'être retourné et d'avoir présenté son visage à découvert à une distance de 3 mètres, alors qu'il savait que le défendeur Maillard allait chercher à l'atteindre et que l'imprécision de l'arme devait être évidente pour lui autant que pour le recourant". Le défendeur invoque d'autre part un droit de recours contre l'appelé en cause, à concurrence de la moitié du montant qu'il devra verser au demandeur. Il fait valoir que les trois enfants s'adonnaient ensemble à un jeu dangereux et qu'ils sont dès lors solidairement responsables, selon l'
art. 50 CO
, du dommage survenu au cours de ce jeu.
2.
Le Tribunal fédéral a jugé récemment (
ATF 103 II 27
s. consid. 4), dans le cadre de la responsabilité fondée sur l'
art. 333 CC
, qu'un arc et une flèche du genre de ceux qu'ont utilisés les parties au présent procès devaient être considérés comme un instrument dangereux dans les mains d'enfants de 7 ans. Ainsi que le relève cet arrêt, plusieurs exemples issus de la jurisprudence fédérale et cantonale attestent qu'un arc et une flèche peuvent causer de graves blessures aux yeux.
Agés tous trois de neuf ans, les enfants Guye, Maillard et Gutknecht devaient être conscients de ce risque (cf.
ATF 100 II 332
ss., admettant la capacité délictuelle d'enfants de 9 ans qui jouaient avec des allumettes de bengale;
ATF 70 II 136
ss., concernant la responsabilité d'un enfant de 10 ans qui coupait du bois avec une hache et avait blessé une fillette). Leur jeu était d'autant plus dangereux qu'ils ne visaient pas une cible, mais cherchaient à atteindre l'un de leurs camarades. Même si la règle du jeu voulait qu'ils ne tirent pas trop haut ni de trop près, ils avaient assez de discernement pour réaliser que cette règle risquait d'être oubliée, dans l'excitation du jeu, et qu'elle ne suffisait pas à prévenir un accident.
BGE 104 II 184 S. 187
En participant ensemble à une activité dont ils pouvaient et devaient reconnaître le caractère dangereux, les trois enfants ont commis une faute commune, dont l'importance est certes sensiblement atténuée en raison de leur jeune âge, mais qui engage néanmoins leur responsabilité solidaire selon l'
art. 50 al. 1 CO
, pour le dommage en relation de causalité adéquate avec cette activité (cf.
ATF 100 II 337
consid. 2e,
ATF 79 II 69
ss.,
ATF 71 II 112
,
ATF 57 II 420
). Peu importe que la flèche qui a atteint l'oeil du demandeur ait été tirée par le défendeur seul. Ses deux camarades jouaient au même titre, chacun à leur tour, le rôle de tireur et de cible; aucun n'était un simple spectateur. Par ailleurs, le comportement de leur camarade n'a pas été tel qu'il eût interrompu la relation de causalité entre leur activité commune et le dommage (
ATF 89 II 123
). Le Tribunal cantonal considère, il est vrai, que le défendeur a commis une faute "patente" et qu'en tirant trop haut et trop près, il "n'a pas respecté la règle implicite du jeu". Mais il était conforme à l'expérience de la vie que, dans le feu de l'action, l'un ou l'autre des enfants en vienne à passer outre aux règles de prudence qui s'imposaient, à savoir notamment de laisser une distance suffisante entre la cible et le tireur et d'ajuster le tir de manière à ne pouvoir atteindre que le bas du corps. Si le comportement du défendeur constitue une faute dont on devra tenir compte dans la répartition des dommages-intérêts, elle n'exonère pas les autres participants au jeu de leur responsabilité. C'est donc à tort que les premiers juges admettent que cette faute, "à elle seule... est à l'origine des lésions subies" et qu'elle "exculpe totalement l'appelé en cause".
La responsabilité solidaire des trois enfants ne saurait être exclue, ainsi que l'admet le jugement attaqué, parce que le lésé est non pas un tiers, mais l'un des auteurs de l'acte illicite, "pour qui l'exposition à un danger ne constitue que l'acceptation d'un risque créé délibérément". Cette distinction est sans fondement. Les participants répondent du risque qui leur est imputable à faute à l'égard de toute personne lésée, selon l'
art. 41 CO
; ils en répondent de même selon l'
art. 44 CO
, s'ils sont eux-mêmes victimes de l'entreprise commune. L'acceptation du risque par le lésé n'interrompt pas la relation de causalité adéquate entre le dommage et le comportement des autres responsables. En l'espèce, le défendeur et l'appelé en cause
BGE 104 II 184 S. 188
répondent donc solidairement du dommage subi par le demandeur.
3.
a) Le défendeur a non seulement participé à un jeu dont il devait reconnaître le caractère dangereux, mais il a en outre manqué aux règles de prudence qui s'imposaient dans ce jeu, en tirant sur son camarade alors que celui-ci se trouvait à 3 m seulement de lui et en ne visant pas la partie inférieure du corps, ce qui lui aurait été facile à une distance aussi réduite. Il répond ainsi d'une faute supplémentaire, qui est cependant sensiblement tempérée par son jeune âge.
Le demandeur a lui aussi participé au jeu dangereux. Il en a accepté les risques, qu'il était en mesure d'apprécier. Son comportement constitue donc une faute concomitante qui lui est opposable selon l'
art. 44 al. 1 CO
, mais qui doit également être jugée en fonction de son âge (cf.
ATF 102 II 368
).
Le juge détermine l'étendue de la réparation d'après les circonstances et la gravité de la faute (
art. 43 al. 1 CO
). Fondé sur cette disposition, le Tribunal fédéral opère généralement une réduction des dommages-intérêts, lorsque le responsable est un enfant (
ATF 100 II 337
consid. 3a et les arrêts cités; cf. aussi
ATF 102 II 368
). Mais le juge peut aussi tenir compte, dans le cadre de son pouvoir d'appréciation, des conditions économiques et sociales de chaque partie (DESCHENAUX/ TERCIER, La responsabilité civile, p. 242 ch. 5). En l'espèce, le jugement attaqué constate que le demandeur n'est pas d'un milieu aisé et que ses espérances professionnelles sont relativement restreintes, alors que le défendeur est au bénéfice d'une assurance de la responsabilité civile. Il se justifie dès lors de ne laisser à la charge du demandeur, eu égard à la faute concurrente dont il répond, que le quart du dommage qu'il a subi, les trois autres quarts étant mis à la charge du défendeur et de l'appelé en cause.
b) L'appelé en cause étant solidairement responsable du dommage avec le défendeur, l'action récursoire de celui-ci est en principe fondée. La faute de l'appelé en cause, consistant dans la participation au jeu dangereux, est également atténuée en raison de son jeune âge, et il est lui aussi couvert contre les conséquences de sa responsabilité civile. Le défendeur répond d'une faute supplémentaire, ainsi qu'on l'a vu, et son comportement irréfléchi et imprudent est la cause directe du dommage.
BGE 104 II 184 S. 189
Il convient dès lors de n'admettre l'action récursoire du défendeur qu'à concurrence d'un tiers de la part du dommage mise à sa charge, l'appelé en cause supportant ainsi un quart du préjudice subi par le demandeur.
4.
Quant au montant des dommages-intérêts, le défendeur ne conteste pas l'estimation de l'atteinte à l'avenir économique. Il considère en revanche qu'il n'a pas à payer au demandeur les frais médicaux déjà assumés par la caisse d'assurance-maladie auprès de laquelle celui-ci est assuré (2'303 fr.), ni les frais médicaux futurs retenus à concurrence de 3'000 fr. par le Tribunal cantonal. Il fait valoir que les
art. 26 et 100 LAMA
excluent la possibilité, pour la personne affiliée à une caisse-maladie soumise à ces dispositions, de s'enrichir grâce à une double assurance ou à un cumul d'actions, et que le demandeur n'a dès lors plus qualité pour agir en ce qui concerne les frais médicaux. Le demandeur admet le bien-fondé de ces remarques dans la mesure où la caisse-maladie a déjà couvert le dommage, soit à concurrence de 2'303 fr.
a) Le Tribunal cantonal considère à tort en l'espèce que "le cumul d'une indemnité versée par une assurance en responsabilité civile et des avantages découlant d'une assurance de personnes est... possible". L'
art. 96 LCA
, auquel il se réfère ainsi implicitement, n'est en effet pas applicable aux caisses-maladie reconnues, au sens de l'
art. 1er LAMA
(
ATF 81 II 167
; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht 1, 4e éd., p. 403; DESCHENAUX/TERCIER, op.cit., p. 292). Celles-ci sont soumises à l'
art. 26 al. 1 LAMA
, aux termes duquel l'assurance ne doit pas être une source de gain pour les assurés, qui disposent d'un simple concours d'actions contre le tiers responsable et leur caisse, selon l'
art. 51 CO
. En l'occurrence, la caisse-maladie à laquelle est affilié le demandeur a réglé les frais médicaux par 2'303 fr. et annoncé son intention de recourir contre l'Union Suisse, qui assure la responsabilité civile du défendeur. Le demandeur n'a ainsi plus d'action contre ce dernier (cf.
ATF 63 II 149
consid. 4), et le jugement attaqué doit être réformé dans la mesure où il lui a alloué la somme de 2'303 fr.
b) Le recours est en revanche mal fondé en ce qui concerne les frais médicaux futurs. Le demandeur n'a reçu de la caisse-maladie aucun paiement de nature à libérer le défendeur à son égard, et on ignore si et dans quelle mesure cette caisse assumera
BGE 104 II 184 S. 190
les frais en question. Le défendeur en est donc responsable, le montant de 3'000 fr. retenu par les premiers juges n'étant pas contesté.
c) Compte tenu de la somme de 115'020 fr., également incontestée, allouée au demandeur pour l'atteinte portée à son avenir économique, le dommage s'élève à 118'020 fr. Le demandeur a droit aux trois quarts de cette somme, soit à 88'515 fr.
5.
Le défendeur ne critique pas le montant de l'indemnité pour tort moral retenu par les premiers juges, soit 8'000 fr., mais il demande la réduction de cette indemnité dans la même proportion et pour les mêmes motifs que les dommages-intérêts.
La détermination de l'indemnité pour tort moral obéit toutefois à ses propres critères. En l'espèce, le tort subi par le demandeur est grave: la perte d'un oeil représente un handicap dont il souffrira durant toute sa vie, et il subit en outre, selon les constatations du jugement attaqué, "une atteinte esthétique très visible". Compte tenu des fautes respectives du défendeur et du demandeur, atténuées pour chacun d'eux en raison de leur jeune âge, la somme de 8'000 fr. allouée au demandeur par les premiers juges apparaît équitable, et le jugement attaqué doit être confirmé sur ce point.
6.
Le défendeur doit ainsi payer au demandeur, à titre de dommages-intérêts, 88'515 fr., valeur échue, et, à titre de réparation du tort moral, 8'000 fr. avec intérêt à 5% dès le 4 mars 1972, jour de l'accident; le taux et le point de départ de l'intérêt ne sont pas contestés.
L'appelé en cause remboursera au défendeur le tiers de ces montants, soit 32'172 fr. ( 1/3 de 96'515 fr.), avec intérêt à 5% dès le 4 mars 1972 sur 2'666 fr. (1/3 de 8'000 fr.). | public_law | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52a4839e-9141-4782-a3c6-bfeb4fc9121b | Urteilskopf
97 I 293
42. Auszug aus dem Urteil vom 26. März 1971 i.S. Chemische Fabrik Schweizerhall und Mitbeteiligte gegen Wälchli und EVD. | Regeste
Eröffnung eines Gesamtfuttermittelkontingentes.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1 a). Beschwerdelegitimation (Erw. 1 b).
2. Die statutarischen Bestimmungen über die Zuteilung der Kontingente sind so auszulegen, dass die verfassungsmässig gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit nicht weiter eingeschränkt wird, als dies die Erreichung der Ziele, welche der Gesetzgeber mit der Kontingentierung der Futtermittelimporte anstrebt, erforderlich macht (Erw. 2).
3. Voraussetzungen, damit ein Einzelkontingent eingeräumt werden kann (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 97 I 293 S. 294
A.-
Gemäss befristetem Bundesbeschluss vom 17. Dezember 1952 (AS 1953, 1239), letztmals revidiert und verlängert am 29. September 1966 (AS 1967, 32), besteht unter der Bezeichnung "Schweizerische Genossenschaft für Getreide- und Futtermittel (GGF)" eine vom Bundesrat gegründete Genossenschaft des öffentlichen Rechtes im Sinne von
Art. 829 OR
. Mitglieder der GGF sind Importeure von Futtermitteln, Stroh und Streue sowie von Waren, bei deren Verarbeitung Futtermittel anfallen können. Aufgaben und Tätigkeit der GGF, der das alleinige Einfuhrrecht von Futtermitteln zusteht, werden im Bundesbeschluss (Art. 1 Abs. 2, 3 und 4) festgelegt.
Gestützt auf den Bundesbeschluss von 1952 erging am 18. Dezember 1953 der Bundesratsbeschluss über die Schweizerische Genossenschaft für Getreide und Futtermittel (AS 1953, 1243). Dieser bestimmt in Art. 3, dass Organisation und Tätigkeit der Genossenschaft sich nach deren Statuten richten. Die Statuten, welche im Laufe der Jahre verschiedentlich abgeändert und vom Bundesrat genehmigt wurden, sehen in Art. 4 vor, dass als Mitglieder nur Personen und Firmen aufgenommen werden können, die in der Schweiz niedergelassen, im Handelsregister eingetragen und in der Lage und willens sind, Waren regelmässig zu importieren. Verlangt wird ausserdem ein einwandfreier Ruf. Das Mitglied muss Gewähr für die Beachtung der mit der Erteilung von Kontingenten auferlegten Bedingungen bieten. Schliesslich muss es die Voraussetzungen für die Eröffnung von Einzelkontingenten oder befristeten Ermächtigungen zur Verzollung oder Einfuhrbewilligungen nach Art. 8 der Statuten erfüllen. Einzelkontingente können, sofern das EVD eine Kontingentierung verfügt, an Personen und Firmen eingeräumt werden:
a) wenn der Gesuchsteller Mitglied der GGF ist;
b) wenn der Gesuchsteller sich über ausreichende berufliche Tätigkeit im betreffenden Geschäftszweig ausweist, die nötigen Kenntnisse für die Leitung eines derartigen Geschäftes besitzt
BGE 97 I 293 S. 295
und beabsichtigt, dieses Geschäft als wesentlichen Bestandteil seiner Tätigkeit tatsächlich und in regulärer Weise zu betreiben;
c) wenn der Gesuchsteller über die notwendige Organisation und über die erforderlichen finanziellen Mittel zur Durchführung von Importgeschäften, Pflichtbezügen und der Vorratshaltung verfügt."
Neue Einzelkontingente werden, selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, u.a. dann nicht erteilt, wenn durch ihre allgemeine Gewährung die bisherige Struktur des betreffenden Wirtschaftszweiges erheblich verändert würde, namentlich wenn dadurch die bisherigen Handelsstufen aufgelöst würden (Art. 5 Abs. 2 lit. a der Statuten). Das EVD behält sich vor, die durch die Handelspolitik, den Schutz der nationalen Produktion und die Vorratshaltung gebotenen allgemeinen Weisungen für die Erteilung, Neuordnung und Erhöhung von Einzelkontingenten zu erlassen (Art. 5 Abs. 3 der Statuten). Die Erteilung der Einzelkontingente erfolgt im übrigen durch den Vorstand der GGF.
B.-
Adolf Wälchli führt seit 1938 in Zürich eine Importagentur für Futtermittel. Daneben befasst er sich mit Getreidehandel. Er ist Mitglied der GGF, besitzt jedoch kein Einfuhrkontingent.
Nachdem seine wiederholten Begehren um Kontingentserteilung von der GGF und dem EVD abschlägig beschieden worden waren, stellte Wälchli am 28. Oktober 1968 erneut ein Gesuch um Kontingentserteilung, das die GGF am 18. November 1969 abwies. Die dagegen eingereichte Beschwerde, in welcher Wälchli die Zusicherung abgab, er werde die Tätigkeit als Importagent aufgeben, wenn ihm ein Einfuhrkontingent zugeteilt werde, hiess das EVD am 5. Oktober 1970 teilweise gut. Es eröffnete Wälchli, der ein Kontingent von 5000 Tonnen verlangt hatte, ein solches von 2500 Tonnen jährlich.
C.-
Gegen diesen Entscheid reichen die Chemische Fabrik Schweizerhall, die Fuga AG, Luzern, die André & Cie SA, Lausanne, und die Blattmann & Co. als Kontingentsinhaber der GGF getrennte, aber hinsichtlich Beschwerdebegehren und Begründung gleichlautende Verwaltungsgerichtsbeschwerden ein mit dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und das Gesuch der Firma Wälchli um Zuteilung eines Gesamtfuttermittelkontingentes abzuweisen oder die Sache zu neuer Entscheidung in diesem Sinn an die Beschwerdegegnerin
BGE 97 I 293 S. 296
zurückzuweisen. Sie rügen die Verletzung der GGF-Statuten und damit von Bundesrecht; ausserdem beantragen sie den Beizug verschiedener Beweismittel.
D.-
Die Vorinstanz und Adolf Wälchli beantragen Nichteintreten auf die Beschwerden, da sie den Beschwerdeführern die Legitimation zur Beschwerdeführung bestreiten; eventuell seien die Beschwerden abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid des EVD, in welchem dem Begehren um Kontingentserteilung teilweise entsprochen wird.
a) Das Bundesgericht beurteilt nach Massgabe von
Art. 97 Abs. 1 OG
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwG; als solche gelten Anordnungen der Behörden, im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen.
Der angefochtene Entscheid zählt nach
Art. 98 lit. b OG
zu derartigen Verfügungen, denn die GGF ist eine Genossenschaft des öffentlichen Rechtes nach
Art. 829 OR
, für die das öffentliche Recht des Bundes massgebend ist (vgl. dazu im allgemeinen A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 153 ff.). Sie hat Aufgaben zu erfüllen, die öffentlich-rechtlicher Natur sind. Die darauf bezügliche Ordnung könnte vom Bund direkt geschaffen und die zu erfüllenden Aufgaben durch bundeseigene Behörden besorgt werden. Es waren Erwägungen handelspolitischer und technischer Zweckmässigkeit, welche die Eidgenossenschaft bewogen, mit der Durchführung dieser Aufgaben eine öffentlich-rechtliche Körperschaft zu betrauen und die Normierung wichtiger Durchführungsfragen deren - allerdings durch ein Eingriffsrecht des EVD beschränkten - autonomen Regelung durch die Statuten zu überlassen. Obwohl diese als autonomes Recht des Verbandes erscheinen, handelt es sich in Wirklichkeit bei den in ihnen enthaltenen Normen um auf dem Wege der Delegation geschaffenes Bundesrecht, mindestens soweit es sich um die Erfüllung der der GGF übertragenen öffentlichen Aufgaben handelt; dazu gehören auch die Bestimmungen über die Erteilung und Verweigerung von Futtermittelimportkontingenten. Sie gehören daher zum öffentlichen Recht des Bundes
BGE 97 I 293 S. 297
(F. GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 134; vgl. auch
BGE 95 I 339
Erw. 1).
b) Die Beschwerde gegen eine, kraft öffentlichen Rechts des Bundes erlassene Verfügung des EVD nach
Art. 98 lit. b OG
ist jedoch nur zulässig, sofern der angefochtene Entscheid unter keine der in
Art. 99 - 102 OG
aufgezählten Ausnahmen fällt. Dies ist nicht der Fall. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des EVD, der die Statuten der GGF auslegt und auf den Einzelfall anwendet, ist mithin zulässig.
c) Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach
Art. 103 lit. a OG
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Kontingentserteilung beschwert, da die ihnen zugeteilten Kontingente in der Folge gekürzt werden müssen. Nicht wesentlich ist, dass eine absolute Kürzung der zugeteilten Mengen nicht eintreten wird, weil der zunehmende Bedarf an Futtermitteln eine grössere Ausnützung des Kontingentes erlauben werde; wenn auch die zu erwartende Kürzung des Kontingentes nur von geringem Umfang sein wird, kann sie sich doch wirtschaftlich nachteilig auf die bisherigen Kontingentsinhaber auswirken. Die Beschwerdeführer haben deshalb ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides; sie sind daher zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert. Dabei kann nicht massgebend sein, dass - wie das EVD befürchtet und zum Anlass seines Nichteintretensantrages nimmt - die Zahl der Beschwerdeberechtigten damit sehr ansteigen kann. Hingegen sind die übrigen Mitglieder der GGF keine Beteiligten nach
Art. 110 Abs. 1 OG
.
Da im übrigen die prozessualen Erfordernisse (
Art. 106 und
Art. 108 OG
) erfüllt sind, ist auf die Beschwerden einzutreten. Diese lauten nach Begehren und Begründung gleich; sie können daher - dem Antrag der Beschwerdeführer entsprechend - in einem einzigen Verfahren beurteilt werden.
2.
Der GGF sind von Bund bestimmte Aufgaben im Bereiche der Futtermitteleinfuhr und des Futtermittelhandels ganz allgemein zur Erreichung aussenhandelspolitischer und landwirtschaftlicher Zwecksetzungen übertragen worden. Die Einfuhr von Futtermitteln ist zurzeit teils kontingentiert, teils ist sie frei. Futtermittel, deren Einfuhr kontingentiert ist, dürfen nur von Importeuren eingeführt werden, denen die GGF ein
BGE 97 I 293 S. 298
Kontingent zugeteilt hat. Nichtkontingentierte Futtermittel dürfen nach Art. 8 der Statuten der GGF auch Importeure einführen, die über kein Kontingent verfügen; immer aber müssen sie Mitglied der GGF sein. Wälchli ist unbestrittenermassen zurzeit Mitglied der GGF.
a) Diese vom Bund mit dem Bundesbeschluss vom 17. Dezember 1952 geschaffene Ordnung bewirkt eine Einschränkung der verfassungsmässigen Handels- und Gewerbefreiheit auf dem Gebiete der Futtermittelimporte im allgemeinen und ganz besonders soweit es sich um die Einfuhr von kontingentierten Futtermitteln handelt. Die Frage ihrer Verfassungsmässigkeit, namentlich der Verfassungsmässigkeit der von der GGF statutarisch getroffenen Regelung der Importtätigkeit, ist nicht aufgeworfen worden. Ein Anlass, sie zu überprüfen, besteht nicht.
Weder der Bundesbeschluss noch die entsprechende, ihn vorbereitende bundesrätliche Botschaft vom 5. August 1952 erwähnen allerdings ausdrücklich, dass die Zahl der Importeure zu beschränken sei und dass dies dadurch geschehen könne, dass sowohl an die Mitgliedschaft bei der GGF als auch besonders an die Erteilung von Kontingenten strenge Anforderungen gestellt werden. Aber mit der Möglichkeit, Importe zu kontingentieren, nahm der Gesetzgeber auch eine gewisse Beschränkung in der Zahl der zum Import zugelassenen Importeure in Kauf.
Die Tätigkeit der GGF bewegte sich mindestens seit 1948, als sie das Statut einer öffentlich-rechtlichen Genossenschaft erhielt, bereits in diesem, den gesetzgebenden Behörden bekannten Rahmen; es darf deshalb davon ausgegangen werden, dass diese Auswirkung der Kontingentierung in Kauf genommen wurde. Die Kommission des Nationalrates billigte denn auch die Umschreibung der persönlichen Voraussetzungen für die Kontingentserteilung, wie die Statuten der GGF sie vorsehen wollten, und die Räte widersprachen dem nicht (Sten. Bul. NR 1952 S. 628, StR 1952 S. 332). Hingegen war den Eidgenössischen Räten damals die nunmehr in Art. 5 Abs. 2 enthaltene Statutenbestimmung, wonach die Erteilung neuer Kontingente nicht zu einer Umstrukturierung des Importhandels führen dürfe, nicht bekannt. Immerhin darf auch in dieser Hinsicht angenommen werden, dass ein gewisser Schutz des angestammten Handels für gerechtfertigt gehalten wurde (StR S. 331, Votum Kommissionspräsident Schoch). Zudem stammt
BGE 97 I 293 S. 299
die entsprechende Statutenbestimmung aus dem Jahre 1960; sie war also anlässlich der letzten Erneuerung des Beschlusses bekannt.
b) Die Bundesbeschlüsse bestimmen, dass die Einzelkontingente periodisch zu überprüfen und geänderten Verhältnissen anzupassen sind. Daraus ist abzuleiten, dass nicht nur die Überprüfung der Zuteilung an die bisherigen Kontingentsinhaber, sondern - was aus dem Gesetzteswortlaut nicht ganz klar hervorgeht - auch die Zuweisung von neuen Kontingenten an neue Bewerber ermöglicht werden soll.
In den Räten wurde verschiedentlich betont, dass die getroffene Ordnung nicht dazu dienen dürfe, jungen Geschäftsleuten den Erwerb von Kontingenten zu verunmöglichen. Da die Statuten der GGF vorsehen, dass nicht nur die Kontingente bisheriger Kontingentsbesitzer überprüft, sondern auch Kontingente an neue Bewerber erteilt werden können, ist dieser Forderung an sich Genüge getan. Daraus folgt jedoch, dass an die Voraussetzungen für die Erteilung von Kontingenten an neue Bewerber nicht derart strenge Anforderungen gestellt werden dürfen, dass sie praktisch ausgeschlossen wird. Die statutarischen Vorschriften sind so auszulegen, dass die verfassungsmässige Handels- und Gewerbefreiheit nicht weiter eingeschränkt wird, als die Erreichung der Ziele, die sich der Gesetzgeber gesetzt hat, es erforderlich macht (vgl. analog
BGE 96 I 384
mit zahlreichen Hinweisen). Es gilt in dieser Hinsicht der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung (vgl. M. IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd I Nr. 247 S. 142 f.). Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass das EVD allgemeine Weisungen über die Erteilung von Einzelkontingenten erlassen kann. Seine Auslegung der statutarischen Regeln erhält damit ein erhöhtes Gewicht, da es sie jederzeit durch die Erteilung von Weisungen beeinflussen kann. Demgegenüber kommt es weniger auf den autonomen Willen der GGF an; es erübrigt sich daher, die von den Beschwerdeführern angerufenen Versammlungs- und Expertenprotokolle der GGF beizuziehen. Ebenso erweist sich der Beizug früherer, Wälchli betreffender Gesuchsakten und anderer Beschwerdeentscheide als überflüssig.
3.
a) Ein Einzelkontingent ist zu bewilligen, wenn der Gesuchsteller sich über ausreichende berufliche Tätigkeit im betreffenden Geschäftszweig ausweist. Diese Statutenbestimmung verwendet für die Umschreibung der Voraussetzungen
BGE 97 I 293 S. 300
unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Inhalt durch Auslegung zu gewinnen ist. Sie will verhindern, dass Bewerber, die mit dem Futtermittelhandel nicht vertraut sind, Kontingente verlangen, und deshalb eine Gefährdung der traditionellen Handelsfirmen und des Rufes der Branche nach sich ziehen können.
Die Beschwerdeführer berufen sich darauf, die bisherige Praxis sei dahingegangen, als ausreichende Tätigkeit nur eine solche gelten zu lassen, die in einer leitenden Stellung in einer Futtermittel-Importfirma ausgeübt wurde. Wäre die Vorschrift in diesem engen Sinne zu verstehen, hätte es nahe gelegen, diese Voraussetzung direkt in dieser Weise in den Statuten zu umschreiben. Da dies nicht geschah, liegt der Schluss nahe, dass die Vorschrift nicht in diesem engen Sinne gemeint und namentlich der Begriff des Geschäftszweigs weiter zu fassen ist. Es muss als Bedingung für die Kontingentserteilung genügen, dass der Bewerber mit der Abwicklung von Futtermittelimporten vertraut ist und sich in seiner bisherigen Tätigkeit mit solchen befasste. Das trifft auf Adolf Wälchli zu.
Es darf vorausgesetzt werden, dass ein Importagent mit den Eigenheiten des Futtermittelimportes vertraut ist und es ist ebenso vorauszusetzen, dass er auch die Verhältnisse auf dem Inlandmarkt kennt; denn ohne die notwendige Erfahrung kann er seine Agententätigkeit nicht erfolgreich ausüben. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass ein Agent mit weitreichenden Auslandsbeziehungen das Importgeschäft besser kennt als ein Importeur, der sich für den wichtigsten Teil des Importgeschäftes der Mithilfe eines Importagenten bedient. Wälchli ist unbestrittenermassen viele Jahre als Importagent tätig gewesen. Dazu kommt, dass er zum Import nichtkontingentierter Futtermittel berechtigt war. Es ist nicht anzunehmen, dass der Import kontingentierter Futtermittel wesentlich andere Anforderungen an den Importeur stellt als der Import nichtkontingentierter Ware. Die Kontingentierung ist überhaupt kein Wesensmerkmal des Futtermittelimportgeschäfts und dessen gesetzliche Regelung behält ohne Kontingentierung seine Bedeutung, so dass schon erwogen wurde, zwar die GGF bestehen zu lassen, aber die Kontingentierung zu beseitigen (Bundesrat Schaffner, Sten. Bul. NR 1966 S. 462, StR 1966 S. 227).
Sodann macht Adolf Wälchli geltend, und belegt es für das Jahr 1970, dass er auch als Eigenhändler mit kontingentierten Waren gehandelt hat. Allerdings war er dann gezwungen, die
BGE 97 I 293 S. 301
Waren an Kontingentsinhaber zu verkaufen. Mag in diesen Fällen sich das Ausmass seiner Tätigkeit wieder eher einer blossen Agententätigkeit genähert haben, so zeigt dies doch, dass Wälchli offenbar in der Lage ist, solche Importe auf eigene Rechnung zu tätigen.
Auch wenn Wälchli in den letzten Jahren die Agentur nicht mehr persönlich führte, sondern diesen Geschäftszweig durch Angestellte selbständig besorgen liess, und die Tätigkeit als Importagent im Rahmen seiner übrigen kaufmännischen Wirksamkeit nicht mehr sehr ins Gewicht fallen mochte, ja sogar defizitär war, ändert das nichts daran, dass ihm eine ausreichende Tätigkeit und Erfahrung in der Branche nicht abgesprochen werden kann.
Wenn die Vorinstanz daher die Statutenbestimmung in dieser den Gegebenheiten angemessenen Weise ausgelegt hat, so verletzt dies Bundesrecht nicht. Daran ändert nichts, dass damit gegenüber einer früheren restriktiven Praxis eine gewisse Lockerung eintritt.
b) Der Gesuchsteller muss überdies beabsichtigen, das Importgeschäft als wesentlichen Bestandteil seiner gewerbsmässigen Tätigkeit tatsächlich und in regulärer Weise zu betreiben. Hinsichtlich dieser Voraussetzung ist die Behörde im wesentlichen auf die Versicherungen des Gesuchstellers angewiesen.
Die Beschwerdeführer wenden ein, Adolf Wälchli sei 69 Jahre alt und es werde deshalb kaum angenommen werden können, dass er seine Tätigkeit als Importeur dauernd ausüben wolle oder könne. Allein es ist heute nichts Aussergewöhnliches, dass eine kaufmännische Aktivität auch bis ins hohe Alter andauert. Ausserdem macht der Gesuchsteller geltend, er habe einen Sohn, der in seinem Geschäft, also in der Futtermittelbranche, tätig sei. Art. 9 Abs. 2 der Statuten sieht vor, dass bei einer allfälligen Geschäftsübernahme durch einen Nachkommen das Kontingent auf ihn übertragen werden kann. Diese Möglichkeit rechtfertigt es, dass an den Nachweis des Willens des Gesuchstellers, das Geschäft selber zu betreiben, nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen, wenn auch die Möglichkeit nicht auszuschliessen ist, dass der Gesuchsteller das Kontingent begehrte, um sein Geschäft vor einer allfälligen Veräusserung aufzuwerten.
c) Im weitern muss der Gesuchsteller über die notwendige Organisation und über die erforderlichen finanziellen Mittel
BGE 97 I 293 S. 302
zur Durchführung von Importgeschäften, Pflichtbezügen und zur Vorratshaltung verfügen.
Die Beschwerdeführer bestreiten, dass diese Voraussetzungen gegeben seien. Indessen macht die Vorinstanz mit Recht geltend, dass die Erfüllung dieser Bedingung eigentlich erst richtig überprüft werden könne, wenn der Betrieb bereits aufgenommen sei. Einen strikten Nachweis zu verlangen, hiesse, einem neuen Bewerber, der noch kein eigenes Geschäft hat, die Eröffnung eines Betriebes zu verunmöglichen; mit der von den Beschwerdeführern gegebenen Begründung, es sei noch keine entsprechende Organisation vorhanden, könnte ihm jederzeit ein Kontingent verweigert werden.
Wie es sich damit verhalten mag, kann dahingestellt bleiben. Da der Gesuchsteller Adolf Wälchli auch sonst bereits Futtermittelimporte tätigte, ist anzunehmen, dass er auch über die nötige Organisation verfügt, um die kontingentierten Importe durchzuführen und allfällige Pflichtlager zu unterhalten.
d) Schliesslich dürfen trotz Vorhandenseins der persönlichen Voraussetzungen für eine Kontingentsbewilligung neue Kontingente verweigert werden, wenn durch ihre allgemeine Gewährung die bisherige Struktur des betreffenden Wirtschaftszweiges erheblich verändert würde, namentlich wenn dadurch die bisherigen Handelsstufen aufgelöst würden.
Im Laufe der Entwicklung und auf Grund der bestehenden Ordnung haben sich im Futtermittelhandel und im Futtermittelimport verschiedene Handelsstufen herausgebildet, worauf Art. 5 der Statuten Bezug nimmt. Es sind an ihm einmal die sogenannten Ablader beteiligt. Ablader sind - meist ausländische - Grossaufkäufer, die im Ausland grosse Posten bestimmter Futtermittel aufkaufen und sie nachher an die Importeure der verschiedenen Länder verkaufen. Allerdings ist es auch möglich, dass die Importeure sich auf dem ausländischen Markt direkt eindecken und damit die Ablader als Vertragspartner ausschalten. Der Importeur verkauft sodann im Inland die eingeführten Waren an Futtermittelgrossisten, die ihrerseits nicht zum Import zugelassen sind. Mit Ausnahme der Landwirtschaftlichen Genossenschaften, bei denen die Tätigkeit als Importeure mit Kontingent und als Grossisten zusammenfallen können, befassen sich die Importeure regelmässig nur mit dem Import. Der Futtermittelgrossist verkauft sodann die Futtermittel an die Detaillisten weiter. Zwischen dem ausländischen Verkäufer und dem schweizerischen Importeur vermittelt
BGE 97 I 293 S. 303
unter Umständen der Importagent den Vertragsabschluss. Der Importeur ist aber nicht auf die Dienste eines solchen Agenten angewiesen; er kann auch direkt im Ausland einkaufen. In der letzten Zeit tätigten immer mehr Importeure ihre Importe ohne Beizug von Importagenten, so dass deren Tätigkeit je länger je mehr an Bedeutung verliert.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass durch die Erteilung eines Kontingentes an Wälchli allein die gegenwärtige Struktur des Futtermittelimporthandels nicht erheblich berührt wird. Auf eine Gesamtkontingentmenge von 800'000 Tonnen, die auf rund 120 Kontingentsinhaber verteilt wird, fällt das von der Vorinstanz eingeräumte Kontingent von 2500 Tonnen nicht ernstlich ins Gewicht. Die Bestimmung will aber verhindern, dass unter Berufung auf das Gebot der rechtsgleichen Behandlung auch anderen Interessenten, die in der gleichen Lage wie der Gesuchsteller sich befinden, ebenfalls Kontingente zugeteilt werden müssen. Wären sie zu bewilligen, schlösse dies nicht aus, dass die Zahl der neuen Berechtigten stark anstiege und die wirtschaftliche Stellung der bisherigen Kontingentsinhaber in erheblichem Masse litte. Da die gesetzliche Ordnung befriedigend nur durchgesetzt werden kann, wenn ein leistungsfähiger Importhandel erhalten bleibt, muss eine solche Folge, wenn sie mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, verhindert werden. Es ist deshalb zu prüfen, welche Wirkungen voraussichtlich eintreten werden, wenn allen andern Bewerbern, die sich in der gleichen Lage wie Wälchli befinden, aus Gründen der Rechtsgleichheit ebenfalls Kontingente eröffnet werden müssten. Wäre ihre Zahl sehr gross, vermöchte dies die Verweigerung des begehrten Kontingentes zu begründen.
Wälchli ist vom EVD das Kontingent zugesprochen worden, weil er als langjähriger Importagent sich die nötigen Kenntnisse auf dem Gebiet des Futtermittelimports erworben hat. Wie vorne erwähnt, scheint der Beruf des Importagenten an Bedeutung zu verlieren. Dass deshalb die verbleibenden Importagenten ebenfalls versucht sein könnten, ihr Eigengeschäft im Futtermittelimport auszudehnen, liegt nahe. Wie die Vorinstanz indessen festgestellt hat, gibt es gegenwärtig nur eine geringe Zahl von Importagenten, die noch tätig sind, nämlich deren fünf. Auch wenn ihnen allen Kontingente erteilt werden müssten, würde die Struktur des Importhandels nicht wesentlich verändert und es wäre noch keine Auflösung der bisherigen Handelsstufe der Importhändler zu erwarten.
BGE 97 I 293 S. 304
Anderseits ist nicht ausgeschlossen, dass die Stufe der Importagenten selbst der Auflösung verfällt. Das ist aber eher eine Folge der wirtschaftlichen Entwicklung (z.B. des Verhaltens der Importeure, die die Importagenten umgehen) als eine Auswirkung einer allfälligen Kontingentszuteilung an die Importagenten. Es wäre daher eine nicht zu rechtfertigende Härte, wenn den Importagenten allgemein die Eröffnung von Kontingenten mit der Begründung verweigert würde, die Kontingentsbewilligung trage zur Auflösung ihrer Stufe bei.
Im übrigen findet auch keine Vermischung der Stufen statt, da Wälchli sich verpflichtet hat, die Agententätigkeit völlig aufzugeben, wenn er ein Kontingent erhält. Dabei ist er zu behaften.
Freilich behaupten die Beschwerdeführer, wenn man das Erfordernis der Tätigkeit im Futtermittelimporthandel als subjektive Voraussetzung für die Kontingentszuteilungen fallen lasse, könnten zahlreiche weitere Bewerber für Kontingente auftreten, z.B. die Ablader, Lagerhalter und Reeder. Wie es sich damit verhielte, kann offen bleiben. Mit der Zulassung der Importagenten ist noch nicht entschieden, dass auch andere Inhaber von Geschäften anderer Stufen sich mit Erfolg um die Erteilung von Kontingenten bewerben könnten. Die Zahl der schweizerischen Ablader scheint ohnehin nicht sehr gross zu sein. Den Inhabern von Grossistenfirmen, den Lagerhaltern und Reedern dürfte die Erteilung von Kontingenten wegen mangelnder Erfahrung auf dem Gebiet des Importes von Getreide und Futtermitteln verweigert werden.
Die Vorinstanz hat daher mit Recht angenommen, dass die Erteilung eines Kontingentes an Adolf Wälchli zu keiner Strukturänderung im Futtermittel-Importhandel führen müsse. Sie hat auch in dieser Hinsicht Bundesrecht nicht verletzt. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
52a4e750-ba1f-4d44-86d6-eab4f1b524a7 | Urteilskopf
81 III 67
20. Entscheid vom 1. Juni 1955 i.S. Meier. | Regeste
Rückerstattung der Gebühren für ungültige Verfügungen (Art. 17 GebT). Sind zurückzuerstatten a) die Kosten eines entgegen
Art. 72 SchKG
durch gewöhnlichen Chargébrief zugestellten Zahlungsbefehls? b) die Kosten einer entgegen
Art. 91 VZG
vor Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner erfolgten Anzeige der Mietzinssperre an die Mieter? c) die Kosten einervom Gesetz nicht vorgesehenen Mitteilung an die nicht betreibenden Grundpfandgläubiger über die Anordnung der Mietzinssperre?
Beschwerde zwecks Vorbereitung einer Schadenersatzklage gegen den Betreibungsbeamten? (
Art. 21 SchKG
).
Rekurs gegen einen Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, der die Anordnung von Disziplinarmassnahmen (
Art. 14 SchKG
) ablehnt? | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 81 III 67 S. 68
Am 7. Februar 1955 fertigte das Betreibungsamt Gansingen für eine Forderung der City-Umbau A. G. in Zürich gegen Frl. Meier in Zürich im Betrage von Fr. 340.-- (rückständige Schuldbriefzinsen) nebst Zins und Kosten einen Zahlungsbefehl für die Betreibung auf Verwertung eines Grundpfandes (der Liegenschaft Nr. 25 in Gansingen) aus. Die Zustellung an die Schuldnerin erfolgte durch gewöhnlichen eingeschriebenen Brief, den die Schuldnerin, weil ihre Adresse im Betreibungsbegehren unrichtig angegeben worden war, erst am 11. Februar 1955 erhielt.
Am 7. Februar richtete das Betreibungsamt an die
BGE 81 III 67 S. 69
Allgemeine Aargauische Ersparniskasse in Aarau, die ihm vom Grundbuchamt als Grundpfandgläubigerin im 1. Rang angegeben worden war, die Mitteilung, der Gläubiger im 3. Rang habe Grundpfandbetreibung eingeleitet und die Zinssperre nach
Art. 91 VZG
verlangt, wovon die beiden Mieter in Kenntnis gesetzt worden seien. Da die Ersparniskasse antwortete, ihr Schuldbrief sei an Emil M. in Adliswil übertragen worden und werde vermutlich von der Schweiz. Bankgesellschaft in Wohlen verwahrt und verwaltet, gab das Betreibungsamt am 9. Februar dieser Bank von der Mietzinssperre Kenntnis.
Am 17. Februar 1955 führte die Schuldnerin gegen das Betreibungsamt Beschwerde. Sie beantragte "Annullierung des am 7. Februar 1955 ausgefertigten Zahlungsbefehls und dessen Neuerstellung unter Kostenfolge für das Betreibungsamt Gansingen", weil die Zustellung in ungesetzlicher Weise erfolgt sei. Ausserdem beantragte sie, dem Betreibungsamt sei eine Rüge zu erteilen, weil es der Ersparniskasse und der Bankgesellschaft zu Unrecht die Mietzinssperre angezeigt und damit ihren Kredit geschädigt habe. Die untere Aufsichtsbehörde schrieb das Beschwerdeverfahren am 21. Februar 1955 als durch Rückzug der Betreibung erledigt ab.
Hiegegen rekurrierte die Schuldnerin an die kantonale Aufsichtsbehörde mit den Anträgen, "dass
1. die Kosten von Fr. 17.50 vom Betreibungsamt Gansingen dem Beschwerdeführer (Schuldner) zurückzuerstatten seien;
2. das Vorliegen einer unangemessenen Verfügung seitens des Betreibungsamtes Gansingen im Hinblick auf einen eventuellen Kreditschädigungsprozess festgestellt und dem fehlbaren Beamten zumindest eine Rüge erteilt werde."
Am 30. April 1955 hat die kantonale Aufsichtsbehörde erkannt, der Rekurs werde abgewiesen, soweit darauf einzutreten sei.
BGE 81 III 67 S. 70
Diesen Entscheid hat die Schuldnerin unter Erneuerung der vor der kantonalen Aufsichtsbehörde gestellten Anträge an das Bundesgericht weitergezogen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Aus einem Schreiben der Genossenschaftlichen Zentralbank (Vertreterin der Gläubigerin) an die Rekurrentin vom 28. Februar 1955, das diese im kantonalen Verfahren eingereicht hat, ergibt sich, dass der Kostenbetrag von Fr. 17.50, dessen Rückerstattung verlangt wird, sich wie folgt zusammensetzt:
Fr. 4.10 : Zahlungsbefehl
1.20 : "einfordern d. Gl. Grundbuchamt"
2.60 : Anzeige an die zwei Mieter
1.40 : Aufforderung an die Schuldnerin
2.80 : Anzeige Grundpfandgläubiger
1.40 : Rechtsvorschlag Zürich
2.60 : Anzeige an die Mieter: Löschung
1.40 : Anzeige an die Schuldnerin z. H. der Gläubiger.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist anzunehmen, dass schon die Beschwerde an die untere Aufsichtsbehörde auf Rückerstattung dieser Gebühren zielte. Die Rekurrentin verlangte damals Annullierung und Neuerstellung des Zahlungsbefehls "unter Kostenfolge für das Betreibungsamt". Diese Wendung darf dahin ausgelegt werden, dass die Rekurrentin mit ihrer Beschwerde den Erlass aller mit dem ersten Zahlungsbefehl zusammenhängenden Kosten (die ihr erst später im einzelnen bekannt wurden) erreichen wollte.
2.
Art. 17 GebT, der nach dem Randtitel von der "Anwendung des Tarifs bei Aufhebung einer Verfügung" handelt, schreibt vor: "Für ungültige Verfügungen ist keine Gebühr (Entschädigung) zu entrichten, sofern den Beamten ein Verschulden trifft; hierüber sowie über die Rückerstattung entscheidet die Aufsichtsbehörde."
BGE 81 III 67 S. 71
a) Die postalische Zustellung des Zahlungsbefehls entsprach den gesetzlichen Vorschriften nicht, weil sie nicht in der "nach der Postordnung für Bestellung gerichtlicher Akten zu befolgenden Weise" (
Art. 72 SchKG
), sondern durch gewöhnlichen eingeschriebenen Brief erfolgte. Wegen vorschriftswidriger Zustellungsweise ist jedoch ein Zahlungsbefehl nach der Rechtsprechung nicht aufzuheben, wenn feststeht, dass der Schuldner ihn trotz dem bei der Zustellung begangenen Fehler persönlich erhalten hat (
BGE 54 III 250
). So verhält es sich unstreitig im vorliegenden Falle. Der Zahlungsbefehl vom 7. Februar 1955 ist also nicht ungültig. Die Kosten dieses Zahlungsbefehls sind daher nicht zurückzuerstatten.
b) Die Anzeige der Mietzinssperre an die Mieter scheint entgegen
Art. 91 VZG
schon vor der Zustellung des Zahlungsbefehls an die Rekurrentin erfolgt zu sein. Sie deswegen als ungültig zu bezeichnen und die Rückerstattung der dafür erhobenen Kosten anzuordnen, kommt aber nicht in Frage, weil sie wenige Tage später doch hätte erfolgen müssen.
c) Dass das Betreibungsamt von der Einleitung einer Grundpfandbetreibung mit Mietzinssperre den übrigen Grundpfandgläubigern sogleich Kenntnis zu geben habe, ist nirgends vorgeschrieben. Die übrigen Grundpfandgläubiger sind erst zu verständigen, wenn es zur Steigerung kommt (
Art. 156 SchKG
und
Art. 102 VZG
in Verbindung mit
Art. 139 SchKG
und
Art. 30 VZG
). Die Anzeigen an die Ersparniskasse und die Bankgesellschaft hätten daher auf Begehren der Rekurrentin aufgehoben werden müssen, wenn nicht die Betreibung infolge Rückzugs wegen der am 18. Februar 1955 an die Gläubigerin geleisteten Zahlung ohnehin erloschen wäre, und verdienen daher, im Sinne von Art. 17 GebT als ungültige Verfügungen betrachtet zu werden. Der Erlass dieser unnötigen, vom Gesetz nicht vorgesehenen Verfügungen muss dem Betreibungsbeamten zum Verschulden angerechnet werden, wenn er auch ohne Zweifel im Glauben war, richtig zu
BGE 81 III 67 S. 72
handeln. Die Kosten dieser Anzeige (Fr. 2.80) sind deshalb zurückzuerstatten.
d) Darüber, wieso die übrigen in der Kostenaufstellung erwähnten Amtshandlungen ungültig seien, hat die Rekurrentin keine Ausführungen gemacht. Soweit mit dem Rekurs die Rückerstattung der Kosten dieser Verfügungen verlangt wird, ist also darauf nicht einzutreten.
3.
Das Begehren, im Hinblick auf einen allfälligen Schadenersatzprozess gegen den Betreibungsbeamten das "Vorliegen einer unangemessenen Verfügung" festzustellen, ist schon deswegen unzulässig, weil eine Beschwerde nach
Art. 21 SchKG
nur die Aufhebung oder Berichtigung einer bestimmten Verfügung oder die Vollziehung von Handlungen, deren Vornahme der Beamte unbegründetermassen verweigert oder verzögert hat, zum Ziel haben kann.
Auf den Antrag, dem Betreibungsbeamten sei eine Rüge zu erteilen, ist nicht einzutreten, weil das Bundesgericht über die Betreibungs- und Konkursbeamten, die kantonale Beamte sind, keine Disziplinargewalt besitzt (
BGE 43 III 93
,
BGE 59 III 66
).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das Betreibungsamt Gansingen angewiesen wird, der Rekurrentin den Betrag von Fr. 2.80 zurückzuerstatten. Im übrigen wird der Rekurs abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52acff81-90d1-4305-95d2-aba202f1bc8d | Urteilskopf
115 IV 111
26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1989 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen X. und Mitbeteiligte (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 224 StGB
; Gefährdung durch Sprengstoffe.
Der privilegierte Tatbestand von Abs. 2 dieser Bestimmung kann lediglich angewendet werden, wenn Eigentum in nur unbedeutendem Umfang betroffen worden ist; der Umstand allein, dass sich der Vorsatz des Täters auf Eigentum in unbedeutendem Umfang bezogen hat, genügt nicht, wenn tatsächlich eine weitergehende Gefährdung eingetreten ist. | Sachverhalt
ab Seite 111
BGE 115 IV 111 S. 111
Die Familie X. war mit der im gleichen Mehrfamilienhaus wohnenden Familie A. verfeindet. Hans X. besprach dieses Problem eines Tages mit seinem pyrotechnisch interessierten Kollegen Y. In der Nacht vom 30. auf den 31. August 1985 verursachten dieser und Z. durch die Zündung selber gebastelter Sprengsätze zwei Explosionen mit Sachschaden am Esszimmer- und am Balkonfenster der Wohnung der Familie A. Die Anklage warf Hans X. Anstiftung und dessen Ehefrau Brigitte psychische Gehilfenschaft zu dieser Straftat vor.
Am 20./21. April 1988 sprach das Obergericht des Kantons Solothurn Hans X. vom Vorwurf der Anstiftung zur Gefährdung mit Sprengstoff und der Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz frei. Demgegenüber sprach es Y. und Z. der Gefährdung
BGE 115 IV 111 S. 112
durch Sprengstoff i.S. von
Art. 224 Abs. 2 StGB
sowie weiterer Delikte schuldig und bestrafte sie mit 10 bzw. 5 Monaten Gefängnis (bedingt). Brigitte X. wurde wegen Gehilfenschaft zur Gefährdung mit Sprengstoff i.S. von Art. 224 Abs. 2 i.V. mit
Art. 25 StGB
und eines weiteren Deliktes mit 3 Wochen Haft (bedingt) bestraft.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei bezüglich der Anwendung von
Art. 224 Abs. 2 StGB
aufzuheben und die Sache zur Verurteilung und Bestrafung der Beschuldigten nach Abs. 1 der genannten Bestimmung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Denselben Antrag stellen die Verurteilten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Für die erste Explosion verwendeten die Beteiligten einen Knallkörper, der nach Ansicht der Vorinstanz nicht unter
Art. 224 StGB
zu subsumieren ist, weshalb keine Straftat erfüllt worden sei. Die Staatsanwaltschaft beschränkt ihre Beschwerde auf die zweite in jener Nacht verursachte Explosion.
Als Sprengkörper wurde dabei ein knapp 10 cm langes und mit dem Pulver von ca. 25 "Moog-Vogelschreckpatronen" gefülltes Metallröhrchen verwendet; das eine Ende des Röhrchens wurde in einem Schraubstock zusammengedrückt und mit einem kleinen Loch versehen, worin die Zündschnur befestigt wurde; am anderen, offenen Ende des Röhrchens wurde eine Schraubenmutter angebracht und das Pulver durch eine Schraube zusammengepresst. Dieser Sprengsatz wurde kurz nach drei Uhr morgens zwischen Sims und Rolladen des Balkonfensters angebracht. Die Explosion verbog den Rolladen, zertrümmerte die Fensterscheibe und zerstörte einen Teil des Wohnzimmermobiliars; ferner durchschlug das Metallröhrchen ein ebenfalls aus Metall bestehendes Balkongeländer wie ein Geschoss. Die Vorinstanz spricht von "einer regelrechten Explosion mit beträchtlichem Sachschaden".
3.
Nach
Art. 224 Abs. 1 StGB
wird mit Zuchthaus bestraft, wer vorsätzlich und in verbrecherischer Absicht durch Sprengstoffe oder giftige Gase Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt; ist nur Eigentum in unbedeutendem
BGE 115 IV 111 S. 113
Umfang gefährdet worden, so kann auf Gefängnis erkannt werden (Abs. 2).
a) Die Vorinstanz ging davon aus, mit der Explosion sei beabsichtigt gewesen, Eigentum zu beschädigen, weshalb auch notwendigerweise eine konkrete Gefährdung fremden Eigentums bewirkt worden sei; im Vorgehen der beiden Haupttäter sei eine tatbestandsmässige Handlung und ein tatbestandsmässiger Erfolg i.S. von
Art. 224 Abs. 1 StGB
zu erblicken. In subjektiver Hinsicht sei es bei der zweiten Explosion nicht mehr bloss ums Erschrecken, sondern auch um die Sachbeschädigung gegangen, weshalb die verbrecherische Absicht i.S. von
Art. 224 Abs. 1 StGB
gegeben sei.
Nachdem die Vorinstanz zunächst festgestellt hatte, es sei "eine regelrechte Explosion mit beträchtlichem Sachschaden" zu beurteilen und die Frage, ob Eigentum in geringem Umfang gefährdet worden sei, müsse "wohl verneint werden", erwog sie, es könne nicht allein auf den Erfolg der gefährdenden Handlung abgestellt werden; da der Täter nicht für den eingetretenen, sondern für den von ihm angestrebten Erfolg hafte und da die Beteiligten "vor allem" eine Fensterscheibe zerstören wollten, sei
Art. 224 Abs. 2 StGB
anzuwenden.
b)
Art. 224 StGB
stellt ein konkretes Gefährdungsdelikt dar und setzt in beiden Absätzen objektiv voraus, dass durch Sprengstoff z.B. fremdes Eigentum konkret in Gefahr gebracht wurde. Solche Taten betrachtete der Gesetzgeber als gemeingefährlich, da bei der Anwendung von Sprengstoff der Umfang der Wirkung vom Täter nicht beherrscht werden könne (BBl 1924 I S. 593). Abs. 2 kann zum Zug kommen, wenn Eigentum "in unbedeutendem Umfang gefährdet worden" ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut stellt die privilegierte Bestimmung auf den Erfolg der gefährdenden Handlung ab. Entscheidend für ihre Anwendung ist, dass bloss Eigentum in unbedeutendem Umfang betroffen wurde, mag sich die Gefährdung in einem Schaden verwirklicht haben oder nicht (JÖRG REHBERG, Die Sprengstoffdelikte des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Kriminalistik 26/1972, S. 102). Das Bundesgericht hat denn auch festgestellt, Abs. 2 komme im Falle des Erfolgseintritts dann in Betracht, wenn die infolge der Verwendung von Sprengstoff eingetretenen Schäden geringfügig sind (
BGE 103 IV 244
oben). Dies ist nach der Annahme der Vorinstanz "wohl" nicht der Fall.
Die kantonalen Richter stellten nun aber darauf ab, dass die Täter nur Eigentum in unbedeutendem Umfang gefährden wollten.
BGE 115 IV 111 S. 114
Dieser Umstand allein kann nicht zur Anwendung von
Art. 224 Abs. 2 StGB
führen. Nach dem oben Gesagten ist die Grösse der Gefährdung, nicht aber die Intensität des Vorsatzes für die Anwendung der privilegierten Strafnorm entscheidend (ebenso ERNST HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT II, Berlin 1943, S. 509). Zwar ist grundsätzlich jede Gefährdung von fremdem Eigentum durch Sprengstoff nach
Art. 224 Abs. 1 StGB
zu ahnden, sofern aber im konkreten Fall kein Eigentum in bedeutendem Umfang betroffen worden ist, steht es dem Richter nach seinem pflichtgemässen Ermessen frei, z.B. dann von der Kann-Vorschrift des Abs. 2 Gebrauch zu machen, wenn auch der Vorsatz des Täters nur auf diese geringfügige Gefährdung gerichtet war (REHBERG, a.a.O.); notwendige Bedingung ist allerdings immer, dass tatsächlich nur eine geringfügige Gefährdung bewirkt worden ist. Wenn die Vorinstanz dennoch den privilegierten Tatbestand von
Art. 224 Abs. 2 StGB
anwandte, obwohl sie feststellte, es sei "wohl" nicht nur eine geringfügige Gefährdung von fremdem Eigentum eingetreten, so verletzte sie Bundesrecht, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gutzuheissen ist. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
52adbeda-d44f-483e-bfa6-db6f112a1727 | Urteilskopf
89 I 45
7. Auszug aus dem Urteil vom 15. Februar 1963 i.S. X. gegen Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich. | Regeste
Wehrsteuer; Hinterziehung.
In dem gegen den Erben des Täters angehobenen Verfahren ist die Meldung, die der Erbe bei der Aufnahme des Inventars freiwillig erstattet hat, als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 45
BGE 89 I 45 S. 45
Aus den Erwägungen:
1.
Im bundesgerichtlichen wie schon im kantonalen Verfahren hat die Beschwerdeführerin weder die vom Erblasser begangenen Hinterziehungen noch ihre Nach- und Strafsteuerpflicht als Steuernachfolgerin bestritten, sondern einzig die Höhe der ausgesprochenen Bussen angefochten. Bei einfachen Hinterziehungen, wie sie hier vorliegen, sind nach Art. 129 Abs. 1 WStB Bussen bis zum Vierfachen
BGE 89 I 45 S. 46
des hinterzogenen Steuerbetrages auszusprechen. Innerhalb dieses Rahmens sind sie nach pflichtgemässen Ermessen festzusetzen, wobei in erster Linie auf die Schwere der Hinterziehung in objektiver Hinsicht, d.h. auf die Höhe des hinterzogenen Betrages im Verhältnis zum geschuldeten Steuerbetrag, abzustellen ist und die subjektiven Momente strafschärfend oder strafmildernd zu berücksichtigen sind. Die eidg. Steuerverwaltung hat für die Bussenbemessung Richtlinien aufgestellt, die auf diesen Grundsätzen beruhen und vom Bundesgericht als geeignete Grundlage anerkannt worden sind, um eine einheitliche Anwendung der gesetzlichen Ordnung in der ganzen Schweiz zu fördern. Die ursprünglichen Weisungen im Kreisschreiben vom 25. Januar 1945 (ASA Bd. 13 S. 434 ff.) sind abgeändert worden in einem neuen Kreisschreiben vom 28. März 1958 (ASA Bd. 26 S. 422 ff.). Dieses sieht ein Schema für die Ermittlung der Normalbusse auf Grund des Verhältnisses zwischen hinterzogenem und geschuldetem Steuerbetrag vor; danach ergeben sich bei gewöhnlichen Hinterziehungen Bussen vom ein- bis dreifachen (früher vierfachen) Betrag der entzogenen Steuer. Strafschärfungs- bzw. -milderungsgründe sollen zu einer Erhöhung bzw. Herabsetzung der Normalbusse führen. Als besonderen Grund zur Strafmilderung nennt das Kreisschreiben die Selbstanzeige des Steuerpflichtigen, deretwegen die Normalbusse bis auf 25% (sonst nur bis auf die Hälfte) herabgesetzt werden kann (Z. 3, lit. c Abs. 3).
2.
Wenn eine Hinterziehung erst nach dem Tode des Wehrsteuerpflichtigen entdeckt wird, so wird gemäss Art. 130 Abs. 1 WStB das Verfahren gegenüber seinen Erben angehoben und durchgeführt, und diese haften bis zur Höhe ihrer Erbteile solidarisch für die vom Erblasser hinterzogene Wehrsteuer und die von ihm verwirkten Bussen ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden; sie treten also steuerrechtlich und auch strafsteuerrechtlich seine Nachfolge an. Aus der Bestimmung, dass sie "ohne
BGE 89 I 45 S. 47
Rücksicht auf ein eigenes Verschulden" haften, hat die Praxis ursprünglich gefolgert, dass auch strafmildernde Umstände nur in der Person des Erblassers, nicht aber in derjenigen der Erben zu berücksichtigen seien; insbesondere hat sie eine Selbstanzeige der Erben ausser acht gelassen, weil es hier an der Spontaneität fehle, da die Erben nach Art. 90 Abs. 8 WStB im Inventarisationsverfahren ohnehin zur Auskunft verpflichtet seien. Das Bundesgericht hat sich dieser Auffassung in einem Urteil vom 22. Dezember 1953 (publiziert in ASA Bd. 22 S. 401) angeschlossen.
Hieran kann bei neuer Prüfung nicht festgehalten werden. Indem Art. 130 Abs. 1 WStB die Haftung der Erben für die Hinterziehungen des Erblassers vorsieht, weicht er ab von den Grundsätzen des gemeinen Strafrechts, das die Haftung für fremdes Verschulden verneint. Die Abweichung ist begründet durch die besonderen Bedürfnisse des Steuerstrafrechts, in welchem die fiskalischen Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Die Bestimmung ist jedoch mit Zurückhaltung auszulegen; ihre Anwendung soll nicht zu Ergebnissen führen, die über ihren Sinn und Zweck hinausgehen. Die Steuer- und Strafsteuernachfolge soll sich weder zum Vor- noch zum Nachteil der Erben auswirken; d.h. diese sollen nicht besser und nicht schlechter gestellt sein, als es der Erblasser selbst gewesen wäre.
Das gilt auch für die Bemessung der Busse: Entscheidend ist dafür, welche objektiven und subjektiven Momente beim Erblasser selbst zu berücksichtigen wären. Er hatte jederzeit die Möglichkeit, durch freiwillige und spontane Meldung im Sinne einer Selbstanzeige eine erhebliche Strafmilderung zu erwirken. Formell ist das den Erben nicht möglich, da sie zur Auskunfterteilung im Inventarisationsverfahren verpflichtet sind, es also bei ihnen an der Spontaneität fehlt. Würde ihnen deshalb trotz freiwilliger Meldung die Strafmilderung verweigert, so wären insofern die Steuernachfolger schlechter gestellt
BGE 89 I 45 S. 48
als der Erblasser selbst, was nicht der Sinn des Gesetzes sein kann. Es rechtfertigt sich deshalb, in Abweichung von der früheren Praxis auch eine solche Meldung der Erben strafmildernd zu berücksichtigen - zwar nicht als eigentliche Selbstanzeige, aber doch als anerkennenswerten Beitrag zur Aufdeckung der Hinterziehung und Beseitigung ihrer Folgen.
In diesem Sinne hat die eidg. Steuerverwaltung ihren früheren Standpunkt in dem neuen Kreisschreiben vom 28. März 1958 gemildert: Sie erklärt zwar ausdrücklich, dass Meldungen der Erben mangels Spontaneität nicht als Selbstanzeige gelten können, fügt aber bei (Z. 3, lit. c Abs. 4): "Immerhin ist die Normalbusse herabzusetzen, wenn die Beteiligten alles ihnen Zumutbare getan haben, um dem Fiskus die Abklärung des Hinterziehungstatbestandes zu ermöglichen, insbesondere dann, wenn sie entscheidend zur Aufklärung der Verfehlungen des Erblassers beigetragen haben." Daraus folgt in Verbindung mit den beiden vorausgehenden Absätzen, dass in diesem Falle die Normalbusse zwar nicht auf 25%, wohl aber bis auf die Hälfte herabgesetzt werden kann. Das erscheint als eine dem Sinne des Gesetzes entsprechende und im Ergebnis billige Lösung, der auch das Bundesgericht beipflichten kann. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
52b0b734-0468-4624-9f40-331fa2d7a526 | Urteilskopf
94 II 197
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Oktober 1968 in Sachen The Glens Falls Insurance Co. gegen Reederei Zürich AG und Mitbeteiligte. | Regeste
Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die Seeschiffahrt unter der Schweizerflagge (SSG)
Wegbedingung der Haftung des Binnenschiff-Frachtführers auf Grund eines Rheinfrachtbriefes (Erw. 7 und 8).
Das internationale Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Konnossemente vom 25. August 1924 ist auf Transporte der Binnenschiffahrt nicht anwendbar. Das in Art. 3 § 8 des Übereinkommens vorgesehene Freizeichnungsverbot gilt daher für den Rheinfrachtführer nicht (Erw. 9 und 10).
Die Haftungsvorschriften der
Art. 103-105 SSG
schliessen die Anwendung der
Art. 447 und 448 OR
aus (Erw. 11).
Beschränktes Freizeichnungsverbot nach
Art. 117 SSG
(Erw. 12).
Der Binnenschiff-Frachtführer bedarf keiner staatlichen Betriebsgenehmigung nach
Art. 455 OR
. Er unterliegt daher den Freizeichnungsbeschränkungen der
Art. 100 Abs. 2 und
Art. 101 Abs. 3 OR
nicht (Erw. 13-15).
Vertragliche Haftungsbeschränkung. Verstoss gegen die guten Sitten? Rechtsmissbrauch? (Erw. 16). | Sachverhalt
ab Seite 198
BGE 94 II 197 S. 198
A.-
Die Dow Chemical International Inc. in Midland (USA) beauftragte die Reederei Zürich AG, 9000 Säcke Styron (Kunstharz zur Herstellung von Joghurt-Bechern), die am 21. Juni 1964 mit einem Seeschiff in Rotterdam eintreffen sollten, mit einem Rheinschiff von dort nach Birsfelden zu transportieren. Die Beauftragte bestätigte der Zürcher Tochtergesellschaft der Auftraggeberin (Dow Chemical International AG) die Annahme des Auftrages am 15. Juni 1964.
Am 17. Juni 1964 schloss die Reederei Zürich AG, handelnd durch H. Tromp in Rotterdam, mit Achiel Pijl in Gent zwecks Verfrachtung des Gutes auf dessen Motorschiff Sagitta 3 einen Chartervertrag (Charterparty) ab.
BGE 94 II 197 S. 199
3430 Säcke der erwähnten Sendung Styron wurden in dieses Schiff umgeladen und vom Schiffer J. ten Napel nach Birsfelden geführt. Sie bilden Gegenstand eines auf einem Formular der Rheinreederei Zürich AG ausgestellten "Original-Rheinfrachtbriefes" vom 22. Juni 1964, der die Firma "N.V. Lehnkering & Co's Scheepvaartbedrijf" in Rotterdam als Absenderin und die Basler Zweigniederlassung der Reederei Zürich AG als Empfängerin angibt. Auf der Rückseite des Frachtbriefes sind die "Verlade- und Transport-Bedingungen (Konnossementsbedingungen)" der Reederei Zürich AG abgedruckt, die unter anderem folgende Bestimmungen enthalten:
"Ausschluss der Haftung der Reederei. § 16. Ausgeschlossen ist jede Haftung der Reederei oder des Schiffers für Verlust oder Beschädigung der Güter, Aufenthalt, Verspätung oder sonstige Nachteile, verursacht während der Reise, des Ein- und Ausladens oder Umschlags oder Aufenthaltes in einem Hafen, in Leichter oder an Land durch...
b) Natur- und Elementarereignisse, Hoch- oder Niederwasser, Überschwemmungen, Sturm, Eis, Frost, Gewitter, Regen, Hagel, Schnee, Sonne, Hitze, Kälte, Temperaturunterschiede, sowie Wasser und Feuer;
...
§ 17...
2 Ausgeschlossen ist auch die Haftung für jede schädigende Einwirkung des Schiffes auf die geladenen Güter, insbesondere durch...; sowie für alle Verluste, Beschädigungen, Aufenthalte, Verspätung oder Ruder-, Schrauben- oder sonstigen Defekte des Schiffes, Bruch der Rohrleitung, Mängel des Schiffes, der Maschinen oder Zubehör, selbst wenn diese Mängel schon vor Antritt der Reise vorhanden waren.
...
5 In allen Fällen der §§ 16 und 17 ist die Haftung der Reederei auch dann ausgeschlossen, wenn der Verlust, die Beschädigung, Verspätung oder sonstige Nachteile durch irgendwelches Verschulden des Schiffers, der Schiffsbesatzung, der Stauer oder aller übrigen Personen im Dienste des Schiffes oder der Reederei, oder durch ihr eigenes leichtes Verschulden verursacht worden sind. Der Verzicht auf Haftung und Schadenersatz erstreckt sich auch auf alle ausservertraglichen Ansprüche, die aus diesen Gründen den Ladungsbeteiligten zustehen könnten.
§ 18. Ausgeschlossen ist jede Haftung der Reederei oder des Schiffers für Verlust oder Beschädigung der Güter, Aufenthalt, Verspätung oder sonstige Nachteile infolge Zusammenstoss, Anfahrung, Festfahren, Scheitern, Bersten, Kentern, Strandung oder Untergang des Schiffes, Feuer, Explosion, Wellenschlag, Wasser, Eindringen von Wasser durch Leckage, Versagen der Pumpen, Ketten und Stränge, mangelhafte Stabilität oder Fahrtüchtigkeit wegen fehlerhafter
BGE 94 II 197 S. 200
Stauung oder aus anderen Gründen, sowie infolge sonstiger Unfälle der Schiffahrt, auch wenn diese Umstände oder Ereignisse durch irgendwelche Handlungen, Nachlässigkeiten oder Unterlassungen, falsch ausgeführte Bewegungen, Unvorsichtigkeit des Schiffers, der Schiffsbesatzung, des Lotsen, der Stauer oder aller übrigen Personen im Dienste des Schiffes, oder durch eigene leichte Fahrlässigkeit der Reederei, bei der Führung, Beladung oder dem Betriebe des Schiffes verschuldet worden sind, gleichgültig ob das schädigende Ereignis oder die fehlerhafte Handlungsweise während des Transportes oder vor Antritt der Reise oder beim Aufenthalt in einem Hafen eingetreten ist.
...
4 Der Verzicht auf Haftung und Schadenersatz erstreckt sich auch auf alle ausservertraglichen Ansprüche.
§ 19. In allen weiteren Fällen von Verlust oder Beschädigung der Güter, Aufenthalt, Verspätung oder sonstigen Nachteilen haftet die Reederei nur für eigenes grobes Verschulden, sowie für absichtliches Handeln ihrer dauernden Angestellten und Hifspersonen. Jede weitergehende Haftung ist ausgeschlossen. Der Verzicht auf Haftung und Schadenersatz erstreckt sich auch auf alle ausservertraglichen Ansprüche.
2 Auf jeden Fall aber ist die Haftung der Reederei ausgeschlossen, wenn sie nachweist, dass Verlust, Beschädigung, Verspätung oder sonstiger Nachteil die Folge von Umständen oder Ereignissen ist, die weder die Reederei noch ihre Angestellten und Hilfspersonen verschuldet haben. Ausgeschlossen ist ferner die Haftung für alle Schäden infolge unaufgeklärter oder unaufklärbarer Ursachen.
Am 3. Juli 1964 liess ten Napel in Basel Ware aus der Sagitta 3 löschen und hierauf während fünf Stunden das Deck waschen, wobei das Wasser durch eine Druckleitung floss, die auch zum Fluten der Laderäume und zum Aussaugen von Wasser aus diesen Räumen benützt werden kann. Am gleichen Tag fuhr das Schiff nach Birsfelden weiter. Dort bemerkte ten Napel am Abend, dass es ungefähr 20 cm tiefer im Wasser lag als am Mittag. Er stellte fest, dass der Laderaum 5, der die 3430 Säcke Styron enthielt, über die Hälfte mit Wasser gefüllt war. Er liess es sofort auspumpen. Das Schiff enthielt kein Leck. Das Wasser muss beim Deckwaschen durch die erwähnte Leitung in den Laderaum 5 geflossen sein. Es verursachte an der dort liegenden Ware erheblichen Schaden.
Der Schaden wurde durch die Firma The Glens Falls Insurance Co., New York, welche die Ware auf Grund eines mit der Dow Chemical International Inc. abgeschlossenen Vertrages versichert hatte, am 25. Januar 1965 durch Auszahlung von Fr. 72'013.20 an die Zürcher Tochtergesellschaft der
BGE 94 II 197 S. 201
Versicherungsnehmerin ersetzt. Die Empfängerin des Geldes erklärte in der Quittung, sie trete alle Rechte gegen die für den Schaden verantwortlichen Personen an die Versichererin ab.
B.-
Am 2. Juli 1965 klagte die Firma The Glens Falls Insurance Co. gegen die Reederei Zürich AG auf Zahlung von Fr. 72'O13.20 nebst 5% Zins seit 10. Februar 1965. Sie behauptete, der Schaden sei dadurch verursacht worden, dass die Mannschaft der Sagitta 3 beim Deckwaschen unterlassen habe, den Hahn zum Laderaum 5 zu schliessen.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie verkündete Pijl und ten Napel den Streit und stellte beiden gegenüber den Antrag, im Falle ganzer oder teilweiser Gutheissung der Klage seien sie zu verurteilen, ihr den entsprechenden Betrag nebst Kosten und Zinsen solidarisch zu ersetzen. Sie berief sich auf die Freizeichnungsklauseln ihrer Verlade- und Transportbedingungen. Zum schädigenden Ereignis behauptete sie, wahrscheinlich habe der Hahn der Wasserleitung zum Laderaum 5 vom Bau des Schiffes her - dieses befand sich auf seiner ersten Reise - ein Stück Abfall oder Schweissschlacke enthalten, weshalb ten Napel ihn, ohne sich dessen gewahr zu werden, nicht vollständig habe schliessen können.
Die Streitberufenen beantragten, auf die gegen sie gerichtete Rückgriffsklage nicht einzutreten. Dagegen unterstützen sie die Beklagte, indem sie beiden kantonalen Instanzen eine Vernehmlassung einreichten.
C.-
Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt und auf Appellation der Klägerin am 23. Februar 1968 auch das Appellationsgericht wiesen die Klage ab und traten auf die Rückgriffsklage gegen die Streitberufenen in Anwendung kantonalen Prozessrechtes nicht ein.
D.-
Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie beantragt die Aufhebung des appellationsgerichtlichen Urteils und die Gutheissung der Klage.
Die Beklagte und die Streitberufenen beantragen, die Berufung abzuweisen. Die Streitberufenen stellen ausserdem den Antrag, auf die Rückgriffsklage der Beklagten nicht einzutreten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
Das Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die Seeschiffahrt unter der Schweizerflagge (SSG), das in seinem siebenten Titel auch Bestimmungen über die Binnenschiffahrt
BGE 94 II 197 S. 202
enthält, wurde am 14. Dezember 1965 teilweise abgeändert. Die neuen Bestimmungen, ausgenommen Art. 143 Abs. 3, sind auf den 1. Januar 1967 in Kraft getreten.
Art. 163 SSG
, der anlässlich der Revision des Gesetzes nicht abgeändert wurde und daher auch für den Übergang vom alten zum gegenwärtigen Recht gilt, verweist auf die Vorschriften des Schlusstitels des schweizerischen Zivilgesetzbuches. Die rechtlichen Wirkungen von Tatsachen, die vor dem 1. Januar 1967 eingetreten sind, d.h. die Verbindlichkeit und die Folgen des vor diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Vertrages mit der Beklagten unterstehen daher auch heute noch den alten Bestimmungen des SSG (
Art. 1 SchlT ZGB
).
7.
Gemäss alt
Art. 103 und 104 SSG
hat der Seefrachtführer im Rahmen des Art. 105 für den Verlust, den vollständigen oder teilweisen Untergang oder die Beschädigung der Frachtgüter Ersatz zu leisten, wenn er nicht beweist, dass der Schaden durch eines der in Art. 103 aufgezählten Ereignisse verursacht wurde oder dass weder den Seefrachtführer, noch den Kapitän, die Schiffsbesatzung oder weitere Personen im Dienste des Schiffes ein Verschulden trifft. Diese Bestimmungen gelten gemäss alt
Art. 127 Abs. 2 SSG
auch für den Binnenschiff-Frachtführer.
Die Beklagte hat jedoch in ihren Verlade- und Transportbedingungen, die der Original-Rheinfrachtbrief vom 22. Juni 1964 auf der Rückseite wiedergab, auf die er ausdrücklich verwies und die er damit zum Vertragsinhalt erhob (vgl.
BGE 77 II 156
unten), die Haftung für die auf Wasser oder Mängel des Schiffes oder seiner Zubehör zurückzuführenden Schäden vollständig ausgeschlossen und die Haftung für andere Schäden insoweit wegbedungen, als sie nicht einem groben Verschulden der Beklagten oder einem absichtlichen Handeln ihrer dauernden Angestellten und Hilfspersonen zuzuschreiben sind. Da unbestritten ist, dass der Schaden, für den die Klägerin Ersatz verlangt, durch Wasser, allenfalls unter Mitwirkung eines zum Schiff gehörenden mangelhaften Hahns, verursacht und weder von der Beklagten noch von ihrem eigenen Personal, sondern höchstens vom Schiffer ten Napel oder der übrigen Besatzung des Schiffes verschuldet wurde, muss die Klage abgewiesen werden, wenn die erwähnte Freizeichnung zulässig war.
8.
Art. 117 Abs. 1 SSG
, der auch in der Binnenschiffahrt gilt (
Art. 127 Abs. 2 SSG
), erklärte schon in der alten Fassung grundsätzlich jede Abrede in einem Konnossement, welche die
BGE 94 II 197 S. 203
gesetzliche Haftung des Frachtführers für Verlust oder Beschädigung der Güter aufheben oder beschränken oder die Beweislast für diese Haftung umkehren wollte, als nichtig. Die Klägerin machte im kantonalen Verfahren geltend, der "Original-Rheinfrachtbrief" vom 22. Juni 1964 sei ein Konnossement im Sinne dieser Bestimmung und das erwähnte Freizeichnungsverbot daher anwendbar.
Wie das Appellationsgericht zutreffend ausführt, trifft das indessen nicht zu. Die Beklagte war sich bei der Verwendung des Formulars "Original-Rheinfrachtbrief" des Unterschiedes zwischen einem blossen Frachtbrief und einem Konnossement durchaus bewusst, und auch die Abladerin, die festgestelltermassen in Rheinschiffahrtssachen Erfahrung hat, musste ihn erkennen, denn in § 2 der Verlade- und Transportbedingungen wurde unter Hinweis auf die rechtlichen Unterschiede der einen und der anderen Urkundenart ausdrücklich gesagt, für jede Sendung werde entweder ein Konnossement oder ein Rheinfrachtbrief ausgestellt. Dazu kommt, dass, für den Unterzeichner deutlich sichtbar, auf der Vorderseite des Schriftstückes ausgeführt wurde: "Dieser Rheinfrachtbrief ist kein Wertpapier, kann weder verpfändet noch übertragen werden und die Auslieferung der Güter erfolgt ohne Rückgabe bzw. Vorlage des Frachtbriefes."
Daher kann dahingestellt bleiben, ob, wenn ein Konnossement ausgestellt worden wäre, die Klägerin überhaupt die Rechte aus demselben geltend machen könnte oder ob sie nicht bloss die Rechte hätte, die der Abladerin zustanden.
9.
Die Klägerin hat sich vor dem Appellationsgericht ferner auf das internationale Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Konnossemente berufen, das am 25. August 1924 in Brüssel unterzeichnet wurde und dem die Schweiz mit Wirkung ab 28. November 1954 beitrat. Sie machte geltend, der Rheinfrachtbrief sei ein "gleichartiger Titel" wie ein Konnossement und daher gemäss Art. 1 lit. b dem in Art. 3 § 8 des Übereinkommens vorgesehenen Freizeichnungsverbot unterstellt.
Art. 1 lit. b setzt indessen ausdrücklich voraus, dass das Konnossement oder der gleichartige Titel "für die Beförderung von Gütern zur See" ausgestellt worden sei. Entsprechend versteht Art. 1 lit. d unter einem Schiff nur ein Fahrzeug, das für die Beförderung von Gütern zur See verwendet wird.
BGE 94 II 197 S. 204
Transporte der Binnenschiffahrt unterstehen dem Übereinkommen also nicht.
lo. - Die Klägerin stellt sich denn auch in der Berufungsbegründung nicht mehr auf den Standpunkt, das Übereinkommen sei auf den vorliegenden Transport unmittelbar anzuwenden. Sie bringt nur vor, seine Grundsätze seien für die handeltreibenden Firmen "Allgemeingut ihres Denkens" geworden, weshalb die Abladerin bei der Erteilung des Transportauftrages habe annehmen dürfen, es werde keine Klausel aufgenommen, welche die normale Frachtführerhaftung in das Gegenteil verkehre, denn Art. 6 Abs. 3 des Übereinkommens schliesse eine Freizeichnung auch für die ohne Konnossement erfolgenden Transporte aus, wenn sie als "gewöhnliche Handelsverschiffungen im gewöhnlichen Handelsverkehr" erfolgten.
Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil das Appellationsgericht verbindlich feststellt, weitgehende Freizeichnungen seien in der Rheinschiffahrt üblich. Die Klägerin schweigt sich denn auch darüber aus, wie ein ausdrücklich nur für die Beförderung zur See geltender Satz des internationalen Übereinkommens auch in der Rheinschiffahrt "Allgemeingut des Denkens" geworden sein könnte.
Zudem wurden in den Original-Rheinfrachtbrief die Freizeichnungsklauseln aufgenommen. Gegen diese ausdrückliche Vereinbarung vermöchte eine anderweitige Übung nicht aufzukommen. Die Klägerin muss sich die erwähnten Klauseln umso mehr entgegenhalten lassen, als die Person, die sie für die Beklagte ausbedang, den Frachtbrief zugleich im Namen der Abladerin unterzeichnete, so dass von einem Auseinandergehen der tatsächlichen Willen der Vertragschliessenden nicht die Rede sein kann. Dass der Doppelvertreter die ihm zustehende Vertretungsmacht überschritten habe, wird nicht behauptet.
11.
Gemäss alt
Art. 87 Abs. 1 SSG
ist auf Verträge über die Verwendung eines Seeschiffes das schweizerische Obligationenrecht anzuwenden, soweit nicht die Bestimmungen des SSG "etwas anderes enthalten". Der im fünften Titel des SSG geregelte Seefrachtvertrag ist ein Vertrag über die Verwendung eines Seeschiffes (vgl. Überschrift zum fünften Titel). Die erwähnte Verweisung auf das OR gilt also auch für ihn. Für den Seefrachtvertrag führt sie zur subsidiären Anwendung nicht nur der allgemeinen Bestimmungen, sondern auch der Art. 440 ff. des OR.
Art. 101 Abs. 2 SSG
in der alten Fassung erklärt denn
BGE 94 II 197 S. 205
auch auf den Seefrachtvertrag noch ausdrücklich die Vorschriften des schweizerischen Obligationenrechts über den Frachtvertrag anwendbar, soweit nicht die Bestimmungen des SSG "etwas anderes enthalten". Diese Verweisung gilt gemäss alt
Art. 127 Abs. 2 SSG
auch für den Binnenschiff-Frachtvertrag.
Da die Haftung des See- oder Binnenschiff-Frachtführers für Verlust, Untergang, Beschädigung oder Verspätung in der Ablieferung des Gutes in
Art. 103-105 SSG
geregelt ist, sind jedoch die
Art. 447 und 448 OR
auf diese Frachtverträge nicht anwendbar. Aus dem gleichen Grunde versagt der Versuch der Klägerin, diese Normen wenigstens sinngemäss herbeizuziehen, indem sie sie als Ausdruck eines "Grundgedankens des schweizerischen Transportrechts" hinstellt.
12.
Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich für den Binnenschiff-Frachtführer ein Verbot der Freizeichnung auch nicht aus Art. 16 des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes, aus Art. 8 des Lufttransportreglementes und aus Ziffer IX des am 18. September 1961 in Guadalajara abgeschlossenen Zusatzabkommens zum Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr ableiten. Das sind Ausnahmebestimmungen. Sie dürfen angesichts der Grundregel der Vertragsfreiheit (
Art. 19 OR
) und des bloss beschränkten Freizeichnungsverbotes des
Art. 117 SSG
nicht sinngemäss auf den Binnenschiff-Frachtvertrag angewendet werden.
13.
Die Klägerin beruft sich ferner auf
Art. 449 OR
, der den Frachtführer für die auf dem Transport vorgekommenen Fehler selbst dann haftbar erklärt, wenn er den Transport durch einen anderen Frachtführer hat besorgen lassen.
Diese Bestimmung ist gemäss alt Art. 87 Abs. 1, 101 Abs. 2 und 127 Abs. 2 SSG auf den Binnenschiff-Frachtvertrag anzuwenden, da das SSG keine davon abweichende Bestimmung enthält.
Auch lässt sich die Auffassung, Pijl habe auf Grund des Chartervertrages gegenüber der Beklagten die Pflichten eines Frachtführers übernommen, durchaus vertreten. Dass Charterverträge mit Frachtverträgen verbunden sein können, ergab sich schon aus alt
Art. 117 Abs. 3 SSG
. In neu
Art. 95 Abs. 3 SSG
, der auch für die Binnenschiffahrt gilt (neu
Art. 127 Abs. 2 SSG
), wird denn auch der Verfrachter, der sich nach
BGE 94 II 197 S. 206
Massgabe des Chartervertrages zur Beförderung von Gütern über Meer verpflichtet, in Bezug auf seine Rechte gegenüber dem Ablader und Empfänger und seine Haftung für die Beförderung der übernommenen Güter ausdrücklich den Normen des Seefrachtvertrages unterstellt. Der Gesetzgeber wollte damit dem Umstande Rechnung tragen, dass die in der Praxis überwiegenden Reisecharterverträge in Wirklichkeit schon vor der Revision des Gesetzes nicht reine Charterverträge waren (Botschaft des Bundesrates in BBl 1965 II 298).
Wie dem aber auch sei, kann nicht davon die Rede sein, dass
Art. 449 OR
der Beklagten verboten habe, die Haftung für die Handlungen des Pijl und seiner Schiffsbesatzung vertraglich wegzubedingen. Diese Norm sagt nicht, sie sei zwingend. Dass die Bestimmungen des Obligationenrechts über die Verantwortlichkeit des Frachtführers grundsätzlich nicht zwingend sind, ergibt sich aus
Art. 455 OR
. Diese Vorschrift verbietet nur jenen Transportanstalten, zu deren Betrieb es einer staatlichen Genehmigung bedarf, durch besondere Übereinkunft oder durch Reglemente zu ihrem Vorteil von den gesetzlichen Bestimmungen über die Verantwortlichkeit des Frachtführers abzuweichen. Sie bestätigt somit die den andern Frachtführern zustehende Vertragsfreiheit. Das Bundesgericht hat denn auch als zulässig erachtet, dass der Spediteur - der in bezug auf den Transport der Güter den Normen über den Frachtvertrag untersteht (
Art. 439 OR
) - die Haftung für die Handlungen des Zwischenspediteurs wegbedinge (
BGE 77 II 154
ff.).
14.
Die Klägerin macht ferner geltend, der Betrieb der Beklagten sei einem obrigkeitlich konzessionierten Gewerbe gleichzustellen, weshalb die Beklagte hinsichtlich der Zulässigkeit der Freizeichnung den besonderen Regeln der Art. 100 Abs. 2 und 101 Abs. 3 OR unterstehe.
Art. 100 OR
ist im vorliegenden Falle gegenstandslos, da die Organe der Beklagten kein Verschulden trifft, auch nicht ein bloss leichtes. Die Klägerin wirft der Beklagten insbesondere nicht vor, sie habe schuldhaft gehandelt, indem sie Pijl als Verfrachter auswählte und sich mit der Verfrachtung auf das von ten Napel geführte Schiff Sagitta 3 einverstanden erklärte.
Die Anwendung des
Art. 101 OR
sodann käme nur in Frage, wenn der Verfrachter Pijl, der Schiffer ten Napel und die übrige Besatzung der Sagitta 3 Hilfspersonen der Beklagten gewesen wären. Pijl kam diese Eigenschaft indessen weder dann zu, wenn
BGE 94 II 197 S. 207
er die Pflichten eines Zwischenfrachtführers, also eines Unterbeauftragten (Substituten) hatte (
BGE 77 II 159
), noch weniger dann, wenn der Vertrag zwischen ihm und der Beklagten ein reiner Reisechartervertrag ohne frachtrechtlichen Einschlag gewesen sein sollte. Deshalb waren auch der Schiffer ten Napel und die übrige Schiffsbesatzung nicht Hilfspersonen der Beklagten im Sinne des
Art. 101 OR
. Die Klägerin behauptet nicht, dass diese Personen in einem Vertragsverhältnis zur Beklagten gestanden oder auch abgesehen von einem solchen beim Betrieb des Schiffes, namentlich beim Bedienen der Wasserleitungen anlässlich der Reinigung des Deckes, die Weisungen der Beklagten zu befolgen gehabt hätten.
15.
Dagegen fragt sich im Hinblick auf
Art. 455 OR
, ob der Betrieb der Beklagten eine der staatlichen Genehmigung bedürfende Transportanstalt sei; denn diese Norm verbietet solchen Anstalten, die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen über die Verantwortlichkeit des Frachtführers zu ihrem Vorteil durch besondere Übereinkunft oder durch Reglemente zum voraus auszuschliessen oder zu beschränken.
Die erwähnte Frage ist indessen zu verneinen. Der Betrieb eines Binnenschiff-Frachtführers bedarf nicht der staatlichen Genehmigung. Davon kann auch nicht die Rede sein, weil der Betrieb der Rheinschiffe "durch polizeiliche Vorschriften geregelt" sei, wie die Klägerin vorbringt. Ob eine blosse Polizeierlaubnis einer obrigkeitlichen Konzession gleichkommt, ist unerheblich. Damit
Art. 455 OR
anwendbar wäre, müsste der Betrieb der Transportanstalt als solcher der Polizeierlaubnis bedürfen. Diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn beim Einsatz der Transportmittel polizeiliche Vorschriften befolgt werden müssen, ja nicht einmal dann, wenn dieser Einsatz nur mit vorgängiger polizeilicher Erlaubnis erfolgen darf. Sonst würde zum Beispiel jeder Inhaber eines Autotransportgewerbes dem
Art. 455 OR
unterstehen, weil er Fahrzeugausweise benötigt und an Verkehrsregeln gebunden ist. Selbstverständlich gilt
Art. 455 OR
für das Gewerbe eines Rheinreeders auch nicht deshalb, weil die Klägerin es zu den "schweizerischen Transportbetrieben im weitesten Sinne" rechnet. Ebenso wenig ist der Klägerin beizupflichten, wenn sie geltend macht, die Bestimmungen des Obligationenrechts über obrigkeitlich konzessionierte Gewerbe seien auch auf Betriebe anzuwenden, die, ohne konzessionspflichtig zu sein, eine
BGE 94 II 197 S. 208
gewisse tatsächliche Monopolstellung einnähmen oder auf Grund kartellmässiger Organisation des Erwerbszweiges die Vertragsbedingungen "diktieren" könnten. Übrigens ist nicht zu ersehen, welche Tatsachen den Schluss auf eine Monopolstellung der Beklagten oder auf ein kartellmässiges Diktieren ihrer Vertragsbestimmungen zulassen würden; die Klägerin schweigt sich darüber vollständig aus.
16.
Schliesslich bringt die Klägerin noch vor, die Beklagte habe die Haftung in Verletzung der guten Sitten (
Art. 20 OR
) und rechtsmissbräuchlich (
Art. 2 ZGB
) vertraglich eingeschränkt.
Dass Freizeichnungsklauseln von der Art der vorliegenden allgemein wegen ihres Inhaltes den guten Sitten oder den Geboten von Treu und Glauben widersprächen, kann angesichts der gesetzlichen Regelung, welche die Freizeichnung im SSG und im OR erfahren hat, nicht gesagt werden. Namentlich ist nicht zu ersehen, weshalb die Wegbedingung der Haftung für Wasserschäden durch einen Binnenschiff-Frachtführer sich mit den guten Sitten nicht vertragen sollte. Dass der Transport auf dem Wasser erfolgt und daher der Eintritt eines dem Wasser zuzuschreibenden Schadens möglich ist, ändert nichts, zumal der Ablader sich gegen solche Schäden versichern kann. Desgleichen macht der Umstand, dass ein Binnenschiff-Frachtführer im internationalen Verkehr nicht ohne Hilfspersonen auskommt, die Wegbedingung der Haftung für solche nicht unsittlich. Übrigens haben im vorliegenden Falle nicht Hilfspersonen der Beklagten den Schaden verursacht.
Von einem Verstoss gegen die guten Sitten oder gegen die Gebote von Treu und Glauben könnte höchstens gesprochen werden, wenn besondere Umstände des vorliegenden Falles, namentlich die Art und Weise, wie die Freizeichnung zustande kam, die von der Klägerin beanstandeten Klauseln unerträglich machen würden. Aber auch in dieser Hinsicht versagt der Einwand der Klägerin. Dass die beanstandeten Klauseln in vorgedruckten Vertragsbestimmungen enthalten sind, welche die Beklagte auch in anderen Frachtverträgen auszubedingen pflegt, macht sie nicht unsittlich. Der Vertreter der Abladerin kannte sie und musste sich ihrer Bedeutung bewusst sein. Er musste auch damit rechnen, dass die Beklagte einen höheren Frachtlohn fordern würde, wenn sie die Haftung nicht wegbedingen könnte und sich deshalb gegen Schadensereignisse der
BGE 94 II 197 S. 209
vorliegenden Art versichern müsste. Ob die Klägerin wusste, dass der Binnenschiff-Frachtführer nach schweizerischem Recht die Haftung teilweise wegbedingen kann und im vorliegenden Falle tatsächlich wegbedang, ist unerheblich. Die Klägerin kann gegen die Beklagte höchstens die Rechte geltend machen, die der Abladerin zustanden. Übrigens konnte sie sich vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages über die Ver lade- und Transportbedingungen und die Rechtslage er kundigen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 23. Februar 1968 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52b564e2-2923-47eb-b53d-48c74355dbf8 | Urteilskopf
103 IV 294
81. Urteil des Kassationshofes vom 30. September 1977 i.S. K. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich | Regeste
Art. 36 SVG
;
Art. 14, 15 VRV
.
Einfahrt des Wartepflichtigen in Strasse mit mehreren Fahrstreifen:
1. Einbiegen in den nächsten Fahrstreifen und sofortiges Weiterfahren sind zulässig, wenn kein auf diesem Streifen fahrender Verkehrsteilnehmer behindert wird und kein Anzeichen für einen Spurwechsel eines auf einem entfernteren Streifen nahenden Fahrzeuges spricht.
2. Wie hat sich der Wartepflichtige zu verhalten, der nach dem Einbiegen in einen weiter links gelegenen Fahrstreifen gelangen will? | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 103 IV 294 S. 294
A.-
Über den Bahnhofplatz Zürich führt der Strassenverkehr in westlicher Richtung auf zwei durch eine Leitlinie getrennten
BGE 103 IV 294 S. 295
Fahrstreifen. Bodenpfeile markieren die linke Spur für Linksabbieger Richtung Löwenstrasse, die rechte Spur für Geradeausfahrt Richtung Gessnerallee.
Nördlich von diesen Fahrstreifen, teils durch eine unterbrochene Begrenzungslinie, teils durch eine Verkehrsinsel getrennt, befindet sich unmittelbar vor dem Bahnhofgebäude eine Verkehrsfläche, die einen Bus- und einen Taxihaltplatz und Taxistandplätze aufweist (vgl. nachstehende Skizze).
B.-
Am 19. August 1975 um 08.30 Uhr fuhr K. mit seinem Taxi vom Halteplatz beim Bahnhof weg. Er beabsichtigte, über die Begrenzungslinie in die Fahrbahn zu gelangen und dort in der Linksabbiegespur weiterzufahren. Die Geradeausspur war frei, auf Sichtdistanz nahte kein Fahrzeug. Auf der linken Spur fuhr eine lockere Autokolonne. K. fuhr schräg in die rechte Spur ein und hielt seinen Wagen an, um sich bei erster Gelegenheit in eine Lücke auf dem linken Fahrstreifen einzufügen. Das rechte Hinterrad seines Wagens befand sich noch auf der Begrenzungslinie, der grösste Teil des Taxis versperrte in Schrägstellung die rechte Fahrspur.
Der auf dem linken Fahrstreifen nahende Automobilist G. wechselte unvermittelt und ohne Zeichengabe die Spur und stiess auf den stillstehenden Taxi.
C.-
Mit Urteil vom 14. Dezember 1976 verurteilte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich K. im Sinne von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 3 Satz 1 VRV
zu einer Busse von Fr. 40.--.
Eine von K. dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde hat die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 24. Mai abgewiesen.
BGE 103 IV 294 S. 296
D.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt K. durch seinen Verteidiger, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Polizeirichteramt beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 15 der Verordnung über die Verkehrsregeln (VRV) ordnet besondere Fälle des Vortritts und verpflichtet in Abs. 3 Satz 1 zur Gewährung des Vortritts denjenigen, der aus Fabrik-, Hof- oder Garageausfahrten, aus Feldwegen, Parkplätzen oder Tankstellen und dergleichen auf eine Haupt- oder Nebenstrasse fährt. Das Vortrittsrecht erstreckt sich allgemein auf die ganze Fahrbahn (
BGE 91 IV 91
), also nicht nur auf einzelne Fahrspuren. K. wurde wegen Verletzung dieses Vortrittsrechts gebüsst.
Demgegenüber beruft sich K. auf
Art. 44 Abs. 1 SVG
, der einen Wechsel des Fahrstreifens nur gestattet, wenn dadurch der übrige Verkehr nicht gefährdet wird. Überdies beruft er sich auf das Vertrauensprinzip. Mangels objektiver Anzeichen habe er nicht damit rechnen müssen, dass G. ohne Zeichengabe unvermittelt die Spur wechsle.
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass er gegenüber den auf den beiden Fahrstreifen verkehrenden Fahrzeugen wartepflichtig war. Er durfte daher nur einbiegen, wenn er dadurch keinen Vortrittsberechtigten gefährdete oder behinderte. Eine Behinderung liegt bereits vor, wenn der Wartepflichtige auf so kurze Distanz zum Berechtigten oder so langsam einbiegt, dass der Berechtigte scharf abbremsen muss.
3.
Auch der Wartepflichtige kann sich auf das Vertrauensprinzip stützen. Wer sich selbst korrekt verhält, darf mangels konkreter Anzeichen für das Gegenteil darauf vertrauen, dass auch die übrigen Strassenbenützer die Verkehrsregeln einhalten (
BGE 98 IV 285
,
BGE 97 IV 244
). Erlaubt die Verkehrslage dem Wartepflichtigen das Einbiegen ohne Behinderung eines Vortrittsberechtigten, so ist ihm auch dann keine Vortrittsverletzung vorzuwerfen, wenn anschliessend als Folge eines nicht voraussehbaren verkehrswidrigen Verhaltens eines Vortrittsberechtigten dieser bei der Weiterfahrt behindert wird.
BGE 103 IV 294 S. 297
4.
Jede Richtungsänderung, namentlich das Einspuren und der Wechsel des Fahrstreifens, muss rechtzeitig mit dem Richtungsanzeiger oder durch deutliches Handzeichen angekündet werden (
Art. 39 Abs. 1 lit. a SVG
). Ein markierter Fahrstreifen darf zudem nur verlassen werden, wenn der übrige Verkehr nicht gefährdet wird (
Art. 44 Abs. 1 SVG
). Diesen Vorschriften kommt gerade im Stadtverkehr, wo immer häufiger in Kolonnen auf nebeneinander liegenden Fahrstreifen gefahren wird, zunehmende Bedeutung zu, auch wenn das geltende Recht noch nicht wie in den USA das Hauptgewicht auf die Regel legt, die Fahrspur beizubehalten. Richtig ist allerdings, dass häufig gegen die Pflicht verstossen wird, den Spurwechsel anzuzeigen. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, es müsse allgemein mit einem solchen Fahrfehler gerechnet und darauf Rücksicht genommen werden. Dies würde zu einer Aushöhlung des Vertrauensprinzips und neuen Unklarheiten führen.
5.
Der wartepflichtige Beschwerdeführer durfte über die Begrenzungslinie in die Fahrbahn nur einbiegen, wenn er bei der gegebenen Verkehrslage damit keinen Benützer der beiden Fahrstreifen behinderte.
a) Die entferntere linke Spur war von mehreren Autos belegt. K. hatte deren Vorbeifahrt und eine ausreichende Lücke abzuwarten, wenn er in jene Spur fahren wollte.
b) Die nähere Geradeausspur war frei. Von links her nahte auf grössere Distanz kein in dieser Spur fahrender Verkehrsteilnehmer. Keines der in der linken Spur fahrenden Autos hatte den rechten Blinker eingeschaltet oder zeigte andere Anzeichen für einen bevorstehenden Spurwechsel, z.B. ein beginnendes Abbiegen nach rechts. Bei dieser Situation durfte der Beschwerdeführer in die Geradeausspur einbiegen und darauf weiterfahren. Wäre es dabei zur Kollision mit dem Wagen G. gekommen, weil dieser ohne Rücksicht auf den übrigen Verkehr und ohne Zeichen nach rechts ausbog, so könnte K. kein Vorwurf gemacht werden.
c) Die Auffassung der Vorinstanz, K. hätte die Begrenzungslinie nur überfahren dürfen, wenn beide Fahrstreifen auf genügende Distanz frei waren, geht fehl. Sie stützt sich auf die in Ziffer 4 erörterte und abgelehnte These, es müsse jederzeit mit einem regelwidrigen Spurwechsel ohne Anzeige gerechnet werden.
BGE 103 IV 294 S. 298
Eine solche Auslegung ist zudem verkehrsfremd. Im städtischen Stossverkehr könnte kaum mehr auf Hauptstrassen mit mehreren Fahrstreifen eingemündet werden, da praktisch immer mindestens auf einem Streifen Fahrzeuge nahen.
Auch die Einfahrt auf Autobahnen würde erheblich erschwert. Nähert sich der verkehrsgewohnte Fahrer auf der Autobahn einer Einfahrt und fährt dort ein Wagen auf der Beschleunigungsspur, so gibt er womöglich die rechte Fahrspur frei, damit der andere unbehindert mit steigender Geschwindigkeit einbiegen kann. Müsste dieser aber abwarten, bis beide Spuren frei sind, so käme es zu gefährlichen Stockungen in der Beschleunigungsspur, mit langsamer Einfahrt auf kurze Distanz.
d) K. bog ein, um Richtung Löwenstrasse zu fahren. Hiefür hatte er drei Möglichkeiten: Er konnte eine genügend grosse Lücke auf beiden Fahrstreifen abwarten und direkt von seinem Standort hinter der Begrenzungslinie in die Abbiegespur hinüberfahren. Statt dessen konnte er in die freie Geradeausspur einbiegen und dort weiterfahrend versuchen, unter Rücksichtnahme auf den übrigen Verkehr in die linke Spur zu wechseln. Gelang dies nicht rechtzeitig vor der Verzweigung, so musste er in der Geradeausspur bleiben und sein Ziel auf einem Umweg erreichen. Bei starkem Verkehr blieb ihm von Anfang an keine andere Wahl.
K. wählte keine dieser Möglichkeiten. Er fuhr in die Geradeausspur ein und hielt dort an, wobei er diese Spur blockierte. Nach der Verkehrslage konnte er nicht annehmen, dies ohne Behinderung Vortrittsberechtigter tun zu können. War auch die rechte Spur beim Passieren der Begrenzungslinie frei, sodass er bei sofortiger Weiterfahrt niemanden behinderte, so musste er doch darauf gefasst sein, dass in kürzester Zeit ein Fahrzeug von hinten auftauchen oder dass ein Fahrer aus der linken nach korrekter Anzeige in die rechte Spur fahren werde. Diesen Vortrittsberechtigten verlegte er mit seinem stillstehenden Taxi den Weg und behinderte sie damit in der Weiterfahrt. Er hätte hinter der Begrenzungslinie anhalten oder sofort in der rechten Spur weiterfahren müssen.
6.
Die Fahrfehler des G. entlasten K. nicht. Es kam nicht zu einem Zusammenstoss der beiden fahrenden Wagen, weil K. mangels Richtungsanzeige von G. dessen Spurwechsel nicht voraussehen konnte und musste. K. war bereits in die rechte Spur eingefahren und hatte seinen Wagen angehalten, als G.
BGE 103 IV 294 S. 299
die Spur wechselnd in ihn hineinfuhr. Es war daher für den Zusammenstoss bedeutungslos, ob der Blinker eingeschaltet war oder nicht. Wäre G. genügend aufmerksam gewesen, so hätte er wohl den Aufprall vermeiden können. Er hätte aber jedenfalls stark abbremsen oder den Spurwechsel aufgeben müssen. Damit war er vom wartepflichtigen K. in seiner Fahrt behindert worden.
Im übrigen ist das Verhalten des G. in diesem Verfahren nicht zu beurteilen. Im Strafrecht gibt es keine Schuldkompensation.
7.
Der Beschwerdeführer wurde somit zu Recht wegen Verletzung des Votrittsrechts verurteilt, auch wenn die Begründung des angefochtenen Urteils nicht in allen Teilen standhält.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
52b5c85b-8fd4-4191-92a2-122c03e1e8b5 | Urteilskopf
103 Ib 282
45. Estratto della sentenza del 30 settembre 1977 nella causa X. c. Commissione federale di ricorso in materia doganale | Regeste
Zoll und Warenumsatzsteuer bei Wareneinfuhr.
Art. 16 Abs. 2 ZG
;
Art. 45 WUStB
.
Für eine Ware deliktischer, ausländischer Herkunft, welche irregulär in die Schweiz eingeführt wurde, aber vom rechtmässigen, im Ausland wohnhaften Eigentümer, dem sie in der Schweiz zurückgegeben worden ist, regulär wieder ausgeführt wird, besteht keine Pflicht zur Entrichtung der Einfuhrabgaben. In einem solchen Fall ist
Art. 16 Abs. 2 ZG
, welcher auf reguläre Geschäftsbeziehungen zugeschnitten ist, analog anwendbar. Für die Erhebung der Einfuhrabgaben ist der objektive Tatbestand massgebend; in einem Fall wie dem hier erwähnten kann, wer die Ware irregulär und bösgläubig eingeführt hat, selbst wenn er vermittels eines durch ihn oder andere im Ausland begangenen Verbrechens in Besitz der Ware gelangt ist, nicht zur Bezahlung der geschuldeten Abgabe verpflichtet werden (Präzisierung der Rechtsprechung) (E. 2). Die Hinfälligkeit der Abgabepflicht schliesst die Strafbarkeit für Steuerübertretungen, die derjenige begangen hat, der die Ware irregulär in die Schweiz einführte, nicht aus (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 283
BGE 103 Ib 282 S. 283
Il cittadino italiano X. introduceva clandestinamente il 2 giugno 1975 in Svizzera un lotto di pietre preziose, senza pagare i tributi dovuti (dazio, imposta sulla cifra d'affari). Arrestato in seguito dalla polizia ticinese perché sospettato di traffico illegale di preziosi, si accertava che i gioielli provenivano da un furto ai danni di una signora domiciliata in Italia. Il loro valore era stimato a Fr. 3'949'555.--. Essi venivano restituiti in Svizzera alla derubata che s'impegnava, mediante idonea garanzia, a riesportarli in Italia. Tale riesportazione avveniva
BGE 103 Ib 282 S. 284
poco dopo. La Direzione generale delle dogane invitava X. a pagare i tributi d'importazione elusi. L'imposta sulla cifra d'affari relativa ai gioielli introdotti in Svizzera il 2 giugno 1975 era calcolata in Fr. 260'993,40.
X. impugnava la decisione della Direzione generale delle dogane avanti la Commissione federale di ricorso in materia doganale (CFRD), chiedendo che fosse annullato l'obbligo posto a suo carico di pagare l'imposta sulla cifra d'affari. La CFRD respingeva il gravame con decisione del 22 ottobre 1976. Essa rilevava che l'obbligo fiscale era insorto con l'importazione della merce, senza che occorresse in Svizzera alcuna operazione di smercio (
art. 2 n. 2 DCA
). Una possibilità di rimborso dei tributi riscossi all'importazione non era data nella fattispecie, non essendo adempiuti i relativi presupposti di legge. Secondo la prassi interna dell'Amministrazione delle dogane, poteva essere consentito in via eccezionale il rimborso dei tributi prelevati su refurtiva riesportata al paese di origine, sempreché sia l'importatore, sia il mittente all'estero, sia il destinatario in Svizzera fossero stati in buona fede. X. conosceva tuttavia la provenienza delittuosa dei preziosi da lui importati. Una responsabilità solidale per l'imposta litigiosa non sussisteva a carico della derubata, contrariamente a quanto assunto dal ricorrente.
Con ricorso di diritto amministrativo X. ha chiesto l'annullamento della decisione della CFRD e la propria liberazione dall'obbligo di solvere l'imposta sulla cifra d'affari da lui contestata.
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso ed accertato che X. non è debitore dell'importo litigioso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
L'importazione delle merci soggiace all'imposta sulla cifra d'affari (ICA), ai sensi dell'art. 2 n. 2 e dell'art. 44 segg. DCA. Il ricorrente non contesta che gli incombeva in un primo tempo l'obbligo di pagare, in base alle menzionate disposizioni, l'ICA sui preziosi stimati a Fr. 3'949'455.--, importati clandestinamente in Svizzera. Egli eccepisce peraltro che tale obbligo è venuto meno in seguito alla comprovata riesportazione di tale merce. L'
art. 16 cpv. 2 LD
dovrebbe, a suo avviso, essere applicato analogicamente.
BGE 103 Ib 282 S. 285
a) L'
art. 16 cpv. 2 LD
recita:
"È rimborsato il dazio sulle merci estere sdoganate all'importazione che, a causa il rifiuto del destinatario o di rescissione del contratto di vendita o di commissione, o perché rimaste invendute, ritornano intatte al mittente all'estero; non è riscosso un dazio d'uscita."
Ai sensi dell'
art. 45 DCA
, tale disposizione è applicabile anche alla riscossione dell'ICA. Ove siano dati i presupposti per il rimborso del dazio secondo l'
art. 16 cpv. 2 LD
, è rimborsata altresì l'ICA riscossa all'importazione.
Irrilevante nella fattispecie è, per converso, la menzione dell'
art. 16 cpv. 1 LD
nell'art. 48 lett. g DCA, dato che quest'ultima disposizione concerne esclusivamente merci di ritorno di provenienza svizzera, reimportate in Svizzera, mentre nel caso in esame trattasi del rimborso dell'ICA in seguito a riesportazione all'estero.
La Direzione generale delle dogane e la CFRD presuppongono che l'
art. 16 cpv. 2 LD
sia applicabile soltanto laddove la merce sia stata regolarmente dichiarata all'autorità doganale all'atto dell'importazione ed assoggettata secondo la normale procedura ai tributi d'importazione; a mente di tali autorità, la menzionata norma non sarebbe invece applicabile quando l'ICA sia stata riscossa dopo l'importazione su merce introdotta clandestinamente. Stante il carattere eccezionale del rimborso dei tributi d'importazione riscossi su merce di ritorno di provenienza straniera, le relative disposizioni dovrebbero essere interpretate restrittivamente.
Sia in
DTF 89 I 544
che in una decisione della CFRD pubblicata in Archiv für Schweizerisches Abgaberecht vol. 31 pag. 106 segg. sono contenute considerazioni nello stesso senso, ossia, lo sdoganamento regolare è ritenuto presupposto indispensabile perché la riesportazione possa comportare un diritto al rimborso.
In
DTF 102 Ib 347
nella causa Hansen il Tribunale federale ha tuttavia disatteso questo principio, rilevando che il diniego del rimborso in caso di mancato previo regolare sdoganamento costituirebbe una sanzione non prevista dalla legge per il caso d'inosservanza dell'obbligo di dichiarazione doganale.
b) La Direzione generale delle dogane fa notare con ragione nelle proprie osservazioni che l'
art. 16 cpv. 2 LD
è stato adottato con mira alle regolari operazioni commerciali, e non per disciplinare il caso di merci rubate e introdotte in contrabbando. La stessa Amministrazione delle
BGE 103 Ib 282 S. 286
dogane ha ritenuto nondimeno che un'applicazione letterale di tale norma ai casi di riesportazione di merce di contrabbando di provenienza furtiva è insoddisfacente, dato che in generale non sono adempiute le condizioni dell'
art. 16 cpv. 2 LD
(non ha avuto luogo alcun sdoganamento al momento dell'importazione; la merce non è rinviata al mittente; la riesportazione è dovuta a un motivo atipico; cfr. WELLAUER, Warenumsatzsteuer, n. 902, pag. 431 segg.). Effettivamente l'
art. 16 cpv. 2 LD
non disciplina gli aspetti fiscali della riesportazione di refurtiva proveniente dall'estero. L'Amministrazione delle dogane ha quindi sviluppato una prassi, secondo la quale la riesportazione nel paese di origine di merce rubata dà luogo al rimborso dei tributi d'importazione ove gli interessati siano in buona fede. Tale prassi si fonda sulla considerazione che, in linea di principio, non esisterebbe un diritto al rimborso, ma che, dandosi la buona fede, può procedersi al rimborso o al condono dei tributi in applicazione di quanto disposto dall'
art. 127 cpv. 1 n. 4 LD
per i casi in cui risulterebbe altrimenti un rigore particolare.
c) Qualora si tenga fermo che l'ICA è destinata a colpire in modo del tutto obiettivo la cifra d'affari interna e l'importazione di merci, che pertanto l'immediata riesportazione (rispedizioni e fattispecie similari), non preceduta da operazioni di smercio effettuate in Svizzera, fa venir meno la causa materiale dei tributi d'importazione e dà quindi luogo al rimborso ai sensi dell'
art. 16 cpv. 2 LD
, appare erroneo subordinare il rimborso fondato sulla riesportazione di merce rubata introdotta in contrabbando all'accertamento della buona fede degli interessati. Il rimborso non costituisce nelle fattispecie menzionate dall'
art. 16 cpv. 2 LD
un trattamento doganale di favore di carattere eccezionale, bensì il riconoscimento, da parte del fisco, che è venuta meno successivamente la causa materiale della riscossione dei tributi d'importazione. Orbene, anche nel caso dell'immediata riesportazione di merci rubate contrabbandate in Svizzera viene meno la causa dei tributi d'importazione, e quindi dell'ICA. Qualora, conformemente alla citata prassi delle autorità doganali, il rimborso sia fatto dipendere dalla buona fede, l'ICA viene ad assumere la funzione di una pena (aggiuntiva) per fatti illeciti (furto, ricettazione, reato doganale). Tale funzione dell'ICA non è sorretta da alcuna base
BGE 103 Ib 282 S. 287
legale. La lacuna della legge esistente per quanto concerne la merce rubata introdotta in contrabbando in Svizzera va colmata, tenendo conto della natura dell'ICA e della "ratio legis" del DCA, secondo criteri puramente obiettivi. Laddove la restituzione al proprietario e la riesportazione nel paese d'origine abbia fatto venir chiaramente meno la causa materiale della riscossione dei tributi d'importazione in una situazione obiettivamente analoga alle fattispecie presupposte dall'
art. 16 cpv. 2 LD
per il rimborso nel quadro di regolari relazioni d'affari, cessa la ragione di riscuotere l'ICA o sorge il diritto d'ottenerne il rimborso. Come già rilevato, esula infatti dall'ICA qualsiasi carattere di pena.
d) Nel caso in esame è incontestato che la refurtiva è stata restituita per intervento della polizia alla legittima proprietaria e che è stata da quest'ultima riesportata in Italia. Per tale fatto è venuto successivamente meno il motivo di riscuotere l'ICA sull'importazione. In corretta applicazione della disciplina fiscale non può quindi più pretendersi dal ricorrente, benché egli ne fosse originariamente debitore, il pagamento dell'ICA sull'importazione.
4.
Per i motivi sopra esposti, la decisione impugnata che ha accertato l'obbligo del ricorrente di pagare l'ICA litigiosa deve essere annullata senza rinvio per violazione del diritto federale. L'inesistenza di detto obbligo non esclude ovviamente che il ricorrente possa esser punito ai sensi dell'
art. 52 DCA
per sottrazione o messa in pericolo dell'imposta. Il fatto che il debito fiscale del ricorrente, insorto con l'introduzione dei gioielli in Svizzera, sia venuto meno per circostanze aliene dalla sua volontà, non toglie che egli, nell'introdurre clandestinamente la merce di cui trattasi, abbia sottratto o messo in pericolo l'imposta e che di ciò debba rispondere personalmente. Occorre chiaramente distinguere tra la riscossione dell'imposta e gli aspetti penali degli atti con i quali il responsabile ha inteso sottrarla. | public_law | nan | it | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
52b67a02-e370-4459-9718-fc2d872a720e | Urteilskopf
100 IV 180
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Juni 1974 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Demuth und Huggler. | Regeste
Art. 317 StGB
.
Der auf den täuschenden Gebrauch der falschen Urkunde gerichtete Wille ist wesentlicher Bestandteil des Vorsatzes. | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 100 IV 180 S. 180
A.-
In Zusammenarbeit mit der Heliswiss führte das Eidgenössische Luftamt in der Zeit vom 6. bis 17. März 1967 für Luftfahrzeugkontrolleure einen Ausbildungskurs an Helikoptern durch. Ziel des Kurses war für die Teilnehmer die Erlangung des Kontrolleurausweises der Kategorie II. Voraussetzung hiefür ist nach den Bestimmungen des Reglementes über die Ausweise des Personals der Bodenorganisation der Luftfahrt vom 2. Dezember 1960 (RAB; SR 748.222.2 Bd. 7/5) das Bestehen einer theoretischen und einer praktischen Prüfung (Art. 27). Weist sich der Bewerber über eine besondere Vorbildung aus, so kann ihm das Eidg. Luftamt einzelne Prüfungen erlassen (Art. 5 Abs. 2).
Demuth, Chefpilot und technischer Leiter der Heliswiss, wurde vom Sektionschef des Eidg. Luftamtes, Huggler, mit der Durchführung des Kurses und der Prüfungsleitung betraut.
Die bei der Heliswiss angestellten Litzler und Widmer besuchten den besagten Kurs und bestanden die theoretischen Prüfungen, was ihnen von Huggler am 6. April 1967 schriftlich mitgeteilt wurde. Im gleichen Schreiben wurde ihnen die noch abzulegende praktische Prüfung in Aussicht gestellt. Demuth teilte in der Folge dem Huggler mit, dass nach seiner Meinung die beiden genannten Kandidaten keine praktische Prüfung mehr bestehen müssten, weil sie sich durch die im Kurs geleistete praktische Arbeit über ihre Fähigkeiten genügend ausgewiesen hätten. Huggler erklärte sich damit einverstanden,
BGE 100 IV 180 S. 181
beharrte jedoch auf einer schriftlichen Bewertung der Kandidaten durch den Prüfungsleiter, und zwar in Form einer Notengebung in Prozenten, um Unterlagen für den Erlass der praktischen Prüfung zu besitzen. Am 5. Mai 1967 nahm Demuth eine solche nachträgliche Bewertung der Kandidaten Litzler und Widmer vor, indem er die in Prozenten ausgedrückten Noten auf ein ihm von Huggler zu diesem Zweck übermitteltes Formular für die "praktische Prüfung" einsetzte, als "Prüfungsdatum" den 15. März 1967 angab und schliesslich das unterzeichnete Formular an Huggler zurücksandte. Während sich alle übrigen Kandidaten des Kurses einer praktischen Prüfung unterziehen mussten, erhielten Litzler und Widmer den Ausweis für Luftfahrzeugkontrolleure, ohne diese abgelegt zu haben.
B.-
Am 2. Mai 1973 verurteilte das Strafamtsgericht Seftigen Demuth und Huggler wegen Urkundenfälschung durch Beamte (
Art. 317 Ziff. 1 StGB
) zu je vier Monaten Gefängnis und gewährte ihnen den bedingten Strafvollzug.
Mit Urteil vom 30. November 1973 erkannte das Obergericht des Kantons Bern, es werde dem Verfahren keine weitere Folge gegeben, weil sich Demuth und Huggler nur der fahrlässigen Urkundenfälschung schuldig gemacht hätten, die als Übertretung gemäss
Art. 109 StGB
verjährt sei.
C.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die beiden Beschwerdegegner wegen vorsätzlicher Beamten-Urkundenfälschung zu bestrafen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
...
2.
Der Generalprokurator stellt sich auf den Standpunkt, die Beschwerdegegner hätten gewusst, dass sich die beiden Kandidaten keiner praktischen Prüfung unterzogen hatten. Sie hätten deshalb eine solche vorgetäuscht und dabei mit Wissen und Willen gehandelt. Dass sie sich mit der Begründung beruhigt hätten, man hätte ihnen ja reglementsmässig eine praktische Prüfung erlassen können, entlaste die Beschwerdegegner nicht. Das sei bloss Beweggrund ihres Handelns gewesen, der jedoch nicht zum Vorsatz gehöre. Die Vorinstanz habe den Begriff der Fahrlässigkeit falsch ausgelegt.
BGE 100 IV 180 S. 182
3.
Die Rüge ist dahin zu verstehen, dass die Vorinstanz zu Unrecht Fahrlässigkeit statt Vorsatz angenommen habe.
a) Vorsätzlich im Sinne des
Art. 317 Ziff. 1 StGB
handelt der Täter, wenn er bewusst in seiner Eigenschaft als Beamter rechtlich erhebliche Tatsachen unwahr in einer Schrift verurkundet, von der er weiss, dass sie zum Beweis jener Tatsachen geeignet oder bestimmt ist, und wenn er dies mit dem Willen zur Täuschung im Rechtsverkehr tut oder eine solche Folge zumindest in Kauf nimmt. Diese Ausrichtung auf den täuschenden Gebrauch gehört - was in der Beschwerde übersehen wird - wesentlich zum subjektiven Tatbestand der Urkundenfälschung sowohl des Art. 251 wie des
Art. 317 Ziff. 1 StGB
(
BGE 95 IV 73
Erw. 3 b; GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, S. 33/34); denn wenn der Gesetzgeber schon die Herstellung einer Lugurkunde ohne ihren tatsächlichen Gebrauch unter Strafe stellt, liegt der Grund hiefür in der für den Rechtsverkehr geschaffenen Täuschungsgefahr (LOGOZ, Kommentar, N. 4 zu Art. 317). Diese Gefahr aber muss in den Vorsatz einbezogen sein, ansonst wäre der Hersteller der Lugurkunde, der sein eigenes Falsifikat gebraucht, folgerichtig für zwei Delikte zu bestrafen. Nach ständiger Rechtsprechung (
BGE 71 IV 209
E. 3,
BGE 95 IV 73
,
BGE 96 IV 167
) führt jedoch der Gebrauch der eigenen Falschurkunde nicht zu einer zusätzlichen Bestrafung. Für die genannte Auslegung spricht auch die Tatsache, dass jemand bewusst und gewollt eine Schrift, die an sich geeignet wäre, den verurkundeten falschen Inhalt zu beweisen, herstellen kann, ohne Treu und Glauben gefährden zu wollen. Das tut er dann nicht, wenn er nicht eine Täuschung im Rechtsverkehr bezweckt oder in Kauf nimmt, sondern ein anderes Ziel verfolgt (z.B. Herstellung einer falschen Urkunde zu Experimentierzwecken oder als kalligraphisches Dokument und dgl.; GERMANN, a.a.O.). Das hat die Vorinstanz richtig erkannt, indem sie das Wissen und den Willen auf den täuschenden Gebrauch der falschen Urkunde als wesentlichen Bestandteil des Vorsatzes ansieht.
b) Ist sie aber von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen, so ist ihr Urteil unanfechtbar. Ob jener Täuschungsvorsatz gegeben sei, ist Tatfrage, die hier vom kantonalen Richter für den Kassationshof verbindlich bejaht wird (
BGE 81 IV 283
E. 3;
BGE 83 IV 77
). Nach dem angefochtenen Urteil haben die Beschwerdegegner nicht wissentlich und
BGE 100 IV 180 S. 183
willentlich durch Abfassung einer Schrift von rechtlicher Bedeutung eine nicht stattgefundene Prüfung vortäuschen wollen; beiden habe der Wille "auf den täuschenden Gebrauch der Urkunde als Beweismittel" gefehlt, und es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass sie den strafbaren Erfolg für den Fall eines Eintritts auch nur gebilligt hätten. Diese Feststellungen schliessen die Annahme eines Täuschungsvorsatzes aus; sie betreffen nicht das blosse Handlungsmotiv, sondern den Handlungsentschluss (Wissen und Willen) der Beschwerdegegner und mussten daher zur Verneinung einer vorsätzlichen Urkundenfälschung führen.
Jene tatsächlichen Annahmen treffen übrigens in Würdigung aller Umstände des Falles auch sachlich das Richtige, wenn man berücksichtigt, dass Huggler für den Erlass der Prüfung zuständig war, das Ergebnis der Prüfungen niemandem vorzulegen hatte und es bloss darum ging, ihm eine Bewertung der praktischen Fähigkeiten der beiden Kandidaten zu verschaffen, die als zureichende Unterlage für den Entscheid über den Erlass der praktischen Prüfung geeignet war. Die ausgefüllten Formulare waren somit nach der Absicht der beiden Beteiligten ausschliesslich für einen solchen amtsinternen Gebrauch bestimmt, in dessen Rahmen sie nicht die Funktion einer Beweisurkunde hatten, da sowohl der Hersteller der Schrift als auch deren Empfänger wussten, dass eine praktische Prüfung nicht abgelegt worden war.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
52b6f127-1b80-453c-bedf-687982a6cb69 | Urteilskopf
125 III 391
68. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 30 septembre 1999 dans la cause Banque X. SA (recours LP) | Regeste
Art. 91 Abs. 4 SchKG
und 275 SchKG,
Art. 324 Ziff. 5 StGB
; Auskunftspflicht des Dritten, der Gewahrsam an Arrestgegenständen ausübt; Strafandrohung bei Verletzung dieser Pflicht.
Die Auskunftspflicht des Dritten, der Gewahrsam an den Arrestgegenständen ausübt, entsteht erst mit Ablauf der Einsprachefrist des
Art. 278 SchKG
und, wenn Einsprache erhoben wird, erst mit dem Eintritt der Rechtskraft des Einspracheentscheides (E. 2).
Das Betreibungsamt kann dem Dritten, der Gewahrsam an den Arrestgegenständen ausübt, nur Busse gestützt auf
Art. 324 StGB
androhen und nicht Haft und Busse gemäss
Art. 292 StGB
(E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 391
BGE 125 III 391 S. 391
Le 18 septembre 1998, à la requête de dame S., le Président du Tribunal du district de Lausanne a ordonné le séquestre des comptes de S. auprès de la banque X. à Lausanne (ci-après: la banque). Les cas de séquestre étaient ceux de l'
art. 271 al. 2 et 5 LP
. L'Office des poursuites de Lausanne-Ouest a communiqué l'ordonnance de séquestre à la banque le 22 septembre 1998. Celle-ci, en accusant réception de l'avis de séquestre le 24 du même mois, a fait savoir à l'office qu'elle se déterminerait sur la portée du séquestre une fois l'ordonnance devenue définitive et entrée en force. Sur quoi l'office a sommé la banque, sous la menace des sanctions pénales prévues
BGE 125 III 391 S. 392
par l'
art. 292 CP
, de le renseigner sur la portée du séquestre dans un délai échéant le 19 octobre 1998.
Par la voie d'une plainte, la banque a requis l'autorité cantonale inférieure de surveillance de prononcer qu'elle n'avait pas l'obligation de renseigner l'office avant que l'ordonnance de séquestre fût devenue définitive et exécutoire, ou avant que la preuve du caractère définitif de cette ordonnance fût établie. Elle a également conclu à la nullité de la décision de l'office en tant qu'elle la menaçait des sanctions pénales de l'
art. 292 CP
. Sa plainte ayant été rejetée, la banque a recouru auprès de la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois qui, par arrêt du 2 juin 1999, a rejeté le recours et confirmé le prononcé de l'autorité inférieure de surveillance.
Par acte du 11 juin 1999, la banque a déféré cet arrêt cantonal à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral en reprenant ses conclusions formulées en instance cantonale. L'office et l'intimée dame S. ont conclu au rejet du recours. La Chambre des poursuites et des faillites a admis partiellement le recours et a réformé l'arrêt attaqué en ce sens que l'office pouvait sommer la banque, sous la menace de la peine d'amende prévue par l'
art. 324 CP
, de le renseigner sur la portée du séquestre litigieux après l'expiration du délai de dix jours pour former opposition, le cas échéant après décision définitive sur l'opposition. Elle a rejeté le recours pour le surplus.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Selon la jurisprudence antérieure à la révision de la LP et à l'introduction à l'
art. 91 LP
d'un alinéa 4 nouveau - aux termes duquel «les tiers qui détiennent des biens du débiteur ou contre qui le débiteur a des créances ont, sous menace des peines prévues par la loi (
art. 324 ch. 5 CP
), la même obligation de renseigner que le débiteur» -, le tiers qui détenait des biens du débiteur séquestré avait l'obligation de renseigner l'office; les banques ne pouvaient se retrancher derrière le secret bancaire, les exigences de l'exécution forcée l'emportant sur la protection du secret. Toutefois, lorsque le séquestre était ordonné en garantie d'une créance dont l'existence était encore incertaine au moment où il était ordonné, ni la contrainte physique (cf. art. 91 al. 2 aLP) ni la menace d'une sanction pénale (
art. 292 CP
) ne pouvaient être utilisées contre les récalcitrants, qui n'engageaient que leur responsabilité civile envers le créancier
BGE 125 III 391 S. 393
séquestrant (
ATF 112 III 6
consid. 4 in fine;
ATF 110 III 114
consid. 2 in limine;
ATF 109 III 22
consid. 1;
ATF 108 III 114
consid. 2;
ATF 107 III 151
consid. 2;
ATF 104 III 42
consid. 4c p. 50;
ATF 103 III 91
consid. 1;
ATF 101 III 58
consid. 3 in limine;
ATF 75 III 106
consid. 2 ainsi que les arrêts cités par JÉRÔME PIEGAI, La protection du débiteur et des tiers dans le nouveau droit du séquestre, thèse Lausanne 1997, p. 333).
Il résultait de cette jurisprudence qu'à l'obligation théorique de renseigner de la banque correspondait une pratique courante de non renseignement, lorsque l'existence de la créance était encore incertaine au moment où le séquestre était ordonné (LOUIS DALLÈVES, Impact de la nouvelle loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite concernant la pratique bancaire, in: Les banques et la loi sur la poursuite pour dettes et la faillite, 1998, p. 112). Il en allait différemment lorsque le créancier requérant le séquestre était au bénéfice d'un titre exécutoire, à savoir un jugement de mainlevée provisoire de l'opposition passé en force de chose jugée, ou un jugement exécutoire ou un acte y assimilé selon l'article 80 LP; la réticence de la banque à renseigner n'était alors plus justifiée par le caractère incertain de la créance, de sorte que la menace d'une sanction pénale n'était plus disproportionnée (
ATF 103 III 91
;
ATF 107 III 151
; DALLÈVES, op.cit., p. 112).
b) Dans son principe, l'obligation de renseigner du tiers détenteur des biens séquestrés n'a pas été remise en cause par la LP révisée du 16 décembre 1994. L'
art. 91 al. 4 LP
ne constitue donc qu'une codification de la jurisprudence rappelée plus haut dans la mesure où il prévoit désormais expressément l'obligation des tiers de renseigner l'office, obligation qui vaut également dans la procédure de séquestre en vertu de l'
art. 275 LP
(cf. DALLÈVES, op.cit., p. 113; DOMINIK GASSER, Das Abwehrdispositiv der Arrestbetroffenen nach revidiertem SchKG, in RJB 139/1994 p. 598; RUDOLF OTTOMANN, Der Arrest, RDS 115/1996 I p. 265; MICHEL OCHSNER, De quelques aspects de l'exécution des séquestres, in: Le séquestre selon la nouvelle LP, 1997, p. 60-62; HANS REISER, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 1998, n. 76 s. ad
art. 275 LP
; P.-R. GILLIÉRON, Le séquestre dans la LP révisée, in BlSchK 1995 p. 138; voir dans le même sens le Message, p. 86).
Le problème vient toutefois de ce que la loi ne règle pas la question de savoir à quel moment naît l'obligation de renseigner du détenteur des biens séquestrés. Certains auteurs préconisent de reporter cette obligation à la fin du délai d'opposition ou à l'issue de la procédure d'opposition, puisque jusqu'alors le séquestre n'est pas définitif
BGE 125 III 391 S. 394
(DALLÈVES, op.cit., p. 114; OTTOMANN, op.cit., p. 266; cf. aussi STOFFEL, Le séquestre, in: La LP révisée, 1997, p. 297 et Das neue Arrestrecht, in: AJP 1996 p. 1412 s.; on ne comprend toutefois pas clairement si cet auteur préconise de reporter dans le temps l'obligation de renseigner elle-même ou seulement la possibilité pour l'office d'assortir sa demande de renseignements de la menace de sanctions pénales). Ces auteurs se fondent ainsi sur le fait que la révision de la LP a introduit une procédure d'opposition à l'ordonnance de séquestre à l'
art. 278 LP
: celui dont les droits sont touchés par un séquestre peut désormais former opposition auprès du juge du séquestre dans les dix jours dès celui où il en a eu connaissance (al. 1); la décision sur opposition peut elle-même être déférée dans les dix jours à l'autorité judiciaire supérieure (al. 3); l'opposition et le recours n'empêchent pas le séquestre de produire ses effets (al. 4).
Contrairement aux auteurs précités, REISER (op.cit., n. 76 ad
art. 275 LP
) estime quant à lui que l'obligation existe comme par le passé dès l'exécution du séquestre, dès lors qu'il ne résulte d'aucune disposition légale explicite que le tiers aurait désormais le droit de refuser de renseigner l'office jusqu'à l'écoulement du délai pour faire opposition ou jusqu'à droit connu sur une éventuelle opposition.
c) En faveur d'une obligation immédiate de renseigner, l'arrêt attaqué invoque ce qui suit.
aa) Tout d'abord, le créancier séquestrant aurait intérêt à savoir d'entrée de cause si et dans quelle mesure le séquestre a porté, afin de décider en connaissance de cause de résister à une éventuelle opposition, de procéder à la validation du séquestre et d'engager des frais en rapport avec ces procédures.
Cet argument n'est pas décisif en soi. En effet, le risque d'engager des frais inutiles est inhérent à la procédure de séquestre, y compris à la procédure d'opposition prévue par la loi et conçue comme rapide (cf.
art. 278 al. 2 LP
). Au demeurant, si le séquestre n'a pas porté en raison de l'absence de biens du débiteur auprès de la banque, le débiteur n'aura aucune raison de faire opposition, de sorte que le créancier séquestrant n'aura pas de frais en relation avec une procédure d'opposition et qu'il disposera après l'écoulement du délai d'opposition des données nécessaires pour renoncer à valider le séquestre.
bb) L'autorité cantonale considère en outre que le juge éventuellement appelé à connaître d'une requête en fourniture de sûretés (cf.
art. 273 LP
) doit pouvoir être renseigné d'emblée sur la nature et la
BGE 125 III 391 S. 395
valeur des biens séquestrés. Cet argument n'est pas non plus décisif en soi, dès lors que le montant des sûretés pourra précisément être revu lorsque la valeur des biens séquestrés sera connue, une fois l'ordonnance de séquestre devenue définitive (cf. BERTRAND REEB, Les mesures provisoires dans la procédure de poursuite, RDS 116/1997 II p. 468 et la jurisprudence citée).
cc) Toujours selon l'arrêt attaqué, la possibilité pour la banque de refuser les renseignements demandés avant que l'ordonnance de séquestre ne soit devenue définitive reviendrait en fait à bloquer la procédure de séquestre; en effet, faute de renseignements de la part de la banque, l'office serait empêché de dresser immédiatement procès-verbal du séquestre au pied de l'ordonnance (
art. 276 al. 1 LP
) et donc d'en notifier copie (
art. 276 al. 2 LP
), de sorte que le délai d'opposition (
art. 278 al. 1 LP
) ne pourrait commencer à courir faute de notification. Cette conclusion ne repose toutefois sur aucune opinion doctrinale ou jurisprudentielle, et l'on ne voit pas pourquoi l'office ne pourrait notifier une ordonnance de séquestre au pied de laquelle auraient été constatés le refus de la banque de fournir les renseignements à ce stade de la procédure et la prise par celle-ci de mesures de blocage à titre conservatoire.
La question se posait d'ailleurs déjà dans les mêmes termes sous l'empire de l'ancien
art. 276 al. 1 LP
- dont la teneur n'a pas changé - et de l'ancienne jurisprudence, à cette différence près que la notification de l'ordonnance de séquestre faisait alors courir non le délai d'opposition, mais le délai pour interjeter recours de droit public. Or, dans la jurisprudence en question, le Tribunal fédéral a indiqué que si le débiteur et le tiers détenteur refusent de fournir les renseignements voulus pour permettre à l'office de désigner un à un dans le procès-verbal les objets qu'il est chargé de séquestrer, l'office peut se contenter de les désigner par leur genre, cette mesure suffisant pour assurer l'exécution du séquestre (
ATF 63 III 63
;
ATF 66 III 30
). Le Tribunal fédéral a également jugé que les interpellations qu'il appartient à l'office d'adresser au tiers séquestré, en le rendant attentif au fait que ses déterminations engagent sa responsabilité et qu'il ne peut se retrancher derrière le secret professionnel, ainsi que les réponses de ce tiers, doivent figurer au dossier et trouver mention au procès-verbal du séquestre, l'office des poursuites devant par ailleurs apprécier les informations qu'il a pu recueillir et dire dans le procès-verbal s'il en conclut que des actifs tombant sous le coup du séquestre existent ou peuvent exister et si, par conséquent, le séquestre a abouti ou échoué (
ATF 100 III 25
consid. 2 p. 29/30).
BGE 125 III 391 S. 396
Sur le vu de ces considérations, on ne saurait retenir que la solution préconisée par la recourante et les auteurs cités plus haut (cf. consid. b supra) revient en fait à bloquer la procédure de séquestre.
d) Quant aux arguments qui plaident en faveur d'un report de l'obligation de renseigner jusqu'à la fin du délai d'opposition, le cas échéant jusqu'à l'issue de la procédure d'opposition, il convient de considérer ce qui suit.
aa) On ne peut tout d'abord rien tirer, ni dans un sens ni dans l'autre, de l'argument relatif à l'annonce des droits préférables soulevé par la recourante. En effet, les tiers peuvent encore annoncer leurs prétentions à l'issue de la procédure d'opposition ou de recours (cf. Message, p. 195; REEB, loc. cit., p. 490; OTTOMANN, loc. cit., p. 260; REISER, op.cit., n. 3 ad
art. 276 LP
).
bb) Les obligations de la banque comme tiers séquestré sont en contradiction avec celles découlant du secret bancaire (Aubert et al., Le secret bancaire suisse, 3e éd., 1995, p. 206). Comme on l'a vu, la jurisprudence a résolu cette contradiction en considérant que les exigences de l'exécution forcée l'emportaient sur la protection du secret bancaire, ni la contrainte physique ni la menace d'une sanction pénale n'étant toutefois admissibles lorsque le créancier séquestrant n'était pas au bénéfice d'un titre exécutoire et que l'existence de la créance garantie était ainsi encore incertaine. Il convient de réexaminer la question à la lumière des nouvelles dispositions.
cc) Aux termes de l'
art. 275 LP
, les art. 91 à 109 LP relatifs à la saisie - et donc en particulier l'
art. 91 al. 4 LP
qui prévoit l'obligation des tiers de renseigner - s'appliquent par analogie à l'exécution du séquestre. Or, lorsqu'une saisie est exécutée (
art. 89 LP
), le débiteur a eu préalablement l'occasion de faire opposition au commandement de payer (
art. 74 ss LP
). L'opposition suspend la poursuite (
art. 78 al. 1 LP
), dont le créancier ne peut requérir la continuation qu'en se fondant sur une décision passée en force qui écarte expressément l'opposition à l'issue d'une procédure contradictoire (
art. 79 al. 1 LP
). Il en va différemment dans l'exécution du séquestre, vu l'effet de surprise qui caractérise cette mesure conservatoire urgente (cf. REEB, loc. cit., p. 463). Ce n'est ainsi qu'après l'exécution du séquestre que le débiteur a la possibilité de contester, dans une procédure contradictoire, notamment la vraisemblance de l'existence de la créance (cf. STOFFEL, in AJP 1996 p. 1412), mais aussi celle d'un cas de séquestre (
art. 272 al. 1 et 278 LP
), ou de faire valoir qu'il s'agit d'un séquestre investigatoire inadmissible (cf. REISER, op. cit., n. 12 ad
art. 278 LP
).
BGE 125 III 391 S. 397
Comme le souligne à juste titre DALLÈVES (op.cit., p. 113), en prescrivant l'application par analogie seulement des
art. 91 ss LP
à l'exécution du séquestre, le législateur a pris en compte le fait que certaines dispositions relatives à la saisie ne pouvaient pas s'appliquer au séquestre, les situations différentes devant être traitées différemment: alors que le créancier saisissant a établi son droit, le créancier séquestrant a pu se contenter de le rendre vraisemblable, sans que le débiteur ait eu l'occasion de le contester; il en découle un danger de séquestre injustifié, voire investigatoire, qui justifie de ne faire naître l'obligation de renseigner de la banque qu'à la fin du délai d'opposition, ou à l'issue de la procédure d'opposition.
e) En définitive, afin d'éviter de porter inutilement atteinte à l'obligation de discrétion des banques, obligation consacrée à l'art. 47 de la loi fédérale sur les banques et les caisses d'épargne (LB; RS 952.0) et qui trouve son fondement à la fois dans la protection de la personnalité du client et dans le contrat conclu entre celui-ci et la banque (AUBERT et al., op.cit., p. 43 ss) et afin de tenir compte des différences entre l'exécution du séquestre et celle de la saisie, comme l'impose l'application par analogie prévue par l'
art. 275 LP
, il convient de décider que l'obligation de renseigner de la banque ne naît qu'à la fin du délai d'opposition ou, le cas échéant, à l'issue de la procédure d'opposition. Cette solution n'affecte pas les droits du créancier séquestrant, puisque l'indication générique des biens séquestrés suffit à assurer l'exécution du séquestre (cf. consid. c/cc supra) et que la banque engage sa responsabilité si elle ne procède pas au blocage des fonds séquestrés dans une mesure suffisante pour garantir la créance pour laquelle le séquestre est opéré (cf. REISER, op.cit., n. 77).
Dès lors que la procédure d'opposition ne permet pas seulement de statuer sur la vraisemblance de l'existence de la créance, mais de manière générale sur le bien-fondé du séquestre (cf. consid. d/cc supra), la solution préconisée ci- dessus en accord avec une bonne partie de la doctrine (cf. consid. b supra) doit valoir également lorsque le créancier séquestrant est, comme en l'espèce, au bénéfice d'un titre exécutoire.
Il s'avère en conséquence que, sur le premier point litigieux, le recours est bien fondé.
3.
La seconde question soulevée par la recourante est celle de savoir si l'office peut ou non assortir sa sommation adressée à la banque de la menace des peines d'arrêts ou d'amende de l'
art. 292 CP
, compte tenu de l'introduction du nouvel
art. 324 ch. 5 CP
.
BGE 125 III 391 S. 398
a) L'autorité cantonale considère que cette dernière disposition n'est pas applicable en l'espèce; toutefois, la violation de l'obligation de renseigner ne pouvant être dépourvue de toute sanction - hormis celle civile, insuffisante, consistant en l'obligation de réparer le préjudice éventuellement causé au créancier par le tiers (la banque) -, elle admet que l'
art. 292 CP
reste applicable dans un tel cas. Elle s'appuie notamment sur OTTOMANN (loc. cit., p. 265) et sur GASSER (loc. cit., p. 598). Selon le premier de ces auteurs, le renvoi de l'
art. 275 LP
aux art. 91 à 109 LP n'emporte pas la répression de la violation de l'obligation de renseigner par application de l'
art. 324 ch. 5 CP
, vu la suppression dans cette disposition de la référence à l'
art. 275 LP
, suppression voulue par le législateur prétendument parce que la punissabilité générale de la violation de l'obligation de renseigner, au stade du séquestre, a été considérée comme excessive. Le second auteur partage ce dernier point de vue, tout en préconisant de continuer à appliquer l'
art. 292 CP
lorsque la requête de séquestre se fonde sur un titre exécutoire définitif.
La recourante soutient qu'une menace de sanctions pénales n'est plus possible sous l'angle du nouveau droit, parce que la violation de l'obligation de renseigner est actuellement régie exclusivement par l'
art. 324 ch. 5 CP
, ce qui rend l'
art. 292 CP
inapplicable; or l'
art. 324 ch. 5 CP
, dans sa version définitive, ne fait plus référence à l'obligation de renseigner résultant de l'
art. 275 LP
, qui était expressément prévue dans le projet de LP révisée. La menace de sanctions pénales prononcée par l'office dans le cas particulier serait donc illégale et dénuée de tout fondement juridique. A titre subsidiaire, la recourante fait valoir qu'une telle sommation était prématurée et ne pouvait porter que sur l'amende.
b) Il est inexact de parler, comme le font notamment l'autorité cantonale (arrêt attaqué, p. 13), la recourante et un auteur (OTTOMANN, loc. cit., p. 265), de l'obligation de renseigner selon l'
art. 275 LP
(«Auskunftspflicht gemäss nArt. 275 SchKG»). Cette disposition sur l'»exécution du séquestre», en effet, ne traite pas spécifiquement de l'obligation de renseigner; elle se borne à renvoyer de façon générale aux dispositions applicables par analogie. La norme topique est en l'occurrence l'
art. 91 al. 4 LP
.
c) Dans sa teneur en vigueur depuis le 1er janvier 1997, l'
art. 324 ch. 5 CP
prévoit que le tiers qui aura contrevenu à son obligation de renseigner et de remettre les objets conformément aux art. 57a al. 1, 91 al. 4, 163 al. 2, 222 al. 4 et 345 al. 1 LP sera puni de l'amende. Le projet de révision avait inclus, sans commentaire, l'
art. 275 LP
BGE 125 III 391 S. 399
au nombre de ces dispositions (FF 1991 II 313); le texte finalement adopté l'y a supprimé, sans davantage d'explications (BO 1993 CN 48). Faute de pouvoir trouver, dans les travaux des Chambres fédérales, la cause de la disparition de l'
art. 275 LP
dans l'énumération de l'
art. 324 ch. 5 CP
(cf. JEAN GAUTHIER, Sanctions pénales, in: Cedidac 35, p. 109), la seule explication logique qui s'impose est que le renvoi aux art. 91 à 109 LP, donc à l'
art. 91 al. 4 LP
, a été jugé suffisant, cette dernière disposition figurant déjà dans l'énumération de l'
art. 324 ch. 5 CP
. L'autorité cantonale a tenté de suivre cette explication, mais elle y a renoncé en se référant au cas de l'
art. 163 al. 2 LP
, qui figurait lui aussi dans l'énumération de l'
art. 324 ch. 5 CP
et qui y a été maintenu bien que renvoyant également à l'
art. 91 LP
applicable par analogie. Un examen plus approfondi aurait cependant dû la conduire à adopter la même explication que pour l'
art. 275 LP
, à savoir que l'
art. 163 al. 2 LP
devait également disparaître de l'énumération de l'
art. 324 ch. 5 CP
, parce que superflu. En effet, l'
art. 163 al. 2 LP
renvoie à trois dispositions, dont une figure déjà dans l'énumération en question (
art. 91 al. 4 LP
) et deux n'ont absolument rien à voir avec l'obligation de renseigner du tiers: l'
art. 90 LP
s'adresse à l'office et ne s'applique manifestement pas au séquestre, vu l'effet de surprise que celui-ci doit avoir (cf. consid. 2d/cc supra); l'
art. 92 LP
consiste, quant à lui, en une simple liste des biens insaisissables, sans aucune définition de caractère pénal, et s'adresse aussi, comme tel, à l'office (cf. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 172).
d) Il résulte clairement de la combinaison des dispositions des
art. 324 ch. 5 CP
et 91 al. 4 LP que le tiers n'est punissable que s'il a été expressément averti de la sanction pénale. Pour cette raison, les réserves formulées par certains auteurs, au nom du principe de la légalité, à l'application au séquestre de l'
art. 324 ch. 5 CP
(cf. GASSER, op.cit., p. 598; OTTOMANN, op.cit., p. 265) ne sont pas pertinentes. En effet, le principe de la légalité («nulla poena sine lege») qui découle de l'
art. 1 CP
signifie que la loi pénale doit être formulée de manière suffisamment claire et précise pour que ses conséquences soient reconnaissables pour tous (cf.
ATF 119 IV 242
consid. 1c et les arrêts cités). Or tel est le cas en l'espèce, puisque le tiers détenteur des biens séquestrés doit avoir été rendu expressément attentif par l'autorité aux sanctions pénales qu'il encourt.
Il résulte de ce qui précède que l'office peut assortir sa sommation adressée à la banque de la menace des peines prévues par la loi,
BGE 125 III 391 S. 400
mais que cette menace doit être, en vertu de l'
art. 91 al. 4 LP
, celle de la peine d'amende de l'
art. 324 CP
et non celle des peines d'arrêts ou d'amende de l'
art. 292 CP
. L'arrêt attaqué doit donc être réformé en tant qu'il confirme sur ce point le prononcé de l'autorité inférieure de surveillance et la décision de l'office. | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52b78e37-2d88-4012-afc0-15977a988407 | Urteilskopf
86 II 171
29. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Mai 1960 i. S. Rudishauser A.-G. in Nachlassliqu. gegen Stocker. | Regeste
Aktiengesellschaft, Haftung der Kontrollstelle.
Berechnung der Amtsdauer der Kontrollstelle (Erw. 1c). Amtsdauer der auf ein Jahr gewählten Kontrollstelle, wenn während mehreren Jahren keine Generalversammlung mehr stattfindet.
Art. 727 Abs. 4 OR
(Erw. 1 d).
Haftung der Kontrollstelle für mittelbaren Schaden der Gläubiger,
Art. 754 Abs. 1 OR
(Erw. 2).
Pflichtverletzung der Kontrollstelle, die trotz Ueberschuldung der Gesellschaft die Verwaltung nicht zur Benachrichtigung der Generalversammlung und des Richters veranlasst und bei Untätigkeit der Verwaltung die Generalversammlung nicht selbst einberuft. Verhältnisse bei der Einmanngesellschaft (Erw. 2 b-d).
Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung der Kontrollstelle und Schaden der Gesellschaft; Tat- und Rechtsfrage (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 172
BGE 86 II 171 S. 172
A.-
Paul Rudishauser erwarb am 20. Januar 1951 von Franz Bär die sämtlichen Aktien der Bär-Weber AG in Luzern. An der ausserordentlichen Generalversammlung vom 2. April 1951 wurde Rudishauser an Stelle von Franz Bär zum einzigen Verwaltungsrat der Gesellschaft gewählt und die Firma in Rudishauser AG abgeändert. Die Funktionen der Kontrollstelle wurden dem Bücherexperten Alfred Stocker übertragen.
Die Bilanz der AG per Ende 1951 wies einen Passivsaldo von rund Fr. 131'000.-- aus, bestehend aus einem Verlustvortrag pro 1950 von rund Fr. 70'000.-- und einem Verlust pro 1951 von rund Fr. 61'000.--. Unter den Passiven figurierten das Darlehenskonto von Paul Rudishauser mit rund Fr. 223'000.--, das Aktienkapital mit Fr. 100'000.-- und die Reserven mit Fr. 16'000.--. Mit Schreiben vom 26. August 1952 setzte die Schweizerische Volksbank Luzern den Revisor Stocker davon in Kenntnis, dass Paul Rudishauser ihr seine Darlehensforderung von Fr. 223'000.-- gegenüber der AG verpfändet habe.
In dem am 15. November 1952 erstatteten Revisionsbericht über das Geschäftsjahr 1951 beantragte der Revisor Stocker als Kontrollstelle, es sei dem Vorschlag des Verwaltungsrates, den Verlustsaldo von Fr. 131'000.-- auf neue Rechnung vorzutragen, zuzustimmen "unter der Bedingung, dass Herr Rudishauser sich bereit erklärt, bis zur Abtragung dieses Verlustsaldos sein persönliches Kontokorrentguthaben als haftbar zu erklären". Da Rudishauser eine Erklärung dieses Inhalt abgab, stimmte die ordentliche
BGE 86 II 171 S. 173
Generalversammlung vom 24. November 1952 dem Antrag des Verwaltungsrates zu. Stocker wurde als Kontrollstelle bestätigt.
Über die Geschäftsjahre 1952 und 1953 wurde keine Generalversammlung abgehalten. Die Verwaltung erstattete die Jahresrechnungen für die Jahre 1952-1954 gesamthaft im Sommer 1955. Sie schlug vor, die Verlustsaldi von rund Fr. 145'000.-- per Ende 1952, Fr. 239'000.-- per Ende 1953 und Fr. 326'000.-- per Ende 1954 auf neue Rechnung vorzutragen.
Die Revisionsberichte über die Jahre 1952-1954 wurden von Stocker miteinander am 27. Juni 1955 abgegeben. Er beantragte Genehmigung der Jahresrechnungen 1952-1954 mit Rücksicht darauf, dass Rudishauser am 5. Mai 1955 die schriftliche Erklärung abgegeben hatte, für die Schulden der AG persönlich mit seinem ganzen Vermögen zu haften.
Da die Bestrebungen Rudishausers misslangen, durch den Verkauf ihm gehörender Liegenschaften und durch die Veräusserung des Unternehmens die finanzielle Lage der AG zu sanieren, beschloss die am 25. Oktober 1955 abgehaltene Generalversammlung über die Jahre 1952-1954, sofort um Nachlassstundung einzukommen. Der Revisor Stocker war an der Teilnahme an dieser Generalversammlung wegen Landesabwesentheit verhindert. Die Neuwahl der Kontrollstelle wurde auf später verschoben.
Der vom gerichtlich bestellten Sachwalter aufgenommene Vermögensstatus ergab einen Passivenüberschuss von Fr. 718'000.--. Der von der Nachlassschuldnerin vorgeschlagene Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung wurde am 16. Mai 1956 gerichtlich genehmigt.
B.-
Mit Klage vom 13. Juni 1958 belangte die Rudishauser AG in Nachlassliquidation gestützt auf einen Beschluss des Gläubigerausschusses den Revisor Stocker auf Bezahlung eines Schadenersatzbetrages von Franken 65'000.-- nebst 5% Zins seit 2. November 1955, weil er seine Pflichten als Kontrollstelle in mehrfacher Hinsicht
BGE 86 II 171 S. 174
verletzt und dadurch die Gesellschaft, bzw. deren Gläubiger, zu Schaden gebracht habe.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Er machte geltend, er sei mangels Wiederwahl von 1953 an gar nicht mehr Kontrollstelle der AG gewesen. Eventuell bestritt er, seine gesetzlichen Pflichten als Kontrollstelle verletzt zu haben. Auf alle Fälle könnte eine Haftbarkeit höchstens für den vom Mai bis zum Oktober 1955 eingetretenen Verlust in Betracht gezogen werden.
C.-
Das Amtsgericht Luzern-Stadt und das Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer, verurteilten den Beklagten, an die Klägerin Fr. 20'000.-- nebst 5% Zins seit 3. Oktober 1957 zu bezahlen.
D.-
Gegen das Urteil des Obergerichts vom 28. Oktober 1959 erklärte die Klägerin die Berufung mit dem Antrag, der Beklagte sei zur Bezahlung von Fr. 60'000.--, eventuell eines Betrages nach richterlichem Ermessen, nebst 5% Zins seit 2. November 1955, zu verpflichten. Der Beklagte schloss sich der Berufung an mit dem Antrag auf gänzliche Abweisung der Klage.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beklagte hält mit der Anschlussberufung daran fest, dass es an den Voraussetzungen für eine Verantwortlichkeitsklage ihm gegenüber schon deswegen fehle, weil er in der massgebenden Zeit gar nicht mehr Kontrollstelle der Gesellschaft gewesen sei. Es ist deshalb in erster Linie diese Frage zu prüfen.
a) Der Beklagte bringt zur Begründung seines Einwandes im Wesentlichen vor, er sei letztmals an der Generalversammlung vom 24. November 1952, also für das Geschäftsjahr 1952, als Kontrollstelle gewählt worden; eine spätere Wahl habe nicht mehr stattgefunden, und eine sich automatisch erneuernde Amtsdauer gebe es nicht. Als für das Geschäftsjahr 1952 gewählte Kontrollstelle habe er lediglich die Geschäftsführung dieses Jahres zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten gehabt; er hätte
BGE 86 II 171 S. 175
daher höchstens für allfällige dieses Geschäftsjahr betreffende Pflichtverletzungen einzustehen. Dagegen berühre ihn die Entwicklung vom Beginn des Geschäftsjahres 1953 an nicht mehr, und er könne daher auch nicht für Handlungen und Unterlassungen betreffend die Geschäftsjahre 1953-1955 verantwortlich gemacht werden, insbesondere auch nicht für den zwischen Ende Mai und Ende Oktober 1955 eingetretenen Verlust, wie das Obergericht zu Unrecht angenommen habe. Dass er aus Gefälligkeit gegenüber Rudishauser die Kontrollberichte über die Geschäftsjahre 1953/54 erstattet habe, vermöge die fehlende Wahl nicht zu ersetzen. Die Auffassung der Vorinstanz, er sei auch nach Ablauf der für das Geschäftsjahr 1952 geltenden Amtsdauer Kontrollstelle geblieben und als solche verantwortlich, verstosse gegen Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2, 727 Abs. 1 und 754 ff. OR.
b) Anlässlich der Bestätigungswahl vom 24. November 1952 hätte der Beklagte, da es sich nicht um die erstmalige Bestellung der Kontrollstelle für eine neugegründete AG handelte, von Gesetzes wegen (
Art. 727 Abs. 4 OR
) für höchstens drei Jahre als Revisor bezeichnet werden können. Nun bestimmt aber § 31 der Statuten der Gesellschaft: "Die Generalversammlung wählt alljährlich eine Kontrollstelle mit den in Art. 659-663 umschriebenen Pflichten und Kompetenzen". Bei den hier genannten Bestimmungen handelt es sich um die Vorschriften des alten OR von 1881/1911. Diese Statutenbestimmung hätte schon längst den Vorschriften des revidierten OR von 1936 angepasst werden sollen (Art. 2 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zu den Titeln 24-34 und nachfolgende Bundesratsbeschlüsse von 1941/43/47). Indessen enthalten die Art. 728/29 des geltenden OR, die sich mit den Aufgaben der Kontrollstelle (Prüfungspflicht, Berichterstattung) befassen, zwingendes, um der öffentlichen Ordnung willen aufgestelltes Gesetzesrecht, das gilt, auch wenn die Statuten noch auf die weniger weit gehenden Art. 659-663 des aoR verweisen.
BGE 86 II 171 S. 176
Hinsichtlich der Amtsdauer der Kontrollstelle unterscheidet sich das geltende Recht von der früheren Regelung insofern, als in
Art. 727 Abs. 4 OR
die zulässige Höchstdauer von 5 auf 3 Jahre herabgesetzt worden ist. Dagegen steht es auch nach dem geltenden Recht wie früher der Gesellschaft frei, in den Statuten eine kürzere Amtsdauer der Kontrollstelle vorzusehen. Es darf deshalb angenommen werden, die im vorliegenden Fall in § 31 der Statuten aufgestellte Vorschrift der alljährlichen Wahl der Kontrollstelle habe ihre Gültigkeit auch unter der Herrschaft des revoR beibehalten. Danach ist davon auszugehen, dass dem Beklagten durch die Bestätigungswahl vom 24. November 1952 die Funktionen der Kontrollstelle für ein Jahr übertragen wurden.
c) Der Beklagte nimmt den Standpunkt ein, dieses Jahr sei mit dem Geschäftsjahr identisch, und da dieses bei der Rudishauser AG mit dem Kalenderjahr übereinstimme, sei das ihm von der Generalversammlung vom 24. November 1952 erteilte Mandat mit Ende des Jahres 1952 abgelaufen. Diese Auffassung ist jedoch unhaltbar.
Die Aufgabe der Kontrollstelle besteht in der Prüfung der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz (
Art. 728 OR
), sowie in der bezüglichen Berichterstattung und Antragstellung an die Generalversammlung (
Art. 729 OR
). Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz sind von der Verwaltung zusammen mit dem Geschäftsbericht nach dem Jahresabschluss zu erstellen und - nach Prüfung durch die Kontrollstelle - der ordentlichen Generalversammlung vorzulegen, die alljährlich innerhalb 6 Monaten seit Schluss des Geschäftsjahres stattfinden soll (
Art. 699 Abs. 2 OR
).
Die Kontrollstelle kann daher, wie auch der Beklagte anerkennt, überhaupt erst nach Schluss des Geschäftsjahres in Funktion treten. Schon das schliesst aus, dass ihre Amtsdauer mit dem Geschäftsjahr zusammenfällt, auf welches sich ihre Obliegenheiten beziehen. Solange die Kontrollstelle die Rechnungsprüfung nicht vorgenommen
BGE 86 II 171 S. 177
hat, kann ihre Amtsdauer nicht abgelaufen sein. Dass die Revisoren nach Ablauf ihrer Amtsdauer ihre Prüfung vorzunehmen und der Generalversammlung Bericht zu erstatten hätten, wie der Beklagte meint, ist ein Widerspruch in sich selbst. Ginge die Amtsdauer mit dem betreffenden Geschäftsjahr zu Ende, so hätte das zur Folge, dass die Organeigenschaft der in Frage stehenden Kontrollstelle erloschen wäre. Dann würden aber für die Ausübung der Obliegenheiten, die das Gesetz der Kontrollstelle überbindet (Rechnungsprüfung, Berichterstattung an die Generalversammlung) die erforderliche Rechtsgrundlage fehlen. Eine bereits erloschene Organqualität könnte nicht in der Weise nachwirken, dass ihr Träger nachträglich noch die Befugnisse in Anspruch nehmen könnte, deren er zur Durchführung seiner Aufgabe bedarf. Dazu kommt, dass die Tätigkeit der Kontrollstelle sich nicht in der Rechnungsprüfung und der Berichterstattung an die Generalversammlung erschöpft. Sie hat vielmehr gemäss
Art. 699 Abs. 1 OR
"nötigenfalls" auch die Generalversammlung einzuberufen, nämlich dann, wenn die Verwaltung, der die Einberufung in erster Linie obliegt, dazu nicht im Stande ist oder die Einberufung böswillig und in unverantwortlicher Weise unterlässt (BÜRGI, N. 10, und SCHUCANY, N. 2 zu
Art. 699 OR
). Da die Generalversammlung nach
Art. 699 Abs. 2 OR
innerhalb sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres stattfinden soll, lässt sich erst nach Ablauf dieser Frist mit Sicherheit feststellen, ob die Verwaltung in der Lage oder willens ist, ihrer Pflicht nachzukommen. Demgemäss kann auch erst in diesem Zeitpunkt Recht und Pflicht der Kontrollstelle zur Einberufung der Generalversammlung entstehen. Das setzt aber wiederum voraus, dass sie sich dannzumal noch im Amte befindet.
Da die Aufgabe der Kontrollstelle auf jeden Fall nicht vor der Berichterstattung an die Generalversammlung zu Ende geht, muss vernunftgemäss angenommen werden, dass ihre Amtsdauer sich über das von ihr zu prüfende
BGE 86 II 171 S. 178
Geschäftsjahr hinaus mindestens bis zur nächsten ordentlichen Generalversammlung erstreckt (vgl. WIDMER, Die Kontrollstelle der AG nach schweizerischem Recht, S. 23 f.; CURCHOD, Le contrôle dans les sociétés anonymes, S. 99).
Der Hinweis des Beklagten auf das Urteil des Bundesgerichtes vom 11. Februar 1941 i.S. Pinget c. Lasserre und Kons. verfängt demgegenüber nicht. Dort wurde angenommen, das Amt eines für eine bestimmte Anzahl von Jahren bestellten Verwaltungsrates endige mit dem Jahrestag der Wahl. Beim Verwaltungsrat, dessen Tätigkeit in der laufenden Geschäftsführung besteht, ist aber eine solche Terminierung auf ein bestimmtes Datum eher denkbar als bei der Kontrollstelle, so dass der Begriff der Amtsdauer für die beiden Organe nicht notwendigerweise derselbe zu sein braucht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es nicht auch für den Verwaltungsrat richtiger wäre, die Amtsdauer bis zu der Generalversammlung andauern zu lassen, welche über die Abnahme der Bilanz des letzten Geschäftsjahres zu beschliessen hat (so FUNK und SCHUCANY, je N. 2 zu
Art. 708 OR
).
d) Die "nächste ordentliche Generalversammlung", die nach dem Gesagten als Endpunkt der Amtsdauer einer auf ein Jahr gewählten Kontrollstelle zu gelten hat, ist in der Regel etwa innert Jahresfrist nach der vorausgegangenen Generalversammlung zu erwarten. Im vorliegenden Falle ist aber nach der das Geschäftsjahr 1951 betreffenden Generalversammlung vom 24. November 1952 keine solche mehr abgehalten worden bis zum 25. Oktober 1955, und infolgedessen ist auch keine Wahl oder Bestätigung der Kontrollstelle mehr erfolgt. Daraus will der Beklagte ableiten, dass auf jeden Fall seine Organeigenschaft im Laufe des Jahres 1953 erloschen sei, in welchem die Generalversammlung über das Jahr 1952 hätte stattfinden sollen; eine Verlängerung der Amtszeit von unbegrenzter Dauer könne nicht in Betracht kommen.
Auch dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden.
BGE 86 II 171 S. 179
Wie oben dargelegt wurde, kann die Amtsdauer der Kontrollstelle erst mit der ihr obliegenden Berichterstattung an die Generalversammlung zu Ende gehen. Findet die Generalversammlung nicht statt, so ist die logische Folge daraus, dass auch die Amtsdauer der Kontrollstelle nicht ablaufen kann, sondern sich automatisch verlängert und solange weiterdauert, bis wieder eine Generalversammlung abgehalten wird. Die gegenteilige Annahme würde zu äusserst stossenden Ergebnissen führen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass nach
Art. 699 Abs. 1 OR
die Kontrollstelle die Generalversammlung einzuberufen hat, falls die Verwaltung dies ohne stichhaltige Gründe unterlässt. Beruft auch die Kontrollstelle die Generalversammlung nicht ein, sondern lässt sie einfach den Dingen ihren Lauf, so verletzt sie damit unzweifelhaft eine ihr vom Gesetz überbundene Pflicht. Das verbietet die Annahme, bei Unterbleiben der Generalversammlung falle die Organqualität der für ein Geschäftsjahr bestellten Kontrollstelle spätestens mit Ablauf des darauf folgenden Jahres dahin und ihr Träger sei für die Folgezeit jeder Verantwortung für die Geschicke der Gesellschaft enthoben. Denn damit würde die von der Kontrollstelle begangene Pflichtverletzung letzten Endes zu ihrem Vorteil ausschlagen, was nicht im Willen des Gesetzes liegen kann.
Es liesse sich allerdings auch die Auffassung vertreten, dass zwar mit dem Ablauf der statutarischen Jahresfrist ohne nachfolgende Neuwahl die Organfunktion der bisherigen Kontrollstelle erlösche, dass aber durch eine tatsächliche Fortsetzung der Kontrollfunktionen ein Mandatsverhältnis begründet werde, dessen Inhalt den Aufgaben der Kontrollstelle entspreche, und dass bei nicht richtiger Erfüllung dieses Mandates das frühere Organ nach den Grundsätzen über den Auftrag haftbar sei. Allein diese Konstruktion bietet grosse theoretische Schwierigkeiten hinsichtlich der Frage, wer denn eigentlich - ohne Abhaltung einer Generalversammlung - von Seiten der Gesellschaft ein Mandatsverhältnis dieses Inhalts zu begründen
BGE 86 II 171 S. 180
vermöchte. Mit Rücksicht hierauf ist daher der oben dargelegten Lösung der automatischen Verlängerung der Amtsdauer der Vorzug zu geben.
Der Umstand, dass die Rudishauser AG eine Einmanngesellschaft mit Rudishauser als einzigem Aktionär und Verwaltungsrat war, ist in diesem Zusammenhang belanglos. Denn der Inhaber aller Aktien hat nach allgemein anerkannter Auffassung die von Gesetz und Statuten vorgeschriebenen Formen zu beachten und kann daher nicht wie ein Privatmann nach Belieben über die Aktiven der ihm gehörenden Gesellschaft verfügen (
BGE 67 II 29
). Das gilt auch in Bezug auf die Pflicht zur Bestellung einer Kontrollstelle. Gewiss sind, wie bei der Einmanngesellschaft überhaupt, auch in dieser Beziehung Missbräuche möglich, indem der Inhaber aller Aktien eine ihm genehme und willfährige Kontrollstelle ernennen kann. Das rechtfertigt es aber nicht, von einer Funktionslosigkeit der Kontrollstelle zu sprechen (so SCHÖNLE, Die Einmann- und Strohmanngesellschaft, S. 160). Vielmehr vermag gerade bei der Einmanngesellschaft die Existenz der Kontrollstelle wegen ihrer Verantwortlichkeit den Gläubigern einen gewissen Schutz zu bieten.
e) Im vorliegenden Falle kommt dazu, dass sich der Beklagte selbst über den 24. November 1953 hinaus als Revisor der Rudishauser AG betrachtete und betätigte, indem er am 27. Juni 1955 die Revisionsberichte über die Jahre 1952 - 1954 erstattete und sich darin ausdrücklich als "Kontrollstelle Ihrer Aktiengesellschaft i.S. von
Art. 728 ff. OR
" bezeichnete. An der Generalversammlung vom 25. Oktober 1955, die über die Geschäftsführung der Jahre 1952-1954 Beschluss fasste, konnte er allerdings wegen Landesabwesenheit nicht teilnehmen, und er wurde auch nicht als Kontrollstelle für die Zukunft wiedergewählt. Wer aber wie der Beklagte als Revisor tätig wird und selber ausdrücklich und wiederholt erklärt, er habe dies als Kontrollstelle getan, kann nicht nachträglich den Standpunkt einnehmen, sein Mandat sei schon lange vorher
BGE 86 II 171 S. 181
erloschen. Eine solche Einwendung ist offensichtlich rechtsmissbräuchlich und darum nicht zu hören.
Die Vorinstanz hat daher mit Recht angenommen, der Beklagte sei auch nach 1952, mindestens bis zur Generalversammlung vom 25. Oktober 1955, Kontrollstelle der Rudishauser AG gewesen.
2.
Im weiteren ist zu prüfen, ob der Beklagte die ihm als Revisor der Gesellschaft obliegenden Pflichten verletzt und dadurch die AG oder deren Gläubiger geschädigt habe. Für letztere kommt dabei nur sog. mittelbarer Schaden in Betracht, d.h. der Schaden, der infolge der Pflichtverletzung des Organs im Vermögen der Gesellschaft entstanden ist (vgl. FRICK, Der unmittelbare und der mittelbare Schaden im Verantwortlichkeitsrecht der AG, S. 86 ff., spez. S. 98 ff.).
a) Die Vorinstanz legt dem Beklagten eine ganze Anzahl von Pflichtverletzungen zur Last. So habe er entgegen der Vorschrift von
Art. 728 Abs. 1 OR
nicht geprüft, ob die Vermögenslage der Gesellschaft in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bewertungsgrundsätzen dargestellt worden sei; ebenso habe er nicht untersucht, ob die Warenvorräte in der Bilanz höchstens zu den Anschaffungspreisen eingesetzt worden seien und habe ungenügende Abschreibungen auf dem Warenlager zugelassen; weiter sei er der Mitteilungspflicht gemäss
Art 729 Abs. 3 OR
hinsichtlich der Verletzungen gesetzlicher Vorschriften nicht nachgekommen; obwohl die Hälfte des Grundkapitals nicht mehr gedeckt gewesen sei, habe er unterlassen, gemäss
Art. 725 Abs. 1 OR
an die Verwaltung das Begehren um Einberufung einer Generalversammlung und um Benachrichtigung derselben von der Sachlage zu stellen und nötigenfalls selber die Generalversammlung einzuberufen (
Art. 699 Abs. 1 OR
); schliesslich habe er auch unterlassen, von der Verwaltung die Benachrichtigung des Richters gemäss
Art. 725 Abs. 3 OR
zu verlangen, nachdem die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger durch die Aktiven nicht mehr gedeckt waren.
BGE 86 II 171 S. 182
Wie sich aus den weiteren Erwägungen des Urteils ergibt, führt die Vorinstanz dann aber den Schaden, der den Gesellschaftsgläubigern in der Gestalt eines Ausfalls auf ihren Forderungen erwachsen ist, einzig darauf zurück, dass infolge einer vom Beklagten verschuldeten verspäteten Benachrichtigung des Richters der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft nicht früher eingestellt, bzw. das Gesuch um Nachlassstundung nicht früher eingereicht worden sei. Da sich auch die Berufungsschrift ausschliesslich mit dieser Schadensursache beschäftigt, hat sich die Berufungsinstanz ebenfalls nur mit dieser Frage zu befassen, während die weiteren angeblichen Verfehlungen des Beklagten beiseite zu lassen sind. Dies ist um so mehr am Platze, als ja die Pflichtverletzung der Kontrollstelle nicht die primäre Schadensursache darstellt; sie haftet nicht schlechthin für den ursprünglich durch die Verwaltung verursachten Schaden, sondern nur für seine Fortdauer und Vergrösserung zufolge mangelhafter Orientierung der Generalversammlung (FRICK, op.cit. S. 80; WIDMER, op.cit. S. 85).
b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz waren bereits beim Abschluss des Geschäftsjahres 1951 die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger durch die Aktiven nicht mehr gedeckt. Die Verwaltung hätte daher gemäss
Art. 725 Abs. 3 OR
schon damals den Richter benachrichtigen müssen, und da sie es nicht tat, wäre es nach
Art. 729 Abs. 3 OR
Sache der Kontrollstelle gewesen, diese Gesetzesverletzung der Generalversammlung mitzuteilen und ihr den Antrag zu stellen, die Benachrichtigung des Richters zu beschliessen. Statt dessen hat der Beklagte in seinem Revisionsbericht vom 15. November 1952, nachdem er einen Verlustsaldo von Fr. 131'000.-- festgestellt hatte, der Generalversammlung beantragt, denselben auf neue Rechnung vorzutragen, unter der Bedingung, dass Rudishauser sich bereit erkläre, bis zur Abtragung dieses Verlustsaldos sein persönliches Kontokorrentguthaben an die AG als haftbar zu erklären, was
BGE 86 II 171 S. 183
zum Beschluss erhoben wurde. Dieses Kontokorrentguthaben von Fr. 223'000.-- war aber der Schweizerischen Volksbank Luzern verpfändet. Da dies dem Beklagten von der Bank mit Schreiben vom 26. August 1952 mitgeteilt worden war, durfte er sich bei der Berichterstattung vom 15. November 1952 nicht auf die erwähnte Erklärung Rudishausers verlassen, um gestützt darauf die AG als noch nicht konkursreif zu betrachten. Dass die Forderung der Bank, für welche das Guthaben verpfändet war, weniger als Fr. 223'000.-- betragen habe, steht laut Feststellung der Vorinstanz nicht fest; das hätte aber der Beklagte behaupten und beweisen müssen.
c) Bis zum 25. Oktober 1955 fand dann keine Generalversammlung mehr statt, weil die Verwaltung es trotz der Vorschrift von
Art. 699 Abs. 2 OR
unterliess, die ordentliche Generalversammlung alljährlich innerhalb sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres einzuberufen. Da die Verwaltung dieser Pflicht nicht nachkam, wäre es nach
Art. 699 Abs. 1 OR
Sache der Kontrollstelle gewesen, die Einberufung vorzunehmen, wie bereits in anderm Zusammenhang (Erw. 1 lit. c) dargelegt wurde. Durch die Einberufung der Generalversammlung hätte der Beklagte veranlassen können, dass ihm Bilanz und Jahresrechnung zur Revision vorgelegt worden wären und er damit in der Lage gewesen wäre, der Generalversammlung Bericht und Antrag darüber zu unterbreiten. Bericht und Antrag hätten aber nicht darüber hinwegsehen können, dass die Gesellschaft schwer überschuldet und die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger durch die Aktiven nicht mehr gedeckt seien. Darin, dass der Beklagte nichts unternahm und den Dingen einfach ihren Lauf liess, lag eine schuldhafte Vernachlässigung seiner Pflichten als Kontrollstelle. Davon kann sich der Beklagte nicht entlasten mit dem Hinweis darauf, dass bei einer Einmanngesellschaft eine Aufforderung an die Verwaltung, die Generalversammlung zu benachrichtigen, sinnlos sei, weil ja Verwaltung und
BGE 86 II 171 S. 184
Generalversammlung in ein und derselben Person vereinigt seien und diese den Stand des Unternehmens selber am besten kenne. Gerade bei einer Einmanngesellschaft ist es zum Schutze der Gläubiger wichtig, dass die Kontrollstelle auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften über die Erstellung der Jahresrechnung und der Bilanz und die Befolgung der daraus zu ziehenden Konsequenzen durch den Inhaber aller Aktien dringt. In einem von der Klägerin eingereichten Rechtsgutachten wird die Ansicht vertreten, der Beklagte hätte überdies die Möglichkeit gehabt, eine Klage gegen die AG einzureichen mit dem Rechtsbegehren, sie habe im Sinne von
Art. 725 Abs. 3 OR
den Richter zu benachrichtigen. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Auf Vornahme einer Handlung klagen kann nur, wer einen eigenen Anspruch darauf besitzt, dass der Beklagte die betreffende Handlung vornehme. Das trifft bezüglich der in
Art. 725 Abs. 3 OR
erwähnten Handlung vielleicht für einen Aktionär oder sogar für einen Gläubiger zu (was dahingestellt bleiben kann), nicht aber für die Kontrollstelle. Diese kann sich, falls ihren Anträgen nicht entsprochen wird, jeder Verantwortung entschlagen, allenfalls auch zurücktreten; einen Zwang gegen die Verwaltung oder auf die Generalversammlung vermag sie dagegen nicht auszuüben, auch nicht durch den Arm des Richters.
d) Am 27. Juni 1955 erstattete der Beklagte die Revisionsberichte für die Geschäftsjahre 1952-1954, und zwar alle am selben Tage. Dabei stellte er Verlustsaldi von rund Fr. 145'000.-- per Ende 1952, Fr. 239'000.-- per Ende 1953 und Fr. 326'000.-- per Ende 1954 fest, sah sich aber auch jetzt noch nicht veranlasst, den Antrag auf Benachrichtigung des Richters zu stellen, sondern beantragte jedesmal, dem Vorschlag des Verwaltungsrates entsprechend, den betreffenden Verlustsaldo auf neue Rechnung vorzutragen, unter der Bedingung, dass Paul Rudishauser sich bereits erkläre, für die Schulden der AG persönlich mit seinem ganzen Vermögen zu haften.
BGE 86 II 171 S. 185
Eine solche Erklärung hatte Rudishauser in der Tat am 5. Mai 1955 abgegeben. Aber der Beklagte durfte auf diese Erklärung nicht abstellen in dem Sinne, dass sie die festgestellten Verlustsaldi aus der Welt zu schaffen vermocht hätte. Nach dem Protokoll der Generalversammlung vom 25. Oktober 1955 hatte Rudishauser "alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel in das Geschäft investiert". Die Vorinstanz stellt zudem verbindlich fest, dass der Beklagte über die finanzielle Lage Rudishausers und damit über den wirklichen Wert seiner Haftungserklärung nicht im Bilde war. Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob jene Erklärung nicht überhaupt als Bürgschaftserklärung aufzufassen und mangels der für eine solche geltenden Formvorschriften ungültig sei.
Durch sein im Vorstehenden geschildertes Verhalten hat der Beklagte seine Pflichten als Kontrollstelle wiederholt in schuldhafter Weise verletzt, wie schon die Vorinstanz zutreffend angenommen hat.
3.
a) Nach
Art. 756 OR
steht im Gesellschaftskonkurs der AG die Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen der Aktionäre und der Gesellschaftsgläubiger zunächst der Konkursverwaltung zu. Die Bestimmung gilt analog auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, wie er hier vorliegt; denn auch bei einem solchen erfolgt die Liquidation des schuldnerischen Vermögens im wesentlichen nach den Regeln des Konkurses (SCHUCANY zu
Art. 756 OR
). Die Klägerin ist somit zur Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen aus
Art. 754 OR
gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Kontrollstelle befugt.
Aktionäransprüche kommen jedoch im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil es sich bei der Rudishauser AG um eine Einmanngesellschaft handelt. Als einziger Aktionär und gleichzeitig einziger Verwaltungsrat kannte Rudishauser die Situation aus erster Hand und hätte wissen müssen, dass längst die Benachrichtigung des Richters erforderlich gewesen wäre. Ihn trifft in erster Linie die
BGE 86 II 171 S. 186
Verantwortung dafür, dass dies unterblieb, und er bedurfte nicht eines Hinweises des Beklagten auf das, was er selber am besten wusste und was er von sich aus hätte vorkehren sollen. Wenn die AG, das heisst das ihm allein gehörende Vermögen, durch die Weiterführung des Geschäftsbetriebes mit den ständig zunehmenden Verlustsaldi geschädigt wurde, so hat er das sich selber zuzuschreiben.
Für die Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger dagegen, wie sie mit der vorliegenden Klage geltend gemacht werden, ist eine Erzatzpflicht des Beklagten gegeben, soweit seine Pflichtverletzungen für den Schaden aus der Weiterführung des verlustbringenden Betriebes kausal waren.
b) Die Vorinstanz hat einen solchen Kausalzusammenhang angenommen hinsichtlich des Verlustes, der in der Zeit von Anfang Juli bis zur Stundungsbewilligung vom 2. November 1955 eintrat und der sich auf den Betrag von rund Fr. 35'000.-- belief. Sie führt aus, durch pflichtgemässes Handeln (d.h. durch nachdrückliche Aufforderung Rudishausers zur Benachrichtigung des Richters) hätte der Beklagte spätestens um die Zeit der Erstattung der Revisionsberichte vom 27. Juni 1955 Rudishauser zur Vernunft bringen können; eine "Entschleierung" der Bilanz und ein streng formelles Vorgehen des Beklagten hätten Rudishauser die unhaltbare Lage seiner Firma deutlich vor Augen geführt. Für die Zeit vor dem 27. Juni 1955 hat die Vorinstanz dagegen eine solche Möglichkeit erfolgreicher Einwirkung des Beklagten auf Rudishauser nicht festgestellt und damit implicite eine Kausalität der Pflichtverletzungen des Beklagten für den bis dahin eingetretenen Schaden verneint.
c) Diese Beurteilung des Kausalzusammenhangs wird seitens beider Parteien angefochten. Die Klägerin macht geltend, schon die seit Ende 1952 bis zum Juli 1955 eingetretene Verschlechterung des Vermögensstandes der Gesellschaft um rund Fr. 250'000.-- hätte sich mit grosser
BGE 86 II 171 S. 187
Wahrscheinlichkeit vermeiden lassen, wenn der Beklagte schon in jenem früheren Zeitpunkt pflichtgemäss gehandelt hätte, und sie verlangt mit der Berufung, dass jener Zeitraum ebenfalls in die Schadensberechnung einbezogen werde.
Der Beklagte nimmt umgekehrt mit der Anschlussberufung den Standpunkt ein, auch im Sommer 1955 hätte eine Intervention bei Rudishauser so wenig genützt wie in der vorangehenden Zeit, weshalb überhaupt jeder Kausalzusammenhang zwischen der mangelhaften Erfüllung der Pflichten der Kontrollstelle und dem Schaden der Gesellschaft fehle.
d) Die Frage, welche die Vorinstanz zu entscheiden hatte, ging dahin, ob und in welchem Zeitpunkt zwischen Ende 1952 und November 1955 der Beklagte bei Erfüllung seiner Pflichten als Revisor den Rudishauser als einzigen Verwaltungsrat und Inhaber aller Aktien dazu hätte veranlassen können, mit Rücksicht auf die finanzielle Lage der AG den Richter zu benachrichtigen. Es handelt sich also um eine hypothetische Überlegung, wie sich ein bestimmtes Ereignis, sofern es eingetreten wäre, auf das zukünftige Verhalten einer Person ausgewirkt haben würde. Auf Überlegungen dieser Art beruhende Annahmen einer kantonalen Instanz sind nach der Rechtsprechung für das Bundesgericht verbindlich, da sie, gleich wie die Feststellung dessen, was sich tatsächlich ereignet hat, auf dem Wege der Beweiswürdigung getroffene Schlussfolgerungen aus konkreten Anhaltspunkten darstellen (vgl.
BGE 80 II 333
,
BGE 83 II 39
; nicht veröffentlichte Entscheide vom 9. Juni 1953 i.S. Breitenmoser c. Kramer und vom 10. Juni 1958 i.S. Balmer c. Schneeberger und Kons.). Wenn der Beklagte sich für die von ihm verfochtene Ansicht, solche hypothetische Annahmen kÖnnten als Rechtsfragen vom Bundesgericht überprüft werden, aufBGE 76 II 15und 279, sowie
BGE 80 III 57
beruft, so übersieht er, dass sich die genannten Entscheide auf einen andern Sachverhalt beziehen; sie befassen sich mit dem hypothetischen Parteiwillen,
BGE 86 II 171 S. 188
den gewisse Vertragsschliessende (in der Vergangenheit) gehabt hätten, wenn ihnen zur Zeit des Vertragsschlusses ein bestimmter Umstand bekannt gewesen wäre.
Mit Rücksicht auf die dargelegte Beschränkung der Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts in Bezug auf die Frage der Kausalität ist das mit der klägerischen Berufung geforderte Zurückgreifen auf die Zeit vor Ende Juni 1955 nicht angängig. Das führt zur Abweisung der Berufung.
Anderseits muss auch der Anschlussberufung der Erfolg versagt bleiben, soweit sie den Pflichtverletzungen des Beklagten jede ursächliche Bedeutung auch für die Zeit von Ende Juni 1955 bis zur Stellung des Nachlassstundungsgesuches absprechen will. Was der Beklagte zur Begründung dieser Behauptung vorbringt, ist als blosse appellatorische Kritik nicht zu hören.
4.
Die Vorinstanz hat den vom Beklagten zu leistenden Schadenersatz ermessensweise auf Fr. 20'000.-- festgesetzt. Die Anschlussberufung greift diese Schadensbemessung nicht an, sondern sie beschränkt sich auf die grundsätzliche Bestreitung jeder Ersatzpflicht. Da dieser Standpunkt, wie oben dargelegt wurde, nicht zutrifft, ist auch die Anschlussberufung abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Berufung und Anschlussberufung werden abgewiesen, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, I. Kammer, vom 28. Oktober 1959 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52bf38f8-db92-40c6-8f9f-321021732c9b | Urteilskopf
105 II 317
52. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 4 octobre 1979 dans la cause S.I.M. S.A. contre T. (recours en réforme) | Regeste
Art. 48 und 50 OG
; 694 ZGB
.
1. Der Entscheid, durch den ein Wegrecht zugesprochen und die Linienführung festgelegt, hinsichtlich der Festsetzung der Entschädigung jedoch nur der Fortgang des Verfahrens geordnet wird, stellt keinen Endentscheid dar (E. 2).
2. Auf die gestützt auf
Art. 50 OG
gegen einen solchen Entscheid erhobene Berufung ist grundsätzlich nicht einzutreten (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 317
BGE 105 II 317 S. 317
A.-
A l'entrée sud-est du village de Meyrin (Genève), entre la route cantonale Genève-Meyrin et le chemin privé Léon-Guerchet, qui lui est parallèle, se trouvent côte à côte les parcelles 2197, propriété de l'Etat de Genève, 2198, propriété de K., et 2199, propriété de T., alors que les parcelles 2202 et 2196, propriété de la S.I.M. S.A., leur sont partiellement contiguës.
T. a l'intention de construire sur sa parcelle deux bâtiments locatifs avec garages et places de parc extérieures, dont l'accès est prévu par le prolongement du chemin Léon-Guerchet, empiétant ainsi sur les parcelles 2202 et 2196.
BGE 105 II 317 S. 318
Dès 1972, une demande préalable d'autorisation de bâtir a été déposée. L'autorité administrative a autorisé la construction projetée, la subordonnant toutefois, en ce qui concerne les accès, aux restrictions suivantes:
- l'accès en voiture aux garages devra se faire uniquement par le chemin
Léon-Guerchet; - la commune de Meyrin n'envisage pas le transfert de ce
chemin au domaine public; - il appartient à T. de demander à ses voisins
qu'ils lui cèdent le passage nécessaire.
B.-
La S.I.M. S.A. ayant refusé de concéder le passage à l'amiable, T. a ouvert action contre elle en constitution d'un passage nécessaire sur les parcelles 2202 et 2196, offrant de payer une indemnité à verser judiciairement.
Le Tribunal de première instance du canton de Genève a rejeté l'action, la jugeant prématurée et non fondée, au motif qu'il n'était pas établi qu'une autre solution moins dommageable pour la défenderesse ne pourrait pas être adoptée.
Le 27 avril 1979, la Cour de justice a annulé ce jugement. "Statuant à nouveau et sur partie", elle a - condamné la S.I.M. S.A. à accorder à T. un droit de passage sur la portion de la parcelle 2202 qui constitue un tronçon du chemin Léon-Guerchet parallèle à la route cantonale et sur une portion de la parcelle 2199 dont le tracé est précisé dans le dispositif de l'arrêt; - ordonné l'inscription au Registre foncier moyennant paiement préalable de "l'indemnité qui sera fixée soit d'accord entre les parties soit par une décision judiciaire définitive". "Statuant préparatoirement pour le surplus", la Cour a ordonné la reprise de l'instruction pour la détermination de l'indemnité, fixant à cet effet les délais pour dépôt des mémoires et de l'audience de plaidoirie.
C.-
La S.I.M. S.A. a recouru en réforme au Tribunal fédéral. Elle concluait au rejet de l'action du demandeur, subsidiairement au renvoi de la cause à la Cour cantonale, "afin qu'elle acheminât les parties à établir les faits qu'elles avaient offerts en preuve".
Le recours a été déclaré irrecevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
Selon l'
art. 48 al. 1 OJ
, seule une décision finale peut faire l'objet d'un recours en réforme. Il s'agit de la décision par
BGE 105 II 317 S. 319
laquelle il est statué au fond sur la prétention soumise au juge ou bien de la décision rejetant cette prétention par un motif qui exclut que la même prétention puisse à nouveau être déduite en justice et débattue entre les mêmes parties (
ATF 101 II 362
consid. 1 et les arrêts cités). En bref, est une décision finale celle qui vide définitivement le procès entre les plaideurs.
En principe, la décision déférée au Tribunal fédéral doit résoudre toutes les questions litigieuses. Un jugement qui statue sur une partie seulement des conclusions ne satisfait pas à cette exigence. Ainsi, le prononcé qui renvoie la décision sur certains chefs de conclusions, afin de compléter l'instruction dans la même instance, n'est pas une décision finale: en règle générale, le recours en réforme ne peut être interjeté qu'une seule fois dans une même contestation groupant plusieurs chefs de conclusions, et cela lorsque les plaideurs sont en mesure de soumettre au Tribunal fédéral la question litigieuse dans son ensemble et dans toute son étendue (
ATF 91 II 59
ss. consid. 1 et les références). Si le Tribunal fédéral a reconnu le caractère de décision finale à un arrêt cantonal qui, rendu dans le cadre de la liquidation d'une société simple, ordonnait la réalisation des immeubles de la société et rejetait une prétention de partage en nature, et s'il a fait abstraction des opérations ultérieures relatives aux modalités de la réalisation, c'est que cette décision tranchait la seule question de droit matériel litigieuse, soit le mode de liquidation, les modalités de la réalisation ressortissant à la procédure gracieuse (
ATF 93 II 390
consid. 2). Il en va de même dans l'arrêt fédéral invoqué par la recourante (publié dans SJ 1967, p. 593 ss.): la décision cantonale ordonnant le partage en nature d'une parcelle a été qualifiée de décision finale parce que les modalités de ce partage, non encore déterminées, relevaient de la juridiction non contentieuse (loc.cit., p. 597 consid. 1).
En l'espèce, l'arrêt attaqué tranche le procès en ce qui concerne le principe et le tracé du passage demandé, mais il organise la suite de l'instance pour arrêter le montant de l'indemnité due. Or, l'indemnité, au sujet de laquelle les parties ont pris des conclusions, non encore chiffrées, dans l'instance cantonale, est une des conditions de la constitution du droit de passage nécessaire] (
art. 694 al. 1 CC
): sa détermination est un élément essentiel du litige relatif à l'octroi de ce droit. L'arrêt attaqué ne répond donc pas aux exigences posées par la jurisprudence pour qu'il y ait décision finale.
BGE 105 II 317 S. 320
3.
Reste à examiner la recevabilité du recours du point de vue de l'
art. 50 OJ
.
Si le recours est admis dans le sens du rejet de la demande, il y aura décision finale. Mais il n'est pas exclu qu'il y ait simplement renvoi à l'autorité cantonale pour complément d'instruction et nouvelle décision: en effet, la recourante soutient que la Cour de justice a omis d'examiner d'autres possibilités de passage, selon elle moins dommageables, dont elle fait état, et l'autorité cantonale n'a effectivement pas traité cette question. Or, une décision finale ne peut être provoquée immédiatement au sens de l'
art. 50 OJ
que lorsque le Tribunal fédéral lui-même peut la rendre (
ATF 101 II 173
consid. 1).
En outre, rien ne permet de dire que la durée et les frais de la procédure probatoire seraient si considérables qu'il convient de les éviter en autorisant le recours immédiat au Tribunal fédéral. La recourante, qui n'invoque pas l'
art. 50 OJ
, même à titre subsidiaire, ne fait rien valoir de tel. C'est d'ailleurs pour le moins douteux. L'indemnité prévue par l'
art. 694 al. 1 CC
relève avant tout de l'appréciation du juge. Si une expertise se révèle nécessaire, elle sera simple, consistant dans une évaluation qui n'exige pas de recherches particulières: il s'agira d'estimer la valeur du terrain, peu étendu, sur lequel sera ouvert le passage et les nuisances qui résulteront, pour le fonds de la recourante, du trafic accru sur le chemin Léon-Guerchet.
Certes, il est arrivé au Tribunal fédéral d'entrer en matière s'agissant de l'octroi d'un droit de passage alors que l'indemnité n avait pas été arrêtée (
ATF 93 II 167
ss.,
ATF 101 II 314
ss.), mais, dans le premier cas, il n'apparaît pas que la question de l'indemnité ait été déduite en justice et, dans le second, le demandeur avait fait une offre dont il en avait été donné acte au défendeur.
Ce qui est décisif, c'est que, selon les termes mêmes de la loi, l'
art. 50 OJ
a un caractère exceptionnel; il est donc d'interprétation stricte (cf. A. WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, thèse Lausanne 1964, p. 224/225 et les références de la note 71): son application doit être limitée aux causes où de toute évidence l'économie de la procédure commande d'autoriser le recours immédiat au Tribunal fédéral (
ATF 103 II 157
/158 consid. 1). Tel n est pas le cas en l'espèce. | public_law | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52c01d2a-cecb-4eb8-a4a6-afa5b06e19e9 | Urteilskopf
105 Ia 368
65. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Oktober 1979 i.S. Reichmuth und Mitbeteiligte gegen Oberallmeindkorporation Schwyz sowie Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
: Eine Abstimmung der Genossen in der Oberallmeindkorporation Schwyz kann mit Stimmrechtsbeschwerde angefochten werden. | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 105 Ia 368 S. 369
An der Oberallmeindgemeinde der Oberallmeindkorporation Schwyz vom 22. Oktober 1978 auf dem Landsgemeindeplatz in Ibach wurde die Vereinbarung zwischen dem Eidg. Militärdepartement und der Oberallmeindkorporation über den Kauf und Tausch von insgesamt 1,75 Millionen m2 Land zur Schaffung eines Waffenplatzes nach zwei Abstimmungen mit offenem Handmehr, welche zu keinem sicheren Mehr führten, anlässlich der Auszählung knapp mit einer Mehrheit von 1150 gegen 1115 Stimmen genehmigt. Die Beschwerdeführer beanstandeten bereits vor dem Regierungsrat und anschliessend beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, die Stimmbürger seien durch den "Bericht und Antrag" des Verwaltungsrates der Oberallmeindkorporation sowie durch die Art der Verhandlungsleitung anlässlich der Oberallmeindgemeinde in unerlaubter Weise beeinflusst worden. Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende auf
Art. 85 lit. a OG
gestützte staatsrechtliche Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 85 lit. a OG
beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. "Kantonal" im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur Wahlen und Abstimmungen in den Kantonen, Bezirken und Gemeinden (
BGE 102 Ia 266
;
BGE 76 I 51
;
BGE 75 I 234
;
BGE 41 I 396
) sowie in den öffentlichrechtlichen Körperschaften des kantonalen Rechts, sondern ganz allgemein in Körperschaften, auf deren Wahlen und Abstimmungen öffentliches Recht anwendbar ist (Urteil vom 28. September 1949 i.S. Auf der Maur). Die Bestimmung bezieht sich aber nur auf solche "Wahlen und Abstimmungen", an denen einzig die stimmberechtigten Bürger teilnehmen dürfen ("Volks"-wahlen und -abstimmungen), denn die bundesrechtliche Gewährleistung soll die "politische Stimmberechtigung der Bürger" schützen (
BGE 80 I 227
;
BGE 76 I 51
). Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Stimmrechtsbeschwerde zugelassen gegen Wahlen und Abstimmungen der Walliser Bürgergemeinden (Urteil vom 31. März 1949 i.S. Richon), der zugerischen Korporationsgemeinden (Urteil vom 27. März 1953 i.S. Nussbaumer) und der katholischen Kirchgemeinden des Kantons Thurgau (Urteil vom 16. Juli
BGE 105 Ia 368 S. 370
1948 i.S. Herzog), nicht aber gegen Wahlen und Abstimmungen der öffentlichrechtlichen Meliorationskorporationen des Kantons Thurgau (
BGE 80 I 228
). Der Staatsgerichtshof hatte sich zudem bereits mit einer Beschwerde gegen Wahlen in der Oberallmeindkorporation Schwyz zu befassen und sie als Stimmrechtsbeschwerde zugelassen (Urteil vom 28. September 1949 i.S. Auf der Maur). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
Die Rechtsnatur der Schwyzer Allmeindgenossenschaften war früher umstritten. Im Verfahren, das zum zitierten Urteil vom 28. September 1949 i.S. Auf der Maur führte, hatte der Regierungsrat noch angenommen, die OAK sei eine privatrechtliche Körperschaft "mit etwelchem öffentlichrechtlichem Einschlag". Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid zu Recht ausführt, hat sich in neuerer Zeit die klare Praxis herausgebildet, dass solche Korporationen öffentlichrechtlicher Natur sind. Das gilt insbesondere für die Oberallmeindkorporation Schwyz. Dabei stand immer fest, dass die von solchen Genossenschaften durchgeführten Wahlen und Abstimmungen dem öffentlichen Recht unterstehen. Im weiteren ist bei Wahlen und Abstimmungen der Oberallmeindkorporation Schwyz das politische Stimmrecht der Bürger betroffen; das geht auch aus dem Umstand hervor, dass gemäss § 10 der Verordnung der Oberallmeindkorporation Schwyz vom 21. Oktober 1973 an der Oberallmeindgemeinde diejenigen Genossen stimmberechtigt sind, welche in kantonalen Angelegenheiten stimmfähig sind. Demnach kann die vorliegende Beschwerde, soweit sie die Ungültigerklärung der Abstimmung vom 22. Oktober 1978 verlangt, als Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von
Art. 85 lit. a OG
an die Hand genommen werden. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
52c400db-228b-43f7-adc7-a7f90c152b95 | Urteilskopf
80 IV 67
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationsbofes vom 14. Mai 1954 i.S. Distel gegen Distel. | Regeste
Art. 220 StGB
.
Unter welchen Voraussetzungen ist eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt "entzogen" oder "vorenthalten"? | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 80 IV 67 S. 68
A.-
Marie Distel in Schüpfheim gab ihr am 5. Januar 1951 ausserehelich geborenes Kind Theresia Distel bei Oskar Hagmann in Walterswil in Pflege. In der Folge, am 22. März 1951, bestellte ihm der Gemeinderat von Schüpfheim in der Person des Dr. Albert Bitzi einen Beistand. Dieser reichte, vom Gemeinderat beauftragt, am 11. Mai 1951 im Namen des Kindes gegen Marie Distel beim Statthalteramt Entlebuch Strafklage ein mit den Vorwürfen, sie habe sich trotz Aufforderung und Androhung der Straffolgen des
Art. 292 StGB
geweigert, den Vorladungen des Gemeinderates Folge zu leisten, um über das aussereheliche Kindesverhältnis Auskunft zu erteilen, und sie habe das Kind eigenmächtig bei Familie Hagmann versorgt und es damit im Sinne des
Art. 220 StGB
der vormundschaftlichen Gewalt entzogen.
Auf Ersuchen des Statthalteramtes Entlebuch verhörte die Bezirksanwaltschaft Zürich am 21. Januar 1953 Marie Distel, die nunmehr in Zollikon wohnte. Die Angeschuldigte erklärte, sie habe das Kind den Eheleuten Hagmann "abgetreten". Sie würde diese Leute beleidigen, wenn sie es ihnen wegnähme. Sie könne keinem anderen Pflegeplatz zustimmen. Sie weigere sich, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen. Sie bleibe auch bei der Weigerung, den Vater des Kindes zu nennen. Das Kind habe seinen guten Platz. Sie könne nicht einsehen, dass sie sich der Entziehung des Kindes gegenüber der Vormundschaftsbehörde schuldig mache.
Dr. Bitzi, der vom Gemeinderat von Schüpfheim am 4. Dezember 1952 dem Kinde als Vormund bestellt worden war, erklärte im Verhör vom 29. Januar 1953 vor dem Amtsstatthalter von Entlebuch, er halte an der Strafklage fest. Aus der Verantwortung der Angeschuldigten und einem Brief vom 8. Januar 1953 an ihn ergebe sich, dass sie sich fortwährend der Widerhandlung gegen
Art. 220 StGB
schuldig mache.
BGE 80 IV 67 S. 69
B.-
Der Amtsstatthalter von Entlebuch liess die Strafverfolgung wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen (
Art. 292 StGB
) fallen, stellte dagegen Strafantrag wegen Entziehung eines Unmündigen im Sinne des
Art. 220 StGB
. Marie Distel verlangte gerichtliche Beurteilung.
Am 14. Juli 1953 erklärte das Amtsgericht Entlebuch die Beklagte der Entziehung eines Unmündigen schuldig und verurteilte sie zu acht Tagen Gefängnis. Es schob den Vollzug der Strafe bedingt auf und erteilte der Verurteilten die Weisung, sich inskünftig den Anordnungen der Vormundschaftsbehörde und des Vormundes inbezug auf die Klägerin Theresia Distel zu unterziehen.
Das Amtsgericht sieht das Vergehen darin, dass Marie Distel anlässlich der Einvernahme vom 21. Januar 1953 erklärte, sie weigere sich, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen. Sie habe in diesem Zeitpunkt gewusst, dass ihr die elterliche Gewalt entzogen und dem Kind ein Vormund bestellt worden sei. Den Akten sei allerdings nicht zu entnehmen, ob der Vormund oder die Vormundschaftsbehörde verfügt habe, das Kind müsse den Pflegeplatz verlassen und anderswohin verbracht werden, obwohl der Pflegeort den Behörden schon am 22. März 1951 anlässlich der Ernennung des Beistandes bekannt gewesen sei und das Kind dort gut behandelt werde. Auch wenn eine dem Willen der Beklagten widersprechende Anordnung über das Kind seitens des Vormundes oder der Vormundschaftsbehörde nicht vorliege, sei "zufolge der von der Beklagten an den Tag gelegten Einstellung ihrer Weigerung, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen", der Tatbestand des
Art. 220 StGB
erfüllt.
C.-
Marie Distel führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Amtsgericht zurückzuweisen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde sei gutzuheissen.
Der Vormund der Theresia Distel beantragt, sie sei abzuweisen.
BGE 80 IV 67 S. 70
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach
Art. 220 StGB
vergeht sich, "wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt entzieht oder vorenthält".
Theresia Distel steht seit 4. Dezember 1952 unter Vormundschaft, ist jedoch dem Vormunde durch die Beschwerdeführerin weder entzogen noch vorenthalten worden. Hiezu gehört ein Tun oder Unterlassen, das den Inhaber der Gewalt hindert, frei über die unmündige Person, insbesondere über ihren Aufenthaltsort, ihre Erziehung, ihre Lebensgestaltung, zu bestimmen. Ein Kind wird dem Vormund vorenthalten, wenn der Täter es verbirgt, dem Vormund trotz Aufforderung den Pflegeort nicht bekanntgibt, seinem Befehl, es herauszugeben oder an einen bestimmten Ort zu verbringen, nicht Folge leistet, es an einem vom Vormund bestimmten Pflegeplatz wegnimmt oder dergleichen. Ein solches oder ähnliches Tun oder Unterlassen wird der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen. Mit ihrer Erklärung, sie weigere sich, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen, gab sie bloss einen Willen kund, der sie unter Umständen zur Verübung des Vergehens des Art. 220 hätte treiben können. In der Kundgabe dieses Willens aber lag die Ausführung nicht, ja nicht einmal eine Vorbereitung. Dem Vormund, der den Pflegeort des Kindes kannte, war es nach wie vor möglich, über es zu verfügen, insbesondere den Pflegeeltern Hagmann Weisungen zu erteilen, es ihnen wegzunehmen, es an einem anderen Orte zu versorgen. Dass er jemals versucht habe, das zu tun, und dass ihn die Beschwerdeführerin daran gehindert oder auch bloss zu hindern versucht habe, sei es z.B., indem sie Oskar Hagmann aufgefordert hätte, die Weisungen des Vormundes nicht zu befolgen oder das Kind nicht herauszugeben, sei es auch bloss durch pflichtwidrige Unterlassungen, ist nicht erstellt, ja nicht einmal behauptet worden.
Die Beschwerdeführerin ist daher freizusprechen.
BGE 80 IV 67 S. 71
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Amtsgerichts Entlebuch vom 14. Juli 1953 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung der Beschwerdeführerin an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
52c90337-c598-4d52-8ffa-c65b9849ef6f | Urteilskopf
104 Ia 264
42. Estratto della sentenza del 1o novembre 1978 nella causa A. c. Cantoni Ticino e Berna | Regeste
Interkantonale Doppelbesteuerung;
Art. 46 Abs. 2 BV
.
Besteuerung des Pflichtigen, der als unselbständig Erwerbender in einem Kanton tätig ist und dessen Familie dauernd in einem anderen Kanton niedergelassen ist (Zusammenfassung der Rechtsprechung) (E. 2). Begriff der unselbständigen Erwerbstätigkeit in leitender Stellung (E. 3c).
Besteuerung, wenn der Pflichtige
- nicht in leitender Stellung tätig ist und seinen zivilrechtlichen Wohnsitz in dem Kanton hat, in dem seine Familie niedergelassen ist (E. 3a);
- nicht in leitender Stellung tätig ist aber in einem anderen Kanton Wohnsitz genommen hat als seine Familie (E. 3b);
- in leitender Stellung tätig ist und seinen zivilrechtlichen Wohnsitz in dem Kanton hat, in dem seine Familie niedergelassen ist (E. 3d);
- in leitender Stellung tätig ist aber in einem anderen Kanton Wohnsitz genommen hat als seine Familie (E. 3e).
Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 104 Ia 264 S. 265
A., nato nel 1910, è presidente del Consiglio d'amministrazione e direttore dell'impresa B. S.A., con sede a C. (Cantone di Berna), di cui è azionista maggioritario. Per l'esercizio di questa sua funzione egli risiede a C. per circa sette mesi all'anno. Un altro mese di presenza a C. - ripartito in vari periodi - è richiesto dalle funzioni di membro di una commissione. Il resto dell'anno, A. lo trascorre a D. (Cantone Ticino), dove possiede una casa. I viaggi tra C. e D. sono numerosi. La moglie del ricorrente, nata nel 1927, e l'unico figlio, nato nel 1970, passano invece a D. i due terzi circa dell'anno. A D. risulta che il figlio ha frequentato (1974-1975) la scuola materna; alla scuola materna ha fatto seguito la scuola primaria obbligatoria.
Sino all'anno 1972 i Cantoni di Berna e del Ticino procedevano ad un riparto intercantonale delle imposte unicamente per la sostanza immobiliare. Il conflitto tra i due cantoni per il riparto dei proventi dell'attività lucrativa e degli altri redditi nasceva per le imposte degli anni 1973-1974. Poiché il Cantone di Berna, a ciò indotto dal comune di C., pretendeva di tassare A. per l'intero suo reddito diverso da quello della sostanza immobiliare, senza accedere ad un riparto con il Cantone Ticino, mentre quest'ultimo esigeva da A. imposte fondate sul 50% dello stesso reddito, insorgeva un caso di doppia tassazione effettiva. Cosi consigliato dall'autorità fiscale ticinese, A. proponeva ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale, chiedendogli di determinare a quale cantone e in che misura egli dovesse solvere le imposte litigiose.
Il Tribunale federale ha statuito che i redditi di A., con eccezione di quello della sostanza immobiliare, fossero da ripartire in quote uguali tra i due cantoni.
Erwägungen
Dai considerandi di diritto:
2.
Nella sentenza
DTF 101 Ia 560
consid. 4a il Tribunale federale ha parzialmente modificato, in ogni caso precisato, la sua giurisprudenza in merito all'assoggettamento fiscale di contribuenti esercitanti un'attività lucrativa dipendente, per i quali il luogo di lavoro non coincide con il domicilio ai sensi del diritto civile, oppure, coincidendo col domicilio, si affianca ad un altro luogo, ove la famiglia del contribuente stabilmente risiede.
BGE 104 Ia 264 S. 266
In quella sentenza il Tribunale federale ha esposto innanzitutto che, di regola, tali contribuenti sono imponibili per il reddito del lavoro in un unico luogo, e precisamente al loro domicilio civile. Se il contribuente risiede durevolmente in due luoghi diversi, il domicilio fiscale deve esser stabilito con criteri analoghi a quelli che valgono per stabilire il domicilio civile: e determinante, cioè, il luogo con il quale sussistono le relazioni più strette. Di regola, alle relazioni di carattere familiare e sociale è attribuito maggior peso che a quelle determinate dall'attività professionale. Ciò vale, segnatamente, allorquando il contribuente rientra giornalmente al luogo di residenza, rispettivamente a quello ove la sua famiglia risiede (cosiddetti pendolari). Ma anche quando ciò non si verifica, ed il contribuente pernotta al luogo di lavoro e rientra regolarmente in famiglia solo per il fine settimana, una relazione predominante col luogo di lavoro è ammessa soltanto ove l'esercizio della professione impegni la persona del contribuente cosi intensamente, da far passare in seconda linea le relazioni familiari e sociali. Questa relazione predominante col luogo di lavoro presuppone che il contribuente svolga, in seno ad un'impresa importante, un'attività direttiva, che deve esser caratterizzata da una responsabilità particolare ed implicare la presenza di un personale subordinato numeroso (sentenza citata pagg. 559/560, e riferimenti). Se queste condizioni sono adempiute, il contribuente e, di massima, imposto al luogo di lavoro.
Il Tribunale federale ha tuttavia rilevato che questa giurisprudenza si fondava nei suoi esordi sull'idea che - in simili circostanze - il vincolo col luogo di lavoro fosse cosi intenso, da costituire il centro vero e proprio delle relazioni personali del dirigente, per cui si doveva ammettere che domicilio civile e domicilio fiscale coincidessero (citata sentenza, pag. 560, secondo capoverso). Il Tribunale federale ha però subito ricordato che la giurisprudenza più recente tende a valutare in modo più differenziato le effettive condizioni di vita di un dipendente con funzioni direttive, ed ha rilevato che la costituzione di un domicilio fiscale al luogo di lavoro costituisce in fondo un'eccezione al principio secondo il quale il centro delle relazioni essenziali della vita è determinante per la fissazione del domicilio fiscale. Nello stabilire quest'ultimo, ai fattori economici, che si estrinsecano nelle relazioni col luogo di lavoro, va invero attribuito un peso maggiore di quello che tali fattori rivestirebbero se si trattasse semplicemente di stabilire il luogo del domicilio
BGE 104 Ia 264 S. 267
civile. Con ciò, il Tribunale federale ha riconosciuto che, se è vero che le relazioni col luogo di lavoro di un contribuente stipendiato con funzioni dirigenti giustificano un'imposizione in detto luogo, d'altro canto non sempre esse giustificano di negligere completamente i rapporti personali e sociali che legano il contribuente al luogo ove egli stesso risiede, rispettivamente al luogo ove risiede la sua famiglia. D'altronde, già nella giurisprudenza più antica il fatto che accanto al domicilio del capofamiglia sussistesse una residenza durevole della sua famiglia in un altro cantone era stato considerato motivo sufficiente per far eccezione al principio dell'unicità del domicilio fiscale (
DTF 40 I 227
segg.,
DTF 47 I 66
consid. 3,
DTF 57 I 422
consid. 2;
DTF 80 I 188
, Locher par. 3, I B, 3 ni 1, 4, 7, 9, 11, 13). Fondata sul rilievo che la capacità contributiva del contribuente si manifesta in tale caso in due cantoni diversi, ognuno dei quali pertanto può giustificatamente pretendere di partecipare all'imposizione in ragione dell'attività economica svolta sul proprio territorio, questa giurisprudenza si riferiva, all,inizio, al caso in cui il contribuente viveva completamente separato dalla propria famiglia. In seguito essa fu applicata anche nel caso in cui il contribuente, pur avendo il "domicilio civile, in ragione della sua qualità di dirigente, al luogo di lavoro", non viveva affatto separato dalla famiglia, ma la visitava regolarmente nei giorni festivi e durante le vacanze (
DTF 101 Ia 561
b e riferimenti giurisprudenziali). Secondo le concezioni odierne, si ritiene però in simile caso che anche chi ha funzioni dirigenti abbia il centro delle sue relazioni nel luogo in cui risiede la famiglia e nel quale egli risiede con essa ogni qual volta ne ha la possibilità: il luogo di lavoro vale come semplice domicilio fiscale. Se ne deve concludere che un riparto della sovranità fiscale tra il luogo di lavoro, come domicilio fiscale primario, ed il luogo di residenza della famiglia, come domicilio fiscale secondario, si giustifica non solo nel caso in cui sussistano, separati, un domicilio del contribuente ed una duratura residenza della sua famiglia, ma anche quando il contribuente ha, nel luogo di lavoro, una posizione dirigente ai sensi della giurisprudenza, ma il suo domicilio civile, sulla scorta delle relazioni personali e sociali, coincide col luogo di residenza della famiglia, anche se a questo domicilio il contribuente non rientra giornalmente (
DTF 101 Ia 562
consid. 4b).
3.
Questa evoluzione della giurisprudenza consente pertanto di formulare come segue le regole concernenti i contribuenti
BGE 104 Ia 264 S. 268
coniugati che esercitano un'attività lucrativa dipendente in un cantone diverso da quello ove durevolmente risiedono il coniuge e gli eventuali discendenti.
a) Se il contribuente non esercita funzioni direttive ai sensi della giurisprudenza, e rientra regolarmente per il fine settimana e le vacanze in seno alla famiglia, cosicché si deve ritenere ch'egli ha il proprio domicilio civile nel luogo ove la famiglia risiede, la sovranità fiscale compete esclusivamente al cantone di domicilio. Domicilio civile e domicilio fiscale coincidono.
b) Se invece il contribuente con attività lucrativa dipendente, e che non esercita funzioni direttive, non rientra affatto, o non rientra con la necessaria regolarità in famiglia, per cui si debba ammettere ch'egli ha costituito un domicilio separato, ha luogo fra i due cantoni un riparto per quote, da determinare in base all'entità delle sovvenzioni consacrate dal contribuente alla famiglia; di norma potrà trattarsi di un riparto per quote uguali. Il cantone del domicilio civile, che coincide col luogo di lavoro, esercita sovranità fiscale a titolo primario. Al cantone di residenza della famiglia compete sovranità fiscale a titolo secondario.
c) Dipendenti con funzioni direttive sono considerati coloro cui incombe una responsabilità particolare, e lavorano per un'azienda importante con personale subordinato numeroso.
d) Se un contribuente con funzioni direttive in tal senso rientra giornalmente al domicilio di famiglia, che in tal caso coincide col proprio domicilio civile (cosiddetto "pendolare"), la sovranità fiscale è esclusivamente riservata al cantone del domicilio, che coincide col luogo di residenza della famiglia.
e) Se tale contribuente non rientra giornalmente in seno alla famiglia, ha luogo fra i due cantoni un riparto per quote, e questo tanto se si deve ammettere che il contribuente (per la regolarità dei ritorni di fine settimana in famiglia) ha conservato il proprio domicilio civile nel luogo ove detta famiglia risiede, quanto nel caso in cui debbasi concludere, in base alle circostanze del caso, ch'egli ha costituito un domicilio civile separato nel luogo di lavoro. Nella prima di codeste evenienze la sovranità fiscale compete a titolo primario al cantone del domicilio civile, che coincide col luogo di residenza della famiglia; al cantone del luogo di lavoro compete sovranità fiscale secondaria in virtù dell'importanza delle funzioni direttive esplicate dal contribuente sul suo territorio. Nella seconda ipotesi, invece, la sovranità fiscale è esercitata primariamente
BGE 104 Ia 264 S. 269
dal cantone del luogo di lavoro, che coincide col domicilio del contribuente, mentre al cantone del luogo di residenza della famiglia compete sovranità fiscale a titolo secondario.
Solitamente applicabili in pratica senza soverchie difficoltà, queste regole rispettano il principio dell'unicità del domicilio fiscale, cui derogano a favore del cantone di residenza della famiglia, rispettivamente a favore del cantone del luogo di lavoro, solo nei casi in cui ciò appare indispensabile per tenere equamente conto dei rispettivi interessi fiscali dei due cantoni.
4.
Applicate al caso concreto, e sulla scorta ai quanto emerge dall'incarto, le regole sopra enunciate consentono di far adesione alla soluzione di riparto adottata dal Cantone Ticino.
a) Innanzitutto consta che nel Ticino sussiste una duratura residenza di famiglia. La moglie ed il figlio minorenne del contribuente risiedono infatti a D., nella casa che il ricorrente ivi possiede, la maggior parte dell'anno. Sia di transenna rilevato che la proprietà immobiliare nel Ticino, definita "residenza secondaria", ha un valore fiscale e locativo superiore a quello della proprietà immobiliare nel Cantone di Berna. Contrariamente alla tesi sostenuta dall'autorità bernese, non può affatto affermarsi che codesta residenza nel Ticino sia determinata da uno scopo speciale e transeunte (studio, cura, ecc.), cioè che ci si trovi di fronte ad uno dei casi, in cui il trasferimento del soggiorno non è manifestamente accompagnato dall'elemento soggettivo di stabilirsi durevolmente in un determinato posto. La scelta di D., infatti, non è sicuramente determinata dalla necessità di far frequentare al figlio la scuola materna (e successivamente la scuola primaria), diversamente da quanto potrebbe ammettersi se si trattasse della necessità di seguire in quel luogo corsi di formazione superiore (università, scuola tecnica superiore e simili). La frequenza della scuola materna (e successivamente di quella primaria) appare nel caso concreto piuttosto come la conseguenza della scelta di una residenza durevole della famiglia.
Già questo elemento, da solo, giustifica la pretesa del Ticino di perlomeno partecipare all'imposizione del contribuente, indipendentemente dal fatto che il ricorrente abbia a D. il proprio domicilio civile o meno, rispettivamente ch'egli sia da considerare come un dirigente ai sensi della giurisprudenza o meno.
b) La sovranità fiscale competerebbe in modo esclusivo al Cantone Ticino, per quanto detto sopra, se fosse dimostrato che A. non ha funzioni direttive e, contemporaneamente, che
BGE 104 Ia 264 S. 270
egli ha domicilio civile a D. (supra, consid. 4a), oppure che A., pur avendo funzioni direttive a' sensi della giurisprudenza (supra, consid. 4c), rientra giornalmente al proprio domicilio, cioè deve esser considerato un "pendolare" (supra, consid. 3d).
aa) Quest'ultima ipotesi manifestamente non si verifica; A. non rientra ogni sera alla residenza di famiglia.
bb) D'altra parte, se da un canto, l'autorità fiscale ticinese pone in dubbio che A. abbia funzioni direttive, dall'altro essa non sostiene che egli abbia in D. il proprio domicilio civile.
Infatti, pur risultando che il ricorrente trascorre in quella località le vacanze e che nel resto dell'anno i viaggi tra C. e D. sono frequenti, mancano indicazioni circa la regolarità di questi ritorni in seno alla famiglia. Anche in punto alle relazioni sociali che il ricorrente avrebbe intrecciato nella località ticinese fanno difetto negli atti sufficienti indicazioni. In simili circostanze, non è possibile affermare che A. abbia a D. il centro delle proprie relazioni personali, cioè che il suo domicilio civile coincida con il luogo di residenza dei suoi familiari. Se cosi stanno le cose, si deve ammettere che il ricorrente ha a C. un domicilio separato, che costituisce il suo domicilio fiscale primario, cui si affianca un domicilio fiscale secondario in virtù della residenza della famiglia a D. In simili condizioni, si deve dunque procedere ad un riparto intercantonale per quote, poco importando se il contribuente salariato eserciti funzioni direttive a' sensi della giurisprudenza (supra, consid. 3e) o non le eserciti (consid. 3b).
cc) Per quanto testé esposto, può restare aperta la questione se A. eserciti veramente funzioni direttive nel senso precisato dalla giurisprudenza. A tal proposito si rilevi che, se il requisito di una particolare responsabilità personale è adempiuto, l'autorità fiscale bernese si limita ad affermare che la B. S.A. è un'impresa importante. Ma essa non fornisce nessun dato né a proposito della rilevanza economica dell'impresa, né a proposito del numero dei dipendenti che al ricorrente sono sottoposti, elementi ugualmente essenziali, a' sensi della giurisprudenza, per esprimersi definitivamente al riguardo. È comprensibile pertanto la contestazione sollevata dal Ticino su tal punto, sul quale, come già rilevato, non è tuttavia indispensabile giudicare. | public_law | nan | it | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
52c96e4a-489b-4375-a254-b7597aed6006 | Urteilskopf
126 I 168
21. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour de droit public du 29 février 2000 dans la cause A. c. Juge I du district de Monthey, Président du Tribunal cantonal du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Art. 58 aBV
;
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; richterliche Unbefangenheit; Ausstand.
Der Scheidungsrichter, der einen Zeugen einvernommen hat, gilt nicht als unbefangen in einem späteren Strafverfahren gegen diesen Zeugen wegen falschen Zeugnisses (E. 2 - 4). | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 126 I 168 S. 168
Le Juge I du district de Monthey a été saisi pour jugement de la cause pénale opposant A. à son père et au Ministre public du Bas-Valais, qui l'accusent d'avoir déposé un faux témoignage (
art. 307 CP
) lors de la procédure de divorce de ses parents. A. a requis la récusation de ce juge, au motif qu'il avait traité du divorce. Celui-ci contesta sa récusation et transmit la cause au Président du Tribunal cantonal du canton du Valais, qui rejeta la requête formée par A. le 22 octobre 1999, sans allouer de dépens à son avocat d'office. Agissant par la voie du recours de droit public, A. s'est plainte en premier lieu d'une violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, de l'art. 58 de l'ancienne Constitution fédérale (aCst.), ainsi que d'une application arbitraire de l'art. 33 al. 1 let. b du code de procédure pénale du canton du Valais (CPP/VS).
BGE 126 I 168 S. 169
Le Tribunal fédéral a admis le recours dans la mesure où il était recevable, et annulé l'arrêt du Président du Tribunal cantonal.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le Président du Tribunal cantonal a considéré que l'audition de la recourante par le magistrat intimé dans le cadre de la procédure de divorce n'était pas de nature à faire naître un doute quant à son impartialité dans l'affaire pénale. Dans la procédure de divorce, le juge ne se serait pas fait d'opinion sur sa culpabilité, il n'aurait agi qu'en simple auditeur.
a) La garantie d'un tribunal indépendant et impartial instituée par l'
art. 6 par. 1 CEDH
(RS 0.101), à l'instar de la protection conférée par l'
art. 58 aCst.
, permet au plaideur de s'opposer à une application arbitraire des règles cantonales sur l'organisation et la composition des tribunaux, qui comprennent les prescriptions relatives à la récusation des juges. Elle permet aussi, indépendamment du droit cantonal, d'exiger la récusation d'un juge dont la situation ou le comportement est de nature à faire naître un doute sur son impartialité; elle tend notamment à éviter que des circonstances extérieures à la cause ne puissent influencer le jugement en faveur ou au détriment d'une partie. Elle n'impose pas la récusation seulement lorsqu'une prévention effective du juge est établie, car une disposition interne de sa part ne peut guère être prouvée; il suffit que les circonstances donnent l'apparence de la prévention et fassent redouter une activité partiale du magistrat. Seules des circonstances constatées objectivement doivent être prises en considération; les impressions purement individuelles d'une des parties au procès ne sont pas décisives (
ATF 125 I 119
consid. 3a p. 122;
ATF 124 I 255
consid. 4a p. 261;
ATF 120 Ia 184
E. 2 S. 186 f.). Le fait notamment qu'un magistrat ait déjà agi dans une cause peut éveiller un soupçon de partialité. Le cumul des fonctions n'est alors admissible que si le magistrat, en participant à des décisions antérieures relatives à la même affaire, n'a pas déjà pris position au sujet de certaines questions de manière telle qu'il ne semble plus à l'avenir exempt de préjugés et que, par conséquent, le sort du procès n'apparaisse plus indécis. Pour en juger, il faut tenir compte des faits, des particularités procédurales ainsi que des questions concrètes soulevées au cours des différents stades de la procédure (
ATF 119 Ia 221
consid. 3 p. 226 et les arrêts cités; cf. aussi
ATF 120 Ia 82
consid. 6 p. 83 ss).
BGE 126 I 168 S. 170
b) La Constitution fédérale du 18 avril 1999 (Cst.), entrée en vigueur le 1er janvier 2000, n'ayant pas amené de changement à l'égard du droit à un tribunal indépendant et impartial (cf.
art. 30 al. 1 Cst.
; Bull. off. 1998, Réforme de la Constitution fédérale, CN p. 234; Bull. off. 1998, Réforme de la Constitution fédérale, CE p. 50), c'est à la lumière de la jurisprudence rappelée ci-dessus qu'il convient d'examiner le recours.
3.
La recourante fait valoir que l'arrêt incriminé viole l'
art. 33 al. 1 let. b CPP
/VS, selon lequel un juge doit se récuser dans une affaire en laquelle il a agi précédemment à un autre titre.
a) Une décision est arbitraire selon la jurisprudence portant sur l'
art. 4 aCst.
lorsqu'elle viole gravement une règle de droit ou un principe juridique clair et indiscuté, ou lorsqu'elle contredit d'une manière choquante le sentiment de la justice et de l'équité. Le Tribunal fédéral ne s'écarte de la solution retenue que si celle-ci est insoutenable, en contradiction manifeste avec la situation effective, si elle a été adoptée sans motif objectif ou en violation d'un droit certain. Il ne suffit pas que sa motivation soit insoutenable, encore faut-il qu'elle soit arbitraire dans son résultat (pour l'
art. 4 aCst.
:
ATF 125 I 161
consid. 2a p. 168 et la jurisprudence citée). La nouvelle Constitution n'a pas amené de changements à cet égard (cf.
art. 8 et 9 Cst.
).
b) Le Président du Tribunal cantonal a indiqué que la jurisprudence cantonale interprète la notion "d'affaire" de manière restrictive, et en a déduit qu'ici, le divorce et la procédure pénale représentaient deux affaires distinctes, de sorte que l'
art. 33 al. 1 let. b CPP
/VS n'était pas applicable. Cette interprétation est soutenable, une cause civile pouvant légitimement être distinguée d'une cause pénale. La disposition en question peut en outre être interprétée dans le sens qu'elle ne règle pas les cas où, comme ici, le magistrat récusé agit deux fois au même titre, c'est-à-dire en tant que juge.
4.
L'arrêt attaqué viole en revanche le droit de la recourante à un juge impartial tel qu'il est garanti par la Constitution fédérale.
a) Tout d'abord, les moyens de défense de la recourante se trouvent réduits par l'union personnelle du juge de divorce et du juge pénal. Comme le fait valoir la recourante, le magistrat récusé a pris une part active aux faits qui doivent être éclaircis et jugés dans la procédure pénale. Par conséquent, elle ne peut, par exemple, remettre en cause la forme de l'audition elle-même, sans faire de reproches indirects au magistrat chargé de l'affaire.
BGE 126 I 168 S. 171
Par ailleurs, le juge de divorce ne peut être comparé à un "auditeur" neutre, comme le soutient l'arrêt attaqué, puisqu'il recueille non seulement les témoignages, mais statue en plus - indirectement, dans le cadre de l'appréciation des preuves - sur leur véracité. Enfin, la recourante se voit jugée par la personne même qui a recueilli sa déposition. S'agissant d'un délit contre l'administration de la justice, le magistrat aux dépens duquel le faux témoignage aurait été commis se trouve dans une position proche de celle d'une victime. Il est donc légitime que la recourante ait des doutes concernant la capacité du juge intimé à apprécier de manière indépendante et impartiale sa culpabilité.
Dans ces conditions, il est inutile d'examiner le rôle des faits nouveaux remettant en question l'appréciation par le juge de divorce du témoignage de la recourante - la recourante reconnaît que sa déposition ne correspondait pas à la vérité -, et de comparer les questions tranchées par le juge de divorce à celles qui se posent dans la procédure pénale. La récusation du magistrat intimé s'impose d'autant plus qu'il statue comme juge unique, et non comme membre d'un tribunal (cf.
ATF 114 Ia 143
consid. 7b p. 153).
b) Le cas présent n'est pas comparable à celui qui a donné lieu à l'arrêt non publié du 16 février 1998 (1P.562/1998), dans lequel le Tribunal fédéral a constaté que le juge de divorce qui avait ordonné des mesures provisoires pouvait, sans violer le droit à un juge impartial, juger de l'accusation d'insoumission à celles-ci (
art. 292 CP
); en effet, dans ce dernier cas, les faits reprochés s'étaient produits après la procédure dans laquelle le magistrat avait agi, et il n'y avait pris aucune part active. Le cas présent diffère également de celui publié aux
ATF 116 Ia 387
ss, où le Tribunal fédéral est arrivé à la conclusion qu'un magistrat pouvait statuer sur la détention du prévenu, puis participer à la décision sur la demande d'indemnité relative à cette détention (cf. aussi
ATF 119 Ia 221
consid. 2 p. 223 ss). Le fait que d'autres instances jugent différemment de la légitimité de la détention n'est pas susceptible, objectivement, de faire naître un conflit d'intérêts. Sinon, les membres de chaque tribunal devant prendre une nouvelle décision suite à l'admission d'un moyen de droit par une instance judiciaire supérieure devraient toujours se récuser. | public_law | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
52cba831-f920-4e48-887e-b086bbd9beb1 | Urteilskopf
125 III 42
7. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 23 novembre 1998 dans la cause Inter Maritime Management SA contre Fairbridge Shipping Corporation, Vanderperre et Cour de justice du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 77 SchKG
; nachträglicher Rechtsvorschlag im Anschluss an eine Forderungsabtretung.
Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1).
Es ist nicht willkürlich, dem Betriebenen, der in der vom Zedenten angehobenen Betreibung rechtzeitig Recht vorgeschlagen hat, die Bewilligung des nachträglichen Rechtsvorschlages in der Betreibung des Zessionars zu verweigern und ihn für die Geltendmachung der gegenüber dem Zessionar bestehenden Rechte in das dem erhobenen Rechtsvorschlag entsprechende Rechtsöffnungsverfahren zu verweisen (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 125 III 42 S. 42
Se fondant sur une sentence arbitrale rendue le 24 juin 1997, Charles Arthur Joseph Vanderperre a fait notifier le 9 septembre 1997 un commandement de payer à Inter Maritime Management SA,
BGE 125 III 42 S. 43
auquel la poursuivie a formé opposition totale dans le délai légal. Le 30 novembre suivant, le poursuivant a cédé tous les droits découlant de cette sentence à Fairbridge Shipping Corporation, qui a requis la mainlevée définitive de l'opposition. Avisée par l'Office des poursuites de Genève du changement de créancier, la poursuivie a déposé le 19 janvier 1998 une requête d'opposition tardive.
Par jugement du 8 avril 1998, le Tribunal de première instance de Genève a rejeté la requête; statuant le 18 juin suivant sur l'appel interjeté par la poursuivie, la Cour de justice du canton de Genève a confirmé cette décision.
Le Tribunal fédéral a rejeté, dans la mesure de sa recevabilité, le recours de droit public exercé par la requérante.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La décision sur l'opposition tardive relevant de la compétence judiciaire (
art. 77 al. 3 LP
), le recours du droit des poursuites n'entre pas en considération (
ATF 120 III 64
consid. 1 p. 65). S'agissant d'un pur incident de l'exécution forcée (RVJ 1997, p. 292 consid. 2a; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6e éd., § 4 N. 52), ce prononcé ne tranche ni une contestation civile (
art. 44 et 46 OJ
) ni une affaire civile (
art. 68 al. 1 OJ
), de sorte que les recours en réforme et en nullité sont exclus (ibidem, § 4 N. 71 et 72). On ne se trouve pas non plus en présence d'une décision fondée sur le droit public fédéral selon les
art. 5 PA
et 97 OJ (
ATF 118 Ia 118
consid. 1b p. 122). Seul est dès lors recevable le recours, subsidiaire (
art. 84 al. 2 OJ
), de droit public (ibidem, § 4 N. 74).
2.
b) En l'occurrence, la Cour de justice a considéré que l'opposition tardive selon l'
art. 77 LP
ne constitue pas une nouvelle voie autonome, sans lien avec l'opposition ordinaire prévue à l'
art. 74 LP
; au contraire, cette institution n'est envisagée par le législateur que dans le cas où le changement de créancier est intervenu postérieurement à l'écoulement du délai d'opposition ordinaire. Or, la poursuivie ayant déjà formé opposition dans le délai légal au commandement de payer notifié à la réquisition du poursuivant originaire, elle peut soulever, dans le cadre de la procédure de mainlevée, toutes les exceptions qu'elle possède contre la cessionnaire.
Cette opinion - qui n'est contredite ni par le Message du Conseil fédéral (FF 1991 III 74) ni par la doctrine citée par la recourante (AMONN/GASSER, op.cit., § 18 N. 29 et 30; voir également:
BGE 125 III 42 S. 44
GIRSBERGER, Der nachträgliche Rechtsvorschlag im schweizerischen Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, thèse Zurich 1990, p. 60 ch. II/1 et 61 ch. III/1) - n'apparaît pas insoutenable. La jurisprudence antérieure, qui garde toute sa pertinence pour l'interprétation du texte actuel (FF 1991 III 74, se référant expressément à l'arrêt publié aux
ATF 91 III 7
; WALDER, Rechtsbehelfe im schweizerischen Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, in: Festschrift Hideo Nakamura, p. 646 let. c), entendait permettre au poursuivi d'opposer ses exceptions au cessionnaire, alors qu'il n'aurait plus été en mesure de le faire vu l'expiration du délai d'opposition, sans renvoyer pour autant celui-ci à introduire une nouvelle poursuite; aussi a-t-elle recouru, par analogie, à l'art. 77 al. 1 aLP, dont le texte même visait "le débiteur qui a été empêché de former opposition dans le délai légal" (
ATF 91 III 7
, spéc. 10/11 et 22 p. 666 consid. 3, spéc. 670; GIRSBERGER, op.cit., p. 60/61). Conçu comme une sorte de "restitutio in integrum", ce remède perd sa justification quand l'opposition a été formée à temps puisque le poursuivi conserve alors tous ses droits à l'égard du cessionnaire; cette opposition ayant arrêté la poursuite (
art. 78 al. 1 LP
), le but identique que vise l'opposition tardive est déjà atteint (cf. GIRSBERGER, op.cit., p. 6 ch. II/1).
La recourante ne s'explique guère sur la situation qui résulterait de la coexistence des deux oppositions. A suivre son argumentation, la première, qui concernerait uniquement le rapport de base, pourrait être levée dans le cadre de la procédure de mainlevée définitive; quant à la seconde, elle devrait être annulée à l'issue d'un procès en reconnaissance de dette (AMONN/GASSER, op.cit., § 18 N. 36), dont l'objet serait restreint aux seules exceptions et objections dirigées à l'encontre de la cessionnaire (GIRSBERGER, op.cit., p. 65 ch. IV; RVJ 1997, p. 293 consid. 3c). Ainsi, la recevabilité de l'opposition tardive (supplémentaire) dépendrait de savoir si la cession de créance a été portée à la connaissance du poursuivi avant ou après l'opposition ordinaire, distinction qui apparaît difficilement justifiable. Quoi qu'il en soit, l'autorité cantonale n'a pas commis arbitraire en renvoyant la recourante à faire valoir ses moyens dans la procédure de mainlevée.
Il est vrai que le poursuivi qui réclame le bénéfice de l'opposition tardive peut se borner à rendre vraisemblables les exceptions opposables au nouveau créancier (art. 77 al. 2 in fine LP), alors que, dans la mainlevée définitive, il doit rapporter la preuve stricte de sa libération (
ATF 115 III 97
consid. 4 p. 100 et les arrêts cités). La Cour de justice n'a pas méconnu cet aspect; toutefois, elle a estimé que la
BGE 125 III 42 S. 45
voie de l'opposition tardive viserait à contourner les difficultés inhérentes à la mainlevée définitive, donc à détourner cette institution de son but, et créerait entre les débiteurs des différences inadmissibles. La recourante ne démontre pas en quoi ce motif serait arbitraire (
art. 90 al. 1 let. b OJ
). | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52cd4da3-618c-46cb-9a39-e64c68920eeb | Urteilskopf
111 Ib 126
27. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Juni 1985 i.S. X.-Bank gegen Eidgenössische Bankenkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Bankenaufsicht; Gewähr für einwandfreie Geschäftstätigkeit (
Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG
).
Die Mitwirkung einer Bank bei fiktiven Geschäften zur Abwendung einer drohenden Beschlagnahme oder eines drohenden Arrests lässt sich mit dem Gebot einwandfreier Geschäftstätigkeit nicht vereinbaren. | Erwägungen
ab Seite 127
BGE 111 Ib 126 S. 127
Erwägung:
2.
Gemäss
Art. 23bis Abs. 1 BankG
trifft die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) die zum Vollzug des Gesetzes nötigen Verfügungen und überwacht die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften.
a) Voraussetzung für die Ausübung der Bankentätigkeit ist die dauernde Gewähr für einwandfreie Geschäftstätigkeit (
Art. 3 Abs. 2 lit. c,
Art. 23quinquies BankG
;
BGE 108 Ib 190
f. E. 3a). Eine einwandfreie Geschäftstätigkeit gebietet, dass die Bank keine rechts- und sittenwidrigen Geschäfte tätigt (BGE 108 b 190 E. 3, 193 E. 5a;
BGE 106 Ib 148
f.). Auch wenn das Bankengesetz hauptsächlich bezweckt, die Bankgläubiger vor Verlusten zu bewahren (
BGE 108 Ib 522
E. 5aa mit Hinweisen), so bezieht sich die Bankenaufsicht nicht allein auf die Solidität und Sicherheit der Banken, sondern insgesamt auf deren Vertrauenswürdigkeit (
Art. 3 Abs. 2 lit. c,
Art. 4quater BankG
; GYGI, Les objectifs de la loi, in: Internationales Kolloquium Vorentwurf zum Schweizerischen Bankengesetz, S. 165 f.; NOBEL, Die Sorgfaltspflicht des Bankiers, in: 50 Jahre eidgenössische Bankenaufsicht, S. 218; HIRSCH, Les objectifs de la loi sur les banques, in: 50 Jahre eidgenössische Bankenaufsicht, S. 277 f.). Die Verwicklung in rechts- oder sittenwidrige Geschäfte kann das Vertrauen nicht nur in die betroffene Bank, sondern in die Schweizer Banken ganz allgemein beeinträchtigen. Die Banken haben deshalb die wirtschaftlichen Hintergründe eines Geschäfts abzuklären, wenn Anzeichen darauf hindeuten, dass dieses Teil eines unsittlichen oder rechtswidrigen Sachverhalts bilden könnte (
BGE 106 Ib 148
f., E. 2), und haben sich entsprechend einer Mitwirkung an unrechtmässigen oder sittenwidrigen Geschäften eines Kunden zu enthalten.
Hilft eine Bank einem Kunden bei der Abwicklung eines Geschäfts, das eine - selbst nur eventuelle - Täuschung der
BGE 111 Ib 126 S. 128
Behörden (insbesondere im Rahmen einer Schuldbetreibung, vgl.
Art. 163 ff. StGB
) oder eine widerrechtliche Vermögensschädigung Einzelner (vgl.
Art. 137 ff. StGB
) bezweckt, so ist ihre Geschäftstätigkeit zu beanstanden; ein solches Verhalten würde unter Umständen sogar die verantwortlichen Organe einer Strafverfolgung aussetzen (vgl.
Art. 25 StGB
). Die Mitwirkung bei fiktiven Geschäften, die dazu bestimmt sind, die Bank als Inhaberin einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Forderung oder eines in Wirklichkeit nicht bestehenden dinglichen Rechts erscheinen zu lassen, um eventuell eine drohende Beschlagnahme oder einen drohenden Arrest zu verhindern, lässt sich daher mit dem Gebot einwandfreier Geschäftstätigkeit nicht vereinbaren. Das gilt auch gegenüber Massnahmen ausländischer Behörden oder von Drittpersonen mit Wohnsitz im Ausland; ob in einzelnen Fällen der Schutz höherer Interessen eine Ausnahme zu rechtfertigen vermöchte, kann hier dahingestellt bleiben. Unerheblich ist auch, dass die zwischen den unterzeichnenden Banken und der Schweizerischen Bankiervereinigung einerseits sowie der Schweizerischen Nationalbank andererseits abgeschlossene Vereinbarung über die Sorgfaltspflicht der Banken bei der Entgegennahme von Geldern und über die Handhabung des Bankgeheimnisses (VSB) vom 1. Juli 1982 den Banken lediglich verbietet, Täuschungsmanövern ihrer Kunden gegenüber Behörden des In- und Auslandes durch irreführende Bescheinigung Vorschub zu leisten (
Art. 9 VSB
). Unbekümmert darum, ob dieser Vereinbarung öffentlichrechtlicher oder ausschliesslich privatrechtlicher Charakter zukommt (vgl. dazu
BGE 109 Ib 154
), verpflichtet sie die EBK bei der Auslegung des
Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG
nicht, da sie weder an der gesetzlichen Ordnung des Bankengesetzes noch an der Aufsichtskompetenz der EBK etwas zu ändern vermag. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
52cec45d-23c1-4e0d-95fb-48bb56561c7b | Urteilskopf
95 II 385
53. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 8 mai 1969 dans la cause L. contre W. | Regeste
Besuchsrecht. Abänderung bei Eintritt neuer Tatsachen.
Art. 156 Abs. 3 und 157 ZGB
.
1. Eine Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung, die vom Richter genehmigt wurde (
Art. 158 Ziff. 5 ZGB
), kann bei Eintritt neuer Tatsachen bezüglich der Elternrechte auf dem in
Art. 157 ZGB
vorgesehenen Wege abgeändert werden (Erw. 2 und 4).
2. Der Inhaber der elterlichen Gewalt entscheidet frei über den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des ihm anvertrauten Kindes. Er muss aber die Ausübung des dem andern Elternteil eingeräumten Besuchsrechts gestatten. Unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs im Sinne von
Art. 2 ZGB
ist die Aussicht, ja sogar die Gewissheit, dass der Inhaber der elterlichen Gewalt ins Ausland wegzieht, kein genügender Grund, ihm die Obhut über das Kind zu entziehen oder ihn auch nur zu verpflichten, die Reisekosten des Kindes zu bezahlen, die grundsätzlich der Besuchsberechtigte zu tragen hat (Erw. 3, 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 386
BGE 95 II 385 S. 386
Résumé des faits:
E.W., de nationalité suisse, et A. P., de nationalité française, se sont mariés à Lausanne le 29 août 1959. Une fille, S. - P., est issue de leur union, le 8 décembre 1963.
Par jugement du 9 décembre 1965, le Tribunal civil du district de Morges a prononcé le divorce des époux et ratifié la convention qu'ils avaient signée le 18 février 1965 et qui règle les effets accessoires de la dissolution de leur mariage. En vertu de cette convention, la puissance paternelle sur l'enfant a été attribuée à la mère. Le père s'est engagé à contribuer à l'entretien de sa fille. Son droit de visite était réglé.
Dame P. s'est remariée le 16 décembre 1967 avec A. L., ressortissant français. Elle habite avec lui à Chavannes-près-Renens. A. L. est attaché à S., qui lui rend son affection. Il est lié par contrat avec une maison suisse pour une durée d'environ cinq ans et n'envisage pas pour le moment de rentrer en France.
Le 12 décembre 1967, E. W. a ouvert action en modification du jugement de divorce, notamment en ce qui concerne son droit de visite.
Statuant en seconde instance le 17 décembre 1968, la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois a précisé les modalités de l'exercice du droit de visite du demandeur et prononcé que si dame L. s'installait à l'étranger, elle devrait permettre l'exercice de ce droit "en amenant l'enfant en Suisse à ses frais et en l'y reprenant, à ses frais également."
Admettant le recours en réforme interjeté par dame L., le Tribunal fédéral a supprimé cette obligation.
BGE 95 II 385 S. 387
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La convention relative aux effets accessoires du divorce, ratifiée par le juge conformément à l'
art. 158 ch. 5 CC
, devient partie intégrante du jugement. Si des faits nouveaux se produisent, elle peut être modifiée par la voie qu'institue l'
art. 157 CC
(RO 60 II 82 et 169; COMMENT, Problèmes juridiques dérivant de conventions relatives aux enfants de parents divorcés et aux enfants illégitimes, dans "Problèmes et buts de la tutelle", Zurich 1963, p. 96 s.; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3e éd., p. 187).
3.
Sous réserve des restrictions imposées par le juge à l'exercice de la puissance paternelle, son détenteur jouit en principe des droits complets institués par les art. 273 ss. CC; il détermine notamment le domicile ou le lieu de résidence du mineur qui lui est confié (HEGNAUER, Berner Kommentar, Die Verwandtschaft, n. 71 ad art. 273 et 55 ad
art. 274 CC
; HINDERLING, op.cit., p. 157; RO 65 II 131 in fine; Tribunal cantonal d'Argovie, 14 mars 1952, RSJ 51 p. 58 no 40, consid. 2 lettre a).
Le droit de visite réservé par l'
art. 156 al. 3 CC
au parent auquel l'enfant n'est pas attribué constitue précisément l'une de ces restrictions qu'il appartient à l'autorité judiciaire de fixer, même d'office (RO 85 II 231 consid. 2;
81 II 316
consid. 3; HINDERLING, op.cit., p. 159; arrêt Burgherr du 10 juin 1954, cité par COMMENT, loc.cit., p. 86 in fine/87).
Bien qu'il s'agisse d'un droit naturel institué non seulement dans l'intérêt de l'enfant, mais aussi dans l'intérêt du parent bénéficiaire (RO 71 II 209, 72 II 11), le droit de visite peut être restreint, voire supprimé, si les intérêts supérieurs du mineur - qui constituent en général le critère décisif lorsque le sort d'un enfant est en jeu (RO 93 II 158 in fine;
85 II 231
;
79 II 241
) - le commandent (RO 89 II 5/6 et 7 consid. 2 al. 1; HINDERLING, op.cit., p. 158; MARTHALER, Le droit de visite des parents séparés de leurs enfants, thèse Neuchâtel 1963, p. 45).
L'exercice du droit de visite est exposé à des limitations résultant inévitablement d'un éloignement dans l'espace du détenteur de la puissance paternelle; en principe, le bénéficiaire dudit droit doit les subir (GMÜR, Berner Kommentar, Familienrecht, 2e éd., 1923, n. 20 a ad
art. 156 CC
, p. 257 in fine/258). Jurisprudence et doctrine admettent, en effet, que la perspective, voire la certitude d'un départ à l'étranger du parent investi de
BGE 95 II 385 S. 388
la puissance paternelle n'est pas - sauf abus au sens de l'
art. 2 CC
- un motif suffisant pour lui retirer la garde de l'enfant, bien que cette circonstance risque de rendre impossible à l'autre parent l'exercice de son droit de visite (RO 38 II 36 ss.; arrêt G. c. P. du 29 mars 1926 in SJ 1926 p. 425 consid. IV; arrêt F. c. F. du 10 décembre 1943 in SJ 1944 p. 343 in fine - considérants non publiés au RO 69 II 348 ss.; les arrêts cités par COMMENT, loc.cit., p. 88; Cour de justice de Genève, 19 juin 1914 in SJ 1914 p. 589; Tribunal cantonal d'Argovie, arrêt du 14 mars 1952 déjà cité, RSJ 51 p. 59 al. 2; DES GOUTTES, FJS 529 p. 3 al. 2). Et la réglementation du droit de visite peut être adaptée à la situation nouvelle qui résulte du départ pour l'étranger. Par exemple, un séjour plus long pendant les vacances remplacera le droit de visite fixé par jours (cf. HINDERLING, op.cit., p. 158, n. 4 in fine).
La question des relations personnelles doit être traitée indépendamment de celle des obligations pécuniaires (PICOT, La jurisprudence en matière de divorce ..., Rapport de 1929 à la Société suisse des juristes, RDS 1929, p. 80 a, al. 2; MARTHALER, op.cit., p. 105 in fine/106 - cf. cependant ibidem p. 138 al. 3 -; DES GOUTTES, FJS 529 p. 1 ch. 3 et les auteurs cités n. 13). Tout en précisant que le départ pour l'étranger du détenteur de la puissance paternelle ne peut en soi motiver une modification de la pension devant être payée par l'autre parent pour l'enfant, le Tribunal fédéral a cependant réduit aux normes usuelles les engagements alimentaires plus étendus qu'un père avait assumés en raison des relations personnelles étroites qu'il devait conserver avec ses enfants, lesquels avaient néanmoins émigré avec leur mère dans un pays lointain et rompu ainsi totalement leurs rapports avec lui (RO 83 II 91 ss.). Cet arrêt précise toutefois que, l'
art. 157 CC
ayant pour but la sauvegarde des intérêts des mineurs, la pension ne pourrait, même dans lesdites circonstances, être supprimée ou diminuée dans une mesure qui ne permettrait plus de couvrir normalement les frais d'entretien et d'éducation des enfants (cf. ibidem p. 92 in fine).
Le droit de visite étant prévu dans l'intérêt du bénéficiaire, celui-ci assume en principe l'obligation de chercher et de reconduire l'enfant à sa demeure habituelle et les frais nécessités par ces déplacements (DES GOUTTES, FJS 529 p. 4 ch. 6; MARTHALER, op.cit., p. 55, n. 1). Des circonstances particulières pourraient
BGE 95 II 385 S. 389
éventuellement justifier une répartition différente de ces frais de voyage: "l'émigrant" les supporterait par exemple une fois l'an (MARTHALER, op.cit., p. 108 in fine/109). Encore faudrait-il que cette solution parût équitable, notamment eu égard à la situation financière des parents intéressés et qu'elle ne portât pas indirectement atteinte à l'intérêt de l'enfant, éventualité pouvant aisément se produire si les sommes indispensables à l'entretien du mineur étaient affectées au paiement des frais exposés au profit du titulaire du droit de visite.
4.
La modification d'un jugement de divorce, au sens de l'
art. 157 CC
, n'est possible que si l'on est en présence de faits nouveaux importants commandant une réglementation différente (RO 43 II 476;
54 II 75
;
85 II 15
; HINDERLING, op.cit., p. 166); la procédure prévue par cette disposition légale n'a pas pour but de corriger le premier jugement, mais de l'adapter aux circonstances nouvelles survenant chez les parents ou chez l'enfant. Ces principes sont également applicables aux mesures relatives à l'exercice du droit de visite (RO 89 II 7 consid. 2; COMMENT, loc.cit., p. 103 al. 2; MARTHALER, op.cit., p. 108 in fine/109, qui préconise cependant en cette matière des critères plus souples).
Lors de l'application de l'
art. 157 CC
, le juge doit tenir compte de la situation actuelle et de son évolution prévisible (RO 65 II 132;
85 II 16
consid. 2;
94 II 3
al. 1). Mais il n'est pas conforme aux principes régissant cette norme légale de disposer en prévision d'une simple hypothèse qui, si elle devait se réaliser, justifierait une nouvelle demande de modification, pouvant alors être beaucoup mieux appréciée par le juge, réellement informé des faits survenus (RO 51 II 5 in fine/6).
5.
La disposition critiquée de l'arrêt déféré a été prise au mépris des principes ainsi dégagés par les auteurs et la jurisprudence. Le remariage de la recourante constitue certes un fait nouveau au sens de l'
art. 157 CC
. Il n'est cependant pas de nature à exercer la moindre influence sur les droits réservés à l'intimé en application de l'
art. 156 al. 3 CC
. Il ne commande pas, dès lors, une nouvelle réglementation du droit de visite reconnu au père.
Bien qu'elle ait épousé un ressortissant français, la recourante a conservé son domicile conjugal à Chavannes-près-Renens. Son mari, lié par contrat à son employeur suisse pour environ cinq ans, n'envisage nullement de rentrer prochainement dans
BGE 95 II 385 S. 390
son pays d'origine. Son départ éventuel ne constitue donc qu'une simple hypothèse dont la réalisation interviendra dans des conditions qu'il est actuellement impossible de déterminer. L'on ignore et le lieu probable de sa future installation et l'âge que S. aura lorsque l'événement se produira.
Or ces éléments sont nécessaires pour apprécier l'opportunité des déplacements pouvant être imposés à l'enfant pour assurer à l'intéressé la faculté d'exercer - comme il le voudrait - son droit de visite en Suisse, ainsi que l'ampleur des frais qui pourraient en résulter. L'incidence qu'aurait sur l'entretien de l'enfant la répartition éventuelle de ses frais entre les parties ne peut donc être évaluée même approximativement, ce d'autant moins que la situation pécuniaire actuelle des parties n'est pas constatée dans l'arrêt attaqué, ni dans le jugement de première instance.
Cela étant, la décision cantonale méconnaît non seulement les principes découlant de l'
art. 157 CC
, mais elle tend, de manière indirecte, à restreindre - en violation des règles instituées par les art. 156 et 273 ss. CC - les droits qui compètent à la recourante en sa qualité de détentrice de la puissance paternelle et à l'empêcher de choisir librement le lieu de résidence ou le domicile de son enfant. Rien ne permet, en effet, de considérer que dame L. qui, selon les constatations des premiers juges, est une bonne mère et s'est montrée large dans le respect du droit de visite réservé au père de l'enfant, chercherait à s'expatrier sans égard aux intérêts de sa fille et à seule fin de rompre les contacts entre l'intimé et S.. Son départ éventuel pour la France, qui est son pays d'origine, ne serait que la conséquence normale de son remariage avec un ressortissant français et ne saurait être judiciairement prohibé, ni sanctionné par des obligations financières. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52d20d79-d098-495b-b645-14b757121a97 | Urteilskopf
140 V 348
47. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse A. gegen BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich (BVS) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_91/2014 vom 16. Juli 2014 | Regeste
Art. 49 BVG
; Verzinsung von Altersguthaben.
Die Verhältnismässigkeit eines Nullzinsbeschlusses darf nicht leichthin angenommen werden (E. 5.1). Anwendungsfall zur Rechtsprechung gemäss
BGE 140 V 169
, wonach eine Nullverzinsung auch bei einer Überdeckung innerhalb bestimmter Schranken zulässig ist. In casu verneint (E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 140 V 348 S. 349
A.
Die Pensionskasse A. (nachfolgend: Pensionskasse) ist eine im Register für die berufliche Vorsorge des Kantons Zürich eingetragene Vorsorgeeinrichtung. Sie unterstand der Aufsicht durch das Amt für berufliche Vorsorge und Stiftungen des Kantons Zürich (heute: BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich [BVS]), als sie mit Zirkularbeschluss vom 18. Dezember 2008 eine Nullverzinsung des gesamten Altersguthabens (unter Vorbehalt des Anrechnungsprinzips) für das Rechnungsjahr 2008 beschloss. Ende 2008 wies die Pensionskasse einen Deckungsgrad von 104,4 % aus. Mit Verfügung vom 22. Juli 2011 hob die BVS den Stiftungsratsbeschluss vom 18. Dezember 2008 auf und forderte die Pensionskasse auf, "eine rechtskonforme Verzinsung der BVG-Altersguthaben für das Jahr 2008 zu beschliessen und in der Berichterstattung 2011 auszuweisen".
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 12. Dezember 2013 ab.
C.
Die Pensionskasse lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Entscheides vom 12. Dezember 2013 und der Verfügung vom 22. Juli 2011 sei festzustellen, dass ihr Vorgehen bezüglich der Verzinsung der Vorsorgeguthaben 2008 rechtmässig war. Ferner ersucht sie um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.
Die BVS lässt sich nicht vernehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Dass der (materielle) Antrag der Pensionskasse neu (vgl.
Art. 99 Abs. 2 BGG
) auf Feststellung lautet, schadet nicht. Sinngemäss wird wie im vorinstanzlichen Verfahren ein - zulässiges - rein
BGE 140 V 348 S. 350
kassatorisches Rechtsbegehren gestellt (vgl. MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 2a und 7 zu
Art. 107 BGG
).
2.
2.1
Die Beschwerdeführerin erbringt als umhüllende Vorsorgeeinrichtung über das Obligatorium hinausgehende Leistungen. Für die weitergehende Vorsorge gibt es keine Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Zinssatzes (
Art. 49 Abs. 2 BVG
), so dass die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen der verfassungsmässigen Schranken (wie Rechtsgleichheit, Willkürverbot und Verhältnismässigkeit) frei sind, über die Verzinsung in ihren reglementarischen Grundlagen zu bestimmen und beispielsweise eine Verzinsung der entsprechenden Altersgutschrift unter dem Mindestzinssatz vorzusehen (
BGE 132 V 278
E. 4.2 S. 281).
Nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 des hier anwendbaren Versicherungsreglements vom 2. Februar 2005 (nachfolgend: Reglement) legt der Stiftungsrat am Ende jeden Jahres den Zinssatz zur Verzinsung des Altersguthabens im abgelaufenen Jahr fest.
2.2
Gemäss
Art. 62 Abs. 1 BVG
(in Verbindung mit
Art. 62 Abs. 2 BVG
und
Art. 84 Abs. 2 ZGB
) hat die Aufsichtsbehörde darüber zu wachen, dass die Vorsorgeeinrichtung die gesetzlichen und statutarischen Vorschriften einhält und dass das Stiftungsvermögen seinem Zweck gemäss verwendet wird, indem sie insbesondere (a) die Übereinstimmung der reglementarischen Bestimmungen mit den gesetzlichen Vorschriften (einschliesslich Normen auf Verordnungsstufe) prüft, (b) von den Vorsorgeeinrichtungen periodisch Berichterstattung fordert, namentlich über die Geschäftstätigkeit, (c) Einsicht in die Berichte der Kontrollstelle und des Experten für berufliche Vorsorge nimmt, (d) die Massnahmen zur Behebung von Mängeln trifft sowie (e) Streitigkeiten betreffend das Recht der versicherten Person auf Information beurteilt. Die Aufsichtsbehörde verfügt über weitreichende Kompetenzen präventiver und repressiver Art (
BGE 126 III 499
E. 3a S. 501; SVR 2012 BVG Nr. 15 S. 64, 9C_480/2011 E. 2.1; 2010 BVG Nr. 35 S. 132, 9C_846/2009 E. 4.1). In reinen Ermessensfragen hat sich die Aufsichtsbehörde grösste Zurückhaltung aufzuerlegen. Sie hat nur dann einzugreifen, wenn die Stiftungsorgane bei der Ausführung des Stifterwillens das ihnen zustehende Ermessen überschritten oder missbraucht haben, das heisst, wenn ein Entscheid unhaltbar ist, weil er auf sachfremden Kriterien beruht oder einschlägige Kriterien ausser Acht lässt. Greift die
BGE 140 V 348 S. 351
Aufsichtsbehörde ohne gesetzliche Grundlage in den Autonomiebereich der Stiftungsorgane ein, so verletzt sie Bundesrecht (
BGE 138 V 346
E. 5.5.1 S. 360;
BGE 111 II 97
E. 3 S. 99).
2.3
Ob die Voraussetzungen für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten erfüllt und die angeordneten Massnahmen angebracht sind, überprüft das Bundesgericht als Rechtsfrage ohne Einschränkung der Kognition frei (
Art. 95 lit. a BGG
). Hingegen ist die Feststellung der Verhältnisse, welche den aufsichtsbehördlichen Anordnungen zugrunde liegen, tatsächlicher Natur und vom Bundesgericht lediglich auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit hin zu prüfen (
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 1 BGG
; SVR 2012 BVG Nr. 15 S. 64, 9C_480/2011 E. 2.2; 2010 BVG Nr. 35 S. 132, 9C_846/2009 E. 1.3).
3.
Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Nullverzinsung bei fehlender Unterdeckung für grundsätzlich unzulässig gehalten. Die Frage, wie es sich bei zumindest drohender Unterdeckung verhält, hat es offengelassen, weil die Voraussetzungen für eine Nullverzinsung ohnehin nicht vorlägen: Die Pensionskasse habe bis zum 30. Juni 2009 erfolgte vorzeitige Pensionierungen erheblich mitfinanziert; dies führe im Ergebnis zu einer nicht begründbaren Bevorzugung der vorzeitig pensionierten Mitarbeiter auf Kosten der verbleibenden aktiven Versicherten, was gegen das Gleichheitsgebot verstosse. Sodann sei die Nullverzinsung insbesondere angesichts der geringen Wirkung in Bezug auf die Verbesserung des Deckungsgrades und der erheblichen Wirkung zum Nachteil aller Aktivversicherten unverhältnismässig. Somit habe der Stiftungsrat seinen Ermessensspielraum überschritten. Folglich hat es die Verfügung vom 22. Juli 2011 bestätigt.
4.
4.1
Das Bundesgericht hat sich in
BGE 140 V 169
einlässlich und grundlegend mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Minder- oder Nullverzinsung bei umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen befasst. Es hat festgehalten, dass nach dem Anrechnungsprinzip eine umhüllende Vorsorgeeinrichtung die gesetzlichen Leistungen auszurichten hat, sofern diese höher sind als der aufgrund des Reglements berechnete Anspruch (
BGE 140 V 169
E. 8.3 S. 184). Sodann hat es entschieden, dass das Anrechnungsprinzip auch auf der Kapitalseite anwendbar ist, weshalb eine Minder- oder Nullverzinsung des Altersguthabens auch bei einer Überdeckung der Vorsorgeeinrichtung innerhalb bestimmter Schranken zulässig ist (
BGE 140 V 169
E. 9 S. 186 ff.).
BGE 140 V 348 S. 352
4.2
Eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprin-zip ist nicht beliebig durchführbar. Da es sich um eine Massnahme handelt, die ausschliesslich die aktiven Versicherten trifft - der Arbeitgeber wird nicht einbezogen -, und die Verzinsung des Sparkapitals im Prinzip zu den Verpflichtungen der Pensionskasse gehört (SVR 2013 BVG Nr. 19 S. 82, 9C_325/2012 E. 5.2), sind ihr relativ rasch Grenzen gesetzt. (Erste) Voraussetzung bildet der Bestand eines überobligatorischen Altersguthabens, das heisst, eine Nullverzinsung ist nur so lange zulässig, als das effektive Altersguthaben des Versicherten dasjenige der Schattenrechnung um den Betrag der Mindestverzinsung nach BVG übersteigt (SVEN FISCHER, Die Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat, 2012, S. 272). Eine weitere Schranke ist - nebst dem zu beachtenden Verbot der Rechtsungleichheit und der Willkür - durch das Verhältnismässigkeitsprinzip gegeben. Ausserdem ist Ursachenadäquanz in dem Sinn gefordert, als die Nullverzinsung kein angezeigtes Mittel zur Deckung unterfinanzierter Vorsorgepläne resp. zur Behebung einer strukturellen Unterfinanzierung ist.
Die Zulässigkeit einer Minder- oder Nullverzinsung lässt sich nicht schematisch taxieren. Letztlich ist sie allein in Bezug auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen (
BGE 140 V 169
E. 9.2 S. 188 mit Hinweisen).
4.3
Nach dem Gesagten ist die Zulässigkeit der Nullverzinsung nicht (mehr) in grundsätzlicher Hinsicht, sondern lediglich in Bezug auf die konkreten Umstände zu prüfen.
5.
5.1
Was die Verhältnismässigkeit anbelangt, so hat die Vorinstanz die Nullverzinsung als "erheblichen Eingriff in das erworbene überobligatorische Altersguthaben" betrachtet. Dem ist nicht beizupflichten, gibt es doch in einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung - nebst einem einzigen Reglement - nur ein einziges Altersguthaben, das bei einer Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip einfach weniger oder gar nicht anwächst. Davon, dass das überobligatorische Altersguthaben zu Gunsten des obligatorischen abgebaut wird, kann nicht die Rede sein. Gleichzeitig kann eine allfällige Verletzung wohlerworbener Rechte ausgeschlossen werden, weil bei einer Nullverzinsung der bisher erworbene Bestand des reglementarischen Guthabens weiterhin garantiert ist (
BGE 140 V 169
E. 9.1
BGE 140 V 348 S. 353
S. 187 mit Hinweis auf SVR 2010 BVG Nr. 32 S. 120, 9C_808/2009 E. 5.3).
Dennoch bleibt es dabei, dass die Verzinsung des Vorsorgeguthabens grundsätzlich zu den elementaren Verpflichtungen einer Vorsorgeeinrichtung gehört (
BGE 140 V 169
E. 8.4 S. 185; SVR 2013 BVG Nr. 19 S. 82, 9C_325/2012 E. 5.2). Daher darf die Verhältnismässigkeit eines Nullzinsbeschlusses nicht leichthin angenommen werden.
5.2
Anders als in
BGE 140 V 169
E. 10.2 S. 189 geht es hier um die retrospektive Festsetzung des Zinssatzes (vgl. E. 2.1 Abs. 2 hievor). Nachdem der entsprechende Entscheid erst am 18. Dezember 2008 getroffen wurde, hätte nahegelegen, dafür in Bezug auf die Performance und den Deckungsgrad auf möglichst konkrete und aktuelle Werte abzustellen. Zwar besteht auch wenige Tage vor Jahresende keine Gewissheit oder Garantie bezüglich des definitiven Deckungsergebnisses. Die Unsicherheiten über seinen hypothetischen (Rest-) Verlauf sind jedoch beträchtlich geringer, als wenn Prognosen auf ein Jahr hinaus zu machen sind.
Zu Jahresbeginn 2008 befand sich die Pensionskasse bei einem Deckungsgrad von 117,2 % in einer deutlichen Überdeckung. Die Lage in Bezug auf die Entwicklung der Finanzmärkte wurde zu Recht als schwierig beurteilt (
BGE 140 V 169
E. 10.2 S. 190). Die tatsächliche Performance fand im Beschluss vom 18. Dezember 2008 indessen keine Berücksichtigung. Auch wenn im Entscheidantrag an den Stiftungsrat vom 17. Dezember 2008 der - nicht bei den Akten liegende - "UBS-Report per Ende September" erwähnt wurde, bildete in Bezug auf die Entwicklung des Returns letztlich allein ein allgemein für Pensionskassen (vom 1. Januar bis 16. Dezember 2008) erwarteter Wert Grundlage für den Zinsbeschluss, obwohl von der UBS AG als Global Custodian monatliche Reportings zur Verfügung standen, die die effektive Entwicklung hinsichtlich der Beschwerdeführerin aufzeigten (vgl. Anhang zur Jahresrechnung 2008 S. 8 oben). In der Stellungnahme zuhanden der Aufsichtsbehörde vom 29. Juli 2009 hielt die Pensionskasse wohl fest, dass der Deckungsgrad gemäss einem per Mitte November 2008 provisorisch geschätzten Abschluss damals unter 100 % gelegen habe und auch Ende Jahr unter 100 % liegen würde. Konkrete Zahlen und eine Substanziierung des Behaupteten sind jedoch nicht aktenkundig. Die in der besagten Stellungnahme vorgenommene Ex-post-Betrachtung hilft nicht weiter, da hier die Verhältnisse interessieren, wie sie sich
BGE 140 V 348 S. 354
im Zeitpunkt des Zinsbeschlusses präsentierten. Im Übrigen ist die (Minus-)Performance wohl ein sachliches, aber nicht einziges Kriterium zur Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Nullverzinsung.
5.3
Die Vorinstanz hat festgestellt, zu Jahresende 2008 habe bei einem Deckungsgrad von 104,4 % keine Unterdeckung bestanden. Die Verzinsung des obligatorischen Altersguthabens hätte rund Fr. 3'000'000.- ausgemacht; bei einer Bilanzsumme von Fr. 426'583'313.31 (und einem verfügbaren Vorsorgevermögen von Fr. 424'759'950.-) habe die Nullverzinsung nur einen geringen Einfluss auf den Deckungsgrad gehabt. Dem kann nicht in allen Teilen gefolgt werden.
Bei der Gegebenheit eines einzigen Altersguthabens (E. 5.1) ist der Effekt einer Nullverzinsung auf den Deckungsgrad aus dem Verhältnis zwischen dem (obligatorischen und überobligatorischen) Vorsorgekapital der aktiven Versicherten (das BVG-Altersguthaben wird in der Schattenrechnung bloss rechnerisch erhöht) und dem gesamten Vorsorgekapital der Aktiven und Rentner zu bestimmen. Ein Wert von beispielsweise 0,5 bedeutet, dass eine Minderverzinsung der Altersguthaben von 1 % den Deckungsgrad um 0,5 % erhöht (
BGE 140 V 169
E. 10.2 in fine S. 191). Gemäss der Jahresrechnung 2008 belief sich am Jahresende das Vorsorgekapital der Aktiven auf Fr. 272'915'143.- und das gesamte Vorsorgekapital auf Fr. 394'350'168.-. Daraus resultiert eine Verhältniszahl von rund 0,7. Demnach führte die Nullverzinsung - auf der Grundlage des BVG-Mindestzinses im Jahr 2008 von 2,75 % (vgl.
Art. 12 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]
) - zu einer Erhöhung des Deckungsgrades von beinahe 2 Prozentpunkten. Von einem geringen Einfluss kann dabei nicht die Rede sein. Indes hätte sich in concreto auch mit einer Verzinsung des Vorsorgeguthabens der Aktivversicherten in der Höhe des BVG-Mindestzinssatzes (Fr. 272'915'143.-: 100 x 2,75 = Fr. 7'505'166.-) ein Deckungsgrad von 102,5 % (Fr. 424'759'950.- [verfügbares Vorsorgevermögen] x 100 : Fr. 414'302'408.- [direkte Verpflichtungen und versicherungstechnische Rückstellungen von Fr. 406'797'242.- + Verzinsung von Fr. 7'505'166.-]) und damit eine immer noch mehr als knappe Überdeckung ergeben. Davon, dass die Pensionskasse auf der Kippe zur Unterdeckung stand, kann jedenfalls nicht die Rede sein.
Dazu kommt, dass die Wertschwankungsreserve Anfang 2008 den Zielwert von 13,4 % erreichte und Ende 2008 bei einem neu
BGE 140 V 348 S. 355
berechneten Zielwert von 7,33 % immer noch 4,21 % betrug resp. (unter Anwendung des BVG-Mindestzinssatzes) 2,45 %, d.h. ziemlich genau einen Drittel des Angestrebten, betragen hätte. Die Wertschwankungsreserve dient nicht nur der Glättung der Schwankungen auf der Anlageseite, sondern u.a. auch der Sicherstellung der (grundsätzlich garantierten) Verzinsung des Vorsorgekapitals (vgl. E. 5.1 Abs. 2) auf der Leistungsseite. Sie ist folglich ein Puffer, der in renditeschwachen Jahren und bei ungünstiger Bestandesentwicklung, um die Leistungen trotzdem erbringen zu können, angezapft und in guten Zeiten wieder aufgefüllt wird (KATRIN WAGNER, Wertschwankungsreserven im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Ansprüchen der Destinatäre: Sollen Pensionskassen mit eingeschränkter Risikofähigkeit Leistungsverbesserungen vornehmen?, in: Risikominimierung bei Pensionskassen, GEWOS Schriftenreihe, Bd. 2, 2010, S. 123 f.). Mit anderen Worten stellte die Nullverzinsung trotz ihrer nicht unbedeutenden Wirkung weder eine unabdingbare noch unmittelbare Notwendigkeit dar, um das finanzielle Gleichgewicht der Pensionskasse zu wahren.
5.4
Weiter ist dem Entscheidantrag vom 17. Dezember 2008 zu entnehmen, dass die Pensionskasse "bisher durch Anlageüberschüsse finanzierte gute Leistungen" erbrachte, die zu hinterfragen seien. Dazu gehörte der Vorsorgeplan vorzeitige Pensionierung. Dessen - mit der Auflösung namhafter Reserven verbundene - Aufhebung (Stiftungsratsbeschluss vom 21. November 2008) wie auch der gleichzeitig in die Wege geleitete weitere Leistungsabbau, stellte somit eine (ursachen-)adäquate und wirksame Massnahme zur erheblichen Verbesserung der finanziellen Lage der Pensionskasse dar. Sodann lag es nicht im Ermessensspielraum der Pensionskasse, dass eine veränderte versicherungstechnische Annahme betreffend das Invaliditätsrisiko die Auflösung von Reserven erlaubte: Durch den Experten für berufliche Vorsorge sachlich begründete Veränderungen der versicherungstechnischen Grundlagen schlagen sich zwingend in der Buchhaltung nieder (vgl.
Art. 65a BVG
und
Art. 48 BVV 2
).
Entgegen der Auffassung der Pensionskasse geht es in diesem Zusammenhang nicht darum, einzelne der Massnahmen, die im Rahmen eines Gesamtpaketes zur Sicherung oder Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts beschlossen wurden, gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sind mit Blick auf die Verhältnismässigkeit nur die erforderlichen Massnahmen umzusetzen.
BGE 140 V 348 S. 356
5.5
Wenn auch der umstrittene Zinsbeschluss lediglich für die Dauer eines Jahres getroffen wurde, hätten allein die aktiven Versicherten die Massnahme zu tragen; Arbeitgeber und Rentner sind davon nicht betroffen. Dies liegt wohl in der Natur der Sache, ist in concreto aber insofern von besonderer Bedeutung, als die aktiven Versicherten darüber hinaus nicht unerhebliche Abstriche am Leistungskatalog hinzunehmen hatten (vgl. E. 5.4).
5.6
In Gesamtbetrachtung des Gesagten ist die Nullverzinsung gemäss Beschluss vom 18. Dezember 2008 unverhältnismässig (vgl. E. 4.2). Dessen Annullierung durch die BVS - bestätigt durch das Bundesverwaltungsgericht - stellt demnach eine zulässige aufsichtsrechtliche Massnahme im Sinne von
Art. 62 Abs. 1 lit. d BVG
(E. 2.2) dar. Bei diesem Ergebnis kann die Frage nach der Beachtung des Rechtsgleichheitsgebots (vgl. E. 4.2) offenbleiben. Die Beschwerde ist unbegründet. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
52d46ff6-101a-4e15-b9b3-54c3ebaa71b0 | Urteilskopf
112 III 42
12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Januar 1986 i.S. Konkursmasse der Wolpert Werkstoffprüfmaschinen AG gegen Karl Zang (Berufung) | Regeste
Art. 31 und 250 SchKG
; Fristwahrung bei der Kollokationsklage.
Die Frist für die Kollokationsklage beginnt nur dann mit der öffentlichen Bekanntmachung zu laufen, wenn am Tag dieser Bekanntmachung das Konkursamt der Öffentlichkeit zugänglich ist, so dass Gläubiger Einsicht in den Kollokationsplan nehmen können. Trifft dies nicht zu, so fällt für die Fristberechnung gemäss Art. 250 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 31 Abs. 1 SchKG
erst jener der öffentlichen Bekanntmachung folgende Werktag in Betracht, an welchem das Konkursamt, wo der Kollokationsplan aufliegt, dem Publikumsverkehr geöffnet ist. | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 112 III 42 S. 42
A.-
Im Konkurs über die Wolpert Werkstoffprüfmaschinen AG wurde im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom Samstag, 22. September 1984, die Auflegung des Kollokationsplanes mit dem Hinweis darauf publiziert, dass Klagen auf Anfechtung des Kollokationsplanes innert zehn Tagen seit Bekanntgabe der Auflage im Schweizerischen Handelsamtsblatt durch Klageschrift beim zuständigen Gericht anhängig zu machen seien. Eine gleichlautende Publikation war schon am 21. September 1984 im Amtsblatt für den Kanton Schaffhausen erschienen. An demselben Tag hatte die ausserordentliche Konkursverwaltung die besondere Anzeige gemäss
Art. 249 Abs. 3 SchKG
an die Adresse von Karl Zang, Merishausen, der Post übergeben; sie wurde vom Adressaten am 24. September 1984 in Empfang genommen.
BGE 112 III 42 S. 43
B.-
Mit Kollokationsklage vom 4. Oktober 1984 focht Karl Zang den Kollokationsplan beim Kantonsgericht Schaffhausen an und beantragte, er sei mit Fr. 702'626.05 in der ersten Klasse zu kollozieren. Die Klage wurde mit Urteil vom 19. November 1984 wegen Verspätung abgewiesen.
Nachdem eine hiegegen gerichtete Beschwerde des Karl Zang vom Obergericht des Kantons Schaffhausen gutgeheissen worden war, wandte sich die Konkursmasse der Wolpert Werkstoffprüfmaschinen AG mit Berufung an das Bundesgericht. Sie verlangte die Aufhebung des Urteils des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 23. August 1985 und die Abweisung der Kollokationsklage des Karl Zang.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach der Auffassung des Obergerichts beginnt die Frist von zehn Tagen, innert welcher ein Gläubiger gemäss
Art. 250 Abs. 1 SchKG
beim Konkursgericht die Kollokationsklage anzuheben hat, entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht mit der öffentlichen Bekanntmachung der Auflegung des Kollokationsplanes zu laufen, wenn der Gläubiger aus nicht in seiner Person liegenden Gründen noch nicht Einsicht in den Kollokationsplan nehmen kann. Die Vorinstanz beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts in
BGE 48 III 192
,
BGE 56 III 226
,
BGE 71 III 182
und insbesondere
BGE 93 III 87
, wonach es sowohl für die Frist zur Beschwerde wegen Verfahrensfehlern, die bei der Aufstellung des Kollokationsplans begangen worden sind, als auch für die Frist zur Anfechtung des Kollokationsplans gemäss
Art. 250 SchKG
auf die öffentliche Bekanntmachung nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ankommen könne, dass der Kollokationsplan tatsächlich zur Einsicht aufliege. Die Auflegung - führt das Obergericht aus - soll den an einem Konkursverfahren Beteiligten ermöglichen, den Kollokationsplan einzusehen, um sich darüber schlüssig zu werden, ob sie ihn anfechten wollen oder nicht. Im vorliegenden Fall sei die Auflegung zwar im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 22. September 1984 publiziert worden, doch habe der Kollokationsplan an jenem Samstag nicht eingesehen werden können, weil das Konkursamt geschlossen gewesen sei. Erst am Montag, 24. September 1984, sei das Konkursamt wieder offen und damit die Einsicht in den Kollokationsplan möglich gewesen. Wegen
Art. 31 Abs. 1 SchKG
sei dieser 24. September 1984
BGE 112 III 42 S. 44
bei der Berechnung des Fristenlaufs nicht mitzuzählen, was bedeute, dass mit der Einreichung der Klageschrift am 4. Oktober 1984 die Frist von
Art. 250 Abs. 1 SchKG
gewahrt sei.
3.
a) Die Berufungsklägerin wirft dem Obergericht des Kantons Schaffhausen zu Unrecht vor, es habe Bedeutung und Tragweite der Rechtsprechung des Bundesgerichts verkannt und durch eine falsche Anwendung des
Art. 250 SchKG
Bundesrecht verletzt. In der Tat hat das Bundesgericht klar erkennen lassen, dass massgebend für die Fristbestimmung bei der Kollokationsklage nicht nur die Publikation der Auflegung des Kollokationsplans sein kann, sondern dass von den Konkursbehörden auch Anstalten getroffen werden müssen, um dem Gläubiger Einsicht in den Kollokationsplan zu geben. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass - vom Tatbestand her gesehen - nur in dem in
BGE 56 III 226
E. 2 veröffentlichten Rechtsstreit der Zeitpunkt der Publikation der Auflegung und jener der tatsächlichen Auflegung des Kollokationsplans auseinanderfielen, während dies in den in
BGE 71 III 182
f. und
BGE 93 III 87
veröffentlichten Auseinandersetzungen nicht zutraf. Das Bundesgericht hat trotzdem auch in den beiden letzteren Entscheiden unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass in jedem Fall die Einsicht in den Kollokationsplan gewährleistet sein muss und deshalb nicht ausschliesslich auf das Datum der Publikation abgestellt werden kann. Das versteht sich von selbst, lässt sich doch die ohnehin kurze Frist des
Art. 250 Abs. 1 SchKG
nur rechtfertigen, wenn dem Gläubiger über die ganze Frist hinweg die Möglichkeit zur Einsicht in den Kollokationsplan angeboten wird. Ob der Gläubiger aus Gründen, die in seiner Person liegen, von dieser Möglichkeit wirklich Gebrauch macht oder nicht, spielt dann allerdings - mindestens dem Grundsatz nach und unter Vorbehalt einer allfälligen Wiederherstellung der Frist - keine Rolle.
b) In dem hier zu beurteilenden Fall geht es jedoch im Unterschied zu
BGE 56 III 226
E. 2 letztlich nicht darum, dass der Kollokationsplan - aus welchen Gründen auch immer - erst nach der öffentlichen Bekanntmachung der Auflegung den Gläubigern zur Einsicht bereitgehalten worden ist. Vielmehr geht es um die weitere, vom Bundesgericht bisher noch nicht entschiedene Frage, ob bei der Berechnung des Fristenlaufs der Umstand zu berücksichtigen sei, dass heute wegen der Bürozeiten der Konkursämter die Einsicht in den Kollokationsplan an Samstagen und Sonntagen ausgeschlossen ist.
BGE 112 III 42 S. 45
Diesem Problem kommt
BGE 71 III 182
f. am nächsten, wo im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen einen Kollokationsplan die Tatsache von Bedeutung war, dass das Konkursamt am Nachmittag des Samstags, an dem die Auflegung des Kollokationsplans öffentlich angezeigt wurde, seine Büros geschlossen hielt. Das Bundesgericht entschied, dass die Frist an jenem Samstag zu laufen begonnen hatte, und bezeichnete daher die Beschwerde als verspätet. Indessen ist nach der Meinung des Obergerichts der vorliegende Fall anders zu entscheiden, weil jetzt die Büros der Konkursämter den ganzen Samstag geschlossen sind und daher überhaupt keine Möglichkeit für die Gläubiger mehr besteht, den Kollokationsplan noch an dem Tag einzusehen, wo seine Auflegung öffentlich bekanntgemacht wird, wenn dies an einem Samstag geschieht.
c) Die Auffassung des Obergerichts erscheint begründet. Zwar fallen immer wenigstens ein Samstag und ein Sonntag in die Klagefrist von zehn Tagen gemäss
Art. 250 Abs. 1 SchKG
. Im Gegensatz aber zu Tagen ganz zu Beginn des Fristenlaufs, an denen die Büros des Konkursamtes geschlossen bleiben und dem Gläubiger deshalb die Kenntnisnahme vom Inhalt des Kollokationsplans verwehrt ist, hindern Samstage, Sonntage und Feiertage innerhalb der angelaufenen Frist den Gläubiger an sich nicht daran, Abklärungen und Vorbereitungen für eine Klage zu treffen; denn diesfalls konnte ja der Gläubiger bereits Einsicht in den Kollokationsplan nehmen. Demgegenüber wird die Klagefrist faktisch erheblich verkürzt, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Publikation der Auflegung des Kollokationsplans an einem Samstag erfolgt, der Gläubiger aber erst am folgenden Montag zum erstenmal Gelegenheit erhält, den Kollokationsplan einzusehen. Erfordert die Kollokationsklage einen grossen Arbeitsaufwand und stellt das kantonale Recht an die Einleitung der Klage hohe Anforderungen, so wird der Gläubiger durch den Verlust der zwei Tage in Anbetracht der ohnehin kurzen Frist von zehn Tagen empfindlich benachteiligt.
Dass der Rechtsunsicherheit Vorschub geleistet werde - wie die Berufungsklägerin geltend macht -, wenn bei der Berechnung des Fristenlaufs nicht mehr ausschliesslich auf den Tag der Bekanntmachung der Auflegung abgestellt, sondern auch geprüft wird, ab welchem Zeitpunkt der Gläubiger tatsächlich Einsicht in den Kollokationsplan nehmen konnte, ist nicht einzusehen. Vielmehr ist die Rechtsprechung dahingehend zu präzisieren, dass die Frist für
BGE 112 III 42 S. 46
die Kollokationsklage gemäss
Art. 250 Abs. 1 SchKG
nur dann mit der öffentlichen Bekanntmachung zu laufen beginnt, wenn am Tag dieser Bekanntmachung das Konkursamt der Öffentlichkeit zugänglich ist, so dass Gläubiger Einsicht in den Kollokationsplan nehmen können. Trifft dies nicht zu, so fällt für die Fristberechnung gemäss Art. 250 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 31 Abs. 1 SchKG
erst jener der öffentlichen Bekanntmachung folgende Werktag in Betracht, an welchem das Konkursamt, wo der Kollokationsplan aufliegt, dem Publikumsverkehr geöffnet ist.
Aus dem geltenden Recht ergibt sich ohne weiteres, dass Samstage, Sonntage und eidgenössische Feiertage der angeführten Regel folgen (vgl. das Bundesgesetz über den Fristenlauf an Samstagen, vom 21. Juni 1963; SR 173.110.3). Es versteht sich aber auch, dass unter Umständen lokale Feiertage zu berücksichtigen sind; denn der Sinn der Regel liegt in jedem Fall darin, dass der Gläubiger gleich zu Beginn des Fristenlaufs Kenntnis vom Inhalt des Kollokationsplans erhalten soll. Es mag zwar zutreffen, dass der Gesetzgeber ursprünglich nur an das periodische Erscheinen des Schweizerischen Handelsamtsblattes dachte und örtliche Feiertage vernachlässigen zu können glaubte. In Anbetracht der Reduktion der Arbeitszeit der öffentlichen Verwaltung und der auch dort als Norm geltenden Fünf-Tage-Woche kann es nicht länger hingenommen werden, dass dem Gläubiger die Klagefrist von zehn Tagen gemäss
Art. 250 Abs. 1 SchKG
faktisch verkürzt wird. Dass der Gesetzgeber den Gläubiger in solcher Weise benachteiligen wollte, ist nicht anzunehmen.
d) Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat somit kein Bundesrecht verletzt, wenn es im angefochtenen Entscheid davon ausgegangen ist, die Frist für die Kollokationsklage gemäss
Art. 250 Abs. 1 SchKG
habe mit dem Montag, 24. September 1984, zu laufen begonnen und dieser Tag sei nach
Art. 31 Abs. 1 SchKG
bei der Berechnung des Fristenlaufs nicht mitzuzählen. Infolgedessen ist die Berufung abzuweisen und der Entscheid der Vorinstanz zu bestätigen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52d9e3f7-c2cf-4e44-bec7-9d2fe6e3ac35 | Urteilskopf
95 I 319
46. Urteil vom 8. Oktober 1969 i.S. Bärtsch gegen Graubünden, Kanton und Steuerrekurskommission | Regeste
Art. 4 BV
, Art. 40 Steuergesetz von Graubünden.
Dauernde Veränderung der Veranlagungsgrundlage als Voraussetzung der Zwischenveranlagung bei Ersatzeinkommen. | Erwägungen
ab Seite 319
BGE 95 I 319 S. 319
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid der kantonalen Steuerrekurskommission vom 23. Oktober 1968/19. Februar 1969, mit dem diese eine Beschwerde des Pflichtigen gegen die Vornahme einer Zwischenveranlagung des steuerbaren Einkommens abgewiesen hat. Der Beschwerdeführer beantragt, den Entscheid aufzuheben, weil er gegen
Art. 4 BV
verstosse.
BGE 95 I 319 S. 320
Die kantonale Steuerverwaltung verweist auf ihre Vernehmlassung im kantonalen Rekursverfahren und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Steuerrekurskommission hat innert der ihr gesetzten Vernehmlassungsfrist nicht geantwortet.
2.
Streitig ist, ob für den selbständigerwerbenden Beschwerdeführer für das Steuerjahr 1966 deshalb eine Zwischenveranlagung vorgenommen werden durfte, weil er seit dem 1. August 1966 im Genuss einer jährlichen AHV-Rente von Fr. 5208.-- ist, sodass sich gegenüber dem für 1965/66 veranlagten Einkommen von Fr. 14 100.-- ein steuerpflichtiges Einkommen von Fr. 18 200.-- ergab (bei Anrechnung von 80% der AHV-Rente). Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 4 BV
(willkürliche Anwendung von Art. 40 grb. StG, wonach, sofern sich die Einschätzungsgrundlagen in der Veranlagungsperiode wegen Hinzutrittes einer beträchtlichen Erwerbsquelle, Aufgabe der Erwerbstätigkeit, Berufswechsel oder Vermögensanfall, dauernd geändert haben, für den Rest der Veranlagungsperiode für die von der Veränderung betroffenen Einkommensbestandteile eine neue Veranlagung zu treffen ist).
3.
Nach Art. 40 grb. StG ist, wenn sich die Einschätzungsgrundlagen in der Veranlagungsperiode verändert haben, für die von der Veränderung betroffenen Einkommensteile und für den Rest der Veranlagungsperiode der Pflichtige neu zu veranlagen. Damit eine Zwischenveranlagung für das Einkommen vorgenommen werden kann, müssen demnach drei Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst bedarf es des Hinzutrittes oder des Aufhörens einer andern Erwerbsquelle oder einer Erwerbstätigkeit. Grund für eine Zwischenveranlagung ist nicht bloss ein Berufswechsel, sondern auch die Aufnahme einer weitern Tätigkeit oder der Anfall einer weitern Einnahmequelle. Die dadurch eingetretene Veränderung des Einkommens muss sodann beträchtlich, verglichen mit dem bisherigen Einkommen von einer gewissen Bedeutung sein. Schliesslich muss sie eine dauernde Veränderung des Einkommens bewirken.
a) Nach seinem Wortlaut lässt Art. 40 grb. StG die Zwischenveranlagung mit Bezug auf das Einkommen nur zu bei Hinzutritt einer andern Erwerbsquelle bzw. bei Aufgabe einer Erwerbstätigkeit und im Falle des Berufswechsels. Hinzutritt einer Erwerbsquelle bedeutet Aufnahme einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit oder Hinzutritt einer andern Erwerbsquelle.
BGE 95 I 319 S. 321
Dazu gehört, wie ohne Willkür angenommen werden kann, nicht bloss ein zusätzliches Einkommen für eine weitere Tätigkeit. Von Hinzutritt einer Erwerbsquelle kann vielmehr auch gesprochen werden, wenn dem Pflichtigen ein Ersatzeinkommen zufliesst, wie eine Pension oder eine Rente, die ihm durch den Arbeitgeber, eine Versicherungskasse oder auf vertraglicher Grundlage gewährt wird (dazu KÄNZIG, Wehrsteuer, zu Art. 21 S. 129; LÄTSCH, Die Zwischeneinschätzung im zürcherischen Recht, ZBl 1943, S. 263; BLUMENSTEIN, Steuerrecht S. 307). Auch eine AHV-bzw. IV- Rente kann deshalb eine Erwerbsquelle in diesem Sinne sein, und damit den Grund für eine Zwischenveranlagung bilden, sofern sie neben dem bisherigen Einkommen beträchtlich ist, das Gesamteinkommen nicht bloss unwesentlich erhöht. Das hätte allerdings zur Folge, dass beim Fehlen von Vermögen nur der sozial Schwächere auf diesen Renten Einkommenssteuern zu entrichten hätte.
Wie es sich damit verhält, und wann das Erfordernis beträchtlicher Erhöhung erfüllt ist, kann jedoch hier auf sich beruhen, wenn es am Erfordernis dauernder Veränderung der Veranlagungsgrundlagen fehlt.
b) Die Veränderung der Veranlagungsgrundlagen hat nicht schon dauernden Charakter, wenn nur das hinzutretende Einkommen dem Pflichtigen auf bestimmte längere oder auf unbestimmte Dauer zufliesst. Erforderlich ist dafür vielmehr, dass das Gesamteinkommen auf die Dauer grösser ist. Die Veränderung hat dann nicht dauernden Charakter, wenn mit dem Hinzutritt der neuen Erwerbsquelle die bisherige geringer wird, sodass im gesamten genommen die Veränderung nicht mehr beträchtlich ist.
Bei Steuerpflichtigen, welche in das AHV-berechtigte Alter eintreten, pflegt die AHV-Rente Ersatz für den Dahinfall eines anderweitigen Einkommens zu sein, sei es, dass dieses gänzlich, sei es, dass es teilweise oder nach und nach zu fliessen aufhört. Trifft dies zu, so kann, selbst wenn der Rückgang nicht gleichzeitig mit der Bezugsberechtigung für die Rente, sondern erst etwas später, oder aber nach und nach eintritt, nicht von einer dauernden Veränderung der Einkommensgrundlage mehr gesprochen werden. Eine Zwischenveranlagung ist in derartigen Fällen nicht zulässig.
4.
Der Beschwerdeführer hat schon im kantonalen Rekursverfahren erklärt, wer eine AHV-Rente beziehe, "lockere seine Erwerbstätigkeit etwas", und behauptet, sein Einkommen werde
BGE 95 I 319 S. 322
für die Jahre 1967/68 von Fr. 14 100.-- auf Fr. 11 500.-- zurückfallen. In der Beschwerde hat er ausgeführt, sein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit habe in den Jahren 1965/66 Fr. 11 348.-- bzw. Fr. 11 056.-- nicht überschritten und betrage für 1967 noch Fr. 7509.--.
Die kantonalen Behörden haben unterlassen, diese Verhältnisse abzuklären. Es steht daher auf Grund der Akten nicht fest, ob die Veränderung des Gesamteinkommens eine dauernde ist. Sie haben diese Frage abzuklären, bevor sie eine Zwischenveranlagung vornehmen. Der Entscheid ist deshalb aufzuheben, damit geprüft werde, ob auch diese Voraussetzung für eine Zwischenveranlagung erfüllt ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der Entscheid der Steuerrekurskommission vom 23. Ok tober 1968 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
52e04349-89d9-4bb8-9d06-9590fb6334e0 | Urteilskopf
98 II 109
16. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Mai 1972 i.S. Ed. F. Kossova gegen Institut auf dem Rosenberg AG | Regeste
Dienstvertrag.
Art. 5 OR
. Überlegungsfrist für die Annahme eines Angebotes im internationalen Verkehr. Berücksichtigung der konkreten Umstände. | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 98 II 109 S. 109
Aus dem Tatbestand:
A.-
Mit schriftlichem Vertrag vom 13. Mai 1969 stellte das Institut auf dem Rosenberg AG, St. Gallen, den amerikanischen Staatsangehörigen Ed. F. Kossova mit Antritt auf den 1. September 1969 als Gymnasiallehrer und Erzieher an. Das Monatsgehalt Kossovas wurde auf Fr. 1501.95 festgesetzt. Ende Dezember 1969 kehrte Kossova für die Weihnachtsferien nach den Vereinigten Staaten zurück. Mit einem mit "Washington, den 4.1.1970" datierten, am 5. Januar 1970 in Tacoma, Washington, aufgegebenen Luftpost-Expressbrief teilte Kossova seiner Arbeitgeberin mit, dass er wegen Grippeerkrankung den Dienst nicht am 7. Januar, sondern erst nächste Woche wieder antreten könne. Er fügte u.a. bei:
BGE 98 II 109 S. 110
"Sollten Sie aber leicht (leicht) einen Ersatz für mich finden, bitte lassen Sie mich telegraphisch verständigen, weil ich in dem Falle gerne in den USA bleiben würde; ich will aber meine Pflicht tun und wieder kommen." (Unterschrift)
Dieser Brief traf am 8. Januar 1970 um 08.30 Uhr bei der Adressatin ein. Am 9. Januar 1970 sandte Kossova seiner Arbeitgeberin einen Luftpostbrief, worin er ankündigte, er werde am 14. Januar abreisen und am 15. Januar die Arbeit wieder aufnehmen.
Das Institut auf dem Rosenberg AG fand noch am 8. Januar 1970 einen Ersatz für Kossova in der amerikanischen Staatsangehörigen Helge Fischer, welche zu jenem Zeitpunkt probeweise in einem Hotel in Liestal angestellt war. Es schloss mit ihr gleichentags einen schriftlichen Dienstvertrag ab und reichte ein Gesuch um Bewilligung des Stellenwechsels ein. Am 13. Januar 1970 schickte das Institut auf dem Rosenberg AG dem Kossova ein Telegramm folgenden Inhalts an die von ihm angegebene Adresse in New York:
"Ersatz gefunden, Vertrag aufgelöst, Rückkehr nicht mehr erforderlich, Grüsse Gademann."
Kossova trat nach seiner Darstellung am 11. Januar 1970 die Rückreise von der amerikanischen Westküste an und erhielt am 14. Januar auf dem Flugplatz von New York telefonisch Kenntnis vom Telegramm seiner Arbeitgeberin. Da er nach seiner Darstellung das Billet nach Kloten bereits besass, vor dem Rückflug stand und keine Möglichkeit mehr hatte, für das laufende Schuljahr in den Vereinigten Staaten noch einen Unterrichtsauftrag zu erhalten, kehrte er gleichwohl nach St. Gallen zurück. Als er am 15. Januar beim Institut auf dem Rosenberg AG den Dienst wieder antreten wollte, wurde ihm dies verwehrt.
B.-
Kossova klagte in der Folge gegen das Institut auf dem Rosenberg AG auf Zahlung des Lohnes für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1970 im Betrag von Fr. 12'015.60.
Das Bezirksgericht St. Gallen sprach ihm am 29. Januar 1971 Fr. 751.-- nebst Zins für die erste Hälfte Januar 1970 zu und wies die Mehrforderung ab.
Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte am 21. Oktober 1971 dieses Urteil.
BGE 98 II 109 S. 111
C.-
Das Bundesgericht schützte die Berufung des Klägers, hob das Urteil des Kantonsgerichts auf und wies die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Parteien stimmen auch im Berufungsverfahren darin überein, dass das am 5. Januar 1970 in Tacoma (Washington) an die Beklagte abgesandte Luftpostschreiben des Klägers einen Antrag auf vorzeitige Auflösung des Dienstvertrages enthielt. Der Kläger macht indessen geltend, die Beklagte habe dieses Angebot nicht rechtzeitig angenommen, weshalb die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz gegen
Art. 5 OR
verstosse.
a) Da der Kläger für die Annahme seines Antrages keine Frist gesetzt hatte, war er solange gebunden, bis die Antwort bei ordnungsgemässer und rechtzeitiger Absendung (
Art. 5 Abs. 1 OR
) bei ihm eintraf, wobei er rechtzeitige Ankunft seiner Offerte voraussetzen durfte (
Art. 5 Abs. 2 OR
). Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass der Kläger angesichts der grossen Entfernung nicht mit einer rascheren Übermittlung seiner Offerte, die am 8. Januar 1970 um 08.30 Uhr bei der Beklagten eintraf, rechnen konnte. Auch ist mit dem Kantonsgericht davon auszugehen, dass die telegrafische Beförderung der Annahmeerklärung im Sinne des Gesetzes ordnungsgemäss war. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger vom Fernschreiben, das die Beklagte am 13. Januar, offenbar um 09.58 Uhr, aufgegeben hatte, erst am folgenden Tag Kenntnis erhielt. Diesen Umstand hätte der Kläger selber zu vertreten, da die Beklagte an die von ihm angegebene Adresse telegrafiert hatte.
b) Zu prüfen ist daher, welche Überlegungszeit der Kläger der Beklagten einräumen musste.
Nach VON TUHR/SIEGWART, OR I S. 176, ist die Überlegungszeit nach Inhalt und Tragweite der Offerte sowie nach den persönlichen, dem Offerenten bekannten Umständen des Adressaten mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu bemessen. Ferner ist nach BECKER (1. Aufl. N. 3 zu
Art. 5 OR
) zu beachten, dass die Beantwortung innerhalb der geschäftsüblichen Zeit erwartet werden kann. Ähnlich äussern sich OSER/SCHÖNENBERGER (N. 6 ff. zu
Art. 5 OR
), jedoch mit dem Hinweis, dass der Sonntag in Geschäftssachen für die Bemessung der Frist ausser Betracht falle.
BGE 98 II 109 S. 112
Wie die Vorinstanz feststellt, verstrichen zwischen dem Eintreffen des Angebotes bei der Beklagten - Donnerstag, den 8. Januar 1970, 08.30 Uhr - und der Absendung der fernschriftlichen Annahmeerklärung - Dienstag, den 13. Januar 1970 - 5 Tage, wovon 2 Tage auf ein Wochenende fielen. Die Beklagte musste aus dem Schreiben des Klägers vom 5. Januar 1970, obwohl ihr keine Frist angesetzt wurde, erkennen, dass der Kläger eine rasche Antwort erwartete. Er stellte darin seine Rückkehr zur Arbeit für die "nächste Woche", also für Montag, den 12. Januar 1970 in Aussicht. Auf eine kurze Befristung der Offerte deutete auch die Tatsache hin, dass er die Auflösung des Dienstvertrages nur für den Fall anbot, dass die Beklagte "leicht", d.h. ohne zeitraubende Abklärungen, einen Ersatz finden konnte. Sie durfte demnach das Ergebnis eines Arbeitsbewilligungsverfahrens nicht abwarten. Das räumt sie in der Berufungsantwort denn auch selber ein. Ob ihr am 13. Januar 1970 die Erteilung der Arbeitsbewilligung mündlich zugesichert wurde, ist daher belanglos. Wollte sie mit Helge Fischer eine Ausländerin anstelle des Klägers beschäftigen, so durfte sie deswegen mit der Annahme seines Angebotes nicht länger zuwarten, sondern musste das Risiko, für sie keine Arbeitsbewilligung zu erhalten, auf sich nehmen. Im übrigen war dieses Risiko nicht gross, da sie Helge Fischer - wie die Vorinstanz annimmt und in der Berufungsantwort unbestritten ist - schon am 10. Januar die Arbeit aufnehmen liess und am 13. Januar noch vor Erhalt der förmlichen Arbeitsbewilligung das Auflösungsangebot des Klägers annahm. Freilich steht fest, dass der Kläger - wie im Luftpostbrief vom 9. Januar angekündigt - die Abreise in Washington am 14. Januar antrat und die Arbeit bei der Beklagten am folgenden Tag aufzunehmen beabsichtigte. Das Kantonsgericht stellt nur fest, dass die Beklagte diesen Brief erhalten hat. Erst in der Berufungsschrift behauptet der Kläger, der fragliche Brief sei am 12. Januar bei der Beklagten eingetroffen. Diese Behauptung ist neu und nach
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
nicht zulässig. Folglich ist nicht geklärt, wann die Beklagte den Brief empfangen hat. Das kann indessen offen bleiben. Entscheidend ist, dass die Beklagte bereits am 8. Januar den Vertrag mit Helge Fischer abschloss und dass sie ohnehin innert nützlicher Frist mit der Erteilung einer Arbeitsbewilligung nicht rechnen konnte. Sie hatte somit kein berechtigtes Interesse, mit der Absendung der telegrafischen Antwort
BGE 98 II 109 S. 113
bis zum 13. Januar zuzuwarten. Zudem wusste sie beim Vertragsschluss mit Helge Fischer nur, dass der Kläger gemäss Brief vom 5. Januar 1970 die Arbeit am Montag, den 12. Januar wieder aufzunehmen beabsichtigte, und sie musste daher berücksichtigen, dass er vor seiner Abreise an der angegebenen Adresse Bescheid erwarten durfte. Die Annahmeerklärung vom 13. Januar war daher verspätet, und der Vertrag bestand weiter.
Dieses Ergebnis würde auch dann nicht in Frage gestellt, wenn man annähme, die Beklagte habe den Brief des Klägers vom 9. Januar (Freitag) am 13. Januar (Dienstag) oder - was eher unwahrscheinlich ist - schon früher erhalten; denn sie hätte sich jedenfalls sagen müssen, dass der Kläger, um am 15. Januar die Arbeit antreten zu können, zu Beginn der Woche vom 12. Januar seine Reisevorbereitungen treffen werde und dass er am 13. Januar oder später mit der Annahme seines Angebots nicht mehr zu rechnen brauchte. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52e676aa-5081-4554-9a5e-806475e1966e | Urteilskopf
138 I 242
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Politische Gemeinde Oberriet gegen Y. und Departement des Innern des Kantons St. Gallen (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
1D_5/2011 vom 12. Juni 2012 | Regeste
Einbürgerungsangelegenheiten.
Den kommunalen Bürgerversammlungen kommt ein weiter Ermessensspielraum zu und von einer gesuchstellenden Person kann eine "gewisse lokale Integration" verlangt werden. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die Mitgliedschaft in Vereinen oder anderen Organisationen zum einzig ausschlaggebenden Integrationsmerkmal zu erheben, denn damit würde das Wesen der Integration, das in einer allmählichen Angleichung an die schweizerischen Gewohnheiten besteht, verkannt (E. 5.3). | Sachverhalt
ab Seite 242
BGE 138 I 242 S. 242
A.
Y. ist albanische Staatsangehörige. Sie gelangte 1991 in die Schweiz und wohnt seit 1993 in der Politischen Gemeinde Oberriet. Sie ist seit 1995 in der A. AG in Oberriet tätig. Sie lebt mit ihrem behinderten Sohn X. und ihrem Sohn Z. sowie dessen Familie zusammen.
Am 27. Mai/1. Oktober 2002 stellte Y. ein Gesuch um Einbürgerung. Der Einbürgerungsrat der Politischen Gemeinde Oberriet teilte
BGE 138 I 242 S. 243
ihr daraufhin mit, das Gesuch werde zurückgestellt, bis ihre Integration verbessert sei.
Am 13. Juli 2004 stellte Y. erneut einen Antrag auf Erteilung des Bürgerrechts. Der Einbürgerungsrat stufte nunmehr die Voraussetzungen zur Einbürgerung als erfüllt ein und beantragte der Stimmbürgerschaft die Einbürgerung von Y. Diesem Antrag folgte die Bürgerversammlung vom 31. März 2006 aber nicht und lehnte die Erteilung des Bürgerrechts ab.
B.
Mit Schreiben vom 4. September 2007 beantragte Y. erneut ihre Einbürgerung. Der Einbürgerungsrat erachtete die Voraussetzungen nach wie vor als gegeben und stellte der Stimmbürgerschaft an der Bürgerversammlung vom 11. April 2008 erneut den Antrag, Y. das Bürgerrecht zu erteilen. Die Stimmbürgerschaft lehnte den Einbürgerungsantrag jedoch wiederum ab.
Gegen den Beschluss der Stimmbürgerschaft vom 11. April 2008 erhob Y. Beschwerde ans Departement des Innern des Kantons St. Gallen, welches diese mit Entscheid vom 26. Januar 2009 guthiess, den ablehnenden Beschluss der Stimmbürgerschaft aufhob und die Sache an die Politische Gemeinde Oberriet zurückwies, damit der Einbürgerungsrat die Vorlage der Bürgerschaft an der nächsten Bürgerversammlung erneut unterbreiten könne. Gleichzeitig wurde die Politische Gemeinde Oberriet darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer neuerlichen rechtswidrigen Ablehnung der Einbürgerungsvorlage die Einbürgerung aufsichtsrechtlich angeordnet werden könnte.
Der Einbürgerungsrat stellte der Bürgerversammlung vom 27. März 2009 abermals den Antrag, Y. das Bürgerrecht zu erteilen. An der Bürgerversammlung äusserten sich mehrere Personen zum Einbürgerungsgesuch. Im Anschluss daran lehnte die Stimmbürgerschaft den Einbürgerungsantrag mit grossem Mehr ab.
Mit Eingaben vom 3. und 24. April 2009 erhob Y. Abstimmungsbeschwerde beim Departement des Innern. Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 11. Dezember 2009 ab.
Mit Eingabe vom 28. Dezember 2009 reichte Y. Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen ein.
Mit Verfügung vom 25. Januar 2010 wies der Präsident des Verwaltungsgerichts das von Y. gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. Hiergegen erhob Y. Beschwerde beim Bundesgericht, welches die Beschwerde mit Urteil vom 15. Juni 2010 guthiess. Mit
BGE 138 I 242 S. 244
Verfügung vom 6. Oktober 2010 hiess das Verwaltungsgericht das Gesuch von Y. um unentgeltliche Rechtspflege gut.
Mit Urteil vom 31. Mai 2011 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde von Y. gut, hob den angefochtenen Entscheid des Departements des Innern vom 11. Dezember 2009 und den Beschluss der Bürgerversammlung Oberriet vom 27. März 2009 auf und wies die Sache zur Einbürgerung von Y. ans Departement des Innern zurück. (...)
Das Bundesgericht weist die von der Politischen Gemeinde Oberriet gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingereichte subsidiäre Verfassungsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Gemeindeautonomie. Aus Sicht der Bürgerversammlung seien die Mitgliedschaft in einem Verein oder die sonstige Teilnahme am Dorfleben entscheidend, damit von einer besonderen lokalen Integration gesprochen werden könne. Aus subjektiver Sicht der Beschwerdegegnerin möge es zwar zutreffen, dass sie keine Zeit für diese Aktivitäten habe, dies ändere jedoch nichts daran, dass die Bürgerversammlung solche erwarten dürfe. Indem die Vorinstanz andere Argumente in den Vordergrund gerückt habe, habe sie eine Ermessenskontrolle vorgenommen und hierdurch in unzulässiger Weise in den Beurteilungsspielraum der Gemeinde eingegriffen.
5.2
Art. 50 Abs. 1 BV
gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Gemäss
Art. 89 Abs. 1 KV/SG
(SR 131.225) ist die Gemeinde autonom, soweit das Gesetz ihre Entscheidungsfreiheit nicht einschränkt.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen
BGE 138 I 242 S. 245
Verfassungs- und Gesetzesrecht (
BGE 136 I 265
E. 2.1 S. 269,
BGE 136 I 395
E. 3.2.1 S. 398;
BGE 135 I 233
E. 2.2 S. 241 f.; je mit Hinweisen). Die Anwendung von eidgenössischem und kantonalem Verfassungsrecht prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, die Handhabung von Gesetzes- und Verordnungsrecht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (
BGE 137 I 235
E. 2.2 S. 237;
BGE 136 I 265
E. 2.3 S. 270;
BGE 135 I 302
E. 1 S. 305).
5.3
Die Voraussetzungen an die Eignung einer Person zur Einbürgerung sind in
Art. 14 BüG
umschrieben (vgl. auch
Art. 38 Abs. 2 BV
). Die Kantone sind daher in der Ausgestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen insoweit frei, als sie hinsichtlich der Wohnsitzerfordernisse oder der Eignung Konkretisierungen vornehmen können. Nach dem kantonalen Recht sind namentlich der Wille zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft als Merkmale der Integration zu betrachten. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies nicht, sieht aber die Mitgliedschaft in Vereinen oder anderen Gemeindeorganisationen als entscheidend an, um von einer genügenden lokalen Integration sprechen zu können.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar kommt den Bürgerversammlungen nach der kantonalen Praxis ein weiter Ermessensspielraum zu und kann von einer Gesuchstellerin eine "gewisse lokale Integration" verlangt werden. Das rechtfertigt es jedoch nicht, die Mitgliedschaft in Vereinen oder anderen Organisationen letztlich zum ausschlaggebenden Integrationsmerkmal zu erheben und dabei die speziellen Umstände, unter denen die Beschwerdegegnerin lebt, auszublenden. Damit würde das Wesen der Integration, das von der Vorinstanz zutreffend mit einer allmählichen Angleichung an die schweizerischen Gewohnheiten umschrieben wird (siehe auch
BGE 132 I 167
E. 4.3 S. 173), verkannt. Im Übrigen gibt es auch viele Schweizerinnen und Schweizer, die, sei es aufgrund ihres Charakters, sei es aufgrund bestimmter Lebensumstände, zurückgezogen leben und nicht aktiv auf Gemeindeebene mitwirken, deren Selbstverständnis als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes aber deswegen nicht in Frage steht. Der Argumentation der Beschwerdeführerin liegt mithin ein einseitiger und damit unhaltbarer Integrationsbegriff zugrunde.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz, indem sie neben den Sprachkenntnissen der Beschwerdegegnerin insbesondere auch deren erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsprozess und die
BGE 138 I 242 S. 246
von ihr in hohem Mass wahrgenommene Eigenverantwortung in Bezug auf die Bestreitung ihres Lebensunterhalts wie auch hinsichtlich der Betreuung ihres behinderten Sohns entscheidend gewichtet hat, nicht in den Beurteilungsspielraum der Gemeinde eingegriffen hat. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
52e84dc2-9efd-4026-bf03-c98b22cd5406 | Urteilskopf
140 III 577
85. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau und B.A. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_334/2014 vom 23. Oktober 2014 | Regeste
Art. 19c Abs. 1 und
Art. 30 Abs. 1 ZGB
; höchstpersönliche Rechte, Namensänderung.
Minderjährige über zwölf Jahre üben ihr Recht auf den Namen und dessen Änderung selbständig aus (E. 3.1).
"Achtenswerte Gründe" zur Bewilligung der Namensänderung eines Kindes, das nach der Scheidung der Eltern den Namen des Inhabers der elterlichen Sorge annehmen soll (E. 3.2-3.5). | Sachverhalt
ab Seite 578
BGE 140 III 577 S. 578
A.
A.a
B.A. kam am 6. Juni 2001 als Tochter von A.A. und C.A. geborene D. zur Welt. Kurze Zeit später, am 24. September 2001, wurde die Ehe vom Bezirksgericht Z. geschieden und der Mutter die (alleinige) elterliche Sorge übertragen. Die Mutter nahm nach der Scheidung wieder ihren Ledignamen D. an. B. lebt seit Geburt bei ihrer Mutter.
A.b
Im Jahre 2002 ersuchte C.D. um Änderung des Familiennamens ihrer Tochter von "A." in "D.". Das Gesuch wurde vom Departement für Justiz und Sicherheit (DJS) des Kantons Thurgau am 3./6. März 2003 abgelehnt. Der abweisende Entscheid wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 28. Mai 2003 bestätigt.
A.c
Am 9. Februar 2013 beantragte C.D. beim DJS erneut, den Familiennamen der Tochter zu ändern. Am 20. September 2013 hiess das DJS das Gesuch gut und bewilligte die Änderung des Familiennamens von B. von "A." in "D.".
B.
Gegen den Entscheid erhob A.A. Beschwerde beim Verwaltungsgericht und verlangte die Aufhebung der Namensänderung. Am 5. März 2014 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C.
A.A. ist mit Eingabe vom 23. April 2014 an das Bundesgericht gelangt. Er beantragt (sinngemäss), der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 5. März 2014 sei aufzuheben und die Namensänderung sei bis zur Volljährigkeit seiner Tochter zu verweigern.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt das im Jahre 2013 eingereichte Gesuch um Änderung des Namens eines Kindes, dessen Mutter seit der Scheidung das alleinige Sorgerecht hat und das
BGE 140 III 577 S. 579
ihren Namen annehmen soll. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vom Verwaltungsgericht bewilligte Namensänderung. Er macht geltend, dass B. wohl ein intelligentes junges Mädchen, aber erst mit 18 Jahren genügend reif sei, um über den eigenen Namen zu entscheiden. Er weist auf die gute Beziehung zu seiner Tochter hin und betont die Konflikte mit der Mutter wegen des Besuchsrechts sowie deren Beeinflussung; er leitet daraus ab, dass die Namensänderung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht zu bewilligen sei.
3.1
Das Recht auf den Namen bzw. dessen Änderung gehört zu den (relativ) höchstpersönlichen Rechten (
BGE 117 II 6
E. 1b S. 7), weshalb urteilsfähige handlungsunfähige Personen dieses Recht selbständig ausüben (
Art. 19c Abs. 1 ZGB
; u.a. MEIER/DE LUZE, Droit des personnes, 2014, S. 153 Rz. 298).
3.1.1
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann das Gesuch um Namensänderung nicht von der Volljährigkeit bzw. Handlungsfähigkeit (
Art. 13 ZGB
) abhängig gemacht werden, sondern ist allein die Urteilsfähigkeit entscheidend. Für das urteilsunfähige Kind kann nach der Rechtsprechung das Gesuch um Namensänderung vom gesetzlichen Vertreter gestellt werden (
BGE 117 II 6
E. 1b S. 7 f.), wobei in der Lehre auf die mögliche Interessenkollision hingewiesen wird, wenn das Kind seinen bisherigen Namen gegen den aktuellen Namen des Inhabers bzw. der Inhaberin der elterlichen Sorge austauschen soll (u.a. MEIER/DE LUZE, a.a.O., S. 153 Rz. 299; GEISER, Das neue Namensrecht und die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, ZKE 2012 S. 375 Rz. 3.45, mit Hinweisen).
3.1.2
Vorliegend hat die Mutter das Gesuch um Änderung des Namens als "gesetzliche Vertreterin" der - damals 11 Jahre und 8 Monate alten - B. gestellt; die Mutter ist in der Folge auch im Rechtsmittelverfahren aufgetreten. Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Entscheides und der Erhebung der vorliegenden Beschwerde war B. fast 13 Jahre alt. Das Verwaltungsgericht hat die handschriftlichen Eingaben (vom 9. Februar 2014 und 28. Oktober 2013) gewürdigt und - für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) - festgestellt, dass B. als mittlerweile über 12-jährige Oberstufenschülerin klar auf eigenen Wunsch und ohne Druck der Mutter handle. Ein 12-jähriges Kind gilt im Rahmen der Namensänderung gemäss
Art. 30 Abs. 1 ZGB
grundsätzlich als urteilsfähig; dies ergibt sich aus der Analogie zu
Art. 270b ZGB
betreffend Zustimmung des Kindes unverheirateter Eltern zur Namensänderung (u.a. MEIER/STETTLER, Droit
BGE 140 III 577 S. 580
de la filiation, 5. Aufl. 2014, S. 434 Fn. 1532, S. 459 Rz. 704, mit weiteren Hinweisen; vgl. Urteil 5A_624/2010 vom 17. März 2011 E. 1.2, in: Pra 2011 Nr. 94 S. 670: Urteilsfähigkeit eines 131⁄2-jährigen bejaht). Demnach hat B. - als urteilsfähige Minderjährige - nach
Art. 19c Abs. 1 ZGB
betreffend Namensänderung selber zu handeln. Es kann angenommen werden, dass sie ihre Mutter wirksam bevollmächtigt bzw. ihr Vorgehen genehmigt hat (vgl.
BGE 112 IV 9
E. 1 S. 10;
BGE 112 II 102
E. 2 S. 103).
3.2
Grundsätzlich ist der bürgerliche Name einer Person unveränderlich (
BGE 136 III 161
E. 3.1 S. 162; u.a. STEINAUER/FOUNTOULAKIS, Droit des personnes physiques et de la personnalité, 2014, S. 140 Rz. 409). In bestimmten familienrechtlichen Konstellationen (vgl.
Art. 270 Abs. 2,
Art. 270a Abs. 2,
Art. 8a SchlT ZGB
) gewährt das Gesetz die voraussetzungslose Möglichkeit zur Namensänderung (Ziff. I des Bundesgesetzes vom 30. September 2011 [Name und Bürgerrecht], in Kraft seit dem 1. Januar 2013; AS 2012 2569). Die Regierung des Wohnsitzkantons kann sodann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn achtenswerte Gründe (motifs légitimes, motivi degni di rispetto) vorliegen (
Art. 30 Abs. 1 ZGB
, in der seit dem 1. Januar 2013 in Kraft stehenden Fassung). Ob im einzelnen Fall "achtenswerte Gründe" für eine Namensänderung vorliegen, ist eine Ermessensfrage, die von der zuständigen Behörde nach Recht und Billigkeit zu beantworten ist (
Art. 4 ZGB
).
3.3
Die Voraussetzungen zur behördlichen Bewilligung der Namensänderung gemäss
Art. 30 Abs. 1 ZGB
haben eine erhebliche inhaltliche Änderung erfahren.
3.3.1
Gemäss
a
Art. 30 Abs. 1 ZGB
, d.h. in der bis zum 31. Dezember 2012 massgebenden Fassung, konnte die Regierung des Wohnsitzkantons einer Person die Änderung des Namens nur bei Vorliegen von "wichtigen Gründen" bewilligen (vgl. dazu allgemein
BGE 136 III 161
E. 3.1.1 S. 163). Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung (
BGE 121 III 145
;
BGE 124 III 401
) vermag die blosse Wiederherstellung der Namensidentität zwischen Kind und sorgeberechtigter Mutter eine Namensänderung nicht zu rechtfertigen. Nach dieser Praxis erwächst den Kindern aufgrund der gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr allein deshalb ein ernsthafter Nachteil, weil sie nicht den Namen der sozialen Familie tragen, welcher sie aufgrund besonderer Umstände angehören; dem Wunsch eines Kindes auf Namensänderung sind mögliche spätere Auswirkungen, welche sich
BGE 140 III 577 S. 581
aus dem Unsichtbarmachen der Herkunft bzw. der Beziehung zum leiblichen Vater ergeben könnten, gegenüberzustellen (
BGE 124 III 401
E. 3b/aa S. 404).
3.3.2
In der Lehre gehen die Meinungen, wie die "achtenswerten Gründe" zu konkretisieren sind, auseinander. Nach der einen Auffassung ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Kind beim sorgeberechtigten Elternteil aufwächst, welcher einen anderen Namen trägt, erst recht kein Nachteil mehr, denn mit der Reform des Namensrechts der Ehegatten führen selbst Kinder verheirateter Eltern einen Namen, der sich von jenem des Vaters oder der Mutter unterscheidet. Die Namensänderung sei daher weiterhin zurückhaltend und unter Berücksichtigung des Kindesinteresses zu bewilligen (STEINAUER/FOUNTOULAKIS, a.a.O., S. 142 Rz. 414 a.E.; GEISER, a.a.O., S. 372 Rz. 3.36). Nach anderer Meinung ist
Art. 30 Abs. 1 ZGB
auch in diesem Zusammenhang grosszügig zu interpretieren, indem Gründe als "achtenswert" gelten, wenn sie als "nicht belanglos" erscheinen (AEBI-MÜLLER, Das neue Familiennamensrecht - eine erste Übersicht, SJZ 108/2012 S. 456 f.; DE LUZE/DE LUIGI, Le nouveau droit du nom, AJP 2013 S. 524 Rz. 80), d.h. "eine gewisse Schwere" erreichen (AEBI-MÜLLER, in: Personen- und Familienrecht [...], Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 4 zu
Art. 30-30a ZGB
).
3.3.3
Die Änderung von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
wurde in der parlamentarischen Debatte zur Parlamentarischen Initiative 03.428 (Leutenegger Oberholzer) vorgenommen. Mit den "achtenswerten Gründen" als Voraussetzung sollen die Hürden zur Namensänderung gesenkt werden, allerdings ohne die Möglichkeit zu geben, dass jeder seinen Namen nach eigenem Wunsch ändern kann (Voten Bundesrätin Sommaruga und Ständerat Bürgi, AB 2011 S 479; Votum Nationalrat Sommaruga, AB 2011 N 1757). Bereits in der Stellungnahme des Bundesrates wurde das Anliegen begrüsst, dass die Namensführung von Kindern, die in sog. Patchworkfamilien aufwachsen, insbesondere unter dem Gesichtswinkel des Kindeswohls "offen" ausgelegt werde; ein Kind soll eine Namensänderung des Elternteils, bei dem es aufwächst, mittragen dürfen (Stellungnahme des Bundesrates vom 12. Dezember 2008 zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 22. August 2008, BBl 2009 429 Ziff. 2.2 a.E. S. 432).
3.3.4
Aus der Entstehungsgeschichte von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
geht hervor, dass für die "achtenswerten Gründe" (im Unterschied zu den
BGE 140 III 577 S. 582
"wichtigen Gründen"; E. 3.3.1) zur Namensänderung des Kindes nicht mehr vorausgesetzt werden kann, dass sein Name zu konkreten und ernsthaften sozialen Nachteilen führt. Es ist nachvollziehbar, bereits das nachgewiesene Bedürfnis einer Übereinstimmung des Namens des Kindes mit demjenigen des Inhabers der elterlichen Sorge grundsätzlich als "achtenswerten Grund" im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
zu betrachten; dies ändert nichts daran, dass eine sorgfältige Abklärung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen ist, da die Namensänderung eine weitere Trennung vom anderen Elternteil bewirken und das Kindesinteresse beinträchtigen kann (vgl. in diesem Sinn MEIER/STETTLER, a.a.O., S. 452 Rz. 686).
3.4
Das Verwaltungsgericht hat im Wesentlichen festgestellt, dass B. seit Geburt mit ihrer Mutter und deren Eltern zusammenlebe, seit jeher in der Schule sowie im Alltag den Namen "D.", den Familiennamen ihrer Mutter, führe. Die Eltern seien zum Zeitpunkt der Geburt bereits getrennt und kurz vor der Scheidung gestanden. Die Lehrerin von B. habe bestätigt, dass sie ihre Schulhefte mit diesem Namen anschreibe und sich mit diesem Namen vorstelle. Aufgrund der Umstände (Familiensituation seit frühester Kindheit und faktische Namensführung) sei die anbegehrte Namensänderung von "A." in "D." durch achtenswerte Gründe belegt.
3.4.1
Auf die Würdigung der konkreten Umstände durch die Vorinstanz geht der Beschwerdeführer nicht ein. Er wirft der Mutter und ihren Eltern vor, dass sie meinen, es sei für B. nicht gut, einen ausländischen (tunesischen) Namen zu tragen. Der Einwand geht fehl, denn die Vorinstanz hat die Namensänderung nicht auf die Herkunft des Namens gestützt. Die Sorge des Beschwerdeführers, die Namensänderung könnte B. von ihm entwurzeln bzw. entfremden, hat die Vorinstanz ernst genommen: Nach den Feststellungen bestehen keine Anhaltspunkte für mögliche negative Auswirkungen der Namensänderung auf die derzeitige Beziehung zwischen B. und ihrem Vater; es sei eher zu befürchten, dass die erzwungene Abkehr vom faktisch geführten Namen zur Folge haben könnte, dass sie sich vom Vater "noch mehr" entfernt. Auch damit setzt sich der Beschwerdeführer in keiner Weise auseinander.
3.4.2
Ebenso wenig stellt der Beschwerdeführer in Frage, dass - wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat - die Rückkehr vom faktischen zum rechtlichen Namen die Persönlichkeitsrechte einer 13-jährigen erheblich berührt (vgl. Urteil 5A_624/2010 vom 17. März 2011
BGE 140 III 577 S. 583
E. 3.3.2, in: Pra 2011 Nr. 94 S. 673). Dass das Verwaltungsgericht keine sorgfältige Abklärung der Umstände des Einzelfalles vorgenommen habe, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Er beschränkt sich auf Ausführungen zu Streitigkeiten betreffend die Ausübung des Besuchsrechts sowie zu Spannungen mit der Mutter sowie deren Eltern; die Vorbringen sind - soweit namensrechtlich überhaupt relevant - nicht zu erörtern, da sie im angefochtenen Entscheid keine Stütze in tatsächlicher Hinsicht finden; in der Beschwerdeschrift wird nicht dargelegt, inwiefern der Sachverhalt unrichtig festgestellt worden sei (
Art. 97 Abs. 1,
Art. 105 Abs. 1 BGG
).
3.5
Nach dem Dargelegten gibt es keinen Anlass, in das Ermessen (
Art. 4 ZGB
) des kantonalen Gerichts einzugreifen, wenn es das Bedürfnis zur Übereinstimmung des Namens von B. mit demjenigen ihrer sorgeberechtigten Mutter als nachgewiesen und "achtenswert" im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 ZGB
beurteilt hat. Die Bewilligung zur Namensänderung ist mit Bundesrecht vereinbar. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52f0823c-e31e-4da9-8929-7d6189337cb2 | Urteilskopf
101 Ia 492
79. Extrait de l'arrêt du 3 décembre 1975 en la cause Delafontaine et consorts contre Conseil d'Etat et Grand Conseil du canton de Vaud | Regeste
Art. 4 BV
und 85 lit. a OG; Art. 107 und 108 des waadtländischen Gesetzes vom 17. November 1948 über die Ausübung der politischen Rechte (LEDP).
1. Frist, binnen welcher die Behörden eine Initiative der Volksabstimmung unterbreiten müssen (E. 3).
2. Die Möglichkeit der Behörde, der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüber zu stellen, im allgemeinen und im waadtländischen Recht (E. 4a). Art. 108 LEDP, der den Staatsrat dazu verpflichtet, das Initiativbegehren dem Grossen Rat "möglichst früh" zu unterbreiten, ermächtigt ihn auch, sich die Zeit zu nehmen, um einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, den er dem Begehren entgegensetzen zu müssen glaubt (E. 4b). Im vorliegenden Fall hat die Exekutive keine ungerechtfertigte Langsamkeit an den Tag gelegt (E. 5).
2. Die Achtung vor den politischen Rechten der Bürger gebietet es, ein Initiativbegehren innert angemessener Frist, d.h. zu einem Zeitpunkt, wo es noch aktuell ist, der Volksabstimmung zu unterbreiten. Diesbezüglich sind die Interessen einerseits der Bürger an der Beachtung dieser Frist und anderseits der Behörden, in Form eines Gegenvorschlages zuvor ihre Meinung bekannt zu geben, abzuwägen (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 493
BGE 101 Ia 492 S. 493
Le 1er février 1972 a été déposée à la Chancellerie d'Etat du canton de Vaud une demande d'initiative "pour aménager le sol vaudois avec équité et bon sens et le soustraire à la spéculation". Cette initiative est présentée sous la forme d'un projet de loi entièrement élaboré. Elle a pour but de faciliter l'aménagement du territoire, de préserver l'aire agricole du canton et de consolider les exploitations paysannes. Elle vise notamment à permettre l'affectation durable des bonnes terres à l'agriculture, à ramener et maintenir à sa valeur agricole le prix du sol affecté à l'agriculture, à compenser la moins-value des terres affectées à l'agriculture en instituant une péréquation équitable entre la valeur de ces terrains et celle des terrains affectés à la construction, à promouvoir un aménagement foncier répondant aux besoins de l'agriculture et de son adaptation à l'évolution des conditions d'exploitation, à mettre à la disposition de la construction des terrains à bâtir au prix de revient.
Selon l'avis de la Chancellerie d'Etat, du 19 juillet 1972 (Feuille des avis officiels du 4 août 1972), l'initiative a recueilli un nombre suffisant de signatures. Conformément à la loi
BGE 101 Ia 492 S. 494
vaudoise du 17 novembre 1948 sur l'exercice des droits politiques (LEDP), la demande d'initiative a été portée à la connaissance du Grand Conseil.
Invoquant les art. 4 Cst. (déni de justice formel et application arbitraire de la loi) et 85 lettre a OJ (violation des règles relatives au droit de vote des citoyens), les promoteurs ont formé le 16 mai 1975 un recours de droit public. Ils soutiennent qu'il n'est pas tolérable qu'une initiative dont la demande a abouti soit soustraite au vote populaire par la carence des autorités.
Erwägungen
Considérant en droit:
3.
Les recourants soutiennent que la carence des autorités cantonales, qui n'ont pas encore soumis au vote populaire leur initiative relative au projet de loi sur la péréquation entre les terrains à bâtir et les terrains affectés à l'agriculture, constitue un déni de justice formel.
Il y a déni de justice lorsque l'autorité compétente à laquelle on s'adresse refuse de se saisir de l'affaire ou d'y donner suite. Le déni de justice peut aussi consister dans un retard injustifié. Mais il ne saurait alors être admis avant que l'autorité ait eu la possibilité d'intervenir de manière appropriée. L'étendue du délai pendant lequel il incombe à l'autorité d'agir dépendra de la nature de l'affaire et des circonstances (RO 94 I 101).
Dans son arrêt publié au RO 100 Ia 54, le Tribunal fédéral a relevé que certaines législations impartissent à l'autorité un délai pour soumettre une initiative à la votation populaire. Il peut alors s'agir soit d'un délai de péremption, soit d'un délai d'ordre. S'il convient d'admettre, sur un plan général, qu'un délai de péremption protège de manière plus efficace le droit d'initiative contre les procédés abusivement dilatoires de la part des autorités, un simple délai d'ordre est cependant loin d'être dépourvu de toute efficacité. Il a une certaine portée politique. Son inobservation peut par ailleurs être sanctionnée juridiquement, la voie du recours de droit public au Tribunal fédéral pour déni de justice formel étant ouverte dans le cas où l'autorité laisserait passer le délai de manière abusive sans agir ou en faisant preuve d'une lenteur injustifiée (arrêt cité, p. 56).
BGE 101 Ia 492 S. 495
4.
Selon l'art. 107 LEDP, la demande d'initiative, si elle a abouti, est adressée au Grand Conseil par le Conseil d'Etat. Celui-ci peut, dans tous les cas, donner son préavis. L'art. 108 al. 1 LEDP prescrit que la demande d'initiative est soumise au Grand Conseil "le plus tôt possible". L'autorité législative décide si elle veut donner un préavis.
En l'espèce, les recourants reprochent au Conseil d'Etat d'avoir violé l'art. 108 al. 1 LEDP, en laissant s'écouler plus de trois ans sans donner suite à leur demande d'initiative. Le Conseil d'Etat prétend qu'il lui incombait d'élaborer un contre-projet et de le présenter au Grand Conseil simultanément à la demande d'initiative; or une telle procédure nécessite des études et des consultations relativement longues, de telle sorte que l'on ne saurait lui reprocher d'avoir fait preuve d'une lenteur injustifiée. Il importe donc d'examiner en premier lieu si, comme le soutient le Conseil d'Etat, les autorités peuvent opposer un contre-projet à une demande d'initiative.
a) Dans le canton de Vaud, ni la constitution ni la loi ne prévoient de manière expresse la faculté pour le Parlement d'opposer un contre-projet à une initiative populaire revêtant la forme d'un projet rédigé de toutes pièces, alors que tel est le cas pour la Confédération (art. 121 al. 6 Cst.) et pour la plupart des cantons. L'art. 108 al. 1 de la loi vaudoise sur l'exercice des droits politiques se borne en effet à prévoir que le Grand Conseil décide, après discussion, s'il veut donner un préavis. Certes, on ne saurait assimiler d'emblée un simple préavis, même motivé, sur l'initiative à un contre-projet dûment élaboré. Il n'en demeure pas moins que le canton de Vaud, à l'instar des cantons qui ne possèdent aucune disposition expresse sur cet objet, connaît également dans la pratique le contre-projet du Parlement. D'ailleurs, le silence de la loi ne permet de conclure à une décision négative du législateur que si des raisons pertinentes existent en faveur de cette solution. Or, de telles raisons ne pourraient être admises que si l'élaboration d'un contre-projet était incompatible avec le sens et le but de l'initiative, ce qui n'est nullement le cas (RO 91 I 193/194).
Dans l'arrêt publié au RO 100 Ia 54, le Tribunal fédéral a relevé que la faculté pour les autorités de présenter un contreprojet est aujourd'hui considérée comme un élément important du jeu démocratique lui-même, les électeurs qui n'ont pas
BGE 101 Ia 492 S. 496
signé l'initiative ayant de ce fait une plus grande liberté de choix. Le contre-projet doit rester en rapport avec le but et l'objet de l'initiative. S'il ne peut poser au peuple une question différente de celle de l'initiative, il peut en revanche donner une autre réponse, quant au fond et quant à la forme (arrêt cité, p. 59). Le Tribunal fédéral a ainsi admis que le contreprojet appartient au droit public fédéral et cantonal et en constitue une partie intégrante; peu importe que la faculté de le présenter soit ou non prévue par un texte constitutionnel ou légal (RO 91 I 196). Cette conclusion doit être confirmée, sur le plan général tout au moins, même si l'on peut avoir certains doutes, suivant les circonstances, sur la réalité de la possibilité de choix plus étendue qu'offrirait le contre-projet.
Les recourants ne contestent pas que le contre-projet élaboré par le Conseil d'Etat vise le même but que l'initiative et concerne le même objet. Ils n'affirment pas non plus qu'en raison des circonstances particulières du cas, l'autorité ne pouvait pas opposer à l'initiative un contre-projet. La demande d'initiative contient d'ailleurs une clause de retrait, aux termes de laquelle "les promoteurs de l'initiative se réservent le droit de la retirer, en application de l'art. 109 LEDP, si le Grand Conseil adopte des dispositions permettant d'atteindre les mêmes buts".
Il convient donc d'admettre en l'espèce que le Grand Conseil vaudois est habilité à opposer un contre-projet à l'initiative des recourants, même si la possibilité de le faire n'est pas prévue dans la constitution et alors même que la loi sur l'exercice des droits politiques ne mentionne à l'art. 108 al. 1 que la faculté pour cette autorité de donner un préavis.
b) Le Grand Conseil pouvant valablement opposer un contre-projet à l'initiative des recourants, il appartient au Conseil d'Etat d'élaborer celui-ci. A cet égard, il faut examiner si les art. 107 et 108 LEDP exigent que l'autorité exécutive transmette sans tarder l'initiative au Grand Conseil, en proposant qu'un contre-projet lui soit opposé, ce que décide alors l'autorité législative, ou si ces dispositions autorisent le Conseil d'Etat à ne transmettre l'initiative au Parlement qu'accompagnée du contre-projet déjà élaboré. Il convient de relever, à ce propos, que l'art. 44 Cst. cant. dispose que "lorsqu'un membre du Grand Conseil, usant de son droit d'initiative, présente un projet de loi ou de décret, ce projet,
BGE 101 Ia 492 S. 497
s'il est pris en considération, est renvoyé au Conseil d'Etat pour préavis. Le Grand Conseil fixe le délai dans lequel ce préavis doit être présenté."
Le Conseil d'Etat soutient que, s'agissant d'une initiative populaire, il lui appartient d'élaborer un contre-projet avant de soumettre la demande d'initiative au Grand Conseil. Cette opinion n'est pas contraire aux art. 107 et 108 LEDP. L'art. 107 prévoit en effet que le Conseil d'Etat, saisi d'une demande d'initiative, la rend publique par insertion dans la feuille des avis officiels et la communique en outre aux membres du Grand Conseil (al. 2), ce qui a été fait en l'espèce en 1972 déjà. Puisque le Conseil d'Etat peut, dans tous les cas, donner son préavis au Grand Conseil (art. 107 al. 3), il convient alors d'admettre que l'art. 108 al. 1, qui l'oblige à soumettre la demande d'initiative au Grand Conseil "le plus tôt possible", l'autorise à prendre le temps d'élaborer le contre-projet qu'il estime devoir opposer à celle-ci.
Il va de soi que le temps nécessaire à la rédaction du "préavis" sera plus ou moins long, selon qu'il s'agit d'une simple proposition d'approbation ou de rejet de l'initiative ou d'un projet de loi entièrement élaboré. En l'espèce, le Conseil d'Etat, ainsi qu'il était en droit de le faire, a entendu joindre à la demande d'initiative un projet de loi portant sur la même matière, en invitant le Grand Conseil à l'adopter comme contre-projet à l'initiative. Il a d'ailleurs confirmé cette intention dans sa réponse à l'interpellation Debonneville et consorts au sujet de l'application d'un système de péréquation lié à la création de zones agricoles, réponse présentée devant le Grand Conseil en décembre 1974 (Bull. du Grand Conseil, Session ordinaire, Automne 1974, p. 756 ss).
5.
a) L'initiative sur la péréquation entre les terrains à bâtir et les terrains affectés à l'agriculture, dans le cadre de l'aménagement du territoire et de la sauvegarde de l'environnement, soulève des questions dont la solution ne s'impose pas d'emblée. C'est en novembre 1963 déjà que ces problèmes ont été posés devant le Grand Conseil vaudois par une motion Carat, qui demandait l'étude et l'introduction dans la législation d'un système de péréquation susceptible d'assurer une compensation en faveur des propriétaires désavantagés par les dispositions restrictives de la nouvelle législation cantonale sur la police des constructions. Chargée d'examiner ces questions,
BGE 101 Ia 492 S. 498
une commission extra-parlementaire désignée par le Conseil d'Etat siégea à de nombreuses reprises; ses travaux s'étendirent sur 7 ans. Elle eut à examiner tout d'abord un projet présenté par un des recourants, Olivier Delafontaine, au nom de l'association pour une zone agricole prospère, devenue depuis lors l'association d'aménagement rural, puis un projet élaboré par la Chambre vaudoise d'agriculture. Elle fut ensuite chargée de l'étude d'une motion Jaccoud, de septembre 1967, demandant une modification de la législation en vue de réserver les meilleurs terrains à l'agriculture, et d'une motion Ducret de mai 1968 sur la structure des propriétés foncières rurales dans les régions touchées par les autoroutes, aérodromes et autres grands travaux d'utilité publique.
La commission adressa un premier rapport au Conseil d'Etat, en août 1970; elle y exposait les avantages et inconvénients des systèmes proposés, sans prendre position en faveur de l'un ou de l'autre. Dans l'intervalle, un troisième système fut élaboré par un groupe d'études du parti libéral vaudois. Après examen de cette proposition, la commission extra-parlementaire déposa un deuxième rapport en juin 1971. N'ayant pu réunir une nette majorité en faveur de l'un ou de l'autre de ces systèmes, la commission s'en remit au Conseil d'Etat. Celui-ci désigna une nouvelle commission de trois membres, en la priant d'étudier à son tour les différents systèmes proposés et de lui faire rapport sur les avantages et les inconvénients de chacun d'eux. Les experts ont déposé deux rapports, les 10 décembre 1971 et 17 mars 1972, avec des projets de textes légaux.
C'est dans ce contexte que les recourants déposèrent, le 1er mai 1972, la demande d'initiative pour aménager le sol vaudois et le soustraire à la spéculation, avec projet élaboré sur la base du système de l'association vaudoise pour l'aménagement rural. Ce système, pour assurer l'affectation durable de terres à l'agriculture, prévoit la création d'une fondation de droit public par le Conseil d'Etat, la "Fondation d'aménagement rural", en faveur de laquelle seraient constitués des servitudes d'affectation agricole et un droit de préemption à la valeur agricole sur les terrains de la zone prise en considération. En contrepartie, les propriétaires intéressés recevraient une "contribution de péréquation", la caisse de la Fondation étant alimentée par des contributions exigées de tous les propriétaires
BGE 101 Ia 492 S. 499
fonciers à l'occasion de la délivrance d'un permis de construire.
Le Conseil d'Etat a examiné les différents systèmes proposés et, dans un rapport d'août 1973, a retenu le principe se trouvant à la base du système préconisé par la Chambre vaudoise d'agriculture. Ce dernier consiste à mettre à disposition des agriculteurs des fonds pour financer des investissements destinés à améliorer les structures de leurs exploitations. Il s'agirait de prêts sans intérêts, remboursables dans un certain délai, et concernant les acquisitions de terrains, les constructions ou transformations de bâtiments ou d'autres mesures destinées à faciliter la reprise d'exploitations familiales. La gestion des fonds serait confiée à un organisme venant compléter le fonds d'investissements agricoles ainsi que l'office vaudois de cautionnement, et renforcer ainsi l'ensemble des mesures relatives au crédit agricole. Sur cette base, le Conseil d'Etat a adopté le 29 août 1973 un projet de loi sur les mesures de compensation liées à la création de zones agricoles. Ce projet ajoute à celui de la Chambre vaudoise d'agriculture deux éléments. Il prévoit, d'une part, la création d'une fondation pour la gestion des fonds et l'octroi des prêts, et, d'autre part, la possibilité pour cette fondation d'acquérir des terrains et de les revendre à des exploitants sous réserve de la constitution d'une servitude de non-bâtir en faveur de l'Etat et de l'annotation d'un droit de réméré en faveur de la fondation. Ces dispositions complémentaires sont inspirées précisément par le système adopté par les recourants dans leur initiative.
Le Conseil d'Etat a en outre adopté un projet de loi modifiant la loi du 5 février 1941 sur les constructions et l'aménagement du territoire (LCAT) et la loi du 29 novembre 1961 sur les améliorations foncières (LAF), ainsi qu'un projet de loi modifiant celle du 26 novembre 1956 sur les impôts directs cantonaux, en vue d'assurer le financement des mesures de péréquation envisagées.
Ces différents projets ont été soumis, au début de l'année 1974, à la consultation des partis politiques représentés au Grand Conseil et des organisations économiques et sociales intéressées. Les dernières réponses sont parvenues au Conseil d'Etat en novembre 1974. Celui-ci a aussitôt chargé un juriste ayant participé aux travaux du groupe d'experts de réexaminer
BGE 101 Ia 492 S. 500
les projets en question à la lumière des résultats de la procédure de consultation et d'étudier également les rapports existant entre la nouvelle loi fédérale sur l'aménagement du territoire, les projets cantonaux et l'initiative des recourants.
C'est ainsi que le Conseil d'Etat a pu déclarer au Grand Conseil, le 3 décembre 1974, en réponse aux interpellations de MM. Debonneville et consorts, qu'il serait en mesure de mettre les projets au point en 1975 et qu'il fixerait la date de la votation populaire dès que le Grand Conseil aurait terminé ses travaux sur ces objets. Il a réitéré, dans sa réponse au présent recours de droit public, son intention de communiquer cette année encore au Grand Conseil la demande d'initiative et ses propres projets de loi, la soumission de cette initiative au peuple devant être liée à un contre-projet.
b) Tous ces faits, toutes ces propositions concernant le système à adopter et tous ces différents rapports, dont l'élaboration s'est échelonnée sur plusieurs années, sont révélateurs de la complexité, de l'ampleur et de l'importance des problèmes relatifs à la compensation et à la péréquation entre terrains à bâtir et terrains réservés à l'agriculture. Ce sont là des éléments d'appréciation qu'on ne saurait ignorer lorsqu'il s'agit de contrôler si le Conseil d'Etat a soumis à l'autorité législative "le plus tôt possible", c'est-à-dire dans un délai convenable, l'initiative populaire liée à un contre-projet. En l'espèce le Tribunal fédéral admet, au vu des circonstances, que l'autorité exécutive n'a pas fait preuve d'une lenteur injustifiée en laissant s'écouler plus de trois ans avant de transmettre l'initiative des recourants au Grand Conseil et qu'elle n'a pas prolongé abusivement le temps normalement nécessaire à l'étude de l'initiative et du contre-projet.
6.
Le respect des droits politiques des citoyens, en particulier du droit d'initiative, exige qu'une demande d'initiative soit soumise à la votation populaire dans un délai convenable qui en sauvegarde l'actualité au moment où le peuple doit se prononcer. Il s'agit dès lors de mettre en balance l'intérêt des citoyens, notamment des auteurs de l'initiative, à ce que cette dernière soit soumise le plus tôt possible au vote populaire, et l'intérêt de l'autorité à pouvoir émettre un préavis sous forme de contre-projet. Il convient ainsi de laisser à l'Etat le temps nécessaire a l'élaboration du contre-projet, sans l'autoriser toutefois à différer, pour ce motif et pour une durée inhabituellement longue, la soumission de l'initiative au peuple.
BGE 101 Ia 492 S. 501
Sur le plan fédéral, en vertu des art. 27 al. 1 et 29 al. 3 de la loi sur les rapports entre les conseils, du 23 mars 1962, l'Assemblée fédérale doit, dans un délai de trois ans susceptible d'être prolongé d'une année, décider si elle approuve ou non une demande d'initiative populaire présentée sous la forme d'un projet rédigé de toutes pièces. Il s'agit là d'un délai de péremption; l'autorité qui le laisse passer sans agir perd toute possibilité de donner son avis (RO 100 Ia 55). Certes, à cet égard, le droit cantonal est totalement indépendant du droit fédéral. Mais on ne saurait toutefois nier toute valeur, sur le plan général, aux principes qui ont inspiré cette réglementation.
Le droit vaudois ne prévoit aucun délai pendant lequel l'autorité cantonale serait tenue de soumettre une initiative à la votation populaire. Si la LEDP exige du Conseil d'Etat qu'il transmette la demande d'initiative "le plus tôt possible" au Grand Conseil, il s'agit là d'un concept imprécis dont l'interprétation dépend tant de la fonction dévolue à l'initiative que des particularités du cas; et il ne paraît pas en l'espèce que le délai de trois ans et demi qui s'est écoulé depuis le dépôt de l'initiative puisse être taxé d'exagérément long au point de léser les droits constitutionnels des recourants.
Dans ces conditions, il n'appartient pas au Tribunal fédéral de dire dans quel délai le Grand Conseil, auquel auront été soumis la demande de l'initiative et le contre-projet, devra se prononcer sur ces deux objets puis les soumettre à la votation populaire. L'autorité législative prendra le temps nécessaire à l'étude des textes qui lui seront proposés, tout en tenant compte du droit des promoteurs de l'initiative à voir le peuple se prononcer le plus tôt possible à ce sujet. Si la complexité des questions soulevées devait être la cause de divergences profondes au sein de l'autorité législative quant à la solution qui doit leur être apportée, le Grand Conseil aurait alors à examiner s'il ne lui incombe pas de renoncer à élaborer un contre-projet, afin de ne pas différer plus longtemps la soumission de l'initiative à la votation populaire.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
52f3af07-8c68-450b-8982-2cfcabe4e932 | Urteilskopf
119 V 1
1. Arrêt du 28 janvier 1993 dans la cause B. contre Caisse suisse de compensation et Commission fédérale de recours en matière d'AVS/AI pour les personnes résidant à l'étranger | Regeste
Art. 18 Abs. 2 AHVG
.
- Besitzt eine Person, die Leistungen der AHV beansprucht, mehrere Staatsangehörigkeiten, so ist für die Bestimmung der massgebenden Staatsangehörigkeit
Art. 23 Abs. 2 IPRG
anzuwenden (Bestätigung der Rechtsprechung)
- Hängt der Anspruch auf eine ordentliche Alters- oder Hinterlassenenrente von der Staatsangehörigkeit des Versicherten ab, so ist massgebend die Staatsangehörigkeit zur Zeit der Entrichtung der AHV-Beiträge oder diejenige bei Entstehung des Rentenanspruchs. Besitzt der Versicherte mehrere Staatsangehörigkeiten, darunter die schweizerische oder diejenige eines Staates, der mit der Schweiz ein Abkommen über Soziale Sicherheit abgeschlossen hat, so ist immer diese letztere Staatsangehörigkeit als massgebend zu betrachten. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 119 V 1 S. 2
A.-
Maisie B., née en 1927, mariée, ressortissante anglaise et canadienne vivant à Montréal (Canada), a demandé dans le courant du mois de mars 1990 à être mise au bénéfice d'une rente de vieillesse de l'AVS. Elle indiquait avoir exercé une activité lucrative en Suisse du 1er novembre 1951 au 31 mai 1953.
Par décision du 27 juin 1990, la Caisse suisse de compensation a rejeté la demande, parce que la requérante avait la nationalité canadienne, qu'il n'existait pas de convention avec le Canada et que les conditions auxquelles l'
art. 18 al. 2 LAVS
subordonne le versement d'une rente n'étaient pas remplies dans le cas particulier.
B.-
La prénommée a recouru, en se prévalant de sa nationalité anglaise.
Par jugement du 24 janvier 1991, le Juge unique de la Commission fédérale de recours en matière d'assurance-vieillesse, survivants et invalidité pour les personnes résidant à l'étranger a rejeté le recours, en bref parce que, selon la jurisprudence, c'est la nationalité prépondérante ou effective qui permet de décider s'il y a lieu d'appliquer une éventuelle convention internationale en matière de sécurité sociale; qu'il s'agissait en l'occurrence d'une citoyenne canadienne par mariage possédant également la nationalité anglaise; que, les époux vivant au Canada, il y avait lieu de considérer que la citoyenneté canadienne prédominait; qu'à défaut de convention avec le Canada, c'étaient les règles de la LAVS, notamment l'
art. 18 al. 2 LAVS
, qu'il fallait appliquer; que les conditions prévues par cette disposition n'étaient pas remplies par la recourante. Le premier juge a réservé la présentation d'une demande de remboursement des cotisations versées à l'assurance suisse.
C.-
Maisie B. interjette recours de droit administratif, en reprenant ses conclusions et moyens de première instance.
La caisse intimée conclut au rejet du recours, comme l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La première question à trancher en l'espèce est celle de la nationalité de la recourante. En effet, en ce qui concerne les
BGE 119 V 1 S. 3
prestations de l'assurance sociale suisse, l'intéressée n'est pas considérée comme double nationale. A cet égard, le Tribunal fédéral des assurances a déjà eu l'occasion de préciser qu'il fallait appliquer, en présence d'un double national possédant la nationalité suisse, le principe de la nationalité prédominante ou effective et, pour ce faire, tenir compte dans chaque cas particulier de l'intensité de toutes les relations importantes avec l'un ou l'autre des Etats en cause (
ATF 112 V 93
consid. 2b in fine). Il importe dès lors de se demander selon quels critères il y a lieu de déterminer la nationalité effective de celui qui, à l'instar de la recourante, a plusieurs nationalités étrangères et revendique une prestation d'une assurance sociale suisse en vertu d'une convention bilatérale liant la Suisse à l'un des Etats dont le requérant est le ressortissant.
Dans le cas de doubles nationaux suisses et étrangers, il est indispensable de procéder à cet examen, car la loi elle-même fait une différence entre Suisses et étrangers, notamment dans l'AVS/AI (v. p.ex. les
art. 1 al. 1 let
. c, 2, 18, 42bis LAVS, ou les
art. 6, 9 et 39 LAI
). Il n'est en revanche pas indispensable de déterminer la nationalité effective ou prépondérante d'une personne qui ne possède pas la nationalité suisse, du moins lorsqu'aucun des Etats dont elle a la nationalité n'a conclu avec notre pays une convention de sécurité sociale. En revanche, lorsque l'un de ces Etats au moins a passé un tel accord avec la Suisse, la question de la nationalité prépondérante doit être tranchée, si l'on ne veut pas favoriser celui qui a deux ou plusieurs nationalités étrangères par rapport au double national suisse et étranger.
S'agissant de déterminer la nationalité effective de la personne qui a plusieurs nationalités étrangères, il faut, conformément à l'arrêt
ATF 112 V 89
, reprendre la solution du droit international privé et appliquer par analogie l'
art. 23 al. 2 LDIP
(RS 291) qui dispose: "Lorsqu'une personne a plusieurs nationalités, celle de l'Etat avec lequel elle a les relations les plus étroites est seule retenue pour déterminer le droit applicable, à moins que la présente loi n'en dispose autrement" (principe de la nationalité dite effective; voir KNOEPFLER/SCHWEIZER, Précis de droit international privé suisse, no 430, p. 145). Cette solution a certes été contestée par la doctrine (P.-Y. GREBER, La survenance de l'invalidité et la condition d'assurance, Cahiers genevois de la sécurité sociale, nos 3/4, 1988, spéc. pp. 43 ss). Mais cette critique concerne le cas spécifique du double national suisse et étranger, de sorte qu'il n'est pas indispensable d'y répondre aujourd'hui, puisque aussi bien les deux nationalités en cause dans la présente affaire sont étrangères.
BGE 119 V 1 S. 4
2.
En l'espèce, alors qu'elle ne possédait que la nationalité britannique, la recourante a exercé en Suisse, sous son nom de jeune fille, une activité lucrative soumise à cotisations en 1951, 1952 et 1953. Ce n'est que plus tard qu'elle a acquis la nationalité canadienne, apparemment à la suite de son mariage avec un ressortissant canadien en 1956.
Se pose dès lors, à titre préalable, la question du moment auquel il convient de se placer pour déterminer la nationalité effective de l'assuré qui revendique des prestations de l'AVS dans une telle situation. La recourante soutient implicitement que c'est le moment où elle a travaillé en Suisse et cotisé à cette assurance sociale qui doit seul être pris en considération. En revanche, l'administration et le premier juge - sans justifier plus avant leur point de vue - ont retenu le moment auquel le droit aux prestations d'assurance est né, soit en l'occurrence la date d'ouverture du droit éventuel de la recourante à une rente de vieillesse. Cela correspond à la pratique administrative et plus particulièrement au ch. 327 des directives de l'OFAS concernant les rentes de l'AVS/AI (DR).
a) La première solution (nationalité effective au moment où l'assuré a cotisé au régime) se justifie non seulement du point de vue de la sécurité juridique - en principe, une situation de fait doit être appréciée à la lumière des règles de droit qui en sont contemporaines - mais également sous l'angle de la prévisibilité du droit applicable à cette situation. Il importe, en effet, de connaître la règle de droit qui qualifie les faits établis pour savoir quels faits doivent être allégués et prouvés en procédure (
ATF 118 II 86
).
C'est, par exemple, la solution retenue par la Cour de justice des Communautés européennes pour décider quelle est la nationalité déterminante du travailleur au sens de l'art. 2 § 1 du règlement no 1408/71 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté. Selon cette jurisprudence, la qualité de ressortissant de l'un des Etats membres se situe à l'époque de l'accomplissement du travail, du versement des cotisations relatives aux périodes d'affiliation et de l'acquisition des droits correspondants (arrêt Belbouad du 12.10.1978, Rec. 1978, p. 1924, § 7).
Elle comporte toutefois l'inconvénient d'alourdir la tâche des institutions chargées de la liquidation des pensions (v. par ex. CATALA/BONNET, Droit social européen, p. 251, § 377, n. 13). C'est pourquoi, ainsi qu'on l'a vu, la pratique administrative tend à lui
BGE 119 V 1 S. 5
préférer la seconde solution (nationalité effective au moment où s'ouvre le droit aux prestations d'assurance ou, le cas échéant, au moment de la demande) qui est plus simple à appliquer.
b) Par ailleurs, l'alternative ne se présente pas toujours de manière aussi limpide que dans le cas d'espèce. On peut envisager des situations plus complexes, non seulement en fonction de la nationalité effective de l'assuré à l'un ou à l'autre des moments déterminants, mais aussi en fonction de l'existence ou de l'absence d'une convention de sécurité sociale entre la Suisse et l'Etat - ou les Etats - dont l'assuré est ou était ressortissant.
C'est ainsi qu'une solution qui, dans un cas donné, se révélera favorable à l'assuré double national pourra sembler trop rigoureuse dans un autre cas. Par exemple, si l'on donne la préférence, en l'espèce, à la nationalité effective de la recourante au moment où elle a cotisé à l'AVS, cela sera à son avantage car c'est alors la convention de sécurité sociale liant la Suisse et le Royaume-Uni de Grande-Bretagne qui s'appliquera, aucune convention de cette sorte n'ayant été conclue avec le Canada. Mais dans l'hypothèse inverse (nationalité canadienne lorsque l'assurée a cotisé à l'AVS et britannique lors de l'ouverture du droit à une rente de vieillesse), la recourante n'aurait pu prétendre une telle rente. En revanche, dans cette éventualité, la solution préconisée par l'OFAS dans ses directives précitées lui aurait permis, en principe, de percevoir une rente.
Il peut aussi arriver qu'un assuré qui prétend une rente de l'AVS ait changé de nationalité ou soit devenu double national durant la période où il a cotisé à cette assurance sociale. Dans ce cas, l'application du principe de la nationalité effective au moment où l'assuré a payé des cotisations pourrait entraîner certaines difficultés, notamment si l'une des nationalités est celle d'un Etat non lié à la Suisse par une convention de sécurité sociale.
c) En définitive, pour répondre à l'exigence de la sécurité du droit autant qu'aux besoins de la pratique, il convient de déterminer la nationalité de l'assuré de manière alternative: lors du paiement des cotisations à l'AVS ou lors de l'ouverture du droit à la rente. Autrement dit, il suffit qu'un assuré possède ou ait possédé la nationalité suisse ou celle d'un Etat ayant conclu une convention de sécurité sociale avec la Suisse, à l'une de ces deux époques, pour qu'il ait droit à une rente ordinaire de vieillesse, à condition d'avoir cotisé durant une année au moins (
art. 29 al. 1 LAVS
). La même règle vaut pour les rentes de survivant.
BGE 119 V 1 S. 6
Cette manière de procéder simplifie la détermination du droit applicable et rend pratiquement inutile la distinction fondée sur le principe de la nationalité effective, au moins pour l'AVS. En effet, ce principe ne s'appliquera plus que dans le cas d'un double national ne possédant ou n'ayant jamais possédé la nationalité suisse, ni celle d'un Etat ayant conclu une convention avec la Suisse. Or, dans cette éventualité, c'est l'art. 18 al. 2, première phrase LAVS qui fait règle, quelle que soit la nationalité en cause.
En résumé, lorsque le droit à une rente ordinaire de vieillesse ou de survivant dépend de la nationalité de l'assuré, est déterminante la nationalité de l'intéressé à l'époque du paiement des cotisations à l'AVS ou lors de l'ouverture du droit à la rente. Si l'assuré possède plusieurs nationalités dont la nationalité suisse ou celle d'un pays qui a conclu avec la Suisse une convention de sécurité sociale, c'est toujours cette dernière nationalité qui est considérée comme déterminante.
d) Conformément à ces principes, il convient d'examiner la demande de rente présentée par la recourante à la lumière de la convention de sécurité sociale conclue le 21 février 1968 entre la Suisse et le Royaume-Uni de Grande-Bretagne et d'Irlande du Nord, en vigueur depuis le 1er avril 1969. Certes, cette convention est postérieure à l'époque à laquelle la recourante a séjourné en Suisse et cotisé à l'AVS, de 1951 à 1953. Du reste, il n'existait à ce moment-là aucune convention de sécurité sociale entre les deux Etats précités puisque la première convention en matière d'assurances sociales entre la Suisse et le Royaume-Uni, conclue le 16 janvier 1953, n'était entrée en vigueur que le 1er juin 1954 (ROLF 1954 p. 1023). Il n'importe, car l'art. 24 al. 3 de la convention de 1968 prescrit de prendre en compte toute période de cotisations ou période équivalente accomplie par une personne avant l'entrée en vigueur du traité pour la détermination du droit aux prestations selon cette convention. Une disposition semblable figurait déjà à l'art. 21 ch. 4 de la convention de 1953, d'après laquelle toute contribution payée par un ressortissant de l'une ou l'autre Partie avant la date d'entrée en vigueur du traité était prise en considération pour la détermination du droit aux prestations conformément aux dispositions de ladite convention.
3.
Aux termes de l'
art. 18 al. 2 LAVS
, les étrangers et leurs survivants qui ne possèdent pas la nationalité suisse n'ont droit à une rente qu'aussi longtemps qu'ils ont leur domicile civil en Suisse et que si les cotisations ont été payées pendant au moins dix années entières. Sont réservées les dispositions spéciales de droit fédéral
BGE 119 V 1 S. 7
relatives au statut des réfugiés et des apatrides ainsi que les conventions internationales contraires, conclues en particulier avec des Etats dont la législation accorde aux ressortissants suisses et à leurs survivants des avantages à peu près équivalents à ceux de la présente loi.
Selon la convention conclue avec le Royaume-Uni, le droit aux rentes ordinaires de l'AVS suisse des ressortissants britanniques est donné après une année de cotisations, la rente - calculée comme l'est celle revenant à un ressortissant suisse - pouvant être versée dans chaque Etat de domicile (un remboursement des cotisations est en revanche exclu; art. 3, consacrant l'égalité de traitement des ressortissants des parties à la convention). La recourante ayant cotisé pendant plus d'une année à l'AVS, les conditions précitées sont remplies en l'espèce, de sorte qu'elle a droit à une rente de vieillesse.
4.
Le recours doit ainsi être admis et la cause renvoyée à l'administration pour qu'elle arrête le montant de la rente que l'assurée peut prétendre. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
52f40197-81cc-470b-baeb-10f2f5217dc7 | Urteilskopf
140 III 92
16. Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und A. gegen Kinder- und Jugenddienst KJD des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_815/2013 vom 9. Januar 2014 | Regeste
Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen nach Aufhebung der Kindesschutzmassnahme (
Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG
). Begehren um Feststellung der Widerrechtlichkeit der Massnahme bzw. von Verfahrensfehlern.
Voraussetzungen, unter denen das Bundesgericht auf eine Beschwerde eintritt, wenn das aktuelle praktische Interesse bei Einreichung der Beschwerde bereits weggefallen ist. Zur Bedeutung der Verantwortlichkeitsklage nach
Art. 454 ZGB
(E. 1-3). | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 140 III 92 S. 92
A.
X. und Y., beide wohnhaft an der C.strasse, D., sind die Eltern der Kinder B. (geb. 1993) und A. (geb. 2001). Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen X. und Y. suchte die nicht mehr bei ihren Eltern wohnhafte Tochter B. am 19. Dezember 2011 die Abteilung für Kindes- und Jugendschutz (AKJS), D., auf und berichtete, dass sie sich angesichts des virulenten Familienkonflikts Sorgen um den bei den Eltern lebenden zehnjährigen Bruder A. mache. In Absprache mit der AKJS nahm sie ihren Bruder zu sich nach Hause. Der zuständige Beamte stellte weitere vormundschaftliche Abklärungen in Aussicht. Der Vater holte den Sohn einige Tage später ab. Die vormundschaftlichen Abklärungen erstreckten sich bis zum 30. Januar 2013.
BGE 140 III 92 S. 93
B.
B.a
Am 1. Mai 2012 gelangten X. und Y. mit einem als "aufsichtsrechtliche Anzeige" bezeichneten Schreiben an die AKJS und ersuchten darum, weitere Abklärungen in Bezug auf eine allfällige Gefährdung des Kindeswohls zu unterlassen und den entsprechenden Beschluss in Form einer anfechtbaren Verfügung zu kommunizieren. Im Weiteren sei festzustellen, dass der Entzug der elterlichen Sorge und Obhut widerrechtlich erfolgt sei. Am 20. Juni 2012 wurde den Anträgen nicht entsprochen. Mit Entscheid vom 20. Dezember 2012 wies das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (WSU) als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde die von X., Y. und A. gegen die Verfügung der AKJS (später: Kinder- und Jugenddienst, KJD) erhobene Beschwerde ab.
B.b
Dagegen gelangten X., Y. und A. mit Eingaben vom 27. Dezember 2012 und 21. Januar 2013 an das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit den Begehren, den Entscheid des WSU aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei der Unterbringung von A. bei seiner Schwester, am 19. Dezember 2011, sowie bei den Abklärungen danach um Kindesschutzmassnahmen handelte, die in rechtswidriger Weise erfolgt seien. Des Weiteren beantragten sie die Feststellung verschiedener Verfahrensfehler im Zusammenhang mit dem Erlass dieser Massnahmen. Mit Urteil vom 19. September 2013 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C.
X. und A. gelangen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschwerde in Zivilsachen vom 30. Oktober 2013 (Postaufgabe) an das Bundesgericht. Sie ersuchen um Aufhebung des angefochtenen Urteils und wiederholen zur Hauptsache die bereits vor dem Verwaltungsgericht erhobenen Feststellungsbegehren. Eventualiter beantragen sie, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur neuen Begründung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Erwägungen:
1.
1.1
Nach
Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG
ist zur Beschwerde in Zivilsachen nur berechtigt, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides hat. Die Beschwerdebefugnis setzt ein aktuelles und praktisches Interesse an der Gutheissung der Beschwerde voraus, das auch im Zeitpunkt des
BGE 140 III 92 S. 94
bundesgerichtlichen Urteils noch vorhanden sein muss (vgl.
BGE 131 I 153
E. 1.2 S. 157). Ausnahmsweise verzichtet das Bundesgericht auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn die gerügte Rechtsverletzung sich jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (sog. virtuelles Interesse;
BGE 136 III 497
E. 1.1 S. 499 mit Hinweisen).
1.2
Im vorliegenden Fall befindet sich der Beschwerdeführer nicht mehr bei seiner Schwester. Aus den kantonalen Akten ergibt sich überdies, dass die Abklärungen des Kinder- und Jugenddienstes KJD per Ende Januar 2013 abgeschlossen worden sind, sodass ein aktuelles praktisches Interesse der Beschwerdeführer an der Beschwerde spätestens seit Ende Januar 2013 nicht mehr gegeben ist. Abgesehen davon legen die Beschwerdeführer auch nicht dar, inwiefern in ihrem Fall ein virtuelles Interesse im beschriebenen Sinn zu bejahen wäre. Sie machen hingegen geltend, die strittigen Kindesschutzmassnahmen hätten massiv in ihre Persönlichkeitssphäre eingegriffen, sodass es im Lichte von
Art. 13 EMRK
(Recht auf eine wirksame Beschwerde) möglich sein müsse, richterlichen Rechtsschutz zu erhalten. Die Feststellung der Widerrechtlichkeit stelle ausserdem eine besondere Form der Genugtuung dar, welche durch eine andere "Klageform" nicht hätte geltend gemacht werden können. Zudem garantiere
Art. 6 EMRK
den Zugang zu Verfahren.
2.
2.1
Art. 429a ZGB
in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 6. Oktober 1978 (AS 1980 31; BBl 1977 III 1; nachfolgend aArt. 429a ZGB) regelte die (kausale) Haftpflicht für die widerrechtliche fürsorgerische Freiheitsentziehung. Danach hatte derjenige, der durch eine widerrechtliche Freiheitsentziehung verletzt worden war, Anspruch auf Schadenersatz und, wo die Schwere der Verletzung es rechtfertigt, auf Genugtuung. In diesem Verantwortlichkeitsprozess war die Feststellung der Widerrechtlichkeit als "eine andere Art der Genugtuung" möglich und zulässig (
BGE 118 II 254
Nr. 52). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stellte die Klage nach aArt. 429a ZGB eine wirksame Beschwerde im Sinn von
Art. 13 EMRK
zur Überprüfung der Einhaltung von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
dar. Überdies genügte sie den Anforderungen von
Art. 5 Ziff. 5 EMRK
betreffend Anspruch auf Schadenersatz (Nichtzulassungsentscheid
A.B. gegen Schweiz
vom 6. April 2000, Zusammenfassung in: VPB 64/2000 Nr. 134 S. 1323).
BGE 140 III 92 S. 95
Das Bundesgericht trat daher auf Begehren um Feststellung der Widerrechtlichkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, insbesondere auf Feststellung der Verletzung der Garantien der EMRK nicht ein, sobald die betroffene Person aus der fürsorgerischen Freiheitsentziehung entlassen worden war (siehe zur alten Praxis
BGE 136 III 497
E. 1.1 S. 499 und E. 2.4 S. 501).
2.2
Mit der Einführung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts am 1. Januar 2013 ist aArt 429a ZGB durch den geltenden
Art. 454 ZGB
ersetzt worden, welcher der im Rahmen behördlicher Massnahmen des Erwachsenenschutzes durch widerrechtliches Handeln oder Unterlassen verletzten Person einen Anspruch auf Schadenersatz und, sofern es die Schwere der Verletzung rechtfertigt, auf Genugtuung einräumt (
Art. 454 Abs. 1 ZGB
). Mit Blick auf den praktisch gleichlautenden Wortlaut der nunmehr geltenden Bestimmung übernahm das Bundesgericht die unter aArt. 429a ZGB entwickelte Rechtsprechung. Es tritt somit auch unter dem neuen Recht auf Begehren um Feststellung der Widerrechtlichkeit bzw. der Verletzung der durch die EMRK garantierten Rechte nicht ein und verweist die Betroffenen auf die Klage nach
Art. 454 ZGB
, sobald sie aus der Einrichtung entlassen worden sind (Urteil 5A_290/2013 vom 3. Juni 2013 E. 1.2).
2.3
Im Gegensatz zu aArt. 429a ZGB ist der geltende
Art. 454 ZGB
nicht nur auf den Bereich der fürsorgerischen Unterbringung beschränkt: Er regelt die direkte kausale Staatshaftung in einem umfassenden Sinn, indem er nunmehr Anordnung, Durchführung oder Unterlassung irgendeiner Erwachsenenschutzmassnahme durch einen Mandatsträger oder die zuständige Behörde erfasst. Da die Erwachsenenschutzbehörde in Personalunion auch Kindesschutzbehörde ist (
Art. 440 Abs. 3 ZGB
), sind die Bestimmungen über die Verantwortlichkeit auch auf Massnahmen im Kindesschutz anwendbar (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht], BBl 2006 7092 Ziff. 2.3.5; MEIER/LUKIC, Introduction au nouveau droit de la protection de l'adulte, 2011, S. 70 Rz. 155; HEINZ HAUSHEER, in: Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, 2012, N. 4 zu
Art. 454 ZGB
; THOMAS GEISER, Erwachsenenschutz, 2013, N. 4 und 9 zu
Art. 454 ZGB
; PATRICK FASSBIND, Erwachsenenschutz, 2012, S. 159; HERMANN SCHMID, Erwachsenenschutz, 2010, S. 258 N. 2 zu
Art. 454 ZGB
). Im Lichte dieses erweiterten Geltungsbereichs rechtfertigt es sich, die Anwendung der bisher unter dem
BGE 140 III 92 S. 96
Gesichtswinkel der fürsorgerischen Unterbringung entwickelten Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall zu übertragen: Da die angeblichen Kindesschutzmassnahmen längst dahingefallen sind und das Verfahren vor dem Kinder- und Jugenddienst KJD per Ende Januar 2013 eingestellt worden ist, sind die Beschwerdeführer mit Bezug auf ihre Begehren um Feststellung der Widerrechtlichkeit der Anordnung der "Kindesschutzmassnahmen" bzw. der Widerrechtlichkeit des Verfahrens auf die Klage nach
Art. 454 ZGB
zu verweisen.
3.
Da das aktuelle praktische Interesse bereits bei Einreichung der vorliegenden Beschwerde nicht mehr gegeben war, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (
BGE 136 III 497
E. 2.1 S. 500). Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (
Art. 66 Abs. 1 BGG
), wobei sie für den Gesamtbetrag der Kosten solidarisch haften (
Art. 66 Abs. 5 BGG
). | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52f4402e-2ae6-46d9-8eab-e2b0710dec2c | Urteilskopf
106 IV 246
64. Urteil des Kassationshofes vom 8. Mai 1980 i.S. Sch. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 133 StGB
.
1. Der Begriff des "Beteiligten" im Sinne dieser Bestimmung ist weit zu fassen. Raufhandel liegt aber nur vor, wenn mindestens drei Beteiligte sich wechselseitig bekämpfen.
2. Auch der Beteiligte, der vor Erfüllung der objektiven Strafbarkeitsbedingung ausscheidet, kann gemäss
Art. 133 StGB
bestraft werden.
3. Die objektive Strafbarkeitsbedingung braucht sich nicht während des Raufhandels zu erfüllen. Es genügt, wenn die Verletzung durch Gewalttätigkeiten verursacht wird, welche der durch den unmittelbar vorausgegangenen Raufhandel angeheizten Streitlust und der durch ihn angesammelten Gemütserregung entspringen. | Sachverhalt
ab Seite 246
BGE 106 IV 246 S. 246
A.-
Am 8. November 1978 sprach der Gerichtspräsident von Trachselwald A. B., die beiden Brüder F. F. und J. F. und Sch. der Beteiligung an einem Raufhandel schuldig, begangen am 7. Januar 1977 in der Käserei X. in der Gemeinde Huttwil, und verurteilte sie zu bedingten Gefängnisstrafen.
B.-
Auf Appellation der Verurteilten und des Generalprokurators sprach die II. Strafkammer des Kantons Bern am 30. Oktober 1979 A. B. von der Anklage der Beteiligung an einem Raufhandel und der einfachen Körperverletzung frei. Dagegen sprach sie F. F. und J. F. sowie Sch. der Beteiligung an einem Raufhandel schuldig; J. F. wurde zusätzlich der einfachen Körperverletzung mit einem gefährlichen Werkzeug zum Nachteil des A. B., Sch. der einfachen Körperverletzung zum Nachteil des J. F. schuldig gesprochen. Allen Verurteilten wurden bedingte Gefängnisstrafen (Sch. 20 Tage) auferlegt.
C.-
Gegen dieses Urteil hat Sch. Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht. Er beantragt Aufhebung des Entscheides und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu seiner Freisprechung, eventuell zu neuer Beurteilung.
Der Generalprokurator beantragt in seiner Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde.
BGE 106 IV 246 S. 247
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am Sonntag, den 9. Januar 1977, gegen 19.00 Uhr, kam es vor und in der Käserei X., Gemeinde Huttwil, zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Bauern, die um diese Zeit Milch ablieferten. Ausgangspunkt bildete ein Wortgefecht zwischen J. F. und H.-R. B. im Käsereigebäude über ein Wegrecht. In diese Auseinandersetzung griff Sch., Präsident der Käsereigenossenschaft X., mit dem Vorwurf an J. F. ein, er und sein Bruder F. F. würden über ihn Gerüchte verbreiten. J. F. wollte sich nicht weiter auf Streitereien einlassen, ergriff daher seine beiden Milchkannen mit der einen, zwei Stück Käse mit der andern Hand und schickte sich an, zu gehen. Zwar versperrte ihm H.-R. B. zuerst den Weg; es gelang J. F. dennoch, an H.-R. B. vorbei auf die Rampe zu treten. In diesem Moment versetzte ihm Sch. einen Fusstritt. Daraufhin stellte J. F. draussen die Kannen ab, zog die freie Hand auf und warnte Sch., der ihm gefolgt war: "Alfeli, jetz isch de gnue." Doch Sch. wurde gegen J. F., welcher immer noch den Käse in der Hand hielt,
BGE 106 IV 246 S. 248
erneut tätlich, indem er ihn über die Rampe in den zweirädrigen Karren des F. stiess. J. F. "rappelte" sich auf, ergriff den im Peitschenfutteral befindlichen Haselstecken und griff damit Sch. an. Sch. wehrte ihn mit einem erneuten Stoss über die Rampe ab, wobei J. F. diesmal auf das 87 cm tiefer liegende Strässchen fiel.
Nach diesem zweiten Sturz gingen J. F. und sein Bruder, der bis dahin in einer Entfernung von 50-100 m einem andern geholfen hatte, ein im Schnee steckengebliebenes Auto flott zu machen und der den Sturz seines Bruders beobachtet hatte, gemeinsam auf Sch. los; sie konnten ihn in der Käserei "zu Boden machen". H.-R. B. suchte die Streitenden zu scheiden. Jetzt tauchte A. B. in der Käserei auf und rief den Kämpfenden zu: "Höret sofort uf, dir Pranzcheibe!" F. F. "stichelte" mit dem Stecken gegen A. B., der lediglich abwehrte. Hierauf ergriff J. F. den Milchkannendeckel und warf ihn A. B. an den Kopf. Damit fand die tätliche Auseinandersetzung ein Ende.
A.
B. erlitt vom Wurf des Kannendeckels zwei 28 bzw. 35 mm lange, bis auf den Knochen reichende Stirnwunden und in deren Umgebung sowie am Nasenrücken Quetschungen. Bei J. F. stellte der Arzt eine Prellung im Bereich der linken Schläfe, eine druckschmerzhafte Schulter mit Schmerzhemmung und Einschränkung des Bewegungsumfanges, eine Prellung der unteren Lendenwirbelsäule sowie des Brustkorbes fest, was seine Arbeitsfähigkeit einige Zeit beschränkte. Die Prellungen am Kopf von F. F. und die Quetschung und Blutung des Sch. hat die Vorinstanz als blosse Tätlichkeiten gewertet, deren Verfolgung verjährt ist.
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Verletzungen des J. F. als einfache Körperverletzung im Sinne von
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
zu werten sind. Er macht aber geltend, er habe in Notwehr gehandelt.
a) Die Vorinstanz gelangte aufgrund ihrer Beweiswürdigung und in Anwendung der Regel "in dubio pro reo" zum Schluss, die Verletzungen des J. F. seien die Folge von dessen Sturz auf das Strässchen. Anders als beim ersten Stoss (in den zweirädrigen Karren) befand sich Sch. beim zweiten Stoss (auf das Strässchen) nach Auffassung des Obergerichts in einer Notwehrsituation, da er von J. F. mit einem Haselstecken angegriffen wurde. Ob sich Sch. bereits bei seinem ersten Stoss in einer Notwehrsituation befunden habe, wie in der
BGE 106 IV 246 S. 249
Beschwerde ausgeführt wird, braucht hier nicht untersucht zu werden, da der erste Stoss nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Verletzungen zur Folge hatte, Sch. mit diesem ersten Stoss mithin den Tatbestand von
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
nicht erfüllt hat.
b) Der Haselstecken, mit dem J. F. nach seinem ersten Sturz den Beschwerdeführer angriff, zerbrach beim ersten Schlag. Die Behauptung von Sch., J. F. habe mehrmals mit dem Haselstecken auf ihn eingeschlagen, steht in Widerspruch zu dieser verbindlichen Feststellung und ist daher unzulässig. Ohne Bundesrecht zu verletzen durfte die Vorinstanz annehmen, Sch. habe dadurch, dass er den nicht mehr bewaffneten F. auf diesen einen Schlag hin von der Rampe auf das 87 cm tiefer gelegene gepflasterte Strässchen hinunterstiess, die Grenzen der Notwehr überschritten. Der Einwand des Beschwerdeführers, es sei ihm nur darum gegangen, sich J. F. vom Leib zu halten, nicht aber darum, ihn auf die Strasse zu werfen, ist unbehelflich. Dadurch, dass das Obergericht Sch. wegen dieses Stosses der einfachen Körperverletzung schuldig erklärte, brachte es klar zum Ausdruck, dass Sch. den Sturz des J. F. auf die gepflasterte Strasse und dessen Folgen zumindest in Kauf nahm. Diese sinngemäss getroffene Feststellung ist tatsächlicher Natur und kann daher mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden.
c) Der Beschwerdeführer meint im weiteren, die Vorinstanz hätte selbst dann Bundesrecht verletzt, wenn man mit ihr das Vorliegen eines Notwehrexzesses bejahte. Es wird zwar mit Recht nicht geltend gemacht, Sch. habe die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff überschritten und müsse aus diesem Grunde straflos bleiben (
Art. 33 Abs. 2 Satz 2 StGB
). Der Beschwerdeführer behauptet aber, die Vorinstanz habe es trotz Annahme eines Notwehrexzesses unterlassen, die Strafe gemäss
Art. 33 Abs. 2 Satz 1 StGB
nach freiem Ermessen zu mildern. Der Einwand ist unbegründet. Das Obergericht hat, wie aus dem Dispositiv seines Urteils ersichtlich ist, ausdrücklich auch
Art. 33 Abs. 2 Satz 1 StGB
angewandt. Es war bundesrechtlich nicht verpflichtet, im Urteil anzugeben, in welchem Masse es diesen Strafmilderungsgrund berücksichtigt hat. Dass die bedingte Gefängnisstrafe von 20 Tagen willkürlich, d.h. unvertretbar hart sei, behauptet der Beschwerdeführer zu Recht selber nicht.
BGE 106 IV 246 S. 250
d) Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher abzuweisen, soweit mit ihr die Verurteilung des Sch. wegen einfacher Körperverletzung angefochten wird.
3.
a) Sch. ficht auch seine Verurteilung wegen Beteiligung an einem Raufhandel an. Er macht geltend, es seien zu keinem Zeitpunkt mindestens drei Personen an der tätlichen Auseinandersetzung in strafrechtlich relevanter Weise beteiligt gewesen. An dem nach dem strafrechtlich bedeutungslosen Wortgefecht entbrannten Handgemenge ausserhalb des Käsereigebäudes hätten lediglich Sch. und J. F. teilgenommen. H.-R. B. habe keine Anstalten getroffen, in diesen Streit einzugreifen, und F. F. sei zu diesem Zeitpunkt in einer Entfernung von rund 150 m damit beschäftigt gewesen, den Personenwagen eines gewissen G. aus dem Schnee zu schaufeln.
Auch an dem sich daran anschliessenden Streit in der Käserei seien nicht drei Personen im Sinne von
Art. 133 StGB
beteiligt gewesen. Sch. sei von J. F. und F. F. ergriffen, zu Boden geworfen und am Boden festgehalten worden. Dabei habe sich Sch. völlig passiv verhalten; er habe nicht einmal abwehren könne, sondern er habe sich, als 60jähriger Mann, der Übermacht der Gebrüder F. ohne Widerstand beugen müssen. Von keiner Seite werde behauptet und auch die Vorinstanz stelle nicht fest, dass Sch. als Reaktion auf den Überfall durch die Gebrüder F. irgendwie tätlich geworden sei. Er wäre dazu auch gar nicht mehr fähig gewesen.
b) Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder eine Körperverletzung eines Beteiligten zur Folge hat, wird wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, sofern er nicht bloss abwehrt oder die Streitenden scheidet (
Art. 133 StGB
).
Als Raufhandel gilt die tätliche Auseinandersetzung, an der mindestens drei Personen aktiv teilnehmen (
BGE 71 IV 180
). Ein Streit zwischen zwei Personen wird zum Raufhandel, wenn ein Dritter tätlich eingreift.
Die Auseinandersetzung zwischen Sch. und J. F. vor dem Käsereigebäude, in deren Verlauf J. F. von der Rampe auf das Strässchen stürzte, wodurch er verschiedene Verletzungen erlitt, war demnach kein Raufhandel im Sinne von
Art. 133 StGB
. Dass Sch. in diesem Zeitpunkt mit dem Eingreifen eines Dritten, etwa des H.-R. B. rechnete oder dies gar wollte, ist entgegen der Auffassung des Generalprokurators unerheblich, umsomehr, als nirgendwo festgestellt wird, Sch.
BGE 106 IV 246 S. 251
habe einen Dritten in irgendeiner Form zum tätlichen Mitmachen aufgefordert. Was Sch. wollte oder in Kauf nahm, ist ohne Bedeutung, solange nicht tatsächlich ein Dritter in rechtlich relevanter Weise an der tätlichen Auseinandersetzung zwischen Sch. und J. F. teilnahm.
Als sich der Streit in das Innere des Käsereigebäudes verlagerte, nahm auch F. F. auf der Seite seines Bruders J. F. daran aktiv teil. Dass Sch. dieses Eingreifen von F. F. auf der Gegenseite kaum gelegen gekommen sein mag, ändert nichts an der Tatsache, dass er mit der - übrigens von Anbeginn voraussehbaren - Beteiligung von mehr als zwei Personen an der tätlichen Auseinandersetzung einverstanden war. Das genügt zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes. Der Vorsatz des Täters braucht sich nicht darauf zu beziehen, dass eine bestimmte Person in einer bestimmten Funktion in den Kampf tätlich eingreift, sondern lediglich darauf, dass mehr als zwei Personen am Streit aktiv teilnehmen.
c) Der in der Beschwerde erhobene Einwand, Sch. habe sich gegenüber den Angriffen der Gebrüder F. in der Käserei völlig passiv verhalten und sich bloss zu schützen gesucht, ohne selber auch nur einen einzigen Schlag auszuteilen, weshalb er nach der Rechtsprechung (
BGE 70 IV 126
,
BGE 94 IV 106
) nicht als Beteiligter qualifiziert werden könne, steht im Widerspruch zu den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz. Danach gelang es zwar den Gebrüdern F., Sch. in der Käserei "zu Boden zu machen"; diesem "Sieg" der Gebrüder F. ging indessen ein - wenn auch kurzer - Kampf mit Sch. voraus, was sich schon daraus ergibt, dass nach dem angefochtenen Urteil Zunächst H.-R. B. und in der Folge namentlich A. B. in die Auseinandersetzung F./Sch. schlichtend eingriffen. Dieser Kampf erfüllt die Voraussetzungen eines Raufhandels.
d) Der nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts handgreifliche Schlichtungsversuch von A. B. hatte zur Folge, dass sich die Brüder F. nun diesem zuwandten; F. F. "stichelte" mit einem Stecken gegen A. B. und schliesslich warf J. F. dem A. B. einen Milchkannendeckel an den Kopf. Die bis auf die Knochen reichenden Stirnwunden, die A. B. dadurch erlitt, qualifizierte die Vorinstanz als im Raufhandel verursachte Körperverletzung eines Beteiligten. In der Beschwerde wird dazu nicht Stellung genommen.
Wie das Obergericht zutreffend erkannt hat, ist es unerheblich,
BGE 106 IV 246 S. 252
dass Sch. im Zeitpunkt, als A. B. verletzt wurde, "bereits mehr oder weniger ausser Gefecht" gesetzt war. Auch der am Raufhandel Beteiligte, der vor Erfüllung der objektiven Strafbarkeitsbedingung ausscheidet, ist gemäss
Art. 133 StGB
zu bestrafen, da "seine bisherige Mitwirkung... die Streitfreudigkeit der Beteiligten gesteigert" hat, so dass "die dadurch erhöhte Gefährlichkeit der Schlägerei regelmässig auch über die Dauer der Beteiligung einzelner hinaus" fortwirkt. (BGHSt 14, 135, zitiert in STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT, 2. Aufl., Bd. 1, S. 77).
e) Die Vorinstanz hält dafür, dass auch nach dem Ausscheiden von Sch. der Raufhandel fortdauerte, und zwar bis zur Verletzung des A. B. Neben den Gebrüdern F. seien auch der vermittelnde H.-R. B. sowie insbesondere der schlichtende und in der Folge den Angriffen der Gebrüder F. ausgesetzte A. B. "Beteiligte" im Sinne des Gesetzes gewesen.
Indem das Gesetz den bloss Abwehrenden für straflos erklärt, geht es davon aus, dass auch der Abwehrende an sich "Beteiligter" im Sinne von
Art. 133 StGB
ist. Das bedeutet indessen nicht, dass immer dann ein Raufhandel vorliegt, wenn mindestens drei Personen in irgendeiner Form an einer Auseinandersetzung im erwähnten weiten Sinne des Gesetzes "beteiligt" sind. Der Raufhandel setzt vielmehr bestimmte Beteiligungsformen voraus. Über die zur Bejahung eines Raufhandels erforderliche Art der Beteiligung sagt das Gesetz nichts. Nach der Rechtsprechung (
BGE 94 IV 106
,
BGE 70 IV 126
) ist Raufhandel nur anzunehmen, wenn mindestens drei Personen sich wechselseitig bekämpfen. Daran ist festzuhalten.
Diese Voraussetzung war hier nach dem Ausscheiden von Sch. nicht mehr erfüllt. A. B. hat sich darauf beschränkt, die Angriffe der Gebrüder F. abzuwehren, Ohne seinerseits, und sei es auch nur zum Zwecke der Abwehr, Schläge etc. auszuteilen, d.h. zu kämpfen. Seine Verteidigung war mithin blosse Schutzwehr, nicht Trutzwehr. Kämpften aber nur zwei Personen, und diese nicht einmal gegeneinander, so lag kein Raufhandel mehr vor.
f) Die Frage nach der Fortdauer des Raufhandels nach dem Ausscheiden von Sch. bis zur Verletzung des A. B. braucht hier im übrigen nicht endgültig beantwortet zu werden. Das Gesetz verlangt nicht, dass im Moment der Verletzung eines Beteiligten (im umschriebenen weiten Sinne) der Raufhandel noch andauern, dass also die objektive Strafbarkeitsbedingung sich
BGE 106 IV 246 S. 253
während des Raufhandels erfüllen müsse. Im Unterschied zum italienischen Gesetzeswortlaut ("... una rissa nella quale alcuno rimanga ucciso o riporti una lesione personale ...") stehen der deutsche ("... Raufhandel ..., der den Tod oder eine Körperverletzung eines Beteiligten zur Folge hat ...") und der französische Gesetzestext ("... une rixe ayant entraîné la mort d'un des participants ou causé à l'un d'eux une lésion corporelle ...") einer solchen extensiven Auslegung nicht entgegen. Setzen einzelne nach Beendigung des Raufhandels ihre tätlichen Angriffe fort, so können die durch diese weiteren Gewalttätigkeiten verursachten Verletzungen durchaus die "Folge" des vorausgegangenen Raufhandels sein; Voraussetzung ist allerdings, dass diese weiteren Gewalttätigkeiten wie hier der durch den Raufhandel angeheizten Streiflust und der durch ihn angesammelten Gemütserregung entspringen und dem Raufhandel zeitlich unmittelbar folgen. Der praktischen Erfahrung, dass die Gemütserregung oft noch nach Beendigung des Raufhandels zu weiteren Gewalttätigkeiten führt, wird im italienischen Strafgesetzbuch ausdrücklich Rechnung getragen. Art. 58 Abs. 2 des italienischen Codice penale regelt zunächst den Fall, dass in einem Raufhandel ("nella rissa") jemand getötet oder verletzt wird. In einem zweiten Satz wird angefügt: "La stessa pena si applica se l'uccisione, o la lesione personale, avviene immediatamente dopo la rissa e in conseguenza di essa." (vgl. dazu V. MANZINI, Trattato di diritto penale italiano, Bd. VIII, 4. Aufl., 1964, Nr. 2972, S. 296 Anm. 12, mit Zitat aus der Relazione del Presidente della Commissione ministeriale per il progetto del Codice penale, p. 490). Die Bestrafung wegen Beteiligung an einem Raufhandel, der wie dargetan auch jener unterliegt, welcher vor der Verletzung eines Beteiligten ausscheidet, kann nicht davon abhängen, ob die tätliche Auseinandersetzung im Moment der Verletzung eines am Kampfgeschehen irgendwie Beteiligten als Raufhandel zu qualifizieren sei oder nicht.
Die Verurteilung von Sch. wegen Beteiligung an einem Raufhandel verstösst somit auch dann nicht gegen Bundesrecht, wenn man davon ausgeht, der Raufhandel habe mit dem Ausscheiden von Sch. ein Ende gefunden, da in der Folge nur noch zwei Personen aktiv gekämpft hätten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
52f8c725-c974-4959-87dc-4d7ee865eb87 | Urteilskopf
101 III 78
18. Entscheid vom 26. Mai 1975 i.S. Bank of America N.T. & S.A. und Mitbeteiligte | Regeste
Art. 110 SchKG
; Anwendung auf die Arrestbetreibung.
Ein Arrestgläubiger, der einen bereits gepfändeten Gegenstand mit Arrest belegen lässt, ist zur Teilnahme an der Pfändung berechtigt, sofern er innert der 30tägigen Frist von
Art. 110 Abs. 1 SchKG
das Pfändungsbegehren stellt. Die Arrestnahme als solche berechtigt noch nicht zur Teilnahme an der Pfändung (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 78
BGE 101 III 78 S. 78
A.-
Die First National Bank of Chicago liess die bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich liegenden Vermögenswerte des Bankhauses I.D. Herstatt mit Arrest belegen. Daraufhin strengte sie gegen das Bankhaus beim Betreibungsamt Zürich 1 die Betreibung Nr. 3029 an, mit der sie den Arrest prosequierte. Am 26. August 1974 stellte sie das Pfändungsbegehren. Das Betreibungsamt pfändete die arrestierten Vermögenswerte am 29. August 1974.
Noch vor dem Vollzug der Pfändung hatten weitere Gläubigerinnen des Bankhauses I.D. Herstatt, nämlich die Bank of America N.T. & S.A., die Seattle First National Bank (Switzerland) und die ASEAM, Asien-Euro and American Merchant Bank Ltd., über die gleichen bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich liegenden Vermögenswerte Arrestbefehle erlangt. Diese Gläubigerinnen nahmen daher gestützt auf
Art. 281 Abs. 1 SchKG
provisorisch an der Pfändung teil.
Hundert weitere Gläubiger des Bankhauses Herstatt erlangten für die nämlichen Werte ebenfalls Arrestbefehle, die
BGE 101 III 78 S. 79
aber erst nach der Pfändung ausgestellt wurden. Doch konnten diese Gläubiger ihre Pfändungsbegehren vor dem 30. September 1974 und damit vor Ablauf der in
Art. 110 Abs. 1 SchKG
vorgesehenen 30tägigen Teilnahmefrist einreichen. Das zuständige Betreibungsamt liess sie daher an der Pfändung vom 29. August 1974 teilnehmen.
B.-
Gegen die Pfändungsurkunde vom 27. November 1974 reichten die Bank of America N.T. & S.A., die First National Bank of Chicago, die Seattle First National Bank (Switzerland) und die ASEAM, Asien-Euro and American Merchant Bank Ltd., sowie eine weitere Bank, die ebenfalls den Arrestbefehl vor dem 29. August 1974 erlangt hatte, beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde ein. Sinngemäss verlangten sie, der Anschluss der im Anhang B der angefochtenen Pfändungsurkunde aufgeführten Betreibungen der 100 weiteren Gläubiger an die am 29. August 1974 bei der Schweizerischen Kreditanstalt vollzogene Pfändung sei aufzuheben. Das Bezirksgericht vereinigte die Beschwerden und wies sie am 31. Januar 1975 ab.
Dieser Entscheid wurde von den vier erstgenannten Gläubigerinnen an das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs weitergezogen. Das Obergericht vereinigte die Rekurse und wies sie mit Entscheid vom 11. April 1975 ab.
C.-
Die Bank of America N.T. & S.A., die First National Bank of Chicago, die Seattle First National Bank (Switzerland) und die ASEAM, Asien-Euro and American Merchant Bank Ltd. führen Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragen, den Entscheid des Obergerichts vom 11. April 1975 aufzuheben und die im Anhang B der Pfändungsurkunde vom 27. November 1974 aufgeführten Arrestgläubiger von der Teilnahme an der Pfändung der bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich liegenden Aktiven des Bankhauses I.D. Herstatt auszuschliessen.
Da die vier Rekurse gegen dieselben Gläubiger des Bankhauses I.D. Herstatt gerichtet und die Anträge identisch sind, aber auch die Begründungen weitgehend übereinstimmen, hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer die Verfahren zusammengelegt.
BGE 101 III 78 S. 80
Erwägungen
Die Schuldbetr.- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Rekurrentinnen behaupten, ein bereits gepfändeter Gegenstand könne nicht mehr mit Arrest belegt werden. Dies ergebe sich aus der spezifischen Funktion des Arrestes und in Analogie aus
Art. 110 Abs. 3 SchKG
. Danach könnten bereits gepfändete Vermögensstücke auf jeden Fall nur soweit mit Arrest belegt werden, als deren Erlös nicht den Gläubigern, für welche die vorgehende Pfändung stattgefunden hat, auszurichten sein werde. Es sei nicht einzusehen, weshalb die Regel von
Art. 110 Abs. 3 SchKG
, welche für die Pfändung gelte, nicht auch für den Arrest Geltung habe, nachdem der Arrest gegenüber der Pfändung eindeutig ein "Minderes" sei. Daraus folge für den vorliegenden Fall, dass die erst nach der Pfändung erlangten Arrestbefehle höchstens wirksam werden könnten, wenn die Pfändung dahinfallen oder bei der Verwertung sich ein Überschuss ergeben sollte. Dasselbe gelte auch für die von den nachkommenden Arrestgläubigern eingeleiteten Betreibungen. Schon aus diesem Grunde hätten diese Arrestgläubiger nicht zur Pfändungsgruppe zugelassen werden dürfen.
Dass die Arrestierung eines bereits gepfändeten Gegenstandes unmöglich sein soll, ergibt sich nirgends aus dem Gesetz.
Art. 110 Abs. 3 SchKG
kann auf den Arrest nicht analog angewendet werden, weil dieser keine Vollstreckungsmassnahme darstellt, sondern lediglich der vorläufigen Sicherung des Arrestgläubigers dient. Zudem übersehen die Rekurrentinnen, dass
Art. 110 Abs. 3 SchKG
sich ausdrücklich nur auf solche nachfolgende Pfändungsgläubiger bezieht, die nicht innert der 30tägigen Frist von Absatz 1 das Fortsetzungsbegehren gestellt haben. Da aber im vorliegenden Fall die nachfolgenden Arrestgläubiger das Pfändungsbegehren rechtzeitig gestellt haben, kann auch aus diesem Grunde die fragliche Bestimmung auf sie nicht zur Anwendung kommen. Die analoge Anwendung von
Art. 110 Abs. 3 SchKG
hätte überdies zur Folge, dass die Sondervorschrift von
Art. 281 Abs. 1 SchKG
entgegen der ausdrücklichen Einschränkung in Absatz 3 dieser Bestimmung in unzulässiger Weise ausdehnend interpretiert würde.
2.
Im weitern machen die Rekurrentinnen geltend, der Einbezug der Rekursgegner in die Pfändungsgruppe der
BGE 101 III 78 S. 81
Rekurrentinnen hätte auch deshalb nicht erfolgen dürfen, weil die direkte Anwendung von
Art. 110 Abs. 1 und 2 SchKG
im Zusammenhang mit Ausländerarresten nicht zulässig sei. Zur Begründung berufen sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts in
BGE 47 III 8
,
BGE 48 III 156
,
BGE 51 III 122
/123,
BGE 55 III 92
und 56 III 169 ff. Sie behaupten, das Bundesgericht habe sich in seinen Entscheidungen eindeutig in dem Sinne geäussert, dass die nachträgliche Arrestierung eines bereits vorher gepfändeten Gegenstandes unter keinen Umständen zur Teilnahme des Arrestgläubigers an der Pfändung solle Anlass geben können.
Dieser Auffassung der Rekurrentinnen kann indessen nicht gefolgt werden. Bei näherer Betrachtung der angeführten Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass das Bundesgericht stets nur entschieden hat, die Arrestierung als solche verleihe dem Arrestgläubiger keinen Anspruch auf Teilnahme an einer bereits vor der Arrestnahme erfolgten Pfändung (
BGE 55 III 91
,
BGE 48 III 156
und
BGE 47 III 8
), es bedürfe dafür eines Pfändungsbegehrens (oder eines Teilnahmebegehrens der gemäss
Art. 111 SchKG
zu privilegierter Anschlusspfändung berechtigten Personen). Im vorliegenden Fall wurde die Pfändung in der nach der Arrestnahme angestrengten Betreibung innert 30 Tagen seit einer vorausgehenden Pfändung verlangt. Dass hier nicht die normale Regelung von
Art. 110 Abs. 1 und 2 SchKG
Platz greife, ergibt sich aus der von den Rekurrentinnen angeführten Rechtsprechung keineswegs. Demgegenüber hat die Vorinstanz richtig angenommen, die Rechtsprechung stelle nicht in Frage, dass ein Arrestgläubiger, der einen bereits gepfändeten Gegenstand arrestieren lasse, zur Teilnahme an der Pfändung berechtigt sei, sofern er innert der 30tägigen Frist gemäss
Art. 110 Abs. 1 SchKG
das Fortsetzungsbegehren stelle.
a) Die Rekurrentinnen berufen sich zunächst auf
BGE 51 III 122
/123, wo das Bundesgericht ausgeführt hat, das Betreibungsverfahren in einer Arrestbetreibung könne sich notwendigerweise nur auf die Liquidation der arrestierten Objekte beziehen und es erscheine daher sowohl eine Nachpfändung als auch eine Ergänzungspfändung ausgeschlossen mit Bezug auf Objekte, die nicht ebenfalls mit Arrest belegt worden seien. Aus diesen Äusserungen folgern die Rekurrentinnen, dass der Arrestgläubiger, der nur auf Grund des Arrestes
BGE 101 III 78 S. 82
an dem dadurch gegebenen Arrestort die Betreibung habe einleiten können, nicht die gleichen Rechte habe wie der Gläubiger in der gewöhnlichen Betreibung am ordentlichen Betreibungsort; der Gläubiger in der Arrestbetreibung könne nur in den Grenzen der Wirksamkeit seines spezifischen Arrestes weitere Vollstreckungshandlungen verlangen.
Wie die beiden Vorinstanzen mit Recht festgestellt haben, lag dem angeführten Entscheid des Bundesgerichts jedoch ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde als der hier zu beurteilende. Es ging dabei um die Frage, ob in einer Arrestbetreibung Gegenstände gepfändet werden können, die nicht vom betreibenden, sondern von einem anderen Gläubiger arrestiert worden waren. Im vorliegenden Fall haben hingegen sowohl die Rekurrentinnen wie auch die Rekursgegner die gleichen bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich liegenden Vermögenswerte mit Arrest belegen lassen. Die von den Rekurrentinnen aus diesem Entscheid des Bundesgerichts gezogenen Schlüsse gehen daher an der Sache vorbei.
b) Dass eine direkte Anwendung von
Art. 110 Abs. 1 und 2 SchKG
im Rahmen einer Arrestbetreibung nicht zulässig sei, wollen die Rekurrentinnen auch aus
BGE 55 III 92
ableiten. Sie stützen sich dabei vor allem auf folgenden Satz:
"Dem Wesen des Arrestes als Spezialexekution entspricht es denn auch allein, dass die nachträgliche Arrestierung eines bereits vorher gepfändeten Gegenstandes unter keinen Umständen zur Teilnahme des Arrestgläubigers an der Pfändung soll Anlass geben können."
Dieser Satz ist in der Tat zu einseitig formuliert. Betrachtet man ihn aber im Zusammenhang mit den übrigen Erwägungen dieses Entscheides, so kann er nur bedeuten, dass die Arrestnahme als solche nicht zur Teilnahme an der Pfändung führen kann. Wird jedoch vom Arrestgläubiger das Pfändungsbegehren innert 30 Tagen seit der früheren Pfändung gestellt, so kann und muss er zur Teilnahme an der vorangehenden Pfändung gemäss
Art. 110 SchKG
zugelassen werden. In diesem Sinne sind die Ausführungen des Bundesgerichts in
BGE 55 III 91
/92 zu präzisieren. Dadurch wird der Grundsatz nicht geändert, dass sich das dem Arrest folgende Betreibungsverfahren am Spezialbetreibungsort des
Art. 52 SchKG
stets nur auf die arrestierten Gegenstände beziehen kann und dass eine Ausdehnung der Pfändung auf dem Wege einer
BGE 101 III 78 S. 83
Nach- oder Ergänzungspfändung auf andere Gegenstände ausgeschlossen ist. Auch im vorliegenden Fall ist im übrigen für keinen Gläubiger ein Vermögenswert gepfändet worden, der nicht arrestiert worden wäre.
c) Zur Stützung ihrer Auffassung, dass die nachträgliche Arrestierung eines bereits gepfändeten Gegenstandes unter keinen Umständen die Teilnahme des Arrestgläubigers an der Pfändung bewirken kann, führen die Rekurrentinnen noch
BGE 47 III 8
,
BGE 48 III 156
und
BGE 56 III 170
/171 an. Auch damit gehen sie indessen fehl. In
BGE 47 III 8
und
BGE 48 III 156
hatte der die Teilnahme verlangende Arrestgläubiger kein Fortsetzungsbegehren gestellt. Das Bundesgericht erklärte daher, dass die Arrestnahme allein den Gläubiger nicht zur Anschlusspfändung berechtige.
BGE 56 III 169
ff. und der in diesem Zusammenhang von den Rekurrentinnen erwähnte
BGE 53 III 34
ff. befassen sich mit der Frage der Teilnahme an der Pfändung gemäss
Art. 111 SchKG
zur Prosequierung eines Ausländer-Arrestes. Dabei handelt es sich um den privilegierten Pfändungsanschluss ohne vorherige Betreibung. Das Bundesgericht hat die Teilnahme im Sinne von
Art. 111 SchKG
an einer solchen Pfändung abgelehnt aus Gründen, die hier nicht in Betracht fallen. Erwirkt hingegen ein nach
Art. 111 SchKG
privilegierter Gläubiger seinerseits einen Arrest für die gleichen Objekte wie ein vorausgehender Arrestgläubiger, so muss ihm selbstverständlich der Pfändungsanschluss im Rahmen von Art. 110 bzw. 111 SchKG gewährt werden. Ausgeschlossen wird durch die in
BGE 56 III 169
ff. bestätigte Praxis nur, dass ein nach
Art. 111 SchKG
privilegierter Gläubiger ungerechtfertigterweise an der Verwertung eines Vermögensobjektes partizipiert, dessen Entdeckung allein der Findigkeit eines andern Gläubigers zu verdanken ist.
Die angeführten Entscheide sagen somit nichts anderes aus, als was in den bereits besprochenen Urteilen festgehalten worden ist. Zu Unrecht berufen sich die Rekurrentinnen auch auf den Entscheid der Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Schaffhausen vom 18. Oktober 1963 (SJZ 62 (1966) S. 205 f.). Entgegen der Meinung der Rekurrentinnen gelangte die fragliche Aufsichtsbehörde in diesem Entscheid nämlich zum Schluss, ein Verbot der Gruppenbildung im Sinne von
Art. 110 SchKG
bei der Arrestprosequierung
BGE 101 III 78 S. 84
am Arrestort sei nur insoweit sachlich gerechtfertigt, als eine solche Gruppenbildung einem Arrestprosequierungsgläubiger Ansprüche verschaffen würde, die über die Liquidation des arrestierten Gegenstandes hinausgingen. Das treffe aber immer dann nicht zu, wenn mehrere Arrestgläubiger Befriedigung aus demselben Gegenstand suchten. Damit steht dieser Entscheid in Übereinstimmung mit der hier vorgenommenen Auslegung der angeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
3.
Schliesslich weisen die Rekurrentinnen darauf hin, dass die direkte Anwendung von
Art. 110 SchKG
in der Arrestbetreibung eine weitere stossende Folge hätte, indem es vom Zufall bzw. vom Willen des Schuldners abhängen würde, ob der Arrestgläubiger, der seinen Arrest nach der ersten Pfändung erwirkt hat, noch an der Pfändungsgruppe teilnehmen kann. Er könne nämlich das Fortsetzungsbegehren nur dann während der 30tägigen Anschlussfrist von
Art. 110 SchKG
stellen, wenn der Zahlungsbefehl dem Schuldner sofort zugestellt worden sei und dieser keinen Rechtsvorschlag erhoben habe. Die Rekurrentinnen machen geltend, eine solche absurde Lösung könne keinesfalls dem Willen des Gesetzgebers entsprechen.
Es trifft zu, dass der Schuldner durch Erhebung des Rechtsvorschlages unter Umständen die Möglichkeit des Gläubigers, innert der 30tägigen Frist des
Art. 110 SchKG
die Pfändung zu verlangen, beeinflussen und damit einzelne Gläubiger gegenüber andern benachteiligen kann. Die Lage des Gläubigers kann auch verschlechtert werden, wenn die Zustellung des Zahlungsbefehls auf Schwierigkeiten stösst. Das ist aber nicht nur in der Arrest-, sondern auch in der ordentlichen Betreibung der Fall. Der Hinweis der Rekurrentinnen, dass zwischen der ordentlichen und der Arrestbetreibung ein wesentlicher Unterschied bestehe, indem der Schuldner am ordentlichen Betreibungsort immer wieder belangt werden könne, während der Arrestschuldner beim Ausländerarrest nur im Zusammenhang mit dem erwirkten Arrest ins Recht gefasst werden könne, genügt nicht, um die Anwendung von
Art. 110 SchKG
auszuschalten. Die 30tägige Teilnahmefrist des
Art. 110 SchKG
hat gerade den Sinn, die allzu unbilligen Folgen einer reinen Durchführung des Spezialexekutions-Prinzips zu mildern. Mit dieser Bestimmung wurde eine Mittellösung
BGE 101 III 78 S. 85
getroffen zwischen der ausschliesslichen Privilegierung des findigeren und rascheren Gläubigers einerseits und einer gleichmässigen Befriedigung aller Gläubiger aus dem Vermögen des Schuldners anderseits (vgl. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. I S. 252 f.). Dieselbe differenzierte Lösung ist aber auch für die auf den Arrest folgende Betreibung angezeigt. Damit wird dem Gedanken, dass ein langsamerer und weniger findiger Arrestgläubiger nicht die Früchte der Tätigkeit der andern in Anspruch nehmen soll, weitgehend Rechnung getragen (
BGE 51 III 123
). Doch wäre es unbillig, einen nachfolgenden Arrestgläubiger, dem aus irgendwelchen Gründen ein Konkurrent nur einige Tage mit der Entdeckung des Arrestgegenstandes zuvorgekommen ist, leer ausgehen zu lassen. Die Anwendung von
Art. 110 SchKG
auf die Arrestbetreibung erscheint daher auch unter diesem Gesichtspunkt als richtig.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- und Konkurskammer:
Die Rekurse werden abgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
52f9b466-51aa-4f4b-8c7f-7de1c94b01db | Urteilskopf
106 II 245
49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1980 i.S. Hilti AG gegen Bundesamt für geistiges Eigentum (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
.
Die Eintragung der Wortmarke "ROTRING", die für Werkzeuge bestimmt ist, darf nicht verweigert werden; das gilt selbst dann, wenn ihre Inhaberin die Ware mit einem roten Ring versehen sollte. | Erwägungen
ab Seite 245
BGE 106 II 245 S. 245
Erwägungen:
1.
Die Hilti AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine Verfügung des Bundesamtes für geistiges Eigentum, das am 1. August 1980 ihr Gesuch um Eintragung der Wortmarke "ROTRING" zurückgewiesen hat. Die Marke ist für den Gebrauch auf Bohr- und Meisselwerkzeugen, auf Bohrgeräten,
BGE 106 II 245 S. 246
Bohr- und Meisselhämmern bestimmt. Das Amt fand, dass die Marke die Vorstellung eines roten Ringes erwecke, der vermutlich mit entsprechender Farbe rund um den Stiel des Werkzeugs angebracht werde; mit einem weitern Gesuch habe die Hilti AG denn auch ein solches Zeichen als Bildmarke angemeldet. Es handle sich daher um ein als Gemeingut anzusehendes Zeichen, das gemäss
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
als Marke nicht zugelassen werden könne.
Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Wortmarke "ROTRING" gemäss ihrem Gesuch zur Eintragung zuzulassen. Das Amt hält an seiner Auffassung fest und kommt zum Schluss, die Beschwerde sei abzuweisen.
2.
Nach
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
darf eine Marke nicht eingetragen werden, wenn sie als wesentlichen Bestandteil ein als Gemeingut anzusehendes Zeichen enthält. Als Gemeingut im Sinne dieser Bestimmung gelten unter anderem Hinweise auf Eigenschaften oder die Beschaffenheit der Erzeugnisse, für welche die Marke bestimmt ist. Blosse Gedankenassoziationen oder Anspielungen, die nur entfernt auf eine Ware hindeuten, machen eine Marke freilich nicht zur Sachbezeichnung; enthält die Marke ein Sachwort, so muss der gedankliche Zusammenhang mit der Ware vielmehr derart sein, dass ihr beschreibender Charakter ohne besondere Denkarbeit oder besonderen Phantasieaufwand zu erkennen ist (BGE 104 1b 66 und 139, 103 Ib 17/18 und 270).
Von dieser Rechtslage geht im vorliegenden Fall nicht nur das Amt, sondern auch die Beschwerdeführerin aus; sie ziehen daraus aber verschiedene Schlüsse.
a) Nach der angefochtenen Verfügung gehören zur Beschaffenheit der Ware auch deren Ausstattung und Verpackung, während die Beschwerdeführerin die äussere Aufmachung eines Erzeugnisses davon ausnehmen möchte. Die Auffassung des Amtes leuchtet schon deshalb ein, weil als markenmässiger Gebrauch auch derjenige auf der Verpackung anzusehen ist (
BGE 101 II 296
) und Waren, die z.B. aus einer Flüssigkeit oder losen Stücken bestehen, zusammen mit der Verpackung notwendigerweise ein Ganzes bilden. In diesem Sinne hat sich das Bundesgericht letztmals im Entscheid
BGE 103 Ib 272
E. 3 geäussert, wo die insbesondere für Zigaretten vorgesehene Marke "RED & WHITE" unter anderem auch als Hinweis auf
BGE 106 II 245 S. 247
eine rot/weisse Packung verstanden werden konnte. Auf die äussere Aufmachung bezogen hat das Bundesgericht ferner die für Tabakwaren bestimmte Wortmarke "Gold Band", weil Bänder dieser Farbe häufig zur Verzierung von Zigarren oder deren Verpackung verwendet werden (Urteil vom 16. Mai 1967, publ. im Schweiz. Patent-, Muster- und Marken-Blatt [PMMBl] 1967 I S. 37). Auch bei tatsächlichen oder vermeintlichen Hinweisen auf die Verpackung ist aber zu beachten, dass zwischen der Marke und der äusseren Aufmachung der Ware eine sachliche Beziehung, die ohne besondere Überlegungen ersichtlich ist, bestehen muss, um ein Zeichen als schutzunfähiges Gemeingut ausgeben zu können (
BGE 103 Ib 274
).
Aus dem Urteil des Bundesgerichtes vom 25. April 1980 zur Wortmarke "BLACK & WHITE" (publ. im PMMBl 1980 S. 60) kann für den vorliegenden Fall dagegen nichts abgeleitet werden. Die in der Marke genannte Farbkombination war in jenem Fall auch nach Auffassung des Amtes nicht auf die äussere Ausstattung oder Verpackung der Ware, sondern auf die vorherrschenden Farbtöne von Kleidern zu beziehen, die mit der Marke gekennzeichnet werden sollten. Das bundesgerichtliche Urteil vom 4. August 1975 i.S. Janssen (publ. im PMMBl 1975 I S. 71) kann vorliegend ebenfalls nicht massgebend sein; dort ging es um eine reine Bildmarke, welche aus acht horizontal und parallel verlaufenden Wellenlinien bestand und graphisch nicht begrenzt war. Jener Fall lässt sich mit dem vorliegenden, wo es um eine Wortmarke geht, zum vorneherein nicht vergleichen.
b) Das Amt wendet freilich ein, die Wortverbindung "ROTRING" lasse in Verbindung mit dem beanspruchten Warenverzeichnis an einen roten Ring denken, mit dem die Werkzeuge gekennzeichnet würden. Das schwebe der Beschwerdeführerin offenbar auch vor, da sie ihrem Gesuch um Zulassung der Bildmarke die Abbildung eines rotberingten Bohrers beigelegt habe. Ein solcher Ring gehöre als blosse Verzierung aber zur Aufmachung der Ware und könne daher nicht als selbständiges, von der Ware unabhängiges Kennzeichen gewertet werden.
Dem hält die Beschwerdeführerin mit Recht entgegen, dass es vorliegend nur um die von ihr hinterlegte Wortmarke geht und dafür nichts darauf ankommt, wie diese auf der Ware in Erscheinung tritt. Damit stimmt überein, dass das Amt die
BGE 106 II 245 S. 248
Marke so zu prüfen hat, wie sie im Gesuch wiedergegeben wird (E. SCHMIDT, in GRUR Int. 1980 S. 399), und dass bei der Vergleichung zweier Marken ebenfalls nicht auf den tatsächlichen Gebrauch, sondern auf den Eintrag im Register abzustellen ist (MATTER, Kommentar zum MSchG S. 99). Als markenmässiger Gebrauch könnte zudem nur die Verwendung der Wortmarke, nicht aber die Anbringung eines roten Rings auf der Ware angesehen werden. Letzteres ist markenrechtlich unerheblich und wäre höchstens als Ausstattung nach UWG zu schützen. Wie es sich mit der Bildmarke verhält, welche die Beschwerdeführerin inzwischen ebenfalls angemeldet hat, ist zur Zeit nicht zu prüfen, da das Amt darüber noch nicht entschieden hat. Erst aus der Bildmarke ist aber ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin offenbar Werkzeuge oder Werkzeugstiele mit einem roten Ring versehen will.
c) Um eine Wortmarke ging es in dem bereits erwähnten Urteil von 1967 über das Zeichen "Gold Band", das für Tabakwaren vorgesehen war, vom Amt aber als unzulässig zurückgewiesen wurde, weil goldene Bänder, Streifen oder Ringe als Verzierung solcher Waren üblich seien; der Käufer könne daher ohne weiteres erkennen, dass die Marke bloss ein für die gegebene Warenart charakteristisches Ausstattungsmerkmal bezeichne. Das Bundesgericht schloss sich dieser Betrachtungsweise an. Anders als in jenem Fall liegt im vorliegenden aber nichts dafür vor, dass rote Ringe um oder auf Werkzeugen ebenfalls als allgemein übliches Ausstattungsmerkmal anzusehen seien, wie das Amt unterstellt; es ist auch nicht zu ersehen, wieso sich das geradezu aufdrängen sollte. Dass eine Wortmarke selbst dann als unzulässig zu bezeichnen wäre, wenn sie sich auf ein zwar mögliches, aber keineswegs übliches Ausstattungselement bezieht, ist 1967 jedenfalls vom Bundesgericht und offenbar auch vom Amt nicht entschieden worden.
d) Auch das Urteil von 1977 über das Warenzeichen "RED & WHITE" betraf eine Wortmarke (
BGE 103 Ib 269
ff.). Seine Erwägungen treffen entgegen der Meinung des Amtes auch auf den vorliegenden Fall zu. Stand in jenem die tatsächlich verwendete rot/weisse Packung der Wortmarke "RED & WHITE" nicht im Wege, so kann hier darin, dass die Beschwerdeführerin ihre Werkzeuge so ausstatten will, wie das Amt vermutet, ebenfalls kein Rückweisungsgrund liegen. Ebensowenig kann streitig sein, dass das in
BGE 103 Ib 272
E. 3
BGE 106 II 245 S. 249
zur Verpackung Gesagte auch dort gelten muss, wo ein Ausstattungselement, wie hier, unmittelbar auf der Ware angebracht wird; denn die Frage nach der Gemeinfreiheit der Beschaffenheitsangabe stellt sich genau gleich, selbst wenn Werkzeuge für eine Ausstattung oder Verzierung weniger Möglichkeiten bieten als Zigarettenpackungen. Entscheidend bleibt so oder anders, dass die Mitbewerber durch die Eintragung der Wortmarke "ROTRING" nicht daran gehindert werden, Waren der gleichen Kategorie ihrerseits mit einem roten Ring zu versehen, da Grundfarben schon wegen ihrer zahlenmässigen Beschränkung nicht monopolisiert werden dürfen (
BGE 103 Ib 270
unten); dasselbe gilt für einfache geometrische Figuren, die ebenfalls als gemeinfrei zu bezeichnen sind. Ihrer Verwendung durch Dritte ist nur dann eine Schranke gesetzt, wenn Mitbewerber sie als Wettbewerbsmittel missbrauchen.
Der Einwand des Amtes, dass die Ringform als solche nach der deutschen Rechtsprechung nicht als schutzfähig gelte, stösst daher ins Leere. Das Amt verkennt zudem, dass die von ihm angerufenen Urteile nicht Wort-, sondern Bildmarken betrafen; das trifft teils auch auf eigene Entscheide zu, auf die es verweist. Die streitige Wortmarke lässt sich schliesslich auch nicht mit den zwei Zeichen vergleichen, die es aus seiner Rückweisungspraxis zitiert und TROLLER (Immaterialgüterrecht I S. 347 Anm. 203) als Beispiele übernommen hat. Die Marken "arête verte" für Skikanten und "Gold Ended-Ribbon" für Schreibmaschinen-Farbbänder lassen sich schon wegen der in ihnen vorkommenden Sachbezeichnung, die sich mit der Ware deckt, nicht als willkürlich wählbare farbliche Verzierung ausgeben. Sollte der vorliegende Entscheid für das Amt eine Praxisänderung bedeuten, so hätte es dazu schon nach dem Urteil zur Marke "RED & WHITE" Anlass gehabt, das bereits drei Jahre zurückliegt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Bundesamtes für geistiges Eigentum vom 1. August 1980 aufgehoben und das Amt angewiesen, die Wortmarke "ROTRING" zur Eintragung zuzulassen. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52fb4b58-6616-451a-8528-846c104e8ceb | Urteilskopf
110 II 293
60. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1984 i.S. A. gegen P. AG (Berufung) | Regeste
Rechtslage nach dem Erwerb vinkulierter Namenaktien infolge Erbgangs.
1. Lehnt die Aktiengesellschaft Personen, die vinkulierte Namenaktien geerbt haben, gestützt auf
Art. 686 Abs. 4 OR
als neue Aktionäre ab, so hat sie ihnen den wirklichen Wert der Aktien zu ersetzen (E. 2 und 4).
2. Kein Fall unerlaubten Erwerbs eigener Aktien nach
Art. 659 Abs. 1 OR
(E. 3a); unerlaubte Einlagerückgewähr im Sinne von
Art. 680 Abs. 2 OR
(E. 3b)?
3. Kein Erklärungs- oder Grundlagenirrtum der Gesellschaft wegen Unterschätzung des wirklichen Werts der Aktien (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 110 II 293 S. 294
A.-
P. war Gründer der Firma P. AG, deren Aktienkapital von Fr. 500'000.- aus 375 voll liberierten Namenaktien zu nominal Fr. 1'000.- und aus 250 Stimmrechtsaktien zu nominal Fr. 500.- besteht. Alle Aktien befinden sich im Eigentum der Nachkommen des Gründers. Seine Enkel, H. und J., bilden mit einer Minderheitsaktionärin den Verwaltungsrat und verfügen zusammen mit ihrem Vater S. über 449 Stimmen und damit über die absolute Mehrheit in der Generalversammlung. Frau B. hielt demgegenüber 46 Namenaktien zu nominal Fr. 1'000.- in Händen. Sie starb am 29. April 1976 und hinterliess als Erben ihren Ehemann C. sowie vier Kinder. Als Willensvollstrecker hatte sie testamentarisch A. eingesetzt.
Die Aktien der verstorbenen Frau B. sind vinkuliert. Gemäss Statuten der Firma kann die Verwaltung ohne Angabe der Gründe Personen, die ohne ihre Genehmigung Aktien erworben haben, die Eintragung als Aktionäre ins Aktienbuch verweigern; vorbehalten bleibt
Art. 686 Abs. 4 OR
.
Am 1. November 1978 ersuchte A. die P. AG um Mitteilung, ob der Verwaltungsrat bereit sei, die Erbengemeinschaft für die Aktien von Frau B. im Aktienbuch einzutragen, oder ob der Verwaltungsrat oder Aktionäre die Aktien gestützt auf
Art. 686 Abs. 4 OR
zu ihrem inneren Wert käuflich übernehmen wollten. Der Verwaltungsrat lehnte es ab, die Erbengemeinschaft ins Aktienbuch einzutragen, widerrief indes später seinen Beschluss, nachdem eine Treuhandfirma den wirklichen Wert der Aktien auf über Fr. 14'000.- pro Aktie zu Fr. 1'000.- Nominalwert geschätzt hatte.
B.-
Hierauf klagte A. mit dem Begehren, die P. AG sei zu verpflichten, ihm als Willensvollstrecker von Frau B. gegen Übergabe der 46 blanko indossierten Namenaktien Fr. 668'012.- oder - nach Durchführung des Beweisverfahrens - einen höheren Betrag nebst 5% Zins seit 1. Januar 1980 zu zahlen.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 20. Oktober 1982 ab. Es fand, die Beklagte habe die Eintragung ins Aktienbuch nicht gültig abgelehnt, da keine Aktionäre sich bereitgefunden hätten, die Aktien zu übernehmen. Ein allfälliger
BGE 110 II 293 S. 295
Übernahmevertrag sei ausserdem wegen eines erheblichen Irrtums über den Wert der Aktien dahingefallen.
C.-
Der Kläger hat Berufung eingereicht und beantragt, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte passivlegitimiert sei und die Leistungen gemäss Klagebegehren zu erbringen habe. Das Bundesgericht heisst die Berufung im wesentlichen gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Sind vinkulierte Namenaktien infolge Erbgangs erworben worden, so kann gemäss
Art. 686 Abs. 4 OR
die Aktiengesellschaft die Eintragung der Erben ins Aktienbuch verweigern, wenn Mitglieder der Verwaltung oder einzelne Aktionäre sich bereit erklären, die Aktien zum Börsenkurs und, wenn ein solcher nicht besteht, zum wirklichen Wert im Zeitpunkt der Anmeldung zur Eintragung zu übernehmen. Die Vorinstanz stellt einleitend fest, die Bedeutung dieser Bestimmung werde in der Literatur sehr unterschiedlich beurteilt. Gemäss
BGE 76 II 68
stehe dem Aktienerwerber, den die Gesellschaft nicht als Aktionär ins Aktienbuch eintragen wolle, die Klage auf Zustimmung zum Aktienübergang und auf Eintragung ins Aktienbuch offen; die Ablehnung der Eintragung sei zwar unanfechtbar, jedoch nur dann gültig, wenn Übernahmeangebote, d.h. vorbehaltlose Offerten von Mitgliedern der Verwaltung oder von andern Aktionären zum Kauf der Aktien vorlägen. Schlage der Erwerber die Offerte aus, so bleibe seine Mitgliedschaftsstelle vakant. Dass die Verwaltung selbst, als Käuferin, eine Ablösungspflicht treffe oder dass sie die Aktien aus freien Stücken kaufen könne, widerspreche dem Willen des Gesetzes. Immerhin könne der Erwerber sie auffordern, innert Frist zu erklären, ob Übernahmeofferten seitens von Aktionären vorlägen. Demgegenüber vertritt der Kläger die Auffassung, die Gesellschaft selbst sei aufgrund von
Art. 686 Abs. 4 OR
gehalten, die Aktien zu erwerben und dem Kläger ihren wirklichen Wert zu ersetzen, wenn sie die Eintragung ins Aktienbuch verweigere. Das ergebe sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung.
a) Der Wortlaut von
Art. 686 Abs. 4 OR
lässt die Frage offen, gegen wen der Erbe vorzugehen hat und was er verlangen kann, wenn die Gesellschaft dem Übergang der Aktienrechte und der Eintragung ins Aktienbuch nicht zustimmt. Zu fragen ist deshalb
BGE 110 II 293 S. 296
nach der ratio des Gesetzes. Dabei können sich aus der Entstehungsgeschichte Hinweise ergeben. Zu berücksichtigen ist die Interessenlage von Erben und Gesellschaft (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 319 ff. zu
Art. 1 ZGB
), ferner das Postulat der Praktikabilität einer Lösung (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 323 ff. zu
Art. 1 ZGB
). In Betracht zu ziehen ist, was in der Realität tatsächlich praktiziert wird (MEIER-HAYOZ, N. 323 zu
Art. 1 ZGB
). Mitzuberücksichtigen ist schliesslich auch eine zu erwartende Gesetzesrevision (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 395 zu
Art. 1 ZGB
), insbesondere wenn mit ihr nicht das gegenwärtige System geändert, sondern gerade Lücken des geltenden Rechts unter prinzipieller Beibehaltung der Grundlagen ausgefüllt werden sollen.
b) Die Expertenkommission von 1928 diskutierte mehrere Lösungsmöglichkeiten für den Fall, dass die Aktiengesellschaft die Erben nicht als Aktionäre annehmen will: Die Aktiengesellschaft könne die Aktien von den Erben kaufen, die Erben entschädigen oder die Aktien mindestens zuhanden eines Aktionärs übernehmen (Voten Oser und Wieland, Prot. ExpKom. 1928 S. 292 bis 294). Der von der Kommission schliesslich vorgeschlagene Gesetzeswortlaut unterschied sich vom heute geltenden lediglich dadurch, dass er anstelle der "Mitglieder der Verwaltung" die "Verwaltung" als Übernehmerin nannte. Diese Fassung lag auch dem bundesrätlichen Entwurf zugrunde (Botschaft zur Novelle, in BBl 1928 I S. 245, 391). Erst die ständerätliche Kommission entschied sich für den heutigen Wortlaut, ohne freilich eine Begründung dafür zu geben (Protokoll der ständerätlichen Kommission vom 21. Februar 1929, S. 33). Die Änderung blieb in den parlamentarischen Beratungen unbestritten (Sten.Bull. StR 1931 S. 405 f., NR 1934 S. 122). Ist daher die Expertenkommission mehrheitlich dafür eingetreten, die Rechtsstellung der Erben zu schützen, so hat sie sich über den Weg, auf dem dieses Ziel zu erreichen ist, nicht eindeutig ausgesprochen. Den parlamentarischen Beratungen ist dazu ebenfalls nichts zu entnehmen. Keinesfalls und entgegen der Meinung der Beklagten ergibt sich bereits aufgrund einer historischen Auslegung, welche Bedeutung der Übernahmeerklärung von Verwaltungsmitgliedern oder Aktionären zukommt, namentlich, ob ihre Erklärung ein Kaufsangebot an die Erben darstellt, wie die Vorinstanz glaubt, oder lediglich von interner Bedeutung ist, so dass es der Verwaltung obliegt, die Aktien zu übernehmen. Zutreffend erscheint die Ansicht des Gesetzgebers, dass die Lösung sich aus einer billigen Abwägung der
BGE 110 II 293 S. 297
Interessen der Gesellschaft mit jenen der Erben ergeben muss (
BGE 109 II 133
).
c)
Art. 686 Abs. 4 OR
will der Gesellschaft ermöglichen, unerwünschte Erben als Aktionäre abzulehnen, und gleichzeitig will er dem abgelehnten Erben den Wert der ererbten Aktien erhalten (
BGE 75 II 353
; SALZGEBER-DÜRIG, Das Vorkaufsrecht und verwandte Rechte an Aktien, Diss. Zürich 1970, S. 217/18). Denkbar ist nun die Auffassung der Vorinstanz, dass die Erben ihre Aktien nur dann gegen Wertersatz an die Aktiengesellschaft abgeben können, wenn Aktionäre bereit sind, die Aktien zu ihrem inneren Wert zu übernehmen. Die Gültigkeit der Übernahme der Aktien hinge in diesem Fall direkt vom Verhalten der Aktionäre ab. Diese Lösung verhilft dem Willen der Aktionäre bei der Frage, ob neue Aktionäre zuzulassen sind, am unmittelbarsten zum Durchbruch und wird in der Literatur teilweise vertreten (BENZ, Aktienbuch und Aktionärswechsel, Diss. Zürich 1981, S. 86; LENHARD, Der Erwerb von vinkulierten Namenaktien infolge Erbgang, Diss. Zürich 1975, S. 33; SALZGEBER-DÜRIG, S. 219; PESTALOZZI-HENGGELER, Die Namenaktie und ihre Vinkulierung, Diss. Zürich 1948, S. 177, 182; SOLCÀ, Société anonyme et droit des successions, Diss. Fribourg 1964, S. 24).
Die Alternative besteht darin, dass es für die Verbindlichkeit einer ablehnenden Erklärung der Gesellschaft nicht darauf ankommt, ob und wie sich einzelne Aktionäre geäussert haben. Die Gesellschaft ist danach verpflichtet, die Aktien vom Erwerber zu ihrem inneren Wert zu übernehmen. Auf dieser Linie steht
BGE 75 II 353
, indem er annimmt,
Art. 686 Abs. 4 OR
sei im Interesse der Gesellschaft aufgestellt, "so wie der Verwaltungsrat es versteht"; damit stimmt die andere Erwägung im Urteil überein, wonach das Gesetz richtigerweise die Möglichkeit einer Ablösung der Erben "durch die Gesellschaft" vorsehe (S. 350 E. 2). Dem pflichtet grundsätzlich jene Lehre bei, die allein die Verwaltung als zuständig für die Aktienübernahme bezeichnet (BÜRGI, Überschrift der N. 73 ff. und N. 82 ff. zu
Art. 686 OR
; SCHUCANY, N. 3 zu
Art. 686 OR
). Daran ist festzuhalten.
d) Der Zweck von
Art. 686 Abs. 4 OR
verlangt nicht, dass das Recht der Gesellschaft auf Ablehnung der Erben vom Verhalten der Aktionäre oder der Mitglieder der Verwaltung abhängt, sondern es genügt, wenn die Gesellschaft im Fall der Ablehnung verpflichtet ist, den Wert der Aktien zu ersetzen (JÄGGI, in SAG 23 1950/51, S. 201). Meistens ist es das Anliegen der Gesellschaft
BGE 110 II 293 S. 298
selbst und nicht bloss einzelner Aktionäre, die Erben abzufinden und sie so von der Gesellschaft fernzuhalten (JÄGGI, in SAG 31 1958/59, S. 62; LENHARD, S. 74 f.).
e) Der Entwurf für die Revision des Aktienrechts folgt, wenn auch mit Einschränkungen, dieser Konzeption (vgl. Botschaft, in BBl 1983 II S. 805ff. und S. 826f., sowie Art. 685b des Entwurfs). Der Unterschied besteht darin, dass nach dem Entwurf die Gesellschaft die Zustimmung nur dann gültig verweigern kann, wenn sie die Übernahme der Aktien ausdrücklich anbietet. Macht sie kein Angebot, so gilt die Zustimmung als erteilt. Wichtig im vorliegenden Zusammenhang ist, dass die Gesellschaft selbst den Erben den Wert der Aktien ersetzen muss, wenn sie die Zustimmung verweigert.
f) Diese Lösung ist einfach und praktikabel; sie trägt der Rechtssicherheit in hohem Masse Rechnung. Mit der Ablehnungserklärung der Gesellschaft erhalten die Erben einen Anspruch auf Übernahme der Aktien und Ersatz ihres Werts durch die Gesellschaft. Sie können gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung der Verwaltung für den Entscheid über Annahme oder Ablehnung eine Frist setzen (
BGE 75 II 353
); so besteht Aussicht, dem Schwebezustand, der mit dem Tod des früheren Aktionärs eingetreten ist, relativ rasch und einfach ein Ende zu setzen - ein Gesichtspunkt, der in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung immer massgebend war, um offene Fragen im Zusammenhang mit
Art. 686 Abs. 4 OR
zu beantworten (vgl.
BGE 109 II 134
E. c; BÜRGI, N. 76 zu
Art. 686 OR
; JÄGGI, in SAG 23 1950/51, S. 200; LANZ, in SAG 33 1960/61, S. 218 f.; MONTEIL, in SAG 34 1961/62, S. 228 ff.; SCHUCANY, N. 3 zu
Art. 686 OR
; ferner Art. 685c Abs. 3 des Revisionsentwurfs; übersehen von BENZ, S. 89/90). Im Interesse der Rechtssicherheit kann die Gesellschaft auf die zulässigerweise ausgesprochene Ablehnung nicht mehr zurückkommen, jedenfalls nicht ohne Einverständnis der Erben (JÄGGI, in SAG 23 1950/51, S. 201; SALZGEBER-DÜRIG, S. 219; STECHEL, Der erbrechtliche Übergang vinkulierter Namenaktien, Diss. Fribourg 1951, S. 54).
Einfach und praktikabel erscheint diese Konzeption nicht zuletzt deshalb, weil bei ihr die Erben sich lediglich mit der Gesellschaft auseinandersetzen müssen, zu der sie mit dem Tode des früheren Aktionärs und Erblassers ohnehin in Rechtsbeziehungen getreten sind. An der Verwaltung liegt es, die Aktien nach der Übernahme an andere Aktionäre weiterzugeben. Demgegenüber kann den Erben kaum zugemutet werden, selbst übernahmewillige Aktionäre zu suchen.
BGE 110 II 293 S. 299
Der Erwerb der Aktien durch die Gesellschaft, ohne nach aussen an die Übernahmeerklärungen von Aktionären gebunden zu sein, entspricht offenbar auch der verbreiteten Praxis der Aktiengesellschaften selbst (JÄGGI, in SAG 31 1958/59, S. 63; LENHARD, S. 72; ferner vgl.
BGE 75 II 349
Buchstabe A und S. 353 E. 5).
3.
Der dargestellten Lösung hält ein Teil der Doktrin entgegen, sie führe zu einer verdeckten Kapitalrückzahlung und zu einem Verstoss gegen das Verbot des Erwerbs eigener Aktien durch die Gesellschaft (
Art. 659 und 680 Abs. 2 OR
; BENZ, S. 86 f.). Auch die Vorinstanz glaubt darin einen Grund dafür zu sehen, dass die Gesellschaft nicht als Käuferin der Aktien auftreten könne.
Das Problem stellte sich bereits der Expertenkommission. Den Äusserungen ihrer Mitglieder nach zu schliessen, sollte
Art. 686 Abs. 4 OR
nicht in die Regeln über den Erwerb eigener Aktien, die Kaduzierung oder die Kapitalherabsetzung eingreifen. Man hielt daher dafür, die Gesellschaft dürfe die Aktien nicht für sich kaufen, sondern lediglich zuhanden eines oder mehrerer Aktionäre übernehmen, gestand ihr jedoch gleichwohl das Recht und die Pflicht zu, den Erben den Aktienwert zu ersetzen (vgl. Voten Wieland und Oser, Prot. ExpKom. 1928 S. 293 f.). Der Wertersatz durch die Gesellschaft scheint daher selbst nach Ansicht der Experten nicht gegen das Verbot der Kapitalrückzahlung und des Erwerbs eigener Aktien zu verstossen, mindestens dann nicht, wenn die Aktien zuhanden der Aktionäre vorübergehend übernommen werden. Es fragt sich deshalb bereits anhand der Gesetzesmaterialien, ob der Gesetzgeber in
Art. 686 Abs. 4 OR
nicht doch einen Tatbestand des Erwerbs eigener Aktien geschaffen hat und ob die hier getroffene Lösung tatsächlich, wie JÄGGI meint, dem Wortlaut des Gesetzes und der Absicht des Gesetzgebers widerspricht. So oder anders obliegt es dem Richter, auf dem Weg der Auslegung "die Brücke zwischen dem Gesetz (...), der Interessenlage und der tatsächlichen Verkehrsübung (...) zu schlagen", selbst wenn er damit zu einem weiteren Fall erlaubten Erwerbs eigener Aktien aus Gesellschaftsmitteln gelangt (JÄGGI, in SAG 31 1958/59, S. 63/64).
a) Das Bundesgericht entschied schon früher, eine Aktiengesellschaft könne sich durchaus verpflichten, Aktien zu erwerben, wenn die Aktien nicht ihr, sondern einem Dritten zukommen sollen; das Verbot des Erwerbs eigener Aktien sei diesfalls höchstens eine Ordnungsvorschrift, gegen die zu verstossen nicht die
BGE 110 II 293 S. 300
Ungültigkeit des Erwerbsgeschäfts bewirke (
BGE 96 II 21
E. a mit Verweisung). Die Entscheidung zeigt, dass es legitime Gründe gibt, der Aktiengesellschaft zu erlauben, vorübergehend eigene Aktien zu erwerben, und dass der Ausnahmekatalog von
Art. 659 Abs. 1 OR
nicht als abschliessend zu betrachten ist. Selbst wenn im vorliegenden Fall der Wortlaut des Gesetzes und die Absicht des Gesetzgebers klar dagegen sprechen würden, überwiegen die in Erwägung 2 aufgezählten Gründe, so dass der Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft im Rahmen von
Art. 686 Abs. 4 OR
als zulässig gelten muss, jedenfalls dann, wenn es sich um Minderheitspakete handelt. Das Interesse der Gesellschaft, die Erben als Aktionäre abzulehnen und ihnen den Aktienwert zu ersetzen, überwiegt unter diesen Umständen die Gefahren, die mit dem Erwerb eigener Aktien verbunden sind, namentlich die Gefahr, dass Organe der Gesellschaft die Stimmrechtsverhältnisse in der Gesellschaft unzulässigerweise beeinflussen könnten (
BGE 96 II 21
/22 mit Verweisung; vgl. ferner Botschaft über die Revision des Aktienrechts, S. 804 f.). Die Praxis zum früheren Aktienrecht nahm stets an, das Verbot des Erwerbs eigener Aktien habe lediglich den Charakter einer Ordnungsvorschrift (
BGE 60 II 314
ff.,
BGE 43 II 295
E. 2). Diese Annahme rechtfertigt sich hier jedenfalls in dem Sinne, dass dem Verbot lediglich Wirkungen im Innenverhältnis der Gesellschaft beizulegen sind.
Auch nach dem Entwurf zur Aktienrechtsrevision hat die Gesellschaft die Möglichkeit, im Erbfall Aktienpakete bis zu 20 Prozent des Aktienkapitals zu erwerben, darf davon allerdings nur 10 Prozent länger als zwei Jahre in eigenen Händen behalten (Art. 659 Abs. 2 des Entwurfs; Botschaft, S. 805 f.). Es ist unbestritten, dass die 46 Namenaktien des Klägers ein Minderheitspaket sind. Die Beklagte verwies überdies in ihrem Schreiben vom 7. Februar 1979 auf die Bereitschaft von Verwaltungsratsmitgliedern oder einzelnen Aktionären, die Aktien zu erwerben, so dass der Kläger nach Treu und Glauben davon ausgehen konnte, die Verwaltung handle auch im Innenverhältnis korrekt, wenn sie den Aktienübergang ablehne.
b) Das Verbot der Einlagerückgewähr besteht nach
Art. 680 Abs. 2 OR
darin, dass der Aktionär kein Recht hat, den einbezahlten Betrag zurückzufordern. Allein in Fällen wie dem vorliegenden verlangt der Erbe nicht Rückzahlung der Einlage, sondern dass die Gesellschaft ihn als Aktionär ins Aktienbuch eintrage und dem Übergang der Aktienrechte zustimme. Erst wenn die Gesellschaft
BGE 110 II 293 S. 301
das verweigert, entsteht ein Anspruch der Erben auf Auszahlung des inneren Werts der Aktien. Der Wert kann höher oder tiefer sein als der einbezahlte Betrag; ausserdem liegt der Grund für den Anspruch des Erben im Verhalten der Gesellschaft, so dass diese ihre Zahlungspflicht nicht unter Hinweis auf
Art. 680 Abs. 2 OR
bestreiten kann, so gut wie sie sich mit derselben Begründung auch nicht der Pflicht entziehen kann, einen Schaden, den sie einem Aktionär widerrechtlich zugefügt hat, zu ersetzen. Denkbar erscheint lediglich, dass die Übernahme der Aktien sich wirtschaftlich wie eine Einlagerückgewähr auswirkt und deshalb einem Verstoss gegen die zitierte Bestimmung gleichkommt. Die Frage stellt sich indes von vornherein nicht, wenn die Aktiengesellschaft die Aktien aus freien Mitteln erwirbt (BÜRGI, N. 35 zu
Art. 680 OR
; Botschaft über die Revision des Aktienrechts, S. 805; Art. 659 Abs. 1 des Entwurfs). Aus dem angefochtenen Urteil oder den Vorbringen der Parteien ergibt sich in keiner Weise, dass die Beklagte die Bezahlung aus gebundenen Mitteln, namentlich aus dem Grundkapital, vornehmen müsste. Im übrigen hat die Gesellschaft, wenn sie korrekt vorgeht, sich vor dem Entscheid über die Ablehnung der Erben zu vergewissern, ob genügend freie Mittel vorhanden sind oder die übernahmewilligen Aktionäre die erforderlichen Mittel für den Erwerb der Aktien aufbringen können. Auch schwächt der Kauf eigener Aktien zu ihrem inneren Wert das Grundkapital jedenfalls solange nicht, als die Gesellschaft die Aktien zum gleichen Preis oder mindestens zum Nominalwert verkaufen kann (
BGE 60 II 319
f.). Dass die Aktien unverkäuflich seien, macht die Beklagte in der Berufungsantwort nicht geltend.
4.
Bei der Beurteilung des Verhaltens der Parteien ist somit davon auszugehen, dass die Beklagte befugt war, die Erben ohne Angabe eines Grundes als Aktionäre abzulehnen, mit der Folge, ihnen gegen Übergabe der Aktien deren wirklichen Wert ersetzen zu müssen.
(Die anschliessenden Erwägungen führen zum Ergebnis, dass die Beklagte die Teilnahme des Klägers an Generalversammlungen auf Zusehen hin toleriert, damit dem Übergang der Aktienrechte jedoch nicht konkludent zugestimmt hat, ihn vielmehr ablehnte, indem sie sich weigerte, die Erben ins Aktienbuch einzutragen.)
5.
Die Vorinstanz hat die Klage überdies mit der Begründung abgewiesen, die "potentiellen Käufer" hätten den inneren Wert der Aktien unterschätzt und könnten sich deshalb auf Erklärungs- und Grundlagenirrtum berufen. Der Irrtum sei mit Ablieferung
BGE 110 II 293 S. 302
des Gutachtens der Treuhandfirma am 14. September 1979 entdeckt und von H. am 22. Januar 1980 mündlich im Sinne einer Anfechtung des Kaufvertrages zwischen den Aktionären und den Erben fristgemäss geltend gemacht worden. Im einzelnen hält die Vorinstanz fest, die Bewertung durch die Treuhandfirma habe einen unerwartet hohen Betrag ergeben. Ursprünglich sei von einem Steuerwert von Fr. 1'700.- pro Aktie die Rede gewesen. Zwar sei dieser Wert in der Regel zu tief angesetzt; selbst wenn man aber mit dem vierfachen Betrag gerechnet hätte, wäre das immer noch weniger als die Hälfte dessen, was das Gutachten ergeben habe, und der Kläger behaupte sogar, der wirkliche Wert liege noch wesentlich höher.
Der Kläger bestreitet, dass die erwähnte Erklärung von H. als Anfechtung des Vertrages ausgelegt werden könne; die Beklagte habe sich vorprozessual und im Prozess nie auf Irrtum berufen und schon gar nicht erklärt, sie habe den Vertrag wegen eines Willensmangels im Sinne von
Art. 23 ff. OR
nicht halten wollen. Im übrigen liege im besten Fall ein unbeachtlicher Irrtum im Motiv vor.
Die entscheidenden Erklärungen, welche die Beklagte allenfalls irrtümlich hätte abgeben können, waren jene vom 15. November 1978 und 7. Februar 1979, mit denen sie die Eintragung der Erben als Aktionäre im Aktienbuch und den Übergang der Aktienrechte abgelehnt hat. Die Vorinstanz prüft die Irrtumsfrage im Lichte der
Art. 23 ff. OR
, also aufgrund von Bestimmungen, die in erster Linie auf Verträge zugeschnitten sind. Wieweit nach der hier vertretenen Lösung vertragliche Beziehungen zwischen den Erben und der Gesellschaft oder Aktionären bestehen, mag dahingestellt bleiben. Selbst bei dieser günstigen Annahme ist ein rechtlich relevanter Irrtum zu verneinen.
a) Unrichtig ist zunächst die Auffassung des Handelsgerichts, die Beklagte sei einem Erklärungsirrtum im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR
unterlegen. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beklagte sich eine falsche Vorstellung über die Ausdruckskraft ihres Erklärungsverhaltens gemacht hätte (GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, OR 3. Aufl., N. 610; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 308 zu
Art. 1 OR
). Die Beklagte wollte die Erklärung, Mitglieder der Verwaltung oder einzelne Aktionäre seien bereit, die Aktien zum wirklichen Wert zu übernehmen, so verstanden wissen, wie sie abgegeben worden ist. Der Inhalt der Erklärung entspricht somit ihrem Willen.
BGE 110 II 293 S. 303
b) Grundlagenirrtum ist ebenfalls zu verneinen. Die Beklagte durfte nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr objektiverweise nicht davon ausgehen, ein Maximalwert von höchstens Fr. 6'800.- pro Aktie sei eine notwendige Grundlage ihrer Erklärung gewesen. Die Abwägung der Interessen der Beteiligten ergibt, dass die Beklagte das Risiko der Folgen einer falschen Vorstellung über den wirklichen Wert der Aktien zu tragen hat. Sie überblickte die Grundlagen für die Berechnung des Aktienwerts von allem Anfang an besser als die Erben, die in der Regel nicht erkennen, dass die Gesellschaft subjektiv einen bestimmten Aktienwert als notwendige Grundlage der Erklärung betrachtet, womit es am Merkmal der Erkennbarkeit der Grundlage durch die Gegenpartei fehlt (
BGE 109 II 111
oben,
BGE 105 II 22
,
BGE 97 II 46
f.,
BGE 48 II 239
). Das angefochtene Urteil enthält nichts, was auf das Gegenteil hinweisen würde. Die Beklagte musste seit dem Tode von Frau B. wissen, dass sie sich früher oder später zu entscheiden haben werde, ob sie die Erben als Aktionäre annehmen oder allenfalls auszahlen wollte. Sie hatte demnach genügend Zeit, sich über den Aktienwert ein zuverlässiges Bild zu machen. Die Erben sahen sich demgegenüber nicht veranlasst, Gedanken über den Aktienwert anzustellen, da die Entscheidung der Gesellschaft weitgehend von deren Ermessen abhing und die Erben ursprünglich keinen Anspruch auf Übernahme der Aktien besassen. Der geltende
Art. 686 OR
lässt es zu, dass die Gesellschaft ohne genaue Kenntnis des Aktienwerts die Erben als Aktionäre ablehnen kann. Eine mögliche, auch für die Erben erkennbare Grundlage wäre, dass die Beklagte und allenfalls übernahmewillige Aktionäre wegen der unerwarteten Höherbewertung der Aktien in Liquiditätsengpässe geraten würden, die sie nicht oder nur mit unzumutbaren Nachteilen überwinden könnten. Nach dem angefochtenen Urteil hat die Beklagte das im kantonalen Verfahren jedoch nicht behauptet, und in der Berufungsantwort hat sie sich dazu ebenfalls nicht geäussert; abgesehen davon fehlte es an jeglichen Beweisen für die Annahme eines derartigen Sachverhalts. Unter diesen Umständen erübrigt sich ein Vergleich mit Kaufverträgen, bei denen das Bundesgericht wegen irrtümlicher Bewertung der Aktien Grundlagenirrtum bejaht hat (dazu
BGE 97 II 46
mit Verweisungen). | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
52fbcf46-2720-4549-9d08-99611eadd88b | Urteilskopf
100 Ib 339
59. Auszug aus dem Urteil vom 26. September 1974 i.S. Soland gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement. | Regeste
Fürsorgeleistungen an Auslandschweizer
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, weil ein subjektiver Rechtsanspruch des Auslandschweizers auf Fürsorgeleistungen des Bundes besteht (Art. 22 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 BG über Fürsorgeleistungen an Auslandschweizer und
Art. 99 lit. h OG
). | Erwägungen
ab Seite 339
BGE 100 Ib 339 S. 339
Aus den Erwägungen:
Der angefochtene Entscheid erging in Anwendung der Bundesgesetzgebung über Fürsorgeleistungen an Auslandschweizer
BGE 100 Ib 339 S. 340
(Bundesgesetz und dazu gehörende Verordnung vom 26. November 1973). Nach Art. 22 Abs. 2 dieses Bundesgesetzes unterliegen Beschwerdeentscheide der Polizeiabteilung und des EJPD der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Die vorliegende Beschwerde, die sich gegen den Beschwerdeentscheid des EJPD richtet, ist also zulässig.
Dem steht
Art. 99 lit. h OG
wonach die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig ist gegen die Bewilligung oder Verweigerung von Beiträgen, Krediten, Garantien, Entschädigungen und andern öffentlichrechtlichen Zuwendungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt, nicht entgegen. Es kann offen bleiben, ob Art. 22 des Bundesgesetzes über Fürsorgeleistungen an Auslandschweizer als späteres Recht die Anwendbarkeit des Ausnahmegrundes von
Art. 99 lit. h OG
schlechthin ausschliesst; jedenfalls kommt die Ausnahmebestimmung deshalb überhaupt nicht zum Zuge, weil die Entstehungsgeschichte des Bundesgesetzes erhellt, dass der Gesetzgeber den Auslandschweizern einen subjektiven Rechtsanspruch auf Fürsorgeleistungen des Bundes einräumen wollte. Der Bundesrat ging in der Gesetzesvorlage zwar davon aus, dass kein Rechtsanspruch auf Fürsorgeleistungen bestehe, sondern, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Unterstützung gewährt, abgelehnt oder entzogen werden könne. Entsprechend regelte er auch in Art. 21 der Vorlage den Beschwerdeweg. Dieser sollte an das Bundesgericht nur dann geöffnet sein, wenn es um den ganzen oder teilweisen Widerruf begünstigender Verfügungen sowie die Rückerstattung ausbezahlter Zuwendungen geht (Botschaft in BBl 1972 II 559 und 562 sowie Gesetzesentwurf in BBl 1972 II 570). Der Ständerat, namentlich seine Kommission, hat Ziel und Sinn des Gesetzes so interpretiert, dass gemäss Art. 1 des Gesetzes ein subjektiver Rechtsanspruch auf Fürsorge und Hilfe besteht. Dementsprechend fasste er auch den Artikel über die Rechtsmittel neu (Sten Bull StR 1972/907 f. und 910). Der Bundesrat, die nationalrätliche Kommission und der Nationalrat haben sich dieser Interpretation und der Neufassung des Art. 21 der Vorlage (Art. 22 des geltenden Gesetzes) angeschlossen (Sten Bull NR 1973/886 und 99). Das Bundesgericht hat gegen diese Kompetenzzuweisung keine Einwendungen erhoben (Schreiben an den Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 25. Januar 1973). Ist Art. 1 des Bundesgesetzes über Fürsorgeleistungen
BGE 100 Ib 339 S. 341
an Auslandschweizer dahingehend zu interpretieren, dass ein subjektiver Rechtsanspruch auf Fürsorgeleistungen besteht, muss die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 22 Abs. 2 des Gesetzes ohne Einschränkung zulässig sein. Der Ausnahmegrund des
Art. 99 lit. h OG
trifft nicht zu.
Nachdem die übrigen prozessualen Voraussetzungen als erfüllt betrachtet werden dürfen, ist auf die Beschwerde einzutreten. Dabei prüft das Bundesgericht die angefochtene Verfügung nach
Art. 104 OG
nur auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens (lit. a) sowie auf eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (lit. b), nicht aber auf die Angemessenheit der getroffenen Massnahmen. Die ständerätliche Kommission hat zwar die Frage erwogen, dem Bundesgericht die Überprüfung der Angemessenheit einer diesbezüglich angefochtenen Verfügung zu übertragen; sie hat jedoch von einer solchen Ausdehnung abgesehen, weil sie - wie der Bundesrat - zur Auffassung gelangte, dass das Bundesgericht mit solchen Ermessensentscheiden nicht belastet werden sollte. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
52fde709-be86-4bbd-b789-942244a33f9c | Urteilskopf
99 Ib 497
69. Estratto della sentenza 2 marzo 1973 nella causa Lega svizzera per la protezione della natura contro Eredi fu Walter Maderni e Consiglio di Stato del cantone Ticino. | Regeste
Art. 31 FPG, 26 FPV. Rodung, Interessenabwägung: Notwendigkeit der Beschaffung von Bauland, Planung.
Im Fall einer Gemeinde, deren Gebiet sehr wenig Bauland enthältund zu etwa 80% bewaldet ist, darf die kantonale Regierung annehmen, dass gegenüber dem Interesse an der Walderhaltung das ebenfalls öffentliche Interesse an der Beschaffung von Bauland, die durch eine Rodung verhältnismässig bescheidenen Umfangs verwirklicht werden soll, mehr Gewicht hat; dies auch dann, wenn die Forstbehörde bei der von der Gemeinde - unter Vorbehalt der Forstgesetzgebung - vorgenommenen Planung nicht mitgewirkt hat. | Sachverhalt
ab Seite 498
BGE 99 Ib 497 S. 498
Riassunto dei fatti:
Gli Eredi fu Walter Maderni chiedevano il 10 novembre 1971 al Consiglio di Stato del cantone Ticino l'autorizzazione di dissodare a scopo edilizio un'estensione di mq 2765 di una parcella di loro proprietà nel territorio comunale di Melano. Tale permesso era loro accordato con decisione 7 dicembre 1971. Contro quest'ultima è insorta con ricorso di diritto amministrativo la Lega svizzera per la protezione della natura, facendo valere che la concessa autorizzazione viola la legislazione federale, in particolare le nuove disposizioni dell'OVPF. Il Tribunale federale ha respinto il gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto:
5.
Il dissodamento è stato giustificato in sede cantonale con ragioni di carattere pianificatorio.
a) Il territorio comunale di Melano comprende 450 ha, di cui 359 sono costituiti da bosco, 25 da strade, piazze e ferrovie, 20 ha da terreno edificato e 20 da prato e coltivo. Il piano di zona forestale approvato dall'Ispettorato federale delle foreste nel 1966 e revocato nel 1972, considerava l'area boschiva in questione non come "bosco protetto", bensì quale "bosco edificabile".
b) Nel vigente piano regolatore del Comune di Melano, approvato il 13 gennaio 1968 e il 2 gennaio 1969 (modifica) dal Consiglio di Stato, la particella boscata n. 308 (in precedenza
BGE 99 Ib 497 S. 499
174) trovasi nella zona E, descritta quale "zona boschiva (indicativa), soggetta alla legislazione forestale federale e cantonale". Tale attribuzione significa soltanto che in tale zona può dissodarsi esclusivamente in virtù d'un autorizzazione accordata in base al diritto forestale. La questione del permesso di dissodamento rimane pertanto aperta, non essendo risolta nè in senso positivo né in senso negativo; le norme del diritto forestale sono integralmente fatte salve. Le "norme di attuazione del Piano regolatore" applicabili per la zona E precisano d'altronde: "Nel caso venisse concessa l'autorizzazione per il dissodamento a scopo edilizio, valgono le norme previste per la zona limitrofa, riservate eventuali condizioni più limitative imposte dall'autorità forestale."
c) Nella fattispecie non si tratta di un dissodamento isolato a scopo edilizio, bensi della possibilità di destinare alla costruzione una striscia di bosco secondo un criterio pianificatorio.
Il Tribunale federale ritiene che l'attribuzione di un terreno boscato all'area edificabile in base ad una pianificazione razionale, approvata dall'autorità cantonale competente e concertata d'intesa con gli organi forestali, possa rappresentare, in comuni che non disporrebbero altrimenti di estensioni edificabili adeguate ai loro bisogni, un interesse pubblico superiore a quello della conservazione del bosco (cfr. sentenza non pubblicata 2 febbraio 1973 nella causa eredi Somazzi c. Consiglio di Stato del Cantone Ticino, consid. 4).
Nella fattispecie tale requisito non è adempiuto, nel senso che la pianificazione del comune di Melano è intervenuta senza la partecipazione dell'autorità forestale. Questa circostanza non impedisce tuttavia che possa riscontrarsi anche nel caso in esame, attraverso una accurata ponderazione degli interessi contrapposti, una preminenza dell'interesse pubblico a dissodare un terreno boschivo per assicurare alla collettività una superficie edilizia necessaria, altrimenti in pratica irreperibile.
L'80% del territorio comunale di Melano é coperto da bosco. Tale fatto induce a chiedersi se il sacrificio a scopo edilizio di una piccola estensione boscata possa essere giustificata. Il Consiglio di Stato ha risposto affermativamente a questo interrogativo ed ha accordato l'impugnata autorizzazione a dissodare. Nel permettere a Melano un limitato sviluppo edilizio a scapito del bosco il Consiglio di Stato non ha ecceduto il suo potere d'apprezzamento. S'è qui in presenza d'un caso
BGE 99 Ib 497 S. 500
diverso da quello di una semplice iniziativa del Comune, non avallata da un avviso favorevole dell'autorità forestale (come era invece il caso a cui si riferiva la citata sentenza nella causa eredi Somazzi c. Consiglio di Stato del Cantone Ticino) e non riesaminata dal Governo cantonale. In un Comune costituito da una superficie boscata così estesa e quasi sprovvisto di riserve di terreno edificabile, il Consiglio di Stato poteva autorizzare il dissodamento a scopo edilizio di una piccola estensione boschiva, tenendo conto di un piano regolatore approvato ed in vigore. Nelle circostanze concrete l'interesse pubblico ad un certo sviluppo edilizio poteva essere riconosciuto superiore a quello astratto della conservazione integrale del bosco esistente. D'altronde, lo stesso piano di zona forestale, approvato dall'Ispettorato federale delle foreste, prevedeva il terreno litigioso come "bosco edificabile"; benchè tale piano sia stato revocato nel 1972, esso ha a suo tempo costituito il criterio applicabile per la concessione di permessi di dissodamento, e la qualifica da esso data al terreno di cui trattasi lascia a divedere che anche da parte degli organi forestali non si attribuiva al suo mantenimento un valore rilevante.
L'art. 26 cpv. 3 OVPF esige che l'opera alla cui costruzione è destinato il dissodamento debba essere a ubicazione vincolata. La giurisprudenza ha già chiarito che tale requisito non può essere inteso in modo assoluto (v.RU 98 Ib 452); nella fattispecie, l'assenza di adeguate aree edificabili fuori del bosco può far ritenere che l'esigenza dell'ubicazione vincolata sia data in senso relativo, nell'ambito del territorio comunale di Melano; né d'altronde, come lo ha riconosciuto la citata giurisprudenza, tale esigenza può essere determinante di fronte ad interessi pubblici di maggior momento, favorevoli al dissodamento, quali quelli accertati nel caso in esame e testè menzionati. | public_law | nan | it | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
53073bb3-eef3-4707-84f1-d6536da7be8f | Urteilskopf
83 I 173
23. Arrêt du 26 juin 1957 dans la cause Quinche et consorts contre Conseil d'Etat du Canton de Vaud. | Regeste
Art. 4 BV
, 85 lit. a OG; Frauenstimmrecht.
1. Unzuständigkeit des Bundesgerichts zur Behandlung einer Beschwerde, die sich auf die Ausübung der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten bezieht, sowie zur Beurteilung der Frage, ob die Bestimmungen einer Kantonsverfassung mit der Bundesverfassung vereinbar sind (Erw. 1 und 6).
2. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Wahl- und Abstimmungsbeschwerden gemäss Art. 85 litt. a OG (Erw. 2).
3. Auslegungsmethoden in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Bedeutung der Materialien. Wichtigkeit der Praxis. Eine kantonale Behörde handelt nicht willkürlich, wenn sie es ablehnt, eine an sich nicht eindeutige Bestimmung in einer Weise auszulegen, die mit der bisherigen langjährigen und beständigen Praxis im Widerspruch stände (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 174
BGE 83 I 173 S. 174
A.-
Antoinette Quinche et un certain nombre d'autres femmes ont demandé à leur commune de domicile dans le canton de Vaud de les inscrire au rôle des électeurs et de leur délivrer une carte civique. Les autorités saisies ayant refusé d'accéder à cette requête, Antoinette Quinche et consorts ont recouru au Conseil d'Etat du canton de Vaud, qui les a déboutés par une décision du 11 mars 1957, motivée en bref comme suit:
En vertu de l'art. 23 Cst. vaud., "sont citoyens actifs tous les Suisses âgés de vingt ans révolus, établis ou en séjour dans le canton depuis trois mois et n'exerçant pas
BGE 83 I 173 S. 175
leurs droits politiques dans quelque autre Etat de la Confédération". Par le mot "Suisse", le législateur n'a compris que les hommes et a "strictement et intentionnellement" exclu les femmes de l'exercice du droit de vote. Depuis lors, c'est constamment et exclusivement dans ce sens que les règles constitutionnelles et légales existant en cette matière ont été appliquées. Il ne faut d'ailleurs pas voir là une violation du principe de l'égalité devant la loi (art. 2 Cst. vaud.). En effet, les dispositions délimitant le cercle des personnes jouissant des droits politiques constituent, par rapport à ce principe, des règles spéciales, qui l'emportent. Dans son arrêt Lehmann, du 14 septembre 1923, le Tribunal fédéral admet d'ailleurs aussi, pour des raisons historiques, que seuls les hommes ont le droit de vote sur le plan fédéral. Il considère de plus que l'introduction du sufrage féminin reviendrait à modifier un régime juridique profondément enraciné et qu'elle ne pourrait dès lors avoir lieu que par une revision de la constitution et non par la simple voie de l'interprétation. Telle est du reste également l'opinion de la doctrine. Il n'y a aucune raison de s'en écarter.
B.-
Agissant par la voie du recours de droit public, Antoinette Quinche et consorts requièrent le Tribunal fédéral d'annuler la décision du Conseil d'Etat. A leur avis, les textes applicables en matière de droit de vote n'excluent pas expressément les femmes de l'exercice des droits politiques. Ils peuvent au contraire être adaptés à l'évolution des idées. En se confinant dans une interprétation strictement historique, le Conseil d'Etat a violé l'art. 4 Cst., car il a perdu de vue qu'au regard des circonstances actuelles la différence de sexe ne justifie plus un traitement différentiel quant à l'octroi du droit de vote. Il est d'ailleurs faux de croire que le suffrage féminin ne pourrait être introduit que par la voie d'une revision constitutionnelle. Il ne s'agirait en effet nullement d'abolir un régime juridique profondément enraciné.
Le Conseil d'Etat conclut au rejet du recours.
BGE 83 I 173 S. 176
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les recourantes ne précisent pas si elles demandent l'exercice des droits politiques en matière communale et cantonale seulement ou aussi en matière fédérale. Comme elles invoquent l'art. 74 Cst. féd., il convient d'admettre qu'elles demandent l'octroi du droit de vote de façon tout à fait générale. Il s'ensuit que le Tribunal fédéral n'est qu'en partie compétent pour statuer sur leur recours. En effet, dans la mesure où le Conseil d'Etat refuse de reconnaître aux recourantes le droit de vote en matière fédérale et de les inscrire pour cela sur le rôle des électeurs, sa décision ne peut faire l'objet que d'un recours au Conseil fédéral (art. 85 litt. a et 125 litt. b OJ; art. 7 LF du 19 juillet 1872 sur les élections et votations fédérales; art. 11 LF du 17 juin 1874 concernant les votations populaires sur les lois et arrêtés fédéraux; art. 16 LF du 27 janvier 1892 concernant le mode de procéder pour les demandes d'initiatives populaires et les votations relatives à la revision de la constitution fédérale). Conformément à l'art. 96 OJ, il y aura donc lieu de transmettre le recours au Conseil fédéral en tant qu'il relève de sa compétence.
2.
Lorsqu'il est saisi d'un recours en vertu de l'art. 85 litt. a OJ, le Tribunal fédéral examine librement l'application du droit constitutionnel cantonal, en évitant toutefois de s'écarter sans nécessité de l'interprétation adoptée par l'autorité cantonale supérieure. Il en va de même à l'égard des lois cantonales qui précisent le contenu et l'étendue du droit de vote garanti par la constitution. En revanche, le Tribunal fédéral ne revoit que sous l'angle étroit de l'art. 4 Cst. les autres dispositions cantonales ayant pour objet des questions de procédure ou des questions analogues (RO 41 I 175
;
45 I 148
;
46 I 121
;
49 I 105
, 540
;
50 I 291
;
53 I 33
;
74 I 176
;
75 I 245
;
81 I 196
). Il s'agit en l'espèce de savoir si les femmes peuvent être mises au bénéfice des droits politiques. Cette question
BGE 83 I 173 S. 177
concerne le droit de vote lui-même. Le Tribunal fédéral statue donc avec pleins pouvoirs.
3.
Les recourantes affirment qu'au regard des dispositions constitutionnelles ou légales actuelles, elles peuvent prétendre exercer les droits politiques. Elles posent ainsi le problème de l'interprétation de ces dispositions constitutionnelles ou légales. S'agissant exclusivement du droit de vote en matière cantonale et communale, la disposition applicable est celle de l'art. 23 Cst. vaud., aux termes duquel "sont citoyens actifs tous les Suisses âgés de vingt ans révolus, établis ou en séjour dans le canton depuis trois mois et n'exerçant pas leurs droits politiques dans quelque autre Etat de la Confédération". De l'avis des recourantes, le mot "Suisses" désigne aussi bien les hommes que les femmes. Tel est effectivement le cas dans le langage courant. On peut se demander s'il en va de même dans la terminologie technique utilisée par la constitution. Ainsi, à l'art. 3 Cst. vaud., en vertu duquel "tout Suisse habitant le canton est tenu au service militaire", le mot "Suisse" vise incontestablement les hommes seulement, à l'exclusion des femmes. D'autre part, lorsque le constituant vaudois a voulu désigner par un seul terme les hommes et les femmes, il lui est arrivé souvent d'utiliser un mot dont le caractère neutre ne souffre pas de discussion. Ainsi, à l'art. 4, où il déclare: "Nul ne peut être poursuivi ou arrêté que dans les cas déterminés par la loi et selon les formes qu'elle prescrit. Tout individu arrêté doit être entendu par le magistrat compétent dans les vingt-quatre heures qui suivent son arrestation"; de même à l'art. 16, où il pose la règle que "chacun est libre d'enseigner en se conformant aux lois sur cette matière". On ne saurait dès lors affirmer que le terme "Suisses" utilisé à l'art. 23 Cst. vaud. possède un sens clair et indiscutable. Force est donc de l'interpréter.
4.
Qu'il appartienne au pouvoir judiciaire ou à l'administration, le juge cherche, quand il interprète une
BGE 83 I 173 S. 178
disposition constitutionnelle ou légale, à en découvrir le sens, à définir la portée juridique effective de la norme que recouvrent, plus ou moins heureusement, les expressions dont s'est servi le législateur. Ce sens peut être celui que le législateur historique a voulu donner au texte. Mais il peut être aussi celui que doit avoir le texte pour être applicable aujourd'hui d'une manière raisonnable. Dans plusieurs arrêts récents, le Tribunal fédéral paraît se rattacher davantage à cette seconde définition du sens de la norme. En effet, dit-il, la volonté du législateur doit être dégagée de la loi elle-même, de son texte, de sa logique interne, du but qu'elle se propose. "Ce qui importe, ce n'est pas le sens qu'a pu attribuer à une disposition le législateur historique, voire telle ou telle personne qui a été mêlée à l'élaboration de la loi; c'est le sens qui résulte de tout le système de la loi, compte tenu des circonstances actuelles et de l'état de développement de la technique" (RO 78 I 30; cf. aussi 82 I 153
;
81 I 282
;
80 II 79
, 316;
79 II 434
;
79 I 20
). Il serait faux cependant de croire qu'en posant ces principes, le Tribunal fédéral a entendu se rallier résolument à l'interprétation dite objective et abandonner du même coup l'interprétation historique. Un examen attentif de sa jurisprudence montre au contraire qu'il n'exclut aucune méthode de manière absolue mais qu'il recourt aux procédés d'interprétation qui lui paraissent, dans le cas particulier, les plus propres à dégager le véritable sens de la norme. Ainsi, dans les arrêts RO 69 II 216 et 82 IV 91, il a défini le sens de diverses dispositions légales en se fondant à la fois sur leur genèse telle qu'elle ressortait des travaux préparatoires, sur leur texte et sur leurs rapports avec d'autres dispositions légales ou d'autres principes. Si l'on voulait dégager de sa jurisprudence une règle générale, on pourrait dire tout au plus qu'il marque une certaine réserve à l'égard de l'interprétation historique. Cette réserve est d'ailleurs justifiée, car - c'est un fait d'expérience - les travaux préparatoires renseignent très rarement de façon certaine sur la volonté réelle et complète
BGE 83 I 173 S. 179
du législateur. Cependant, il arrive que ces travaux préparatoires permettent d'établir avec une parfaite clarté le sens que l'auteur de la loi a entendu donner aux termes qu'il a utilisés. Lorsqu'il en est ainsi, le Tribunal fédéral considère qu'il doit se conformer à l'intention du législateur historique, à moins que le sens qu'à l'époque on a entendu donner à la loi ne soit incompatible avec le texte de celle-ci ou absolument inacceptable en pratique (RO 68 II 111). A plus forte raison doit-il en être ainsi lorsqu'une pratique absolument constante montre que les autorités chargées d'appliquer la disposition ou les particuliers qui y sont soumis l'ont toujours comprise de la même manière que le législateur historique. Quand cette pratique constante s'étend sur un grand nombre d'années, qu'elle acquiert ainsi le caractère d'une sorte de coutume, elle confère au sens voulu à l'origine par le législateur une force particulière. La disposition ne s'impose plus alors au juge par son seul texte mais aussi par la pratique qui l'a toujours comprise dans un sens bien défini. Malgré l'absence des termes qui, d'un point de vue purement formel et extérieur, donneraient sans discussion possible à la disposition le sens que le législateur puis la pratique lui ont certainement et toujours conféré, le juge doit considérer que le texte ne souffre pas une interprétation nouvelle. Autrement dit, dans cette hypothèse particulière et d'ailleurs rare, la disposition dont les termes pris en eux-mêmes sont ambigus et pourraient recevoir une autre interprétation sans faire violence au texte, équivaut en réalité à une règle que le législateur aurait rédigée en des termes rendant exactement son intention. Le juge ne se trouve plus en présence d'un texte seulement mais d'un texte doublé d'un usage. Il est alors lié tout comme il l'est par une disposition qui ne souffre aucune interprétation parce qu'elle possède un sens absolument clair. Si, en pareil cas, il s'écartait du sens voulu par le législateur et confirmé par la pratique constante, il ferait un acte qui reviendrait en fait à modifier la loi. Or, s'il possède
BGE 83 I 173 S. 180
bien le pouvoir de compléter la loi lorsqu'elle présente une lacune, il n'a pas en revanche celui de la modifier. Ce droit n'appartient qu'à l'autorité législative. Le particulier qui voudrait donner à la norme un sens différent doit donc avoir recours non point au juge mais au législateur.
5.
La constitution vaudoise a été adoptée le 1er mars 1885. Son art. 23, qui garantit la qualité de citoyen actif à "tous les Suisses âgés de vingt ans révolus, établis ou en séjour dans le canton depuis trois mois et n'exerçant pas leurs droits politiques dans quelque autre Etat de la Confédération", n'a pas été modifié depuis lors. Les constitutions vaudoises antérieures, du 15 décembre 1861 et du 10 août 1845 utilisaient au lieu de l'expression "tous les Suisses", celles de "Vaudois" et "Confédérés", ce qui revient cependant au même, étant donné le problème posé. Or il ne peut faire de doute pour personne qu'à l'époque où ces différentes dispositions constitutionnelles ont été adoptées, les termes de "Suisses", "Vaudois" ou "Confédérés" visaient les hommes, à l'exclusion des femmes. Le constituant n'a pu avoir à ce sujet une idée différente, car en 1845, 1861 ou 1885 la question de savoir s'il fallait accorder les droits politiques aux femmes ne se posait pas en pratique, même si quelques esprits en avance sur leur époque l'avaient soulevée comme un problème de doctrine. Il allait de soi, en effet, que seuls les hommes pouvaient revêtir la qualité de citoyen actif. Depuis ce moment-là, l'art. 23 Cst. vaud. et les dispositions légales destinées à le préciser ont été interprétés de façon absolument constante en ce sens que seuls les hommes jouissent des droits politiques. A aucun moment les femmes habitant le canton de Vaud n'ont été admises à participer à des élections ou à des votations. Lorsque, en 1950, les autorités vaudoises se sont demandé s'il fallait conférer aux femmes le droit de prendre part à certaines votations et élections, elles ont proposé au peuple une modification de la constitution, qui a d'ailleurs été refusée.
BGE 83 I 173 S. 181
Ainsi, le sens que le constituant de 1885 a entendu au mot "Suisses" est clair. Ce sens a été confirmé par une pratique absolument constante et qui peut être comparée à une sorte de coutume. Il s'ensuit que, dans le canton de Vaud, les droits politiques n'appartiennent qu'aux hommes, à l'exclusion des femmes. L'art. 23 Cst. vaud. s'imposait au Conseil d'Etat avec ce sens. Il le liait et lui interdisait toute autre interprétation. Le Conseil d'Etat n'est donc pas tombé dans l'arbitraire en refusant de lui donner un sens différent et en renvoyant les recourants à procéder par la voie d'une demande de revision de la constitution.
6.
On peut se demander en revanche si l'art. 23 Cst. vaud. qui, d'après la volonté claire du législateur et en vertu d'un usage absolument constant, confère les droits politiques aux hommes, à l'exclusion des femmes, constitue, ainsi compris, une disposition contraire à l'art. 4 Cst. féd. Autrement dit, la question pourrait se poser de savoir si l'art. 4 Cst. féd. impose au constituant vaudois l'obligation d'accorder aux femmes les mêmes droits politiques qu'aux hommes. Cette question doit cependant demeurer indécise. Elle soulève, en effet, le problème de la conformité des dispositions d'une constitution cantonale avec celles de la constitution fédérale. Or, dans une jurisprudence constante, le Tribunal fédéral s'est toujours refusé à examiner un problème de cette nature. En effet, dit-il, les cantons sont tenus de demander à la Confédération la garantie de leur constitution (art. 6 Cst. féd.). Cette garantie leur est accordée ou refusée par l'Assemblée fédérale (art. 85 ch. 7 Cst. féd.). Comme celle-ci doit examiner à ce moment-là si la constitution cantonale est ou non conforme à la constitution fédérale, cela exclut qu'une autre autorité se livre au même examen. Les art. 6 et 85 ch. 7 Cst. féd. constituent des dispositions spéciales qui l'emportent sur l'art. 113 Cst. féd. (RO 69 I 177/178
;
56 I 330
; 22 p. 4 et 1019, consid. 4; 17 p. 630, consid. 4; 1 p. 347, consid. 6). Il est vrai que cette jurisprudence
BGE 83 I 173 S. 182
a été mise en doute par la doctrine (cf. en effet BURCKHARDT, Commentaire, 3e éd. p. 71; FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, p. 134; GIACOMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit, p. 110/111). Le Tribunal fédéral s'y est néanmoins tenu encore en 1945 (arrêt non publié du 2 juillet 1945 dans la cause Müller c. Conseil d'Etat du canton de Zurich, p. 8; BIRCHMEIER, Handbuch, p. 312/313) et en 1949 (arrêt non publié du 23 juin 1949 dans la cause Parti "démocratique-progressiste" du Cercle d'Avenches c. Conseil d'Etat du canton de Vaud). Il n'y a pas lieu de s'en écarter. Il suffit d'observer que cette jurisprudence fait une distinction suivant que le recours de droit public est dirigé contre une disposition constitutionnelle prise pour elle-même ou simplement contre une décision qui l'applique. Dans le premier cas, elle exclut absolument le recours de droit public, tandis que, pour ce qui concerne le second, elle a laissé la question indécise (RO 56 I 330, arrêts Müller et Parti "démocratique-progressiste" du Cercle d'Avenches). Toutefois, ajoutet-elle, "lorsque... la décision de l'autorité cantonale se borne à reprendre, sans le modifier en aucune façon, le principe énoncé dans le texte constitutionnel auquel l'Assemblée fédérale a accordé la garantie prévue à l'art. 85 ch. 7 Cst., on pourrait se demander si ... le Tribunal fédéral ne devrait pas se considérer comme lié". La jurisprudence inclinerait donc à exclure aussi le recours de droit public dirigé contre une décision d'espèce qui reprendrait le principe constitutionnel sans le modifier. Cette tendance est exacte et il convient de l'ériger en règle générale. En effet, dans cette hypothèse, le texte constitutionnel est en jeu exactement comme lorsque le recours est dirigé contre la disposition elle-même. Il n'y a donc pas lieu de traiter les deux situations différemment. L'exclusion du recours de droit public dans ces deux cas ne livre d'ailleurs pas le citoyen à l'arbitraire de l'Etat. En effet, l'Assemblée fédérale peut en tout temps retirer la garantie qu'elle a accordée, lorsqu'à l'usage une disposition
BGE 83 I 173 S. 183
d'une constitution cantonale apparaît comme contraire au droit fédéral, notamment à la constitution fédérale (BURCKHARDT, Commentaire, p. 70/71; FLEINER/GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht, p. 133).
En l'espèce, la constitution vaudoise du 1er mars 1885, notamment son art. 23, a été garantie par un arrêté fédéral du 27 mars 1885, c'est-à-dire à une époque où, de toute évidence, l'Assemblée fédérale considérait que les femmes étaient exclues des droits politiques et où elle a accordé la garantie fédérale dans ce sens. Les recourantes n'attaquent pas l'art. 23 Cst. vaud. comme tel mais une décision qui l'applique et reprend exactement le principe qu'il pose, tel qu'il résulte de la volonté claire du législateur et de l'usage constant. Dans cette mesure dès lors, le présent recours de droit public est irrecevable. D'ailleurs même s'il ne l'était pas pour cette raison, il devrait l'être pour une autre. En effet, les recourantes demandent au Tribunal fédéral d'annuler non pas l'art. 23 Cst. vaud., mais la décision qui leur refuse l'exercice des droits politiques. Si le Tribunal fédéral leur donnait raison, il modifierait en fait l'art. 23 Cst. vaud. et en ferait une disposition nouvelle. Par cette voie, les recourantes éluderaient les règles auxquelles la revision de la constitution est soumise. Elles échapperaient notamment au vote populaire et empêcheraient ainsi le canton d'obtenir la garantie fédérale, puisque celle-ci est soumise en particulier à la condition que les dispositions nouvelles aient été acceptées par le peuple. Il est clair que le Tribunal fédéral ne saurait prêter la main à pareille tentative.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours en tant qu'il est recevable. | public_law | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
5309787e-90e3-4a2d-be03-731014dbb255 | Urteilskopf
101 IV 167
43. Urteil des Kassationshofes vom 23. Mai 1975 i.S. Fink, Rubi, Zenzünen und Wild gegen Generalprokurator des Kantons Bern | Regeste
Art. 181 StGB
; Nötigung.
1. "Andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit durch akustische Einwirkung (Erw. 2).
2. Rechtswidrigkeit der Nötigung (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 167
BGE 101 IV 167 S. 167
A.-
Im Rahmen einer von der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern organisierten Vortragsreihe über "Sinn und Bewährung unserer Landesverteidigung" war für den 9. Februar 1973, um 18.15 Uhr im Hörsaal Nr. 31 ein öffentlicher Vortrag von Korpskommandant Hirschy, Ausbildungschef der Armee, über das Thema "L'instruction de notre armée; sa valeur éducatrice et civique" angesagt.
Diese Vortragsreihe, insbesondere das Referat von Hirschy,
BGE 101 IV 167 S. 168
war von einem "Aktionskomitee gegen den Militarismus" und anderen Gruppen angegriffen und kritisiert worden. Studenten organisierten Gegenvorträge, und dem Aktionskomitee wurde für den Spätnachmittag des 9. Februar die Benützung der Aula gestattet. In der dort abgehaltenen Vorversammlung, die um 16.45 Uhr unter der Leitung von Rudolf Fink begann, wurde durch Abstimmung beschlossen, gegen den angekündigten Vortrag etwas zu unternehmen. Anschliessend begaben sich die Versammlungsteilnehmer, die über das weitere Vorgehen orientiert worden waren, in den Hörsaal Nr. 31, verteilten sich den Wänden entlang und begannen Schlagworte zu skandieren. Nachdem die Gäste des Vortrags wegen Platzmangels in die Aula gebeten worden waren, begaben sich auch die Demonstranten dorthin, verteilten sich wiederum mit den Transparenten (z.B. "Hirschy nein - Giap ja!") im Saal und skandierten - unterstützt durch ein Megaphon - in grosser Lautstärke Parolen wie " Hirschy raus" usw. Während Hirschy sich noch im Senatszimmer befand, versuchte Dekan Fricker, den Referenten anzukündigen und ersuchte um Ruhe. Obwohl er sich eines Mikrophons bediente, vermochte er gegen den Lärm nicht durchzudringen. Ebensowenig konnte sich Rektor Nef Gehör verschaffen. Sobald einer der Professoren das Wort ergriff, stieg der Lärm schlagartig an. Nach fünf- bis zehnminütigen vergeblichen Versuchen schrieb der Rektor schliesslich an die Tafel, der Vortrag Hirschy finde nicht statt. Diese Mitteilung wurde von den Demonstranten mit Applaus aufgenommen.
B.-
Auf Privatklage von Dekan Fricker sprach der Gerichtspräsident VI von Bern mit Urteil vom 11./12. Juli 1974 Rudolf Fink, Christian Rubi, Amandus Zenzünen sowie Peter Wild der Nötigung schuldig und verurteilte den ersten zu 15 Tagen und die übrigen zu 7 Tagen Gefängnis. Allen Verurteilten wurde der bedingte Strafvollzug mit einer Probezeit von drei Jahren gewährt.
Auf Appellation der Verurteilten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 29. Oktober 1974 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
Fink, Rubi, Zenzünen und Wild führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil zu kassieren.
BGE 101 IV 167 S. 169
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wegen Nötigung ist strafbar, wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit rechtswidrig nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden (
Art. 181 StGB
).
Das Nötigungsmittel sieht die Vorinstanz in der akustischen Einwirkung ("andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit); das erzwungene Verhalten darin, dass Dekan Fricker, Rektor Nef und Korpskommandant Hirschy am Sprechen gehindert wurden und die beiden ersteren überdies genötigt waren, das Referat abzusagen. Die Verhinderung des geplanten Vortrages sei ein missbräuchlicher und sittenwidriger Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Bürger und daher rechtswidrig.
2.
Wenn
Art. 181 StGB
neben Gewalt und Androhung ernstlicher Nachteile die Generalklausel "oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit" verwendet, so ist damit gemeint, dass der Täter mit anderen, im Gesetz nicht näher umschriebenen Mitteln auf das Opfer einwirkt. Dabei ist nicht erforderlich, dass die betreffenden Nötigungsmittel das Opfer völlig widerstandsunfähig machen. Im Gegensatz zu den
Art. 139, 187 und 188 StGB
, deren Auslegung hier offen bleiben kann (vgl. dazu
BGE 100 IV 164
), lässt es
Art. 181 StGB
genügen, dass die Handlungsfreiheit beschränkt wird ("Beschränkung", "en l'entravant", "o intralciando"), ohne dass sie vollständig ausgeschlossen sein müsste (siehe E. HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 94; V. SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 628 c und d; E. SCHMIDT, Die Nötigung als selbständiger Tatbestand und als Tatbestandselement im Strafgesetzbuch, Diss. Bern 1969, S. 65 und 95 ff. mit Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte). Trotz des an sich niedrigen Strafminimums kann aber nicht jeder noch so geringfügige Druck auf die Entscheidungsfreiheit eines andern zu einer Bestrafung führen. Vielmehr muss das verwendete Zwangsmittel das üblicherweise geduldete Mass der Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die vom Gesetz ausdrücklich genannte Gewalt oder die Androhung ernstlicher Nachteile gilt. Unter die Generalklausel fallen demnach nicht nur Narkose, Betäubung, schwerer Rausch, Hypnose und ähnliche
BGE 101 IV 167 S. 170
Zustände, an welche der Gesetzgeber in erster Linie gedacht haben dürfte, sondern ebenso die Blendung mit Licht sowie die Ausnützung von Verblüffung oder Erschrecken. Der Kassationshof hat diese Mittel selbst hinsichtlich der enger umschriebenen
Art. 139, 187 und 188 StGB
genügen lassen (
BGE 70 IV 207
, 78 IV 36 E. 2 und
BGE 81 IV 226
).
a) Im vorliegenden Fall gelangte als Zwangsmittel organisiertes und durch Megaphon unterstütztes Schreien zur Anwendung. Dieses hatte nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP) auf die unmittelbar Betroffenen, Dekan Fricker und Rektor Nef, eine starke Wirkung. Prof. Fricker sei derart unter dem Eindruck der schreienden Demonstranten gestanden, dass er keine klaren Gedanken habe fassen können. Prof. Nef sei sich vergewaltigt und terrorisiert vorgekommen. Er sei richtig erschlagen gewesen und habe unter dem Eindruck brutaler Gewaltanwendung gestanden. Wenn die Beschwerde diese Ausführungen im angefochtenen Urteil als "blumige Übertreibung" bezeichnet, so handelt es sich dabei um eine unzulässige Kritik an den Erwägungen des Obergerichtes in tatsächlicher Hinsicht. Vermochte somit das organisierte und mit mechanischen Mitteln verstärkte Niederschreien eine derart lähmende Wirkung auf zwei Universitätsprofessoren auszuüben, die nicht als aussergewöhnlich beeinflussbar bezeichnet werden, so durften die kantonalen Instanzen diese Einwirkung ohne Rechtsverletzung als "andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit im Sinne von
Art. 181 StGB
werten. Diese Beschränkung überstieg nämlich bei weitem die etwa zu duldenden Störungen durch vereinzelte Zwischenrufe, Pfiffe usw. Mögen solche andere Störungen auch für Veranstalter und Publikum lästig sein, so wird dadurch die Handlungsfreiheit doch nicht in einem Masse eingeschränkt, dass der Tatbestand des
Art. 181 StGB
erfüllt würde.
b) Ferner bestreitet die Beschwerde den Tatbestand der Nötigung, weil davon auszugehen sei, dass nur die fünf Angeklagten geschrien hätten; das Brüllen der anderen Teilnehmer könne sie nichts angehen; sonst hätte die Untersuchung gegen alle Teilnehmer angehoben werden müssen; dass gegenüber anderen Demonstranten nicht vorgegangen worden sei, sei willkürlich. Diese Einwände gehen fehl. Im angefochtenen
BGE 101 IV 167 S. 171
Urteil wird verbindlich festgestellt, dass zahlreiche Demonstranten - unter ihnen auch die Beschwerdeführer - geschrien haben und dass jedesmal, wenn ein Professor das Wort ergriff, der Lärm schlagartig angestiegen ist. Da sie durch ihr Schreien zum allgemeinen Lärm beitrugen, müssen die Beschwerdeführer als Mittäter der begangenen Nötigung betrachtet werden, unabhängig davon, ob neben ihnen noch andere Demonstranten strafrechtlich erfasst worden sind. Dass die Beschränkung des Strafverfahrens auf einzelne Demonstranten willkürlich sei, kann nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden; ein derartiger Vorwurf müsste vielmehr in einer staatsrechtlichen Beschwerde erhoben werden (
Art. 269 Abs. 2 BStP
).
3.
Gemäss
Art. 181 StGB
müssen die Nötigungsmittel den Betroffenen gezwungen haben, "etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden". Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Die Vorinstanz stellt fest, dass Dekan Fricker den Vortrag ansagen und das Publikum begrüssen wollte und dass Rektor Nef die Schreier zur Ruhe aufzufordern beabsichtigte. Wegen des intensiven Lärmes war es ihnen jedoch nicht möglich, sich Gehör zu verschaffen. Eine Verständigung zwischen den beiden Professoren einerseits und den Zuhörern andererseits liess sich schlechthin nicht verwirklichen. Fricker und Nef waren somit gezwungen, ihre Äusserungen an das Publikum zu unterlassen.
Ebenso verhält es sich bezüglich des angekündigten Vortrages. Korpskommandant Hirschy war genötigt, auf sein Referat zu verzichten. Zwar stand er nicht direkt unter der Wirkung des Lärms; aber den Äusserungen und dem Verhalten der Demonstranten ("Hirschy raus") war zu entnehmen, dass die Lärmstörungen auch beim Versuch, den Vortrag zu halten, fortgesetzt worden wären. Wie aber die Aussicht auf Fortsetzung der Gewaltanwendung der Gewaltanwendung gleichsteht, muss auch die Aussicht, der fortgesetzten Wirkung eines andern die Freiheit beschränkenden Zwangsmittels unterworfen zu sein, dessen unmittelbarer Anwendung gleichgestellt werden (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 16. Auflage, N. 11 vor §§ 234 ff.).
Demnach steht auch fest, dass zwischen dem Schreien der Beschwerdeführer und der Verhinderung ein Kausalzusammenhang besteht. Die in der Beschwerde dagegen erhobenen
BGE 101 IV 167 S. 172
Einwände betreffen Feststellungen tatsächlicher Natur, welche im vorliegenden Verfahren nicht gerügt werden können (
BGE 98 IV 173
E. 2).
4.
Die Beschwerdeführer machen geltend, sie hätten weder Rektor Nef und Dekan Fricker noch Korpskommandant Hirschy am Sprechen hindern wollen. Damit bestreiten sie den Nötigungsvorsatz. Diese Rüge scheitert jedoch an den für den Kassationshof bindenden Feststellungen der Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht, weshalb darauf nicht einzutreten ist (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP).
5.
Zur Frage der Rechtswidrigkeit hat das Bundesgericht wiederholt erklärt, dass eine Nötigung strafbar sei, sofern der damit verfolgte Zweck oder das verwendete Mittel gegen die Rechtsordnung oder die guten Sitten verstösst (
BGE 96 IV 60
f. E. 1 mit Verweisungen). Eine rechtswidrige Nötigung liegt überdies dann vor, wenn die Verknüpfung zwischen einem zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck sich als rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig darstellt (
BGE 101 IV 49
, Erw. 2b).
Durch organisiertes und mit Megaphon verstärktes Brüllen und Rufen verhinderten die Beschwerdeführer den von der Universität organisierten Vortrag. Sie hinderten damit ebenfalls das Publikum, das erschienen war, um den Referenten anzuhören, dessen Ansicht zur Kenntnis zu nehmen. Ein solcher Eingriff in die Freiheit der die Versammlung veranstaltenden Professoren, des Referenten sowie der Zuhörer stellte einen rechtswidrigen Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit dar. Denn auch wenn die Meinungsäusserungsfreiheit, die von der Praxis als ungeschriebenes Grundrecht anerkannt wird (
BGE 97 I 896
E. 4 und
BGE 96 I 592
f. mit Verweisungen), primär die Beziehungen zwischen dem Bürger einerseits und dem Staat andererseits betrifft, so müssen ihr doch auch Wirkungen im horizontalen Verhältnis (d.h. zwischen den Bürgern) zuerkannt werden. Hierfür besteht gerade im Hinblick auf die demokratische Willensbildung ein berechtigtes Interesse.
Die Beschwerdeführer berufen sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens ebenfalls auf die Meinungsäusserungsfreiheit. Zu Unrecht. Sie hatten am Nachmittag des 9. Februar Gelegenheit, ihre Meinung in der von ihnen organisierten Vorversammlung, wofür ihnen die Aula zur Verfügung gestellt worden
BGE 101 IV 167 S. 173
war, ungestört zu äussern. Aber auch abgesehen davon gibt das genannte Grundrecht niemandem die Befugnis, die Durchführung einer Veranstaltung zu sabotieren und deren Teilnehmer daran zu hindern, die angekündeten Vorträge zu halten bzw. anzuhören. Ein Freiheitsrecht kann nur unter Respektierung der Freiheit der andern ausgeübt werden (
BGE 97 I 896
E. 4).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
530aac1f-0976-4f48-b5ee-4ed987dff4f0 | Urteilskopf
108 Ib 227
42. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 1982 i.S. Wehrsteuerverwaltung des Kantons Schwyz gegen Giarritta und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 21 WStB; Besteuerung von Eigenleistungen.
Der unselbständigerwerbende Maurer, der in seiner Freizeit ein Haus für den Eigengebrauch teilweise selber erstellt, erzielt keine Einkommen aus Erwerbstätigkeit i.S. von Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB; der durch seine Arbeit bewirkte Vermögenszuwachs bleibt steuerfrei. | Sachverhalt
ab Seite 227
BGE 108 Ib 227 S. 227
Giarritta, der als Maurer angestellt ist, baute 1973/74 in Rickenbach (SZ) ein Zweifamilienhaus. Die Maurerarbeiten führte er dabei in seiner Freizeit selber aus. Die Steuerbehörde rechnete ihm bei der Veranlagung für die 18. Wehrsteuerperiode den Wert dieser Eigenleistungen als Einkommen an. In teilweiser Gutheissung seiner Beschwerde setzte das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz das steuerbare Einkommen herab, indem es die Eigenleistungen weniger hoch bewertete. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt die kantonale Wehrsteuerverwaltung Wiederherstellung der ursprünglichen Veranlagung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab und ändert die Veranlagung von Amtes wegen (
Art. 114 Abs. 1 OG
) zugunsten des Steuerpflichtigen.
BGE 108 Ib 227 S. 228
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Nach der Rechtsprechung ist die kantonale Wehrsteuerverwaltung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der kantonalen Rekurskommission berechtigt (
BGE 98 Ib 278
E. 1 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 105 Ib 360
E. 5c).
b) Zwischen den Parteien ist vor Bundesgericht einzig streitig, in welcher Höhe die Eigenleistungen zu besteuern seien; die Steuerpflicht an sich war bis zur ersten Urteilsberatungssitzung nicht bestritten. Rechtsfragen prüft das Bundesgericht indes von Amtes wegen. Ausserdem darf das Bundesgericht in Abgabestreitigkeit zugunsten oder zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen, wenn Bundesrecht verletzt oder der Sachverhalt unrichtig oder unvollständig festgestellt worden ist. Damit wird dem Bundesgericht die Möglichkeit gegeben, in Abgabestreitigkeiten einen Entscheid der Vorinstanz gegebenenfalls dem objektiven Recht anzupassen, ohne an die Anträge der Parteien gebunden zu sein. Eine solche Berichtigung wird aber nur vorgenommen, wenn der betreffende Entscheid offensichtlich unrichtig und die Korrektur von erheblicher Bedeutung ist (
BGE 105 Ib 379
E. 18a mit Hinweisen). Dies trifft hier zu, wenn sich die Besteuerung der Eigenleistung als bundesrechtswidrig erweist. In diesem Fall ist nicht bloss die Beschwerde abzuweisen, sondern darüber hinaus der vorinstanzliche Entscheid zugunsten des Steuerpflichtigen abzuändern.
2.
a) Der Beschwerdegegner, der an sich als Arbeitnehmer nur unselbständiges Erwerbseinkommen erzielt, hat ein Zweifamilienhaus gebaut, das er selbst bewohnt. Zu entscheiden ist, ob die Vermögensvermehrung, die er durch seine Arbeiten am eigenen Haus, durch sog. Eigenleistungen, erzielt hat, Einkommen im Sinne von Art. 21 WStB darstellt.
Nach Art. 21 Abs. 1 WStB ist das "gesamte Einkommen des Steuerpflichtigen aus Erwerbstätigkeit, Vermögensertrag oder anderen Einnahmequellen" wehrsteuerpflichtig. Die Aufzählung in Abs. 1 lit. a bis f wird durch das Wort "insbesondere" eingeleitet und ist daher bloss beispielhaft und nicht abschliessend (
BGE 105 Ib 2
E. 1 mit Hinweisen;
BGE 74 I 393
). Der Wehrsteuerbeschluss liefert im übrigen - wie die kantonalen Steuergesetze - keine allgemeine Definition des steuerbaren Einkommens der natürlichen Personen. Das Bundesgericht hat für die Umschreibung des
BGE 108 Ib 227 S. 229
Einkommens mehrfach die bei BLUMENSTEIN (vgl. System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 144) umschriebene Formel verwendet, wonach Einkommen die Gesamtheit derjenigen Wirtschaftsgüter ist, welche einem Individuum während eines bestimmten Zeitabschnittes zufliessen, und die es ohne Schmälerung seines Vermögens zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse und für seine laufende Wirtschaft verwenden kann (vgl.
BGE 52 I 214
,
BGE 73 I 140
mit Hinweisen). Es hat in
BGE 105 Ib 2
E. 1 ausgeführt, von der Systematik des WStB her betrachtet unterliege der Wehrsteuer als Gesamteinkommenssteuer jedwelches Einkommen, das nicht ausdrücklich vom Beschluss als nichtsteuerbarer Bestandteil des Einkommens von der Steuer ausgenommen sei.
Diese Umschreibung ist sehr weit gefasst. Aber auch sie setzt voraus, dass ein Vermögenszugang nur dann der Einkommensbesteuerung unterliegen kann, wenn er Einkommen darstellt. Zu prüfen ist deshalb, ob und wann Eigenleistungen, also durch eigene Tätigkeit bewirkte Wertvermehrungen im Bereich des eigenen Vermögens, überhaupt Einkommen sind.
Zahlreiche Eigenleistungen in Haus und Garten, einschliesslich gelegentlicher wertvermehrender Arbeiten am Eigenheim, sind regelmässig nicht als für die Einkommenssteuer relevantes Einkommen zu werten, werden diese Wertvermehrungen doch bloss im Rahmen der Verwaltung eigenen Vermögens erzielt (
BGE 104 Ib 166
E. 1 mit Hinweisen).
Soweit jedoch solche Eigenleistungen wie im vorliegenden Falle einen gewissen Umfang annehmen, stellt sich die Frage der Besteuerung. Dabei muss unterschieden werden, ob es sich um Eigenleistungen im Bereich der eigenen gewerblichen, selbständigen Tätigkeit (jedenfalls soweit sie buchführungspflichtig ist) handelt oder um eine fachgerechte Nebenbeschäftigung eines Unselbständigerwerbenden. Diese Differenzierung ist für den Einkommensbegriff des Wehrsteuerbeschlusses von grundlegender Bedeutung; soweit der angefochtene Entscheid diesen Unterschied missachtet, muss er von Amtes wegen aufgehoben werden.
b) Eigenleistungen in gewerblichen Unternehmen, deren Träger buchführungspflichtig sind, müssen grundsätzlich aktiviert werden, soweit es sich um Wertvermehrungen handelt, freilich unter Vorbehalt der Rechte des Steuerpflichtigen zu geschäftsmässigen Abschreibungen und Rückstellungen (Art. 22 lit. b WStB). Gegenstand der Einkommenssteuer ist bei solchen Steuerpflichtigen das sog. "Geschäftseinkommen", der steuerbare Reinertrag oder
BGE 108 Ib 227 S. 230
der "Reinvermögenszugangsüberschuss" (KÄNZIG, Wehrsteuer, 2. Aufl., Art. 21 N. 32). Bei den buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen ist das Problem der Besteuerung der Eigenleistungen, insbesondere auch der Zeitpunkt der Besteuerung, im wesentlichen ein Problem der Aktivierungspflicht im Rahmen der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Grundsätze der Buchführung (M. WETTER, Die Besteuerung des selbstgeschaffenen Vermögenswertes, Diss. Zürich 1972, S. 61/62 mit Hinweisen). Die Erfassung von Eigenleistungen im Rahmen der Besteuerung des Geschäftseinkommens vom Buchführungspflichtigen ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
c) Der Einkommensbegriff im Rahmen der Erwerbstätigkeit von Unselbständigerwerbenden ist vom Begriff des Geschäftseinkommens von Buchführungspflichtigen deutlich zu unterscheiden. Blosse Vermögensveränderungen solcher Unselbständigerwerbender, gleich übrigens wie Vermögensvermehrungen auf den sog. Privatvermögen vom buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB), bilden grundsätzlich kein Einkommen. Der Einkommensbegriff ist im Bereiche des Arbeitseinkommens enger als im Bereiche des Geschäftseinkommens (RYSER, Réflexions sur la notion de revenu, in: Mélanges Henri Zwahlen, Lausanne 1977, S. 665 ff., bes. 669 ff.; derselbe, Dix leçons introductives au droit fiscal, S. 122). Die Eigenleistungen, die ein Unselbständigerwerbender erbringt, können höchstens unter den Begriff des "Einkommens aus einer Tätigkeit" (revenu provenant d'une activité) fallen. Darunter werden aber nach der Rechtsprechung nur solche Einkünfte verstanden, die sich aus einer auf geldwerten Erwerb (Verdienst) gerichteten Tätigkeit des Steuerpflichtigen ergeben, gleichgültig ob diese regelmässig bzw. wiederkehrend oder nur einmal ausgeübt wird (
BGE 104 Ib 166
E. 1,
BGE 96 I 658
E. 1). Erfasst werden auch bei diesen Steuerpflichtigen insbesondere Einkünfte aus Liegenschaftsverkäufen, die über die gewöhnliche Liegenschaftsverwaltung hinausgehen; diesbezüglich liegt eine auf Gelderwerb ausgerichtete nebenberufliche Tätigkeit vor (
BGE 104 Ib 166
ff., KÄNZIG, a.a.O., 2. Aufl., Art. 21 WStB, N. 43 ff., 260 ff.). Deshalb betreibt der Unselbständigerwerbende, der ein Haus für den Weiterverkauf mit Eigenleistungen erbaut, einen der Einkommenssteuer unterliegenden Nebenerwerb; das Einkommen wird freilich erst im Zeitpunkt der Veräusserung erzielt, wenn der Mehrwert in einen Geldgewinn umgewandelt wird. Der Steuerpflichtige, der dagegen ein Haus zur Selbstbenutzung
BGE 108 Ib 227 S. 231
mit Eigenleistungen erbaut, hat bei dessen Erstellung keine auf geldwerten Erwerb ausgerichtete Tätigkeit ausgeübt und somit kein Einkommen im Sinne des WStB erzielt.
d) Die meisten Urteile des Bundesgerichtes hinsichtlich der Besteuerung von Eigenleistungen betrafen buchführungspflichtige Selbständigerwerbende (Entscheide vom 8. November 1968 und 6. Februar 1970 in ASA 38, S. 368 ff., bzw. ASA 39, S. 428 ff.); im Entscheid vom 21. Dezember 1977 (ASA 47, S. 418 ff.) ging es um die Besteuerung der Eigenleistungen eines Architekten mit Bezug auf Liegenschaften, für deren Verkauf er als Liegenschaftshändler betrachtet wurde; dort wurde angenommen, die Eigenleistungen seien im Zeitpunkt der Veräusserung der Liegenschaften steuerpflichtig. Gleichzeitig wurde jedoch beigefügt (ohne dass dies für die Entscheidung notwendig gewesen wäre), bei Vermögenswerten für den Eigengebrauch, die durch eigene Leistung geschaffen werden, gelte als Zeitpunkt der Besteuerung die Herstellung. Dies kann jedoch jedenfalls bei Arbeiten für den privaten Eigengebrauch nicht zutreffen. Massgebend muss vielmehr sein, ob der Beschwerdeführer sein Haus für den Wiederverkauf oder für den langfristigen Eigengebrauch gebaut hat (vgl. vorne E. 2c). Wäre ersteres beim Beschwerdegegner der Fall, so wäre ein beim Verkauf der Liegenschaft erzielter Gewinn als Erwerbseinkommen zu erfassen, soweit der Gewinn auf die Eigenleistung zurückzuführen ist. Da dies aber vorliegend nach den gesamten Umständen nicht anzunehmen ist, drängt sich der Schluss auf, der Beschwerdegegner habe mit seinen Eigenleistungen weder Arbeitseinkommen noch Geschäftseinkommen realisiert. Die von ihm geschaffene Vermögensvermehrung kann nicht von Art. 21 WStB erfasst werden.
Sollte der Beschwerdegegner sein Haus in naher Zukunft entgegen seiner heutigen Absicht doch verkaufen, so wird dannzumal zu prüfen sein, ob er für den Gewinn entsprechend der Rechtsprechung von
BGE 104 Ib 166
ff. steuerpflichtig wird. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
530dbb03-a5b8-4d3c-b7cb-83edf83a2033 | Urteilskopf
111 IV 87
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. März 1985 i.S. H. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1.
Art. 3 Abs. 2 und 4 SVG
: Die Einrichtung gebührenpflichtiger Parkplätze stellt eine Verkehrsbeschränkung dar, zu deren Anordnung die Kantone befugt sind (E. 2).
2.
Art. 70 ff. StGB
; Verfolgungsverjährung: Die zürcherische Nichtigkeitsbeschwerde gemäss
§
§ 428 ff. StPO
/ZH ist nach der für den Kassationshof verbindlichen Feststellung des Obergerichtes ein ausserordentliches Rechtsmittel, das die Rechtskraft des im kantonalen Verfahren angefochtenen (in casu einzelrichterlichen) Urteils nicht hemmt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 111 IV 87 S. 87
Am 18. Juni 1981 parkierte H. seinen Personenwagen in der Wilfriedstrasse in Zürich auf einem markierten und mit einer Parkuhr versehenen Parkfeld, ohne die Uhr durch Einwurf der Gebühr von Fr. 0.20 in Gang zu setzen. Nachdem das Polizeirichteramt der Stadt Zürich ihn deswegen am 20. August 1981 mit Fr. 20.-- gebüsst, H. gerichtliche Beurteilung verlangt und der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich den Schuldspruch
BGE 111 IV 87 S. 88
am 26. Februar 1982 bestätigt hatte, hob das Obergericht des Kantons Zürich dieses Urteil am 9. Dezember 1982 auf und wies die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung an den Einzelrichter zurück. Dieser kam der Weisung am 17. Februar 1983 nach, ohne indessen einen Entscheid zu fällen.
Am 2. März 1983 parkierte H. in der Seefeldstrasse in Zürich erneut auf einem markierten Parkplatz, ohne die Parkuhr durch Einwurf der vorgeschriebenen Gebühr in Gang gesetzt zu haben. Nach seiner Bestrafung durch das Polizeirichteramt der Stadt Zürich mit Fr. 40.-- Busse verlangte er erneut eine gerichtliche Beurteilung, worauf der Einzelrichter die beiden Verfahren vereinigte und H. am 8. September 1983 "der wiederholten Widerhandlung gegen
Art. 27 Abs. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 48 Abs. 6 SSV
(Nichtingangsetzen der Parkuhr)" schuldig sprach und mit einer Busse von Fr. 60.-- bestrafte.
Gegen dieses Urteil reichte H. eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ein. Am 24. Oktober 1984 hiess das Obergericht des Kantons Zürich das Rechtsmittel teilweise gut, soweit es den Kostenspruch des Urteils vom 8. September 1983 betraf, den es selber korrigierte. Im übrigen wies es die Beschwerde ab.
H. führt Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichtes sei aufzuheben, soweit damit die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen wurde, und es sei die Sache zu seiner Freisprechung, eventuell zur weiteren Untersuchung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kassationshof weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Gesetzmässigkeit der
Art. 48 Abs. 6 SSV
/1979 und 35 Abs. 3 SSV/1963. Eine Gebührenerhebung sei dem SVG völlig fremd, und die beiden Bestimmungen könnten sich auf keine Delegationsnorm stützen. Zum Erlass von gesetzesvertretenden Verordnungen aber sei der Bundesrat nicht befugt.
Die Rüge hält nicht stand. Die vom Beschwerdeführer bemängelten Verordnungsbestimmungen regeln lediglich das Signal, mit dem gebührenpflichtige Parkplätze zu kennzeichnen sind, und haben in keiner Weise die Gebührenerhebung selber zum Gegenstand. Die Einrichtung gebührenpflichtiger Parkplätze stellt denn auch eine örtliche Verkehrsmassnahme, und zwar eine funktionelle
BGE 111 IV 87 S. 89
Verkehrsbeschränkung im Sinne des
Art. 3 Abs. 4 SVG
dar, zu deren Erlass gemäss Abs. 2 des genannten Artikels die Kantone befugt sind (
BGE 89 I 536
E. 3; s. auch
BGE 108 Ia 113
,
BGE 104 IV 24
), die diese Kompetenz an die Gemeinden delegieren können. Die Frage, ob die Gebühr, welche der Beschwerdeführer beim Parkieren hätte entrichten sollen, eine zureichende gesetzliche Grundlage habe, beurteilt sich demnach anhand der einschlägigen kantonalen Bestimmungen, deren Überprüfung dem Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist. Hierfür ist die staatsrechtliche Beschwerde gegeben (s.
BGE 89 I 535
81 I 180). Dass der Bundesrat aber zur Regelung der im Strassenverkehr geltenden Signale ermächtigt ist, erhellt ohne weiteres aus Art. 5 Abs. 3 und 106 Abs. 1 SVG.
3.
H. macht geltend, der Vorfall vom 18. Juni 1981 sei verjährt. Aus dem angefochtenen Urteil ergebe sich, dass am 26. Februar 1982 ein erster Entscheid hierüber ergangen sei. Dieser sei jedoch vom Obergericht am 9. Dezember 1982 aufgehoben worden, und ein neues erstinstanzliches Urteil sei erst am 8. September 1983 gefällt worden. In diesem Zeitpunkt sei die absolute Verjährung von zwei Jahren eingetreten gewesen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz, welche von einem nicht publizierten Urteil des Bundesgerichts vom 23. November 1981 i.S. L. M. c. Statthalteramt Uster ausgehe und die Verfolgungsverjährung während der Hängigkeit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde nicht laufen lasse, sei bundesrechtswidrig. Nach früherer richtiger Praxis des Obergerichts Zürich (ZR 73/1974 Nr. 36) und des Bundesgerichts (
BGE 69 IV 106
) laufe die Verfolgungsverjährung auch während eines kantonalen Kassationsverfahrens, sofern der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde von Amtes wegen Suspensiveffekt zukomme. In ZR 77/1978 Nr. 63 habe das Obergericht eine Praxisänderung vollzogen, ohne sich mit der früheren Argumentation auseinanderzusetzen, wonach bei einem einzelrichterlichen Urteil, gegen das eine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen wurde und das deshalb nicht vollstreckbar sei, nicht von einem abschliessenden, das kantonale Verfahren beendenden Entscheid die Rede sein könne. Im angeführten nicht veröffentlichten Urteil habe das Bundesgericht zwar die Praxis des Obergerichts geschützt. Es sei dabei aber von völlig falschen Voraussetzungen bezüglich der "Wirkungen der Ergreifung der kantonalrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde im Kanton Zürich" ausgegangen; es habe fälschlicherweise angenommen, beim Urteil
BGE 111 IV 87 S. 90
des Einzelrichters in Strafsachen handle es sich - ungeachtet der Ergreifung des Rechtsmittels der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde - um einen vollstreckbaren, das kantonale Verfahren abschliessenden Entscheid. Das stehe jedoch in klarem Widerspruch zu
§ 429 Abs. 1 StPO
/ZH. Für die Beurteilung der Verjährungsfrage sei einzig darauf abzustellen, ob bis zum Ablauf der absoluten Verjährungsfrist ein vollstreckbar gewordenes Urteil ergangen sei. Erst mit der Fällung eines vollstreckbaren oder vollstreckbar werdenden Urteils finde das kantonale Verfahren seinen Abschluss und höre der Lauf der Verfolgungsverjährung auf. Das sei beim Entscheid des Einzelrichters vom 26. Februar 1982 nicht der Fall gewesen. Es sei somit daran festzuhalten, dass die Verfolgungsverjährung, die am 18. Juni 1981 begonnen habe, am 18. Juni 1983 abgelaufen sei, weil in dieser Zeit nie ein vollstreckbar gewordenes Urteil ergangen sei. Zur Zeit des einzelrichterlichen Urteils vom 8. September 1983 sei die Verfolgungsverjährung bereits eingetreten gewesen. Selbst wenn man jedoch mit
BGE 105 IV 98
auf die oberinstanzliche Kognitionsbefugnis abstellen wollte, wäre das Ergebnis dasselbe. Anders als die im genannten Entscheid behandelte Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Neuenburger StPO gebe die zürcherische Nichtigkeitsbeschwerde dem Obergericht die Möglichkeit, selber einen neuen Entscheid zu fällen (§ 437) und somit einen in unterer Instanz Verurteilten freizusprechen. Es komme also dem zürcherischen Rechtsmittel ein sehr erheblicher Devolutiveffekt zu.
a) Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass die erste der ihm zur Last gelegten Übertretungen, die am 18. Juni 1981 begangen wurde, am 17. Juni 1983 absolut verjährt war, wenn die Verjährungsfrist während des kantonalen Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens nicht geruht haben sollte. Bezüglich der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde hat der Kassationshof in langjähriger Rechtsprechung entschieden, dass dieses ausserordentliche Rechtsmittel - unter Vorbehalt seiner Einlegung durch den öffentlichen oder einen privaten Ankläger (
BGE 105 IV 309
ff.,
BGE 97 IV 156
f.) - die Verfolgungsverjährung, die mit dem letztinstanzlichen kantonalen Entscheid aufhörte, nicht in Gang setzt. Nur wenn der Kassationshof in Gutheissung der vom Verurteilten eingereichten Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene kantonale Urteil aufhebt und die Sache zur Fortsetzung der Strafverfolgung an das kantonale Gericht zurückweist, beginnt die Verfolgungsverjährung wieder und läuft der noch nicht abgelaufene Teil derselben
BGE 111 IV 87 S. 91
von der Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils an weiter (
BGE 92 IV 173
mit Verweisungen).
b) Diese Grundsätze hat das Bundesgericht auch auf der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde analoge kantonale kassatorische Rechtsmittel übertragen (
BGE 96 IV 53
E. 3;
BGE 105 IV 98
: Kassationsbeschwerde NE; das nichtveröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 23. November 1981 i.S. L. M.: Nichtigkeitsbeschwerde ZH). Dabei hat das Bundesgericht es für die Beantwortung der Frage, ob ein erstinstanzliches kantonales Urteil den Lauf der Verfolgungsverjährung beende, als massgeblich erachtet, ob dieses in formelle Rechtskraft erwächst; denn das Ende der Verfolgungsverjährung hängt nicht von der Vollstreckbarkeit des Urteils, sondern von dessen formeller Rechtskraft ab (
BGE 105 IV 98
in Verbindung mit 310). Diese aber tritt ein, wenn das unterinstanzliche kantonale Urteil nur mit einem ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angefochten werden kann, und ein solches ist gegeben, wenn ihm überwiegend der Devolutiveffekt abgeht. Entscheidend ist demnach der Umfang der oberinstanzlichen Kognitionsbefugnis (s. hierzu SCHULTZ, ZBJV 117/1981 S. 24). Diese wird durch das kantonale Verfahrensrecht bestimmt, dessen Auslegung durch den kantonalen Richter das Bundesgericht bindet (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
).
c) Im vorliegenden Fall stellt das Obergericht unter Berufung auf seine seit 1978 bestehende Praxis (ZR 77/1978 Nr. 63) fest, die in der zürcherischen StPO geregelte Nichtigkeitsbeschwerde sei ein ausserordentliches Rechtsmittel, das keine freie und volle Überprüfung des Prozessstoffes zulasse, vielmehr bei Gutheissung bloss die Aufhebung rechtskräftiger Entscheide bezwecke, auch wenn es in beschränktem Umfang reformatorische Wirkungen habe. Davon hat der Kassationshof auszugehen, und es steht dem Beschwerdeführer nicht zu, die Auslegung des kantonalen Verfahrensrechts durch die Vorinstanz als unrichtig zu bemängeln. Im übrigen bestehen - wie das Bundesgericht in dem oben angeführten nichtveröffentlichten Urteil i.S. L. M. entschieden hat - keine überzeugenden dogmatischen Gründe, die eigene Rechtsprechung betreffend den Einfluss ausserordentlicher Rechtsmittel auf den Lauf der Verfolgungsverjährung zu ändern. Solche werden auch vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Seine Argumentation stützt sich zur Hauptsache auf die fehlende Vollstreckbarkeit des einzelrichterlichen Entscheides. Damit übersieht er jedoch, dass es nach der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichts
BGE 111 IV 87 S. 92
nicht hierauf, sondern auf den Charakter des Rechtsmittels und dessen Wirkungen auf die formelle Rechtskraft des angefochtenen Entscheides ankommt (s. auch BGE
BGE 101 IV 395
E. 3). Soweit in der Beschwerde aber auf diesem Boden gefochten und geltend gemacht wird, es bestehe zwischen der in
BGE 105 IV 100
erwähnten Kassationsbeschwerde des Neuenburger Strafprozessrechts und der zürcherischen Nichtigkeitsbeschwerde ein wesentlicher Unterschied, so ist dem entgegenzuhalten, dass nach den im genannten Urteil enthaltenen Feststellungen des Neuenburger Kassationshofes das neuenburgische Rechtsmittel seinerseits kein rein kassatorisches ist, sondern eine Mischung von Kassation und Berufung darstellt, indem auch hier der Kassationsrichter in beschränktem Umfang selber ein neues Urteil fällen kann. Selbst wenn aber der Devolutiveffekt der zürcherischen Nichtigkeitsbeschwerde etwas weiter reichen sollte als derjenige der neuenburgischen Kassationsbeschwerde, müsste es für den Kassationshof dabei sein Bewenden haben, dass die Vorinstanz das bei ihr eingelegte Rechtsmittel als ein ausserordentliches bezeichnet, das dem Eintritt der formellen Rechtskraft des einzelrichterlichen Urteils nicht entgegensteht (s.
BGE 107 IV 2
).
Ist dem aber so, hat die Verfolgungsverjährung bezüglich der ersten dem Beschwerdeführer zur Last fallenden Übertretung mit dem Urteil des Einzelrichters vom 26. Februar 1982 ihr vorläufiges Ende genommen und ist sie erst wieder durch das obergerichtliche Urteil vom 9. Dezember 1982 in Gang gesetzt worden. Dass unter diesen Prämissen die vom Obergericht angestellte Berechnung unrichtig sei, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Geht man aber von dieser aus, ist die vorinstanzliche Annahme, die absolute Verfolgungsverjährung sei am 8. September 1983 noch nicht eingetreten gewesen, nicht zu beanstanden. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
531259a5-0610-40be-adeb-ff22683f6e13 | Urteilskopf
95 I 276
39. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Mai 1969 i.S. Bank Paravicini AG. gegen Eidgen. Amt für das Handelsregister. | Regeste
Verwaltungsgerichtliche Beschwerde gegen die Nichtbewilligung der für eine Aktiengesellschaft vorgesehenen Firma.
1. Beschwerdefähiger Entscheid (Erw. 1a).
2. Beschwerdelegitimation der Gründer einer noch nicht eingetragenen Aktiengesellschaft (Erw. 1 b).
3. Frage der Zulässigkeit der Firma "International Bank of Berne" (Erw. 2-9). | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 95 I 276 S. 276
A.-
Die Bank Paravicini AG in Bern gründete am 23. De zember 1968 zusammen mit sechs amerikanischen, englischen und kanadischen Industrieunternehmen eine Bank mit Sitz in Bern mit einem Aktienkapital von 22 Millionen Franken. Der Zweck der Gesellschaft wird in Art. 2 der Statuten wie folgt umschrieben:
"Der Geschäftsbereich der Gesellschaft umfasst insbesondere:
1. Annahme von Geldern in jeder Form, besonders gegen Obligationen, Schuldverpflichtungen, Termingelder und im Kontokorrent, indessen unter Ausschluss von Spareinlagen.
2. Das Kreditgeschäft in jeder Form, besonders aber Gewährung gedeckter und ungedeckter Kredite, Diskont- und Wechselkredite.
3. Devisengeschäfte und Handel in fremden Noten.
4. An- und Verkauf von Wertschriften, Wertgegenständen, Edelmetallen und Waren für fremde und eigene Rechnung sowie deren Aufbewahrung.
BGE 95 I 276 S. 277
5. Übernahme und Vermittlung sowie Beteiligung an Emissionen in Form von Aktien, Obligationen und Schuldverschreibungen.
6. Gründung, Geschäftsführung und Verwaltung anderer Gesellschaften für eigene und fremde Rechnung.
Der Geschäftsbereich erstreckt sich auf die Schweiz sowie insbesondere auf Westeuropa, USA und Kanada.
Die Gesellschaft ist berechtigt, Liegenschaften zu erwerben, zu belasten und zu verkaufen. Die Gesellschaft ist befugt, sich an andern Gesellschaften zu beteiligen".
Die Bank Paravicini AG ersuchte für sich sowie im Namen der Mitgründer der im Handelsregister noch nicht eingetragenen Gesellschaft das Eidg. Amt für das Handelsregister, dieser die Führung der Firma "International Bank of Berne" zu bewilligen.
Das Amt verweigerte die nachgesuchte Bewilligung am 13. Dezember 1968. Ebenso wies es ein Wiedererwägungsgesuch am 10. Januar 1969 mit folgender Begründung ab: Die Wortkombination "International Bank" erwecke beim Durchschnittsleser die Vorstellung, es handle sich um eine Bank von international hervorragender Bedeutung und mit internationaler Streuung der üblichen Banktätigkeit. Das treffe auf das geplante Unternehmen nicht zu. Dieses solle sich nach den Angaben der Gesuchstellerin in erster Linie seinen Grossaktionären für Finanzierungsaufgaben zur Verfügung stellen. Da diese Kundschaft aus ausländischen Gesellschaften bestehe, liege zwar eine internationale Geschäftstätigkeit vor, aber dieser komme wegen des nur beschränkten Kundenkreises keine international hervorragende Bedeutung zu, die sich mit derjenigen einer für derartige Geschäfte spezialisierten Grossbank vergleichen liesse. Die in Aussicht genommene Firma hätte daher täuschenden Charakter und sei somit gemäss
Art. 944 OR
unzulässig.
B.-
Gegen die Verfügung vom 10. Januar 1969 hat die Bank Paravicini AG am 16. Januar 1969 verwaltungsgerichtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragt dem Bundesgericht, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und der von ihr zusammen mit andern Aktionären am 23. Dezember 1968 gegründeten Bank zu gestatten, die Firma "International Bank of Berne" zu führen.
C.-
Das Eidg. Amt für das Handelsregister beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
BGE 95 I 276 S. 278
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 107 OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde innert 30 Tagen vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Entscheides an einzureichen. Angefochtener Entscheid im Sinne dieser Vorschrift ist im vorliegenden Fall nicht die Verfügung des Amtes vom 13. Dezember 1968, sondern diejenige vom 10. Januar 1969. Denn mit dieser ist das Amt auf das Wiedererwägungsgesuch gegen seine erste Verfügung, mit dem teilweise neue Argumente vorgebracht wurden, eingetreten und hat einen neuen, beschwerdefähigen Sachentscheid gefällt. Die am 16. Januar 1969 eingegangene Beschwerde ist daher fristgerecht erhoben worden (
BGE 91 I 361
Erw. 1 und dort erwähnte Entscheide).
b) Die Beschwerdeführerin erachtet sich als zur Beschwerde legitimiert, weil sie selber Aktionärin und Vertreterin der übrigen Aktionäre der neu gegründeten, im Handelsregister noch nicht eingetragenen Aktiengesellschaft sei.
An sich ist der Aktionär jedoch nicht befugt, namens der Gesellschaft zu handeln. Diese wird durch ihre statutarischen Organe, also durch die zeichnungsberechtigten Mitglieder der Verwaltung, vertreten (
Art. 717 ff. OR
). Die Aktiengesellschaft erwirbt die Rechtspersönlichkeit jedoch erst mit ihrer Eintragung im Handelsregister (
Art. 643 Abs. 1 OR
). Handlungen, die von Gründern oder Aktionären namens der Gesellschaft vor der Eintragung vorgenommen werden, verpflichten nur sie persönlich und solidarisch (
Art. 645 Abs. 1 OR
). Die Beschwerdeführerin hat nun zwar ihre Behauptung, sie sei Gründerin und Aktionärin der Gesellschaft und vertrete die Mitgründer, in keiner Weise belegt. Darüber kann indessen hinweggesehen werden. Denn zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach
Art. 103 Abs. 1 OG
berechtigt, wer in dem angefochtenen Entscheid als Partei beteiligt war oder durch ihn in seinen Rechten verletzt worden ist. Nach Lehre und Rechtsprechung bilden die Gründer einer Aktiengesellschaft bis zu deren Eintragung eine einfache Gesellschaft (
BGE 85 I 131
Erw. 1; SIEGWART,
Art. 645 OR
N. 14) und sind, wenn sie im vorinstanzlichen Verfahren als Partei zugelassen worden waren, formell zur Beschwerde legitimiert (
BGE 85 I 131
Erw. 1,
BGE 84 I 85
Erw. 1 und dort erwähnte Entscheide). Vorliegend ist allerdings, im Gegensatz zu den eben erwähnten Fällen, die Beschwerde nur
BGE 95 I 276 S. 279
von einem der Gründer im eigenen Namen und als angeblicher Vertreter der Mitgründer eingereicht worden. Auf Grund von
Art. 543 Abs. 2 und 3 OR
ist jedoch zu vermuten, er sei ermächtigt, die Mitgründer Dritten gegenüber zu vertreten. Da die Gründer die für die Erlangung der Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft erforderlichen Schritte zu unternehmen haben, sind sie auch sachlich legitimiert, um die Eintragung der von ihnen gewählten Firma nachzusuchen und gegen die Verweigerung derselben durch die Registerbehörden Beschwerde zu führen.
2.
Nach der Rechtsprechung ist das Wort "international" keine nationale oder territoriale Bezeichnung und untersteht daher nicht den für solche in
Art. 944 Abs. 2 OR
sowie
Art. 45 und 46 HRegV
aufgestellten Sondervorschriften (
BGE 87 I 306
Erw. 1). Es besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, die weder von der Beschwerdeführerin noch vom Amt beanstandet wird.
3.
Jede Firma darf Angaben enthalten, die auf die Natur des Unternehmens hinweisen, doch müssen sie wahr sein, zu keiner Täuschung Anlass geben und keinen öffentlichen Interessen zuwiderlaufen (
Art. 944 Abs. 1 OR
,
Art. 38 Abs. 1 HRegV
). Bezeichnungen, die nur der Reklame dienen, dürfen in eine Firma nicht aufgenommen werden (
Art. 44 Abs. 1 HRegV
). Denn die Firma dient nur dazu, ihren Inhaber von andern zu unterscheiden, und ist nicht bestimmt, für sein Unternehmen Reklame zu machen, es als wichtig, gross oder leistungsfähig hervorzuheben (
BGE 87 I 309
,
BGE 79 I 176
,
BGE 69 I 123
).
Auf die Natur des Unternehmens weisen z.B. Zusätze über sein Arbeitsgebiet, die Art seines Betriebes oder seiner Geschäftstätigkeit hin. Das Wort "international" kann daher an sich Bestandteil einer Firma bilden; denn es ist geeignet, über die Bedeutung des Unternehmens oder seine Struktur auszusagen, oder es kann darauf hindeuten, dass das damit gekennzeichnete Unternehmen in mehreren Staaten Mitglieder, Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten hat oder dass seine Leistungen sich über die Staatsgrenzen hinaus erstrecken oder in mehreren Ländern erhältlich sind (
BGE 87 I 307
Erw. 2).
4.
Ob eine Firma täuschend oder reklamehaft wirkt, ist nach dem Eindruck zu entscheiden, den sie beim Durchschnittsleser hervorruft. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, es komme nur darauf an, wie die zukünftige, aus erfahrenen
BGE 95 I 276 S. 280
Geschäftsleuten bestehende Kundschaft des Unternehmens die streitige Bezeichnung auffasse, ist unrichtig. Vor Täuschungen geschützt werden soll das Publikum schlechthin, d.h. alle jene, die in irgendeiner Weise mit dem Unternehmen in geschäftliche Beziehung kommen oder kommen könnten (
BGE 92 I 303
oben).
Bei der Bezeichnung "International Bank" bezieht sich das Attribut "international" eindeutig auf das Bankinstitut als solches. Es werden nicht bestimmte Bankgeschäfte, die das Unternehmen durchführen soll, als internationale hingestellt oder auf Finanzgeschäfte auf internationaler Ebene oder mit ausländischer Kundschaft hingewiesen. Die Beschwerdeführerin glaubt daher zu Unrecht, aus der Zulassung der Firmen "Bank für internationalen Handel AG" oder "Banque de Crédit international" etwas zu ihren Gunsten ableiten zu können; denn in den beiden genannten Fällen werden mit dem Wort "international" nähere Angaben über die Natur der Geschäftstätigkeit verbunden.
5.
Nach der Umschreibung des Zweckes in Art. 2 der Statuten soll das geplante Unternehmen die üblichen Bankgeschäfte tätigen, ausgenommen das Sparkassengeschäft. Abgesehen vom Hinweis, dass sich der Geschäftsbereich auf die Schweiz, Westeuropa, USA und Kanada erstrecke, lässt sich der Umschreibung nichts entnehmen, was nicht üblicherweise als Zweck einer Bank im Handelsregister eingetragen wird. Die Tatsache allein, dass sich die Geschäftstätigkeit über die Landesgrenzen hinaus erstreckt, ist bei grösseren Banken keine Besonderheit. Geschäfte mit ausländischen Kunden werden jedoch im Bankgewerbe nicht zum Anlass genommen, um die Bank als solche als internationale zu bezeichnen. Von einem Unternehmen, das in der Firma sich oder seiner Tätigkeit ein internationales Gepräge zuschreibt, wird vorausgesetzt, dass dieses seinem ganzen Wesen entspreche, es vom Durchschnitt anderer im Handelsregister eingetragener Betriebe unterscheide (
BGE 87 I 308
oben). Die Bezeichnung "International Bank" wäre daher nur dann gerechtfertigt, wenn sich das Unternehmen sowohl seiner Struktur als seiner wirtschaftlichen Bedeutung nach von den andern grösseren Banken mit internationalem Geschäftsbereich unterscheiden würde. Das trifft auf das geplante Bankinstitut nicht zu.
Auch der Umstand, dass die Aktionäre zum grössten Teil ausländische Unternehmen sind, ist unerheblich. Eine Aktiengesellschaft
BGE 95 I 276 S. 281
gilt nach landläufiger Auffassung firmenrechtlich nicht schon dann als "international", wenn Angehörige verschiedener Staaten Aktionäre sind oder dem Verwaltungsrat neben Schweizern auch Ausländer angehören (
BGE 87 I 310
).
Da sich in Bern Niederlassungen verschiedener Grossbanken befinden, deren Geschäftstätigkeit sich auch auf das Ausland erstreckt, würde ein Bankinstitut mit der Firma "International Bank of Berne" aus dem Kreise der Konkurrenzunternehmen besonders hervorgehoben. Hiefür fehlen jedoch dem geplanten Unternehmen die sachlichen Voraussetzungen. Die Firma hat daher reklamehaften Charakter und ist geeignet, beim Publikum die Vorstellung zu erwecken, man habe es mit einer Bank von internationaler Bedeutung zu tun, wie sie auf dem Platze Bern bei andern Banken nicht anzutreffen sei. Es liegt somit offensichtlich eine Täuschungsgefahr im Sinne des
Art. 944 OR
vor.
6.
Stellt man nicht auf den in den Statuten angegebenen Gesellschaftszweck ab, sondern zieht man die Bankgeschäfte in Betracht, die nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin tatsächlich beabsichtigt sind, so ist die gewählte Firmabezeichnung erst recht täuschend. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin wird die neue Bank keine Privatkunden-Konten führen und sich auch in der Schweiz nicht öffentlich zur Annahme fremder Gelder empfehlen. Die verschiedenen Grossaktionäre sollen mit ihren Tochtergesellschaften, Vertretungen usw. die alleinigen Kunden der Bank sein. Das Unternehmen soll grössere Finanzierungen und Kreditgeschäfte auf den Eurodevisenmärkten durchführen und dabei den finanziellen Bedürfnissen der Tochtergesellschaften ihrer ausländischen Grossaktionäre dienen. Diese Angaben zeigen, dass das neue Unternehmen sich ausschliesslich ganz bestimmten Bankgeschäften mit einer eng umgrenzten ausländischen Kundschaft widmen soll. Eine solche auf einen engen Bereich der üblichen Bankgeschäfte beschränkte Tätigkeit steht im Widerspruch zu der Firma "International Bank", die den Eindruck erweckt, es handle sich um eine Bank mit umfassender Geschäftstätigkeit und von internationaler Bedeutung.
7.
Die gewählte Firma ist aber auch aus einem weiteren Grunde täuschend. Sie kann die Vorstellung erwecken, sie bezeichne eine amtliche oder halbamtliche zwischenstaatliche Organisation, die zur Finanzierung durch mehrere Staaten gemeinsam geplanter Vorhaben dienen soll. Diese Annahme
BGE 95 I 276 S. 282
liegt nahe in Anbetracht der Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten gerade auch im Gebiete des Bankwesens solche überstaatliche Gebilde geschaffen wurden, wie die "Bank für Internationalen Zahlungsausgleich" (BIZ) in Basel oder die "International Bank for reconstruction and development" (Weltbank) in Washington. Die Gefahr einer solchen Annahme wird noch dadurch verstärkt, dass die streitige Firma in englischer Sprache abgefasst ist, die für solche Organisationen häufig verwendet wird.
8.
Zu beanstanden ist sodann auch der Firmabestandteil "of Berne". Zwar bedürfen territoriale Zusätze in substantivischer Form, die zur Bezeichnung des Sitzes der Firma dienen, gemäss
Art. 46 Abs. 3 HRegV
keiner Bewilligung, wie
Art. 45 und 46 HRegV
sie für nationale, territoriale oder regionale Zusätze allgemein vorschreiben. Allein das bedeutet nicht, dass sie unter allen Umständen zulässig sind. Es muss aus dem substantivischen Zusatz klar ersichtlich sein, dass die Ortschaftsangabe den Geschäftssitz bezeichnet und nicht anders aufgefasst werden kann (HIs,
Art. 944 OR
N. 134). Das trifft auf die Präposition "of" (deutsch: "von", französisch: "de") nicht zu. Sie gibt nicht Antwort auf die Frage "wo?", wie dies bei der englischen und deutschen Präposition "in" und der französischen "à" der Fall wäre, sondern kennzeichnet vielmehr ein Zugehörigkeits- oder Herkunftsverhältnis. Der Zusatz "of Berne" kann daher zur Auffassung verleiten, es handle sich bei dem Unternehmen um ein Bankinstitut der öffentlichen Hand, sei es des Kantons oder der Gemeinde, wie dies z.B. bei der Firma "Kantonalbank von Bern" der Fall ist.
9.
Die Beschwerdeführerin macht schliesslich noch geltend, die beanstandete Firma sei gerade im Hinblick auf die damals im Entwurf vorliegenden Vorschriften über die Zulassung ausländisch beherrschter Banken gewählt worden, wonach der ausländische Charakter einer Bank in der Firmabezeichnung zum Ausdruck kommen müsse.
Es trifft zu, dass der bundesrätliche Entwurf vom 13. November 1968 für einen Bundesbeschluss über die Bewilligungspflicht für ausländisch beherrschte Banken in Art. 1 Abs. 1 lit. b vorschrieb, in der Firma müsse auf den ausländischen Charakter der Bank hingewiesen werden. Diese Vorschrift wurde nach längerer Diskussion in den eidgenössischen Räten dahin abgeändert, dass keine Firma verwendet werden dürfe, die auf
BGE 95 I 276 S. 283
einen schweizerischen Charakter der Bank hinweise oder auf einen solchen schliessen lasse. Aus der Botschaft des Bundesrates (BBl 1968 II S. 763) wie auch aus den Verhandlungen in den Räten ergibt sich aber auf jeden Fall, dass die in
Art. 45 und 46 HRegV
aufgestellten Anforderungen in bezug auf die Firmen von Bankunternehmen nicht abgeschwächt, sondern gegenteils verschärft werden sollten.
Die Bezeichnung "International Bank of Berne" enthält nun nichts, das aufeinen ausländischen Charakter des Unternehmens hinweist. Sie lässt im Gegenteil darauf schliessen, es handle sich um eine in Bern niedergelassene schweizerische Bank, die sich mit Bankgeschäften internationalen Charakters befasse, während sie in Wirklichkeit von ausländischen Unternehmen beherrscht wird. Die Firmabezeichnung wird somit den mit dem genannten Bundesbeschluss verfolgten Bestrebungen entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführerin in keiner Weise gerecht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
5314acc1-70fe-4670-bac2-b015eb879c89 | Urteilskopf
108 IV 142
34. Urteil der Anklagekammer vom 27. September 1982 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 346 Abs. 2 und
Art. 350 Ziff. 1 StGB
.
Bestimmung des Gerichtsstandes beim Zusammentreffen eines einfachen Betrugs mit gewerbsmässig begangenen Betrügereien. | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 108 IV 142 S. 142
A.-
L. wird beschuldigt, am 3./24. Juli 1981 in Hegnau- Volketswil einen Betrug und in der Zeit vom 9. Oktober bis 26. November 1981 acht vollendete und versuchte Kreditbetrüge begangen zu haben, welch letztere nach der gegenwärtigen Aktenlage als gewerbsmässige Betrugshandlungen erscheinen. Des weiteren werden L. siebzehn Diebstähle zur Last gelegt.
Wegen des in Hegnau-Volketswil verübten Betrugs war am 14. August 1981 bei der Polizei in Winterthur-Töss Strafanzeige erstattet worden, während die die übrigen Delikte betreffenden Ermittlungen später einsetzten und von der Kantonspolizei Aargau geführt wurden.
B.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, die sich erfolglos um die Übernahme des Verfahrens durch die Zürcher
BGE 108 IV 142 S. 143
Behörden bemüht hatte, stellt mit Eingabe vom 10. September 1982 bei der Anklagekammer des Bundesgerichts das Gesuch, es seien die Strafbehörden des Kantons Zürich gemäss
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zur Verfolgung und Beurteilung der L. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zuständig zu erklären.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung des Gesuchs.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Im vorliegenden Fall ist für die Bestimmung des Gerichtsstandes von den gewerbsmässig verübten Betrugshandlungen auszugehen, die ein Kollektivdelikt bilden und als solche mit schwererer Strafe bedroht sind als alle übrigen dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten (
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
). Da das gewerbsmässige Delikt - unbesehen seiner rechtlichen Einheit - sich aus mehreren Handlungen zusammensetzt, die an verschiedenen Orten in verschiedenen Kantonen begangen worden sein können, gilt es als überall dort verübt, wo der Täter Ausführungshandlungen vorgenommen hat (
Art. 346 StGB
,
BGE 91 IV 170
).
Im vorliegenden Fall wurden die nach der Aktenlage als gewerbsmässig erscheinenden acht Kreditbetrüge teils im Kanton Aargau, teils im Kanton Zürich verübt.
In Anwendung von
Art. 346 Abs. 2 StGB
sind deshalb die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde (s.
BGE 86 IV 63
E. 2). Das war hier - sofern man nur die acht in der Zeit von Oktober bis November 1981 verübten und wegen der Gewerbsmässigkeit ihrer Ausführung als Einheit zu erfassenden Kreditbetrüge in Betracht zieht - unzweifelhaft im Kanton Aargau der Fall.
2.
Die aargauische Staatsanwaltschaft stellt sich indessen auf den Standpunkt, der am 3./24. Juli 1981 im Kanton Zürich begangene Betrug (betrügerisches Erlangen und nachheriger Verkauf eines Mietwagens) falle nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ebenfalls in den Rahmen des Kollektivdelikts, und es seien damit die Behörden des Kantons Zürich zur Verfolgung und Beurteilung von L. zuständig, weil wegen dieses Deliktes schon am 14. August 1981 bei der Kantonspolizei Winterthur-Töss Anzeige erstattet worden sei.
Es trifft zu, dass das Bundesgericht hinsichtlich der gewerbsmässigen Abtreibung erklärt hat, diese umfasse auch die vereinzelten
BGE 108 IV 142 S. 144
Fälle, in denen der Täter nicht wegen des Erwerbs, sondern aus Gefälligkeit abgetrieben oder abzutreiben versucht habe, und es sei für eine besondere Schuldigerklärung wegen vollendeter und versuchter einfacher Abtreibung neben derjenigen wegen gewerbsmässiger Begehung kein Raum (
BGE 71 IV 237
). Dieser Grundsatz wurde in der Folge in einem Betrugsfall mit der Feststellung bestätigt, dass ein Kollektivdelikt sowohl alle gewerbsmässigen wie auch einzelne nicht gewerbsmässige Handlungen umfasse und dass diese Einheit des Kollektivdelikts sich schon bei der Gerichtsstandsbestimmung auswirken müsse (
BGE 105 IV 159
E. 2). Das will aber nicht heissen, dass jedes Mal, wenn in einem Verfahren wie hier ein einfacher, die Qualifikationsmerkmale der Gewerbsmässigkeit nicht aufweisender Betrug mit gewerbsmässig begangenen Betrügereien zusammentrifft, der erstere immer und ohne weiteres in den Rahmen des Kollektivdelikts falle. Vom Kollektivdelikt werden die nicht gewerbsmässigen Handlungen nur erfasst, wenn sie mit den gewerbsmässigen eine Einheit bilden, wenn sie - wie das in
BGE 71 IV 237
zum Ausdruck kommt - als Teilhandlungen des Gewerbes erscheinen. Das aber setzt einen zumindest äusseren Zusammenhang zwischen den gewerbsmässig und den vereinzelten nicht gewerbsmässig verübten Handlungen voraus. Daran gebricht es hier.
Der am 3./24. Juli 1981 in Hegnau-Volketswil begangene Betrug hat keine erkennbare Beziehung zu der im Oktober/November 1981 zum Nachteil von Banken begangenen Betrugsserie. Nach der gegenwärtigen Aktenlage steht er vielmehr zeitlich und nach der Art seines Gegenstandes isoliert da. Bildet er demnach keine Einheit mit den im Herbst 1981 gewerbsmässig verübten Betrugshandlungen, so kommt ihm für die Gerichtsstandsbestimmung gemäss
Art. 346 Abs. 2 StGB
keine Bedeutung zu. Als einfacher Betrug mit geringerer Strafe bedroht als der gewerbsmässige Betrug, fällt er auch als Ansatzpunkt für die örtliche Zuständigkeit nach
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ausser Betracht. Der Kanton Aargau ist daher zur Verfolgung und Beurteilung der L. zur Last gelegten Straftaten zuständig. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
53176428-f2b2-4101-b8ca-9aaa901bf1fc | Urteilskopf
121 IV 249
40. Estratto della sentenza della Corte di cassazione penale del 28 aprile 1995 nella causa A. c. Ministero pubblico del Cantone Ticino (ricorso per cassazione) | Regeste
Art. 123 StGB
; vorsätzliche einfache Körperverletzung beim Eishockey, Sorgfaltspflicht, stillschweigende Einwilligung in das Risiko?
Einfache Körperverletzung anlässlich eines sportlichen Wettkampfes (hier: eines Eishockeyspiels): ob Eventualvorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, hängt unter anderem von der Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung und von der dem Täter bekannten Nähe des Verletzungsrisikos ab; die Sorgfaltspflicht des Spielers bestimmt sich nach den einschlägigen Spielregeln und nach dem allgemeinen Grundsatz "neminem laedere" (E. 3).
Wird eine auch den Schutz der Spieler vor Verletzungen bezweckende Spielregel absichtlich oder in grober Weise missachtet, so darf keine stillschweigende Einwilligung in das der sportlichen Tätigkeit innewohnende Risiko einer Körperverletzung angenommen werden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 121 IV 249 S. 250
A.-
Il 9 gennaio 1993, durante l'incontro di disco su ghiaccio, valido per il campionato di divisione nazionale A, fra l'HC D e l'HC E, si verificava nel corso dell'ottavo minuto del primo tempo uno scontro tra F., intento a proporre un'azione offensiva per la propria squadra, e A., che tentava di ostacolare tale azione. A., procedendo a gambe divaricate in direzione di F., urtava con il proprio ginocchio sinistro la gamba sinistra dell'avversario, che aveva tentato inutilmente di evitare l'impatto. F. cadeva sul ghiaccio senza poter riprendere il gioco a causa della rottura dei legamenti crociati nonché di altre ferite riportate al ginocchio sinistro. Trentadue-trentasei centesimi di secondo prima dello scontro in esame, l'arbitro aveva interrotto la partita a seguito delle reciproche scorrettezze di due altri giocatori. A. veniva sanzionato con una penalità di due minuti per sgambetto ai sensi dell'
art. 636 lett. a del
regolamento ufficiale di gioco della Federazione internazionale di disco su ghiaccio (edizione 1990).
Il 26 gennaio 1993, F., giocatore professionista di nazionalità G., presentava querela penale per lesioni nei confronti di A. Contemporaneamente, egli faceva valere un pretesa civile di fr. 33'733.70. Dal canto suo, l'assicurazione La Ginevrina chiedeva fr. 83'234.40 a titolo di risarcimento.
La Commissione di disciplina della Federazione svizzera di disco su ghiaccio abbandonava, con decisione del 15 febbraio 1993, il procedimento disciplinare contro A., giocatore professionista, alto circa 1,90 m e pesante 90/92 kg, che aveva precedentemente militato nella National Hockey League (NHL). Dagli atti non risulta quale esito abbia avuto il ricorso inoltrato da F. contro tale decisione. Allorché militava ancora nella compagine dell'HC D, A., conosciuto come uno dei giocatori più duri e penalizzati del campionato, era stato squalificato per cinque partite, per avere provocato una rissa unitamente ad un giocatore avversario. In una partita fra le squadre dell'HC H e dell'HC E, successiva a quella del 9 gennaio 1993, egli si è nuovamente scontrato con un giocatore avversario, che è rimasto ferito ai legamenti del ginocchio; per questo fatto la
BGE 121 IV 249 S. 251
Commissione di disciplina della Federazione svizzera di disco su ghiaccio lo ha sospeso per tre partite.
B.-
Con decreto d'accusa del 1o giugno 1993 il Ministero pubblico del Cantone Ticino dichiarava A. colpevole di lesioni semplici ai sensi dell'
art. 123 CP
per avere ferito intenzionalmente F., e lo condannava alla pena di venti giorni di detenzione, sospesi condizionalmente con un periodo di prova di due anni. Le pretese di risarcimento erano rinviate al foro civile.
C.-
Chiamato a pronunciarsi sul caso per l'opposizione del prevenuto al decreto di accusa del Ministero pubblico, il Presidente delle assise correzionali della Leventina in Bellinzona confermava, con sentenza del 25 ottobre 1993, l'accusa di lesioni semplici e condannava A. al pagamento di una multa di fr. 3'000.-. Le richieste di risarcimento venivano rinviate, pure in quest'occasione, al foro civile.
Nella misura in cui era ammissibile, il ricorso inoltrato da A. contro tale decisione è stato respinto dalla Corte di cassazione e di revisione penale (CCRP) del Cantone Ticino con sentenza del 14 giugno 1994.
D.-
A. è insorto con distinti tempestivi atti di ricorso di diritto pubblico e ricorso per cassazione, chiedendo l'annullamento della sentenza impugnata e il rinvio della causa all'autorità cantonale per un nuovo giudizio ai sensi dei considerandi.
Sia il Ministero pubblico del Cantone Ticino sia F. propongono di respingere il ricorso.
E.-
Con decisione di data odierna la Corte di cassazione del Tribunale federale ha respinto, nella misura in cui era ammissibile, il parallelo ricorso di diritto pubblico.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il ricorso per cassazione può essere fondato unicamente sulla violazione del diritto federale; è riservato il ricorso di diritto pubblico per violazione di diritti costituzionali (
art. 269 PP
). La motivazione del ricorso non deve criticare accertamenti di fatto né addurre fatti nuovi né proporre eccezioni ed impugnazioni nuove (
art. 273 cpv. 1 lett. b PP
). La Corte di cassazione del Tribunale federale è vincolata dagli accertamenti di fatto dell'autorità cantonale (
art. 277bis cpv. 1 PP
).
2.
Il ricorrente è stato condannato per lesioni personali semplici nella forma del dolo eventuale.
BGE 121 IV 249 S. 252
a) Secondo gli accertamenti insindacabili dell'autorità cantonale, la volontà iniziale di A. era diretta ad impedire a F. di svolgere un'azione di gioco e, in particolare, di operare una manovra di aggiramento come aveva effettuato già in precedenza e come un giocatore della sua esperienza sapeva fare. Secondo l'autorità cantonale, il ricorrente era inizialmente intenzionato di bloccare F. con un "body-check", impiegando la forza della parte superiore del suo corpo, segnatamente della spalla sinistra; tuttavia, allorché si rendeva conto che tale manovra era destinata all'insuccesso, poiché F. si accingeva ad evitare questo intervento regolare, egli decideva di ricorrere ad un mezzo illecito, in seguito sanzionato dall'arbitro quale "sgambetto". A mente dell'autorità cantonale, il ricorrente aveva infatti allargato sempre più le proprie gambe ed allungato marcatamente e progressivamente il suo ginocchio sinistro, fino ad agganciare la gamba sinistra di F.; in tal modo, egli intendeva fermare l'avversario con ogni mezzo disponibile. L'autorità cantonale ha inoltre accertato che al momento dell'impatto il disco era ormai lontano da F., dato che quest'ultimo, avendo percepito il fischio dell'arbitro, se ne era disinteressato e, malgrado una velocità ancora elevata, aveva assunto una posizione più rilassata. D'altra parte, il ricorrente non voleva né poteva intervenire sul disco, dato che aveva il bastone alzato. L'autorità cantonale è così giunta alla conclusione che il ricorrente, violando gravemente le regole di gioco, ha sgambettato volontariamente l'avversario; essa ha tuttavia escluso, a proposito del ferimento di F., un suo dolo diretto e lo ha pertanto condannato per lesioni semplici nella forma del dolo eventuale.
b) Il ricorrente chiede, innanzitutto, che l'azione incriminata venga esaminata alla luce delle regole di gioco che disciplinano il disco su ghiaccio. Al proposito, egli ritiene di aver commesso una lieve infrazione. A suo avviso, la probabilità di ferire, con il proprio comportamento, il giocatore avversario sarebbe stata, quindi, molto scarsa. Non sussisterebbe pertanto alcun dolo o dolo eventuale; pure una negligenza sarebbe esclusa. Anche se, nella circostanza, fosse ammesso un dolo eventuale o una negligenza, egli potrebbe invocare, a sua giustificazione, l'accettazione del rischio da parte del giocatore avversario.
3.
Chiunque intenzionalmente cagiona un danno in altro modo al corpo o alla salute di una persona, è punito, a querela di parte, con la detenzione (art. 123 n. 1 primo periodo CP). È sufficiente il dolo eventuale.
BGE 121 IV 249 S. 253
Nel caso in esame, è pacifico che il ricorrente ha causato la rottura dei legamenti crociati nonché le ulteriori ferite al ginocchio sinistro del resistente. Dato che tale ferimento è stato unanimemente giudicato come non grave, egli ha quindi realizzato, oggettivamente, il reato di lesioni personali semplici. Per ciò che concerne l'elemento soggettivo del reato, l'autorità cantonale ha escluso un dolo diretto; per contro, essa ha accertato che il ricorrente ha agito con dolo eventuale.
a) Sussiste dolo eventuale laddove l'agente ritiene possibile che l'evento o il reato si produca, e, cionondimeno, agisce, poiché prende in considerazione l'evento nel caso che si realizzi, lo accetta pur non desiderandolo (
DTF 119 IV 1
consid. 5a;
DTF 109 IV 147
consid. 4;
DTF 104 IV 35
consid. 1;
DTF 103 IV 65
consid. I 2; v. GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, AT I, § 9, n. 53 e seg. con rinvii). Chi prende in considerazione l'evento qualora si produca, ossia lo accetta, lo vuole ai sensi dell'
art. 18 cpv. 2 CP
. Non è necessario che l'agente desideri tale evento o lo approvi (
DTF 119 IV 193
consid. 2b cc;
103 IV 65
consid. I 2;
DTF 96 IV 99
).
aa) Ciò che l'agente sapeva, voleva e ha preso in considerazione sono questioni di fatto che non possono, in linea di principio, essere riesaminate nel quadro di un ricorso per cassazione (art. 273 cpv. 1 lett. b
; 277bis cpv. 1 PP
). Tuttavia, il dolo (eventuale), quale fatto interiore, può essere accertato solo in base ad elementi esteriori; ne discende che in quest'ambito, le questioni di fatto e di diritto sono strettamente connesse tra di loro e coincidono parzialmente. Il quesito giuridico se l'autore abbia agito con dolo eventuale può essere risolto solo valutando i fatti accertati dall'autorità cantonale, da cui quest'ultima ha dedotto tale elemento soggettivo. Con riferimento al concetto giuridico di dolo eventuale, il Tribunale federale può pertanto esaminare se sono stati valutati correttamente gli elementi esteriori, in base ai quali è stato accertato che l'agente ha preso in considerazione, ossia ha accettato l'evento o il reato (
DTF 119 IV 1
consid. 5a;
DTF 119 IV 242
consid. 2c e rinvii).
Tra gli elementi esteriori da cui è possibile dedurre che l'agente ha accettato l'evento illecito nel caso che si produca figurano, in particolare, la gravità della violazione del dovere di diligenza e la probabilità, nota all'autore, della realizzazione del rischio. Quanto più grave è tale violazione e quanto più grande tale rischio, tanto più fondata risulterà la conclusione che l'agente, malgrado i suoi dinieghi, aveva accettato l'ipotesi che l'evento considerato si realizzasse (
DTF 119 IV 1
consid. 5a). Per determinare il comportamento, conforme al dovere di
BGE 121 IV 249 S. 254
diligenza, da osservare in una determinata circostanza, segnatamente la diligenza cui soggiace un giocatore di disco su ghiaccio, vanno presi in considerazione i regolamenti concernenti la prevenzione degli incidenti e la sicurezza, come pure le regole di comportamento emanate da associazioni private o semipubbliche, che non costituiscono norme giuridiche (
DTF 120 IV 300
consid. 3d aa;
DTF 118 IV 130
consid. 3a;
DTF 115 IV 189
consid. 3a;
DTF 106 IV 350
consid. 3).
bb) Secondo l'articolo 636 lett. a del regolamento ufficiale dell'Associazione internazionale di disco su ghiaccio (edizione 1990), una penalità minore deve essere inflitta ad ogni giocatore che usi il bastone, il ginocchio, il piede, il braccio, la mano o il gomito in modo tale da far cadere l'avversario. Giusta l'art. 603 lett. a, una penalità di partita deve essere inflitta ad ogni giocatore che tenti di ferire o ferisca intenzionalmente un avversario. Ai sensi dell'art. 609 lett. b, una ferita causata ad un avversario usando scorrettamente i gomiti o le ginocchia deve comportare una penalità maggiore. Gli articoli menzionati mostrano che le regole di gioco non intendono semplicemente disciplinare lo svolgimento della partita, sanzionando la loro violazione con una penalità da scontare durante la partita stessa, bensì pure contribuire alla prevenzione degli incidenti e alla sicurezza dei giocatori, segnatamente proteggere i giocatori da eventuali ferimenti (v. MAX KUMMER, Spielregel und Rechtsregel, 1973, pagg. 23/24; JÖRG REHBERG, Verletzung beim Fussballspiel, Urteilsanmerkung zu BGE 109 IV 102, Recht 1984, pag. 60). In effetti, come testé esposto, lo sgambetto è punito più severamente se vi è stato un tentativo di ferimento del giocatore avversario o se ha causato tale ferimento. Inoltre, l'uso irregolare del ginocchio è considerato quale fonte di particolare pericolo, tant'è che è punito con una pena maggiore. Anche se l'Associazione internazionale di disco su ghiaccio fosse interessata a punire più severamente il ferimento di un giocatore avversario solo per compensare il vantaggio così ottenuto dall'altra squadra, le regole di gioco citate contribuiscono contemporaneamente alla prevenzione degli incidenti ed alla sicurezza dei giocatori, e possono pertanto essere prese in considerazione per stabilire il grado (del dovere) di diligenza cui soggiace un giocatore di disco su ghiaccio.
Dalle regole di gioco illustrate risulta, oltre al precetto di tralasciare ogni sgambetto, un dovere particolare del giocatore di disco su ghiaccio di non effettuare sgambetti con il ginocchio in modo tale da ferire il giocatore avversario. Analogo dovere deriva dal principio generale "neminem
BGE 121 IV 249 S. 255
laedere", secondo cui ciascuno deve comportarsi in modo da evitare di ferire terze persone; ne consegue che ogni pericolo, riconoscibile o prevedibile, di ferimento di un terzo, deve essere evitato o limitato in misura tale da non oltrepassare i limiti oltre i quali il rischio non è più ammissibile (v. GIUSEP NAY, Der Lawinenunfall aus der Sicht des Strafrichters, in: ZGRG 2/1994, pag. 51). Istituendo il reato di lesioni personali semplici (art. 123), anche il legislatore federale ha stabilito un tale dovere. Questa norma è di natura imperativa: essa vale per tutto il territorio statale ed è applicabile ad ogni attività che vi si svolge. Regole di gioco private possono sì completare e chiarire le norme penali statali, ma mai sostituirvisi (v. JÖRG REHBERG, op.cit., pag. 59; v. pure ANDREAS DONATSCH, Gedanken zum strafrechtlichen Schutz des Sportlers, RPS 107/1990, pagg. 409/410; JEAN-MARC SCHWENTER, De la faute sportive à la faute pénale, RPS 108/1991, pag. 334; PIERRE JOLIDON, La responsabilité civile et pénale des boxeurs en droit suisse, Mélanges Assista, 1989, pagg. 34/35). Nella misura in cui il ricorrente fa valere che la violazione delle regole di gioco va sanzionata (esclusivamente) in base al relativo regolamento sportivo, la sua censura è quindi infondata.
b) La Corte di assise ha ritenuto che il ricorrente non poteva ignorare che, nelle circostanze concrete, con il suo comportamento avrebbe potuto ferire l'avversario, qui resistente; essa ne ha dedotto ch'egli ha preso in considerazione ed accettato il rischio, poi effettivamente realizzatosi, di ferire l'avversario. La CCRP ha confermato tale conclusione e negato una violazione del diritto federale. Facendo riferimento alla
DTF 119 IV 1
consid. 5a, essa ha fondato la propria decisione sull'alta probabilità, nota al ricorrente, della realizzazione dell'evento dannoso e sulla grave violazione del dovere di diligenza da parte del medesimo. A suo avviso, il ricorrente, violando crassamente una regola di gioco, segnatamente affrontando l'avversario in maniera altamente fallosa - entrata con ginocchio avanzato e a velocità elevata sugli arti inferiori dell'avversario -, ha manifestato in modo sufficiente di aver preso in seria considerazione il possibile ferimento dell'avversario; secondo i giudici cantonali un simile atteggiamento non può essere interpretato né valutato diversamente.
c) La CCRP ha accertato in modo sufficientemente chiaro che il ricorrente sapeva di poter ferire l'avversario e, ciononostante, ha accettato (implicitamente) che l'evento da lui considerato possibile si realizzasse. Tale conclusione non viola il diritto federale. Dalla sentenza impugnata
BGE 121 IV 249 S. 256
non risulta, invero, perché l'autorità cantonale ha escluso che il ricorrente abbia confidato - tenuto conto, ad esempio, dell'equipaggiamento o dell'allenamento di cui beneficiano i giocatori di disco su ghiaccio - che l'evento incriminato non si producesse. Questa mancanza non è tuttavia suscettibile di inficiare l'accertamento compiuto. In effetti, il ricorrente ha effettuato, a velocità elevata di entrambi i giocatori, uno sgambetto con il ginocchio ai danni del ricorrente. Un tale sgambetto è certamente idoneo, secondo l'andamento generale delle cose e l'esperienza, a provocare una ferita al ginocchio simile a quella subita dal resistente. Il ricorrente, grazie alle sue conoscenze e capacità di sperimentato professionista di disco su ghiaccio, non poteva non sapere che, vista l'elevata velocità con cui i due giocatori si avvicinavano l'un l'altro, tentare di fermare l'avversario con uno sgambetto avrebbe verosimilmente condotto al ferimento di quest'ultimo. Sgambettando di proposito il proprio avversario, il ricorrente non ha unicamente infranto gravemente le regole di gioco citate, bensì pure il dovere di prudenza che tali regole gli imponevano nel frangente. Come correttamente evidenziato dalla CCRP, le circostanze del caso, in particolare la grave violazione del dovere di diligenza commessa nell'occasione e l'alta probabilità, nota al ricorrente, della realizzazione del rischio, non possono essere ragionevolmente interpretate che nel senso ch'egli, quale giocatore professionista, sapeva di poter ferire l'avversario e che, ciononostante, ha preso in considerazione, ossia accettato, il suo ferimento (
DTF 119 IV 1
consid. 5a;
DTF 109 IV 137
consid. 2b). Il fatto, invocato dal ricorrente, ch'egli intendeva (in primo luogo) impedire al resistente di costruire un'azione di gioco pericolosa, è irrilevante. Perché sia dato il dolo eventuale non è infatti necessario che il ricorrente desiderasse o approvasse l'evento (secondario), ossia il ferimento del resistente, ma è bensì sufficiente ch'egli abbia considerato tale evento come la probabile conseguenza del suo intento (primario) e, nondimeno, l'abbia accettato nel caso, poi realmente verificatosi, che si realizzasse.
4.
Un comportamento che adempie la fattispecie di un reato è illecito, e pertanto punibile, nella misura in cui non sussiste un motivo giustificativo legale o extralegale (v. ROBERT HAUSER/JÖRG REHBERG, Strafrecht I, 1993, pag. 123). Il ricorrente invoca, a sua discolpa, il principio "volenti non fit iniuria" nel senso dell'accettazione del rischio inerente alla disciplina del disco su ghiaccio. A suo avviso, ogni giocatore di disco su ghiaccio accetta (tacitamente) il rischio di essere ferito, (perlomeno) nella misura in cui il suo ferimento derivi da un
BGE 121 IV 249 S. 257
comportamento conforme alle regole di gioco o da una loro lieve violazione.
La questione se e quando, nell'ambito di una contesa sportiva, l'accettazione del rischio di essere ferito possa giustificare un comportamento che ha condotto al ferimento di un partecipante è dibattuta in dottrina. Alcuni autori ammettono (tutt'al più) l'accettazione tacita dei rischi che si realizzano usualmente durante la pratica sportiva conforme alle regole di gioco (MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 1. Band, 1982, art. 123, n. 29; PETER NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 1983, pag. 52; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 1994, pag. 126 e seg.; v. pure BERNARD CORBOZ, L'homicide par négligence, in: SJ 1994, pag. 211). Altri ritengono, invece, che la violazione delle regole di gioco non impedisce di invocare il consenso della vittima (HANS FELIX VOEGELI, Strafrechtliche Aspekte von Sportverletzungen, insbesondere die Einwilligung des Verletzten im Sport, 1974, pag. 180 e seg., ove tale violazione sia dovuta a lieve negligenza; PHILIPPE GRAVEN, L'infraction pénale punissable, 1993, pag. 151, nel caso in cui, malgrado la lesione intenzionale delle regole di gioco, il rischio di ferimento sia minimo). Comunque sia, l'accettazione tacita del rischio di essere feriti è esclusa se il giocatore che ha provocato il ferimento ha violato in modo intenzionale o grave, ossia involontario ma senz'altro evitabile, regole di gioco che mirano pure alla prevenzione degli incidenti (v.
DTF 109 IV 102
consid. 2). Da tutti i partecipanti ad una competizione sportiva deve infatti essere preteso il rispetto di tali regole. Nel caso in esame, il ricorrente, sgambettando di proposito il resistente, ha infranto volontariamente e gravemente regole di gioco che, come illustrato, contribuiscono pure alla sicurezza dei giocatori. In simili circostanze, egli non può appellarsi al motivo giustificativo invocato, segnatamente pretendere che il resistente abbia accettato il rischio, inerente alla pratica regolare del disco su ghiaccio, di essere ferito.
5.
Da quanto esposto discende che le censure sollevate dal ricorrente, volte a negare qualsiasi responsabilità penale, segnatamente la sussistenza del dolo eventuale, vanno respinte, e la decisione impugnata confermata. Il ricorso va pertanto disatteso.
(Spese e ripetibili). | null | nan | it | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
53191390-11f9-4574-a120-67931707640c | Urteilskopf
103 IV 251
69. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1977 i.S. J. gegen Generalprokurator des Kantons Bern | Regeste
Art. 212 StGB
; Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Bilder.
Abbildung von cunnilinguus und fellatio in einer für Jugendliche bestimmten Zeitschrift. | Sachverhalt
ab Seite 251
BGE 103 IV 251 S. 251
A.-
J. ist Chefredaktor der vom Schweizerischen Zwinglibund herausgegebenen Zeitschrift "Spot", die sich vorwiegend an junge Leute von 15 bis 24 Jahren richtet. In der Ausgabe vom Juni 1976 erschien unter dem Titel "Unaufgeklärter als ihr Ruf ..." ein von ihm mitverfasster Artikel über Jugendsexualität, der mit von ihm ausgewählten Abbildungen aus "Zeig mal", einem in Deutschland erschienenen Bilderbuch für Kinder und Eltern, illustriert war. Eine davon zeigt den cunnilinguus, eine andere die fellatio.
B.-
Das Obergericht des Kantons Bern sprach J. am 16. August 1977 der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder schuldig und verurteilte ihn zu Fr. 100.-- Busse.
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragte J. Aufhebung dieses Urteils und Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Freisprechung.
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 212 StGB
macht sich der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder schuldig, wer Schriften oder Bilder, die geeignet sind, die sittliche oder
BGE 103 IV 251 S. 252
gesundheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls zu gefährden, Personen unter achtzehn Jahren anbietet, verkauft oder ausleiht.
Diese Bestimmung überschneidet sich mit
Art. 204 Ziff. 2 StGB
, der denjenigen mit Gefängnis oder Busse bedroht, welcher unzüchtige Gegenstände einer Person unter 18 Jahren übergibt oder vorzeigt.
Art. 212 StGB
ergänzt
Art. 204 Ziff. 2 StGB
u.a. insoweit, als er schon unsittliche und nicht erst unzüchtige Schriften und Bilder im engern Sinne erfasst. Nicht nötig ist also, dass die unter
Art. 212 StGB
fallenden Bilder das geschlechtliche Anstandsgefühl auch normal empfindender Erwachsener in nicht leicht zu nehmender Weise verletzen. Abzustellen ist vielmehr auf die Wirkung, welche die Schriften oder Bilder auf Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben können: Sie müssen geeignet sein, diese durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden. Blosse Eignung genügt. Dass ein Kind oder ein Jugendlicher die Schriften oder Bilder tatsächlich wahrgenommen und deswegen, infolge Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls, in seiner gesundheitlichen Entwicklung Schaden genommen hat, ist nicht erforderlich (
BGE 103 IV 173
; ferner
BGE 99 Ib 69
und
BGE 100 Ib 368
f.).
2.
Die Vorinstanz nimmt an, die Abbildungen von cunnilinguus und fellatio seien geeignet, das Geschlechtsgefühl Jugendlicher irrezuleiten. In der Tat kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Geschlechtstrieb unerfahrener Jugendlicher durch solche Abbildungen auf diese besondere Art der geschlechtlichen Betätigung, die nicht dem durchschnittlichen sittlichen Empfinden in schweizerischen Verhältnissen entspricht, fixiert wird, wenn vielleicht auch nicht bleibend. Daraus folgt ohne weiteres die Eignung zu einer Gefährdung der sittlichen Entwicklung dieser Jugendlichen.
Die Einwände des Beschwerdeführers dringen nicht durch. Sowenig es bei
Art. 204 StGB
darauf ankommt, ob eine Veröffentlichung der eigentlichen sexuellen Schmutz- und Schundliteratur zuzurechnen ist, sofern sie sich nur als unzüchtig erweist, sowenig kann das bei der diese Vorschrift ergänzenden Jugendschutzbestimmung von
Art. 212 StGB
der Fall sein, nach welcher zur Tatbestandsvollendung die objektive
BGE 103 IV 251 S. 253
Eignung der Schrift oder eines Bildes zur Gefährdung der sittlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen genügt. Ist einzig diese objektive Eignung zur Gefährdung entscheidend, so bleibt die vom Verfasser oder Herausgeber mit einer solchen Veröffentlichung verfolgte Absicht, sei es auch jene wohlgemeinter Sexualerziehung, unbeachtlich. Dass sich der Behauptung des Beschwerdeführers entsprechend Kinder und Jugendliche durch sexuelle Darstellungen generell viel weniger schockieren lassen, als dies von Erwachsenen gemeinhin angenommen werde, ist, falls überhaupt zutreffend, deshalb unerheblich, weil nicht einzig, was schockiert, die sittliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden objektiv geeignet ist. Text und Illustration einer Veröffentlichung sind zwar, auch wenn sie auseinanderfallen, grundsätzlich in ihrer Gesamtwirkung zu beurteilen, aber nur, sofern nicht bestimmte Teile des Textes oder der Illustration durch die Intensität ihrer Wirkung selbständige Bedeutung erlangen und daher für sich allein den Straftatbestand objektiv erfüllen (unveröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 7. Mai 1975 in Sachen S.). Das ist vorliegend hinsichtlich der beiden in Frage stehenden Abbildungen der Fall. Sie gehen trotz der an sich nicht zu beanstandenden Darstellungsweise in ihrem Gehalt und in ihrer Wirkung auf den jugendlichen Betrachter über jene der übrigen Abbildungen deutlich hinaus und stehen zu diesen in keinem erkennbaren Zusammenhang. Ohne erkennbaren Bezug zum vorwiegend behandelten Thema der Empfängnisverhütung in einer für Jugendliche bestimmten Zeitschrift vorgezeigt, sind solche Abbildungen von oral-genitalen Praktiken selbständig geeignet, unreife Jugendliche in ihrer sittlichen Entwicklung zu gefährden.
4.
Schliesslich bringt der Beschwerdeführer noch vor, er habe, zumal das Buch "Zeig mal" im Buchhandel frei verkäuflich sei, angenommen, mit der Verbreitung einzelner aus diesem übernommener Abbildungen keiner gesetzlichen Bestimmung zuwiderzuhandeln. Er habe sich deshalb in einem Sachverhalts-, allenfalls im Rechtsirrtum befunden.
Der Beschwerdeführer ging nach seinen eigenen Anbringen nicht von einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt aus, sondern nahm irrtümlich an, sein Verhalten sei nicht strafbar. Einzig Rechts-, nicht auch Sachverhaltsirrtum kann daher in Frage stehen. Wenn nach den verbindlichen tatsächlichen
BGE 103 IV 251 S. 254
Feststellungen der Vorinstanz (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) der Beschwerdeführer indessen der Sache selber nicht recht traute, von Anfang an unsicher war, ob überhaupt und allenfalls welche Abbildungen aus "Zeig mal" abgedruckt werden sollten, aber nichts zur Beseitigung seiner Unsicherheit vorkehrte, sondern im blinden Vertrauen darauf, seine Bedenken seien unbegründet und er werde daher nichts Unrechtes tun, die fraglichen Abbildungen veröffentlichen liess, so handelte er keineswegs aus zureichenden Gründen, wie sie
Art. 20 StGB
für die Annahme von Rechtsirrtum verlangt. Soweit bei ihm überhaupt ein Irrtum hinsichtlich der Rechtswidrigkeit seines Tuns vorlag, so wäre dieser durch die unter solchen Umständen gebotene Erkundigung an zuständiger Stelle (vgl.
BGE 92 IV 73
, 82 IV 17, 81 IV 196) ohne weiteres vermeidbar gewesen. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde aufgestellte Behauptung, die Dokumentationsstelle zur Bekämpfung von jugend- und volksschädigenden Druckerzeugnissen und das kantonale Jugendamt hätten keine Auskunft erteilt, ist als neues Sachvorbringen unbeachtlich (Art. 273 Abs. 1 Bst. b BStP).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5323b9b4-c239-48d1-b100-96f024861eb3 | Urteilskopf
81 II 86
16. Arrêt de la Ire Cour civile du 1er février 1955 dans la cause Zosso contre Compagnie des Chemins de fer fribourgeois. | Regeste
Berufung.
Die kantonalen Gerichtsferien sind ohne Einfluss auf den Lauf der Frist des
Art. 54 Abs. 1 OG
(Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 81 II 86 S. 87
Par arrêt du 7 juillet 1954, la Cour d'appel du canton de Fribourg a condamné la Compagnie des Chemins de fer fribourgeois à payer à Marie Zosso 8242 fr. avec intérêt à 5% dès le 20 mars 1954 et 5000 fr. avec intérêt à 5% dès le 4 juillet 1950. Cette décision a été communiquée par écrit aux parties le 3 septembre 1954.
La Compagnie des Chemins de fer fribourgeois a formé un recours en réforme le 4 octobre 1954, c'est-à-dire, expliquait-elle, "dans le délai de vingt jours dès l'expédition de l'arrêt attaqué, prolongé par les féries judiciaires qui se terminent le 15 septembre..."
Dame Zosso a conclu principalement à ce que le recours fût déclaré irrecevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
Aux termes de l'art. 54 al. 1 OJ, l'acte de recours en réforme doit être adressé à l'autorité qui a statué, dans les vingt jours dès la réception de la communication écrite de la décision. La recourante croit à tort que ce délai a été prolongé en l'espèce par "les féries judiciaires qui se terminent le 15 septembre", c'est-à-dire par celles de la procédure fribourgeoise. En effet, les féries cantonales sont sans influence sur le cours du délai de l'art. 54 OJ (RO 42 II 529, 60 II 352). Quant aux féries judiciaires fédérales, elles ne durent que du 15 juillet au 15 août (art. 34 al. 1 OJ) et n'ont pu, en l'occurrence, prolonger le délai, qui courait à partir du 3 septembre 1954. Dès lors, le recours en réforme aurait dû être adressé à la Cour d'appel le 23 septembre 1954 au plus tard. Ayant été déposé le 4 octobre, il est tardif et, par conséquent, irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5328359e-e64f-49aa-8028-80e4bdcebe50 | Urteilskopf
118 V 311
40. Urteil vom 30. November 1992 i.S. R. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG
,
Art. 4 BV
.
- Eine Beschwerde, die sich in Antrag und Begründung auf formellrechtliche Aspekte beschränkt, genügt den Anforderungen gemäss
Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG
(Erw. 3a).
- Es liegt überspitzter Formalismus vor, wenn eine Vorinstanz auf einer Begründung der Beschwerde in materiellrechtlicher Hinsicht beharrt und bei unbenütztem Ablauf der zu diesem Zwecke angesetzten Nachfrist auf die Beschwerde nicht eintritt (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 311
BGE 118 V 311 S. 311
A.-
Manuela R. meldete sich im September 1989 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Mit Vorbescheid vom 21. November 1990 teilte die Invalidenversicherungs-Kommission des Kantons Zürich (nachfolgend IVK) der Versicherten mit, dass das Leistungsbegehren mangels rentenbegründender Invalidität
BGE 118 V 311 S. 312
abgewiesen werde. Der Rechtsvertreter der Versicherten nahm dazu mit Eingabe vom 17. Dezember 1990 Stellung. Daraufhin betraute die IVK ihr Ersatzmitglied Dr. med. M. mit einer medizinischen Expertise, die am 8. März 1991 erstattet wurde. Ohne vom Ergebnis dieser Abklärung der Versicherten oder deren Rechtsvertreter Kenntnis zu geben und ohne Erlass eines neuen Vorbescheids lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich mit Verfügung vom 21. Juni 1991 das Rentenbegehren ab. Zur Begründung führte sie an, gemäss eingeholtem Gutachten beständen zwar verschiedene Beschwerden, doch habe keine "invalidisierende Diagnose" gestellt werden können; durch Gewichtsreduktion seien die Beschwerden erheblich reduzierbar.
B.-
Hiegegen liess Manuela R. am 24. Juli 1991 fristgerecht Beschwerde erheben und beantragen, in Aufhebung der Kassenverfügung seien die Akten zur Gewährung des rechtlichen Gehörs in Form eines Vorbescheids an die Verwaltung zurückzuweisen. Sollte die Beschwerdeinstanz wider Erwarten von einem heilbaren Mangel ausgehen, so sei dem Rechtsvertreter erneut Frist zur materiellen Begründung der Beschwerde anzusetzen.
Am 31. Juli 1991 setzte die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Manuela R. Nachfrist zur materiellen Begründung der Beschwerde innert zehn Tagen, ansonst auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werde. Mit Eingabe vom 12. August 1991 stellte sich der Rechtsvertreter der Versicherten auf den Standpunkt, seine Beschwerde vom 24. Juli 1991 sei in einer Form abgefasst, welche eine Erledigung durch Nichteintreten nicht gestatte. Es müsse zulässig sein, die Beschwerde - zumindest vorläufig - auf formelle Aspekte zu beschränken. Diese Beschränkung erfolge auf dem Hintergrund der Feststellung, dass die beteiligte IVK immer wieder den Anspruch auf rechtliches Gehör verletze. Sollte die Rekurskommission bei der Behandlung der Beschwerde zum Schluss gelangen, dass keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliege oder dieser Mangel im Beschwerdeverfahren heilbar sei, so werde der entsprechende Entscheid unter Ansetzung einer Nachfrist zur Einreichung der materiellen Begründung erwartet.
Mit Entscheid vom 21. August 1991 trat die Rekurskommission auf die Beschwerde nicht ein.
C.-
Manuela R. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Rekurskommission zu verpflichten, auf die Beschwerde vom 24. Juli 1991 einzutreten.
BGE 118 V 311 S. 313
Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition)
2.
Im vorliegenden Verfahren ist nur die prozessuale Frage zu prüfen, ob die Vorinstanz die Beschwerde mit Nichteintreten erledigen durfte. Nicht zu befinden ist darüber, ob die Verwaltung vor Erlass der Verfügung Einsicht in das Gutachten zu geben und die Versicherte oder deren Rechtsvertreter nochmals anzuhören hatte. Ebensowenig hat sich das Eidg. Versicherungsgericht dazu zu äussern, ob eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs im vorinstanzlichen Verfahren heilbar war und Anspruch auf einen materiellen Entscheid der Rekurskommission bestand. Über diese ebenfalls formellen Fragen hat für den Fall, dass der Nichteintretensentscheid bundesrechtlich nicht standhält, zuerst die Vorinstanz zu befinden.
3.
a) Die bei der Rekurskommission eingelegte Beschwerde enthält nicht nur eine gedrängte Darstellung des Sachverhalts und ein Rechtsbegehren, sondern auch eine kurze Begründung. Damit entspricht die Rechtsschrift den Anforderungen des
Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG
, weshalb die Beschwerde formgültig erhoben worden ist. Daran ändert nichts, dass die Begründung bewusst auf formellrechtliche Aspekte beschränkt und vorderhand auf eine materielle Auseinandersetzung mit der angefochtenen Kassenverfügung gänzlich verzichtet worden ist. Der Beschwerdeführerin kann darin nicht gefolgt werden, die Beschwerde erster Instanz enthalte sinngemäss eine, wenn auch sehr knappe materielle Begründung, weil die Erstellung des Gutachtens durch einen nicht unabhängigen Arzt beanstandet werde. Zu prüfen ist, ob das Vorgehen der Beschwerdeführerin, zunächst nur formelle Rügen vorzutragen und den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens so einzugrenzen, im System der nachträglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit schlechthin ausgeschlossen ist.
b) Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen und zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Davon zu unterscheiden ist der Streitgegenstand,
BGE 118 V 311 S. 314
worunter das Rechtsverhältnis begriffen wird, welches - im Rahmen des durch die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den aufgrund der Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet (
BGE 110 V 51
Erw. 3b und c; vgl. auch
BGE 112 V 99
Erw. 1a).
Daraus ist ersichtlich, dass den Parteianträgen entsprechend dem Verfügungsgrundsatz für die Festlegung des Streitgegenstandes vorrangige Bedeutung zukommt. So wie der Versicherte sich mit einer Verfügung durch Nichtanfechtung abfinden kann, so steht ihm auch die Befugnis zu, nur einzelne der verfügungsweise geregelten Rechtsverhältnisse durch Beschwerde richterlich überprüfen zu lassen (MEYER, Die Rechtspflege in der Sozialversicherung, BJM 1989, S. 25; zum Dispositionsprinzip vgl. auch HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1990, S. 281 N. 1280 f.).
c) Das Verwaltungsverfahren, in dem über individuellkonkrete Rechtsverhältnisse entschieden wird, ist von verschiedenen allgemeinen Verfahrensgrundsätzen beherrscht. Dazu zählt als fundamentaler Grundsatz der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör, der das Akteneinsichtsrecht mitumfasst. Wenn das Verwaltungsverfahren minimale Mitwirkungsrechte des Betroffenen gewährleistet und die Verwaltung nach Auffassung des Verfügungsadressaten solche Verfahrensgarantien verletzt, muss es diesem freistehen, seine Beschwerde in Antrag und Begründung auf diese Rügepunkte zu beschränken. So wie es in der Herrschaft des Verfügungsadressaten liegt, den Streitgegenstand auf bestimmte Teilinhalte des verfügungsmässig begründeten Rechtsverhältnisses einzuschränken, muss ihm nach dem Rügeprinzip auch die Möglichkeit offenstehen, den Streit in einem ersten Stadium auf der formellen Ebene aufzurollen. Dafür spricht die grundsätzliche Überlegung, dass das Recht, angehört zu werden, formeller Natur ist. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht (
BGE 117 V 286
Erw. 5b,
BGE 116 V 185
Erw. 1b, je mit Hinweisen). Da die materielle Streitentscheidung ohnehin erheischt, dass über formellrechtliche Fragen zuerst entschieden wird, kann es in bestimmten Fällen sogar zweckmässig sein, wenn darüber vorfrageweise verbindlich befunden wird. Dem Richter stehen dafür nötigenfalls entsprechende
BGE 118 V 311 S. 315
prozessuale Gestaltungsmittel wie Zwischenverfügungen oder Teilurteile zur Verfügung. Abgesehen davon besteht ein Anspruch auf einen materiellen Entscheid der Rechtsmittelinstanz im Falle einer Gehörsverletzung nicht (
BGE 116 V 186
Erw. 1b am Ende). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz gerät ein so gesplittetes Verfahren mit dem Prinzip eines einfachen und raschen Verfahrens, wie es
Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG
vorschreibt, nicht in Widerspruch. Die Vorinstanz verkennt, dass nach der neueren Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts die Heilung von grundlegenden Verfahrensmängeln die Ausnahme, die Kassation des Entscheides die Regel ist (
BGE 116 V 186
Erw. 1c und 32 Erw. 3, je mit Hinweisen). Umso mehr rechtfertigt sich unter Umständen ein separates Verfahren über die formelle Beständigkeit einer Verfügung. Im übrigen entspricht es der Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts (ZAK 1989 S. 466), auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten, worin nur die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt und auf den materiellen Streitpunkt nicht eingegangen worden war.
4.
Nachdem die Beschwerde an die Rekurskommission den formellen Anforderungen von
Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG
entspricht, hatte die Beschwerdeführerin zumindest Anspruch darauf, dass über die Verletzung des rechtlichen Gehörs entschieden wird. Die Rekurskommission war gehalten, auf das Rechtsmittel einzutreten und die vorgetragenen Beschwerdegründe zu prüfen.
Wenn die Vorinstanz bei den gegebenen Umständen vor dem Entscheid über die allfällige Verletzung des grundrechtlichen Anhörungsanspruchs durch Ansetzung einer Nachfrist im Sinne von
Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG
auf der materiellen Begründung - die ohne Einsicht in das von der IVK eingeholte Gutachten gar nicht sachgerecht erfolgen kann - beharrt hat, läuft dies auf überspitzten Formalismus hinaus. Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt unter anderem vor, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Wohl sind im Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit
Art. 4 BV
im Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und
BGE 118 V 311 S. 316
die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert (
BGE 116 V 358
Erw. 3b mit Hinweisen).
Der kantonale Richter hat zwar die Verfahrensleitung inne, die durch Anträge einer Partei nicht beliebig durchkreuzt werden kann. Es steht ihm bei der Handhabung prozessualer Vorschriften ein grosser Ermessensspielraum zu. Im vorliegenden Fall ist indessen die Weigerung, über die behauptete Gehörsverletzung vorweg zu entscheiden und auf die rechtsgültig erhobene Beschwerde überhaupt einzutreten, bundesrechtlich nicht haltbar. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache zwecks Eintretens auf die Beschwerde und Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5.
(Kostenpunkt) | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
53294efe-82d3-4cd2-961e-1055293fedd9 | Urteilskopf
95 II 283
37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juli 1969 i.S. Rufli und Bänziger gegen Politische Gemeinde St. Gallen. | Regeste
Art. 141 Abs. 1 lit. b OG
.
Die Revisionsfrist beginnt bereits dann zu laufen, wenn beim Gesuchsteller ein auf sicheren Grundlagen fussendes Wissen über die neue erhebliche Tatsache vorhanden ist, und nicht erst, wenn er diese sicher beweisen kann. | Sachverhalt
ab Seite 284
BGE 95 II 283 S. 284
A.-
Die Politische Gemeinde St. Gallen hatte gegenüber Frau Klara Ehrbar gemäss Vertrag vom 21. August 1958 ein im Grundbuch vorgemerktes Vorkaufsrecht an der Parzelle Grundbuch St. Fiden Nr. 2926. Am 14. Oktober 1958 verkaufte Frau Ehrbar das Grundstück dem Alois Osterwalder. Am 12. November 1958 teilte die Politische Gemeinde St. Gallen der Verkäuferin mit, sie übe das Vorkaufsrecht aus und erwerbe die Parzelle Nr. 2926 zu den Bedingungen des Vertrages vom 14. Oktober 1958. Frau Ehrbar widersetzte sich diesem Begehren.
Am 11. Oktober 1962 hiess das Kantonsgericht St. Gallen im Berufungsverfahren die von der Vorkaufsberechtigten gegen Frau Ehrbar eingereichte Klage auf Zusprechung des Eigentums an der Parzelle Nr. 2926 gut.
Am 16. Mai 1963 wies das Bundesgericht die von Frau Ehrbar erklärte Berufung ab und bestätigte das kantonsgerichtliche Urteil.
B.-
Am 19. Dezember 1963 verkaufte Frau Ehrbar der Corvag-Bau AG die Parzelle Grundbuch St. Fiden Nr. 764. Einige Monate später liess sie der Käuferin durch ihren Anwalt mitteilen, sie halte den Vertrag wegen Uebervorteilung nicht und verlange die Rückübertragung der Liegenschaft.
Nachdem Frau Ehrbar im August 1964 bevormundet worden war, reichte sie - vertreten durch ihren Vormund, Johann Egger - beim Bezirksgericht St. Gallen gegen die Corvag-Bau AG und gegen die Kredit und Anlagen AG (der die Liegenschaft am 15. September 1964 weiterverkauft worden war) Klage auf Ungültigerklärung der Kaufverträge vom 19. Dezember 1963 und 15. September 1964 und auf Rückübertragung der Liegenschaft ein. In diesem Prozess wurde über den Geisteszustand der Klägerin bei Dr. med. Bachmann ein Gutachten eingeholt, das am 7. Oktober 1966 erstattet wurde. Der Experte kam zum Schluss, die Imbezillität der Explorandin sei derart ausgeprägt, dass sie überhaupt nie als urteils- und handlungsfähig hätte betrachtet werden dürfen.
Im Urteil vom 18. April 1967 stellte das Bezirksgericht dann u.a. fest, der Kaufvertrag vom 19. Dezember 1963 sei wegen fehlender Handlungsfähigkeit der Verkäuferin nichtig.
C.-
Johann Egger hatte sich am 19. Dezember 1966 schriftlich an den Stadtrat von St. Gallen gewandt, um die Zusicherung zu erhalten, dass die gestützt auf das Vorkaufsrecht erworbene
BGE 95 II 283 S. 285
Parzelle Nr. 2926 einstweilen weder überbaut noch veräussert werde. Am 19. April 1967 begehrte Egger im Namen seines Mündels einen Vermittlungsvorstand, im wesentlichen mit den Rechtsbegehren, die mit der Stadt St. Gallen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte (insbesondere der Vertrag vom 21. August 1958 über das Vorkaufsrecht) und der Kaufvertrag vom 14. Oktober 1958 mit Osterwalder seien nichtig zu erklären und Frau Ehrbar als Eigentümerin der verkauften Parzelle ins Grundbuch einzutragen. Egger suchte beim Waisenamt um die Erteilung einer Prozessvollmacht in diesem Streite nach.
D.-
Am 16. Dezember 1967 starb Frau Ehrbar. Als gesetzliche Erben hinterliess sie ihre Halbgeschwister Albert Rufli und Heidy Ruth Bänziger-Rufli. Diese reichten am 6. März 1969 ein Revisionsgesuch ein und beantragten, das Urteil des Bundesgerichts vom 16. Mai 1963 sei aufzuheben und die Gesuchsteller als Eigentümer der Parzelle Nr. 2926 im Grundbuch einzutragen. E. - Die Politische Gemeinde St. Gallen beantragt die Abweisung des Gesuchs.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
...
2.
- Ein Revisionsgesuch muss in den Fällen des Artikels 137 OG binnen 90 Tagen von der Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des bundesgerichtlichen Entscheides oder vom Abschluss des Strafverfahrens an, beim Bundesgericht anhängig gemacht werden. Im Gesuch ist seine rechtzeitige Geltendmachung darzulegen (
Art. 140 OG
).
Die Gesuchsteller behaupten, die 90-tägige Frist eingehalten zu haben. Sie führen dazu aus, am 4. Oktober 1968 habe ihr Anwalt Dr. med. Bachmann um Mitteilung ersucht, ob Frau Ehrbar zur Zeit des Vertragsschlusses mit der Politischen Gemeinde St. Gallen bzw. mit Osterwalder urteilsfähig gewesen sei. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1968 habe der Experte diese Frage verneint. Erst dadurch hätten sie eine genügend sichere Kenntnis des Revisionsgrundes erhalten.
a) Die Revision eines bundesgerichtlichen Urteils ist nach
Art. 137 lit. b OG
u.a. dann möglich, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Zweifellos bildet die im Gutachten von Dr. Bachmann festgestellte mangelnde
BGE 95 II 283 S. 286
Urteilsfähigkeit der Frau Ehrbar eine neue erhebliche Tatsache im Sinne der erwähnten Bestimmung. Wäre dieser Umstand bereits im Prozess um die Durchsetzung des Vorkaufsrechts dem damaligen Anwalt der Erblasserin bekannt gewesen, vorgebracht und bewiesen worden, hätte die Klage der Politischen Gemeinde St. Gallen abgewiesen werden müssen, weil die Verträge vom 21. August 1958 und 14. Oktober 1958 gemäss
Art. 18 ZGB
keine rechtlichen Wirkungen hätten erzeugen können.
b) Das Schicksal des vorliegenden Revisionsgesuchs hängt deshalb - abgesehen von der Beweisfrage - davon ab, ob es rechtzeitig, d.h. binnen 90 Tagen seit Entdeckung der neuen erheblichen Tatsache beim Bundesgericht anhängig gemacht wurde. Der genannte Revisionsgrund ist nicht erst dann zu bejahen, wenn der Gesuchsteller die neue erhebliche Tatsache sicher beweisen kann. Denn sonst müsste der weitere Revisionsgrund der neuen Beweismittel überhaupt ausgeschlossen bleiben, weil alsdann eine erhebliche Tatsache solange als neu zu gelten hätte, als sie nicht restlos bewiesen werden kann. Vielmehr muss genügen, dass ein auf sicheren Grundlagen fussendes Wissen vorhanden ist (vgl. H.P. MARTI, Das Neue Recht der bernischen Zivilprozessordnung, S. 23). Blosse Vermutungen oder gar Gerüchte genügen dagegen nicht und vermögen den Lauf der Revisionsfristen nicht in Gang zu setzen. Gleich wie bei den tatbeständlichen Vorbringen einer Partei im ordentlichen Prozess, bei denen es sich um vorläufig noch unbewiesene Behauptungen handelt, müssen begründete Aussichten bestehen, die neue Tatsache zu beweisen (BIRCHMEIER, Handbuch zum OG, S. 513; STEIN/JONAS, 19. Auflage, N. I/2 zu § 586 DZPO).
Im vorliegenden Fall erfuhr der Vormund der Frau Ehrbar aus dem von Dr. Bachmann am 7. Oktober 1966 verfassten Gutachten, dass die Explorandin überhaupt nie urteils- und handlungsfähig war. Er durfte auf die Schlussfolgerung des Experten abstellen, da das Bezirksgericht St. Gallen im Prozess, der freilich nur Vorgänge aus den Jahren 1963 und 1964 betraf, dieses Gutachten als schlüssig erachtete. Jedenfalls lassen seine weiteren Schritte erkennen, dass er selbst der Auffassung war, über genügend sichere Anhaltspunkte zu verfügen, um die bereits in den Jahren 1958 und 1959 bestehende Handlungsunfähigkeit seines Mündels geltend zu machen. Er wandte sich nämlich vorerst im Dezember 1966 an den Stadtrat von St. Gallen, um die Zusicherung zu erhalten, dass die Parzelle
BGE 95 II 283 S. 287
Nr. 2926 einstweilen weder überbaut noch veräussert werde. Einen Tag nach dem bezirksgerichtlichen Urteil vom 18. April 1967 stellte er das Gesuch um einen Vermittlungsvorstand, der die Einleitung des Verfahrens gegen die Politische Gemeinde St. Gallen ermöglichen sollte. Er verlangte beim Waisenamt die Ermächtigung zu dieser Prozessführung. Diese Vorkehrungen hätte er nicht getroffen, wäre er nicht überzeugt gewesen von der Richtigkeit des Gutachtens Bachmann und damit vom Umstand, sein Mündel sei beim Abschluss der Verträge mit der Politischen Gemeinde St. Gallen und mit Osterwalder handlungsunfähig gewesen. Daraus folgt, dass der Vormund der Frau Ehrbar den Revisionsgrund des
Art. 137 lit. b OG
schon im Herbst 1966, spätestens aber mit der Eröffnung des bezirksgerichtlichen Urteils vom 18. April 1967, kannte. Die in
Art. 141 Abs. 1 lit. b OG
vorgeschriebene 90-tägige Frist war deshalb längstens abgelaufen, als die Rechtsnachfolger der Erblasserin am 6. März 1969 das Revisionsgesuch anhängig machten. Sie müssen sich die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters der Frau Ehrbar anrechnen lassen (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch zum OG, S. 513) und können sich deshalb nicht darauf berufen, sie hätten den Revisionsgrund erst durch das Schreiben von Dr. Bachmann vom 9. Dezember 1968 entdeckt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf das Revisionsgesuch wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
532e69f2-914e-4b39-bf42-270da99a6952 | Urteilskopf
91 II 68
9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Februar 1965 i.S. The Dow Chemical Company gegen Cliché AG und Gebr. Ritter. | Regeste
Berufung im Patentprozess.
Auslegung von
Art. 67 OG
.
Befugnisse des Instruktionsrichters und der Gerichtsabteilung hinsichtlich der Anordnung von Beweismassnahmen zur Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz über technische Verhältnisse und hinsichtlich der Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel, die sich auf solche Verhältnisse beziehen.
Wann haben die Parteien Gelegenheit, Beweismassnahmen und die Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel zu beantragen? Wann ist über solche Anträge zu entscheiden?
Art. 67 BZP
ist nicht anwendbar. | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 91 II 68 S. 69
Die Beklagte legte gegen das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons Zürich vom 15. Oktober 1963, das ihr Patent Nr. 338'669 mangels Erfindungshöhe für nichtig erklärte, Berufung ein und beantragte in der Berufungsschrift u.a. die Ernennung eines neuen chemischen Sachverständigen durch das Bundesgericht. Der Instruktionsrichter wies diesen Antrag am 25. Mai 1964 ab und ersuchte die bisherigen Sachverständigen um eine Ergänzung ihres Gutachtens. Am 25. September 1964 liess er den Parteien das Ergänzungsgutachten zustellen, und mit Verfügung vom 7. Oktober 1964 gab er ihnen durch Ansetzung einer Frist Gelegenheit, unter den Voraussetzungen von
Art. 67 Ziff. 3 OG
und
Art. 60 Abs. 1 BZP
Anträge im Sinne dieser Bestimmungen zu stellen. Die Beklagte beantragte hierauf mit Eingabe vom 27. Oktober 1964 die Anordnung einer Oberexpertise. Der Instruktionsrichter holte bei den Sachverständigen eine Vernehmlassung ein und liess sie am 11. Dezember 1964 den Parteien zugehen mit dem Bemerken, er ordne keine weitern Beweismassnahmen, insbesondere keine Oberexpertise an. Hierauf beantragte die Beklagte mit Eingabe von 21. Dezember 1964 unter Berufung auf
Art. 67 BZP
, die I. Zivilabteilung möge in Abänderung der Verfügung des Instruktionsrichters vom 11. Dezember 1964 über die Frage der Erfindungshöhe eine Oberexpertise anordnen. Zu dieser Eingabe holte der Instruktionsrichter mit Verfügung vom 30. Dezember 1964 für den Fall, dass sie nicht aus den Akten gewiesen werden sollte, Gegenbemerkungen der Kläger ein. Am 11. Januar 1965 richtete die Beklagte an den Präsidenten der I. Zivilabteilung das Gesuch, ihren Antrag vom 21. Dezember 1964 vor der Berufungsverhandlung der Abteilung vorzulegen. Vom Instruktionsrichter mit Schreiben vom 13. Januar 1965 u.a. darauf hingewiesen, dass sie nicht berechtigt sei, den in der Berufungsschrift und in der Eingabe vom 27. Oktober 1964 gestellten und begründeten, der I. Zivilabteilung auf die Hauptverhandlung hin zur Kenntnis gelangenden Antrag auf Einholung eines Obergutachtens zum Gegenstand weiterer Eingaben zu machen, hat sie dem Bundesgericht in der mündlichen Parteiverhandlung beantragt, vor der Verhandlung über die Sache selbst über ihren Beweisantrag zu entscheiden. Diesen Begehren wurde nicht entsprochen.
Das (die Berufung abweisende) Urteil des Bundesgerichtes
BGE 91 II 68 S. 70
enthält über die durch die Beweisanträge der Beklagten aufgeworfenen Fragen des Verfahrensrechtes folgende
Erwägungen
Erwägungen:
2.
...
Art. 67 OG
in der Fassung gemäss
Art. 118 PatG
stellt für die Streitigkeiten über Erfindungspatente Sonderbestimmungen auf, die hauptsächlich in zwei Punkten von den allgemeinen Vorschriften über die Berufung an das Bundesgericht abweichen: Ziffer 1 erlaubt dem Bundesgericht, in solchen Streitigkeiten die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz über technische Verhältnisse auf Antrag oder von Amtes wegen zu überprüfen und zu diesem Zwecke Beweismassnahmen zu treffen, während es sonst gemäss
Art. 43 Abs. 1 OG
nur die Anwendung des Bundesrechtes überprüfen darf und gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
unter den hier genannten Vorbehalten an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden ist, und Ziffer 2 Absatz 2 gestattet den Parteien in Abweichung von
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
, mit Bezug auf technische Verhältnisse neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, wenn im kantonalen Verfahren keine Möglichkeit oder kein Grund bestand, sie geltend zu machen. Die übrigen Ziffern von
Art. 67 OG
befassen sich mit den Fristen für Anträge im Sinne von Ziffer 1 und Ziffer 2 Abs. 2 (Ziffer 3), mit dem Beweisverfahren (Ziffer 4) und mit dem Beizug der Sachverständigen zur Urteilsberatung (Ziffer 5).
Wie schon in
BGE 85 II 514
ausgeführt, macht
Art. 67 OG
die Weiterziehung kantonaler Urteile in Patentprozessen nicht zur Appellation. Vielmehr bleibt diese Weiterziehung eine Berufung, wie schon aus der Stellung von
Art. 67 OG
im Gesetz und aus der Erwähnung der Berufungsschrift und -antwort in Ziffer 3 Abs. 1 hervorgeht. Die einzelnen Vorschriften des
Art. 67 OG
sind daher im Geiste dieses Rechtsmittels auszulegen. Soweit sie keine Sonderregelung enthalten, sind die allgemeinen Vorschriften über die Berufung auch in Patentprozessen anwendbar (vgl. z.B.
BGE 85 II 594
f., wonach das Bundesgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbständig treffen darf, sondern die Sache gemäss
Art. 64 OG
an die Vorinstanz zurückzuweisen hat, wenn es zur Auffassung gelangt, ein von der Vorinstanz nicht beurteilter Nichtigkeitsgrund müsse geprüft werden, und
BGE 89 II 163
BGE 91 II 68 S. 71
und 173, wonach
Art. 63 Abs. 2 OG
massgebend bleibt, soweit nicht
Art. 67 OG
eingreift).
3.
Art. 67 OG
bestimmt, das "Bundesgericht" könne Beweismassnahmen treffen (Ziff. 1, 2 Abs. 1) und für Anträge gemäss Ziff. 2 Abs. 2 (d.h. für Anträge auf Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel) auf Gesuch hin eine weitere Frist einräumen (Ziff. 3 Abs. 1 Satz 2). Das bedeutet nicht, dass nur die für Patentsachen zuständige I. Zivilabteilung des Bundesgerichts als Gesamtbehörde über diese Befugnisse verfüge. Vielmehr ist es vorerst Sache des vom Abteilungspräsidenten gemäss
Art. 13 OG
bezeichneten Instruktionsrichters, über die Anordnung von Beweismassnahmen und im Zusammenhang damit über Anträge auf Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel sowie über Gesuche um Einräumung einer weitern Frist für solche Anträge zu befinden und gegebenenfalls das Beweisverfahren durchzuführen.
Art. 67 OG
erwähnt diesen Richter zwar nicht ausdrücklich. Die
Art. 36-65 und 68 BZP
, welche gemäss
Art. 67 Ziff. 4 OG
für die Beweismassnahmen im Sinne von
Art. 67 Ziff. 1 und 2 OG
entsprechend anwendbar sind, sprechen dagegen an zwei Stellen (Art. 41 und 44 Abs. 4) vom Instruktionsrichter und setzen demnach voraus, dass er die zur Ermittlung des massgebenden Tatbestandes erforderlichen Vorkehren trifft.
Der Instruktionsrichter entscheidet jedoch nicht endgültig, ob und in welchem Umfang gemäss Antrag einer Partei oder von Amtes wegen ein Beweisverfahren durchzuführen und ob Anträgen auf Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel und Gesuchen um Einräumung einer Frist für solche Anträge zu entsprechen sei. Der abschliessende Entscheid hierüber steht vielmehr der für die Urteilsfällung zuständigen Gerichtsabteilung zu. Das folgt schon daraus, dass diese die Berufung umfassend zu prüfen hat, und wird durch den gemäss
Art. 67 Ziff. 4 OG
für die Beweismassnahmen entsprechend anwendbaren
Art. 68 BZP
bestätigt. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nämlich, dass das "Gericht", womit nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes (vgl. z.B. Art. 15 Abs. 1 und 44 Abs. 4 BZP) die zuständige Gerichtsabteilung im Gegensatz zum Instruktionsrichter gememt ist, über die Vollständigkeit der Beweiserhebungen befindet und dass auch nach den ordentlichen Parteivorträgen auf Anordnung der Abteilung noch Beweise aufgenommen werden können.
BGE 91 II 68 S. 72
Das Gericht nimmt zu den vorerst vom Instruktionsrichter geprüften Fragen der Tatbestandsermittlung von Amtes wegen Stellung. Die betreffenden Verfügungen des Instruktionsrichters unterliegen nicht etwa einer förmlichen Weiterziehung an das Gericht, wie
Art. 15 Abs. 1 BZP
sie mit Bezug auf Verfügungen über die Zulassung des Beitritts eines Dritten zum Prozess im Verfahren vor Bundesgericht als einziger Instanz ausnahmsweise vorsieht.
4.
Nach
Art. 67 Ziff. 3 Abs. 1 Satz 1 OG
sind Anträge auf Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz über technische Verhältnisse und auf Anordnung von Beweismassnahmen im Sinne von Ziff. 1 sowie Anträge auf Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel im Sinne von Ziff. 2 Abs. 2 in der Berufungsschrift oder -antwort zu stellen und zu begründen. Anträge auf Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel sind gemäss Ziff. 3 Abs. 1 Satz 2 auch noch innert der auf Gesuch hin hiefür eingeräumten weitern Frist zulässig (vgl.
BGE 86 II 197
unten). Falls vom Bundesgericht ein Gutachten angeordnet wurde, sind die Parteien gemäss Ziff. 3 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 60 Abs. 1 BZP
ausserdem befugt, innert der Frist, die ihnen nach der zuletzt genannten Bestimmung zu eröffnen ist, die Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens oder eine neue Begutachtung und die Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel zu beantragen. Diese Vorschriften bestimmen abschliessend, bei welchen Gelegenheiten die Parteien im Berufungsverfahren in Patentprozessen schriftliche Anträge mit Bezug auf die Anordnung von Beweismassnahmen und die Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel stellen dürfen. Hier nicht vorgesehene Eingaben zu diesem Gegenstande sind unzulässig. Die Parteien sind entgegen der Auffassung der Beklagten namentlich nicht berechtigt, binnen zehn Tagen, nachdem der Instruktionsrichter seine Beweiserhebungen als abgeschlossen erklärt hat, eine Ergänzung zu beantragen.
Art. 67 BZP
, auf den die Beklagte sich beruft, gilt für das Berufungsverfahren in Patentsachen nicht.
Art. 67 Ziff. 4 OG
erklärt für die Beweismassnahmen des Bundesgerichts in diesem Verfahren nur die
Art. 36-65 und 68 BZP
als entsprechend anwendbar. Hätte der Gesetzgeber auch
Art. 67 BZP
angewendet wissen wollen, so hätte er diese Bestimmung in
Art. 67 Ziff. 4 OG
zweifellos neben
Art. 68 BZP
aufgeführt. Aus der Nichterwähnung des
BGE 91 II 68 S. 73
Art. 67 BZP
ist also zu schliessen, dass er in diesem Verfahren nicht gelten soll. Dieser Schluss rechtfertigt sich um so eher, als die in
Art. 67 Ziff. 4 OG
genannten Bestimmungen des BZP für die Regelung der vom Bundesgericht gemäss
Art. 67 OG
allenfalls zu treffenden Beweismassnahmen durchaus genügen und
Art. 67 Ziff. 3 OG
den Parteien hinlänglich Gelegenheit bietet, ihre Anträge auf weitere Abklärung des Tatbestandes schriftlich zur Geltung zu bringen.
Den Parteien ist dagegen gestattet, in der Berufungsverhandlung die Anträge, die sie in der Berufungsschrift oder -antwort oder innert der Fristen gemäss
Art. 67 Ziff. 3 Abs. 1 Satz 2 OG
oder 60 Abs. 1 BZP gestellt haben, zu erneuern und sich mit den Verfügungen des Instruktionsrichters über diese Anträge auseinanderzusetzen. Sie haben jedoch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht zu solchen Ausführungen vor der Verhandlung und Beratung über die Sache selbst Stellung nehme. Ob weitere Beweismassnahmen zu treffen und die im Berufungsverfahren vorgebrachten neuen Tatsachen und Beweismittel zuzulassen seien oder nicht, lässt sich in der Regel nur im Zusammenhang mit der Behandlung der Sache selbst zuverlässig entscheiden.
Nach diesen Grundsätzen ist von den schriftlichen Äusserungen der Beklagten, die den Tatbestand und das Beweisverfahren betreffen, neben den bezüglichen Ausführungen in der Berufungsschrift nur die Eingabe vom 27. Oktober 1964 zu beachten, die innert der den Parteien gemäss
Art. 60 Abs. 1 BZP
eröffneten Frist einging. Die spätern Eingaben vom 21. Dezember 1964 und 11. Januar 1965 wurden vom Instruktionsrichter mit Recht als unzulässig bezeichnet. Dem heutigen Begehren der Beklagten, den in der Berufungsschrift und in der Eingabe vom 27. Oktober 1964 gestellten, heute mündlich wiederholten Antrag auf Bestellung eines neuen chemischen Sachverständigen vor der Verhandlung über die Sache selbst zu beurteilen, war nicht zu entsprechen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
53317d59-09c9-4dbf-a2a4-bf21771bd78c | Urteilskopf
110 II 387
74. Arrêt de la Ire Cour civile du 6 juin 1984 dans la cause Société anonyme G. contre M. (recours en réforme) | Regeste
Art. 706 Abs. 4 OR
. Verwirkung der Klage auf Nichtigerklärung eines Generalversammlungsbeschlusses der Aktiengesellschaft.
1. Begriff der Klageerhebung im Sinne von
Art. 135 Ziff. 2 OR
(E. 2a).
2. Analoge Anwendung der Vorschriften über die Verjährungsunterbrechung bei der Umschreibung der Handlung, mit der eine Verwirkungsfrist unterbrochen wird. (E. 2b).
3. Genügt ein Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen vor Eröffnung des Hauptprozesses für die Einhaltung der Klagefrist gemäss
Art. 706 Abs. 4 OR
? Frage für den vorliegenden Fall verneint, weil die Anträge des Gesuchs um Erlass vorsorglicher Massnahmen nicht mit den Anträgen im Hauptprozess übereinstimmten (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 388
BGE 110 II 387 S. 388
A.-
Le 19 novembre 1980, l'assemblée générale extraordinaire de la société anonyme G. (ci-après: la société) a décidé la suppression de l'art. 5 al. 3 des statuts, accordant aux actionnaires un droit préférentiel de souscription, proportionnel au nombre de leurs actions, en cas d'augmentation du capital social. L'actionnaire M. a voté contre le projet.
Le 20 novembre 1980, M. a adressé au président du Tribunal civil de l'arrondissement de la Sarine une requête de mesures provisionnelles, tendant à ce qu'il fût interdit, jusqu'à droit connu, au préposé au registre du commerce d'inscrire la modification des statuts et à l'administration de la société de transférer des actions. Après avoir ordonné provisoirement les mesures requises, le 21 novembre 1980, le magistrat saisi a admis la requête de mesures provisionnelles par ordonnance du 22 décembre 1980 et imparti à la requérante un délai de quarante-cinq jours pour ouvrir action au fond, faute de quoi les mesures ordonnées deviendraient caduques.
B.-
Le 26 février 1981, M. a déposé une demande en justice concluant à l'annulation de la décision du 19 novembre 1980 de l'assemblée générale de la société. Celle-ci a notamment conclu à l'irrecevabilité de la demande pour cause de péremption.
Après avoir rejeté cette exception par jugement partiel du 13 septembre 1982, le Tribunal civil de l'arrondissement de la Sarine a rejeté la demande sur le fond et levé les mesures provisionnelles, le 14 avril 1983.
La Cour d'appel du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg a confirmé ce jugement par arrêt du 9 novembre 1983, en considérant cependant que la demande était périmée.
C.-
La demanderesse recourt en réforme au Tribunal fédéral en concluant à ce qu'il soit constaté qu'elle a ouvert action en temps utile pour obtenir l'annulation de la décision de l'assemblée générale du 19 novembre 1980 et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale.
Le Tribunal fédéral rejette le recours et confirme l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'
art. 706 al. 4 CO
, l'action en annulation d'une décision de l'assemblée générale de la société anonyme
BGE 110 II 387 S. 389
s'éteint si elle n'est pas exercée au plus tard dans les deux mois qui suivent l'assemblée générale.
La cour cantonale considère l'action de la demanderesse comme périmée selon cette disposition, car le juge a été saisi de la demande plus de deux mois après la décision, la requête de mesures provisionnelles avant procès ne valant pas ouverture d'action au sens du droit fédéral.
La demanderesse soutient au contraire qu'"une requête de mesures provisionnelles à laquelle il a été régulièrement suivi dans le délai fixé par le Juge est introductive d'instance au sens du droit fédéral et, partant, de nature à interrompre un délai de péremption".
2.
a) En matière de prescription, l'
art. 135 ch. 2 CO
prévoit que la prescription est interrompue en particulier par une action et une citation en conciliation. Selon la jurisprudence, la notion d'ouverture d'action, au sens de cette disposition, se définit uniquement d'après le droit fédéral, indépendamment de la notion d'ouverture d'instance selon le droit cantonal; il s'agit de l'acte introductif ou préparatoire par lequel le demandeur s'adresse pour la première fois au juge, dans les formes légales, aux fins d'obtenir la reconnaissance ou la protection du droit qu'il invoque (
ATF 101 II 78
,
ATF 100 II 343
s. et les arrêts cités). Dans l'arrêt
ATF 59 II 406
s., le Tribunal fédéral a admis qu'une requête de mesures provisoires avant procès, suivie d'une action au fond, pouvait interrompre la prescription lorsque ses conclusions étaient identiques aux conclusions prises dans le procès au fond. En doctrine, les opinions sont partagées (admettent l'acte interruptif: SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, vol. I p. 299; RATHGEB, L'action en justice et l'interruption de la prescription, in Mélanges F. Guisan, p. 243; WYSS, La péremption dans le code civil suisse, thèse Lausanne 1957, p. 111; contra: GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, vol. II, 3e éd., p. 191, qui se réfèrent indûment à l'arrêt
ATF 93 II 498
, ne concernant que la preuve à futur).
b) Lorsque le droit fédéral prévoit qu'un droit ne peut être sauvegardé que par l'exercice d'une action ouverte dans un délai péremptoire, la notion d'ouverture d'action ressortit également au droit fédéral (
ATF 89 II 307
consid. 4,
ATF 85 II 537
,
ATF 81 II 538
,
ATF 74 II 15
). Les dispositions sur l'interruption de la prescription ne sont applicables que par analogie à la définition de l'acte interruptif de péremption, car il faut tenir compte de la teneur et du but de la
BGE 110 II 387 S. 390
norme enjoignant au demandeur d'agir en justice pour déterminer s'il a accompli l'acte qu'on peut attendre de lui pour sauvegarder son droit (
ATF 86 II 346
; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 12 et 17 ad art. 135). En général, des délais d'action sont fixés par la loi afin qu'on sache rapidement si un acte est attaqué, éventuellement annulé; souvent l'intérêt de tiers au procès le commande (
ATF 98 II 177
ss, spéc. 180,
ATF 74 II 17
), comme c'est le cas dans l'application de l'
art. 706 CO
(
ATF 86 II 87
s.), le jugement étant opposable aussi aux actionnaires qui n'ont pas participé au procès (
art. 706 al. 5 CO
).
En matière de péremption, la jurisprudence a adopté la même définition de l'ouverture d'action que dans le cadre de l'
art. 135 ch. 2 CO
(
ATF 98 II 179
,
ATF 85 II 536
s. et les arrêts cités), mais la question ne s'est posée, dans les arrêts publiés, qu'à propos du dépôt de la demande et de la citation préalable en conciliation; le Tribunal fédéral n'a pas eu l'occasion d'examiner, dans ces arrêts, si une requête de mesures provisoires avant le dépôt de la demande permettait de sauvegarder un délai péremptoire pour agir en justice.
c) En l'espèce, il n'est pas nécessaire de rechercher si le délai péremptoire pour agir en justice pourrait ou non, suivant les cas, être sauvegardé par une requête de mesures provisoires avant procès. Il suffit en effet de constater, avec la cour cantonale, que la demanderesse ne remplit de toute manière pas les conditions posées par l'arrêt
ATF 59 II 407
s., faute d'identité entre les conclusions des mesures provisionnelles et celles de la demande au fond (exigence également posée par RATHGEB, loc.cit., et SPIRO, loc.cit.). L'action au fond tend à ce que le juge mette fin aux effets de la décision adoptée par l'assemblée générale en prononçant son annulation - sous réserve des cas de nullité absolue -, par un jugement formateur résolutoire (BÜRGI, n. 69 ad art. 706; FUNK, n. 1 p. 352 ad art. 706; F. VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4e éd., p. 216; VON GREYERZ, Schweizerisches Privatrecht vol. VIII/2 p. 194; ROHRER, Aktienrechtliche Anfechtungsklage, thèse Berne 1979, p. 86, 112; B. VON BÜREN, dans SAG 1949/1950 vol. 22 p. 152; PATRY, L'action en annulation des décisions de l'assemblée générale, in Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, Troisième journée juridique 1963, p. 28), qui ne peut être remplacé par une transaction (
ATF 80 I 390
); à défaut, la décision de l'assemblée générale pourrait déployer des effets jusqu'à son annulation,
BGE 110 II 387 S. 391
lorsque sa validité n'exige pas une inscription au registre du commerce. En l'occurrence, la modification litigieuse des statuts exigeait, pour déployer des effets, une inscription au registre du commerce (
art. 647 al. 2 CO
;
ATF 84 II 40
); les mesures provisoires, qui ressortissent au droit cantonal (
art. 32 al. 2 ORC
;
ATF 97 II 190
,
ATF 97 I 486
; arrêt du Tribunal fédéral du 31 janvier 1940 dans la cause Zubler c. S.A. Powers, in Rep. 1940 p. 130), tendaient à paralyser les effets de la décision attaquée en empêchant son inscription au registre du commerce et en interdisant à la société de l'exécuter. Ainsi, si elles visaient le même résultat final (empêcher que la décision attaquée ne sortisse des effets quelconques, pendant et après le procès), les conclusions différaient quant à leur nature, puisque la requête de mesures provisoires ne tendait qu'à l'octroi d'une mesure purement conservatoire destinée à assurer l'efficacité de la mesure requise au fond, sans que le juge des mesures provisoires fût requis de prononcer une annulation provisoire de la décision de l'assemblée générale. La condition de l'identité d'objet des conclusions n'est pas réalisée dès lors que, par sa requête de mesures provisoires, la requérante ne demandait pas encore au juge l'octroi de sa conclusion en annulation de la décision de l'assemblée générale, telle qu'elle fut présentée ultérieurement.
Déposée le 26 février 1981, la demande d'annulation de la décision de l'assemblée générale du 19 novembre 1980 était périmée en vertu de l'
art. 706 al. 4 CO
. L'arrêt attaqué doit donc être confirmé. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
53326752-d1be-46f5-86f7-7d85a83c62bf | Urteilskopf
125 I 54
6. Auszug aus dem Urteil der II. OerA vom 17. November 1998 i.S. R. gegen Kanton Basel-Stadt und Kanton Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 46 Abs. 2 BV
; Steuerdomizil lediger Arbeitnehmer.
Das Steuerdomizil von ledigen Arbeitnehmern befindet sich grundsätzlich am Arbeitsort; mögliche Ausnahmen. Zusammenfassung der Rechtsprechung (E. 2).
Beweislast für einen vom Arbeitsort abweichenden Lebensmittelpunkt (E. 3a).
Arbeitsort als Steuerdomizil mangels familiärer Beziehungen zum Wochenendaufenthaltsort (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 125 I 54 S. 54
Dr. sc. nat. R. wurde am 25. Juni 1956 in S. auf Sardinien geboren. Während seine Familie nach wie vor in Italien lebt, hält er sich seit dem Jahre 1981 in der Schweiz auf. Von Zürich, wo er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) im Fach Chemie doktorierte, zog er im Oktober 1987 nach A. (ZH). Dort wurde er im Jahre 1994 eingebürgert; seither ist er schweizerisch-italienischer Doppelbürger. R. ist unverheiratet, lebt allein und hat am B.-weg
BGE 125 I 54 S. 55
eine 2-Zimmer-Wohnung gemietet; Steuern bezahlte er bis anhin in A.
Seit dem 1. September 1994 arbeitet R. für die X. AG in Basel, wo er sich auf den 1. Juli 1995 als Wochenaufenthalter angemeldet hat. Zuerst wohnte er in Basel in einer möblierten 11/2-Zimmer-Wohnung; am 15. August 1995 zog er nach C. (BS). Seit dem 1. März 1996 bewohnt er dort (allein) eine 2-Zimmer-Wohnung an der D.-gasse.
Am 23. August 1996 verfügte die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt, R. sei ab dem 1. Januar 1997 im Kanton Basel-Stadt steuerpflichtig.
Diesen Entscheid bestätigte die Steuerverwaltung Basel-Stadt am 18. November 1996 auf Einsprache hin.
Hiergegen hat R. am 19. Dezember 1996 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den Einspracheentscheid aufzuheben und festzustellen, dass er weiterhin in A. im Kanton Zürich steuerpflichtig sei; er rügt eine Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 BV
(Doppelbesteuerungsverbot) und bestreitet das Besteuerungsrecht des Kantons Basel-Stadt, wobei er aber auch die Frage nach der Steuerhoheit des Kantons Zürich ab 1. Januar 1997 aufwirft.
Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Kanton Basel-Stadt abgewiesen und jene gegen den Kanton Zürich gutgeheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Bestreitet eine zur Veranlagung herangezogene Person die Steuerhoheit des Kantons, muss grundsätzlich in einem Vorentscheid rechtskräftig über die Steuerpflicht entschieden werden, bevor das Veranlagungsverfahren fortgesetzt werden darf (
BGE 123 I 289
E. 1a S. 291 f., mit Hinweisen). Vorliegend ist ein solcher Vorentscheid über die Steuerhoheit (sog. Steuerdomizilentscheid) angefochten; er kann, wenn die Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 BV
gerügt wird, ohne Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs direkt mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden (
Art. 86 Abs. 2 OG
; vgl.
BGE 123 I 289
E. 1a S. 291 f.).
b) Eine gegen Art. 46 Abs. 2 verstossende Doppelbesteuerung liegt vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder
BGE 125 I 54 S. 56
wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zustehen würde (virtuelle Doppelbesteuerung;
BGE 116 Ia 127
E. 2a S. 130).
2.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
Art. 46 Abs. 2 BV
steht die Besteuerung des Einkommens und beweglichen Vermögens unselbständig erwerbender Personen dem Kanton zu, in welchem sich deren Steuerdomizil befindet. Darunter ist in der Regel der zivilrechtliche Wohnsitz zu verstehen, d.h. der Ort, an dem sich die betreffende Person mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (
Art. 23 Abs. 1 ZGB
) bzw. wo der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen liegt (Urteil vom 20. Januar 1994 in: ASA 63 S. 839 E. 2a). Keine entscheidende Bedeutung kommt diesbezüglich dem polizeilichen Domizil zu: Das Hinterlegen der Schriften und das Ausüben der politischen Rechte bilden - zusammen mit dem übrigen Verhalten der betreffenden Person - blosse Indizien für den steuerrechtlichen Wohnsitz (vgl.
BGE 123 I 289
E. 2a S. 293 f., mit Hinweisen).
a) Hält sich eine Person abwechslungsweise an zwei Orten auf, namentlich wenn Arbeits- und sonstiger Aufenthaltsort auseinander fallen, ist für die Ermittlung des Steuerwohnsitzes darauf abzustellen, zu welchem der beiden sie stärkere Beziehungen unterhält. Der Lebensmittelpunkt bestimmt sich dabei nach der Gesamtheit der objektiven, äusseren Umstände, aus denen sich die Lebensinteressen erkennen lassen, nicht nach bloss erklärten Wünschen der steuerpflichtigen Person (
BGE 123 I 289
E. 2b S. 294, mit Hinweisen); der steuerliche Wohnsitz ist insofern nicht frei wählbar.
b) Das Steuerdomizil von Unselbständigerwerbenden liegt grundsätzlich am Arbeitsort, von dem aus sie für längere oder unbestimmte Zeit der täglichen Erwerbstätigkeit nachgehen (vgl.
BGE 123 I 289
E. 2b S. 294, mit Hinweisen).
aa) Eine Ausnahme besteht nach ständiger Rechtsprechung für verheiratete Steuerpflichtige, die täglich oder an den Wochenenden regelmässig zu ihrer Familie zurückkehren: Die durch persönliche und familiäre Bande begründeten Beziehungen werden für stärker erachtet als jene zum Arbeitsort; deshalb sind diese Steuerpflichtigen in der Regel am Aufenthaltsort der Familie zu besteuern (vgl. Urteil vom 20. Januar 1994 in: ASA 63 S. 839 E. 2b; LOCHER, Die Praxis der Bundessteuern, III. Teil: Doppelbesteuerung, § 3, I B, 2a Nrn. 1-3, 5, 9-12, 14, 16, 18, und dort erwähnte Praxis); anders verhält es sich grundsätzlich nur, wenn sie in leitender Stellung tätig
BGE 125 I 54 S. 57
sind (
BGE 121 I 14
E. 4a S. 16; LOCHER, a.a.O., § 3, I B, 2a Nr. 9 und § 3, I B, 1b Nrn. 1-17).
bb) Diese Praxis findet auch auf ledige Personen Anwendung, zählt die Rechtsprechung doch Eltern und Geschwister ebenfalls zur Familie des Steuerpflichtigen. Allerdings werden die Kriterien, nach welchen das Bundesgericht entscheidet, wann anstelle des Arbeitsorts der Aufenthaltsort der Familie als Steuerdomizil anerkannt werden kann, besonders streng gehandhabt; dies folgt aus der Erfahrung, dass die Bindung zur elterlichen Familie regelmässig lockerer ist als jene unter Ehegatten. Bei ledigen Steuerpflichtigen ist vermehrt noch als bei verheirateten Personen zu berücksichtigen, ob weitere als nur familiäre Beziehungen zum einen oder anderen Ort ein Übergewicht begründen. Dadurch erhält der Grundsatz, wonach das Steuerdomizil von Unselbständigerwerbenden am Arbeitsort liegt, grösseres Gewicht: Selbst wenn ledige Steuerpflichtige allwöchentlich zu den Eltern oder Geschwistern zurückkehren, können die Beziehungen zum Arbeitsort überwiegen. Dies kann namentlich dann zutreffen, wenn sie sich am Arbeitsort eine Wohnung eingerichtet haben, dort ein Konkubinatsverhältnis haben oder über einen besonderen Freundes- und Bekanntenkreis verfügen (vgl. Urteil vom 20. Januar 1994 in: ASA 63 S. 840 f. E. 2c, mit Hinweisen). Besonderes Gewicht haben in diesem Zusammenhang auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses und das Alter des Steuerpflichtigen (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1992 in: ASA 62 S. 446 E. 4).
cc) Erfahrungsgemäss führt die Pflege familiärer Beziehungen zu einer engeren Verbundenheit mit einem Ort als andere Kontakte; Konsequenz dieses Umstandes ist, dass bei ledigen Steuerpflichtigen kaum Ausnahmen vom Steuerdomizil am Arbeitsort vorkommen, wenn sie an jenem Ort, wo sie die Wochenenden verbringen, keine familiären Beziehungen unterhalten. Nur mit Zurückhaltung ist anzunehmen, dass die Beziehungen zum Ort der Wochenendaufenthalte stärker sind als jene zum Arbeitsort. Dies ist im Übrigen durchaus sachgerecht: Sinn und Zweck der direkten Steuern ist es, die allgemeinen Leistungen abzugelten, welche das Gemeinwesen für seine Mitglieder erbringt. Nun nehmen ledige Steuerpflichtige ohne Familie die öffentliche Infrastruktur und die Leistungen des Gemeinwesens in ungleich grösserem Masse an dem Ort in Anspruch, an welchem sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen und sich demzufolge mehrheitlich aufhalten, als am Ort, wo sie ihre Freizeit verbringen. Diesbezüglich unterscheiden sie sich von jenen Steuerpflichtigen, die über enge familiäre Bindungen am Leben teilhaben, das sich
BGE 125 I 54 S. 58
am Aufenthaltsort der Familie abspielt. So hat das Bundesgericht in einem kürzlich ergangenen Entscheid festgestellt, das Steuerdomizil einer ledigen, 43-jährigen Frau, die über keine näheren Familienangehörigen verfügt, liege dort, wo sie seit acht Jahren arbeitet und während der Woche in einer möblierten 1-Zimmer-Wohnung lebt, ungeachtet dessen, dass sie andernorts eine 2-Zimmer-Eigentumswohnung erworben hat, in welcher sie regelmässig Wochenenden und Ferien verbringt, und dass sie ihren ganzen Freundes- und Bekanntenkreis auch dort unterhält (vgl. Urteil vom 2. September 1997 in: Praxis 87/1998 Nr. 4 S. 24 f. E. 2c).
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er halte sich lediglich in dem Masse in Basel auf, wie es seine berufliche Tätigkeit verlange; die Freizeit (Wochenenden und Ferien) verbringe er regelmässig in A. Da er zu diesem Ort die engsten persönlichen und affektiven Beziehungen habe, liege sein steuerrechtlicher Wohnsitz dort.
a) Der Beschwerdeführer wohnt und arbeitet während der Woche in C. bzw. Basel. Wenn er sich in A. aufhält, lebt er dort grundsätzlich allein; es handelt sich dabei nicht um einen Familienort im Sinne der dargestellten Rechtsprechung, hat der Beschwerdeführer doch keine Familienangehörigen, die in der Schweiz leben. Deshalb lässt sich aus den von ihm zitierten Bundesgerichtsurteilen nichts zu seinen Gunsten ableiten; diese betreffen allesamt den Wohnort der Familie. Ledige Steuerpflichtige ohne intensive Kontakte zu nahen Familienangehörigen begründen nach dem Gesagten nur ausnahmsweise dort ein Steuerdomizil, wo sie sich in ihrer Freizeit aufhalten. Sie haben den Nachweis eines vom Arbeitsort abweichenden Lebensmittelpunktes selbst zu erbringen, kann doch vom Kanton, in dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, nicht verlangt werden, das Überwiegen ihrer persönlichen Beziehungen zum Arbeitsort zu beweisen (vgl. Urteil vom 2. September 1997 in: Praxis 87/1998 Nr. 4 S. 25 E. 2c).
b) Dem Beschwerdeführer gelingt es nicht, eine stärkere Verbindung mit A. als mit Basel nachzuweisen: Seine persönlichen Beziehungen zum Kanton Zürich erscheinen nicht unbedeutend; sie reichen jedoch nicht aus, um die Bindung aufzuwiegen, welche zu Basel bzw. C. aufgrund der täglichen Arbeit und des Verweilens während der Woche besteht. Nach eigenen Angaben handelt es sich beim Verhältnis des Beschwerdeführers mit K. nicht um ein Konkubinat, sondern um eine "feste Partnerschaft"; beide haben eine eigene Wohnung, verbringen jedoch angeblich die Wochenenden gemeinsam in A. bzw. Zürich. Da die Partner nicht zusammen leben, ist die
BGE 125 I 54 S. 59
bestehende Beziehung nicht derart eng, dass ihr bei der Bestimmung des Steuerdomizils grösseres Gewicht beizumessen wäre. Auch der Einbürgerung in A. kommt in Anbetracht der Lebensgeschichte des Beschwerdeführers keine grosse Bedeutung zu; dieser verfügt abgesehen vom Bürgerrecht über keine intensiven Beziehungen zu diesem Ort, ist er doch dort weder aufgewachsen noch zur Schule gegangen. Er hat vielmehr in Zürich doktoriert, wo er damals auch gewohnt hat. Nach A. ist er erst im Alter von 31 Jahren gezogen; in den dort ortsansässigen Vereinen ist er nicht aktiv. Dem Instruktionskurs, den er bei der Zivilschutzorganisation von A. absolviert hat, ist diesbezüglich keine Bedeutung beizumessen. Abgesehen von den unmittelbaren Nachbarn lebt der grosse Teil der Bekannten, auf die er sich mittels schriftlicher Bestätigungen beruft, in der Stadt Zürich und nicht in A. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer offenbar einen Teil seiner Wochenenden mit K. in deren Wohnung an der E.-strasse in Zürich verbringt, verdeutlicht weiter, dass er nicht speziell mit seinem bisherigen Wohnort A., sondern mehr mit dem Raum Zürich insgesamt verbunden ist.
Unerheblich ist, dass der Beschwerdeführer nur wegen eines unfreiwilligen Stellenverlustes in Basel arbeitet und gedenkt, möglichst bald wieder in Zürich erwerbstätig zu sein. Im Zeitpunkt, ab dem der Kanton Basel-Stadt das Besteuerungsrecht beansprucht, war der Beschwerdeführer 40 Jahre alt und seit knapp 21/2 Jahren bei der X. AG tätig; von einer blossen Zwischenlösung, die nur vorübergehender Natur wäre, kann demnach nicht die Rede sein. Weiter fällt ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer in Basel bereits die dritte Wohnung gemietet hat, die - wie jene in A. - immerhin über zwei Zimmer verfügt und die er selbst möbliert hat. Trotz der Chorproben, die der Beschwerdeführer häufig am Mittwochabend in Zürich besucht, hält er sich mehrheitlich in Basel auf. Es erscheint wenig glaubwürdig, dass er dort weder zu Berufskollegen noch zu Nachbarn irgendwelche Beziehungen geknüpft hat. Überdies wird er wohl - entgegen der Behauptung in der Beschwerdeschrift - seine Besorgungen zu einem guten Teil unter der Woche in Basel erledigen müssen; er wird kaum alles bis zum Wochenende aufschieben können.
c) Die Kritik des Beschwerdeführers am Einspracheentscheid der kantonalen Steuerverwaltung ist unbegründet. Diese hat - entgegen den Vorbringen in der Beschwerdeschrift - ausführlich und verständlich dargelegt, welche Gründe sie zum angefochtenen Entscheid bewogen haben. Im Übrigen war sie zur Vornahme weiterer
BGE 125 I 54 S. 60
Sachverhaltsabklärungen nicht verpflichtet. Aufgrund der bekannten Umstände oblag es dem Beschwerdeführer, selbst den Beweis seiner überwiegenden persönlichen Beziehungen zu A. zu erbringen (vgl. E. 3a). Die kantonale Steuerverwaltung muss sich ferner nicht vorwerfen lassen, ihre Haltung zum Steuerdomizil des Beschwerdeführers gewechselt zu haben: Es lag für die Zeit vor dem 1. Januar 1997 keineswegs eine Anerkennung des Wochenaufenthalterstatus des Beschwerdeführer vor. Die Steuerverwaltung Basel-Stadt muss sich bereits deshalb nicht auf eine Veränderung der tatsächlichen Begebenheiten berufen können, um ihren heutigen Standpunkt einnehmen zu dürfen. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
5344d10a-5ff1-4341-8ec4-5fa0da13bb6b | Urteilskopf
123 V 133
23. Arrêt du 8 septembre 1997 dans la cause Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents contre B. et Tribunal administratif du canton de Genève | Regeste
Art. 15 Abs. 3 UVG
,
Art. 22 Abs. 1 UVV
: Massgebender Höchstbetrag des versicherten Verdienstes bei der Berechnung der Invalidenrente. Ändert der Bundesrat im Verlaufe des Jahres vor dem Unfall den in der Verordnung festgelegten Höchstbetrag des versicherten Verdienstes, ist für die Berechnung der Invalidenrente der Verordnungstext im Unfallzeitpunkt massgebend. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 123 V 133 S. 134
A.-
Le 17 juillet 1991, B. a été victime d'un accident de la circulation qui lui a laissé des séquelles invalidantes. Au moment des faits, B. travaillait comme représentant et son revenu dépassait 100'000 francs par année. Il était assuré contre les accidents professionnels et non professionnels auprès de la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA).
Par décision du 29 novembre 1994, la CNA lui a alloué une rente d'invalidité de 50% dès le 1er juillet 1994, calculée sur la base d'un gain assuré de 90'020 francs. L'opposition de B. a été rejetée par décision du 16 février 1995.
- 134-
B.-
Par jugement du 31 juillet 1996, le Tribunal administratif du canton de Genève a admis partiellement le recours de B., dans le sens où le gain annuel assuré a été fixé à 97'200 francs.
C.-
La CNA interjette un recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande l'annulation et le rétablissement de sa décision du 16 février 1995.
B. a conclu au rejet du recours avec suite de frais et dépens. Le Tribunal administratif du canton de Genève a renoncé à formuler des observations, alors que l'Office fédéral des assurances sociales s'en remet à justice.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le litige porte sur le montant du gain annuel assuré déterminant pour le calcul de la rente d'invalidité.
a) Si l'assuré devient invalide à la suite d'un accident, il a droit à une rente d'invalidité (art. 18 al. 1 LAA). Le droit à la rente prend naissance dès qu'il n'y a plus lieu d'attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de l'assuré et que les éventuelles mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité ont été menées à terme (art. 19 al. 1 LAA).
Devenu partiellement invalide à la suite de l'accident, l'intimé a droit à une rente d'invalidité, point au demeurant non litigieux. Conformément à la disposition de l'art. 19 al. 1 LAA précitée, ce droit a pris naissance dès le 1er juillet 1994.
b) Le montant de la rente, selon l'art. 15 LAA, est calculé d'après le gain assuré; est déterminant le salaire que l'assuré a gagné durant l'année qui a précédé l'accident.
Dans le cas particulier, le salaire gagné durant l'année qui a précédé l'accident dépasse le montant de 100'000 francs.
2.
a) Le législateur a donné compétence au Conseil fédéral de fixer le montant maximum du gain assuré, en veillant à ce que, en règle générale, au moins 92 pour cent, mais au plus 96 pour cent des travailleurs assurés soient couverts pour le gain intégral (art. 15 al. 3 LAA). Faisant usage de cette compétence, le Conseil fédéral a fixé le montant maximum du gain assuré à 97'200 francs dans son ordonnance en vigueur depuis le 1er janvier 1991 (art. 22 al. 1 OLAA; ordonnance sur l'assurance-accidents du 2 mai 1990, RO 1990 I 768). Antérieurement, ce montant maximum s'élevait à 81'600 francs (ordonnance du 30 avril 1986, RO 1986 I 825). La décision du Conseil fédéral portant modification du montant maximum ne contient pas d'éventuelles dispositions transitoires.
BGE 123 V 133 S. 135
Alors que les juges cantonaux ont considéré que le gain assuré de l'intimé devait être fixé en tenant compte du texte en vigueur au moment de l'accident, et retenu par conséquent le montant de 97'200 francs, la CNA soutient, dans son écriture de recours, qu'il y a lieu de procéder à un calcul en tenant compte des maxima légaux pro rata temporis et de prendre en considération la période du 17 juillet 1990 au 16 juillet 1991.
b) Selon les principes généraux, on applique, en cas de changement de règles de droit, les dispositions en vigueur lors de la réalisation de l'état de fait qui doit être apprécié juridiquement ou qui a des conséquences juridiques. Ces principes valent également en cas de changement de dispositions réglementaires ou statutaires des institutions d'assurance. Leur application ne soulève pas de difficultés en présence d'un événement unique, qui peut être facilement isolé dans le temps. S'agissant par exemple des prestations de survivants, l'on applique les règles en vigueur au moment du décès de l'assuré, c'est-à-dire la date à laquelle naît le droit aux prestations du bénéficiaire.
En présence d'un état de choses durable, non encore révolu lors du changement de législation, le nouveau droit est en règle générale applicable, sauf disposition transitoire contraire (rétroactivité impropre). Il n'y a pas, dans ce cas, de rétroactivité proprement dite, en principe inadmissible (ATF 121 V 100 consid. 1a et les références).
c) Dans le cas particulier, l'état de fait dont découle le droit aux prestations résulte d'un événement isolé dans le temps, l'accident de circulation dont a été victime l'intimé. La situation juridique qui donne lieu à une rente d'invalidité résulte de cet événement accidentel, survenu le 17 juillet 1991. A l'époque étaient en vigueur - depuis le 1er janvier 1991 - les dispositions réglementaires de l'OLAA et en particulier l'art. 22 al. 1 dans sa nouvelle teneur. Appliquées au cas d'espèce, les règles exposées ci-dessus conduisent à retenir comme gain assuré maximum déterminant le montant de 97'200 francs.
La thèse contraire de la recourante, qui ne tient pas compte des principes généraux applicables en matière de changement de droit et de droit transitoire, ne repose au demeurant sur aucune base légale ou réglementaire qui justifierait l'application pro rata temporis qu'elle préconise.
Par ailleurs, elle conduirait à donner partiellement un effet rétroactif à une norme réglementaire qui n'est plus en vigueur, ce qui est contraire aux principes généraux énoncés plus haut.
BGE 123 V 133 S. 136
En définitive, le moment de la survenance de l'accident est déterminant pour fixer le gain assuré maximum. Sans motiver son point de vue, la doctrine s'est également prononcée dans ce sens (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, p. 323; RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2ème éd., ad art. 15 al. 3, p. 80).
3.
C'est en vain que, pour justifier sa thèse, la recourante voudrait se référer au principe d'équivalence entre primes et prestations. Déduit de l'art. 115 OLAA, ce principe n'a pas la portée absolue que lui prête la CNA, dès lors que la disposition précitée prévoit de nombreuses exceptions. Par ailleurs, dans le domaine de l'assurance-accidents, il existe d'autres exceptions au principe d'équivalence: ainsi, en cas d'accidents laissant des séquelles durables, des indemnités pour atteinte à l'intégrité ou des allocations pour impotent sont calculées en fonction du gain assuré maximum, sans tenir compte des primes versées; ou, lorsque les rapports de travail ont duré moins d'une année, le salaire reçu au cours de cette période est converti en gain annuel et le gain assuré ne correspondra plus aux primes versées.
Enfin, l'invocation du principe d'équivalence manque totalement de pertinence en l'espèce dès lors qu'au moment où le droit à la prestation est né, l'intimé payait précisément depuis le début de l'année des primes correspondant au montant du gain assuré maximum de 97'200 francs.
Cela étant, le jugement n'est pas critiquable et le recours se révèle mal fondé.
4.
(Dépens) | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
535815b4-1c65-4dec-9774-70327d02cf2b | Urteilskopf
103 Ia 124
25. Estratto della sentenza 29 giugno 1977 nella causa A. contro Camera di diritto tributario del Tribunale di appello del Cantone Ticino | Regeste
Art. 4 BV
; Besteuerung einer Leistung aus einer vom Erblasser abgeschlossenen Lebensversicherung; Art. 9bis, Art. 9ter, Art. 14 und Art. 15 des Tessiner Gesetzes über die Erbschaftssteuer vom 6. Dezember 1917.
Gemäss Tessiner Recht fallen Leistungen aus Versicherungsverträgen in den Nachlass bzw. in die Erbquoten, die Gegenstand der Besteuerung sind, und zwar nicht nur in dem vom Zivilrecht geregelten Fall der fehlenden Begünstigtenbezeichnung, sondern auch - entgegen eben dieser zivilrechtlichen Bestimmungen -, wenn eine entsprechende Versicherungsklausel besteht, aber diese zugunsten eines Erben oder Vermächtnisnehmers lautet. Die Versicherungsleistung, welche als Schenkung betrachtet wird, obwohl sie zivilrechtlich keine ist, ist zur Erbquote oder zum Vermächtnis hinzuzurechnen, selbst wenn der Begünstigte sie vor Hinschied des Erblassers empfangen hat. | Sachverhalt
ab Seite 124
BGE 103 Ia 124 S. 124
X. decesse a Stabio il 14 aprile 1973 ab intestato, lasciando quali eredi legittimi la vedova A. ed i figli minorenni. Questi
BGE 103 Ia 124 S. 125
chiesero il beneficio d'inventario. Secondo le adduzioni del ricorso, che l'autorità cantonale non contesta, furono notificati in quella sede crediti per complessivi Fr. 256'114.10. L'eredità oberata fu tuttavia accettata dai coeredi, che in via transattiva ottennero dai creditori una riduzione delle pretese. I debiti successori furono saldati impiegando la somma di Fr. 130'449.10, che la vedova aveva incassato quale beneficiaria di polizze d'assicurazione sulla vita stipulate dal defunto marito.
Con decisione del 31 gennaio 1975, l'Amministrazione cantonale delle contribuzioni (ACC), fondandosi sull'
art. 9 LTS
, stabili in Fr. 6'522.45 (5%) l'importo della tassa di donazione dovuta da A. per la somma di Fr. 130'449.10 ricevuta dall'assicurazione. Un ricorso interposto dalla contribuente fu respinto dal Dipartimento finanze, con la motivazione che, giusta l'
art. 14 LTS
, le assicurazioni a favore di terze persone (tra le quali è da annoverare anche il coniuge) sono soggette alla tassa delle donazioni per l'ammontare della somma percepita dal beneficiario, indipendentemente dalla consistenza - attiva o passiva - della successione, per cui è irrilevante che il loro provento sia stato parzialmente o totalmente utilizzato per il pagamento delle passività successorie.
Contro questa decisione A. si aggravò alla Camera di diritto tributario del Tribunale di appello (CDT). Faceva valere che il rifiuto della deduzione dei debiti sulla scorta del solo testo dell'
art. 14 LTS
era ingiustificato, e che i debiti vanno dedotti dal totale dell'attivo successorio, e non solo da una parte di questo.
Con decisione del 30 settembre 1976, la CDT ha respinto il ricorso. Dopo aver riprodotto la motivazione del Dipartimento delle finanze, la Camera vi ha fatto adesione, rilevando segnatamente che l'imposizione separata senza alcuna deduzione di debiti successori dell'importo ricevuto dall'assicurazione è senz'altro giustificata.
Con tempestivo ricorso di diritto pubblico per violazione dell'
art. 4 Cost.
, A. impugna questa decisione, e chiede al Tribunale federale di annullarla insieme con la tassazione.
Erwägungen
Considerato in diritto:
2.
Tra gli altri argomenti, la ricorrente sostiene che in virtù del diritto civile anche il ricavo di una polizza di assicurazione
BGE 103 Ia 124 S. 126
sulla vita del de cujus fa parte della successione, dalla quale, in virtù dell'
art. 15 LTS
, debbono dedursi i debiti.
Questa tesi non è esatta. Contrariamente a quanto la ricorrente sostiene, e conformemente a quanto asseriscono la CDT e l'ACC nelle osservazioni al ricorso, la pretesa del beneficiario di una polizza di assicurazione sulla vita, verificandosi il caso assicurato, non si fonda sul diritto successorio, bensì sul diritto assicurativo. Trattasi di una pretesa originaria, derivante direttamente dal contratto d'assicurazione e sottratta - con riserva dell'azione di riduzione (art. 529 in comb. con
art. 476 CC
) e dell'azione pauliana (art. 285 segg. LEF) - tanto agli eredi, quanto ai creditori dello stipulante. Quando il beneficiario è contemporaneamente erede ed è altresì una delle persone designate dall'
art. 85 LCA
, egli conserva codesta pretesa anche in caso di rinuncia all'eredità (
DTF 57 II 215
segg.; W. KÖENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3a ediz., pag. 434). Se nel contratto manca invece la clausola beneficiaria, la prestazione cade nella successione: essa compete coniuncta manu agli eredi come tali e garantisce quindi i creditori del defunto (KÖENIG, op.cit., pag. 423; V. MONTEIL, Das Objekt der Erbschafts- und Schenkungssteuer, pag. 139; cfr. anche ZBl 51 (1950), pagg. 80/81).
3.
Questa constatazione - come l'ACC ammette - non è però di sufficiente ausilio per risolvere il problema dell'imposizione fiscale di prestazioni assicurative. La soluzione di codesta questione va ricercata nel diritto fiscale cantonale. Sotto riserva degli obblighi che derivano dal diritto federale, segnatamente dall'art. 2 disp. trans. e dall'
art. 4 Cost.
, il legislatore cantonale è infatti libero, nella propria legislazione fiscale, di scostarsi dalle nozioni e dalle soluzioni del diritto civile federale: così, ad esempio, egli può adottare una nozione di donazione diversa da quella dell'
art. 239 CO
, e considerare sotto il profilo fiscale quale donazione anche quella fatta in adempimento di un dovere morale, in deroga al cpv. 3 di quel disposto (cfr. P. PETERMANN, L'imposition des assurances de personnes en Suisse, ASA 22 (1953/54), pagg. 65 segg., in particolare, 90 segg., 94 segg.).
4.
La ricorrente assevera che l'
art. 14 LTS
intende unicamente parificare alle donazioni le prestazioni derivanti da assicurazioni concluse a favore di terzi, e precisare che per l'imposizione fa stato la somma percepita dal beneficiario, non per
BGE 103 Ia 124 S. 127
avventura l'ammontare dei premi pagati o il valore di riscatto della polizza. Essa ne deduce che, per sapere se una deduzione di debiti sia in simile evenienza ammissibile, occorre rifarsi alle ulteriori disposizioni della legge concernenti le tasse di successione e donazione, e che queste impongono di tener conto delle passività successorie.
La tesi della ricorrente trova conforto nel testo dell'art. 14 in altre disposizioni della legge e nei materiali legislativi.
a) L'art. 14 parla generalmente di assicurazioni a favore di terzi, e non specificamente di assicurazioni sulla vita. Esso si limita a disporre che la somma percepita dal beneficiario soggiace alla tassa per le donazioni. Dal testo dell'art. 14 è pertanto lecito unicamente dedurre che il legislatore ticinese - indipendentemente dalla qualificazione giuridica secondo il diritto civile di simili prestazioni derivanti da un contratto di assicurazione - intende assimilarle ad una donazione fiscalmente imponibile per l'intera somma percepita dal beneficiario della polizza d'assicurazione. Contrariamente all'opinione delle istanze cantonali, dal solo testo dell'art. 14 non è possibile invece trarre conclusioni circa l'eventuale deducibilità dei debiti per il caso in cui - come nel presente - il beneficiario di una polizza di assicurazione sulla vita, considerato dalla legge fiscale quale donatario, sia nel contempo erede o legatario del de cujus che l'ha stipulata.
b) Tale interrogativo è sciolto in modo chiaro dagli
art. 9bis e 9ter LTS
. La prima di queste disposizioni prevede che in caso di ripetute liberalità, la tassa sarà commisurata sul loro valore complessivo, salva computazione dell'imposta già pagata sulle liberalità precedenti. L'
art. 9ter dal
canto suo, precisa che per la determinazione della tassa di successione fa stato il valore complessivo della sostanza pertoccata all'erede o al legatario, compresi l'ammontare delle assicurazioni sulla vita a loro favore e quello di precedenti liberalità, salvo che esse risalgano nel tempo ad oltre dieci anni.
Risulta così chiaramente che il legislatore ticinese ha inteso scostarsi, in materia di assicurazioni sulla vita stipulate dal de cujus, dalla legislazione civile per più di un verso. Le prestazioni dovute dall'assicurazione rientrano anzitutto nella successione, rispettivamente nelle quote ereditarie oggetto dell'imposizione fiscale, non solo - conformemente a quanto prescrive il diritto civile - nel caso in cui manchi la designazione di un
BGE 103 Ia 124 S. 128
beneficiario (cfr. supra consid. 2 in fine), ma anche, contrariamente a quanto dispone il diritto civile quando la clausola beneficiaria esiste, ma concerne un erede o un legatario. In secondo luogo, la prestazione dell'assicurazione - considerata come donazione anche se non è tale civilmente (cfr. supra, consid. 3 in fine) - s'aggiunge alla quota ereditaria o al legato anche nel caso in cui il beneficiario l'avesse percepita anteriormente al decesso dell'assicurato.
c) Risultante dal testo chiaro dell'
art. 9ter LTS
, introdotto con la novella del 24 novembre 1954, la soluzione adottata dal legislatore ticinese trova d'altronde inequivocabile conferma nei lavori legislativi inerenti a quella riforma, che ne spiegano il senso e lo scopo. Nel messaggio del Consiglio di Stato al Gran Consiglio concernente l'aggiunta degli art. 9bis e 9ter al testo unico delle leggi sulle tasse di successione del 15 dicembre 1950 (v. verbali del Gran Consiglio, Sessione ordinaria autunnale, 1953, pagg. 338/39), è detto infatti che la riforma proposta si avverava necessaria per eliminare il rimprovero mosso all'autorità fiscale di agire senza base legale allorquando essa procedeva alla collazione - influente sull'aliquota applicabile e conseguentemente sull'importo della tassa - "dell'intera sostanza pervenuta ad una persona da parte del medesimo donante o de cujus". Vi si aggiungeva che - la tassa essendo commisurata e percetta sulle singole quote (Erbanfallsteuer) e non sulla massa ereditaria come tale (Erbschaftssteuer) - detta collazione trovava la sua giustificazione nel "carattere stesso della tassa, che secondo le teorie più moderne è considerata come tassa sull'accrescimento di sostanza, basata cioè sull'arricchimento della persona, arricchimento che deve pertanto esser inteso, ai fini della tassazione, nel suo effettivo complesso". Vi si ribadiva inoltre che la riforma era intesa ad impedire che, "attraverso la conclusione di atti fra vivi (dettata o meno dall'intenzione di eludere il fisco)" si potessero conseguire dei risparmi di tassa, o addirittura sfuggire ad ogni imposizione, in palese disparità di trattamento "in confronto di coloro che ricevono in una sola volta quanto loro destinato o spettante".
A proposito dell'art. 9ter, si precisava poi esplicitamente che il nuovo disposto "prescrive la collazione, ai fini della determinazione della tassa di successione, delle assegnazioni e liberalità fatte in vita dal de cujus all'erede o al legatario, delle assicurazioni
BGE 103 Ia 124 S. 129
sulla vita stipulate a loro favore e della quota ereditaria o legato". Per finire si sottolineava che il principio della collazione è equo e risponde ai moderni criteri della legislazione tributaria che considera "il soggetto fiscale nel complesso della sua potenzialità economica, e vale ad evitare i risparmi di tassa, dovuti sovente - forse nella maggior parte dei casi - all'intenzione di eludere il fisco". Nel rapporto 17 novembre 1953 della Commissione della legislazione al Gran Consiglio (v. verbali del Gran Consiglio, Sessione ordinaria autunnale, 1953, pag. 340), le considerazioni del Consiglio di Stato sono pienamente confermate. Il Gran Consiglio, dal canto suo, adottò la novella senza discussione né sull'entrata in materia, né sui singoli articoli, né sul complesso, e con l'immediata adesione del Consiglio di Stato (v. verbali citati, pag. 296).
d) Il rifiuto delle autorità cantonali di ogni istanza di considerare la situazione della ricorrente nel suo complesso - cioè di tener conto della contemporanea qualità di erede di una successione oberata e di beneficiaria di una polizza di assicurazione sulla vita del de cujus - contravviene al testo chiaro della legge (
DTF 93 I 6
;
DTF 95 I 204
;
DTF 96 I 9
consid. 2, 36 consid. 1;
97 I 352
;
DTF 100 Ia 6
, 468), è in palese contrasto con le finalità perseguite dal legislatore ed è inficiata da una contraddizione insanabile (
DTF 91 I 207
;
93 I 6
;
DTF 94 I 12
;
DTF 97 I 327
). In particolare, non è lecito scostarsi dalle nozioni del diritto civile in materia di donazione, rispettivamente di contratto d'assicurazione, e prevedere il cumulo di prestazioni successive ai fini dell'imposizione fiscale, rispettivamente della maggiorazione del tasso d'imposta, da un canto, ma procedere in modo diverso allorquando l'applicazione del sistema prescelto comporta uno sgravio o l'esenzione (
DTF 93 I 693
).
L'argomento avanzato nell'impugnata decisione, per cui l'erede di una successione oberata può rinunciare alla stessa, mantenendo integro il suo diritto quale beneficiario dell'assicurazione, non cade in acconcio. Questa situazione, infatti, non si è verificata nel caso concreto: la vedova ha accettato l'eredità, ed ha liquidato i creditori col provento dell'assicurazione. Avesse rinunciato all'eredità, sottraendosi così al pagamento dei debiti successori, la ricorrente non avrebbe più dovuto né potuto esser considerata erede, e nulla avrebbe impedito al fisco di prelevare la tassa sulla prestazione dell'assicurazione, considerata quale donazione ai sensi dell'
art. 14 LTS
.
BGE 103 Ia 124 S. 130
Nel caso in esame, la deducibilità delle passività successorie dal complesso formato degli attivi successori veri e propri e del versamento dell'assicurazione in virtù della polizza è tassativamente prescritta dall'
art. 15 LTS
.
e) Neppure il riferimento fatto di transenna dalla CDT alla decisione della Steuerkommission del Cantone di Basilea-Città (pubblicata in ZBl 51/1950, pagg. 80/81) può modificare tale risultato, poiché i due casi non sono totalmente equiparabili. La Commissione fiscale ha certo rilevato che la legislazione basilese dichiarava soggette alla tassa di successione le prestazioni derivanti da contratti di assicurazione sulla vita dovute in virtù d'una clausola beneficiaria, ma, dalla decisione invocata, non risulta affatto che le stesse prestazioni dovevano senz'altro aggiungersi, sotto il profilo fiscale, al patrimonio successorio, risp. alla quota ereditaria.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
In quanto ricevibile, il ricorso è accolto e la decisione impugnata è annullata. | public_law | nan | it | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
535f0eb3-1cb6-483e-94e8-f92dafd03b6e | Urteilskopf
93 II 302
42. Arrêt de la Ire Cour civile du 3 octobre 1967 dans la cause Dobrski contre Skofic. | Regeste
Vollmacht des Mäklers.
Art. 38 Abs. 2 OR
.
1. Voraussetzungen für die Genehmigung eines Vertrages, den ein Mäkler abgeschlossen hat, ohne dazu von seinem Auftraggeber ermächtigt zu sein.
2. Tragweite der dem Mäkler gegebenen Weisungen für die Beurteilung der Frage, ob er zum Abschluss eines Vertrages für seinen Auftraggeber ermächtigt sei. | Sachverhalt
ab Seite 302
BGE 93 II 302 S. 302
A.-
Charles Chamay, de la maison Chamay et Thévenoz SA, entreprise de gérance d'immeubles et d'affaires immobilières, apprit, à la fin de 1960, que Dobrski cherchait à vendre un chalet à Crans-sur-Sierre. Peu après, Dobrski lui indiqua que
BGE 93 II 302 S. 303
ce chalet, propriété de la Société de construction de villas dont il était l'unique actionnaire, était à vendre par le transfert des actions pour le prix de 700 000 fr. Chamay affirme qu'à cette occasion, Dobrski lui aurait donné pouvoir de vendre et non pas seulement de trouver un acquéreur. Dobrski le conteste. Peu après, les époux Milo et Gina Skofic, qui cherchaient à acheter un chalet à Crans, entrèrent en contact avec Chamay. Le 5 janvier 1961, dans une lettre, adressée à Skofic, et où il confirmait de précédents entretiens, Chamay précisait que la propriété, comprenant 11 000 m2 de terrain, était à vendre pour 700 000 fr. par transfert des actions de la société immobilière. Ce prix, disait-il, n'était pas discutable et il fallait y ajouter la commission, 3% du prix de vente, mise à la charge de l'acheteur.
Le même jour, Chamay écrivit à Dobrski pour lui confirmer leur entretien téléphonique de la veille, selon lequel il avait signalé à Skofic la possibilité d'acquérir le chalet pour 700 000 fr. par achat des actions de la société propriétaire. Il précisait en outre que, si l'affaire aboutissait, elle serait réalisée sous les auspices de la direction générale du Crédit suisse, à Zurich, et de Me Maurice Merkt, avocat à Genève.
Le 7 janvier 1961, Dobrski accusa réception de cette lettre et ajouta: "de mon côté, je vous renouvelle l'engagement de vous laisser une option sur la vente de la propriétéjusqu'au 15 janvier, ou même à une date plus éloignée que vous pourrez m'indiquer".
Le 20 février 1961, Chamay écrivit à Dobrski pour l'informer que Skofic s'intéressait au chalet et prendrait une décision sous peu. Cependant, les négociations en restèrent là.
Au mois de septembre 1961, les époux Skofic reprirent contact avec Chamay et visitèrent le chalet. Chamay téléphona à Dobrski, lequel confirma qu'il était vendeur pour le prix de 700 000 fr. net. Il confirma ou indiqua, de plus, qu'il était aussi vendeur d'une partie du mobilier qui garnissait la maison et avait été spécialement créé pour cette fin. Enfin, il signala qu'il allait partir pour les Etats-Unis et serait absent jusqu'au 20 octobre environ. Chamay affirme qu'à l'occasion de ces entretiens par téléphone, Dobrski lui a confirmé le pouvoir de traiter l'affaire en son nom et d'encaisser pour lui le prix de vente. Dobrski le conteste.
A une date non précisée, mais antérieure au 25 septembre, Chamay et les époux Skofic tombèrent d'accord de conclure la vente pour le prix fixé. Chamay en avisa Diana Hoskin, secrétaire
BGE 93 II 302 S. 304
de Dobrski, à Genève, laquelle informa son employeur, par un télex du 25 septembre, dans les termes suivants:
Chamay indicates Chalet sold for price fixed please cable agreement stop can discuss questions of furniture your return.
Cela se traduit ainsi:
Chamay indique que le chalet est vendu pour le prix fixé; veuillez télégraphier votre accord. Vous pourrez discuter la question des meubles à votre retour.
Dobrski répondit à sa secrétaire par le télex suivant, reçu le 27 septembre:
Chamay Agree subject discussions conditions terms on my return.
En traduction française:
Chamay; d'accord sous réserve de discussions conditions termes à mon retour.
Le 28 septembre, Chamay écrivit au Crédit suisse, à Zurich, que Dobrski avait accepté l'offre d'achat des époux Skofic, clients de cette banque; il demandait en conséquence le versement, au compte de Chamay et Thévenoz, de 700 000 fr., prix du chalet, plus 21 000 fr., commission convenue. Il ajoutait:
"Dès le retour de Monsieur Dobrski il remettra le capital actions et signera la cession de vente suivant l'usage. Nous délivrerons les fonds à ce moment-là seulement. Comme il s'agit d'une vente mobilière, il est préférable que les fonds soient versés immédiatement entre nos mains... de façon à pouvoir ainsi lier l'affaire."
Il réservait enfin la question de l'achat du mobilier. Dobrski ni sa secrétaire n'ont eu connaissance de cette lettre. Mais, le 5 octobre, Chamay pria Diana Hoskin d'informer son employeur que le montant fixé avait été reçu. Dobrski répondit par un télex, reçu le 9 octobre, que la vente était subordonnée ("subject" en anglais) à un accord sur les termes et conditions à discuter après son retour à Genève, vers le 20 octobre.
Dobrski a produit un télex du 9 octobre, par lequel Diana Hoskin l'avisait que, selon une communication faite à Chamay par téléphone au reçu du télex précédent, seul le prix de vente était définitivement fixé, étant convenu que tous autres détails seraient discutés au retour du vendeur.
Le 5 octobre, en outre, Chamay avait écrit à Dobrski, par l'intermédiaire de Diana Hoskin, qu'il avait reçu de Zurich le
BGE 93 II 302 S. 305
montant de 700 000 fr., que la vente se faisait par transmission des actions, que l'entrée en jouissance serait fixée ultérieurement, que Skofic rachèterait éventuellement certains meubles, qu'au retour de Dobrski les fonds lui seraient versés et les modalités de forme et de détail arrêtées. Le 6 octobre, Diana Hoskin répondit à Chamay qu'elle avait envoyé à Dobrski une photocopie de la lettre du 5 octobre, prémentionnée.
Le 5 octobre, de plus, Chamay avait écrit à Skofic, à Rome, qu'il avait reçu les fonds et en avait avisé Dobrski, qu'au retour de celui-ci il y aurait lieu "de régler les modalités de forme et de détail relatives à l'achat du chalet".
Enfin, le même jour encore, Chamay avait écrit au Crédit suisse, à Zurich, pour accuser réception des 721 000 fr. "en contre-valeur d'une propriété à Crans-sur-Sierre dont le docteur Skofic a fait l'acquisition".
Dès son retour à Genève, Dobrski prit contact avec Chamay et Me Merkt. Sans désavouer Chamay, il subordonna le transfert des actions à la solution de trois problèmes: la date de la prise en possession, le rachat des meubles et l'éventuel impôt immobilier. Il se refusa à considérer la vente comme parfaite avant que ces trois points fussent réglés.
Le 1er novembre, Me Merkt écrivit à Skofic pour l'engager à rencontrer Dobrski le plus tôt possible, vu les désaccords qui subsistaient entre les parties. Une conférence tenue le 11 novembre en l'étude de Me Merkt avec Chamay et Skofic ne permit pas d'éliminer ces désaccords.
Le 17 novembre, Dobrski rencontra Skofic à Rome. Ils discutèrent de l'entrée en possession, du problème fiscal et du rachat des meubles, mais sans parvenir à s'entendre.
Le 28 novembre 1961, le Crédit suisse, à Zurich, par ordre des époux Skofic, mit Dobrski en demeure de lui remettre, jusqu'au 6 décembre 1961, le capital-actions, ainsi qu'un acte de vente dûment signé. Cette mise en demeure resta sans effets.
Du mois de janvier jusqu'au mois de mars 1962, Chamay fit encore diverses tentatives pour provoquer un accord entre les parties, mais sans succès. Ces efforts portèrent spécialement sur la charge que représentait l'impôt sur les gains immobiliers.
B.-
Le 14 avril 1962, Gina Skofic assigna Dobrski devant le Tribunal de première instance de Genève. Elle concluait à ce que le défendeur fût condamné, premièrement à lui remettre les actions de la S.I. de construction de villas sous peine d'une
BGE 93 II 302 S. 306
astreinte de 100 fr. par jour de retard, secondement à lui payer 100 000 fr. à titre de dommages-intérêts pour exécution tardive. Elle demandait en outre au tribunal de déclarer Dobrski passible des peines prévues par l'art. 292 CP pour le cas où il ne se conformerait pas au jugement.
Le 2 décembre 1965, le Tribunal de première instance de Genève débouta la demanderesse.
Statuant sur appel de la demanderesse, le 11 avril 1967, la Cour de justice de Genève cassa le jugement de première instance et, statuant à nouveau, condamna Dobrski à remettre à Gina Skofic les actions de la S.I. de construction de villas, à payer à l'appelante 25 000 fr. à titre d'intérêts de retard, subordonna l'exécution de l'arrêt à la condition que Gina Skofic justifie qu'elle n'est pas soumise aux dispositions de l'arrêté fédéral du 23 mars 1961 instituant le régime de l'autorisation pour l'acquisition d'immeubles par des personnes domiciliées à l'étranger, soit qu'elle a obtenu l'autorisation nécessaire; enfin, la cour débouta les parties de toutes autres ou contraires conclusions. Dobrski avait, dans la procédure, contesté avoir conféré à Chamay le pouvoir de conclure la vente en son nom. La Cour de justice ne s'est pas prononcée sur ce point, considérant que, même s'il fallait le résoudre par la négative, Dobrski avait en tout cas ratifié le contrat conclu en son nom par Chamay. Elle a en outre jugé que les points demeurés en suspens ne constituaient des éléments essentiels du contrat ni objectivement, ni subjectivement.
C.-
Dobrski a formé un recours contre cet arrêt. Il conclut derechef au déboutement de la demanderesse, qui, de son côté, a conclu au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La Cour de justice a admis tout d'abord que Chamay avait agi comme courtier de Dobrski. Celui-ci persiste à prétendre, aujourd'hui encore, que le mandant de Chamay était Gina Skofic. C'est manifestement à tort, vu les faits souverainement constatés par l'autorité cantonale.
2.
La vente litigieuse n'a fait l'objet que d'un contrat oral. La forme écrite n'eût été nécessaire que si les parties l'eussent réservée (art. 16 CO). Le recourant allègue, aujourd'hui encore, que tel serait le cas. Si l'on examine les faits souverainement constatés par l'autorité cantonale, on ne trouve pas trace d'une telle réserve.
BGE 93 II 302 S. 307
3.
Selon l'arrêt attaqué, Chamay, agissant au nom de Dobrski, son mandant, a vendu les actions de la S.I. de construction de villas à Gina Skofic. Or, s'il était un simple courtier, ses pouvoirs, tels que les définit l'art. 412 CO, ne le lui permettaient pas et il lui eût fallu, pour engager ainsi son client, être au bénéfice d'un mandat spécial. La Cour de justice ne s'est pas prononcée sur l'existence d'un tel mandat. Elle estimait n'avoir pas à le faire, car, on l'a dit, elle a jugé que même si Chamay avait agi sans pouvoirs, Dobrski aurait ratifié cet acte conformément à l'art. 38 al. 2 CO. C'est là un point de droit soumis à la censure du Tribunal fédéral saisi par la voie du recours en réforme.
4.
La ratification au sens de l'art. 38 CO est une déclaration de volonté qui peut être adressée aussi bien à celui qui a pris la qualité de représentant qu'à la partie qui a contracté avec lui.
Son contenu nécessaire est le contrat tel qu'il a été effectivement passé (v. TUHR, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, p. 320) et elle ne peut être que pure et simple. Il s'ensuit que lorsque le tiers au nom duquel le représentant sans pouvoirs a agi n'exprime la volonté de ratifier que sous certaines réserves, par exemple que l'on ajoute ou modifie telles clauses, il refuse sa ratification et offre, en réalité, de passer un autre contrat. Peu importe que ses réserves portent sur des points essentiels ou accessoires. On ne saurait, du fait qu'il est d'accord sur les éléments essentiels du contrat, lui imposer contre sa volonté, pour les éléments accessoires, soit la réglementation supplétive légale, soit le règlement judiciaire selon l'art. 2 al. 2 CO.
Comme toute manifestation de volonté non soumise à une forme spéciale, la ratification peut être implicite, résulter d'actes concluants, voire de la passivité ou du silence du tiers pour lequel on a contracté. De ce point de vue, on appréciera l'attitude dudit tiers comme un homme de bonne foi eût été justifié à le faire.
Ainsi, lorsqu'une personne est informée qu'un contrat a été conclu en son nom, son silence peut, suivant les circonstances, être compris comme une ratification. On pourra notamment se trouver dans de telles circonstances lorsque le contrat a été conclu par un mandataire, tel qu'un courtier, un avocat ou un notaire, qui avait reçu mandat de négocier, mais non pas de conclure. Toutefois, on ne saurait résoudre abstraitement la question, qui exige toujours une appréciation de l'ensemble des circonstances.
BGE 93 II 302 S. 308
Aussi ne saurait-on affirmer en principe, comme l'a fait la Cour de justice, que le recourant aurait dû formellement contester les pouvoirs de Chamay, son courtier. Le tiers pour lequel un représentant, fût-ce un courtier, a conclu un contrat sans pouvoirs pour ce faire n'a pas l'obligation d'invoquer cette absence de pouvoirs. Son silence, sur ce point, ne vaut ratification que si les circonstances permettaient de l'interpréter de bonne foi comme tel. Encore faut-il être d'une certaine exigence touchant la légitimité d'une telle induction afin de ne pas créer, par la jurisprudence, une présomption contraire au système de la loi. Dans le doute, on admettra que le cocontractant n'a pas rapporté la preuve de la ratification, preuve qui lui incombe.
5.
Dans la présente espèce, donnant suite au télex du 25 septembre 1961, qui l'avisait de la vente, Dobrski répondit, comme la cour cantonale l'a expressément admis pour le télex du 9 octobre suivant, qu'il était en principe d'accord avec la vente, mais entendait la subordonner à une mise au point des conditions à son retour. Il n'y a donc pas eu de ratification pure et simple. Il n'importe, selon les principes rappelés plus haut, que ces réserves aient porté sur des éléments essentiels ou non du contrat.
Sans doute Dobrski n'a-t-il pas expressément contesté que Chamay eût pouvoir de l'engager, ce dont la Cour de justice lui a fait grief. Mais, supposé que ce pouvoir n'eût pas existé, il n'y avait aucune raison de le nier, d'autant moins que le télex que Chamay fit adresser à son mandant, le 25 septembre 1961, requérait l'approbation de celui-ci.
Selon l'expérience générale, Dobrski pouvait admettre que son courtier avait abouti à un accord de principe sur l'objet et le prix. Mais il était normal que, dans une vente de ce genre, d'autres éléments encore fussent d'une importance décisive: la somme portée au bilan comme valeur de l'immeuble, vu les incidences fiscales qu'elle peut avoir, les garanties que donne en général le vendeur quant au contenu du bilan, la date de l'entrée en jouissance, etc. Il n'était dès lors nullement insolite que le vendeur, tout en approuvant l'accord de principe, réservât pour son retour la discussion sur les autres conditions de la vente. C'était là le contraire d'une ratification par laquelle Dobrski eût accepté que l'objet et le prix fussent arrêtés et les autres clauses fixées selon les règles légales supplétives, au besoin par la voie judiciaire.
BGE 93 II 302 S. 309
Peu importe que Chamay ait eu ou non connaissance de ce message - point de fait que la Cour de justice a laissé indécis. Il avait fait adresser à son mandant un message qui requérait une approbation; il lui appartenait de s'enquérir de la réponse auprès de la personne qu'il avait chargée du message. Au surplus, le 9 octobre, quinze jours plus tard, Dobrski, par un nouveau télex, confirma qu'il ne donnait son accord que sous réserve des points encore à discuter. La cour de justice a constaté implicitement que Chamay, bien qu'il le contestât, avait eu connaissance de ce message tout au moins. Du point de vue de la ratification, le télex du 9 octobre ne peut recevoir une interprétation différente que celle du télex du 25 septembre.
Enfin, la Cour de justice conclut à la ratification du fait que, lors des discussions qu'il eut à son retour avec Skofic, le recourant n'a jamais formellement dénié à Chamay le droit de conclure la vente des actions pour le prix de 700 000 fr. et qu'il s'est borné à soutenir que la vente n'était pas venue à chef à défaut d'accord sur d'autres points essentiels. Mais on a montré plus haut que l'argument serait décisif uniquement si, de cette absence de contestation, la demanderesse avait été fondée à conclure de bonne foi que le défendeur ratifiait tel quel le contrat passé par Chamay. Or, comme on l'a montré aussi, c'est précisément le contraire qui ressort sans équivoque du comportement et des déclarations de Dobrski, tels que l'arrêt entrepris les relate. Il n'y a donc pas eu de ratification du contrat selon l'art. 38 al. 2 CO.
6.
Il est dès lors indispensable de savoir si Dobrski a conféré à Chamay pouvoir seulement de négocier en son nom ou, bien plus, de conclure pour lui la vente. Dans la première de ces hypothèses, l'action devra être rejetée. Dans la seconde, il faudra encore constater quelles instructions le mandant a données à son courtier, touchant le contenu du contrat.
a) Supposé que Chamay eût reçu pouvoir de conclure la vente pour 700 000 fr., la commission du courtier étant à la charge de l'acheteur, Dobrski ne pourrait plus prétendre que les points demeurés en suspens étaient subjectivement essentiels, c'est-à-dire qu'il entendait ne pas se lier avant qu'ils fussent fixés. Car le mandant qui a donné, à son représentant, pouvoir de vendre à telles conditions ne saurait contester la validité du contrat conclu conformément à ses instructions et élever de nouvelles exigences.
BGE 93 II 302 S. 310
Dobrski pourrait, en revanche, soutenir que la vente n'est pas venue à chef, faute d'accord sur tous les éléments objectivement essentiels. Mais cette hypothèse n'est pas réalisée en l'espèce. La date d'entrée en possession n'est manifestement pas un élément essentiel du contrat; au surplus, la demanderesse a cédé sur ce point. Il en va de même de la vente du mobilier, qui, dans l'hypothèse, apparaîtrait comme une vente distincte de celle des actions. De même, la "question fiscale" serait étrangère à la vente. A défaut d'une clause spéciale, le vendeur ne saurait tirer aucun argument à l'encontre du contrat passé conformément à ses instructions, du fait que la loi mettrait à sa charge un impôt sur les bénéfices immobiliers ou de quelque autre nature, par suite de la vente.
Le contrat aurait donc été conclu dans l'hypothèse considérée.
b) Il ne le serait pas en revanche, faute de ratification à posteriori, si Dobrski avait chargé Chamay de vendre les actions pour un prix déterminé et avait en outre exigé qu'il insérât dans le contrat des clauses accessoires touchant, par exemple, la reprise de meubles ou le paiement d'une somme supplémentaire à titre de prise en charge d'un impôt dû par le vendeur.
7.
Toutes ces questions relèvent du fait; le Tribunal fédéral, saisi d'un recours en réforme, ne saurait en connaître. L'autorité cantonale ne les ayant pas résolues, la cour de céans doit lui renvoyer l'affaire pour qu'elle comble cette lacune après avoir, au besoin, complété l'instruction dans la mesure où la loi cantonale de procédure l'y autorise.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral: Admet le recours, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à la cour cantonale pour nouveaujugement dans le sens des motifs. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
535f8e66-14aa-465b-b5bb-66b729b1b964 | Urteilskopf
90 II 333
39. Arrêt de la Ire Cour civile du 10 novembre 1964 dans la cause Alex Martin SA contre Association suisse des fabricants de cigarettes. | Regeste
Art. 52 Abs. 2, 59 Abs. 2, 60 Abs. 1 ZGB.
Ein Verein verfolgt nur dann einen wirtschaftlichen Zweck, der die Erlangung der Rechtspersönlichkeit ausschliesst, wenn er selber ein kaufmännisches Gewerbe betreibt (Wiederherstellung der vor
BGE 88 II 209
geltenden Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 333
BGE 90 II 333 S. 333
A.-
Sous la dénomination "Association suisse des fabricants de cigarettes", il a été constitué une association au sens de l'art. 60 CC, dont le siège est actuellement à Fribourg, et qui groupe des fabriques de cigarettes établies en Suisse.
L'art. 2 des statuts définit le but social comme il suit:
Art. 2. - L'association a pour but de sauvegarder et de favoriser dans tous les domaines les intérêts communs de ses membres, notamment:
a) de prendre toutes mesures utiles quant à l'imposition du tabac et des produits manufacturés du tabac, ainsi que de traiter toutes négociations avec les autorités...
b) de régler les conditions de vente des cigarettes en Suisse, en particulier de fixer des prix de vente au détail obligatoires;
c) d'agir en lieu et place des membres dans les luttes économiques et de les protéger contre leurs effets.
En 1958, d'accord avec l'Association des grossistes spécialistes de la branche du tabac, l'Association suisse des fabricants de cigarettes a établi un nouvel ordre du marché
BGE 90 II 333 S. 334
pour la branche des cigarettes. Cette réglementation répartit la clientèle entre les fabricants et les grossistes. Elle fixe les marges de bénéfice des grossistes et des détaillants. Elle est assortie de mesures de rationalisation, telles que la création d'une caisse de compensation du chiffre d'affaires entre les grossistes. Ceux-ci bénéficient, en adhérant à la nouvelle organisation, d'un rabais de 2% et d'un rabais dit de fonction de 0,75% à 1,5% selon les quantités.
B.-
La société anonyme Alex Martin SA, dont le siège est à Fribourg, exploite un commerce de tabacs en gros. Ayant refusé d'adhérer à la nouvelle organisation du marché, elle a été frappée des mesures discriminatoires prévues par la nouvelle réglementation.
La société précitée a ouvert concurremment deux actions en cessation de boycott et en dommages-intérêts. L'une, dirigée contre l'Association des grossistes de la branche du tabac, a été introduite devant la Cour d'appel du canton de Berne. L'autre, formée contre l'Association suisse des fabricants de cigarettes, a été commencée devant le Tribunal de la Sarine, à Fribourg, où se trouve le siège de la défenderesse. D'entente entre les parties, le premier procès a été suspendu jusqu'à la solution du second. Celui-ci a été porté d'un commun accord devant le Tribunal fédéral, appelé à statuer en instance unique. La juridiction saisie a admis sa compétence par décision du 21 décembre 1962 (RO 88 II 383).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'association défenderesse a pour but la défense d'intérêts économiques communs de ses membres. Bien qu'elle n'ait pas contesté sa capacité d'être partie au procès, la question doit être examinée d'office (art. 3 al. 1 PCF). A moins d'exceptions spécialement prévues par la loi (cf. par exemple art. 562 et 602 CO), seules les personnes physiques ou morales sont capables d'agir et de défendre en justice. En particulier, les associations ne peuvent soutenir un procès que si elles ont acquis la personnalité juridique
BGE 90 II 333 S. 335
(cf. art. 60 CC). Sans cela, elles sont assimilées aux sociétés simples (art. 62 CC).
2.
La loi range les corporations de droit privé dans une classification bipartite. D'une part, les associations qui n'ont pas un but économique sont dispensées de l'obligation de s'inscrire au registre du commerce (art. 52 al. 2 CC); elles sont soumises aux règles des art. 60 ss. du code civil. D'autre part, les organisations corporatives qui ont un but économique sont régies par les dispositions du code des obligations applicables aux sociétés (art. 59 al. 2 CC, 620 ss. CO). Mais le législateur n'a apparemment pas saisi l'importance ni prévu le développement considérable des "associations économiques". Celles-ci se caractérisent par le fait que, sans participer directement à l'activité économique, elles ont pour but de servir médiatement les intérêts économiques de leurs membres. Le code civil ne ménage pas à de pareilles corporations la place qui leur conviendrait. Soucieuse de compléter la réglementation légale, la jurisprudence traditionnelle reconnaissait aux groupements économiques la faculté de se constituer en associations. Elle n'interdisait le choix de ce type de personne morale qu'aux organisations corporatives exerçant elles-mêmes une industrie en la forme commerciale (JdT 1935 I 66, RO 62 II 32 ss., 72 I 324 ss.). Sous le couvert d'une interprétation restrictive du but économique, elle substituait ainsi au critère légal du but celui des moyens utilisés pour l'atteindre. Néanmoins, la solution choisie présentait un triple avantage. Conforme à l'esprit libéral du code civil, elle permettait aux associations économiques, si variées dans leur composition et leur importance, de choisir la forme la plus appropriée à leurs besoins. Elle était facile à appliquer: on vérifie aisément si une personne, physique ou morale, exerce une industrie en la forme commerciale. Le critère était apparent, à la différence du processus psychique de la volonté qui fixe un but, dont les tiers ne perçoivent que les manifestations externes.
Le 11 septembre 1962, dans la cause Miniera, le Tribunal fédéral a rompu avec sa pratique antérieure et jugé que les
BGE 90 II 333 S. 336
groupements ayant pour but de défendre des intérêts économiques communs de leurs membres ne pouvaient se constituer en associations, car leur but n'est pas idéal, mais purement économique (RO 88 II 209). La décision visait une association de grossistes faisant le commerce de fer qui s'étaient entendus pour fixer les prix et les conditions de livraison. Approuvé par LIVER (RJB 99 [1963] p. 336 ss.), le renversement de la jurisprudence a été critiqué par d'autres auteurs (PIOTET, JdT 1963 I p. 98 ss., 226 ss.; PELLET, Le but non économique de l'association, thèse Lausanne 1964; BRINER, Zur Rechtsform der schweizerischen Wirtschaftsverbände, in Wirtschaft und Recht, 1964 p. 73 ss.).
Point n'est besoin de reprendre aujourd'hui l'exégèse des art. 52 al. 2, 59 al. 2 et 60 al. 1 CC. La décision rendue en la cause Miniera donne en effet une interprétation exacte du texte légal. En revanche, les conséquences pratiques qui résulteraient de sa confirmation et de l'application logique de la nouvelle définition du but non économique méritent un examen approfondi. En effet, la question n'intéresse pas seulement les associations économiques et leurs membres. Elle revêt aussi une importance considérable pour les tiers qui traitent avec ces groupements ou qui sont lésés par leurs actes illicites. Elle doit être résolue en tenant compte de la réalité des faits économiques. Sa solution ne saurait porter atteinte à l'harmonie qui doit régner entre le droit civil et le droit commercial. Les deux disciplines, qui ne sont d'ailleurs pas séparées dans la législation suisse, exercent en effet l'une sur l'autre une influence qui n'est pas négligeable (cf. GIOVANOLI, RDS 61 [1942] p. 1 ss., notamment p. 26/7).
3.
Le maintien du nouveau critère obligerait à opérer dans chaque espèce particulière la distinction entre le but économique et le but idéal. Plusieurs difficultés surgiront à ce propos, qui constituent un facteur d'insécurité.
a) Tout d'abord, le même but peut être idéal ou économique, selon qu'il tend à satisfaire les intérêts de tiers ou ceux de la corporation, voire de ses membres. Ainsi, une
BGE 90 II 333 S. 337
institution de bienfaisance qui se propose d'apporter à des tiers des avantages économiques conserve un but idéal, en raison du mobile altruiste qui inspire son action. Mais si elle recherche la même fin au profit de ses membres, elle s'inscrit dans la définition de la société coopérative (art. 828 CO). Qu'en sera-t-il alors si la corporation rassemble à la fois des bénéficiaires (ou des associations groupant les bénéficiaires) et des membres désintéressés? Le cas se produit souvent, soit que les seconds veuillent encourager l'initiative des premiers, soit que les promoteurs de l'oeuvre philanthropique entendent associer les bénéficiaires à la gestion, voire les appeler à participer au financement (cf. l'exemple cité par LIVER, op.cit., p. 337). La qualification du but sera d'autant plus incertaine que la composition du groupement subira des variations. Elle obligerait sans doute à nuancer les principes applicables à la détermination du but économique. La sécurité du droit en pâtirait.
b) Les difficultés à résoudre seraient plus graves encore en présence d'un groupement visant des buts multiples, les uns de caractère économique, les autres de nature idéale. Ainsi, la grande majorité des associations professionnelles déclarent dans leurs statuts, à côté de fins économiques avouées, des objectifs ou du moins des intentions qui dépassent les intérêts patrimoniaux immédiats et qui représentent, dans l'idée des promoteurs, un but idéal. Si le but réellement visé ne correspond pas à celui qui est énoncé, l'application logique des principes posés dans la décision Miniera exigerait que le premier soit déterminant. Cependant, comme en matière de but illicite (cf. RO 62 II 97), on présumerait sans doute que les statuts sont sincères, et partant que l'association existe juridiquement. La preuve d'une divergence entre la fin déclarée et l'objectif réel incomberait à celui qui s'en prévaut. Elle sera souvent difficile à apporter, surtout pour une personne étrangère au groupement, telle que la victime d'un boycott.
c) Même si l'on parvient à déterminer la fin qui l'emporte, il restera à définir la nature de la corporation
BGE 90 II 333 S. 338
hybride, à but mi-idéal, mi-économique. Si l'on choisit comme critère le but prédominant, on admet implicitement qu'une association se propose un objectif économique - contrairement aux règles dégagées en la cause Miniera - par le seul fait que cet objectif concourt avec une fin idéale (cf. PIOTET, op.cit., p. 101). En outre, l'importance respective des deux buts en présence ne sera pas facile à déterminer. Elle variera peut-être dans le temps, de telle sorte que la nature juridique de la collectivité, et partant son existence comme personne morale, seraient exposées à de brusques mutations. Enfin, la décision sur la prédominance de l'un des buts relève de l'appréciation. L'insécurité subsistera donc jusqu'au prononcé définitif de l'autorité judiciaire supérieure.
Si l'on applique les règles de la nullité partielle, comme le suggère PIOTET (op. cit., p. 101), l'association subsisterait uniquement avec ses buts idéaux. En revanche, les clauses statutaires énonçant des fins économiques seraient frappées de nullité. Elles vaudraient comme société simple (cf. dans ce sens RO 48 II 170, consid. 2 in fine). L'association proclamant un but idéal existerait alors sans inscription au registre du commerce et lierait ses membres en vue du but économique principal par des accords contractuels. Encore faudrait-il préciser dans quelle mesure ces accords ressortiraient au but social et engageraient l'association comme telle, non ses membres individuellement. De même, on devrait examiner si la nullité des clauses statutaires relatives au but économique dégagerait l'association de sa responsabilité, fondée sur l'art. 55 CC, pour un acte illicite - par exemple un boycott - décidé par l'assemblée générale et exécuté par les organes sociaux, mais exorbitant du but idéal. Il appartiendrait à la jurisprudence de résoudre ces questions en élaborant les règles nécessaires et en les appliquant à chaque cas particulier.
d) Assurément, on pourrait ranger les corporations mixtes dans les associations, en leur prescrivant de s'inscrire au registre du commerce. La décision rendue en la cause Miniera, qui vise un groupement à but purement
BGE 90 II 333 S. 339
économique, ne s'y oppose pas. Mais la loi n'offre aucun appui à une solution pareille. L'association ayant un but économique, même partiel, semble d'ailleurs incompatible avec l'art. 59 al. 2 CC. De toute manière, il est douteux que le juge puisse introduire par la voie prétorienne une nouvelle forme d'association, dont la constitution en personne morale serait subordonnée à l'inscription au registre du commerce.
e) Les difficultés relevées seraient particulièrement sensibles non seulement du point de vue des associations et de leurs membres, mais aussi et surtout pour les tiers qui entreraient en relations avec eux. Ainsi, la victime d'un boycott ou d'un acte de concurrence déloyale ne saura si elle doit rendre responsable de l'acte illicite qui la lèse l'association - laquelle contestera peut-être son existence juridique, voire sa responsabilité pour l'acte incriminé - ou ses membres qu'elle considérerait comme liés par un contrat de société simple (art. 62 CC). Son incertitude restera d'autant plus grande que les éléments déterminants pour résoudre la question à la lumière de la jurisprudence récente seront fréquemment occultes. En effet, les cartels ne publient généralement pas leurs statuts. Les concurrents n'en ont le plus souvent pas connaissance. Le temps leur manquera pour élucider les faits à établir en vue de sauvegarder leurs droits. L'inconvénient sera particulièrement grave lorsque le tiers lésé entend requérir des mesures provisionnelles ou une décision judiciaire appliquant l'art. 6 al. 2 de la loi fédérale sur les cartels et les organisations analogues du 20 décembre 1962 (loi sur les cartels). Il devra se procurer les informations nécessaires, non seulement sur les statuts de l'association qui nuit à ses intérêts, mais encore sur la façon dont ils sont effectivement appliqués, pour savoir s'il doit intenter un procès à une personne morale ou à des membres isolés d'un groupement dépourvu d'existence juridique.
4.
La décision rendue en la cause Miniera concernait un cartel de prix. La collectivité visée en l'espèce n'avait pas d'autre objectif. Cependant, la notion de but économique
BGE 90 II 333 S. 340
dégagée dans les considérants, si elle était confirmée, devrait être appliquée de façon conséquente, dans l'intérêt de la sécurité du droit. Elle s'étendrait alors à de nombreuses associations professionnelles. Outre leur but général d'organiser la branche par une réglementation professionnelle détaillée, celles-ci forment en effet des cartels qui règlent minutieusement les prix (cf. par exemple les organisations horlogères mentionnées dans les arrêts publiés au RO 82 II 292, 85 II 489).
En dehors des cartels proprement dits, d'autres groupements fixent les prix de vente minima pour leurs adhérents, s'efforcent d'améliorer les salaires payés à leurs membres, ainsi que leurs conditions de travail (durée, vacances payées, assurances, etc.); d'autres organisations corporatives négocient avec les syndicats ouvriers, pour le compte des entreprises qui leur sont affiliées, la réglementation du travail et les salaires; autant de tâches qui ne sont pas des buts idéaux selon la décision Miniera. Ainsi, les organisations professionnelles - patronales et ouvrières - ont un but économique. Sans doute leurs statuts énoncent-ils aussi d'autres buts, que l'on peut qualifier de non économiques. Mais ces buts-là sont secondaires. L'objectif essentiel correspond exactement à la définition de la société coopérative, qui a pour but de "favoriser..., par une action commune, des intérêts économiques déterminés de ses membres" (art. 828 CO). Le législateur l'a confirmé récemment, en déclarant expressément que la loi sur les cartels n'est pas applicable "aux conventions, décisions et mesures qui ne visent que les rapports de travail" (art. 1er, 2e phrase). L'exception eût été superflue si de telles démarches ne constituaient pas des mesures cartellaires, mais la recherche d'un but idéal.
En qualifiant les corporations selon leur but, à l'aide des critères dégagés en la cause Miniera, on dénie par conséquent la personnalité juridique aux groupements d'employeurs et de travailleurs qui prennent l'initiative de pareilles mesures. Tel sera le cas, en particulier, des grandes associations professionnelles qui jouent un rôle très important
BGE 90 II 333 S. 341
dans la vie économique et les structures sociales du pays et qui sont fréquemment appelées à collaborer avec les autorités. N'existant pas comme associations, ces groupements seront assimilés aux sociétés simples, en vertu de l'art. 62 CC (cf. LIVER, op.cit., p. 336/7).
5.
L'art. 62 CC transforme, par l'effet d'une conversion légale, les statuts des associations inexistantes comme telles en contrats de société simple. Mais cette situation ne peut durer. Elle prendra fin, à bref délai, par la dissolution de la société simple ou sa conversion en une autre forme de société régie par le droit des obligations.
a) Pour conserver l'organisation interne comme contrat de société simple, il faut admettre que l'art. 534 al. 2 CO, selon lequel la majorité apte à prendre les décisions se compte par têtes, n'est pas une règle impérative (cf. à ce propos SIEGWART, rem. prél. 105 ad art. 530/551 CO; le même auteur écrit toutefois plus loin que le droit de vote peut être gradué selon les apports de chaque associé: n. 8 ad art. 534 CO). Quoi qu'il en soit, la société simple ne s'accommoderait pas de la permanence, qui est la règle pour les associations. L'art. 546 CO, qui permet à chaque associé de provoquer la dissolution pour la fin de l'exercice annuel, est de droit impératif (SIEGWART, n. 20 ad art. 545/7 CO). Même si l'on admet un droit de sortie, son exercice supposerait un règlement de compte sur le modèle des art. 576 et 580 CO concernant la société en nom collectif (RO 88 II 233/4, consid. II 2 e; SIEGWART, n. 38/40 ad art. 545/7 et n. 15 ad art. 580 CO). De plus, la société simple est formée en considération de la personne de ses membres. Le décès de l'un d'eux entraîne la dissolution, à moins que le contrat ne prévoie la continuation de la société avec ses héritiers (art. 545 ch. 2 CO). Cette réserve convient mal aux accords liant les membres d'organisations professionnelles.
La responsabilité solidaire des associés (art. 544 al. 3 CO) serait parfois inadéquate et entraînerait des conséquences inéquitables. Le défaut de personnalité serait préjudiciable à la victime d'un boycott dans l'exercice de certaines
BGE 90 II 333 S. 342
actions. On ne saurait exiger du lésé qu'il intente un procès à tous les sociétaires, sans qu'il en ait la liste. S'il s'en prend à quelques-uns seulement, il pâtira de la relativité de la chose jugée.
Ainsi les groupements importants, réunissant de nombreuses entreprises, ne peuvent être transformés en sociétés simples permanentes.
b) Sans doute envisagera-t-on que les associations professionnelles, inexistantes comme telles, se constituent en sociétés coopératives. Le Conseil fédéral a d'ailleurs mentionné les cartels parmi les groupements aptes à revêtir cette forme juridique (Message à l'appui du projet de loi revisant les titres XXIV à XXXIII du code des obligations, FF 1928 I p. 319). Mais le législateur n'a pas entendu dire qu'elle seule leur fût permise. Surtout, il semble avoir perdu les cartels de vue en édictant l'art. 885 CO. Selon cette disposition impérative (Message cité, p. 323, et RO 72 II 103), chaque sociétaire a droit à une voix à l'assemblée générale. Pour la plupart des groupements, qui réunissent des entreprises de dimensions très diverses (par exemple dans la branche de l'horlogerie), une prescription pareille représente un obstacle insurmontable (cf. LIVER, op.cit., p. 337/8). Dans l'association, en revanche, le droit de vote égal prévu à l'art. 67 al. 1 CC est une norme dispositive (cf. art. 63 CC), qui laisse aux statuts la faculté de régler la question selon les besoins propres à chaque cas particulier (cf. EGGER, n. 10 et HAFTER, n. 4 ad art. 66/7 CC).
c) En présentant le projet de loi introduisant en Suisse la société à responsabilité limitée, le Conseil fédéral a relevé qu'elle conviendrait particulièrement aux cartels et aux syndicats (Message cité, p. 305). Mais son voeu ne s'est pas réalisé par la suite. Les groupements professionnels se sont détournés de cette société de capitaux, estimant qu'elle répondait mal à leurs besoins. Les autres sociétés commerciales présentent à leurs yeux des inconvénients semblables. Aussi ne doit-on pas s'attendre à la conversion des associations professionnelles en personnes morales régies par le
BGE 90 II 333 S. 343
droit des obligations. Les membres de la plupart d'entre elles se contenteront plutôt de maintenir un lien réduit sous la forme d'un contrat de société simple.
d) L'application des art. 52 al. 2, 59 al. 2 et 60 al. 1 CC, dans l'interprétation stricte qu'en donne la décision Miniera, priverait abruptement les associations professionnelles de la personnalité juridique dont elles jouissaient auparavant. Qui plus est, elle ne leur laisserait aucune issue sous la forme d'une autre personne morale convenant à leurs besoins (cf. VISCHER, cité par BRINER, op.cit., p. 76). Elle se justifierait peut-être, en dépit des graves inconvénients signalés, si la question n'avait pas encore été tranchée par les tribunaux. On exigerait alors des groupements en cause qu'ils se conforment rigoureusement au texte de la loi. Mais la situation est bien différente. Les organisations professionnelles se sont implantées en fait, sous la forme d'associations. Plusieurs d'entre elles jouent un rôle considérable dans la vie économique et sociale du pays. La jurisprudence l'a admis pendant près de trente ans. Elle ne saurait bouleverser une situation juridique acquise avec son agrément, alors qu'elle n'a aucune possibilité de ménager un régime transitoire. Le résultat d'un pareil revirement ne gênerait pas seulement les associations professionnelles et leurs membres. Il serait plus pernicieux encore pour les tiers qui contractent avec eux ou qui sont leurs victimes, par exemple en cas de boycott.
6.
Enfin, il importe de retenir un critère qui assure la cohérence de la législation, en considérant non seulement le droit civil, le droit des obligations et le droit commercial, mais aussi les lois spéciales qui s'y rattachent.
a) L'art. 322 CO reconnaît implicitement la personnalité juridique aux associations d'employeurs et de travailleurs qui, à côté des groupements de fait liés par un contrat de société (cf. Messages du Conseil fédéral, FF 1909 III p. 767 et 1954 I p. 155/6), sont déclarées aptes à conclure des conventions collectives de travail. Sans doute le législateur n'a-t-il pas envisagé spécifiquement les associations au sens
BGE 90 II 333 S. 344
des art. 60 ss. CC, comme cela ressort du texte allemand de la loi ("Vereinigungen", dans la version de 1912 et "Verbände", dans la version de 1956, mais non "Vereine"). Il n'ignorait pas cependant le fait notoire que les groupements patronaux et ouvriers sont constitués en associations ("Vereine") dans tout le pays. Du reste, on a montré plus haut que ces groupements ne sauraient guère se constituer sous une autre forme de personne morale.
b) Plusieurs lois spéciales admettent que les caisses d'assurances sociales se constituent en associations (assurance-maladie, art. 29 LAMA, cf. EGGER, n. 5 ad art. 60 CC et DE STEIGER, RJB 96 [1960] p. 194; assurance-chômage, art. 6 al. 2 LF du 22 juin 1951; allocations familiales, cf. RO 72 I 319 ss.).
c) Les art. 6 al. 2, 12 al. 3 et 13 al. 1 de la loi sur les cartels désignent par "associations" ("Verbände") les corporations constituant des cartels et qui revêtent la forme de l'association au sens des art. 60 ss. CC ou celle de la société coopérative (Message du Conseil fédéral à l'appui du projet de loi, FF 1961 II 586 et 589; PIOTET, op.cit., p. 226 ss.). A l'art. 6 al. 2, "l'adhésion au cartel" vise les ententes ayant la forme d'un simple contrat (société simple), tandis que les mots "admis dans l'association" ("Verband") se rapportent nécessairement à l'association ("Verein") et à la coopérative. S'ils ne visaient que la coopérative, la disposition spéciale eût été superflue, vu l'art. 839 CO. Le message se réfère d'ailleurs expressément à la jurisprudence qui permet d'imposer à l'association comme à la société coopérative l'admission de la victime d'un boycott (FF 1961 II 586; cf. RO 76 II 294, 82 II 306 et 86 II 368).
d) L'art. 47 ORC traite de l'inscription au registre du commerce "des associations qui ne poursuivent pas exclusivement un but non économique", en particulier des "groupements professionnels constitués en associations". Il reconnaît ainsi l'existence d'associations semblables. On ne saurait dire que cette disposition soit contraire à la loi. Elle est conforme à la jurisprudence traditionnelle.
BGE 90 II 333 S. 345
e) La loi admet ainsi qu'un groupement professionnel patronal ou ouvrier, de même qu'une caisse d'assurance sociale ou un cartel, se constitue en association. Assurément, les tribunaux ne sont pas liés par cette reconnaissance implicite, comme ils le seraient par une règle expresse (RO 87 II 330 consid. 4 c et 341 consid. 8). Toutefois, la cohérence de l'ordre juridique institué par la loi serait compromise si la jurisprudence revenait sur une pratique que le législateur a consacrée et introduite implicitement mais clairement dans la loi.
7.
La sécurité du droit et la cohérence de l'ordre juridique commandent ainsi de rétablir l'ancienne jurisprudence qui substituait au critère légaldu but celui des moyens Dès lors, une association n'a un but économique - qui l'empêche d'acquérir la personalité morale - que si elle exerce elle-même une industrie en la forme commerciale. En revanche, les groupements qui se proposent des objectifs économiques généraux, sans exercer eux-mêmes une telle activité, demeureront constitués en associations. Sans doute serait-il judicieux de les astreindre à s'inscrire au registre du commerce, de façon que leur constitution ne demeure pas occulte. Mais les tribunaux ne sauraient imposer une pareille obligation en marge de toute disposition légale. C'est au législateur qu'il appartiendrait d'édicter les prescriptions nécessaires.
8.
Selon l'art. 2 de ses statuts, la défenderesse vise des buts de nature purement économique. Mais elle n'exerce pas elle-même une industrie en la forme commerciale. En application du critère rétabli par les considérants qui précèdent, elle peut demeurer constituée en association. Jouissant de la personnalité juridique, elle est capable de soutenir le procès comme partie et d'ester en justice par l'intermédiaire de ses organes statutaires.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Reconnaît à la défenderesse la capacité d'ester en justice. | public_law | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5369a3b0-05ca-48ed-a0e9-e26650d54689 | Urteilskopf
107 Ia 343
66. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1981 i.S. W. gegen Vormundschaftsbehörde X. und Regierungsrat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
und
Art. 381 ZGB
.
Den Eltern des Mündels fehlt die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Ernennung des Vormundes (E. 2). Doch können sie insofern eine formelle Rechtsverweigerung mit staatsrechtlicher Beschwerde rügen, als ihnen verwehrt worden ist, einen Vormund vorzuschlagen oder die Wahl des Vormundes anzufechten und in diesem Zusammenhang Beweisanträge zu stellen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 343
BGE 107 Ia 343 S. 343
E. W., geb. 1954, wurde am 10. Juni 1977 in Anwendung von
Art. 369 ZGB
unter Vormundschaft gestellt. Zum Vormund wurde Amtsvormund Z. ernannt.
Im Jahre 1979 vernahm die Mutter des Mündels, M. W., dass Amtsvormund Z. in den Ruhestand trete. Sie schlug der Vormundschaftsbehörde
BGE 107 Ia 343 S. 344
X. daraufhin einen ihrer Bekannten als Vormund ihrer Tochter vor. Die Vormundschaftsbehörde wählte jedoch am 8. Januar 1980 als Vormund von E. W. den Nachfolger von Z., Amtsvormund G.
Gegen diesen Beschluss legte M. W. beim Regierungsstatthalter Rekurs ein, der am 30. Juni 1980 abgewiesen wurde. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid wies der Regierungsrat des Kantons Bern am 10. Februar 1981 ab.
M. W. führt beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und beantragt, den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern aufzuheben.
Die Beschwerdeführerin hat den Entscheid des Regierungsrates auch mit einer Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von
Art. 68 OG
beim Bundesgericht angefochten (s.
BGE 107 II 504
ff.).
Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die staatsrechtliche Beschwerde steht den Bürgern (Privaten) hinsichtlich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben (
Art. 88 OG
). Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in rechtlich geschützten eigenen Interessen beeinträchtigt wird; zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen wie auch zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen ist die Beschwerde nicht gegeben (
BGE 105 Ia 189
und 57 E. b;
BGE 104 Ia 156
).
Haben das Mündel oder dessen Eltern jemanden als den Vormund ihres Vertrauens bezeichnet, so soll gemäss
Art. 381 ZGB
diesem Vorschlag, wenn nicht wichtige Gründe dagegen sprechen, stattgegeben werden. Diese Vorschrift ist ausschliesslich im öffentlichen und nicht im privaten Interesse derjenigen Personen, die einen Vormund vorschlagen können, aufgestellt worden. Die Vormundschaft ist eine öffentliche Angelegenheit, und ihre Ausgestaltung lässt die persönliche Rechtsstellung der Eltern des Mündels unberührt. Dass die Wahl des Vormundes von jedermann, der ein Interesse daran hat, gemäss
Art. 388 ZGB
angefochten werden kann, vermag hieran nichts zu ändern; denn dabei handelt es sich um eine für das Gebiet des Vormundschaftsrechts geltende Sondervorschrift, die auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht
BGE 107 Ia 343 S. 345
anwendbar ist. Diese ist nicht Bestandteil eines für das Vormundschaftsrecht vorgesehenen Verfahrens, sondern hat einen neuen, selbständigen, vom kantonalen Verfahren durchaus verschiedenen Gegenstand (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts i.S. St. c. Regierungsrat Solothurn vom 30. Oktober 1944).
Da die Mutter des Mündels im vorliegenden Fall durch die Wahl des Vormundes lediglich tatsächlich oder mittelbar berührt, in ihren rechtlich geschützten Interessen indessen nicht beeinträchtigt worden ist, fehlt ihr die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ebenso wie dem Geschädigten oder Anzeiger im Strafprozess, der die Verurteilung des Angeschuldigten erreichen will (
BGE 104 Ia 156
; ZVW 17/1962 S. 103).
3.
Das Bundesgericht hat in
BGE 104 Ia 156
in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt, unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst seien aber Anzeiger und Geschädigter befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung solcher Rechte zu rügen, die ihnen das kantonale Recht wegen ihrer Stellung als am Strafverfahren beteiligte Partei einräume und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstelle oder auf eine solche hinauslaufe. Wer beispielsweise nach dem kantonalen Recht befugt sei, als Anzeiger oder Geschädigter in einem Strafprozess Beweisanträge zu stellen, könne daher mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen, man habe ihm in Missachtung der entsprechenden kantonalen Vorschriften keine Gelegenheit gegeben, solche Anträge zu stellen. Er könne dagegen nicht rügen, sie seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung abgewiesen worden oder die kantonale Behörde habe die Beweise willkürlich gewürdigt. Ebensowenig seien Anzeiger und Geschädigter befugt, sich mit staatsrechtlicher Beschwerde über eine willkürliche Anwendung des materiellen Strafrechts zu beklagen (
BGE 104 Ia 156
/57 mit Hinweisen).
Wird diese Rechtsprechung in analoger Weise auf die Eltern des Mündels angewendet, die im Sinne von
Art. 381 ZGB
eine Person ihres Vertrauens als Vormund bezeichnet haben, so heisst das, dass sie insofern eine formelle Rechtsverweigerung mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen können, als ihnen verwehrt worden ist, Vorschläge zu machen, die Wahl des Vormundes gestützt auf
Art. 388 Abs. 2 ZGB
anzufechten und in diesem Zusammenhang Beweisanträge zu stellen. Sie können aber weder die Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache, dass ihre Anträge
BGE 107 Ia 343 S. 346
wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung abgelehnt worden sind, rügen. Die Beurteilung dieser Fragen kann nämlich nicht von der Prüfung der Sache selbst getrennt werden; auf eine solche haben die in
Art. 381 ZGB
erwähnten Personen mangels Beeinträchtigung ihrer rechtlich geschützten Interessen keinen Anspruch. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
53722bd4-5662-40ee-85a6-8ad291c4ef6b | Urteilskopf
140 I 114
9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Steuerverwaltung des Kantons Graubünden und Kantonales Steueramt Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_319/2013 vom 13. März 2014 | Regeste
Art. 127 Abs. 2 und 3 BV
; Art. 12 Abs. 1 und 4,
Art. 24 Abs. 1,
Art. 25 Abs. 2 und
Art. 67 StHG
; interkantonales Unternehmen mit operativem Verlust und ausserkantonalem Grundstückgewinn, wobei der Grundstückkanton dem monistischen, der Sitzkanton dem dualistischen Besteuerungssystem folgt.
Einschränkung der harmonisierungsrechtlichen Wahlfreiheit hinsichtlich des Besteuerungssystems, da doppelbesteuerungsrechtlich vergleichbare Verhältnisse herbeizuführen sind. Deshalb und aufgrund des Prinzips der Massgeblichkeit der Handelsbilanz Berücksichtigung des gesamten Wertzuwachsgewinns am Hauptsteuerdomizil. Kein verbleibender Raum für kantonale Ersatzwerte gegenüber den tatsächlichen Gestehungskosten (E. 2.1 und 3.3).
Pflicht zur definitiven Übernahme des Betriebsverlusts durch den Grundstückkanton mit Grundstückgewinn (E. 2.3). Bei Nullveranlagung entfalten Bestand und Höhe des Verlustes keine Rechtskraft; insoweit kein Rechtsschutzinteresse zur Anfechtung der Verfügung (E. 2.4). | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 140 I 114 S. 115
Die X. AG, bis Ende Februar 2009 mit Sitz in A./GR, ist eine operativ tätige Gesellschaft. Sie unterhält ausserkantonale Zweigniederlassungen, wovon eine in der Stadt C./ZH. Dort veräusserte die Gesellschaft im Jahr 2007 einen Teil ihres Terrains. Der handelsrechtliche Gewinn setzte sich zusammen aus geringfügigen wieder eingebrachten Abschreibungen ("Buchgewinn") und einem beträchtlichen realisierten konjunkturellen Mehrwert ("Wertzuwachsgewinn").
Der Grundsteuerausschuss der Stadt C./ZH erliess am 25. Februar 2011 einen Entscheid über die Grundstückgewinnsteuer. Ausgehend vom "Verkehrswert vor zwanzig Jahren" und unter Berücksichtigung der Kosten der Altlastensanierung ermittelte die Behörde steuerliche Gestehungskosten, welche den Verkaufserlös überschritten. Dies zog einen steuerbaren Grundstückgewinn von null Franken nach sich. Die Behörde brachte auf dem später in Rechtskraft erwachsenen Entscheid folgende Bemerkung an: "Der Verlust wird anerkannt. Die Höhe des Verlustes wurde nicht geprüft."
Am 23. Mai 2011 veranlagte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden die X. AG für das Steuerjahr
2007
. Sie addierte zum Betriebsverlust des Laufjahrs den Verkaufserlös des Grundstücks in C./ZH und subtrahierte die Gestehungskosten (Buchwert plus wieder eingebrachte Abschreibungen), was so weit zu einem Gewinn
BGE 140 I 114 S. 116
führte. Unter Berücksichtigung noch nicht verrechneter, dem Bestand und der Höhe nach unbestrittener Vorjahresverluste stellte sich indes ein Jahresverlust ein. Demzufolge wies die Veranlagungsverfügung vom 23. Mai 2011 für das Jahr 2007 einen steuerbaren Gewinn von null Franken aus. Mangels Beschwer erfolglos angefochten, erwuchs sie in Rechtskraft.
In der Folge veranlagte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden am 1. März 2012 die Gewinnsteuer der X. AG für das Steuerjahr
2008
. Bei einem Betriebsgewinn des Laufjahrs und unter Berücksichtigung der verrechenbaren Vorjahresverluste ergab sich ein steuerbarer Reingewinn. Dagegen gelangte die X. AG bis an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden; die Beschwerde blieb erfolglos (Entscheid vom 4. Dezember 2012).
Die X. AG (hiernach: die Steuerpflichtige) ersucht das Bundesgericht um Aufhebung des Entscheids vom 4. Dezember 2012. Sie beantragt, der per Ende 2007 vortragbare steuerliche Verlust sei um den Betrag des realisierten konjunkturellen Mehrwerts zu erhöhen und die kantonale Gewinnsteuer 2008 sei infolge Verlustverrechnung mit null Franken zu veranlagen. Eventualiter sei der Verlustvortrag per 31. Dezember 2007 auf Fr. x [realisierter konjunktureller Mehrwert] festzusetzen und die Steuerbehörde des Kantons Zürich anzuweisen, diesen Verlustvortrag mit künftigen im Kanton Zürich erzielten Betriebs- und Grundstückgewinnen zu verrechnen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Von
Harmonisierungsrechts
wegen sind die Kantone frei, ob sie realisierte Wertzuwachsgewinne auf Grundstücken des Geschäftsvermögens mit der allgemeinen Einkommens- und Gewinnsteuer (dualistisches System gemäss Art. 12 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]) oder aber mit der besonderen Grundstückgewinnsteuer erfassen wollen (monistisches System im Sinne von
Art. 12 Abs. 4 StHG
;
BGE 139 II 373
E. 4.2 S. 382). Von
Doppelbesteuerungsrechts
wegen ist die Wahlfreiheit bzw. die konkrete Handhabung der gewählten Methode freilich insofern eingeschränkt, als der Systementscheid eines Kantons sich nicht zu Ungunsten eines anderen Kantons oder der
BGE 140 I 114 S. 117
steuerpflichtigen Person, die in mehreren Kantonen steuerpflichtig ist, auswirken darf (wiederum
BGE 139 II 373
E. 4.2 S. 382;
BGE 131 I 249
E. 6.3 S. 261; so schon
BGE 92 I 198
E. 3b S. 200). Trifft in der interkantonalen Steuerausscheidung über Einkommen und Vermögen bzw. Gewinn und Kapital ein Kanton mit monistischem auf einen Kanton mit dualistischem System, müssen zwecks Herbeiführung vergleichbarer Verhältnisse alle Wertzuwachsgewinne in vollem Umfang in die Steuerausscheidung einbezogen werden (auch dazu
BGE 139 II 373
E. 4.2 S. 382).
2.2
2.2.1
Die politischen Gemeinden des Kantons Zürich erheben eine Grundstückgewinnsteuer auf den Gewinnen, die sich bei Handänderungen an Grundstücken oder Anteilen von solchen ergeben (§ 205 i.V.m. § 216 Abs. 1 des Steuergesetzes des Kantons Zürich vom 8. Juni 1997 [StG/ZH; LS 631.1]). Die Steuer fällt ungeachtet dessen an, ob es sich um Privat- oder Geschäftsvermögen handelt (
monistisches
System;
BGE 139 II 373
E. 3.5 S. 380). Im Anschluss an
Art. 12 Abs. 1 StHG
("Ersatzwert") und für den Fall, dass die massgebende Handänderung mehr als zwanzig Jahre zurückliegt, bestimmt
§ 220 Abs. 2 StG
/ZH, dass die steuerpflichtige Person als Gestehungskosten den Verkehrswert des Grundstücks in Anschlag bringen darf, der ihm zwanzig Jahre zuvor zukam (sog. "Verkehrswert vor zwanzig Jahren"; Urteil 2C_705/2011 vom 26. April 2012 E. 4.3.3 und 4.3.5, in: ASA 82 S. 163, StE 2012 B 44.12.3 Nr. 6, StR 67/2012 S. 522). Die Verrechnung von Geschäftsverlusten mit dem Grundstückgewinn ist dem Wesen der Grundstückgewinnsteuer zürcherischer Ausprägung grundsätzlich fremd (
BGE 139 II 373
E. 3.5 S. 380).
2.2.2
Der Kanton Graubünden erhebt ebenso eine Grundstückgewinnsteuer. Steuersubjekt sind hier allerdings nur die natürlichen und die steuerbefreiten juristischen Personen (Art. 1 lit. a des Steuergesetzes vom 8. Juni 1986 für den Kanton Graubünden [StG/GR; BR 720.000]). Steuerobjekt bilden hauptsächlich die Gewinne aus der Veräusserung von Grundstücken des Privatvermögens (
Art. 41 Abs. 1 lit. a StG
/GR;
dualistisches
System). Im Übrigen erfasst der Kanton Graubünden Grundstückgewinne juristischer Personen mit der Gewinnsteuer (
Art. 79 Abs. 1 StG
/GR).
2.3
2.3.1
Ein Verstoss gegen das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung im Sinne von
Art. 127 Abs. 3 BV
liegt vor, wenn ein
BGE 140 I 114 S. 118
Steuersubjekt von zwei oder mehreren Kantonen (Steuerhoheiten) für das gleiche Steuerobjekt und dieselbe Steuerperiode zur Besteuerung herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein Kanton ein Steuersubjekt grundsätzlich nicht deshalb stärker belasten, weil es nicht im vollen Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge seiner territorialen Beziehungen auch in einem anderen Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot;
BGE 138 I 297
E. 3.1 S. 300 f.; Urteile 2C_243/2011 vom 1. Mai 2013 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 139 II 373
, aber in: StE 2013 A 24.43.1 Nr. 23, StR 68/2013 S. 636; 2C_708/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 2.1, nicht publ. in:
BGE 139 I 64
, aber in: StE 2013 A 24.44.1 Nr. 3, StR 68/2013 S. 212).
2.3.2
Mit Rücksicht auf das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (
Art. 127 Abs. 2 BV
) und das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung (
Art. 127 Abs. 3 BV
; zur doppelten Anspruchsgrundlage
BGE 137 I 145
E. 4.3 S. 151) muss der Grundstückkanton einen Betriebsverlust, den eine interkantonale Unternehmung (einschliesslich Versicherungs- und Immobiliengesellschaften) bzw. ein Liegenschaftenhändler oder ein Generalbauunternehmen im Sitzkanton und/oder einem Betriebsstättekanton erleidet, auf den ihm objektmässig zustehenden Wertzuwachsgewinn aus der Veräusserung von Betriebsliegenschaften anrechnen (
BGE 138 I 297
E. 4.2 S. 303;
BGE 131 I 249
E. 4 S. 254, E. 5.3 S. 259 f., E. 6.3 S. 261; zum Ganzen XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2012, § 21 N. 46; OERTLI/ZIGERLIG, in: Interkantonales Steuerrecht, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. III/1, Zweifel/Beusch/Mäusli-Allenspach [Hrsg.], 2011, § 33 N. 57 f.; MARKUS REICH, Steuerrecht, 2. Aufl. 2012, § 25 N. 69 f.; PETER LOCHER, Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 3. Aufl. 2009, S. 71 f. und 110 f.). Keine Rolle spielt, ob der Grundstückkanton dem dualistischen oder dem monistischen System folgt (
BGE 131 I 249
E. 5.3 S. 259). Die Abschreibungskomponente ("Buchgewinn") ist in allen Fällen in das nach Quoten auszuscheidende Betriebsergebnis aufzunehmen (
BGE 131 I 249
E. 4.1 S. 254; vgl. auch
BGE 138 I 297
E. 4.1 S. 302).
2.3.3
Erst der nach der Verlustanrechnung verbleibende Grundstückgewinn ist dem Grundstückkanton zur alleinigen Besteuerung
BGE 140 I 114 S. 119
zuzuweisen. Ist nicht nur das Teilergebnis einer einzelnen Betriebsstätte ("Teilverlust"), sondern das periodenbezogene Gesamtergebnis eines Unternehmens negativ, zum Beispiel aufgrund gewichtiger Vorjahresverluste, liegt ein "Gesamtverlust" vor (vgl. RENÉ MATTEOTTI, in: Interkantonales Steuerrecht, a.a.O., § 34 N. 19; DANIEL DE VRIES REILINGH, La double imposition intercantonale, 2. Aufl. 2013, N. 973). In die Ermittlung des Gesamt- oder Teilverlusts einer Steuerperiode für die interkantonale Steuerausscheidung einzubeziehen sind in jedem Fall der Verlust des Laufjahrs (d.h. des Steuerjahrs) sowie die noch nicht verrechneten Vorjahresverluste.
2.3.4
Ebenso wie die Verlustverrechnung am Hauptsteuerdomizil ist auch die Verlustübernahme am Nebensteuerdomizil
definitiver
Natur. In einer späteren Steuerperiode mit insgesamt positivem Ergebnis kann darauf (auch) am Nebensteuerdomizil nicht zurückgekommen werden (vgl. schon Urteil 2C_689/2010 vom 4. April 2011 E. 4.3). Mit der Pflicht zur Verlustübernahme soll vermieden werden, dass sich Ausscheidungsverluste ergeben ("pertes de répartition";
BGE 138 I 297
E. 4.2 S. 303;
BGE 131 I 249
E. 6.3 S. 261). Das gleiche Vorgehen greift bei Gewinnungskosten auf Grundstücken im Privatvermögen (
BGE 138 I 297
E. 4.2 S. 303;
BGE 131 I 285
E. 4.1 S. 290) und bei Kapitalanlageliegenschaften in reinen Grundstückkantonen, d. h. Kantonen ohne Betriebsstätten (
BGE 139 II 373
E. 4.2 S. 380 f.;
BGE 138 I 297
E. 4.1 S. 302, E. 4.2 S. 303;
BGE 132 I 220
E. 5 S. 227; vgl. auch das Kreisschreiben Nr. 27 vom 15. März 2007 der Schweizerischen Steuerkonferenz ["Die Vermeidung von Ausscheidungsverlusten"]).
2.4
2.4.1
Vom Reingewinn der Steuerperiode einer juristischen Person werden im harmonisierten Steuerrecht die Verluste aus den sieben der Steuerperiode vorangegangenen Geschäftsjahren abgezogen, soweit sie bei der Berechnung des steuerbaren Reingewinns dieser Jahre nicht berücksichtigt werden konnten (
Art. 67 DBG
[SR 642. 11];
Art. 25 Abs. 2 StHG
). Ergibt sich aufgrund der Verlustverrechnung eine Nullveranlagung, fehlt es der steuerpflichtigen Person in der Folge an einem Feststellungs- oder einem andersartigen Rechtsschutzinteresse, das sie zur Anfechtung des Entscheids berechtigen könnte (Urteile 2C_973/2012 / 2C_974/2012 vom 4. Oktober 2013 E. 4.2, in: ASA 82 S. 308; 2C_91/2012 vom 17. August 2012 E. 1.3.3, in: StR 68/2013 S. 158; 2C_645/2011 vom 12. März 2012 E. 3.4,
BGE 140 I 114 S. 120
in: RDAF 2012 II S. 266, StR 67/2012 S. 436, StE 2012 B 72.19 Nr. 15). In einem Fall wie dem vorliegenden ist die Höhe des für die Nachfolgeperiode massgebenden verbleibenden Verlustvortrags folglich in der Nachfolgeperiode zu prüfen (Urteil 2C_973/2012 / 2C_974/2012 vom 4. Oktober 2013 E. 4.2).
2.4.2
Der formellen und materiellen Rechtskraft einer Verfügung zugänglich ist zwar die Entscheidformel (das Dispositiv), nicht aber die Sachverhaltsfeststellungen oder die Erwägungen zur Rechtslage (die Motive). Aus diesem Grund kann nur das Dispositiv Bindungswirkung entfalten (Urteil 8C_821/2012 vom 3. Juli 2013 E. 3.2;
BGE 121 III 474
E. 4a S. 478;
BGE 115 II 187
E. 3b S. 191), sodass auch nur das Dispositiv anfechtbar ist (Urteile 2C_1174/2012 vom 16. August 2013 E. 3.3.2, in: ASA 82 S. 146; 2C_423/2012 vom 9. Dezember 2012 E. 1.2; 9C_58/2012 vom 8. Juni 2012 E. 4.2, nicht publ. in:
BGE 138 V 298
;
BGE 120 V 233
E. 1a S. 237).
2.4.3
Im Steuerrecht bedeutet dies, dass (nur) die Steuerfaktoren an der Rechtskraft teilhaben (Urteil 2A.465/2006 vom 19. Januar 2007 E. 4.2.2, in: RDAF 2007 II 263, StE 2007 B 72.11 Nr. 15, StR 62/2007 S. 518). Die Erwägungen, die zum Dispositiv führen, haben lediglich die Bedeutung von Motiven. Die tatsächlichen und die rechtlichen Verhältnisse, auf denen eine rechtskräftige Veranlagung beruht, können an sich in einer späteren Periode abweichend beurteilt werden (Urteil 2A.370/2004 vom 11. November 2005 E. 4.2, in: ASA 77 S. 257, RDAF 2006 II 228;
BGE 88 I 240
E. 2 S. 244). Definitive Veranlagungsverfügungen entfalten Wirkungen, insbesondere Rechtskraftwirkungen, in zeitlicher Hinsicht zudem nur bezüglich der Steuerperiode, für die sie ergangen sind (Urteile 2C_309/2013 / 2C_310/2013 vom 18. September 2013 E. 3.10; 2C_1174/2012 vom 16. August 2013 E. 3.3.2 mit Hinweisen).
2.4.4
Wird eine juristische Person mit einem Reingewinn von null Franken veranlagt, ist damit nur entschieden, dass sie keinen steuerbaren Gewinn erzielt und dementsprechend für das betreffende Jahr keine Steuern zu bezahlen hat. Die Höhe des einer solchen Veranlagungsverfügung zugrunde liegenden Verlusts ist hingegen nicht rechtskräftig festgesetzt worden. Die Steuerbehörden sind daher nach ständiger Praxis befugt, die Höhe der in den Vorjahren geltend gemachten Verluste trotz der Rechtskraft der entsprechenden Veranlagungsverfügung zu überprüfen, wenn sie im Rahmen von
Art. 67 DBG
über den Abzug von solchen Verlusten zu befinden haben
BGE 140 I 114 S. 121
(Urteile 2A.775/2006 vom 18. Juni 2007 E. 1.1; 2A.192/2000 vom 9. Mai 2001 E. 1, in: RDAF 2001 II S. 261).
3.
3.1
Anfechtungsobjekt ist (nur) die Veranlagungsverfügung 2008 des Kantons Graubünden. Der Antrag der Steuerpflichtigen richtet sich aber auf die Erhöhung des per 31. Dezember 2007 wirksamen steuerlichen Verlusts. Sie beruft sich darauf, dass es im Kanton Zürich wegen des Ersatzwertes ("Verkehrswert vor zwanzig Jahren") zu einer Nullveranlagung gekommen wäre. Die Steuerpflichtige erklärt, es sei mit dem Schlechterstellungsverbot nicht zu vereinbaren und stelle eine verbotene virtuelle Doppelbesteuerung dar, wenn der Vorgang einzig aufgrund der interkantonalen Steuerausscheidung dennoch besteuert werde.
3.2
3.2.1
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) wies die Steuerpflichtige in ihrem Abschluss 2007 im Zusammenhang mit der Veräusserung des Terrains einen handelsrechtlichen Gewinn von Fr. a aus. Er setzte sich zusammen aus einem Buchgewinn von Fr. b und einem Wertzuwachsgewinn von Fr. c. Weiter hat das Bundesgericht davon auszugehen, dass am sekundären Steuerdomizil (Kanton Zürich) aufgrund des herangezogenen "Verkehrswerts vor zwanzig Jahren" kein Grundstückgewinn anfiel, während derselbe Vorgang am Hauptsteuerdomizil (Kanton Graubünden) im Jahr 2007 entsprechend dem Handelsrecht vollumfänglich als Gewinn erfasst wurde. Demzufolge konnte in der Folgeperiode 2008 lediglich noch ein vortragbarer Verlust von rund d Mio. Fr. beansprucht werden. Ebenso steht fest, dass der Buchgewinn in dem nach Quoten auszuscheidenden Betriebsergebnis enthalten ist (was nichts daran änderte, dass ein Betriebsverlust eintrat).
3.2.2
Die Frage der Höhe des vortragbaren Verlusts 2007 war im Steuerjahr 2007 aufgrund der eingetretenen Nullveranlagung keiner Überprüfung zugänglich. Die Veranlagungsverfügung vom 23. Mai 2011 (bzw. deren Dispositiv) ist infolgedessen in Rechtskraft erwachsen. Nicht von der Rechtskraft erfasst ist die Höhe des per 31. Dezember 2007 noch bestehenden Verlustvortrags. Aus diesem Grund kann die Frage im streitbetroffenen Steuerjahr 2008 aufgebracht werden.
BGE 140 I 114 S. 122
3.3
3.3.1
Die Steuerpflichtige ist operativ tätig; sie unterhält ausserkantonale Betriebsstätten, weshalb sie steuerrechtlich ein interkantonales Unternehmen darstellt. Weiter ist für das streitbetroffene Grundstückgeschäft von einem Erlös von e Mio. Fr. und handelsrechtlichen Gestehungskosten von rund f Mio. Fr. auszugehen. Per saldo führte dies zu einem handelsrechtlichen Wertzuwachsgewinn von ca. g Mio. Fr., nebst einem handelsrechtlichen Buchgewinn von Fr. h. Der Kanton Graubünden, der dem dualistischen System folgt, hat auf der innerkantonalen Ebene den dergestalt ermittelten Wertzuwachsgewinn vollumfänglich in die Ermittlung des steuerbaren Reingewinns (bzw. des satzbestimmenden Gewinns) einbezogen. Dieses Vorgehen, das im Übrigen auch auf Ebene der Bundessteuer Anwendung findet (
Art. 58 Abs. 1 DBG
), entspricht den harmonisierungsrechtlichen Vorgaben (Art. 24 Abs. 1 i.V.m.
Art. 12 Abs. 1 StHG
bzw. Art. 79 Abs. 1 i.V.m.
Art. 41 Abs. 1 lit. a StG
/GR e contrario). Der Kanton Graubünden hat damit dem Prinzip der Massgeblichkeit der Handelsbilanz entsprochen ("le principe de l'autorité du bilan commercial ou de déterminance";
BGE 137 II 353
E. 6.2 S. 360 f.;
BGE 136 II 88
E. 3.1 S. 92;
BGE 132 I 175
E. 2.2 S. 177 f.;
BGE 119 Ib 111
E. 2c S. 115). Nicht bestritten und deswegen nicht weiter zu prüfen sind der in der Steuerperiode 2007 eingetretene Betriebsverlust (rund i Mio. Fr.) und der aus Vorperioden stammende Verlust von ca. j Mio. Fr. Innerkantonal ergab sich auf diese Weise ein Gesamtverlust von gerundet k Mio. Fr.
3.3.2
Ebenso bundesrechtskonform zog die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden für die Zwecke der interkantonalen Steuerausscheidung einen Gesamtverlust von rund l Mio. Fr. heran, wenngleich am Ort der gelegenen Sache (Zürich) ein Grundstückgewinn von null Franken entstanden war. Zum einen führte sie auf diese Weise vergleichbare Verhältnisse herbei, nachdem die beiden Kantone unterschiedlichen Systemen folgen. Sie tat dies, indem sie in einer ersten Phase alle Wertzuwachsgewinne
in vollem Umfang
in die Steuerausscheidung einbezog. Zum andern berücksichtigte sie den Umstand, dass (auch) der Grundstückkanton einen etwaigen Betriebsverlust mitzutragen hat, konkret die eigene Quote nebst den Verlustanteilen des Hauptsteuerdomizils und der sekundären Steuerdomizile (Verlust des Laufjahrs nebst den noch nicht verrechneten Vorjahresverlusten).
BGE 140 I 114 S. 123
3.3.3
Aus diesem Grund kann der Grundstückkanton - in einer zweiten Phase - einzig den
noch verbleibenden Grundstückgewinn
beanspruchen (E. 2.3.3 hiervor). Vor diesem Hintergrund hat der (innerkantonal) im Kanton Zürich massgebende "Verkehrswert vor zwanzig Jahren" doppelbesteuerungsrechtlich zurückzutreten. Gemäss
BGE 131 I 249
wäre eine Rückübertragung des Grundstückgewinns an den Kanton Zürich lediglich dann in Frage gekommen, wenn der Betriebsverlust (inkl. Vorjahresverluste) den Grundstückgewinn nur teilweise konsumiert hätte (sodass per saldo ein geschmälerter Grundstückgewinn vorgelegen hätte). Dies war aber nicht der Fall. Betriebsverlust 2007 und noch nicht verrechnete Vorjahresverluste haben den handelsrechtlichen Grundstückgewinn vollumfänglich getilgt. Infolgedessen hat es zu keiner Rückübertragung eines (Teil-)Gewinns an den Grundstückkanton kommen können.
3.3.4
Bundesrechtskonform hat schon die Stadt C./ZH bei ihrer Ermittlung des steuerbaren Grundstückgewinns auf eine Nullveranlagung geschlossen. Eine solche ergab sich zwar bereits aufgrund des kantonalen Rechts, doch hielt die Behörde in ihrem Entscheid fest: "Der Verlust wird anerkannt. Die Höhe des Verlustes wurde nicht geprüft." Die Vorinstanz schliesst daraus, dies zeige, "dass über die Verlustverrechnung noch nicht definitiv entschieden wurde". Die Folgerung, die Verlustverrechnung sei einstweilen noch nicht abschliessend geregelt worden, entspringt der von der Vorinstanz getroffenen Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung, selbst wenn sie auf Indizien beruht, und die sich daraus ergebenden tatsächlichen Schlussfolgerungen stellen Tatfragen dar (
BGE 133 V 477
E. 6.1 S. 485,
BGE 133 V 504
E. 3.2 S. 507;
BGE 132 V 393
E. 3.3 S. 399; Urteil 2C_353/2013 vom 23. Oktober 2013 E. 3.3 mit Hinweisen). Demzufolge kann das Bundesgericht die vorgenommene Beweiswürdigung lediglich unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür prüfen (nicht publ. E. 1.7). Angesichts dessen, dass (schon) innerkantonal eine Nullveranlagung eingetreten war, ist die Vorinstanz haltbar zum Schluss gekommen, der ergänzende Hinweis beziehe sich auf die interkantonale Steuerausscheidung. Dies ist jedenfalls nicht willkürlich. Dabei kann berücksichtigt werden, dass das Kantonale Steueramt Zürich sich in seiner Vernehmlassung dem Ergebnis (Nullveranlagung in beiden Kantonen) anschliesst.
3.4
Zusammenfassend kann nicht mit Recht behauptet werden, die interkantonale Verlustübernahme führe zu einer virtuellen
BGE 140 I 114 S. 124
Doppelbelastung oder einer Verletzung des Schlechterstellungsverbots (zu beidem Urteil 2C_708/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 2.1, nicht publ. in:
BGE 139 I 64
, aber in: StE 2013 A 24.44.1 Nr. 3, StR 68/ 2013 S. 212). Weder überschreitet der Kanton Graubünden in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit und erhebt er dabei eine Steuer, die dem Kanton Zürich zusteht, noch wird die Steuerpflichtige im Kanton Graubünden deshalb stärker belastet, weil sie nicht im vollen Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge ihrer territorialen Beziehungen auch im Kanton Zürich steuerpflichtig ist. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
5378871b-af02-4e6e-a4db-ceb7d07208cf | Urteilskopf
138 V 169
22. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV gegen G. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_614/2011 vom 15. März 2012 | Regeste
Art. 9 Abs. 1, 2 und 4 ELG
;
Art. 14a Abs. 2 ELV
;
Art. 276 Abs. 1 und 2 ZGB
; Berücksichtigung eines in natura geleisteten Kindesunterhalts (Betreuung) in der EL-Berechnung des nicht sorgeberechtigten Konkubinatspartners.
Einnahmen und Ausgaben gemeinsamer Kinder eines Konkubinatspaars werden beim rentenberechtigten Elternteil berücksichtigt (E. 2.2; vgl.
BGE 137 V 434
). Im Hinblick auf die Naturalunterhaltsleistung des EL-ansprechenden Kindsvaters wird diesem eine hypothetische Entschädigung der vollerwerbstätigen Mutter (im Umfang des durch eine EL-Schattenrechnung zu ermittelnden Einnahmenüberschusses) angerechnet. Die hypothetische Entschädigung tritt in der EL-Berechnung an die Stelle eines anrechenbaren Mindesteinkommens gemäss
Art. 14a Abs. 2 ELV
(E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 170
BGE 138 V 169 S. 170
Das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich lehnte das Gesuch des 1960 geborenen, ledigen G. um Ergänzungsleistungen ab (aufgrund der Verhältnisse Stand November 2008; mit Einspracheentscheid vom 30. April 2009 bestätigte Verfügung vom 25. November 2008). Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hob den Einspracheentscheid auf und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit sie über den Anspruch von G. auf Zusatzleistungen im Sinne der Erwägungen neu verfüge (Entscheid vom 31. Mai 2011).
Das Amt für Zusatzleistungen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.
BGE 138 V 169 S. 171
G. (Beschwerdegegner) und das kantonale Gericht verzichten auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Der Beschwerdegegner ist Bezüger einer Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung und als solcher gegebenenfalls berechtigt, Ergänzungsleistungen (EL) zu beziehen (
Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG
[SR 831.30]). Er lebt mit seiner vollerwerbstätigen Lebenspartnerin U. zusammen im gleichen Haushalt. Das gemeinsame Kind A. (geb. 2006) wird während der Arbeitszeiten der sorgeberechtigten Mutter durch den Beschwerdegegner betreut.
2.2
Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (
Art. 9 Abs. 1 ELG
). Nach
Art. 9 Abs. 2 Satz 1 ELG
werden die anerkannten Ausgaben sowie die anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten und von Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, zusammengerechnet. Dagegen wird die Konkubinatspartnerin oder der Konkubinatspartner genauso wenig in die Berechnung der Ergänzungsleistung eingeschlossen wie deren oder dessen eigene Kinder (
BGE 137 V 434
E. 4.2 S. 437; vgl.
BGE 137 V 82
). Die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen
gemeinsamer
Kinder eines Konkubinatspaars werden ebenso beim rentenberechtigten Elternteil berücksichtigt, wie dies bei geschiedenen Eltern der Fall ist, die mit ihren Kindern in einer Hausgemeinschaft leben (dazu
BGE 137 V 434
E. 4.2 S. 437). Kinder, deren anrechenbare Einnahmen die anerkannten Ausgaben erreichen oder übersteigen, fallen für die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung indessen ausser Betracht (
Art. 9 Abs. 4 ELG
und
Art. 8 Abs. 2 ELV
[SR 831.301]).
2.3
Um die zumutbaren beiderseitigen Unterhaltsleistungen im Rahmen der bestehenden familiären Gemeinschaft vollständig zu erfassen, rechnete die Verwaltung dem Kind einen hypothetischen jährlichen Unterhaltsbeitrag der vollerwerbstätigen Mutter als Einnahme an (Einspracheentscheid vom 30. April 2009). Dieser entsprach dem in einer EL-Schattenberechnung für das Jahr 2008 ermittelten Einnahmenüberschuss der Mutter über Fr. 6'117.-. Das führte dazu, dass die anrechenbaren Einnahmen des Kindes von Fr. 19'407.-
BGE 138 V 169 S. 172
(hypothetischer Unterhaltsbeitrag zuzüglich Kinderrente der IV von Fr. 6'816.- und der beruflichen Vorsorge von Fr. 1'434.- sowie Kinderzulagen von Fr. 5'040.-) höher waren als die anerkannten Ausgaben von Fr. 17'480.- (allgemeiner Lebensbedarf von Fr. 9'480.-, Krankenversicherungsprämien von Fr. 1'008.- sowie Mietzinsanteil [1/3] über Fr. 6'992.-). Aufgrund ihres Einnahmenüberschusses fiel die Tochter für die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung des Beschwerdegegners ausser Betracht (
Art. 9 Abs. 4 ELG
). Dessen anerkannte Ausgaben von Fr. 29'791.- unterschritten die anrechenbaren Einnahmen von Fr. 32'038.- (Renten der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge sowie ein gemäss
Art. 14a Abs. 2 lit. c ELV
mit Blick auf die Teilinvalidität von 61 Prozent anzurechnendes hypothetisches Erwerbseinkommen). Demgemäss lehnte das zuständige Amt das Gesuch um Ergänzungsleistung ab.
Ohne Anrechnung des Unterhaltsbeitrages der Kindsmutter und unter Einbezug des in dieser Variante anfallenden Ausgabenüberschusses des Kindes (von rund Fr. 4'190.-, das heisst Fr. 349.- monatlich) hätte sich hingegen bei Zugrundelegung der von der Verwaltung verwendeten Zahlen ein Defizit von Fr. 1'943.- (32'038.- [29'791.- + 4'190.-]) ergeben. Aufgrund dieser Berechnungsweise wäre der Anspruch des Beschwerdegegners auf Ergänzungsleistung begründet.
2.4
2.4.1
Die Vorinstanz ging davon aus, der Unterhalt des Kindes nach
Art. 276 ZGB
sei in einem am 1. Oktober 2007 genehmigten Unterhaltsvertrag abschliessend geregelt. Dieser biete keine Grundlage, um die Mutter als Inhaberin der elterlichen Sorge und Obhut zu Unterhaltsbeiträgen an das Kind zu verpflichten. Später sei keine Änderung im Sachverhalt eingetreten, welche eine Anpassung der Regelung rechtfertigen könnte. Das kantonale Gericht erkannte demnach, im strittigen Verwaltungsentscheid sei dem Kind zu Unrecht ein hypothetischer Unterhaltsbeitrag der Mutter von rund Fr. 6'000.- als Einnahme angerechnet worden. Folglich ergebe sich in der EL-Berechnung für das Kind ein Ausgabenüberschuss. Dieser Fehlbetrag sei in die Berechnung der väterlichen Ergänzungsleistung einzubeziehen.
2.4.2
Die beschwerdeführende Verwaltung hält entgegen, nach den Prinzipien des Ergänzungsleistungsrechts und auch des Zivilrechts sei die Deckung des Kindesunterhalts in erster Linie Sache der Eltern. Ergänzungsleistung werde nur ausgerichtet, wo ein Bedarf
BGE 138 V 169 S. 173
ausgewiesen sei. Daher müsse in der EL-Berechnung für den Beschwerdegegner mit Kind unter dem Titel von
Art. 11 Abs. 1 lit. h ELG
auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mutter berücksichtigt werden. Nach Anrechnung der Kinderrenten und der Kinder- und Familienzulagen verbleibe im Unterhaltsbedarf des Kindes eine monatliche Deckungslücke von bloss Fr. 349.-. In der konkreten Verdienst- und Betreuungssituation habe die Mutter im Rahmen von
Art. 276 ZGB
diesen ungedeckten Teil zu übernehmen, soweit bei ihr dadurch keine Mankosituation entstehe.
Im Rahmen der Eventualbegründung, die vom Vater in natura erbrachte Erziehungs- und Pflegeleistung sei in Gestalt einer Verzichtseinnahme (
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
) zu berücksichtigen, machte das beschwerdeführende Amt geltend, bei den üblichen Ansätzen der Kindertagesbetreuung sei die Betreuungsleistung des Beschwerdegegners mit jedenfalls Fr. 17'600.- jährlich zu bewerten. Der Einbezug einer solchen (nicht geltend gemachten) Entschädigung (anstelle des hypothetischen Mindesterwerbseinkommens nach
Art. 14a ELV
) führte wiederum zu einem Einnahmenüberschuss.
2.4.3
Auch das Bundesamt betont die Subsidiarität der Ergänzungsleistung im Verhältnis zu Familienunterhaltsleistungen. Es gehe nicht an, dass die öffentliche Hand Beiträge an den Unterhalt eines Kindes leiste, wenn auch nur ein Elternteil genügend leistungsfähig sei, für sein Kind finanziell aufzukommen, dies umso weniger, wenn der nicht zahlungskräftige Elternteil seinen Beitrag mit einer Betreuungsleistung erbringe und damit dem andern ermögliche, einer vollen Erwerbstätigkeit nachzugehen.
3.
3.1
Die beschwerdeführende Verwaltung und das Bundesamt stellen zu Recht
Art. 276 Abs. 1 und 2 ZGB
in den Mittelpunkt. Danach kommen die Eltern gemeinsam für den Unterhalt des Kindes auf, je nach den persönlichen Verhältnissen durch Pflege und Erziehung und/oder durch Geldzahlung. Der Beschwerdegegner und seine Lebenspartnerin stellen als Eltern - sich gegenseitig ergänzend, jeder nach seinen Möglichkeiten - den Unterhalt des Kindes sicher. Der vorinstanzliche Ansatz, wonach nur die im Unterhaltsvertrag aufgeführten Unterhaltsbeiträge EL-relevant sind, trägt der Eigenleistungskapazität der (funktionalen) Familie nicht ausreichend Rechnung.
3.2
Danach ergibt sich in der gegebenen Konstellation im Einzelnen folgende Lösung:
BGE 138 V 169 S. 174
3.2.1
Der Unterhalt für die 2006 geborene Tochter setzt sich aus dem allgemeinen Lebensbedarf (einschliesslich Krankenkassenprämien und Mietzinsanteil) von Fr. 17'480.- (vgl. oben E. 2.3) sowie einem Aufwand für die Betreuung zusammen. Der die Kinderrenten und Kinderzulagen (von zusammen Fr. 13'290.-) übersteigende Geldbedarf von Fr. 4'188.- ist durch frei verfügbare Geldmittel der Mutter ohne Weiteres gedeckt. Beim Kind besteht somit ein Einnahmenüberschuss, der in der Anspruchsrechnung des Beschwerdegegners nicht berücksichtigt wird (
Art. 9 Abs. 4 ELG
).
3.2.2
Der Kindesunterhalt kann - je nach den individuellen Möglichkeiten beider Verpflichteten - in Geldform oder durch Naturalleistung erbracht werden (vgl. PETER BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 4. Aufl. 2010, N. 26 zu
Art. 276 ZGB
). In Konkubinatsverhältnissen hat der Vater den Unterhalt grundsätzlich durch Geldzahlung zu leisten; die Mutter als Inhaberin der elterlichen Sorge kann dem Vater aber auf Zusehen hin gestatten, anstelle von Geldzahlung Sach- und Dienstleistungen für den Kindesunterhalt zu erbringen (CYRIL HEGNAUER, in: Berner Kommentar, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Bd. II/2/2/1, 1997, N. 99 zu Art. 276 und N. 29 zu
Art. 289 ZGB
). Der Beschwerdegegner sorgt während der arbeitsbedingten Abwesenheiten der Mutter für das Kind. Das beschwerdeführende Amt veranschlagte diese Betreuungsleistung in Anlehnung unter anderem an Tarife der Tagesmütterinstitutionen mit Fr. 17'600.- (Ansatz von Fr. 10.- für 40 Betreuungsstunden während 44 Wochen). Dieser (vorsichtigen) Schätzung kann gefolgt werden. Die vertragliche Verpflichtung des Beschwerdegegners, monatliche Unterhaltsbeiträge in Höhe von Fr. 360.- (Fr. 4'320.- p.a., bis zum vollendeten sechsten Altersjahr gültiger Ansatz) zu leisten, ist durch die Betreuungsleistung mit abgegolten.
3.2.3
Angesichts des Umstandes, dass jeder Elternteil nach seinen Möglichkeiten zum Kindesunterhalt beitragen soll, stellt die Kindesbetreuung auch insoweit nicht eine freiwillige - und damit nicht vom anrechenbaren Jahreseinkommen abziehbare - Unterhaltsleistung dar, als sie über die unterhaltsvertragliche Verpflichtung hinausgeht (vgl. dazu AHI 1995 S. 222, P 63/94 E. 3; STEFAN WERLEN, Der Anspruch auf Ergänzungsleistungen und deren Berechnung, 1995, S. 221; RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1744 f. Rz. 159 ff.). Dementsprechend liegt auch kein Verzicht auf Einkünfte (
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
) vor. Eine solche Annahme wäre der hier gegebenen
BGE 138 V 169 S. 175
Situation nicht angemessen: Die Betreuungsleistung des Kindsvaters erlaubt eine Vollerwerbstätigkeit der Mutter, ohne dass deswegen erhebliche Fremdbetreuungskosten anfallen. Dies wiederum leistet unter anderem Gewähr für den finanziellen Kindesunterhalt (oben E. 3.2.1).
Zum gleichen Ergebnis führt die Rechtsprechung zu Art. 14a Abs. 2 (in Verbindung mit Abs. 1) ELV. Nach dieser Bestimmung wird teilinvaliden Personen, welche die ihnen zumutbare Resterwerbsfähigkeit nicht ausschöpfen, ein Mindesteinkommen angerechnet. Unter diesem Titel hat das beschwerdeführende Amt in die EL-Anspruchsrechnung des (im Zeitpunkt des strittigen Einspracheentscheids 49-jährigen) Beschwerdegegners einen dem Invaliditätsgrad von 61 Prozent entsprechenden Betrag eingesetzt (
Art. 14a Abs. 2 lit. c ELV
). Aus dem bisher Gesagten folgt, dass der Berechnungsweise der Verwaltung in diesem Punkt nicht gefolgt werden kann. Die
Art. 14a Abs. 2 ELV
zugrundeliegende Vermutung, die Verwertung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit sei möglich und zumutbar, kommt nicht zum Tragen, wenn persönliche Umstände die Realisierung eines Einkommens verhindern oder erschweren (
BGE 117 V 202
E. 2a S. 204;
BGE 115 V 88
). Die Betreuungsaufgabe des Beschwerdegegners bildet zweifellos einen solchen Hinderungsgrund.
3.2.4
Mit Blick auf die Subsidiarität der Ergänzungsleistung kann der mit der Kindesbetreuung zu begründende Einkommensausfall so lange nicht anspruchsbegründend sein, als innerhalb der (funktionalen) Familie noch Ressourcen für den Kindesunterhalt zur Verfügung stehen. Für die (an sich mit Fr. 17'600.- bewertete) Betreuungsleistung ist dem Beschwerdegegner mithin eine hypothetische Entschädigung anzurechnen; diese ist allerdings auf die in der EL-Schattenberechnung ermittelten frei verfügbaren Mittel der Kindsmutter von Fr. 6'117.- beschränkt (vgl. dazu CARIGIET/KOCH, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 128).
3.3
Wird in die Vergleichsrechnung, wie sie die Verwaltung angestellt hat, anstelle eines Verzichtseinkommens die hypothetische Entschädigung über Fr. 6'117.- eingesetzt, so verbleibt - bei im Übrigen gleichbleibenden Zahlen - ein Überschuss von Fr. 969.- (anerkannte Ausgaben: Fr. 29'791.-, anrechenbare Einnahmen: Fr. 30'760.-).
4.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Einnahmen und Ausgaben gemeinsamer Kinder eines Konkubinatspaars beim rentenberechtigten Elternteil berücksichtigt werden (vgl.
BGE 137 V 434
); das
BGE 138 V 169 S. 176
Kind fällt indessen für die Berechnung der Ergänzungsleistung ausser Betracht, wenn es, wie hier, selber einen Einnahmenüberschuss aufweist (
Art. 9 Abs. 4 ELG
). Der mit Lebenspartnerin und gemeinsamem Kind zusammenlebende EL-Ansprecher erbringt mit der Kindesbetreuung eine Naturalunterhaltsleistung. Diese ermöglicht ein Erwerbseinkommen der Lebenspartnerin, ohne dass zugleich Fremdbetreuungskosten entstehen. Um im Sinne der Subsidiarität der Ergänzungsleitung alle für den Kindesunterhalt zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erschliessen, wird dem Kindsvater eine hypothetische Entschädigung im Umfang des nach EL-Regeln ermittelten Einnahmenüberschusses der Kindsmutter angerechnet. Die Entschädigung tritt an die Stelle des Mindesteinkommens, wie es teilinvaliden Personen in der Regel angerechnet wird (
Art. 14a Abs. 2 ELV
). Nach Massgabe der so definierten Eckwerte der EL-Berechnung resultiert hier ein Einnahmenüberschuss. Daher hat der Beschwerdegegner keinen Anspruch auf Ergänzungsleistung. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
5379b30a-3d2f-4a06-af59-af2ad8876dac | Urteilskopf
93 IV 24
8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1967 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen M. und N. | Regeste
Art. 307 Abs. 1 und 3 StGB
. Falsches Zeugnis.
1. Eine Zeugenaussage gehört zur Sache, wenn sie mit der Abklärung oder Feststellung des Sachverhaltes, der Gegenstand des Verfahrens ist, zusammenhängt (Erw. I).
2. Wann bezieht sich eine Aussage auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind (Erw. II 1a und 2)?
3.
Art. 307 Abs. 1 StGB
setzt nicht voraus, dass der Täter um die Erheblichkeit einer Aussage wisse und auf die Urteilsfindung einwirken wolle (Erw. II 1b). | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 93 IV 24 S. 24
A.-
Die 1946 geborene Ida B. liess sich am 12. September 1965 von den Eheleuten Charles und Regina M. in die Wohnung aufnehmen, in der auch ihr Freund Willy N., ein Sohn der Frau M. aus erster Ehe, lebte.
Am 14. September, als sie allein zu Hause waren, versuchte Charles M. Ida B. zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. M. wurde daraufhin wegen Notzuchtsversuchs verzeigt und in Untersuchung gezogen. In dieser hatte Willy N. am 16. September als Zeuge über seine Beziehungen zu Ida B. Auskunft zu geben. Er erklärte dabei unter anderem, dass er mit dem Mädchen ein Liebesverhältnis habe, dass sie miteinander aber noch nicht geschlechtlich verkehrt hätten und in getrennten Zimmern schliefen. In Wirklichkeit schliefen sie jedoch vom 12. September an im gleichen Zimmer, verbrachten die Nacht meistens auch
BGE 93 IV 24 S. 25
im gleichen Bett, wobei es einmal zum Geschlechtsverkehr kam. N. sagte auf Veranlassung seiner Mutter falsch aus, die nicht nur ihn, sondern auch Ida B. ersuchte, in der Untersuchung nichts davon verlauten zu lassen, dass sie ein gemeinsames Schlafzimmer hatten.
B.-
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte am 27. Oktober 1966 N. wegen falscher Zeugenaussage im Sinne von
Art. 307 Abs. 3 StGB
zu fünfzehn Tagen Haft, Frau M. wegen Anstiftung dazu zu einem Monat Gefängnis. Es schob den Vollzug der Strafen bedingt auf und setzte den Verurteilten zwei Jahre Probezeit.
Das Obergericht nahm an, dass die falsche Aussage des N. zwar eine solche zur Sache gewesen sei (Art. 307 Abs. 1), sich aber auf Tatsachen bezogen habe, die für die richterliche Entscheidung unerheblich gewesen seien (
Art. 307 Abs. 3 StGB
).
C.-
Gegen dieses Urteil führen die Verurteilten und der Generalprokurator des Kantons Bern Nichtigkeitsbeschwerde. Jene verlangen, sie seien freizusprechen, dieser beantragt, die Angeklagten seien nach der schärferen Strafnorm von
Art. 307 Abs. 1 StGB
zu bestrafen.
Die Verurteilten halten die Beschwerde des Generalprokurators und dieser die Beschwerde der Verurteilten für unbegründet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I
Die Verurteilten bestreiten, dass die falsche Auskunft des Zeugen eine Aussage zur Sache gewesen sei, wie
Art. 307 StGB
dies voraussetze.
Ida B. und Charles M. machten zu Beginn der Untersuchung Angaben, die sich weitgehend widersprachen. So behauptete die Strafklägerin bereits in der Strafanzeige, sie habe in der Wohnung der Eheleute M. ein separates Zimmer gehabt. In ihrer ersten Einvernahme erklärte sie ferner, mit Willy N. keine intimen Beziehungen zu haben. Die Tat selber schilderte sie so, dass vieles auf einen groben Notzuchtsversuch hinzudeuten schien. M. hingegen behauptete in seiner ersten Einvernahme, Ida B. und sein Stiefsohn Willy hätten im gleichen Zimmer geschlafen. Die ihm zur Last gelegte Tat stellte er als blossen Annäherungsversuch hin, dem sich die Strafklägerin zunächst nicht widersetzt habe.
BGE 93 IV 24 S. 26
Bei dieser Sachlage war eine nähere Abklärung der Wohnverhältnisse in der Familie M. nicht zu umgehen. Angesichts der Widersprüche der Parteien musste der Untersuchungsrichter sich darüber Rechenschaft geben, welche der beiden ihn über die Verhältnisse im gemeinsamen Haushalte täuschte oder zu täuschen versuchte. Das Ergebnis davon war nicht nur für die Glaubwürdigkeit der Parteien, sondern auch für die weitere Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung. Das galt insbesondere für den Hergang der Tat, die sich in verschiedenen Räumlichkeiten abgespielt hatte. Indem N. als Zeuge behauptete, er und Ida B. hätten in getrennten Zimmern geschlafen, hat er daher zur Sache falsch ausgesagt. Mit seinen intimen Beziehungen zur Strafklägerin verhält es sich nicht anders. Das Liebesverhältnis zwischen den beiden Jugendlichen ist Charles M. offensichtlich nicht entgangen, hat er doch, wie schon aus der Strafanzeige erhellt, dem Mädchen während der Tat erklärt, er könne ihm sexuell mehr bieten als sein Stiefsohn. Der Zusammenhang zwischen der falschen Zeugenaussage des N. und dem zu beurteilenden Sachverhalt ist daher auch in diesem Punkte gegeben.
II
1.
Die falsche Zeugenaussage im Sinne von
Art. 307 StGB
kann mit Zuchthaus bis zu fünf oder mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden (Abs. 1). Bezieht sich die falsche Äusserung indes auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so kann nur Gefängnis bis zu sechs Monaten ausgesprochen werden (Abs. 3).
a) Eine Aussage bezieht sich nach der Rechtsprechung (
BGE 70 IV 83
,
BGE 75 IV 69
) dann auf eine unerhebliche Tatsache, wenn sie ihrem Gegenstand nach nicht geeignet ist, den Ausgang des Prozesses irgendwie zu beeinflussen, also weder für eine rechtliche Schlussfolgerung noch für eine sich auf rechtlich erhebliche Tatsachen beziehende tatsächliche Schlussfolgerung in Betracht kommt. Dass das der Sinn von Art. 307 Abs. 3 ist, erhellt vor allem aus dem französischen Gesetzestext, der von Aussagen über Tatsachen spricht "qui ne peuvent exercer aucune influence sur la décision du juge". Diese Untauglichkeit kann einer Zeugenaussage schon von vorneherein anhaften. Das ist beispielsweise der Fall bei Fragen, die der Richter bloss stellt, um mit dem Zeugen ins Gespräch zu kommen oder ihn zu beruhigen.
BGE 93 IV 24 S. 27
b) Eine andere Frage ist, wie
Art. 307 Abs. 1 und 3 StGB
sich zueinander verhalten. Es fragt sich insbesondere, ob aus der Beschränkung von Abs. 3 auf unerhebliche Äusserungen gefolgert werden dürfe, die Erheblichkeit der Aussage gehöre zum Tatbestand von Abs. 1 und der Vorsatz des Täters müsse sich daher auch auf dieses Merkmal beziehen.
Gegen die Zulässigkeit einer solchen Folgerung spricht schon der Wortlaut von Abs. 1. Die Tatbestandsmerkmale sind in dieser Bestimmung abschliessend aufgezählt. Darnach muss die Aussage sich auf die Sache beziehen, die Gegenstand des Verfahrens ist; sie braucht aber für die richterliche Entscheidung nicht erheblich zu sein. Ist sie unerheblich, so hat das bloss zur Folge, dass nach Abs. 3 nicht über eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis hinausgegangen werden darf. Wäre nach Abs. 1 erforderlich, dass der Täter um die Erheblichkeit einer Aussage weiss und auf die Urteilsfindung einwirken will, so könnte bei Fehlen dieses Vorsatzes überhaupt nicht bestraft werden, da Abs. 3 ja nur das Strafmass betrifft. Als Ausweg verbliebe bloss die Annahme, die falsche Äusserung über eine unerhebliche Tatsache sei der Grundtatbestand, während die falsche Aussage über eine erhebliche Tatsache den qualifizierten Tatbestand darstelle. Damit würde jedoch die gesetzliche Regelung auf den Kopf gestellt. Nach dem Inhalt und Aufbau des Art. 307 ist Abs. 1 nicht ein qualifizierter Fall von Abs. 3, sondern dieser vielmehr ein privilegierter Sonderfall von Abs. 1.
Die gegenteilige Auffassung wäre auch sachlich nicht gerechtfertigt. Ob eine Aussage für die richterliche Entscheidung erheblich sei oder nicht, kann ein Zeuge in der Regel gar nicht beurteilen, was dem Gesetzgeber übrigens nicht entgangen ist (s.
BGE 70 IV 83
und dort angeführte Gesetzesmaterialien). Es wäre daher von vorneherein verfehlt, die Strafe nach der Vorstellung des Täters abstufen zu wollen. Abs. 3 frägt denn auch nicht danach, sondern findet ohne Rücksicht darauf Anwendung, ob der Täter sich über die möglichen Auswirkungen seiner Aussage Rechenschaft gegeben habe oder nicht. Wieso es sich nach Abs. 1 anders verhalten sollte, ist daher nicht zu ersehen. Würde anders entschieden, so wäre missbräuchlichen Einreden der Weg geebnet, da die Behauptung des Zeugen, er habe sich über die Erheblichkeit seiner Aussage geirrt, oft schwer zu widerlegen sein dürfte.
2.
Die falsche Aussage des N. war nicht nur eine solche
BGE 93 IV 24 S. 28
zur Sache, sondern war auch erheblich für die richterliche Entscheidung. Der Generalprokurator hält dem Obergericht mit Recht entgegen, dass das Zeugnis sowohl für die Würdigung der Parteiaussagen wie für die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes von Bedeutung war. Die Tat wurde von niemandem wahrgenommen; ihre Beurteilung hing deshalb weitgehend von der Sachdarstellung der Parteien und deren Glaubwürdigkeit ab. Unter diesen Umständen war es für den Richter wichtig zu wissen, welche Partei mehr Glauben verdiene. Da die falsche Aussage des N. mit den Äusserungen der Strafklägerin übereinstimmte, war sie geeignet, nicht nur deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen, sondern auch die Beweislage und damit die zu entscheidenden Fragen (Qualifikation der Tat, Würdigung des Verschuldens, Höhe der Strafe) zu beeinflussen. Dass N. das Liebesverhältnis als solches nicht verschwiegen hat, hilft darüber nicht hinweg. Von Bedeutung war nicht, ob er mit Ida B. ein einfaches Liebesverhältnis unterhielt, sondern ob er mit ihr im gleichen Zimmer schlief und ob er schon geschlechtlich mit ihr verkehrt hatte.
Stützt sich der angefochtene Entscheid somit zu Unrecht auf
Art. 307 Abs. 3 StGB
, so ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators gutzuheissen und das Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Das Obergericht hat in Anwendung von
Art. 307 Abs. 1 StGB
neu zu entscheiden. Die Strafe braucht dabei nicht notwendig höher auszufallen, da die Ermessensfreiheit, die dem kantonalen Richter in der Strafzumessung zusteht, durch die Rückweisung der Sache nicht berührt wird.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
1.- Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Willy N. und Regina M. wird abgewiesen.
2.- Die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil, soweit es die genannten Angeklagten betrifft, aufgehoben und die Sache zu deren Bestrafung nach
Art. 307 Abs. 1 StGB
an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
537aaccc-283e-4d17-ba39-9777b425321b | Urteilskopf
106 II 250
50. Arrêt de la Ire Cour civile du 14 octobre 1980 dans la cause Charles M. contre X. (recours en réforme) | Regeste
Wirkung der Unterbrechung der Verjährung (
Art. 136 Abs. 1 OR
;
Art. 83 Abs. 2 SVG
).
1.
Art. 83 Abs. 2 SVG
bezieht sich auf die nach Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung bewirkten Unterbrechungshandlungen, und zwar auch dann, wenn es sich um Ansprüche handelt, die vor dem Inkrafttreten entstanden sind (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).
2. Gemäss
Art. 83 Abs. 2 SVG
wirkt die Unterbrechung der Verjährung gegenüber dem Versicherer auch gegenüber dem Haftpflichtigen, jedoch nur bis zur Höhe des Betrages, für welchen die Versicherung die Ansprüche des Geschädigten deckt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 251
BGE 106 II 250 S. 251
A.-
Le 9 février 1959, William L., qui conduisait une motocyclette, heurta et renversa l'enfant Charles M., âgé de sept ans. Le détenteur du véhicule était René T., assuré contre la responsabilité civile auprès de la compagnie Vaudoise-Assurances. L'obligation de l'assureur était limitée à 50'000 fr. par personne lésée.
L'accident, dû à la faute exclusive de William L., causa à Charles M. des blessures dont la guérison fut entrecoupée de rechutes et qui entraînèrent des affections secondaires. Charles M. apprit le 7 octobre 1968 que son état de santé s'était enfin stabilisé. Il est atteint d'une invalidité partielle permanente.
En mars 1961, Albert M., père de la victime, chargea l'avocat X. de faire valoir les prétentions de son fils. Par exploit du 28 avril 1967, X., qui agissait au nom de Charles M., fit citer en conciliation la compagnie Vaudoise-Assurances. Comme la loi valaisanne de procédure l'y autorisait, il demanda simplement le paiement de dommages et intérêts, sans formuler de conclusions chiffrées. Le 2 juin 1967, la compagnie Vaudoise-Assurances versa un acompte. Le 31 mars 1969, Albert M. révoqua le mandat de X. Il confia à d'autres avocats la défense des intérêts de son fils. Le 31 août 1970, la compagnie Vaudoise-Assurances versa le solde dû sur le montant assuré de 50'000 fr. Charles M. intenta alors à René T. et William L. une action en paiement de 161'527 fr. représentant la partie non couverte de son dommage. Les défendeurs soulevèrent une exception de prescription. Charles M. fit notifier un appel en garantie à X., qui le déclina. Charles M. se désista.
B.-
Le 8 mars 1973, Charles M. a ouvert contre X. une action en paiement de 100'000 fr., avec intérêt.
Par jugement du 22 février 1980, le Tribunal cantonal du canton du Valais a débouté le demandeur et l'a condamné aux frais.
C.-
Le demandeur a interjeté un recours en réforme. Il reprend ses conclusions et, subsidiairement, demande au Tribunal fédéral d'annuler le jugement entrepris et de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
Le défendeur propose le rejet du recours.
BGE 106 II 250 S. 252
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le demandeur fonde son action sur l'
art. 398 CO
. Il estime que le défendeur a violé ses obligations de mandataire en laissant se prescrire les créances qu'il était chargé de faire valoir contre les responsables de l'accident, René T. et William L.
La cour cantonale a jugé que les prétentions du demandeur contre René T. et William L. étaient soumises aux règles de prescription de l'
art. 83 LCR
. Le demandeur n'avait eu une connaissance exacte de son dommage qu'en automne 1968 et le délai ordinaire de deux ans avait donc expiré bien après la révocation du mandat confié au défendeur. Le délai subsidiaire de dix ans était certes échu le 9 février 1969, pendant la durée du mandat, mais le défendeur avait interrompu la prescription le 28 avril 1967 en faisant citer en conciliation la compagnie Vaudoise-Assurances. L'acte dirigé contre l'assureur avait produit effet à l'égard des personnes responsables, conformément à l'
art. 83 al. 2 LCR
. Le défendeur avait dès lors sauvegardé les droits de son mandant et il n'avait pas à l'avertir du danger de la prescription, car l'échéance des délais n'était pas imminente lors de la révocation du mandat. La cour cantonale a rejeté l'action, le défendeur n'ayant pas manqué à son devoir de diligence.
2.
Bien que les art. 58 à 89 LCR ne fussent entrés en vigueur qu'après l'accident, le 1er janvier 1960, la cour cantonale a appliqué à juste titre l'
art. 83 à la
prescription des créances que le défendeur était chargé de faire valoir. La disposition précitée renvoie en effet au code des obligations pour toutes les questions qu'elle ne règle pas expressément (al. 4). Le renvoi englobe les règles générales du droit transitoire et notamment l'art. 49 du titre final du code civil. Cet article règle la prescription des droits lorsqu'elle n'est pas encore acquise, d'après la loi ancienne, au moment de l'entrée en force de la loi nouvelle. Il s'applique donc en l'espèce. Selon son alinéa premier, les créances anciennes sont soumises aux délais de prescription de la loi nouvelle s'ils sont de cinq ans ou davantage, mais le juge doit tenir compte du temps écoulé sous l'empire de l'ancien droit. Cela signifie que les prétentions du demandeur se prescrivaient par dix ans, comme l'
art. 83 al. 1 LCR
le prévoit à titre subsidiaire; le délai courait du jour de l'accident et expirait le 9 février 1969. L'alinéa 3 de l'art. 49 du titre final dispose que, pour
BGE 106 II 250 S. 253
le reste, la prescription est régie par la loi nouvelle dès son entrée en vigueur. Partant, la loi nouvelle s'applique aux actes interruptifs de prescription exécutés sous son empire. On doit dès lors apprécier d'après l'
art. 83 al. 2 LCR
les effets qu'a eus envers les responsables de l'accident l'acte de procédure accompli contre l'assureur le 28 avril 1967. Le demandeur objecte en vain que selon l'
art. 61 al. 3 OAV
, les règles de la loi sur la circulation routière ne s'appliquent pas à la responsabilité et à l'assurance pour les dommages survenus avant leur entrée en vigueur. A l'
art. 107 LCR
, le législateur a chargé le Conseil fédéral de fixer la date d'entrée en vigueur de la loi (al. 1); il l'a autorisé à arrêter les dispositions transitoires nécessaires, mais non pas à déroger aux règles légales (al. 2). Or en matière de prescription, le conflit des lois dans le temps est réglé par les
art. 83 al. 4 LCR
et 49 du titre final du code civil, à l'application desquels l'
art. 61 al. 3 OAV
ne saurait faire obstacle (
ATF 90 II 330
).
3.
Le code des obligations dispose à l'art. 136 al. 1 que la prescription interrompue envers l'un des débiteurs solidaires l'est également à l'égard de tous les autres. Cet article ne s'applique toutefois pas au simple concours d'actions, appelé parfois solidarité imparfaite (
ATF 104 II 231
ss consid. 4b;
ATF 69 II 166
ss consid. 1). Or il n'y a solidarité parfaite entre plusieurs débiteurs que si la loi ou la convention le prévoit (
art. 143 CO
). La loi sur la circulation routière crée un tel lien entre les personnes répondant du dommage causé par un accident (art. 60 al. 1, 61 al. 3); entre les responsables et leur assureur, elle n'a prévu qu'un simple concours d'actions, auquel l'
art. 136 al. 1 CO
n'est en soi pas applicable (
ATF 90 II 190
s.;
ATF 69 II 166
ss consid. 1). C'est pour cette raison que la commission du Conseil des Etats a proposé l'introduction de l'
art. 83 al. 2 LCR
, selon lequel la prescription interrompue à l'égard du responsable ou de son assureur l'est également envers l'autre (Bull. stén. CE 1958 p. 128 s.). L'
art. 83 al. 2 LCR
a donc pour but d'étendre au concours des actions contre le responsable et son assureur les effets que l'
art. 136 al. 1 CO
attache à la solidarité parfaite. Partant, un acte interruptif de prescription accompli contre l'assureur sortit pour le responsable les mêmes effets que si les deux débiteurs étaient tenus solidairement; il n'en produit toutefois pas plus.
L'
art. 136 al. 1 CO
ne s'applique qu'aux débiteurs tenus solidairement
BGE 106 II 250 S. 254
ou aux codébiteurs d'une prestation indivisible. L'extension qu'il apporte aux effets d'un acte interruptif de prescription est donc liée à la solidarité des débiteurs ou à l'indivisibilité de la dette. Or il n'y a solidarité entre débiteurs qu'autant que le créancier peut exiger de chacun d'eux, à son choix, la prestation qui lui est due (
art. 143 al. 1,
art. 144 CO
). On peut fort bien concevoir que l'obligation d'un des codébiteurs soit limitée à un montant déterminé, notamment s'il a repris cumulativement mais partiellement la dette d'autrui. En pareil cas, la solidarité n'existe et ne produit ses effets qu'à concurrence de ce montant. L'acte dirigé contre l'un seul de plusieurs débiteurs solidaires n'interrompt donc la prescription à l'égard des autres que pour le montant dont répond le débiteur visé. Pour agir avec plein effet envers tous ses obligés, le créancier doit s'en prendre à l'un de ceux qui sont tenus au paiement du tout.
Ni le texte ni le but de l'
art. 83 al. 2 LCR
ne permettent d'attacher au concours des actions contre le responsable et son assureur plus d'effets que n'en a la solidarité parfaite. La prescription interrompue à l'égard de l'assureur ne l'est donc envers le responsable qu'à concurrence de la somme pour laquelle l'assurance couvre les droits de la victime (BUSSY, FJS 920 p. 4, p. 16; CHÂTELAIN, L'action directe du lésé contre l'assureur, p. 132 s.; SCHLEGEL/GIGER, Strassenverkehrsgesetz, 3e éd.; p. 263 s.; contra OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2e éd., t. II/2 p. 684). Cette somme était en l'espèce de 50'000 fr. et a été payée. La prescription interrompue par la citation en conciliation du 28 avril 1967 ne l'a donc pas été pour la partie du dommage dépassant 50'000 fr. En agissant contre l'assureur seulement, le défendeur a laissé se prescrire le droit que le demandeur avait de réclamer à René T. et William L. la réparation du reliquat de son dommage. Le jugement attaqué doit être annulé et la cause renvoyée à l'autorité cantonale qui déterminera si sont réunies les autres conditions d'une action en responsabilité contre le défendeur.
Dispositiv
Par ces motifs le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule le jugement attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
537ce0d0-a545-4c6c-99a0-5caf3ed032e8 | Urteilskopf
139 II 460
32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Stiftung X.-Pensionskasse und Y. AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_153/2013 vom 16. August 2013 | Regeste
Art. 164 Abs. 2 und
Art. 182 BV
; Art. 13 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 lit. c und Art. 107 Abs. 3 MWSTG 2009; Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009;
Art. 11 Abs. 1 BVG
; konkrete Normenkontrolle; Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips dadurch, dass die Mehrwertsteuerverordnung die Teilhabe von Einrichtungen der beruflichen Vorsorge an einer Mehrwertsteuergruppe in jedem Fall ausschliesst.
Vorfrageweise Kontrolle bundesrätlicher Rechtsverordnungen. Verordnungsweiser Ausschluss der Teilhabe einer Personalvorsorgeeinrichtung an einer Mehrwertsteuergruppe (E. 2). Ein überwiegendes vorsorgerechtliches Schutzbedürfnis fehlt, wenn die Personalvorsorgeeinrichtung hundertprozentige oder qualifiziert mehrheitliche Beteiligungen unter ihrer einheitlichen Leitung vereinigt. Soweit das Halten derartiger Beteiligungen aufsichtsrechtlich überhaupt zulässig ist, kann der Stiftung - entgegen der angefochtenen Bestimmung - die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe nicht verwehrt werden (E. 3). Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 sprengt damit den Rahmen einer blossen Vollzugsverordnung und verletzt dadurch das Gewaltenteilungsprinzip (E. 4.1). | Sachverhalt
ab Seite 461
BGE 139 II 460 S. 461
A.
Die Stiftung X.-Pensionskasse mit Sitz in A./ZH bezweckt statutengemäss die berufliche Vorsorge im Rahmen des BVG (...). Die Y. AG mit Sitz am selben Ort ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stiftung. Ihr Zweck liegt in der Verwaltung und gegebenenfalls auch der umfassenden Betreuung von (...) Immobilien (...), insbesondere auch für institutionelle Anleger. Die Stiftung und die Aktiengesellschaft bilden zusammen die Mehrwertsteuergruppe "X.-Pensionskasse", die auf den 1. Januar 1995 ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen wurde. Gruppenträgerin ist die Stiftung.
BGE 139 II 460 S. 462
B.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) orientierte am 10. Juni 2011 die beiden Mitglieder über die bevorstehende Löschung der Gruppe aus dem Register der Mehrwertsteuerpflichtigen. Sie begründete dies damit, dass Einrichtungen der beruflichen Vorsorge nach Art. 16 Abs. 3 der Anfang 2010 in Kraft getretenen Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 von der Teilhabe an einer Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen seien. Mit Verfügung vom 21. November 2011 löschte die ESTV die Gruppe per Ende 2011. Einer möglichen Einsprache entzog sie die aufschiebende Wirkung. Im Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012 bestätigte sie die Anordnung und ordnete den Entzug der aufschiebenden Wirkung einer möglichen Beschwerde an. Die hierauf von den Gruppenmitgliedern erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht (...) mit Urteil (...) vom 8. Januar 2013 gut, soweit es darauf eintrat, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und versagte der streitbetroffenen Verordnungsbestimmung im konkreten Fall die Anwendung.
C.
Die ESTV erhebt mit Eingabe vom 8. Februar 2013 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es seien der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Januar 2013 aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012 zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Ist der Bundesrat unmittelbar durch eine Delegationsnorm im Gesetz (
Art. 164 Abs. 2 BV
) dazu ermächtigt, erlässt er rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Rechtsverordnung (
Art. 182 Abs. 1 BV
; sog. unselbständige Rechtsverordnungen). Auch wenn der Gesetzgeber davon abgesehen hat, der Exekutive derartige (beschränkte) Legislativfunktionen zu übertragen, obliegt es dem Bundesrat, die Gesetzgebung zu vollziehen (
Art. 182 Abs. 2 BV
). Zu diesem Zweck kann er verfassungsunmittelbar die erforderlichen rechtsvollziehenden Rechtsverordnungen erlassen. Der Anwendungsbereich von Ausführungs- und Vollziehungsverordnungen ist indes darauf beschränkt, die Bestimmungen des betreffenden Bundesgesetzes durch Detailvorschriften näher auszuführen und mithin zur
BGE 139 II 460 S. 463
verbesserten Anwendbarkeit des Gesetzes beizutragen. Ausgangspunkt sind Sinn und Zweck des Gesetzes; sie kommen in grundsätzlicher Weise durch die Bestimmung im formellen Gesetz zum Ausdruck (vgl.
BGE 133 II 331
E. 7.2.2 S. 348;
BGE 126 II 283
E. 3b S. 291;
BGE 124 I 127
E. 3b S. 132 f.;
BGE 117 IV 349
E. 3c S. 354 f.;
BGE 103 IV 192
E. 2a S. 194;
BGE 99 Ib 159
E. 1a S. 165). Auch im Steuerrecht, das einem strengen Legalitätsprinzip unterliegt (
Art. 127 Abs. 1 BV
;
BGE 138 V 32
E. 3.1.1 S. 35;
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.;
BGE 132 I 157
E. 2.2 S. 159;
BGE 131 II 562
E. 3.1 S. 565), darf die Exekutive die zum Vollzug des Gesetzes benötigten Verordnungen erlassen (Urteil 2P.157/1992 vom 21. September 1993 E. 5a).
2.2
Bestimmungen, welche die auszuführende Gesetzesbestimmung abändern oder aufheben, sind nicht vollziehender Natur und fallen aus dem geschilderten Kompetenzrahmen. Die Vollziehungsverordnung darf insbesondere weder die Rechte der Bürgerinnen und Bürger (zusätzlich) beschränken noch ihnen (weitere) Pflichten auferlegen, und zwar selbst dann nicht, wenn dies durch den Gesetzeszweck gedeckt wäre (
BGE 136 I 29
E. 3.3 S. 33;
BGE 130 I 140
E. 5.1 S. 149 mit Hinweisen). Ebenso wenig kann eine gesetzgeberisch gewollte Unbestimmtheit des Gesetzes mittels einer Vollziehungsverordnung bereinigt werden. Demgegenüber dürfen praxisgemäss (untergeordnete) Gesetzeslücken im Rahmen der gesetzlichen Zielsetzung geschlossen werden (
BGE 124 I 127
E. 3c S. 133;
BGE 112 Ia 107
E. 3c/ee S. 116).
2.3
Vor dem Hintergrund dieser Kompetenzausscheidung kann das Bundesgericht Rechtsverordnungen des Bundesrates vorfrageweise (inzident, im Einzelfall), aber inhaltlich eingeschränkt auf ihre Rechtmässigkeit prüfen. Während bei selbständigen (rechtsetzenden verfassungsunmittelbaren) Rechtsverordnungen nur eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit in Betracht fällt, sind unselbständige Rechtsverordnungen und Vollziehungsverordnungen zunächst auf ihre Gesetzmässigkeit (
BGE 137 III 217
E. 2.3 S. 220 f.;
BGE 137 V 321
E. 3.3.2 S. 331;
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.) und hernach, soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Bundesverfassung abzuweichen, auf ihre Verfassungsmässigkeit (
BGE 137 V 321
E. 3.3.2 S. 331;
BGE 131 II 271
E. 4 S. 276;
BGE 128 II 247
E. 3.3 S. 252;
BGE 126 II 283
E. 3b S. 290) zu prüfen (so schon
BGE 100 Ib 318
E. 3 S. 319 f.;
BGE 99 Ib 165
E. 1a S. 165). Die Zweckmässigkeit der getroffenen Anordnung entzieht sich der gerichtlichen Kontrolle
BGE 139 II 460 S. 464
(
BGE 137 III 217
E. 2.3 S. 220 f.;
BGE 137 V 321
E. 3.3.2 S. 331;
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.). Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, sich zur politischen, wirtschaftlichen oder anderweitigen Sachgerechtigkeit einer Verordnungsbestimmung zu äussern (
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.;
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 571;
BGE 131 II 562
E. 3.2 S. 566).
2.4
Das Institut der Gruppenbesteuerung ist in der Schweiz mit Art. 17 Abs. 3 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV 1994; AS 1994 1464) eingeführt worden, welche Bestimmung verfassungsmässig ist (
BGE 125 II 326
). Mit dem Institut sollen gruppenintern die Auswirkungen der steuerausgenommenen Umsätze ("taxe occulte") behoben und zugleich administrative Vereinfachungen herbeigeführt werden (Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements vom 22. Juni 1994 über das Vernehmlassungsverfahren zum Verordnungsentwurf über die Mehrwertsteuer vom 28. Oktober 1993, S. 14). Erreicht wird dies dadurch, dass die eng miteinander verbundenen Unternehmen gemeinsam als eine einzige steuerpflichtige Person behandelt werden. Dementsprechend sind die Umsätze zwischen den Gruppenmitgliedern ("Innenumsätze") nicht zu besteuern, mit der Folge, dass die Auswirkungen, die steuerausgenommene Umsätze (Art. 13 MWSTV 1994) zwangsläufig auf den Vorsteuerabzug haben (Art. 29 Abs. 2 MWSTV 1994 e contrario), im Innenverhältnis ausbleiben. Die "Aussenumsätze" der Gruppenmitglieder werden unmittelbar der Gruppe zugerechnet und begründen von Gesetzes wegen die solidarische Haftung der Mitglieder für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern (Art. 25 Abs. 1 lit. f MWSTV 1994). Der ESTV gegenüber wird die Gruppe unter Verordnungsrecht durch die Gruppenträgerin vertreten (dazu Urteil 2C_642/2007 vom 3. März 2008 E. 3.2, in: ASA 77 S. 267;
BGE 125 II 326
E. 9a/aa S. 339 f.). Das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (MWSTG 1999; AS 2000 1300) übernahm im Wesentlichen die bisherige Konzeption (materielle Regelung in Art. 22, Solidarhaftung in Art. 31 Abs. 1 lit. e MWSTG 1999; Urteil 2C_124/2009 vom 10. März 2010 E. 2.2, in: ASA 79 S. 580, RDAF 67/2011 II S. 168).
2.5
Das geltende Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG 2009; SR 641.20) setzt abermals das vorrevidierte Recht fort. Unter dem Titel "Gruppenbesteuerung" enthält Art. 13 Abs. 1 folgende Bestimmung:
BGE 139 II 460 S. 465
"Rechtsträger mit Sitz oder Betriebsstätte in der Schweiz, die unter einheitlicher Leitung eines Rechtsträgers miteinander verbunden sind, können sich auf Antrag zu einem einzigen Steuersubjekt zusammenschliessen (Mehrwertsteuergruppe). In die Gruppe können auch Rechtsträger, die kein Unternehmen betreiben, und natürliche Personen einbezogen werden."
Nach der bundesrätlichen Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer (BBl 2008 6885, insb. 6953 f. zu Art. 13) ist zwar bei natürlichen Personen fraglich, ob sie im Einzelfall durch einen Beherrschungsvertrag als unter einheitlicher Leitung stehend betrachtet werden können. Als "vorstellbar" bezeichnet der Bundesrat hingegen den Einbezug zum Beispiel eines für eine Versicherung tätigen Generalagenten oder einer Pensionskasse in die Gruppe.
Aufgrund von Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 haftet auch neurechtlich mit der steuerpflichtigen Person solidarisch jede zu einer Mehrwertsteuergruppe (Art. 13) gehörende Person oder Personengesellschaft für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern; tritt eine Person oder Personengesellschaft aus der Gruppe aus, so haftet sie nur noch für die Steuerforderungen, die sich aus ihren eigenen unternehmerischen Tätigkeiten ergeben haben. Im Anschluss daran bestimmt Art. 16 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTV 2009; SR 641.201):
1
Nicht rechtsfähige Personengesellschaften sind Rechtsträgern im Sinn von
Art. 13 MWSTG
gleichgestellt.
2
Versicherungsvertreter und Versicherungsvertreterinnen können Mitglieder einer Gruppe sein.
3
Einrichtungen der beruflichen Vorsorge können nicht Mitglied einer Gruppe sein.
In den Erläuterungen vom 27. November 2009 zur Mehrwertsteuerverordnung (nur online einsehbar) kommentiert der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 zwar dahingehend, dass botschaftsgemäss der Einbezug einer Pensionskasse in eine Gruppe vorstellbar sei. Da die Mitglieder einer Gruppe jedoch nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG
für sämtliche Mehrwertsteuerschulden der anderen Gruppenmitglieder solidarisch hafteten, würde die Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe einen Verstoss gegen die sozialversicherungsrechtliche Verselbstständigungspflicht darstellen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen habe sich entschieden gegen die Möglichkeit einer Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in Mehrwertsteuergruppen ausgesprochen, was nun in Absatz 3 ausdrücklich festgehalten werde.
BGE 139 II 460 S. 466
2.6
Das Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) findet auf die registrierten Vorsorgeeinrichtungen Anwendung (
Art. 5 Abs. 2 BVG
). In der Folge bestimmt
Art. 11 Abs. 1 BVG
, der Arbeitgeber, der obligatorisch zu versichernde Arbeitnehmer beschäftigt, müsse eine in das Register für die berufliche Vorsorge eingetragene Vorsorgeeinrichtung errichten oder sich einer solchen anschliessen (vgl.
BGE 129 V 387
E. 5.2 S. 391). Das Hauptanliegen von
Art. 11 Abs. 1 BVG
- dies in Einklang mit
Art. 331 Abs. 1 OR
in der weitergehenden (ausserobligatorischen) Vorsorge - besteht darin, die Vorsorgemittel dauerhaft dem Vorsorgezweck zu widmen und dem Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter (z.B. zur Deckung von Verbindlichkeiten der operativen Gesellschaften) wirksam zu entziehen ("Verselbständigungspflicht";
BGE 126 V 314
E. 3b S. 316). Dies schliesst aus, dass der Arbeitgeber das für die Personalvorsorge bestimmte Vermögen in seinen eigenen Büchern weiterführt und es als besonderen Passivposten ausweist ("Ausscheidungspflicht"; dazu JÜRG BRÜHWILER, Berufsvorsorgerechtliche Verselbständigungspflicht, SZS 41/1997 S. 497, insb. 498 f.). Über diesen Schutzgedanken hinaus erlaubt die Aussonderung des Vorsorgevermögens und dessen Übertragung auf einen unabhängigen Rechtsträger eine wirkungsvollere Beaufsichtigung und einfachere Prüfung (CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 82). Im Rahmen der übrigen gesetzlichen Vorgaben - zum Beispiel numerus clausus der Rechtsformen gemäss
Art. 48 Abs. 2 BVG
- sind die Vorsorgeeinrichtungen befugt, die Gestaltung ihrer Leistungen, deren Finanzierung und ihre Organisation frei zu bestimmen. Sie verfügen über einen Selbständigkeitsbereich (
Art. 49 Abs. 1 BVG
bzw. Art. 80 i.V.m. 89a Abs. 1 ZGB in der weitergehenden beruflichen Vorsorge).
3.
3.1
Mit der Vorinstanz geht die ESTV davon aus, dass Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 auf keiner gesetzlichen Delegationsnorm beruhe. In der Tat lässt sich eine solche weder Art. 13 noch Art. 107 MWSTG 2009 entnehmen. Damit fragt sich, ob die streitbetroffene Norm als Vollziehungsverordnung betrachtet werden kann, deren Grundlage sich unmittelbar aus
Art. 182 Abs. 2 BV
(bzw. dem rein deklaratorisch gehaltenen Art. 107 Abs. 3 MWSTG 2009) herleiten lässt.
3.2
Während die Botschaft vom 25. Juni 2008 zum Gesetzesentwurf noch davon spricht, der Einbezug von Pensionskassen in die
BGE 139 II 460 S. 467
Gruppe sei "vorstellbar", schliessen die Erläuterungen vom 27. November 2009 zur Verordnung dies ausdrücklich aus. Die Begründung geht dahin, die Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe würde die vorsorgerechtliche Verselbständigungspflicht verletzen. Das Berufsvorsorgegesetz ist zwar älteres Recht als die heutige Mehrwertsteuergesetzgebung, in Bezug auf den Aspekt der Verselbständigungspflicht aber das speziellere Recht. Die Stossrichtung, die
Art. 11 Abs. 1 BVG
verfolgt, ist überdies von unverminderter Aktualität. Die ESTV geht davon aus, Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 stehe insgesamt in unlösbarem Widerspruch zu
Art. 11 Abs. 1 BVG
. Sie folgert sinngemäss,
Art. 11 Abs. 1 BVG
beanspruche deswegen den Vorrang gegenüber
Art. 13 Abs. 1 MWSTG
, sodass der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 mit Recht erlassen habe.
3.3
Dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommt gerade im Steuerrecht, das regelmässig auf fremdrechtliche Sachverhalte anzuwenden ist, erhebliche Bedeutung zu (vgl.
BGE 138 II 300
E. 3.6.2 S. 308 [DBG/ZGB]). Dementsprechend stellen sich im Steuerrecht häufig Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten (Urteil 2C_566/2008 vom 16. Dezember 2008 E. 4.1, in: StE 2009 B 22.3 Nr. 99, StR 64/2009 S. 561;
BGE 131 III 546
E. 2.3 S. 551; vgl. auch
BGE 139 II 233
E. 5.4.2 S. 240 f.; je mit Hinweisen), was nach einer einheitlichen Beantwortung ruft. Auch innerhalb der verschiedenen Steuerarten ist eine Harmonisierung wünschbar (
BGE 138 II 251
E. 2.4 S. 256 ff. [DBG/MWSTG]). Dies alles gilt für die Rechtsprechung, ebenso aber auch für die Rechtsetzung. So ist es durchaus sinnvoll, wenn schon der Verordnungsgeber im Abgaberecht auf die zivilrechtliche Regelung abstellt (
BGE 136 V 258
E. 4.7 S. 266 f. [AHVV/OR]). Die interdisziplinäre Harmonisierung findet ihre Grenzen dort, wo ein Harmonisierungsbedürfnis fehlt. Wie zu zeigen ist, bestehen unter den vorliegenden Umständen keine fremdrechtlichen (hier: vorsorgerechtlichen) Gründe, die gebieten würden, Personalvorsorgeeinrichtungen in jeder möglichen Konstellation von der Teilnahme an der Mehrwertsteuergruppe auszuschliessen.
3.4
Einrichtungen der beruflichen Vorsorge verfügen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben über einen Selbständigkeitsbereich. In diesem Umfang kommt ihnen die Organisationshoheit zu (
Art. 49 Abs. 1 BVG
bzw. Art. 80 i.V.m.
Art. 89a Abs. 1 ZGB
). Die Ausgliederung von Aufgaben der Personalvorsorgeeinrichtung auf eine hundertprozentige oder qualifiziert mehrheitlich gehaltene
BGE 139 II 460 S. 468
Tochtergesellschaft muss nicht in zwangsläufigem Widerspruch zum Hauptanliegen von
Art. 11 Abs. 1 BVG
(und von
Art. 331 Abs. 1 OR
) stehen. Mit Blick auf die regulatorischen Vorgaben von
Art. 11 Abs. 1 BVG
gilt es zwar zu vermeiden, dass eine Personalvorsorgeeinrichtung unter Leitung namentlich der Stifterunternehmung steht. Nichts spricht hingegen von vornherein dagegen, dass umgekehrt eine oder mehrere operative Gesellschaften unter der "einheitlichen Leitung" (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 MWSTG 2009) einer solchen Personalvorsorgeeinrichtung stehen. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten kann es gegenteils sinnvoll sein, bestimmte Tätigkeiten (etwa die Verwaltung und Betreuung von Grundstücken oder anderem Anlagevermögen) von der Vorsorgeeinrichtung auf eine dafür spezialisierte Beteiligung zu übertragen. Zumindest solange, als es sich um eine hundertprozentige oder eine qualifiziert mehrheitlich gehaltene Tochtergesellschaft handelt, ist die gesellschaftsrechtliche Einflussnahme und Kontrolle (im Verwaltungsrat, an der Generalversammlung, durch die Revisionsstelle) durch die paritätisch besetzte Personalvorsorgeeinrichtung (
Art. 51 BVG
) grundsätzlich gewährleistet. Im Ergebnis wird das ökonomische Risiko bei Auslagerung (Outsourcing) einer Aufgabe von der Personalvorsorgeeinrichtung an eine derartige Tochtergesellschaft mit dem Risiko vergleichbar sein, das bestünde, würde die Einrichtung der beruflichen Vorsorge diese Aufgabe selber bewältigen.
3.5
Das Mehrwertsteuerrecht schafft bei Gruppenangehörigkeit eine solidarische Haftung, wo zivil- und vorsorgerechtlich von Gesetzes wegen keine solche besteht. Bei einer hundertprozentigen oder qualifiziert mehrheitlich gehaltenen Tochtergesellschaft, soweit vorsorgerechtlich überhaupt zulässig, vermag die mehrwertsteuerliche Solidarhaftung im Regelfall freilich kein zusätzliches ökonomisches Risiko der Personalvorsorgeeinrichtung (Aktionärin) zu begründen. Die Aktionärin könnte als solidarisch Haftende lediglich dann belangt werden, wenn die Tochtergesellschaft Aussenumsätze erbringt, ohne über diese mehrwertsteuerlich abzurechnen. Wie gezeigt, verfügt die Vorsorgeeinrichtung in Fällen qualifizierter Beteiligungen jedoch über alle gesellschaftsrechtlich erforderlichen Steuerungs- und Kontrollmittel, um einer solchen Gefahr rechtzeitig zu begegnen. In ihrer Eigenschaft als Gruppenvertretung (Art. 18 Abs. 3 MWSTV 2009) hat sie überdies die interne Mehrwertsteuerabrechnung der Tochtergesellschaft zu konsolidieren (Art. 21 Abs. 2 MWSTV 2009), was ihr jederzeit den Überblick über die
BGE 139 II 460 S. 469
Steuerforderung (Umsatzsteuer minus Vorsteuer, sog. Saldoprinzip; Art. 36 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 MWSTG 2009) verschafft. Dem potentiellen ökonomischen (Rest-)Risiko steht freilich ein aktueller ökonomischer Vorteil gegenüber. So liegt der Hauptzweck der Mehrwertsteuergruppe gerade darin, die unerwünschte "taxe occulte" zu beseitigen, die sich auf Ebene der Vorsorgeeinrichtung infolge der beschränkten Vorsteuerabzugsberechtigung zwangsläufig einstellt. Die Schattensteuerbelastung ginge zulasten des Vorsorgevermögens. Bildet die Personalvorsorgeeinrichtung eine Gruppe, entfällt der Schattensteuereffekt auf gruppenintern bezogenen Leistungen. Der (restriktiven) Haltung von Bundesrat und Verwaltung ist denn auch Kritik erwachsen (PETER LANG, Aspekte der Versicherung im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht, ASA 77 S. 121, insb. 146; zustimmend CLAUDE RUFF, L'imposition de groupe, ASA 74 S. 379, insb. 383).
3.6
In einer Konstellation wie der vorliegenden steht die Personalvorsorgeeinrichtung nicht unter einer "einheitlichen Leitung". Es ist damit kein vorsorgerechtliches (Schutz-)Bedürfnis ersichtlich, das einen Ausschluss der Personalvorsorgeeinrichtung von der Teilhabe an der Mehrwertsteuergruppe erfordert. Die Ausnahmebestimmung von Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 lässt keine Gegenausnahme zu. Damit geht sie über eine Konkretisierung des Gesetzes hinaus. Sie schränkt den Begriff der "einheitlichen Leitung" bzw. der subjektiven Möglichkeit, an einer Mehrwertsteuergruppe teilzuhaben, in einer Weise ein, die der vorliegenden Struktur nicht gerecht wird. Wäre der Normkonflikt dem Gesetzgeber bewusst gewesen, hätte er dessen Lösung im Gesetz herbeiführen oder zumindest eine Delegationsnorm schaffen müssen. Nachdem dies unterblieben ist, kann dem Anliegen nicht im Wege einer blossen Vollzugsverordnung Rechnung getragen werden. Der verordnete Eingriff in die gesetzlich umschriebenen Voraussetzungen der Gruppenbildung entbehrt damit im vorliegenden Fall der gesetzlichen Grundlage. Wie es sich mit anderen denkbaren Strukturen verhält, kann im vorliegenden Verfahren der vorfrageweisen Normenkontrolle offenbleiben. Im Übrigen ist es Sache der BVG-Aufsicht (
Art. 61 ff. BVG
), die vorsorgerechtliche Zulässigkeit von Tochtergesellschaften zu beurteilen.
4.
4.1
Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 wird damit einer Konstellation wie der vorliegenden nicht gerecht. Der Norm fehlt für den Fall, dass die
BGE 139 II 460 S. 470
Personalvorsorgeeinrichtung an der Spitze der Mehrwertsteuergruppe steht und hundertprozentige Tochtergesellschaften oder qualifiziert mehrheitlich gehaltene Beteiligungen hält, die gesetzliche oder verfassungsrechtliche Grundlage. Insofern verletzt sie das Gewaltenteilungsprinzip. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
53861827-4141-4ec7-a5c8-04411e9eed9a | Urteilskopf
121 III 52
15. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 23 mars 1995 dans la cause Paul Bernaschina contre F. Bernasconi & Cie (recours en réforme) | Regeste
Art. 736 Abs. 1 ZGB
; Löschung eines Durchfahrtsrechts, dessen Ausübung unmöglich geworden ist.
Eine Dienstbarkeit, die für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren hat, kann gelöscht werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Interesse noch bestehe, ist vom Grundsatz der Identität der Dienstbarkeit auszugehen, wonach eine solche nur zu dem Zweck aufrechterhalten werden darf, zu welchem sie errichtet worden ist (E. 2a).
Die Unmöglichkeit, die Dienstbarkeit auszuüben, führt zum Verlust des Interesses für das berechtigte Grundstück. Das ist der Fall, wenn sich herausstellt, dass ein Wegrecht, das vermeintlich auf verschiedenen hintereinanderliegenden Grundstücken lastet, auf einem davon in Wirklichkeit gar nicht besteht (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 121 III 52 S. 53
A.-
a) Le 26 mai 1986, Paul Bernaschina a acquis l'article 6838 du cadastre de Neuchâtel. Les immeubles adjacents nos 11299 (ancien article 6837) et 3760 - formant désormais l'article 14004 - ont été achetés le 7 décembre 1987 par la société F. Bernasconi & Cie. Au nord, ces trois fonds sont longés par un chemin qui leur sert de voie d'accès.
Les parcelles nos 6838 et 11299 (anciennement 6837) sont issues de la division, en 1944, de l'article 3657. Vu la configuration des lieux, un droit de passage grevant le no 6837 a été constitué en faveur du no 6838, qui ne disposait d'aucune autre issue. Cette servitude a été inscrite au registre foncier sous la mention: "Passages selon plan cadastral Réq. 24/1944". Le plan déposé le 19 janvier 1944 indique l'assiette d'un passage à pied reliant le chemin de desserte à l'article 6837; ce tracé s'élargit ensuite en un passage pour véhicules menant du no 6837 au no 6838.
Par jugement du 7 octobre 1957, le Tribunal cantonal du canton de Neuchâtel a débouté les propriétaires des articles 6837 et 6838 de leur demande tendant à faire constater l'existence d'une servitude de passage à char grevant le no 3760, propriété d'un tiers, au profit de leurs fonds.
b) En 1965, le propriétaire de l'article 6837 a aménagé une rampe sur son terrain pour permettre à des véhicules d'accéder au chantier de construction qu'il avait entrepris. Après la fin des travaux, il a continué de l'utiliser pour parvenir à son garage, les habitants de l'immeuble no 6838 étant en outre autorisés à emprunter cette voie pour décharger du matériel ou lors de déménagements. La rampe d'accès a été démolie par F. Bernasconi & Cie lors de la construction d'un nouveau bâtiment sur l'article 11299.
B.-
Le 27 juin 1990, Paul Bernaschina a intenté contre F. Bernasconi & Cie une action tendant à faire constater qu'une servitude de passage à pied et pour tout véhicule grève l'article 11299 du cadastre de Neuchâtel en faveur de l'article 6838 de ce même cadastre. Il concluait en outre à ce qu'il soit ordonné à la défenderesse "de faire rétablir l'usage normal de la servitude grevant son immeuble, en reconstruisant à ses frais un chemin
BGE 121 III 52 S. 54
identique à celui qu'elle a supprimé".
Dans ses dernières écritures, F. Bernasconi & Cie a proposé le rejet de ces conclusions. Reconventionnellement, la défenderesse a demandé la radiation de la servitude de passage pour véhicules figurant au plan cadastral, faute de toute utilité pour le fonds dominant.
Par jugement du 26 septembre 1994, la Ie Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Neuchâtel a rejeté la demande principale et admis la demande reconventionnelle.
Le recours en réforme interjeté par Paul Bernaschina contre ce jugement a été rejeté, dans la mesure de sa recevabilité.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recourant reproche en premier lieu à l'autorité cantonale d'avoir violé l'
art. 736 al. 1 CC
.
a) Aux termes de cette disposition, le propriétaire grevé peut exiger la radiation d'une servitude qui a perdu toute utilité pour le fonds dominant. Cette faculté découle du principe général selon lequel une servitude doit présenter un intérêt raisonnable pour l'ayant droit (
ATF 108 II 39
consid. 3a p. 43,
ATF 107 II 331
consid. 3 p. 334/335; PIOTET, Les droits réels limités en général, les servitudes et les charges foncières, Traité de droit privé suisse V/3 p. 36 et 59; STEINAUER, Les droits réels II, 2e éd., no 2263 p. 321). D'après la jurisprudence, l'utilité pour le fonds dominant se définit par l'intérêt du propriétaire de ce fonds à exercer la servitude conformément à son objet et à son contenu. A cet égard, il faut tenir compte du principe de l'identité de la servitude qui veut qu'un tel droit ne peut être maintenu dans un autre but que celui pour lequel il a été constitué (
ATF 107 II 331
consid. 3 p. 335,
ATF 100 II 105
consid. 3b p. 116,
ATF 94 II 145
consid. 7 p. 149/150; RNRF 1983 p. 119 consid. 4b). Il convient ainsi de rechercher si l'usage de la servitude présente encore pour le propriétaire du fonds dominant un intérêt conforme à son but initial (
ATF 114 II 426
consid. 2 p. 428/429).
3.
a) Selon la jurisprudence et la doctrine, l'intérêt du propriétaire du fonds dominant au maintien de la servitude s'apprécie en vertu de critères objectifs (
ATF 100 II 105
consid. 3c p. 118; RIEMER, Die beschränkten dinglichen Rechte, Grundriss des schweizerischen Sachenrechts, Band II, p. 56; STEINAUER, op.cit., no 2267 p. 322 et les références). L'impossibilité d'exercer la servitude en fait consacre la perte de toute utilité pour le
BGE 121 III 52 S. 55
fonds dominant. A titre exceptionnel, le conservateur du registre foncier peut même, si l'exercice du droit est devenu définitivement et à l'évidence impossible, procéder à sa radiation en se fondant sur l'
art. 976 CC
(STEINAUER, op.cit., no 2254b p. 317; LIVER, n. 17 ad
art. 736 CC
). Est déterminant l'intérêt du propriétaire du fonds dominant au moment du dépôt de la demande de radiation (ALFRED TEMPERLI, Die Problematik bei der Aufhebung und Ablösung von Grunddienstbarkeiten (ZGB 736), thèse Zürich 1975, p. 122 et 123).
b) La Cour civile a considéré sur ce point que le propriétaire de l'article 6838 avait perdu tout intérêt au maintien du droit de passage pour véhicules grevant l'immeuble appartenant à l'intimée pour le motif que, à mesure qu'il n'existait pas de servitude de passage sur l'article 3760 en faveur des immeubles propriétés des intéressés, l'exercice de la servitude litigieuse se révélait impossible. A cet égard, le recourant expose en substance que l'accès en véhicule à un immeuble conserve toujours son utilité. En l'occurrence, le rétablissement de la rampe supprimée se justifie d'autant plus que sa parcelle ne dispose d'aucune autre issue, si ce n'est à pied. L'impossibilité de passer en véhicule sur l'article 3760 ne rendrait pas la servitude inutile, mais commanderait au contraire d'en modifier l'assiette. Si le propriétaire à l'origine de la constitution du droit de passage litigieux avait eu connaissance de cette situation, il n'aurait pas manqué de procéder au changement nécessaire.
Toute l'argumentation du recourant repose sur l'idée que son fonds bénéficie, sur la parcelle 6838, d'un droit de passage pour véhicules permettant d'atteindre le chemin de desserte au nord de son terrain. Comme il a déjà été relevé, la servitude litigieuse n'a cependant pas la portée que lui prête le recourant. Selon le jugement entrepris, la volonté du propriétaire originaire n'était pas de constituer une telle servitude puisqu'il considérait que les véhicules devaient, pour accéder à son immeuble, passer par l'article 3760. Le raisonnement du recourant, qui s'écarte de manière irrecevable des constatations de fait de l'autorité cantonale, ne respecte donc pas le principe de l'identité de la servitude (
ATF 114 II 426
consid. 2a p. 428). Contrairement à ce que soutient ce dernier, on se trouve en présence d'une impossibilité d'exercer une servitude entraînant la perte de toute utilité pour le fonds dominant: tel est précisément le cas lorsqu'un droit de passage grevant différentes parcelles situées à la suite l'une de l'autre est supprimé ou n'est pas enregistré sur l'une d'elles (LIVER, n. 17 ad
art. 736 CC
; TEMPERLI, op.cit., p. 116).
BGE 121 III 52 S. 56
L'exercice de la servitude de passage pour véhicules conformément à son but et à son étendue originaires étant devenu impossible, le recourant a perdu tout intérêt au maintien de celle-ci. L'autorité cantonale a dès lors ordonné avec raison la radiation, dans cette mesure, de la servitude litigieuse. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
538cc6e6-6f54-4bc5-a327-de05a3a9d9a1 | Urteilskopf
118 II 42
9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Januar 1992 i.S. Eheleute R. gegen Eheleute M. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 266n OR
. Separate Zustellung der Kündigung an den Ehegatten des Mieters.
Wie für die Kündigung selbst gilt auch für das dem Ehegatten separat zuzustellende Kündigungsschreiben, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen dem Adressaten zugehen, sobald sie in seinen Machtbereich gelangen. Zustellung an die Ehefrau durch Übergabe des an sie adressierten Kündigungsdoppels an den Ehemann (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 118 II 42 S. 43
F. R. lebt mit seiner Frau in einer von ihm gemieteten Wohnung in Triengen, die dem Ehepaar als Familienwohnung dient. Aufgrund ihrer auf Ende Juli 1991 ausgesprochenen, von den Eheleuten R. jedoch als nichtig angefochtenen ausserordentlichen Kündigung wegen Zahlungsrückstand (
Art. 257d OR
) verlangten die Eheleute M. als Vermieter die Ausweisung, welche mit Rekursentscheid vom 22. Oktober 1991 vom Luzerner Obergericht angeordnet wurde unter gleichzeitiger Feststellung der Gültigkeit der Kündigung. Gegen den Rekursentscheid führen die Eheleute R. erfolglos staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
In materieller Hinsicht werfen die Beschwerdeführer dem Obergericht vor, die nach
Art. 266n OR
erforderliche separate Zustellung der von den Beschwerdegegnern ausgesprochenen Kündigung an die Ehefrau des Mieters willkürlich bejaht und daher ebenso willkürlich die Nichtigkeit dieser Kündigung verneint zu haben (
Art. 266o OR
). Dabei gehen die Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit dem Obergericht davon aus, dass die Beschwerdegegner zwei ausgefüllte Kündigungsformulare in getrennten, einerseits an den Ehemann und anderseits an die Ehefrau adressierten Couverts verschickt haben, und zwar je mit eingeschriebener Post. Darüber hinaus wird in der Beschwerde anerkannt, dass der Ehemann die beiden Sendungen vom Briefträger ausgehändigt erhalten und entgegengenommen hat. Aufgrund dieses Sachverhalts ist es aber keinesfalls unhaltbar (
BGE 117 Ia 15
E. 2c), sondern im Gegenteil offensichtlich richtig, wenn das Obergericht annimmt, trotz der Entgegennahme des an die Ehefrau adressierten Exemplars der Kündigung durch den Ehemann habe die Kündigung als der Frau zugegangen und damit als separat zugestellt im Sinne von
Art. 266n OR
zu gelten:
a) Die Kündigung von Mietverträgen über Wohn- und Geschäftsräume hat schriftlich (
Art. 266l Abs. 1 OR
) und seitens des Vermieters auf dem Formular nach
Art. 266l Abs. 2 OR
zu erfolgen.
BGE 118 II 42 S. 44
Kündigt der Vermieter eine Familienwohnung, so ist die Kündigung dem Mieter und seinem Ehegatten separat zuzustellen (
Art. 266n OR
). Unterbleibt die separate Zustellung oder werden die Formvorschriften nicht eingehalten, so ist die Kündigung nichtig (
Art. 266o OR
). Das Mietrecht regelt hingegen nicht, was als Zustellung im Sinne von
Art. 266n OR
zu gelten hat. Dafür sind die allgemeinen Grundsätze über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen als Voraussetzung für deren Wirksamkeit heranzuziehen.
b) Nach diesen Grundsätzen geht eine Willenserklärung in Briefform dem Empfänger zu, sobald sie in seinen Machtbereich gelangt. Bei einer Sendung, die privat oder durch die Post uneingeschrieben zugestellt wird, ist dies dann der Fall, wenn sie zu einer Zeit, in der mit der Leerung gerechnet werden darf, in den Briefkasten des Adressaten gelegt wird (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 408 zu
Art. 1 OR
; KRAMER, N. 88 zu
Art. 1 OR
). Ob der Adressat auch tatsächlich von der Sendung Kenntnis nimmt, ist dagegen nicht entscheidend. Insbesondere trägt der Adressat das Risiko, dass ihm die mit der Leerung des Briefkastens betraute Person die Sendung verheimlicht. Demzufolge bedeutet auch die Aushändigung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung an eine Drittperson Zugang, sofern diese entweder nach dem Willen des Adressaten zur Entgegennahme ermächtigt oder aber nach der Verkehrsauffassung als befugt und geeignet anzusehen ist, die Erklärung in Empfang zu nehmen (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 409 zu
Art. 1 OR
; KRAMER, N. 89 zu
Art. 1 OR
; vgl. auch
BGE 32 II 286
). Da insbesondere Ehegatten in einer gemeinsam bewohnten Wohnung als zum Empfang berechtigt und geeignet zu betrachten sind, ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen für den vorliegenden Fall, dass der Ehefrau das an sie adressierte Exemplar der Kündigung in dem Zeitpunkt zugegangen ist, in dem der Ehemann es vom Briefträger entgegengenommen hat.
Sinn und Zweck von
Art. 266n OR
erheischen keine Zugangserfordernisse, die von den allgemeinen Grundsätzen abweichen würden. Zwar soll die separate Zustellung der Kündigung nach
Art. 273a Abs. 1 OR
sicherstellen, dass auch der Ehegatte des Mieters die Rechte ausüben kann, die dem Mieter im Falle der Kündigung zustehen (
Art. 273a Abs. 1 OR
; SVIT-KOMMENTAR MIETRECHT, N. 20 zu
Art. 266l-o OR
; vgl. auch
BGE 115 II 362
f. E. 4 und 364 E. 4a). Indessen hat der Vermieter nicht dafür einzustehen, dass sich gewisse Mieter weigern, dem anderen Ehepartner die an ihn adressierte Post weiterzuleiten, würde doch sonst geradezu ein Anreiz zu solchem Verhalten geschaffen. Vielmehr gilt auch im Bereich des
BGE 118 II 42 S. 45
Mietrechts, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen in der Regel diesem anderen Ehepartner selbst dann wirksam zugehen, wenn ihm der Empfänger die Post böswillig vorenthält (RUOSS, Der Einfluss des neuen Eherechts auf Mietverhältnisse an Wohnräumen, ZSR 107/1988 I 75 ff., 97 und Fn 130; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 92 zu
Art. 169 ZGB
und 271a OR). Könnte dem Vermieter die unterbliebene Übermittlung zwischen Ehegatten entgegengehalten werden, so müsste er sich dadurch absichern, dass er das an den Ehegatten des Mieters adressierte Exemplar der Kündigung mit dem taxpflichtigen Zustellungsvermerk "eigenhändig" versieht (Art. 158 PVV; SR 783.01), während es nach den allgemeinen Grundsätzen beim Mieter selbst genügt, dass die für ihn bestimmte Kündigung durch Übergabe an den Ehegatten in seinen Machtbereich gelangt (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 87 zu
Art. 169 ZGB
und
Art. 271a OR
; RUOSS, a.a.O.). Diese unhaltbare Folge bestätigt, dass nicht der Vermieter, sondern allein der an einer persönlichen Zustellung interessierte Ehegatte für den tatsächlichen Zugang der an ihn adressierten Kündigungserklärungen zu sorgen hat. Zu diesem Zweck kann er der Post Weisungen über die Bezugsberechtigung erteilen (Art. 146 Abs. 2, 147, 148 PVV). | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5391e245-1b69-42a0-adea-dfcadfb480b6 | Urteilskopf
96 IV 181
41. Arrêt de la Chambre d'accusation du 17 décembre 1970 dans la cause Direction genérale des PTT contre Juge Instructeur de Sierre. | Regeste
Rechtshilfe,
Art. 352 StGB
.
1. Begriff (Erw. 1).
2. Zuständigkeit der Anklagekammer des Bundesgerichts (Erw. 2).
3. In einer Strafuntersuchung nach kantonalem Recht angeordnete vorsorgliche Beschlagnahme der Post zum Versand übergebener Prospekte (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 96 IV 181 S. 182
A.-
Les Editions Walter Beckers, à Anvers (Belgique), ont importé en Suisse des prospectus pour la souscription d'une série de 24 romans intitulée "Erotica", souscription qui donnait droit à la remise gratuite d'une autre série de six volumes, intitulée "Les dossiers de la liberté sexuelle par le sexologue Carson Davis".
Vu l'art. 36 al. 4 LD, l'Administration des douanes a soumis un exemplaire de ces prospectus au Ministère public fédéral pour qu'il examine s'il s'agissait de publications obscènes selon l'art. 204 CP. Les deux séries de livres ne lui étant pas connues, le Ministère public fédéral a estimé ne pouvoir juger s'il s'agissait de l'annonce de publications obscènes; il a par conséquent autorisé l'importation.
Nonobstant l'art. 25 al. 1 lit. b LSP, l'Administration des PTT a admis que les prospectus, qui lui avaient été remis à cet effet, devaient être distribués. Le Juge-Instructeur du Tribunal du district de Sierre en a ainsi reçu un. Considérant que les livres offerts par le prospectus étaient très probablement obscènes au sens de l'art. 204 CP, il a ouvert une enquête pénale et donné en même temps l'ordre à la police cantonale de contrôler tous les offices postaux du district et de leur enjoindre de suspendre la distribution jusqu'à nouvel avis. Plus tard et contrairement à l'avis donné par le Ministère public fédéral et par la Direction d'arrondissement postal, à Lausanne, il a ordonné, le 10 novembre 1970, le séquestre de tous les prospectus qui se trouvaient encore dans les offices postaux du district. Un de ceux-ci les distribua néanmoins aux destinataires; les autres les remirent à la police, chargée d'exécuter le séquestre.
B.-
Le 18 novembre 1970, la Direction générale des PTT a adressé à la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral une requête par laquelle elle lui demandait de constater que l'ordonnance de séquestre du 10 novembre 1970 constituait une demande d'entraide judiciaire au sens des art. 352 ss. CP et
BGE 96 IV 181 S. 183
de dire que la Confédération suisse, entreprise des PTT, était en droit de refuser l'entraide requise.
C.-
Le Juge-Instructeur du Tribunal de Sierre conclut à l'irrecevabilité, subsidiairement au rejet de la requête.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 352 al. 1 CP, dans toute cause entraînant l'application du Code pénal suisse ou d'une autre loi fédérale, la Confédération et les cantons, de même que les cantons entre eux, sont tenus de se prêter assistance. Il s'agit là de l'entraide judiciaire qui, d'après la définition qu'en a donnée la jurisprudence, porte sur toute mesure qu'une autorité est requise de prendre, dans les limites de sa compétence, au cours d'une poursuite pénale pendante, pour les fins de la poursuite ou pour l'exécution du jugement (RO 79 IV 182;
86 IV 139
b, 228;
87 IV 141
, consid. 3).
2.
Les litiges concernant l'entraide judiciaire, soit entre cantons, soit entre un canton et la Confédération, relèvent du Tribunal fédéral et sont jugés par la Chambre d'accusation (art. 357 CP, 252 al. 3 PPF); peu importe que, s'agissant d'une mesure qui touche à la correspondance postale, la voie du recours de droit administratif soit aussi ouverte ou non (RO 79 IV 182).
3.
Cependant, pour que la requête soit recevable, il faut que le litige porte effectivement sur une question d'entraide. La chambre de céans a jugé que tel était le cas lorsqu'un juge d'instruction cantonal demandait à l'Administration des PTT de noter pour lui le contenu des conversations téléphoniques et de lui remettre les télégrammes et le courrier postal d'une personne qu'il pensait être en relation avec un inculpé en fuite (RO 79 IV 180); elle a jugé de même dans un cas où l'Administration des douanes avait refusé d'autoriser un de ses fonctionnaires à témoigner, dans un procès pénal, sur des faits relatifs à son service (RO 86 IV 138). Touchant cette dernière requête, elle a relevé que le litige ne portait pas sur un acte de la poursuite pénale, mais sur un acte qui servait néanmoins directement à cette poursuite, car la possibilité d'entendre un témoin en dépendait.
Point n'est besoin d'examiner à nouveau et en principe s'il existe un litige portant sur l'entraide au sens de l'art. 252 PPF
BGE 96 IV 181 S. 184
lorsque la mesure dont il s'agit ne rentre pas dans les attributions pénales de la personne requise, ni même, en l'absence de telles attributions, au nombre des actes d'autorité constitutifs de l'enquête pénale ou nécessaires pour cette enquête. Car, même dans l'affirmative, on ne se trouve en tout cas plus dans le domaine de l'entraide lorsque le juge pénal exige de la personne requise, non pas un tel acte d'autorité mais l'exécution d'un ordre auquel doit se soumettre, dans les limites fixées par la loi, toute personne, fût-elle une régie - autonome ou non - de l'Etat.
Tel est le cas en l'espèce. Il ne s'agit pas de la confiscation d'objets dangereux au sens de l'art. 58 CP dès lors que l'on ne sait, en l'état, si les prospectus ont servi ou devaient servir à commettre une infraction. L'ordonnance litigieuse porte sur la saisie préventive d'objets au cours d'une enquête pénale. Elle relève donc du droit cantonal au premier chef et s'adresse à l'Administration des postes comme personne soumise à l'autorité pénale et non comme titulaire de l'autorité investie de compétences pénales ou du pouvoir d'accomplir un acte nécessaire pour l'enquête. C'est donc, non par la voie de la requête au Tribunal fédéral, mais par celle que peut ouvrir le droit cantonal que doit agir la requérante, si elle entend s'opposer à l'ordre du juge valaisan en invoquant les obligations qui découlent pour elle du secret postal. La chambre de céans n'a pas à juger si une voie de droit fédéral sera ouverte ou non contre la décision cantonale de dernière instance.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre d'accusation:
Déclare la requête irrecevable. | null | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
53933f0b-e909-4b40-8658-2113f485d3e9 | Urteilskopf
135 II 195
21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.G. und B.G. gegen Kantonale Steuerverwaltung Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_255/2008 vom 16. Februar 2009 | Regeste
Art. 22 Abs. 3,
Art. 37, 38 DBG
; Art. 7 Abs. 2,
Art. 11 Abs. 2 und 3 StHG
;
Art. 2 Abs. 1,
Art. 4 Abs. 1 DBA-NL
; Besteuerung von Kapitalzahlungen aus dem Rückkauf von Leibrentenversicherungen im Rahmen der ungebundenen Selbstvorsorge (Säule 3b).
Berechnung der Steuer nach Art. 37 oder 38 DBG? Grundsätze der Gesetzesauslegung. Kapitalzahlungen aus Rückkauf oder Ablösung von Leibrentenversicherungen sind vom übrigen Einkommen gesondert mit der Jahressteuer nach
Art. 38 DBG
zu erfassen (E. 6.1-6.3). Es besteht kein Grund, vom klaren Wortlaut des
Art. 38 DBG
abzuweichen und solche Kapitalzahlungen aus Leibrenten zusammen mit dem übrigen Einkommen nach
Art. 37 DBG
zu besteuern (E. 6.4-6.7).
Eine mit resolutiver Bedingung verknüpfte Leibrente kann faktisch zu einer Zeitrente werden. Angesichts des Alters des Beschwerdeführers bei Vertragsschluss ist vorliegend auf eine Leibrente (nicht Zeitrente) zu schliessen. Besteuerung der laufenden Rentenleistungen zu 40 Prozent zusammen mit dem übrigen Einkommen nach
Art. 37 DBG
(E. 7.1).
Steuerliche Behandlung von Kapitalleistungen aus einem Stammrechtsvertrag sowie einem Leibrentenvertrag: Besteuerung zu 40 Prozent mit der Jahressteuer nach
Art. 38 DBG
(E. 7.2).
Das Staatsvertragsrecht steht dieser Besteuerung nicht entgegen (E. 8).
Analoge Besteuerung von Kapitalabfindungen aus Leibrenten und Lebensversicherungen nach StHG (E. 9.1). | Sachverhalt
ab Seite 196
BGE 135 II 195 S. 196
A.G. (Beschwerdeführer), Jahrgang 1942, hatte mit zwei niederländischen Gesellschaften folgende Stammrechts- bzw. Leibrentenverträge geschlossen:
(1) Bei der P. Holding B.V. begründete er am 30. Juni 1997 einen Stammrechtsvertrag ("Stamrechtovereenkomst") für ein sofort eingehendes Stammrecht ("direkt ingaand stamrecht") über Hfl. 630'000.- und für ein aufgeschobenes Stammrecht ("uitgesteld stamrecht") über Hfl. 945'000.-. In Frage steht hier v.a. das aufgeschobene Stammrecht. Dieses läuft seit 1. März 2004 und löste das sofort eingehende Stammrecht ab. Aus diesem
BGE 135 II 195 S. 197
Stammrechtsvertrag erhielt A.G. im Jahre 2004 eine Rente von EUR 5'000.- pro Monat ausbezahlt.
(2) Mit der A. B.V. schloss A.G. im Jahr 2000 einen Leibrentenvertrag ("Lijfrenteverzekering") ab, wonach ihm vom 1. März 2007 bis 1. März 2017 jährlich EUR 30'548.- auszuzahlen sind. Da die Unternehmung liquidiert wurde, erhielt er im Jahre 2004 an Stelle der am 1. März 2007 beginnenden Rente einen Betrag von EUR 228'306.- ausbezahlt.
(3) Aufgrund eines weiteren Stammrechtsvertrages mit der A. B.V. hatte A.G. überdies Anspruch auf eine lebenslängliche Rente von jährlich EUR 22'689.-. Mit der Liquidation der Gesellschaft wurde ihm im Jahre 2004 als Abgeltung für das Stammrecht ein Betrag von EUR 356'056.- ausbezahlt.
Im Rahmen der Steuerveranlagung 2004 für die Kantons- und Gemeindesteuern und die direkten Bundessteuern qualifizierte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden die Rentenzahlungen der P. Holding B.V. von EUR 60'000.- (12 x EUR 5'000.-) sowie die beiden Kapitalleistungen der A. B.V. als Einkünfte aus Leibrenten und besteuerte sie zusammen mit dem übrigen Einkommen zu 40 Prozent (
Art. 22 Abs. 3 DBG
[SR 642.11]). Die beiden Kapitalzahlungen berücksichtigte sie zum Satz, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistungen entsprechende jährliche Leistungen ausgerichtet würden (Rentensatz, vgl.
Art. 37 DBG
).
Mit Urteil vom 22. Januar 2008 bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden diese Veranlagung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Steuerpflichtigen (Beschwerdeführer und B.G.) teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I. Direkte Bundessteuer
3.
Umstritten ist zum einen die Besteuerung der monatlichen Rentenzahlungen der P. Holding B.V., welche die Veranlagungsbehörde und die Vorinstanz als Einkommen aus Leibrente pauschal zu 40 Prozent erfasst haben (
Art. 22 Abs. 3 DBG
). Die Beschwerdeführer wenden ein, es handle sich um eine Zeitrente, die nur mit ihrer Zinsquote (Ertragsquote) der Einkommenssteuer unterliege.
In Frage steht zum anderen die Besteuerung der Kapitalzahlungen der A. B.V. aus der Ablösung des Leibrentenvertrags und des
BGE 135 II 195 S. 198
Stammrechtsvertrags zu 40 Prozent zusammen mit dem übrigen Einkommen zum Rentensatz gemäss
Art. 22 Abs. 3 und
Art. 37 DBG
. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, es handle sich um Kapitalleistungen aus Vorsorge, welche getrennt vom übrigen Einkommen mit der Jahressteuer zu einem Fünftel des ordentlichen Tarifs gemäss
Art. 38 DBG
zu erfassen seien.
4.
(vgl. hiervor
BGE 135 II 183
E. 3)
5.
(vgl. hiervor
BGE 135 II 183
E. 4)
6.
6.1
Zu prüfen bleibt, ob die Kapitalzahlungen aus Leibrenten nach Art. 37 oder 38 DBG zu besteuern sind. Gemäss
Art. 37 DBG
sind Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen unter Berücksichtigung der übrigen Einkünfte und der zulässigen Abzüge zu dem Steuersatz zu berechnen, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde.
Art. 38 DBG
erfasst demgegenüber "Kapitalleistungen nach Artikel 22 [DBG] sowie Zahlungen bei Tod und für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile". Sie werden nach dieser Bestimmung gesondert besteuert. Sie unterliegen stets einer vollen Jahressteuer. Die Steuer wird dabei zu einem Fünftel des ordentlichen Tarifs nach Art. 36 (oder 214) DBG berechnet.
Nach Ansicht der Vorinstanz, welche sich der Betrachtungsweise der kantonalen Steuerverwaltung und einer Empfehlung der Schweizerischen Steuerkonferenz vom 7. März 2006 angeschlossen hat, kann die Kapitalzahlung beim Rückkauf einer Leibrentenversicherung - im Unterschied zur Rückgewährleistung im Todesfall - nicht als Kapitalleistung aus Vorsorge qualifiziert werden, welche die Anwendung des Vorsorgetarifs gemäss
Art. 38 DBG
rechtfertigen würde. Kapitalabfindungen beim Rückkauf träten an die Stelle der periodisch geschuldeten Rentenleistungen und seien daher nach Art. 37 DGB zusammen mit dem übrigen Einkommen zum Rentensatz zu erfassen.
6.2
Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Wortlaut einer Bestimmung klar, erübrigt es sich, für die Bedeutung und Tragweite der Norm auf weitere Auslegungselemente zurückzugreifen. Ist der Text nicht ganz klar, so ist nach seiner wahren Tragweite zu suchen unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden,
BGE 135 II 195 S. 199
nämlich dann, wenn anzunehmen ist, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (
BGE 133 III 257
E. 2.4,
BGE 133 III 497
E. 4.1;
BGE 133 V 593
E. 5;
BGE 130 V 49
E. 3.2.1 S. 50 mit weiteren Hinweisen).
6.3
Der Wortlaut von
Art. 38 DBG
ist klar. Nach Absatz 1 werden gesondert besteuert (u.a.) die "Kapitalleistungen nach Artikel 22 (DBG)". Es handelt sich um die "Einkünfte aus Vorsorge" (vgl. Titel vor
Art. 22 DBG
), mithin Leistungen, die auf der Dreisäulenkonzeption beruhen (RICHNER/FREI/KAUFMANN, Handkommentar zum DBG, 2003, N. 1 und 4 zu
Art. 22 DBG
). Die freie Selbstvorsorge (Säule 3b) ist teilweise - hinsichtlich der Leibrenten und Einkünfte aus Verpfründung - in Absatz 3 von
Art. 22 DBG
geregelt. Darunter fallen nach der Rechtsprechung nicht nur die wiederkehrenden Leistungen aus Leibrentenversprechen und Lebensversicherungen einschliesslich die Rückgewähr, wenn der Versicherte früher verstirbt, sondern auch die Kapitalleistungen aus dem Rückkauf solcher Verträge (Urteil 2A.40/1998 vom 10. August 1998, in: StE 1999 B 28 Nr. 6, zu
Art. 21
bis
Abs. 3 BdBSt
). Es findet auf diese Leistungen klarerweise
Art. 38 DBG
(und nicht
Art. 37 DBG
) Anwendung. Die Kapitalleistung aus Leibrente ist zu 40 Prozent zu versteuern, wobei die Steuer zu einem Fünftel der Tarife nach
Art. 36 DBG
berechnet wird. Das entspricht im Übrigen auch der herrschenden Meinung in der Lehre (AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 1 zu
Art. 38 DBG
; AGNER/DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Ergänzungsband, 2000, S. 141 N. 1b zu
Art. 38 DBG
; JUNGO/MAUTE, Lebensversicherungen und Steuern, Ein Leitfaden für den Praktiker, 2003, S. 69 [für Rückkauf während der Aufschubszeit]; GLADYS LAFFELY MAILLARD, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, N. 3 zu
Art. 38 DBG
; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG [im Folgenden: Kommentar], 2001, N. 5 zu
Art. 38 DBG
; RICHNER/FREI/KAUFMANN, a.a.O., N. 8 zu
Art. 38 DBG
; LINDA PETER-SZERENYI, Der Begriff der Vorsorge im Steuerrecht, 2001, S. 337; a.M. AMSCHWAND-PILLOUD/JUNGO/MAUTE, Assurances-vie et impôts, Guide pratique, 2005, S. 65 f., 167).
6.4
Angesichts des klaren Wortlauts kann sich nur fragen, ob Gründe bestehen, davon abzuweichen. Solche Gründe können sich wie erwähnt aus dem Sinn und Zweck der Norm, der
BGE 135 II 195 S. 200
Gesetzessystematik oder auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben. Derartige Gründe macht die kantonale Steuerverwaltung geltend. Sie beruft sich auf die Materialien und die Gesetzessystematik und führt aus, es liege ein gesetzgeberisches Versehen vor.
Die Botschaft vom 25. Mai 1983 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkte Bundessteuer (BBl 1983 III 1 ff.) behandelte - entsprechend der Dreisäulenkonzeption - die eidgenössische Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, die berufliche Vorsorge sowie die gebundene und die nicht gebundene Selbstvorsorge einschliesslich die Leibrenten- und Verpfründungsverträge. In den Entwürfen zu den harmonisierten Steuergesetzen (E-DBG, E-StHG) stellte der Bundesrat die volle Besteuerung der Vorsorgeleistungen (Art. 8 Abs. 1 E-StHG, Art. 22 Abs. 1 E-DBG) der vollen Abzugsfähigkeit der Einlagen, Prämien und anderen Beiträge zum Erwerb von Ansprüchen aus Vorsorge (Art. 10 Abs. 2 lit. d E-StHG, Art. 33 Abs. 1 lit. d E-DBG) gegenüber (Botschaft, a.a.O., S. 35 Ziff. 143, S. 90 ad Art. 8 E-StHG, S. 165 ad Art. 22 E-DBG).
Für Kapitalleistungen nach Art. 22 E-DBG sah Art. 38 E-DBG (Art. 12 Abs. 4 E-StHG) eine vom übrigen Einkommen gesonderte Besteuerung (Jahressteuer) vor, wobei die Steuer zum Satz berechnet wird, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde. Es handelt sich um den sog. Rentensatz (Botschaft, a.a.O., S. 177 ad Art. 38 E-DBG, S. 98 ad Art. 12 Abs. 4 E-StHG). Die Jahressteuer nach Art. 38 E-DBG sollte auch die Kapitalabfindungen aus Leibrenten erfassen, wie aus der Botschaft über die Steuerharmonisierung hervorgeht (Botschaft, a.a.O., S. 165 ad Art. 22 E-DBG). Der Verweis in Art. 38 Abs. 1 auf Art. 22 Abs. 1 E-DBG war somit umfassend zu verstehen. Er erstreckte sich nach dem klaren Wortlaut von Art. 22 Abs. 1 E-DBG auch auf "Einkünfte (...) aus Leibrenten- und Verpfründungsverträgen, mit Einschluss von Kapitalabfindungen und Rückzahlungen von Einlagen, Prämien und Beiträgen".
6.5
Die volle Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten- und Verpfründungsgeschäften unter gleichzeitiger voller Abzugsfähigkeit der geleisteten Prämien, Einlagen usw. wurde in Fachkreisen indessen nicht als sachgerecht betrachtet, weil bei den Leibrenten- und Verpfründungsgeschäften, wie sie namentlich in der Landwirtschaft und im Gewerbe bei der Abtretung oder Übertragung von Betrieben
BGE 135 II 195 S. 201
geschlossen werden, einmalige Entschädigungen für den Einkauf der Vorsorgeleistungen selten voll vom Einkommen abgezogen werden können. Es wurde daher vorgeschlagen, für diesen Bereich der privaten Vorsorge die Rentenleistungen nur insoweit zu besteuern, als die dafür aufgewendeten Mittel steuerlich zum Abzug gelangten (ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung, 1984, S. 87).
In der Folge löste der Gesetzgeber die Einkünfte aus Leibrenten und Verpfründung aus Art. 22 Abs. 1 E-DBG und Art. 8 Abs. 1 E-StHG heraus und sah für diese je in einem neuen Absatz die reduzierte Besteuerung von (damals) 60 Prozent vor (vgl. AB 1986 S 133 und 178). Diese Lösung wurde von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgeschlagen (AB 1986 S 179 Votum Binder, Berichterstatter).
Bezüglich der Besteuerung von Kapitalleistungen aus Vorsorge nach Art. 22 E-DBG hielt der Gesetzgeber an der vom Bundesrat vorgeschlagenen Jahressteuer (Art. 38 E-DBG, Art. 12 Abs. 4 E-StHG) jedoch fest. Er hielt lediglich den Rentensatz (Berechnung des satzbestimmenden Einkommens anhand der weggefallenen jährlichen Rentenleistung, Art. 38 Abs. 2 E-DBG und Art. 12 Abs. 4 E-StHG) wegen des Progressionsverlaufs bei der direkten Bundessteuer für die Jahressteuer als unangemessen (vgl. AB 1988 N 21, Votum Reichling, Berichterstatter; AB 1988 S 826, Voten Reichmuth, Berichterstatter, und Bundespräsident Stich) und setzte auf Antrag der Kommission stattdessen die Jahressteuer auf einen Fünftel des ordentlichen Tarifs fest (Art. 36 E-DBG). In Art. 12 Abs. 4 E-StHG wurde der Rentensatz ebenfalls aufgegeben.
Diese Regelung bezog sich aber weiterhin auf alle aus Vorsorge nach Art. 22 E-DBG fliessenden Kapitalabfindungen, mithin auch auf solche aus Leibrentenversprechen und Verpfründung. Art. 12 Abs. 4 E-StHG (jetzt
Art. 11 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]
) spricht zwar hinsichtlich der Jahressteuer für die kantonalen Steuern nur von den "Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen". Eine unterschiedliche Besteuerung der Säulen 3a und 3b bei der direkten Bundessteuer und den kantonalen Steuern war damit offensichtlich nicht bezweckt. Die Entwürfe des StHG zählen zur Vorsorge insbesondere auch die Leibrenten- und Verpfründungsverträge als Formen der nicht gebundenen Selbstvorsorge (Botschaft, a.a.O., S. 35 Ziff. 143).
BGE 135 II 195 S. 202
Weder der Botschaft über die Steuerharmonisierung noch den parlamentarischen Beratungen (AB 1986 S 140 ad Art. 12 Abs. 3 und 4 E-StHG; AB 1989 N 41 ad Art. 12 Abs. 3 und 4 E-StHG) ist zu entnehmen, dass für die Besteuerung von Kapitalabfindungen aus Leibrenten gemäss dem DBG oder dem StHG eine unterschiedliche Ordnung gelten soll. So etwas liesse sich mit dem Harmonisierungsauftrag (
Art. 129 BV
) auch kaum vereinbaren.
6.6
Im Rahmen des Bundesgesetzes vom 19. März 1999 über das Stabilisierungsprogramm 1998 wurden die
Art. 22 Abs. 3 DBG
und 7 Abs. 1 StHG dahingehend geändert, dass Leibrenten sowie Einkünfte aus Verpfründung zu 40 Prozent (statt 60 Prozent bisher) steuerbar sind (AS 1999 2374, 2368). Hinsichtlich der Besteuerung der Kapitalleistungen aus Vorsorge ergab sich jedoch keine Änderung.
6.7
Diese Entstehungsgeschichte zeigt, dass Leibrenten und Verpfründungsverträge deshalb einer reduzierten Besteuerung (von damals 60 Prozent;
Art. 22 Abs. 3 DBG
,
Art. 7 Abs. 2 StHG
) zugeführt wurden, weil die Prämien und Einlagen praktisch nicht zum Abzug zugelassen werden. Die dieser Regelung zugrunde liegende Überlegung gilt heute noch.
Andererseits hat der Gesetzgeber die Periodisierung der Steuerberechnung (Rentensatz) gemäss Art. 38 Abs. 2 E-DBG zugunsten des auf einen Fünftel des ordentlichen Steuersatzes reduzierten Steuersatzes (
Art. 38 Abs. 2 DBG
) ersetzt, um der Progressionswirkung der Steuer Rechnung zu tragen, und am Rentensatz auch für die Jahressteuer für die kantonalen Steuern (Art. 12 Abs. 4 E-StHG) nicht festgehalten (jetzt
Art. 11 Abs. 2 StHG
).
Den beiden Massnahmen liegt somit je eine eigenständige Zwecksetzung zugrunde. Die erste Massnahme trägt der spezifischen Situation bei Leibrenten und Verpfründung Rechnung. Die zweite Massnahme zielt auf alle Kapitalabfindungen aus Vorsorge ab. Es ist kein Grund ersichtlich, Kapitalabfindungen aus Leibrente und Verpfründung hinsichtlich der Jahressteuer anders zu behandeln als Kapitalabfindungen aus anderen Formen der Vorsorge. Ein "Versehen" des Gesetzgebers, wie es die kantonale Steuerverwaltung geltend macht, ist nicht zu erkennen. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Besteuerung vermag zwar Über- oder Unterbesteuerungen nicht zu vermeiden. Sie ist jedoch vom Gesetzgeber klar gewollt und durch die Behörden anzuwenden. Es besteht kein Grund, vom an sich klaren Wortlaut von
Art. 38 Abs. 1 DBG
abzuweichen.
BGE 135 II 195 S. 203
7.
Der Beschwerdeführer (Jahrgang 1942) hatte sowohl mit der P. Holding B.V. mit Sitz in D./NL wie auch mit der A. B.V. mit Sitz in A./NL Verträge mit Vorsorgecharakter abgeschlossen.
7.1
P. Holding B.V.
7.1.1
Der Beschwerdeführer war Inhaber einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die er im Jahre 1997 an die P. Holding B.V. veräusserte. Mit Anrechnung auf den Kaufpreis räumte die Käuferin dem Beschwerdeführer mit Stammrechtsvertrag ("Stamrechtovereenkomst") vom 30. Juni 1997 zwei Stammrechte ein: Für Hfl. 630'000.- ein sofort eingehendes Stammrecht ("direct ingaand stamrecht") mit jährlichen Auszahlung von Hfl. 50'000.-. Dieses war auf das Leben gestellt und lief bis längstens am 1. März 2004. Es steht hier nicht mehr in Frage. Für Hfl. 945'000.- wurde ein aufgeschobenes lebenslängliches Stammrecht ("uitgesteld levenslang stamrecht") begründet. Bezüglich diesem gilt, dass die Käuferin (Rentenschuldnerin) dem Beschwerdeführer ab 1. März 2004 zu Lasten des aufgebauten Kapitals jährlich maximal Hfl. 200'000.- auszahlt. Das aufgebaute Kapital wird um die Auszahlungen vermindert und weiterhin verzinst. Am 1. März 2004 wurde der Stammrechtsvertrag ergänzt und eine Auszahlung von monatlich EUR 5'000.- (jährlich EUR 60'000.-) vereinbart. Die Auszahlungen sollen mit dem Tod des Beschwerdeführers oder ausdrücklich auch dann enden, wenn das reservierte Kapital samt Zinsen aufgebraucht ist. Die P. Holding B.V. verbuchte jeweils den Stand der Stammrechtsverpflichtung, erhöhte diese um den Zins und zog die Auszahlungen von jährlich EUR 60'000.- ab, was per 31. Dezember 2004 einen Stand von EUR 278'122.- ergab. Nach der unwidersprochenen Schätzung des Beschwerdeführers dürfte das Kapital Ende 2010 aufgebraucht sein.
7.1.2
Diese Vereinbarung enthält alle Merkmale eines Leibrentenvertrages. Die Rentenverpflichtung endet, wenn der Beschwerdeführer stirbt oder wenn das Kapital aufgebraucht ist. Das Kapital fällt somit auch dann der Rentenschuldnerin zu, wenn es noch nicht aufgebraucht ist. Das Leibrentenversprechen ist notwendigerweise auf das Leben einer Person gestellt. Eine Befristung der Rente wäre mit dem aleatorischen Charakter der Leibrente unvereinbar. Hingegen ist es nicht ausgeschlossen, dass die Leibrente nebst der Lebenszeit eine zweite Begrenzung in Form einer resolutiven Bedingung erfährt (MARC SCHAETZLE, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1978,
BGE 135 II 195 S. 204
N. 48 zu
Art. 516 OR
; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1945, N. 2 zu
Art. 516 OR
). Das ist auch in der Steuerrechtsdoktrin anerkannt. Insofern deckt sich der steuerrechtliche Begriff der Leibrente mit dem zivilrechtlichen (RICHNER/FREI/KAUFMANN, a.a.O., N. 13 und 46 zu
Art. 22 DBG
; AGNER/DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, a.a.O., N. 5a zu
Art. 22 DBG
S. 96). Die Rentenzahlungen sind sowohl nach dem Vertrag von 1997 wie auch gemäss der Vertragsergänzung 2004 auf das Leben des Beschwerdeführers gestellt. Dass die Ergänzung von 2004 als weitere auflösende Bedingung den Verbrauch des Kapitals erwähnt, ist zulässig. Die Rentenverpflichtung hört auf jeden Fall mit dem Tod des Beschwerdeführers auf, und das noch vorhandene Kapital verfällt.
7.1.3
Freilich kann die anderweitig mit resolutiver Bedingung verknüpfte Leibrente faktisch auch zur Zeitrente werden (AGNER/DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, a.a.O., N. 5a zu
Art. 22 DBG
S. 96; LOCHER, Kommentar, N. 51 zu
Art. 22 DBG
). Einen solchen Fall behauptet der Beschwerdeführer. Er wendet ein, dass sein Tod als der weniger wahrscheinliche Beendigungsgrund zu betrachten gewesen sei als der Verbrauch des Kapitals voraussichtlich Ende 2010. Es sei daher von einer Zeitrente auszugehen, welche lediglich mit der Zinsquote als Vermögensertrag (
Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG
) der Steuer unterliege.
Wie bereits erwähnt (vgl. nicht publ. E. 4.2) sind Zeitrenten periodisch wiederkehrende, zeitlich nicht beschränkte und nicht auf das Leben der Person gestellte Zahlungen (Urteil 2C_596/2007 vom 24. Juni 2008 E. 3.4, in: RDAF 2008 II S. 390). Auch sie werden durch den Versicherungsnehmer geäufnet. Es handelt sich um die periodische, ratenweise Rückzahlung eines Kapitals, welches verzinst wird. Zeitrenten stellen daher eine Sonderform von Kapitalzahlungen dar und sind nur mit ihrem Ertrags- oder Zinsanteil steuerbar (
Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG
). Sie sind völlig steuerfrei, sofern es sich um rückkaufsfähige, der Vorsorge dienende Kapitalversicherungen handelt (
Art. 24 lit. b DBG
). Um von einer Zeitrente zu sprechen, muss aber das aleatorische Element der Lebenszeit gegenüber der resolutiven Bedingung deutlich in den Hintergrund treten.
Aufgrund der beiden Vereinbarungen von 1997 und 2004 ist das hier nicht der Fall. Gemäss der Vereinbarung von 1997 war das aufgeschobene Stammrecht damals einzig an die Lebenszeit geknüpft und begann die Rente erst am 1. März 2004 zu laufen. Zudem war
BGE 135 II 195 S. 205
vorgesehen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die auszuzahlenden Rentenbetreffnisse festgelegt werden. Deshalb musste die genannte Zusatzvereinbarung vom 1. März 2004 geschlossen werden. Darin wurden die monatlichen Renten auf "mindestens" EUR 5'000.- (EUR 60'000.- pro Jahr) festgelegt. In Anbetracht der Höhe dieser Rente war klar, dass sich die Rentenschuldnerin absichern musste. Daher wurde die Laufzeit der periodischen Zahlungen an die zweite Bedingung geknüpft, dass das Kapital einschliesslich der aufgezinsten Kapitalerträge noch nicht aufgebraucht sei. Mit Rücksicht auf das Alter des Beschwerdeführers kann diese Rente nicht als eine reine Überbrückungsrente bezeichnet werden. Das war sie weder vor noch nach der Zusatzvereinbarung vom 1. März 2004. Am 24. Februar 2004 hatte der Beschwerdeführer sein 62. Lebensjahr vollendet. Er wird Ende 2010 im 67. Altersjahr stehen. Dass in dieser Zeitspanne die Lebenszeit eine wesentliche Rolle spielt, ist unter diesen Umständen nicht ernsthaft zu bestreiten. Von einer "faktischen Zeitrente" kann folglich nicht die Rede sein.
7.1.4
Die jährlich zur Auszahlung gelangende Rente unterliegt daher nach dem Gesagten zu 40 Prozent der Einkommenssteuer nach
Art. 22 Abs. 3 DBG
. Die Besteuerung erfolgt im Rahmen der ordentlichen Veranlagung. Nur Kapitalabfindungen und -leistungen unterliegen der besonderen Jahressteuer. Der angefochtene Entscheid, der diese Besteuerung bestätigt, ist nicht zu beanstanden.
7.2
A. B.V.
7.2.1
Mit der A. B.V. hatte der Beschwerdeführer einen Stammrechtsvertrag sowie einen Leibrentenvertrag abgeschlossen. Der Stammrechtsvertrag datiert aus dem Jahre 2000 und enthält die Verpflichtung, dem Beschwerdeführer eine lebenslängliche Rente von jährlich EUR 22'689.- zu bezahlen. Gemäss dem Leibrentenvertrag schuldete die Gesellschaft eine vom 1. März 2007 bis 1. März 2017 laufende jährliche Rente von EUR 30'548.-. Im Jahre 2004 wurde die A. B.V. liquidiert. Zur Abgeltung seiner Ansprüche erhielt der Beschwerdeführer aus dem Stammrechtsvertrag eine einmalige Zahlung von EUR 356'056.- und aus dem Leibrentenvertrag eine solche von EUR 228'306.-.
7.2.2
Im kantonalen Verfahren machte der Beschwerdeführer noch geltend, dass es sich um "Zeitrenten" bzw. um "temporäre" oder "abgekürzte" Leibrenten gehandelt habe, welche lediglich der Kapitalanlage dienten und nur mit ihrem Ertrag steuerbar seien.
BGE 135 II 195 S. 206
Diesen Standpunkt hat der Beschwerdeführer aufgegeben. Es ist nicht mehr bestritten, dass es sich bei diesen beiden Verträgen um Leibrentenverpflichtungen handelt. In der Tat lässt sich dem Finanzbericht 2004 der A. B.V., wo die beiden Leibrentenverpflichtungen ("Lijfrenteverzekering", "Stamrechtverpflichting") und auch die beiden Kapitalleistungen erwähnt sind, nichts entnehmen, wonach es lediglich darum ginge, ein Kapital samt Zins zurückzuzahlen. Es ist vielmehr auch hier von Leibrentenverträgen auszugehen.
Der Beschwerdeführer wendet aber ein, es handle sich um "Kapitalleistungen aus Vorsorge". Solche Leistungen seien nach
Art. 38 DBG
vom übrigen Einkommen gesondert und lediglich zu einem Fünftel der Tarife nach
Art. 36 DBG
zu besteuern.
7.2.3
Der Einwand ist begründet. Die Vorinstanz und die beteiligten Behörden gehen auch in diesem Fall davon aus, dass die beiden Versicherungen der Vorsorge (vergleichbar der Säule 3b) dienten und die Kapitalzahlungen im Sinne von
Art. 22 Abs. 3 DBG
zu 40 Prozent zu besteuern sind. Kapitalleistungen aus Vorsorge im Sinne von
Art. 22 Abs. 3 DBG
sind indessen nach
Art. 38 DBG
getrennt vom übrigen Einkommen zu einem Fünftel des Tarifs nach
Art. 36 DBG
zu besteuern, wie dargelegt worden ist (vgl. vorstehende E. 6.3 und 6.7). Die Veranlagungsbehörden und die Vorinstanz haben indessen die Kapitalleistungen zusammen mit dem übrigen Einkommen zum Satz besteuert, welcher sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde (
Art. 37 DBG
). Das verletzt Bundesrecht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet und die Besteuerung gemäss Art. 22 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 38 DBG
vorzunehmen.
8.
Das Staatsvertragsrecht steht dieser Besteuerung nicht entgegen. Das Abkommen der Schweiz mit den Niederlanden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 12. November 1951 (SR 0.672. 963.61; im Folgenden: DBA-NL) enthält für die Besteuerung der Rentenzahlungen oder des Vermögensanfalls aus Leibrenten- und Personenversicherungsverträgen keine Bestimmung. Es wird von keiner Seite geltend gemacht, dass es sich bei den streitigen Einkünften um Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen im Sinne von Art. 8 des Abkommens handle. Ein solches würde frühere unselbständige Arbeit voraussetzen, was hier nicht der Fall ist (vgl. PETER
BGE 135 II 195 S. 207
LOCHER, Einführung in das internationale Steuerrecht der Schweiz [im Folgenden: Einführung], 3. Aufl. 2005, S. 451 f.).
Der Beschwerdeführer schloss den Rentenvertrag vielmehr bei der Veräusserung der ihm gehörenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Veräusserungsrente, vgl. LOCHER, Kommentar, N. 57 zu
Art. 22 DBG
).
Art. 4 Abs. 1 DBA-NL
sieht für Einkünfte aus Handels-, Industrie- und Gewerbebetrieben einschliesslich der bei ihrer Veräusserung erzielten Gewinne zwar vor, dass diese nur in dem Staat zu besteuern sind, in dessen Gebiet sich die Betriebsstätte befindet (hier die Niederlande). Beteiligungen in Form von Aktien, Anteilen an Genossenschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind jedoch von dieser Regelung ausdrücklich ausgenommen (Art. 4 Abs. 4 zweiter Halbsatz DBA-NL). Aus dem DBA-NL folgt auch nicht, dass Gewinne aus der Veräusserung von Beteiligungen an juristischen Personen von den schweizerischen Steuern zu befreien sind (s. auch LOCHER, Einführung, S. 384). Es gilt daher
Art. 2 Abs. 1 DBA-NL
, wonach das Einkommen, für welches das Abkommen keine besondere Bestimmung enthält, im Wohnsitzstaat zur Besteuerung gelangt.
II. Staats- und Gemeindesteuern
9.
9.1
Das StHG enthält für die steuerliche Behandlung der Vorsorge im Rahmen der kantonalen direkten Steuern eine dem DBG ähnliche Regelung. Der Besteuerung unterliegen nach
Art. 7 Abs. 1 StHG
alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte aus Vorsorgeeinrichtungen und Leibrenten (entsprechend
Art. 22 Abs. 1 DBG
). Nach Absatz 2 von
Art. 7 StHG
sind Leibrenten sowie Einkünfte aus Verpfründung zu 40 Prozent steuerbar (analog
Art. 22 Abs. 3 DBG
). Steuerfrei ist gemäss
Art. 7 Abs. 4 lit. d StHG
nur der Vermögensanfall aus rückkaufsfähiger privater Kapitalversicherung (analog
Art. 24 lit. b DBG
). Die Einlagen, Prämien und Beiträge an die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Säule 1), an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (Säule 2) und an anerkannte Formen der gebundenen Vorsorge (Säule 3a) sind gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. d und e StHG
grundsätzlich abziehbar (Waadtländer-Modell, analog
Art. 33 Abs. 1 lit. d und e DBG
).
Hingegen können die Beiträge und Einlagen an Leibrenten und Lebensversicherungen der Säule 3b nur im Rahmen des allgemeinen Abzugs für Versicherungsprämien und Zinsen von
BGE 135 II 195 S. 208
Sparkapitalien gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. g StHG
geltend gemacht werden. Es gelten mithin nach dem StHG weitgehend die gleichen Vorschriften wie für die direkte Bundessteuer. Es rechtfertigt sich nicht, Kapitalabfindungen aus Leibrentenversprechen und Lebensversicherungen der Säule 3b im Bereich der kantonalen direkten Steuern vom Einkommen anders zu behandeln. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
539e155f-ac44-4271-ac73-929952733166 | Urteilskopf
122 IV 8
2. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 31 janvier 1996 dans la cause F. contre Conseil de surveillance psychiatrique du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 43 StGB
, Nichtaufhebung einer ambulanten Massnahme;
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
, Begriff des Gerichts.
Der Entscheid der zuständigen Behörde, eine Massnahme gemäss
Art. 43 StGB
aufzuheben oder nicht aufzuheben, kann Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden (E. 1).
Kognition des Bundesgerichts bei Verfassungsrügen (E. 2a).
Der Begriff des Gerichts im Sinne von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
ist autonom: Das zuständige Organ muss unabhängig sein und ein justizförmiges Verfahren gewährleisten (E. 2b).
Anforderungen an die Begründung eines Entscheids, der ärztliche Feststellungen über die Heilungschancen des Betroffenen enthält (E. 2c).
Für die Aufhebung einer ambulanten Behandlung sind der Zustand des Betroffenen und die Gefahr neuer strafbarer Handlungen zu prüfen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 9
BGE 122 IV 8 S. 9
Le 9 août 1987, F. a été inculpé par le Juge d'instruction de délit manqué de meurtre, subsidiairement de contrainte, pour s'être, le 8 août 1987, barricadé dans l'appartement de sa logeuse avec un fusil d'assaut et des munitions, avoir essayé à deux reprises de tirer en direction de policiers et avoir empêché, sous la menace de l'arme, celle-ci de pénétrer dans son propre appartement.
L'expertise psychiatrique, ordonnée dans le cadre de la procédure, a conclu que F. souffrait d'une maladie mentale sous la forme d'un trouble schizophrénique de type paranoïde; au moment d'agir, il se trouvait en état d'irresponsabilité totale au sens de l'
art. 10 CP
; lors de périodes de décompensation psychotique, il pourrait compromettre gravement la sécurité publique et les experts estiment qu'il est indispensable qu'il suive un traitement psychiatrique.
Par ordonnance du 1er février 1988, la Chambre d'accusation du canton de Genève a prononcé le non-lieu, pour cause d'irresponsabilité (
art. 10 CP
),
BGE 122 IV 8 S. 10
dans la procédure dirigée contre F.; elle a ordonné que celui-ci soit soumis à un traitement psychiatrique suivi (
art. 43 CP
), tout d'abord sous la forme d'un séjour en milieu hospitalier, puis d'un traitement ambulatoire selon les indications médicales.
Le 9 mai 1988, le Conseil de surveillance psychiatrique du canton de Genève a autorisé la sortie à l'essai de F. et a ordonné qu'il soit soumis à un traitement ambulatoire.
Le dossier médical révèle que F. a fait depuis lors trois séjours en clinique psychiatrique, en septembre 1989, en novembre 1990 et en janvier 1993. Lors de sa séance du 15 mars 1993, le Conseil de surveillance psychiatrique a noté en particulier que l'intéressé se montrait extrêmement ambivalent vis-à-vis du traitement médicamenteux dont il a besoin.
F. ayant demandé à ce que la mesure prise en application de l'
art. 43 CP
soit levée (demande appuyée par son médecin-traitant), une délégation du Conseil de surveillance psychiatrique a procédé à son audition le 4 septembre 1995. Elle a constaté qu'il se présentait comme un schizophrène stabilisé au moyen de neuroleptiques et de benzodiazépine. A l'entretien, il s'est montré cohérent, péremptoire, rigide dans ses positions, normothymique, collaborant, insistant sur sa demande de levée pour des raisons de principe, considérant qu'il avait été victime d'une erreur de jugement en 1987. Concluant que l'on ne pouvait parler de guérison et que l'utilité de la mesure dans le passé était reconnue par le patient lui-même, la délégation a proposé à l'unanimité de maintenir la mesure, tout en soulignant la bonne collaboration et la bonne évolution lentement favorable de ce patient. Lors de sa séance du 11 septembre 1995, le Conseil de surveillance psychiatrique a décidé, à l'unanimité, de maintenir la mesure.
Par lettre du 12 septembre 1995, le Conseil de surveillance psychiatrique a informé F. de sa décision, observant que les conditions d'une levée de la mesure n'étaient pas réunies, "particulièrement la notion de guérison".
Par lettre du 19 septembre 1995, F. a exprimé son désaccord, estimant qu'il se sentait normal, qu'il était toujours disposé à suivre son traitement et qu'il est préférable de lever la mesure fondée sur l'
art. 43 CP
. Par lettre du 10 octobre 1995 adressée au Tribunal fédéral, il a fait savoir qu'il voulait que son opposition soit traitée comme un recours.
Le Conseil de surveillance psychiatrique a informé le Tribunal fédéral que F. a été hospitalisé, sans son accord, le 25 octobre 1995, en raison, selon
BGE 122 IV 8 S. 11
le certificat médical, d'un délire mégalomaniaque envers les thérapeutes avec risque de passage à l'acte auto ou hétéro-agressif.
Le Département fédéral de justice et police a renoncé à prendre des conclusions, émettant toutefois des doutes sur la question de savoir si le Conseil de surveillance psychiatrique répondait aux exigences de l'
art. 5 par. 4 CEDH
et si la décision était suffisamment motivée.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'
art. 97 al. 1 OJ
, le Tribunal fédéral connaît en dernière instance des recours de droit administratif contre des décisions au sens de l'art. 5 de la Loi fédérale sur la procédure administrative (PA).
Rendue dans un cas d'espèce, en application du droit public fédéral, la décision du Conseil de surveillance psychiatrique genevois rejette la demande formée par le recourant tendant à la levée de la mesure prononcée en application de l'
art. 43 CP
; il s'agit donc d'une décision au sens de l'
art. 5 al. 1 PA
.
Emanant d'une autorité cantonale statuant en dernière instance (
art. 98 let
. g OJ), cette décision est susceptible d'un recours de droit administratif, étant observé que l'on ne se trouve pas dans l'un des cas d'irrecevabilité ou de subsidiarité prévu par les art. 99 à 102 OJ. La décision de lever ou non une mesure prise en application de l'
art. 43 CP
est une décision en matière d'exécution des peines et mesures que le droit fédéral ne réserve pas au juge (
art. 43 ch. 4 CP
), de sorte qu'elle est susceptible d'un recours de droit administratif (cf.
ATF 119 IV 5
ss,
ATF 116 IV 105
consid. 1,
ATF 115 IV 4
ss,
ATF 114 IV 95
s.,
ATF 106 IV 183
consid. 2, 330 consid. 1,
ATF 104 Ib 330
consid. 1).
b) Le recours peut être formé pour violation du droit fédéral, y compris l'excès et l'abus du pouvoir d'appréciation (
art. 104 let. a OJ
). La notion de droit fédéral inclut les droits constitutionnels des citoyens, de sorte que le recourant peut également faire valoir la violation de droits de rang constitutionnel, le recours de droit administratif tenant alors lieu de recours de droit public (
ATF 120 Ib 224
consid. 2a, 287 consid. 3d p. 298 s.,
ATF 119 Ib 254
consid. 2b p. 265). Le Tribunal fédéral n'est pas lié par les motifs invoqués, mais il ne peut aller au-delà des conclusions des parties (
art. 114 al. 1 OJ
;
ATF 119 Ib 348
consid. 1b).
Le recours peut également être formé pour constatation inexacte ou incomplète des faits pertinents, puisque la décision n'émane pas d'une
BGE 122 IV 8 S. 12
autorité judiciaire (
art. 104 let. b OJ
), étant rappelé que dans ce cas le Tribunal fédéral peut revoir d'office les constatations de fait (
art. 105 al. 1 OJ
).
2.
a) Dans ses observations sur le recours, le Département fédéral de justice et police soulève des questions de rang constitutionnel.
Comme on l'a vu, des griefs de rang constitutionnel peuvent en principe être soulevés dans le cadre d'un recours de droit administratif, qui tient alors lieu de recours de droit public. Dans ce cas cependant, le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral est aussi limité que s'il s'agissait d'un recours de droit public (
ATF 120 Ib 224
consid. 2a). Une différence essentielle entre le recours de droit public et le recours de droit administratif réside dans la règle qui veut qu'en matière de recours de droit public, le Tribunal fédéral n'examine que les griefs invoqués et suffisamment motivés dans l'acte de recours (
ATF 118 Ia 8
consid. 1c p. 11). Si l'on applique cette règle dans les cas où le recours de droit administratif tient lieu de recours de droit public, il n'y a pas lieu d'entrer en matière dans le cas d'espèce, puisque seul le recourant (et non pas une autorité qui présente des observations) peut soulever un grief de rang constitutionnel.
De toute manière, les hésitations exprimées par le Département fédéral de justice et police ne sont pas fondées.
b) Le département se demande si le système genevois, selon lequel le Conseil de surveillance psychiatrique statue en instance cantonale unique sur la levée d'une mesure prise en application de l'
art. 43 CP
, répond aux exigences de l'
art. 5 par. 4 CEDH
, qui prévoit que "toute personne privée de sa liberté par arrestation ou détention a le droit d'introduire un recours devant un tribunal, afin qu'il statue à bref délai sur la légalité de sa détention et ordonne sa libération si la détention est illégale".
A l'instar de VILLIGER, il y a lieu de considérer que l'article 5 CEDH suppose une limitation considérable à la liberté de mouvement de la personne concernée, l'empêchant de mener une vie normale (VILLIGER, Handbuch der EMRK, Zurich 1993, p. 193 no 317 et la jurisprudence citée). Ainsi, il est vrai qu'un internement ou une hospitalisation prononcé en application de l'
art. 43 ch. 1 CP
constitue une privation de liberté au sens de l'
art. 5 par. 1 CEDH
, de sorte que la personne qui en fait l'objet peut invoquer le droit de saisir un tribunal, prévu par l'
art. 5 par. 4 CEDH
(
ATF 116 Ia 60
consid. 3a). Il faut cependant observer en l'espèce que le recourant n'est ni hospitalisé, ni interné, mais qu'il est soumis, sur
BGE 122 IV 8 S. 13
la base de l'
art. 43 ch. 1 CP
, à un traitement ambulatoire; il n'apparaît donc pas qu'il y ait privation de liberté au sens de l'
art. 5 par. 1 CEDH
.
De toute manière, l'
art. 5 par. 4 CEDH
ne donne droit à un contrôle de la détention que par un tribunal et non par deux tribunaux successifs; il suffit qu'il y ait une décision d'un tribunal, même statuant en instance unique (ATF
ATF 117 Ia 193
consid. 1b p. 195). Or, la notion de "tribunal", figurant à l'
art. 5 par. 4 CEDH
, doit être interprétée de manière autonome; cette disposition n'exige pas nécessairement un tribunal ordinaire au sens classique, intégré dans l'organisation de la justice traditionnelle. L'organe compétent doit cependant être d'une part indépendant de l'administration ainsi que des parties et, d'autre part, garantir que la procédure suivie ait un caractère juridictionnel, correspondant à la nature de la privation de liberté en cause (
ATF 121 II 53
consid. 2a et les arrêts cités; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl 1985, ad. art. 5 no 120 et 121; VILLIGER, op.cit., p. 217 s. no 366). Au plan organisationnel, il n'est pas suffisant que les membres de l'autorité soient nommés par le gouvernement pour exclure la qualité de tribunal; dans de nombreux pays, les juges sont désignés par le gouvernement; la question décisive est seulement de savoir si, pour trancher les cas d'espèce relevant de sa compétence, l'autorité jouit d'une complète indépendance et n'est tenue que d'appliquer le droit, ou si, au contraire, elle peut recevoir des instructions contraignantes du gouvernement ou de l'administration (cf.
ATF 108 Ia 178
consid. 4b et c p. 186 ss). Au plan procédural, les garanties fondamentales que doit respecter l'autorité pour être qualifiée de tribunal au sens de l'article 5 par. 4 CEDH doivent être adaptées à la nature de la privation de liberté contestée et aux circonstances particulières du procès (
ATF 116 Ia 60
consid. 2,
ATF 115 Ia 293
consid. 4a p. 300,
ATF 114 Ia 182
consid. 3b p. 186 et la jurisprudence citée). Pour juger de leur respect, il faut prendre en considération le déroulement de la procédure et tout particulièrement les moyens offerts à l'intéressé pour faire valoir efficacement son point de vue et contester les arguments qui lui ont été opposés. Le droit d'être entendu et le caractère contradictoire de la procédure sont à cet égard essentiels (
ATF 116 Ia 60
consid. 2,
ATF 115 Ia 293
consid. 4a p. 300).
Dans le canton de Genève, le Conseil de surveillance psychiatrique est l'autorité compétente pour mettre fin à l'internement, au renvoi dans un hôpital ou un hospice, ou au traitement ambulatoire des délinquants anormaux, pour autoriser une libération à l'essai et pour imposer des règles de conduite, ainsi que pour soumettre le libéré à un patronage
BGE 122 IV 8 S. 14
(art. 10 let. a de la Loi genevoise d'application du code pénal et d'autres lois fédérales en matière pénale-E/3/3). Le conseil est composé de six médecins (dont quatre psychiatres), d'un(e) infirmier(ère) en psychiatrie, d'un magistrat ou d'un ancien magistrat du pouvoir judiciaire, de deux avocats et de deux travailleurs sociaux, psychologues ou professionnels de la santé (art. 15 al. 1 de la Loi genevoise sur le régime des personnes atteintes d'affections mentales et sur la surveillance des établissements psychiatriques-K/1/12). Ces membres sont nommés par le Conseil d'Etat pour une durée de quatre ans (art. 15 al. 2 de la même loi). Le conseil est indépendant de l'administration (art. 15 al. 6 de la même loi). Les médecins des établissements psychiatriques publics ou privés ne peuvent pas faire partie du conseil (art. 15 al. 3 de la même loi). En excluant les médecins des établissements psychiatriques, le législateur cantonal a manifestement voulu assurer l'impartialité du conseil, puisqu'il s'agit, le plus souvent, de statuer sur des hospitalisations contestées. En prévoyant que le conseil est indépendant de l'administration, il a également assuré son indépendance, en le soustrayant à tout pouvoir hiérarchique. La composition du conseil, qui ne comprend aucun conseiller d'Etat, permet de se convaincre que son indépendance par rapport au gouvernement ou à l'administration est effective. Quant à la procédure devant le Conseil de surveillance psychiatrique, son déroulement prouve que le recourant a bénéficié des garanties suffisantes: il a été entendu et a pu présenter son point de vue quant au maintien du traitement ambulatoire avant que le conseil ne se prononce à ce sujet; l'avis favorable émis par son médecin traitant à l'appui de sa demande a été examiné par le conseil; en outre, s'il l'avait souhaité, le recourant aurait pu se faire assister par un avocat (art. 9 al. 4 de la Loi genevoise sur la procédure administrative-E/3,5/3). Ainsi, selon les critères de la jurisprudence déjà rappelée, le Conseil de surveillance psychiatrique du canton de Genève est un tribunal au sens de l'
art. 5 par. 4 CEDH
. Il n'y a donc pas trace d'une violation de cette disposition.
c) Sans se référer à aucune disposition de procédure cantonale, le département se demande si la décision attaquée est suffisamment motivée.
La jurisprudence a notamment déduit du droit d'être entendu, découlant de l'
art. 4 Cst.
, l'obligation pour l'autorité de motiver sa décision, afin que l'intéressé puisse la comprendre, l'attaquer utilement s'il y a lieu et que l'autorité de recours puisse exercer son contrôle (
ATF 121 I 54
consid. 2c, 117 Ia 1 consid. 3a,
ATF 117 Ib 64
consid. 4 p. 86,
ATF 116 II 625
consid. 4d
BGE 122 IV 8 S. 15
p. 632,
ATF 114 Ia 233
consid. 2d p. 242,
ATF 112 Ia 107
consid. 2b). Pour répondre à ces exigences, il suffit que l'autorité mentionne, au moins brièvement, les motifs qui l'ont guidée et sur lesquels elle a fondé sa décision, de manière à ce que l'intéressé puisse se rendre compte de la portée de celle-ci et l'attaquer en connaissance de cause (
ATF 121 I 54
consid. 2c,
ATF 117 Ib 64
consid. 4 p. 86,
ATF 114 Ia 233
consid. 2d p. 242,
ATF 112 Ia 107
consid. 2b). Il y a cependant violation du droit d'être entendu si l'autorité ne satisfait pas à son devoir minimum d'examiner et traiter les problèmes pertinents (
ATF 118 Ia 35
consid. 2e p. 39).
Il faut relever que la règle applicable en l'espèce est particulièrement simple, puisque l'
art. 43 ch. 4 al. 1 CP
se borne à dire que "l'autorité compétente mettra fin à la mesure lorsque la cause en aura disparu". En disant que les conditions d'une levée de la mesure n'étaient pas réalisées, notamment sous l'angle de la guérison, l'autorité cantonale a clairement exprimé qu'elle estimait que l'état du recourant n'avait pas fait disparaître la nécessité de la mesure. L'intéressé ne s'y est d'ailleurs pas trompé, puisqu'il a précisément motivé son recours en faisant valoir que, de son point de vue, son état s'était amélioré à un point tel que la mesure n'était plus nécessaire. Certes, la motivation de l'autorité cantonale se situe à la limite de ce qui est admissible, car on peut penser que l'autorité cantonale pourrait fournir davantage d'explications quant à ses constatations médicales. On se trouve cependant ici aux confins entre le droit et la médecine; si l'on devait adresser à une personne atteinte d'une affection mentale un exposé détaillé de son état et de ses chances de guérison, il n'est pas exclu que de telles explications soient médicalement contre-indiquées. L'intérêt légitime à ne pas perturber le malade et à ne pas compromettre le traitement en cours justifie de modérer les exigences quant à la motivation. Les renseignements fournis en l'espèce au Tribunal fédéral sont suffisants pour permettre à l'autorité de recours d'exercer son contrôle, eu égard au fait que l'on ne peut se montrer trop strict en ce domaine.
Il n'y a donc pas de violation du droit minimum à une décision motivée, le contenu de la lettre reçue par le recourant ayant été suffisant pour lui permettre d'exercer son droit de recours à bon escient.
3.
a) Le recourant voudrait qu'il soit mis fin au traitement ambulatoire ordonné en application de l'
art. 43 ch. 1 al. 1 CP
.
Selon l'
art. 43 ch. 4 al. 1 CP
, "l'autorité compétente mettra fin à la mesure lorsque la cause en aura disparu". L'
art. 43 ch. 4 al. 2 CP
ajoute: "si la cause de la mesure n'a pas complètement disparu, l'autorité
BGE 122 IV 8 S. 16
compétente pourra ordonner une libération à l'essai de l'établissement ou du traitement. Le libéré pourra être astreint au patronage. La libération à l'essai et le patronage seront rapportés, s'ils ne se justifient plus". De façon générale, il doit être mis fin à un traitement médical ordonné par le juge pénal lorsque celui-ci a atteint son but ou ne peut plus l'atteindre (STRATENWERTH, Allgemeiner Teil II, Berne 1989, p. 406 no 107). Un traitement ordonné sur la base de l'
art. 43 CP
doit être levé si son but - la prévention de nouvelles infractions - est atteint ou si sa cause - l'anomalie psychique - a disparu (REHBERG, Strafrecht II, 6e éd. Zurich 1994, p. 161). Pour décider de mettre fin, définitivement ou à l'essai, à un traitement ambulatoire, il faut examiner l'état de la personne et le risque de nouvelles infractions (STRATENWERTH, op.cit., p. 404 no 103).
b) En l'espèce, les médecins du conseil qui ont examiné le recourant sont parvenus à la conviction qu'il n'était pas guéri. Le recourant le conteste, mais il n'apporte aucun élément objectif à l'appui de ses affirmations. Un médecin, indépendant du conseil, a récemment estimé nécessaire de l'hospitaliser et son hospitalisation a été décidée lors de l'examen à l'admission. Différents médecins ont donc examiné récemment le recourant et sont tous parvenus à la conviction qu'il présentait toujours une maladie mentale susceptible de crises aiguës. On ne saurait donc dire que l'autorité cantonale a fait sur ce point une constatation inexacte ou incomplète des faits pertinents (
art. 104 let. b OJ
).
Lors de cette récente hospitalisation, les médecins ont constaté que le recourant présentait des pulsions auto et hétéro-agressives, ce qui confirme l'appréciation du Conseil de surveillance psychiatrique; sur ce point également, il n'y a pas de constatation inexacte ou incomplète des faits pertinents (
art. 104 let. b OJ
). Il faut en déduire que le recourant n'est pas guéri, qu'il peut avoir des périodes de crise et qu'en ces occasions il subsiste un risque concret de nouvelle infraction.
Il a été noté dans le dossier médical que le recourant présentait une certaine ambivalence quant à la poursuite de son traitement. Il n'a pas accepté sa récente hospitalisation. On peut en déduire qu'il n'a pas une conscience exacte de sa situation et qu'il n'est pas exclu qu'il sollicite la levée de la mesure pour se soustraire au traitement qui lui est manifestement nécessaire. Dans de telles circonstances, l'autorité cantonale n'a pas violé le droit fédéral en concluant qu'il n'y avait pas lieu de lever le traitement ambulatoire ordonné en application de l'
art. 43 ch. 1 al. 1 CP
.
BGE 122 IV 8 S. 17
Le recours doit ainsi être rejeté.
4.
(suite de frais). | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
539f233c-6bb6-450d-a5ec-3a5f940eef34 | Urteilskopf
110 Ib 24
5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Mai 1984 i.S. B. gegen Wehrsteuerverwaltung des Kantons Zürich und Wehrsteuerrekurskommission des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB.
1. Wann ist ein Landwirtschaftsbetrieb buchführungspflichtig? (E. 2b)
2. Fall eines Unternehmers, der neben buchführungspflichtigen Gewerben einen Landwirtschaftsbetrieb führt (E. 2c-e). | Sachverhalt
ab Seite 25
BGE 110 Ib 24 S. 25
Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Landwirtschaftsbetriebes, einer Heuhandelsunternehmung, eines Schweinemästerei-Grossbetriebes und eines Transportgeschäftes. Er ist im Handelsregister eingetragen mit dem Firmenzweck "Handel mit Landesprodukten".
In den Jahren 1973 und 1974 überbaute der Beschwerdeführer zu seinem landwirtschaftlichen Heimwesen gehörende Parzellen mit einer Gesamtfläche von über 6 000 m2 mit Wohnblöcken. Ausserdem verkaufte er im Jahre 1974 über 12 000 m2 Land des Bauernbetriebes an eine Baugesellschaft.
Die Wehrsteuerbehörden des Kantons Zürich rechneten dem Beschwerdeführer in der Veranlagung für die 18. Wehrsteuerperiode (1975/76) den aus dem Landverkauf erzielten Gewinn als wehrsteuerpflichtiges Einkommen gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB auf. Hinsichtlich der mit Wohnblöcken überbauten Parzellen nahmen sie eine wehrsteuerpflichtige Privatentnahme an.
In der gegen diese Veranlagung geführten Beschwerde bestreitet der Beschwerdeführer unter anderem, dass sein Landwirtschaftsbetrieb im Handelsregister eintragungspflichtig und damit buchführungspflichtig im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 957 OR
unterliegt der Buchführungspflicht, wer seine Firma in das Handelsregister einzutragen hat. In das Handelsregister hat sich eintragen zu lassen, wer ein Handels-, Fabrikations- oder ein anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt (
Art. 934 OR
).
a) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, als Inhaber eines Schweinemästerei-Grossbetriebes, eines Transportgeschäftes und eines Heuhandels in der fraglichen Zeit eintragungs- und
BGE 110 Ib 24 S. 26
buchführungspflichtig gewesen zu sein. Er stellt sich jedoch auf den Standpunkt, ein einziger Inhaber könne verschiedene Unternehmungen betreiben, bei denen für jede gesondert die Verpflichtung zum Eintrag ins Handelsregister abzuklären sei. Der Landwirtschaftsbetrieb habe nur in bescheidenem Ausmass Futter für die Schweinemast geliefert. Der mögliche Dörrfutterertrag aus dem Eigenland habe nur einen ausgesprochen geringen Anteil am Gesamtumsatz des Heugrosshandels dargestellt. Der Heuhandel habe die Einrichtungen des Landwirtschaftsbetriebes kaum beansprucht, weil sozusagen alles gehandelte Heu mit den Fahrzeugen des Transportgeschäftes ohne Zwischenlagerung direkt von den Wiesen der Produzenten zu den Abnehmern geführt worden sei. Der Landwirtschaftsbetrieb sei daher eine selbständige Unternehmung, welche nicht im Handelsregister eintragungspflichtig und somit auch nicht buchführungspflichtig im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB sei.
b) Landwirtschaftsbetriebe bleiben nach herkömmlicher Ansicht im allgemeinen ausserhalb des Handelsrechts und unterliegen daher der Buchführungspflicht nicht (PATRY, Grundlagen des Handelsrechts, in Schweizerisches Privatrecht Band VIII/1, S. 81/82; KÄFER, N. 70 zu
Art. 957 OR
; STEINMANN, Zur Frage der Buchführungspflicht im Wehrsteuerrecht, insbesondere auch bei den sog. "anderen" kaufmännischen Gewerben, Steuer-Revue 34 (1979) S. 15). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht unbegrenzt. Ein Landwirtschaftsbetrieb stellt ein eintragungs- und damit buchführungspflichtiges Handelsgewerbe dar, wenn aus ihm ein Grosshandel der gewonnenen Produkte wird (PATRY, a.a.O., S. 82; STEINMANN, a.a.O., S. 15, je mit weiteren Nachweisen) bzw. wenn er mit einer zusätzlichen Handelstätigkeit verbunden wird (KÄFER, a.a.O., N. 67 zu
Art. 957 OR
). Eine Eintragungspflicht besteht ausserdem, wenn der Landwirtschaftsbetrieb nur ein Nebengewerbe eines dem gleichen Inhaber gehörenden und seiner Natur nach eintragungspflichtigen (Haupt-)Gewerbes darstellt (vgl.
Art. 56 HRegV
). Das Nebengewerbe muss in engem Zusammenhang mit dem Hauptgewerbe stehen; nicht erforderlich ist jedoch, dass das Hauptgewerbe ohne das Nebengewerbe nicht existieren könnte oder dass das Nebengewerbe einen quantitativ wesentlichen Einfluss auf das Hauptgewerbe hat.
Es trifft zwar grundsätzlich zu, dass ein Einzelkaufmann gleichzeitig mehrere, voneinander separat geführte Geschäfte betreiben kann, bei denen die Frage der Eintragungspflicht gesondert zu
BGE 110 Ib 24 S. 27
prüfen ist (
BGE 70 I 207
E. 3). Voraussetzung dafür ist aber, dass die beiden Betriebe zueinander nicht in einem Verhältnis von Haupt- und Nebengewerbe stehen, sondern selbständige, organisatorisch völlig getrennte und auch "rechtlich" unabhängige Unternehmungen bilden (KÄFER, a.a.O., N. 69 zu
Art. 957 OR
; vgl. auch
BGE 70 I 207
E. 3).
c) Der Landwirtschaftsbetrieb des Beschwerdeführers war mit der Schweine-Grossmästerei und dem Heuhandelsbetrieb eng verknüpft. So wurden in den Jahren 1964 bis 1967 jährlich über 100 000 kg im Landwirtschaftsbetrieb produziertes Heu über den Handelsbetrieb verkauft. Nach Aufgabe des Grossviehbestandes in den Jahren 1970/71 erhöhte sich nach den eigenen Aussagen des Beschwerdeführers diese Menge sogar noch. Einrichtungen des Landwirtschaftsbetriebes dienten offenbar auch der Lagerung eines Teils des im Handelsbetrieb umgesetzten Heus. In der Bilanz per 31. Dezember 1974 hat der Beschwerdeführer eine Scheune und Lagerhalle im Werte von Fr. 676'973.90 sowie Vorräte im Werte von Fr. 81'650.-, davon Heu im Betrage von Fr. 22'800.-, aufgeführt. In den Jahren 1971, 1972 und 1973 waren die bilanzierten Vorräte sogar noch wesentlich höher. Angesichts dieser Tatsachen vermag die Behauptung des Beschwerdeführers, der Heuhandel habe die Einrichtungen des Landwirtschaftsbetriebes kaum beansprucht, weil sozusagen alles gehandelte Heu ohne Zwischenlagerung direkt zu den Abnehmern geführt worden sei, nicht zu überzeugen.
Unter diesen Umständen wirkt die vom Beschwerdeführer verlangte Unterscheidung zwischen einzutragenden Unternehmungen (Heuhandel, Schweinemästerei) einerseits und davon getrenntem Landwirtschaftsbetrieb andererseits gekünstelt. Die verschiedenen Gewerbe waren in keiner Weise tatsächlich und organisatorisch getrennt und voneinander unabhängig. Der Landwirtschaftsbetrieb erweist sich vielmehr als Nebenbetrieb der Schweine-Grossmästerei und des Heuhandels. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Schweinemästerei und der Heuhandelsbetrieb auch ohne das landwirtschaftliche Heimwesen hätten existieren können. Für einen Nebenbetrieb ist es geradezu charakteristisch, dass das Hauptgewerbe auch allein betrieben werden könnte.
d) Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer selbst keine klare Trennung zwischen seinen verschiedenen Betrieben durchgeführt hat. Wenn er, wie er dies in der
BGE 110 Ib 24 S. 28
Beschwerde behauptet, aus praktischen Gründen die Aktiven aus den Konten der "Buchführung" für den Landwirtschaftsbetrieb in die Konten der Buchhaltung für die buchführungspflichtigen Betriebe übertragen hat, so sind die Steuerbehörden nicht gehalten, im nachhinein die Aktiven aus ein und derselben Bilanz wieder auf buchführungspflichtige und nicht buchführungspflichtige Betriebe aufzuteilen.
e) Es steht somit fest, dass das landwirtschaftliche Heimwesen des Beschwerdeführers in der Bemessungsperiode ein Nebengewerbe darstellte und zusammen mit den anderen Betrieben der Eintragungs- und Buchführungspflicht unterlag. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
53a03223-4d39-4eac-852d-1150daec25ff | Urteilskopf
114 II 230
40. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Mai 1988 i.S. Alexandre SA gegen Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (Berufung) | Regeste
Verantwortlichkeit des Grundeigentümers (
Art. 679 ZGB
).
Hat der bauende Grundeigentümer alle ihm zumutbaren Massnahmen ergriffen und lässt es sich trotzdem nicht vermeiden, dass mit den Bauarbeiten die Schranken des Eigentumsrechtes überschritten werden und der Nachbar eine Schädigung erleidet, so hat dieser Anspruch auf Schadenersatz unter der Voraussetzung, dass die Einwirkungen übermässig sind und die Schädigung beträchtlich ist. Ob dies in einem konkreten Fall zutrifft, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen und beruht im wesentlichen auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Ortsgebrauchs sowie der Lage und der Beschaffenheit der Grundstücke (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 114 II 230 S. 231
A.-
Die Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt ist Eigentümerin der Liegenschaft an der Ecke Bahnhofstrasse 104 und Schützengasse 10/12 in Zürich. Von Februar 1982 bis Ende Oktober 1983 liess sie an dieser Liegenschaft einen Umbau und eine Fassadenrenovation ausführen; dabei wurden, um das Gebäude herum und weitgehend auf öffentlichem Boden, Bauinstallationen aufgestellt. Die Benützung des öffentlichen Grundes war im Juni 1981 durch die Gewerbepolizei der Stadt Zürich und am 22. Juli 1981 durch den Stadtrat von Zürich bewilligt worden.
Die Alexandre SA führte an der Schützengasse 7 zwei Detailverkaufsgeschäfte für Mode, die sie im August 1980 eröffnet hatte. Sie verlangte im März 1983 von der Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt Ersatz des durch die Bauarbeiten verursachten Schadens, was diese indessen verweigerte.
B.-
Am 23. April 1985 klagte die Alexandre SA beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt auf Zahlung eines nach richterlichem Ermessen festzusetzenden Betrages, mindestens aber von Fr. 750'000.-- nebst
BGE 114 II 230 S. 232
Zins zu 7,5% seit 1. Dezember 1982. Die Klage wurde am 6. Mai 1987 abgewiesen.
Gegen dieses Urteil des Handelsgerichts erhob die Alexandre SA Berufung an das Bundesgericht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Bundesgericht hat in
BGE 83 II 375
ff. Stellung bezogen zur Verantwortlichkeit des Grundeigentümers für den Schaden, den Bauarbeiten auf seinem Grundstück dem Eigentümer eines Nachbargrundstückes oder dem Inhaber eines beschränkten dinglichen Rechtes oder eines persönlichen Rechtes, namentlich einem Mieter oder Pächter, zufügen. Es hat in diesem Urteil ausgeführt, dass der für die Bauarbeiten mitbenützte öffentliche Grund als Teil des Baugrundstückes zu betrachten sei. Die Haftung des Grundeigentümers gemäss Art. 679/684 ZGB hat das Bundesgericht für den Fall bejaht, dass die aus baulichen Vorrichtungen für den Nachbarn sich ergebenden Unzukömmlichkeiten gewisse Grenzen überschreiten, die der Richter unter Berücksichtigung der gesamten Umstände und Abwägung der beidseitigen Interessen zu bestimmen hat. Das Bundesgericht hat in diesem Entscheid auch erkannt, dass technisch notwendige Werkplatzanlagen Ursache einer Schädigung des Nachbarn sein können und dass ihre Errichtung sich als Überschreitung des Eigentumsrechtes erweisen kann.
PETER LIVER hat
BGE 83 II 375
ff. als ein "erstaunliches Urteil" bezeichnet, weil danach auch Massnahmen, ohne welche die unerlässlichen Bauarbeiten auf einem Grundstück überhaupt nicht durchgeführt werden können, widerrechtlich seien und zu Schadenersatz verpflichteten, wenn die Beeinträchtigung eines Nachbarn während der Bauzeit ein gewisses Mass überschreite. Er hat auch darauf hingewiesen, dass die Frage, ob und wie auf einem Grundstück gebaut werden dürfe, überhaupt nicht nach
Art. 684 ZGB
(der den speziellen Tatbestand der Überschreitung des Grundeigentums nach
Art. 679 ZGB
regle, welche in mittelbaren Einwirkungen auf Nachbargrundstücke bestehen) zu beurteilen sei, da diese Bestimmung nur Anwendung finde auf die Art und Weise der Benutzung eines Grundstücks oder Gebäudes im Sinne der Bewirtschaftung (ZBJV 95/1959, S. 20 ff.).
Dieser Kritik hat sich das Bundesgericht nicht verschlossen und deshalb die Verantwortlichkeit des Grundeigentümers in
BGE 91 II 100
ff. einer neuen Prüfung unterzogen. Es hat in diesem
BGE 114 II 230 S. 233
Entscheid ausgeführt, die Haftung des bauenden Grundeigentümers für unvermeidliche Immissionen lasse sich nicht einfach auf
Art. 679 ZGB
stützen. Diese Norm mache den Grundeigentümer bloss für Überschreitungen seines Eigentumsrechtes, nicht aber für die Folgen einer in allen Teilen rechtmässigen Eigentumsausübung verantwortlich. Es könne jedoch bei Ausführung einer Baute zu Immissionen kommen, die zwar unvermeidlich seien und daher hingenommen werden müssten, aber das ordentlicherweise bei der Benutzung und Bewirtschaftung eines Grundstückes Zulässige nach Art, Stärke und Dauer weit überstiegen. Es stehe einem Grundeigentümer inmitten eines städtischen Quartiers nicht zu, bei der gewöhnlichen Benutzung und Bewirtschaftung seines Grundstückes die Nachbarschaft mehr als zwei Jahre lang mit Lärm- und Staubeinwirkungen zu belästigen und zu schädigen und darüber hinaus die Zugangswege zum nachbarlichen Ladengeschäft durch Belegung und Abschrankung des öffentlichen Strassenbodens (wenn auch mit behördlicher Bewilligung) zu verschlechtern. Das Privileg, in den Rechtsbereich des Nachbarn einzugreifen, sei dem bauenden Grundeigentümer nur zuzuerkennen, soweit der Eingriff sich bei der Bauausführung nicht vermeiden lasse. Da
Art. 679 ZGB
mit dieser Rechtslage nicht rechne, bestehe eine Gesetzeslücke, welche der Richter in dem Sinne auszufüllen habe, dass die Schadenersatzpflicht auch dann zu bejahen sei, wenn die Überschreitung der Schranken des Nachbarrechtes mit Rücksicht auf das besondere Interesse des bauenden Grundeigentümers und auf die Erfordernisse der Bauausführung ausnahmsweise zu dulden sei.
LIVER, der diesem Urteil grundsätzlich zugestimmt hat, hat darin die Schaffung eines neuen Tatbestandes der Kausalhaftung des Grundeigentümers gesehen. Dieser haftet unter der Voraussetzung, dass er die Grenzen seiner Liegenschaft überschreitet und die Zulässigkeit der Überschreitung auf einer Sonderbewilligung der zuständigen Verwaltungsbehörde beruht (ZBJV 103/1967, S. 1 ff.). MEIER-HAYOZ vermisst bei diesem Urteil eine Stellungnahme des Bundesgerichts zur Frage, ob eine echte oder eine unechte Lücke vorliege. Er hält dafür, dass es sich um eine Gesetzesberichtigung, also um die Ausfüllung einer unechten Lücke handle, legt dem Richter aber nahe, solche unechten Lücken im Nachbarrecht nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen und besonders sorgfältig zu prüfen, ob dem Interesse des betroffenen Nachbarn ein ernsthaftes und objektiv vertretbares
BGE 114 II 230 S. 234
Interesse des Immittenten gegenüberstehe (Kommentar, N. 222/224 zu
Art. 684 ZGB
).
Das Bundesgericht hat die mit
BGE 91 II 100
ff. begründete Rechtsprechung in zwei Urteilen vom 14. November 1986 bestätigt. Das eine Urteil (Société Parking de la Place de Cornavin S.A. gegen Devillon & Cie und Dame Jacqueline Devillon) ist von PIERRE TERCIER zustimmend besprochen worden (La protection contre les nuisances liées à des travaux de construction, in: Baurecht 1987, S. 82 ff.).
3.
Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, die bisherige Rechtsprechung aufzugeben.
a) Übertrieben erscheint jedenfalls die verallgemeinernde Feststellung im Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich, es gelte der Tendenz entgegenzuwirken, für jedwelchen erlittenen Schaden Deckung durch das Haftpflichtrecht zu suchen, und es dürfe nicht "einer uferlosen Schadenersatzbegehrlichkeit nach amerikanischem Vorbild" willfahren werden. Schaden, der im Zusammenhang mit Bauarbeiten entsteht, ist in den wenigsten Fällen eine Bagatelle, die sorgfältige Prüfung durch den Richter nicht verdiente.
b) Fragwürdig ist auch die Meinung des Handelsgerichts, das Immissionsverbot des schweizerischen Rechtes habe Ausnahmecharakter. Nach
Art. 684 ZGB
ist jedermann verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum des Nachbarn zu enthalten. Sobald Einwirkungen die Schwelle überschreiten, die durch Lage und Beschaffenheit der Grundstücke und durch den Ortsgebrauch bestimmt wird, sind sie grundsätzlich verboten.
c) Unerheblich ist die Bemerkung im angefochtenen Urteil, die Einwirkungen auf Nachbargrundstücke würden sich in aller Regel im Laufe der Zeit ausgleichen, weil an jeder Liegenschaft Unterhaltsarbeiten ausgeführt werden müssten; denn im vorliegenden Fall stehen sich nicht zwei Grundeigentümer gegenüber, sondern ein Grundeigentümer und ein Mieter einer benachbarten Liegenschaft.
d) In diesem Zusammenhang ist auch die Feststellung des Handelsgerichts zu präzisieren, die Beklagte sei Grundeigentümerin "inmitten eines städtischen Wohnquartiers". In Tat und Wahrheit geht es im vorliegenden Fall nämlich um Bauarbeiten, die an der Zürcher Bahnhofstrasse ausgeführt wurden. Zusammen mit den
BGE 114 II 230 S. 235
benachbarten Strassen und Gassen ist die Zürcher Bahnhofstrasse weltbekannt wegen der dort niedergelassenen Banken und Ladengeschäfte; sie ist gewiss nicht das, was man sich unter einem städtischen Wohnquartier üblicherweise vorstellt.
Diese Präzisierung erfolgt allerdings nicht im Sinne der Berichtigung eines offensichtlichen Versehens (
Art. 63 Abs. 2 OG
), sondern unter Berücksichtigung einer gerichtsnotorischen Tatsache. Wie die Klägerin zutreffend vorbringt, würde derselbe Sachverhalt, wie er der vorliegenden Streitsache zugrunde liegt, in einem eigentlichen Wohnquartier kaum zu einer Schadenersatzpflicht führen, weil dort die Quartierbewohner in den Geschäften zu einem grossen Teil Artikel des täglichen Bedarfs einkaufen und die Läden in ihrer Nähe auch dann aufsuchen, wenn der Zugang zu ihnen durch Bauinstallationen erschwert ist. Demgegenüber kommt die Kundschaft, welche die Geschäfte an der Zürcher Bahnhofstrasse und in deren nächster Nähe aufsucht, in grosser Zahl auch aus den übrigen Gebieten der Schweiz und aus dem Ausland. Diese Kundschaft wird, ganz besonders wenn es um Modeartikel geht, von den Wünsche weckenden Auslagen in Schaufenstern und Verkaufsräumen zum Betreten eines Ladengeschäftes veranlasst. Die Ladeninhaber rund um die Bahnhofstrasse haben daher ein ganz besonderes Interesse daran, dass der Zugang zu ihrem Geschäft ohne Schwierigkeiten gefunden wird.
e) Zuzugeben ist hingegen, dass die Begründung des in
BGE 91 II 100
ff. veröffentlichten Urteils nicht in allen Teilen zu befriedigen vermag. Es erscheint wenig überzeugend, wenn das Bundesgericht dort eine Gesetzeslücke mit dem Argument bejaht hat, diese sei beim Erlass des Schweizerischen Zivilgesetzbuches noch kaum erkennbar gewesen, jedoch im Laufe der Jahrzehnte infolge der Entwicklung der maschinellen Baumethoden und der häufigen Inanspruchnahme öffentlichen Bodens immer mehr erkennbar geworden.
4.
a) Es steht auch im vorliegenden Fall fest, dass die von der Liegenschaft der Beklagten ausgehenden Einwirkungen auf die Detailverkaufsgeschäfte der Klägerin - in erster Linie die Erschwerung des Zuganges durch Belegung und Abschrankung des öffentlichen Grundes - den Tatbestand der übermässigen und folglich unzulässigen Eigentumsausübung erfüllen und damit einen Anspruch auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schadenersatz begründen würden, wenn sie nicht im Zusammenhang mit den von der Beklagten veranlassten Umbau- und Renovationsarbeiten ständen. Nur weil diese Bauarbeiten notwendig und zweckmässig
BGE 114 II 230 S. 236
sind, die Einwirkungen selbst bei Anwendung aller Sorgfalt unvermeidlich sind und die Beanspruchung des öffentlichen Grundes von den zuständigen Behörden bewilligt wurde, kann der Beklagten keine Rechtswidrigkeit vorgeworfen werden. Objektiv bleiben jedoch die Immissionen übermässig und mit dem Gebot nachbarrechtlicher Rücksichtnahme unvereinbar.
Dem Nachbarn, der einem solchen Eingriff in seinen Rechtsbereich ausgesetzt ist, steht ausnahmsweise kein Abwehranspruch zu; es ist ihm aber, im System der privatrechtlichen Eigentumsordnung, ein Anspruch auf Entschädigung zuzugestehen. Dabei sind die Analogien zum öffentlichrechtlichen Institut der Enteignung augenfällig. Eine "privatrechtliche Enteignung" ist im übrigen, wenn man sich der mittelbaren gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen (Überbau:
Art. 674 Abs. 3 ZGB
, Durchleitung:
Art. 691 ZGB
, Notweg:
Art. 694 ZGB
, Notbrunnen:
Art. 710 ZGB
) erinnert, der schweizerischen Rechtsordnung nicht fremd.
Nachteilige Einwirkungen, die der bestimmungsgemässe Gebrauch einer öffentlichen Sache nach sich zieht und die sich nicht oder nur durch unverhältnismässige Aufwendungen vermeiden lassen, sind ebenfalls vom Nachbarn hinzunehmen und durch eine Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen abzugelten (
BGE 91 II 483
E. 5,
BGE 96 II 348
f. E. 6a,
BGE 107 Ib 388
f. E. 2a).
b) Nur mit Bedacht kann auf den auch vom Handelsgericht des Kantons Zürich angerufenen § 906 BGB verwiesen werden, der die Abwehr von Einwirkungen und die Erlaubnis zur Einwirkung zum Gegenstand hat. Diese Bestimmung des deutschen Rechtes gesteht zwar dem Eigentümer, der eine Einwirkung zu dulden hat, einen angemessenen Ausgleich in Geld zu, versagt aber in der Regel die Entschädigung bei sogenannten negativen Immissionen (MÜNCHENER Kommentar, 2. Auflage, § 906 Rz. 20; Kommentar STAUDINGER-ROTH, § 906 Rz. 114 ff.) - dies im Gegensatz zum schweizerischen Recht (Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 55 und 78 zu
Art. 684 ZGB
). Eine Ausnahme hat die deutsche Rechtsprechung indessen seit jeher gemacht - d.h. § 906 BGB entsprechend angewendet -, wenn die negativen Immissionen darin bestanden, dass ein Grundstück von seiner Zugangsmöglichkeit abgeschnitten wurde oder dass ein Nachbar durch nachhaltige Behinderung des Kontakts nach aussen beeinträchtigt wurde (Kommentar STAUDINGER-ROTH, § 906 Rz. 123).
c) Nicht leicht zu entscheiden ist die Frage, ob die durch
BGE 91 II 100
ff. eingeleitete und in der Folge bestätigte
BGE 114 II 230 S. 237
Rechtsprechung auf dem Schliessen einer echten oder einer unechten Lücke beruhe. Sollte mit MEIER-HAYOZ (Kommentar, N. 222 zu
Art. 684 ZGB
) eine unechte Lücke angenommen werden - in dem Sinne, dass die vorhandene Regelung in einem bestimmten Anwendungsbereich zu einem sachlich unbefriedigenden Resultat führt und deshalb nur scheinbar eine Antwort gibt (HÄFELIN, Zur Lückenfüllung im öffentlichen Recht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Nef, Zürich 1981, S. 92; Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 271 und 275 ff. zu
Art. 1 ZGB
) -, so rechtfertigt sich deren Schliessen trotz aller bei der Lückenfüllung gebotenen Zurückhaltung; denn soweit die Einwirkungen sich tatsächlich als übermässig erweisen, geht es darum, einen gerechten und vernünftigen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen eines Grundstückeigentümers und dessen Nachbarn herzustellen.
5.
a) Hat der bauende Grundeigentümer alle ihm zumutbaren Massnahmen ergriffen und lässt es sich trotzdem nicht vermeiden, dass mit den Bauarbeiten die Schranken des Eigentumsrechtes überschritten werden und der Nachbar eine Schädigung erleidet, so ist die Ersatzpflicht unter den Voraussetzungen zu bejahen, dass die Einwirkungen übermässig sind und die Schädigung beträchtlich ist (
BGE 91 II 107
E. 3). Ob dies in einem konkreten Fall zutrifft, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen und beruht im wesentlichen auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Ortsgebrauchs sowie der Lage und der Beschaffenheit der Grundstücke. Dem kantonalen Richter, der diese Wertung vorzunehmen hat, steht ein weites Ermessen zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von einem falschen Begriff der übermässigen Einwirkung (oder der beträchtlichen Schädigung) ausgegangen ist oder von ihrem Ermessen einen offensichtlich unrichtigen Gebrauch gemacht hat (
BGE 88 II 14
f. E. 2,
BGE 101 II 250
E. 3,
BGE 109 II 309
).
b) Die Berufungsbeklagte bestreitet, dass das Nachbargrundstück übermässigen Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei. Sie bestreitet auch, dass sich der vorliegende Sachverhalt mit den Sachverhalten vergleichen lasse, welche in
BGE 83 II 375
ff.,
BGE 91 II 100
ff.,
BGE 109 II 304
ff. und in den beiden unveröffentlichten Entscheiden vom 14. November 1986 zu beurteilen waren.
Bezüglich des Sachverhalts führt die Berufungsbeklagte sodann aus, durch die Schützengasse eine Querstrasse zur Bahnhofstrasse - fliesse kein Passantenstrom. Von der Bahnhofstrasse her
BGE 114 II 230 S. 238
seien erst aus einigen Metern Entfernung und bei genauerem Hinsehen die Ladengeschäfte der Klägerin mit zwei kleinen Firmenschildern zu erblicken, und zwar mit oder ohne Baustellenwand. Die einzige Behinderung durch die Bauarbeiten habe darin bestanden, dass für Passanten an der Bahnhofstrasse nur noch ein 3 Meter breiter Durchgang (in der späteren Bauphase ein Durchgang von 4,5 Metern) offen gewesen sei, wobei auf der Höhe des Durchgangs von der Bahnhofstrasse her stets die beiden Läden der Klägerin hätten gesehen werden können. Die Klägerin - meint die Berufungsbeklagte weiter - hätte auf der Baustellenwand geeignete Hinweisschilder anbringen können, wodurch ihre Geschäfte noch besser zu erkennen gewesen wären, als wenn überhaupt keine Baugerüste aufgestellt gewesen wären. Im übrigen hätten die im öffentlichen Interesse liegenden Umbau- und Renovationsarbeiten die Geschäftslage für alle Anlieger aufgewertet.
c) Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat den Sachverhalt, soweit er zur Beurteilung der Frage, ob eine übermässige Einwirkung und eine beträchtliche Schädigung vorliege, nicht vollständig festgestellt. Es hat sich insbesondere auch mit den oben wiedergegebenen, durchaus ernst zu nehmenden Einwänden der Berufungsbeklagten nicht auseinandergesetzt.
6.
Da das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage der Alexandre SA mit der Begründung abgewiesen hat, es gebe keine Haftung des rechtmässig auf den Nachbarn einwirkenden Grundeigentümers, ist die Berufung entsprechend dem Antrag der Berufungsklägerin gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben.
Dabei bedarf der Sachverhalt der Vervollständigung. Das Handelsgericht hat sich konkret darüber zu äussern, ob in Würdigung aller Umstände - wozu u.a. auch das öffentliche Interesse an der Renovation der unter Denkmalschutz gestellten Fassade gehört - die durch die Bauarbeiten verursachten Einwirkungen als übermässig zu bezeichnen sind und zu einer beträchtlichen Schädigung der Klägerin geführt haben. Prüfenswert ist gewiss die im Minderheitsantrag der Vorinstanz geäusserte Anregung, die Voraussetzung der beträchtlichen Schädigung noch genauer zu definieren ("als aussergewöhnlich grosse und auch im Rahmen gegenseitiger Toleranz und Abhängigkeit unzumutbare Schädigung"). In diesem Sinne ist die Sache zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen (
Art. 64 Abs. 1 OG
). | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
53a13e26-dfa2-453d-8ec2-84dade07f0e7 | Urteilskopf
109 II 371
78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1983 i.S. S. gegen S. (Berufung) | Regeste
Art. 156 Abs. 2 und 277 Abs. 2 ZGB: Unterhaltsbeiträge für Kinder über deren Mündigkeit hinaus.
Solche Beiträge kann der Inhaber der elterlichen Gewalt in einem Scheidungsprozess nicht durchsetzen. | Sachverhalt
ab Seite 371
BGE 109 II 371 S. 371
Die Ehe der Parteien wurde am 20. April 1983 vom Kantonsgericht Graubünden geschieden. Die elterliche Gewalt über die beiden Töchter, Daniela, geboren am 10. Juni 1963, und Eliane, geboren am 20. Juni 1973, wurde der Mutter zugesprochen. Der Vater wurde verpflichtet, "an den Unterhalt der Tochter Daniela bis zum ordentlichen Abschluss ihres Studiums oder einer anderen beruflichen Ausbildung beziehungsweise bis zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, längstens aber bis zum erfüllten 25. Altersjahr, und an den Unterhalt der Tochter Eliane bis zu deren Mündigkeit
BGE 109 II 371 S. 372
beziehungsweise wirtschaftlichen Selbständigkeit je einen im voraus zahlbaren Unterhaltsbeitrag von Fr. 800.-- pro Monat zuzüglich die gesetzlichen oder vertraglichen Kinderzulagen zu leisten".
Mit Berufung beim Bundesgericht verlangt der Vater unter anderem die Abweisung der Unterhaltsansprüche an die Tochter Daniela, soweit diese über deren Mündigkeit hinaus zu leisten sind.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Beide kantonalen Instanzen haben den Beklagten verpflichtet, an den Unterhalt der beiden Töchter je Fr. 800.-- pro Monat zu bezahlen. Die Alimente für die Tochter Eliane sind nicht angefochten. Hingegen verwahrt sich der Beklagte dagegen, dass die Vorinstanz ihn in diesem Verfahren verpflichtet hat, über die Mündigkeit der 1963 geborenen, inzwischen bereits volljährig gewordenen Tochter Daniela hinaus an die Klägerin auch Unterhaltsbeiträge für diese zu bezahlen. Er ist der Auffassung, der angefochtene Entscheid verletze
Art. 156 Abs. 2 ZGB
.
Diese Auffassung ist zutreffend. Nach
Art. 156 Abs. 2 ZGB
wird der Beitrag, den der nicht obhutsberechtigte Elternteil an die Kosten des Unterhalts seiner Kinder zu leisten hat, nach den Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses geregelt. Damit wird auf die
Art. 276 ff. ZGB
und insbesondere auf
Art. 285 ZGB
verwiesen. Gemäss Art. 277 Abs. 2 haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, auch für den Unterhalt eines sich in der Ausbildung befindlichen mündigen Kindes aufzukommen, und zwar bis dessen Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann. Gläubiger dieser Geldleistungen ist das Kind, aber die Leistungen haben bis zu dessen Mündigkeit an den Inhaber der elterlichen Gewalt als gesetzlichen Vertreter zu erfolgen, der sie auch in eigenem Namen geltend machen kann. Dieser Grundsatz galt bereits unter der Herrschaft des alten Rechts (
BGE 69 II 68
,
BGE 90 II 355
,
BGE 98 IV 207
E. 1,
BGE 102 Ia 102
E. 4; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 162/163) und ist im neuen Kindesrecht, das ganz allgemein die Stellung des Kindes verstärkt, ausdrücklich in
Art. 289 Abs. 1 ZGB
festgehalten worden. Das bedeutet, dass der obhutsberechtigte Elternteil im Scheidungsprozess, an welchem das Kind nicht als Partei teilnehmen kann, Kinderalimente in
BGE 109 II 371 S. 373
eigenem Namen geltend machen kann, solange ihm die elterliche Gewalt über seine Kinder zusteht (
BGE 107 II 473
unten). Sobald aber Mündigkeit eintritt, entfällt diese Befugnis, und sie geht an den mündig Gewordenen über, der nunmehr selbst im Sinne des
Art. 277 Abs. 2 ZGB
tätig werden muss (HINDERLING, Zusatzband, S. 111, insbesondere auch Anmerkung 6; nach altem Recht: HEGNAUER, N. 74 zu Art. 272 aZGB;
BGE 102 Ia 102
E. 4,
BGE 107 II 474
). Ausnahmen sind bisher nur zugelassen worden, wenn sich der pflichtige Elternteil in einer Ehescheidungs-Vereinbarung verpflichtet hat, über das 20. Altersjahr seiner Kinder hinaus an deren Unterhalt beizutragen (
BGE 102 Ia 102
/103;
BGE 107 II 475
oben; HINDERLING, Zusatzband, a.a.O.).
Das Kantonsgericht und die Klägerin stützen sich freilich unter anderem auf einen Entscheid des Bundesgerichts in
BGE 104 II 296
. In diesem Entscheid, in dem es um Ansprüche des ausserehelichen Kindes ging, wurde ausgeführt, dass es sich empfehlen dürfte, im Urteilsdispositiv die Unterhaltsbeiträge auch für die Zeit nach Erreichen der Mündigkeit zu regeln, wenn ein Kind bei der Regelung seiner Unterhaltsbeiträge im Vaterschafts- oder Scheidungsprozess kurz vor der Erreichung seiner Mündigkeit stehe, es sich dabei in einer Ausbildung befinde, die aller Voraussicht nach über diesen Zeitpunkt hinaus dauern werde, und auch die Verhältnisse der Eltern hinreichend bekannt seien. Diese vor allem auf Gründen der Zweckmässigkeit und dem Gedanken der Prozessökonomie beruhende Äusserung, die im Widerspruch zu der in
BGE 102 Ia 102
E. 4 vertretenen, noch auf altem Recht basierenden Auffassung steht, wurde in der Literatur teils als nicht unbedenklich empfunden oder abgelehnt (HINDERLING, Zusatzband, a.a.O.; BÜHLER/SPÜHLER, N. 244/245 zu
Art. 156 ZGB
), zum Teil aber auch unterstützt (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 1983, S. 126; RUTH REUSSER, Unterhaltspflicht, Unterstützungspflicht, Kindesvermögen, in: Das neue Kindesrecht, Berner Tage für die juristische Praxis 1977, S. 68). Sie beruht auf einer extensiven Auslegung der neuen Ordnung des Kindesrechts, die nicht ganz unbedenklich ist.
Art. 156 Abs. 2 ZGB
verweist wohl ganz allgemein auf die
Art. 276 ff. ZGB
.
Art. 279 ZGB
, der das Klagerecht und die Zuständigkeit in bezug auf den Unterhaltsanspruch der Kinder gegenüber ihren Eltern regelt, behält seinerseits in Absatz 3 die Kompetenz des Richters nach den Bestimmungen über die Ehescheidung vor. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Befugnis des Scheidungsrichters in jedem Fall auf
Art. 277 Abs. 2 ZGB
BGE 109 II 371 S. 374
erstreckt. Der gegenseitige Verweis beziehungsweise Vorbehalt kann höchstens bedeuten, dass auch der Scheidungsrichter grundsätzlich die Schranke der Mündigkeit zu beachten hat, dass diese aber nicht in jedem Fall einer Regelung der Unterhaltspflicht entgegensteht, sondern ihm ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis bleibt, auf die gesamte Dauer der noch verbleibenden Unterhaltspflicht die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Solche Voraussetzungen lägen beispielsweise - wie in
BGE 104 II 296
ausgeführt - dann vor, wenn das unterhaltsberechtigte Kind im Zeitpunkt des Scheidungsurteils kurz vor der Mündigkeit steht oder schon während des Scheidungsverfahrens mündig geworden ist, bereits in Ausbildung steht und deren Dauer, die klarerweise über das Scheidungsverfahren hinaus gehen wird, bestimmbar ist. Das träfe z.B. zu, wenn das Kind im letzten Jahr vor der Maturität oder dem Lehrabschluss stünde. Bei derart klaren Verhältnissen wäre es wenig verständlich und läge es nicht im Interesse des Kindes und des Pflichtigen, wenn das Kind gezwungen würde, unter Umständen bereits neben dem Scheidungsprozess seiner Eltern oder kurz darnach seine Unterhaltsansprüche gegenüber dem pflichtigen Elternteil gerichtlich für eine relativ kurze Zeitdauer von einigen Monaten durchsetzen zu müssen.
Ob indessen eine solche, an sich denkbare Ausnahme zugelassen werden soll und kann, braucht im vorliegenden Fall nicht abschliessend entschieden zu werden, denn die Voraussetzungen für eine solche Ausnahmeregelung liegen hier gerade nicht vor. Das Kantonsgericht hat festgestellt, dass Daniela die letzte Klasse des Gymnasiums besuche und Ende Juni 1983, also im Monat, in dem sie volljährig wird, das Maturitätszeugnis erwerben werde. Diese Stufe der Ausbildung wird daher noch während der Unmündigkeit abgeschlossen. Eine neue, definitiv zur wirtschaftlichen Selbständigkeit führende Ausbildung wurde noch nicht begonnen, ja deren Art und Dauer steht nach dem angefochtenen Urteil noch nicht einmal fest. Wohl werde Daniela aller Wahrscheinlichkeit nach ein Hochschulstudium im medizinischen Bereich aufnehmen bzw. eine andere mehrjährige Ausbildung ähnlicher Art oder auf sozialmedizinisch-pflegerischem Gebiet beginnen. Das ist jedoch zu unsicher, um im Scheidungsverfahren über die weitere Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber der mündig gewordenen Tochter entscheiden zu können. In Fällen der vorliegenden Art muss dem unterhaltsberechtigten, mündig Gewordenen vorbehalten bleiben, in einem
BGE 109 II 371 S. 375
Verfahren, in dem er selbst Partei ist und in welchem er die eigenen, unter Umständen höheren Bedürfnisse geltend machen kann, seine Ansprüche durchzusetzen. Diese Folge des Kindesrechts entspricht nicht nur der gestärkten Stellung des Kindes, sondern auch der grösseren Eigenständigkeit, die den jungen Menschen heute zuerkannt wird.
Wenn auch die Überlegungen der Vorinstanz vor allem im Hinblick auf das gespannte Verhältnis zwischen Vater und Tochter viel für sich haben mögen, ist nach dem Gesagten doch festzustellen, dass das Kantonsgericht Bundesrecht verletzt hat, wenn es der Klägerin für die inzwischen mündig gewordene, aber noch unterhaltsbedürftige Tochter bis zum 25. Altersjahr einen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 800.-- zugesprochen hat. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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