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d72dd9cf-ffb9-4752-8f8b-917d55368b28 | Urteilskopf
118 Ia 184
26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. April 1992 i.S. Grüne Partei des Kantons Zürich, B., S. und O. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde). | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; kantonales Finanzreferendum bei etappenweiser Strassenerneuerung.
1. Keine Anfechtbarkeit des Strassenbauprogramms des Regierungsrats des Kantons Zürich mit staatsrechtlicher Beschwerde (E. 1a).
2. Aufteilung eines Kredits zur Strassenerneuerung in gebundene und neue Ausgaben (E. 2).
3. Verbot, die für das Finanzreferendum bestehenden Grenzen durch Aufteilung zusammengehörender Vorlagen zu umgehen; Zulässigkeit der Unterteilung von Strassenprojekten, wenn die einzelnen Etappen in sich geschlossene, selbständig sinnvolle und nutzbare Anlagen darstellen (E. 3a). Unterhaltsbedarf als sachliches Kriterium für die Etappierung einer Strassenerneuerung (E. 3b und E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 185
BGE 118 Ia 184 S. 185
Die Tösstalstrasse S-1 ist die Hauptverbindung von Winterthur über Bauma nach Wald. Sie wurde zwischen 1930 und 1940 erstellt und seit 1970 sukzessive auf einen einheitlichen Standard mit einer Fahrbahnbreite von 7,0 bis 7,5 Meter ausgebaut. Dieser Ausbau fehlt nur noch auf zwei Abschnitten zwischen Dillhus und Bauma sowie zwischen der Gemeindegrenze von Bauma und Fischenthal bei Lipperschwändi und Länzen. Am 10. April 1991 genehmigte der Regierungsrat des Kantons Zürich das Projekt für die Erneuerung der Tösstalstrasse für die etwa 900 Meter lange Strecke zwischen Lipperschwändi und Länzen und bewilligte dafür einen Kredit von Fr. 3'860'000.--.
Die zur Erneuerung des fraglichen Strassenabschnitts vorgesehenen Massnahmen umfassen im wesentlichen:
BGE 118 Ia 184 S. 186
a) die Erneuerung des Oberbaus von Fahrbahn und Trottoir innerhalb der bestehenden Gebietsbreite;
b) die technische Erneuerung der Strassenbeleuchtung und die Verstärkung eines Bachdurchlasses;
c) die Verbreiterung der 6,0 Meter breiten Fahrbahn um 1,5 Meter auf insgesamt 7,5 Meter;
d) die Erstellung eines gemeinsamen Geh- und Radwegs mit einer Breite von 3,0 Metern, teilweise durch einen Grünstreifen von der Fahrbahn getrennt. Dieser Geh- und Radweg ersetzt das bisherige Trottoir.
Gemäss dem Regierungsratsbeschluss dienen die Massnahmen nach Buchstaben a und b und - soweit das Trottoir ersetzt wird - auch nach Buchstaben d der Erhaltung und zeitgemässen Ausstattung der Strassensubstanz. Den dafür notwendigen Kredit betrachtet der Regierungsrat daher als gebundene Ausgabe. Die Massnahmen nach Buchstaben c und teilweise nach Buchstaben d sollen gleichzeitig mit der Strassenerneuerung erstellt werden. Diese Neuinvestitionen erfordern einen Kredit von Fr. 1'760'000.-- und stellen nach Auffassung des Regierungsrats neue Ausgaben dar.
Die Grüne Partei des Kantons Zürich, B., S. und O. erheben staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der politischen Rechte und stellen den Antrag, es sei der Beschluss des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 10. April 1991 aufzuheben und es sei der Regierungsrat aufzufordern, die erforderlichen Kredite durch die verfassungsmässigen Instanzen bewilligen zu lassen. Zur Begründung führen sie aus, dass der Regierungsrat den Strassenbaukredit zu Unrecht in einzelne Teilkredite aufgeteilt habe. Weiter ziehen sie die Aufteilung des Kredites in neue und gebundene Ausgaben in Zweifel und erheben ansatzweise weitere Rügen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (
BGE 116 Ia 79
E. 1;
BGE 114 Ia 81
E. 1, 308 E. 1a, 462 E. 1).
a) Nach
Art. 85 lit. a OG
beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und
BGE 118 Ia 184 S. 187
betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. Besteht in einem Kanton das Institut des obligatorischen oder fakultativen Finanzreferendums, so kann Anfechtungsgegenstand der Stimmrechtsbeschwerde jeder Ausgabenbeschluss des Staates sowie ein darüber ergangener Rechtsmittelentscheid sein, unabhängig davon, ob jener von der Exekutive oder der Legislative gefasst worden ist. Die Frage, ob der Kreditbeschluss dem Referendum unterstellt werden muss oder nicht, ist - genauso wie jene, ob die Kreditvorlage vollständig sei - nicht eine Eintretensfrage, sondern Gegenstand der materiellen Beurteilung (
BGE 113 Ia 389
E. 1b;
112 Ia 224
f. E. 1b;
111 Ia 202
E. 2). Der Kreditbeschluss des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 10. April 1991 kann demnach mit Stimmrechtsbeschwerde angefochten werden.
Einzelnen Äusserungen der Beschwerdeführer könnte entnommen werden, dass sie auch die Bauprogramme der Staatsstrassen, insbesondere das Strassenbauprogramm für die Jahre 1989-1991, anfechten wollen. Nach § 8 Abs. 1 des Gesetzes über den Bau und den Unterhalt der öffentlichen Strassen vom 27. September 1981 (Strassengesetz; GS 722.1) erstattet der Regierungsrat dem Kantonsrat jährlich gleichzeitig mit dem Voranschlag Bericht über das Bauprogramm für Staatsstrassen der nächsten drei Jahre. Es handelt sich beim Strassenbauprogramm um ein Planungsmittel des Regierungsrats, das über die Strassenbauprojekte Auskunft gibt, die in den kommenden drei Jahren erstellt werden sollen; zugleich enthält es Angaben über deren voraussichtliche Kosten. Aus den verschiedensten Gründen (Projekteinsprachen, Schwierigkeiten beim Landerwerb, Kreditverweigerungen durch den Kantonsrat oder die Stimmberechtigten, Neubewertung der Zweckmässigkeit eines Vorhabens aufgrund inzwischen durchgeführter Untersuchungen, schlechte Witterung etc.) besteht für dessen genaue Einhaltung indessen keine Gewähr (vgl. Bericht des Regierungsrates an den Kantonsrat über das Bauprogramm der Staatsstrassen für die Jahre 1990-1992 vom 4. Oktober 1989, S. 2). Bei Strassenvorhaben gilt deshalb das Prinzip der rollenden Planung, und in späteren Strassenbauprogrammen ist in der Zwischenzeit geänderten Planungsvorstellungen Rechnung zu tragen. Projekte, die im Strassenbauprogramm erscheinen, bedürfen zur Verwirklichung stets noch eines Kreditbeschlusses und einer Projektgenehmigung. Das Strassenbauprogramm ersetzt demnach weder Ausgabenbeschlüsse durch die zuständige Behörde noch die Projektgenehmigung durch den Regierungsrat (vgl. §§ 9 und 16 des Strassengesetzes). Da die Strassenbauprogramme keine Ausgabenbeschlüsse
BGE 118 Ia 184 S. 188
enthalten, können sie auch nicht mit Stimmrechtsbeschwerde angefochten werden. Auf die Stimmrechtsbeschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten.
b) Die Beschwerdeführer sind stimmberechtigte Einwohner des Kantons Zürich. Als solche sind sie zur Stimmrechtsbeschwerde legitimiert (
BGE 116 Ia 364
E. 3a, 479;
BGE 114 Ia 264
E. 1b, 399).
Politischen Parteien, die im Gebiet des Gemeinwesens, dessen Hoheitsakt angefochten wird, tätig sind, steht die Befugnis zu, Stimmrechtsbeschwerde zu erheben (
BGE 114 Ia 265
E. 1c;
BGE 113 Ia 49
E. 1a, 395 E. 2b/bb;
BGE 111 Ia 116
). Die Grüne Partei des Kantons Zürich ist demnach ebenfalls zur Stimmrechtsbeschwerde legitimiert.
c) Die amtliche Publikation des angefochtenen Beschlusses erfolgte am 3. Mai 1991. Die dreissigtägige Beschwerdefrist ist mit der Eingabe vom 13. Mai 1991 gewahrt. Auf die Ausführungen der Beschwerdeführer bezüglich der angeblich mangelhaften Eröffnung des angefochtenen Beschlusses braucht nicht weiter eingegangen zu werden, weil sie dadurch keinen Nachteil erlitten haben. Sie haben rechtzeitig Beschwerde erhoben und konnten sich umfassend äussern.
Soweit die Beschwerdeführer mit der vorliegenden Eingabe allerdings auch den Regierungsratsbeschluss Nr. 2378 vom 3. August 1978 anfechten wollen, ist ihre Beschwerde verspätet, und es ist darauf nicht einzutreten.
d) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer Natur, das heisst, es kann mit ihr nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, nicht aber der Erlass positiver Anordnungen verlangt werden. Eine Ausnahme ist nur gerechtfertigt, wenn der verfassungsmässige Zustand nicht bereits mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids herzustellen ist (
BGE 114 Ia 401
E. 4;
BGE 112 Ia 211
f. E. 2c, 225 E. 1c, je mit weiteren Hinweisen).
Würde vorliegend die staatsrechtliche Beschwerde gutgeheissen und damit der Beschluss des Regierungsrats aufgehoben, so wäre der Kanton Zürich verpflichtet, unter Berücksichtigung der Erwägungen des Bundesgerichts zur Finanzierung des Bauvorhabens einen Kreditbeschluss zu fassen, der die politischen Rechte der Stimmbürger wahrt. Positiver Anordnungen bedürfte es zur Wiederherstellung des verfassungsmässigen Zustandes nicht. Soweit die Beschwerdeführer mehr verlangen als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, ist demnach auf ihre Beschwerde nicht einzutreten.
2.
Die Beschwerdeführer haben einige Rügen, sofern sie sie überhaupt gültig erheben wollten, nur ansatzweise begründet. Nach
BGE 118 Ia 184 S. 189
Art. 90 lit. b OG
muss im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren die Eingabe die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur Rügen, die genügend klar und detailliert erhoben werden (
BGE 115 Ia 185
;
BGE 110 Ia 3
f.;
BGE 107 Ia 186
).
a) Die Beschwerdeführer ziehen die im angefochtenen Entscheid vorgenommene Aufteilung in gebundene und neue Ausgaben in Zweifel. Sie machen geltend, es falle auf, dass die Neuinvestitionen knapp unter der Referendumsgrenze lägen, begründen aber nicht näher, wieso die vom Regierungsrat vorgenommene Aufteilung unzulässig sein soll. Auf ihre Beschwerde kann daher in diesem Punkt nicht eingetreten werden. Bei einer materiellen Prüfung erwiese sie sich überdies ohne weiteres als unbegründet.
Nach Art. 30 Abs. 1 Ziff. 2 der Verfassung des eidgenössischen Standes Zürich vom 18. April 1869 (KV) sind dem fakultativen Referendum unter anderem die Beschlüsse des Kantonsrats über neue einmalige Ausgaben für einen bestimmten Zweck von mehr als Fr. 2'000'000.-- bis zu Fr. 20'000'000.-- unterstellt. Der Regierungsrat hat für die Erneuerung der Tösstalstrasse einschliesslich der Strassenverbreiterung und des Baus eines Geh- und Radwegs für das Teilstück von der Gemeindegrenze von Bauma und Fischenthal bis Länzen einen Kredit von Fr. 3'860'000.-- bewilligt. Davon entfallen gemäss Regierungsratsbeschluss Fr. 2'100'000.-- auf gebundene Ausgaben und Fr. 1'760'000.-- auf Neuinvestitionen. Der Regierungsrat hat dargetan, dass er die Ausgaben für die Erneuerung des Oberbaus von Fahrbahn und Trottoir innerhalb der bestehenden Gebietsbreite, für die technische Erneuerung der Strassenbeleuchtung und die Verstärkung eines Bachdurchlasses sowie einen Anteil für den neuen Geh- und Radweg - als Ersatz für das bisherige Trottoir - als gebundene Ausgaben betrachte. Demgegenüber handle es sich bei den Ausgaben für die Verbreiterung der Fahrbahn von 6,0 auf 7,5 Meter sowie für den grösseren Anteil des gemeinsamen Geh- und Radwegs um neue Ausgaben. Die Beschwerdeführer legen nicht dar, inwiefern diese Aufteilung betragsmässig unzutreffend sein sollte. Sie steht vielmehr in Übereinstimmung mit den von den Beschwerdeführern selber angeführten Urteilen des Bundesgerichts und den darin entwickelten Grundsätzen (vgl.
BGE 117 Ia 62
E. 4c;
BGE 113 Ia 399
ff. E. 5 sowie die Urteile vom 9. Juni 1988 in ZBl 89/1988 542 f., vom 25. Februar 1987 i.S. G. B. gegen den Regierungsrat des
BGE 118 Ia 184 S. 190
Kantons Zürich und vom 30. September 1987 in ZBl 89/1988 450 ff. E. 3).
Zu keinen weiteren Ausführungen Anlass gibt die Kritik der Beschwerdeführer bezüglich § 45 der Verordnung über die Finanzverwaltung. Da auch der Regierungsrat der Auffassung ist, der Kredit für die Verbreiterung der Fahrbahn der Tösstalstrasse auf einen einheitlichen Standard von 7,5 Metern sei als neue Ausgabe zu betrachten, stimmen die Aussagen der Beschwerdeführer mit jenen des angefochtenen Entscheids überein. Dasselbe gilt bezüglich des erforderlichen Anteils von neuen Ausgaben zur Erstellung des Geh- und Radwegs.
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die Bewilligung von einmaligen neuen Ausgaben bis zu Fr. 2'000'000.-- nicht in der Kompetenz des Regierungsrats, sondern in derjenigen des Kantonsrats unter Ausschluss des fakultativen Referendums liege. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben. Die Beschwerdeführer anerkennen selber, dass in diesem Fall das fakultative Referendum ausgeschlossen ist, weshalb ihr politisches Stimmrecht nicht berührt wird. Auf ihre Stimmrechtsbeschwerde kann deshalb insoweit nicht eingetreten werden.
3.
Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen. Die Auslegung anderer kantonaler Normen sowie die Feststellung des Sachverhalts durch die kantonalen Behörden werden dagegen nur auf Willkür hin überprüft (
BGE 116 Ia 244
mit Hinweisen).
a) Die Beschwerdeführer machen geltend, der Regierungsrat habe die Verbreiterung der Strasse und die Erstellung eines Geh- und Radwegs als einheitliches Vorhaben durch die Aufteilung in verschiedene Abschnitte künstlich unterteilt. Er habe das Finanzreferendum dadurch umgangen, dass die einzelnen Abschnitte so gebildet worden seien, dass die dafür erforderlichen Kredite je für sich allein genommen die Referendumsgrenze nicht erreichten. Besonders stossend sei die Aufteilung des ursprünglich gemeinsam projektierten Strassenstücks zwischen Wellenau und Länzen in zwei Etappen. Die Beschwerdeführer rügen damit, der Regierungsrat habe die sich aus dem Prinzip der Einheit der Materie ergebenden Anforderungen an Kreditvorlagen verletzt.
b) Der Grundsatz der Einheit der Materie ist im zürcherischen Recht ausdrücklich nur für die Volksinitiative verankert. Nach § 4
BGE 118 Ia 184 S. 191
Abs. 1 Ziff. 4 des Gesetzes über das Vorschlagsrecht des Volkes vom 1. Juni 1969 (GS 162) sind Initiativen ungültig, welche Begehren verschiedener Art enthalten, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, es sei denn, es handle sich um eine Initiative auf Gesamtrevision der Verfassung. Für das Finanzreferendum bestimmt Art. 30 Abs. 1 Ziff. 2 KV immerhin, dass "Beschlüsse des Kantonsrates über neue einmalige Ausgaben für einen bestimmten Zweck" der Volksabstimmung zu unterstellen sind. Welche Bedeutung dieser Vorschrift im Rahmen des Prinzips der Einheit der Materie zukommt, kann offenbleiben, denn dieser Grundsatz gilt auch unmittelbar aufgrund des Bundesverfassungsrechts (Urteil vom 30. September 1987 in ZBl 89/1988 459 E. 3b/aa;
113 Ia 52
E. 4a;
112 Ia 229
E. 2b/bb, je mit Hinweisen).
Für das Finanzreferendum folgt aus dem Grundsatz der Einheit der Materie, dass sich eine Finanzvorlage nicht auf mehrere Gegenstände beziehen darf, es sei denn, dass mehrere Ausgaben sich gegenseitig bedingen oder aber einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft. Auf der anderen Seite darf ein Gegenstand, der ein Ganzes bildet, nicht künstlich in Teilstücke aufgeteilt werden, welche je einzeln dem Referendum nicht unterstehen, mit dem Ziel, den Gegenstand dem Referendum zu entziehen (Urteil vom 30. September 1987 in ZBl 89/1988 459 E. 3b/bb;
BGE 112 Ia 229
E. 2b/bb;
BGE 100 Ia 376
f.). Nach ständiger Rechtsprechung ist es somit unzulässig, die in der Verfassung für das Referendum gegen Kreditbeschlüsse festgesetzten Grenzen durch Aufteilung zusammengehörender Vorlagen zu umgehen (
BGE 111 Ia 203
E. 3b;
BGE 104 Ia 427
;
BGE 100 Ia 377
). Dagegen bestehen gegen eine Aufteilung grosser Bauvorhaben keine rechtlichen Bedenken, wenn die Zuständigkeit dadurch nicht verschoben wird und wenn die Ausführung der einzelnen Teile für sich allein gesehen einen vernünftigen Sinn ergibt, so dass die Freiheit der Stimmbürger, sich für oder gegen die späteren Etappen auszusprechen, durch den ersten Entscheid nicht aufgehoben wird (
BGE 112 Ia 230
,
BGE 105 Ia 89
;
BGE 104 Ia 427
). Dabei spielt auch das zeitliche Element eine Rolle. Verschiedene Kreditvorlagen können wegen der grossen zeitlichen Distanz, die zwischen ihnen liegt, derart voneinander isoliert erscheinen, dass eine Zusammenrechnung nicht mehr gerechtfertigt ist und die Ausgabenbewilligung deshalb etappenweise erfolgen darf, selbst wenn die Vorhaben demselben Zweck dienen (vgl. ERNST MARTIN LAUR, Das Finanzreferendum im Kanton Zürich, 1966, S. 112; HANS ESCHER, Das Finanzreferendum in den
BGE 118 Ia 184 S. 192
schweizerischen Kantonen, 1943, S. 170). Im Zusammenhang mit dem Strassenbau hat das Bundesgericht in einem ähnlich gelagerten Fall wie dem vorliegenden, der den Ausbau der Hulfteggstrasse vom Tösstal in den Kanton St. Gallen betraf, entschieden, dass eine Vielzahl von Strassenprojekten in einem einzigen Beschluss über ein Strassenbauprogramm zusammengefasst werden könnten; es dürfe aber auch über bestimmte Strassenstücke gesondert beschlossen werden, wenn die einzelnen Etappen in sich geschlossene, selbständig sinnvolle und nutzbare Anlagen darstellten. Strassen bilden somit dann einen einzigen unteilbaren Gegenstand, wenn die einzelnen Strassenstücke weitgehend nutzlos wären, sofern die Strasse nicht fertiggestellt würde (Urteil vom 30. September 1987 in ZBl 89/1988 460; vgl. auch
BGE 112 Ia 230
;
BGE 105 Ia 89
). Im Rahmen dieser Kriterien entscheidet sich die Frage, ob eine einheitliche Vorlage bejaht werden kann, aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls.
c) Die über 30 Kilometer lange Tösstalstrasse wurde ab 1970 in ungefähr 40 kurzen Teilabschnitten von einigen hundert Metern bis etwa zwei Kilometern sukzessive auf den heutigen Standard ausgebaut. Dabei ging man nicht der Reihe nach in der Weise vor, dass von Norden nach Süden oder umgekehrt ein Abschnitt nach dem anderen erneuert und ausgebaut wurde. Vielmehr richtete sich die Abfolge der Arbeiten vorab nach dem Unterhaltsbedarf. Man besserte die Strasse aus, wenn dies nötig war und baute das betroffene Strassenstück gleichzeitig aus. Heute ist mit Ausnahme von zwei kurzen Abschnitten die gesamte Strasse zwischen Winterthur und Wald auf den neuen Standard mit einer Fahrbahnbreite von 7,0 bis 7,5 Metern ausgebaut. Dabei kann mit Blick auf den grossen Zeitraum, in dem die Sanierungen und der Ausbau erfolgten, nicht in allgemeiner Weise gesagt werden, die Aufteilung in Teilstücke sei vorgenommen worden, um das Referendum zu umgehen. Vielmehr gab es anfangs der siebziger Jahre kein Referendum im Strassenbau. Als die Stimmbürger des Kantons Zürich am 13. März 1977 die "Volksinitiative für Demokratie im Strassenbau" annahmen, welche Ausgaben für den Bau und die Korrektion von Strassen I. Klasse in gleicher Weise wie in anderen Aufgabenbereichen dem Finanzreferendum unterstellt, war bereits mehr als die Hälfte der Ausbauschritte getätigt.
d) Dies bedeutet nicht, dass die Teilschritte in beliebiger Länge beschlossen werden dürfen. Insbesondere dürfen sie nicht im Hinblick auf das Finanzreferendum so gewählt werden, dass bei jedem einzelnen Abschnitt die Referendumsgrenze gezielt unterschritten
BGE 118 Ia 184 S. 193
wird. Vielmehr sind für die Unterteilung sachliche Gründe erforderlich. Da der Entscheid über die einzelnen Ausbauetappen stark von der Feststellung und der Bewertung tatsächlicher Verhältnisse abhängt, muss der zuständigen Behörde in diesem Bereich im Interesse einer sachgerechten und wirtschaftlichen Lösung ein erhebliches Ermessen zugestanden werden (vgl. auch das die Erneuerung der Hulfteggstrasse betreffende Urteil vom 30. September 1987 in ZBl 89/1988 461).
Die Beschwerdeführer machen geltend, im Strassenbauprogramm 1986-1988 sei vorgesehen gewesen, dass als Objekt 770 das Teilstück Wellenau (Gemeinde Bauma) bis Länzen (Gemeinde Fischenthal) erneuert und ausgebaut werde. Im nächsten Strassenbauprogramm 1987-1989 sei nur noch der Abschnitt Wellenau bis Lipperschwändi (Gemeindegrenze zwischen Bauma und Fischenthal) aufgeführt worden. Erst später sei dann auch der hier zur Diskussion stehende Abschnitt in das Strassenbauprogramm aufgenommen worden. Tatsächlich wurde das ursprünglich gemeinsam projektierte Teilstück Wellenau bis Länzen in zwei Abschnitte unterteilt, nämlich denjenigen von Wellenau bis zur Gemeindegrenze bei Lipperschwändi und denjenigen von der Gemeindegrenze bis Länzen. Die Beschwerdeführer vermuten, dass diese Unterteilung referendumspolitisch begründet sei, indem die neuen Ausgaben für beide Teilstücke je knapp unter Fr. 2'000'000.-- liegen. Es trifft zu, dass der Regierungsrat mit seinem Beschluss Nr. 2378/1988 vom 3. August 1988 für den ersten Abschnitt neue Ausgaben von Fr. 1'930'000.-- und mit dem angefochtenen Entscheid für den zweiten Abschnitt neue Ausgaben von Fr. 1'760'000.-- bewilligte. Es ist aus dieser Sicht verständlich, wenn die Beschwerdeführer hinter dieser nachträglichen Aufteilung eine Umgehung des Finanzreferendums vermuten.
Der Regierungsrat vermag sein Vorgehen indessen sachlich zu begründen. Zunächst kann darauf hingewiesen werden, dass die beiden Teilstücke nicht kürzer sind als zahlreiche andere. Vielmehr fügen sie sich von ihrer Länge her je einzeln in das Bild der übrigen Ausbauschritte ein, wie sie schon in den siebziger Jahren gewählt wurden. Die Baudirektion räumt allerdings ein, dass die beiden Abschnitte ursprünglich gemeinsam projektiert worden seien, weil in jenem Bereich der Standort für den Übergang des Radwegs gefunden werden musste. Der geeignete Punkt habe sich nur aus einer Gesamtschau heraus bestimmen lassen. Deshalb sei zunächst ein generelles Projekt über den ganzen Abschnitt Wellenau bis Länzen erarbeitet und der Bevölkerung nach Massgabe von § 13 des
BGE 118 Ia 184 S. 194
kantonalen Strassengesetzes unterbreitet worden. Zudem habe man angenommen, dass eine blosse Belagsverstärkung der bestehenden Fahrbahn genügen würde. Als man indessen an die Realisierung des Projektes herangetreten sei, habe man festgestellt, dass der Strassenkörper auf dem Boden der Gemeinde Bauma stark zerstört gewesen sei und daher völlig erneuert werden musste. In Anbetracht der knappen im Kanton Zürich für den Strassenbau zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel habe sich deshalb eine Redimensionierung des bekanntgemachten Projekts aufgedrängt. Folgerichtig sei im Strassenbauprogramm 1987-1989 nur noch das stark beschädigte Teilstück Wellenau bis Lipperschwändi erschienen. Allerdings hätten die erwähnten Finanzrestriktionen und eine andere Prioritätenordnung dazu geführt, dass selbst das reduzierte Projekt im Strassenbauprogramm 1988-1990 nicht mehr enthalten war. Es wurden damals zunächst nurmehr bereits angefangene Sanierungsprojekte weitergeführt. Im Interesse der Substanzerhaltung des Strassennetzes habe sich das Parlament in der Folge allerdings veranlasst gesehen, allgemeine Staatsmittel dem Strassenfonds zuzuwenden mit der Konsequenz, dass das Teilstück Wellenau bis Lipperschwändi wiederum in das Strassenbauprogramm 1989-1991 aufgenommen wurde. Mit dem erwähnten Regierungsratsbeschluss Nr. 2378 vom 3. August 1988 wurde der Kredit für diesen Abschnitt bewilligt.
Diese Ausführungen über die Finanzlage des Kantons Zürich im Bereich des Strassenwesens werden von den Beschwerdeführern zwar anders bewertet, sind aber dem Grundsatze nach nicht bestritten und erklären die verschiedenen Korrekturen in den Strassenbauprogrammen. Das Bundesgericht hat sich zur Finanzpolitik des Kantons Zürich im Bereich des Strassenbaus nicht weiter zu äussern. Aus den der Beschwerdeantwort beigelegten Fotografien ist zudem ersichtlich, dass der Zustand des Strassenbelags im Abschnitt Wellenau bis Lipperschwändi tatsächlich schlechter war als im südlich angrenzenden Abschnitt zwischen Lipperschwändi und Länzen. Die Beschwerdeführer bestreiten zwar diese Aussage, doch vermögen sie ihre Bestreitung im Gegensatz zur Baudirektion, welche aussagekräftige Fotografien zu den Akten gelegt hat, nicht zu belegen. Der Unterhaltsbedarf ist ein sachliches Kriterium für die Prioritätensetzung bei einer Strassensanierung mit einem damit verbundenen Ausbau. Da sich somit die Aufteilung des ursprünglichen Strassenbauprojekts Wellenau bis Länzen in zwei Teiletappen auf sachliche Gründe stützt, ist eine unzulässige Umgehung des Finanzreferendums zu verneinen.
BGE 118 Ia 184 S. 195
Schliesslich mag es auch zutreffen, dass eine andere Aufteilung des Strassenbauprojekts Wellenau bis Länzen möglich gewesen wäre. Die Beschwerdeführer erwähnen verschiedene Varianten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die vom Regierungsrat vorgenommene Etappierung auf sachlichen Gründen beruht. Dem Regierungsrat kommt bei der Wahl des Vorgehens zur Sanierung und zum Ausbau längerer Strassenverbindungen ein erhebliches Ermessen zu. Im Vergleich zu anderen Anlagen (Gebäuden, Flussläufen etc.) drängt sich bei Strassen eine bestimmte Reihenfolge der Sanierung kaum von vornherein auf, und es darf auch darauf Rücksicht genommen werden, dass alle Teile des Kantons in gleicher Weise an der allgemeinen Wohlfahrt teilnehmen können (vgl.
BGE 105 Ia 89
). Vorliegend hat der Regierungsrat von dem ihm in diesem Bereich zustehenden Ermessen in sachlicher Weise Gebrauch gemacht, und es kann daher nicht von einer Umgehung des Referendumsrechts gesprochen werden. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d72e71a0-a653-4e98-8a00-2633802a8b50 | Urteilskopf
115 Ib 94
11. Verfügung des Präsidenten der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. April 1989 i.S. Schweizerische Bundesbahnen und Mitbeteiligte gegen Kanton Freiburg und Staatsrat des Kantons Freiburg | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Einspracheentscheid im Enteignungs- und Plangenehmigungsverfahren, aufschiebende Wirkung.
Im Enteignungs- und Plangenehmigungsverfahren wird der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in der Regel keine aufschiebende Wirkung beigelegt, weil es Art. 76 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Enteignung grundsätzlich erlaubt, mit dem Bau des Werkes vor Abschluss des Einspracheverfahrens zu beginnen, und die Rechte der Betroffenen im Besitzeinweisungsverfahren verteidigt werden können. | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 115 Ib 94 S. 95
Mit Entscheiden vom 10. Januar 1989 wies der Staatsrat des Kantons Freiburg die Einsprachen gegen das Ausführungsprojekt für die Nationalstrasse N1, Abschnitt Greng-Löwenberg, im wesentlichen ab, soweit er auf sie eintrat. Gegen diese Entscheide haben die Schweizerischen Bundesbahnen, die Stiftung World Wildlife Fund (WWF Schweiz) und private Einsprecher Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht und zugleich ein Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Der Staatsrat des Kantons Freiburg stellt Antrag auf Abweisung dieser Gesuche. Der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts weist das Gesuch ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
Die Beschwerdeführer wollen verhindern, dass die Bauarbeiten in Angriff genommen werden, bevor die verlangten zusätzlichen Untersuchungen und Abklärungen vorgenommen worden sind. Mit dem Bau der Nationalstrasse kann aber, soweit der hiefür benötigte Boden nicht bereits Eigentum des Kantons ist, ohnehin erst nach Abschluss des Enteignungs- bzw. des Landumlegungsverfahrens oder nach Gewährung der vorzeitigen Inbesitznahme gemäss Art. 76 des Bundesgesetzes über die Enteignung (EntG) bzw. Art. 37 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen begonnen werden. Wird ein Gesuch um vorzeitige Besitzeinweisung gestellt, so darf ihm sowohl im Enteignungs- als auch im Landumlegungsverfahren, falls über Einsprachen gegen die Abtretung noch nicht rechtskräftig entschieden ist, nur insoweit entsprochen werden, als keine bei nachträglicher Gutheissung nicht wieder gutzumachende Schäden entstehen (
Art. 76 Abs. 4 EntG
;
BGE 104 Ib 177
,
BGE 105 Ib 97
E. 5). Die betroffenen Grundeigentümer sind vor dem Entscheid über die Besitzeinweisung anzuhören und können diesen allenfalls mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechten (
Art. 76 Abs. 2 und 6 EntG
). Den bereits im Einspracheverfahren gestellten Begehren um aufschiebende Wirkung wird daher kaum je stattgegeben, um das Plangenehmigungs- und das Landerwerbsverfahren nicht unnötig zu blockieren (vgl.
BGE 104 Ib 178
). Nun macht die Stiftung WWF geltend, sie habe, da sie nicht Grundeigentümerin und nicht Enteignete sei, im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung keine Möglichkeit, sich gegen den Baubeginn zu wehren. Den Natur- und Heimatschutzvereinigungen steht jedoch neben der Beschwerdelegitimation aufgrund von Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz
BGE 115 Ib 94 S. 96
gemäss ausdrücklicher Bestimmung von Art. 12 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz das Recht zur Geltendmachung von Einsprachen und Begehren im Sinne von
Art. 9, 35 und 55 EntG
zu. Sie müssen daher auch befugt sein, sich insofern einer vorzeitigen Besitzergreifung zu widersetzen, als diese die im Einspracheverfahren erhobenen und noch nicht rechtskräftig beurteilten Begehren zum Schutze von Natur und Landschaft in Frage stellen könnten oder gar gegenstandslos werden liesse (Entscheid vom 31. Juli 1985 i.S. Schweiz. Eidgenossenschaft gegen Genosssame Rothenthurm und Mitbeteiligte, nicht publ. E. 1). Das Bundesgericht hat daher unlängst den als Einsprechern auftretenden Vereinigungen nachträglich noch Gelegenheit zur Anfechtung eines Entscheides über die vorzeitige Inbesitznahme gegeben. Allerdings können die Privaten, die aufgrund ihrer tatsächlichen Betroffenheit oder im Hinblick auf zukünftige, allenfalls übermässige Immissionen zur Einsprache zugelassen werden, nicht das gleiche für sich in Anspruch nehmen. Wie in
BGE 111 Ib 23
ff. E. 8 ausgeführt worden ist, hat der nicht expropriierte Einsprecher oder der allenfalls erst nach Inbetriebnahme des Werkes in seinen Nachbarrechten Betroffene im Besitzeinweisungsverfahren nichts zu sagen. Auch für den Nachbarn und weitere Einsprecher gilt aber, dass der Gesetzgeber in
Art. 76 EntG
bereits eine Interessenabwägung vorgenommen und mit Rücksicht auf die öffentlichen Interessen am Werk und an dessen Verwirklichung dem Bauherrn die Möglichkeit eingeräumt hat, schon vor der Erledigung der Einsprachen auf eigenes Risiko mit dem Bau zu beginnen. Dieser im Gesetz vorgezeichnete Gang der Dinge und des Verfahrens ist nicht ohne Notwendigkeit aufzuhalten. Im übrigen wirkt sich die in
Art. 76 Abs. 4 Satz 2 EntG
enthaltene Garantie, wonach die vorzeitige Besitzergreifung vor rechtskräftiger Einsprachenerledigung nur insoweit bewilligt werden kann, als die Wiederherstellung des früheren Zustandes möglich ist, indirekt auch zugunsten der am Besitzeinweisungsverfahren nicht Beteiligten aus. Es besteht daher kein Anlass, hier von der ständigen Praxis abzuweichen und der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung beizulegen. Wie es sich verhielte, wenn sich keine Enteigneten unter den Einsprechern befänden, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d73ee41e-d7a3-48b3-bff0-fd128cbd5952 | Urteilskopf
110 Ib 364
58. Entscheid des Kassationshofes vom 7. September 1984 i.S. H. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 16 ff. SVG
; Entzug des Führerausweises anstelle eines Lernfahrausweisentzugs.
Der Führerausweis kann nicht aufgrund von SVG-Verletzungen entzogen werden, die vor der Erteilung des Ausweises begangen wurden und zum Entzug des Lernfahrausweises hätten führen können. | Sachverhalt
ab Seite 364
BGE 110 Ib 364 S. 364
Am 1. Januar 1983, ca. 21.50 Uhr, fuhr H., welche zu diesem Zeitpunkt nur über den Lernfahrausweis verfügte, in Begleitung von S. mit dessen Personenwagen auf der Staatsstrasse von Affeltrangen in Richtung Märwil. Der Wagen geriet in einer leichten Rechtskurve im Bereich eines Waldstücks auf Glatteis ins Schleudern, rutschte nach links über ein Wiesenbord und überschlug sich mehrmals. S. erlitt schwere, H. leichte Verletzungen.
Mit Verfügung vom 17. Mai 1983 entzog das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons St. Gallen H. wegen Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse den Lernfahrausweis für die Dauer eines Monats. Gegen diesen Ausweisentzug erhob H. Rekurs an die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen. Während des oberinstanzlichen Verfahrens
BGE 110 Ib 364 S. 365
wurde ihr am 4. August 1983 der Führerausweis erteilt. Mit Entscheid vom 22. Februar 1984 wies die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen den gegen den erstinstanzlichen Entscheid erhobenen Rekurs ab und ordnete den Entzug des Führerausweises für die Dauer von einem Monat an.
Den Rekursentscheid ficht H. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Erteilung des Führerausweises während des Rekursverfahrens betreffend den Entzug des Lernfahrausweises habe Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zur Folge. Da sie mit dem Bestehen der Prüfung den Nachweis für das Vorhandensein der für das klaglose Führen eines Motorfahrzeugs erforderlichen Eigenschaften erbracht habe, erscheine ein Ausweisentzug unnötig. Der für den Zeitpunkt des Unfalls erhobene Vorwurf, sie hätte wegen geringer Fahrpraxis langsamer fahren müssen, sei zufolge zusätzlicher Ausbildung und Erfahrung als Lenkerin überholt.
Das Bundesamt für Polizeiwesen hält dafür, dass der erzieherische Zweck des Warnungsentzugs nur erreicht werde, wenn die Betroffenen die mit einem Führerausweisentzug verbundenen Unannehmlichkeiten und Nachteile erleiden. Die bestandene Führerprüfung besage nur, dass der Ausweisbewerber die Verkehrsvorschriften kenne und fähig sei, ein Motorfahrzeug nach den Verkehrsregeln auch in schwierigen Situationen verkehrsgerecht und sicher zu lenken, biete aber keine Gewähr für dessen zukünftiges Wohlverhalten. Zudem hätte ein Verzicht auf den Entzug stossende Ungerechtigkeiten zur Folge; ein Lernfahrer, der kurz vor der Führerprüfung eine Widerhandlung begehe, die eine Massnahme nach sich ziehe, werde regelmässig der Sanktion entgehen. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit verlange, dass dem Führer, welcher den Lernfahrausweis nicht habe abgeben müssen, der Führerausweis entzogen werde.
2.
a) Beim Führerausweis handelt es sich um eine Polizeibewilligung, welche einer bestimmten Person das Führen eines Motorfahrzeuges auf öffentlichen Strassen erlaubt. Mit der Erteilung der Bewilligung stellt die Behörde verbindlich fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zum Führen einer bestimmten Art von Fahrzeugen - bei deren Vorliegen die Bewilligung erteilt werden
BGE 110 Ib 364 S. 366
muss - im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung gegeben sind (vgl. MICHEL PERRIN, Délivrance et retrait du permis de conduire, Fribourg, 1982, S. 36-41; RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts, S. 83, 97).
b) Gemäss
Art. 14 SVG
wird der Führerausweis erteilt, sofern keine körperlichen, geistigen oder charakterlichen Mängel (Abs. 2 lit. b, d) oder Süchte (Abs. 2 lit. c) die Eignung zum Führen eines Motorfahrzeuges beeinträchtigen oder ausschliessen, das Mindestalter erreicht ist (Abs. 2 lit. a) und der Bewerber mittels einer Prüfung nachgewiesen hat, dass er die Verkehrsregeln kennt und über die Fähigkeit verfügt, ein Fahrzeug der entsprechenden Kategorie sicher zu führen (Abs. 1). Im praktischen Teil der Prüfung hat der Lernfahrer nachzuweisen, dass er fähig ist, ein Motorfahrzeug nach den Verkehrsregeln und in schwierigen Verkehrslagen verkehrsgerecht und sicher zu führen (
Art. 21 Abs. 1 VZV
); entsprechend wird unter anderem das Anpassungsvermögen an die Strassenverkehrsverhältnisse und an die Fahreigenschaften des Fahrzeugs geprüft (
Art. 21 Abs. 2 VZV
).
Wie das Bundesamt für Polizeiwesen zutreffend ausführt, bietet der mit der Führerprüfung erbrachte Beweis der Fähigkeit, ein Fahrzeug korrekt und sicher zu führen, für sich allein noch keine Garantie dafür, dass der Ausweisbewerber auch die Absicht hat, sich in Zukunft entsprechend zu verhalten. Dies besagt indessen nicht, dass der fehlende Wille, sich rechtsgetreu bzw. verantwortungsvoll zu verhalten, auf die Erteilung des Führerausweises keinen Einfluss habe. Vielmehr darf der Ausweis nur an Bewerber abgegeben werden, deren bisheriges Verhalten erwarten lässt, dass sie die Vorschriften beachten und auf Mitmenschen Rücksicht nehmen werden. Die Behörden haben Abklärungen von Amtes wegen zu treffen, ob z.B. bisherige Widerhandlungen gegen Verkehrsregeln eine gesetzwidrige und rücksichtslose Gesinnung des Fahrzeuglenkers offenbaren (
BGE 104 Ib 97
,
BGE 104 Ib 107
/108, SCHAFFHAUSER, a.a.O., S. 89 ff.). Im Falle eines hängigen Administrativverfahrens werden die zuständigen Stellen deshalb vor Zulassung des Bewerbers zur Führerprüfung, d.h. vor Aushändigung des Ausweises, in der Regel den Ausgang desselben abwarten und erst aufgrund des Massnahmeentscheids und der diesem zugrundeliegenden Erwägungen entscheiden, inwieweit weitere Untersuchungen (wie z.B. ein verkehrspsychologischer Test) notwendig sind, der Ausweis verweigert bzw. der Anwärter zur Prüfung zugelassen werden muss. Mit der Erteilung des Führerausweises während
BGE 110 Ib 364 S. 367
eines laufenden Verfahrens verzichten die zuständigen Instanzen jedoch implizite auf derartige Abklärungen und stellen autoritativ fest, dass - im Zeitpunkt der Verfügung - der Bewerber sowohl in verkehrstechnischer, fachtechnischer aber auch persönlicher Hinsicht alle Anforderungen erfüllt und mit Bezug auf die Verkehrssicherheit nichts Erhebliches gegen die Erteilung des Führerausweises vorliegt.
c) Auf eine Verfügung, wie sie die Erteilung des Führerausweises darstellt, kann mit dem alleinigen Hinweis auf Tatsachen, die den Behörden beim Erlass der Bewilligung bekannt waren, grundsätzlich nicht zurückgekommen werden (vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 43 B I). Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit den Bestimmungen zum Warnungsentzug eine andere Regelung treffen wollte.
Auf die Erteilung des Führerausweises darf in der Regel nur zurückgekommen werden, wenn ein Automobilist seit der Erteilung des Führerausweises Verkehrsregelverletzungen begangen oder die Fahrfähigkeit weitgehend verloren hat.
Allein aus der Tatsache, dass dieselben Bestimmungen sowohl für den Entzug des Lernfahr- als auch des Führerausweises gelten, lässt sich nicht ableiten, der Führerausweisentzug könne auch mit SVG-Verletzungen, welche vor der Aushändigung des Ausweises erfolgten, begründet werden.
3.
Im vorliegenden Fall hat die Verwaltungsbehörde den Lernfahrausweis entzogen (Warnungsentzug). Trotz der Hängigkeit dieses Administrativverfahrens händigte sie dann der Beschwerdeführerin den Führerausweis aus, wodurch dieser bestätigt wurde, dass bei ihr in verkehrs- und fachtechnischer wie auch in persönlicher Hinsicht alle Voraussetzungen zur Erteilung des Führerausweises gegeben waren. Dass sie in der Folge eine Pflichtwidrigkeit begangen habe, wird nicht behauptet. Unter diesen Umständen wurde ihr der Führerausweis zu Unrecht entzogen. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d742d72b-39fd-4fb3-994b-ff4536f86878 | Urteilskopf
111 Ia 280
50. Estratto della sentenza 25 luglio 1985 della I Corte di diritto pubblico nella causa Y. contro X. e Tribunale amministrativo del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Zulässigkeit eines kantonalen Rechtsmittels: Willkür (Art. 153bis und 156 des Tessiner Gemeindeorganisationsgesetzes).
1. Eine anders lautende kantonale Vorschrift vorbehalten, ist es willkürlich, einen Privaten ohne vertretbaren Grund zur Beschwerde zuzulassen gegen einen Entscheid der Aufsichtsbehörde über die Gemeinden, wenn diese die vor der Anzeige bestehende Rechtslage nicht zu seinem Nachteil geändert hat (E. 2a).
2. Die fehlende Rechtsmittelbelehrung darf nicht zu einem Rechtsnachteil für den Adressaten der Entscheidung führen, doch ihn aufgrund dieses Mangels jederzeit zur Beschwerde zuzulassen, verstösst gegen
Art. 4 BV
(E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 281
BGE 111 Ia 280 S. 281
X. è proprietario di uno stabile locativo nei pressi di un fabbricato rustico, appartenente a Y., già adibito a stalla e in seguito a magazzino di un'impresa edile. Il 23 marzo 1981 X. si è rivolto all'autorità comunale perché ingiungesse a Y. di allontanare un cavallo da sella custodito nello stabile. Il Municipio, dopo aver esperito un sopralluogo, ha scritto il 22 aprile 1981 di non reputare necessaria alcuna misura coercitiva, dato che l'animale non era fonte di odori. X. ha insistito con altre lettere. L'esecutivo comunale si è riconfermato il 31 agosto 1981 nella precedente comunicazione. Il 14 novembre 1981 X. è insorto al Consiglio di Stato del Cantone Ticino con un "ricorso per diniego di giustizia" in cui ha chiesto che a Y. fosse vietato l'uso del rustico come stalla. Il governo, pronunciandosi quale autorità di vigilanza sui Comuni, ha respinto la denuncia il 10 novembre 1981. X. ha adito allora il Tribunale cantonale amministrativo, che con sentenza del 2 febbraio 1983 ha accolto il gravame, invalidato la risoluzione governativa e la decisione 22 aprile 1981 del Comune, rinviando gli atti al Municipio per i provvedimenti del caso.
Introdotto il 10 marzo 1983 un ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale, Y. ha postulato l'annullamento della sentenza in discorso per violazione degli
art. 4 e 22ter Cost.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
Il ricorrente muove anzitutto una duplice critica d'arbitrio: da un lato sostiene che i giudici cantonali avrebbero trasgredito
BGE 111 Ia 280 S. 282
apertamente l'art. 153bis della legge organica comunale ticinese (LOC) nel definire impugnabile una decisione emanata dall'autorità di vigilanza sui Comuni, dall'altro afferma che il noto "ricorso per diniego di giustizia" proposto dal vicino al Consiglio di Stato nemmeno poteva entrare in linea di conto giusta l'art. 156 LOC, siccome tardivo. Conviene vagliare preliminarmente simili rilievi formali, poiché, ove i medesimi si dimostrassero fondati, il rimedio dovrebbe essere accolto senza esame di merito.
a) In virtù dell'art. 153bis LOC le decisioni prese dal Consiglio di Stato nell'esercizio dei suoi poteri di vigilanza sui Comuni (art. 148bis e 150 LOC) sono inappellabili; ha diritto di ricorrere al Tribunale amministrativo, nondimeno, "chi è leso nei suoi legittimi interessi, fatta eccezione per il Comune". Tale disposto può essere ragionevolmente interpretato solo nel senso che, esclusa la possibilità per il Comune di veder controllare in sede giudiziaria il provvedimento adottato dal governo nei suoi confronti, il ricorso del privato cittadino è ricevibile in quanto l'autorità di vigilanza abbia modificato - a scapito di costui - la situazione giuridica preesistente alla denuncia. Questa, del resto, è appunto la prassi del Tribunale amministrativo (v. Rivista di diritto amministrativo ticinese 1981, pag. 34 n. 19), che corrisponde a quella del Tribunale federale (
DTF 109 Ib 250
consid. 3d,
DTF 104 Ib 241
consid. 2,
DTF 103 Ib 159
consid. 3,
DTF 102 Ib 84
consid. 3 per il ricorso di diritto amministrativo;
DTF 109 Ia 251
consid. 3 con rinvii e Rep. 1981 pag. 21 consid. 2 per il ricorso di diritto pubblico). Nel caso specifico la corte cantonale si è posta in contraddizione manifesta con la sua stessa giurisprudenza, senza neppure pretendere che occorresse un cambiamento (cfr.
DTF 108 Ia 125
consid. 2a,
DTF 109 II 175
consid. 2); inoltre ha conferito all'art. 153bis cpv. 2 LOC una portata inconciliabile con il testo, il fine e la sistematica legislativa, trascurando con ogni evidenza che la risoluzione del Consiglio di Stato non implicava la minima modifica giuridica a svantaggio del denunciante. Ne consegue che, in ossequio all'art. 153bis LOC, il Tribunale amministrativo avrebbe dovuto dichiarare irricevibile il gravame sottopostogli. Al riguardo la sentenza in rassegna, che giunge all'esito opposto senza il conforto di una spiegazione sostenibile, disattende l'
art. 4 Cost.
b) Rimane da chiarire se, assimilando il menzionato "ricorso per diniego di giustizia" a un'impugnazione basata sull'art. 156 LOC - che istituisce una via di ricorso ordinaria contro le
BGE 111 Ia 280 S. 283
deliberazioni degli organi comunali - e rimproverando al Governo il mancato accoglimento del gravame, la corte cantonale sia caduta ugualmente nell'arbitrio. Ora, l'art. 26 cpv. 2 della legge ticinese di procedura per le cause amministrative stabilisce, in effetto, che una decisione dev'essere munita dei mezzi e dei termini di ricorso; il Tribunale amministrativo ne ha desunto rettamente che la mancanza di simili indicazioni non deve comportare per il destinatario pregiudizio veruno (in analogia con quanto prescrivono sul piano federale gli
art. 107 cpv. 3 OG
e 38 PA). Ciò non legittima l'interessato, tuttavia, a procrastinare l'inoltro del rimedio: le regole della buona fede e la sicurezza del diritto esigono ch'egli assuma le informazioni necessarie e, ottenutele, agisca con tempestività. In caso contrario il termine si ritiene decorso (
DTF 107 Ia 76
consid. 4a,
DTF 107 Ib 175
consid. 2c,
DTF 106 Ia 16
consid. 3,
DTF 102 Ib 91
). Nell'evenienza concreta risulta che X. ha aspettato oltre sei mesi prima di impugnare al Consiglio di Stato la decisione municipale del 22 aprile 1981 limitandosi a insistere nel frattempo perché il Comune mutasse parere. Tanto meno egli contesta gli argomenti esposti nel ricorso di diritto pubblico circa le sue nozioni di diritto e la sua ex-carica di consigliere comunale, che gli avrebbe permesso di conoscere, se non altro, le modalità per aggravarsi al Consiglio di Stato. Equiparare, in circostanze del genere, lo scritto del 14 novembre 1981 a un rimedio tempestivo fondato sull'art. 156 LOC significa trascendere nell'arbitrio e violare il principio della buona fede. A giusto titolo, quindi, il Governo aveva trattato il "ricorso per diniego di giustizia" come una denuncia - possibile in ogni tempo - all'autorità di vigilanza sui Comuni. La diversa opinione del Tribunale amministrativo, insostenibile sotto il profilo dell'
art. 4 Cost.
, implica l'annullamento della sentenza querelata già per ragioni di forma. | public_law | nan | it | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d74e0ccf-124f-49bd-805a-6365872136fb | Urteilskopf
100 II 24
6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Februar 1974 i.S. Holzer gegen Fux. | Regeste
Teilweise Entwehrung.
1.
Art. 192 Abs. 1 OR
. Gewährleistungspflicht des Verkäufers, der sich als Alleineigentümer einer Parzelle ausgibt.
2.
Art. 193 Abs. 1 und 2 OR
. Ein gerichtlicher Vergleich, den der Käufer mit dem Dritten abschliesst, ist kein Prozessergebnis im Sinne dieser Bestimmungen.
3.
Art. 194 Abs. 1 OR
. Pflichten des Käufers, der das Recht des Dritten während eines hängigen Prozesses anerkennt. | Sachverhalt
ab Seite 25
BGE 100 II 24 S. 25
A.-
Holzer verkaufte am 22. März 1965 die Grundstücke Fol. 17 Nr. 74 und 75 in Zenhäusern an Margaretha Fux. Das erste Grundstück bestand aus einem Anteil Haus, das zweite aus insgesamt 211 m2 Platz und Garten, für deren Mass der Verkäufer die Gewährleistung übernahm.
Moritz Clausen war Miteigentümer des Hauses Nr. 74. Er beanspruchte einen Teil der Parzelle Nr. 75 für sich und klagte im Juni 1966 auf Feststellung seines Anspruches und Eintragung im Grundbuch. Margaretha Fux widersetzte sich der Klage und liess dem Holzer im September 1966 den Streit verkünden. Holzer beteiligte sich nicht am Verfahren. Dieses endete am 20. Juni 1969 mit einem gerichtlichen Vergleich.
"Das Gericht und die Parteien" stellten darin fest, dass die Erben Moritz Clausen Miteigentümer der Parzelle Nr. 75 sind (Ziff. 1 des Vergleiches). Auf Vorschlag des Gerichtes legten die Parteien die Miteigentumsanteile an dieser Parzelle im Verhältnis zu jenen am Hause Nr. 74 fest. Danach gehörten 3/6 der Parzelle Nr. 75 den Erben Moritz Clausen, 1/6 den Erben Josef Clausen und 2/6 der Margaretha Fux (Ziff. 2). Das Gericht stellte ferner fest, dass Margaretha Fux gestützt auf den Kaufvertrag vom 22. März 1965 für ein Mindermass von 4/6 der gekauften Parzelle Nr. 75 auf Holzer zurückgreifen kann (Ziff. 3). Gemäss Ziff. 4 des Vergleiches sodann verkaufte Margaretha Fux ihre Anteile an den Grundstücken Nr. 74 und 75 für Fr. 28 000.-- an einen Erben des Moritz Clausen; spätestens am 3. November 1969 sollte der Kaufpreis bezahlt und der Eigentumsübergang im Grundbuch eingetragen werden. Der Entscheid über die Prozesskosten wurde dem Gericht überlassen, das den Prozess als durch Vergleich erledigt abschrieb (Ziff. 5 und 6).
B.-
Am 1. September 1970 klagte Margaretha Fux gegen Holzer auf Zahlung von 10 160.30 nebst Zins. Sie berief sich auf den angeführten Vergleich und die Gewährleistungspflicht des Verkäufers.
BGE 100 II 24 S. 26
Der Beklagte liess weder das eine noch das andere gegen sich gelten.
Durch Urteil vom 23. März 1973 verpflichtete das Kantonsgericht Wallis den Beklagten, der Klägerin wegen Entwehrung von 141 m2 Fr. 7050.-- sowie für Kosten aus dem ersten Prozess Fr. 2568.90 zu bezahlen, beides nebst 5% Zins seit verschiedenen Verfalldaten.
Das Kantonsgericht nahm an, der Beklagte habe die 211 m2 umfassende Parzelle Nr. 75 als Alleineigentum verkauft, folglich für die teilweise Entwehrung nach
Art. 192 ff. OR
Gewähr zu leisten.
C.-
Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Er beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 192 Abs. 1 OR
hat der Verkäufer dafür Gewähr zu leisten, dass nicht ein Dritter aus Rechtsgründen, die schon zur Zeit des Vertragsabschlusses bestanden haben, den Kaufgegenstand dem Käufer ganz oder teilweise entziehe. Wenn ein Dritter einen solchen Grund geltend macht, ist der Verkäufer gemäss
Art. 193 OR
verpflichtet, auf Streitverkündigung hin je nach den Umständen und den Vorschriften der Prozessordnung dem Käufer im Prozess beizustehen oder ihn zu vertreten (Abs. 1). Bei rechtzeitiger Streitverkündung wirkt ein ungünstiges Prozessergebnis auch gegen den Verkäufer, sofern er nicht beweist, dass es durch böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Käufers verschuldet worden ist (Abs. 2).
Das Kantonsgericht findet, Prozessergebnis im Sinne dieser Bestimmung sei nicht nur das richterliche Urteil, sondern auch ein gerichtlicher Vergleich, wie ihn die Klägerin am 20. Juni 1969 mit den Erben Moritz Clausen abgeschlossen habe; der Beklagte müsse ihn folglich gegen sich gelten lassen. Der Beklagte ist demgegenüber der Meinung, die Voraussetzungen der Gewährleistung seien überhaupt nicht erfüllt. Der Umstand, dass er sich als Alleineigentümer der Parzelle Nr. 75 wähnte, sage über den tatsächlichen Sachverhalt nichts aus. Er habe einzig den Bestand der Parzelle garantiert, aber keine Gewährleistung für Alleineigentum übernommen. Im Kaufvertrag vom 22. März 1965 sei denn auch festgehalten worden, alles werde "verkauft mit allen
BGE 100 II 24 S. 27
Rechten und Pflichten wie bisher bestanden als frei und ledig von Hypotheken".
a) Über die Rechtsverhältnisse zur Zeit des Verkaufes, um die es hier geht, ist der angeführten Vertragsbestimmung indes nichts zu entnehmen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Beklagte damals nach seinen eigenen Zusagen Alleineigentümer der Parzelle Nr. 75 zu sein glaubte und beim Verkauf als solcher auftrat. Das Kantonsgericht hält ihm denn auch entgegen, Margaretha Fux habe im ersten Prozess Ansprüche Dritter mit allem Nachdruck bestritten, weil der Beklagte ihr Alleineigentum zugesichert habe. Die Vorinstanz stellt ferner gestützt auf seine Zeugenaussage im ersten Verfahren fest, er habe die Parzelle als Alleineigentum betrachtet.
Diese Feststellungen über den Willen der Vertragsschliessenden sind für das Bundesgericht verbindlich, denn sie beruhen nicht auf Auslegung des Vertrages, sondern namentlich auf der Würdigung der Beweisergebnisse der beiden Verfahren. Was der Beklagte dagegen in der Berufung vorbringt, ist unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung und daher nicht zu hören (vgl.
BGE 95 II 146
und
BGE 96 II 148
/9 mit Verweisungen).
b) Mit Recht kritisiert der Beklagte dagegen die Auffassung der Vorinstanz, er müsse den zwischen den Parteien des ersten Prozesses vereinbarten Vergleich gemäss
Art. 193 Abs. 2 OR
gegen sich gelten lassen. Das Kantonsgericht übersieht, dass
Art. 194 Abs. 1 OR
gerade für Fälle, in denen der Käufer es nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung kommen lässt, eine besondere Regel aufstellt. Diese ist auch anwendbar, wenn ein Prozess schon teilweise durchgeführt worden ist (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 4 zu
Art. 194 OR
), die Parteien dann aber, sei es von sich aus, sei es auf Anregung oder unter Mitwirkung des Gerichtes, einen Vergleich abschliessen. Auch durch einen gerichtlichen Vergleich wollen die Parteien den Prozess beenden, verzichten also aufeine richterliche Entscheidung (
BGE 60 II 58
; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. S. 287 ff; LEUCH, ZPO Bern Anm. 5 zu § 397; STRÄULI/HAUSER, ZPO Zürich Anm. 1/III/a zu § 238; ROSENBERG, Zivilprozessrecht 10. Aufl. S. 668 lit. e; STEIN-JONAS, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl. Anm. II zu § 794).
Das Kantonsgericht wendet freilich ein, durch die Beweiserhebungen und seine Mitwirkung bei den Vergleichsverhandlungen habe es den wesentlichen Inhalt eines zu fällenden Urteils
BGE 100 II 24 S. 28
praktisch schon im Vergleich bestimmt, weshalb diesem "der Charakter von Endgültigkeit und Unanfechtbarkeit" zukomme, der Vergleich also wie ein Urteil behandelt werden müsse. Einem Urteil ist der gerichtliche Vergleich jedoch nur in der Vollstreckbarkeit gleichgestellt (
BGE 60 II 57
/8,
BGE 90 III 74
;
Art. 73 Abs. 4 BZP
,
Art. 80 Abs. 2 SchKG
; GULDENER, a.a.O. S. 292/3; LEUCH, a.a.O. S. 396). Dass ein Gericht zur Einigung der Parteien beiträgt und ihnen bei der Regelung materiellrechtlicher Beziehungen in einem Prozessvergleich behilflich ist, macht diesen nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung. Der grundlegende Unterschied, auf den in
BGE 60 II 58
hingewiesen worden ist, bleibt vielmehr auch in solchen Fällen bestehen. Daran ändert auch nichts, dass hier nicht nur die Parteivertreter, sondern auch die Mitglieder des Gerichtes den Vergleich mitunterzeichnet haben; dieser lässt sich so oder anders nicht in ein Urteil umdeuten.
c) Ist unter dem Prozessergebnis im Sinne des
Art. 193 Abs. 1 OR
ein richterliches Urteil zu verstehen, so heisst das anderseits nicht, der Käufer müsse den Prozess mit Rücksicht auf den Verkäufer unter Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel bis zur letztinstanzlichen Entscheidung fortführen, wie das Kantonsgericht unter Berufung auf seine eigene Rechtsprechung unterstellt. Die Vorinstanz weist selber mit Recht darauf hin, dass die Anerkennung eines Drittrechtes während des Prozesses sich für den Käufer nicht bloss als tunlich erweisen, sondern geradezu aufdrängen kann. Es wäre deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, ihm im Verfahren Rechte zu verweigern, die ihm ausserhalb dessen zuständen. Die Behelfe des
Art. 194 Abs. 1 OR
müssen ihm unbekümmert um Bestimmungen des kantonalen Verfahrensrechtes, das die Geltung des materiellen Bundesrechtes nicht einzuschränken vermag, auch bei einem hängigen Prozess zur Verfügung stehen (vgl. LEUCH, a.a.O. N. 1 zu
Art. 50 ZPO
).
Art. 194 Abs. 1 OR
macht die Pflicht des Verkäufers zur Gewährleistung davon abhängig, dass ihm die Anerkennung des Drittrechtes rechtzeitig angedroht und die Führung des Prozesses erfolglos angeboten worden ist. Bei einem hängigen Prozess kommen diese Erfordernisse einer besonderen Streitverkündung gleich. Wird der Prozess fortgesetzt, so braucht der Verkäufer ihn nicht notwendig anstelle des Käufers zu führen; er kann diesem auf Anzeige des Streites hin auch als Intervenient beitreten.
BGE 100 II 24 S. 29
Das Bundesgesetz über den Bundeszivilprozess regelt die Streitanzeige in Art. 16. Der Bundesrat führte dazu in seiner Botschaft vom 14. März 1947 zum Gesetzesentwurf insbesondere aus, dass die Wirkungen der Streitverkündung im Verhältnis zwischen dem Verkünder und dem Empfänger dem materiellen Recht angehören, und zwar nicht nur in den Fällen, wo das materielle Gesetz sie ausdrücklich vorsieht (z.B.
Art. 193 und 258 OR
), sondern in allen Fällen der Gewährleistung oder Schadloshaltung, da sie ein Ausfluss des Handelns nach Treu und Glauben im Vertragsverhältnis seien. Das Prozessrecht habe einzig die verfahrensrechtlichen Folgen der Streitanzeige und die Form der prozessualen Anzeige zu ordnen; das materielle Recht nämlich begnüge sich mit einer beliebigen Anzeige. Die vom Entwurf vorgesehene Intervention reiche auch für die Stellvertretung gemäss Art. 193 Abs. 1 und für die Streitübernahme nach
Art. 258 OR
(die nicht auf eigenen Namen, sondern nur für eigene Rechnung zu geschehen brauche); denn durch eigene Untätigkeit könne die unterstützte Partei dem Intervenienten die Führung des Prozesses tatsächlich vollständig überlassen (BBl 1947 I 1005).
Das muss sinngemäss auch für eine Prozessübernahme gemäss
Art. 194 Abs. 1 OR
gelten.
Den Anforderungen dieser Bestimmung aber hat die Klägerin im ersten Prozess nicht genügt. Gewiss hat sie dem heutigen Beklagten nach Art. 18 der Walliser ZPO den Streit verkündet. Diese Bestimmung geht sogar weiter als
Art. 194 Abs. 1 OR
, da der Verkünder die Führung des Prozesses nicht bloss anbieten, sondern den Empfänger unter Angabe des Grundes auffordern muss, an seiner Stelle in den Prozess einzutreten. Diese Aufforderung lag hier jedoch über zwei Jahre zurück, als die Klägerin mit den Erben Clausen über einen Vergleich zu verhandeln begann. Ein solcher wurde in der Streitverkündung auch nicht vorbehalten, und eine spätere Androhung eines Vergleiches mit den Erben Clausen unterblieb.
Art. 52 ZPO
, wonach der Streitverkünder den Prozess auf Gefahr des Gewährsmannes weiterführen darf, wenn dieser die Übernahme ablehnt (Abs. 1), hilft der Klägerin nicht; denn nach Abs. 2 der Bestimmung kann der Dritte in den Prozess eintreten, ohne dass dadurch sein Recht, die Gewährleistungspflicht zu bestreiten, beeinträchtigt wird. Unter diesen Umständen lässt sich das Verhalten des Beklagten, der am ersten Prozess nicht teilgenommen und im zweiten die
BGE 100 II 24 S. 30
Gewährleistung abgelehnt hat, nicht als Verstoss gegen das Gebot des
Art. 2 ZGB
werten. Um den Auflagen des
Art. 194 Abs. 1 OR
gerecht zu werden, hätte die Klägerin zur Zeit, als sie sich wegen der neuen Prozesslage zu Verhandlungen bewegen liess, dem Beklagten von ihrer Vergleichsbereitschaft Kenntnis geben und ihm die Gelegenheit zur Übernahme des Prozesses (nochmals) einräumen müssen. Das hat sie nicht getan, weshalb sie auch aus dieser Bestimmung keine Wirkung des Vergleiches gegen den Beklagten ableiten kann.
2.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Das heisst indes nicht, die Klage sei ohne weiteres abzuweisen. Der Klägerin bleibt gemäss
Art. 194 Abs. 2 OR
der Nachweis offen, dass sie zur vergleichsweisen Anerkennung des Drittrechtes verpflichtet war (vgl. BECKER, N. 2 zu
Art. 194 OR
mit Verweisungen; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 1, 3 und 4 zu Art. 194 sowie N. 1 zu
Art. 193 OR
; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 330). Das Kantonsgericht hat hierüber, wenn und soweit dafür die prozessualen Voraussetzungen gegeben sind, materiell zu befinden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Kantonsgerichtes Wallis vom 13. März 1973 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d74f7876-24cc-467c-8ae6-56d6529f3379 | Urteilskopf
108 Ib 408
70. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 3 novembre 1982 dans la cause Bufano, époux Martinez et époux Sanchez Reisse c. Ministère public fédéral et Département fédéral de justice et police (opposition à une demande d'extradition) | Regeste
Auslieferung. Politisches Delikt. Allegemeine Grundsätze des Völkerrechts.
1. Begriff des relativ politischen Delikts (E. 7b).
2. Verweigerung der Auslieferung aufgrund allgemeiner Grundsätze des Völkerrechts (Präzisierung der Rechtsprechung) (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 408
BGE 108 Ib 408 S. 408
Carlos David Koldobsky, de nationalité uruguayenne, directeur d'un établissement bancaire à Buenos Aires, a été enlevé dans cette ville. Ses ravisseurs ont exigé pour sa libération une rançon de 1'500'000 dollars US.
Ruben Osvaldo Bufano et Luis Alberto Martinez, tous deux de nationalité argentine et domiciliés à Buenos Aires, ont été arrêtés à Genève, aux moment et lieu qu'ils avaient fixés pour le paiement de la rançon. Trois comparses, Amalia Maria Covas, épouse de Martinez, et les époux Leandro Angel Sanchez Reisse et Mariana Bosch de Sanchez Reisse, également citoyens argentins, domiciliés à Fort Lauderdale, en Floride (USA), ont été appréhendés à Lausanne.
L'Ambassade de la République argentine à Berne a demandé l'extradition des cinq personnes en cause. Par la suite, elle a
BGE 108 Ib 408 S. 409
présenté une deuxième demande d'extradition de ces mêmes personnes, en raison de l'enlèvement, perpétré à Buenos Aires, d'un financier argentin, Fernando Alberto Combal.
Bufano, les époux Martinez et les époux Sanchez Reisse se sont opposés à leur extradition à l'Argentine.
Le Tribunal fédéral a admis l'opposition.
Erwägungen
Extrait des considérants:
7.
Les opposants soulèvent plusieurs objections relatives au fonctionnement des institutions et à la situation politique de l'Etat requérant. Ils allèguent que les tribunaux pénaux argentins doivent être qualifiés de juridictions d'exception au sens de l'art. VI de la Convention d'extradition des criminels entre la Suisse et la République argentine du 21 novembre 1906 (ci-après, le Traité) et que l'ordre public interne suisse fait obstacle à leur extradition. L'enlèvement auquel ils ont participé devrait en outre être qualifié de délit politique relatif au sens de l'art. III ch. 2 du Traité.
a) Le grief tiré du caractère exceptionnel des juridictions argentines ne saurait être retenu vu la définition jurisprudentielle des tribunaux d'exception, qui sont essentiellement des tribunaux, constitués souvent "post factum", disposant du pouvoir d'infliger des peines supérieures à celles du droit pénal commun de l'Etat considéré (
ATF 99 Ia 547
consid. 1b;
ATF 78 I 135
/136 consid. 1a). En l'espèce, les opposants ne prétendent pas qu'ils seraient jugés par de tels tribunaux s'ils étaient extradés à l'Argentine.
Quant à l'objection tirée de l'ordre public interne suisse, elle n'est pas admissible, puisque celui-ci n'a pas été réservé par le Traité (
ATF 100 Ia 414
/415).
b) Le Traité ne la définissant pas, c'est la notion de délit politique telle qu'elle découle du droit suisse, et en particulier de l'art. 10 de la Loi fédérale du 22 janvier 1892 sur l'extradition aux Etats étrangers (LExtr.), que les autorités suisses doivent appliquer lorsqu'elles sont saisies d'une demande d'extradition (
ATF 106 Ib 297
). Il y a délit politique relatif si, en raison des circonstances, notamment des mobiles et des buts de l'auteur, les actes commis présentent un caractère politique prépondérant (
ATF 101 Ia 64
, 426, 605). Ces actes doivent avoir été commis dans le cadre d'une lutte pour ou contre le pouvoir, ou tendant à soustraire des personnes à un pouvoir excluant toute opposition; ils doivent être en rapport étroit et direct, clair et net, avec le but politique visé. Il faut également que le mal causé soit proportionné aux résultats
BGE 108 Ib 408 S. 410
recherchés, que les intérêts en cause soient suffisamment importants, sinon pour justifier du moins pour excuser légalement l'atteinte que l'auteur a portée à certains biens juridiques (
ATF 106 Ib 301
;
ATF 95 I 469
). Le Tribunal fédéral examine librement si une infraction revêt le caractère d'un délit politique et, notamment, si les circonstances invoquées à l'appui de l'opposition peuvent être considérées comme établies (
ATF 106 Ib 302
;
ATF 90 I 299
ss). Bufano, membre des services secrets de l'armée argentine, et Martinez, ancien fonctionnaire de la police fédérale argentine, affirment avoir participé à l'enlèvement du banquier Koldobsky sur l'ordre des supérieurs hiérarchiques du premier, et que la demande d'extradition dans l'affaire Combal serait une manoeuvre des autorités argentines pour obtenir plus facilement leur extradition dans l'affaire Koldobsky. Les liens entretenus par les opposants avec les services spéciaux de leur pays et les méthodes que peuvent appliquer de telles organisations dans des Etats à régime autoritaire ne permettent pas de considérer d'emblée cette version comme absolument invraisemblable, même si elle paraît à première vue étonnante. La qualité des auteurs et celle de leurs éventuels commanditaires ne suffisent cependant pas à conférer au délit qui leur est reproché un caractère politique prépondérant. Le but de l'infraction n'a en outre à l'évidence rien de politique. Il s'agit de l'enlèvement, en vue d'extorsion, d'une personne privée dont nul ne prétend qu'elle ait été de près ou de loin mêlée aux luttes pour le pouvoir qui se dérouleraient au sein des milieux dirigeants de l'Etat requérant. Il est dès lors exclu de reconnaître aux infractions qui font l'objet de la demande le caractère de délits politiques relatifs.
8.
Les opposants soutiennent que leur extradition serait contraire à l'art. 3 ch. 2 de la Convention européenne d'extradition (CEExtr.), entrée en vigueur pour la Suisse le 20 mars 1967, mais à laquelle l'Argentine n'est pas partie. Ils invoquent également l'art. 3 de la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales (CEDH), entrée en vigueur pour la Suisse le 28 novembre 1974.
a) Lorsque la demande d'extradition émane d'un Etat avec lequel la Suisse n'est liée par aucun traité, le Tribunal fédéral a considéré que, le principe exprimé à l'
art. 3 ch. 2 CEExtr
. étant conforme à l'ordre juridique national, il devait être respecté dans l'administration de la justice. Il a jugé dès lors qu'il fallait interpréter l'
art. 10 LExtr
. dans le sens que l'extradition doit être refusée lorsque la situation de l'opposant risque d'être aggravée
BGE 108 Ib 408 S. 411
pour des considérations de race, de religion, de nationalité ou d'opinions politiques (arrêt Losembe,
ATF 99 Ia 555
ss, consid. 4d, e). Dans l'arrêt Lynas, où il s'agissait d'une demande d'extradition présentée par un Etat avec lequel la Suisse est liée par un traité bilatéral qui ne contient pas de disposition semblable à celle de l'
art. 3 ch. 2 CEExtr
., le Tribunal fédéral a jugé que ce traité l'emportait sur le principe exprimé à l'
art. 3 ch. 2 CEExtr
., lequel devait être considéré comme une disposition du droit interne, et que, partant, l'extradition ne pouvait être refusée de ce chef (
ATF 101 Ia 539
ss, consid. 7a). Dans le même arrêt (p. 541, consid. 7b), il a toutefois posé la question, sans la résoudre, de savoir si, le cas échéant, l'extradition ne devrait pas être refusée en application d'une règle impérative du droit international. Enfin, dans le récent arrêt Jaroudi (
ATF 106 Ib 297
ss), le Tribunal fédéral a constaté que le traité avec la France ne définit pas la notion de délit politique et s'en remet, sur ce point, au droit national de la partie requise, en l'occurrence l'
art. 10 LExtr
. Il a considéré, sans mentionner l'arrêt Lynas, que l'arrêt Losembe avait étendu la portée de cette disposition et que, désormais, la notion de délit politique comprend également l'hypothèse prévue à l'
art. 3 ch. 2 CEExtr
.
Il convient de s'en tenir à cette dernière jurisprudence, qui ne viole nullement le traité bilatéral conclu avec l'Argentine, puisque celui-ci ne définit pas non plus la notion de délit politique. Cette jurisprudence revient à reconnaître à une disposition de la Convention européenne d'extradition, le caractère d'un principe général du droit des gens. Le refus d'extrader pour des délits politiques purs ou relatifs est fondé sur l'idée généralement admise, non pas que ces actes ne sont pas punissables en soi, mais que leur auteur ne doit pas courir le risque d'être jugé dans un procès faussé pour des motifs d'ordre politique. Un tel refus se justifie pour des raisons identiques lorsque, dans un cas concret, la demande d'extradition est motivée par des délits de droit commun, mais que la situation de l'individu réclamé risque d'être aggravée, notamment pour des raisons politiques. Cette solution s'impose d'autant plus que, dans une recommandation du 27 juin 1980 (R 80/9), le Comité des Ministres du Conseil de l'Europe a prié les gouvernements des Etats membres de refuser l'extradition pour les motifs exprimés à l'
art. 3 ch. 2 CEExtr
. également lorsque la demande émane d'un Etat non partie à la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales.
BGE 108 Ib 408 S. 412
Quant à l'
art. 3 CEDH
, qui prohibe la torture et les peines ou traitements inhumains ou dégradants, il s'applique à toute personne qui relève de la juridiction suisse, quels que soient sa nationalité ou son domicile. Il exprime lui aussi un principe général du droit des gens dont il convient de tenir compte dans l'examen d'une demande d'extradition: la question laissée ouverte dans l'arrêt Lynas déjà cité (
ATF 101 Ia 541
consid. 7b) peut ainsi être résolue par l'affirmative.
b) aa) Il est constant que l'état de siège proclamé en République d'Argentine le 6 novembre 1974 a eu pour effet la suspension des droits constitutionnels des citoyens. Cette mesure, définie à l'art. 23 de la Constitution argentine, comporte la faculté de placer des personnes en détention pour être mises à la disposition du pouvoir exécutif.
Divers organismes internationaux publics ou privés ont, dans des documents précis qui figurent au dossier, dénoncé les effets qu'aurait, sur la sécurité des citoyens, cette prééminence du pouvoir exécutif. Ces documents n'ont pas, dans l'ensemble, à être suspectés de partialité, en raison de leur concordance et de la qualité de leurs auteurs. Les changements de personnes intervenus récemment à la tête de l'Etat requérant n'ont pas été, jusqu'à ce jour, accompagnés de la levée de la loi martiale, ni d'une réforme sensible des structures institutionnelles.
bb) Une situation politico-juridique particulière ne saurait naturellement avoir pour conséquence que la Suisse refuse d'une manière générale toute extradition vers un Etat déterminé, sans tenir compte de ses engagements internationaux envers lui. Un tel refus n'interviendra que si l'on peut craindre objectivement, dans un contexte précis, que les extradés soient directement et personnellement exposés au risque que les principes généraux du droit des gens mentionnés au consid. 8a soient violés.
cc) L'un des opposants, Martinez, a appartenu à la Police fédérale argentine. Il aurait été démis de ses fonctions pour s'être permis de critiquer les méthodes appliquées par les organismes de répression. Bufano, quant à lui, a toujours été au service de l'armée argentine. Tous deux prétendent avoir agi sur ordre des supérieurs du second. Ils se fondent sur la lutte qui opposerait certaines fractions parallèles de l'armée afin d'obtenir le pouvoir, pour expliquer que ceux qui les auraient mandatés ne seraient pas les mêmes que ceux qui réclament leur extradition. Ils prétendent être en possession de nombreux renseignements confidentiels d'ordre
BGE 108 Ib 408 S. 413
général sur l'organisation de la répression en Argentine, affirmation vraisemblable vu leurs antécédents professionnels. Tous deux ont porté des accusations graves et précises auprès de la Fédération internationale des droits de l'homme, contre des personnalités importantes du pouvoir en place à Buenos Aires. Si, en principe, cet élément doit être considéré avec une extrême réserve, afin d'éviter que les opposants à une extradition ne construisent au cours de leur détention provisoire un système d'objection a posteriori, on ne saurait cependant faire abstraction ici de l'opinion émise par la représentation permanente de la Fédération internationale des droits de l'homme auprès des Nations Unies selon laquelle un retour de Bufano et Martinez en Argentine "constituerait un risque certain pour leur vie". Or, l'objectivité de la Fédération internationale des droits de l'homme n'a pas à être mise en doute. Il s'agit, en effet, d'un organisme accrédité auprès du Conseil de l'Europe et appartenant au type d'organisations non gouvernementales auprès desquelles le Département fédéral des affaires étrangères s'informe périodiquement sur les situations dans lesquelles les droits de l'homme sont violés (FF 1982, p. 765). Quant aux autres opposants, il faut admettre que l'appréciation de la Fédération internationale des droits de l'homme, concernant Bufano et Martinez, vaut également pour l'ensemble des personnes réclamées, si l'on prend en considération l'interdépendance de leur activité délictueuse et leurs relations personnelles.
L'ensemble de ces circonstances donne au Tribunal fédéral des raisons sérieuses de craindre que le traitement qui pourrait être appliqué aux opposants par l'Etat requérant, soit avant le jugement, soit au cours de l'exécution de la peine, serait contraire aux normes relatives au respect des droits de l'homme. Les principes généraux du droit des gens mentionnés au consid. 8a font ainsi obstacle à l'autorisation d'extrader. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d7515f66-d367-45b6-ac62-f2f429a771fe | Urteilskopf
134 III 224
39. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause Banque X. SA contre Commune Y. (recours en matière civile)
4A_317/2007 du 9 janvier 2008 | Regeste a
Internationales Privatrecht.
Übergangsrecht zum IPRG. Anknüpfung des Aussenverhältnisses bei der Stellvertretung (E. 3).
Regeste b
Beweislast (
Art. 8 ZGB
).
In einem der Verhandlungsmaxime unterliegenden Verfahren kann der für sechsmonatige Anlagen in ECU geltende LIBOR-Zinssatz nicht als notorische Tatsache betrachtet werden (E. 5).
Regeste c
Bestimmung der vertraglichen Zinsen beim Darlehen (
Art. 73 Abs. 1 und
Art. 314 Abs. 1 OR
).
Haben die Vertragsparteien den für das Darlehen anwendbaren Zinssatz bestimmt, ist der vereinbarte Zinssatz anzuwenden und nicht der gesetzliche Zinssatz von 5 % pro Jahr, der sich aus der subsidiären Bestimmung von
Art. 73 Abs. 1 OR
ergibt. Der Kläger hat die Tatsachen zu beweisen, die eine Berechnung des vertraglichen Zinses im relevanten Zeitpunkt erlauben (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 134 III 224 S. 225
A.
A.a
Au début 1988, la société en formation A. (ci-après: la société A.) a projeté de construire sur des parcelles dont elle était propriétaire dans la Commune Y. (ci-après: la commune), sise en Bretagne (France), un hôtel avec restaurant pour un coût estimé à 16 millions de francs français (FF). La société A. a souhaité que la commune garantît l'emprunt bancaire destiné au financement du projet.
Dans cette optique, le maire a expliqué le 29 janvier 1988 au conseil municipal de la commune que la garantie de celle-ci était sollicitée pour couvrir le 80 % d'un emprunt de 16 millions de FF, que la garantie accordée deviendrait définitive dès la constitution de la société A. et qu'en contrepartie la commune obtiendrait une hypothèque en premier rang. Après délibération, le conseil municipal a décidé d'accorder sa garantie à la société A. pour le remboursement en capital, intérêts et accessoires du 80 % de l'emprunt en ECU, d'une durée de 15 ans et au taux du marché, d'un montant équivalent à 16 millions de FF, que cette dernière allait solliciter auprès de la banque W. à Paris.
Le 1
er
septembre 1988, une convention a ainsi été signée entre la société A. désignée comme l'"Emprunteur", la commune, représentée par son maire B., en tant que "Garant", et C. SA, société financière de droit suisse domiciliée à Genève, dénommée le "Prêteur". Aux termes de cette convention, C. SA s'engageait à prêter à la société A. un total de 2'287'000 ECU, dont 1'830'000 ECU étaient garantis par la commune. Le contrat était conclu pour une durée de 8 ans, prolongeable de 7 ans, sauf dénonciation émanant de l'une des parties contractantes. Il était stipulé que le taux d'intérêt serait fixé par le Prêteur, pour des périodes consécutives de six mois renouvelables, selon le taux LIBOR applicable aux dépôts en ECU à six mois, majoré de 1 %. Le remboursement du prêt était garanti
BGE 134 III 224 S. 226
irrévocablement par la commune en vertu de la délibération du conseil municipal du 29 janvier 1988. La convention était soumise au droit suisse, une élection de for étant encore prévue en faveur des tribunaux genevois.
Le même jour, le maire de la commune a également signé au nom de celle-ci un acte par lequel elle garantissait irrévocablement, à concurrence de 1'830'000 ECU, l'emprunt contracté par la société A., à charge de celle-ci d'inscrire une hypothèque de premier rang au profit de la commune. Selon cet acte, en cas de défaut de paiement de l'emprunteur aux échéances convenues, le garant devait s'acquitter à la première réquisition du prêteur suivant une mise en demeure; le garant donnait son accord à ce que l'emprunteur reçoive les fonds empruntés sur un compte ouvert auprès de la perception de la commune, les situations de paiement devant être visées par un représentant de cette dernière; la garantie était cessible, mais conjointement avec le contrat de prêt.
En vertu de la loi française applicable au contrôle administratif des actes des autorités communales, le contrat de prêt et la déclaration de garantie ont été transmis à la sous-préfecture de M., qui les a reçus le 1
er
septembre 1988.
C. SA n'était qu'un intermédiaire, dont la tâche consistait à mettre en place l'opération financière. Le 20 septembre 1988, C. SA a cédé à la Banque X. SA (ci-après: X.), société sise à Luxembourg, les droits et les obligations découlant du prêt garanti à concurrence de 1'830'000 ECU, ce dont la mairie de la commune a été informée par courrier du 6 octobre 1988.
X. a remis les fonds, par 1'830'000 ECU, à la société A., laquelle a été immatriculée au registre du commerce de la ville française N. le 12 octobre 1988. Le solde des fonds dont le prêt était prévu par la convention tripartite du 1
er
septembre 1988 n'a pas été versé à la société précitée.
A.b
L'hôtel projeté a été construit à l'aide des fonds prêtés.
Le prêt octroyé à la société A. a été inscrit dans les comptes administratifs de la commune de 1989 à 1995 sous la section "Emprunts garantis". Il a été retenu que les comptes mentionnaient la somme en capital garantie, par 1'830'000 ECU, le taux d'intérêt ainsi que le montant des amortissements et des intérêts dus par exercice.
A.c
La société A. a été mise en redressement judiciaire le 10 janvier 1991, puis en liquidation judiciaire le 17 octobre 1991.
BGE 134 III 224 S. 227
Le 28 mai 1991, X. a produit devant le représentant des créanciers de la société A. une créance de 13'254'423 FF 52, correspondant à la contre-valeur de 1'830'000 ECU plus les intérêts. Cette créance a été admise par le Juge-Commissaire de la liquidation judiciaire. En raison de l'insuffisance des actifs, X. n'a toutefois pas été désintéressée.
Le 5 juillet 2001, le liquidateur judiciaire a fait parvenir à la commune, en tant que titulaire d'une inscription hypothécaire, un chèque de 4'900'000 FF à titre d'acompte sur le solde du produit de réalisation des immeubles de la société A., après déduction des créances privilégiées.
A.d
Par courrier du 16 octobre 1991, X. a fait appel à la garantie et a mis en demeure la commune de lui payer 2'051'782 ECU 66. Par courrier du 4 novembre 1991, son maire B. a contesté que la commune ait été liée par la garantie, au motif que l'acte signé divergeait de la délibération du conseil municipal. Il a fait valoir que la délibération du conseil municipal prévoyait un prêt de 16'000'000 FF d'une durée de quinze ans octroyé par la banque française W., alors que la convention du 1
er
septembre 1988 se rapportait à un prêt de 2'287'000 ECU consenti par une société suisse pour une durée de huit ans.
B.
B.a
Le 10 juillet 1992, X. a ouvert action contre la commune devant le Tribunal de première instance de Genève. Dans ses dernières conclusions, elle a requis paiement de 4'160'827 fr. 53, soit la contre-valeur de 2'250'799 ECU 27 au cours de 1,8486, avec intérêts au taux LIBOR pour des dépôts en ECU/EURO d'une durée de six mois, majoré de 1 %, à compter du 1
er
juillet 1992. La banque a fondé son action sur les deux actes signés le 1
er
septembre 1988 par le maire de la commune.
La commune défenderesse a conclu à sa libération. Se prévalant de normes du droit administratif français régissant les communes, elle a soutenu qu'elle n'était pas liée par l'acte de garantie signé par le maire le 1
er
septembre 1988 dans la mesure où son contenu divergeait notablement de la délibération qui s'est déroulée le 29 janvier 1988 au sein du conseil municipal.
En cours d'instance, des autorités françaises ont examiné les effets juridiques déployés par ladite garantie.
BGE 134 III 224 S. 228
Ainsi, par jugement du 5 juillet 1995, le Tribunal administratif de Rennes a retenu que le maire de la commune, en signant la convention de prêt et l'acte de garantie du 1
er
septembre 1988, s'était écarté des conditions qu'avait fixées le conseil municipal et avait méconnu les dispositions de l'art. L. 122-19 du code des Communes, selon lequel le maire est chargé d'exécuter les décisions du conseil municipal.
Par arrêt du 20 octobre 2000, le Conseil d'Etat a confirmé le jugement précité.
B.b
Par jugement du 14 décembre 2006, le Tribunal de première instance a débouté la demanderesse de toutes ses conclusions. Se basant sur les décisions du Tribunal administratif de Rennes et du Conseil d'Etat, il a considéré que le maire de la commune avait outrepassé la délibération du conseil municipal en signant la convention de prêt et l'acte de garantie du 1
er
septembre 1988, de sorte que la représentée (i.e. la commune) n'était pas obligée par les obligations contractées par son représentant (i.e. son maire). Appliquant le droit français et, singulièrement, la notion de mandat apparent développée par la jurisprudence des tribunaux français, il a retenu que C. SA était en mesure de se rendre compte que le maire avait excédé ses pouvoirs. En outre, la défenderesse n'avait pas ratifié par actes concluants les actes juridiques susmentionnés. Le tribunal a déduit de ces considérations que la commune n'était pas engagée par la déclaration de garantie.
B.c
X. a déposé un appel contre ce jugement devant la Chambre civile de la Cour de justice du canton de Genève en reprenant ses conclusions de première instance.
Par arrêt du 22 juin 2007, cette autorité a annulé le jugement du 14 décembre 2006, puis, statuant à nouveau, prononcé que la défenderesse devait payer à la demanderesse la somme de 3'382'938 fr. Appliquant le droit français, la cour cantonale a considéré que la défenderesse était engagée envers le cessionnaire de C. SA selon les termes des actes du 1
er
septembre 1988, cela en vertu de la théorie du mandat apparent. La cour cantonale s'est ensuite penchée sur le montant de la prétention réclamée par la demanderesse. Elle a observé qu'il était admis que la société A. avait reçu en prêt 1'830'000 ECU et qu'elle n'avait pas remboursé la somme prêtée. Il était également reconnu que la demanderesse avait mis en demeure la commune de lui verser le montant que celle-ci avait
BGE 134 III 224 S. 229
garanti. Pourtant, le montant réclamé en justice par X., soit 2'250'799 ECU 27, incluait en plus du capital, selon son propre décompte, des intérêts calculés à compter du 28 septembre 1990, intérêts dont les parties contractantes étaient convenues que le taux correspondrait au LIBOR pour les dépôts en ECU à six mois majoré de 1 %, modifiable semestriellement. Dès l'instant où il fallait retenir que le taux LIBOR depuis 1990 ne constituait pas un fait notoire en procédure civile genevoise, il incombait à la demanderesse, en vertu des normes de la procédure de ce canton, d'établir le taux en question par semestre et de le justifier par pièces. X. avait échoué dans cette entreprise.
C.
X. exerce un recours en matière civile contre l'arrêt cantonal.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure de sa recevabilité.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
La présente cause comporte des aspects internationaux manifestes puisque la demanderesse a son siège au Luxembourg alors que la défenderesse est une commune du département français de Z. Il faut donc contrôler d'office la question du droit applicable au litige, cela sur la base de la loi du for (
ATF 133 III 37
consid. 2,
ATF 133 III 323
consid. 2.1;
ATF 132 III 609
consid. 4).
3.2
3.2.1
La querelle est circonscrite au point de savoir si et pour quels montants la défenderesse est engagée envers la demanderesse, qui a prêté des fonds à une société tierce désormais faillie, par le contrat de prêt revêtu de la signature du maire de la commune en tant que garant le 1
er
septembre 1988 et par la déclaration de garantie irrévocable que ce dernier a signée le même jour. Le point de savoir si la commune est liée en raison des actes juridiques précités accomplis par son maire a trait à l'effet externe de la représentation, comme l'a bien vu la cour cantonale.
Le contrat de prêt et l'acte de garantie susmentionnés ont été passés avant le 1
er
janvier 1989, date de l'entrée en vigueur de la loi fédérale du 18 décembre 1987 sur le droit international privé (LDIP; RS 291). Il faut conséquemment d'abord examiner le droit transitoire de la LDIP.
Le présent procès a été ouvert le 10 juillet 1992 devant le Tribunal de première instance. Comme il n'y avait pas d'instance pendante
BGE 134 III 224 S. 230
entre les parties le 1
er
janvier 1989, l'
art. 198 LDIP
ne trouve pas application et l'applicabilité éventuelle de la LDIP se détermine exclusivement au regard de l'
art. 196 LDIP
(THOMAS GEISER/MONIQUE JAMETTI GREINER, Commentaire bâlois, n. 19 ad
art. 198 LDIP
).
L'
art. 196 al. 1 LDIP
dispose que les faits ou actes juridiques qui ont pris naissance et produit tous leurs effets avant l'entrée en vigueur de cette loi sont régis par l'ancien droit. D'après l'
art. 196 al. 2 LDIP
, les faits ou actes juridiques qui ont pris naissance avant l'entrée en vigueur de la LDIP, mais qui continuent de produire des effets juridiques, sont régis par l'ancien droit pour la période antérieure à cette date; ils le sont, quant à leurs effets, par le nouveau droit pour la période postérieure (al. 2).
Le premier alinéa de cette norme a trait aux événements qui sont survenus sous l'ancien droit et ont déployé tous leurs effets juridiques avant l'entrée en vigueur de la LDIP. Pour de telles situations, cet alinéa instaure le principe de non-rétroactivité qui est contenu à l'
art. 1 al. 1 Tit. fin. CC
, ce qui signifie qu'elles relèvent par principe de l'ancienne loi (GEISER/JAMETTI GREINER, op. cit., n. 7 ad
art. 196 LDIP
).
Le second alinéa de la même disposition concerne des faits qui se sont produits sous l'ancien droit, mais dont les effets juridiques perdurent sous le nouveau droit. Dans de pareils cas, les effets juridiques révolus lors de l'entrée en vigueur de la LDIP sont soumis à l'ancien droit, alors que les effets qui continuent après ce terme sont gouvernés par la nouvelle loi (FRANÇOIS KNOEPFLER/PHILIPPE SCHWEIZER/SIMON OTHENIN-GIRARD, Droit international privé suisse, 3
e
éd., ch. 204a, p. 110).
En l'espèce, il y a un conflit dans le temps puisque la convention de prêt et la déclaration de garantie ont été signées sous l'ancien droit, mais que la condition de la garantie est venue à chef sous l'empire de la LDIP, soit le 16 octobre 1991 lorsque la demanderesse a fait appel à la garantie.
Mais, d'après la jurisprudence, il n'est nul besoin de se focaliser sur l'
art. 196 al. 2 LDIP
, qui présente des difficultés d'application certaines en matière contractuelle, lorsque tant les anciennes que les nouvelles règles de conflit renvoient au même ordre juridique (
ATF 118 II 348
consid. 2c in fine). On se trouve précisément dans cette situation.
BGE 134 III 224 S. 231
3.2.2
En vertu de l'
art. 126 al. 2 LDIP
, les conditions auxquelles les actes du représentant lient le représenté sont régies par le droit de l'Etat de l'établissement du représentant, ou si un tel établissement fait défaut, par le droit de l'Etat dans lequel le représentant déploie son activité prépondérante dans le cas d'espèce. L'
art. 20 al. 1 let
. c LDIP prévoit qu'une personne physique a son établissement dans l'Etat dans lequel se trouve le centre de ses activités professionnelles ou commerciales. Le centre des activités professionnelles d'un maire se trouve à la mairie. L'établissement du représentant se trouvant in casu à la mairie de la commune bretonne Y., c'est le droit français qui est applicable pour les rapports externes de représentation.
Sous le régime de la LRDC, il était de jurisprudence que les effets externes de la représentation étaient régis par la loi du pays dans lequel le représentant a exercé son pouvoir (
ATF 100 II 200
consid. 4; cf. aussi
ATF 131 III 511
consid. 2.2 p. 517). Comme le maire de la commune a signé le contrat de prêt et émis la déclaration de garantie pour celle-ci en France, le rattachement était également opéré en faveur du droit français.
(...)
5.
La demanderesse soutient que la Cour de justice aurait dû retenir qu'elle avait établi le taux LIBOR. Elle expose qu'elle n'a certes pas invoqué dans ses conclusions que le taux LIBOR avait une quotité précise à une période déterminée, mais qu'elle a produit un graphique afférent à ce taux. De toute manière, la quotité du taux LIBOR n'avait pas à être prouvée puisqu'il s'agissait d'un fait notoire. Elle en conclut qu'en ayant refusé de lui allouer tout intérêt sur la somme octroyée, l'autorité cantonale a enfreint l'
art. 8 CC
et appliqué arbitrairement les art. 186 et 196 de la loi de procédure civile genevoise du 10 avril 1987 (LPC/GE).
Ces critiques sont toutes dirigées contre la motivation principale par laquelle l'autorité cantonale a refusé d'assortir d'intérêts le montant en capital que la défenderesse a été condamnée à verser à la demanderesse, pour la raison que celle-ci n'avait pas prouvé les différents taux d'intérêts qui devaient être pris en considération.
5.1
L'
art. 8 CC
, en tant que norme de droit privé fédéral, ne s'applique qu'aux rapports juridiques qui relèvent de ce droit (
ATF 124 III 134
consid. 2b/bb p. 143 et l'arrêt cité). Il y a ainsi lieu tout d'abord de contrôler si le montant de la créance que la
BGE 134 III 224 S. 232
demanderesse peut faire valoir contre la commune relève de l'application du droit suisse.
La commune défenderesse n'a pas recouru au Tribunal fédéral contre l'arrêt du 22 juin 2007. Il est donc désormais acquis au débat que la commune est engagée par le contrat de prêt assorti de la déclaration de garantie signés par son maire le 1
er
septembre 1988. Cette problématique, qui concernait les effets externes de la représentation, ressortissait, comme on l'a vu, au droit français.
Il suit de là que la défenderesse, en tant que représentée, est partie audit contrat de prêt signé par son maire, laquelle convention est soumise au droit suisse, en raison de l'élection de droit que les parties contractantes y ont faites. Partant, déterminer le montant de la créance que la demanderesse, cessionnaire des droits découlant du prêt, peut invoquer contre le garant du remboursement de la somme empruntée, est une question relevant du régime du contrat de prêt de consommation, que les cocontractants ont choisi de soumettre au droit suisse.
A supposer que l'on veuille faire de l'acte de garantie un contrat distinct, il faut relever que cet acte se réfère, pour le montant garanti irrévocablement, à celui qui est indiqué dans la convention de prêt au même titre, soit 1'830'000 ECU. On doit en déduire que c'est bien le contrat de prêt, régi par le droit suisse à la suite d'une élection de droit, qui définit le capital et les intérêts qui sont dus au cessionnaire du prêteur.
Le quantum de la créance de la demanderesse se détermine ainsi d'après les règles du droit suisse.
5.2
A teneur de l'
art. 8 CC
, chaque partie doit, si la loi ne prescrit le contraire, prouver les faits qu'elle allègue pour en déduire son droit. Ce principe fondamental de la répartition du fardeau de la preuve est énoncé de la même manière à l'
art. 186 LPC
/GE. Quant à l'
art. 196 LPC
/GE, il consacre le principe de la libre appréciation des preuves par le juge.
Le LIBOR ou London Interbank Offerd Rate est le taux de référence du marché monétaire de différentes devises, qui est publié chaque jour ouvrable à Londres par British Bankers Association. Il correspond à la moyenne arithmétique des taux offerts par plusieurs banques d'affaires internationales de la place de Londres à d'autres banques d'affaires pour des prêts dans une devise considérée à une échéance donnée (cf. p. ex. ROLF BEIKE/JOHANNES SCHLÜTZ,
BGE 134 III 224 S. 233
Finanznachrichten, lesen-verstehen-nutzen, 2
e
éd., Stuttgart 1999, p. 254).
La détermination du taux LIBOR qui est applicable à des dépôts en devises à des époques déterminées relève du fait, du moment que le taux en question n'est pas fixé par une règle de droit.
La procédure civile ordinaire genevoise est soumise - comme c'est le cas dans tous les cantons - à la maxime des débats (cf. FABIENNE HOHL, Procédure civile, tome I, ch. 751, p. 146). Dans cette maxime, il incombe aux parties de réunir les éléments du procès. Toutefois, les faits notoires n'ont pas à être prouvés. Par faits notoires, il faut entendre, selon le droit de procédure genevois, ceux qui peuvent être connus de tous et contrôlés par des moyens accessibles à chacun (BERNARD BERTOSSA/LOUIS GAILLARD/JACQUES GUYET/ANDRÉ SCHMIDT, Commentaire de la loi de procédure civile genevoise, n. 3 ad
art. 186 LPC
/GE).
In casu, il faut constater que le taux LIBOR pour un dépôt à six mois en ECU (aujourd'hui en Euros) ne fait pas partie des données connues de tous. Cette information n'est pas non plus immédiatement accessible en consultant un document dont chacun dispose, comme le calendrier ou un dictionnaire courant. Que le taux ne soit pas secret et qu'il soit possible de l'obtenir en se renseignant ou en consultant un journal spécialisé ne suffit pas pour conclure qu'il est notoire.
Dans ce contexte, on ne voit pas que la cour cantonale ait enfreint l'
art. 8 CC
ou consacré une application insoutenable des
art. 186 et 196 LPC
/GE en admettant que le taux LIBOR n'était pas un fait notoire et qu'il appartenait à la demanderesse de l'établir pour en déduire son droit.
Le moyen est infondé.
(...)
7.
La recourante reproche à la cour cantonale de ne pas lui avoir accordé au moins des intérêts calculés au taux légal de 5 % sur la somme dont elle a été reconnue créancière. Elle y voit une violation des art. 73 al. 1 et 314 al. 1 CO.
7.1
D'après l'
art. 73 al. 1 CO
, celui qui doit des intérêts dont le taux n'est fixé ni par la convention, ni par la loi ou l'usage, les acquitte au taux annuel de 5 %. Quant à l'
art. 314 al. 1 CO
, qui concerne le prêt de consommation, il dispose que si le contrat n'a pas fixé le taux
BGE 134 III 224 S. 234
de l'intérêt, le prêt est censé fait au taux usuel pour les prêts de même nature, à l'époque et dans le lieu où l'objet du prêt a été délivré.
7.2
Dans le cas présent, il est constant que les parties sont convenues d'un taux d'intérêt qui devait être fixé, pour chaque semestre, selon le taux LIBOR applicable aux dépôts en ECU à six mois, majoré de 1 %. Dès lors que les parties contractantes ont déterminé le taux d'intérêt applicable au prêt, il faut appliquer le taux convenu et non le taux légal de 5 %. Ce taux ne peut entrer en ligne de compte, comme cela ressort du libellé des normes précitées, que si aucun taux n'a été convenu.
En cherchant à déterminer la somme due selon le taux d'intérêt convenu, la cour cantonale a constaté qu'elle n'était pas en mesure de faire ce calcul, parce que la recourante n'avait pas établi le taux LIBOR aux moments déterminants. A la différence du précédent jugé à l'
ATF 126 III 189
consid. 2c p. 192, on ne se trouve pas dans une situation où seul un taux supérieur à 5 % donne matière au litige. En l'espèce, on ne sait même pas si le taux conventionnel atteignait ou non 5 %. Or, la demanderesse ne saurait tirer un avantage du fait qu'elle n'a pas apporté les preuves qui lui incombaient. Dans une telle occurrence, où l'intérêt dû selon la convention des parties est totalement incertain, la cour cantonale n'a violé ni l'
art. 8 CC
, ni l'
art. 73 al. 1 CO
, en écartant les intérêts, dès lors que la demanderesse n'a pas fourni la preuve des faits permettant de les déterminer. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d753ae27-af98-40b9-8f1a-a1c69e029a6d | Urteilskopf
135 IV 56
9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_549/2008 vom 3. Februar 2009 | Regeste
Fahrlässige schwere Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 2 StGB
).
Fragen der Zurechnung des Erfolgs. Eine Person verletzte vorsätzlich einen Menschen durch Abgabe eines Schusses aus einer Pistole schwer. Die Pistole war ihr - nach vorgängiger Beschlagnahmung aufgrund eines früheren Vorfalls - von der zuständigen Polizeibehörde in Anwendung der Waffengesetzgebung zurückgegeben worden, nachdem der Beschuldigte nach einer Untersuchung bescheinigt hatte, dass die Person weder suizidgefährdet noch für Dritte gefährlich sei. Die Person führte im Zeitpunkt der Schussabgabe allerdings noch eine zweite schussbereite Pistole mit sich, welche sie unabhängig vom Verhalten des Beschuldigten ohnehin besass (E. 3-5).
Alternative Kausalität, hypothetische Ersatzursachen; nicht vorsätzliche Beteiligung an einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt (E. 3).
Sorgfaltspflichtverletzungen bei der Untersuchung der von einer Person ausgehenden Gefahren aus Waffenbesitz (E. 4).
Anforderungen an den Zusammenhang zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten und dem eingetretenen Erfolg (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 135 IV 56 S. 57
A.
A.a
Am 12. April 2001 richtete die im Jahr 1961 geborene A., die als Sportschützin Mitglied eines Schiessclubs war, in Baar eine der beiden Pistolen, die sie bei sich hatte, auf ihren damaligen Lebenspartner B. Dieser konnte ihr die Waffe nach Zureden abnehmen. Hierauf nahm A. auch noch die zweite Waffe zur Hand, welche B. ihr ebenfalls abnehmen konnte. Die beiden Schusswaffen, eine Pistole der Marke "Glock" und eine Sportpistole der Marke "Hämmerli", wurden am 12. April 2001 von der Zuger Polizei sichergestellt. Mit Verfügung der Zuger Polizei vom 15. Juli 2002 wurden die beiden sichergestellten Schusswaffen beschlagnahmt und als Bedingung für deren Rückgabe eine "Unbedenklichkeitserklärung" in Form eines ärztlichen Zeugnisses verlangt, welches A. "einen stabilen psychischen Zustand" attestiert.
BGE 135 IV 56 S. 58
Im Rahmen der zwischen A. und der Zuger Polizei geführten Korrespondenz betreffend die Rückgabe der Schusswaffen hielt der Kommandant der Zuger Polizei mit Schreiben vom 6. August 2002 an A. unter Hinweis auf die Bestimmungen der eidgenössischen Waffengesetzgebung fest, für die Rückgabe der Waffen sei im Sinne einer "Unbedenklichkeitserklärung" eine fachärztliche Bestätigung erforderlich, dass A. nicht suizidgefährdet sei und von ihr keine Gefahr für Dritte ausgehe.
Im Jahre 2003 ersuchte A. ihre Ärztin, bei der sie seit 1998, mit Unterbrüchen, wegen gesundheitlicher Probleme psychischer Art in Behandlung war, um Ausstellung einer "Unbedenklichkeitserklärung", was die Ärztin, eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, aber ablehnte. A. suchte eine andere Person, die zur Ausstellung der gewünschten "Unbedenklichkeitserklärung" bereit war, und gelangte an X.
A.b
X. führte in seiner Funktion als allgemein praktizierender Arzt und Psychoanalytiker am 6. November 2003 ein rund einstündiges Gespräch mit A. Am 13. November 2003 stellte er eine "Unbedenklichkeitserklärung" aus. Darin hielt er unter anderem fest, dass A., die er am 6. November 2003 ausführlich psychiatrisch untersucht habe, in stabilen Verhältnissen lebe, seit 15 Jahren an der gleichen Stelle arbeite und auch emotional ausgeglichen sei. Der Vorfall, der zum Einzug der beiden Pistolen geführt habe, müsse im Zusammenhang mit der damaligen enttäuschenden Beziehung gesehen werden. Es habe sich weder um einen ernsthaften Selbstmordversuch noch gar um eine ernstliche Bedrohung des damaligen Lebenspartners mit Erschiessen gehandelt. Der Vorfall habe vielmehr den Charakter einer hilflosen hysterischen Inszenierung gehabt. Aufgrund seiner Untersuchung sei er davon überzeugt, dass sich derartiges nicht wiederholen werde.
Gestützt auf diese "Unbedenklichkeitserklärung" vom 13. November 2003 gab die Zuger Polizei am 1. Dezember 2003 A. die beiden beschlagnahmten Pistolen wieder heraus.
A.c
Am 11. März 2004 suchte A. ihren ehemaligen Freund C. in dessen Haus auf, um mit ihm zu reden. Nach dem Gespräch wandte sie sich zum Weggehen. Als sie von C. auf ihre Tasche angesprochen wurde, zog sie daraus eine durchgeladene Faustfeuerwaffe, die sie mit dem Finger am Abzug aus nächster Nähe gegen die Brust von C. richtete. Dieser versuchte sofort, durch einen Schlag auf
BGE 135 IV 56 S. 59
den Arm die Waffe nach unten zu bewegen, worauf sich aus der von A. gehaltenen Pistole ein Schuss löste, welcher C. im Bauch traf. Der Geschädigte erlitt einen Bauchdurchschuss mit Durchdringen der Leber und der rechten Niere. Letztere musste zusammen mit einem Teil der Nebenniere operativ entfernt werden.
Bei der Tatwaffe handelte es sich um die Pistole der Marke "Glock", welche - neben der Sportpistole der Marke "Hämmerli" - von der Zuger Polizei beschlagnahmt und am 1. Dezember 2003 auf Grund der von X. ausgestellten "Unbedenklichkeitserklärung" A. wieder zurückgegeben worden war. Bei der Tat vom 11. März 2004 zum Nachteil von C. führte A. in ihrer Tasche allerdings noch eine weitere Pistole der Marke "Glock" mit sich. Diese Schusswaffe war zu keinem Zeitpunkt beschlagnahmt worden und bildete daher auch nicht Gegenstand der Verfügung der Zuger Polizei betreffend die Herausgabe von zwei Schusswaffen, die auf Grund der von X. ausgestellten "Unbedenklichkeitserklärung" erlassen wurde.
B.
B.a
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 4. April 2008 in Bestätigung des Urteils des Einzelrichters in Strafsachen am Bezirksgericht Zürich vom 10. Mai 2007 vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 2 StGB
) frei.
B.b
A. wurde wegen der Tat vom 11. März 2004 zum Nachteil von C. mit Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 1. Februar 2006 wegen vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 in Verbindung mit
Art. 22 Abs. 1 StGB
) und wegen Vergehens gegen das Waffengesetz unter Zubilligung einer mittelgradigen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, wobei der Vollzug dieser Strafe zu Gunsten einer stationären Massnahme im Sinne von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
aufgeschoben wurde.
C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 4. April 2008 in Sachen X. sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Vernehmlassung verzichtet. X. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
BGE 135 IV 56 S. 60
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Nach der Auffassung der Vorinstanz handelte der Beschwerdegegner durch die Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" zwar sorgfaltswidrig, doch war dieses sorgfaltswidrige Verhalten für den eingetretenen Erfolg, nämlich die schwere Körperverletzung von C. am 11. März 2004, nicht relevant, da A. am 11. März 2004 in ihrer Tasche noch eine weitere - geladene und schussbereite - Pistole mit sich führte, welche sie zum Nachteil von C. hätte einsetzen können. Diese weitere Schusswaffe sei aber nicht gestützt auf die vom Beschwerdegegner ausgestellte "Unbedenklichkeitserklärung" an A. zurückgegeben worden, sondern unabhängig davon im Besitz von A. gewesen, da sie zu keinem Zeitpunkt beschlagnahmt worden sei.
Im Einzelnen hat die Vorinstanz unter Hinweis auf das eingehend begründete erstinstanzliche Urteil erwogen, dass den Beschwerdegegner ein Übernahmeverschulden treffe, da er als Allgemeinarzt und Psychoanalytiker nicht über die erforderliche Ausbildung und Erfahrung zur Erstellung einer Prognose über das künftige Verhalten eines Menschen in Konfliktsituationen verfüge. Zudem seien dem Beschwerdegegner auch im Einzelnen mehrere Sorgfaltswidrigkeiten bei der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" anzulasten. Der Beschwerdegegner habe mit der ihm bis dahin unbekannten A. lediglich ein knapp einstündiges Gespräch über die persönlichen Verhältnisse geführt, deren Angaben nicht überprüft und keinerlei Tests vorgenommen etc. Daher könne entgegen der Darstellung in der "Unbedenklichkeitserklärung" vom 13. November 2003 auch keine Rede davon sein, dass er A. "ausführlich psychiatrisch untersucht" habe. Im Weiteren führt die Vorinstanz im Wesentlichen aus, dem Beschwerdegegner sei bewusst gewesen, dass die Zuger Polizei aller Voraussicht nach gestützt auf seine "Unbedenklichkeitserklärung" die beiden beschlagnahmten Schusswaffen A. zurückgeben werde. Er hätte bei pflichtgemässer Vorsicht voraussehen können, dass A. mit diesen Schusswaffen in einer Konfliktsituation sich selbst oder Dritte gefährden beziehungsweise verletzen könnte. Den Eintritt eines solchen Erfolgs unter Einsatz der herausgegebenen Schusswaffen hätte er durch Verweigerung der
BGE 135 IV 56 S. 61
pflichtwidrig zustande gekommenen "Unbedenklichkeitserklärung" verhindern können. Insoweit sei der Erfolg auch vermeidbar gewesen.
Nach der Auffassung der Vorinstanz hat der Beschwerdegegner gleichwohl den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung nicht erfüllt. Denn die sorgfaltswidrige Ausstellung einer "Unbedenklichkeitserklärung" sei unter den gegebenen konkreten Umständen für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht relevant gewesen. A. habe nämlich am 11. März 2004, als sie ihren ehemaligen Freund C. aufgesucht habe, neben der ihr von der Polizei auf Grund der "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners herausgegebenen Pistole der Marke "Glock", mit welcher sie C. schwer verletzt habe, in ihrer Tasche eine zweite Schusswaffe, ebenfalls eine Pistole der Marke "Glock", mitgeführt. Diese Schusswaffe sei aber nicht gestützt auf die vom Beschwerdegegner ausgestellte "Unbedenklichkeitserklärung" an A. herausgegeben worden, sondern habe A. unabhängig davon zur Verfügung gestanden, da sie gar nie beschlagnahmt worden sei. Dabei sei zu Gunsten des Beschwerdegegners davon auszugehen, dass auch diese zweite Pistole durchgeladen und schussbereit gewesen sei. A. habe bei ihrem Griff in die Tasche nicht darauf geachtet, welche der beiden mitgeführten, gleichartigen und schussbereiten Pistolen sie in die Hand bekomme, und sie habe somit gleichsam zufällig gerade diejenige Pistole in die Hand genommen, welche ihr gestützt auf die "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners von der Polizei zurückgegeben worden sei. A. hätte am 11. März 2004 ohne weiteres auch die andere Pistole aus ihrer Tasche nehmen und unter Einsatz dieser Schusswaffe, die ihr unabhängig vom Verhalten des Beschwerdegegners zur Verfügung gestanden habe, C. schwer verletzen können. Damit fehlt es gemäss den Schlussfolgerungen der Vorinstanz aber an der Erfolgsrelevanz der dem Beschwerdegegner angelasteten Sorgfaltspflichtverletzungen beziehungsweise am erforderlichen Risikozusammenhang zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschwerdegegners und dem eingetretenen Verletzungserfolg, weil ein sorgfaltsgemässes Verhalten nutzlos gewesen wäre, d.h. am wesentlichen Geschehensablauf und dessen Folgen nichts geändert hätte. Daher könne nicht gesagt werden, dass der tatbestandsmässige Erfolg bei sorgfaltsgemässem Verhalten des Beschwerdegegners im Sinne der "Wahrscheinlichkeitstheorie" mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Selbst wenn man aber
BGE 135 IV 56 S. 62
im Sinne der von einem Teil der Lehre bevorzugten "Risikoerhöhungstheorie" den tatbestandsmässigen Erfolg dem Täter bereits zurechnen wollte, wenn dieser durch sein sorgfaltswidriges Verhalten zweifelsfrei die Gefahr, die in den Erfolg umgeschlagen ist, erhöht hat, könnte gemäss den weiteren Ausführungen der Vorinstanz die schwere Körperverletzung von C. durch den von A. abgegebenen Schuss dem Beschwerdegegner nicht zugerechnet werden. Denn eine solche Risikoerhöhung sei im vorliegenden Fall eher unwahrscheinlich beziehungsweise jedenfalls zweifelhaft. Da A. nur einen Schuss abgegeben habe beziehungsweise habe abgeben können, sei die Gefahr für C. durch die blosse Tatsache, dass die Schützin zwei schussbereite Pistolen mit sich geführt habe, gegenüber der Gefahr, welche im Falle des Mitführens einer einzigen Pistole bestanden hätte, wohl kaum erhöht worden.
Aus diesen Gründen hat die Vorinstanz den Beschwerdegegner mangels Erfolgsrelevanz der ihm angelasteten Sorgfaltspflichtverletzungen in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freigesprochen.
1.2
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Umstand, dass A. am 11. März 2004 neben der ihr auf Grund der "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners zurückgegebenen Pistole der Marke "Glock" noch eine zweite Pistole derselben Marke mit sich geführt habe, mit welcher sie die Tat zum Nachteil von C. ebenfalls hätte begehen können, sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht von Bedeutung. Denn ein derartiger, ausschliesslich auf einer Ex-post-Betrachtung beruhender Aspekt sei nicht massgeblich. Entscheidend sei vielmehr, dass A. mit derjenigen Waffe auf den Geschädigten geschossen habe, welche ihr auf Grund des Verhaltens des Beschwerdegegners von der Polizei zurückerstattet worden sei. Dabei entspreche das Vorgehen des Beschwerdegegners bei der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" einer vorwerfbaren Pflichtwidrigkeit, welche unter anderem die Bejahung der Vermeidbarkeit des Erfolgs beinhalte, die jedoch nicht auf Grund einer hypothetischen Ex-post-Betrachtung, sondern einer individuell-konkreten und ex ante mit Bezug auf den Beschwerdegegner vorgenommenen Abklärung entschieden werden müsse.
Wenn die Vorinstanz die Erfolgsrelevanz des dem Beschwerdegegner angelasteten Verhaltens verneine, setze sie sich in Widerspruch zu ihren eigenen Erwägungen, worin sie das Vorgehen des
BGE 135 IV 56 S. 63
Beschwerdegegners als in mehrfacher Hinsicht sorgfaltswidrig qualifiziert habe. Ein ursprünglich als pflichtwidrig erkanntes Verhalten des Beschwerdegegners, welches adäquat kausal zum tatbestandsmässigen Erfolg geführt habe, könne nicht plötzlich auf Grund von (hypothetischen) Drittursachen nicht mehr eine massgebliche Pflichtverletzung darstellen. Entweder stelle ein bestimmtes Verhalten eine massgebliche Sorgfaltspflichtverletzung dar, was individuell-konkret im Zeitpunkt des Verhaltens auf Grund einer Ex-ante-Betrachtungsweise zu entscheiden sei, oder es liege eben (in diesem Zeitpunkt) keine vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung vor. Die vorinstanzliche Urteilsbegründung vermenge in unzulässiger Weise die Frage der (hypothetischen) Doppelkausalität mit derjenigen der Sorgfaltspflichtverletzung und der Vermeidbarkeit und führe entsprechend zu falschen Ergebnissen. Der Beschwerdegegner habe im Zeitpunkt des ihm angelasteten Verhaltens mehrfach die ihm unter den konkreten Umständen obliegende Sorgfaltspflicht unter Einbezug der Vermeidbarkeit verletzt und damit eine wesentliche Teilursache für die beim Geschädigten entstandenen Verletzungen gesetzt, wobei der Kausalverlauf ohne weiteres vorhersehbar gewesen sei. Aus diesen Gründen sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung namentlich in Bezug auf die Fahrlässigkeit an die Vorinstanz zurückzuweisen.
1.3
Der Beschwerdegegner wendet im Wesentlichen ein, A. habe als Sportschützin über mehrere ihr gehörende Pistolen verfügt und ausserdem jederzeit Zugang zu den Pistolen des Schützenvereins gehabt. Daher wäre eine von ihr ausgehende allfällige Gefährdung aus Waffenbesitz weder qualitativ noch quantitativ verändert worden, wenn die beiden sichergestellten Pistolen zufolge Verweigerung einer "Unbedenklichkeitserklärung" beschlagnahmt geblieben wären. Schon aus diesem Grunde falle eine Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung, angeblich begangen durch Ausstellen der "Unbedenklichkeitserklärung", ausser Betracht.
2.
Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder ein Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (
Art. 12 Abs. 3 StGB
; weitgehend entsprechend aArt. 18 Abs. 3 StGB).
BGE 135 IV 56 S. 64
2.1
Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist ein Verhalten, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Dies schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann. Denn einerseits begründet nicht jeder Verstoss gegen eine gesetzliche oder für bestimmte Tätigkeiten allgemein anerkannte Verhaltensnorm den Vorwurf der Fahrlässigkeit, und andererseits kann ein Verhalten sorgfaltswidrig sein, auch wenn nicht gegen eine bestimmte Verhaltensnorm verstossen wurde. Die Vorsicht, zu der ein Täter verpflichtet ist, wird letztlich durch die konkreten Umstände und seine persönlichen Verhältnisse bestimmt, weil naturgemäss nicht alle tatsächlichen Gegebenheiten in Vorschriften gefasst werden können (zum Ganzen
BGE 133 IV 158
E. 5.1;
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 127 IV 62
E. 2d; Urteil 6S.8/2007 vom 24. April 2007 E. 6.1.1).
Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist daher zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers beziehungsweise eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten -
BGE 135 IV 56 S. 65
in den Hintergrund drängen (
BGE 131 IV 145
E. 5.1 und E. 5.2;
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 128 IV 49
E. 2b;
BGE 127 IV 62
E. 2d; je mit Hinweisen).
Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt allerdings seine Voraussehbarkeit nicht. Weitere Voraussetzung ist vielmehr, dass der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 127 IV 34
E. 2a; je mit Hinweisen).
2.2
Ob eine Handlung im Sinne der Adäquanztheorie nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen oder zu begünstigen, muss ex ante, d.h. vom Zeitpunkt des Handelns aus, entschieden werden; denn die nachträgliche (bessere) Kenntnis der Zusammenhänge kann nicht darüber entscheiden, ob eine Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme erlaubt oder verboten war (GÜNTER STRATENWERTH, Die Straftat, 3. Aufl. 2005, § 9 N. 25). Demgegenüber ist die für die Erfolgszurechnung ebenfalls wesentliche Frage, aus welcher Gefahr der Erfolg hervorgegangen ist, ob sich mithin im Erfolg gerade die vom Täter geschaffene oder gesteigerte Gefahr verwirklicht hat, unter Auswertung aller ex post bekannten Umstände zu beantworten (
BGE 116 IV 306
E. 2c mit Hinweisen; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 41). Der Erfolg ist dem Täter zuzurechnen, wenn dessen Verhalten mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 121 IV 286
E. 3; je mit Hinweisen).
3.
3.1
3.1.1
Eine Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass A. anlässlich des Besuchs bei ihrem ehemaligen Freund am 11. März 2004 zwei gleichartige, schussbereite Pistolen in ihrer Tasche mitführte, nämlich zum einen die Pistole, die wegen des Vorfalls vom 12. April 2001 polizeilich sichergestellt und beschlagnahmt und ihr in der Folge gestützt auf die "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners in Anwendung der Bestimmungen der
BGE 135 IV 56 S. 66
Waffengesetzgebung von der Polizei am 1. Dezember 2003 wieder zurückgegeben worden war (nachfolgend als Pistole 1 bezeichnet), und zum andern eine Pistole, welche A. unabhängig vom Verhalten des Beschwerdegegners ohnehin besass (nachfolgend als Pistole 2 bezeichnet).
Nach der Auffassung der Vorinstanz ist es unerheblich, dass A. die Tat mit der Pistole 1 beging, sondern ist massgebend, dass sie die Tat genauso gut mit der ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verüben können. Demgegenüber ist es nach der Ansicht der Beschwerdeführerin entscheidend, dass A. die Tat mit der Pistole 1 beging, und ist es unerheblich, dass sie die Tat auch mit der ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte begehen können.
3.1.2
Die Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" durch den Beschwerdegegner ist eine Ursache neben andern für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs der schweren Körperverletzung des Opfers. Ohne die "Unbedenklichkeitserklärung" wäre die Pistole 1 von der Polizei nicht an A. zurückgegeben worden und hätte diese somit nicht unter Einsatz der Pistole 1 das Opfer schwer verletzen können. Durch die Verweigerung der "Unbedenklichkeitserklärung" wäre der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs unter Einsatz der Pistole 1 verhindert worden.
Dass A. das Opfer ebenso gut durch die Abgabe eines Schusses aus der von ihr ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verletzen können, bedeutet entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht, dass die "Unbedenklichkeitserklärung" für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht relevant gewesen, der Erfolg daher dem Beschwerdegegner objektiv nicht zurechenbar und der Beschwerdegegner aus diesem Grunde vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freizusprechen sei. Es kommt allein darauf an, welche Bedingungen sich im Eintritt des Erfolgs
tatsächlich
verwirklicht haben. Der Täter, der durch sein Verhalten eine Bedingung für den Eintritt des Erfolgs gesetzt hat, kann sich daher nicht damit entlasten, dass der Erfolg - wie in den Konstellationen der "Doppelkausalität", der "alternativen Kausalität" sowie der "hypothetischen Ersatzursachen" - auch ohne die von ihm gesetzte Bedingung, etwa infolge des Verhaltens eines andern, gleichwohl eingetreten wäre (siehe STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 44; GUIDO JENNY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 73 zu
Art. 12 StGB
; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, partie générale,
BGE 135 IV 56 S. 67
2008, N. 520, 542; CLAUS ROXIN, Grundlagen, der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Aufl. 2006, § 11 N. 13, 23, 25, 58 f.). Massgebend für die objektive Zurechnung ist, dass der Täter durch sein Verhalten eine Bedingung für den Erfolg
in seiner konkreten Gestalt
gesetzt hat (KURT SEELMANN, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2007, S. 36). Im vorliegenden Fall besteht der Erfolg in seiner konkreten Gestalt darin, dass A. das Opfer durch Abgabe eines Schusses
aus der Pistole 1
schwer verletzte. Hiefür hat der Beschwerdegegner eine Bedingung gesetzt, indem er die "Unbedenklichkeitserklärung" ausstellte, auf deren Grundlage die Polizei die Pistole 1 in Anwendung der Bestimmungen der eidgenössischen Waffengesetzgebung an A. zurückgab. Hätte A. den Schuss aus der Pistole 2 abgegeben, dann wäre der Erfolg in einer anderen konkreten Gestalt eingetreten, für welchen der Beschwerdegegner keine Bedingung gesetzt hätte, so dass ihm der Erfolg objektiv nicht zugerechnet werden könnte. Im Falle einer Schussabgabe aus der Pistole 2 hätte sich im Erfolg eine andere Kausalkette verwirklicht, in der nicht der Beschwerdegegner, sondern die Person, welche A. die Pistole 2 übergeben oder überlassen hatte, eine Bedingung gesetzt hätte. Da aber A., und sei es zufälligerweise, die Pistole 1 aus der Tasche zog und durch Abgabe eines Schusses aus dieser Pistole das Opfer schwer verletzte, hat sich im Erfolg in dieser konkreten Gestalt diejenige Kausalkette verwirklicht, in welcher der Beschwerdegegner durch sein Verhalten eine Bedingung gesetzt hat.
Der Freispruch des Beschwerdegegners vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung kann daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit dem Argument begründet werden, dass A. das Opfer ebenso gut durch Abgabe eines Schusses aus der von ihr ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verletzen können und deshalb dem Beschwerdegegner der eingetretene Erfolg mangels Relevanz seines Verhaltens objektiv nicht zurechenbar sei.
3.2
Der Beschwerdegegner macht in seiner Vernehmlassung geltend, die von A. allenfalls ausgehende Gefahr aus Waffenbesitz sei durch die aufgrund der "Unbedenklichkeitserklärung" erfolgte Rückgabe der beiden Pistolen (d.h. der Pistole 1 und der Sportpistole "Hämmerli") weder qualitativ noch quantitativ verändert worden, da A. als Sportschützin über mehrere weitere ihr gehörende Pistolen verfügt und ausserdem jederzeit Zugang zu den Pistolen des Schützenvereins gehabt habe. Schon aus diesem Grund könne er für den eingetretenen Erfolg nicht zur Verantwortung gezogen werden.
BGE 135 IV 56 S. 68
Der Einwand ist unbegründet. Wenn es gemäss den vorstehenden Erwägungen (E. 3.1) unerheblich ist, dass A. das Opfer ebenso gut durch Abgabe eines Schusses aus der von ihr ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verletzen können, dann ist es
a fortiori
ohne Bedeutung, dass sie allenfalls mehrere weitere Schusswaffen besass und als Sportschützin einen leichten Zugang zu den Pistolen des Vereins hatte. Massgebend ist, dass durch die aus der "Unbedenklichkeitserklärung" resultierenden Rückgabe der beiden beschlagnahmten Pistolen ein Risiko geschaffen wurde, das sich im Einsatz dieser Schusswaffen durch A. und damit im Verletzungserfolg verwirklichen konnte und durch die Verwendung einer der beiden Schusswaffen tatsächlich verwirklicht hat. Unerheblich ist, dass auch andere Personen ein Risiko schufen, das sich im Verletzungserfolg hätte verwirklichen können, indem sie ihrerseits A. Schusswaffen übergaben oder den Zugang zu solchen ermöglichten. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid insoweit zutreffend festgehalten, es gehe vorliegend nicht darum, ob A. überhaupt Zugang zu anderen Waffen gehabt habe, sondern darum, dass sie in der konkreten Tatsituation in ihrer Tasche zwei gleichartige schussbereite Pistolen mit sich führte.
3.3
A. hat sich durch die Abgabe eines Schusses aus der Pistole 1, wodurch sie ihr Opfer schwer verletzte, gemäss dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 1. Februar 2006 des vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht, wobei ihr das Gericht eine mittelgradige Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zubilligte. Die in der Lehre heute noch vereinzelt vertretene Auffassung betreffend das sog. Regressverbot, wonach derjenige, welcher unvorsätzlich am vorsätzlichen Erfolgsdelikt eines andern mitgewirkt hat, für den eingetretenen Erfolg keinesfalls strafrechtlich verantwortlich sei, hat in der Rechtsprechung keine Zustimmung gefunden und wird auch von der herrschenden Lehre abgelehnt. Wenn ein unvorsätzlich Handelnder die intolerable Gefahr einer Vorsatztat geschaffen hat, gibt es keinen Grund, die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitszurechnung neben der Vorsatztat auszuschliessen. Die Lösung liegt daher nicht in einem absoluten Regressverbot. Vielmehr geht es darum, die Grenzen des Vertrauensgrundsatzes und der Verantwortlichkeiten abzustecken, wobei hiefür etwa von Bedeutung sein kann, ob der Vorsatztäter erkennbar tatgeneigt oder infolge von Defiziten in seiner Verantwortlichkeit
BGE 135 IV 56 S. 69
eingeschränkt war (ROXIN, a.a.O., § 24 N. 26 ff.; STRATENWERTH, a.a.O., § 16 N. 50 ff.).
4.
4.1
Die kantonalen Instanzen haben, obschon sie den Beschwerdegegner mangels Vermeidbarkeit des eingetretenen Erfolgs beziehungsweise mangels Erfolgsrelevanz des ihm angelasteten Verhaltens vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freigesprochen haben, eingehend geprüft, ob er im Zusammenhang mit der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" Sorgfaltspflichten verletzt hat. Sie haben die Frage unter anderem unter Hinweis auf das im Untersuchungsverfahren eingeholte Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Dr. med. D.) vom 15. Dezember 2005 mit ausführlicher Begründung bejaht.
4.2
Ob die Vorinstanz dem Beschwerdegegner zu Recht Sorgfaltspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" vorwirft, ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu prüfen, da insoweit ein letztinstanzliches kantonales Urteil vorliegt und das Bundesgericht gemäss
Art. 106 BGG
die Anwendung von eidgenössischem Gesetzesrecht von Amtes wegen prüft. Zwar wirken sich die Erwägungen im angefochtenen Entscheid betreffend die Sorgfaltspflichtverletzungen in keiner Weise auf den Urteilsspruch aus und kann der Beschwerdegegner das vorinstanzliche Urteil, durch welches er freigesprochen worden ist, mangels Beschwer nicht anfechten und somit nicht auf dem Wege einer Beschwerde geltend machen, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht Sorgfaltspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" vorgeworfen. Das Bundesgericht hat indessen in mehreren Entscheiden zum Ausdruck gebracht, dass die im vorinstanzlichen Verfahren obsiegende Partei in der Vernehmlassung zur Beschwerde der unterliegenden Partei die sie belastenden Erwägungen des vorinstanzlichen Entscheids anfechten kann, die sich im Falle der Gutheissung der Beschwerde nachteilig auf den Rechtsspruch im neuen Verfahren auswirken können. Die im kantonalen Verfahren obsiegende Partei kann alle Beschwerdegründe in ihrer Antwort auf die Beschwerde geltend machen, um allfällige Fehler der kantonalen Entscheidung zu rügen, die ihr im Falle einer abweichenden Beurteilung durch das Bundesgericht nachteilig sein könnten (
BGE 134 III 332
E. 2.3). Der Beschwerdegegner kann sich in seiner Vernehmlassung nicht
BGE 135 IV 56 S. 70
nur mit den Rügen der beschwerdeführenden Partei auseinandersetzen, sondern er darf auch eigene Rügen erheben, soweit diese darlegen sollen, dass trotz der Stichhaltigkeit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen und in Abweichung der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen und vorgenommenen Rechtsanwendung der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis richtig ist (
BGE 122 I 253
E. 6c). Der Beschwerdegegner kann in der Vernehmlassung die für ihn ungünstigen Erwägungen und Feststellungen im angefochtenen Entscheid kritisieren (
BGE 101 Ia 521
E. 3;
BGE 89 I 513
E. 4). Die Vernehmlassung des Beschwerdegegners enthält denn auch einige Ausführungen, die sich auf die Frage der Sorgfaltspflichtverletzung beziehen.
4.3
4.3.1
Der Beschwerdegegner ist Allgemeinarzt und Psychoanalytiker. Er ist nicht Psychiater. Er hat keine Ausbildung, die ihn zur prognostischen Beurteilung des Risikos eines bestimmten künftigen Verhaltens beziehungsweise der von einem Menschen ausgehenden Gefahr beispielsweise aus Waffenbesitz befähigt. Er hat keine Erfahrung in der Erstellung von Kriminalprognosen. Er war daher trotz seiner grossen Erfahrung auf dem Gebiet der Psychoanalyse mit der von ihm nach eigener Darstellung dabei angewandten intuitiven Methode des psychoanalytischen Erstinterviews nicht kompetent, die Frage, ob A. suizidgefährdet sei oder ob von ihr eine Gefahr für Dritte aus Waffenbesitz ausgehe, fachgerecht zu beantworten. Der Beschwerdegegner führte mit der ihm bis dahin nicht bekannten A. ein rund einstündiges Gespräch über deren Arbeits-, Familien- und Liebesverhältnisse. Er stellte auf die subjektiven Angaben der offensichtlich an der Rückgabe der beiden Schusswaffen sehr interessierten A. ab, überprüfte diese Angaben nicht, holte keine weiteren Informationen ein und führte keine Tests durch. Auch in Bezug auf den Vorfall vom 12. April 2001, der Anlass zur Beschlagnahmung der Schusswaffen war, begnügte er sich mit den Angaben von A. im Gespräch, in dessen Verlauf er gemäss seinen eigenen Aussagen erfuhr, dass A. in der Vergangenheit im Zusammenhang mit enttäuschenden Liebesbeziehungen suizidale Handlungen vorgenommen hatte und während mehrerer Jahre in psychotherapeutischer Behandlung war.
4.3.2
Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdegegner erstens den Auftrag von A., die gemäss dem Schreiben des Polizeikommandos
BGE 135 IV 56 S. 71
für die Rückgabe der beiden Schusswaffen entscheidende Frage betreffend das Bestehen einer Suizidgefahr oder einer Gefahr für Dritte zu beantworten, gar nicht hätte übernehmen dürfen, er mithin bereits durch die Annahme des Auftrags seine Sorgfaltspflichten verletzte, und dass er zweitens im Rahmen seiner Untersuchung, auf deren Grundlage er die für die Rückgabe der Waffen durch das Polizeikommando wesentliche "Unbedenklichkeitserklärung" ausstellte, in mehrfacher Hinsicht Sorgfaltspflichten verletzte, indem er Abklärungen unterliess, die nach den anerkannten wissenschaftlichen Regeln im Rahmen einer solchen prognostischen Beurteilung geboten gewesen wären. Es kann daher im Übrigen entgegen der Darstellung des Beschwerdegegners in der "Unbedenklichkeitserklärung" auch keine Rede davon sein, dass er A. "am 6. November 2003 ausführlich psychiatrisch untersucht" habe.
Zur Begründung im Einzelnen kann, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die ausführlichen und zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid und im erstinstanzlichen Urteil verwiesen werden.
Die Auffassung der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Untersuchung von A. zur Frage der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte aus Waffenbesitz in mehrfacher Hinsicht Sorgfaltspflichten verletzt hat, verstösst nicht gegen Bundesrecht.
5.
5.1
Der tatbestandsmässige Erfolg ist dem sorgfaltswidrig handelnden Täter zurechenbar, wenn der Erfolg bei sorgfaltsgemässem Handeln mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (siehe
BGE 130 IV 7
E. 3.2 mit Hinweisen). Dies lässt sich mitunter im Nachhinein nicht mehr feststellen, etwa weil die Tatsituation nicht wiederholbar ist. Gemäss der von einem Teil der Lehre anstelle der "Wahrscheinlichkeitstheorie" bevorzugten "Risikoerhöhungstheorie" ist der Erfolg dem Täter zurechenbar, wenn das sorgfaltswidrige Verhalten das Risiko, das in den Erfolg umgeschlagen ist, zweifelsfrei deutlich erhöht hat, mithin auch dann, wenn der Erfolg möglicherweise oder gar mit Sicherheit auch bei sorgfaltsgemässem Verhalten eingetreten wäre (siehe zum Ganzen, je mit Hinweisen auf die verschiedenen Lehrmeinungen, TRECHSEL/JEAN-RICHARD, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2008, N. 40 ff. zu
Art. 12 StGB
; JENNY, a.a.O., N. 94 ff. zu
Art. 12 StGB
; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 41, § 16 N. 21; ANDREAS DONATSCH, Sorgfaltsbemessung und Erfolg beim Fahrlässigkeitsdelikt, 1987, S. 271 f.).
BGE 135 IV 56 S. 72
5.2
Das Polizeikommando des Kantons Zug verlangte von A. als Voraussetzung für die Rückgabe der beiden beschlagnahmten Pistolen unter Hinweis auf die Bestimmungen der eidgenössischen Waffengesetzgebung die Vorlage einer fachärztlichen Bestätigung, dass sie nicht suizidgefährdet ist und von ihr keine Gefahr für Dritte ausgeht.
Gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz, WG; SR 514.54) beschlagnahmt die zuständige Behörde Waffen, wesentliche Waffenbestandteile, Waffenzubehör, Munition und Munitionsbestandteile aus dem Besitz von Personen, bei denen ein Hinderungsgrund nach Artikel 8 Absatz 2 besteht. Nach
Art. 8 Abs. 2 lit. c WG
erhalten keinen Waffenerwerbsschein Personen, die zur Annahme Anlass geben, dass sie sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährden. Aus
Art. 34 Abs. 3 lit. a der Verordnung über Waffen, Waffenzubehör und Munition vom 2. Juli 2008 (Waffenverordnung, WV; SR 514.541)
ergibt sich, dass legal erworbene Waffen, die beschlagnahmt wurden, der eigentumsberechtigten Person zurückgegeben werden, wenn diese mit der Waffe weder sich selbst noch Dritte gefährdet. Das Waffengesetz und die Waffenverordnung regeln nicht, wer auf welche Weise zu prüfen hat, ob im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 lit. c WG
Anlass zur Annahme besteht, dass die Person sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährdet. Es versteht sich indessen von selbst, dass die Frage der Gefährdung in einem Fall der vorliegenden Art nur aufgrund einer sorgfältigen fachmännischen Prüfung zuverlässig beantwortet werden kann.
5.3
5.3.1
Die erste Instanz hat in ihren Erwägungen zur Vermeidbarkeit des eingetretenen Erfolgs zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Frage stelle, ob bei einer sorgfältigen Abklärung von A. durch eine kompetente Fachperson das Risiko eines zukünftigen selbst- oder fremdgefährdenden Verhaltens als so gering eingestuft worden wäre, dass die Zuger Polizei gestützt auf deren Erklärung die Waffen herausgegeben hätte. Die erste Instanz hat nach einigen diesbezüglichen Erörterungen die Frage ausdrücklich offengelassen, weil ihres Erachtens der Eintritt des Erfolgs aus einem anderen Grund ohnehin unvermeidbar war. Die Vorinstanz hat die diesbezüglichen erstinstanzlichen Erwägungen in ihrem Urteil wiedergegeben. Sie hat die Frage, zu welchen Schlüssen eine kompetente Fachperson nach
BGE 135 IV 56 S. 73
sorgfältiger Abklärung gelangt wäre, ebenfalls nicht entschieden. Sie hat sich mit dieser Frage möglicherweise deshalb nicht befasst, weil auch sie den Beschwerdegegner freisprach.
5.3.2
Unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung ist im vorliegenden Fall entscheidend, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 in Bezug auf die Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre und ob die zuständige Behörde in Anbetracht dieser Einschätzung nach Massgabe der Bestimmungen der Waffengesetzgebung im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums die Rückgabe der Schusswaffen angeordnet oder aber die Rückgabe allein wegen einer relevanten Suizidgefahr oder (auch) wegen einer relevanten Gefahr für Dritte verweigert hätte.
5.3.3
Das Bundesgericht kann die Frage, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu den Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre, im vorliegenden Verfahren nicht selber an Stelle der Vorinstanz entscheiden, da es sich dabei nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatfrage handelt.
In diesem Zusammenhang ist immerhin auf Folgendes hinzuweisen.
Das Risiko einer Fehleinschätzung ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung zweifellos umso grösser, je unsorgfältiger die ihr zugrunde liegende Untersuchung ist, und es ist umso kleiner, je sorgfältiger die Untersuchung ist. Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung liesse sich aber im vorliegenden Fall - in dem von der fachmännischen Einschätzung die Rückgabe der beiden Schusswaffen abhing - nicht damit begründen, dass der Beschwerdegegner durch sein sorgfaltswidriges Verhalten das Risiko einer Fehleinschätzung und damit das Risiko einer Rückgabe der Schusswaffen trotz allfälliger Gefahr für Dritte und aus diesem Grunde auch das Risiko des Erfolgseintritts erhöht habe. Aus dem Umstand, dass bei sorgfaltswidriger Untersuchung das Risiko einer Fehleinschätzung grösser ist und somit statistisch häufiger eine Fehleinschätzung erfolgt, ergibt sich weder erstens, dass die in einem bestimmten
konkreten Einzelfall
getroffene Einschätzung falsch ist, noch zweitens, dass bei sorgfältiger Untersuchung eine andere Einschätzung vorgenommen worden wäre. Denn in jedem konkreten Einzelfall kann sich einerseits das grosse Risiko einer Fehleinschätzung bei unsorgfältiger Untersuchung gerade nicht verwirklicht oder andererseits das kleine Risiko einer Fehleinschätzung bei
BGE 135 IV 56 S. 74
sorgfältiger Untersuchung gerade realisiert haben, so dass im Ergebnis einerseits beide Einschätzungen übereinstimmend richtig oder andererseits beide Einschätzungen übereinstimmend unrichtig sind.
Allerdings hat A. bloss rund vier Monate nach der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" durch Einsatz einer Schusswaffe das Opfer schwer verletzt. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass eine sorgfältige Fachperson im November 2003 eine von A. ausgehende Gefahr für Dritte aus Waffenbesitz mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt hätte. Denn in der Schussabgabe konnte sich auch lediglich ein nie ganz auszuschliessendes, sozial erlaubtes Rest-Risiko oder aber eine erst nach November 2003 infolge Änderung der Verhältnisse entstandene Gefahr verwirklicht haben.
5.4
Die Sache ist daher in Gutheissung der Beschwerde im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich mit der bis anhin nicht entschiedenen Frage befassen, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 in Bezug auf die Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre, und sie wird prüfen, ob in Anbetracht dieser Einschätzung und in Anwendung der Bestimmungen über die Waffengesetzgebung die Rückgabe der Schusswaffen angeordnet oder aber allein wegen einer relevanten Suizidgefahr oder (auch) wegen einer relevanten Gefahr für Dritte verweigert worden wäre.
5.4.1
Sollte die Vorinstanz zur Erkenntnis gelangen, dass die Abklärung dieser Frage im heutigen Zeitpunkt nicht mehr möglich ist, ist der Beschwerdegegner in Anwendung der Maxime "in dubio pro reo" als Beweislastregel freizusprechen, weil nicht erstellt ist, dass ein sorgfältiges Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt des Erfolgs verhindert hätte.
5.4.2
Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung mangels einer relevanten Gefahr die Rückgaben der beiden Schusswaffen angeordnet hätte, so wäre der Beschwerdegegner freizusprechen, weil ein sorgfältiges Verhalten den Eintritt des Erfolgs nicht verhindert hätte und somit zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschwerdegegners und dem eingetretenen Erfolg der erforderliche Zusammenhang nicht besteht.
BGE 135 IV 56 S. 75
5.4.3
Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung die Rückgabe der Schusswaffen nicht wegen einer relevanten Gefahr für Dritte, sondern allein wegen einer relevanten Suizidgefahr verweigert hätte, so hätte der Beschwerdegegner den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung nicht erfüllt, obschon bei sorgfaltsgemässem Verhalten die beiden Schusswaffen nicht zurückgegeben worden wären. Denn soweit aufgrund der Einschätzung der sorgfältigen Fachperson eine relevante Gefahr für Dritte verneint worden wäre, war das sorgfaltswidrige Verhalten des Beschwerdegegners, obschon es die Rückgabe der beiden Pistolen zur Folge hatte, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den allgemeinen Erfahrungen des Lebens nicht geeignet, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass es am erforderlichen
adäquaten
Kausalzusammenhang fehlt.
5.4.4
Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung (auch) eine relevante Gefahr für Dritte bejaht hätte, so ist der eingetretene Erfolg dem Beschwerdegegner zurechenbar. In diesem Fall hätte der Beschwerdegegner den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung erfüllt, da auch die übrigen Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Der Beschwerdegegner schuf durch seine sorgfaltswidrige Untersuchung und die gestützt darauf ausgestellte "Unbedenklichkeitserklärung", auf deren Grundlage das Polizeikommando die beiden Pistolen A. zurückgab, ein unerlaubtes Risiko, das sich im tatbestandsmässigen Erfolg in seiner konkreten Gestalt verwirklichte, was er bei pflichtgemässer Vorsicht voraussehen konnte, da seine Methode, wie er wusste, erheblich von den etablierten, gründlicheren Untersuchungsmethoden abwich. Mit anderen Worten war gemäss einer insoweit zutreffenden Erwägung im angefochtenen Entscheid sein sorgfaltswidriges Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens geeignet, einen Erfolg von der Art des eingetretenen zu begünstigen, was er bei pflichtgemässer Vorsicht auch erkennen musste. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d75412e3-909d-4c28-b367-abbf2077d10d | Urteilskopf
109 IV 84
23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. September 1983 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Fortgesetztes Delikt.
Gesetzliche Grundlage der durch die Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur. Praktische Auswirkungen. | Sachverhalt
ab Seite 84
BGE 109 IV 84 S. 84
A.-
S. hat als Filialdirektor der D. AG bei der Firma K. unter zahlreichen Malen Geschäftsguthaben direkt einkassiert und die so
BGE 109 IV 84 S. 85
erhaltenen Beträge nicht abgeliefert, sondern für sich verbraucht. So hat er 1972 fünfmal, 1973 sechsmal, 1974 dreizehnmal, 1975 sechsmal, 1976 siebenmal, 1977 sechsmal, 1978 dreimal, 1979 fünfmal, 1980 siebenmal und 1981 einmal Geldbeträge zwischen Fr. 2'000.-- und Fr. 42'000.--, insgesamt Fr. 846'000.--, in die eigene Tasche gesteckt. Um sein Verhalten zu vertuschen, unterliess es S., die erhaltenen Gelder als Einnahmen verbuchen zu lassen.
B.-
Am 24. Mai 1983 verurteilte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft S. in Bestätigung des Urteils des Strafgerichts Baselland wegen fortgesetzter Veruntreuung und fortgesetzter Urkundenfälschung zu zwei Jahren Gefängnis.
C.-
S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, die Figur des fortgesetzten Delikts, die im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sei und eine blosse Konstruktion der Praxis darstelle, um das Verfahren zu vereinfachen und Unbilligkeiten, die sich bei Anwendung des
Art. 68 StGB
ergeben könnten, zu vermeiden, wirke sich in seinem Fall erheblich nachteilig aus und sei deshalb abzulehnen; Veruntreuungsdelikte verjährten nämlich nach Ablauf von fünf Jahren, was bedeute, dass die von ihm vor dem 6. April 1977 begangenen Veruntreuungen verjährt wären und die strafrechtlich relevante Deliktssumme lediglich Fr. 276'000.-- betrüge, wenn man nicht von einem Kollektivdelikt ausgehe. Bei Bejahung des Fortsetzungszusammenhangs dagegen beginne die Verjährung erst am 8. Dezember 1981 zu laufen mit der Folge, dass alle Veruntreuungen bis ins Jahr 1972 zurück bei einem Deliktsbetrag von Fr. 846'000.-- strafrechtlich verfolgt werden könnten. Im übrigen finde das fortgesetzte Delikt keine Grundlage im Gesetz und verstosse deshalb gegen den Grundsatz "nulla poena sine lege".
a) Mit dem letztgenannten Einwand verkennt der Beschwerdeführer, dass sich in
Art. 71 Abs. 3 StGB
ein gesetzlicher Anhalt für die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts findet. Nach dieser Bestimmung beginnt die Verjährung, wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem
BGE 109 IV 84 S. 86
er die letzte Handlung ausführt. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, wurde unter jener Tätigkeit vom Gesetzgeber eine Mehrheit von strafbaren Handlungen verstanden, die zu einem einzigen Delikt zusammengefasst werden sollten (s. die Darlegung der Entwicklungsgeschichte bei W. A. KNECHT, Das fortgesetzte Delikt im schweizerischen Strafrecht, Diss. BE 1969, S. 1-13). Dass dieser Gedanke im StGB begrifflich nicht genauer gefasst wurde, rechtfertigt nicht den Schluss, er entbehre jeder gesetzlichen Grundlage. Das StGB enthält zahlreiche Begriffe, die der eingehenderen Umschreibung durch den Richter bedürfen, ohne dass dies als Mangel an einer gesetzlichen Grundlage verstanden würde. Was unter dem Begriff der zu verschiedenen Zeiten ausgeführten strafbaren Tätigkeit im Sinne des
Art. 71 Abs. 3 StGB
zu verstehen sei, ist deshalb Auslegungsfrage. Ausgelegt werden kann aber das Strafgesetz auch zu Lasten des Angeklagten, sofern dies dem Sinn und Zweck der Norm entspricht (
BGE 95 IV 73
E. 3a).
b) Zuzugestehen ist dem Beschwerdeführer, dass die Rechtsfigur des in einer langjährigen Praxis ausgeformten fortgesetzten Delikts (statt vieler
BGE 107 IV 81
, 105 IV 13, 102 IV 77/78) sich hinsichtlich der Verfolgungsverjährung für den Täter ungünstig auswirken kann. Anderseits ist jedoch nicht zu übersehen, dass dieser bei Annahme eines fortgesetzten Delikts nicht der Strafschärfung des
Art. 68 Ziff. 1 StGB
unterliegt. Es kann deshalb nicht gesagt werden, die Anwendung der genannten Rechtsfigur wirke sich im Ergebnis durchwegs zum Nachteil des Angeklagten aus. Entsprechend hebt denn auch die im Schrifttum gegen das fortgesetzte Delikt vorgetragene Kritik nicht nur die nachteiligen Folgen im Rahmen der Verjährung hervor, sondern ebensosehr jene als ungerechtfertigt empfundene Privilegierung des Täters (SCHULTZ, Einführung in den Allg. Teil des Strafrechts, Bd. I, 4. Auflage, 1982, S. 131; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 1982, S. 436 N. 19). Die Nichtunterstellung unter
Art. 68 Ziff. 1 StGB
ist jedoch in casu dem Beschwerdeführer zugute gekommen, so dass keineswegs mit Sicherheit angenommen werden kann, der Sachrichter hätte den Beschwerdeführer wegen der nach dem 6. April 1977 verübten Veruntreuungen, die noch in bedeutender Zahl begangen wurden und einen Deliktsbetrag von mehr als Fr. 270'000.-- erreichen, zu einer unter zwei Jahren Gefängnis liegenden Strafe verurteilt; das Verschulden ist nämlich auch so noch ein schweres, und die Wiederholung der Tat hätte eine entsprechende Schärfung gerechtfertigt. Im übrigen hat das
BGE 109 IV 84 S. 87
Bundesgericht in Kenntnis der erwähnten Kritik seine Praxis zum fortgesetzten Delikt immer wieder bestätigt, und es besteht heute kein zwingender Grund, von ihr abzugehen, zumal sie gerade auch im vorliegenden Fall nicht zu einem stossenden Ergebnis führt, das ein Aufgeben der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts gebieten würde. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d755ea64-84d5-4ebb-a6d8-5eb011ba81fa | Urteilskopf
117 Ia 69
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Februar 1991 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Persönliche Freiheit;
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
. Haftentlassung. Fluchtgefahr.
Die Höhe der zu erwartenden Strafe vermag für sich allein den besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr nicht zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall genügen die psychische Labilität der Angeklagten und die zu erwartende Strafe für die Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft nicht. | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 117 Ia 69 S. 69
Frau M. wurde im Oktober 1989 unter dem dringenden Tatverdacht, ein Tötungsdelikt begangen zu haben, in Untersuchungshaft gesetzt. Nachdem sie im November 1990 ein Haftentlassungsgesuch
BGE 117 Ia 69 S. 70
gestellt hatte, erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Anklage wegen vorsätzlicher Tötung. Die Anklage wurde zusammen mit dem Haftentlassungsbegehren der Anklagekammer des Obergerichtes überwiesen. Die Anklagekammer liess Frau M. in Sicherheitshaft versetzen, wogegen Frau M. an die II. Zivilkammer des Obergerichtes rekurrierte.
Gegen den ablehnenden Rekursentscheid hat Frau M. staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit und von
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
und macht geltend, die kantonale Instanz habe zu Unrecht das Bestehen von Fluchtgefahr angenommen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Gemäss § 49 in Verbindung mit § 52 der zürcherischen Strafprozessordnung darf Sicherheitshaft angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Angeklagte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und überdies entweder Kollusions- oder Fluchtgefahr vorliegt. Die Beschwerdeführerin beanstandet nicht, dass die kantonale Instanz den dringenden Tatverdacht bejaht hat. Hingegen macht sie geltend, das Obergericht habe in verfassungs- und konventionswidriger Weise angenommen, es bestehe Fluchtgefahr.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes, die mit jener des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte übereinstimmt, braucht es für die Annahme der Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Verhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (
BGE 108 Ia 67
E. 3;
BGE 107 Ia 6
E. 5;
BGE 106 Ia 407
E. 4c;
BGE 102 Ia 381
;
BGE 95 I 242
). Die Erwägung des Obergerichtes, wonach die vorliegend mögliche Zuchthausstrafe von nicht unter fünf Jahren (
Art. 111 StGB
) "an sich schon" die Annahme der Fluchtgefahr rechtfertige, widerspricht krass der erwähnten Bundesgerichtspraxis und ist als verfassungswidrig zu beurteilen.
BGE 117 Ia 69 S. 71
b) Es fragt sich, ob ausser der Höhe der drohenden Strafe konkrete Umstände vorliegen, welche die Annahme der Fluchtgefahr rechtfertigen. Das Gutachten der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Rheinau vom 24. Oktober 1990 attestiert der Beschwerdeführerin eine erhebliche Neigung zu Affekt- und Impulsdurchbrüchen aggressiver und autoaggressiver Art. Mit Recht kann daher von einer zumindest latenten psychischen Labilität der Beschwerdeführerin gesprochen werden. - Das psychiatrische Gutachten lässt demgegenüber den Schluss nicht zu, die festgestellte psychische Konstitution wirke sich im vorliegenden Fall in einer erhöhten Fluchtbereitschaft aus: Der Experte weist besonders darauf hin, dass sich die Neigung zu affektiven und impulsiven Handlungen dann manifestiere, wenn eine soziale Bindung zerreisst oder zu zerreissen droht. Die Beschwerdeführerin engagiere sich in ihren familiären Beziehungen mit derartiger Hilfs- und Aufopferungsbereitschaft, dass Trennungs- und Verlassungserlebnisse zwangsweise eine Flut von Emotionen, Affekten und Triebstrebungen nach sich zögen. Gerade mit ihren beiden (zehn- bzw. dreizehnjährigen) Kindern verbindet die Beschwerdeführerin auf Grund der aktenkundigen Untersuchungsergebnisse eine innige Beziehung, welche von grossem Einsatz und von Fürsorge, nicht zuletzt gegenüber der POS-kranken Tochter X., zeugt. Besonders die Zuwendung zu ihren Kindern hilft der Beschwerdeführerin gemäss Expertise, im seelischen Gleichgewicht zu bleiben. Damit erscheint der psychiatrische Befund aber gerade nicht geeignet, zusätzliche konkrete Anzeichen für eine Fluchtgefahr zu begründen. - Es weist gerade nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführerin, einmal aus der Sicherheitshaft entlassen, sich ausgerechnet die Möglichkeit verbauen sollte, den Kontakt mit ihren bei ihrer Schwester untergebrachten Kindern pflegen zu können; genau dies wäre aber die Konsequenz einer Flucht der Beschwerdeführerin ins Ausland oder auch nur eines "Untertauchens", wie es die kantonale Instanz befürchtet.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die angeordnete Sicherheitshaft allein gestützt auf die Höhe der in Frage kommenden Freiheitsstrafe nicht aufrechterhalten werden kann. Wie die kantonale Instanz ausdrücklich festgehalten hat, liegt nach Abschluss der Untersuchung und Anklageerhebung sowie angesichts der Geständigkeit der Beschwerdeführerin ebensowenig Kollusionsgefahr vor. Diese Auffassung muss zwar angesichts des im Verfahren vor Geschworenengericht geltenden Unmittelbarkeitsprinzips und der
BGE 117 Ia 69 S. 72
damit verbundenen Gefahr einer Einflussnahme auf die Geschworenen auf gewisse Bedenken stossen, das Bundesgericht hat indessen keine Veranlassung, vorliegend entgegen der Auffassung beider Parteien von sich aus auf Kollusionsgefahr zu schliessen (vgl. zur bundesgerichtlichen Zurückhaltung bei der Substitution von Motiven etwa
BGE 106 Ia 315
E. 1b). In der Konsequenz gebietet das Verfassungsrecht in diesem speziellen Haftfall, der durchaus als Grenzfall zu betrachten ist, die Beschwerdeführerin aus der Sicherheitshaft zu entlassen und dem Fluchtrisiko mit weniger einschneidenden Massnahmen (Meldepflicht, Pass- und Schriftensperre) zu begegnen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d76c9aa2-36c3-4aad-b0a2-a8e118fe3a4e | Urteilskopf
83 III 80
22. Arrêt du 30 avril 1957 dans la cause Meyer. | Regeste
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Kollokationsplan.
Art. 316 g, 17 und 250 SchKG
.
Der Kollokationsplan kann wegen Formmangels durch Beschwerde angefochten werden. Die Gründe der gänzlichen oder teilweisen Abweisung einer Eingabe unterliegen dagegen der richterlichen Überprüfung im Kollokationsprozess. | Sachverhalt
ab Seite 80
BGE 83 III 80 S. 80
A.-
Dans le concordat par abandon d'actif de la société Acim SA, Ernest Wenger a produit une créance de 110 000 fr. fondée sur une cédule hypothécaire au porteur de ce montant et garantie par un gage en second rang sur les immeubles de la débitrice. Lors de sa création, le 13 novembre 1954, la cédule était de 50 000 fr.; elle a été portée à 110 000 fr. par acte du 22 novembre 1955. Le 28 décembre 1956, Wenger a transféré le titre à André Meyer.
Par lettre du 22 janvier 1957, le liquidateur a avisé Meyer que sa créance avait été admise à l'état de collocation jusqu'à concurrence de 50 000 fr. avec un droit de gage en second rang sur les immeubles de la débitrice,
BGE 83 III 80 S. 81
le surplus étant contesté parce qu'il n'était pas dû par Acim SA mais par son administrateur Max Fischer personnellement.
Dans le délai utile, Meyer a ouvert action en modification de l'état de collocation. Il a également porté plainte contre la décision du liquidateur et conclu à ce que sa production fût admise à concurrence de 110 000 fr. avec intérêt à 6% dès le 22 novembre 1955.
L'Autorité inférieure de surveillance du district de Lausanne a accueilli la plainte, considérant que le moyen opposé par Acim SA pouvait être invoqué seulement contre Max Fischer et non contre le porteur de la cédule hypothécaire.
B.-
Sur recours de la masse concordataire, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois, par arrêt du 28 mars 1957, a réformé cette décision et déclaré la plainte irrecevable.
C.-
Meyer a recouru au Tribunal fédéral contre cet arrêt, concluant à ce que sa production soit "admise à concurrence de cent dix mille francs (fr. 110 000.--) avec intérêt à 6% dès le 22 novembre 1955, la dite créance étant garantie en second rang par les immeubles dont Acim SA est propriétaire à Renens, y compris les accessoires".
Erwägungen
Considérant en droit:
L'état de collocation peut être attaqué par la voie de la plainte lorsqu'il est entaché d'un vice de forme; en revanche, c'est au juge saisi de l'action dirigée contre l'état de collocation qu'il appartient d'examiner les motifs de fond pour lesquels une production a été rejetée totalement ou partiellement (RO 54 III 275). En l'espèce, le liquidateur a régulièrement informé le recourant du rejet de sa production dans la mesure où elle dépassait 50 000 fr. et a indiqué les raisons de cette décision. Il n'a violé aucune règle de forme. La contestation porte exclusivement sur le point de savoir si Meyer possède contre Acim
BGE 83 III 80 S. 82
SA une créance de 110 000 fr. ou de 50 000 fr. seulement garantie par un gage immobilier en second rang. Il s'agit là à l'évidence d'une question de fond qui, contrairement à l'opinion de l'Autorité inférieure de surveillance, n'est pas claire au point qu'elle puisse être tranchée préjudiciellement dans une procédure de plainte, mais qui ne peut être jugée que dans une action en contestation de l'état de collocation. C'est dès lors à juste titre que la juridiction cantonale a déclaré la plainte de Meyer irrecevable.
Dispositiv
La Chambre des poursuites et des faillites prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d76f7e4b-79a4-4fa7-a9d6-3ca0a7f0720c | Urteilskopf
126 II 7
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Januar 2000 i.S. SRG bzw. TCS u. ACS gegen Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen sowie X. und Mitunterzeichner (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 56 u. 58 Abs. 2 bzw. 65 Abs. 1 sowie
Art. 18 u. 19 RTVG
;
Art. 15 Abs. 1 lit. a u.
Art. 16 RTVV
; rundfunkrechtliche Zulässigkeit der Nennung von ACS und TCS im Zusammenhang mit den "Verkehrsinformationen" von Radio DRS.
Zuständigkeiten der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen sowie der konzessionsrechtlichen Aufsichtsbehörden im Programm- und Werbebereich (E. 3).
Allgemeine Abgrenzung von Werbung und Sponsoring (E. 4 u. 5a); die Zusammenarbeit von Radio DRS mit ACS und TCS bei den "Verkehrsinformationen" als Sponsoring (E. 5b).
Entgegen der Ansicht der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen hat dieses keinen "politischen Charakter" und war deshalb auch im Vorfeld der Abstimmung über die Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs ("FinöV"-Vorlage) rundfunkrechtlich zulässig (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 126 II 7 S. 8
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) schloss im April 1996 mit dem Touring-Club der Schweiz (TCS) und dem Automobil-Club der Schweiz (ACS) eine Kooperations-Vereinbarung über die "Verkehrsinformationen" ab. Seither strahlt Radio DRS regelmässig und nach Bedarf Verkehrsmitteilungen aus, die in der gemeinsam betriebenen Verkehrsinformationszentrale (VIZ) in Genf gesichtet und aufgearbeitet werden. Die Sendung erfolgt mehrmals täglich nach einem akustischen Signal mit dem einleitenden Hinweis "Verkehrsinformationen DRS/TCS", "Verkehrsinformationen DRS/ACS" oder "Verkehrsinformationen DRS mit TCS und ACS".
Am 30. Mai 1997 wies die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI; im Folgenden auch: Beschwerdeinstanz) eine hiergegen gerichtete Beschwerde ab: Die beanstandete wiederholte Nennung von ACS und TCS habe keinen verbotenen politischen Charakter, da sie nicht im Zusammenhang mit einer "konkreten, in naher oder ferner Zukunft stattfindenden Wahl oder Sachabstimmung" erfolgt sei. Die Interventionen von ACS und TCS bezögen sich im politischen Diskurs überwiegend auf "punktuelle Verkehrsfragen", weshalb die Erwähnung der beiden Vereinigungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen, die zu ihrem Geschäftszweck gehörten, nicht als "politisch" im Sinne von
Art. 18 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40)
gelten könne. Auch wenn als Nebeneffekt eine
BGE 126 II 7 S. 9
gewisse Werbewirkung erzielt werde, sei diese nicht unzulässig, da "in der Rezeption durch die Zuhörer nicht die genannten Verbände, sondern die vermittelten Informationen im Vordergrund" stünden (UBI-Entscheid vom 30. Mai 1997, veröffentlicht in: medialex 1997 S. 166 ff.).
Am 5. März 1999 beschäftigte sich die Unabhängige Beschwerdeinstanz im Rahmen einer Popularbeschwerde erneut mit der Frage der Nennung von ACS und TCS im Zusammenhang mit den "Verkehrsinformationen". Dabei stellte sie fest, dass diese während der Abstimmungskampagne über die Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs (FinöV) die Programmbestimmungen verletzt hätten. Den "Verkehrsinformationen" komme zwar an sich kein politischer Charakter zu. Im Gegensatz zu den am 30. Mai 1997 beurteilten Beiträgen seien die hier umstrittenen aber "in direktem Zusammenhang mit einer konkreten, in naher Zukunft stattfindenden eidgenössischen Abstimmung mit verkehrspolitischer Fragestellung" erfolgt, bei der sich ACS und TCS aktiv engagiert hätten. Ihre häufige Nennung am Radio habe ihre Präsenz in der entsprechenden politischen Diskussion verstärkt. Die mit dem Hinweis auf ACS und TCS in Erinnerung gerufene politische Botschaft habe zudem an Überzeugungskraft gewonnen, da die Nennung der Automobilverbände gerade "im Zusammenhang mit einer wertvollen, politisch neutralen Dienstleistung (Sendungen 'Verkehrsinformationen')" erfolgt sei. Der häufige und nicht zwingende Hinweis auf TCS und ACS habe deshalb das Verbot der politischen Werbung verletzt.
Hiergegen haben die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (2A.289/1999) sowie der Touring-Club und der Automobil-Club der Schweiz (2A.286/1999) je Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben bzw. aufzuheben und festzustellen, "dass die Programmrechtsbestimmungen durch die Ausstrahlung der 'Verkehrsinformationen DRS/TCS', 'Verkehrsinformationen DRS/ACS' oder 'Verkehrsinformationen DRS mit TCS und ACS'während der Abstimmungskampagne für die Vorlage zur Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs auf Schweizer Radio DRS nicht verletzt worden sind". Eventuell sei die Angelegenheit an die Beschwerdeinstanz zu neuem Entscheid zurückzuweisen, wobei diese mit Blick auf die publizistische Tätigkeit des Kommissionspräsidenten im Vorfeld der Abstimmung über die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs "von der Wahlbehörde mit einem unbefangenen
BGE 126 II 7 S. 10
und unabhängigen Ersatzmitglied bezüglich des Präsidiums zu besetzen sei".
Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die Beschwerdeführer bestreiten vorweg die Zuständigkeit der Unabhängigen Beschwerdeinstanz. Diese sei einzig mit der Überwachung der Einhaltung der Programmbestimmungen beauftragt, d.h. jener rechtlich verbindlichen Regelungen, welche die inhaltliche Gestaltung der Programme beträfen und die Zielrichtung von
Art. 55bis aBV
verfolgten. Die Nennung einer Marke wie "Verkehrsinformationen DRS/TCS" bzw. "Verkehrsinformationen DRS/ACS" sei keine redaktionelle Aufarbeitung, die geeignet erscheine, die Meinungsbildung zu beeinflussen. Eine blosse Serviceleistung wie das Sammeln und Weiterleiten von Informationen über den Strassenverkehr tangiere die Willensbildung nicht und unterliege daher ausschliesslich der allgemeinen Aufsicht durch das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM).
b) Nach
Art. 58 Abs. 2 RTVG
beurteilt die UBI "Beschwerden gegen ausgestrahlte Radio- und Fernsehsendungen schweizerischer Veranstalter"; dabei stellt sie fest, ob "Programmbestimmungen" einschlägiger internationaler Übereinkommen, des Radio- und Fernsehgesetzes, seiner Ausführungsvorschriften oder der Konzession verletzt worden sind (
Art. 65 Abs. 1 RTVG
). Dem Bundesamt für Kommunikation obliegt dagegen die allgemeine konzessionsrechtliche Aufsicht über die Veranstalter (vgl.
Art. 56 Abs. 1 RTVG
in Verbindung mit Art. 51 der Radio- und Fernsehverordnung vom 6. Oktober 1991; RTVV [SR 784.401]). In diesem Rahmen hat es darüber zu wachen, dass die Konzessionäre die finanz- und betriebsrechtlichen Vorschriften der internationalen Übereinkommen, des Radio- und Fernsehgesetzes, der Ausführungsvorschriften dazu und der Konzession einhalten (
Art. 56 Abs. 1 RTVG
; vgl. auch BBl 1981 III 118). Nach der zwischen der Beschwerdeinstanz und dem Bundesamt bzw. dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED; heute: Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation [UVEK]) ausgebildeten Praxis liegen Aspekte mit Programmnatur vor, wenn es um Fragen der Meinungs- und Willensbildung, um die Transparenz einer Sendung oder um Probleme verfälschter Information geht.
BGE 126 II 7 S. 11
Nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich inhaltliche und betriebliche Fragen überschneiden und im gleichen Fall sowohl das Departement wie die Unabhängige Beschwerdeinstanz zuständig sind (
BGE 118 Ib 356
E. 3 S. 360 f.; VPB 55/1991 Nr. 35 S. 320 E. 2; vgl. auch DENIS BARRELET, Droit de la communication, Bern 1998, Rz. 804 ff.; MARTIN DUMERMUTH, Rundfunkrecht, in: KOLLER/MÜLLER/RHINOW/ZIMMERLI, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Rz. 448; kritisch: derselbe, Die Programmaufsicht bei Radio und Fernsehen in der Schweiz, Basel/Frankfurt a.M. 1992, S. 194 ff.; GABRIEL BOINAY, La contestation des émissions de la radio et de la télévision, Porrentruy 1996, Rz. 19).
c) Das Bundesgericht hat diese Abgrenzung grundsätzlich geschützt (vgl.
BGE 118 Ib 356
ff.) und wie folgt konkretisiert:
aa) Probleme bezüglich des "Rechts auf Antenne" fallen sowohl im Werbe- (soweit nicht ausschliesslich privat-rechtlicher Natur) wie im redaktionellen Bereich nicht unter die Programmaufsicht, da die Unabhängige Beschwerdeinstanz nur "ausgestrahlte" und konkret bezeichnete Radio- und Fernsehsendungen auf ihre Rundfunkrechtskonformität überprüfen kann (vgl.
Art. 58 Abs. 2 RTVG
;
BGE 123 II 402
E. 2b/cc und 3b;
BGE 119 Ib 241
ff., 250 ff.; zur Publikation bestimmtes Urteil vom 29. Oktober 1999 i.S. SSR c. Franz Weber u. UBI, E. 3). Stehen dagegen Form und Umfang der Beteiligung an einer ausgestrahlten Wahlsendung zur Diskussion, ist zu deren rundfunkrechtlicher Beurteilung die Unabhängige Beschwerdeinstanz zuständig (
BGE 125 II 497
E. 1a/aa).
bb) Die Problematik, ob im Werbefernsehen ausgestrahlte Sendungen die einschlägigen Vorschriften respektieren (Dauer der Werbung, Bestimmungen über die Unterbrechungswerbung, Werbeverbot für alkoholische Getränke oder Tabakwaren usw.), ist als technische bzw. finanzrechtliche Frage in erster Linie eine solche der konzessionsrechtlichen Aufsicht (
BGE 114 Ib 152
ff.;
118 Ib 356
E. 3c S. 361). Die entsprechenden Bestimmungen finden sich unter dem Titel "Finanzierung" im 4. Abschnitt des Kapitels "Allgemeine Bestimmungen" des Gesetzes; die Programmgrundsätze und -aufträge gelten in diesem Zusammenhang zudem bloss beschränkt (vgl.
BGE 123 II 402
E. 3b u. c). Die Unabhängige Beschwerdeinstanz ist hier nur insoweit zum Entscheid berufen, als vorrangig Aspekte der freien Willensbildung zur Diskussion stehen, deren Beurteilung ihr aus staats- und medienpolitischen Gründen übertragen ist (
BGE 118 Ib 356
E. 3c S. 361). Betreffen die zur Diskussion stehenden Werbebeschränkungen die Transparenz und unverfälschte Meinungsbildung, geht der mit der Schaffung der
BGE 126 II 7 S. 12
Unabhängigen Beschwerdeinstanz verfolgte Zweck (verwaltungsunabhängige Sicherung der freien Meinungs- und Willensbildung des Zuschauers und Schutz der Programmautonomie) den formellen Kriterien vor. Dies ist etwa der Fall, soweit zur Diskussion steht, ob ein im Werbefernsehen ausgestrahlter Spot das Verbot politischer Werbung verletzt (vgl.
BGE 118 Ib 356
E. 3c S. 361). Politische Inhalte gehören ins eigentliche Programm und sollen nicht mit der primär wirtschaftlich orientierten und tendenziell manipulativ wirkenden Werbung (vgl.
BGE 123 II 402
E. 3b S. 410) vermischt werden. Geschieht dies dennoch, wird Programmrecht verletzt, da durch die Verwischung von Werbung und Programm (vgl.
Art. 18 Abs. 1 RTVG
) die freie politische Meinungsbildung des Zuschauers berührt ist, deren verwaltungsunabhängige Wahrung aus staatspolitischen Gründen der Beschwerdeinstanz übertragen wurde (DUMERMUTH, Programmaufsicht, a.a.O., S. 185 f.).
cc) Durch die bezahlte oder unbezahlte Werbung im (redaktionellen) Programmteil wird vorab die Transparenz und die freie Willens- und Meinungsbildung berührt, weshalb auch hier grundsätzlich die Unabhängige Beschwerdeinstanz (allenfalls parallel zum Bundesamt) zuständig ist. Die Frage, ob das Programm als Plattform für Werbung missbraucht und insofern das Gebot der Trennung vom Programmteil verletzt wird, gehört zu der ihr vorbehaltenen Programmbeurteilung (
BGE 116 Ib 37
E. 5b S. 45 f.;
BGE 118 Ib 356
E. 3b S. 361).
d) aa) Vorliegend stand der im Vorfeld der eidgenössischen Abstimmung (vom 29. November 1998) über die Vorlage betreffend die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs ausgestrahlte Hinweis auf die Zusammenarbeit von Radio DRS mit den Automobilverbänden bei den "Verkehrsinformationen" zur Diskussion. Dieser erfolgte im Programm- und nicht im Werbebereich, da Radio DRS die bezahlte Werbung als Finanzierungsmittel konzessionsrechtlich untersagt ist (vgl. Art. 11 Abs. 1 der Konzession vom 18. Januar 1992 für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft). War damit aber der politische Charakter bzw. die politische Werbewirkung einer wiederholt ausgestrahlten Namensnennung im Programmbereich umstritten, durfte die Unabhängige Beschwerdeinstanz ihre Zuständigkeit bejahen. Was die Beschwerdeführer hiergegen einwenden, überzeugt nicht: Soweit sie geltend machen, die Verkehrsmeldungen als solche unterlägen keiner redaktionellen Bearbeitung, weshalb es sich dabei nicht um eine Sendung im Programmbereich handle, verkennen sie, dass die Verkehrsmeldungen
BGE 126 II 7 S. 13
in der von der SRG mit den Automobilverbänden betriebenen Verkehrszentrale in Genf gesammelt, gewichtet und aufgearbeitet werden, was typischerweise eine redaktionelle Aufgabe darstellt. Auch wenn Radio DRS diese Funktion im Rahmen der Kooperationsvereinbarung teilweise an die Verkehrsinformationszentrale übertragen hat, bleibt es rundfunkrechtlich hierfür dennoch voll verantwortlich. Das Gesetz unterscheidet lediglich zwischen Werbe- und Programmbereich und kennt keine weiteren Kategorien von Darbietungen (vgl.
Art. 18 Abs. 1 RTVG
). Im Werbebereich trifft den Veranstalter eine auf die Einhaltung der diesbezüglichen Bestimmungen reduzierte, im Programmbereich dagegen die ganze redaktionelle Verantwortung. Hierauf nahm das Bundesgericht Bezug, wenn es in
BGE 123 II 402
ff. ausführte, dass die Werbung nicht zum eigentlichen Programm zähle und der Programmbegriff ein redaktionelles Aufarbeiten von Information zu einer Sendung und deren Ausstrahlung seitens des Veranstalters voraussetze, da nur diese Tätigkeit unter die Programmgrundsätze von
Art. 55bis Abs. 2 aBV
und
Art. 4 RTVG
falle (
BGE 123 II 402
E. 3b S. 409 f.). Daraus lässt sich indessen nicht schliessen, dass nur dann eine Sendung vorliege, wenn eine meinungsbildungsrelevante redaktionelle Überarbeitung stattgefunden hat, ansonsten etwa die Ausstrahlung eines nicht weiter bearbeiteten Spielfilms im Fernsehen (vgl. etwa VPB 61/1997 Nr. 70 S. 655 ff. ["Mann beisst Hund"]; 53/1989 Nr. 47 S. 335 ff. ["37o2 le matin"]) oder eines Fussballmatch-Berichts am Radio programmrechtlich irrelevant erschiene. Die abweichende Auffassung der Beschwerdeführer verwechselt das Beanstandungsobjekt (Sendung) mit dem Beanstandungsgrund (Verletzung von Programmgrundsätzen). Die "Verkehrsinformationen" und die hier kritisierte, damit verbundene Nennung von ACS und TCS, welche vom restlichen Programm abgegrenzt, aber in dessen Rahmen ausgestrahlt wurden, waren deshalb Sendungen, die der Programmkontrolle unterlagen, selbst wenn es dabei nicht um die eigentliche Sachinformation, sondern - wie die Beschwerdeführer einwenden - lediglich um die Nennung einer von ihnen vereinbarten Marke ging. Auch in diesem Punkt sind die rundfunkrechtlichen Bestimmungen einzuhalten, weshalb der Hinweis der Automobilverbände auf die Handels- und Gewerbefreiheit und ihre Vertragsautonomie an der Sache vorbei geht. Im angefochtenen Entscheid wurde nicht die konzessionsrechtliche Zulässigkeit der Zusammenarbeit von Radio DRS mit ACS und TCS als solche geprüft, was allenfalls in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts gefallen wäre, sondern die
BGE 126 II 7 S. 14
Wirkung, welche die jeweilige Nennung von ACS und TCS auf die Willensbildung der Zuhörer haben konnte. Der vorliegende Fall kann deshalb nicht mit der offenbar vom Bundesamt geprüften Zusammenarbeit mit dem Verlag "K-Tip" verglichen werden. Auch geht der Hinweis auf
BGE 118 Ib 356
ff. fehl, da dort die Frage der Zulässigkeit der Werbung für eine Uhr, welche über die Marke mit einer Zigarette verbunden war ("Camel-Trophy-Watch"), im Werbefernsehen und nicht - wie hier - eine wiederholte Namensnennung im Programmbereich umstritten war.
bb) Die weiteren formellen Einwände der Beschwerdeführer sind offensichtlich unbegründet: Die von X. und 31 Mitunterzeichnern am 28. Dezember 1998 bei der UBI eingereichte Beschwerde enthielt eine kurze und hinreichend klare Begründung im Sinne von
Art. 62 Abs. 2 RTVG
(vgl. zur Begründungspflicht: BOINAY, a.a.O., Rz. 384 ff.). Es ging daraus unmissverständlich hervor, dass die Beschwerdeführer die Nennung der Automobilverbände im Zusammenhang mit den "Verkehrsinformationen" wegen der Abstimmungskampagne um die Vorlage zur Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs als verbotene politische Werbung im Sinne von
Art. 18 Abs. 5 RTVG
und als Verstoss gegen die Programmgrundsätze von
Art. 3 und 4 RTVG
werteten. Im Übrigen setzten sie sich mit dem Schlussbericht der Ombudsstelle im Einzelnen auseinander, was ihre Argumente zusätzlich verdeutlichte. Entgegen den Vorbringen der SRG war nicht erforderlich, dass sie jede einzelne "Verkehrsinformation" bezüglich ihres Sendezeitpunkts detailliert beanstandeten, nachdem die entsprechenden Beiträge im umstrittenen Punkt zugestandenermassen immer gleich aufgebaut waren und überdies - je nach der jeweiligen Verkehrslage - auch ausserhalb der üblichen Sendezeiten ausgestrahlt wurden.
4.
Die Unabhängige Beschwerdeinstanz ging in ihrem ersten Entscheid vom 30. Mai 1997 davon aus, dass es sich bei der umstrittenen Nennung um ein Problem der indirekten Werbung und nicht um ein solches des Sponsorings handle, was in der Lehre teils auf Kritik stiess (vgl. die Anmerkungen zum entsprechenden Entscheid von BERTIL COTTIER, in: medialex 1997 S. 168 f.). Im Entscheid vom 5. März 1999 liess sie die Frage in der Folge offen, da das Radio- und Fernsehgesetz sowohl die politische Werbung (
Art. 18 Abs. 5 RTVG
) wie das politische Sponsoring (
Art. 19 Abs. 4 und 5 RTVG
) verbiete, weshalb die entsprechende Qualifikation nicht von Belang sei, soweit geprüft werde, ob einer "werbenden" Botschaft eine politische
BGE 126 II 7 S. 15
Wirkung zukomme. Diese Auffassung verkennt indessen, dass Werbung und Sponsoring unterschiedlichen Zwecken dienen und deshalb auch hinsichtlich des politischen Charakters einer Aussage nicht notwendigerweise den gleichen Regeln unterworfen sein müssen. Nach
Art. 18 Abs. 5 RTVG
ist die politische Werbung (im Rahmen von Werbesendungen) schlechterdings verboten; gemäss
Art. 19 Abs. 5 RTVG
dürfen Sendungen (im Programmbereich) dagegen lediglich nicht durch Sponsoren finanziert werden, die ZUR HAUPTSACHE Produkte herstellen oder verkaufen oder Dienstleistungen erbringen, für die ein Werbeverbot besteht. Mit Blick hierauf ist deshalb vorweg zu prüfen, ob ein Sponsoring vorliegt, und erst anschliessend zu klären, ob der strittige Hinweis eine relevante politische Komponente enthielt bzw. es sich dabei allenfalls um eine unerlaubte Schleichwerbung handelte, soweit kein Sponsoring vorliegen sollte.
5.
a) Nach
Art. 16 Abs. 1 RTVV
gilt als Sponsoring "die Beteiligung einer natürlichen oder juristischen Person, die an der Veranstaltung von Radio- und Fernsehprogrammen oder an der Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt ist, an der direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung, um den Namen, die Marke oder das Erscheinungsbild der Person zu fördern". Werbung ist dagegen "jede öffentliche Äusserung zur Förderung des Abschlusses von Rechtsgeschäften über Waren oder Dienstleistungen, zur Unterstützung einer Sache oder einer Idee oder zur Erzielung einer anderen vom Werbetreibenden gewünschten Wirkung", wofür diesem "gegen Bezahlung oder eine ähnliche Gegenleistung Sendezeit zur Verfügung gestellt wird" (
Art. 11 Abs. 1 RTVV
). Das Sponsoring dient dem langfristigen Imagegewinn und ist nicht auf den kurzfristigen Abschluss von konkreten Rechtsgeschäften ausgerichtet (vgl. ROLF H. WEBER, Rechtliche Grundlagen für Werbung und Sponsoring, in: Schweizerische Mitteilungen über Immaterialgüterrecht [SMI], 1993 S. 213 ff., insbesondere S. 219 ff. und S. 224); es bezieht sich im Gegensatz zur Werbung, bei der gegen Entgelt Sendezeit zur eigenen Gestaltung durch den Kunden im Rahmen der rundfunkrechtlichen Werbebestimmungen zur Verfügung gestellt wird, auf einen Teil des redaktionellen Programms, das in der Verantwortung des Veranstalters verbleibt (vgl.
Art. 16 Abs. 2 RTVV
).
b) Bei der umstrittenen Nennung von ACS und TCS vor den "Verkehrsinformationen" handelt es sich - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeinstanz in ihrem Entscheid vom 30. Mai 1997 - um ein solches Sponsoring:
BGE 126 II 7 S. 16
aa) Die Verkehrsinformationen stellen eine sponserbare Sendung im Programmbereich dar. Sie sind vom restlichen Programm schon akustisch klar abgegrenzt. Der Hinweis auf die Zusammenarbeit bzw. auf das Ermöglichen der nachfolgenden Sendung dank der Mitwirkung von ACS und TCS wird - für den Zuhörer erkennbar - von den eigentlichen Meldun- gen seinerseits insofern abgehoben, als die einleitende Nennung von ACS und TCS durch eine andere als die für die Verkehrsinformationen verantwortliche Person erfolgt. Der Sponsor will durch seine Unterstützung die Produktion und Ausstrahlung einer vom Publikum als wertvoll beurteilten Sendung ermöglichen und dadurch sein Ansehen steigern. ACS und TCS geht es mit ihrer Nennung objektiv erkennbar hierum und nicht um den Abschluss irgendwelcher Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit ihren (Vereins-)Aktivitäten. Auch die Unabhängige Beschwerdeinstanz erblickte denn die zusätzliche politische Wirkung gerade darin, dass "die Nennung im Zusammenhang mit einer wertvollen, politisch neutralen Dienstleistung (Sendungen 'Verkehrsinformationen')" erfolgt sei; von einer unerlaubten gezielten Werbewirkung im Sinn von
Art. 19 Abs. 3 RTVG
kann deshalb keine Rede sein.
bb) Gemäss der Kooperations-Vereinbarung von 1996 betreiben die Vertragspartner in den Räumen des TCS in Genf als Koordinations- und Leitstelle eine gemeinsame Verkehrsinformationszentrale. Dieser obliegt die Zusammenarbeit mit Polizei, Behörden, den Partnern und übrigen Dritten. Die Zentrale übernimmt die Triage, journalistische Gewichtung, Auswertung und Aufbereitung der eingehenden Meldungen und überprüft die Verkehrsinformationen auf ihre Richtigkeit und inhaltliche Übereinstimmung in allen betreuten Medien. Überdies stellt sie die Unmittelbarkeit eines verzögerungsfreien Meldeflusses sicher (vgl. Ziff. 2.1 der Vereinbarung). Das in der Verkehrszentrale tätige Personal ist gemäss den arbeitsvertraglichen Regelungen des TCS angestellt, wobei die Mitarbeiter in enger Zusammenarbeit mit Radio DRS ausgewählt werden (Ziff. 2.4 der Vereinbarung). Ihre fachtechnische Ausbildung ist Sache des TCS, die radiophone erfolgt durch Radio DRS. Jeder Partner erbringt die ihm zugewiesenen Aufgaben in diesem Rahmen grundsätzlich zu seinen Lasten (vgl. Ziff. 2.2 der Vereinbarung). Damit finanzieren die Automobilverbände aber die Sendung "Verkehrsinformationen" zumindest indirekt mit, weshalb auch insofern die Voraussetzungen eines Sponsorings erfüllt sind.
cc) Zwar darf der Sponsor selber nach
Art. 16 RTVV
"an der Veranstaltung von Radio- und Fernsehprogrammen oder an der
BGE 126 II 7 S. 17
Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt" sein. Diese Bestimmung dient jedoch lediglich der Abgrenzung des Sponsorings zur Koproduktion, die nicht unter die entsprechenden Regeln fallen soll (vgl. DUMERMUTH, Rundfunkrecht, a.a.O., Rz. 299). Als Koproduktion gilt nach den Sponsoring-Richtlinien des BAKOM vom Juni 1999 (veröffentlicht in medialex 1999 S. 193 ff.) - bei denen es sich zwar lediglich um verwaltungsinterne Richtlinien und keine eigentlichen Rechtssätze handelt (vgl.
BGE 121 II 473
E. 2b S. 478), von denen abzuweichen vorliegend jedoch keine Veranlassung besteht - die gemeinsame Produktion oder Finanzierung von audiovisuellen Werken durch mehrere Rundfunkveranstalter (oder durch Veranstalter und von diesen unabhängige Produzenten). Produzent ist dabei eine Person oder Unternehmung, deren Haupttätigkeit in der Herstellung, der Finanzierung oder dem Vertrieb von audiovisuellen Werken besteht (vgl. S. 2 der Sponsoring-Richtlinien). Hiervon kann bei ACS und TCS nicht die Rede sein, auch wenn sie gemäss der Kooperations-Vereinbarung vom April 1996 an der Herstellung bzw. Produktion der "Verkehrsinformationen" über die Verkehrsinformationszentrale beteiligt sind, handelt es sich dabei doch auf jeden Fall nicht um eine ihrer Haupttätigkeiten. Gemäss Ziffer 6 der Sponsoring-Richtlinien von 1999 kann der Sponsor die von ihm finanzierte Sendung ganz oder teilweise selbst produzieren bzw. produzieren lassen und einem Veranstalter gratis oder vergünstigt zur Verfügung stellen. Das Radio- und Fernsehgesetz verbietet dies nicht, doch verbleibt die redaktionelle Verantwortung dabei vollumfänglich beim Programmveranstalter, der deshalb besonders auf die Einhaltung der Programmgrundsätze (
Art. 4 und 5 RTVG
; Verbot der Schleichwerbung) hinsichtlich der gesponserten Sendung achten muss. Die Kooperations-Vereinbarung zwischen SRG, TCS und ACS behält die programmliche/redaktionelle Unabhängigkeit von Radio DRS ausdrücklich vor (Ziffer 3.1). Im Übrigen obliegt die fachtechnische Oberaufsicht der Verkehrsinformationszentrale einem gemeinsamen "Steering Committee", in dem neben dem ACS und TCS alle drei Regionen/SRG-Radios mit je einer Stimme vertreten sind (Ziff. 2.5), was wiederum der Sicherung der Programmautonomie dient. Es spricht deshalb auch insofern nichts dagegen, die Nennung von ACS und TCS als Sponsoring zu behandeln.
dd) Ein solches ist hier schliesslich auch nicht unzulässig, weil zwischen dem Tätigkeitsbereich der Sponsoren (TCS/ACS) und den im geschilderten Sinn mitfinanzierten "Verkehrsinformationen" ein
BGE 126 II 7 S. 18
sachlicher Zusammenhang besteht und die Sponsoren entgegen
Art. 19 Abs. 2 RTVG
nicht jeweils sowohl am Anfang wie auch am Ende der Sendung genannt werden (vgl. UBI-Entscheid vom 30. Mai 1997, E. 5). Dass die "Verkehrsinformationen" in erster Linie die Automobilisten ansprechen dürften, deren Interessenwahrung die Automobilverbände vorab bezwecken, macht die Verbände selber noch nicht zum Thema der gesponserten Sendung, was nach den Sponsoring-Richtlinien von 1993 noch untersagt gewesen, inzwischen unter gewissen Kautelen jedoch zulässig wäre (vgl. Ziffer 17 der Sponsoring-Richtlinien von 1999). Das Radio- und Fernsehgesetz schliesst nicht zum Vornherein jeglichen sachlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Sponsors und der gesponserten Sendung aus (vgl. BOINAY, a.a.O., Rz. 34; WEBER, a.a.O., S. 226 f.): Es wäre nicht einzusehen, weshalb ein Verleger nicht eine Literatursendung oder ein Computerhersteller nicht ein technisches Magazin sollte unterstützen können, soweit die nötige Transparenz über seine Beteiligung und die redaktionelle Verantwortung des Veranstalters gemäss den einschlägigen Bestimmungen gewahrt bleiben.
Art. 19 Abs. 2 RTVG
gebietet zwar die Nennung des Sponsors vor und nach der Sendung; zu Recht gehen das Bundesamt und das Departement aber davon aus, dass dies bei kurzen Sendungen - wie der Zeitangabe oder wie hier der Verkehrsinformationen - nicht gelten kann, wäre damit in den meisten Fällen doch gerade eine den Rahmen des Sponsorings sprengende Werbewirkung verbunden (vgl. Ziff. 9 der Sponsoring-Richtlinien von 1999; Entscheid des UVEK vom 8. Dezember 1998, E. 2c u. d, veröffentlicht in medialex 1999 S. 49 ff.).
ee) Handelt es sich nach dem Gesagten vorliegend damit aber um ein Sponsoring, kann keine Schleichwerbung (unbezahlte Werbung im Programmbereich) vorliegen. Hieran ändert nichts, dass sich die Parteien bei Abschluss ihrer Vereinbarung des Sponsorings nicht bewusst waren, ist doch im vorliegenden Zusammenhang einzig die objektiv richtige rundfunkrechtliche Qualifikation und nicht eine allenfalls hiervon abweichende privatrechtliche Bezeichnung von Bedeutung. Es ist im Folgenden deshalb zu prüfen, ob das umstrittene Sponsoring Programmbestimmungen verletzt hat, indem ihm mit Blick auf die Abstimmungskampagne über die Vorlage zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs ein - wie die Unabhängige Beschwerdeinstanz annahm - die Meinungsbildung beeinflussender politischer Charakter zukam.
6.
a) Nach
Art. 19 Abs. 4 RTVG
dürfen Nachrichtensendungen
BGE 126 II 7 S. 19
wie Tagesschau und Magazine sowie Sendungen und Sendereihen nicht gesponsert werden, die mit der Ausübung politischer Rechte in Bund, Kantonen und Gemeinden zusammenhängen. Zudem dürfen Sendungen generell nicht durch Sponsoren finanziert werden, die zur Hauptsache Produkte herstellen oder verkaufen oder Dienstleistungen erbringen, für die ein Werbeverbot besteht (
Art. 19 Abs. 5 RTVG
). Bereits vor diesem Hintergrund erscheint die Auffassung nicht zwingend, der umstrittenen Nennung von ACS und TCS komme ein verbotener politischer Charakter zu. Die "Verkehrsinformationen" als solche sind politisch neutral und stehen deshalb einem Sponsoring offen. Zwar besteht ein Verbot für politische Werbung (
Art. 18 Abs. 5 RTVG
); ein Sponsoring ist nach dem Wortlaut von
Art. 19 Abs. 5 RTVG
indessen nur untersagt, soweit der Sponsor "zur Hauptsache" Dienstleistungen erbringt, die in den Bereich des entsprechenden Werbeverbots fallen. In der Lehre wird die Meinung vertreten, dass politische Parteien mit Ausnahme von Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen zur Imageverbesserung auch Rundfunkbeiträge sponsern dürften (MICHAEL DÜRINGER, Radio- und Fernsehwerbung, Diss. ZH 1994, S. 114). Da die gesponserte Sendung auf die Tätigkeit des Sponsors Bezug nehmen bzw. dieser nach den Sponsoring-Richtlinien von 1999 sogar selber Gegenstand der Sendung bilden kann, erscheint diese Auffassung mit Blick auf Sinn und Zweck des Verbots der politischen Werbung (hierzu einlässlich
BGE 123 II 402
E. 5) jedoch nicht zwingend; die Problematik braucht hier indessen nicht weiter vertieft zu werden, da vorliegend so oder anders nicht von einer irgendwie gearteten "politischen Werbebotschaft" ausgegangen werden kann.
b) Bei der Beurteilung der politischen Wirkung einer wiederholten Namensnennung ist zwar, wie die Beschwerdeinstanz zu Recht festgestellt hat, nicht ausschliesslich auf den unmittelbaren Inhalt des Beitrags abzustellen, sondern gegebenenfalls auch das politische Umfeld in die Bewertung miteinzubeziehen (vgl.
BGE 123 II 402
E. 5). Entscheidend bleibt in erster Linie aber - wie allgemein bei der programmrechtlichen Beurteilung einer Sendung -, welche Wirkung vom beanstandeten Beitrag zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Kontext auf die Meinungs- und Willensbildung des Publikums ausgeht (vgl.
BGE 119 Ib 166
E. 3a S. 170); dabei ist dessen jeweiliges Vorwissen mitzuberücksichtigen (vgl.
BGE 121 II 359
E. 4c S. 365 mit Hinweis). Dies hat die Unabhängige Be-Schwerdeinstanz vorliegend zu wenig getan:
BGE 126 II 7 S. 20
aa) ACS und TCS sind dem Publikum als Automobilverbände bekannt. Ihre politischen Stellungnahmen im Bereich der Verkehrspolitik werden in der Öffentlichkeit unter dieser Optik wahrgenommen und gewichtet. Ihre Namensnennung im Zusammenhang mit den jeweiligen aktuellen "Verkehrsinformationen" erfolgte diskret und nahm in keiner Weise Bezug auf ein politisches Anliegen. Der Durchschnittszuhörer nahm auch während des Abstimmungskampfs um die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs vor allem vom Inhalt der "Verkehrsinformationen" Kenntnis. Nur die wenigsten dürften die damit verbundene Nennung von ACS und TCS als Sponsoren meinungsbildungsrelevant mit der Vorlage über die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs bzw. allgemeiner mit dem sektoriell beschränkten und dem Publikum bekannten politischen Engagement der Automobilverbände verbunden haben. Auch der Ombudsmann als durchschnittlicher Zuhörer hielt denn bezeichnenderweise in seinem Bericht fest, dass er die Verkehrsmeldung von Radio DRS täglich mehrmals "über sich ergehen lasse", vor dem Erhalt der Beanstandung aber "nie und nimmer auf den Gedanken gekommen wäre, mit der Nennung von TCS und ACS als dafür Mitverantwortliche würde den Hörerinnen und Hörern irgendetwas suggeriert"; dies, obwohl er persönlich weder Mitglied des TCS noch des ACS und ein Befürworter der Vorlage über die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs sei. Umgekehrt habe er auch als Mitglied des VCS eine Durchsage, welche die VCS-Mitfahrerzentrale betraf, nie als Werbung zugunsten der FinöV-Vorlage verstanden.
bb) Bei der Beurteilung des angeblich politischen Charakters der Mitteilung und dessen Wahrnehmung im Publikum fällt zudem ins Gewicht, dass der entsprechende Hinweis auf die Beteiligung von ACS und TCS am Strassenzustandsbericht bzw. heute an den "Verkehrsinformationen" seit Jahren zur schweizerischen Radiolandschaft gehört und somit kaum mehr geeignet ist, im Hinblick auf eine konkrete Abstimmungsvorlage eine Werbewirkung zu erzielen. Wie in der Doktrin zu Recht festgestellt wurde, gibt es im Rahmen der Referendums- und Initiativdemokratie in der Schweiz kaum ein Thema, das nicht irgendwie politisch thematisiert ist oder werden könnte. Eine verbotene politische Wirkung im Umfeld einer Abstimmung ist deshalb immer auch unter dem Gesichtswinkel von Treu und Glauben zu würdigen (PIERRE-AMI CHEVALIER, L'interdiction de la "propagande politique" à la radio-TV: Un casse-tête, in: medialex 1996 S. 61 ff., insbesondere S. 63). In dieser Hinsicht wird ein Verstoss gegen das entsprechende Werbeverbot eher zu bejahen
BGE 126 II 7 S. 21
sein, wenn eine Sendung (Spot oder Sponsoring) gerade punktuell im Vorfeld einer konkreten Abstimmung, Wahl oder Lancierung einer Initiative oder eines Referendums erfolgt, hingegen nicht, wenn ein Sponsor - wie hier - im Zusammenhang mit einer seit Jahren ständig angebotenen, apolitischen Serviceleistung des Veranstalters genannt wird.
7.
a) Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass es sich bei der beanstandeten Nennung von ACS und TCS im Zusammenhang mit den "Verkehrsinformationen" im Vorfeld der FinöV-Abstimmung um eine zulässige Form von Sponsoring gehandelt hat und dadurch keine Programmbestimmungen verletzt wurden. Die Beschwerden sind deshalb gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Da das Gericht damit in der Sache selber entscheidet, erübrigen sich Erörterungen im Zusammenhang mit dem Eventualantrag. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d770d152-343d-4fff-8fb2-7918dfd4a462 | Urteilskopf
98 Ib 282
41. Estratto della sentenza 13 ottobre 1972 nella causa Amministrazione federale delle contribuzioni contro X. | Regeste
Art. 5 und 45 Abs. 2 VwG; Art. 97 Abs. 1 und 105 Abs. 2 OG.
Zwischenverfügungen; nicht wieder gutzumachender Nachteil; Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts.
1. Zwischenverfügungen im Sinne des Art. 45 Abs. 2 VwG sind nur dann selbständig durch Beschwerde anfechtbar, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil für den Beschwerdeführer bewirken können (Erw. 3).
2. Eine Zwischenverfügung, welche angebotene Beweise nicht zulässt, ist nur dann selbständig anfechtbar, wenn die Beweise gefährdet sind und erhebliche, noch nicht abgeklärte Umstände betreffen (Erw. 4).
3. Bei der materiellen Beurteilung einer gegen eine solche Verfügung gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat das Bundesgericht, wenn es durch
Art. 105 Abs. 2 OG
gebunden ist, nur zu prüfen, ob die abgelehnten Beweise geeignet seien, einen offensichtlichen Irrtum zu vermeiden oder eine augenscheinliche Lücke zu schliessen, oder ob eine wesentliche Verfahrensbestimmung verletzt worden sei (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 283
BGE 98 Ib 282 S. 283
Riassunto dei fatti:
In una causa fiscale tra X e l'Amministrazione federale delle contribuzioni è litigioso se l'indennità corrisposta dalle FFS ad X in seguito all'espropriazione di terreni già di sua proprietà a Chiasso debba essere computata nel suo reddito imponibile. Dopo una prima decisione in senso affermativo, il Tribunale federale, in sede di revisione, disponeva che la Camera di diritto tributario delTribunale d'Appello del cantone Ticino procedesse ad un supplemento d'istruzione destinato a chiarire determinate circostanze emerse successivamente. Nel corso di tale procedura, l'Amministrazione federale delle contribuzioni chiedeva l'audizione di quattro testi, in grado, a suo avviso, di fornire le delucidazioni richieste. La Corte cantonale, con decisione del 21 giugno 1972, ammetteva l'audizione solamente di due di essi, osservando di non essere vincolata dalle domande delle parti per quanto concerneva le misure d'istruzione che le incombevano.
L'Amministrazione federale delle contribuzioni ha proposto contro tale decisione ricorso di diritto amministrativo avanti il Tribunale federale, insistendo perchè i due testi non ancora uditi siano intesi. X e la Corte cantonale postulano che il ricorso sia dichiarato inammissibile o, in subordine, respinto.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1./2. - ...
3.
Lungi dal mettere termine alla controversia pendente, la decisione del 21 giugno 1972 concerne unicamente i mezzi di prova relativi ai fatti determinanti per statuire sul merito. Le parti la considerano quindi correttamente come una decisione incidentale.
Rimane da esaminare se, per poter essere impugnata con ricorso di diritto amministrativo, tale decisione debba comportare un pregiudizio irreparabile; l'intimato e la Corte cantonale sostengono, contrariamente all'avviso della ricorrente, che tale presupposto è indispensabile.
BGE 98 Ib 282 S. 284
In virtù dell'
art. 101 lett. a OG
, il ricorso di diritto amministrativo contro una decisione incidentale è ammissibile soltanto ove tale ricorso sia ammissibile contro la decisione finale. La giurisprudenza federale ha peraltro richiesto la presenza d'un secondo presupposto: perchè una decisione incidentale sia impugnabile con ricorso di diritto amministrativo essa deve implicare un pregiudizio irreparabile (RU 97 I 478 s.). Tale esigenza si fonda sulle considerazioni seguenti: in virtù dell'
art. 97 cpv. 1 OG
, possono essere impugnate dinnanzi al Tribunale federale con ricorso di diritto amministrativo solamente le decisioni definite dall'art. 5 PAF; nel riferirsi all'art. 45, l'art. 5 cpv. 2 PAF include nella nozione di decisione le decisioni incidentali; infine, l'art. 45 cpv. 1 PAF stabilisce che le decisioni incidentali sono impugnabili solamente se possono cagionare un pregiudizio irreparabile. Oltre a tali argomenti tratti dalle disposizioni di legge può rilevarsi che il diritto di ricorrere al Tribunale federale non deve essere più esteso di quello di aggravarsi avanti un'autorità amministrativa di ricorso.
Mentre l'art. 45 cpv. 1 PAF riguarda esplicitamente le decisioni incidentali che possono comportare un pregiudizio irreparabile, il capoverso 2 dello stesso articolo enumera determinate categorie di decisioni incidentali impugnabili a titolo indipendente, senza collegarle espressamente al presupposto del pregiudizio irreparabile. Si tratta delle decisioni concernenti: la competenza (lett. a), la ricusazione (lett. b), la sospensione del procedimento (lett. c), l'obbligo d'informazione, di testimonianza o d'edizione o l'esclusione di una parte dall'audizione dei testimoni (lett. d), il diniego d'esame degli atti (lett. e), il rifiuto di assumere prove (lett. f), i provvedimenti d'urgenza (lett. g), il rifiuto del patrocinio gratuito (lett. h). Sorge quindi la domanda, se il presupposto del pregiudizio irreparabile si riferisce a tutte le decisioni incidentali, comprese quelle enumerate nell'art. 45 cpv. 2 PAF, dopo l'espressione "in particolare". La genesi delle disposizioni che entrano in considerazione, la loro interpretazione sistematica ed il loro fine conducono ad una risposta affermativa.
Nel disegno di legge che il Consiglio federale aveva sottoposto al Parlamento, la disposizione che corrispondeva all'attuale art. 45 PAF comprendeva un solo capoverso, costituito di una sola frase. Esso dichiarava ammissibile il ricorso contro "decisioni pregiudiziali e altre decisioni incidentali in una procedura
BGE 98 Ib 282 S. 285
pendente, che possono cagionare un pregiudizio irreparabile, in particolare contro le decisioni circa: a. la competenza...". Risulta da tale testo che l'esigenza del danno irreparabile si riferiva a tutte le decisioni incidentali, comprese quelle enumerate dopo l'espressione "in particolare" e che figurano nel vigente art. 45 cpv. 2 PAF. Benché il testo proposto dal Consiglio federale fosse poi in parte modificato, non si rinunciò all'idea di subordinare l'impugnativa alla possibilità d'un pregiudizio irreparabile. Il successivo smembramento in due capoversi della disposizione corrispondente all'attuale art. 45 PAF cpv. 1 e 2 dipese da ragioni puramente formali; tale conclusione è confortata dal fatto che, durante le deliberazioni parlamentari, i relatori non segnalarono l'innovazione summenzionata tra quelle che avevano una rilevanza materiale (Boll. uff.: CN 1968, p. 319 s.; CS 1968, p. 199). Un membro della commissione del Consiglio Nazionale che aveva chiesto che nell'enumerazione fossero comprese le decisioni concernenti il rifiuto di assumere prove (non contemplate nel disegno governativo) e che si prescindesse, in modo generale, dal presupposto del pregiudizio irreparabile, ottenne soddisfazione per quanto concerne il primo punto, ma rimase isolato sul secondo; gli fu addirittura opposto che, specialmente in materia di assunzione di prove, tale limitazione era indispensabile (3a sessione, p. 37 s.). Per ragioni di completezza è da precisare che l'aggiunta d'un terzo capoverso fu dovuta a motivi del tutto estranei alla questione che qui interessa.
Il proposito di esigere il presupposto del pregiudizio irreparabile per tutte le decisioni incidentali, anche per quelle enumerate nel cpv. 2 dell'art. 45 PAF, si evince quindi chiaramente già dai lavori preparatori.
Tale interpretazione è sostenuta anche da un argomento d'ordine sistematico. Pur non essendo tassativa (FF 1965 II 924), l'enumerazione contenuta nell'art. 45 cpv. 2 PAF include certamente le decisioni incidentali più frequenti ed importanti. Nel limitare il presupposto del pregiudizio irreparabile alle sole decisioni che non figurino in tale capoverso, si spoglierebbe l'art. 45 cpv. 1 PAF del suo carattere generale quale risulta dallo stesso suo testo. Ossia, l'eccezione sarebbe più estesa della regola.
È d'altronde conforme al fine perseguito dall'art. 45 cpv. 1 PAF esigere che il presupposto richiesto nel primo capoverso
BGE 98 Ib 282 S. 286
valga anche per le decisioni menzionate nel secondo. Nell'ammettere il ricorso contro le decisioni incidentali, il legislatore si è ispirato al principio dell'economia processuale. Infatti, se i vizi inerenti in una decisione incidentale non potessero essere corretti prima della decisione finale, la procedura di prima istanza dovrebbe spesso, pur essendo già stata condotta a termine, essere completamente rinnovata. Dichiarando impugnabili senza restrizioni le decisioni incidentali si otterrebbe tuttavia un risultato opposto all'economia processuale, dato che le parti potrebbero presentare sempre nuovi ricorsi, molti dei quali esigerebbero certamente un esame prolungato; specialmente in materia di assunzione di prove, l'autorità di ricorso potrebbe decidere sul rifiuto dei mezzi proposti dalle parti solamente dopo aver esaminato, almeno superficialmente, le questioni di merito. Invece di divenire più speditivo, il ritmo della procedura rischierebbe un inutile rallentamento. Per tener conto in modo efficace del principio dell'economia processuale era quindi necessario non soltanto prevedere l'impugnabilità delle decisioni incidentali, ma anche provvederla d'una restrizione, quale appunto il presupposto del pregiudizio irreparabile. Tali considerazioni valgono ovviamente per tutte le decisioni incidentali, tanto per quelle enumerate nell'art. 45 cpv. 2 PAF che per le altre.
Risulta quindi, indipendentemente dal metodo interpretativo seguito, che il presupposto del pregiudizio irreparabile deve essere richiesto per tutte le decisioni incidentali. Questo principio è d'altronde già seguito dal Tribunale federale delle assicurazioni (RU 97 V 249).
4.
Resta da definire il concetto di pregiudizio irreparabile ai sensi dell'art. 45 PAF. A prima vista si potrebbe essere indotti ad interpretarlo nella stessa guisa del "danno irreparabile" richiesto dall'
art. 87 OG
, ossia ad ammetterne l'esistenza ove una decisione finale favorevole al ricorrente non valesse ad eliminarlo completamente, senza tuttavia tener conto a tal fine d'una semplice protrazione nel tempo del procedimento (RU 71 I 386;
77 I 226
;
79 I 46
, 154;
85 I 199
;
87 I 370
, 372, 374;
89 I 362
;
93 I 64
, 403;
94 I 209
). Un tale criterio non sarebbe peraltro compatibile con il principio che regge l'art. 45 PAF. Infatti, tranne i provvedimenti urgenti, nessuna delle categorie di decisioni incidentali enumerate nell'art. 45 cpv. 2 PAF potrebbe essere a questa stregua impugnata a titolo indipendente,
BGE 98 Ib 282 S. 287
dato che il danno risultante da dette decisioni sarebbe pur sempre eliminato completamente in caso di decisione finale favorevole al ricorrente. Solleva seri dubbi sull'opportunità di ricorrere al menzionato criterio anche la circostanza che la giurisprudenza propende in determinate fattispecie a prescindere da un'interpretazione rigorosa dell'
art. 87 OG
, per esempio considerando ammissibili, malgrado l'effetto riparatore della decisione finale, ricorsi presentati contro decisioni concernenti la composizione del tribunale (RU 69 I 16 s.;
87 I 177
), la consultazione degli atti, e l'assistenza giudiziaria.
In assenza di un criterio che sia oggi in grado d'essere applicato in modo uniforme alle distinte categorie di decisioni a cui si riferisce l'art. 45 cpv. 2 PAF, s'impone di considerare gli aspetti specifici d'ognuna di tali categorie. Ne discende che per le decisioni concernenti il rifiuto di assumere prove, deve esigersi, da un lato, che le prove rifiutate siano suscettibili di accertare circostanze determinanti non ancora chiarite, e, dall'altro, che dette prove corrano pericolo di venir meno prima della conclusione del procedimento. Questa seconda ipotesi è data, in particolare, quando un teste rischi di non essere più disponibile o una situazione d'essere alterata.
5.
Perché un rifiuto di assunzione di prove costituisca una decisione incidentale comportante un pregiudizio irreparabile, non basta, come si potrebbe arguire a prima vista, che esso sia stato pronunciato da un tribunale cantonale o da una commissione di ricorso, ossia da una autorità i cui accertamenti, ai sensi dell'
art. 105 cpv. 2 OG
, vincolano il Tribunale federale, a meno che essi siano manifestamente inesatti o incompleti o siano stati compiuti violando norme procedurali essenziali.
Infatti, l'art. 45 cpv. 2 PAF va applicato tenendo presente l'
art. 105 cpv. 2 OG
testè richiamato. Ciò significa che, anche statuendo su di una decisione incidentale, il Tribunale federale ha un potere d'esame limitato. Nel caso di una decisione incidentale con cui è negata l'assunzione di prove, esso potrà censurarla solamente se sono state rifiutate prove idonee ad evitare un errore manifesto o a colmare una lacuna evidente o se sia stata violata una norma essenziale di procedura.
Ne discende che, fatta salva l'ipotesi in cui i mezzi per provare circostanze determinanti e non ancora chiarite corrono pericolo di venir meno, una tale decisione incidentale non può cagionare un pregiudizio irreparabile al ricorrente, il quale conserva, con
BGE 98 Ib 282 S. 288
le stesse probabilità di successo, il diritto d'impugnare l'assunzione delle prove una volta intervenuta la decisione finale.
6.
Dalle considerazioni precedenti si evince che il presente ricorso è ammissibile solamente se ha per oggetto una decisione suscettibile di causare un pregiudizio irreparabile per la ricorrente, privandola della possibilità di fornire prove che corrano pericolo di venir meno. Tale presupposto non è dato nella fattispecie, poiché nulla lascia supporre che S. P. e R. F. rischino di decedere prematuramente o di rendersi irreperibili. Non v'é quindi ragione d'entrare nel merito del ricorso. | public_law | nan | it | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d7731ceb-63cd-4a52-8870-52b4243c3749 | Urteilskopf
106 III 57
13. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 21 juillet 1980 dans la cause American Express International Banking Corporation et Republic National Bank of New York (recours LP) | Regeste
Drittanspruch bei gepfändeten oder mit Arrest belegten Sachen.
Die verspätete Anmeldung eines besseren Rechts an gepfändeten oder mit Arrest belegten Sachen zieht nur bei offensichtlichem Rechtsmissbrauch Verwirkung nach sich. Eine verspätete Anmeldung ist in der Regel nicht missbräuchlich, wenn der Drittansprecher nicht persönlich von der gegen seine Güter gerichteten Massnahme Kenntnis erhalten hat. | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 106 III 57 S. 57
A.-
Les 29 juin et 11 juillet 1979, l'American Express International Banking Corporation et la Republic National Bank of New York obtinrent des ordonnances de séquestre sur les biens et avoirs d'I. S., d'O. S. et d'A. S. auprès de l'Union de banques suisses, à Genève. L'Office des poursuites de Genève exécuta les séquestres le 11 juillet.
Les séquestres furent validés par des poursuites introduites en temps utile et frappées d'opposition. L'American Express International Banking Corporation obtint la mainlevée provisoire des oppositions et, le 12 novembre 1979, les séquestres qu'elle avait fait exécuter furent convertis en saisies provisoires. La Republic National Bank Of New York participa aux saisies à titre provisoire, conformément à l'
art. 281 LP
.
Les biens séquestrés, puis saisis provisoirement, comprennent le contenu d'un coffre loué en commun par les trois débiteurs et par B. S., épouse d'A. S. et mère d'I. S. et d'O. S. Le 17 juillet 1979, l'Union de banques suisses rédigea une note
BGE 106 III 57 S. 58
avisant les locataires du coffre du séquestre qui avait été exécuté le 11 juillet. Conformément à ce qui avait été convenu dans le contrat de location, ces avis furent adressés aux seuls titulaires de comptes, I. S. et O. S., et furent conservés à la banque. B. S. n'en eut pas connaissance et n'apprit la mise sous main de justice des biens déposés dans le coffre qu'au moment de son ouverture, au mois de décembre 1979. Sitôt après, le 18 décembre, elle déclara revendiquer trois bijoux qui se trouvaient dans le coffre.
Par décision du 7 février 1980, l'Office des poursuites déclara B. S. déchue de ses droits pour avoir tardé à les annoncer et refusa d'introduire la procédure de revendication.
B.-
B. S. a porté plainte en temps utile.
Statuant le 21 juin 1980, l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a annulé la décision attaquée et invité l'Office à introduire la procédure de revendication.
C.-
L'American Express International Banking Corporation et la Republic National Bank Of New York ont recouru au Tribunal fédéral contre la décision de l'autorité cantonale de surveillance. Elles concluent toutes deux à ce que B. S. soit déclarée déchue du droit de revendiquer les bijoux séquestrés puis saisis provisoirement auprès de l'Union de banques suisses.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Un tiers peut en principe revendiquer jusqu'à la distribution des deniers les objets saisis ou séquestrés, ou le produit de leur réalisation (
art. 107 al. 4 LP
). Le créancier poursuivant a toutefois un intérêt légitime à ce que les tiers annoncent rapidement leurs droits préférables. Seule une déclaration de revendication faite sans retard lui permet d'éviter les frais liés à la continuation de la procédure ou, surtout, d'obtenir en temps utile la couverture de sa créance par un nouveau séquestre ou par une saisie complémentaire. Aussi, selon la jurisprudence de la Chambre de céans, le tiers doit-il être déclaré déchu de ses prétentions lorsqu'il tarde à les faire valoir dans le dessein de compromettre la marche de la poursuite (
ATF 104 III 44
ss et les arrêts cités). Un tel procédé constitue en effet l'abus manifeste d'un droit (
art. 2 al. 2 CC
; MERZ, n. 524 ad
art. 2 CC
; DESCHENAUX, Traité de droit civil suisse, t. II 1, p. 174).
BGE 106 III 57 S. 59
Encourt d'ailleurs la même déchéance celui qui, sans agir nécessairement par dol, diffère sa déclaration de revendication de toute autre manière abusive, incompatible avec les règles de la bonne foi. Il en va ainsi du tiers qui tarde, sans aucun motif légitime, à annoncer ses droits préférables alors qu'il ne peut ignorer qu'il entrave par là le déroulement normal de la procédure d'exécution (
ATF 104 III 44
ss et les arrêts cités).
2.
L'Office des poursuites a exécuté les séquestres le 11 juillet 1979 et l'intimée n'a fait valoir ses droits que le 18 décembre. Une déclaration de revendication différée de plus de cinq mois doit en règle générale être considérée comme objectivement tardive (
ATF 104 III 51
s.; arrêt non publié du 28 mars 1980 en la cause Banque populaire suisse). Durant ce laps de temps, le créancier est normalement amené à accomplir des actes et à engager des frais de procédure qui s'avèrent inutiles si un tiers annonce ensuite et fait reconnaître des droits préférables. Il peut en outre perdre l'occasion d'obtenir d'autres actes d'exécution pour la couverture de sa créance. Est dès lors pour le moins discutable l'opinion de l'autorité cantonale selon laquelle la déclaration tardive de revendication n'a pas en l'espèce perturbé le déroulement normal de la poursuite. La question peut toutefois demeurer ouverte, car, pour des raisons subjectives, l'attitude de l'intimée n'apparaît pas incompatible avec les règles de la bonne foi et ne constitue donc pas l'abus manifeste d'un droit.
3.
L'autorité cantonale a constaté souverainement que l'intimée a revendiqué les bijoux déposés dans son coffre sitôt qu'elle a eu connaissance de la saisie provisoire; l'intimée ignorait le séquestre qui avait précédé la saisie. Les recourantes ne soutiennent pas que cette constatation repose sur une inadvertance manifeste ou viole une règle du droit fédéral en matière de preuve. Elles estiment toutefois que l'intimée doit se laisser opposer la connaissance que les personnes autorisées à la représenter ont eue du séquestre. A leur avis, l'intimée serait en outre réputée avoir reçu de sa banque l'avis du séquestre, puisque la note qui s'y rapportait avait été déposée à l'adresse indiquée, soit à la banque même.
La déchéance qu'entraîne une déclaration tardive de revendication repose sur l'interdiction de l'abus de droit. Adopte une attitude contradictoire et inadmissible celui qui laisse un créancier entamer et poursuivre une procédure d'exécution, et fait
BGE 106 III 57 S. 60
valoir ensuite, après de longs mois, des droits préférables sur les biens appréhendés. Un tiers ne peut cependant annoncer ses prétentions avant de connaître la saisie ou le séquestre frappant les biens qu'il entend revendiquer. Partant, il n'encourt en principe aucune déchéance tant qu'il ignore la mesure ordonnée sur ses biens (
ATF 102 III 144
). La connaissance effective de la mesure ne peut être remplacée par le jeu des règles qui s'appliquent entre personnes entretenant des relations juridiques, notamment contractuelles, et qui permettent d'imputer à une partie ce que son représentant a su ou ignoré, ou de considérer un fait comme connu dès réception de l'avis. Le tiers qui, malgré des avis adressés à lui-même ou à des personnes censées le représenter, n'a pas connu la mesure frappant ses biens, n'agit pas de manière abusive en faisant valoir ses droits préférables, à moins que les règles de la bonne foi ne lui interdisent absolument d'invoquer son ignorance.
4.
a) De l'avis des recourantes, les relations pécuniaires des époux S. devraient, à défaut d'autres précisions, être appréciées d'après le droit suisse et soumises au régime légal de l'union des biens. Les bijoux revendiqués constitueraient des apports de l'épouse, laquelle serait dès lors représentée légalement par son mari dans tout litige s'y rapportant (
art. 168 al. 2 CC
). L'intimée ne pourrait de ce fait prétendre avoir ignoré une mesure que son représentant connaissait.
Le droit suisse s'appliquerait-il en l'espèce, qu'A. S. ne serait pas le représentant légal de l'intimée dans la procédure de revendication. Dans la saisie ou le séquestre pratiqués contre son mari, la femme peut en effet exercer elle-même les droits qu'elle a sur ses apports et l'
art. 168 al. 2 CC
n'est pas applicable (
art. 107 al. 5 et 275 LP
; LEMP, n. 24 ad
art. 168 CC
). La thèse des recourantes est de ce seul fait dénuée de tout fondement. Au demeurant, on ne saurait exiger des autorités de poursuite chargées d'introduire la procédure de revendication qu'elles fassent des investigations sur le régime d'époux persans domiciliés en France ni, d'une manière générale, sur le statut matrimonial des biens revendiqués. Elles doivent se limiter aux faits permettant de statuer sur la possession des biens (
art. 106 et 109 LP
) et sur un éventuel abus de droit. Or le pouvoir que la loi peut accorder au mari de représenter sa femme dans les contestations relatives à ses apports est sans pertinence à cet égard. La femme n'agit pas de manière incompatible avec les
BGE 106 III 57 S. 61
règles de la bonne foi en refusant de se laisser opposer l'inactivité d'un représentant légal dont les intérêts étaient en conflit avec les siens.
b) L'intimée a donné à sa banque l'ordre d'adresser à I. S. et O. S. et de conserver par-devers elle toutes communications se rapportant au coffre en cause. Cela ne signifie point qu'elle ait autorisé ses fils à la représenter dans les litiges sur les objets qui y étaient enfermés. On peut admettre tout au plus qu'elle les a chargés de la renseigner sur les communications adressées par la banque. En confiant un tel mandat, l'intimée n'aurait d'ailleurs nullement accepté, dans ses relations extra-contractuelles, d'assumer les risques liés à son inexécution. Elle ne viole pas les règles de la bonne foi, seules décisives, en faisant valoir qu'elle ignorait le séquestre, quand bien même elle en aurait eu connaissance si ses fils avaient suivi ses ordres.
L'intimée agirait certes de manière abusive si elle avait fait adresser son courrier à ses fils pour éviter d'avoir à réagir à des mesures identiques ou analogues à celles qui ont été ordonnées en l'espèce. Mais c'est en 1976 déjà que les locataires du coffre ont donné à leur banque les instructions sur l'envoi des avis qui s'y rapportaient. Aucun des faits retenus dans la décision attaquée ne laisse supposer que l'intimée ait envisagé une mainmise officielle sur les biens déposés dans le coffre, et encore moins l'inexécution des ordres donnés pour la transmission de son courrier.
c) Celui qui omet de lever son courrier ou de le faire suivre ne peut opposer à ses partenaires contractuels qu'il a ignoré un avis qu'ils lui avaient adressé (arrêt du 9 décembre 1969 en la cause Jordan c. Sarteur, SJ 1972 p. 59 ss consid. 1); une règle analogue s'applique aux parties à un procès (
ATF 97 III 10
, 91 II 151 s.). Il ne s'ensuit pas qu'une personne commette un abus de droit en opposant son ignorance d'un fait à un tiers avec lequel elle n'avait ni relation contractuelle ni lien d'instance et qui n'était pas l'auteur de l'avis reçu, mais ignoré. Rien dans les faits de la cause n'autorise à penser que l'intimée ait prévu l'exécution d'une mesure de poursuite sur ses biens, ni même qu'elle ait eu des raisons de l'envisager. Elle n'a donc pas méconnu les règles de la bonne foi en faisant conserver son courrier à la banque et en s'abstenant de le lever durant environ cinq mois. Celui qui fait séquestrer les avoirs bancaires d'étrangers domiciliés à l'étranger doit, dans une certaine mesure,
BGE 106 III 57 S. 62
supporter les risques de retard liés aux communications adressées "banque restante".
d) Les recourantes font valoir que l'intimée a annoncé ses droits préférables par l'entremise de Me Sc., qui était le mandataire des débiteurs depuis l'ouverture de la procédure de séquestre. Elle ne pourrait donc prétendre de bonne foi avoir ignoré une mesure que son avocat connaissait. Ce moyen est dénué de toute pertinence, car il n'a pas été établi, ni même allégué, que l'intimée eût, dès l'exécution du séquestre, chargé Me Sc. de défendre ses droits sur les biens déposés dans le coffre.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette les recours. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d777c5e3-a46e-4263-8204-f867d33d2ddf | Urteilskopf
141 III 23
5. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. SA contre B. (recours en matière civile)
4A_343/2014 du 17 décembre 2014 | Regeste
Art. 257 ZPO
,
Art. 321a, 321b und 339a OR
; Pflicht zur Rückgabe von Unterlagen, Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen.
Rechtsbegehren auf Rückgabe von Unterlagen gemäss
Art. 339a OR
, die in einem Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen (
Art. 257 ZPO
) gestellt werden, müssen vollumfänglich gutgeheissen werden können, andernfalls darauf nicht einzutreten ist (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 23
BGE 141 III 23 S. 23
A.
A.a
B. a été engagé, par contrat de travail du 31 août/1
er
septembre 2005, en qualité de Compliance Manager, par la société A. SA (ci-après: A. ou l'employeur), qui est active notamment dans le domaine du conseil en matière de constitution, contrôle et gestion de trusts, fondations et sociétés dans différentes juridictions. (...)
A.b
A. a licencié son employé par lettre du 7 janvier 2013, avec effet au 30 avril 2013, tout en le libérant de son obligation de travailler avec effet immédiat. (...)
L'employeur soutient que l'employé ne lui a jamais remis aucun document concernant ses contacts avec l'Etude C. et/ou ses clients. L'employé a admis avoir pris contact avec les adversaires de son employeur et les avoir rencontrés, selon lui, afin de se disculper de toute faute dans un montage financier.
A.c
L'employé a saisi le Tribunal des prud'hommes de Genève par une requête de citation en conciliation du 25 mars 2013, contestant le motif de son licenciement. La cause est pendante.
BGE 141 III 23 S. 24
De son côté, l'employeur a déposé contre son employé, le 18 avril 2013, une requête de mesures superprovisionnelles et provisionnelles devant le Tribunal des prudhommes, en vue de "faire cesser les agissements déloyaux et en violation de la clause de concurrence". Par décision de mesures superprovisionnelles du 19 avril 2013, confirmées par décision de mesures provisionnelles du 4 juillet 2014, la présidente du tribunal a fait interdiction à l'employé de communiquer à tout tiers, notamment tout document directement ou indirectement en lien avec son travail pour son employeur, sous menace des peines et sanctions prévues par l'
art. 292 CP
. Le 4 octobre 2013, l'employeur a ouvert action en validation des mesures provisionnelles, ainsi qu'en paiement de dommages-intérêts de 347'169 fr. 05, en particulier du fait de la remise de documents confidentiels et d'informations erronées à Me D.
A. a aussi déposé plainte pénale contre inconnu le 11 janvier 2013, du fait des fuites qu'elles a constatées.
B.
Le 13 août 2013, A. a déposé une requête de protection dans les cas clairs au sens de l'
art. 257 CPC
contre B. devant le Tribunal des prud'hommes de Genève. Elle y prend des conclusions sur trois pages tendant, en substance, à la restitution de documents que celui-ci a remis à des tiers ou a reçus de tiers, notamment à ou de Me D., que ce soit avant la date de la fin du contrat de travail, à cette date ou ultérieurement, et à la reddition de compte pour toutes les informations concernant ses affaires ou ses clients, qu'il a transmises notamment à Me D., ainsi que pour tous les entretiens qu'il a eus, que ce soit avant ou après la date de la fin du contrat de travail. (...) Selon elle, le seul fait pertinent à prouver est le contrat de travail, sur la base duquel se fonde sa requête.
Le défendeur a conclu à l'irrecevabilité de la requête. A l'audience de débats, il a ajouté que la procédure pénale pendante permettrait d'apporter plus de clarté à l'état de fait. Il a contesté avoir en sa possession des documents appartenant à l'employeur; il possède uniquement les documents contractuels qui lui appartiennent et il n'a rien emporté illégalement. (...)
Le tribunal a déclaré la requête irrecevable par jugement du 10 décembre 2013, l'état de fait étant contesté et n'étant pas susceptible d'être immédiatement prouvé comme l'exige l'
art. 257 al. 1 CPC
.
Statuant sur appel de l'employeur, la Chambre des prud'hommes de la Cour de justice du canton de Genève a rejeté l'appel et confirmé le jugement attaqué. (...)
BGE 141 III 23 S. 25
C.
Contre cet arrêt, A. a interjeté un recours en matière civile au Tribunal fédéral le 3 juin 2014. Elle conclut à sa réforme en reprenant les conclusions de trois pages de sa requête et, à titre subsidiaire, à son annulation et au renvoi de la cause à la cour cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
L'employé a conclu à l'irrecevabilité du recours, subsidiairement à son rejet. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
Selon l'
art. 339a al. 1 CO
(qui est de droit absolument impératif en vertu de l'
art. 361 CO
), au moment où le contrat de travail prend fin, les parties se rendent tout ce qu'elles se sont remis pour la durée du contrat, de même que tout ce que l'une d'elles pourrait avoir reçu de tiers pour le compte de l'autre.
Pour le travailleur, cette obligation de restitution découle de son devoir de fidélité (
art. 321a CO
). Déjà en cours de contrat, ce devoir oblige l'employé à rendre compte et à remettre à son employeur notamment tous les documents qu'il reçoit pour le compte de celui-ci (
art. 321b al. 1 CO
; JEAN-PHILIPPE DUNAND, in Commentaire du contrat de travail, 2013, n° 8 ad
art. 321b CO
), de même que tous les documents qu'il produit dans le cadre de son travail, le résultat de son activité professionnelle appartenant à l'employeur (
art. 321b al. 2 CO
; DUNAND, op. cit., n° 13 ad
art. 321b CO
; arrêt 4A_310/2007 du 4 décembre 2007 consid. 5.1). Puis, après la fin du contrat, le devoir de confidentialité, qui perdure après la fin des rapports de travail (
art. 321a al. 4 CO
), impose au travailleur la même obligation de restitution, laquelle s'étend aux copies de documents, afin notamment de prévenir un risque de violation de secrets d'affaires ou de détournement de la clientèle de l'employeur. Une telle prétention peut exister indépendamment de l'éventuel droit d'interdire à l'ex-employé d'exercer une activité concurrente (cf.
art. 340b al. 3 CO
) (RÉMY WYLER, Droit du travail, 2
e
éd. 2008, p. 584; cf. l'arrêt 4A_611/2011 du 3 janvier 2012 consid. 4.3, rendu en application de l'
art. 98 LTF
).
3.2
La procédure de protection dans les cas clairs prévue par l'
art. 257 CPC
permet à la partie demanderesse d'obtenir rapidement une
BGE 141 III 23 S. 26
décision ayant l'autorité de la chose jugée et la force exécutoire, lorsque la situation de fait et de droit n'est pas équivoque (Message du 28 juin 2006 relatif au code de procédure civile suisse [CPC], FF 2006 6959 ch. 5.18;
ATF 138 III 620
consid. 5.1.1). Cette procédure n'est ainsi recevable que lorsque l'état de fait n'est pas litigieux ou est susceptible d'être immédiatement prouvé (
art. 257 al. 1 let. a CPC
) et que la situation juridique est claire (
art. 257 al. 1 let. b CPC
).
Selon la jurisprudence, l'état de fait n'est pas litigieux lorsqu'il n'est pas contesté par le défendeur; il est susceptible d'être immédiatement prouvé lorsque les faits peuvent être établis sans retard et sans trop de frais. En règle générale, la preuve est rapportée par la production de titres, conformément à l'
art. 254 al. 1 CPC
. La preuve n'est pas facilitée: le demandeur doit ainsi apporter la preuve certaine ("
voller Beweis
") des faits justifiant sa prétention; la simple vraisemblance ("
Glaubhaftmachen
") ne suffit pas. Si le défendeur fait valoir des objections et exceptions motivées et concluantes ("
substanziiert und schlüssig
"), qui ne peuvent être écartées immédiatement et qui sont de nature à ébranler la conviction du juge, la procédure du cas clair est par conséquent irrecevable (
ATF 138 III 620
consid. 5.1.1 et les arrêts cités).
La situation juridique est claire lorsque l'application de la norme au cas concret s'impose de façon évidente au regard du texte légal ou sur la base d'une doctrine et d'une jurisprudence éprouvées (
ATF 138 III 123
consid. 2.1.2,
ATF 138 III 620
consid. 5.1.2, 728 consid. 3.3). En règle générale, la situation juridique n'est pas claire si l'application d'une norme nécessite l'exercice d'un certain pouvoir d'appréciation de la part du juge ou que celui-ci doit rendre une décision en équité, en tenant compte des circonstances concrètes de l'espèce (
ATF 138 III 123
consid. 2.1.2; arrêt 4A_273/2012 du 30 octobre 2012 consid. 5.1.2, non publié in
ATF 138 III 620
).
3.3
Lorsque les conditions de l'
art. 257 CPC
en sont remplies, l'employeur peut obtenir du travailleur, par cette procédure rapide, la restitution des documents qui lui appartiennent ou qui lui reviennent au sens de l'
art. 339a al. 1 et 2 CO
, la cause n'étant pas soumise à la maxime d'office (arrêt 4A_611/2011 du 3 janvier 2012 consid. 4.5 in fine). Lorsque les documents qui sont réclamés par l'employeur sont clairement identifiables pour l'employé, il n'y a pas lieu de poser des exigences trop élevées en ce qui concerne les conclusions à prendre par l'employeur.
BGE 141 III 23 S. 27
En revanche, il n'appartient pas au juge, saisi d'une telle requête, d'instruire et de faire un tri entre les faits allégués pour déterminer ce qui doit être admis ou rejeté, les conclusions devant en effet pouvoir être admises dans leur intégralité, sous peine d'irrecevabilité (arrêt 5A_768/2012 du 17 mai 2013 consid. 4.3, in SJ 2014 I p. 27).
3.4
En l'espèce, l'employeur peut certes faire valoir un droit à la restitution et à la reddition de compte en ce qui concerne les documents reçus par l'employé pour son compte (art. 339a al. 1 en relation avec l'
art. 321b al. 1 CO
) ou les documents que celui-ci a produits (art. 339a al. 1 en relation avec l'
art. 321b al. 2 CO
), et ce pendant la durée des rapports de travail. En revanche, il ne dispose pas d'un tel droit pour les documents ou informations obtenues par l'employé après la fin des rapports de travail.
En tant qu'il invoque des faits dont certains concernent des documents et informations postérieurs à la fin des rapports de travail et formule des conclusions globales "que ce soit avant la date de fin du contrat de travail..., à cette date, ou ultérieurement", qui portent donc également sur de tels documents et informations postérieurs, ni la situation de fait, ni la situation juridique ne sont clairs. Le juge est dans l'impossibilité d'admettre les conclusions de la requête dans leur intégralité. Le requérant ne saurait exiger de lui qu'il fasse un tri entre ce qui pourrait être admis et ce qui devrait être rejeté. Il s'ensuit que la requête déposée par l'employeur est irrecevable. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d77a6a08-eb90-4ca3-83af-9f1832377d84 | Urteilskopf
81 III 3
2. Sentenza 1o febbraio 1955 nella causa Banca popolare svizzera. | Regeste
1. Die Aufsichtsbehörden sind befugt, von Amtes wegen und gleichgültig ob rechtzeitig Beschwerde geführt wurde, die Verfügungen der Betreibungsämter aufzuheben, die gegen eine schlechthin zwingende Gesetzesvorschrift verstossen oder im Einzelfalle öffentliche Interessen oder Interessen Dritter, die am Betreibungsverfahren nicht teilnehmen, verletzen (Erw. 1).
2. Genaue Bezeichnung des Pfandes im Betreibungsbegehren und im Zahlungsbefehl (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 4
BGE 81 III 3 S. 4
A.-
Nel precetto esecutivo n. 95485 dell'Ufficio di Lugano, fatto notificare il 9 aprile 1954 dalla Banca popolare svizzera alla S. A. Bairag in un'esecuzione per crediti garantiti da pegno immobiliare, il titolo del credito e l'oggetto del pegno erano enunciati come segue:
"Fr. 30'000.--
Obbligazione ipotecaria vom 7.5.1948 eingetragen den 10. Mai 1948 unter Nr. 149 fol. 41, haftend im I. Rang
Fr. 50'000.--
Obbligazione ipotecaria al portatore v. 20.12.48, eingetr. den 27. Dez. 1948 unter Nr. 407 fol. 41, haftend im II. Rang
Fr. 120'000.--
Obbligazione ipotecaria al portatore Nr. 1941 vom 16.8.1949, eingetragen den 29. Okt. 1949 unter Nr. 381 fol. 43, haftend im III. Rang auf dem in Bau begriffenen Fabrikgebäude in Ponte Tresa und Croglio Halt 279,36 Aren
Schuldanerkennung vom 24.12.1949."
L'8 ottobre 1954, la Banca domandava la realizzazione dell'oggetto del pegno.
Successivamente, il 5 novembre 1954, essa cedeva i crediti in escussione a Willy Schetelig e dava conoscenza della cessione alla S. A. Bairag e all'Ufficio di Lugano.
B.-
Con reclamo 3 novembre 1954 la SA Bairag chiedeva l'annullamento dell'esecuzione n. 95485 pel motivo che il precetto esecutivo non precisava l'oggetto del pegno.
BGE 81 III 3 S. 5
Statuendo in data 22 dicembre 1954, l'Autorità cantonale di vigilanza accoglieva il reclamo ed annullava l'esecuzione.
C.-
La Banca popolare svizzera e Willy Schetelig si sono aggravati alla Camera di esecuzione e dei fallimenti del Tribunale federale, concludendo per l'annullamento della decisione cantonale e la reiezione del reclamo della debitrice nella misura in cui era ricevibile.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
La giurisprudenza del Tribunale federale riconosce alle Autorità cantonali di vigilanza la competenza, fondata sull'art. 13 LEF, di annullare d'ufficio e senza riguardo alla tempestività del gravame con cui sono adite le decisioni degli Uffici di esecuzione che violino una disposizione imperativa della legge oppure ledano nel caso concreto interessi pubblici o interessi di terzi estranei alla procedura esecutiva (RU 79 III 9 e sentenze ivi citate). Di tale facoltà si è valsa nella fattispecie l'autorità cantonale per annullare l'esecuzione, adducendo che era stata promossa con una domanda che non precisava l'oggetto del pegno e non ossequiava pertanto una formalità essenziale.
2.
A norma dell'art. 151 cp. 1 LEF, la domanda d'esecuzione per un credito garantito da pegno manuale o da ipoteca deve enunciare tra altro anche l'oggetto del pegno. Scopo di questa disposizione è, come il Tribunale federale ha dichiarato nella sua sentenza RU 28 I 215 (= ed. spec. vol. V 118/119), di far conoscere al debitore e all'ufficio d'esecuzione i beni sui quali il creditore procedente asserisce di avere un diritto di pegno. Nella fattispecie di allora la menzione "Iscrizione ipotecaria del 21 maggio 1900, no 203, del vol. XVI", contenuta nel precetto, non era stata ritenuta sufficiente. Posteriormente la giurisprudenza ha però temperato il rigore d'una precisa individuazione dell'oggetto del pegno nella domanda di esecuzione e pertanto nel precetto esecutivo (
art. 69 e 152
LEF): con la sentenza RU 52 III 174 il Tribunale federale ha statuito che non occorre menzionare
BGE 81 III 3 S. 6
anche gli accessori d'un immobile da realizzare; con la sentenza RU 70 III 54 sgg. ha giudicato che l'indicazione del certificato di deposito di azioni depositate all'estero invece delle azioni stesse era sufficiente. Se si considera che in virtù dell'art. 99 RRF, comunicata la domanda di realizzazione al debitore, l'ufficio deve farsi rilasciare un estratto del registro fondiario e procedere alla stima del fondo, si deve convenire che l'indicazione nella domanda d'esecuzione di tutti i dettagli del pegno non può essere considerata come una condizione indispensabile a'sensi dell'art. 151 cp. 1 LEF.
In concreto la specificazione dei beni immobili della debitrice siti nei Comuni di Ponte Tresa e Croglio, la menzione della superficie totale dei fondi e il preciso riferimento alle iscrizioni nel registro dei pegni immobiliari (numero dell'iscrizione e volume) soddisfacevano alle esigenze dell'art. 151 cp. 1 LEF. I dati forniti dalla creditrice procedente ragguagliavano sufficientemente la debitrice e bastavano anche per l'ufficio che, dopo di aver steso e notificato il precetto conformemente al contenuto della domanda d'esecuzione, non avrebbe dovuto rifiutarsi di procedere alle dovute indagini presso il registro fondiario (art. 99 RRF). E'quindi a torto che l'autorità cantonale ha proceduto d'officio all'annullamento dell'esecuzione.
Il reclamo della debitrice 3 novembre 1954, provocato dalla domanda di vendita, ma diretto esclusivamente contro il precetto esecutivo notificatole in data 9 aprile 1954, era palesemente tardivo ed avrebbe pertanto dovuto essere dichiarato irricevibile.
Dispositiv
La Camera di esecuzione e dei fallimenti pronuncia:
Il ricorso è accolto, la querelata decisione annullata e il reclamo 3 novembre 1954 della Bairag S. A. dichiarato irricevibile. | null | nan | it | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d77a73b5-fdf6-40ac-a3e1-89a99a192966 | Urteilskopf
122 III 449
82. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. November 1996 i.S. R. AG gegen W. (Berufung) | Regeste
Art. 28 und 28a Abs. 1 Ziffer 3 ZGB; Anspruch auf Feststellung der Widerrechtlichkeit der Persönlichkeitsverletzung durch Erwähnung der Verurteilung zu einer längeren Zuchthausstrafe in einem Zeitungsartikel.
Der Nachweis, dass sich eine persönlichkeitsverletzende Presseäusserung effektiv noch oder erneut störend auswirkt, obliegt dem Kläger. Bei schweren Eingriffen in die Persönlichkeit ist zu vermuten, dass sich die Verletzung weiterhin störend auswirkt. Die Erwähnung einer Jahre zurückliegenden Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe verletzt die Ehre, vor allem aber die Privatsphäre. Der Eingriff in diese Persönlichkeitsgüter wiegt schwer und kann nicht mehr als das richtige Mittel zu einem berechtigten Zweck anerkannt werden (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 450
BGE 122 III 449 S. 450
In der Wochenzeitung "X" erschien am 12. Februar 1993 ein Artikel mit dem Titel "Der Firmenplanierer geht um" und dem Untertitel "Wie die renommierte L. AG Personalberatung zu Tode saniert wurde". Titel und Text umrahmen eine Photographie, die mit der Legende "Bentley-Fahrer und L.-'Firmensanierer' W." versehen ist. Durch nachstehend hervorgehobene Äusserungen sah sich W. widerrechtlich in seiner Persönlichkeit verletzt:
"Die Zürcher L. AG Personalberatung ist unter mysteriösen Umständen
pleite
gegangen: Am 12. Januar hat das Bezirksgericht Zürich über die Firma, die
kurz zuvor noch Besitzer, Namen und Domizil gewechselt hatte, den Konkurs
verhängt. In den Fall ist auch der zweifelhafte 'Firmensanierer' W.
verwickelt: Zusammen mit den Firmenorganen muss er mit Zivil- und
Strafklagen rechnen. ...
Es macht ganz den Anschein, dass die Personalberatungsfirma verkauft
wurde,
um sie unter anderem Namen liquidieren zu können. Fast gleichzeitig mit dem
'Besitzerwechsel' war nämlich ein Mann auf den Plan getreten, der sich
heute als erfolgreicher 'Firmensanierer' aufspielt, der vor einigen Jahren
jedoch wegen verschiedener Wirtschafts- und Konkursdelikte zu einer
längeren Zuchthausstrafe verurteilt worden war: W. mit seiner C. AG."
Die näheren Umstände der zu gewärtigenden Klagen wie auch die bisherige Geschäftstätigkeit von W. bilden den weiteren Inhalt des Zeitungsartikels.
Auf Klage von W. stellte das kantonale Obergericht fest, die Herausgeberin der Wochenzeitung "X" habe W. mit der Erwähnung der Verurteilung zu einer längeren Zuchthausstrafe wegen verschiedener Wirtschafts- und Konkursdelikte widerrechtlich in seiner Persönlichkeit verletzt. Im übrigen wies es die Klage ab.
Die beklagte Herausgeberin beantragt dem Bundesgericht sinngemäss, auf die Klage mangels Feststellungsinteresses nicht einzutreten, eventuell sie vollumfänglich abzuweisen. Mit Anschlussberufung verlangt W. die Gutheissung seiner Feststellungsklage auch mit Bezug auf die Äusserung: "Zusammen mit den Firmenorganen muss er mit Zivil- und Strafklagen rechnen".
Das Bundesgericht bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht ist davon ausgegangen, die gerichtliche Feststellung, eine bestimmte Handlung verletze das Persönlichkeitsrecht des Klägers, könne als Mittel zur Beseitigung einer Störung dienen. Ein besonderes Feststellungsinteresse sei in diesen Fällen
BGE 122 III 449 S. 451
nicht erforderlich, sondern es genüge das Interesse des Klägers an der Beseitigung der ihm zugefügten Beeinträchtigung. Ein solches Interesse sei zu bejahen, wenn es sich um eine Persönlichkeitsverletzung durch das Mittel der Druckerpresse handle, weil der Fortbestand des Presseerzeugnisses die Gefahr schaffe, dass Dritte später aufs neue von den verletzenden Äusserungen Kenntnis erhielten (unter Hinweis auf
BGE 104 II 225
E. 5a S. 234).
a) Gemäss Art. 28a Abs. 1 Ziffer 3 ZGB kann der Kläger dem Richter beantragen, die Widerrechtlichkeit einer Verletzung festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt. Das Bundesgericht hat dazu ausgeführt, es könne unter der Herrschaft dieser am 1. Juli 1985 in Kraft getretenen Bestimmung nicht mehr genügen, dass der Fortbestand der persönlichkeitsverletzenden Äusserung - in einem Zeitungsartikel wie im zu beurteilenden Fall - einen eigenen Störungszustand darstelle, der geeignet sei, weiterhin störende Wirkungen hervorzurufen; vielmehr müsse sich dieser Zustand noch oder erneut störend auswirken (
BGE 120 II 371
Nr. 68). Darauf beruft sich die Beklagte und macht geltend, der Kläger habe den ihm obliegenden Nachweis des Feststellungsinteresses nicht erbracht. Demgegenüber fordert der Kläger eine Rückkehr zur früheren Rechtsprechung. Seine Vorbringen decken sich mit der an jenem Entscheid geübten Kritik (VOGEL, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Zivilprozessrecht im Jahre 1994, ZBJV 132/1996 S. 128 ff., lit. b S. 137 f.; GEISER, Persönlichkeitsschutz: Pressezensur oder Schutz vor Medienmacht?, SJZ 92/1996 S. 73 ff., N. 2.18 S. 78 f.).
Das Bundesgericht hat zu diesen Einwänden bereits Stellung genommen und unter Berücksichtigung von Gesetzeswortlaut, Materialien und Literatur keinen stichhaltigen Grund gesehen, auf seine Auslegung zurückzukommen (Urteil vom 22. März 1996, in: medialex 1996 S. 156 ff. E. 5, mit Bemerkungen von BARRELET). Die erneute Prüfung der Einwände führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Auf das Urteil vom 22. März 1996 kann hier vollumfänglich verwiesen werden. Lediglich zur Klarstellung ist hervorzuheben, dass
BGE 120 II 371
Nr. 68 weder die Passivlegitimation des an einer Persönlichkeitsverletzung mitwirkenden Medienunternehmens (dazu
BGE 113 II 213
E. b S. 216 mit Hinweisen) hinterfragt noch irgendetwas daran geändert hat, dass sich die richterliche Feststellung der Widerrechtlichkeit einer Persönlichkeitsverletzung durch die Veröffentlichung eines Leserbriefs oder einer Gegendarstellung in aller Regel nicht ersetzen lässt (dazu
BGE 119 II 97
E. 2a S. 99; ebensowenig die richterlich angeordnete Urteilspublikation:
BGE 122 III 449 S. 452
BGE 104 II 1
E. 4b S. 5) und dass der Feststellungsklage im Grundsatz Beseitigungs- und nicht Genugtuungsfunktion zugeschrieben wird (dazu
BGE 95 II 481
E. 9 S. 498; Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 1996, in: medialex 1996 S. 157 E. 5; ebenso der richterlich angeordneten Urteilspublikation:
BGE 95 II 481
E. 10 S. 499;
BGE 118 II 369
E. 4c S. 373/374 mit Hinweisen). Dass bei dieser Art besonderer Verurteilungsklagen das gesetzlich umschriebene Rechtsschutzinteresse vom Kläger zu belegen ist (z.B. bei der Unterlassungsklage:
BGE 97 II 97
E. 5b S. 108; Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 1996, in: medialex 1996 S. 157 E. 6 mit Hinweisen) und nachträglich entfallen kann (z.B.
BGE 115 II 474
E. 4b S. 482, für die Feststellungsklage nach
Art. 9 Abs. 1 lit. c aUWG
;
BGE 116 II 1
Nr. 1, den Gegendarstellungsanspruch betreffend), ist nichts Aussergewöhnliches.
In Anbetracht der Einwände des Klägers stellt sich die Frage, ob er die Bedeutung des
BGE 120 II 371
Nr. 68 nicht überschätzt. Zum einen bezieht sich der Entscheid auf einen Zeitungsartikel. Bei den der Tagesaktualität verpflichteten Medien scheinen nun aber doch Zweifel berechtigt, ob angesichts der heutigen Informationsflut wirklich jede in der Öffentlichkeit verbreitete Äusserung persönlichkeitsverletzenden Inhalts einen rechtsgefährdenden Zustand zu schaffen vermag. Dass modernste Archivierungstechnik eine praktisch uneingeschränkte Zugänglichkeit schaffen und daher eine differenziertere Sicht nahelegen könnte, trifft an sich zu, hat aber wenigstens zur Zeit lediglich für vereinzelte Sammlungen Bedeutung. Es ist auch daran zu erinnern, dass schon die Rechtsprechung vor der Revision von 1983/85 das Feststellungsinteresse in solchen Fällen nicht bloss mit einer Rechtsgefährdung begründet hat, weil Tages- und Wochenzeitungen eben der Veröffentlichung der Tagesneuigkeiten dienen und nach kurzer Zeit mangels Aktualität nicht mehr gelesen und in der Regel auch nicht aufbewahrt, sondern als Altpapier verwendet werden; in jenen Entscheiden ist vielmehr darauf abgestellt worden, dass die verletzende Presseäusserung zweifellos in der Erinnerung vieler Leser haften geblieben ist, und manche die sensationell aufgemachte Nummer oder wenigsten den betreffenden Teil aufbewahrt haben dürften (
BGE 91 II 401
E. 4c S. 411;
BGE 95 II 481
E. 9 S. 497, trotz Hinweisen auf Autoren, denenzufolge allein die Rechtsgefährdung massgebend sein sollte; neuerdings das Urteil des Bundesgerichts vom 19. Dezember 1994, in: SJ 117/1995 S. 669 ff. E. 3c S. 673; der Literatur folgend und daher verallgemeinernd hingegen:
BGE 104 II 225
E. 5a S. 234;
BGE 101 II 177
E. 4b S. 187/188,
BGE 122 III 449 S. 453
keine Presseäusserung betreffend). Zum anderen ist die Begründung des Feststellungsinteresses mit der besagten Rechtsgefährdung vorbehaltlos nur bei Persönlichkeitsverletzungen durch Druckwerke angewendet worden (
BGE 101 II 177
E. 4b S. 187/188). Die Feststellungsklage aber ist heute von Gesetzes wegen für alle Persönlichkeitsverletzungen vorgesehen, und das Feststellungsinteresse sollte deshalb allgemein begründet werden können.
b) Ein erster Ansatz dazu findet sich im erwähnten Urteil vom 22. März 1996. Das Bundesgericht hat dort zur Verneinung des Feststellungsinteresses durch die Vorinstanz abschliessend erwogen: "Angesichts der bekannten Tätigkeit des Klägers und seines eigenen Auftretens in der Öffentlichkeit könnte namentlich auch nicht gesagt werden, die behaupteten Persönlichkeitsverletzungen hätten solches Gewicht, dass beim Durchschnittsleser ein andauernd falsches Gedankenbild hervorgerufen worden wäre, das nach der allgemeinen Lebenserfahrung als weiterhin störende Auswirkung der möglicherweise ungerechtfertigten Verletzung betrachtet werden müsste, weshalb schon allein aus dieser Überlegung die Feststellungsklage zuzulassen gewesen wäre" (in: medialex 1996 S. 157, letzter Absatz vor E. 6).
Angeknüpft wird damit einerseits an die hiervor wiedergegebene Rechtsprechung: Nicht auf die im Fortbestand des Presserzeugnisses liegende Rechtsgefährdung soll es ankommen, sondern entscheidend ist das durch die Äusserung beim Verletzten und bei den Empfängern geprägte falsche Gedankenbild, das andauert und nur durch eine Berichtigung ausgelöscht werden kann (MERZ, Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Ehrverletzungen und verwandte Beeinträchtigungen durch die Druckerpresse, SJZ 67/1971 S. 65/85 ff., S. 90); im Vordergrund steht also die Beseitigung eines geistigen Zustands (LÜCHINGER, Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit und die Massenmedien, SJZ 70/1974 S. 321 ff., S. 327). Verallgemeinernd kann gesagt werden: Ein in der Vergangenheit abgeschlossener Eingriff in die Persönlichkeit wirkt sich im Sinne von Art. 28a Abs. 1 Ziffer 3 ZGB dann weiterhin störend aus, wenn dadurch ein dem Verletzten nachteiliges Vorstellungsbild nicht nur geprägt worden ist, sondern im Urteilszeitpunkt noch besteht.
Zu berücksichtigen ist andererseits die Schwere des Eingriffs in das betreffende Persönlichkeitsgut. Zwar steht es dem Kläger zu, für jede Persönlichkeitsverletzung den Beweis anzutreten, dass sie sich effektiv noch oder erneut störend auswirkt (
BGE 120 II 371
E. 3 S. 373). Auf diesen Nachweis kann der Richter jedoch bei schweren
BGE 122 III 449 S. 454
Eingriffen in die Persönlichkeit verzichten. Dass schwere Eingriffe nachhaltiger Erinnerungsbilder prägen als leichte und insoweit bei hinreichender Schwere auf eine anhaltend störende Auswirkung geschlossen werden darf, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Von Bedeutung ist das namentlich dort, wo der Beweis der Störungswirkung regelmässig versagen muss, weil nicht eine öffentlich erfolgte Persönlichkeitsverletzung in Frage steht. Auszugehen ist vom Gedankenbild, das beim Durchschnittsleser haften bleibt oder - bei einer Verletzung unter vier Augen - haften geblieben wäre. Dieser Rückschluss von der Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit auf die Störungswirkung wird dadurch erleichtert, dass die Praxis den Eingriff in ein Persönlichkeitsgut als solchen ohnehin vor dessen Widerrechtlichkeit prüft (BGE
BGE 108 II 241
E. 6 S. 243), dass der Eingriff definitionsgemäss weit gefasst ist (
BGE 120 II 369
E. 2 S. 371) und dass die Konturen der geschützten Persönlichkeitsgüter dank Lehre und Rechtsprechung genügend scharf umrissen sind. Was die Beurteilung der Schwere angeht, kann als Richtschnur dafür die Begriffsbestimmung in
Art. 49 Abs. 1 OR
dienen, wobei es freilich nur auf die objektive Seite jener die Genugtuung rechtfertigenden "Schwere der Verletzung" ankommt; die bezügliche Praxis ist heranzuziehen (z.B.
BGE 120 II 97
E. 2 S. 98; Urteil des Bundesgerichts vom 14. Januar 1992, in: SJ 115/1993 S. 351 E. 1 S. 352). Diese Anknüpfung entspricht zudem jenen Lehrmeinungen, die dem gesetzlichen Feststellungsanspruch die Beseitigungsfunktion ganz oder teilweise absprechen und in ihm eine andere Art der Genugtuung sehen (dazu die Nachweise bei REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, Zürich 1995, S. 103 f. N. 508 ff.; vgl. auch GEISER, Die Persönlichkeitsverletzung insbesondere durch Kunstwerke, Basel 1990, S. 236 N. 12.6 und S. 239 N. 12.11).
c) Widerrechtlich in seiner Persönlichkeit verletze ihn, so hat der Kläger im kantonalen Verfahren geltend gemacht, dass im besagten Zeitungsartikel unter Namensnennung über ihn geschrieben und dass dabei erwähnt worden sei, er müsse mit Zivil- und Strafklagen rechnen und wäre vor einigen Jahren wegen verschiedener Wirtschafts- und Konkursdelikte zu einer längeren Zuchthausstrafe verurteilt worden.
In zwei Punkten steht das Feststellungsinteresse des Klägers ausser Frage: Es ist unbestritten, dass der Hinweis auf die Verurteilung zu einer längeren Zuchthausstrafe seine Ehre, vor allem aber sein Recht auf Privatsphäre verletzt. Der Eingriff in diese Persönlichkeitsgüter wiegt diskussionslos schwer (vgl. Urteil des Bundesgerichts
BGE 122 III 449 S. 455
vom 14. Juli 1992, in: RJN 1992 S. 76 f. E. 3; BREHM, Berner Kommentar, N. 65 zu
Art. 49 OR
mit weiteren Beispielen). Das Obergericht ist auf die Klage in diesem Punkt zu Recht eingetreten. Mit dem Kläger kann zwar ebensowenig verneint werden, dass Geschäftstätigkeit und berufliche Funktion jenem Bereich zugeordnet werden, der den Schutz vor öffentlicher Bekanntgabe verdient (
BGE 97 II 97
E. 3 S. 100; vgl.
BGE 118 IV 41
E. 4 S. 45; BUCHER, Personnes physiques et protection de la personnalité, 3.A. Basel 1995, N. 480 S. 131). Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts ist der Kläger jedoch selber zu Werbezwecken an die Öffentlichkeit getreten und hat über seine beruflichen Erfolge berichtet bzw. zu entsprechenden Berichten Hand geboten. Unter diesen Umständen kann er jedenfalls durch die öffentliche Bekanntgabe bloss seines Namens nicht widerrechtlich in seiner Persönlichkeit verletzt werden (vgl. BGE
BGE 107 II 1
E. 3b S. 5 mit Hinweis; TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, Zürich 1984, N. 725 S. 102). Bezogen auf die eigentliche Fragestellung versteht sich von selbst, dass sich ein Gericht nicht in Diskussionen über das Feststellungsinteresse zu vertiefen braucht, wo ein Begehren offensichtlich der materiellen Begründetheit entbehrt.
Das Obergericht hat daran gezweifelt, ob die nach seiner Auffassung geringfügigen Verdachtsmomente, die sich indirekt aus der Äusserung ergäben, der Kläger müsse mit Zivil- und Strafklagen rechnen, überhaupt persönlichkeitsverletzender Natur seien. Im Grundsatz kann dies nicht verneint werden; fraglich scheint hingegen in der Tat die Widerrechtlichkeit (vgl. RIKLIN, Schweizerisches Presserecht, Bern 1996, § 7 N. 17). Der zu bejahende Eingriff in die Ehre, der in diesem Zusammenhang allein interessiert, darf weder leicht genommen noch als nur geringfügig betrachtet werden, erreicht aber nicht jenes Gewicht, das erforderlich wäre, um beim Durchschnittsleser eine anhaltend falsche Vorstellung über die Ehrenhaftigkeit des Klägers hervorzurufen. Er selber weist denn auch darauf hin, dass derartige Ankündigungen in der Presse nicht gerade selten sind und, was hier freilich beigefügt werden muss, der Informationsflut entsprechend deshalb auch rasch wieder der Erinnerung entschwinden. Sodann ist zu berücksichtigen, dass dieser Eindruck von jenem, der durch den Hinweis auf die längere Zuchthausstrafe nachhaltig geprägt worden ist, überdeckt bzw. zurückgedrängt wird. In der Erinnerung haften bleibt der schwerere Eingriff. Das Feststellungsinteresse ist in diesem Punkt zu verneinen.
BGE 122 III 449 S. 456
3.
Nach Auffassung des Obergerichts ist der Hinweis auf die Verurteilung des Klägers zu einer längeren Zuchthausstrafe widerrechtlich. Die Beklagte wendet dagegen zur Hauptsache ihren Informationsauftrag als Wirtschaftszeitung ein. Der Kläger schliesst sich der obergerichtlichen Begründung an.
a) Das Obergericht hat die Erwähnung der zurückliegenden Zuchthausstrafe in einem Zeitungsartikel als ehrverletzend bezeichnet; wo es um Wirtschafts- und Konkursdelikte geht und der Betroffene sich als Unternehmenssanierer betätigt, ist unbestreitbar die Geschäftsehre betroffen (TERCIER, a.a.O., N. 480 S. 70; zum zivilrechtlichen Ehrbegriff:
BGE 111 II 209
E. 2 S. 210 mit Hinweisen). Das Obergericht ist davon ausgegangen, es sei wahr, dass der Kläger am 15. Dezember 1982 verurteilt worden sei und seine Zuchthausstrafe wegen der genannten Delikte vom 2. August 1983 bis zum 19. März 1985 verbüsst habe. Mit Recht hat es sodann dafürgehalten, die Wahrheit allein vermöge die Verbreitung persönlichkeitsverletzender Äusserungen nicht stets zu rechtfertigen. Das ist sicher dann nicht der Fall, wenn die Veröffentlichung wahrer Begebenheiten das Ansehen einer Person in unzulässiger Weise herabsetzt, wenn die Form der Darstellung unnötig verletzt oder die Würdigung des mitgeteilten Sachverhalts nicht mehr vertretbar ist. Die Wahrheit versagt als alleiniger Massstab für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit jedoch vor allem dann, wenn die offenbarten Tatsachen der Geheim- oder Privatsphäre angehören. Der Eingriff in dieses Rechtsgut rückt in den Vordergrund, und das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information vermag ihn nur in einem eng begrenzten Umfang zu rechtfertigen, der von der Beziehung des einzelnen zur Öffentlichkeit abhängt (LÜCHINGER, a.a.O., S. 325 mit weiteren Nachweisen). Eine verbüsste Zuchthausstrafe ist der Privatsphäre zuzuordnen (MERZ, a.a.O, S. 87; SCHÜRMANN/NOBEL, Medienrecht, 2.A. Bern 1993, S. 235/236).
b) Auf der einen Seite steht der Informationsauftrag der Beklagten, zu dem es gehört, über ökonomische Zusammenhänge und dabei in Anbetracht der Wirtschaftslage über das Wirken von Unternehmenssanierern zu berichten (vgl.
BGE 109 II 353
E. 3 S. 358 mit Hinweis). Sodann hat der Kläger - wie bereits erwähnt (E. 2c hiervor) - selber das Interesse der Öffentlichkeit an seiner geschäftlichen Tätigkeit geweckt, was eine Berichterstattung darüber nicht von vornherein als unrechtmässig erscheinen lässt. Schliesslich kann nicht als abwegig gelten, dass auch am Vorleben des Klägers ein gewisses öffentliches Interesse bestanden hat, ist er doch in einem Bereich tätig gewesen,
BGE 122 III 449 S. 457
der eine erhöhte Vertrauenswürdigkeit voraussetzte; verglichen mit bewilligungspflichtigen Berufen (z.B. Treuhänder, Wirtschaftsanwalt usw.) dürften auch wenig Zweifel daran bestehen, dass der Kläger angesichts seiner Vorstrafen wohl kaum je eine Zulassung erhalten hätte. Insgesamt erlaubt das von der Presse in Anspruch genommene Wächteramt, die Leserschaft vor fragwürdigem Geschäftsgebaren zu warnen. Stark ins Gewicht fällt auf der anderen Seite, dass die zu beurteilende Presseäusserung geeignet ist, das mit dem Strafvollzug verknüpfte Ziel der Resozialisierung zu vereiteln und zu verhindern, dass das dem normalen Lauf der Dinge entsprechende Vergessen eintreten kann (
BGE 109 II 353
E. 3 S. 356; zum "Recht auf Vergessen":
BGE 111 II 209
E. c S. 213 f.). Aufgrund der zeitlichen Distanz von rund zehn Jahren lässt sich unter diesem Blickwinkel ein überwiegendes Informationsinteresse nur noch schwer begründen (vgl. BUCHER, a.a.O., N. 545 S. 145 f.; RIKLIN, a.a.O., § 7 N. 58 ff.); vertreten wird gar, dass die Veröffentlichung einer gelöschten Vorstrafe stets unrechtmässig sei (der Hinweis bei RIKLIN, a.a.O., § 7 N. 18).
c) Anlass, in die - auf Ermessen beruhende (
BGE 95 II 481
vor E. 8 S. 494; TERCIER, a.a.O., N. 609-614 S. 87 f. und N. 712 S. 100) - obergerichtliche Würdigung einzugreifen, besteht für das Bundesgericht nicht. Zwar trifft zu, dass der Kläger mit seiner Geschäftstätigkeit, teilweise auch gewollt, Schlagzeilen gemacht hat und als anschauliches Beispiel zum Thema "Unternehmenssanierung" vorübergehend in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses gelangt ist. Einen Einbruch in seine Privatsphäre von der hier zu beurteilenden Art erlaubt das jedoch nicht; der Kläger ist weder eine eigentlich berühmte Person geworden, noch hat er ein öffentliches Amt ausgeübt (
BGE 97 II 97
E. b S. 105; vgl. MERZ, a.a.O., S. 88; TERCIER, a.a.O., N. 506 S. 73). Zu beachten ist ferner, dass trotz der Berechtigung der Beklagten, über das Thema "Unternehmenssanierung" zu berichten und dabei namentlich vor dem Kläger zu warnen, nicht notgedrungen in dessen Privatsphäre hätte eingegriffen werden müssen (MERZ, a.a.O., S. 89). In ihrem Artikel hat die Beklagte selber gezeigt, dass sich durch die bisherige Geschäftstätigkeit des Klägers hinreichend belegen lässt (z.B. Boutiqueketten "B." und "M."), weshalb von einer Beanspruchung seiner Dienste abgesehen werden sollte. Der zusätzliche Hinweis auf von ihm verbüsste Zuchthausstrafen verletzt unter diesen Umständen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und kann deshalb nicht mehr als das richtige Mittel zu einem berechtigten Zweck anerkannt werden (LÜCHINGER, a.a.O, S. 326). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d77ad364-5f0f-4a0a-87f8-a4d78cf15997 | Urteilskopf
89 III 78
17. Auszug aus dem Entscheid vom 28. November 1963 i.S. Pensionskasse Schweiz. Elektrizitätswerke und Mitbeteiligte. | Regeste
Konkurs.
Pflicht der Vollstreckungsorgane, dem Bundesbeschluss über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 (BewB) Nachachtung zu verschaffen.
Prüfungsbefugnis der Vollstreckungsorgane mit Bezug auf die Frage, ob ein Geschäft, für das keine Bewilligung vorliegt, nach
Art. 1 oder 2 Abs. 1 BewB
bewilligungsbedürftig sei.
Vorgehen im Falle, dass diese Frage sich nicht zweifelsfrei verneinen lässt.
Ein rechtskräftiger Entscheid einer der in Art. 7/8 BewB vorgesehenen Behörden über diese Frage ist für die Vollstreckungsorgane verbindlich. | Sachverhalt
ab Seite 78
BGE 89 III 78 S. 78
Aus dem Tatbestand:
A . - Im Anschluss an den Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 6. September 1962 (
BGE 88 III 68
ff.) forderte der Konkursverwalter im Konkurs der Parkhof AG den Verwaltungsrat der Gemeinschuldnerin auf, beim Departement des Innern des Kantons Basel-Stadt, das für die Erteilung von Bewilligungen im Sinne des Bundesbeschlusses vom 23. März 1961 über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewB) zuständig ist, um die Bewilligung nachzusuchen, den bei der
BGE 89 III 78 S. 79
Gerichtskasse Basel-Stadt hinterlegten Betrag von Fr. 14'000,000.-- zum Zwecke des Konkurswiderrufs zu verwenden. Am 20. Mai 1963 erkannte das Departement auf ein entsprechendes Gesuch hin, das geplante Geschäft unterliege den Bestimmungen des erwähnten Bundesbeschlusses nicht, obwohl es von Banken getätigt werde, die offensichtlich von ausländischem Kapital beherrscht seien; gegen die Übernahme der Aktien der Parkhof AG durch C.-A. Junod, Dr. S. Scheps, P. Audeoud und Dr. T. Rosenbaum in Genf habe es keine Einwendungen zu erheben.
Gegen diese Verfügung führten drei Konkursgläubiger, nämlich die Pensionskasse Schweiz. Elektrizitätswerke, die AG Fritz Frei und die Gartenbau AG, beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt Beschwerde.
B.-
Mit Zirkular vom 26. Juni 1963 stellte der Konkursverwalter den Gläubigern unter Ansetzung einer Anfechtungsfrist von zehn Tagen eine "Aufstellung über die nun vorzunehmenden Auszahlungen bzw. Depositionen aus dem Betrag von Fr. 14 Mio" zu. Als Tag der Auszahlung bzw. Hinterlegung bezeichnete er den 10. Juli 1963.
Gegen dieses Zirkular reichte die Pensionskasse der Schweiz. Elektrizitätswerke am 5. Juli 1963 eine Beschwerde ein, mit der sie die darin enthaltenen Anordnungen anfocht und u.a. verlangte, der Konkursverwalter sei anzuweisen, das Verwertungsverfahren wiederaufzunehmen. Am gleichen Tag erhob eine Gruppe weiterer Gläubiger Beschwerde gegen das Zirkular.
Am 8. Juli 1963 erteilte der Vorsitzende der kantonalen Aufsichtsbehörde den Beschwerden aufschiebende Wirkung.
C.-
Mit Entscheid vom 16. Juli 1963 trat der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt auf die Beschwerde der Pensionskasse Schweizerischer Elektrizitätswerke, der AG Fritz Frei und der Gartenbau AG gegen die Verfügung des Departements des Innern vom 20. Mai 1963 mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht ein. Die Eidgenössische
BGE 89 III 78 S. 80
Rekurskommission für den Erwerb von Grundstücken erledigte den Rekurs der Beschwerdeführer am 1. Oktober 1963 aus dem gleichen Grunde durch Nichteintreten, führte aber im Anschluss an die Feststellung, dass den Rekurrenten kein Beschwerderecht zustehe, in Erwägung 2 aus:
"Die eidgenössische Rekurskommission, die Beschwerdeinstanz und nicht von Amtes wegen einschreitende Aufsichtsbehörde ist, kann sich demzufolge nicht materiell mit der Sache befassen. Zuhanden der kantonalen Behörden ist immerhin festzustellen, dass der Entscheid des kantonalen Departements des Innern als höchst fragwürdig erscheint. Die Tatsache, dass die Übernehmer der Aktien ausnahmslos der Delegation des Verwaltungsrates der Banque de Crédit International in Genf angehören, belegt, dass diese sich bei der Darlehensgewährung nicht mit dem Versprechen grundpfändlicher Sicherstellung begnügte, wie die kantonale Bewilligungsbehörde meint, sondern dass die Darleiherin eine weitgehende Beeinflussung, ja die eigentliche Beherrschung der Schuldnerin anstrebte, deren Vermögen zur Hauptsache aus einem Grundstück besteht. Dass die Bank ihrerseits von ausländischem Kapital beherrscht wird, nimmt auch das kantonale Departement des Innern an. Ist dem aber so, dann liegt ein Erwerbsgeschäft im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. b oder doch jedenfalls ein Umgehungsgeschäft im Sinne von
Art. 11 Abs. 2 BewB
vor."
D.-
Mit Entscheiden vom 28. Oktober 1963 hat die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt die beiden Beschwerden gegen das Zirkular des Konkursverwalters vom 26. Juni 1963 abgewiesen, soweit sie darauf eintrat.
E.-
Die Beschwerdeführer haben diese Entscheide gemeinsam an das Bundesgericht weitergezogen. Sie halten an ihren Beschwerdebegehren fest und machen in der Rekursschrift u.a. geltend, das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement habe nach Erhalt des Entscheides der Eidg. Rekurskommission vom 1. Oktober 1963 den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt schriftlich aufgefordert, die Rechtsfragen, die das Depot von Fr. 14'000,000.-- aufwerfe, neu zu überprüfen.
Auf Anfrage hin hat das Departement des Innern des Kantons Basel-Stadt der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer mit Schreiben vom 18. November 1963 mitgeteilt,
BGE 89 III 78 S. 81
es habe der Eidg. Justizabteilung am 6. November geantwortet, es sehe keinen Anlass, seinen Entscheid i.S. Parkhof AG in Wiedererwägung zu ziehen; es sei der Auffassung, "dass ein Widerruf nur zulässig ist, wenn das Interesse an der Verwirklichung des objektiven Rechts eindeutig und offenkundig überwiegt und die Rücknahme demgemäss aus Gründen des öffentlichen Wohls als geboten erscheint"; diese Voraussetzungen erachte es im vorliegenden Falle nicht als erfüllt.
Das Bundesgericht weist den Rekurs ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Rekurrenten behaupten, trotz dem formell rechtskräftigen Entscheide des Departements des Innern des Kantons Basel-Stadt vom 20. Mai 1963 stehe materiell zweifelsfrei fest, dass das von der Gemeinschuldnerin und ihren Geldgebern geplante Rechtsgeschäft ein Umgehungsgeschäft im Sinne von
Art. 11 Abs. 2 BewB
darstelle und deshalb nach dieser Bestimmung nichtig sei. Die Nichtigkeit sei nach
Art. 11 Abs. 3 BewB
von Amtes wegen zu beachten. Daher dürfe der hinterlegte Betrag von Fr. 14'000,000.-- nicht zur Befriedigung der Konkursgläubiger verwendet werden, sondern sei gemäss dem Entscheide der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 6. September 1962 das Verwertungsverfahren wiederaufzunehmen.
Richtig ist, dass die Organe der Zwangsvollstreckung wie alle andern Behörden die zwingenden Vorschriften des erwähnten Bundesbeschlusses und insbesondere auch die Nichtigkeit von nach diesem Beschluss bewilligungsbedürftigen, aber nicht bewilligten Geschäften und von Geschäften oder Nebenabreden, die der Umgehung der Bewilligungspflicht dienen (
Art. 11 Abs. 1 und 2 BewB
), von Amtes wegen zu beachten haben. Sie dürfen demgemäss bei der Versteigerung von Grundstücken Angebote von Personen mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland, die keine
BGE 89 III 78 S. 82
rechtskräftige Bewilligung vorzulegen vermögen, nicht berücksichtigen (
BGE 88 III 2
). Darüber hinaus haben sie allgemein darüber zu wachen, dass bei Geschäften, die im Zwangsvollstreckungsverfahren abgeschlossen werden oder zur Auswirkung kommen, der Bundesbeschluss beachtet wird (
BGE 88 III 91
). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Vollstreckungsorgane ohne Rücksicht auf die Stellungnahme der Bewilligungsbehörden und der Beschwerde- und Rekursinstanzen im Sinne von Art. 7/8 BewB darüber zu befinden haben, ob ein bestimmtes Geschäft der Bewilligung bedürfe oder nicht. Solange diese Behörden nicht angerufen worden sind, müssen die Vollstreckungsorgane freilich befugt sein, diese Frage zu prüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung dürfen sie jedoch nur dann als massgebend betrachten, wenn sich zweifelsfrei ergibt, dass eine Bewilligung nicht nötig ist (vgl.
BGE 88 III 93
, Erw. 8 Abs. 2). Andernfalls haben sie die Personen, die das betreffende Geschäft abschliessen oder im Vollstreckungsverfahren zur Geltung bringen wollen, aufzufordern oder allenfalls (bei bereits erfolgter Anmeldung zur Eintragung ins Grundbuch) durch den Grundbuchverwalter auffordern zu lassen, eine Entscheidung der zuständigen Behörde zu erwirken (
BGE 88 III 91
und 93 Erw. 8 Abs. 3, wo auf
Art. 12 Abs. 2 BewB
verwiesen wird, sowie
BGE 88 III 3
Ziff. III). Was die Bewilligungsbehörde oder die zuletzt angerufene Beschwerde- oder Rekursinstanz hierauf entscheidet, ist für die Vollstreckungsorgane verbindlich (vgl.
BGE 88 III 94
oben). Diesen steht es nicht zu, rechtskräftig gewordene Entscheide der in Art. 7/8 BewB vorgesehenen Behörden auf ihre Richtigkeit zu prüfen und die von diesen Behörden beurteilte Frage anders als sie zu lösen. Für das Bundesgericht als Oberaufsichts- und Rekursinstanz in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen gilt in dieser Hinsicht das gleiche wie für die kantonalen Vollstreckungsorgane.
Im vorliegenden Falle hat die kantonale Bewilligungsbehörde erkannt, eine Bewilligung im Sinne des BewB sei nicht erforderlich. Dieser Entscheid ist formell rechtskräftig
BGE 89 III 78 S. 83
geworden, da die kantonale Beschwerdeinstanz und die eidgenössische Rekursinstanz auf die Beschwerde, die dagegen erhoben wurde, nicht eingetreten sind. Er lässt sich, obwohl er nach den Erwägungen der eidgenössischen Rekursinstanz materiell höchst fragwürdig ist, nicht etwa als schlechthin nichtig bezeichnen. Ihn in Wiedererwägung zu ziehen, hat die kantonale Bewilligungsbehörde abgelehnt. Die Vollstreckungsorgane haben daher die Verwendung des bei der Gerichtskasse Basel-Stadt hinterlegten Betrags von Fr. 14'000,000.-- zur Befriedigung der Konkursgläubiger als zulässig zu betrachten, selbst wenn sie an der Richtigkeit des Entscheides der Bewilligungsbehörde zweifeln. Das Verwertungsverfahren muss eingestellt bleiben. In diesem Punkt ist der Rekurs folglich abzuweisen. | null | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d782fe9e-5e6c-4d80-87b2-148c6e4fae38 | Urteilskopf
112 Ib 339
54. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. November 1986 i.S. G. gegen Verhöramt Zug und Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 88 und 89 IRSG
; Übertragung der Strafverfolgung an das Ausland.
Es ist zulässig, dem Ersuchen um Übernahme eines Strafverfahrens durch den ausländischen Staat die Auflage beizufügen, dass der ersuchte Staat die aus den schweizerischen Akten erlangten Kenntnisse nicht zur Verfolgung des Betroffenen oder Dritter wegen Fiskaldelikten und ähnlicher Strafsachen verwenden darf. | Erwägungen
ab Seite 339
BGE 112 Ib 339 S. 339
Aus den Erwägungen:
7.
Mit einem Eventualantrag verlangt der Beschwerdeführer, dass dem Entscheid über die Verfahrensabtretung nachträglich der sogenannte Fiskalvorbehalt beigefügt werde, nämlich ein Verbot, die aus den schweizerischen Akten erlangten Kenntnisse in Verfahren gegen Dritte wegen Verkürzung fiskalischer Abgaben oder Verletzung von Vorschriften über währungs-, handels- und wirtschaftspolitische Massnahmen zu verwenden. Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) vertritt den Standpunkt, weder das internationale noch das interne schweizerische Recht böten eine Grundlage für eine Auflage der beantragten Art gegenüber dem schwedischen Staat.
a) Für den Fall der Übertragung einer Strafverfolgung an das Ausland bestimmt
Art. 89 Abs. 3 IRSG
, der ausländische Staat,
BGE 112 Ib 339 S. 340
an den der Verfolgte zuvor wegen anderer Taten ausgeliefert worden sei, brauche die Auslieferungsbedingungen nach
Art. 38 IRSG
nicht zu beachten, soweit er dem Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung entspreche. Von diesen Bedingungen fällt hier vor allem
Art. 38 Abs. 1 lit. a IRSG
in Betracht, der die Verfolgung des Ausgelieferten wegen einer vor der Auslieferung begangenen Handlung nicht zulässt, soweit für diese Handlung die Auslieferung nicht bewilligt worden ist. In der Botschaft des Bundesrates zum IRSG wird zu Art. 89 Abs. 3 ausgeführt, der zur Beachtung der Spezialität verpflichtete ersuchende Staat sei "insoweit von dieser Beschränkung in der Ausübung seiner Strafgewalt entbunden, als dies durch die Übertragung der Strafverfolgung an ihn erforderlich ist" (BBl 1976 II S. 469). Diese Lösung dürfte wohl auf dem Gedanken beruhen, dass die Schweiz nicht einen Spezialitätsvorbehalt anbringen könne in Fällen, in denen sie selbst die Initiative zur Abtretung eines Strafverfahrens an einen ausländischen Staat ergreift, also dann, wenn diese Form der Rechtshilfe im weiteren Sinne auch oder sogar vorwiegend im schweizerischen Interesse liegt. Der Wegfall des Spezialitätsgebotes bedeutet aber nicht, dass auch eine Verfolgung des Betroffenen oder Dritter wegen Fiskaldelikten und ähnlicher Tatbestände zulässig sei. Dass die Schweiz wegen Straftaten dieser Art - abgesehen vom Sonderfall des Abgabebetruges - keinerlei Rechtshilfe leistet, wird im ersten Teil des IRSG ("Allgemeine Bestimmungen") unter der Abschnittsüberschrift "Ausschluss von Ersuchen" gesagt. Der diesen generellen Ausschluss der Rechtshilfe umschreibende erste Satz von
Art. 3 Abs. 3 IRSG
bezieht sich somit auf das ganze Gesetz; nur die im zweiten Satz dieses Absatzes erwähnte Ausnahme hinsichtlich des Abgabebetruges gilt nur für den dritten Teil des Gesetzes, d.h. für die Rechtshilfe im engeren Sinne, während eine Auslieferung auch bei diesem Tatbestand nicht zulässig ist. Der Ausschluss jeder Rechtshilfe in Fiskalsachen muss somit zu den grundlegenden Bestimmungen des IRSG gerechnet werden. Dass dem so ist, folgt auch aus der parlamentarischen Beratung über die Genehmigung des Zusatzprotokolls Nr. 99 des Europarates, das in gewissem Umfange Rechtshilfe auch in Fiskalsachen zulässt. Die Genehmigung dieses Teiles des Zusatzprotokolls wurde sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat entgegen den Anträgen des Bundesrates abgelehnt (Amtl.Bull. NR 1984 I S. 591 ff.; SR 1985 S. 500 ff.; vgl. auch das nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtes vom 27. November 1985 i.S. Firma I.). Es muss
BGE 112 Ib 339 S. 341
somit sowohl nach der Gesetzessystematik wie auch nach der Bedeutung, welche die schweizerische gesetzgebende Behörde noch in neuester Zeit dem Ausschluss der Rechtshilfe in Fiskalsachen beigemessen hat, davon ausgegangen werden, die in
Art. 89 Abs. 3 IRSG
vorgesehene Befreiung des die Strafverfolgung übernehmenden Staates vom Vorbehalt der Spezialität umfasse nicht auch gleichzeitig eine Befreiung von dem für das ganze schweizerische Rechtshilferecht geltenden Ausschluss der Zulässigkeit der Rechtshilfe in Fiskal- und den in
Art. 3 Abs. 3 IRSG
aufgezählten verwandten Strafsachen.
b) Das BAP macht geltend, die europäischen Abkommen über Auslieferung und Rechtshilfe, denen sowohl die Schweiz als auch Schweden beigetreten sind, enthielten keine Rechtsgrundlage, um gegenüber dem schwedischen Staat eine entsprechende Auflage zu erlassen. Dies trifft zwar in tatsächlicher Hinsicht zu, ist aber rechtlich nicht ausschlaggebend. Die beiden erwähnten Abkommen enthalten auch keine Verpflichtung eines der beiden Staaten zur Übertragung bzw. Übernahme von Strafverfolgungen, die an sich in den Zuständigkeitsbereich des anderen Staates fallen. Verhält es sich aber so, dass die Schweiz zur Übertragung der Strafverfolgung in einem Fall wie dem vorliegenden zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist und dass für Schweden hinsichtlich der Übernahme dasselbe gilt, so können mit der Übertragung auch beliebige Auflagen verbunden werden, die der um Übernahme ersuchte Staat annehmen oder ablehnen kann. Unter Staaten, die dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EAÜ) beigetreten sind, dürften gute Aussichten bestehen, dass eine entsprechende Auflage nicht abgelehnt wird, kommt doch die Übertragung einer Strafverfolgung im Ergebnis der Auslieferung nahe und ist die Auslieferung wegen Fiskaldelikten nach
Art. 5 EAÜ
nur aufgrund besonderer zweiseitiger Übereinkünfte zulässig.
c) Auch das interne schweizerische Recht verbietet eine Auflage der genannten Art entgegen der Auffassung des BAP nicht. Dass das seinem Sinn und Zweck gemäss auszulegende IRSG sie sogar gebietet, ist bereits dargelegt worden. Das BAP beruft sich demgegenüber auf Art. 11 der Verordnung über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 24. Februar 1982 (IRSV). Dieser kommt gegenüber dem Gesetz keine selbständige Bedeutung zu. Im übrigen verweist die genannte Bestimmung, welche sich auf den Inhalt schweizerischer Ersuchen an ausländische Staaten bezieht, in Abs. 1 auf die
Art. 27-29 IRSG
, die als sinngemäss anwendbar
BGE 112 Ib 339 S. 342
erklärt werden. Abs. 2 enthält die Vorschrift, dass ein schweizerisches Ersuchen weder Ausführungen enthalten dürfe, die geeignet wären, die Lage von Personen im ersuchten Staat wegen ihrer politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zu erschweren, noch solche, die im ersuchten Staat zu Beanstandungen Anlass geben könnten. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Norm es verbieten sollte, einem schweizerischen Ersuchen eine Auflage oder Bedingung beizufügen. Wenn das BAP ausführt, Auflagen oder Bedingungen seien an dieser Stelle bewusst weggelassen worden, so kommt dies jedenfalls im Verordnungstext nicht zum Ausdruck. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d7842b59-a3bd-46ab-94f3-f197926766d8 | Urteilskopf
100 Ib 429
73. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1974 i.S. Denner AG gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. | Regeste
Kontingentierung der Einfuhr von Rotweinen. Verordnung des Bundesrates über den Rebbau und den Absatz der Rebbauerzeugnisse vom 23. Dezember 1971 (Weinstatut). Ist die Beibehaltung der Kontingentierung mit Art. 23 Abs. 1 des Landwirtschaftsgesetzes vom 3. Oktober 1951 (LWG) und mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar?
1. Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens (Art. 25 VwG) und der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Feststellungsverfügung (Erw. 1).
2. Kompetenzen des Bundesrates nach
Art. 23 Abs. 1 LWG
. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (Erw. 4 und 5).
3. Würdigung einer Meinungsäusserung der Schweizerischen Kartellkommission und der Gegenargumente der Beschwerdeführerin. Die Annahme des Bundesrates, dass durch völlige Freigabe der Einfuhr von Rotweinen der Absatz der Inlandweine zu angemessenen Preisen gefährdet würde und dass es sich rechtfertige, deswegen die Kontingentierung weiterzuführen, erscheint als haltbar (Erw. 6-10). | Sachverhalt
ab Seite 430
BGE 100 Ib 429 S. 430
A.-
Die Denner AG, Zürich, stellte am 2. Juni 1971 beim Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) das Gesuch, ihr "die Einfuhr von roten Naturweinen in Fässern, Korbflaschen und anderen Gebinden der Tarifnummern 2205.10/22 (und) ex 2205.30 unbeschränkt zu bewilligen". In der Begründung führte sie aus, die in der Verordnung des Bundesrates über den Rebbau und den Absatz der Rebbauerzeugnisse (Weinstatut) vom 18. Dezember 1953 (AS 1953 1154) festgelegte Kontingentierung der Einfuhr von Rotwein sei nicht mehr gerechtfertigt. Das EVD antwortete der Gesuchstellerin am 9. Juli 1971, die Sektion für Ein- und Ausfuhr könne ihr für die laufende Periode ein Zusatzkontingent zusichern; über die grundsätzliche Frage, ob die Weinkontingentierung weiterzuführen sei, werde der Bundesrat demnächst Beschluss fassen. Die Denner AG hielt an ihrem Gesuch fest.
Am 23. Dezember 1971 erliess der Bundesrat eine neue Verordnung über den Rebbau und den Absatz der Rebbauerzeugnisse (neues Weinstatut, SR 916.140), worin die Kontingentierung der Einfuhr von Rotwein (ausgenommen Flaschenwein) beibehalten wurde. Das neue Statut entspricht weitgehend den Anregungen, welche die Schweizerische Kartellkommission dem Bundesrat in einem Bericht vom 27. April 1970 (Veröffentlichungen der Kommission 1970 S. 87 ff.) unterbreitet hatte.
Am 14. Januar 1972 schrieb das EVD der Denner AG:
"... Mit dieser gesetzlichen Regelung wurde die von Ihnen aufgeworfene Frage beantwortet, weshalb auf eine weitere Stellungnahme unsererseits verzichtet werden kann. Die Grundsätze über Zuteilung und
BGE 100 Ib 429 S. 431
Anpassung der Einzelkontingente sind im Weinstatut aufgestellt. Zur Handhabung dieser Kontingentsordnung haben wir der Sektion für Ein- und Ausfuhr Weisungen erteilt, auf Grund derer eine Lockerung der bisherigen Kontingentierung angestrebt wird..."
B.-
Die Denner AG erblickt in diesem Schreiben eine Verfügung. Sie führt dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in der sie das am 2. Juni 1971 gestellte Begehren wiederholt. Sie macht geltend, nach den heutigen und den absehbaren künftigen Marktverhältnissen gefährde die Einfuhr von Rotwein den Absatz des schweizerischen Weines zu angemessenen Preisen nicht mehr; deshalb sei die Kontingentierung nicht mehr durch
Art. 23 LWG
gedeckt. Falls anzunehmen wäre, dass doch weiterhin mit einer Gefährdung des Absatzes der einheimischen Erzeugnisse gerechnet werden müsse, könnte eine Übernahmepflicht der Importeure oder die Erhebung von Zollzuschlägen angeordnet werden. Das seien im Vergleich zur Weiterführung der Kontingentierung mildere Mittel. Die Beschwerde stützt sich auf volkswirtschaftliche Gutachten von Prof. Willy Büchi (Freiburg i.Ue.), Dr. Gawronski (Schweiz. Konsumentenbund) und Prof. Otto Angehrn (ETH Zürich).
Das EVD hat zunächst beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Das Bundesgericht hat indes am 24. März 1972 gegenteilig entschieden. Nun schliesst das EVD auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht hat eine Meinungsäusserung der Kartellkommission eingeholt. Die Kommission hat ihren Bericht am 6. November 1973 erstattet. Die Beschwerdeführerin und das EVD haben dazu Stellung genommen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das EVD hat in der ersten Vernehmlassung die Auffassung vertreten, sein Schreiben vom 14. Januar 1972 stelle nicht eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG dar, gegen die sich nach
Art. 97 Abs. 1 OG
eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde richten könnte. Das Schreiben ordne nicht etwas an, das nach Art. 5 Abs. 1 lit. a-c VwG Gegenstand einer Verfügung sein könne. Es weise im wesentlichen nur darauf hin, dass durch das vom Bundesrat am 23. Dezember 1971 erlassene neue Weinstatut die von der Denner AG aufgeworfene Grundsatzfrage beantwortet worden sei. Gegen eine solche allgemein verbindliche Ordnung könne aber nicht Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 100 Ib 429 S. 432
erhoben werden. Dieser Argumentation kann nicht zugestimmt werden.
Allerdings wendet sich die Denner AG gegen die im alten Weinstatut vorgesehene und im neuen Statut beibehaltene Kontingentierung der Einfuhr roter Naturweine, also gegen eine allgemein verbindliche Regelung. Es trifft auch zu, dass ein solcher Erlass nicht unmittelbar mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann. Der Importeur, der sich der Kontingentierung nicht unterwerfen will, kann sich aber auf andere Weise zur Wehr setzen. Er kann die Frage der Rechtmässigkeit der Kontingentierung auf dem Wege der Beschwerde gegen einen ihn betreffenden Anwendungsakt aufwerfen. Ferner kann er nach Art. 25 VwG die in der Sache zuständige Behörde ersuchen, durch Verfügung ein für allemal festzustellen, dass er nicht verpflichtet sei, sich der Kontingentierung zu unterwerfen. An dieser Feststellung hat er ein schutzwürdiges Interesse, so dass die Behörde auf sein dahingehendes Begehren einzutreten hat (Art. 25 Abs. 2 VwG; vgl.
BGE 98 Ib 459
f.,
BGE 99 Ib 166
).
Ein solches Begehren hat aber die Denner AG im Jahre 1971 in mehreren an das EVD gerichteten Eingaben gestellt. Das EVD ist in der Sache zuständig. Es hat im Antwortschreiben vom 14. Januar 1972 festgestellt, dass im neuen Weinstatut vom 23. Dezember 1971 die Kontingentierung beibehalten wird, und erklärt, mit dieser Regelung sei die von der Gesuchstellerin aufgeworfene Frage beantwortet, so dass es auf eine weitere Stellungnahme verzichten könne. Damit hat das Departement deutlich zu erkennen gegeben, dass es die Kontingentierung für rechtmässig halte. Es hat also das Begehren der Denner AG um Feststellung, dass sie der Kontingentierung nicht unterworfen sei, abgewiesen. Sein Schreiben vom 14. Januar 1972 enthält somit eine Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. c VwG.
Zwar ist das Schreiben entgegen dem Art. 35 VwG nicht als Verfügung bezeichnet und nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen; dem Inhalte nach hat es aber Verfügungscharakter, und das ist für die Beurteilung der Eintretensfrage entscheidend.
Gegen die getroffene Verfügung ist nach
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 98 lit. b OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig; es besteht keiner der in
Art. 99 - 102 OG
vorgesehenen
BGE 100 Ib 429 S. 433
Ausschlussgründe. Daraus folgt, dass auf die erhobene Beschwerde einzutreten ist.
2.
/3. - (Weitere prozessuale Fragen.)
4.
Nach
Art. 29 LWG
sind die im Rahmen dieses Gesetzes vorgesehenen Massnahmen so anzuwenden, dass für die einheimischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse guter Qualität Preise erzielt werden können, die die mittleren Produktionskosten rationell geführter und zu normalen Bedingungen übernommener landwirtschaftlicher Betriebe im Durchschnitt mehrerer Jahre decken; dabei ist auf die andern Wirtschaftszweige und auf die ökonomische Lage der übrigen Bevölkerungsschichten Rücksicht zu nehmen. Sofern der Absatz von Erzeugnissen der einheimischen Landwirtschaft zu Preisen, die nach diesen Grundsätzen angemessen sind, durch die Einfuhr gefährdet wird, ist der Bundesrat nach
Art. 23 Abs. 1 LWG
befugt, unter Rücksichtnahme auf die andern Wirtschaftszweige a) die Einfuhr gleichartiger Erzeugnisse mengenmässig zu beschränken, d.h. der Kontingentierung zu unterwerfen; b) für die Einfuhr gleichartiger Erzeugnisse, die eine bestimmte Menge überschreiten, Zollzuschläge zu erheben; c) die Importeure zur Übernahme gleichartiger Erzeugnisse inländischer Herkunft und handelsüblicher Qualität in einem zumutbaren Verhältnis zur Einfuhr zu verpflichten und das hierzu Erforderliche anzuordnen (sog. Leistungssystem). Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Bundesrat im neuen Weinstatut vom 23. Dezember 1971, wie schon im alten Statut vom 18. Dezember 1953, die Einfuhr gewisser Rebbauerzeugnisse einer Kontingentierung unterstellt und ausserdem vorgesehen, dass die Übernahme von Inlandweinen durch die Importeure angeordnet werden kann.
Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, der Absatz einheimischer Weine zu angemessenen Preisen werde nach den gegenwärtigen und den absehbaren künftigen Marktverhältnissen durch die Einfuhr roter Naturweine in Fässern, Korbflaschen und ähnlichen Gebinden nicht gefährdet, so dass die im neuen Weinstatut beibehaltene Kontingentierung dieser Einfuhr nicht mehr durch
Art. 23 LWG
gedeckt sei. Für den Fall, dass doch anzunehmen wäre, eine solche Gefährdung bestehe weiterhin, wendet die Beschwerdeführerin ein, die angefochtene Kontingentierung sei mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht
BGE 100 Ib 429 S. 434
vereinbar, weil der Bundesrat andere Massnahmen - Anordnung der Übernahmepflicht, Erhebung von Zollzuschlägen - treffen könnte, die weniger einschneidend wären und zum Schutze des Absatzes der einheimischen Produkte genügen würden. Das Bundesgericht ist befugt, diese Rügen, welche die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit eines Teils einer Ausführungsverordnung des Bundesrates betreffen, zu beurteilen (
BGE 92 I 433
;
BGE 94 I 397
;
BGE 99 Ib 165
, 389, 410).
5.
Die Gesetzgebungskompetenz, die
Art. 23 Abs. 1 LWG
an den Bundesrat delegiert, ist auch in zeitlicher Hinsicht beschränkt: Die vom Bundesrat gestützt auf die Ermächtigung aufgestellten Vorschriften sollen grundsätzlich nur so lange bestehen bleiben, als der Absatz der einheimischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu angemessenen (kostendeckenden) Preisen durch die Einfuhr gefährdet wird (vgl. Art. 16 Abs. 1 des neuen Weinstatuts, wonach die Einfuhr von Rebbauerzeugnissen kontingentiert wird, "solange" eine solche Gefährdung besteht). Die Delegation bezweckt gerade auch, eine rasche Anpassung der Gesetzgebung an veränderte Verhältnisse zu erleichtern (
BGE 88 I 283
). Damit ist indes nicht gesagt, dass der Bundesrat bei der Ausübung der ihm in
Art. 23 LWG
übertragenen Kompetenz auch jeder bloss vorübergehenden Änderung der Marktlage Rechnung zu tragen hat. Es kann nicht verlangt werden, dass eine auf Grund der Delegation einmal erlassene Ordnung, die im Zeitpunkt ihrer Einführung als gerechtfertigt betrachtet werden konnte, ohne weiteres wieder aufzuheben ist, sobald anzunehmen ist, dass zur Zeit der Absatz der einheimischen Erzeugnisse zu angemessenen Preisen durch Freigabe der Einfuhr nicht gefährdet würde. Die Beibehaltung der eingeführten Ordnung kann gleichwohl gerechtfertigt sein, wenn damit zu rechnen ist, dass infolge einer Freigabe der Einfuhr doch binnen kurzem wieder eine Gefährdung einträte und in absehbarer Zeit (vgl.
BGE 88 I 283
) im grossen und ganzen - abgesehen von stets möglichen vorübergehenden Änderungen der Marktverhältnisse - andauern würde. Der Bundesrat muss die Möglichkeit haben, bei der Ausübung der ihm in
Art. 23 LWG
delegierten Befugnisse die voraussehbare langfristige Entwicklung der Marktsituation zu berücksichtigen. Sonst könnte es dazu kommen, dass durch Verordnungsbestimmungen in allzu raschem Wechsel die Einfuhr beschränkt und wieder freigegeben
BGE 100 Ib 429 S. 435
würde, womit niemandem gedient wäre und die Verwaltung vor kaum zu bewältigende Schwierigkeiten gestellt würde.
Der Bundesrat ist also auf eine Prognose angewiesen, wenn er darüber zu befinden hat, ob Verordnungsvorschriften, wie sie in
Art. 23 LWG
vorgesehen sind, zu erlassen oder beizubehalten seien. Eine solche Entscheidung hat Ermessenscharakter; es handelt sich um "prospektives Ermessen" (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3./4. Aufl., Nr. 221 VI/VII, S. 77). Bei der Überprüfung der vom Bundesrat gestellten Prognose muss sich das Bundesgericht daher Zurückhaltung auferlegen. Es hat sich auf die Prüfung zu beschränken, ob der Befund des Bundesrates schlechterdings unhaltbar sei (vgl.
BGE 88 I 281
).
Art. 23 Abs. 1 LWG
sieht drei Arten von Anordnungen zum Schutz der inländischen landwirtschaftlichen Erzeugung vor, wenn und solange deren Absatz zu angemessenen Preisen durch die Einfuhr gefährdet wird. Der Bundesrat kann zwischen den drei Möglichkeiten wählen; er kann unter Umständen auch alle drei Massnahmen oder deren zwei miteinander kombinieren (
BGE 99 Ib 168
). Das Gesetz räumt ihm in dieser Beziehung eine gewisse Entscheidungsfreiheit ein. Auch hier ist deshalb die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts beschränkt (
BGE 99 Ib 169
): Es könnte bloss dann einschreiten, wenn der Bundesrat eine Wahl getroffen hätte, die offensichtlich sachwidrig wäre, sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen liesse. Nur in diesem beschränkten Rahmen hat das Gericht auch zu prüfen, ob die Lösung, für die sich der Bundesrat entschieden hat, gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstosse.
Nachdem der Bundesrat bei der Beurteilung der Frage, ob im neuen Weinstatut weiterhin Einfuhrbeschränkungen vorzusehen seien, sich von der Kartellkommission hatte beraten lassen, hat das Bundesgericht es für angezeigt erachtet, diese Behörde auch im vorliegenden Verfahren, wo behauptet wird, die im neuen Statut beibehaltene Kontingentierung der Einfuhr von Rotwein sei nicht mehr gesetz- und verfassungsmässig, zur Mitarbeit heranzuziehen. Das Gericht würdigt den ihm von der Kartellkommission erstatteten Amtsbericht in gleicher Weise wie von ihm eingeholte Gutachten Sachverständiger.
BGE 100 Ib 429 S. 436
6.
Das Gericht hat der Kartellkommission u.a. die Frage vorgelegt, ob eine Aufhebung der strittigen Kontingentierung den Absatz von Inlandweinen zu kostendeckenden Preisen in Normaljahren gefährden könne. Dazu führt die Kommission in ihrem Bericht aus:
"Bei der Beantwortung dieser Frage ist davon auszugehen, dass die Preisstruktur der eingeführten Weine schon heute völlig anders ist als bei den einheimischen Weinen... Die importierten Weine sind im Durchschnitt erheblich billiger. Im Falle der freien Einfuhr würden die Preise der importierten Weine noch vermehrt sinken, sei es infolge der verschärften Konkurrenz, die sich auf die Margen der Importeure auswirkt, sei es durch die Einfuhr billigerer Provenienzen. Die entscheidende Frage ist nun, wie weit die einheimischen Weine einen eigenen Markt darstellen und damit durch ausländische Weine nicht substituierbar sind. Es ist auf die Aussagen in den Hearings zu verweisen, wonach beispielsweise der schweizerische Gamay rasch durch einen ausländischen Gamay im Absatz behindert werden könnte, der qualitativ ungefähr gleichwertig ist, dessen Einfuhrpreis (verzollt) jedoch lediglich Fr. 1.50 pro Liter beträgt... Nach überwiegender Auffassung der beteiligten Kreise lässt sich der Dôle ohne weiteres durch einen Beaujolais ersetzen und auch die Provenienz "Côtes du Rhône" könnte allenfalls von Konsumenten anstelle eines schweizerischen Rotweins getrunken werden. Eine abrupte Liberalisierung könnte somit ohne weiteres zur Folge haben, dass schweizerische Rotweine - sofern es sich nicht um Spitzenweine handelt - in Absatzschwierigkeiten geraten würden. Der Absatz könnte höchstens noch durch Preissenkungen garantiert werden, was aber dazu führen könnte, dass der vom Landwirtschaftsgesetz garantierte kostendeckende Produzentenpreis in Gefahr geriete. Offen ist sodann die Frage, wie weit die schweizerische Produktion im Falle einer Freigabe der Rotweinimporte qualitativ verschlechtert werden könnte. Dass die Qualität der importierten Weine mindestens vorübergehend sinken würde, ist nach Auffassung der Kartellkommission eindeutig. In den Hearings wurde vielfach die Meinung geäussert, dass auch die schweizerischen Produzenten geneigt sein könnten, die Qualität ihrer Produkte zu senken, um preislich gegenüber dem Importwein konkurrenzfähig zu sein. Damit würden die Qualitätsbestrebungen beim Schweizer Wein in Frage gestellt Die Kartellkommission ist der Auffassung, dass diese Gefahr nicht sehr gross ist. Der Schweizer Wein kann seinen Absatz gegenüber den Importweinen nur wahren, wenn er qualitativ hochwertig und in dieser Hinsicht zumindest den ausländischen Kurantweinen überlegen ist. Auch Qualitätssenkungen könnten zudem kaum zu einem Preisniveau führen, das mit demjenigen der ausländischen Kurantweine vergleichbar ist.
Zusammenfassend ergibt sich, dass im Falle einer völligen Freigabe der Rotweinimporte der Absatz der schweizerischen Rotweine - vor allem der Durchschnittsweine und allenfalls ganzer Jahrgänge minderer Qualität - gefährdet werden könnte. Damit wären ebenfalls preisliche Auswirkungen zu erwarten, so dass letztlich auch der kostendeckende Produzentenpreis gefährdet würde."
BGE 100 Ib 429 S. 437
Sodann ist der Kartellkommission die Frage gestellt worden, ob eine Aufhebung der umstrittenen Kontingentierung den Absatz von Inlandweinen zu kostendeckenden Preisen bei Produktionsüberschüssen in der Schweiz oder in den die Schweiz beliefernden Ländern gefährden könnte. Dazu äussert sich die Kommission wie folgt:
"Nachdem in der Antwort zur vorhergehenden Frage erwähnt worden ist, dass die Freigabe der Rotweinimporte den kostendeckenden Produzentenpreis in Normaljahren gefährden kann, ergibt sich von selbst, dass dies umso mehr auch in Jahren der Fall sein kann, in denen der schweizerische Rotweinmarkt Überschüsse verzeichnet oder wenn eine schlechte Ernte vorliegt...
Produktionsüberschüsse im Ausland könnten ebenfalls den schweizerischen (freien) Markt beträchtlich stören. Insbesondere wäre zu erwarten, dass versucht würde, Weine schlechter Qualität in der Schweiz abzusetzen, möglicherweise sogar Weine, die andernfalls dest-illiert werden müssten... Diese Importe könnten nur zu tiefsten Preisen erfolgen und wären geeignet, das schweizerische Marktgefüge beträchtlich zu stören."
7.
Die Beschwerdeführerin bemängelt den Befund der Kartellkommission, wobei sie sich auf Stellungnahmen des Professors O. Angehrn und des Schweiz. Konsumentenbundes beruft.
a) Es wird eingewendet, die Kartellkommission habe sich einseitig orientieren lassen. Die Kommission hat nach ihrem Bericht in Hearings Vertreter des EVD (Handelsabteilung, Sektion für Ein- und Ausfuhr, Abteilung für Landwirtschaft) sowie der Fédération Romande des Vignerons, des Schweiz. Weinbauvereins, des Verbandes Schweiz. Weinimportgrossisten, der Société des Encaveurs de vins suisses und des Schweiz. Weinhändlerverbandes angehört; ausserdem hat sie schriftliche Meinungsäusserungen des Schweiz. Bauernverbandes und des Präsidenten der parlamentarischen Gruppe zur Bekämpfung des Alkoholismus entgegengenommen. Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Kartellkommission nicht auch Vertreter des Detailhandels, des Gastwirtschaftsgewerbes und der Konsumentenorganisationen hat zu Worte kommen lassen. Nach ihrer Meinung wäre durch Befragung dieser Kreise abzuklären gewesen, ob nach den Gewohnheiten und Neigungen der schweizerischen Weinverbraucher die Freigabe der Einfuhr von Rotweinen den Absatz der einheimischen Rotweine gefährden könnte, und welche inländischen Sorten
BGE 100 Ib 429 S. 438
allenfalls betroffen würden. Von einer solchen Befragung wären jedoch keine Ergebnisse zu erwarten, welche die Überlegungen der Kartellkommission zu erschüttern vermöchten (vgl. lit. d hiernach). Weitere Erhebungen erscheinen nicht als angezeigt und sind daher nicht anzuordnen, zumal die Beschwerdeführerin in ihrer Vernehmlassung zum Bericht der Kartellkommission keine neuen konkreten Beweisanträge gestellt hat.
b) Die Beschwerdeführerin bezweifelt, dass im Falle der Freigabe der Einfuhr die Schweiz mit billigen und minderwertigen Rotweinen aus dem Ausland überschwemmt würde und dass deswegen die Schweizer Rotweine einem starken Preisdruck ausgesetzt wären. Sie meint, der inländische Qualitätswein werde sich auch gegenüber den in grösseren Mengen importierten Erzeugnissen behaupten können, da er ja schon jetzt voll abgesetzt werden könne, obwohl bereits billigere ausländische Weine in erheblichen Quantitäten am Markte seien. Sie macht geltend, der schweizerische Rotwein sei zum Teil zu einer echten Mangelware geworden. Detailhandel und Gastwirtschaftsgewerbe seien in keiner Weise daran interessiert, den Verkauf billigster und minderwertiger Massenweine zu forcieren und damit den Absatz guter Erzeugnisse, die von den Verbrauchern vorgezogen würden, zu vernachlässigen. Angesichts der Zunahme der Kosten sei ihnen im Gegenteil daran gelegen, eine Politik der Angebotsaufwertung zu betreiben. Sie seien daran interessiert, das Geschäft mit Inlandweinen, das eine genügende Verdienstmarge ermögliche, nicht nur nicht zerfallen zu lassen, sondern eher noch auszudehnen.
Diese Überlegungen sind offenbar durch die folgenden Ausführungen im Bericht der Kartellkommission vom 6. November 1973 veranlasst worden:
"Im verschärften Wettbewerb würde mit Sicherheit danach getrachtet, Wettbewerb über den Preis zu betreiben. Die Folge wäre, dass billigste und damit schlechtere Ware importiert würde. Es ist denkbar, dass diese Auswirkung nur vorübergehender Natur wäre. Mit der Beruhigung des Marktes auf längere Sicht könnte allenfalls auch diese Erscheinung wieder gemildert werden. Da jedoch weiterhin eine völlig veränderte Wettbewerbssituation bestehen würde, bei der nötigenfalls jeder Weinhändler selbst importieren könnte, wird eine Tendenz zu preisgünstigen Importen bestehen bleiben, was weiterhin Auswirkungen auf die Qualität der Importware haben könnte."
BGE 100 Ib 429 S. 439
Es ist jedenfalls damit zu rechnen, dass die Aufhebung der Kontingentierung eine Verschärfung des Wettbewerbes und damit ein Sinken der Preise für importierte Rotweine auch im Detailhandel herbeiführen würde. Eine solche Entwicklung entspräche an sich dem öffentlichen Interesse an der Tiefhaltung der Lebenskosten; doch besteht anderseits auch ein öffentliches Interesse daran, dass die einheimische Landwirtschaft ihre Erzeugnisse zu angemessenen Preisen absetzen kann (
Art. 23 und 29 LWG
). Für die Beurteilung der Streitigkeit ist daher von Bedeutung, wie sich gewisse Preissenkungen für importierte Rotweine im Gross- und Detailhandel auf den Absatz der inländischen Weine auswirken würden.
Der Weinhandel ist Vertrauenssache; die Weinhändler werden daher auch bei einem wesentlich verschärften Wettbewerb im allgemeinen wenig daran interessiert sein, den Kunden billigste und damit minderwertige Ware anzubieten. Auch im Falle der Freigabe der Einfuhr wird sich jedenfalls der Grossteil der Importeure bemühen, die Abnehmer gut zu bedienen. Anderseits ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Strukturveränderung im Weinhandel, die durch eine sofortige völlige Freigabe der Einfuhr notwendigerweise ausgelöst würde, dazu führen würde, dass einzelne Importeure grosse Mühe hätten, ihren Absatz zu halten. Für sie bestände zum mindesten die starke Versuchung, sich durch Schlagerangebote an der unteren Qualitätsgrenze zu behelfen.
Viel wichtiger als eine allfällige Zunahme der Einfuhren an billigsten, minderwertigen Weinen dürfte jedoch eine andere, wahrscheinliche Folge einer völligen Öffnung der Grenze sein: Es muss damit gerechnet werden, dass dann in erheblich grösseren Mengen ausländische Rotweine einer Qualität, die derjenigen eines Grossteils der einheimischen Rotweine ungefähr gleichkäme und den Bedürfnissen eines breiten schweizerischen Publikums genügen würde, eingeführt würden. Diese importierten Weine könnten aber wesentlich unter den Preisen für gleichwertige einheimische Erzeugnisse angeboten werden. Die Kartellkommission erwähnt in diesem Zusammenhang, dass z.B. ausländischer Gamay in einer Qualität, die ungefähr derjenigen schweizerischen Weins dieser Sorte entspricht, zu Fr. 1.50 (verzollt) je Liter eingeführt werden kann, während der Produzentenpreis für solchen Wein in der Schweiz bedeutend höher ist (1972: Fr. 2.50 für Genfer Gamay).
BGE 100 Ib 429 S. 440
Unter einer Kontingentsordnung ist der Wettbewerb gedrosselt; die importierbaren Warenmengen sind bereits auf die Nachfrage ausgerichtet. Die Importeure und deren Abnehmer haben es deshalb leicht, die eingeführten Weine abzusetzen, auch wenn sie erhebliche Gewinnmargen einkalkulieren; sie haben daher kein Interesse, die Differenz zwischen den Einstandspreisen für die eingeführten und die einheimischen Weine an die Konsumenten weiterzugeben. Solange die Einfuhr von Rotweinen kontingentiert ist, wirkt sich diese Differenz auf den Absatz gleichwertiger Schweizer Weine nicht oder jedenfalls nur beschränkt aus. Wird dagegen die Einfuhr freigegeben und damit der Wettbewerb verschärft, so ist zu gewärtigen, dass die Differenzen zwischen den Einstandspreisen für importierte und für inländische Rotweine in zunehmendem Masse auch in den Konsumentenpreisen zum Ausdruck kommen. Dann geht deshalb vom importierten Rotwein rechter Qualität durchaus ein Preisdruck auf schweizerische Rotweine ähnlicher Qualität aus. Die Kartellkommission ist nicht etwa der Meinung, dass notwendigerweise die gesamte schweizerische Rotweinproduktion unter einen solchen Preisdruck käme. Damit eine Gefährdung im Sinne des
Art. 23 Abs. 1 LWG
angenommen werden kann, genügt es jedoch, dass für die weniger gut verkäuflichen Schweizerweine mit einem Preisdruck ernsthaft zu rechnen ist. In dieser Beziehung leuchten die Ausführungen der Kartellkommission ein; sie sind durch die Gegenargumente der Beschwerdeführerin nicht widerlegt.
c) Es ist nicht bestritten, dass die inländischen Rotweine in den letzten Jahren teilweise zu einer Mangelware geworden sind. Daher ist der Beschwerdeführerin zu glauben, dass sie Mühe hat, für ihren sich vergrössernden Betrieb alle gefragten Qualitäten an inländischem Rotwein in ausreichendem Masse einzukaufen. Allein diese Entwicklung gestattet noch nicht den Schluss, dass die starke Nachfrage nach solchem Wein auch dann anhielte, wenn dem Publikum ausländischer Rotwein vergleichbarer Qualität zu niedrigeren Preisen in unbeschränkter Menge angeboten würde. Es ist zu beachten, dass die letzten Jahre durch eine ausgesprochene Hochkonjunktur gekennzeichnet waren. Wenn breite Schichten der Rotweinkonsumenten wieder schärfer rechnen müssen, dürften sie einer Abwerbung zugunsten ausländischer Weinsorten rechter
BGE 100 Ib 429 S. 441
Qualität zu tieferen Preisen eher erliegen als in Zeiten eines ständig wachsenden Realeinkommens.
d) Die Kartellkommission hat nicht ohne Grund davon abgesehen, ihre Prognose stärker zu konkretisieren. Einlässlichere Untersuchungen über die Verhaltenstendenzen der Schweizer Weinkonsumenten auf Grund eines vertieften, die verschiedenen Rotweinsorten in- und ausländischer Herkunft erfassenden Qualitäts- und Preisvergleiches wären sehr schwierig durchzuführen, und es ist nicht anzunehmen, dass sich aus ihnen ein Befund ergeben könnte, der sicher genug wäre. In dieser Beziehung sind denn auch von keiner Seite neue, fundierte Unterlagen beigebracht worden.
e) Die Würdigung der Ausführungen der Kartellkommission und der Gegenargumente der Denner AG führt zum Schluss, dass mit einer in absehbarer Zeit anhaltenden Gefährdung des Absatzes der inländischen Rotweinproduktion zu angemessenen Preisen ernsthaft gerechnet werden muss, wenn die Einfuhr völlig freigegeben wird. Die von der Kartellkommission bestätigte Prognose des Bundesrates kann somit zum mindesten nicht als unhaltbar erachtet werden.
8.
Für den Fall, dass angenommen werden kann, die Freigabe der Einfuhr von Rotweinen würde den Absatz der einheimischen Erzeugnisse zu kostendeckenden Preisen gefährden, macht die Beschwerdeführerin geltend, die Beibehaltung der Kontingentierung wäre gleichwohl nicht zulässig, da sie gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstiesse. Die inländische Produktion könnte nach der Meinung der Beschwerdeführerin durch Massnahmen, die für die Importeure weniger einschneidend als die Kontingentierung wären, ausreichend geschützt werden, vor allem durch Anordnung der Übernahmepflicht, allenfalls auch durch Erhebung von Zollzuschlägen.
a) Die Höhe der Zölle und der allfälligen Zollzuschläge ist durch Vereinbarungen im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) beschränkt. Es kommt daher nicht in Betracht, dass zum Schutz der inländischen Weinerzeugung Zollzuschläge, wie sie in
Art. 23 Abs. 1 lit. b LWG
vorgesehen sind, erhoben werden.
b) Der Bundesrat hat in Art. 28 und 30 des neuen Weinstatuts gestützt auf
Art. 23 Abs. 1 lit. c LWG
verordnet, dass die Importeure verpflichtet werden können, Überschüsse an
BGE 100 Ib 429 S. 442
inländischen Weinen zu bestimmten Bedingungen zu übernehmen. Das EVD hält jedoch dafür, dass diese Verordnungsvorschriften nur ausnahmsweise, als "Sicherheitsventil", angewandt werden sollten und dass sie nicht geeignet seien, für sich allein, anstelle der bestehenden Kontingentsordnung, den kostendeckenden Absatz der inländischen Rotweinernte sicherzustellen.
EVD und Kartellkommission gehen davon aus, dass eine Übernahmepflicht für Überschüsse an einheimischem Rotwein nicht alle Importeure im gleichen Grade empfindlich trifft. Diese Annahme erscheint in der Tat als begründet. Am ehesten zuzumuten ist die Übernahme den importierenden Grossverteilern, zu denen die Beschwerdeführerin gehört. Diese Importeure besitzen bereits eine Käuferschaft für Inlandwein und können verhältnismässig leicht zusätzliche Mengen solchen Weins absetzen. Indes wird der Inlandwein in weitem Umfange durch die Verwerterorganisationen der Produzenten vermarktet. Zahlreiche Weinimporteure handeln denn auch überhaupt nicht mit ihm. Um bei Einführung einer allgemeinen Übernahmepflicht weiter importieren zu können, müssten sie in einen Geschäftszweig einsteigen, den sie bisher noch gar nicht betrieben haben und den sie nach den Erhebungen der Kartellkommission auch nicht betreiben möchten.
Prof. O. Angehrn findet zwar, dass einem Importeur eine derartige Umstellung leicht möglich sein sollte. Wie es scheint, unterschätzt er aber die damit verbundenen Schwierigkeiten. Im Weinhandel spielen die angestammten Lieferbeziehungen eine grosse Rolle. Deshalb dürfte es den Importeuren, die bislang nicht mit Inlandwein gehandelt haben, nicht so leicht fallen, mit gelegentlich übernommener Überschussware richtig ins Geschäft zu kommen. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass das sog. Leistungssystem z.B. auf dem Eier- und Geflügelmarkt zur Zufriedenheit der Beteiligten spiele. Das mag zutreffen, erlaubt aber nicht ohne weiteres den Schluss, dass es sich im Weinhandel gleich verhielte. Die Weine sind hinsichtlich Herkunft und Qualität sehr verschieden, und dementsprechend bestehen auch erhebliche Preisdifferenzen, was die unumgängliche Festsetzung von Übernahmepreisen erschwert. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Anordnung der Übernahmepflicht für Weine einen bedeutenden administrativen Aufwand verursachen würde.
BGE 100 Ib 429 S. 443
Freilich hat der Bundesrat angenommen, es sei zulässig, gestützt auf
Art. 23 Abs. 1 lit. c LWG
Importeure, die nicht in der Lage sind, inländische Ware in einem zumutbaren Verhältnis zu ihren Einfuhren zu übernehmen, gegen Leistung einer Ersatzabgabe von der Übernahmepflicht zu befreien. Er hat in Art. 28 Abs. 2 des neuen Weinstatuts vorgesehen, dass Importeure, die ausschliesslich Qualitätsweine einführen, auf diese Weise von der Übernahmepflicht für Weissweine entbunden werden können (vgl. auch Art. 31 der Schlachtviehordnung vom 27. September 1971). Ob die Belastung von Weinimporteuren mit Ersatzabgaben als "nötige Massnahme" im Sinne von
Art. 23 Abs. 1 lit. c LWG
betrachtet werden kann und ob sie, wie das EVD annimmt, wegen der Bindungen im GATT ohnehin ausser Betracht fiele, kann offengelassen werden. Jedenfalls könnten nicht alle Weinimporteure, welche bisher nicht mit inländischem Rotwein gehandelt haben, gegen Leistung einer Ersatzabgabe von der Übernahmepflicht für solchen Wein befreit werden, weil sonst die Wirksamkeit der Überschussverwertung in Frage gestellt wäre.
Es lässt sich somit nicht bestreiten, dass die obligatorische Übernahme inländischen Rotweins für einen beachtlichen Teil der Importeure bedeutende Härten mit sich brächte. Würde die Kontingentierung aufgehoben, so wäre aber damit zu rechnen, dass die Übernahmepflicht häufiger als im Fall der Beibehaltung der bisherigen Regelung angeordnet werden müsste. Das hätte zur Folge, dass eine beträchtliche Anzahl Importeure gezwungen würde, sich gegen ihren Willen für längere Zeit der Vermarktung von Inlandwein zuzuwenden. Unter diesen Umständen ist die Auffassung zum mindesten vertretbar, es bedeute einen schwereren Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit, wenn auf solche Weise eine einschneidende Änderung der Handelsstruktur herbeigeführt wird, als wenn den Grossverteilern, wie der Beschwerdeführerin, verunmöglicht wird, ihren Rotweinbedarf vollumfänglich durch direkte Einkäufe zu decken, sie vielmehr für einen Teil ihres Bedarfes auf eine Belieferung durch andere Kontingentsinhaber angewiesen sind.
Das Gericht hat daher keinen Anlass, zu beanstanden, dass der Bundesrat es vorzieht, die Kontingentierung der Einfuhr von Rotwein bis auf weiteres beizubehalten, statt sie durch
BGE 100 Ib 429 S. 444
eine allgemeine Übernahmepflicht der Importeure zu ersetzen. Es kann nicht gesagt werden, dass diese Lösung sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lasse, und auch nicht, dass sie dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zuwiderlaufe.
9.
Die Kartellkommission hatte schon in ihrem Bericht vom 27. April 1970 darauf hingewiesen, dass näher geprüft werden sollte, ob es möglich wäre, wenigstens die Einfuhr von Rotweinen unterhalb eines bestimmten Preisbandes zu liberalisieren, ohne dass dadurch der Absatz der Inlandweine zu kostendeckenden Preisen gefährdet würde. Im Bericht vom 6. November 1973 hält die Kommission an dieser Anregung fest.
Das EVD wendet ein, dass eine solche Teilliberalisierung nicht gangbar sei, weil es sehr schwierig wäre. das massgebende Preisband festzulegen und die Einhaltung der Preise zu kontrollieren. Die Beschwerdeführerin anerkennt ausdrücklich, dass die Festlegung eines Preisbandes auf grosse praktische Schwierigkeiten stossen würde. Unter diesen Umständen kann nicht beanstandet werden, dass der Bundesrat bisher jener Anregung der Kartellkommission nicht gefolgt ist.
10.
Die Kontingentierung der Weineinfuhr ist von der Schweiz seit jeher als Instrument der Aussenhandelspolitik eingesetzt worden, und zwar vor allem zur Verteidigung der Interessen der inländischen Landwirtschaft gegenüber den Ländern, die uns mit Wein beliefern. Das EVD betont, dass die Kontingentierung auch unter diesem Gesichtspunkt beibehalten werden sollte: es nimmt an, sie könnte, wenn sie einmal aufgehoben wäre, nicht mehr oder nur sehr schwer wieder eingeführt werden, da mit Widerständen seitens der Wein liefernden Länder zu rechnen wäre. Hiezu braucht indes nicht Stellung genommen zu werden; denn für die Beurteilung der Beschwerde ist allein entscheidend, ob genügende Gründe für die Annahme bestehen, dass durch die völlige Freigabe der Einfuhr von Rotweinen der Absatz der einheimischen Erzeugnisse zu kostendeckenden Preisen gefährdet würde und dass es sich rechtfertige, deswegen die strittige Kontingentsordnung einstweilen beizubehalten. Beides ist nach dem oben Ausgeführten zu bejahen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d787d498-2fb2-4d23-83db-3826d392fec9 | Urteilskopf
93 III 81
14. Schreiben an die obern kantonalen Aufsichtsbehörden. Lettre aux autorités cantonales supérieures de surveillance. Lettera alle autorità cantonali superiori di vigilanza.(26.10.1967) | Regeste
Die Kosten des Zahlungsbefehls und der Konkursandrohung erhöhen sich ab 1. November 1967 infolge Erhöhung der Posttaxen um je 50 Rappen (bezw. um je 70 Rappen, wenn der Schuldner ausserhalb des Nahverkehrskreises der Poststelle des Betreibungsamtes wohnt).
Art. 12 Abs. 1 GebT;
Art. 14 und 12 PVG
in der Fassung vom 21. Dezember 1966, Art. 45 Abs. 1 und 70 VV I zum PVG in der Fassung vom 1. September 1967.
Anpassung der Betreibungsformulare Nr. 1, 4 und 43 an diese Taxerhöhung. | Erwägungen
ab Seite 82
BGE 93 III 81 S. 82
Text D
Vom 1. November 1967 an gelten die erhöhten Posttaxen, die im Bundesgesetz vom 21. Dezember 1966 über die Änderung des Bundesgesetzes betreffend den Postverkehr und in der Vollziehungsverordnung I vom 1. September 1967 zum Bundesgesetz betreffend den Postverkehr (in der Sammlung der eidgenössischen Gesetze veröffentlicht am 26. bezw. 19. Oktober 1967) vorgesehen sind.
Diese Taxerhöhungen wirken sich auf die Kosten des Zahlungsbefehls und der Konkursandrohung aus, die in den Formularen für das Betreibungsbegehren (Nr. 1), für das Begehren um Fortsetzung der Betreibung (Nr. 4) und für die Aufforderung zur Einsendung eines Kostenvorschusses (Nr. 43) angegeben sind. Diese Kosten erhöhen sich um je 50 Rappen (bezw. um je 70 Rappen, wenn der Schuldner ausserhalb des Nahverkehrskreises der Poststelle des Betreibungsamtes wohnt).
Die Eidg. Drucksachen- und Materialzentrale in Bern wird auf den bei ihr vorrätigen Stücken der genannten Formulare einen Aufdruck anbringen, der die betreibenden Gläubiger auf diesen Aufschlag hinweist.
Um zu vermeiden, dass die Gläubiger den Betreibungsämtern ungenügende Kostenvorschüsse einsenden, sind auch die bei den Betreibungsämtern liegenden Stücke der Formulare Nr. 1, 4 und 43 durch einen solchen Vermerk zu ergänzen.
Texte F
Le 1er novembre 1967 entrent en vigueur les taxes postales majorées qui sont prévues dans la loi fédérale du 21 décembre 1966 modifiant la loi fédérale du 2 octobre 1924 sur le service des postes et dans l'ordonnance d'exécution I de la loi fédérale sur le service des postes du 1er septembre 1967, publiées dans le Recueil des lois fédérales du 26, respectivement du 19 octobre 1967.
Cette hausse des taxes se reporte sur les frais du commandement de payer et de la commination de faillite qui sont indiqués dans les formules de la réquisition de poursuite (No 1), de la réquisition de continuer la poursuite (No 4) et de l'avis concernant l'avance des frais (No 43). Ces frais sont majorés dans chaque cas de 50 centimes (respectivement de 70 centimes
BGE 93 III 81 S. 83
lorsque le débiteur est domicilié hors du rayon local de l'office postal qui dessert l'office des poursuites).
L'office central fédéral des imprimés et du matériel, à Berne, apposera une surimpression sur les formules précitées qu'il tient en stock, afin d'attirer l'attention du créancier poursuivant sur cette hausse des frais.
Pour éviter que les créanciers ne fournissent aux offices des poursuites des avances de frais insuffisantes, les exemplaires des formules No 1, 4 et 43 détenus par ces offices seront également pourvus d'une pareille mention.
Testo I
A partire dal 10 novembre 1967 valgono le nuove, aumentate, tasse postali, che sono previste nella legge federale del 21 dicembre 1966 concernente la modifica della legge federale sul servizio delle poste e nell'ordinanza d'esecuzione I del 10 settembre 1967 relativa alla legge federale sul servizio delle poste (pubblicate nella raccolta delle leggi federali il 26, risp. il 19 ottobre 1967).
Questi aumenti di tassa incidono sulle spese del precetto esecutivo e della comminatoria di fallimento che sono indicate nei moduli per la domanda d'esecuzione (n. 1), per la domanda di proseguire l'esecuzione (n. 4) e per la diffida di anticipazione di spese (n. 43). Tali spese aumentano, ciascuna, di 50 centesimi (rispettivamente di 70 centesimi se il debitore è domiciliato fuori del raggio locale dell'ufficio postale di servizio dell'ufficio di esecuzione).
L'Ufficio centrale federale degli stampati e del materiale a Berna apporrà sui citati moduli di cui tuttora dispone una impressione che avvertirà il creditore procedente di questo aumento.
Al fine di evitare che i creditori inviino agli uffici di esecuzione anticipi insufficienti, anche gli esemplari dei moduli n. 1, 4 e 43 giacenti presso gli uffici di esecuzione dovranno essere completati con una annotazione simile. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d78e2869-5689-404e-8015-44be7c1edf73 | Urteilskopf
126 II 361
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Juli 2000 i. S. Bundesamt für Strassen gegen X. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 14 Abs. 2 lit. c,
Art. 16 Abs. 1 und
Art. 17 Abs. 1bis SVG
;
Art. 30 Abs. 1 VZV
; Sicherungsentzug des Führerausweises, Trunksucht, Abklärung der Fahreignung bei Rückfall mit hoher Blutalkoholkonzentration.
Fall eines Lenkers, der mit mindestens 1,74 Promille gefahren und ein Jahr später mit mindestens 1,79 Promille rückfällig geworden ist. Pflicht zur medizinischen Abklärung einer allfälligen Trunksucht bejaht (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 361
BGE 126 II 361 S. 361
X., geboren 1957, besitzt den Führerausweis der Kategorie B seit 1980.
Am 5. Januar 1997, um ca. 03.15 Uhr, lenkte X. seinen Personenwagen mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,74 Promille. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen (im Folgenden: Strassenverkehrsamt) entzog ihm deshalb den Führerausweis für die Dauer von 6 Monaten. Dieser Entzug war am 5. Juli 1997 vollzogen.
BGE 126 II 361 S. 362
Am 6. Januar 1998, um ca. 23.50 Uhr, kam X. mit seinem Personenwagen von der Fahrbahn ab. Die angeordnete Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,79 Promille.
Wegen dieses neuen Vorfalles entzog das Strassenverkehrsamt X. am 26. Juli 1999 den Führerausweis in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 lit. b i.V.m.
Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG
(SR 741.01) für die Dauer von 21 Monaten.
In teilweiser Gutheissung des von X. dagegen erhobenen Rekurses reduzierte die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen am 5. April 2000 die Dauer des Entzuges auf 17 Monate.
Das Bundesamt für Strassen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission aufzuheben; die Sache sei an das Strassenverkehrsamt zur medizinischen Abklärung der Eignung von X. zum Führen von Motorfahrzeugen im Sinne von
Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG
zurückzuweisen mit der Auflage, dass das Strassenverkehrsamt von Amtes wegen die Notwendigkeit einer vorsorglichen Massnahme prüfe; sollte die medizinische Abklärung ergeben, dass bei X. kein Eignungsmangel vorliegt, sei das Strassenverkehrsamt anzuweisen, gemäss dem Entscheid der Verwaltungsrekurskommission einen Warnungsentzug für die Dauer von 17 Monaten anzuordnen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer bringt vor, nach der im Schrifttum vertretenen Auffassung ergebe sich ein konkreter und erheblicher Verdacht auf eine verkehrsmedizinisch relevante Alkoholproblematik unter anderem bei einem zweiten FIAZ-Ereignis innerhalb von fünf Jahren mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille. Der Beschwerdegegner sei ein halbes Jahr nach der Wiederaushändigung des Führerausweises mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,79 Promille rückfällig geworden. Schon bei der ersten Trunkenheitsfahrt sei die Blutalkoholkonzentration mit 1,74 Promille erheblich gewesen. Die beiden hohen BAK-Werte und der Umstand, dass die beiden FIAZ-Ereignisse kurze Zeit nacheinander erfolgt seien, stellten erhebliche Indizien für eine Trunksucht im Sinne des Strassenverkehrsgesetzes dar. Indem die Vorinstanz lediglich die Dauer des Führerausweisentzuges von 21 auf 17 Monate herabgesetzt und auf die Anordnung einer medizinischen Abklärung der Fahreignung des Beschwerdegegners verzichtet habe, habe sie Bundesrecht verletzt.
BGE 126 II 361 S. 363
3.
a) Gemäss
Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG
darf der Führerausweis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber dem Trunke oder anderen die Fahrfähigkeit herabsetzenden Süchten ergeben ist. Wird nachträglich festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen, ist der Führerausweis nach
Art. 16 Abs. 1 SVG
zu entziehen. Ein solcher Sicherungsentzug dient gemäss Art. 30 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) der Sicherung des Verkehrs vor Führern, die aus medizinischen oder charakterlichen Gründen, wegen Trunksucht oder anderen Süchten oder wegen einer anderen Unfähigkeit zum Führen von Motorfahrzeugen nicht geeignet sind. In solchen Fällen wird der Führerausweis gemäss
Art. 17 Abs. 1bis SVG
auf unbestimmte Zeit entzogen.
Voraussetzung für den Sicherungsentzug gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c i.V.m.
Art. 17 Abs. 1bis SVG
ist das Vorliegen einer Sucht. Trunksucht ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn der Betreffende regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er diese Neigung zum übermässigen Alkoholgenuss durch den eigenen Willen nicht zu überwinden vermag. Der Sicherungsentzug wegen Trunksucht oder anderer Suchtkrankheiten wird gemäss
Art. 17 Abs. 1bis SVG
auf unbestimmte Zeit angeordnet und mit einer Probezeit von mindestens einem Jahr verbunden. Nach Ablauf der Probezeit kann der Ausweis bedingt und unter angemessenen Auflagen wieder erteilt werden; in der Regel wird hierfür der Nachweis der Heilung durch eine mindestens einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt. Der Sicherungsentzug greift damit tief in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen ein. Nach der Rechtsprechung ist daher eine genaue Abklärung der persönlichen Verhältnisse und insbesondere der Trinkgewohnheiten des Betroffenen in jedem Fall und von Amtes wegen vorzunehmen. Das Ausmass der notwendigen behördlichen Nachforschungen, namentlich die Frage, ob ein medizinisches Gutachten eingeholt werden soll, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und liegt im pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde. Bei Drogensucht ist die Entzugsbehörde in aller Regel verpflichtet, ein gerichtsmedizinisches Gutachten einzuholen; der Verzicht auf eine spezialärztliche Begutachtung wird nur ausnahmsweise, etwa in Fällen offensichtlicher, schwerer Drogenabhängigkeit, gerechtfertigt sein (
BGE 126 II 185
E. 2a mit Hinweisen; vgl. auch KARL HARTMANN, Der Sicherungsentzug in der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, Collezione Assista, Genf 1998, S. 259).
BGE 126 II 361 S. 364
Wie das Bundesgericht in
BGE 126 II 185
entschieden hat, sind Personen, die während der letzten fünf Jahre vor der aktuellen Trunkenheitsfahrt keine einschlägige Widerhandlung begangen haben, einer Fahreignungsuntersuchung zu unterziehen, wenn die Blutalkoholkonzentration 2,5 und mehr Promille beträgt. Personen mit einer so hohen Blutalkoholkonzentration verfügen über eine sehr hohe Alkoholtoleranz, die in aller Regel auf eine Alkoholabhängigkeit hinweist (E. 2e).
b) Im Schrifttum wird ausgeführt, es könne davon ausgegangen werden, dass bei Personen, die im Strassenverkehr mit 1,6 Promille und mehr auffällig werden, eine Missbrauchstoleranz oder auch robuste Alkoholgewöhnung vorliege, die nur durch chronischen, die Persönlichkeit, die soziale Umwelt und die Gesundheit belastenden Alkoholmissbrauch erworben werden könne (EGON STEPHAN, Trunkenheitsdelikte im Verkehr: Welche Massnahmen sind erforderlich?, AJP 1994, S. 453; vgl. auch derselbe, Trunkenheitsdelikte im Verkehr und Alkoholmissbrauch, Blutalkohol 1988, S. 203).
RENÉ SCHAFFHAUSER (Zur Entwicklung von Recht und Praxis des Sicherungsentzugs von Führerausweisen, AJP 1992, S. 35) führt aus, es stehe fest und unter Medizinern und Psychologen sei heute grundsätzlich unangefochten, dass ein höherer BAK-Wert selbst beim Alkoholersttäter in aller Regel ein Indiz für gewisse Suchtprobleme darstelle. Diese (nicht ganz neue) Erkenntnis scheine unseren Verwaltungen und Gerichten noch nicht ausreichend bekannt zu sein. Betrachte man die Entscheide zu den Sicherungsentzügen wegen Trunksucht, gewinne man (überspitzt formuliert) oft den Eindruck, es werde nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zunächst einmal wiederholt ein Warnungsentzug ausgesprochen, ohne sich vorerst die Frage nach der Trunksucht überhaupt zu stellen. Erst wenn man zur Erkenntnis komme, dass auch lange Warnungs-Entzugsdauern keine Wirkung hätten, werde die Frage nach
Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG
ernsthaft aufgeworfen. Die Frage, ob ein Warnungs- oder ein Sicherungsentzug auszusprechen sei, sei nicht aufgrund von Erwägungen zur Verhältnismässigkeit, sondern in Beantwortung der Rechtsfrage zu klären, ob Ungeeignetheit - hier: Trunksucht im strassenverkehrsrechtlichen Sinne - vorliege.
R. SEEGER (Fahreignung und Alkohol, in: Probleme der Verkehrsmedizin, hrsg. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich, 1999, S. 7) legt dar, mit einem FIAZ-Ereignis habe die betreffende Person mindestens einmal bewiesen, dass sie Trinken und Fahren nicht trennen könne. Nicht selten liege dem ein chronisches
BGE 126 II 361 S. 365
Alkoholproblem zugrunde. Ein konkreter und erheblicher Verdacht auf das Vorliegen einer verkehrsmedizinisch relevanten Alkoholproblematik ergebe sich unter anderem bei einem zweiten FIAZ-Ereignis innerhalb von fünf Jahren und einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille.
c) Der Beschwerdegegner lenkte bereits am 5. Januar 1997 seinen Personenwagen in angetrunkenem Zustand. Die Blutalkoholkonzentration betrug beim damaligen Vorfall mindestens 1,74 Promille. Rund ein halbes Jahr nach Ablauf des dafür ausgesprochenen Führerausweisentzuges von 6 Monaten setzte sich der Beschwerdegegner erneut angetrunken ans Steuer. Die Blutalkoholkonzentration war mit mindestens 1,79 Promille beim neuen Vorfall wiederum beträchtlich. Angesichts dessen hätten im Lichte der angeführten Äusserungen im Schrifttum die kantonalen Behörden abklären lassen müssen, ob der Beschwerdegegner an einer Trunksucht im Sinne des Strassenverkehrsgesetzes leidet. Indem sie das nicht getan haben, haben sie Bundesrecht verletzt. Da Alkohol nebst übersetzter Geschwindigkeit eine der Hauptursachen für schwere Unfälle im Strassenverkehr darstellt, ist der mit der medizinischen Abklärung verbundene Eingriff gegenüber dem Fahrzeuglenker verhältnismässig. Im Übrigen liegt es auch im Interesse des Lenkers selbst, wenn in einem Fall wie hier geklärt wird, ob er an einer Sucht leidet oder nicht.
d) Die Sache wird an das Strassenverkehrsamt zur Durchführung der entsprechenden Abklärung zurückgewiesen. Dabei wird das Strassenverkehrsamt von Amtes wegen auch die Notwendigkeit einer vorsorglichen Massnahme zu prüfen haben. Die Beschwerde wird insoweit gutgeheissen. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d790a173-acbd-4dc7-a532-cc1d70d8f692 | Urteilskopf
97 V 117
28. Extrait de l'arrêt du 11 mai 1971 dans la cause Goy contre Caisse cantonale vaudoise de compensation et Tribunal cantonal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 35 Abs. 1 IVG
.
- Auch die Kinder aus erster Ehe des Mannes einer Invalidenrentenbezügerin geben grundsätzlich Anrecht auf Zusatzrenten.
- Die französische Fassung des
Art. 31 Abs. 1 IVV
ist in einem Punkt zu restriktiv. | Sachverhalt
ab Seite 117
BGE 97 V 117 S. 117
Résumé des faits:
Paul Goy, dont les enfants touchaient des rentes d'orphelins simples du fait du décès de leur mère, s'est remarié. Les rentes d'orphelins ont alors été supprimées dès cette date.
BGE 97 V 117 S. 118
La seconde épouse, devenue invalide, a été mise au bénéfice d'une rente simple d'invalidité. Devant le refus de la caisse de compensation d'accorder des rentes complémentaires pour les enfants du premier lit et la confirmation de ce refus par le juge cantonal, Paul Goy a interjeté recours de droit administratif.
Erwägungen
Extrait des considérants:
Selon l'art. 35 al. 1er LAI, les personnes auxquelles une rente d'invalidité a été allouée ont droit à une rente complémentaire pour chacun des enfants qui, au décès de ces personnes, auraient droit à la rente d'orphelin de l'assurance-vieillesse et survivants.
Aux termes de l'art. 35 al. 4 LAI, le Conseil fédéral est autorisé à édicter des prescriptions particulières notamment au sujet du droit aux rentes complémentaires en faveur des enfants issus d'un mariage dissous par le divorce ainsi qu'en faveur des orphelins de père ou de mère. Cette autorité a ainsi précisé à l'art. 31 al. 2 RAI les conditions auxquelles la femme divorcée a droit à une rente complémentaire pour les enfants nés du mariage dissous par le divorce. A l'art. 31bis RAI, il a déterminé les conséquences du décès d'un des parents de l'enfant en faveur duquel une rente entière double a été allouée du vivant de ses père et mère. Cette dernière disposition ne concerne pas le cas des enfants du premier lit de Paul Goy. La situation de ces derniers est directement réglée par l'art. 35 al. 1er LAI, qui précise de façon générale que l'invalide titulaire d'une rente a droit à une rente complémentaire pour chacun des enfants (et non pas chacun de ses enfants) qui, à son décès, aurait droit à la rente d'orphelin de l'assurance-vieillesse et survivants. Les textes allemand et italien de cette disposition ont le même contenu. Or il n'est pas contesté qu'au décès de leur belle-mère les enfants susmentionnés auraient à nouveau eu droit en principe à la rente d'orphelin de l'assurance-vieillesse et survivants (Directives concernant les rentes, édition 1971, chiffre 182). Il en serait allé de même, du reste, en cas de dissolution par le divorce du second mariage de leur père (v. ATFA 1960 p. 99). Ce n'est dès lors pas solliciter le texte de l'art. 35 al. 1er LAI que de constater que les enfants d'un premier lit dont le droit à la rente d'orphelin a été supprimé, conformément à l'art. 48 al. 2 RAVS, à raison du remariage de leur père, peuvent prétendre la rente d'orphelin de l'assurance-vieillesse et survivants au décès de leur belle-mère et donnent par conséquent droit à
BGE 97 V 117 S. 119
des rentes complémentaires de l'assurance-invalidité. Une semblable solution est conforme au système de la loi: on ne saurait considérer que la belle-mère de tels enfants prend juridiquement la place de leur mère, dans certains cas - ce qui se traduit par l'extinction du droit à la rente d'orphelin -, mais admettre que l'invalidité de cette belle-mère ne suffit pas pour conférer le droit à une rente complémentaire. D'ailleurs, lorsque la loi entend opérer une distinction entre enfant par le sang, enfant naturel, enfant adopté, recueilli ou autre, elle le fait expressément (v. p.ex. art. 25 ss LAVS, 35 al. 3 LAI). Force est donc de reconnaître que le texte de l'art. 31 al. 1er RAI est trop restrictif, en tant qu'il ne prévoit l'octroi de rentes complémentaires, dans sa version française tout au moins, qu'en faveur des seuls enfants de la femme mariée invalide (il se pourrait en revanche qu'il soit trop large dans les cas où la rente d'orphelin de mère n'a pas été supprimée malgré le remariage du père)...
Vu son importance, la question de principe soulevée a été soumise à la Cour plénière, qui l'a tranchée dans le sens indiqué ci-dessus... | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d792bf93-85c2-4e88-be40-d59bd43ee02e | Urteilskopf
120 II 35
10. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 27 janvier 1994 dans la cause Banque X. contre H. (recours en réforme) | Regeste
Bürgschaft (
Art. 492 Abs. 1 OR
) - Bestimmung der verbürgten Schuld (
Art. 27 Abs. 2 ZGB
) - Teilnichtigkeit (
Art. 20 Abs. 2 OR
).
Die Verpflichtung des Bürgen, für jede zukünftige Schuld des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger, ungeachtet ihres Rechtsgrundes, einzustehen, verletzt
Art. 27 Abs. 2 ZGB
. Hingegen ist die verbürgte Schuld hinreichend bestimmt, wenn sich die Bürgschaft auf bestehende Verpflichtungen bezieht, die durch Auslegung spezifiziert werden können (E. 3).
Teilnichtigkeit hinsichtlich der Verpflichtung des Bürgen, für unbestimmte zukünftige Schulden einzustehen (E. 4).
Bei der Bürgschaft für einen Kontokorrent-Kredit bezieht sich der Haftungsbetrag auf den Negativsaldo (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 120 II 35 S. 36
A.-
En mai 1976, la banque X. accorda à M. SA un crédit à concurrence de 100'000 francs sous forme d'un compte-courant. Comme M. SA n'effectuait pas les amortissements convenus et dépassait régulièrement la limite autorisée du compte, la créancière exigea des garanties supplémentaires. Président du conseil d'administration et actionnaire majoritaire de M. SA, H. se porta alors caution solidaire envers la banque par acte du 20 mars 1978. Selon le cautionnement, H. garantit le remboursement de toutes sommes que M. SA "doit actuellement et pourra devoir à l'avenir à [la banque], quelle qu'en soit la cause, y compris toute créance d'intérêts, contractuels ou légaux, commissions et frais ajoutés au capital lors du bouclement des comptes, jusqu'à concurrence du montant total de 120'000 francs"; le contrat précise que la garantie couvre également les engagements déjà existants de la débitrice principale, qui se montent à 109'000 francs environ.
La banque dénonça au remboursement l'entier du compte-courant pour le 9 septembre 1988 et réclama à la débitrice principale le paiement du solde arrêté au 30 juin 1988, soit 60'900 fr. 55, plus les intérêts et diverses commissions. Par la suite, la créancière invita, en vain, la caution à payer le montant susmentionné. Les commandements de payer notifiés à la débitrice principale et à la caution furent frappés d'opposition.
B.-
Par demande du 9 juin 1989, la banque a conclu à ce que M. SA et H. soient condamnés solidairement à lui payer le montant de 60'900 fr. 55, plus les intérêts, les commissions et les frais de poursuite; la créancière a également demandé la mainlevée définitive des oppositions précitées.
BGE 120 II 35 S. 37
Statuant le 1er juin 1993, la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a condamné M. SA à payer à la demanderesse la somme de 60'900 fr. 55 plus intérêts et a levé définitivement l'opposition formée par la débitrice à concurrence dudit montant. En revanche, la cour cantonale a rejeté l'action de la demanderesse contre H.
C.-
La banque interjette un recours en réforme; elle reprend les conclusions condamnatoires prises dans l'instance précédente contre la caution.
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Selon le jugement attaqué, le cautionnement souscrit par le défendeur n'est pas valable, faute de détermination suffisante de l'obligation garantie.
La demanderesse conteste ce point de vue. A son avis, il suffit que la dette principale soit déterminable; or, tel est le cas en l'espèce, car l'acte de cautionnement ne se rapporte pas à n'importe quelles créances actuelles et futures, mais à celles résultant d'un ou de plusieurs contrats d'ouverture de crédit, comme le démontre notamment l'emploi de l'expression "bouclement des comptes" dans l'acte préimprimé.
a) Aux termes de l'
art. 492 al. 1 CO
, le cautionnement est un contrat par lequel une personne s'engage envers le créancier à garantir le paiement de la dette contractée par le débiteur. La dette principale peut être actuelle (
art. 499 al. 3 CO
), future ou conditionnelle (
art. 492 al. 2 CO
); plusieurs engagements peuvent être cautionnés dans le même acte (cf.
art. 499 al. 3 CO
; BECK, Das neue Bürgschaftsrecht - Kommentar, n. 107 ad
art. 492 CO
; voir également SCYBOZ, Le contrat de garantie et le cautionnement, in Traité de droit privé suisse, tome VII, 2, p. 49).
Le cautionnement se caractérise par sa nature accessoire: l'obligation de la caution dépend de l'existence et du contenu de la dette principale (
ATF 113 II 434
consid. 2a,
ATF 111 II 276
consid. 2b); en outre, le cautionnement ne peut porter que sur une obligation valable (
art. 492 al. 2 CO
). Le principe de l'accessoriété implique également que la dette principale soit déterminée ou, en tout cas, déterminable dès la conclusion du contrat (
ATF 46 II 95
consid. 2; cf. également
ATF 113 II 434
consid. 3c p. 439; OR-PESTALOZZI, n. 44 ad
art. 492 CO
; TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations, n. 3709, p. 480;
BGE 120 II 35 S. 38
WIEGAND, Akzessorietät und Spezialität, in Probleme der Kreditsicherung, Berner Tage für die juristische Praxis 1981, p. 39, p. 44 et p. 58; SCYBOZ, op.cit., p. 51; GIOVANOLI, n. 4 et n. 72 ad
art. 492 CO
; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 28 ad
art. 492 CO
; BECK, op.cit., n. 107 ad
art. 492 CO
; GUHL, Das neue Bürgschaftsrecht der Schweiz, p. 69). Tel est le cas si le créancier peut être identifié (
ATF 46 II 95
consid. 2) et si la cause de l'obligation est connue (BUCHER, Obligationenrecht Besonderer Teil, 3e éd., p. 288; TERCIER, op.cit., n. 3709, p. 480; SCYBOZ, op.cit., p. 51; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 28 ad
art. 492 CO
). Il n'est pas nécessaire que ces points ressortent du texte de l'acte de cautionnement; ils peuvent résulter de l'interprétation de la volonté commune des parties, dégagée sur la base d'éléments extrinsèques (
ATF 64 II 208
consid. 2,
ATF 49 II 373
consid. 2,
ATF 48 II 196
consid. 10 p. 209,
ATF 46 II 95
consid. 2; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 28 ad
art. 492 CO
). L'individualisation de la dette principale est une condition de validité du cautionnement (OR-PESTALOZZI, n. 44 ad
art. 492 CO
; TERCIER, op.cit., n. 3706, p. 480; GUHL, op.cit., p. 69).
L'exigence de la détermination suffisante de la dette garantie se déduit plus généralement des
art. 19 al. 2 CO
et 27 al. 2 CC qui prohibent les engagements excessifs, contraires aux droits de la personnalité (BUCHER, n. 125 et n. 314 ad
art. 27 CC
). Le Tribunal fédéral a ainsi considéré comme nulle la clause d'un contrat de cautionnement par laquelle la caution consentait d'avance à tout changement de débiteur principal; il a précisé à cette occasion que la validité du cautionnement était soumise à la condition que la caution puisse se représenter clairement la nature et l'étendue du risque qu'elle assumait (
ATF 67 II 128
consid. 3; cf. également TERCIER, op.cit., n. 3719, p. 481). En matière d'hypothèque, il a été jugé également que la constitution d'un droit de gage pour un nombre indéterminé de créances futures portait une atteinte illicite aux droits de la personnalité (
ATF 108 II 47
consid. 2). De même, une cession de créances à fin de sûreté, faite dans le cadre d'une location de voiture, viole l'
art. 27 al. 2 CC
lorsqu'elle n'est limitée ni dans le temps, ni quant à son objet (
ATF 112 II 433
consid. 3).
b) En l'espèce, le cautionnement garantit "toutes sommes que M. SA doit actuellement et pourra devoir à l'avenir à [la banque], quelle qu'en soit la cause"; il porte, en particulier, sur "les engagements déjà existants du débiteur principal", qui "se montent actuellement à 109'000 fr. environ".
En application des principes rappelés ci-dessus, une telle formulation ne désigne pas l'ensemble des dettes garanties de manière suffisamment
BGE 120 II 35 S. 39
précise. Certes, BECK tient en principe pour valable la clause selon laquelle la caution garantit toutes les créances actuelles et futures d'une banque envers le débiteur principal; cet auteur émet toutefois une réserve, dans la mesure où la caution, selon les règles de la bonne foi, peut compter sur une limitation de son engagement (op.cit., n. 107 ad
art. 492 CO
). Or, précisément, la clause incriminée dans le cas présent ne comporte aucune restriction et ne permet pas de se faire une idée exacte de l'étendue de l'engagement de la caution et, par conséquent, du risque encouru. L'expression "quelle qu'en soit la cause" est particulièrement significative à cet égard. Elle peut amener à considérer comme garanties par le cautionnement des dettes dont les parties pouvaient difficilement envisager la naissance lors de la conclusion du contrat. Ainsi en irait-il par exemple d'une créance en dommages-intérêts que la banque pourrait faire valoir envers M. SA à la suite d'un accident de circulation mettant en cause deux véhicules de ces entreprises, ou encore d'une créance en enrichissement illégitime dont la banque pourrait disposer à la suite d'un versement opéré par erreur sur le compte de la débitrice principale.
c) Ces considérations concernent les dettes futures que le cautionnement prétend garantir. En revanche, l'acte litigieux apparaît suffisamment précis en tant qu'il mentionne les dettes résultant des engagements existants de la débitrice principale. Le recours à des éléments extrinsèques permet en effet de déterminer aisément qu'il s'agit des dettes découlant du compte-courant ouvert à M. SA par la demanderesse en 1976. D'une part, ce sont précisément les dépassements de crédit enregistrés sur ce compte et le non-respect du plan de remboursement qui ont amené la banque à exiger de la débitrice principale des garanties supplémentaires, dont l'acte de cautionnement fourni par le défendeur. D'autre part, ce dernier, en qualité de président du conseil d'administration et actionnaire majoritaire de la débitrice principale, ne pouvait ignorer, au moment de la conclusion du contrat de cautionnement, quelles étaient alors les obligations de M. SA vis-à-vis de la banque. Il a d'ailleurs signé lui-même la demande d'ouverture de crédit en 1976 et prenait connaissance de tout le courrier adressé à M. SA. Enfin, le montant de 120'000 fr. figurant dans l'acte de cautionnement correspond au montant maximal du crédit accordé plus 20%, ce qui est usuel en la matière (ENGEL, Contrats de droit suisse, p. 594/595; GUHL/MERZ/DRUEY, Das schweizerische Obligationenrecht, 8e éd., p. 561).
BGE 120 II 35 S. 40
4.
La cour cantonale a constaté la nullité du cautionnement du 20 mars 1978. Il reste à examiner si cette sanction est conforme au droit fédéral.
a) L'engagement de la caution contrevient à l'
art. 27 al. 2 CC
dans la mesure où il porte sur la garantie de dettes futures qui ne sont ni déterminées, ni déterminables lors de la conclusion du contrat. En revanche, il est valable en tant qu'il a trait aux dettes découlant du compte-courant ouvert en 1976. La question se pose dès lors de savoir si le cautionnement est frappé de nullité totale ou s'il peut être maintenu en partie.
Si le contrat n'est vicié que dans certaines de ses clauses, seules ces dernières sont nulles, à moins qu'il n'y ait lieu d'admettre que le contrat n'aurait pas été conclu sans elles (nullité partielle;
art. 20 al. 2 CO
). Cette disposition est une expression du principe de la favor negotii qui vise à maintenir le contrat en restreignant la nullité à ce qui est strictement nécessaire pour supprimer le désaccord avec la loi ou les bonnes moeurs (
ATF 43 II 660
p. 661/662; HÜRLIMANN, Teilnichtigkeit von Schuldverträgen nach Art. 20 Abs. 2 OR, thèse Fribourg 1984, p. 2/3). La jurisprudence emprunte parfois d'autres voies pour maintenir le contrat. Ainsi, en matière de sûretés réelles, le Tribunal fédéral a eu l'occasion de se prononcer sur la validité de clauses contractuelles stipulant que le gage doit servir à garantir toutes prétentions du créancier envers le débiteur, y compris celles qui pourraient naître à l'avenir, quelle qu'en soit la nature; par une interprétation restrictive du contrat, il a jugé que ces clauses n'étaient valables que dans la mesure où les prétentions futures étaient comprises comme celles dont les parties pouvaient raisonnablement envisager la naissance au moment de la conclusion du contrat (
ATF 108 II 47
consid. 2,
ATF 51 II 273
consid. 4 p. 282).
Selon une partie de la doctrine qui se fonde sur le texte littéral, l'
art. 20 al. 2 CO
ne concerne que la nullité partielle simple, qui affecte une ou plusieurs clauses déterminées, le reste du contrat demeurant valable comme tel (GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 5e éd., tome I, n. 702, p. 121; HÜRLIMANN, op.cit., n. 152 ss, p. 42 ss; contra: KRAMER, n. 362 ad
art. 19-20 CO
). Ces auteurs s'accordent néanmoins pour reconnaître la possibilité de remplacer une clause nulle par une clause licite ou de réduire une clause nulle à une mesure admissible en appliquant l'
art. 20 al. 2 CO
directement (KRAMER, n. 362 ad
art. 19-20 CO
) ou par analogie (GAUCH/SCHLUEP, op.cit., n. 703 à 706, p. 121 à 123; HÜRLIMANN, op.cit., n. 249 ss, p. 74 ss; de même,
BGE 120 II 35 S. 41
KELLER/SCHÖBI, Allgemeine Lehren des Vertragsrechts, 3e éd., p. 150/151).
A plusieurs reprises, le Tribunal fédéral s'est référé à l'
art. 20 al. 2 CO
en pareil cas, que ce soit en fixant la durée d'un contrat initialement prévu pour une durée excessive (
ATF 114 II 159
consid. 2c,
ATF 107 II 216
consid. 3a) ou encore en réduisant un taux d'intérêts conventionnel abusif (
ATF 93 II 189
p. 192; cf. également
ATF 80 II 327
consid. 4a p. 334; contra: BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2e éd., p. 243/244; cet auteur approuve cependant, dans la plupart des cas, le résultat auquel ces arrêts parviennent; op.cit., note 28, p. 244). Par ailleurs, il est admis que la nullité partielle peut toucher un point essentiel du contrat (
ATF 107 II 216
consid. 3a p. 218,
ATF 93 II 189
p. 192,
ATF 80 II 327
p. 336). A considérer la ratio legis de l'
art. 20 al. 2 CO
, cette disposition autorise assurément le juge à réduire les engagements excessifs à la mesure permise par la loi, conformément à la volonté hypothétique des parties. Il n'y a dès lors pas lieu de revenir sur la jurisprudence précitée.
b) En l'espèce, l'acte de cautionnement du 20 mars 1978 peut sans difficultés être amputé du passage portant sur la garantie de toutes dettes que M. SA "pourra devoir à l'avenir à la banque, quelle qu'en soit la cause". Il convient de relever en outre que la situation n'est pas comparable à celle qui résulte d'une cession globale de créances futures. Dans ce domaine, une validité partielle, restreinte à certaines créances comme le salaire par exemple, est exclue; elle constituerait en effet une source d'insécurité, car le débiteur cédé ne pourrait savoir, en ce qui concerne la créance invoquée contre lui, si la cession tombe ou non sous le coup de la nullité partielle (
ATF 112 II 433
consid. 4 p. 438). En l'occurrence, ce risque n'existe pas puisque les dettes garanties valablement sont déterminées (cf. consid. 3c ci-dessus).
Conformément à l'
art. 20 al. 2 CO
, le juge doit rechercher la volonté hypothétique des parties, c'est-à-dire déterminer ce que celles-ci auraient convenu de bonne foi si elles avaient envisagé la possibilité de la nullité partielle (
ATF 114 II 159
consid. 2c p. 163/164,
ATF 110 Ia 59
consid. 3a p. 63). Il s'agit là d'une question de droit que le Tribunal fédéral peut examiner dans un recours en réforme (
ATF 107 II 419
consid. 3b p. 424/425,
ATF 107 II 216
consid. 3b). Dans les circonstances de l'espèce, il apparaît que les parties auraient tout de même conclu un cautionnement limité aux dettes découlant du compte-courant; en effet, cette hypothèse les a précisément amenées à passer le contrat.
BGE 120 II 35 S. 42
5.
La prétention de la demanderesse envers la caution correspond au solde négatif du compte-courant de M. SA, plus les accessoires. Le cautionnement d'un rapport de compte-courant est valable (SCYBOZ, op.cit., p. 58; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 29 ad
art. 492 CO
); la garantie porte alors sur le solde du compte (
ATF 44 II 255
consid. 2; OR-PESTALOZZI, n. 24 ad
art. 499 CO
; SCYBOZ, op.cit., p. 58; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 45 ad
art. 499 CO
; BECK, op.cit., n. 41 ad
art. 499 CO
).
En l'occurrence, la dette dont la demanderesse réclame le paiement au défendeur est bien celle qui a été valablement garantie par l'acte de cautionnement du 20 mars 1978. Par ailleurs, les intérêts moratoires sont également compris dans la garantie (
art. 499 al. 2 ch. 1 CO
). Le montant du solde par 60'900 fr. 55 n'est pas contesté; du reste, M. SA a été reconnue débitrice envers la créancière de cette somme, plus intérêts à 5,25% dès le 1er juillet 1988 et à 6,5% dès le 10 septembre 1988. En tant que caution solidaire, le défendeur est donc tenu en principe dans la même mesure vis-à-vis de la demanderesse.
Cependant, comme relevé ci-dessus (consid. 2 non publié), la cour cantonale s'est délibérément abstenue d'examiner la conformité de l'acte de cautionnement du 20 mars 1978 aux exigences de la forme authentique en droit vaudois. Dans ces conditions, il se justifie, en application de l'
art. 65 OJ
, de renvoyer l'affaire à la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud afin qu'elle tranche cette question. Si elle admet la validité formelle du cautionnement, il lui appartiendra alors d'accueillir la demande, conformément aux considérants de l'arrêt du Tribunal fédéral. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d794501f-ee83-48e8-9848-e7ca0d88d005 | Urteilskopf
126 II 97
11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Februar 2000 i.S. T. gegen Kanton Zürich und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 12 OHG
; Pflicht zur Substanziierung und Bezifferung von Entschädigungs- und Genugtuungsansprüchen.
Soweit der Schaden oder allfällige Leistungspflichten Dritter innert der zweijährigen Verwirkungsfrist gemäss
Art. 16 Abs. 3 OHG
nicht feststehen, sind unbezifferte Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren zulässig (E. 2a-d). Hingegen muss das Opfer innert der Verwirkungsfrist den anspruchsbegründenden Sachverhalt mit hinreichender Bestimmtheit darlegen (E. 2e und f).
Ungenügen des beurteilten Gesuchs mangels näherer Angaben zu Ort, Ursache und genauem Hergang des Unfalls, erlittenen Verletzungen, Schadenabwicklung und persönlichen Verhältnissen des Opfers (E. 3).
Art. 4 aBV
bzw. 5 Abs. 3 und 9 BV; Folgen einer unzutreffenden behördlichen Aufforderung zur Verbesserung einer Eingabe.
Wenn eine Opferhilfestelle nach Einreichung eines Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren (zu Unrecht) zur Substanziierung der Schadensposten auffordert, aber keine weiteren Angaben verlangt, so verstösst es gegen Treu und Glauben, das Gesuch hernach mangels solcher weiterer Angaben abzuweisen (E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 98
BGE 126 II 97 S. 98
T. stellte am 10. September 1997 bei der Abteilung Opferhilfe der Direktion der Justiz des Kantons Zürich den Antrag, es seien ihr Entschädigung und Genugtuung nach Art. 12 des Opferhilfegesetzes vom 4. Oktober 1991 (OHG; SR 312.5) zuzusprechen und das Verfahren sei einstweilen zu sistieren. Zur Begründung führte sie aus, sie sei am 14. September 1995 Opfer eines Verkehrsunfalles geworden, unter dessen Folgen sie immer noch leide. In erster Linie würden die Ansprüche mit den beteiligten Versicherern abgerechnet.
BGE 126 II 97 S. 99
Vorsorglich und fristwahrend würden die Ansprüche gemäss
Art. 12 OHG
angemeldet.
Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich bestätigte am 15. September 1997 den Eingang des Gesuchs und führte aus: "Die allgemeine Anmeldung einer Entschädigungsforderung genügt nicht. Die Schadenspositionen sind einzeln aufzuführen und soweit möglich zu substantiieren. Wir ersuchen Sie, der Kantonalen Opferhilfestelle die Angaben bis zum 13. Oktober 1997 nachzureichen; andernfalls aufgrund der Akten entschieden wird".
Am 24. September 1997 teilte T. der Direktion der Justiz mit, sie sei zwar mit deren Rechtsauffassung nicht einverstanden. Die Eingabe erfolge rein vorsorglich. Sie sei nicht in der Lage, die Zahlen zu beziffern. Dann fügte sie bei:
"Wenn Sie das trotzdem verlangen: Hier unsere Forderungen:
Anwaltskosten, Genugtuung oder
Entschädigung Fr. 100'000.-
Beratung in medizinischer,
psychologischer, sozialer Hinsicht Fr. 50'000.-
Vorschuss Fr. 50'000.-"
Weiter führte sie aus, im jetzigen Zeitpunkt schulde die Opferhilfe keinerlei Leistungen, weil davon auszugehen sei, dass die UVG-Versicherung bzw. die Haftpflicht für den Schaden aufkommen werde.
Mit Verfügung vom 26. September 1997 wies die Kantonale Opferhilfestelle das Gesuch ab, da es trotz Aufforderung nicht hinreichend substanziiert worden sei. T. erhob dagegen Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde am 24. August 1999 ab.
Eine gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde heisst das Bundesgericht gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig ist einzig, ob die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 10. bzw. 24. September 1997 hinreichend substanziiert war.
a) Das Gesetz enthält keine Vorschriften darüber, wie eingehend ein Gesuch nach
Art. 12 OHG
substanziiert werden muss, um als fristwahrend gelten zu können. Die Antwort ist aus Sinn, Zweck und Systematik des Gesetzes sowie aus allgemeinen Grundsätzen abzuleiten.
BGE 126 II 97 S. 100
b) Gemäss
Art. 12 OHG
hat das Opfer einer Straftat unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Entschädigung und Genugtuung. Diese Leistungen sind subsidiär zu Leistungen, die das Opfer als Schadenersatz erhalten hat (
Art. 14 Abs. 1 OHG
). Die Kantone sehen ein einfaches, rasches und kostenloses Verfahren vor (
Art. 16 Abs. 1 OHG
). Das Opfer muss das Gesuch um Entschädigung und Genugtuung innert zwei Jahren nach der Straftat einreichen (
Art. 16 Abs. 3 OHG
).
c) Aus diesen Bestimmungen ergibt sich als Zielsetzung des Gesetzes, dass die Opfer auf einfache und rasche Weise zu einer Entschädigung gelangen können. Die relativ kurze Verwirkungsfrist von zwei Jahren soll zudem das Opfer veranlassen, rasch seine Ansprüche geltend zu machen, damit die Behörde zu einem Zeitpunkt entscheiden kann, in dem der Sachverhalt noch abgeklärt werden kann (
BGE 123 II 241
E. 3c S. 243). Indessen steht häufig nach zwei Jahren noch gar nicht fest, ob alle anspruchsbegründenden Tatbestandselemente erfüllt sind, was Voraussetzung für eine Leistung nach den
Art. 11-14 OHG
ist (
BGE 122 II 211
E. 3d S. 216). So kann noch unklar sein, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Zudem kann häufig der Schaden noch nicht beziffert werden. Schliesslich steht nach Ablauf dieser Zeit nicht immer fest, ob Dritte schadenersatzpflichtig sind, so dass die gemäss Art. 1 der Opferhilfeverordnung vom 18. November 1992 (OHV; SR 312.51) vom Opfer verlangte Glaubhaftmachung, dass es keine oder nur ungenügende Leistungen von Dritten erhalten kann, noch gar nicht möglich ist. Aus diesen Gründen ist es nach Lehre und Rechtsprechung zulässig, zur Fristwahrung ein vorsorgliches Gesuch zu stellen und das Verfahren zu sistieren, bis die Anspruchsvoraussetzungen näher abgeklärt werden können (
BGE 123 II 1
E. 2b S. 3;
BGE 122 II 211
E. 3e S. 216 f.; DOMINIK ZEHNTNER, Straftaten, in: Peter Münch/Thomas Geiser (Hrsg.), Schaden - Haftung - Versicherung, Basel/Genf/München 1999, Rz. 14.72; Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz OHG, Ziff. 75). Zwar widerspricht es dem Gesetz, wenn die Behörde von sich aus das Verfahren sistiert und vom Opfer verlangt, vorerst einen Zivilprozess gegen den möglichen Schädiger durchzuführen (
BGE 123 II 1
E. 3b S. 4). Eine Sistierung ist hingegen dann anzuordnen, wenn das Opfer selber sie verlangt, um vorerst Leistungspflichten Dritter abzuklären. Das entspricht der Subsidiarität der Opferhilfe und liegt nicht zuletzt auch im Interesse der Behörde, wird doch dadurch vermieden, dass Abklärungen vorgenommen werden müssen, die sich schliesslich
BGE 126 II 97 S. 101
möglicherweise als überflüssig erweisen. Umgekehrt können an die Substanziierung eines Gesuchs keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Das gilt schon für die Gesuche nach
Art. 11 ff. OHG
ganz generell (PETER GOMM/PETER STEIN/DOMINIK ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Rz. 24 zu Art. 16). Zur Wahrung der Frist von
Art. 16 Abs. 3 OHG
genügt es, wenn innert der zwei Jahre bzw. einer von der Behörde angesetzten Nachfrist ein unbeziffertes Begehren eingereicht wird (GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., Rz. 24 und 26 zu Art. 16; ZEHNTNER, a.a.O., Rz. 14.68 und 14.72). Dies muss erst recht gelten, wenn ein Gesuch vorsorglich und fristwahrend eingereicht und mit einem Sistierungsgesuch verbunden wird, weil der Schaden oder allfällige Leistungspflichten Dritter nicht liquid sind und näherer Abklärung bedürfen. In solchen Fällen kann nicht verlangt werden, dass innert der zweijährigen Frist der geltend gemachte Schaden beziffert und substanziiert wird.
d) Dafür spricht auch die Analogie mit anderen Rechtsgebieten: Im Zivilrecht genügt gemäss
Art. 135 Ziff. 2 OR
, welcher analog auch für die Einhaltung einer Verwirkungsfrist anwendbar ist (
BGE 110 II 387
E. 2b S. 389 f.), für die Unterbrechung einer Verjährungsfrist die Angabe einer blossen Summe im Betreibungsbegehren, ohne dass eine nähere Substanziierung notwendig wäre. Ist eine genaue Bezifferung nicht möglich oder nicht zumutbar, so besteht zudem von Bundesrechts wegen ein Anspruch auf eine unbezifferte Klage, die alsdann für den ganzen nach richterlichem Ermessen festzulegenden (
Art. 42 Abs. 2 OR
) Schadenersatz fristwahrend wirkt (
BGE 119 II 339
E. 1c/aa S. 340;
BGE 116 II 215
E. 4a S. 219). Im Sozialversicherungsrecht reicht es aus, wenn innert der massgeblichen Frist geltend gemacht wird, es sei ein Schaden erlitten worden, ohne dass die einzelnen Leistungsansprüche angegeben werden müssten; diese abzuklären ist alsdann Sache der Behörden (
BGE 116 V 273
E. 3a S. 277;
111 V 261
E. 3b S. 264 f.). Auch im Verwaltungsrecht hat die Rechtsprechung unbezifferte und nicht näher substanziierte Erklärungen des Gläubigers als fristwahrend betrachtet, so im Enteignungsrecht (ZBl 99/1998 S. 490) oder im Steuerrecht (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juni 1990 i.S. O., E. 3).
e) Hingegen kann und muss vom Gesuchsteller verlangt werden, dass er soweit zumutbar diejenigen Angaben macht, die der Behörde erlauben, den Sachverhalt und die Anspruchsberechtigung näher abzuklären. Wohl hat die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen (
Art. 16 Abs. 2 OHG
). Das schliesst aber eine
BGE 126 II 97 S. 102
Mitwirkungspflicht des Gesuchstellers nicht aus (
BGE 124 V 234
E. 4b/bb S. 239;
BGE 123 III 328
E. 3 S. 329;
BGE 120 Ia 179
E. 3a S. 181 f.; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 284 f.; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 341; ALFRED KÖLZ/JÜRG BOSSHART/MARTIN RÖHL, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N. 59 ff. zu § 7; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel/Stuttgart 1979, S. 125; Empfehlungen SVK-OHG, Nr. 74). Wer ein Gesuch stellt, muss diejenigen Tatsachen darlegen, die nur ihm bekannt sind oder von ihm mit wesentlich weniger Aufwand erhoben werden können als von der Behörde. Insbesondere muss das Opfer den anspruchsbegründenden Sachverhalt mit hinreichender Bestimmtheit darlegen und der Behörde diejenigen Angaben liefern, die ihr erlauben, weitere Erkundigungen einzuziehen (GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., Rz. 24 zu Art. 16). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltungsstelle, welche die Leistungsbegehren nach
Art. 11 ff. OHG
beurteilt, rechtlich und faktisch nicht dieselben prozessualen Untersuchungsmittel zur Verfügung hat wie die Strafverfolgungsbehörden. Sie ist oft darauf angewiesen, polizeiliche und strafprozessuale Akten heranzuziehen, um beurteilen zu können, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Es kann und muss daher vom Opfer verlangt werden, dass es der Behörde - soweit vorhanden - derartige Akten zur Verfügung stellt oder zumindest angibt, wo diese Unterlagen ediert werden könnten.
f) Anders als die Bezifferung und Substanziierung des Schadens sind diese Angaben auch bereits bei einem vorsorglichen, fristwahrenden Gesuch beizubringen. Einerseits ist dies für das Opfer in aller Regel möglich und ohne weiteres zumutbar; anderseits kann es für die Behörde von Bedeutung sein, bereits in diesem Stadium eine Beurteilung des Sachverhalts vornehmen zu können, um sich entweder ein provisorisches Bild zu machen und gegebenenfalls weitere Untersuchungen anstellen oder aber endgültig das Gesuch abweisen und das Verfahren damit abschliessen zu können.
g) Dasselbe gilt für die persönlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit überhaupt ein Anspruch auf Entschädigung besteht, so namentlich die Einkommensverhältnisse (
Art. 12 Abs. 1 OHG
) oder allenfalls die besonderen Umstände, die eine Genugtuung rechtfertigen (
Art. 12 Abs. 2 OHG
).
3.
Das von der Beschwerdeführerin eingereichte Gesuch ist im Lichte dieser Grundsätze zu prüfen.
BGE 126 II 97 S. 103
a) Mit der Eingabe vom 10. September 1997 beantragte die Beschwerdeführerin "Entschädigung und Genugtuung nach
Art. 12 OHG
" für einen am 14. September 1995 erlittenen Verkehrsunfall, bei welchem sie den Kopf auf dem Boden aufgeschlagen habe. Der Schaden wurde nicht näher substanziiert. Die innert der angesetzten Nachfrist eingereichte Eingabe vom 24. September 1997 ist diesbezüglich nicht klarer; beantragt werden für "Anwaltskosten, Genugtuung oder Entschädigung" Fr. 100'000.-. Der Betrag von Fr. 100'000.- entspricht dem Maximalbetrag, der unter dem Titel Entschädigung ausbezahlt werden kann (
Art. 4 Abs. 1 OHV
). Der zweite aufgeführte Posten von Fr. 50'000.- für "Beratung in medizinischer, psychologischer, sozialer Hinsicht" bezieht sich nach seiner Formulierung offensichtlich auf Sofortmassnahmen gemäss
Art. 3 Abs. 2 lit. a und Abs. 4 OHG
. Der dritte geltend gemachte Posten von Fr. 50'000.- bezog sich auf "Vorschuss", womit im Kontext des Opferhilfegesetzes nur ein Vorschuss gemäss
Art. 15 OHG
gemeint sein konnte. Die Leistungen nach
Art. 3 OHG
sind als Soforthilfe konzipiert und sollen dem Opfer ermöglichen, seine Ansprüche durchzusetzen (
BGE 122 II 315
E. 4b S. 323). Ebenso sind die Vorschüsse nach
Art. 15 OHG
als vorläufige Überbrückung gedacht. Wenn die Beschwerdeführerin Leistungen nach
Art. 3 oder 15 OHG
beanspruchte, so steht das im Widerspruch dazu, dass sie sowohl im Gesuch vom 10. September als auch in der Eingabe vom 24. September 1997 ausdrücklich betonte, dass zur Zeit keine Leistungen nach Opferhilfegesetz geschuldet seien.
b) Die Höhe des geltend gemachten Schadens geht somit aus den Eingaben der Beschwerdeführerin nicht hervor und die einzelnen Posten sind unpräzis bezeichnet. Immerhin ergibt sich hinreichend klar, dass die Beschwerdeführerin Leistungen gemäss
Art. 12 OHG
beanspruchte. Nach dem vorne (E. 2c/d) Ausgeführten kann bei vorsorglich eingereichten Gesuchen nicht eine Bezifferung des Schadens oder eine Substanziierung einzelner Posten verlangt werden. Der Beschwerdeführerin kann deshalb nicht vorgeworfen werden, dass sie den Schaden nicht beziffert hat. Insoweit sind die Ausführungen in der Verfügung der Direktion der Justiz vom 26. September 1997, wonach das Opferhilfegesetz keine Vormerknahme noch nicht bemessbarer Schadenspositionen kenne, nicht zutreffend. Diese Auffassung würde dazu führen, dass ein Schaden, der innert zweier Jahre nicht liquid ist, gar nicht geltend gemacht werden kann, was der Zielsetzung des Opferhilfegesetzes zuwiderlaufen würde. Das Sozialversicherungsgericht geht demgegenüber
BGE 126 II 97 S. 104
zutreffend davon aus, dass die Ansprüche nicht beziffert zu werden brauchen. Soweit in der Beschwerde ausgeführt wird, eine Bezifferung sei noch gar nicht möglich, zielt dies deshalb an der Argumentation im angefochtenen Entscheid vorbei.
c) Hingegen fehlten in den Eingaben der Beschwerdeführerin sämtliche anderen Angaben, welche nach dem Vorstehenden (E. 2e/f) erforderlich sind, um eine auch nur provisorische Beurteilung der Anspruchsberechtigung zu ermöglichen. Erwähnt wurde einzig das Datum des Unfalls und dass dieser sich beim Einsteigen in ein Taxi ereignet habe. Doch wurde der Unfallort nicht angegeben, so dass nicht einmal die örtliche Zuständigkeit des Kantons Zürich (
Art. 11 Abs. 1 OHG
) feststeht. Sodann fehlen jegliche Angaben darüber, wer den Unfall verursacht hat und wer allenfalls dafür ersatzpflichtig werden könnte. Ebensowenig werden Angaben über die erlittenen Verletzungen gemacht. Das Gesuch enthielt auch keinerlei Beilagen, welche über den Unfall, seine Folgen oder die Schadenabwicklung Aufschluss geben könnten, und auch keine Hinweise, wo weitere Auskünfte eingeholt werden könnten. Schliesslich fehlten jegliche Informationen zu den persönlichen Verhältnissen des Opfers wie auch zu den Umständen, die eine Genugtuung nach
Art. 12 Abs. 2 OHG
rechtfertigen könnten.
d) Insgesamt erfüllte somit das Gesuch der Beschwerdeführerin nicht die Anforderungen, die auch an eine vorsorgliche, rein fristwahrende Anmeldung zu stellen sind.
4.
Die Beschwerdeführerin macht freilich geltend, nach den genauen Angaben über den Unfallhergang und die erlittenen Verletzungen sei gar nie gefragt worden. Sie habe mit der Eingabe vom 24. September 1997 das erfüllt, was mit dem Schreiben der Opferhilfe vom 15. September 1997 verlangt worden sei.
a) In dem besagten Schreiben hatte die Opferhilfe die Beschwerdeführerin darauf aufmerksam gemacht, die allgemeine Anmeldung einer Entschädigungsforderung genüge nicht; die Schadenspositionen seien einzeln aufzuführen und soweit möglich zu substanziieren. Diese Aufforderung bezog sich nach ihrem Wortlaut einzig auf die Schadensposten (deren nähere Bezifferung und Substanziierung indessen nach dem bisher Ausgeführten nicht verlangt werden konnte), nicht jedoch auf Angaben über den Unfallhergang oder die übrigen Umstände.
b) Äusserungen im Verkehr zwischen Behörden und Privaten sind so zu interpretieren, wie die jeweils andere Seite sie nach Treu und Glauben verstehen durfte (
Art. 4 aBV
bzw.
Art. 5 Abs. 3 und
Art. 9
BGE 126 II 97 S. 105
BV
:
BGE 124 II 265
E. 4a S. 269 f.;
BGE 113 Ia 225
E. 1b/bb S. 228; HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 144). Wenn die Behörde auf eine mangelhafte Eingabe hin ein individuell gestaltetes Schreiben versendet, in welchem zur Substanziierung der Schadensposten aufgefordert wird, aber keine weiteren Angaben verlangt werden, dann verstösst es gegen Treu und Glauben, wenn in der Folge das Gesuch deshalb abgewiesen wird, weil andere Angaben (zum Unfallhergang, zu den persönlichen Verhältnissen u.dgl.) fehlen. Wohl war die Beschwerdeführerin anwaltlich vertreten, doch war angesichts der fehlenden höchstrichterlichen Judikatur und der in den Kantonen offenbar uneinheitlichen Praxis auch für Rechtskundige nicht klar erkennbar, was für Anforderungen die Behörde an die Ausführlichkeit einer vorsorglichen Anmeldung stellen würde. Hinzu kommt, dass es für die Behörde ohne weiteres zumutbar wäre, ein einfaches Formular - wie in der Sozialversicherung üblich - zu schaffen, aus welchem klar hervorgeht, welche Informationen zu liefern sind.
c) Insgesamt ergibt sich, dass zwar die Eingaben der Beschwerdeführerin die Anforderungen nicht erfüllten, die an eine - auch nur vorsorgliche - Anmeldung einer Entschädigungsforderung zu stellen sind, dass aber das Gesuch vom 10. September 1997 aufgrund der unklaren Formulierung im Schreiben der Verwaltung vom 15. September 1997 im konkreten Fall nach Treu und Glauben als fristwahrend zu betrachten ist für die darin beantragten (allfälligen) Ansprüche auf Entschädigung und Genugtuung.
5.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen. Die Beschwerdeführerin beantragt Aufhebung des angefochtenen Urteils und Feststellung, dass mit der Eingabe vom 10. September 1997 die zweijährige Frist gemäss
Art. 16 Abs. 3 OHG
gewahrt sei. Diesem Antrag kann entsprochen werden. Er impliziert sinngemäss, dass nebst dem Urteil des Sozialversicherungsgerichts auch die Verfügung der Direktion der Justiz vom 26. September 1997 aufgehoben wird, selbst wenn die Beschwerdeführerin das nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Sache ist sodann zur neuen Beurteilung an die Direktion der Justiz zurückzuweisen (
Art. 114 Abs. 2 OG
). Diese wird nach Zustellung des begründeten vorliegenden Urteils der Beschwerdeführerin zunächst eine angemessene Nachfrist anzusetzen haben zur Einreichung der noch fehlenden Angaben und Unterlagen (E. 3c) und alsdann über das von der Beschwerdeführerin mit der Eingabe vom 10. September 1997 gestellte Sistierungsgesuch zu befinden haben. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d79f6865-d01d-4a07-bbaa-4c223e6121d2 | Urteilskopf
119 V 357
51. Urteil vom 29. Juni 1993 i.S. A. AG gegen Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt des Kantons Aargau und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
.
Die Leiharbeit (Regiearbeit) ist einer Temporärarbeit im Sinne dieser Bestimmung gleichzustellen. | Sachverhalt
ab Seite 357
BGE 119 V 357 S. 357
A.-
Die A. AG betreibt laut Eintrag im Handelsregister die Ausführung von Bauarbeiten aller Art, insbesondere von Montagebauarbeiten und von Generalunternehmeraufträgen, ferner die Vermittlung von Personal, insbesondere von Personal der Baubranche, sowie den An- und Verkauf und die Verwaltung von Immobilien. Am 12. Februar 1992 meldete die Firma beim Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt des Kantons Aargau (KIGA) ab 24. Februar bis voraussichtlich 24. August 1992 Kurzarbeit für 10 der insgesamt 33 Arbeitnehmer an.
Mit Entscheid vom 31. März 1992 erhob das KIGA teilweise Einspruch, indem es die Entschädigungsdauer auf sechs Monate begrenzte (
Art. 36 Abs. 1 AVIG
) und die Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung insoweit ablehnte, als diese für Arbeitnehmer in einem Temporärarbeitsverhältnis geltend gemacht wurde (
Art. 33 AVIG
).
B.-
Die A. AG liess Beschwerde erheben und beantragen, der Einspruch des KIGA sei insoweit aufzuheben, als davon auch die von ihr unbefristet angestellten Regiearbeitnehmer betroffen seien,
BGE 119 V 357 S. 358
und es sei festzustellen, dass insbesondere die Arbeitnehmer Giovanni N., Georg N., Gérard L., Dominique K. und Franck N. bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung hätten.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung ab, dass die A. AG als Temporärarbeitsfirma jederzeit mit Arbeitsausfällen rechnen müsse, so dass der Eintritt von Beschäftigungslücken ein branchenübliches Unternehmerrisiko darstelle, das gemäss
Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG
nicht auf die Arbeitslosenversicherung abgewälzt werden könne (Entscheid vom 12. August 1992).
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die A. AG den vorinstanzlichen Beschwerdeantrag erneuern. Zur Begründung wird vorgebracht, im Hinblick auf die konkreten konjunkturellen Umstände und den Inhalt der abgeschlossenen Arbeitsverträge könne nicht gesagt werden, bei den entstandenen Einsatzlücken und der notwendigen Kurzarbeit handle es sich um branchen- oder betriebsübliche Arbeitsausfälle, welche unter das Betriebsrisiko der Beschwerdeführerin fielen. Sodann sei zwischen eigentlicher Temporärarbeit und Leih- bzw. Regiearbeit, wie sie hier vorliege, zu unterscheiden. Die Beschwerdeführerin habe ihre "Regie-Arbeitnehmer" mit festem, unbefristetem Arbeitsvertrag angestellt und damit das Risiko für Arbeitsausfälle und Einsatzlücken, soweit branchenüblich und voraussehbar, ausdrücklich übernommen. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes fielen Regie-Arbeitsverhältnisse nicht unter
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
. Bei der Auslegung dieser Bestimmung sei allein darauf abzustellen, ob mit der Gewährung eines Anspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung die Entlassung der betroffenen Arbeitnehmer verhindert werden könne, was hier der Fall sei.
Das KIGA und das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die als Mitinteressierte zur Vernehmlassung beigeladenen Arbeitnehmer beantragen sinngemäss Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung besteht, wenn der Arbeitsausfall anrechenbar sowie voraussichtlich vorübergehend ist
BGE 119 V 357 S. 359
und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit die Arbeitsplätze erhalten werden können (
Art. 31 Abs. 1 lit. b und d AVIG
). Ein Arbeitsausfall ist u.a. anrechenbar, wenn er auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen und unvermeidbar ist (
Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG
). Ein auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführender und an sich grundsätzlich anrechenbarer Arbeitsausfall gilt jedoch dann nicht als anrechenbar, wenn er branchen-, berufs- oder betriebsüblich ist oder durch saisonale Beschäftigungsschwankungen verursacht wird (
Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG
). Damit will das Gesetz vor allem regelmässig wiederkehrende Arbeitsausfälle von der Kurzarbeitsentschädigung ausschliessen (ARV 1986 Nr. 9 S. 41 E. 1, 1985 Nr. 17 S. 104 E. 1 und 107 E. 1).
b) Gemäss
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
ist ein Arbeitsausfall auch insoweit nicht anrechenbar, als er Personen betrifft, die in einem Arbeitsverhältnis auf bestimmte Dauer, einem Lehrverhältnis oder im Dienste einer Organisation für Temporärarbeit stehen. Weil der Temporärarbeitnehmer nur so weit und so lange zur Leistung von Arbeit im Einsatzbetrieb verpflichtet ist, als ihm der Einsatzbetrieb Arbeit anbietet, entsteht bei Wegfall der Arbeitsgelegenheit kein anrechenbarer Arbeitsausfall (GERHARDS, Kommentar zum AVIG, Band I, S. 436 N 102).
2.
a) Das Temporärarbeitsverhältnis umfasst drei Rechtsverhältnisse, nämlich (a) einen Vertrag sui generis zwischen der Organisation für temporäre Arbeit (Verleiher) und dem Kunden (Entleiher), mit welchem der Verleiher dem Entleiher gegen Entgelt die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verspricht, (b) ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Verleiher, wobei in der Regel zwischen einem generellen Arbeitsvertrag (Rahmenvertrag) und einem individuellen Arbeitsvertrag (Einsatzvertrag) unterschieden wird, sowie (c) das Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Kunden, bei dem es sich nicht um ein eigentliches arbeitsvertragliches Verhältnis handelt, welches jedoch gewisse vertragliche oder quasivertragliche Beziehungen umfasst (in ARV 1988 Nr. 6 S. 73 publizierte E. 3 von
BGE 114 V 336
).
Das am 1. Juli 1991 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih (AVG; SR 823.11) vom 6. Oktober 1989 unterscheidet zwischen Temporärarbeit, Leiharbeit und dem gelegentlichen Überlassen von Arbeitskräften an Dritte. Anders als bei der Temporärarbeit, wo der Verleiher mit dem Arbeitgeber in der Regel zunächst nur einen Rahmenvertrag abschliesst und dem Arbeitnehmer in der Folge individuelle Einsatzverträge anbietet,
BGE 119 V 357 S. 360
stellt der Verleiher bei der Leiharbeit den Arbeitnehmer ausschliesslich zum Zwecke der "Ausleihe" an Drittbetriebe ein (REHBINDER, Berner Kommentar zum ZGB,
Art. 333 OR
N 12). Der Leiharbeit entspricht die früher als Regiearbeit bezeichnete Form des Personalverleihs, bei welcher der Arbeitnehmer in der Regel über einen Arbeitsvertrag verfügt, der sich über mehrere Einsätze hinaus auf unbestimmte Zeit erstreckt. Dabei hat der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht die Möglichkeit, die ihm zugewiesenen Arbeitseinsätze abzulehnen (THÉVENOZ, Le travail intérimaire, Diss. Genf 1987, S. 29 N 31). Die Grenze zwischen Temporärarbeit einerseits und Leih- bzw. Regiearbeit anderseits ist in der Praxis nur schwer zu ziehen. THÉVENOZ (a.a.O., S. 31 N 35) vertritt die Meinung, es sei von Temporärarbeit im nicht eigentlichen Sinn zu sprechen, wenn sich der Arbeitsvertrag über mehrere Einsätze erstrecke. GERHARDS (a.a.O., S. 436 N 101 ff.) unterscheidet zwischen Temporärarbeitsverhältnissen des klassischen Typs und atypischen Temporärarbeitsverhältnissen, welche sich dadurch kennzeichnen, dass eine Entlöhnung durch die Temporärorganisation auch während der Einsatz- bzw. Beschäftigungslücken erfolgt.
b) Aus den in den Akten enthaltenen Arbeitsverträgen geht hervor, dass die Beschwerdeführerin die in Rede stehenden "Regie-Arbeitnehmer" mit unbefristeten, nach den Bestimmungen des Obligationenrechts kündbaren Verträgen anstellt. Die als "Arbeitsvertrag" oder "Festvertrag" bezeichneten Anstellungsverträge sind nicht in allen Teilen identisch, stimmen jedoch darin überein, dass die Beschäftigung im Rahmen einer festen wöchentlichen Arbeitszeit zu einem vertraglich vereinbarten Stundenlohn erfolgt. Grundlage für jede Lohnzahlung bildet der Arbeitsrapport, welcher ausgefüllt und vom Kunden unterzeichnet werden muss. Ohne visierten Rapport ist eine Lohnzahlung nicht möglich. Der Vertrag regelt ferner die Leistungen für Überstunden, bei Krankheit, Unfall, Militärdienst sowie den Ferienanspruch. Schliesslich verpflichtet sich der Arbeitnehmer, unter Androhung einer Konventionalstrafe, kein Anstellungsverhältnis bei einem der Kunden der Beschwerdeführerin einzugehen.
Der Umstand, dass ein Anspruch auf Lohnzahlung nur besteht, soweit ein vom Kunden visierter Arbeitsrapport vorliegt, könnte darauf schliessen lassen, dass es sich um ein Temporärarbeitsverhältnis des "klassischen" Typs handelt. Anderseits ist der Vertrag auf unbestimmte Zeit und mit einer festen Arbeitszeit geschlossen, was für die Darstellung der Beschwerdeführerin spricht, wonach sie
BGE 119 V 357 S. 361
das Arbeitgeberrisiko auch für Einsatz- und Beschäftigungslücken trägt. Gegen die Annahme eines "klassischen" Temporärarbeitsverhältnisses spricht sodann, dass anstelle eines Rahmenvertrages mit anschliessenden Einsatzverträgen ein fester Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass ein atypisches Temporärarbeitsverhältnis im Sinne der Leiharbeit vorliegt. Zu prüfen ist somit, ob der gemäss
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
für Temporärarbeitsverhältnisse geltende Ausschluss von der Anspruchsberechtigung auch auf Leiharbeitsverhältnisse Anwendung findet, bei denen der Arbeitnehmer fest angestellt ist und die Temporär- oder Leiharbeitsfirma das Risiko der fehlenden Arbeitsmöglichkeit im Einsatzbetrieb durch Weiterzahlung des Lohnes selbst trägt.
3.
a) Nach der Rechtsprechung zu dem bis Ende 1983 gültig gewesenen
Art. 28 AlVG
hat ein Versicherter, der mit einer Organisation für temporäre Arbeit einen "festen Arbeitsvertrag" abschliesst und in den Zeiten zwischen den befristeten Arbeitseinsätzen ohne Beschäftigung ist, in der Regel keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Denn in solchen Fällen ist der Eintritt von Beschäftigungslücken das normale, branchenübliche Unternehmerrisiko einer solchen Temporärarbeitsfirma, welches nicht auf die Arbeitslosenversicherung abgewälzt werden darf. Einer Umgehung dieses Grundsatzes würde offensichtlich Vorschub geleistet, wenn das typische Risiko von Beschäftigungslücken bei Temporärarbeitsverhältnissen durch Abschluss eines sogenannten "festen" Temporärarbeitsvertrages auf dem Weg über versicherte Teilarbeitslosigkeit durch die Arbeitslosenversicherung abgedeckt werden könnte (
BGE 108 V 95
).
Diese Rechtsprechung findet auch auf das neue, seit 1. Januar 1984 geltende Recht Anwendung (
BGE 114 V 339
E. 5a). Sie beruht auf der Überlegung, dass der Arbeitgeber, der mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug gerät, gemäss
Art. 324 Abs. 1 OR
zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet bleibt, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist (
BGE 114 V 339
E. 5a mit Hinweisen). Wie das Eidg. Versicherungsgericht erkannt hat, ist diese Praxis auch bei Arbeitslücken infolge schlechten Wetters (nicht veröffentlichtes Urteil L. vom 16. Februar 1983) und bei Kurzarbeit in der Einsatzfirma (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 14. März 1984) anwendbar.
b) Zur Frage, ob als Temporärarbeit im Sinne von
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
auch die Leiharbeit ("Regiearbeit") zu gelten hat und ob aufgrund dieser Bestimmung ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung
BGE 119 V 357 S. 362
entfällt, weil es an einem anrechenbaren Arbeitsausfall fehlt, hatte sich das Eidg. Versicherungsgericht bisher nicht zu äussern. Das KIGA ist der Auffassung, die Gleichstellung der Leiharbeit mit der Temporärarbeit im eigentlichen Sinne ergebe sich unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung. Würde nämlich unter dem Begriff der Temporärarbeit in
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
allein die Temporärarbeit im "klassischen" Sinn verstanden, so erwiese sich die Erwähnung der Temporärarbeit als überflüssig, weil nach der gleichen Bestimmung bei Vorliegen eines befristeten Arbeitsvertrages ohnehin kein anrechenbarer Arbeitsausfall besteht (vgl. die vom KIGA des Kantons Aargau herausgegebene "Kommentierte Ausgabe des AVIG", S. 53 f.).
Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, die gleichzeitige Erwähnung der "Arbeitsverhältnisse auf bestimmte Dauer" und der "Arbeitsverhältnisse im Dienste einer Organisation für Temporärarbeit" in dieser Bestimmung ändere nichts daran, dass "Regie-Arbeitsverhältnisse" der vorliegenden Art nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht unter
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
fielen. Auch bestünden zwischen einem eigentlichen befristeten Arbeitsvertrag und dem typischen Temporärarbeitsvertrag rechtliche Unterschiede, die eine gesonderte Erwähnung rechtfertigten.
Ob sich, wie das KIGA annimmt, eine Gleichstellung des Leiharbeitsverhältnisses mit dem Temporärarbeitsverhältnis im "klassischen" Sinn schon aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes ergibt, kann dahingestellt bleiben. Mit GERHARDS (a.a.O., S. 436 N 102 ff.) ist festzustellen, dass der Beschäftigte sowohl bei der eigentlichen Temporärarbeit als auch bei der Leiharbeit nur so weit und so lange zur Leistung von Arbeit verpflichtet ist, als ihm der Einsatzbetrieb solche anbietet, weshalb beim Wegfall der Arbeitsgelegenheit kein rechtlich fassbarer Arbeitsausfall entsteht. Der Umstand, dass die Organisation für Temporärarbeit den Arbeitnehmer während Beschäftigungslücken entlöhnt, ändert hieran nichts, weil der Arbeitsausfall nicht in ihrem Betrieb, sondern im Einsatzbetrieb entstanden ist. Dazu kommt, dass Temporär- und Verleiharbeitsfirmen in gleicher Weise darauf ausgerichtet sind, sich Konjunkturschwankungen und Änderungen in der Beschäftigungslage zunutze zu machen, und deshalb jederzeit mit Arbeitsausfällen zu rechnen haben. Einsatzlücken der von solchen Firmen beschäftigten Arbeitnehmer sind daher zumindest teilweise auch branchen- oder betriebsüblich im Sinne von
Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG
. Da im Einzelfall kaum zuverlässig festzustellen wäre, inwieweit die Beschäftigungslücke wirtschaftlich bedingt ist und inwieweit sie sich aus
BGE 119 V 357 S. 363
den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses ergibt, rechtfertigt es sich auch unter diesem Gesichtspunkt, das Leiharbeitsverhältnis grundsätzlich dem Temporärarbeitsverhältnis gemäss
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
gleichzustellen. Diese Lösung hält sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung, wonach in der Regel kein entschädigungsberechtigender Arbeitsausfall besteht, wenn der Temporär- bzw. Leiharbeitnehmer fest angestellt ist und die Temporär- bzw. Verleihfirma das Risiko der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit durch Weiterzahlung des vollen Lohnes selbst trägt (
BGE 114 V 339
E. 5a,
BGE 108 V 95
).
c) Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, vermag zu keinem andern Ergebnis zu führen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann nicht allein darauf abgestellt werden, ob mit der Gewährung eines Anspruches auf Kurzarbeitsentschädigung die Entlassung der betroffenen Arbeitnehmer vermieden werden kann. Das Gesetz macht den Anspruch davon abhängig, dass gleichzeitig ein anrechenbarer Arbeitsausfall vorliegt, welcher zudem voraussichtlich vorübergehend ist (
Art. 31 Abs. 1 lit. b und d AVIG
). Anrechenbar ist ein Arbeitsausfall aber nur im Rahmen der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung. Diese kann nach dem Gesagten nur in dem Sinne verstanden werden, dass der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung mangels eines anrechenbaren Arbeitsausfalls grundsätzlich auch dann entfällt, wenn es sich nicht um ein eigentliches Temporärarbeitsverhältnis, sondern um ein Leiharbeitsverhältnis mit festem Arbeitsvertrag handelt.
Unerheblich ist, inwieweit die Anstellungsverträge den Charakter von Einzelarbeitsverträgen im Sinne von
Art. 319 ff. OR
aufweisen. Entscheidend ist, dass insofern keine gewöhnlichen Arbeitsverträge vorliegen, als der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht für den Arbeitgeber, sondern für einen Dritten (Einsatzbetrieb) erbringt und schon aus diesem Grund mit Arbeitsausfällen zu rechnen ist. Anders wäre höchstens dann zu entscheiden, wenn sich die Temporär- bzw. Leiharbeitsfirma vertraglich verpflichtet hätte, den Arbeitnehmer bei Einsatzlücken selber zu beschäftigen. Dies ist in den eingereichten Arbeitsverträgen jedoch nicht vorgesehen und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet. Es muss daher bei der Feststellung bleiben, dass die Beschwerdeführerin für die von ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung hat, weil der geltend gemachte Arbeitsausfall gemäss
Art. 33 Abs. 1 lit. e AVIG
nicht anrechenbar ist. Damit kann offenbleiben, ob der Anspruch - wie die Vorinstanz annimmt - auch
BGE 119 V 357 S. 364
deshalb abzulehnen wäre, weil der Arbeitsausfall branchen-, berufs- oder betriebsüblich im Sinne von
Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG
ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d7a06ed0-ef59-40f1-a954-bc45f8e3f9ed | Urteilskopf
103 Ia 130
26. Urteil vom 13. Juli 1977 i.S. Invertax und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Art. 4 BV
; eidgenössische Genehmigung kantonaler Erlasse, abstrakte Normenkontrolle.
Die eidgenössische Genehmigung eines kantonalen Erlasses schliesst dessen nochmalige Überprüfung in einem abstrakten Normenkontrollverfahren vor den zuständigen kantonalen und eidgenössischen Rechtsmittelinstanzen nicht aus. | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 103 Ia 130 S. 131
Gestützt auf Art. 20 der bundesrätlichen Verordnung vom 18. Januar 1966 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer (ARV) und mit Ermächtigung der kantonalen Polizeidirektion erliess der Stadtrat von Zürich am 2. April 1975 Sonderbestimmungen über die Arbeits- und Ruhezeit der Taxiführer in der Stadt Zürich (im folgenden kurz als Sonderbestimmungen bezeichnet). Diese wurden am 16. April 1975 im Amtsblatt der Stadt Zürich veröffentlicht und auf den Tag nach der Veröffentlichung in Kraft gesetzt. Der Text der Sonderbestimmungen war schon vor deren Annahme durch den Stadtrat vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) am 28. Februar 1975 genehmigt worden.
Die drei Beschwerdeführer fochten einzelne dieser Vorschriften beim Statthalteramt des Bezirkes Zürich an, das jedoch ihren Rekurs abwies. Auf einen gegen diesen abweisenden Entscheid erhobenen Rekurs trat der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 15. Dezember 1976 nicht ein, im wesentlichen mit der Begründung, dass die angefochtenen Sonderbestimmungen vom BIGA bereits genehmigt worden seien und es nicht Aufgabe des Regierungsrates sein könne, im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens über vom Bund genehmigtes kommunales Recht zu befinden; hiezu sei er nicht zuständig.
Gegen diesen Nichteintretensentscheid wird wegen formeller Rechtsverweigerung staatsrechtliche Beschwerde geführt. Das Bundesgericht heisst diese gut, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Art. 20 ARV
lautet in seiner heute geltenden Fassung:
"1 Die Kantone oder die von ihnen ermächtigten Gemeinden können für Taxiführer in städtischen Verhältnissen anstelle der Art. 4-9 und 15-17 andere Bestimmungen aufstellen und diese auch für selbständigerwerbende Taxiführer anwendbar erklären.
BGE 103 Ia 130 S. 132
2 Die Sonderbestimmungen bedürfen der Genehmigung der Eidgenössischen Polizeiabteilung. Sie wird nur erteilt, wenn die gesamte zeitliche Beanspruchung der Taxiführer auf Grund der Sonderbestimmungen die in der Verordnung festgelegten Höchstgrenzen nicht überschreitet und wenn die vorgesehene Kontrolle wirksam ist. Die Kantone haben den Vollzug der Sonderbestimmungen zu überwachen.
3 Die Kantone können anordnen, dass die Führer der im Kanton immatrikulierten Taxis anstelle des Arbeitsbuches (Art. 16 und 17) Kontrollkarten führen, die von aussen sichtbar an der Windschutzscheibe der Fahrzeuge anzubringen sind; sie können eine solche Regelung auch für selbständigerwerbende Taxiführer anwendbar erklären. Die Kontrollkarten müssen die wesentlichen Rubriken des Arbeitsbuches enthalten und bedürfen der Genehmigung der Eidgenössischen Polizeiabteilung."
In
Art. 20 ARV
war ursprünglich (Fassung vom 18. Januar 1966) das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement als Genehmigungsinstanz bezeichnet. An seine Stelle trat mit der Revision vom 9. Mai 1973 das BIGA, das im vorliegenden Fall im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung noch zuständig war. Inzwischen wurde diese Aufgabe der Eidg. Polizeiabteilung übertragen (Änderung vom 12. Februar 1975, in Kraft seit 1. April 1975). Inhaltlich hat sich an
Art. 20 ARV
seit 1973 nichts geändert.
2.
a) Die Sonderbestimmungen, die die Stadt Zürich aufgrund der den Kantonen oder Gemeinden in
Art. 20 ARV
vorbehaltenen Rechtssetzungskompetenz erlassen hat, stellen kantonales (bzw. kommunales) Recht dar. Dass sie einen subsidiär bereits durch Bundesrecht geregelten Bereich beschlagen und der Genehmigung durch eine Bundesbehörde unterliegen, macht sie nicht zu eidg. Recht (FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 122; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Bd. I Nr. 712 und 802; VPB 1970-1971 Nr. 5 S. 35; VEB 1956 Nr. 9 S. 39, 1948-50 Nr. 3 S. 15). Es besteht insofern kein Hindernis, diese Sonderbestimmungen einer abstrakten kantonalen Normenkontrolle zu unterwerfen.
b) Im angefochtenen Entscheid wird denn auch nicht in Abrede gestellt, dass die vom Stadtrat von Zürich erlassenen Sonderbestimmungen an sich nach kantonalem Verfahrensrecht mittels Rekurs angefochten werden können. Der Regierungsrat hält jedoch im vorliegenden Fall eine abstrakte Normenkontrolle durch eine kantonale Rechtsmittelinstanz deshalb
BGE 103 Ia 130 S. 133
für unzulässig, weil die fraglichen Sonderbestimmungen von einer Bundesbehörde bereits genehmigt worden sind.
Hätten die städtischen oder kantonalen Instanzen mit der Einholung der Genehmigung gemäss
Art. 20 ARV
zugewartet, bis über die Gültigkeit der beschlossenen Sonderbestimmungen im kantonalen Anfechtungsverfahren entschieden ist, so wäre der Rekurs an den Regierungsrat nach der dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegenden Argumentation offenbar zulässig gewesen. Die Behörde hätte es danach in der Hand, durch eine frühzeitige Einholung der eidg. Genehmigung eine abstrakte Normenkontrolle durch die kantonalen Rechtsmittelinstanzen zu verhindern.
3.
a) Die Genehmigung kantonaler Erlasse durch den Bundesrat, wie sie in
Art. 102 Ziff. 13 BV
vorgesehen ist, hat im allgemeinen nur den Charakter einer provisorischen Rechtskontrolle. Sie bezweckt die Beseitigung solcher Vorschriften, die sich bereits aufgrund einer ersten, allgemeinen Prüfung als bundesrechtswidrig erweisen. Mit der Erteilung der Genehmigung wird dementsprechend nicht verbindlich festgestellt, dass die betreffenden kantonalen Vorschriften rechtmässig seien, sondern es können allfällige Mängel derselben mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln durch Anfechtung des Erlasses oder eines darauf gestützten Anwendungsaktes noch geltend gemacht werden. Die erteilte bundesrätliche Genehmigung schliesst eine nochmalige Überprüfung des Erlasses in einem abstrakten Normenkontrollverfahren vor der zuständigen eidgenössischen Rechtsmittelinstanz (Bundesgericht oder Bundesrat) nicht aus, und sie steht auch einer nachträglichen konkreten Normenkontrolle nicht entgegen (
BGE 81 I 137
f. ,
BGE 71 I 251
ff.,
BGE 70 I 249
; VPB 1970-1971 Nr. 5 S. 35 und Nr. 20 S. 68; VEB 1956 Nr. 9 S. 38/39; AUBERT, a.a.O. Nr. 799 und 800; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O. S. 136/37). Lediglich bei Verweigerung der Genehmigung ist eine Anfechtung der Norm ausgeschlossen, da diese damit ihren Rechtsbestand verliert und als Anfechtungsobjekt entfällt (
BGE 84 I 66
; VPB 1970-1971 Nr. 5 S. 35). Auch die kantonalen Rechtsmittelbehörden sind an die bundesrätliche Genehmigung eines kantonalen Erlasses nicht in weitergehendem Masse gebunden (
BGE 61 I 443
f. mit Hinweis; BERNHARD SCHAUB, Die Aufsicht des Bundes über die Kantone, Diss. Zürich 1957, S. 204 f.; vgl. auch
BGE 91 I 314
und
BGE 103 Ia 130 S. 134
82 I 219 sowie IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 5. A. Bd. II Nr. 143 S. 1058 ff.).
b) Die bundesrätliche Genehmigung hat grundsätzlich bloss deklaratorischen Charakter. Als konstitutiv gilt sie nur dort, wo das Bundesrecht dies ausdrücklich vorsieht oder wo es sich aus dem System oder aus den Materialien des Bundesrechtes eindeutig ergibt (
BGE 81 I 138
mit Hinweisen; VPB 1966-67 Nr. 152 S. 255/56). Derartige kantonale Vorschriften, die erst mit der eidg. Genehmigung rechtsgültig oder vollziehbar werden, bleiben jedoch kantonales Recht (FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O. S. 137 Anm. 61), und es ist anzunehmen, dass auch eine mit konstitutiver Wirkung genehmigte Norm im Sinne der vorstehenden Ausführungen noch angefochten werden kann. Die bundesrätliche Genehmigung, ob konstitutiv oder nicht, ist nur ein aufsichtsrechtliches Mittel, um die Bundesrechtmässigkeit bestimmter kantonaler Erlasse leichter und wirksamer kontrollieren zu können; sie hat nicht den Zweck, die Anfechtungsmöglichkeiten des Bürgers einzuschränken (VEB 1956 Nr. 9 S. 39).
c) Die dargestellten Grundsätze unterliegen allenfalls dann einer gewissen Einschränkung, wenn der genehmigungsbedürftige kantonale Erlass auf einer Delegation in einer bundesrätlichen Verordnung beruht. Nach
BGE 61 I 444
ist in einem solchen Falle die Genehmigung des Bundesrates insofern verbindlich, als der Richter die kantonalen Vorschriften nicht mehr auf ihre Übereinstimmung mit der bundesrätlichen Verordnung zu überprüfen hat; die Rüge der Verletzung von übergeordnetem Bundesrecht bleibt jedoch zulässig (vgl. dazu FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O. S. 137 Anm. 57, und BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 313/14).
4.
Der hier in Frage stehende kantonale Erlass hat seine Grundlage in einer bundesrätlichen Verordnung, welche die dem Bundesrat durch
Art. 56 SVG
eingeräumten Rechtsetzungskompetenzen in einem bestimmten Teilbereich in dem Sinne an die Kantone weiterdelegiert, dass diese die subsidiär geltende bundesrechtliche Regelung durch kantonales Recht ersetzen dürfen. Zuständig zur Erteilung der nach
Art. 20 ARV
geforderten bundesrechtlichen Genehmigung ist nicht der Bundesrat, sondern eine diesem untergeordnete Verwaltungsinstanz (heute die eidg. Polizeiabteilung).
a) Der blosse Hinweis des Regierungsrates, dass die angefochtenen Sonderbestimmungen "vom Bund genehmigt"
BGE 103 Ia 130 S. 135
seien, genügt nach dem Gesagten nicht, um die Unzulässigkeit eines kantonalrechtlichen abstrakten Normenkontrollverfahrens zu begründen. Geht man davon aus, dass die bundesrechtliche Genehmigung auch in einem Fall der vorliegenden Art nur die Funktion einer vorläufigen Rechtskontrolle hat und mit ihrer Erteilung die Rechtmässigkeit der betreffenden kantonalen Vorschriften nicht verbindlich festgestellt ist, so besteht für eine Anfechtung des Erlasses in einem kantonalen Rekursverfahren durchaus Raum; der Regierungsrat würde damit nicht, wie er anzunehmen scheint, zur Aufsichtsbehörde über Bundesinstanzen.
b) Es ist insbesondere zu beachten, dass die eidg. Genehmigungsinstanz die ihr unterbreiteten Sonderbestimmungen nach
Art. 20 ARV
in erster Linie unter einem spezifischen Gesichtswinkel zu prüfen hat. Sie darf die Genehmigung nur erteilen, "wenn die gesamte zeitliche Beanspruchung der Taxiführer auf Grund der Sonderbestimmungen die in der Verordnung festgelegten Höchstgrenzen nicht überschreitet und wenn die vorgesehene Kontrolle wirksam ist". Die eidg. Genehmigungsbehörde hat somit das Schwergewicht ihrer Prüfung auf die Frage zu legen, ob die kantonalen Sonderbestimmungen geeignet sind, die bundesrechtlich vorgeschriebene Begrenzung der zeitlichen Beanspruchung sicherzustellen, und insofern für die ersetzten Normen der ARV einen tauglichen Ersatz bieten. Diese Voraussetzungen kann eine zur Genehmigung unterbreitete kantonale Sonderregelung beispielsweise auch dann erfüllen, wenn sie das angestrebte Ziel mit unverhältnismässig scharfen Mitteln verfolgt oder zwischen verschiedenen Kategorien von Betroffenen unzulässige Rechtsungleichheiten schafft. (Dass fakultative Sonderbestimmungen ihrem Inhalt nach u.U. auch gegen kantonales Recht verstossen können, sei nur am Rande erwähnt). Derartige verfassungsrechtliche Mängel treten häufig erst zutage, nachdem sich die vom Erlass Betroffenen geäussert haben. Im Genehmigungsverfahren vor der Bundesbehörde besteht eine solche Äusserungsmöglichkeit in der Regel nicht. Es hat daher auch praktisch durchaus seine Berechtigung, wenn neben dem eidg. Genehmigungsverfahren auf ein Rechtsmittel der Betroffenen hin noch ein abstraktes Normenkontrollverfahren eröffnet werden kann. Auf Bundesebene besteht eine derartige Anfechtungsmöglichkeit ohnehin, und es ist nicht einzusehen, wieso eine vorangehende Überprüfung des Erlasses durch kantonale Rechtsmittelinstanzen
BGE 103 Ia 130 S. 136
ausgeschlossen sein sollte. Auf
BGE 61 I 444
kann sich der Regierungsrat zur Begründung seines gegenteiligen Standpunktes nicht berufen. Die in jenem Entscheid aufgestellte Regel (vgl. E. 3c), deren Richtigkeit bei einem neuen Entscheid zu überprüfen wäre, ist hier schon deshalb nicht anwendbar, weil der angefochtene kantonale Erlass nicht vom Bundesrat, sondern einer diesem untergeordneten Verwaltungsinstanz genehmigt worden ist. Dass es im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob die eidg. Genehmigung konstitutiv wirkt oder nicht, wurde bereits dargelegt (E. 3b).
c) In einem gleichgelagerten früheren kantonalen Rekursverfahren hat sich denn auch der Regierungsrat ohne weiteres für befugt gehalten, vom eidg. Volkswirtschaftsdepartement bereits genehmigte kommunale Sonderbestimmungen im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nochmals zu überprüfen, so wie sich auch der Bundesrat in dem daran anschliessenden eidg. Rechtsmittelverfahren (für das die Rechtslage vor der Revision des OG von 1968 massgebend war) als Beschwerdeinstanz an die erteilte Genehmigung nicht als gebunden erachtet hat (Entscheid des zürcherischen Regierungsrates vom 19. Juni 1968 und des Bundesrates vom 16. Februar 1972 i.S. Invertax und Mitbeteiligte). Es wurde als selbstverständlich angesehen, dass die bereits erteilte Genehmigung einer uneingeschränkten abstrakten Normenkontrolle durch die zuständigen kantonalen und eidgenössischen Rechtsmittelinstanzen nicht im Wege stand.
d) Indem der Regierungsrat in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung im vorliegenden Fall eine materielle Überprüfung der angefochtenen Sonderbestimmungen ohne stichhaltigen Grund ablehnte, verletzte er
Art. 4 BV
. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d7a1280a-71bd-4079-bdb2-0a5dbc98e420 | Urteilskopf
141 II 338
26. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause A. contre Administration fiscale cantonale genevoise (recours en matière de droit public)
2C_534/2014 / 2C_535/2014 du 7 août 2015 | Regeste
Art. 127 Abs. 2 BV
; aArt. 214 Abs. 2 DBG (in Kraft bis am 31. Dezember 2013);
Art. 11 Abs. 1 StHG
in der Fassung vom 1. Januar 2010; Art. 41 Abs. 3 LIPP/GE; anwendbarer Steuertarif auf geschiedene Eltern; Kriterium des zur Hauptsache bestrittenen Unterhalts eines Kindes.
Im Falle, dass die geschiedenen Ehegatten die gemeinsame elterliche Sorge haben, die alternierende Obhut gleichmässig ausüben, keine Unterhaltsbeiträge geleistet werden und die Eltern übereingekommen sind, dass sie den Unterhalt des Kindes zu gleichen Teilen übernehmen, ist es der Elternteil mit dem geringeren Einkommen, welcher den Unterhalt des Kindes zur Hauptsache bestreitet. Demnach ist diesem Elternteil der reduzierte Steuertarif für die direkte Bundessteuer und die Staats- und Gemeindesteuern betreffend das Einkommen zu gewähren. Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgesehene Lösung, welche den reduzierten Steuertarif dem Elternteil mit dem höheren Einkommen gewährt, verstösst in einer solchen Konstellation gegen das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in vertikaler Richtung (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3-7). | Sachverhalt
ab Seite 339
BGE 141 II 338 S. 339
A., domiciliée dans le canton de Genève, est la mère de B. Elle est divorcée du père de l'enfant, C. Les ex-époux ont l'autorité parentale conjointe sur leur fille, ainsi que la garde alternée équivalente; chacun des parents s'est engagé à subvenir à l'entretien de l'enfant de façon égale et a renoncé à toute contribution d'entretien.
Dans des décisions de taxation du 9 juin 2011 pour la période fiscale 2010, l'Administration fiscale cantonale de la République et canton de Genève (ci-après: l'Administration fiscale) a accordé à A. la moitié de la déduction sociale pour charge de famille pour l'impôt cantonal et communal (ci-après: ICC) et n'a rien déduit à ce titre pour l'impôt fédéral direct (ci-après: IFD). Elle a appliqué, pour l'ICC et l'IFD, le barème ordinaire et non le barème réduit. L'Administration fiscale a maintenu ces taxations dans des décisions sur réclamation du 5 avril 2012; dans un cas comme celui de A., le parent qui réalisait le revenu le plus élevé, en l'espèce l'ex-époux de l'intéressée, devait être mis au bénéfice du barème réduit car celui-ci était présumé, en fonction de ses ressources, assurer la majeure partie des frais d'entretien de l'enfant.
Le Tribunal administratif de première instance de la République et canton de Genève (ci-après: le Tribunal de première instance), par jugement du 19 mars 2013, a admis le recours de A. et annulé les deux décisions de taxation relatives à l'ICC et à l'IFD. La contribuable avait perçu en 2010 un revenu inférieur à celui de son ex-mari et les parents de l'enfant avaient participé de manière égale à l'entretien de celle-ci. Dès lors, l'application du barème réduit ne pouvait pas être refusé à la contribuable, compte tenu du principe de l'imposition selon la capacité contributive.
Par arrêt du 15 avril 2014, la Cour de justice de la République et canton de Genève (ci-après: la Cour de justice) a admis le recours de l'Administration fiscale cantonale.
Le Tribunal fédéral a admis le recours en matière de droit public de A. pour l'IFD et l'ICC sur le revenu 2010.
(résumé)
BGE 141 II 338 S. 340
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La recourante invoque une violation de l'
art. 127 Cst.
, soit des principes d'égalité de traitement et d'imposition selon la capacité économique. Elle relève qu'en cas de garde partagée équivalente entre les deux parents, l'Administration fiscale suppose que le parent qui a le salaire le plus élevé contribue de manière la plus importante à l'entretien de l'enfant et lui accorde le bénéfice du barème réduit. Il en résulterait que la charge fiscale de la recourante serait plus élevée que celle de son mari en proportion de leurs revenus respectifs. La comparaison de leurs revenus imposables et des montants d'impôts dus démontrerait que la taxation ne respecte pas le principe de la progressivité et que les intéressés ne seraient pas imposés selon leur capacité contributive. Dès lors que la recourante dispose d'un revenu plus bas que celui de son ex-conjoint, c'est elle qui, proportionnellement, assurerait une charge d'entretien plus importante. Partant, le bénéfice du barème réduit devrait lui être octroyé afin de respecter une imposition selon la capacité contributive. De façon plus générale, cette application de la loi conduirait à créer une charge fiscale sensiblement plus lourde pour le parent qui a le revenu le moins élevé dans les cas de garde partagée équivalente sans versement de contribution et avec une répartition égale des frais pour l'entretien de l'enfant.
3.1
A teneur de l'
art. 190 Cst.
, le Tribunal fédéral est tenu d'appliquer les lois fédérales. Même s'il doit les appliquer, il est habilité à en contrôler la constitutionnalité (
ATF 136 II 120
consid. 3.5.1 p. 130;
ATF 136 I 49
consid. 3.1 p. 55,
ATF 136 I 65
consid. 3.2 p. 70). Il peut procéder à une interprétation conforme à la Constitution d'une loi fédérale, si les méthodes ordinaires d'interprétation laissent subsister un doute sur son sens (
ATF 131 II 710
consid. 4.1 p. 716;
ATF 129 II 249
consid. 5.4 p. 263 et les références citées). L'interprétation conforme à la Constitution trouve toutefois ses limites lorsque le texte et le sens de la disposition légale sont absolument clairs, quand bien même ils seraient contraires à la Constitution (
ATF 133 II 305
consid. 5.2;
ATF 131 II 710
consid. 5.4 p. 721). Lorsqu'une violation de la Constitution est constatée, la loi doit néanmoins être appliquée et le Tribunal fédéral ne peut qu'inviter le législateur à modifier la disposition en cause (
ATF 136 II 120
consid. 3.5.1 p. 130).
3.2
En matière fiscale, le principe d'égalité de l'
art. 8 al. 1 Cst.
est concrétisé par les principes de la généralité et de l'égalité de l'imposition, ainsi que par celui de l'imposition selon la capacité
BGE 141 II 338 S. 341
économique. Le principe de la généralité de l'impôt exige que toute personne ou groupe de personnes soit imposé selon la même réglementation juridique: les exceptions qui ne reposent sur aucun motif objectif sont inadmissibles. D'après le principe d'imposition selon la capacité économique de l'
art. 127 al. 2 Cst.
, toute personne doit contribuer à la couverture des dépenses publiques, compte tenu de sa situation personnelle et en proportion de ses moyens; la charge fiscale doit être adaptée à la substance économique à disposition du contribuable (
ATF 136 II 88
consid. 5.2 p. 97;
ATF 133 I 206
consid. 6 et 7 p. 215 ss;
ATF 99 Ia 638
consid. 9 p. 652 s.).
Chaque personne ou groupe de personnes ayant un revenu identique doit payer un montant d'impôt équivalent (équité fiscale horizontale); les personnes qui ont des revenus différents doivent être imposées différemment. Un contribuable qui a un revenu bas ne saurait devoir payer autant d'impôts qu'un contribuable qui a un revenu élevé (équité fiscale verticale). Il n'est que justice de ne pas réclamer le paiement d'un impôt à quelqu'un qui n'en a pas les moyens. Avec ces trois règles fondamentales, le principe permet de donner un contenu à la notion de justice fiscale aussi bien horizontale que verticale. Il faut néanmoins relever que le principe de la capacité économique (comme la notion de justice fiscale) constitue un concept juridique indéterminé. Sous l'angle de la capacité économique et de la charge fiscale, la situation des différents contribuables se prête relativement facilement à une comparaison horizontale, soit entre contribuables ayant à disposition un même revenu. En revanche, à la lumière du principe de la capacité économique, il est plus difficile de déterminer de combien l'impôt doit augmenter lorsque le revenu augmente d'un montant déterminé, de façon à établir des conditions d'imposition comparables sous l'angle de la capacité économique. Dans ces conditions, il est plus difficile de procéder à une comparaison verticale, ce qui confère au législateur une marge d'appréciation (
ATF 133 I 206
consid. 7.2 p. 218).
Les principes découlant de l'
art. 127 Cst.
sont des droits fondamentaux au même titre que le droit général à l'égalité (
art. 8 Cst.
). Le législateur cantonal est par conséquent aussi tenu de les respecter dans l'aménagement de son système fiscal, en particulier dans celui des impôts directs (
ATF 133 I 206
consid. 6.2 p. 216).
I. Impôt fédéral direct
4.
Est en cause la période fiscale 2010. Le présent cas doit, dès lors, être examiné à la lumière des dispositions du droit de fond
BGE 141 II 338 S. 342
dans leur teneur en vigueur pour ladite période, notamment de l'ancien
art. 214 LIFD
, en vigueur jusqu'au 31 décembre 2013 (RO 2013 2397).
A partir du 1
er
janvier 2001, le canton de Genève a abandonné le système praenumerando bisannuel (IFD) et annuel (ICC) au profit du système postnumerando annuel pour ces deux impôts. Ce sont donc les anciens
art. 208-220 LIFD
qui s'appliquent (cf.
art. 41 LIFD
).
4.1
Il faut relever ici qu'au niveau fédéral, contrairement à ce qui ressort de l'arrêt attaqué et à ce que semble croire la recourante, celle-ci n'a pas bénéficié de la déduction sociale pour enfant (charge de famille). C'est au niveau cantonal que la moitié de cette déduction lui a été accordée. Le barème ordinaire a été appliqué pour les deux catégories d'impôts.
4.2
En vertu de l'
art. 9 al. 1 LIFD
, les revenus des époux qui vivent en ménage commun sont additionnés quel que soit le régime matrimonial. A contrario, en cas de divorce ou de séparation durable de fait ou de droit, les époux sont imposés séparément (cf. art. 5 al. 2 de l'ancienne ordonnance du 16 septembre 1992 sur le calcul dans le temps de l'impôt fédéral direct dû par les personnes physiques [RO 1992 1820], en vigueur jusqu'au 31 décembre 2013; cf. aussi ancien
art. 45 let. a LIFD
).
Sont déduits du revenu net pour chaque enfant mineur, ou faisant un apprentissage ou des études, dont le contribuable assure l'entretien, 6'100 fr. (ci-après: déduction sociale pour enfant; ancien
art. 213 al. 1 let. a LIFD
; cf. aussi art. 7 let. a de l'ancienne ordonnance du 4 mars 1996 sur la compensation des effets de la progression à froid pour les personnes physiques en matière d'impôt fédéral direct [RO 1996 1118]; ci-après: l'ancienne ordonnance du 4 mars 1996).
L'ancien
art. 212 al. 1 LIFD
prévoit, à certaines conditions, la déduction pour assurances-vie et intérêts des capitaux d'épargne (ci-après: la déduction pour assurance); les montants prévus sont augmentés de 700 fr. pour chaque enfant ou personne nécessiteuse pour lesquels le contribuable peut faire valoir la déduction prévue à l'ancien
art. 213 al. 1 let. a ou b LIFD
(cf. aussi art. 6 al. 1 et 2 de l'ancienne ordonnance du 4 mars 1996).
Le barème ordinaire d'imposition est fixé à l'ancien
art. 214 al. 1 LIFD
(ci-après: le barème ordinaire). L'ancien
art. 214 al. 2 LIFD
détermine un barème plus favorable applicable aux époux vivant en ménage commun, ainsi qu'aux contribuables veufs, séparés, divorcés
BGE 141 II 338 S. 343
et célibataires qui vivent en ménage commun avec des enfants ou des personnes nécessiteuses dont ils assument pour l'essentiel l'entretien (ci-après: le barème réduit).
4.3
Ainsi, les contribuables célibataires, veufs, divorcés ou séparés sont soumis au barème de base (ancien
art. 214 al. 1 LIFD
). Parmi ces contribuables, le législateur distingue s'ils ont ou non des enfants.
A condition d'en assurer l'entretien, un contribuable célibataire, veuf, divorcé ou séparé a droit à la déduction sociale pour enfant et à la déduction pour assurances qui lui est liée (ancien
art. 213 al. 1 let. a LIFD
et ancien
art. 212 al. 1 LIFD
). Si, en plus d'en assurer l'essentiel de l'entretien, ce contribuable vit en ménage commun avec l'enfant, il bénéficie du barème réduit (cf.
ATF 131 II 553
consid. 3.4 p. 556). Jugée trop avantageuse par rapport au traitement réservé aux couples mariés avec enfants à charge, cette solution viole le principe de l'imposition selon la capacité économique, comme l'a constaté le Tribunal fédéral à propos de l'ancien
art. 11 al. 1 LHID
, dans sa teneur au 1
er
janvier 2010 qui est identique à celle l'ancien
art. 214 al. 2 LIFD
(
ATF 131 II 697
et
ATF 131 II 710
). Elle s'impose toutefois pour les deux catégories d'impôts (
art. 190 Cst.
), vu le texte clair des dispositions en cause (
ATF 133 II 305
consid. 6.6 p. 312).
4.4
L'Administration fédérale des contributions a émis à l'attention des administrations cantonales de l'impôt fédéral direct la Circulaire n° 7 du 20 janvier 2000 relative à l'imposition de la famille selon la loi fédérale sur l'impôt fédéral direct (LIFD) et à l'attribution de l'autorité parentale conjointement à des parents non mariés et au maintien de l'exercice en commun de l'autorité parentale par des père et mère séparés ou divorcés (ci-après: la Circulaire n° 7; Archives 68 p. 577) applicable à la période fiscale 2010. Les principes figurant dans cette circulaire ont été développés et figurent dans l'actuelle Circulaire n° 30 du 21 décembre 2010 sur l'imposition des époux et de la famille selon la loi sur l'impôt fédéral direct (LIFD).
Pour les parents séparés, divorcés ou non mariés, cette circulaire pose le principe selon lequel l'attribution de l'autorité parentale conjointe ne doit pas entraîner une application multiple du barème réduit et ne doit pas non plus conduire à l'octroi de plusieurs déductions de nature identique pour le même enfant (ch. 3 let. c); en outre, les déductions pour assurances suivent le sort de la déduction sociale pour enfant (ch. 3 let. d).
BGE 141 II 338 S. 344
En conséquence, elle prévoit (ch. 3.II) qu'en cas d'
autorité parentale commune
:
- lorsqu'une
contribution d'entretien
est versée, le parent qui la reçoit est imposé selon le barème réduit (le parent qui la verse peut la déduire de son revenu);
- lorsqu'il n'y a
pas de contributions d'entretien
, il faut se référer à la garde:
- si celle-ci n'est
pas une garde alternée
, le parent vivant avec l'enfant a droit au barème réduit;
- s'il s'agit d'une
garde alternée
de l'enfant par les deux parents (et à défaut du versement par l'un à l'autre d'une contribution pour l'entretien ou en cas d'égalité des contributions de l'un et de l'autre), le critère déterminant est l'importance de la garde exercée par chacun des parents:
- le barème de l'ancien
art. 214 al. 2 LIFD
(et la déduction sociale pour enfant de l'ancien
art. 213 al. 1 let. a LIFD
) sont accordés à celui des parents qui assume la
garde de fait la plus importante
;
- en cas de
garde de même importance
, la déduction et le barème réduit sont accordés à celui des parents qui a le revenu le plus élevé, critère auquel s'en prend la recourante.
4.5
Les déductions sociales et les barèmes ont pour but d'adapter - de manière schématique - la charge d'impôt à la situation personnelle et économique particulière de chaque catégorie de contribuables conformément au principe de l'imposition selon la capacité économique de l'
art. 127 al. 2 Cst.
Ce sont autant d'ajustements légaux de la charge fiscale qui montrent que le législateur fédéral a distingué les catégories de contribuables en fonction de leur capacité économique de façon à établir entre elles et, sous cet angle restreint, une certaine égalité de traitement (
ATF 133 II 305
consid. 5.1 et 5.3 p. 309 ss).
La réglementation légale en matière de déductions comprend nécessairement un certain schématisme en raison de la multiplicité des situations individuelles à considérer, ce qui est toutefois, de manière générale, compatible avec les principes ancrés à l'
art. 127 Cst.
Le Tribunal fédéral a retenu à plusieurs reprises qu'il n'est pas réalisable, pour des raisons pratiques, de traiter chaque contribuable de façon exactement identique d'un point de vue mathématique et que, de ce
BGE 141 II 338 S. 345
fait, le législateur est autorisé à choisir des solutions schématiques. S'il n'est pas possible de réaliser une égalité absolue, il suffit que la réglementation n'aboutisse pas de façon générale à une charge sensiblement plus lourde ou à une inégalité systématique à l'égard de certaines catégories de contribuables (cf.
ATF 128 I 240
consid. 2.3 p. 243 et les arrêts cités). A cela s'ajoute que les possibilités de comparer les différentes situations restent limitées (
ATF 120 Ia 329
consid. 4c-e p. 336-338;
ATF 118 Ia 1
consid. 3c p. 4/5) et qu'il existe un risque de créer de nouvelles inégalités (
ATF 133 II 305
consid. 5.1 p. 309 s.;
ATF 132 I 157
consid. 4.2 p. 163).
5.
5.1
Dans l'
ATF 133 II 305
, le Tribunal fédéral s'est prononcé sur le critère de la garde alternée, lorsqu'aucune contribution d'entretien n'est versée et que cette garde est d'importance inégale, voulant que la déduction sociale pour enfant (ancien
art. 213 al. 1 let. a LIFD
) et le barème réduit de l'ancien
art. 214 al. 2 LIFD
soient accordés à celui des parents qui assume la garde de fait la plus importante. Il a estimé que, dans la mesure où la garde de l'enfant suppose son entretien et où l'importance de la garde exercée par chacun des parents permet de déterminer qui assure (l'essentiel de) l'entretien de l'enfant, cette solution est conforme à la loi sur l'impôt fédéral direct (
ATF 133 II 305
consid. 8.3 p. 316); le parent qui exerce la garde la plus importante peut être considéré comme celui subvenant par ses propres moyens à la plus grande part de l'entretien de l'enfant et peut donc bénéficier de la déduction sociale pour enfant et celle pour assurances (
ATF 133 II 305
consid. 8.5 p. 317); en conséquence, ce critère est conforme aux anciens art. 212 al. 1 et 213 al. 1 LIFD.
5.2
Comme le rappelle l'Administration fiscale, le Tribunal fédéral a abouti à la même conclusion pour le cas où la garde alternée est d'égale importance: accorder les déductions en cause à celui des parents qui a le revenu le plus élevé relève de l'opportunité, puisqu'elle conduit à accorder la solution la plus favorable au plan fiscal, supposant que le parent le plus aisé contribue de manière plus importante à l'entretien de l'enfant; à défaut de solution préférable, cette solution est conforme aux anciens art. 212 al. 1 et 213 al. 1 LIFD (
ATF 133 II 305
consid. 8.5 p. 317; cf. aussi SJ 2008 I p. 318 = RtiD 2008 I p. 957, 2A.683/2006 consid. 6.2 i.f.).
6.
6.1
Juger que le critère du revenu le plus élevé, critère qui émane donc d'une circulaire de l'administration, est conforme aux
BGE 141 II 338 S. 346
dispositions susmentionnées, et par conséquent à l'ancien
art. 214 al. 2 LIFD
qui reprend la même condition (assumer l'essentiel de l'entretien de l'enfant), n'équivaut cependant pas à juger qu'il est conforme à l'
art. 127 Cst.
Il s'agit donc d'examiner si le principe constitutionnel invoqué par la recourante est respecté par le critère du revenu le plus élevé.
En effet, les directives administratives s'adressent aux organes d'exécution et n'ont pas d'effets contraignants pour le juge. Le juge peut en tenir compte lorsqu'elles permettent une application correcte des normes légales dans un cas concret, mais il doit s'en écarter lorsqu'elles posent des règles qui ne sont pas conformes à l'ordre juridique (
ATF 141 III 173
consid. 3.2.2.2 p. 183;
ATF 133 V 346
consid. 5.4.2 p. 352;
ATF 132 V 121
consid. 4.4 p. 125;
ATF 131 V 42
consid. 2.3 p. 45 s.)
6.2
On constate que les solutions retenues pour accorder la déduction sociale pour enfant et le barème réduit sont basées sur des critères factuels qui ont, sous réserve d'exception (un tiers peut se voir attribuer la garde de l'enfant), une incidence économique directe sur la situation des contribuables: l'autorité parentale (qui en principe implique l'entretien), le ménage commun avec l'enfant, la contribution d'entretien, la garde. Le parent qui a la garde et fait ménage commun avec l'enfant doit supporter les coûts en découlant; celui qui reçoit une contribution d'entretien voit le montant à disposition pour les besoins de l'enfant (et son revenu imposable) augmenté d'autant, etc. Tel n'est pas le cas du critère du revenu le plus élevé. En effet, affirmer que le parent avec le revenu le plus élevé assure l'essentiel de l'entretien de l'enfant relève de l'hypothèse. Or, cette hypothèse peut se révéler infondée. En effet, des parents qui se séparent et qui prévoient une autorité parentale conjointe et une garde alternée équivalente et qui, de plus, renoncent au versement d'une contribution d'entretien, ont la claire volonté de s'occuper de façon aussi égale que possible de l'enfant et, plus particulièrement, de participer à son entretien également de façon équivalente. Cette volonté ressort d'ailleurs du jugement de divorce de la recourante qui prévoit que celle-ci et son ex-époux subviennent chacun à l'entretien de l'enfant pendant leur période de prise en charge et versent un certain montant sur un compte commun destiné à régler les autres frais nécessaires. En conséquence, le parent qui a le plus petit revenu supporte proportionnellement à son revenu une charge relative à l'entretien de l'enfant plus importante. Dans un tel cas de figure, le contribuable qui assure proportionnellement le moins l'entretien
BGE 141 II 338 S. 347
de l'enfant est celui qui a le revenu le plus élevé. Dès lors, intrinsèquement, le faire bénéficier des avantages du barème réduit et des déductions en cause ne respecte pas le principe de la capacité contributive. En l'espèce, le revenu brut 2010 de la recourante pour l'IFD s'élevait à 108'611 fr et celui de son ex-mari à 128'048 fr.; les revenus imposables se montaient à 82'400 fr. pour la recourante (après déduction de 1'700 fr. pour les primes d'assurances) respectivement 96'500 fr. pour son ex-époux (après déduction de 2'618 fr. pour les primes d'assurances et de 6'100 fr. pour charge de famille). L'ex-conjoint de la recourante avait ainsi à disposition un revenu brut supérieur de 17,9 % et un revenu imposable supérieur de 17,1 %. Les revenus imposables sont cependant difficilement comparables notamment parce qu'à ce stade l'ex-époux a déjà pu déduire de son revenu les déductions sociales pour enfant et pour assurances. Or, malgré cette différence de revenu et le fait que la recourante supporte une charge d'entretien plus lourde que son ex-mari proportionnellement à leur revenu respectif, celle-ci s'est vue soumise à un impôt quasiment identique puisqu'elle a dû acquitter un impôt fédéral direct de 1'928 fr. contre 1'970 fr. pour son ex-conjoint (l'impôt de celui-ci n'est supérieur que de 2,2 %).
Il découle de ce qui précède que, dans une telle situation, accorder le barème réduit (seul ici en cause, à l'exclusion de la déduction sociale et de celle pour assurance) au parent qui a le revenu le plus élevé viole le principe de la capacité économique verticale, puisque cela aboutit à soumettre les deux contribuables à un impôt presque égal alors que l'ex-époux a un revenu brut supérieur de 17,9 %. Cela même si l'équité fiscale est quelque peu rétablie par la progressivité moindre du taux d'imposition pour le plus petit revenu, l'ancien
art. 214 LIFD
étant un barème progressif par tranches de revenu. Cette progressivité se fonde d'ailleurs sur le principe que les contribuables ayant des revenus élevés ont une capacité économique proportionnellement supérieure à celle de personnes dont le revenu est modeste (CHRISTINE JAQUES, in Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, n° 5 ad
art. 214 LIFD
).
6.3
6.3.1
Il convient, en conséquence, d'examiner si l'ancien
art. 214 al. 2 LIFD
peut être interprété de façon à respecter l'
art. 127 Cst.
, le critère du revenu le plus élevé émanant de la Circulaire n° 7 et non de la loi.
BGE 141 II 338 S. 348
Le texte de l'
art. 214 al. 2 LIFD
prévoit que le tarif réduit est notamment accordé aux contribuables séparés ou divorcés qui vivent en ménage commun avec des enfants dont ils assument "pour l'essentiel l'entretien" ("deren Unterhalt zur Hauptsache bestreiten"; "al cui sostentamento provvedono in modo essenziale"). Le libellé de cette disposition démontre que le législateur, qui n'a pas envisagé la situation présente, soit l'absence de contribution d'entretien, la garde alternée équivalente et la parité dans l'entretien de l'enfant, n'a entendu faire bénéficier du tarif réduit qu'un seul des deux parents. Il faut néanmoins constater que, dans une constellation où la volonté parentale est de tout partager de façon équitable (y compris l'entretien de l'enfant), il est difficile de rattacher l'enfant à un parent, comme le veut le système prévu par la loi sur l'impôt fédéral direct (système selon lequel les enfants sont rattachés à un parent unique ou à un couple qui forme une unité économique; cf.
art. 9 LIFD
et
ATF 133 II 305
consid. 8.6 p. 318). Or, ce système perdure (CHRISTINE JAQUES, Les frais liés à l'entretien de l'enfant: de quelques développements sur les allégements fiscaux en vigueur dès 2011, Archives 80 p. 234) même avec la modification législative (RO 2010 455), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2011, relative notamment à l'octroi de la contribution sociale pour enfant, selon laquelle, lorsque les parents sont imposés séparément, cette déduction est répartie par moitié s'ils exercent l'autorité parentale en commun et ne demandent pas la déduction d'une contribution d'entretien pour l'enfant selon l'
art. 33 al. 1 let
. c LIFD (ancien
art. 213 al. 1 let. a LIFD
dans sa teneur dès le 1
er
janvier 2011 et actuel
art. 35 al. 1 let. a LIFD
). Ceci dit, si le barème réduit pouvait être accordé aux deux parents, l'équité fiscale verticale entre ceux-ci, dans le cas de figure qui nous occupe, serait respectée. L'équité fiscale horizontale devrait cependant aussi être prise en compte, soit ici notamment celle avec un couple marié faisant ménage commun dont les revenus sont additionnés. Or, le Tribunal fédéral a jugé qu'accorder le barème réduit aux deux parents séparés violerait précisément l'équité par rapport à ce couple (
ATF 131 II 553
consid. 3.4 p. 556).
Quoi qu'il en soit, compte tenu du texte de l'
art. 214 al. 2 LIFD
, seul un des parents a droit au barème réduit. La solution qui s'impose dans la perspective du respect du principe de la capacité contributive verticale est celle consistant à octroyer le barème réduit au parent qui a le plus petit revenu. Cette façon de procéder se voit justifiée par le fait que, dès lors que les deux parents supportent à parts
BGE 141 II 338 S. 349
égales les coûts engendrés par l'enfant, le plus petit revenu supporte proportionnellement la charge la plus importante.
6.3.2
La jurisprudence doit donc être précisée comme suit. Dans la constellation où les époux divorcés ont l'autorité parentale conjointe, la garde alternée équivalente et où aucune contribution d'entretien n'est versée, il est supposé que le parent qui a le revenu le plus élevé contribue de manière plus importante à l'entretien de l'enfant (
ATF 133 II 305
consid. 8.5 p. 317) et ce parent bénéficie du barème réduit. Lorsque cette hypothèse s'avère infondée car, comme en l'espèce, les parents contribuent à l'entretien de l'enfant à parts égales en versant chacun le même montant (à cet égard, seul le jugement de divorce doit en principe être pris en compte; cf.
ATF 131 II 553
consid. 3.5 p. 557 s.), le barème réduit doit être accordé à celui des parents qui a le revenu le plus faible. La Circulaire n° 7 ne mentionnait pas s'il s'agissait du revenu brut ou du revenu net. En revanche, la Circulaire n° 30 (ch. 13.4.2) précise que doit être retenu le revenu net.
6.4
En conclusion, lorsque les parents ont l'autorité parentale conjointe, la garde alternée équivalente, où aucune contribution d'entretien n'est versée et où les parents ont convenu de prendre en charge l'entretien de l'enfant à parts égales, la solution prévue par l'Administration fédérale des contributions dans la Circulaire n° 7 qui consiste à accorder le barème réduit de l'
art. 214 al. 2 LIFD
au parent qui a le revenu le plus élevé viole l'
art. 127 al. 2 Cst.
Dans cette situation, l'
art. 214 al. 2 LIFD
doit être interprété en ce sens que le barème réduit doit être octroyé au parent qui a le revenu net le moins élevé.
Le recours est ainsi admis en tant qu'il concerne l'impôt fédéral direct de la période fiscale 2010 et la recourante doit bénéficier du barème réduit de l'
art. 214 al. 2 LIFD
.
II. Impôts cantonal et communal
7.
Selon l'
art. 11 al. 1 LHID
, dans sa teneur au 1
er
janvier 2010, l'impôt des personnes mariées vivant en ménage commun doit être réduit de manière appropriée par rapport à celui des personnes vivant seules; cette même réduction est valable pour les contribuables veufs, séparés, divorcés ou célibataires qui font ménage commun avec des enfants ou des personnes nécessiteuses et dont ils assurent pour l'essentiel l'entretien; le droit cantonal détermine si la
BGE 141 II 338 S. 350
réduction est accordée sous forme d'une déduction en pour cent sur le montant de l'impôt, dans des limites exprimées en francs, ou sous forme de barèmes différents pour les personnes seules et les personnes mariées.
Bien qu'il ait déjà été jugé (
ATF 131 II 697
et 710) que cette disposition empiétait sur la compétence tarifaire des cantons (art. 129 al. 2 in fine Cst. et art. 1 al. 3 in fine LHID) et qu'elle ait été modifiée (RO 2010 455; FF 2009 4237; modification qui n'est applicable que depuis le 1
er
janvier 2011), pour la période fiscale 2010, ce régime s'impose aux cantons dont le choix ne peut porter que sur les différents modes de réduction et non sur les conditions auxquelles la réduction est soumise.
L'art. 41 al. 1 de la loi genevoise du 27 septembre 2009 sur l'imposition des personnes physiques (LIPP; rsGE D 3 08), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2010, prévoit donc un barème de base; pour les époux vivant en ménage commun (al. 2), ainsi que les contribuables célibataires, veufs, divorcés, séparés de corps ou de fait, qui font ménage commun avec leurs enfants mineurs ou majeurs ou un proche qui constituent des charges de famille et dont ils assurent pour l'essentiel l'entretien (al. 3), le taux appliqué est réduit de 50 % par rapport au barème de base (splitting).
L'Administration fiscale cantonale a émis l'Information n° 2/2011, applicable à la période fiscale en cause. Elle y précise ce que signifie assurer "pour l'essentiel l'entretien" de l'enfant, critère auquel elle doit recourir compte tenu de l'
art. 11 al. 1 LHID
. A cet égard, elle fait une distinction entre l'octroi de la déduction sociale pour enfant et l'octroi du splitting. La première, lorsqu'il n'y a pas de versement de pension alimentaire et que les deux parents assurent l'entretien de l'enfant, est partagée entre eux de manière paritaire (Information n° 2/2011 ch. 2.2). C'est pour cette raison que la recourante a obtenu la moitié de cette déduction sur le plan cantonal. En revanche, pour l'octroi du barème, l'Administration fiscale applique le critère du revenu brut le plus élevé. Le revenu brut de la recourante et celui de son ex-mari s'élevaient pour l'ICC 2010 à 108'611 fr. respectivement 128'048 fr., soit un revenu brut supérieur de 18,0 % pour l'ex-mari. Or, ils ont dû acquitter un ICC de 12'548 fr. respectivement 13'825 fr., c'est-à-dire de 10,2 % plus élevé pour lui.
Les considérations développées ci-dessus pour l'impôt fédéral direct s'appliquent donc mutatis mutandis pour les impôts cantonal et
BGE 141 II 338 S. 351
communal si ce n'est que pour ceux-ci l'Administration fiscale prend en considération le revenu brut. Partant, le recours est également admis en tant qu'il concerne les impôts cantonal et communal sur le revenu de la période fiscale 2010 et le barème réduit de l'art. 41 al. 3 LIPP doit être appliqué à la recourante. | public_law | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d7a15090-11fb-4a87-8391-6ed2a4f361bc | Urteilskopf
101 IV 95
26. Urteil des Kassationshofes von 7. März 1975 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen B. | Regeste
Verordnung vom 10. Januar 1973 über die Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte, Art. 1 lit. b.
Unter das Verbot, durch unaufgeforderte Zustellung von Drucksachen und Streuprospekten für Abzahlungsgeschäfte zu werben, fällt auch die Verteilung solcher Prospekte als Beilage einer Zeitung oder Zeitschrift. | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 101 IV 95 S. 95
A.-
Im Herbst 1973 hat die Einzelfirma F. B., Import-Versand, als Beilage der Zeitschrift "Schweizerischer Beobachter" einen 16 Druckseiten umfassenden Prospekt "Hazy Osterwald: ça c'est de la musique", der unter anderem für den Abschluss von Abzahlungsgeschäften wirbt, verteilen lassen, und zwar als lose Beilage der Zeitschrift.
B.-
Mit Verfügung von 26. März 1974 bestrafte das Eidg. Finanz- und Zolldepartement die Firma wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen Art. 1 lit. b der Verordnung des Bundesrates vom 10. Januar 1973 über die Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte, sowie wegen einer andern hier nicht interessierenden Widerhandlung gegen die gleiche Verordnung zu einer Busse von Fr. 200.--, gestützt auf Art. 10 Abs. 1 des Bundesbeschlusses vom 20. Dezember 1972 über Massnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens.
Die Firma verlangte gemäss Art. 324 f. BStP die gerichtliche
BGE 101 IV 95 S. 96
Entscheidung, worauf der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich sie von der Widerhandlung gegen Art. 1 lit. b der Verordnung freisprach und die Busse für das verbleibende Delikt auf Fr. 100.-- ansetzte.
Eine von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft gegen diesen Freispruch eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde hat das Obergericht des Kantons Zürich am 30. Oktober 1974 abgewiesen.
C.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die Bundesanwaltschaft, der Beschluss des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung der Firma an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Firma beantragt Abweisung der Beschwerde; die Vorinstanz verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 1 lit. b der Verordnung über die Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte (VKA) in der Fassung vom 10. Januar 1973 (AS 1973 88) wie auch in der Fassung vom 16. Januar 1974 (SR 951.911) ist es untersagt, durch unaufgeforderte Zustellung von Drucksachen und Streuprospekten für Abzahlungsgeschäfte zu werben. Zweck dieser den Bundesbeschluss vom 20. Dezember 1972 über Massnahmen auf dem Gebiet des Kreditwesens (BMK, SR 951.90) ausführenden Verordnung sind die Einschränkung des Kreditvolumens und die Bremsung der Nachfrage (BBl 1972 II 1556 f.).
Verlangt ein Interessent das Werbematerial, so darf es ihm zugestellt werden. Strafbar ist dagegen die Zustellung derartiger Drucksachen, ohne dass der Empfänger sie angefordert hat. Dabei ist rechtlich ohne Belang, wer als Absender auftritt, d.h. ob ein Prospekt direkt von dessen Auftraggeber, von einem Adressenverlag, einem Presseunternehmen oder einer anderen Person verschickt wird.
Fällt nach den Umständen als Strafe eine Busse von nicht mehr als 10'000 Franken in Betracht und wird die Widerhandlung im Geschäftsbetrieb einer Einzelfirma begangen, so kann diese bestraft und von der Verfolgung der verantwortlichen Person Umgang genommen werden (BMK Art. 10 Abs. 4).
2.
Das Kriterium der Aufforderung wurde unter anderem gewählt, um die finanzielle Lage der Informations- und
BGE 101 IV 95 S. 97
Meinungspresse nicht durch eine Schmälerung des bisherigen Inseratenvolumens zu erschweren. Massgebend war die Überlegung, der Käufer oder Abonnent einer Zeitung oder Zeitschrift wolle jeweils das ganze Presseerzeugnis erwerben, also auch die darin enthaltene Werbung. Diese falle daher nicht unter das Verbot unverlangter Zustellung von Werbematerial für Abzahlungsgeschäfte.
3.
Das Obergericht verweist auf die Erfahrungstatsache, dass schon lange vor Inkrafttreten der VKA gelegentlich oder regelmässig Prospekte als Beilagen von Zeitungen und Zeitschriften zugestellt wurden. Da die Pressewerbung absichtlich vom Verbot gemäss
Art. 1 VKA
ausgenommen werden sollte, sei die Verzeigte mit Recht freigesprochen worden. Eine unaufgeforderte Zustellung von Streuprospekten im Sinne der Verordnung liege nur vor, wenn die Reklamen selbständig, unabhängig von einem Presseerzeugnis verteilt würden.
Demgegenüber hält die Bundesanwaltschaft daran fest, der Käufer oder Abonnent einer Zeitschrift könne wohl die Abgabe eines Exemplares einschliesslich der Inseratenseiten erwarten und verlangen, nicht aber die zusätzliche Abgabe einer von der betreffenden Zeitschrift völlig losgelösten Drucksache, die ausschliesslich für das Angebot eines Versandhauses werbe.
4.
Wer eine Zeitung oder Zeitschrift kauft oder abonniert, will die vollständigen Exemplare des Presseerzeugnisses erhalten. Das gilt auch für den Inseratenteil, gleichgültig, ob der Erwerber sich im Einzelfall für einzelne oder alle Inserate interessiert oder daran kein Interesse hat. Möglicherweise ist er auch am Textteil nur in beschränktem Umfang interessiert. Trotzdem ist davon auszugehen, dass er die Zeitung oder Zeitschrift als Ganzes verlangt.
Anders verhält es sich mit Prospekten, wie sie erfahrungsgemäss in Presseerzeugnissen gelegentlich und bisweilen auch nur einem Teil der Auflage beigelegt werden. Zwar trifft es zu, dass dieses Werbemittel nicht neu ist. Es bildet jedoch eher die Ausnahme und unterscheidet sich auch meist in Format, Umfang und graphischer Gestaltung deutlich vom Presseerzeugnis und den darin erscheinenden Inseraten. Diese Art der Werbung ist nicht so verbreitet, dass gesagt werden könnte, der durchschnittliche Käufer oder Abonnent rechne mit der Beilage solcher Prospekte und verlange somit deren Zustellung.
BGE 101 IV 95 S. 98
Durch diese engere Auslegung werden die schutzwürdigen Interessen der Meinungspresse, die bei Erlass der VKA berücksichtigt werden sollten, nicht verletzt. Die Beschränkung der direkten Werbung durch Prospekte dürfte im Gegenteil die eigentliche Inseratenwerbung in Zeitschriften und Zeitungen fördern. Umgekehrt würde durch die vom Obergericht vertretene Auffassung einer Umgehung des Verbots der Zustellung unverlangter Prospekte Tür und Tor geöffnet, indem Werbematerial aller Art durch Zeitungen und Zeitschriften verbreitet werden könnte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur Verurteilung der Beschwerdegegnerin an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d7a4d114-5ca7-4928-a0f3-5c45ee0f0416 | Urteilskopf
121 III 88
23. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 25. April 1995 i.S. K. N. (Rekurs) | Regeste
Anfechtung eines Zuschlags; Publikation der Steigerung nach
Art. 138 SchKG
und
Art. 29 Abs. 4 VZG
.
Die erste Steigerungspublikation nach
Art. 138 SchKG
ist eine Betreibungshandlung im Sinne von
Art. 56 SchKG
; die zweite gemäss
Art. 29 Abs. 4 VZG
ist eine bloss an die Gläubiger gerichtete Bekanntmachung, und der Schuldner hat kein schutzwürdiges Interesse, deren Modalitäten in Frage zu stellen; insbesondere kann er sich nicht beschweren, dass die 10tägige Frist zur Wiederholung der Steigerungspublikation nicht eingehalten und letztere während der Betreibungsferien vorgenommen worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 89
BGE 121 III 88 S. 89
Auf Begehren der Bank Y. fand am 13. Mai 1994, 15.00 Uhr, in X. die Zwangsversteigerung der sich im Eigentum von K. N. befindlichen Liegenschaft GB Nr. 874, KTN 282, Gemeinde X., statt.
K. N. erhob am 24. Mai 1994 Beschwerde mit dem Antrag, der Zuschlag sei aufzuheben und das Verfahren von der Bekanntmachung an zu wiederholen. Der Bezirksgerichtspräsident der March wies die Beschwerde am 7. Oktober 1994 ab, soweit darauf einzutreten war. Auf Beschwerde von K. N. hob das Kantonsgericht des Kantons Schwyz als obere Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs den Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten am 13. Februar 1995 im Kostenpunkt auf und wies die Beschwerde im übrigen ab, soweit es darauf eintrat.
Mit Rekursschrift vom 13. März 1995 an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts verlangt der Rekurrent im wesentlichen die Aufhebung des Zuschlages und die Wiederholung des Betreibungsverfahrens seit der Bekanntmachung.
Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz beantragt die Abweisung des Rekurses, soweit darauf eingetreten werden könne.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
Der Rekurrent wirft der oberen Aufsichtsbehörde vor, sie habe im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Versteigerung der Liegenschaft Bundesrecht verletzt, weil zum einen die 10tägige Frist zur Wiederholung der Bekanntmachung gemäss
Art. 29 Abs. 4 VZG
(SR 281.42) nicht eingehalten worden und zum andern diese Amtshandlung in die Betreibungsferien gefallen sei.
a) Die Steigerungspublikation soll die Vorbereitung und auch die spätere,
BGE 121 III 88 S. 90
sachgemässe Durchführung der Versteigerung ermöglichen (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Aufl. Bern 1993, S. 238, N 15). Sie muss daher die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben enthalten und mindestens einen Monat vor dem Versteigerungstermin erfolgen (
Art. 138 SchKG
,
Art. 29 VZG
). Ist das Lastenverzeichnis erstellt und endgültig bereinigt sowie die Liegenschaft neu geschätzt, dann sind die Steigerungsbedingungen festzulegen (
Art. 140 SchKG
;
BGE 119 III 26
E. 2a S. 27) und mindestens zehn Tage vor der Versteigerung im Betreibungsamt öffentlich aufzulegen (
Art. 134 Abs. 2 SchKG
). Für die Verwertung von Liegenschaften gilt insbesondere: die vorgeschriebene öffentliche Bekanntmachung muss einen möglichst grossen Kreis Interessierter erreichen. Eine Publikation im kantonalen Amtsblatt gemäss
Art. 35 SchKG
ist dabei ebenso unabdingbar wie die in
Art. 139 SchKG
vorgesehenen Spezialanzeigen (
BGE 110 III 30
E. 2 S. 31/32). Ein Fehler bei der Publikation kann einen Grund für eine Anfechtung der Versteigerung abgeben (GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Aufl., S. 230).
b) Die obere Aufsichtsbehörde führt aus, gemäss
Art. 29 Abs. 4 VZG
sei die Bekanntmachung der Steigerung zehn Tage vor Ablauf der Anmeldungsfrist von Ansprüchen an Liegenschaften, insbesondere betreffend Zinsen und Kosten, zu wiederholen. Im vorliegenden Fall sei die Frist für entsprechende Eingaben auf den 14. April 1994 anberaumt worden. Die Wiederholung der Steigerungsanzeige sei am 8. April 1994 im Amtsblatt Nr. 14 vorgenommen worden, womit die 10tägige Frist nicht eingehalten worden sei. Die Aufsichtsbehörde fährt fort, die Frist zur Einhaltung der 10tägigen Frist diene dem Interesse eines Gläubigers, dessen Forderung noch nicht im Grundbuch eingetragen sei. Der Schuldner sei davon nicht betroffen. Gemäss AMONN (a.a.O., S. 58, N. 19) stehe das Beschwerderecht nur demjenigen zu, der durch eine betreibungsrechtliche Verfügung oder Unterlassung in seinen Rechten betroffen sei und ein eigenes Interesse an der Aufhebung, Änderung oder Vornahme einer bestimmten Verfügung habe. So sei der Gemeinschuldner gemäss
BGE 72 III 27
E. 1 S. 29 nur insoweit zur Beschwerde legitimiert, als dadurch Rechte verletzt würden, die als dem Schuldner garantiert gälten.
Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass der Rekurrent in diesem Punkt nicht beschwert ist; denn ein unbekannter Gläubiger, der sich innert der 10tägigen Frist nicht anmeldet, ist von der Teilnahme am Ergebnis der Verwertung ausgeschlossen (
Art. 138 Abs. 2 Ziff. 3 SchKG
). Die Nichtteilnahme von Gläubigern entlastet den Schuldner allenfalls, greift
BGE 121 III 88 S. 91
also nicht in dessen Rechtslage ein. Was der Rekurrent gegen die Rechtsauffassung des Kantonsgerichts vorträgt, genügt den Anforderungen an die Rekursbegründung gemäss
Art. 79 Abs. 1 OG
nicht.
c) Das Kantonsgericht hält weiter fest, mit Ausnahme der Wiederholung der Publikation habe kein Termin und keine Frist - insbesondere nicht die erste Bekanntmachung - während der Betreibungsferien stattgefunden. Nur Betreibungshandlungen seien für die Betreibungsferien von Bedeutung. Die Verwertung einer Liegenschaft sei eine solche. Fraglich sei jedoch, ob die Publikation der Steigerung eine Betreibungshandlung darstelle, und noch ungewisser sei dies mit Bezug auf die Wiederholung der Publikation. Die Vorinstanz hat diese Frage offengelassen, weil der Rekurrent durch die während der Betreibungsferien vorgenommene Wiederholung der Steigerungspublikation nicht beschwert sei.
Der Rekurrent erblickt darin eine Verletzung von
Art. 56 ff. SchKG
und zugleich einen Nichtigkeitsgrund.
aa) Eine Betreibungshandlung im Sinne von
Art. 56 SchKG
liegt nur vor, wenn eine Amtshandlung der hiefür zuständigen Behörde den Betreibenden seinem Ziel näherbringt und in die Rechtsstellung des Betriebenen eingreift (
BGE 120 III 9
E. 1 S. 10,
BGE 117 III 4
E. 2). Als Betreibungshandlungen, die während der Ferien nicht vorgenommen werden dürfen, hat das Bundesgericht alle derartigen Handlungen der Vollstreckungsbehörden - Betreibungs- und Konkursbeamten, Aufsichtsbehörden, Rechtsöffnungs- und Konkursrichter - bezeichnet (
BGE 115 III 6
E. 5 S. 10 mit Hinweisen). Ohne Zweifel stellt die Verwertung der Liegenschaft eine solche qualifizierte Amtshandlung dar. Bei den mit der Bekanntmachung der Steigerung zusammenhängenden Handlungen ist zu unterscheiden. Gemäss einem Schreiben des Betreibungsinspektorates des Kantons Zürich, auf das sich das Kantonsgericht beruft, darf die erste Steigerungspublikation (
Art. 138 SchKG
) nicht während der Betreibungsferien stattfinden, dagegen jedoch die zweite. Die Publikation der Steigerung - wie die Auflegung der Steigerungsbedingungen - zählt zu den Betreibungshandlungen, weil die Beschwerdefrist gegen die Steigerung mit deren Bekanntmachung beginnt und weil das Inkrafttreten derselben für den Schuldner wichtige Rechtsfolgen auslöst (JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, N. 3 zu
Art. 56 SchKG
, S. 123, und N. 6 zu
Art. 138 SchKG
, S. 453). Daraus folgt, dass die erste Publikation nicht in die Betreibungsferien fallen darf. Die zweite im Sinne von
Art. 29 Abs. 4 VZG
hat ausschliesslich
BGE 121 III 88 S. 92
zum Ziel, die Gläubiger an die Anmeldung ihrer Ansprüche an der Liegenschaft zu erinnern (
Art. 138 Abs. 2 Ziff. 3 SchKG
). Der Schuldner kann deshalb nicht eine Verletzung dieser Bestimmung geltend machen und die Rechtmässigkeit des Verwertungsverfahrens in Frage stellen. Die Betreibungsferien (
Art. 56 Ziff. 3 SchKG
) bezwecken, dass der Schuldner zu gewissen Zeiten nicht dem Drängen seiner Gläubiger ausgesetzt ist (
BGE 120 III 9
E. 1 mit Hinweisen). Diese Schonzeit wird durch die an die Gläubiger gerichtete Bekanntmachung im Sinne von
Art. 29 Abs. 4 VZG
in keiner Weise gestört.
bb) Der Schuldner hat ein berechtigtes Interesse daran, dass mit der Publikation der Steigerung möglichst viele potentielle Käufer erreicht werden, um einen optimalen Zuschlag zu erreichen. Insofern kommt die zweite Publikation gemäss
Art. 29 Abs. 4 VZG
auch diesem Anliegen des Schuldners entgegen. Letzterer kann jedoch nach dem Gesagten nicht unter Berufung auf
Art. 56 Ziff. 3 SchKG
geltend machen, die zweite Bekanntmachung am 8. April 1994 hätte nicht in die Betreibungsferien fallen dürfen, da das Amtsblatt während dieser Zeit weniger gelesen werde. Dieser Einwand geht zudem auch deswegen fehl, weil gemäss dem angefochtenen Beschluss die Steigerung neben den Vermerken im Amtsblatt (am 25. März, 8. April und 6. Mai 1994) noch im "March-Anzeiger" (am 24. März und am 4. Mai 1994) sowie im "Tages-Anzeiger" vom 4. Mai 1994 publiziert wurde. Insoweit der Rekurrent Gegenteiliges vorträgt, kann darauf nicht eingetreten werden (Art. 63 Abs. 2 i.V.m.
Art. 81 OG
).
d) Das Kantonsgericht hat gestützt auf AMONN (a.a.O., S. 101, Rz. 41) ausgeführt, dass Amtshandlungen während der Betreibungsferien nicht generell nichtig, sondern in der Regel bloss anfechtbar seien. Gleicher Ansicht sind auch FRITZSCHE/WALDER (Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, 3. Aufl., § 13 Rz. 22, S. 129) und GILLIÉRON (a.a.O., S. 99 f.). Diese Auffassungen sind zutreffend. Die Wiederholung der Steigerungspublikation während der Betreibungsferien ist in der Tat keine nichtige Amtshandlung. Denn nach dem Gesagten wurden keine berechtigten Interessen des Schuldners oder anderer verletzt, weshalb die vom Betreibungsamt im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Verwertung begangenen Verfahrensfehler nicht von derart grosser Tragweite sind, wie dies für die Nichtigkeit gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangt wird (vgl. dazu etwa
BGE 96 III 31
ff.,
BGE 117 III 39
E. 4 S. 42 ff.).
BGE 121 III 88 S. 93
Eine Verletzung von Bundesrecht liegt somit nicht vor, weshalb eine Aufhebung des Zuschlags nicht in Frage kommt. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d7a61d67-83cb-44a1-bd20-c2119bd8bae4 | Urteilskopf
114 V 274
51. Urteil vom 28. Oktober 1988 i.S. Krankenkasse SBB gegen S. und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 1 Abs. 2 Satz 2,
Art. 5 Abs. 1 und 3 KUVG
,
Art. 4 BV
: Anspruch auf Höherversicherung.
- In der Krankenversicherung besteht kein gesetzlicher Anspruch, sich für Leistungen versichern zu lassen, welche die gesetzlichen oder statutarischen Leistungsminima übersteigen (Erw. 2a).
- Sehen die Statuten keinen Anspruch auf Höherversicherung vor, kann ein solches Recht weder aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip noch aus dem Grundsatz der Gegenseitigkeit abgeleitet werden (Erw. 4a und d).
- Zur Freiheit der Kasse, den Massstab für das ihr tragbar erscheinende Morbiditätsrisiko bestimmen zu können (Erw. 4b).
- Ansprüche auf Höherversicherung unter dem Titel rechtsgleicher Behandlung (Erw. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 274
BGE 114 V 274 S. 274
A.-
Der 1943 geborene Gerhard S. ist Mitglied der Krankenkasse SBB und bei dieser in der Klasse A2 (unbeschränkte Deckung bei Heilanstaltsaufenthalt für die Kosten der halbprivaten Abteilung) versichert. Er steht seit 1982 wegen paranoider Reaktionen in psychiatrischer Behandlung bei Dr. med. H. Im April 1982 und Oktober 1984 musste er infolge einer psychotischen
BGE 114 V 274 S. 275
Episode für jeweils knapp zwei Wochen hospitalisiert werden (Psychiatrische Privatklinik W). Ausserhalb der psychotischen Phasen bestand zeitweise eine depressive Symptomatik. Am 30. Oktober 1986 stellte er das Gesuch um Erhöhung seiner Krankenpflegeversicherung durch Übertritt von der Klasse A2 in die Klasse A3 (unbeschränkte Deckung bei Heilanstaltsaufenthalt für Kosten der privaten Abteilung). Die ambulante psychotherapeutische Behandlung war in diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Die Kasse wies das Gesuch mit Verfügung vom 10. Dezember 1986 aus medizinischen Gründen ab.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Bern in dem Sinne gut, dass es die Akten an die Kasse zurückwies, damit diese in medizinischer Hinsicht abkläre, ob der Versicherte ein so hohes Krankheitsrisiko aufweise, dass sich eine Ablehnung der Höherversicherung rechtfertige. Dabei sei ebenfalls zu prüfen, ob nach Massgabe des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht auch die Gewährung der Höherversicherung unter Anbringung eines Versicherungsvorbehaltes genügen könnte (Entscheid vom 16. Juni 1987). Nach Eingang der Berichte der Privatklinik W. vom 14. September 1987 und des behandelnden Psychiaters Dr. med. H. vom 29. Juli 1987 wies die Kasse das Gesuch um Höherversicherung mit Verfügung vom 6. Oktober 1987 erneut vollumfänglich ab.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Bern mit der Begründung gut, dass bei Gerhard S. das Risiko erneuter psychotischer Episoden "äusserst gering" sei und deshalb nicht von einem erhöhten Versicherungsrisiko gesprochen werden könne. Unter diesen Umständen rechtfertige sich auch kein Versicherungsvorbehalt (Entscheid vom 14. Dezember 1987).
C.-
Die Krankenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid vom 14. Dezember 1987 sei aufzuheben.
Der Versicherte und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 5 Abs. 1 KUVG
hat jeder Schweizerbürger das Recht, in eine Kasse einzutreten, wenn er deren statutarische Aufnahmebedingungen erfüllt. Die Aufnahme darf gemäss Art. 5 Abs. 3
BGE 114 V 274 S. 276
nicht aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Schwangerschaft abgelehnt werden. Die Kassen können jedoch Krankheiten, die bei der Aufnahme bestehen, für längstens fünf Jahre durch einen Vorbehalt von der Versicherung ausschliessen; das gleiche gilt für Krankheiten, die vorher bestanden haben, sofern sie erfahrungsgemäss zu Rückfällen führen können. Der Versicherungsvorbehalt fällt spätestens nach fünf Jahren dahin.
b) Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, die Mitglieder für die im KUVG festgelegten Mindestleistungen (Art. 12-12quater und
Art. 14 KUVG
) zu versichern. Sehen indes die Kassenstatuten höhere Mindestleistungen als die gesetzlichen vor, so kann der Aufnahmebewerber beanspruchen, für die statutarischen Mindestleistungen sowohl der Krankenpflege- als auch der Krankengeldversicherung versichert zu werden, wenn die Kasse beide Versicherungsarten führt (Art. 1 Abs. 2 Vo III).
2.
a) Den Kassen steht es frei, neben der gesetzlichen oder statutarischen Mindestversicherung aufgrund ihrer Statuten Zusatzversicherungen anzubieten. Das KUVG gibt jedoch einem Gesuchsteller keinen Anspruch, in diese Zusatzversicherungen aufgenommen zu werden, weil die Kassen von Gesetzes wegen nicht verpflichtet sind, für Leistungen zu versichern, welche die genannten gesetzlichen oder statutarischen Minima übersteigen (
BGE 113 V 214
Erw. 3,
BGE 98 V 68
und 132 Erw. 3a; EVGE 1968 S. 177 Erw. 2; RSKV 1982 Nr. 507 S. 216, 1980 Nr. 403 S. 62 Erw. 1, Nr. 424 S. 209 Erw. 3, 1973 Nr. 166 S. 62, 1971 Nr. 87 S. 20; MAURER, Schweizerische Sozialversicherung, Bd. II, S. 344, N. 780b; GREBER, Droit suisse de la sécurité sociale, S. 388; BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, S. 72; PFLUGER, Juristische Kartothek der Krankenversicherung, II c8). Ein Anspruch kann nur bestehen, wenn und soweit die Satzungen der Kasse einen solchen vorsehen (
BGE 98 V 132
Erw. 3a; RSKV 1982 Nr. 507 S. 216, 1980 Nr. 403 S. 62 Erw. 1, Nr. 424 S. 210, 1971 Nr. 87 S. 20).
b) Aufgrund der mit
Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG
gewährleisteten Autonomie sind die Krankenkassen in der statutarischen oder reglementarischen Ausgestaltung der Zusatzversicherungen zur Grundversicherung grundsätzlich frei. Diese Gestaltungsfreiheit ist indessen nicht unbeschränkt. Die Kassen haben sowohl bei der Reglementierung dieser sozialversicherungsrechtlichen Zusatzversicherungen als auch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, wie sie sich aus dem
BGE 114 V 274 S. 277
allgemeinen Bundessozialversicherungsrecht und dem übrigen Verwaltungsrecht sowie der Bundesverfassung ergeben. Insbesondere haben sie sich an die wesentlichen Grundsätze der sozialen Krankenversicherung zu halten, namentlich an die Grundsätze der Gegenseitigkeit, der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung (
BGE 111 V 139
Erw. 1a,
BGE 109 V 147
Erw. 2,
BGE 108 V 258
Erw. 2 mit Hinweisen).
c) Die Kassen sind gestützt auf
Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG
namentlich auch befugt, den Zugang zu den Zusatzversicherungen an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen (BONER/HOLZHERR, a.a.O., S. 72). Insbesondere können sie die Aufnahme vom Gesundheitszustand des Bewerbers abhängig machen (RSKV 1984 Nr. 590 S. 194 Erw. 3b, 1982 Nr. 484 S. 89; GREBER, a.a.O., S. 388, PFLUGER, a.a.O., II c4; BONER/HOLZHERR, a.a.O., S. 72).
3.
a) Die SBB-Krankenkasse bestimmt in Art. 20 Abs. 3 ihrer Statuten, dass sie in der Krankenpflegeversicherung berechtigt ist, im Einzelfall eine höhere Klasse als A1 (unbeschränkte Deckung der Hospitalisationskosten in einer öffentlichen oder privaten Heilanstalt der Schweiz) abzulehnen. Das besagt, dass sie statutarisch keine Verpflichtung übernommen hat, im Hospitalisierungsfall mehr als die Kosten der allgemeinen Spitalabteilung zu übernehmen, was die gesetzlichen und statutarischen Mindestleistungen abdeckt. Eine solche Bestimmung verstösst nach dem oben Gesagten (Erw. 2a) nicht gegen Bundesrecht.
b) Die Krankenkasse SBB hat die Verweigerung der Höherversicherung damit begründet, dass sie den Übertritt in eine höhere Versicherungsklasse praxisgemäss nur bei gutem Gesundheitszustand des Gesuchstellers bewillige. Weil beim Beschwerdegegner ein langfristiges Risiko für Rückfälle nicht ausgeschlossen sei, habe sie eine Höherversicherung ablehnen müssen. Ebensowenig habe sie diese in Verbindung mit einem Versicherungsvorbehalt gewähren können, weil keine zeitlich beschränkte bzw. eingrenzbare Rückfallgefahr vorliege. Die Kasse bringt damit zum Ausdruck, dass sie Antragsteller mit beeinträchtigter Gesundheit praxisgemäss von der Versicherung ausschliesst oder eine solche nur unter Anbringung eines Vorbehaltes gestattet, soweit bei den Bewerbern die versicherungstechnische Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalles auf lange Zeit hinaus gesehen höher ist als bei Bewerbern ohne die fraglichen gesundheitlichen Störungen. Erhöhte Risiken in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn der Gesuchsteller im Zeitpunkt des Höherversicherungsantrags an einer
BGE 114 V 274 S. 278
Krankheit leidet oder früher an einer solchen gelitten hat, die erfahrungsgemäss zu Rückfällen führen kann (vgl.
Art. 5 Abs. 3 KUVG
). Sie können ferner schon dann gegeben sein, wenn sich der Gesuchsteller in einem schlechten Allgemeinzustand befindet und daher krankheitsgefährdeter als andere erscheint.
c) Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall das Bestehen eines erhöhten Risikos verneint, weil aufgrund des chefärztlichen Berichts der Privatklinik W. vom 14. September 1987 und des Attests Dr. H. vom 29. Juli 1987 eine gute Prognose gestellt werden könne bzw. die Wahrscheinlichkeit erneuter psychotischer Episoden unter ambulanter psychiatrischer Behandlung und Betreuung als gering zu betrachten sei, was der Krankheitsverlauf seit 1982 denn auch gezeigt habe. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Im vorliegenden Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob die Ärzte die Entwicklung der Krankheit des Beschwerdegegners prognostisch als günstig oder ungünstig beurteilen. Massgebend ist vielmehr, ob die fragliche Erkrankung in dem Sinne ein besonderes Risiko darstellt, als sie die Möglichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalles erhöht, was hier klar bejaht werden muss. Der Beschwerdegegner hat bis Oktober 1984 insgesamt sechs psychotische Episoden mit Wahnproduktionen und Sinnestäuschungen durchgemacht und musste deswegen im April 1982 und Oktober 1984 nach Suizidversuchen psychiatrisch hospitalisiert werden. Im Bericht der Privatklinik W. wird dazu ausgeführt, dass in Zukunft ähnliche psychotische Dekompensationen nicht auszuschliessen seien. Damit ist unmissverständlich ausgesprochen, dass die Gefahr erneuter psychotischer Episoden und daher auch das Risiko einer weiteren psychiatrischen Hospitalisation real bestehen. Dass im gleichen Bericht bescheinigt wird, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens sinke, wenn der Beschwerdegegner im Rahmen einer ambulanten psychiatrischen Therapie lerne, krankheitsfördernde Stresssituationen zu meiden und Frühsymptome zu erkennen, spricht entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners nicht für ein vermindertes Risiko, sondern deutet vielmehr auf eine erhöhte Gefährdung hin. Zwar haben seine Gesundung und seine Einsicht in krankmachende Lebensumstände laut Dr. H. in den letzten Jahren sehr erfreuliche Fortschritte gemacht, so dass wohl angenommen werden darf, dass sich die Rückfallgefahr seit der Hospitalisation im Jahre 1984 tatsächlich vermindert hat. Dennoch bleibt eine Gefährdung für psychotische Dekompensationen bestehen, die sichtlich grösser ist als diejenige von Versicherten
BGE 114 V 274 S. 279
ohne die Krankengeschichte, wie sie der Beschwerdegegner aufweist. Damit bleibt zu prüfen, bei welchem Risikomass die Kasse eine Höherversicherung verweigern darf oder zu gewähren hat und unter welchen Voraussetzungen sie sich mit einem Vorbehalt für die genannten Gesundheitsstörungen zu begnügen hat.
4.
a) Die Vorinstanz und das BSV vertreten die Auffassung, das Hospitalisationsrisiko im psychiatrischen Bereich sei beim Beschwerdegegner derart gering, dass die Verweigerung einer Höherversicherung unangemessen und unverhältnismässig sei. Dazu ist vorweg festzustellen, dass die Berufung auf das Verhältnismässigkeitsprinzip schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht standhält. Dieses könnte zum Zuge kommen, wenn sich die Frage stellte, ob durch Satzungen oder Verwaltungsakte der Kasse in unverhältnismässiger Weise in gesetzliche oder statutarische Ansprüche des Beschwerdegegners eingegriffen wird. Ein gesetzlicher oder statutarischer Anspruch auf Höherversicherung steht dem Beschwerdegegner indes nach dem Gesagten nicht zu, weshalb eine Verweigerung des Übertritts in eine höhere Versicherungsklasse zum vornherein nicht als unverhältnismässig qualifiziert werden kann. Fehlt ein Anspruch überhaupt, kann sich auch nicht die Frage stellen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dem Verhältnismässigkeitsprinzip leistungskonstituierende Funktion zuzuerkennen ist (MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 79 und S. 95 f.). Ebensowenig ist der Verhältnismässigkeitsgrundsatz beachtlich für die Wahl zwischen einer Verweigerung des Übertritts in eine höhere Versicherungsklasse als der härteren und der Gewährung der Höherversicherung unter Vorbehalt als der milderen Massnahme. Ein Vergleich müsste nur dann den Anforderungen des Verhältnismässigkeitsprinzips genügen, wenn die Kasse mit ihrem Entscheid ein entsprechendes gesetzliches oder statutarisches Gestaltungsrecht des Beschwerdegegners beschränken oder aufheben würde, was hier jedoch gerade nicht zutrifft.
b) Soweit die Vorinstanz die Verweigerung des Übertritts in eine höhere Versicherungsklasse als unangemessen betrachtet, übersieht sie ebenfalls, dass der Beschwerdegegner keinen Höherversicherungsanspruch besitzt und dass die Kasse einen solchen auch nicht in der Form einräumt, dass in den Statuten normiert wird, unter welchen Risikobedingungen der Übertritt in eine höhere Versicherungsklasse zugestanden oder abgelehnt wird. Fehlt eine solche statutarische oder reglementarische Grundlage, kann
BGE 114 V 274 S. 280
die Kasse selbst dann nicht zur Tragung eines erhöhten Risikos verhalten werden, wenn die Möglichkeit der Risikoverwirklichung als gering einzustufen wäre. Darin liegt keine Willkür (rechtsgleiche Behandlung vorbehalten; siehe Erwägung 4c hienach). Ebenso muss der Kasse nach dem Gesagten auch die Befugnis zustehen, frei darüber zu befinden, ob sie das ihr tragbar erscheinende Risiko nach einem strengeren oder milderen Massstab beurteilen will. Das gilt auch für die Frage, nach welchen Risikokriterien sie statt einer Verweigerung eine Höherversicherung in Verbindung mit einem Vorbehalt zuzulassen gedenkt.
c) Die Kasse ist im Rahmen der hievor dargelegten Befugnisse einzig verpflichtet, alle Gesuchsteller nach den gleichen Massstäben und Kriterien zu beurteilen (
BGE 98 V 132
Erw. 3a; RSKV 1980 Nr. 403 S. 62, 1982 Nr. 507 S. 216), was sich als Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots gemäss
Art. 4 Abs. 1 BV
qualifiziert. Wenn die hier im Streite stehende Kasse Zusatzversicherungen anbietet, so darf ohne weiteres angenommen werden, dass sie allen Bewerbern die gewünschte Versicherung gewährt, wenn sie kein erhöhtes Morbiditätsrisiko aufweisen und keine anderweitigen Hinderungsgründe vorliegen. Die Kasse gestattet ferner praxisgemäss eine Höherversicherung unter Vorbehalt, wenn das festgestellte erhöhte Risiko eines Gesuchstellers vorübergehender Natur ist und im Laufe der Vorbehaltsdauer von fünf Jahren entfällt. Der Beschwerdegegner hätte deshalb allenfalls unter dem Titel der Gleichbehandlung Anspruch auf eine Höherversicherung, wenn er diese Voraussetzungen erfüllen würde, was indes nicht der Fall ist. Ein erhöhtes Risiko ist beim Beschwerdegegner ausgewiesen. Sodann lässt sich ein Ende des erhöhten Risikos psychotischer Dekompensationen zeitlich nicht festlegen; denn trotz guter ärztlicher Prognose zum weiteren Krankheitsverlauf kann nicht mit hinreichender Gewissheit gesagt werden, dass die genannte Gefährdung bis zum Ablauf der maximal möglichen Vorbehaltsdauer weggefallen sein wird. Wenn die Kasse nicht bereit ist, dieses Restrisiko zu tragen, so kann sie dazu nach dem oben Gesagten nicht verhalten werden.
Im übrigen enthalten die Akten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kasse in andern vergleichbaren Fällen eine Höherversicherung zugestanden hätte. Der Beschwerdegegner wendet hiezu ein, bei einer körperlichen Erkrankung von gleicher Prognose wie bei der hier streitigen psychischen Gesundheitsstörung hätte sich die Kasse ohne Zweifel mit einem Versicherungsvorbehalt
BGE 114 V 274 S. 281
begnügt. Er macht damit sinngemäss geltend, die Kasse benachteilige in unzulässiger Weise Gesuchsteller mit psychischen Gesundheitsproblemen. Doch bringt er für diese Behauptung keine Tatsachen vor, und ebensowenig enthalten die Akten Hinweise auf eine Diskriminierung der Psychiatriepatienten.
d) Der Beschwerdegegner beruft sich ferner vergeblich auf das Prinzip der Gegenseitigkeit (
Art. 3 Abs. 3 KUVG
). Dieses ist grundsätzlich erst mit vollzogener Aufnahme in die Kasse oder im Falle eines Gesuchs um Höherversicherung während laufender Mitgliedschaft mit erfolgter Zulassung zum Übertritt in die höhere Versicherungsklasse anwendbar. Daher kann auch aus dem Gegenseitigkeitsprinzip kein Anspruch auf Gewährung einer Höherversicherung abgeleitet werden (
BGE 98 V 132
Erw. 3a Abschnitt 1 in fine erweist sich insofern als missverständlich). Aus dem Gesagten folgt, dass die Verweigerung der Höherversicherung rechtmässig ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 14. Dezember 1987 aufgehoben. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d7a896fe-9621-4b4a-a5e6-2055b5cc068e | Urteilskopf
101 III 27
6. Arrêt du 8 janvier 1975 dans la cause C. Henry Buhl III. | Regeste
Art. 124 Abs. 2 SchKG
.
Zuständige Behörde, um im Falle des Arrestes den Verkauf von Gegenständen anzuordnen, die schneller Wertverminderung ausgesetzt sind oder einen kostspieligen Unterhalt erfordern.
Begriff der Gegenstände, die schneller Wertverminderung ausgesetzt sind oder einen kostspieligen Unterhalt erfordern. | Sachverhalt
ab Seite 27
BGE 101 III 27 S. 27
A.-
Le 29 juin 1973, le juge de paix du cercle de Begnins a ordonné, à la requête de Paul Rouge, le séquestre d'une automobile Buick modèle 1969, appartenant à C. Henry Buhl III. Le séquestre a été exécuté le 2 juillet 1973.
L'Office des poursuites de Nyon a fixé à 7'000 fr. la valeur de la voiture, mise en circulation le 10 mars 1970; il a chargé un garagiste d'assurer la garde du véhicule. Avisé que la voiture, équipée d'une boite à vitesses automatique, pouvait se
BGE 101 III 27 S. 28
détériorer en cas de stationnement prolongé, l'office a décidé de la mettre en vente.
C. Henry Buhl III a adressé une plainte contre cette décision au président du Tribunal de Nyon, autorité inférieure de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite. Il a requis une expertise.
Dans son rapport, du 7 février 1974, l'expert a déclaré qu'il était possible de conserver la voiture dans son état actuel, moyennant diverses opérations coûtant environ 50 fr. par mois, en plus des frais de garde, qui s'élèvent à 3 fr. par jour. L'expert a estimé la dépréciation commerciale à 400 fr. par mois jusqu'au 10 mars 1974 et à 200 fr. depuis lors.
B.-
Par décision du 25 mars 1974, le Président du Tribunal de Nyon a rejeté la plainte d'Henry Buhl III, considérant que la dépréciation du véhicule était importante et atteignait déjà près de la moitié de l'estimation de l'office. Un recours contre cette décision a été rejeté le 2 juillet 1974 par l'Autorité supérieure de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite.
C.-
C. Henry Buhl III recourt contre cet arrêt auprès de la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de la décision cantonale et demande qu'ordre soit donné à l'Office des poursuites de Nyon de prendre les mesures nécessaires à la conservation dans leur état actuel de la carrosserie et des organes mécaniques du véhicule, aux frais du poursuivant.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon la jurisprudence (RO 47 III 203, 35 I 277 s. et 815 s.), l'art. 124 al. 2 LP est applicable aux objets séquestrés, avec cette restriction que, lorsque le séquestre donne lieu à une contestation, c'est au juge seul et non à l'office des poursuites ou aux autorités de surveillance qu'il appartient d'ordonner la vente anticipée.
Le recourant admet n'avoir pas contesté le cas de séquestre; il fait en revanche valoir que l'intimé a ouvert action contre lui devant le Tribunal de première instance de Genève, et que le séquestre est en relation directe avec ce procès, qui est pendant. Il en déduit que, dans la mesure où les conditions de l'art. 124 al. 2 LP seraient réunies, il appartiendrait au juge et non à l'office d'ordonner la vente de l'objet séquestré.
BGE 101 III 27 S. 29
b) Dans un cas, la jurisprudence a admis que dans la poursuite en réalisation de gage, ou s'agissant d'objets soumis au droit de rétention du bailleur et inventoriés, l'art. 124 al. 2 LP est inapplicable avant droit connu sur le bien-fondé de la créance formant l'objet de la poursuite (RO 33 I 856 ss consid. 2).
c) Dans un arrêt ultérieur (RO 35 I 815 ss), le Tribunal fédéral a cependant restreint la portée de ce principe, en posant les règles suivantes: dans les cas de séquestre, de prise d'inventaire de biens soumis au droit de rétention du bailleur et de saisie provisoire, où la libre disposition des objets a été enlevée au débiteur dans l'intérêt des créanciers, une autorité doit pouvoir assurer la conservation des biens, sans devoir examiner préalablement si l'existence d'une dette est établie. La nécessité de prendre sans délai des mesures conservatoires, tant dans l'intérêt du débiteur, qui ne peut le faire lui-même, que dans l'intérêt des créanciers, découle du principe général de l'art. 100 LP, dont l'art. 124 LP constitue un cas d'application. Cette situation n'est pas unique. L'art. 119 al. 2 LP permet de procéder, dans les cas visés à l'art. 124 al. 2 LP, à la vente anticipée d'objets qui ne sont sous le coup que d'une saisie provisoire (RO 35 I 277/278 consid. 1), soit dans une situation où la créance en poursuite peut se révéler ultérieurement inexistante (art. 83 LP; JAEGER, n. 7 ad art. 124 LP).
Selon la jurisprudence, il appartient au préposé de prendre les mesures nécessaires tant que le juge n'a pas été saisi d'une action relative aux objets séquestrés ou inventoriés ou tant qu'il n'a pas été requis de dire si le droit de rétention existe (RO 35 I 816).
En revanche, une vente anticipée ne peut pas être ordonnée par les autorités de poursuite lorsqu'un procès en revendication des objets saisis ou séquestrés est pendant (RO 35 I 278 consid. 2), qu'une instance judiciaire est en cours au sujet de la créance du bailleur et, par voie de conséquence, au sujet de son droit de rétention sur les objets inventoriés (RO 35 I 816 consid. 2-3) ou que le séquestre donne lieu à une contestation judiciaire (RO 47 III 203).
Dans ces cas, c'est au juge qu'il incombe d'ordonner les mesures conservatoires propres à assurer la sauvegarde des intérêts en jeu (RO 35 I 816 consid. 2-3) et de décider, par voie de mesure provisionnelle, s'il y a lieu de procéder à la vente
BGE 101 III 27 S. 30
anticipée des objets saisis, séquestrés ou inventoriés (RO 35 I 278 consid. 4).
d) Les autorités de poursuite (Office des poursuites, autorités de surveillance) doivent examiner et trancher d'office le point de savoir s'il leur appartient d'ordonner la vente anticipée en application de l'art. 124 al. 2 LP ou s'il incombe au juge, saisi du procès ayant pour objet la créance en garantie de laquelle le séquestre a été opéré, d'en décider dans le cadre de mesures provisionnelles. Il s'agit en effet de la répartition de la compétence entre les autorités de poursuite et le juge; ce point relève de l'ordre public.
e) Il est constant d'après les pièces du dossier que la créance à la base de la procédure de séquestre fait l'objet d'un procès qui se déroule entre les parties devant le Tribunal de première instance de Genève.
L'Autorité cantonale supérieure de surveillance a considéré que le séquestre n'avait pas donné lieu, en l'espèce, à une contestation judiciaire et qu'en vertu de la jurisprudence (RO 47 III 199 ss
;
35 I 814
ss) les autorités de poursuite étaient compétentes pour ordonner la vente anticipée de la voiture du recourant.
C'est avec raison. Le juge saisi d'un procès portant sur la créance en garantie de laquelle un séquestre a été opéré ne saurait être appelé à décider, par voie de mesures provisionnelles, s'il y a lieu de procéder à la vente anticipée des objets séquestrés pour le motif qu'ils sont soumis à dépréciation rapide ou dispendieux à conserver. La contestation judiciaire ne concerne en effet ni le séquestre en soi ni des droits sur les biens séquestrés, comme c'est le cas lorsqu'ils sont revendiqués par un tiers. Le juge n'est compétent pour ordonner des mesures provisionnelles que dans le cadre du litige porté devant lui.
Dans l'espèce, c'était ainsi bien aux autorités de poursuite qu'il appartenait de décider si la vente anticipée de la voiture se justifiait.
2.
Le recourant maintient que l'objet séquestré ne se déprécie pas avec rapidité et n'est pas dispendieux à conserver au sens de l'art. 124 al. 2 LP.
a) La décision de procéder à la vente d'objets d'une dépréciation rapide ou dispendieux à conserver est laissée à la libre appréciation de l'Office des poursuites; pour que sa décision
BGE 101 III 27 S. 31
puisse être considérée comme illégale, il faut qu'elle soit déraisonnable (RO 81 III 121). Saisi d'un recours selon l'art. 19 al. 1 LP, le Tribunal fédéral ne peut que contrôler si la décision attaquée est contraire à la loi, c'est-à-dire, s'agissant d'une décision laissée à la libre appréciation de l'autorité cantonale, si celle-ci a excédé son pouvoir d'appréciation ou en a abusé.
b) L'autorité cantonale s'est fondée sur l'estimation de la valeur vénale arrêtée par l'Office des poursuites de Nyon et sur les chiffres retenus par l'expert chargé d'évaluer la dépréciation commerciale, les frais de garde et d'entretien du véhicule. Le recourant conteste ces estimations. Mais elles ressortissent au fait et ne pourraient faire l'objet d'un recours de l'art. 19 al. 1 LP que si des dispositions fédérales en matière de preuve avaient été violées, ou si les constatations de fait incriminées reposaient manifestement sur une inadvertance, à rectifier d'office (art. 63 al. 2 et 81 OJ). Le recourant n'invoque aucun de ces moyens.
On peut hésiter à considérer une automobile comme un objet soumis à dépréciation rapide ou dispendieux à conserver. Le Tribunal fédéral a jugé que des articles de confection pour dames, qui diminuent graduellement de valeur par suite des changements de la mode et qui perdraient toute valeur au bout de sept ans ne sont pas à considérer comme des objets se dépréciant rapidement à l'instar des fleurs coupées ou de certaines denrées périssables (RO 81 III 122).
En l'espèce, toutefois, l'autorité cantonale n'a pas excédé son pouvoir d'appréciation, ni n'en a abusé en considérant qu'une voiture de grosse cylindrée, d'un modèle qui remonte à plusieurs années (1969, mise en circulation en mars 1970), estimée à 7'000 fr. lors du séquestre, dont la valeur en un an a diminué de 4'200 fr. et dont les frais de garde et de conservation s'élèvent à près de 1'700 fr. par an, est soumise à dépréciation rapide.
3.
...
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d7b2b5cd-2f87-4339-aff3-a38a96c41c04 | Urteilskopf
102 Ib 115
21. Arrêt de la Ire Cour civile du 25 mai 1976 dans la cause Battelle Memorial Institute contre Bureau fédéral de la propriété intellectuelle | Regeste
Art. 23 ff. OR
, 47 PatG. Rückzug eines Patentgesuches aus Irrtum.
Anwendung der
Art. 23 ff. OR
auf das Verfahren über die Patenterteilung (Erw. 2-3).
Der Patentbewerber, der den Rückzug eines Gesuches wegen Irrtums nicht gelten lassen will, muss glaubhaft machen, dass er das Gesuch infolge eines unverschuldeten Irrtums zurückgezogen hat. Er hat sich darüber zudem innert zwei Monaten seit Entdeckung des Irrtums, spätestens aber innerhalb eines Jahres seit dem Rückzug des Gesuches zu äussern (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 116
BGE 102 Ib 115 S. 116
A.-
Le 7 juin 1973, Battelle Memorial Institute à Carouge (Genève) (ci-après: Battelle) a déposé deux demandes de brevet relatives à deux inventions portant le même titre: "Verfahren zur Herstellung einer positiven Nickel-Hydroxid-Elektrode für galvanische Zellen". Sur la première page de la description figuraient les indications suivantes: B 100/CH/356 "Flammspritzsupport", pour la première invention, et B 100/CH/357 "Pulversintersupport", pour la seconde. Ces demandes ont été enregistrées, la première sous le No 8239/73, la seconde sous le No 8240/73.
Le 29 mai 1975, Battelle a informé le Bureau fédéral de la propriété intellectuelle (ci-après: le Bureau) qu'il retirait la demande No 8239/73. Le 4 juin 1975, le Bureau a donné acte à Battelle de ce retrait et lui a restitué les documents et les taxes, selon l'art. 30 OBI 1. Le 5 novembre 1975, Battelle a présenté une requête de réintégration en l'état antérieur de la demande de brevet No 8239/73. Il faisait valoir qu'il avait constaté à l'étude de la demande de brevet 8240/73 que les références internes B 100/CH/356 et B 100/CH/357 et les dénominations abrégées "Pulversintersupport" et "Flammspritzsupport" avaient été interverties dans les deux dossiers, ce qui avait entraîné le retrait de la demande 8239/73 que l'on voulait maintenir. En droit, Battelle invoquait d'une part les art. 23 ss CO, en faisant valoir qu'il avait conclu un contrat avec la communauté par le dépôt de la demande de brevet, d'autre part l'art. 47 LBI.
B.-
Le Bureau a rejeté la demande par décision du 5 février 1976 en considérant que la réintégration en l'état antérieur selon l'art. 47 LBI n'entrait pas en considération, Battelle n'étant aucunement astreint à agir dans un délai fixé; que l'application par analogie des règles sur l'erreur avait été rejetée dans une décision du 7 mai 1975; enfin, qu'il ne saurait y avoir de contrat au sens où l'entend le requérant, le brevet n'ayant pas été délivré.
C.-
Battelle forme contre cette décision un recours de droit administratif en concluant à ce que le Bureau soit invité
BGE 102 Ib 115 S. 117
à reprendre et à mener à terme la procédure de délivrance du brevet relative à la demande No 8239/73, en se fondant sur la date de dépôt initiale, soit le 7 juin 1973 à 18 heures.
Le Bureau propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le retrait de la demande de brevet par le déposant met fin à la procédure de délivrance du brevet (RO 100 Ib 127). Le Bureau restitue au déposant ses pièces et la moitié de la taxe de dépôt (art. 59 al. 5 LBI, 30 OBI 1). Ni la loi ni l'ordonnance ne disent en revanche si et à quelles conditions le déposant peut revenir sur ce retrait. Une réintégration en l'état antérieur selon l'art. 47 LBI n'entre en considération que pour l'exécution d'actes omis après l'expiration d'un délai; elle ne saurait permettre le retrait d'actes ou de déclarations déjà accomplis (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, 2e éd., II n. 3 ad art. 47). Le recourant l'admet d'ailleurs en instance fédérale. Il renonce aussi, avec raison, à invoquer l'existence d'un contrat conclu avec la communauté lors du dépôt de la demande de brevet.
Seul reste donc litigieux le point de savoir si le retrait de cette demande, en tant qu'acte juridique unilatéral, est susceptible d'invalidation pour cause d'erreur selon les art. 23 ss CO. Le Bureau a résolu cette question par la négative (Feuille suisse des brevets, dessins et marques, ci-après FBDM, 1975 I p. 61). En doctrine, TROLLER doute que l'on puisse révoquer le retrait d'une demande de brevet opéré à la suite d'une erreur excusable; il exclut la révocation en cas d'erreur fautive (Immaterialgüterrecht, 2e éd., II p. 852); BLUM/PEDRAZZINI admettent en revanche que l'obligation de considérer le principe de la bonne foi s'étend au cas d'une déclaration de volonté - portant notamment sur le retrait d'une demande de brevet - viciée par une erreur essentielle; cette erreur ne doit toutefois pas être fautive, et celui qui l'invoque ne doit pas être mieux placé que celui qui se prévaut de l'art. 47 LBI (op.cit., III n. 6 et 6A ad art. 59). Le Tribunal fédéral n'a pas encore tranché la question; dans l'arrêt Hoechst (FBDM 1975 I p. 35), il l'a laissée ouverte vu que l'erreur invoquée n'était pas essentielle.
BGE 102 Ib 115 S. 118
Le recourant fait valoir en l'espèce que les dénominations abrégées "Flammspritzsupport" et "Pulversintersupport" ont été interverties, déjà dans les descriptions des inventions, ce qui a provoqué par la suite le retrait, par erreur, de la demande enregistrée sous le No 8239/73. Il avait ainsi en vue une autre chose que celle qui a fait l'objet de sa déclaration de retrait, en sorte que l'art. 24 ch. 2 CO serait applicable.
2.
a) Les art. 23 ss CO concernent les contrats, mais ils sont aussi applicables aux actes juridiques unilatéraux (VON TUHR/SIEGWART I p. 267, 270; FRIEDRICH, n. 73 ad art. 7 CC; les réserves formulées par BECKER, Vorbemerkungen zu Art. 23-31 n. 3, ne visent pas l'erreur dans la déclaration due à une confusion). Contrairement à l'opinion du bureau, l'application de ces dispositions au retrait d'une demande de brevet n'est pas exclue parce qu'il s'agirait d'"un droit formateur dont l'exercice est irrévocable". Bien que les actes par lesquels s'exerce un tel droit ne puissent être librement révoqués, l'invalidation en raison d'un vice du consentement n'est pas a priori exclue. Dans une jurisprudence constante, le Tribunal fédéral a déclaré les art. 23 ss CO applicables, notamment, a l'action en annulation de la reconnaissance d'un enfant naturel exercée par l'auteur de la reconnaissance (RO 79 II 28, 100 II 281).
b) Le Bureau fait valoir que les normes de droit privé, telles que les dispositions sur les vices du consentement, s'adaptent mal à la réglementation de rapports relevant du droit administratif et que la procédure civile elle-même, bien que plus proche de rapports contractuels que la procédure administrative, ne permet en principe pas d'invoquer les art. 23 ss CO.
L'application des règles consacrées par ces dispositions, en tant qu'elles dérivent du principe de la bonne foi, est cependant généralement admise en droit administratif (cf. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 40 et 343; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, p. 53; RO 71 I 431, pour la renonciation à la nationalité suisse; RO 98 V 257, pour la révocation de l'ajournement d'une rente AVS). Il en va de même en matière de procédure civile, tout au moins lorsque l'acte en cause entraîne des effets de droit matériel (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2e éd., p. 235, 293 et 298; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, p. 80;
BGE 102 Ib 115 S. 119
VON TUHR/PETER, p. 156; SCHONENBERGER/JÄGGI, Vorbemerkungen vor Art. 1, n. 55; RO 60 II 58, 99 II 361 et 82 II 191, pour l'invalidation d'une transaction judiciaire, d'une convention sur les effets accessoires du divorce et d'un passé-expédient sur une action en recherche de paternité).
c) La procédure de délivrance d'un brevet se distingue de la procédure administrative ordinaire en ce sens que le droit appliqué relève non pas du droit public, mais du droit civil (TROLLER, op.cit., 1 p. 127; BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., 1 n. 53 ad art. 1; FRIEDRICH, n. 45 ad art. 7 CC). Peu importe que le brevet soit délivré par un bureau officiel soumis au droit public (RO 94 I 250; TROLLER, I p. 128), le rôle de celui-ci étant de collaborer à la formation des rapports de droit civil. Le retrait d'une demande de brevet (art. 59 al. 4 et 5 LBI) ou la renonciation à un brevet déjà délivré (art. 15 litt. a LBI) emportent certes des effets de procédure, mais aussi et surtout des effets de droit matériel: ainsi quant au droit de priorité, s'agissant du retrait d'une demande de brevet. L'intervention de l'autorité préposée à la tenue du registre des brevets ne modifie pas la nature du droit appliqué, et ne s'oppose en particulier pas à la prise en considération de motifs d'invalidation tirés du droit privé (GULDENER, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, p. 68; cf. les arrêts précités RO 79 II 28 et 100 II 281, relatifs à l'action en annulation pour cause d'erreur de la reconnaissance d'un enfant naturel inscrite au registre de l'état civil; cf. aussi RO 94 I 250, concernant l'application de l'art. 101 CO dans le cadre d'une demande de réintégration en l'état antérieur selon l'art. 47 LBI).
d) L'acte en cause ressortissant au droit civil, l'application des dispositions générales du droit des obligations, et notamment des art. 23 ss CO, résulte déjà de l'art. 7 CC, sans qu'il soit besoin d'invoquer le principe de la bonne foi posé par l'art. 2 CC, principe qui vaut d'ailleurs pour le droit administratif en général (RO 99 Ia 628 consid. 7c, 101 Ia 330 consid. 6a), ainsi que pour la procédure de délivrance des brevets d'invention (TROLLER, op.cit., I p. 633; BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., I n. 57 ad art. 1).
e) Il convient enfin de relever qu'en Allemagne, l'invalidation pour cause d'erreur - tout au moins d'erreur dans la déclaration - est admise tant pour le retrait de la demande de brevet que pour la renonciation
BGE 102 Ib 115 S. 120
au brevet (BUSSE, Patentgesetz, 4e éd., § 12 Rnr. 4, § 29 Rnr. 9; REIMER, Patentgesetz, 3e éd. § 12 n. 9 § 26 n. 43), eu égard à la portée matérielle de ces actes (cf. FRIEDRICH, in Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 1952/54 p. 271 ss; Beschwerdesenat des deutschen Patentamts in GRUR 1954/56 p. 118 s.).
3.
L'art. 7 CC n'implique pas l'application sans réserve des art. 23 ss CO. Il convient d'appliquer ces dispositions par analogie, en tenant compte des particularités de l'acte ou du rapport considéré (FRIEDRICH, n. 50 ad art. 7). Le cas échéant, l'invalidation pour cause d'erreur peut être incompatible avec la nature et le but de la réglementation: ainsi la souscription d'actions ou l'adhésion à une société en nom collectif (GUHL/MERZ/KUMMER, p. 571; SIEGWART, Vorbemerkungen zu Art. 530-551 n. 116).
L'Office a jugé dans une décision du 2 avril 1971 (FBDM 1971 I p. 55 s.) qu'en droit des brevets, le principe de la sécurité juridique revêt une importance toute particulière, vu les intérêts économiques considérables qui peuvent entrer en jeu, et que l'application des art. 23 ss CO ne pourrait dès lors être que restrictive.
Le retrait de la demande de brevet, puis la révocation de ce retrait peuvent effectivement toucher les intérêts de tiers. Mais cela ne suffit pas à exclure l'invalidation pour cause d'erreur, que l'on admet en matière de reconnaissance d'un enfant naturel malgré l'intérêt que l'enfant peut avoir au maintien de la reconnaissance. Il faut d'ailleurs considérer, pour apprécier le risque d'atteinte au principe de la sécurité juridique invoqué par le Bureau, qu'au stade de la demande de brevet le registre n'est en principe pas public (art. 55 al. 3 OBI 1, RO 100 Ib 130), les tiers n'étant pas touchés par l'invalidation du retrait de la demande dans la mesure où ils n'ont pas connaissance du retrait lui-même. Ce risque est nettement plus élevé s'agissant du rétablissement de brevets tombés en déchéance (art. 46 LBI), ou d'une réintégration en l'état antérieur, admise après l'expiration d'un délai (art. 47 LBI). Or la loi se borne à réserver dans ce dernier cas les droits acquis par les tiers de bonne foi (art. 48, avec renvoi à l'art. 35 LBI; BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., Il n. 13 ad art. 47, 1 ad art. 48, cf. aussi n. 4 ad art. 46). Rien ne s'oppose à l'application par analogie de cette réglementation à des tiers qui ont utilisé l'invention, de bonne foi, durant la période entre le retrait de
BGE 102 Ib 115 S. 121
la demande et sa révocation, et il n'est ainsi pas nécessaire de se fonder à cet égard sur l'art. 2 CC (cf. BLUM/PEDRAZZINI, III n. 6 p. 366 ad art. 59). Les intérêts des tiers ne s'opposent donc pas à l'invalidation du retrait de la demande de brevet pour cause d'erreur dans la déclaration.
4.
a) Selon les art. 23 ss, notamment 26 CO, l'erreur fautive permet l'invalidation du contrat, le cas échéant moyennant réparation du dommage causé à l'autre partie. Cette réglementation n'est pas adaptée à la procédure de délivrance d'un brevet, qui ne fait pas intervenir de partie habile à réclamer des dommages-intérêts (cf. dans le même sens une décision de l'Office du 13 mai 1969, in FBDM 1969 I p. 35).
Selon l'art. 31 CO, l'erreur peut être invoquée dans un délai d'une année dès sa découverte. Appliqué au retrait d'une demande de brevet, ce délai aboutirait à créer une incertitude incompatible avec la nature de l'institution, puisque le retrait d'une demande de brevet pourrait être invalidé après plusieurs années en cas de découverte tardive de l'erreur (cf. l'arrêt Hoechst, rendu par le Tribunal fédéral le 11 février 1975 et publié dans la FBDM 1975 I p. 35 s., consid. 3). Le droit allemand, qu'invoque le recourant, prévoit sur ce point que l'invalidation pour cause d'erreur doit intervenir "ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich)" après la découverte de l'erreur (§ 121 BGB).
b) Sans exclure l'application des art. 23 ss CO à la procédure de délivrance d'un brevet, ces réserves commandent une adaptation des dispositions en question, tenant compte de la nature du droit des brevets (FRIEDRICH, n. 58 et 64 ad art. 7 CC). La réglementation détaillée de l'art. 47 LBI sur la réintégration en l'état antérieur fournit à cet égard des éléments susceptibles d'être repris pour fixer les limites qu'il convient d'assigner en cette matière au droit d'invoquer l'erreur. Le Bureau admet d'ailleurs que cette réglementation, dont il rejette l'application par analogie, peut néanmoins servir de base pour la recherche d'une solution juridique équitable. Au surplus, il est ainsi possible d'éviter les "différences de traitement peu justifiables" que craint le Bureau, par rapport à ladite réglementation.
c) Il convient dès lors d'admettre en principe l'invalidation du retrait d'une demande de brevet pour cause d'erreur dans la déclaration, à la
BGE 102 Ib 115 S. 122
condition toutefois que le déposant rende vraisemblable qu'il a opéré ce retrait à la suite d'une erreur non fautive. Cette condition sera plus difficilement remplie s'agissant d'une déclaration erronée que dans le cas de l'inobservation d'un délai. Mais l'exclusion du droit d'invoquer l'erreur, lorsque celle-ci est imputable à faute à la personne qui s'en prévaut, est conforme à l'opinion généralement admise en procédure administrative (cf. RO 98 V 258), ainsi qu'à la pratique du Bureau (FBDM 1969 1 p. 35).
L'application par analogie de l'art. 47 LBI conduit aussi à une solution appropriée, concernant la limitation dans le temps du droit d'invoquer l'erreur. Le déposant qui entend invalider le retrait d'une demande de brevet pour cause d'erreur doit donc le faire dans les deux mois dès la découverte de l'erreur, mais au plus tard dans le délai d'un an à partir du retrait de la demande. Cette réglementation n'entraîne pas une trop longue période d'incertitude, tout en donnant au déposant dont la déclaration s'est trouvée viciée le temps nécessaire à la sauvegarde de ses intérêts.
5.
La décision attaquée écartant purement et simplement la prise en considération de l'erreur, le recours s'avère en principe fondé.
Le recourant a retiré sa demande de brevet No 8239/73 le 29 mai 1975. Il a invoqué le 5 novembre 1975 son erreur, qu'il dit avoir découverte le 5 septembre 1975. Le Bureau paraît admettre cette dernière date, puisqu'il présente les faits de la cause, dans ses observations, comme incontestés et connus. Le recourant a donc agi en temps utile.
Il reste à déterminer s'il a rendu vraisemblable que l'erreur invoquée est intervenue sans sa faute, ni celle de ses auxiliaires (RO 94 I 249 s.). Le recourant affirme que ladite erreur est excusable, sans donner de plus amples explications, sinon la référence à une décision du Bureau considérant comme un empêchement non fautif au sens de l'art. 47 LBI la confusion entre deux brevets due à la très grande similitude des numéros (FBDM 1974 I p. 32). Il n'avait toutefois pas de raison de s'étendre plus longuement sur la question, puisqu'il partait de l'idée qu'il pouvait aussi invoquer l'erreur provenant de sa propre faute, selon l'art. 26 CO. La Cour de céans n'est ainsi pas en mesure de juger si l'erreur invoquée est intervenue sans la faute du recourant.
BGE 102 Ib 115 S. 123
Il convient dès lors de renvoyer la cause au Bureau pour qu'il statue à nouveau (art. 114 al. 2 OJ) en se prononçant sur cette question, après avoir invité le recourant à fournir les indications nécessaires à l'appui de son allégation. C'est ainsi que celui-ci devra expliquer comment s'est faite la confusion entre les deux dénominations abrégées, lors du dépôt des demandes de brevet, et pourquoi cette confusion n'a pas été découverte lors du retrait de la demande No 8239/73. Le Bureau prendra aussi en considération la correspondance mentionnée dans la requête de réintégration en l'état antérieur du 5 novembre 1975, correspondance qui ne figure pas au dossier remis au Tribunal fédéral.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule la décision attaquée et renvoie la cause au Bureau fédéral de la propriété intellectuelle pour nouvelle décision dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d7b46e17-04d8-4173-b878-547049ab5413 | Urteilskopf
98 IV 124
23. Extrait du jugement de la Cour pénale fédérale du 14 juillet 1972 dans la cause Ministère public fédéral contre Cuénod et Maerki. | Regeste
Art. 7 und 19 des BG vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel.
Die Einnahme von Substanzen, die ähnlich wirken wie die Betäubungsmittel, ist als solche nicht strafbar (Erw. 8).
Art. 275 StGB
Angriff auf die verfassungsmässige Ordnung.
Tragweite der Bestimmung (Erw. 9).
Anwendung im Einzelfall (Erw. 10 a bis c).
Im vorliegunden Falle ist unechte Gesetzeskonkurrenz zwischen
Art. 275 und
Art. 275ter StGB
anzunehmen, da bereits die erste Bestimmung die Straftaten nach allen Seiten erfasst (Erw. 10 d). Art. 63, 68 und 69, 41 und 51 StGB.
Hauptstrafe, Anrechnung der Untersuchungshaft, bedingter Strafvollzug, Nebenstrafe (Erw. 11 bis 14). | Erwägungen
ab Seite 125
BGE 98 IV 124 S. 125
8.
a) L'art. 19 ch. 1 al. 6 de la loi sur les stupéfiants du 3 octobre 1951 (LStup.), revisée le 18 décembre 1968, punit de l'emprisonnement jusqu'à deux ans ou de l'amende jusqu'à 30 000 fr. celui qui, intentionnellement, sans autorisation, fabrique, importe, entrepose, exporte, utilise ou met dans le commerce des substances et préparations visées à l'art. 7 de la même loi, et qui figurent dans la liste établie par le Service fédéral de l'hygiène publique. Ce service a dressé ladite liste, le 1er juillet 1970. Le "LSD" y figure sous la désignation de Lysergide (d - acide diéthylamide lysergique). En transportant en France, évidemment sans autorisation, une pastille de cette substance, Cuénod l'a exportée. Il tombe de ce chef sous le coup de la loi. Sans doute s'agit-il d'un cas de très peu d'importance; mais la loi ne connaît pas de limite quantitative à la notion d'exportation et la revision de 1968 avait notamment pour objet de supprimer la restriction qualitative figurant à l'ancien art. 7, qui ne soumettait l'importation à l'assentiment du service que lorsqu'elle avait lieu "à des fins commerciales" (Message du Conseil fédéral, FF 1968 I p. 772, repris par le rapporteur de langue allemande au Conseil national, Bulletin officiel de l'Assemblée fédérale, CN 1968 p. 608).
b) Le Ministère public propose que la consommation d'une des substances visées à l'art. 7 de la loi soit punie en tant qu'"utilisation sans autorisation", au sens de l'art. 19 ch. 1 al. 6 de la loi. Tel n'est cependant pas le sens de la loi. La consommation (Verbrauch) des stupéfiants proprement dits n'était pas punissable comme telle en vertu de la loi de 1951 dans sa version originale (cf. RO 95 IV 182) et il en allait certainement de même des substances visées à l'art. 7. Les dispositions revisées entrées en vigueur le 1er janvier 1970 n'ont pas introduit la punition du consommateur de stupéfiants en tant que tel. On doit dès lors tenir pour certain que s'il avait voulu, paradoxalement, incriminer l'absorption, sous une forme ou sous une autre, des substances visées à l'art. 7 de la loi, substances jugées alors, à tort ou à raison, moins dangereuses que les stupéfiants, le législateur l'aurait dit clairement. Incriminer la "consommation" eût peut-être été équivoque, car la Convention unique sur les stupéfiants de 1961 (ROLF 1970 p. 803 ss.), dont la ratification rendait nécessaire la revision du droit interne (sur d'autres points il est vrai), donne à ce terme le sens très particulier de livraison en vue de certains usages
BGE 98 IV 124 S. 126
déterminés (art. 1er ch. 2). Mais on aurait pu user d'un autre terme ou préciser, à l'aide d'une définition légale, le terme "utiliser". Or, on l'a simplement repris de l'ancienne loi, qui n'a été modifiée - outre un changement rédactionnel - que pour supprimer l'expression "à des fins commerciales" (cf. lit. a ci-dessus) et pour ajouter "entreposées", "exportées", et "mises dans le commerce". Cela suffit pour qu'on admette que le législateur n'a pas voulu renverser complètement la position précédemment prise sur la question de la punissabilité de la consommation des substances dont on attend des effets semblables à ceux des stupéfiants.
Pour ce motif déjà, Cuénod ne peut être condamné pour avoir consommé, en France, sa pastille de LSD. Il n'y a donc pas lieu de rechercher encore si cet acte eût été punissable en France (art. 19 ch. 1 dernier alinéa LStup.).
c) Admettant que la consommation de haschich n'est pas punissable aux Indes, le Ministère public a renoncé à accuser Cuénod de ce chef. La Cour n'a donc pas à se prononcer sur ce point (art. 169 al. 1 PPF).
II.
Infraction contre l'Etat
9.
a) Sous la note marginale de haute trahison, l'art. 265 CP punit de la réclusion ou de l'emprisonnement pour un à cinq ans celui qui, notamment, aura commis un acte tendant à modifier par la violence la constitution fédérale ou la constitution d'un canton, à renverser par la violence les autorités politiques instituées par la constitution ou à les mettre par la violence dans l'impossibilité d'exercer leur pouvoir.
Sous la note marginale d'atteinte à l'ordre constitutionnel, l'art. 275 CP punit de l'emprisonnement pour cinq ans au plus, celui qui aura commis un acte tendant à troubler ou à modifier d'une manière illicite l'ordre fondé sur la constitution de la Confédération ou d'un canton. Du point de vue historique, cette disposition trouve son origine dans les arrêtés successifs du Conseil fédéral instituant des mesures pour protéger la démocratie (ACF du 5 décembre 1938, 27 février 1945, 7 mars 1947, 29 octobre 1948). Introduite par la loi revisant le code pénal, du 5 octobre 1950, elle reprend textuellement l'art. 5 du dernier arrêté précité. Elle a été conçue comme un complément de l'art. 265 CP, qui d'une part n'est applicable que si l'auteur entend utiliser la violence et qui d'autre part
BGE 98 IV 124 S. 127
ne permet que dans une mesure restreinte la poursuite des actes préparatoires de la haute trahison (Message du Conseil fédéral, FF 1949 I p. 1246; Bull. stén. CN 1950, 219/220; CE, 1949, 642; cf. aussi, à propos des dispositions correspondantes des ACF du 5.12.38 et du 27.2.45, RO 73 IV 107). Elle protège l'ordre constitutionnel, "ce qui signifie nos institutions politiques, notre régime libéral et démocratique et le fonctionnement normal de nos institutions" (Message, p. 1247). L'atteinte portée au bien protégé doit être commise par des voies illégales ou des moyens illégaux (ibid.). Les actes préparatoires sont déjà punissables (ibid.).
La définition de l'infraction ainsi réprimée est défectueuse et chacun de ses éléments prête à controverse. Aussi s'est-elle attiré les critiques parfois vives de la doctrine (cf. WENGER, Die Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung, thèse Zurich 1954, p. 71 ss.; 97 ss.; Magdalena RUTZ, Strafrechtlicher Schutz der verfassungsmässigen Ordnung, RPS 1970, p. 347 ss., not. 368 ss.). Ces critiques sont fondées en ce sens que la formule légale permettrait de punir des comportements qui n'auraient plus rien de subversif, voire de créer un véritable délit d'opinion, ce qui ne peut être le sens de la loi. La cour n'a pas, cependant, à déterminer abstraitement les limites de la punissabilité. Elle doit se borner à dire si les faits incriminés tombent sous le coup de la loi. Or, même une interprétation restrictive de l'art. 275 CP conduit à répondre affirmativement.
b) Compte tenu de la genèse et de la ratio legis, qui est de compléter la disposition réprimant la haute trahison (cf. lit. a ci-dessus; en outre WENGER, op.cit., p. 93 ss.), il faut considérer que la notion d'atteinte à l'ordre constitutionnel de l'art. 275 CP englobe à tout le moins les lésions plus précises visées par l'art. 265 CP; il y aura ainsi trouble ou modification de l'ordre fondé sur la constitution, au sens de l'art. 275 CP, notamment, chaque fois que les autorités politiques instituées par la constitution - fédérale ou cantonale - auront été mises dans l'impossibilité d'exercer leur pouvoir.
Pour être punissable, l'atteinte portée à l'ordre fondé sur la constitution doit être illicite. La notion d'illicéité peut s'entendre de différentes manières (cf. RUTZ, op.cit., p. 377 ss.). Vu la ratio legis, il ne fait cependant aucun doute que toute modification, quel qu'en soit l'objet, doit être considérée comme illicite lorsqu'elle est recherchée par des voies ou des moyens
BGE 98 IV 124 S. 128
illégaux (Message, loc.cit., p. 1247; cf. en outre: LOGOZ, Commentaire, n. 3 b ad art. 275 CP; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, no 720, 1). On peut se dispenser de rechercher, en l'espèce, si le législateur a entendu prendre parti dans la question controversée des limites matérielles de la révisibilité de la constitution (cf. sur cette question de droit constitutionnel, AUBERT, Droit constitutionnel suisse, no 324 ss.) et incriminer aussi la recherche par la voie normale de la revision constitutionnelle, d'une modification qui porterait atteinte à certaines institutions décrétées intangibles.
Comme la disposition réprimant la haute trahison, l'art. 275 CP punit aussi bien les actes préparatoires que la tentative et le délit consommé. Or, contrairement à la tentative, les actes préparatoires sont généralement équivoques. Lorsque le législateur les déclare exceptionnellement punissables, il appartient au juge de rechercher, au besoin à l'aide d'éléments extrinsèques à l'acte incriminé, si, dans l'intention de l'auteur, cet acte était un pas vers la réalisation du but illicite. S'agissant de l'art. 266 CP, la Cour de céans a jugé que les actes préparatoires ne sont punissables que s'ils ont un lien étroit avec le but visé (RO 73 IV 102). S'agissant de l'art. 275 CP, ce lien peut être plus lâche, ainsi que le montre la peine prévue, soit l'emprisonnement sans minimum spécial (SCHWANDER, op.cit., no 720, 3).
10.
a) Les accusés avaient un plan précis, du moins dans ses grandes lignes. En résumé, ils entendaient, au moyen d'actes terroristes, en particulier d'attentats à l'explosif, créer un climat d'insécurité, que des groupes de toute nature auraient exploité, et déclencher ainsi le cycle de la répression et de la violence, qui devait aboutir à l'ébranlement et à l'éclatement des structures morales, sociales et politiques. S'il se réalise et quel qu'en soit l'aboutissement, un plan de ce genre est à tout le moins propre à mettre les autorités constituées, ne serait-ce que provisoirement, dans l'impossibilité d'exercer leur pouvoir. Cuenod, en admettant avoir voulu voir éclater des troubles semblables à ceux qui se sont produits à Paris en mai 1968, a reconnu avoir accepté pareil résultat pour le cas où il se produirait. Quels qu'aient été ses mobiles profonds, Maerki n'a pas pu manquer de l'accepter aussi. Les deux accusés ont ainsi voulu - au moins au sens du dol éventuel - porter atteinte à l'ordre fondé sur la constitution, au sens de l'art. 275 CP.
BGE 98 IV 124 S. 129
b) Loin de se borner à mettre au point un plan d'action, les accusés ont constitué et soigneusement entretenu un important stock d'armes et de munition qui, si elles n'étaient pas le moyen le plus propre à perpétrer des attentants terroristes, jouaient un rôle important dans leurs projets. Elles devaient soit leur servir de monnaie d'échange pour se procurer des explosifs destinés à des attentats, soit leur permettre d'opposer une résistance efficace à l'action de la force publique. La constitution de ce stock se trouvait ainsi en rapport relativement étroit avec leur but. Sauf circonstances particulières (cf. RO 98 IV 45), la résistance à la force publique est en effet illicite et il n'est pas douteux que l'on peut contribuer à saper les structures d'un Etat lorsque, après avoir porté atteinte aux biens qu'il a pour mission de protéger, on réussit à se soustraire à toute sanction, ébranlant par là la confiance dans les institutions. Lors même qu'elle n'aurait pas d'autre fin que de rendre plus efficace cette résistance, la confection par les accusés d'un fichier de renseignements sur les agents, les postes et les véhicules de la police constitue un acte préparatoire présentant un lien suffisamment étroit avec le but visé pour tomber sous le coup de l'art. 275 CP. Ce lien existe à plus forte raison pour la constitution du stock d'armes et de munition - c'est précisément un des exemples cités par le Message du Consil fédéral (p. 1247) - et pour la tentative avortée de cambriolage d'un dépôt d'explosifs. Il existe aussi, quoique plus lâche, pour le repérage des stands de tir et la liste des armuriers, qui devaient servir à faciliter un éventuel réapprovisionnement en munition et permettre aux accusés de se procurer des armes de poing nécessaires à leur entreprise. Les autres préparatifs des accusés, en revanche, sont en rapport trop indirect avec leur but subversif pour être punissables en vertu de l'art. 275 CP.
c) Il est incontestable et du reste incontesté que la voie choisie par les accusés pour atteindre leur but était illicite. La réussite de leur plan eût exigé, il est vrai, la conjugaison de divers facteurs, indépendants dans une large mesure de leur action personnelle, et ils n'auraient joué, par leurs actes de violence, qu'un rôle de catalyseur dans un processus qui, pour le surplus, leur aurait échappé. Mais c'est précisément contre des entreprises sournoises de cette nature, qui ne tombent pas, faute de violence directe, sous le coup de l'art. 265 CP, que les
BGE 98 IV 124 S. 130
dispositions issues de la revision de 1950, inspirées par l'émotion consécutive au "coup de Prague" de 1948, doivent protéger l'Etat (cf. Message, p. 1238 s., 1247). Les éléments troubles sur l'action desquels les accusés comptaient existent sans aucun doute, même s'ils sont peu nombreux, et ils sont prêts à exploiter toute détérioration du climat politique. Les projets des accusés n'étaient donc pas d'emblée dépourvus de chances de succès, l'Etat démocratique et libéral en général et la Suisse en particulier étant mal armés pour se protéger contre de telles entreprises et contre ceux qui les exploitent à des fins moins généreuses.
Ainsi, ceux des actes des accusés qui se trouvent en relation suffisamment étroite avec le but poursuivi (cf. lit. b ci-dessus) tombent sous le coup de l'art. 275 CP. Sous réserve du cambriolage avorté du dépôt militaire, qui est une tentative (art. 21 ch. 2 et 275 CP), les autres actes sont des délits consommés. L'acte préparatoire étant érigé en délit spécial, le degré de réalisation n'est pas affecté par un changement d'intention de l'auteur postérieur à l'acte. Au demeurant, rien ne permet de dire que Maerki ait, même aujourd'hui, renoncé à ses projets. Pour Cuénod, ce changement d'orientation est, en dépit de quelques hésitations qu'il a pu avoir auparavant, postérieur non seulement aux derniers en date des actes incriminés, mais encore à son arrestation. Il est sans influence sur la qualification de ces actes.
d) L'art. 275ter CP punit de l'emprisonnement celui qui aura fondé un groupement qui vise ou dont l'activité consiste à accomplir des actes réprimés par les
art. 265, 266bis, 271 à 274
, 275 et 275bis, de même que celui qui aura adhéré à un tel groupement, ou se sera associé à ses menées, ou en aura provoqué la fondation, ou en aura suivi les instructions. C'est, selon la jurisprudence relative à l'ancien art. 275 dont le texte était semblable, une disposition subsidiaire, qui ne s'applique pas lorsque le groupement illicite a passé à l'action et que les membres dudit groupement sont punissables en application d'une des dispositions auxquelles le texte légal se réfère (RO 73 IV 103 s.). Certes, cette jurisprudence ne s'oppose pas absolument à l'application concurrente de l'art. 275ter et d'une des dispositions qui y est mentionnée. Tel serait le cas par exemple si, fondateur ou affilié à un groupement visant à la haute trahison, l'auteur avait de surcroît commis des actes constitutifs
BGE 98 IV 124 S. 131
du délit d'atteinte à l'ordre constitutionnel. En l'espèce cependant, les actes de violence projetés par les accusés n'étaient pas dirigés directement contre les biens protégés par l'une ou l'autre des dispositions énumérées à l'art. 275ter CP, sous réserve de l'art. 275 lui-même. Leur groupement, si groupement il y avait, visait seulement à l'atteinte à l'ordre constitutionnel au sens de l'art. 275 CP. Celui-ci étant appliqué, l'art. 275ter CP ne peut plus l'être concurremment avec lui.
III.
Les peines
11.
En vertu de l'art. 63 CP, le juge fixera la peine d'après la culpabilité du délinquant, en tenant compte des mobiles, des antécédents et de la situation personnelle de ce dernier. Lorsque, par un ou plusieurs actes, le délinquant a encouru plusieurs peines privatives de liberté, le juge le condamnera à la peine de l'infraction la plus grave et en augmentera la durée d'après les circonstances, mais pas au-delà de la moitié en sus du maximum de la peine prévue pour cette infraction (art. 68 CP).
En l'espèce, le vol en bande (art. 137 ch. 2 CP) est l'infraction que la loi punit de la peine la plus grave. Sous réserve d'atténuation de la peine, les accusés sont passibles, au minimum, d'une peine d'emprisonnement supérieure à trois mois et au maximum d'une peine de quinze ans de réclusion. Il convient d'examiner, pour chaque accusé séparément, l'application de l'art. 63 CP et les causes d'atténuation éventuelle.
a) Contrairement à l'avis du médecin, la Cour considère que Cuénod n'était pas, au moment d'agir, en état de responsabilité restreinte au sens de l'art. 11 CP. La crise qu'il traversait n'est assimilable ni à un trouble dans sa santé mentale ou dans sa conscience, ni à un développement mental incomplet. Pour le même motif, il n'y a pas lieu, dans la mesure où le nouveau droit est applicable, de retenir une circonstance atténuante au sens de l'art. 64 ch. 1 dernier alinéa nouveau CP. En revanche, il conviendra de tenir compte des faits relevés par le médecin, que la Cour fait siens, dans l'application de l'art. 63 CP.
Cuénod n'a jamais été condamné; encore qu'il ne soit pas d'une grande portée, vu l'âge de l'accusé, ce fait par le en faveur de celui-ci, de même que ses mobiles qui sans être honorables (art. 64 CP) n'étaient généralement pas égoïstes. En revanche, il a fait preuve dans son activité criminelle d'une persévérance,
BGE 98 IV 124 S. 132
voire d'une obstination, rares, et d'une habileté consommée qui le font apparaître objectivement dangereux. S'il s'en est pris principalement aux biens de l'Etat, ce qui, vu ses convictions politiques, peut atténuer la gravité de l'infraction du point de vue subjectif, il n'a pas hésité à s'attaquer aussi aux biens des particuliers, notamment à s'emparer de véhicules automobiles, sans se préoccuper des inconvénients qui en résulteraient pour les détenteurs, et dans un cas notamment (ch. 1 b ci-dessus), sans qu'on puisse établir un lien quelconque entre l'infraction et le but politique. Il était prêt à livrer un certain nombre d'armes meurtrières à des terroristes étrangers, auxquels il était évidemment exclu de poser des conditions, ce qui dénote un mépris certain de la vie d'autrui. Il a abusé des facilités que lui donnaient la position de sa famille et l'éducation qu'il a reçue. Pour tous ces motifs, et quelque sincère qu'ait pu être la conviction politique de Cuénod, il se justifie en principe de prononcer contre lui une peine de réclusion.
Cependant, Cuénod était mineur lorsqu'il a commis les infractions retenues contre lui. Au début tout au moins, il était encore sous le coup du choc émotionnel provoqué par le contraste entre la société orientale, qu'il voyait tout animée par la fraternité, et la société occidentale, où règne à son avis une constante agressivité. S'il démontre encore une fois l'égocentrisme de Cuénod, très sensible à l'attitude de ceux qui partagent ou refusent de partager avec lui, mais qui n'apporte jamais rien lui-même, ce choc était aussi de nature à affaiblir sa volonté. En outre, Cuénod traversait, à dire de médecin, une crise pubertaire aiguë et anormalement prolongée. Alors que ses parents lui avaient laissé très tôt la responsabilité de son existence, il manquait de la maturité nécessaire pour l'assumer. Il se trouvait plongé dans l'atmosphère déroutante d'une société dont tous les fondements sont l'objet d'une contestation stérile. Sa vive curiosité le poussait à se nourrir d'oeuvres anarchistes à un moment où il était encore peu capable de critique. Ces éléments viennent diminuer la capacité de l'accusé de résister à la tentation de la délinquance. Certes, pas plus que le mobile politique qui inspirait la plus grande partie de ses actes, ils ne justifient l'application d'une peine d'emprisonnement seulement. La froide détermination et l'obstination de Cuénod s'y opposent, comme elles s'opposent à l'application de l'art. 100 ancien CP. En revanche, et compte tenu encore du revirement
BGE 98 IV 124 S. 133
que cet accusé a connu lors de sa détention préventive, ils permettent de réduire très sensiblement la durée de la peine de réclusion à prononcer et de l'arrêter à un an et demi.
b) Maerki n'a jamais été condamné; indépendamment des actes dont il a à répondre aujourd'hui, il a mené une vie irréprochable. Ses mobiles, sans être en aucune manière honorables (art. 64 CP), étaient le plus souvent désintéressés, si l'on excepte le vol de l'automobile de dame Montus et le cambriolage de la maison des parents de son ami, qu'il n'a pas hésité à dévaliser alors qu'il y était reçu régulièrement. En revanche, il a persévéré dans le crime avec la même obstination que son coaccusé, sans pouvoir invoquer aucune des circonstances qui diminuent la culpabilité de ce dernier. Sa fragilité psychique ne permet en aucune façon de conclure à une responsabilité restreinte. Cependant, il n'avait guère plus de vingt ans quand il a agi. Il ne doit pas être puni plus sévèrement pour avoir fait défaut. La peine à prononcer ne doit pas avoir pour effet de lui ôter tout espoir de retour au pays, où il serait certainement capable de jouer un rôle utile, s'il devait revenir sur ses convictions exclusivement destructrices. Une peine de deux ans et demi de réclusion paraît dès lors adéquate.
Aucune des infractions retenues n'étant punie exclusivement ou obligatoirement de l'amende, la Cour renonce à prononcer encore une peine pécuniaire.
12.
La détention préventive n'a été ni provoquée ni prolongée par la conduite de Cuénod après l'infraction. Elle doit être intégralement imputée sur la peine privative de liberté prononcée (art. 69 CP et 171 PPF).
13.
Les conditions objectives de sursis (art. 41 CP) sont réunies en ce qui concerne Cuénod. Celui-ci déclare avoir renoncé à la violence et vouloir tenter d'atteindre par des moyens licites certains des objectifs qu'il visait et qu'il n'entend pas renier. La Cour le croit sincère. Elle n'a pas de raison de penser que d'autres mobiles pourraient l'entraîner de nouveau sur la voie de la délinquance. Le médecin émet lui aussi un pronostic favorable. On peut dès lors penser qu'une peine dont l'exécution sera suspendue pendant une longue durée suffira à détourner Cuénod de commettre de nouveaux crimes ou délits. Il apparaît que cet accusé sera suffisamment soutenu par sa famille, comme il l'a été durant sa détention préventive; on peut donc renoncer à le soumettre à un patronage.
BGE 98 IV 124 S. 134
14.
Les infractions commises démontrent que les accusés, actuellement du moins, sont indignes de confiance au sens de l'art. 51 ch. 2 nouveau CP. Ils doivent être frappés de la peine accessoire de l'incapacité d'exercer une charge ou une fonction, pour une durée limitée à cinq ans, vu leur jeune âge. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d7bb3573-6811-4394-a711-89ea30923558 | Urteilskopf
141 V 343
36. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zug gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_620/2014 vom 11. Mai 2015 | Regeste
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
;
Art. 14a Abs. 2 ELV
; Anrechnung von Verzichtseinkommen bei Teilinvaliden.
Das hypothetische Invalideneinkommen, das der Ermittlung des Invaliditätsgrades zugrunde liegt, kann nicht als Verzichtseinkommen im Rahmen der Berechnung der Ergänzungsleistungen herangezogen werden, wenn eine teilinvalide Person ihre Resterwerbsfähigkeit nicht ausschöpft. Solches kann insbesondere nicht aus
BGE 140 V 267
abgeleitet werden. Den Sachverhalt der fehlenden oder unzureichenden Verwertung der Resterwerbsfähigkeit regelt
Art. 14a Abs. 2 ELV
(E. 5.4). | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 141 V 343 S. 344
A.
Die 1970 geborene A. bezieht seit 1. Februar 2009 aufgrund eines ermittelten Invaliditätsgrades von 50 % (Invalidität im Erwerbsbereich: 46 % [Erwerbsanteil 80 %; Einschränkung 58 %]; Invalidität im Haushaltbereich 4 % [Haushaltanteil 20 %; Einschränkung 19 %]) eine halbe Rente der Invalidenversicherung (Verfügung der IV-Stelle Zug vom 26. April 2013).
Im Mai 2013 meldete sich A. zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) an. Die Ausgleichskasse Zug (nachfolgend: Ausgleichskasse) als zuständige Durchführungsstelle berücksichtigte im Rahmen ihrer Berechnung einnahmeseitig ein hypothetisches Einkommen. Mit Verfügung vom 4. September 2014 sprach sie A. für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 31. Dezember 2011 Ergänzungsleistungen in unterschiedlicher Höhe zu und verneinte einen Anspruch für die Zeit ab 1. Januar 2012 (Verfügung vom 4. September 2013). Daran hielt sie auf Einsprache der Versicherten hin fest (Entscheid vom 6. Januar 2014).
B.
Beschwerdeweise liess A. beantragen, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und es sei ihr "höchstens ein hypothetisches Einkommen gemäss
Art. 14a Abs. 2 lit. b ELV
" anzurechnen. Replicando änderte sie ihr Rechtsbegehren insoweit, als sie im Hauptantrag den Verzicht auf die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens und eventualiter das Abstellen auf
Art. 14a Abs. 2 ELV
(SR 831.301) verlangte. Mit Entscheid vom 16. Juli 2014 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug die Beschwerde insoweit gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die Ausgleichskasse zurückwies, damit sie eine neue Berechnung im Sinne der Erwägungen vornehme und danach über den Ergänzungsleistungsanspruch neu verfüge; im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr Einspracheentscheid vom 6. Januar 2014 zu bestätigen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (
Art. 95 lit. a BGG
). Die Feststellung des Sachverhalts kann
BGE 141 V 343 S. 345
nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
).
3.
3.1
Die jährliche Ergänzungsleistung (
Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG
[SR 831.30]) entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (
Art. 9 Abs. 1 ELG
). Als Einnahmen angerechnet werden unter anderem Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
).
3.2
Invaliden wird als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet, den sie im massgebenden Zeitabschnitt tatsächlich verdient haben (
Art. 14a Abs. 1 ELV
in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 5 lit. c ELG
). Gemäss
Art. 14a Abs. 2 ELV
ist jedoch Invaliden unter 60 Jahren als Erwerbseinkommen mindestens anzurechnen: der um einen Drittel erhöhte Höchstbetrag für den Lebensbedarf von Alleinstehenden nach Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 ELG bei einem Invaliditätsgrad von 40 bis unter 50 Prozent (lit. a), der Höchstbetrag für den Lebensbedarf nach lit. a bei einem Invaliditätsgrad von 50 bis unter 60 Prozent (lit. b) und zwei Drittel des Höchstbetrages für den Lebensbedarf nach lit. a bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis unter 70 Prozent (lit. c).
3.3
Wird der Grenzbetrag in
Art. 14a Abs. 2 lit. a-c ELV
nicht erreicht, insbesondere wenn keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, gilt die Vermutung eines Verzichts auf Einkünfte im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
. Diese Vermutung kann durch den Nachweis, dass invaliditätsfremde Gründe wie Alter, mangelhafte Ausbildung und Sprachkenntnisse, persönliche Umstände oder die Arbeitsmarktsituation die Verwertung der Resterwerbsfähigkeit übermässig erschweren oder verunmöglichen, widerlegt werden. Massgebend für die Berechnung der Ergänzungsleistungen ist daher das hypothetische Einkommen, das die Versicherte tatsächlich realisieren könnte (
BGE 140 V 267
E. 2.2 S. 270;
BGE 131 II 656
E. 5.2 S. 661 f.;
BGE 117 V 153
E. 2b/c S. 155 f.,
BGE 117 V 202
E. 2a/b S. 204 f.).
BGE 141 V 343 S. 346
3.4
Die Festsetzung des hypothetischen Einkommens, soweit sie auf der Würdigung konkreter Umstände beruht, stellt eine Tatfrage dar, welche lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar ist. Rechtsfrage ist dagegen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit erfolgt (
BGE 140 V 267
E. 2.4 S. 270 mit Hinweisen).
4.
Streitig und zu prüfen ist, in welcher Höhe der 1970 geborenen, teilinvaliden (Invaliditätsgrad: 50 % [Erwerbsbereich: 46 %; Haushaltbereich: 4 %]) Versicherten bei der Ermittlung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ein hypothetisches Erwerbseinkommen als Verzichtseinkommen anzurechnen ist.
4.1
Die Vorinstanz erwog, die Bestimmung des
Art. 14a Abs. 2 ELV
stelle eine widerlegbare gesetzliche Vermutung auf, dass ein Invalider jedenfalls das dort umschriebene hypothetische Einkommen erzielen könne. Eine Abweichung nach oben, d.h. eine Erhöhung des anrechenbaren hypothetischen Einkommens, sei undenkbar, ausser wenn nachweisbar feststehe, dass ein EL-Ansprecher eine ihm zumutbare Tätigkeit freiwillig aufgab oder eine ihm offenstehende Stelle nicht antrat. Indessen sei ein freiwilliger Verzicht auf ein Erwerbseinkommen nicht leichthin anzunehmen. Wenn die Ausgleichskasse die Auffassung vertrete, dass sich die Versicherte zu wenig um eine zumutbare Anstellung bemühe bzw. bemüht habe, müsse sie dies der Versicherten im Rahmen des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens vorhalten, um daran Rechtsfolgen zu knüpfen. Entgegen der Ausgleichskasse könne das hypothetische Einkommen nach
Art. 14a Abs. 2 ELV
nicht mit dem hypothetischen Invalideneinkommen gleichgesetzt werden.
4.2
Die Beschwerde führende Ausgleichskasse stellt sich auf den Standpunkt, das hypothetische Einkommen gemäss Invaliditätsgradermittlung der IV-Stelle - allenfalls abzüglich zusätzlicher Faktoren wie Arbeitsmarkt, Betreuung von Angehörigen etc. - könne als hypothetisches Verzichtseinkommen im Rahmen der Ergänzungsleistungsberechnung herangezogen werden, sofern die versicherte Person sich nicht um eine adäquate zumutbare Eingliederung bemühe. Die versicherte Person verletze damit ihre Schadenminderungspflicht, was im Bereich der Ergänzungsleistungen gleichermassen wie in demjenigen der Invalidenversicherung zu sanktionieren sei. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung gemäss
BGE 140 V 267
. Nach der Verfügung der IV-Stelle Zug vom 26. April 2013 sei der
BGE 141 V 343 S. 347
Versicherten zumutbar, eine angepasste Tätigkeit im Umfang von 50 % aufzunehmen und dabei ein Einkommen von Fr. 24'450.- zu erzielen. Dieses Einkommen sei deshalb auch im Rahmen der Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs als hypothetisches Einkommen zu berücksichtigen. Die Überlegungen bei der Einführung von
Art. 14a Abs. 2 ELV
seien ein Vierteljahrhundert alt und würden auf den vorliegenden Fall nicht zutreffen. Die Anwendung der tiefen Schwellenwerte des
Art. 14a Abs. 2 ELV
sei geradezu eine "Einladung zur Ausgliederung", indem jeder Versicherte schlecht beraten wäre, eine Tätigkeit aufzunehmen, deren Entlöhnung über die Schwellenwerte hinausginge. Ausserdem verletze "die Interpretation des
Art. 14a ELV
, wonach in keinem Fall ein höheres hypothetisches Einkommen als diejenigen des Absatzes 2 dieses Artikels angerechnet werden darf, das Gebot der Rechtsgleichheit". Der zwischen den Grenzen von
Art. 14a Abs. 2 ELV
und dem Invalideneinkommen liegende Verdienstausfall solle nach der Vorinstanz durch Ergänzungsleistungen gedeckt werden. Die vorinstanzliche Interpretation habe eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zur Folge: Die Person, welche eine Rente beziehe, sei infolge der grosszügigeren Berechnungsgrundlagen der Ergänzungsleistungen (tiefer Schwellenwert, Freibetrag) bessergestellt als eine gesunde Person, welche gar kein oder nur ein Einkommen unter der Existenzgrenze erziele und Sozialhilfe beziehen müsse.
5.
5.1
Bei einer teilinvaliden versicherten Person wie der Beschwerdegegnerin setzt die hier zur Diskussion stehende Anrechnung eines Verzichtseinkommens voraus, dass sie aus von ihr zu vertretenden Gründen ihre Resterwerbsfähigkeit nicht ausnützt, indem sie - in Verletzung ihrer Schadenminderungspflicht - von der Ausübung einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (ERWIN CARIGIET, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 152; RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1756). Dabei kann der Verzicht darin bestehen, dass die versicherte Person gar keine Erwerbstätigkeit ausübt, obwohl ihr dies zumutbar und möglich wäre, oder dass sie zwar eine Erwerbstätigkeit ausübt und Erwerbseinkünfte erzielt, es ihr aber zumutbar und möglich wäre, mehr zu verdienen (beispielsweise durch Erhöhung des Beschäftigungsgrades, Ausübung einer qualifizierteren oder besser entlöhnten Erwerbstätigkeit etc.; JÖHL, a.a.O., S. 1759 unten f.).
BGE 141 V 343 S. 348
Zur Verfahrensvereinfachung wird in
Art. 14a Abs. 2 ELV
die widerlegbare Vermutung aufgestellt, dass es den teilinvaliden Versicherten möglich und zumutbar ist, im Rahmen des von der IV-Stelle festgestellten verbliebenen Leistungsvermögens die darin festgelegten Grenzbeträge (hypothetisches Erwerbseinkommen) zu erzielen (
BGE 117 V 153
; CARIGIET, a.a.O., S. 153; JÖHL, a.a.O., S. 1767; URS MÜLLER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum ELG, 3. Aufl. 2015, S. 197 ff.; vgl. auch Rz. 3424.04 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL], gültig ab 1. April 2011 [Stand 1. Januar 2014]).
5.2
Im Bereich der Ergänzungsleistungen gilt der Grundsatz, dass das mögliche Erwerbseinkommen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles - wie namentlich Alter, Gesundheitszustand, Sprachkenntnisse, Ausbildung, bisherige Tätigkeit und konkrete Arbeitsmarktlage - zu ermitteln ist (vgl.
BGE 117 V 287
E. 3a S. 290; AHI 2001 S. 132, P 18/99 E. 1b; CARIGIET, a.a.O., S. 154; JÖHL, a.a.O., S. 1760). Schon aus diesem Grunde kann für die Frage nach dem Vorliegen von Verzichtseinkommen im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
nicht ohne Weiteres auf das zumutbare Invalideneinkommen nach
Art. 16 ATSG
(SR 830.1), welches auf verschiedenen Fiktionen - insbesondere einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage (vgl. dazu Urteil 9C_192/2014 vom 23. September 2014 E. 3.1) - beruht, abgestellt werden (
BGE 140 V 267
E. 2.2 S. 270, E. 5.3 S. 275 f.; vgl. auch Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts P 40/04 vom 17. August 2005 E. 2; P 18/02 vom 9. Juli 2002 E. 4; CARIGIET, a.a.O., S. 156; MIRIAM LENDFERS, Hypothesen bei den Ergänzungsleistungen, in: Fiktives, Hypothetisches und Konstruiertes im Sozialversicherungsrecht, Ueli Kieser [Hrsg.], 2012, S. 101 ff., 119).
5.3
Im Urteil gemäss
BGE 140 V 267
war der Fall eines Versicherten zu beurteilen, der sich weigerte, an der ihm von der IV-Stelle zugesprochenen beruflichen Massnahme (erstmalige berufliche Ausbildung zum medizinischen Masseur) mitzuwirken. Nachdem die IV-Stelle ihn wiederholt erfolglos zur Mitwirkung aufgefordert und auf die Folgen seiner Widersetzlichkeit aufmerksam gemacht hatte, brach sie die Eingliederungsmassnahme wegen Aussichtslosigkeit ab. Das Bundesgericht entschied, der enge Zusammenhang zwischen der Invalidenversicherung und den Ergänzungsleistungen (vgl.
Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG
) rechtfertige es, dem der Verletzung der Schadenminderungspflicht innewohnenden subjektiven Tatbestandselement
BGE 141 V 343 S. 349
- dem fehlenden Eingliederungswillen - auch im Bereich der Ergänzungsleistungen Rechnung zu tragen. Es könne deshalb im Rahmen des
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
auf das nach Durchführung der Eingliederungsmassnahme erzielbare Einkommen abgestellt werden. Andernfalls könnte sich die versicherte Person für die invalidenversicherungsrechtlichen Folgen ihrer Widersetzlichkeit mittels Ergänzungsleistungen zumindest teilweise schadlos halten, was dem
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
zugrunde liegenden Prinzip der Eigenverantwortung zuwiderliefe (
BGE 140 V 267
E. 5.2.2 S. 274 f.; vgl. dazu auch MÜLLER, a.a.O., S. 199 ff.).
5.4
Zu Unrecht folgert die Ausgleichskasse aus
BGE 140 V 267
, das der Invaliditätsgradermittlung zugrunde gelegte (hypothetische) Invalideneinkommen könne als Verzichtseinkommen im Rahmen der Ergänzungsleistungsberechnung stets herangezogen werden, wenn die versicherte Person die verbleibende Resterwerbsfähigkeit nicht ausschöpfe. Denn um den Sachverhalt der fehlenden oder unzureichenden Verwertung der Resterwerbsfähigkeit zu regeln, wurde die Bestimmung des
Art. 14a Abs. 2 ELV
eingeführt. Wie den Erläuterungen des BSV zu der am 1. Januar 1988 in Kraft getretenen Norm (AHI 1987 S. 544 ff.) zu entnehmen ist, wurde mit der Regelung bezweckt, aufwändige Abklärungen zur Höhe des noch zumutbaren Einkommens und schwierige Ermessensentscheide zu vermeiden. Dabei wurde die Möglichkeit, auf das von der Invalidenversicherung festgesetzte, trotz Gesundheitsschaden zumutbarerweise erzielbare Einkommen (Invalideneinkommen) abzustellen, wie dies die Beschwerde führende Ausgleichskasse für richtig hält, verworfen, weil sie nicht allen Fällen gerecht werde (welches Argument noch heute unverändert gilt; vgl. E. 5.2). Aus diesem Grunde wurde mit
Art. 14a Abs. 2 ELV
eine davon unabhängige Regelung - die Anrechnung bestimmter pauschalierter Mindestbeträge - geschaffen, welche überflüssig wäre, wenn der Auffassung der Ausgleichskasse gefolgt würde.
5.5
Eine mit dem
BGE 140 V 267
zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor: Im Rahmen des IV-Verfahrens sind keine Bemühungen der IV-Stelle um die berufliche Eingliederung der Versicherten und demzufolge auch keine Widersetzlichkeiten der Versicherten gegen zugesprochene berufliche Massnahmen dokumentiert. Damit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall wesentlich von dem in
BGE 140 V 267
beurteilten, indem der Versicherten eine Verletzung der
BGE 141 V 343 S. 350
Schadenminderungspflicht im Sinne fehlender Mitwirkung nicht vorgeworfen werden kann.
5.6
Nichts zu Gunsten ihres Standpunktes abzuleiten vermag die Ausgleichskasse aus dem Vorbringen, die vorinstanzliche Interpretation des
Art. 14a Abs. 2 ELV
führe zu einer Ungleichbehandlung von EL-Ansprechern und Sozialhilfebezügern. Denn das Argument lässt ausser Acht, dass sich Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe in den gesetzlichen Grundlagen, ihrem Zweck, der Finanzierung, den Voraussetzungen und im Leistungsumfang beträchtlich voneinander unterscheiden und eine Ungleichbehandlung der Leistungsbezüger aus diesem Grunde systemimmanent ist (vgl. zu den Unterschieden und Angleichungsforderungen im Einzelnen auch Bericht des Bundesrates vom 20. November 2013 [in Erfüllung der Postulate Humbel (12.3602) vom 15. Juni 2012, Kuprecht (12.3673) vom 11. September 2012 und der FDP-Liberalen Fraktion (12.3677) vom 11. September 2012], Ergänzungsleistungen zur AHV/IV: Kostenentwicklung und Reformbedarf, S. 62 und 67 ff.).
5.7
Mit der Vorinstanz ist demnach festzuhalten, dass bei dieser Sachlage die Bestimmung des
Art. 14a Abs. 2 ELV
zur Anwendung gelangt.
Der Invaliditätsgrad der Versicherten wurde nach der gemischten Methode (
Art. 28a Abs. 3 IVG
) ermittelt (Verfügung der IV-Stelle Zug vom 26. April 2013). An diese Invaliditätsbemessung der IV-Stelle haben sich die EL-Organe und die Sozialversicherungsgerichte grundsätzlich zu halten (
BGE 140 V 267
E. 2.3 S. 270;
BGE 117 V 202
E. 2b S. 205); für ein Abweichen besteht auch hier kein Anlass. Rechtsprechungsgemäss (
BGE 117 V 202
E. 2c in fine S. 206) ist im Falle eines nach der gemischten Methode ermittelten Invaliditätsgrades für die Frage, welche Litera der Bestimmung des
Art. 14a Abs. 2 ELV
zur Anwendung gelangt, die Einschränkung im erwerblichen Teil massgebend (vgl. auch CARIGIET, a.a.O., S. 153 Fn. 472). Da diese im Falle der Versicherten 58 % beträgt, ist lit. b (Invaliditätsgrad von 50 bis unter 60 %) massgebend, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat.
5.8
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz die Sache zu Recht an die Ausgleichskasse zurückgewiesen hat, damit diese im Rahmen der Ergänzungsleistungsberechnung ein Verzichtseinkommen nach
Art. 14a Abs. 2 lit. b ELV
berücksichtige und hernach über den Anspruch der Beschwerdegegnerin neu verfüge. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d7be74fa-f48b-403b-918d-c5fc526d6631 | Urteilskopf
124 IV 219
37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Juni 1998 i.S. J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 35 Abs. 1 SVG
,
Art. 8 Abs. 3 VRV
und
Art. 36 Abs. 5 VRV
. Wird auf einer Autobahn die Aufhebung des rechten Fahrstreifens angezeigt, beginnt die Phase des Eingliederns der Fahrzeuge in die weitergeführte Fahrspur.
Das Aufschliessen auf der rechten Fahrspur bis zu deren Aufhebung ist unter Übung der gebotenen Vorsicht erlaubt, auch wenn der Fahrzeuglenker dabei an einer Kolonne, die sich auf dem linken Fahrstreifen gebildet hat, rechts vorbeifährt. | Sachverhalt
ab Seite 219
BGE 124 IV 219 S. 219
Am 14. Januar 1997 ereignete sich auf der Autobahn A 1 bei Safenwil ein Unfall. Aus diesem Grund musste der rechte Fahrstreifen mittels Triopan-Signalisation gesperrt werden. Bei der Autobahneinfahrt Aarau West wurde ein festes Signal mit dem Hinweis «Stau» aufgestellt, und etwa einen Kilometer vor der Unfallstelle wurde der Spurabbau mit dem Signal «Anzeige der Fahrstreifen,
BGE 124 IV 219 S. 220
1000 Meter Spurabbau rechts» angekündigt. Der Verkehr bewegte sich in einer zähfliessenden Kolonne auf der Überholspur. Trotz der Hinweissignale auf den Spurabbau setzte J. seine Fahrt auf der Normalspur fort und fuhr rechts an der Kolonne vorbei.Aufgrund dieses Sachverhalts verurteilte das Bezirksamt Zofingen J. mit Strafbefehl vom 6. März 1997 wegen Nichtbeachtens des Signals «Anzeige der Fahrstreifen» und verbotenen Rechtsvorbeifahrens auf der Autobahn zu einer Busse von Fr. 300.--. Auf Einsprache von J. hin, erklärte das Bezirksgericht Zofingen diesen am 18. September 1997 der Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 1 des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr (SVG; SR 741.01) i.V.m.
Art. 35 Abs. 1 SVG
und 36 Abs. 5 der Verordnung über die Strassenverkehrsregeln (VRV; SR 741.11) (verbotenes Rechtsvorbeifahren auf Autobahnen) schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 300.--, bei Nichtbezahlung umwandelbar in Haft. Eine gegen diesen Entscheid erhobene Berufung des Verurteilten wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 14. Januar 1998 kostenfällig ab.
Gegen diesen Entscheid führt J. sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde je mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung (Freispruch von Schuld und Strafe) an die Vorinstanz zurückzuweisen.Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf Gegenbemerkungen, die Staatsanwaltschaft auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage)
2.
a) Das Bezirksgericht hatte angenommen, die gemäss
Art. 27 SVG
zu beachtenden Signale und Markierungen seien nur dann verbindlich, wenn sie den Vorschriften der Signalisationsverordnung (SSV; SR 741.21) entsprächen (
Art. 101 Abs. 1 SSV
). Das Triopan-Signal «Spurabbau rechts in 1000 Metern» sei in der SSV nicht vorgesehen und entfalte daher keine rechtlich bindende Wirkung. Es künde lediglich eine zukünftige Gefahr an. Die Missachtung dieses Signals sei für sich allein nicht strafbar. Hingegen sei das Verhalten des Beschwerdeführers als verbotenes Rechtsvorbeifahren zu qualifizieren.Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, im zu beurteilenden Fall könne nicht von parallelem Kolonnenverkehr ausgegangen werden,
BGE 124 IV 219 S. 221
so dass die Ausnahmebestimmung von
Art. 8 Abs. 3 VRV
und die Sonderregel für den Verkehr auf Autobahnen von
Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV
ausser Betracht fielen. Der Beschwerdeführer habe die sich auf der linken Fahrspur bewegende Fahrzeugkolonne über mehrere hundert Meter rechts passiert, so dass kein Einreihemanöver angenommen werden könne. Es könne auch nicht gesagt werden, das nicht von vornherein ungefährliche Fahrverhalten des Beschwerdeführers habe zur Verhinderung einer stärkeren Staubildung beigetragen, da erfahrungsgemäss das spätere Sicheinfügen in eine vor einem Verkehrshindernis zurückstauende Fahrzeugkolonne diese zum Abbremsen veranlasse und den Verkehrsfluss daher eher beeinträchtige, sicher aber nicht erhöhe.
b) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 35 Abs. 1 SVG
sowie der Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 5 VRV. Die Vorinstanz habe ihr Urteil allein auf den Wortlaut der genannten VRV-Bestimmungen abgestützt, ohne die Besonderheit der konkreten Situation zu berücksichtigen. Indem er auf einer offenen Fahrspur aufschloss, nachdem die vor ihm fahrenden Fahrzeuglenker die Fahrspur gewechselt hatten, und sich schliesslich vor dem effektiven Spurabbau in die linke Kolonne einreihte, habe er sich vollkommen verkehrsadäquat verhalten. Werde eine zweispurige Fahrbahn auf die linke Fahrspur verlegt, müsse es möglich und gestattet sein, auf der rechten Fahrspur aufzuschliessen, auch wenn dabei die formellen Anforderungen an eine Kolonne gemäss VRV (noch) nicht erfüllt seien.
3.
a) Nach
Art. 35 Abs. 1 SVG
ist rechts zu kreuzen und links zu überholen, woraus sich ein Verbot des Rechtsüberholens ergibt. Ein Überholen liegt vor, wenn ein schnelleres Fahrzeug ein in gleicher Richtung langsamer vorausfahrendes einholt, an ihm vorbeifährt und vor ihm die Fahrt fortsetzt, wobei weder das Ausschwenken noch das Wiedereinbiegen eine notwendige Voraussetzung des Überholens bilden (
BGE 114 IV 55
E. 1 mit Hinweisen). Auf Autobahnen und Autostrassen darf der Fahrzeuglenker gemäss
Art. 36 Abs. 5 VRV
beim Verkehr in parallelen Kolonnen rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifahren (vgl. auch
Art. 8 Abs. 3 VRV
). Dabei ist jedoch nur das Rechtsvorbeifahren an anderen Fahrzeugen gestattet; das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist gemäss
Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV
ausdrücklich untersagt (
BGE 115 IV 244
E. 2). Nach der Rechtsprechung darf der Fahrzeuglenker, der zum Zweck des Rechtsabbiegens rechts einspurt, rechts an geradeausfahrenden Verkehrsteilnehmern vorbeifahren
BGE 124 IV 219 S. 222
(
BGE 114 IV 55
E. 1 mit Hinweis auf
BGE 104 IV 198
E. 3c). Hingegen macht sich des unerlaubten Rechtsüberholens schuldig, wer auf dem Pannenstreifen einer Autobahn über eine Strecke von 400 bis 500 Meter Länge an einer stockenden Fahrzeugkolonne rechts vorbeifährt, um auf diesem Wege die Autobahn über die nächste Ausfahrt zu verlassen (
BGE 114 IV 55
).
Vereinigen sich zwei auf gleicher Fahrbahn nebeneinander bestehende Geradeausspuren zu einer sich in gleicher Richtung fortsetzenden Spur, sind die Fahrzeuge in beiden Streifen gleichberechtigt (
BGE 96 IV 124
E. 1, S. 128 f.). Das Einfügen in die weitergeführte Fahrspur ist weder ein Wechsel des Fahrstreifens im Sinne von Art. 34 Abs. 3 oder 44 Abs. 1 SVG noch ein Einspuren gemäss
Art. 36 Abs. 1 SVG
und 13 Abs. 1 VRV.Auf Autobahnen ist somit beim Fahren in parallelen Kolonnen das blosse Rechtsvorbeifahren an anderen Fahrzeugen sowie der Wechsel des Fahrstreifens, wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist, gestattet (
BGE 115 IV 244
E. 3). Paralleler Kolonnenverkehr setzt nach der Rechtsprechung dichten Verkehr auf den Fahrspuren der entsprechenden Fahrtrichtung, mithin ein längeres Nebeneinanderfahren von mehreren sich in gleicher Richtung bewegenden Fahrzeugreihen, voraus (BGE a.a.O., E. 3a).
b) Wie bei der Aufhebung eines Fahrstreifens im einzelnen zu verfahren ist, wird vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach den verbindlichen und von der Vorinstanz willkürfrei festgestellten Tatsachen herrschte im zu beurteilenden Fall auf der rechten Fahrspur der Autobahn kein Kolonnenverkehr und fuhr der Beschwerdeführer als Einzelfahrer an der stockenden Fahrzeugkolonne auf dem linken Fahrstreifen vorbei. Er kann sich daher, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, nicht auf die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 5 VRV berufen. Dennoch verstösst sein Verhalten entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht gegen das Verbot des Rechtsüberholens gemäss
Art. 35 Abs. 1 SVG
. Dies ergibt sich aus der Berücksichtigung der dem Fall zugrundeliegenden konkreten Situation.Auf dem fraglichen Autobahnstück wurde wegen eines Unfalls bei der Unfallstelle die rechte Fahrspur aufgehoben. Dies wurde mittels Triopan-Signalen frühzeitig angezeigt. Nachdem mit ersten Tafeln die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit signalisiert wurde, machte ein folgendes Faltsignal «Anzeige der Fahrstreifen» (
Art. 59 SSV
; Signal 4.77) auf einen Spurabbau «in 1000 Metern» aufmerksam. Wie das Bezirksgericht zu Recht
BGE 124 IV 219 S. 223
erkannte, war die rechte Fahrspur durch das Signal nicht gesperrt und die Fahrt auf derselben bis zu deren eigentlichen Aufhebung grundsätzlich erlaubt. Wird die Aufhebung des rechten Fahrstreifens angezeigt, gilt das Gebot des Rechtsfahrens gemäss
Art. 34 Abs. 1 SVG
und
Art. 8 Abs. 1 VRV
nicht mehr. Mit der Anzeige wird jedoch die freie Fahrt auf der betreffenden Spur beschränkt und beginnt die Phase des Eingliederns der Fahrzeuge in die weitergeführte Fahrspur. Die Fahrt auf dem rechten Fahrstreifen entspricht dann einem eigentlichen Aufschliessen bis zum Verkehrshindernis bzw. zur Aufhebung der Spur. Das Signal «Anzeige der Fahrstreifen» schafft für die sich weiterhin auf diesem Fahrstreifen bewegenden Fahrzeuglenker keine Verpflichtung, sich sogleich in die linke Fahrspur einzureihen. Dies muss grundsätzlich auch dann gelten, wenn sich schon vor dem Ende der rechten Fahrspur so viele Verkehrsteilnehmer in den linken Fahrstreifen eingeordnet haben, dass sich auf diesem eine Kolonne gebildet hat, und auf dem rechten Streifen nurmehr wenige Fahrzeuge verbleiben. Die gegenteilige Auffassung würde zu unangemessenen Lösungen führen, da für die auf der rechten Spur verkehrenden Automobilisten im einzelnen ungewiss sein kann, von welchem Zeitpunkt an sich eine Kolonne auf der rechten Spur auflöst und somit das zunächst zulässige Rechtsvorbeifahren in parallelen Kolonnen zu einem verbotenen Rechtsüberholen wird.
Fahrzeuge, die sich noch nicht eingegliedert haben, dürfen ihre Fahrt jedoch nicht ungehindert fortsetzen, sondern müssen auf die übrigen Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen und ihre Geschwindigkeit den veränderten Verhältnissen anpassen (
Art. 32 Abs. 1 SVG
) und gegebenenfalls erheblich herabsetzen. Dies ergibt sich daraus, dass die auf der aufzuhebenden Fahrspur verbleibenden Fahrzeuglenker bis zum Ende der Spur sich auf die Eingliederung in die andere Fahrspur konzentrieren müssen und dabei andere Fahrzeuge nicht behindern dürfen. Ein eigentliches Vorpreschen auf der rechten Spur mit dem Zweck, sich möglichst weit vorn in die Kolonne einzuordnen, ist daher nicht zulässig. Ebenso gilt hier das für den parallelen Kolonnenverkehr statuierte Verbot des Rechtsüberholens durch Ausschwenken und anschliessendes Wiedereinbiegen (
Art. 8 Abs. 3 VRV
) analog. Sofern ein Fahrzeuglenker, der sich nicht sogleich in die stockende Kolonne einfügt, sich jedoch als Einzelfahrer, in angemessener Geschwindigkeit und vorsichtig auf seiner Fahrspur weiterbewegt, bis er in den linken Fahrstreifen einbiegen kann, macht er sich nicht des Rechtsüberholens schuldig,
BGE 124 IV 219 S. 224
auch wenn er sich nicht in einer Kolonne befindet. Dieses Ergebnis entspricht auch der von der deutschen Rechtsprechung entwickelten und im Grundsatz in § 7 Abs. 2a dtStVO aufgenommenen Regelung, nach welcher eine auf der linken Fahrspur stehende oder stockende Fahrzeugkolonne mit geringfügig höherer Geschwindigkeit unter Übung äusserster Vorsicht rechts überholt werden darf (JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 34. Auflage, München 1997, § 7 StVO N. 2 und 12a). Dasselbe gilt bei der analogen Situation vor Rotlichtern. So wird nach Schaffhauser das Rechtsüberholen von der Praxis auch bei gleichgerichteten Fahrspuren vor Lichtsignalen, die Halt gebieten, zugelassen. Stehen auf der linken Geradeausspur vor dem Rotlicht Fahrzeuge, darf somit auf der rechten Geradeausspur auch ein einzelnes Fahrzeug bis zum Haltebalken fahren (RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, Bern 1984, S. 202 N. 548).Durch dieses Ergebnis entsteht kein Widerspruch zu
BGE 114 IV 55
, nach welchem sich der Automobilist, der auf dem Pannenstreifen einer Autobahn über eine kurze Strecke rechts an einer stockenden Fahrzeugkolonne vorbeifährt, um auf diesem Wege die Autobahn über die nächste Ausfahrt zu verlassen, des unzulässigen Rechtsüberholens schuldig macht. Denn das Rechtsüberholen setzt grundsätzlich einen freien Fahrstreifen voraus und kann nur insoweit zulässig sein, als es nicht nur unter Verletzung anderer Verkehrsregeln möglich ist (JAGUSCH/HENTSCHEL, a.a.O., § 7 StVO N. 12a). Der Pannenstreifen darf jedoch, auch wenn er als Teil der Fahrbahn gilt (
BGE 114 IV 55
E. 2c), grundsätzlich nicht befahren werden (
Art. 36 Abs. 3 VRV
).
Da dem Beschwerdeführer eine der gegebenen Verkehrssituation angepasste Fahrweise attestiert wurde, hat er sich somit nicht des Rechtsüberholens strafbar gemacht. Das angefochtene Urteil verletzt daher Bundesrecht und die Beschwerde erweist sich als begründet.
4.
(Kostenfolgen)
5.
(Gegenstandslosigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde) | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d7bf17f0-c425-4b3e-a405-3518f87876b8 | Urteilskopf
115 Ia 315
48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Dezember 1989 i.S. J.M. gegen Gemeinde Niederhasli und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 87 OG
; Akontozahlung für Administrativkosten im Quartierplanverfahren.
Der Entscheid, mit welchem der Verteilschlüssel für Akontozahlungen betreffend die Administrativkosten des amtlichen Quartierplanverfahrens nach Zürcher Bau- und Planungsrecht festgelegt wird, ist ein Zwischenentscheid, der für den Eigentümer eines vom Quartierplan betroffenen Grundstücks keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt (E. 1a). | Sachverhalt
ab Seite 316
BGE 115 Ia 315 S. 316
Der Gemeinderat Niederhasli leitete mit Beschluss vom 10. Juni 1980 über das Gebiet "Rietwiese" in Oberhasli das amtliche Quartierplanverfahren ein.
Die kantonale Baudirektion genehmigte die Einleitung des Quartierplanverfahrens am 20. Juni 1984. Diese Verfügung ist rechtskräftig geworden.
Mit Beschluss vom 26. August 1986 verpflichtete der Gemeinderat Niederhasli die Grundeigentümer des Quartierplangebiets zu Akontozahlungen an die laufenden Administrativkosten aufgrund des Flächenverzeichnisses "Neuer Bestand" im ersten Entwurf vom 21. März 1986 für die Arealabrechnung. In diesem Verzeichnis ist J.M. als Eigentümer der neuen Parzelle Nr. 2646 mit einer Fläche von 24 425 m2 aufgeführt. Je eine Rate sollte nach der ersten und der zweiten Grundeigentümerversammlung entrichtet werden, um die jeweils bis zum Stichtag aufgelaufenen Kosten samt Zinsen zu decken. Die Schlusszahlung hatte nach rechtskräftiger Festsetzung des Quartierplans aufgrund einer Schlussabrechnung zu erfolgen. Der genannte Beschluss des Gemeinderates setzte lediglich einen Schlüssel für die Kostenverteilung fest; bezifferte Zahlungsbeträge der Grundeigentümer wurden nicht genannt. J.M. und ein weiterer Grundeigentümer zogen den Beschluss des Gemeinderates Niederhasli an die Baurekurskommission I weiter. J.M. beantragte, seine Beträge an die Kosten des Quartierplanverfahrens seien lediglich nach Massgabe der tatsächlich quartierplanbetroffenen Fläche von 845 m2 seines Grundeigentums zu berechnen. Diese Fläche entspricht jener der beiden Grundstücke Kat. Nrn. 5348 und 2256 der E. Verwaltungs-AG, welche eine optimale Überbauung des Landes von J.M. behindern. Die Baurekurskommission I wies die vereinigten Rekurse der beiden Grundeigentümer am 18. September 1987 ab.
Mit Beschwerde vom 12. Oktober 1987 gelangte J.M. an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Er beantragte, der Entscheid der Baurekurskommission I sei aufzuheben und seine
BGE 115 Ia 315 S. 317
Kostenbeiträge seien lediglich gestützt auf eine Grundstückfläche von 845 m2 zu berechnen. Mit Entscheid vom 30. September 1988 hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde abgewiesen.
Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts führt J.M. staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht.
Das Verfahren wurde sistiert bis zum Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich über ein dort hängiges Revisionsgesuch.
Am 2. Februar 1989 wies das Verwaltungsgericht das Revisionsgesuch von J.M. gegen den Entscheid vom 30. September 1988 ab, soweit es darauf eintreten konnte. Gegen diesen Revisionsentscheid des Verwaltungsgerichts führt J.M. ebenfalls staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (
BGE 114 Ia 308
E. 1a;
BGE 113 Ia 394
E. 2 mit Hinweis).
a) Die beiden angefochtenen Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich stellen letztinstanzliche kantonale Entscheide dar. Der Beschwerdeführer rügt einzig eine Verletzung von
Art. 4 BV
. Gemäss
Art. 87 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung dieser Verfassungsbestimmung erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben.
aa) Endentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
ist jeder Entscheid, der ein Verfahren vorbehältlich der Weiterziehung an eine höhere Instanz abschliesst, sei es durch einen Entscheid in der Sache selbst (Sachentscheid), sei es aus prozessualen Gründen (Prozessentscheid). Als Zwischenentscheide gelten dagegen jene Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen, gleichgültig, ob sie eine Verfahrensfrage oder - vorausnehmend - eine Frage des materiellen Rechts zum Gegenstand haben (
BGE 106 Ia 233
E. 3a mit zahlreichen Hinweisen;
BGE 110 Ia 134
;
BGE 108 Ia 204
). Die in
Art. 87 OG
vorgesehene Beschränkung der Anfechtbarkeit letztinstanzlicher Zwischenentscheide beim Bundesgericht wegen Verletzung von
Art. 4 BV
gilt indessen nicht absolut. Vielmehr lässt die Rechtsprechung Ausnahmen zu bei Entscheiden über gerichtsorganisatorische
BGE 115 Ia 315 S. 318
Fragen, die ihrer Natur nach endgültig zu erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann (
BGE 115 Ia 313
E. 2a;
BGE 106 Ia 233
E. 3a;
BGE 94 I 201
E. 1a, je mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Baurekurskommission I den vom Gemeinderat Niederhasli festgesetzten Verteilschlüssel für die Entrichtung von Akontozahlungen betreffend die Administrativkosten des amtlichen Quartierplans "Rietwiese" als rechtmässig bezeichnet. Nach den Darlegungen des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei dieser Festsetzung des Verteilschlüssels für die Akontozahlungen nicht um einen endgültigen, sondern nur um einen vorläufigen Entscheid. Auch nach Auffassung der Baurekurskommission I geht es bei der Vorschussleistung nicht um eine definitive Kostenverteilung, die einen genehmigten Quartierplan voraussetze. Durch die Leistung von Vorschüssen oder Akontozahlungen gingen den am Quartierplanverfahren beteiligten Grundeigentümern auch keine Rechte verloren. Es blieben ihnen hinsichtlich der Kostenpflicht alle Prüfungsbefugnisse und Rechtsmittel gewahrt, die sie bei Vorliegen der definitiven Kostenrechnung ausüben könnten. Geleistete Zahlungen würden den Quartierplangenossen in der Schlussabrechnung gutgeschrieben (PETER WIEDERKEHR, Das Zürcherische Quartierplanrecht, 1972, S. 67 f.; RRB Nr. 3118/1967). Im gleichen Sinne äussert sich das Verwaltungsgericht für den Fall, dass das Quartierplangebiet nachträglich verkleinert oder die Grundstücke des Beschwerdeführers aus dem Quartierplanverfahren entlassen würden. Dieser Umstand wäre bei der Aufstellung des endgültigen Kostenverteilers zu berücksichtigen, denn in einem solchen Fall dürfe der Beschwerdeführer nicht gleichermassen wie die im Verfahren verbliebenen Grundeigentümer mit Administrativkosten belastet werden. Bereits geleistete Zahlungen seien in der Schlussabrechnung gutzuschreiben, und die damit festgelegte Kostenpflicht sei durch Rechtsmittel anfechtbar. Vor der Fälligkeit der zweiten Rate, im Anschluss an die Auflage des überarbeiteten Quartierplanentwurfs, könne der Beschwerdeführer gemäss § 155 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht des Kantons Zürich vom 7. September 1975 (PBG) ein Begehren um Entlassung aus dem Verfahren stellen (vgl.
BGE 115 Ib 169
E. 2). Falls er darin verbleibe, könne nach dessen Abschluss, d.h. nach Festsetzung des Quartierplans, zudem besser beurteilt werden, ob für seine Grundstücke besondere Verhältnisse vorlägen, die eine von der Regelvorschrift
BGE 115 Ia 315 S. 319
von
§ 177 Abs. 1 PBG
abweichende Verteilung der Administrativkosten gebieten würden.
Die beiden angefochtenen Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich schliessen somit das kantonale Verfahren betreffend Aufteilung der Administrativkosten des amtlichen Quartierplanverfahrens "Rietwiese" auf die beteiligten Grundeigentümer nicht ab. Eine definitive Festsetzung dieser Kostenverteilung erfolgt vielmehr erst im Rahmen der gemäss
§ 177 Abs. 3 PBG
zu erstellenden Schlussabrechnung, die schriftlich mitzuteilen ist. Erst mit ihr erfolgt in dieser Sache ein Endentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
. Daran ändert nichts, dass das Verwaltungsgericht gewisse Punkte im angefochtenen Entscheid endgültig beurteilt hat (
BGE 106 Ia 228
E. 2). In diesem Sinne tritt das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerden gegen letztinstanzliche Rückweisungsentscheide unter anderem auch dann nicht ein, wenn vor Bundesgericht einzig die von der letzten kantonalen Instanz definitiv festgesetzten Verfahrens- und Parteikosten angefochten werden (nicht publ. Entscheid vom 20. Dezember 1988 i.S. Gemeinde Horw). Zu prüfen ist daher, ob die Pflicht zur Leistung von Akontozahlungen für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt.
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
anfechten zu können; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (
BGE 108 Ia 204
E. 1 mit Hinweisen). Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (
BGE 106 Ia 234
). An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. Wie vorn unter E. 1a/aa dargelegt, kann der Beschwerdeführer seine im vorliegenden Verfahren zur Diskussion stehenden Rechte im Zusammenhang mit der Festsetzung der Schlussabrechnung gemäss
§ 177 Abs. 3 PBG
voll wahren. Die kantonalen Instanzen werden dafür zu sorgen haben, dass dem Beschwerdeführer aus allenfalls zu Unrecht entrichteten Akontozahlungen kein Rechtsnachteil erwächst.
b) Aus den dargelegten Gründen ist auf die beiden staatsrechtlichen Beschwerden nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d7c144e0-c176-4c42-bc69-982cde2b9870 | Urteilskopf
107 V 180
39. Urteil vom 25. August 1981 i.S. Levy gegen Arbeitslosenkasse des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbandes der Schweiz und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | Regeste
Art. 36 AlVG
und 28 Abs. 2 AlVV.
Art. 28 Abs. 2 AlVV
findet auch auf den Beruf des Skilehrers Anwendung (Bestätigung der Praxis; Erw. 1).
Art. 35 Abs. 1 AlVG
, Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen. Rückerstattung zu Unrecht bezogener Arbeitslosenentschädigungen: Bedeutung der für das Zurückkommen auf die zweifellos unrichtige Verfügung vorausgesetzten Erheblichkeit der Berichtigung (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 107 V 180 S. 180
A.-
Carlo Levy musste seine Tätigkeit als Skilehrer in der Zeit vom 25. bis 30. Januar 1978 mangels Nachfrage aussetzen. Auf ein Taggeldgesuch vom 9. März 1978 richtete ihm die Arbeitslosenkasse Entschädigungen im Gesamtbetrag von Fr. 265.20 aus.
Anlässlich einer Kassenrevision stellte das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) fest, dass die Taggelder zu Unrecht ausgerichtet worden seien, weil nach
Art. 28 Abs. 2 AlVV
für gewisse Berufsgruppen mit berufsüblichen Wartezeiten, wozu auch die Skilehrer gehörten, ein Verdienstausfall nur als anrechenbar gelte, wenn er einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens zwei Wochen umfasse. Demgemäss verfügte die Arbeitslosenkasse am 9. September 1980 die Rückerstattung der ausgerichteten Arbeitslosenentschädigungen.
BGE 107 V 180 S. 181
B.-
Die hiegegen vom Versicherten erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 14. November 1980 abgewiesen.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert Carlo Levy den Antrag auf Aufhebung der Rückerstattungsverfügung vom 9. September 1980...
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 36 AlVG
kann der Bundesrat die Anspruchsberechtigung und die Bemessung der Arbeitslosenentschädigung für Versicherte, die sich in besonderen Verhältnissen befinden, abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen regeln. Dies gilt u.a. für Arbeitnehmer, die eine Erwerbstätigkeit mit berufsüblichem Arbeitsausfall ausüben (Abs. 1). Gestützt hierauf hat der Bundesrat in
Art. 28 Abs. 2 AlVV
bestimmt, dass für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe, Theaterpersonal, Musiker, Reisende, Coiffeure, Privatpflegepersonal, Hausangestellte und Angehörige von anderen Berufen mit berufsüblichen Wartezeiten ein während der Dauer des Arbeitsverhältnisses erlittener Verdienstausfall nur als anrechenbar gilt, wenn er einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens zwei Wochen umfasst.
Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, hat diese Bestimmung auch auf den Beruf des Skilehrers Anwendung zu finden, da bei dieser Tätigkeit mit berufsüblichen Wartezeiten gerechnet werden muss. In diesem Sinne hat das Eidg. Versicherungsgericht schon im Rahmen des bis Ende März 1977 gültig gewesenen
Art. 40 Abs. 1 AlVV
entschieden (vgl. ARV 1960 Nr. 51 S. 98). Weil der Verdienstausfall im vorliegenden Fall keinen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens zwei Wochen umfasste, hat die Arbeitslosenkasse die fraglichen Taggelder zu Unrecht ausgerichtet.
2.
a) Nach
Art. 35 Abs. 1 AlVG
hat die Kasse ausgerichtete Arbeitslosenentschädigungen, auf die der Versicherte keinen Anspruch hatte, zurückzufordern; bei gutem Glauben und gleichzeitigem Vorliegen einer grossen Härte kann die Rückforderung auf Gesuch hin ganz oder teilweise erlassen werden.
Diese Regelung entspricht weitgehend
Art. 47 Abs. 1 AHVG
(anwendbar auch auf die Invalidenversicherung gemäss
Art. 49 IVG
). Mit Bezug auf die Geldleistungen der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung hat das Eidg. Versicherungsgericht
BGE 107 V 180 S. 182
festgestellt, dass eine Rückforderung nur unter den für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen massgebenden Voraussetzungen erfolgen darf. Danach kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand einer (materiellen) gerichtlichen Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (
BGE 103 V 128
).
Diese Grundsätze gelten sinngemäss in der Arbeitslosenversicherung; sie finden auch dann Anwendung, wenn die zur Rückforderung Anlass gebenden Leistungen formlos verfügt worden sind (nicht veröffentlichtes Urteil Beeler vom 30. November 1979).
b) Im vorliegenden Fall steht fest, dass die streitigen Arbeitslosenentschädigungen im Hinblick auf
Art. 28 Abs. 2 AlVV
zu Unrecht ausgerichtet worden sind. Dabei kann die für die Wiedererwägung vorausgesetzte zweifellose Unrichtigkeit der Verfügung als gegeben erachtet werden. Fraglich erscheint dagegen, ob die Berichtigung der Verfügung von erheblicher Bedeutung ist.
Das BIGA vertritt die Auffassung, dass die Bedeutung der Rückforderung grundsätzlich nicht von der Höhe des unrechtmässig ausbezahlten Betrages abhängig sei, weil die Kasse nach
Art. 35 AlVG
gesetzlich verpflichtet sei, unrechtmässig ausgerichtete Leistungen zurückzufordern. Dem ist entgegenzuhalten, dass die für die Wiedererwägung rechtskräftiger Verfügungen massgebenden Voraussetzungen auch im Rahmen von
Art. 35 AlVG
Geltung haben, wodurch das Legalitätsprinzip zugunsten der Rechtssicherheit eingeschränkt wird. Die Höhe des unrechtmässig ausbezahlten Betrages ist dabei insofern von Bedeutung, als das Interesse der Verwaltung an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts in der Regel umso weniger ins Gewicht fällt, je geringer die zu Unrecht ausgerichteten Leistungen sind. Die Voraussetzung der Erheblichkeit der Berichtigung dient im übrigen der Verwaltungs- und der Prozessökonomie.
Eine allgemein gültige betragliche Grenze für die Voraussetzung der Erheblichkeit der Berichtigung lässt sich nicht festlegen. Massgebend sind die gesamten Umstände des Einzelfalles, wozu auch die Zeitspanne gehört, welche seit Erlass der zu Unrecht ergangenen Verfügung verstrichen ist. Vorliegend geht es um die Rückerstattung von vier im Jahre 1978 zu Unrecht ausgerichteten Taggeldern im Gesamtbetrage von Fr. 265.20. Dieser Betrag erscheint in Würdigung der gesamten Umstände nicht als derart erheblich, dass das Interesse der Verwaltung an der richtigen Durchführung
BGE 107 V 180 S. 183
des objektiven Rechts gegenüber demjenigen an der Rechtssicherheit überwiegen würde. Die Voraussetzungen zu einer Rückforderung der streitigen Arbeitslosenentschädigungen sind daher nicht gegeben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 14. November 1980 und die Verfügung der Arbeitslosenkasse des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbandes der Schweiz vom 9. September 1980 aufgehoben. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d7c47da5-d488-4c7a-ad11-e945b240583a | Urteilskopf
102 II 243
35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. September 1976 i.S. Jud gegen Mattenberger. | Regeste
Vorkaufsrecht auf unbestimmte Zeit.
1.
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
. Anmeldung eines gesetzlichen Vorkaufsrechtes während des Berufungsverfahrens; neue Tatsache und Einrede (Erw. 1).
2.
Art. 1 und 18 Abs. 1 OR
;
Art. 681 Abs. 1 und 3 ZGB
. Auslegung eines Vertrages, der die zeitliche Geltung des Vorkaufsrechtes und die Dauer der Vormerkung im Grundbuch verschieden regelt (Erw. 2). Gültigkeit eines auf unbestimmte Zeit vereinbarten Vorkaufsrechtes (Erw. 3; Bestätigung der Rechtsprechung).
3.
Art. 216 OR
und 657 Abs. 1 ZGB. Ist der Kaufpreis einer Liegenschaft richtig beurkundet worden, so kann der Verkäufer sich dem Vorkaufsberechtigten gegenüber nicht auf einen höheren Wert berufen (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 244
BGE 102 II 243 S. 244
A.-
Der Viehhändler Hermann Jud besass in Winterthur-Seen insbesondere die Liegenschaft Nr. 3865, bestehend aus dem Restaurant "Klösterli", mehreren Nebenbauten und einigen Tausend m2 Umschwung. Am 22. Februar 1960 verkaufte er 1938 m2, welche als Parzelle Nr. 5074 im Grundbuch eingetragen wurden, an Hans Mattenberger. Ein weiteres Stück Land trat er später an einen Schwiegersohn ab.
Im Kaufvertrag vom 22. Februar 1960 sahen die Parteien zulasten des verbleibenden Stammgrundstückes, das die Nr. 5460 erhielt, ein Vorkaufsrecht zugunsten des Käufers vor. Verkäufe an die nächsten Verwandten oder Verschwägerten des Eigentümers wurden davon ausgenommen. Das Vorkaufsrecht
BGE 102 II 243 S. 245
war zudem unübertragbar und unvererblich; es sollte nur Mattenberger persönlich zustehen und erlöschen, wenn er es im ersten Vorkaufsfall nicht ausübte oder sein Grundstück Nr. 5074 veräusserte. Die Parteien vereinbarten ferner, das Vorkaufsrecht für die höchstzulässige Dauer von zehn Jahren im Grundbuch vorzumerken; es sollte unter ihnen aber solange gelten, als Mattenberger Eigentümer der Parzelle Nr. 5074 ist oder das Recht im ersten Vorkaufsfall nicht ausübte (Ziff. 9 des Vertrages).
Das Vorkaufsrecht wurde im Mai 1960 im Grundbuch vorgemerkt und im Mai 1970 infolge Zeitablaufs wieder gelöscht. Am 3. September 1971 verkaufte Jud die Liegenschaft Nr. 5460, die nebst dem Restaurant und den Nebenbauten noch 1097 m2 Hof, Garten und Wiese umfasste, zum Preise von Fr. 380'000.-- an Alfred Gambirasio. Dieser hatte die Liegenschaft seit einigen Jahren gepachtet und die Bauten teilweise verbessert oder abgeändert. Am 15. September 1971 teilte Mattenberger dem Verkäufer mit, dass er sein Vorkaufsrecht ausübe. Jud hielt ihm entgegen, das Vorkaufsrecht sei im Grundbuch gelöscht worden und bestehe nicht mehr.
B.-
Im Januar 1972 klagte Mattenberger gegen Jud auf Feststellung, dass er an der Liegenschaft Nr. 5460 ein Vorkaufsrecht habe. Er beantragte ferner, dass die Liegenschaft zu den im Kaufvertrag zwischen Jud und Gambirasio festgelegten Bedingungen auf ihn übertragen werde.
Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 17. Februar 1976 auch das Obergericht des Kantons Zürich hiessen die Klage gut. Sie stellten das Vorkaufsrecht fest und verpflichteten den Beklagten, die Liegenschaft Nr. 5460 auf den Kläger zu übertragen.
Der Beklagte führte gegen das Urteil des Obergerichtes kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 22. Juni 1976 abgewiesen wurde.
C.-
Der Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichtes auch Berufung eingelegt. Er beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen oder sie nur unter Erhöhung des Kaufpreises auf Fr. 500'000.-- gutzuheissen; eventuell sei das Berufungsverfahren für drei Monate zu sistieren.
Der Kläger hält nicht nur die Berufung, sondern auch das Sistierungsbegehren für unbegründet und beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.
BGE 102 II 243 S. 246
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beklagte macht vorweg geltend, die Gemeinde Winterthur habe gemäss Mitteilung des Grundbuchamtes vom 27. September 1976 gestützt auf § 64 des kantonalen Raumplanungsgesetzes ein gesetzliches Vorkaufsrecht an der streitigen Liegenschaft angemeldet; das Verfahren könne dadurch gegenstandslos werden und sei deshalb bis zum Entscheid der Gemeinde auszusetzen.
Dazu besteht indes kein Anlass, da ein gesetzliches Vorkaufsrecht den Ausgang des Berufungsverfahrens so oder anders nicht beeinflusst. Dazu kommt, dass es sich um eine neue Tatsache und um eine Einrede aus kantonalem Recht handelt. Solche Vorbringen sind gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
unzulässig.
2.
Nach der Auffassung des Beklagten ist Ziff. 9 des Kaufvertrages vom 22. Februar 1960 nichts dafür zu entnehmen, dass die Parteien das Vorkaufsrecht über die gesetzlich vorgesehene Höchstdauer von zehn Jahren verlängern wollten; es sei namentlich nicht die Absicht des Verkäufers gewesen, dem Kläger ein zeitlich unbeschränktes Vorkaufsrecht einzuräumen. Der Hinweis auf
Art. 681 ZGB
zeige, dass das Recht nur innerhalb der vom Gesetz selber aufgestellten Frist bestehen sollte. Die gegenteilige Auffassung des Obergerichtes beruhe auf einer unrichtigen Auslegung des Vertrages und verletze Bundesrecht.
Ein Vertrag kommt durch Übereinstimmung der gegenseitigen Willensäusserungen zustande (
Art. 1 OR
); es ist also nicht notwendig, dass auch der tatsächliche Wille der Parteien übereinstimme. Im vorliegenden Fall deckten sich aber die Äusserungen der Parteien über den Umfang und die Dauer des Vorkaufsrechtes. Das erhellt daraus, dass beide den ihre Erklärungen enthaltenden Vertrag unterzeichnet haben. Dass sie einen von ihren Äusserungen abweichenden übereinstimmenden Willen gehabt hätten, der nach
Art. 18 Abs. 1 OR
ihren Erklärungen vorginge, ist nicht festgestellt und wird vom Beklagten auch nicht behauptet. Dieser beruft sich vielmehr selber auf Ziff. 9 des Vertrages. Fragen kann sich somit nur, wie die Abrede über das Vorkaufsrecht nach der Vertrauenstheorie auszulegen ist (
BGE 95 II 549
und 553 mit Zitaten, ferner
BGE 101 II 331
Erw. 2).
BGE 102 II 243 S. 247
Nach Ziff. 9 der Vertrages sollte das Vorkaufsrecht zugunsten des Käufers erlöschen, wenn er es im ersten Vorkaufsfall nicht ausübte oder sein Grundstück veräusserte. Es ist unbestritten, dass keine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Eine weitere Abrede über die Dauer des streitigen Rechts ist darin zu erblicken, dass dem Käufer ein "Vorkaufsrecht im Sinne von
Art. 681 ZGB
" eingeräumt wurde. Nach dieser Vorschrift besteht ein Vorkaufsrecht, das im Grundbuch vorgemerkt ist, während der in der Vormerkung angegebenen Zeit (Abs. 1), erlischt aber in jedem Fall zehn Jahre nach der Vormerkung (Abs. 3). Damit stimmt überein, dass die Parteien vereinbarten, das Vorkaufsrecht sei für die höchstzulässige Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Tage der Anmeldung an, im Grundbuch vorzumerken. Sie begnügten sich indes nicht mit dieser Frist, sondern fügten ausdrücklich bei, das Vorkaufsrecht "dauert unter den Parteien aber solange, als ... Mattenberger Eigentümer des heutigen Kaufsobjektes ist" und es nicht dadurch verwirkt, dass er es "im ersten Vorkaufsfall nicht ausübt". Diese zusätzliche Regelung steht im Gegensatz zur vorausgehenden Vereinbarung über die Vormerkungsfrist, von der sie sich zudem klar unterscheidet. Sie kann nur dahin verstanden werden, dass unter den Parteien eine von
Art. 681 ZGB
abweichende Dauer gelte, das Vorkaufsrecht also nicht notwendig mit der Löschung der Vormerkung untergehen sollte. Die Annahme des Obergerichts, der Beklagte habe dem Kläger nach dem letzten Satz der Klausel - die vertraglichen Verwirkungsgründe vorbehalten - ein zeitlich unbeschränktes Vorkaufsrecht eingeräumt, ist daher nicht zu beanstanden.
3.
Der Beklagte macht ferner geltend, mit der Löschung des Grundbucheintrages sei nicht nur die sachenrechtliche, sondern auch die obligatorische Bindung zwischen den Parteien dahingefallen; eine mehr als zehnjährige Dauer widerspreche jedenfalls dem
Art. 681 ZGB
und sei daher unzulässig.
Das Bundesgericht nahm zunächst an, es sei mit
Art. 683 Abs. 2 ZGB
unvereinbar, ein Rückkaufsrecht über die gesetzliche Dauer von zehn Jahren hinaus vertraglich vorzusehen (
BGE 49 II 335
Erw. 3). Im Jahre 1927 gab es diese Praxis auf und entschied, die zehnjährige Frist der Art. 681 Abs. 3 und 683 Abs. 2 ZGB gelte nur für die verstärkte Wirkung gegenüber Dritten, nicht auch für die Wirkung unter den Vertragsparteien
BGE 102 II 243 S. 248
und ihren Rechtsnachfolgern; Vorkaufs-, Kaufs- und Rückkaufsrechte könnten deshalb im Rahmen der
Art. 2 und 27 ZGB
grundsätzlich auf unbestimmte Zeit begründet werden (
BGE 53 II 394
Erw. 3). Diese Rechtsprechung ist bis in die neueste Zeit wiederholt bestätigt und in der Lehre jedenfalls dem Grundsatze nach mehrheitlich gebilligt worden (
BGE 97 II 55
mit Zitaten). Anderer Meinung sind LIVER (Kommentar zum Sachenrecht, N. 136 ff. der Einleitung), BECKER (N. 9 zu
Art. 216 OR
), MERZ (Zur zeitlichen Begrenzung des Kaufs-, Vorkaufs- und Rückkaufsrechts, in der Festgabe Simonius, Basel 1955, S. 235 ff.) und GUHL/MERZ/KUMMER (OR 6. Aufl. S. 302).
LIVER anerkennt, dass ein sachenrechtlich unzulässiges Nutzungsrecht an Grundstücken als obligatorisches Recht grundsätzlich gültig begründet, insbesondere ohne zeitliche Beschränkung vereinbart werden darf. Beim Vorkaufsrecht habe dies nach Ablauf der Verwirkungsfrist zur Folge, dass der Dritte das Grundstück unbelastet erwerben könne, der Veräusserer seine Verpflichtung gegenüber dem Berechtigten aber zwangsläufig verletze; de lege ferenda sei das jedenfalls eine verkehrte Ordnung. Wenn der Gesetzgeber Vorkaufs-, Kaufs- und Rückkaufsrechte von unbeschränkter Dauer zulassen wollte, hätte er ihnen den Vormerkungsschutz für die ganze Dauer ihres Bestehens gewähren sollen. LIVER scheint also bloss die gesetzliche Ordnung, nicht die herrschende Lehre oder die in
BGE 53 II 394
eingeleitete Rechtsprechung, die er ausdrücklich anführt, zu kritisieren.
BECKER folgert aus der Entstehungsgeschichte des
Art. 216 OR
, dass
Art. 681 ZGB
sinngemäss auch für das rein obligatorische Vorkaufsrecht, das im Grundbuch nicht vorgemerkt ist, gelte und es daher auf zehn Jahre begrenze. Die Entstehungsgeschichte spricht indes, wie in
BGE 53 II 395
ff. ausgeführt worden ist, eher gegen eine gesetzliche Begrenzung des vertraglichen Vorkaufsrechtes. Nach MERZ und GUHL/MERZ/KUMMER hindert dies den Richter freilich nicht, die Bestimmungen über das Vorkaufsrecht nach ihrem Zusammenhang, den ihnen zugrunde liegenden Wertungen und Interessen auszulegen und so zu einer einheitlichen Beschränkung von zehn Jahren zu gelangen, zumal die meisten Gestaltungsrechte gesetzlich befristet seien.
BGE 102 II 243 S. 249
Unter der Herrschaft des geltenden Rechts stösst eine einheitliche Höchstdauer von zehn Jahren indes schon deshalb auf Schwierigkeiten, weil die Frist des
Art. 681 Abs. 3 ZGB
erst mit der Vormerkung im Grundbuch zu laufen beginnt. Die Vormerkung erfolgt dagegen selten am Tage des Vertragsschlusses, weshalb die obligatorische Bindung enden kann, bevor die Frist des
Art. 681 Abs. 3 ZGB
abgelaufen ist. Zu bedenken ist ferner, dass das Vorkaufsrecht oft als besondere Abrede zu einem Dauerschuldverhältnis, z.B. einem Mietvertrag, gehört und deshalb der Natur der Sache nach so lange gilt wie dieser Vertrag. Das räumt auch MERZ ein, indem er ausführt, wenn ein Gestaltungsrecht nicht befristet sei, handle es sich um ein "tragendes Rechtsverhältnis" (z.B. Miete), wobei das Gestaltungsrecht so lange dauere wie das Grundverhältnis. Beim Vorkaufsrecht spricht diese Überlegung aber gegen eine Beschränkung auf zehn Jahre; denn das Gestaltungsrecht, nämlich die Ausübung des Vorkaufsrechtes, ist befristet; es erlischt mit dem Ablauf eines Monates, nachdem der Berechtigte vom Verkauf Kenntnis erhalten hat (
Art. 681 Abs. 3 ZGB
). Das Grundverhältnis ist zudem ein aufschiebend bedingter Kaufvertrag; Ansprüche aus diesem Vertragsverhältnis können aber bis zum Eintritt des Vorkaufsfalles nicht verjähren (
BGE 97 II 56
und dort angeführte Urteile).
Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass eine einheitliche Lösung gemäss
Art. 681 Abs. 3 ZGB
in Fällen, wie hier, auf eine Beschränkung der Vertragsfreiheit hinausliefe, die das Bundesgericht ausdrücklich auch für den Vorkaufsvertrag anerkannt hat (
BGE 78 II 357
). Gewiss besteht ein von den Parteien auf unbestimmte Zeit vereinbartes Vorkaufsrecht nur unter den allgemeinen Vorbehalten der
Art. 2 und 27 ZGB
. Nach
Art. 19 Abs. 1 OR
darf der Inhalt eines Vertrages innerhalb der Schranken des Gesetzes jedoch beliebig festgelegt werden. Eine solche Schranke besteht nicht für das Vorkaufsrecht als solches, sondern nur für den Vormerkungsschutz. Der Richter könnte daher
Art. 681 Abs. 3 ZGB
nicht auf eine weitergehende Abrede der Parteien anwenden, ohne den Vertragsinhalt zu ändern. Das steht ihm nicht zu, zumal eine über die Vormerkungsfrist hinausgehende Abrede berechtigten wirtschaftlichen Interessen entsprechen, die sich aus dem Vertrag ergebende Risikoverteilung also auch nach Ablauf
BGE 102 II 243 S. 250
der Frist begründet sein kann (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 316 ff. zu
Art. 681 ZGB
und ZBJV 92 S. 297 ff.). Das sind weitere beachtliche Gründe dafür, an der seit 1927 bestehenden Rechtsprechung festzuhalten.
4.
Der Beklagte bestreitet, dass ein Vorkaufsfall vorliege. Er macht geltend, er habe vom Pächter erbrachte Leistungen berücksichtigt und aus diesem Grunde von ihm nicht den objektiven Verkehrswert, der zur Zeit des Vertragsschlusses Fr. 500'000.-- betragen habe, sondern bloss Fr. 380'000.-- verlangt. Es sei deshalb eine gemischte Schenkung anzunehmen, die keinen Vorkaufsfall darstelle (
BGE 101 II 62
). Jedenfalls gehe es nicht an, dass der Kläger aus dem Sonderverhältnis, das einzig zwischen den Parteien des Kaufvertrages vom 3. September 1971 bestanden habe, Nutzen ziehen und die Liegenschaft zum herabgesetzten Preise erwerben könne; der Kläger habe zu deren Wertvermehrung nichts beigetragen und daher keinen Anspruch auf eine besondere Behandlung wie der Pächter.
Der vom Bezirksgericht beigezogene Sachverständige schätzte die streitige Liegenschaft zur Zeit, als sie an Gambirasio verkauft wurde, auf Fr. 390'000.--. Das sind Fr. 10'000.-- mehr als die Parteien vereinbarten. Der Beklagte behauptete dagegen schon im kantonalen Verfahren, die Liegenschaft sei zur Zeit des Vertragsschlusses Fr. 500'000.-- wert gewesen. Das Obergericht hat sich damit nicht auseinandergesetzt. Es stellt aber gestützt auf die eigenen Angaben des Beklagten fest, Gambirasio habe den vom Beklagten behaupteten Mehrwert selber geschafft, also "nichts geschenkt" bekommen, weil er bestehende Bauten umgeändert, neue errichtet und auch sonstige Verbesserungen auf eigene Kosten vorgenommen habe. Mit diesen Feststellungen ist der Behauptung des Beklagten, es liege eine gemischte Schenkung und daher kein Vorkaufsfall vor, die Grundlage entzogen. Dass der Beklagte den Kaufpreis auch mit Rücksicht auf das besondere Verhältnis zwischen den Parteien auf Fr. 380'000.-- festgesetzt haben will, hilft ihm nicht. Die Vereinbarung eines günstigen Preises wegen besonderer Beziehungen zwischen den Vertragsparteien macht den Verkauf nicht zu einer Schenkung, auch nicht teilweise (
BGE 77 II 39
,
BGE 89 II 78
,
BGE 98 II 358
; vgl. ferner
BGE 94 II 273
). Davon kann hier umso weniger die Rede sein, als diese Beziehungen nach den Vorbringen des
BGE 102 II 243 S. 251
Beklagten einzig darin begründet sind, dass der Pächter eigene Leistungen erbracht und sich um die Wertvermehrung der Liegenschaft verdient gemacht hat.
Dazu kommt, dass die Vertragsparteien den Kaufpreis nicht simuliert, sondern mit Fr. 380'000.-- im Vertrag vom 3. September 1971 richtig angegeben haben. Der Vertrag enthält keine Anhalte dafür, dass sie den Wertvermehrungen des Pächters durch eine erhebliche Herabsetzung der Kaufsumme Rechnung tragen wollten, wie der Beklagte behauptet. Die Behauptung widerspricht vielmehr den Feststellungen der Vorinstanz über den Willen der Vertragschliessenden und über den Umfang der gegenseitigen Leistungen. Das Obergericht stellt fest, dass der Kaufpreis mit Gambirasio auch nach der Sachdarstellung des Beklagten, wie im Kaufvertrag beurkundet, auf Fr. 380'000.-- beziffert worden sei. Zu diesem Betrage sollte der Käufer die Liegenschaft mit den von ihm selber bezahlten Änderungen, die zur Zeit des Vertragsschlusses weitgehend bereits ausgeführt und im übrigen vorbereitet waren, übernehmen; zur Kaufsache habe ferner ein Tank gehört, den der Beklagte noch liefern sollte. Zwischen den Vertragsparteien sei nur der öffentlich beurkundete Kaufpreis vereinbart worden. Diese Feststellungen beruhen nicht auf einer blossen Auslegung des Vertrages, sondern auf Würdigung des Beweisergebnisses und binden daher das Bundesgericht (
BGE 96 II 148
/9 mit Zitaten). Sie können nur dahin verstanden werden, dass die volle Gegenleistung für die Liegenschaft durch übereinstimmende Willensäusserungen der Parteien auf die beurkundete Kaufsumme festgesetzt worden ist; andernfalls würde den Parteien eine zivilrechtliche Falschbeurkundung unterstellt. Haben die Parteien im Vertrag aber die ganze Gegenleistung angegeben, so müssen sie sich dabei behaften lassen, wenn ein Dritter das Vorkaufsrecht geltend macht; der Verkäufer hat diesfalls keinen Anspruch darauf, dass der Vorkaufsberechtigte ihm einen höheren Preis bezahle.
Aus
BGE 82 II 577
ff. kann der Beklagte nichts zu seinen Gunsten ableiten. In jenem Fall hatten die Vertragsparteien die vom Mieter auf eigene Kosten vorgenommenen Umbauten und Installationen aus Irrtum nicht berücksichtigt; sie hoben deshalb den Vertrag auf und schlossen einen neuen, in dem sie die Aufwendungen des Mieters, der als Käufer auftrat, ausdrücklich
BGE 102 II 243 S. 252
erwähnten. Das Bundesgericht entschied, dass das Vorkaufsrecht die Vertragsschliessenden nicht hindere, sich wegen eines Willensmangels auf die Ungültigkeit des Vertrages zu berufen. Im vorliegenden Fall ist ein Irrtum über die Bestimmung des Kaufpreises nie behauptet worden und übrigens nach den Feststellungen des Obergerichtes ausgeschlossen.
Ob Gambirasio einen Bereicherungsanspruch habe und, wenn ja, gegen wen, hat das Bundesgericht nicht zu prüfen, da er nicht Prozesspartei ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 17. Februar 1976 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d7c976dd-9b4f-4fd7-9a41-fe82ca0ac57b | Urteilskopf
104 Ia 61
13. Auszug aus dem Urteil vom 15. Februar 1978 i.S. Achermann gegen Staat Luzern und Obergericht des Kantons Luzern | Regeste
Beurteilung kantonaler Administrativstreitigkeiten durch das Bundesgericht (
Art. 114bis Abs. 4 BV
).
Die für eine Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht gemäss
Art. 114bis Abs. 4 BV
erforderliche Genehmigung der Bundesversammlung hat konstitutiven Charakter. | Erwägungen
ab Seite 61
BGE 104 Ia 61 S. 61
Erwägungen:
4.
a)
Art. 114bis Abs. 4 BV
lautet:
"Die Kantone sind mit Genehmigung der Bundesversammlung befugt, Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem eidgenössischen Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuzuweisen."
§ 11 des luzernischen Behördengesetzes vom 17. November 1970 weist gestützt auf diese Verfassungsvorschrift gewisse Haftpflichtansprüche gegen den Staat dem Bundesgericht zur Beurteilung zu. Das Gesetz trat am 1. Januar 1971 in Kraft. Die in § 11 vorgesehene Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht
BGE 104 Ia 61 S. 62
wurde jedoch von der Bundesversammlung erst am 14. März 1972 genehmigt (AS 1972 I 649). Das Obergericht nimmt an, dass gestützt auf § 11 des Behördengesetzes die Zuständigkeit des Bundesgerichtes schon im Zeitpunkt der Klageeinreichung (4./5. Dezember 1971) gegeben gewesen sei; es stellte auf den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Gesetzes ab und mass der nachträglich erteilten Genehmigung der Bundesversammlung nur deklaratorische Bedeutung zu.
Dieser Auffassung ist nicht beizupflichten. Zwar ist richtig, dass die Bundesgenehmigung kantonaler Erlasse im allgemeinen nur deklaratorische Wirkung hat (FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 133 und 137;
BGE 103 Ia 134
E. 3b). Das Bundesrecht kann aber auch etwas Gegenteiliges bestimmen. Im vorliegenden Fall ist nach Wortlaut und Sinn von
Art. 114bis Abs. 4 BV
klar, dass die Zuständigkeit des Bundesgerichtes zur Beurteilung kantonaler Administrativstreitigkeiten erst gültig begründet ist, wenn die Bundesversammlung der betreffenden kantonalen Vorschrift ihre Zustimmung erteilt hat. Der kantonale Gesetzgeber kann nicht selbständig, ohne Zustimmung eines Bundesorganes, den Kompetenz- und Aufgabenbereich des Bundesgerichtes erweitern. Die in
Art. 114bis Abs. 4 BV
vorbehaltene Genehmigung dient sodann nicht nur einer Rechts-, sondern auch einer Zweckmässigkeitskontrolle. Die Kantone haben keinen Anspruch darauf, dass die Genehmigung erteilt wird, wenn sich die vorgesehene Kompetenzzuweisung im Rahmen des rechtlich Zulässigen hält. Die Bundesversammlung behält sich vielmehr vor, von Fall zu Fall zu prüfen, ob für eine Inanspruchnahme der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ein hinreichendes Bedürfnis besteht (BBl 1972 I 525, 1962 I 583; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 518). Es steht ihr auch zu, zu bestimmen, in welchem Verfahren das Bundesgericht die ihm zugewiesenen kantonalen Administrativstreitigkeiten zu erledigen hat (
Art. 121 OG
). Die Genehmigung der Bundesversammlung muss unter diesen Umständen als konstitutiv angesehen werden (im gleichen Sinne
BGE 44 II 311
unten). Aus der vom Obergericht angeführten Literaturstelle (FAVRE, Droit constitutionnel suisse, 1.A. S. 119 f.) ergibt sich nichts Gegenteiliges; sie bezieht sich auf die Gewährleistung von Kantonsverfassungen, die staatsrechtlich einen anderen Charakter hat. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d7d0c852-1ede-4c77-abd0-bc8a60578d3e | Urteilskopf
116 V 323
50. Arrêt du 13 décembre 1990 dans la cause X contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 28 IVG
: Statut des Strafgefangenen in der Invalidenversicherung, Sistierung des Rentenanspruchs bei Untersuchungshaft.
- Untersuchungshaft von gewisser Dauer ist in gleicher Weise Anlass zur Rentensistierung wie jede andere Form des von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzugs.
- Der von einer Rentensistierung während der Inhaftierung betroffene Versicherte hat keinerlei Anspruch gegenüber der Invalidenversicherung. Erweist sich die Inhaftierung im nachhinein als zu Unrecht angeordnet, so bildet der Rentenverlust Teil des Schadens, den er bei der Behörde geltend machen kann, die ihn ungerechtfertigt inhaftiert hat. | Sachverhalt
ab Seite 324
BGE 116 V 323 S. 324
Vu la décision du 19 décembre 1989 par laquelle la Caisse cantonale genevoise de compensation a alloué à X, à partir du 1er août 1988, une demi-rente partielle d'invalidité s'élevant alors à 180 francs par mois;
vu la décision du 18 juin 1990 par laquelle ladite caisse a suspendu le droit de l'assuré à la rente dès le 1er février 1990, au motif qu'il était incarcéré depuis le 25 janvier précédent, et lui a réclamé le remboursement d'une somme de 384 francs correspondant aux rentes indûment touchées durant les mois de mars et d'avril 1990;
vu la déclaration de la caisse selon laquelle un recours éventuel contre la susdite décision n'aurait pas d'effet suspensif;
vu le recours formé par l'assuré devant la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-vieillesse et survivants et la demande de rétablissement de l'effet suspensif dont il était assorti;
vu la réponse de la caisse du 25 juillet 1990 et sa décision du 24 juillet 1990 par laquelle elle a rétabli le droit de l'assuré à la rente à partir du 1er juin précédent;
BGE 116 V 323 S. 325
vu la décision incidente du 26 juillet 1990 par laquelle la commission de recours a "confirmé la décision de la caisse du 18 juin 1990, en tant qu'elle lève l'effet suspensif";
vu le recours de droit administratif interjeté contre cette décision par X, qui conclut à l'annulation de la décision entreprise;
vu la réponse de la caisse intimée qui conclut au rejet du recours;
vu le préavis de l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) qui propose au tribunal de rejeter le recours;
Erwägungen
considérant en droit:
qu'il est constant que le recourant a été placé en détention préventive à la prison de Champ-Dollon du 25 janvier au 19 juin 1990, ainsi que cela résulte d'une lettre du 10 juillet 1990 du Service genevois de l'application des peines et mesures;
qu'il est de même établi que par jugement du 19 juin 1990 le Tribunal de police de Genève a condamné le recourant à dix mois d'emprisonnement, sous déduction de 146 jours de détention préventive, avec sursis durant un délai d'épreuve de cinq ans;
que ledit jugement a toutefois fait l'objet d'un recours de la part de X devant la Cour cantonale de justice, en date du 29 juin 1990;
qu'aux termes de la jurisprudence la plus récente du Tribunal fédéral des assurances, la détention ou toute autre forme de privation de liberté ordonnée par une autorité pénale constitue un motif de suspension du droit du détenu à une rente d'invalidité versée par l'assurance-invalidité (
ATF 116 V 22
consid. 4,
ATF 113 V 278
consid. 2c; RCC 1988 p. 240);
que sous l'empire de son ancienne jurisprudence - d'après laquelle la privation de liberté entraînait un changement du statut juridique de l'assuré, ce qui justifiait la révision et, en règle générale, la suppression de son droit à la rente d'invalidité (
ATF 113 V 275
consid. 1b et les références) - la Cour de céans attribuait à la détention préventive les mêmes conséquences qu'aux autres formes de privation de liberté ordonnée par une autorité pénale (
ATF 110 V 288
consid. 2b);
que la nouvelle jurisprudence n'a en rien modifié ce principe, l'arrêt publié aux
ATF 113 V 273
ayant du reste pour objet le droit à la rente d'un assuré qui avait d'abord été placé en détention préventive durant plusieurs mois, avant d'être renvoyé dans une maison d'éducation au travail (cf. également le consid. 3 de cet arrêt, non publié au RO mais qui figure dans la RCC 1988 p. 274);
BGE 116 V 323 S. 326
qu'il est dès lors douteux que le juge saisi d'un recours formé contre une décision de suspension du droit à la rente pour cause de détention, préventive ou non, puisse entrer en matière sur une requête tendant au rétablissement de l'effet suspensif du recours, attendu que la nouvelle jurisprudence ne lui laisse, sur ce point, pratiquement aucune marge d'appréciation puisque, désormais, toute détention "d'une certaine durée" (
ATF 110 V 288
consid. 2b) entraîne ipso facto la suspension du droit à la rente d'invalidité et cela sans égard au fait que la détention préventive soit imputée ou non sur la peine, ou qu'elle soit suivie d'une condamnation par un tribunal (
ATF 110 V 287
consid. 2b);
que cette question peut cependant rester indécise, le recours étant de toute façon mal fondé puisque l'incarcération du recourant durant 146 jours, à des fins pénales, est avérée, de sorte que, sur le vu des dates du début et de la fin de la détention, l'assurance-invalidité avait l'obligation de suspendre le droit du recourant à la rente entre le 1er février et le 31 mai 1990 (
ATF 113 V 279
consid. 2d);
qu'il convient encore, à toutes fins utiles, de rectifier une erreur qui s'est glissée dans les considérants de la décision entreprise;
qu'en effet, la citation attribuée au Tribunal fédéral des assurances par la commission de recours, aux pages 3 et 4 de son prononcé, avec un renvoi à la RCC 1984 p. 437, est en réalité un extrait d'un exposé de l'OFAS dont la Cour de céans s'est expressément distancée dans son arrêt précité
ATF 110 V 287
consid. 2b;
que l'office fédéral commet la même erreur lorsqu'il affirme dans son préavis sur la présente affaire:
"Enfin, et dans l'hypothèse où l'assuré verrait son innocence prouvée
suite au recours interjeté contre le jugement du tribunal de police, il
serait alors habilité à requérir de la caisse de compensation le versement
des rentes suspendues durant son incarcération (RCC 1984 p. 434 ss).";
qu'une pareille conception de la suspension du droit à la rente d'invalidité est étrangère à cette institution, car il ne s'agit en aucun cas d'une sorte de peine accessoire (cf. les art. 51 ss CPS), laquelle n'aurait aucun fondement légal;
que, tout au contraire, le recourant ne pourra jamais obtenir de l'assurance-invalidité le versement des rentes d'invalidité suspendues durant sa détention préventive, puisque celle-ci a déjà eu lieu et ne peut donc être effacée;
BGE 116 V 323 S. 327
qu'en d'autres termes, s'il se révélait que le recourant a été incarcéré à tort et en violation du droit, ce n'est pas à l'assurance-invalidité mais à l'autorité qui a ordonné la détention qu'il incomberait de réparer le dommage causé au recourant, notamment par la suspension momentanée de son droit à la rente d'invalidité, au même titre que s'il s'agissait d'une perte de gain provoquée par une détention injustifiée (
ATF 113 Ia 182
consid. 3);
que dans son recours devant l'autorité cantonale, X avait expressément demandé, outre la suspension de la décision administrative litigieuse, la remise de son obligation de restituer les rentes touchées indûment durant sa détention; qu'il appartient en premier lieu à la caisse intimée de se prononcer à ce sujet, en rendant une décision séparée, susceptible de recours (RCC 1988 p. 241 ss);
que c'est dès lors à juste titre que le premier juge n'a pas examiné cet aspect de la requête dont il était saisi,
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d7d294a4-f3a5-4b03-ada1-0d43bb59d292 | Urteilskopf
116 V 1
1. Arrêt du 26 janvier 1990 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre X et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 30 Abs. 2 und 30ter AHVG
, Art. 23bis, 135 Abs. 1 und 140 Abs. 1 AHVV: Eintragung eines der Sonderbeitragspflicht unterliegenden Einkommens im individuellen Konto.
Der Sonderbeitrag, der bei einer Betriebsliquidation im Jahr der Entstehung des Anspruchs auf eine Altersrente geschuldet ist, muss bei der Berechnung dieser Rente berücksichtigt werden; das entsprechende Einkommen ist im individuellen Konto dem Jahr vor der Entstehung des Rentenanspruchs gutzuschreiben. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 116 V 1 S. 1
A.-
X, né en 1921, marié, a exploité, dès le mois d'août 1968 et jusqu'au 30 mai 1986, un établissement public. Il a vendu cet établissement par acte du 21 mars 1986, en exécution d'une promesse de vente du 10 décembre précédent. Il a cessé depuis lors toute activité professionnelle.
X ayant accompli sa 65e année le 29 mars 1986, la Caisse de compensation WIRTE lui a accordé, le 30 avril 1986, une rente ordinaire de vieillesse pour couple de 1'555 francs, fondée sur une durée complète de cotisations de 38 années et un revenu annuel moyen de 27'648 francs.
BGE 116 V 1 S. 2
Le 23 novembre 1987, l'administration fiscale du canton de Genève a informé la caisse de compensation que le bénéfice de liquidation réalisé en 1986 par l'assuré, en raison de la remise de son commerce, et soumis à l'impôt fédéral direct, s'était élevé à 2'814'680 francs. Se fondant sur cette communication, la caisse de compensation a rendu une décision, le 25 novembre 1987, par laquelle elle réclamait à X une cotisation spéciale de 261'564 fr. 40. La cotisation était due pour l'année 1986, durant laquelle le bénéfice avait été réalisé.
L'assuré s'étant étonné que la cotisation spéciale ne fût pas prise en compte dans le calcul de sa rente, la caisse de compensation lui a signifié, par une nouvelle décision, du 21 décembre 1987, qu'une révision de son droit était exclue au regard des dispositions légales.
B.-
X a recouru contre cette dernière décision devant la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS, faisant valoir que le bénéfice soumis à cotisation spéciale résultait de l'activité professionnelle qu'il avait déployée entre 1968 et 1986.
Dans sa réponse, la caisse de compensation a exposé que, dès l'instant où l'assuré était au bénéfice d'une rente depuis le 1er avril 1986, seules les cotisations versées avant le 31 décembre 1985 devaient être prises en considération. Dans une écriture ultérieure, elle s'est toutefois ravisée, en indiquant que l'intéressé avait "travaillé à perte", durant les quinze années environ d'exploitation de son établissement (il n'avait acquitté que la cotisation minimum pendant cette période); comme le produit de son travail n'était devenu apparent qu'au moment de la vente de l'établissement, il se justifiait, en définitive, de considérer la cotisation spéciale comme étant formatrice de rente.
Par jugement du 26 août 1988, la commission cantonale a admis le recours et elle a invité la caisse de compensation à répartir sur un compte individuel "complémentaire", pour la période de janvier 1969 à décembre 1985, le revenu ayant servi de base au calcul de la cotisation spéciale. Elle a relevé que l'assuré avait eu l'intention de vendre son commerce en 1985 déjà, de sorte que, s'il avait été conscient de l'importance que pouvait revêtir la date de la liquidation, il se serait vraisemblablement efforcé de réaliser son bénéfice avant la fin de l'année 1985. D'autre part, si l'intéressé avait effectivement payé la seule cotisation minimum durant plusieurs années, cela était dû, selon la commission, non pas à une volonté d'éluder les règles de l'AVS, mais au fait qu'il avait investi
BGE 116 V 1 S. 3
tous ses gains dans la transformation et l'embellissement de son auberge.
C.-
Contre ce jugement, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) interjette un recours de droit administratif dans lequel il conclut au rétablissement de la décision du 21 décembre 1987. A titre subsidiaire, il demande que le revenu soumis à cotisation spéciale soit inscrit au compte individuel de l'assuré pour la seule année 1985, et non pas réparti sur l'ensemble des années d'activité.
X se rallie à la conclusion subsidiaire de l'OFAS. La caisse de compensation en fait de même.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Au titre de revenu provenant d'une activité lucrative indépendante (art. 4 al. 1 en relation avec l'
art. 8 LAVS
) et conformément à l'
art. 23bis RAVS
, une cotisation spéciale est prélevée sur les bénéfices en capital et les augmentations de valeur au sens de l'
art. 17 let
. d RAVS, s'ils sont soumis à l'impôt annuel spécial selon l'
art. 43 AIFD
(al. 1). Cette cotisation est due pour l'année durant laquelle le bénéfice en capital ou l'augmentation de valeur ont été réalisés (al. 2).
L'obligation d'acquitter une cotisation spéciale n'est en l'espèce pas en cause. Ne l'est pas non plus le montant de 261'564 fr. 40 mis à la charge de l'intimé. Le litige se résume ainsi au point de savoir si, et le cas échéant de quelle manière, un revenu soumis à cotisation spéciale durant l'année de l'ouverture du droit à la rente de vieillesse (en l'espèce l'année 1986) peut être pris en compte dans le calcul de celle-ci. Dans un arrêt récent en la cause L., du 5 mai 1988, le Tribunal fédéral des assurances a jugé, sans autre développement, qu'une telle possibilité n'était pas compatible avec l'
art. 30 al. 2 LAVS
: selon cette disposition, le revenu annuel moyen - sur la base duquel la rente est calculée (
art. 30 al. 1 LAVS
) - s'obtient en divisant le revenu total sur lequel des cotisations ont été payées par le nombre des années de cotisations; on ne tient compte toutefois que des cotisations que l'assuré a payées du 1er janvier de l'année suivant celle où il a accompli sa 20e année au 31 décembre de l'année qui précède l'ouverture du droit à la rente, et des années de cotisations correspondantes.
La question soulevée ici mérite toutefois un réexamen à la lumière de l'argumentation des premiers juges, ainsi que des avis exprimés respectivement par la caisse de compensation et l'OFAS.
BGE 116 V 1 S. 4
2.
(Pouvoir d'examen)
3.
Conformément à l'
art. 9 al. 4 LAVS
, le revenu de l'activité indépendante est établi, en règle ordinaire, par les autorités fiscales cantonales. Les caisses de compensation sont liées par les données communiquées par ces dernières (
art. 23 al. 4 RAVS
). Cela vaut aussi dans le cas de la cotisation spéciale sur les bénéfices en capital et les augmentations de valeur (
ATF 113 V 7
consid. 2; RCC 1986 p. 655 consid. 2b).
L'OFAS invoque, précisément, la force contraignante des données fiscales pour l'administration de l'AVS. Il rappelle aussi que le législateur a institué, pour les assurés de condition indépendante, un système de perception des cotisations fondé sur les règles du droit fiscal fédéral. Or, pour ce qui est de la perception de l'impôt annuel spécial selon l'
art. 43 AIFD
, c'est la date de la réalisation du gain qui est déterminante, même si l'impôt a le caractère "d'un décompte final avec le fisc au sujet des réserves dissoutes au cours des dernières années d'exploitation et jusqu'alors non imposées" (cf. MASSHARDT/GENDRE, Commentaire IDN, note 2 ad art. 43). Il ne saurait donc, selon l'office, en aller autrement en matière d'AVS, où la cotisation est prélevée au moment de l'obtention du bénéfice; ici également les périodes de calcul et de cotisations se recouvrent, l'une et l'autre englobant l'année durant laquelle le bénéfice a été obtenu: la cotisation spéciale est non seulement due au moment de l'encaissement du bénéfice, mais aussi pour l'année de sa réalisation. Par conséquent, il ne serait pas possible, en l'espèce, d'inscrire le revenu soumis à cotisation pour les années (antérieures) de l'activité professionnelle.
Au surplus, ajoute l'OFAS, si l'on opérait la répartition prescrite par la juridiction cantonale, cela permettrait de combler artificiellement des années de cotisations manquantes et conduirait, inévitablement, à des abus. Sur le plan de la technique administrative, il en résulterait des difficultés pratiquement insurmontables, liées à la correction des comptes individuels. Dès lors, si l'on devait malgré tout considérer la cotisation en cause comme formatrice de rente, il faudrait inscrire le gain obtenu en regard de la seule année 1985.
4.
a) Selon l'
art. 30ter LAVS
, il est établi pour chaque assuré tenu de payer des cotisations des comptes individuels où sont portées les indications nécessaires au calcul des rentes, le Conseil fédéral étant chargé de régler les détails. D'après l'
art. 135 al. 1
BGE 116 V 1 S. 5
RAVS
, chaque caisse de compensation tient, sous le numéro d'assuré, des comptes individuels des revenus d'activités lucratives pour lesquelles les cotisations lui ont été versées jusqu'à l'ouverture du droit à une rente de vieillesse. L'inscription comprend notamment l'année de cotisations et la durée de cotisations en mois, ainsi que le revenu annuel en francs (
art. 140 al. 1 let
. d et e RAVS).
Le Tribunal fédéral des assurances a déjà eu l'occasion de constater que, selon le système légal, le revenu soumis à cotisations d'une personne exerçant une activité lucrative dépendante doit être inscrit au compte individuel pour l'année durant laquelle l'assuré a exercé l'activité en question, car c'est au cours de cette même année qu'a pris naissance l'obligation de cotiser (
ATF 111 V 165
consid. 3b et 166 consid. 4). En cas de versement ultérieur du salaire, l'inscription au compte individuel pour l'année du paiement n'est admissible que si une telle opération ne peut influer défavorablement sur les droits de l'assuré lors du calcul futur d'une rente ou si elle ne conduit pas à éluder l'obligation légale de cotiser des personnes n'exerçant aucune activité lucrative (
ATF 111 V 169
consid. 4d). Par la suite, la jurisprudence a précisé que le principe susmentionné du rattachement à la période d'activité était applicable, également, aux assurés exerçant une activité indépendante (arrêt non publié S. du 3 avril 1986). Autrement dit, l'année de l'activité est déterminante, en principe, pour la naissance de la dette de cotisations et pour l'inscription au compte individuel, cela indépendamment de la perception des cotisations, qui intervient au moment de la réalisation du revenu (
ATF 111 V 166
consid. 4a).
b) En cas de liquidation d'une entreprise à l'âge de 65 ans (ou de 62 ans pour les femmes) le bénéfice en capital provient entièrement - ou presque exclusivement - d'une activité professionnelle pratiquée avant le 31 décembre de l'année qui précède l'ouverture du droit à la rente. Il est donc logique, sur le vu des principes ci-dessus exposés et comme l'admettent les premiers juges, d'inscrire le gain frappé d'une cotisation spéciale au compte individuel de l'assuré et, partant, de l'englober dans le calcul du revenu annuel moyen. Le rattachement à l'année de la réalisation du bénéfice aurait souvent pour conséquence de faire dépendre l'inscription de circonstances fortuites ou de pures coïncidences, liées à l'avancement des pourparlers en vue de la liquidation. La présente espèce semble du reste le démontrer,
BGE 116 V 1 S. 6
puisqu'il est écrit, en préambule de la promesse de vente du 10 décembre 1985, que "le notaire chargé de la vente immobilière n'est pas en mesure d'établir son acte avant janvier 1986", ce qui donne à penser que les parties étaient désireuses de conclure le contrat de vente avant la fin de l'année 1985 déjà, mais qu'elles en ont été empêchées par des raisons indépendantes de leur volonté.
Au demeurant, en adoptant l'
art. 23bis RAVS
, le Conseil fédéral voulait introduire une procédure qui permît à coup sûr la perception d'une cotisation sur un élément de revenu soumis à l'impôt spécial au sens de l'
art. 43 AIFD
. Selon la procédure ordinaire de perception des cotisations, la cotisation annuelle est calculée en général d'après le revenu net moyen d'une période de calcul qui comprend la deuxième et la troisième année antérieure de cotisations et se recouvre avec une période de calcul de l'impôt fédéral direct (
art. 22 al. 2 RAVS
). Par conséquent, les bénéfices réalisés à la suite de la liquidation d'une entreprise, en cas de cessation simultanée de l'activité professionnelle indépendante, ne peuvent pas être taxés dans le cadre de cette procédure, ni d'ailleurs dans celui de la procédure extraordinaire au sens de l'
art. 25 RAVS
. Sous l'empire des dispositions en vigueur jusqu'au 31 décembre 1983, le Tribunal fédéral des assurances a donc constaté qu'il n'était pas possible, en pareille hypothèse, de prélever une cotisation, faute d'une base légale ou réglementaire adéquate (
ATF 106 V 193
ss). L'introduction de l'
art. 23bis RAVS
, en vigueur depuis le 1er janvier 1984, avait pour but de combler cette lacune: il s'est agi d'éviter qu'un assuré n'échappe à l'obligation de cotiser lorsqu'il vend son entreprise, pour raison d'âge notamment (au sujet de la genèse de l'
art. 23bis RAVS
, voir RCC 1983 p. 291). Or, dans une situation de ce genre, il n'est pas rare que l'intéressé, pour des motifs personnels ou économiques, veuille faire coïncider, dans la mesure du possible, le moment de la remise de son exploitation avec celui de l'ouverture de son droit à une rente de l'AVS. Il serait dès lors inéquitable, pour ne pas dire choquant, de prélever une cotisation, parfois très élevée, sans prendre en considération ce revenu dans la fixation de la rente, au seul motif que le gain eût dû être réalisé une année plus tôt. Ni la genèse de l'
art. 23bis RAVS
ni le sens et le but de celui-ci ne permettent de conclure qu'une inscription au compte individuel est exclue dans ce cas.
c) La référence au principe selon lequel les caisses de compensation et, dans une certaine mesure, le juge des assurances
BGE 116 V 1 S. 7
sociales sont liés par la taxation fiscale entrée en force n'est pas pertinente en l'espèce. Cette force contraignante ne vaut - et sous certaines réserves encore - que pour la fixation des cotisations (voir
ATF 114 V 75
consid. 2, 110 V 86 consid. 4 et 370 consid. 2a,
ATF 102 V 30
consid. 3b et les références). Savoir si et dans quelle mesure ces cotisations sont formatrices de rente et selon quels principes les revenus doivent être inscrits au compte individuel des assurés sont des questions sur lesquelles les règles du droit fiscal n'ont aucun caractère préjudiciel. Au reste, on ne conçoit guère qu'il puisse en être autrement: l'impôt est perçu sans condition, c'est-à-dire sans contrepartie d'une prestation fournie par l'Etat, ce qui - sauf exceptions clairement définies par la loi - n'est pas le cas des cotisations d'assurances sociales (
ATF 114 V 188
consid. 5a).
5.
En conclusion, il faut considérer comme formatrice de rente la cotisation spéciale versée par l'intimé. Contrairement à ce qui est dit dans l'arrêt L., l'
art. 30 al. 2 LAVS
ne ferme pas la porte à une telle solution. Le mot "payées" dont use cette disposition ne saurait être pris à la lettre. Il peut arriver que des cotisations arriérées ne soient pas acquittées avant la date limite (p.ex. en cas d'insolvabilité du débiteur et de compensation ultérieure avec une rente; cf., p.ex.,
ATF 111 V 2
consid. 3) et rien ne s'oppose à ce qu'elles soient versées après coup, sous réserve de la péremption quinquennale de l'
art. 16 al. 1 LAVS
; le cas échéant, la rente en cours sera augmentée avec effet rétroactif (v. dans ce sens: ch. 469 des directives de l'OFAS sur les rentes).
Cependant, compte tenu des risques d'abus et des difficultés d'ordre pratique évoqués par l'OFAS, une répartition rétroactive du gain sur l'ensemble des années de l'activité professionnelle, telle qu'elle a été ordonnée par les premiers juges, doit être exclue. L'on peut donc se rallier à la proposition subsidiaire de l'OFAS, qui préconise d'inscrire le revenu au compte individuel pour la seule année précédant celle de la naissance du droit à la rente (en l'espèce l'année 1985). Cette solution n'est pas moins favorable à l'intimé que celle adoptée par la juridiction cantonale et, du reste, elle eût été appliquée si la vente du commerce avait eu lieu en 1985 déjà.
En conséquence, la conclusion subsidiaire du recours se révèle bien fondée. La cause doit dès lors être renvoyée à la caisse de compensation pour qu'elle procède aux inscriptions nécessaires, conformément aux considérants qui précèdent, et qu'elle rectifie sa décision de rente du 30 avril 1986.
BGE 116 V 1 S. 8
Quant au point de savoir si un bénéfice en capital accumulé à la fois avant et après l'âge d'ouverture du droit à la rente (p.ex. dans le cas d'une cessation d'activité plusieurs années après l'âge de 62 ans ou de 65 ans) devrait être partiellement pris en considération dans le calcul de la rente (p.ex. en proportion des années d'activité antérieures à l'âge de 62 ans ou de 65 ans), il ne fait pas l'objet de la présente procédure. Il n'y a dès lors pas lieu de le trancher ici, mais il convient d'en réserver l'examen le cas échéant.
6.
(Frais de justice) | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d7d2c4c7-cab5-4f32-929c-7444f3fc3f5e | Urteilskopf
85 II 248
40. Arrêt de la IIe Cour civile du 8 juin 1959 dans la cause Alpina SA contre Della Casa. | Regeste
Unfallversicherung.
1. Auslegung der Klauseln, wonach von der Versicherung ausgeschlossen sind Körperschädigungen infolge
- offenkundiger Trunkenheit (Erw. 1),
- waghalsigen Handelns (Erw. 2),
- der Ausführung oder des Versuches verbrecherischer Taten oder offenbarer und strafbarer Vergehen (Erw. 3).
2. Herabsetzung der Leistungen des Versicherers gemäss
Art. 14 Abs. 2 VVG
wegen grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 249
BGE 85 II 248 S. 249
A.-
Gilbert Chambrier, de son vivant chauffeur de camions, époux de Rose Mounir, aujourd'hui épouse de Della Casa, a conclu, le 31 juillet 1934, une police avec la compagnie d'assurances Alpina SA (en abrégé: l'Alpina) qui garantissait à sa femme une somme de 20 000 fr. s'il décédait des suites d'un accident. Les conditions générales de la police (§ 2 lit. b) excluent de l'assurance:
"les lésions corporelles résultant: ... d'entreprises téméraires (sont considérées comme telles les actes par lesquels un assuré s'expose sciemment à un danger particulièrement grave, pouvant résulter de l'acte lui-même, de la manière dont il est accompli, des circonstances concomitantes ou de la personnalité de l'assuré); de l'exécution ou de la tentative d'actes criminels ou de délits patents et punissables, d'un état d'ivresse manifeste" ... etc.
Le 15 novembre 1955, Chambrier est allé chercher au Bouveret une machine qu'il a transportée puis livrée, le soir même, à Maurice Bresch, à Gimel. Avec le destinataire, il a bu tout d'abord un demi-litre de vin blanc, puis Jean Neuhaus s'étant joint à eux, ils ont mangé en buvant un litre de vin blanc suivi de café et de liqueurs. Ensuite, en compagnie de Neuhaus seul, ils se sont rendus en voiture au Signal de Bougy, puis à Rolle et ont partagé trois demi-bouteilles de vin blanc. Rentrés à Gimel vers trois heures du matin, ils se sont fait ouvrir le café d'Albert Conus, où ils ont mangé en buvant un demi-litre de vin blanc. Vers quatre heures, Chambrier a demandé à Neuhaus de le conduire à Longirod, afin de reconnaître la route, Vers quatre heures et quart, il a repris le volant de son camion pour rentrer à Lausanne. A 3 km environ de Gimel, la route décrit un tournant à gauche, réputé dangereux et masqué par un dos d'âne. Arrivé là entre quatre
BGE 85 II 248 S. 250
heures et demie et cinq heures du matin, le camion est sorti de la route à droite, est descendu de biais le long du talus et a heurté des arbres; le choc a causé la mort de Chambrier. La cinquième vitesse était engagée et les pneumatiques présentaient une usure presque totale.
L'autopsie du corps de Chambrier a révélé la présence d'alcool dans le sang (2,13 g ‰), dans le cerveau (1,85 g ‰) et dans l'urine (2,62 g ‰). Le médecin, auteur du rapport d'autopsie affirme que ces concentrations sont élevées et témoignent, chez le sujet, d'une imprégnation grave, entraînant nécessairement l'inaptitude à la conduite d'un véhicule à moteur. Le Dr Kaufmann, commis en qualité d'expert, argumentant par comparaison avec un cas où, en 1955 déjà, le défunt avait causé un accident alors qu'il présentait une alcoolémie de 2,41 g ‰ et un état d'ivresse très apparent, constate que, dans l'espèce considérée, "il est extrêmement difficile de supposer" ... "que l'ivresse de feu G. Chambrier ait pu être imperceptible pour son entourage". La victime, dit l'expert, était en tout cas dans un état d'ivresse grave qui la rendait absolument inapte à la conduite d'un véhicule à moteur.
B.-
La veuve de Chambrier ayant réclamé l'indemnité de 20 000 fr. prévue par la police en cas de mort accidentelle, l'Alpina excipa du § 2 des conditions générales et offrit de verser 3000 fr. à titre amiable et sous toutes réserves. La bénéficiaire ouvrit alors action devant le Tribunal cantonal vaudois; elle concluait au paiement de 20 000 fr. avec 5% d'intérêts à compter du 16 novembre 1955. La défenderesse conclut à libération pure et simple.
C.-
Le 28 octobre 1958, le Tribunal cantonal vaudois a condamné la défenderesse à payer à la demanderesse la somme de 15 000 fr. avec 5% d'intérêts à compter du 16 novembre 1955. Son argumentation se résume comme il suit:
En principe, l'indemnité de 20 000 fr. promise en cas de mort est due, Chambrier étant mort des suites d'un accident. Les causes d'exclusion prévues dans les conditions
BGE 85 II 248 S. 251
générales font défaut en l'espèce. Premièrement, l'ivresse n'est "manifeste", selon la jurisprudence, "que si elle s'accompagne de signes de paralysie, de troubles de la conscience et de pertes d'équilibre reconnaissables par chacun". Les compagnons du défunt ont déposé qu'immédiatement avant l'accident mortel, "Chambrier paraissait euphorique, voire exalté, mais non pas ivre". Le scepticisme qui se justifie à l'égard de leur témoignage, selon l'expérience judiciaire, est corroboré par le taux de l'alcoolémie. Néanmoins, "on ne saurait admettre la cause d'exclusion en l'occurrence sans l'étendre à toutes les occasions dans lesquelles la victime d'un accident a absorbé beaucoup d'alcool". Au surplus, le lien de causalité entre l'ivresse et l'accident n'est pas établi à satisfaction de droit. Secondement, la course au cours de laquelle Chambrier a trouvé la mort n'était pas une entreprise téméraire. Assurément, il était sous l'influence de l'alcool lorsqu'il a repris son véhicule, mais il ne croyait pas, ce faisant, se livrer à une entreprise téméraire; cet élément subjectif est décisif dans l'appréciation du juge. En revanche, la victime a commis une faute grave selon l'art. 14 al. 2 LCA en se mettant au volant alors qu'elle était en état d'ivresse (non manifeste) et de fatigue qui l'empêchait de conduire sûrement un véhicule à moteur. Il faut cependant distinguer, en l'espèce, entre les faits constitutifs d'une faute grave (ivresse, fatigue) et les autres (erreurs de manoeuvre). Dans ces conditions, la réduction prévue par l'art. 14 al. 2 LCA peut être fixée ex aequo et bono à 25% de l'indemnité stipulée.
D.-
Contre cet arrêt, l'Alpina a formé un recours en réforme. Elle conclut principalement à libération pure et simple des fins de la demande, subsidiairement à ce que la réduction opérée sur la prétention de la demanderesse soit fixée à un taux supérieur à 70%, très subsidiairement à un taux supérieur à 50%.
L'intimée conclut au rejet du recours et à la confirmation de l'arrêt attaqué.
BGE 85 II 248 S. 252
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La recourante allègue en premier lieu que, contrairement à ce qu'a jugé le Tribunal cantonal vaudois, l'accident du 16 novembre 1955, qui a entraîné la mort de Chambrier, est dû à l'ivresse manifeste de la victime.
Le Tribunal fédéral a jugé à plusieurs reprises que l'ivresse manifeste visée par les conditions générales d'assurances contre les accidents devait s'entendre dans l'acception courante du terme, c'est-à-dire comme un état d'ébriété prononcé, tel que la victime ait perdu la faculté de raisonner juste, de réagir dans la vie courante comme un homme normal et qui se traduit par certains phénomènes visibles dès l'abord: démarche mal assurée, difficulté d'élocution, expression particulière du visage, etc. (RO 55 II 270; RBAVI no 100; VIII no 123).
Nonobstant la déposition contraire de deux témoins, le Dr Kaufmann, expert commis dans la procédure cantonale, estime très improbable que Chambrier, au moment où il a repris le volant pour rentrer à Lausanne, n'ait pas présenté ces caractères de l'ivresse manifeste. Il se fonde, pour conclure ainsi, d'une part sur l'alcoolémie constatée et, d'autre part, sur les circonstances du cas, en particulier su l'état où s'était trouvé Chambrier lors d'un accident qu'il avait provoqué sous l'empire de la boisson, peu de mois auparavant. Le Tribunal cantonal vaudois ne l'a pas suivi, et a nié l'ivresse manifeste, donnant en définitive la prépondérance au témoignage des personnes qui se trouvaient avec la victime lors de son départ pour Lausanne.
Dans la mesure où le premier juge a refusé d'admettre que Chambrier, au moment de partir pour Lausanne, présentait les signes extérieurs d'une ivresse prononcée, il a tranché une question de fait soustraite, en principe, à la censure de la cour de céans. Autre chose est de savoir s'il a justement interprété la notion même d'ivresse manifeste, notamment s'il n'y aurait pas lieu de prendre cette notion,
BGE 85 II 248 S. 253
non plus seulement dans son acception courante (RO 82 II 452), mais dans un sens plus déterminé, en y faisant intervenir, comme un facteur décisif, la concentration de l'alcool dans le sang. Il s'agit là, en effet, d'un indice important dont la jurisprudence pénale tient compte en particulier pour déterminer la capacité de conduire sûrement un véhicule à moteur selon l'art. 59 LA. Cependant, les effets d'une concentration donnée sont très sensiblement variables selon les individus et, chez un même sujet, selon l'état où il se trouve (fatigue, excitation due à des causes extérieures, absorption de certains remèdes, etc.). C'est pourquoi, s'agissant de constater le degré de l'ivresse, l'alcoolémie apparaît comme un indice, important certes, mais qu'il est en général utile de corroborer par d'autres éléments de conviction, tirés par exemple du comportement général ou de l'examen de certains réflexes typiques (examen médical). Il serait, à la vérité, concevable qu'un assureur se refuse à couvrir les accidents provoqués par l'ivresse ou simplement concomitants à un état d'ivresse dès lors que la victime présentait au moins tel taux d'alcoolémie. Il pourrait ainsi, dans une clause exclusive de sa responsabilité, définir l'ivresse ou l'ivresse manifeste comme l'état consécutif à telle concentration d'alcool dans le sang. Mais cette définition ne va pas de soi et, tant qu'elle n'est pas expressément donnée, on ne saurait admettre que l'assureur ait voulu s'y référer (art. 33 LCA). Lorsque, comme en l'espèce, il n'exclut de l'assurance que les accidents consécutifs à l'ivresse manifeste, il est juste d'admettre, comme on l'a montré plus haut, qu'il vise le degré d'ivresse reconnaissable pour chacun à ses signes apparents. La cause d'exclusion étant ainsi définie en droit, il reste à savoir si les signes extérieurs de l'ivresse sont prouvés en fait. A ce point de vue, l'alcoolémie n'est plus qu'un indice propre à corroborer ou affaiblir, voire infirmer les preuves apportées d'autre part. Il suit de là qu'en l'espèce, le juge cantonal a justement défini l'ivresse manifeste.
BGE 85 II 248 S. 254
2.
La recourante allègue en second lieu que le décès de Chambrier serait la conséquence d'une entreprise téméraire et ne serait donc pas assuré. Pour que ce cas d'exclusion soit donné, il faut, selon les conditions générales de la police, que la victime se soit exposée sciemment à un danger particulièrement grave. Elle doit donc avoir eu conscience ou, en d'autres termes, s'être rendu compte du risque créé par ses actes (cf. art. 18 al. 3 CP). Il s'agit là d'un fait interne que le juge cantonal constate souverainement. Or ce juge a dit, en l'espèce, que Chambrier n'avait pas choisi délibérément de s'exposer à un risque particulièrement grave en décidant, au petit matin, de se remettre au volant pour rentrer à Lausanne. En elle-même, du reste, cette course ne créait pas un danger particulièrement grave; même avec un camion muni de pneumatiques usés, pourvu que le conducteur fasse preuve d'une prudence accrue, le retour de Gimel à Lausanne, de nuit, n'était pas en tout cas une entreprise téméraire. Il pouvait l'être, à la vérité, par les circonstances concomitantes (consommation d'alcool, état de fatigue) et par la manière dont il a été accompli (vitesse excessive, freinage intempestif). Mais il résulte des constatations souveraines de la cour vaudoise que Chambrier n'a pas eu conscience de sa témérité éventuelle.
3.
La recourante invoque troisièmement la clause des conditions générales qui exclut de l'assurance les lésions corporelles résultant "de l'exécution ou de la tentative d'actes criminels ou de délits patents et punissables". Chambrier a effectivement commis plusieurs infractions: ivresse au volant, violation des règles de la circulation et de l'ordonnance concernant la durée du travail et du repos des conducteurs professionnels de véhicules automobiles. Mais, en tout cas, la clause précitée en vise que les actes intentionnels. En effet, à défaut d'une stipulation expresse, on ne saurait admettre que les parties aient entendu réduire la portée de l'assurance au point d'en exclure les suites d'infractions que la victime aurait commises par
BGE 85 II 248 S. 255
simple négligence (cf. la clause relative aux actes téméraires commis "sciemment"). Or rien ne permet de croire que Chambrier ait commis intentionnellement les infractions que l'on pourrait retenir à sa charge. Au contraire, on l'a montré plus haut, la cour cantonale a constaté souverainement qu'il n'avait pas agi "sciemment", c'est-à-dire en se rendant compte des conséquences de ses actes. Seules donc des infractions par négligence pourraient être retenues contre lui.
4.
Aucune des causes d'exclusion prévues par le § 2 des conditions générales de la police n'étant donnée, l'indemnité est due en principe. Cependant, selon l'art. 14 al. 2 LCA, si le preneur d'assurance a causé le sinistre par une faute grave, l'assureur est autorisé à réduire sa prestation dans la mesure répondant au degré de la faute. La faute grave s'entend d'un acte dont l'auteur connaissait ou aurait dû connaître le danger manifeste (RBA IV no 78).
En l'espèce, il faut voir une faute grave dans le fait premièrement que Chambrier n'a pris aucun repos depuis le matin du 15 novembre, jusqu'au lendemain, vers quatre heures, au moment où il a décidé de rentrer chez lui, et secondement qu'il a absorbé une quantité considérable de boissons alcooliques, qui le rendaient inapte à conduire sûrement son camion. Il a en outre circulé à une allure excessive alors que les pneumatiques de son véhicule étaient usés et il a freiné intempestivement dans un virage; ces imprudences ne peuvent s'expliquer que par la fatigue et l'ivresse. Chambrier a donc violé les règles de la prudence élémentaire, dont l'observation se serait imposée à tout homme raisonnable dans la même situation (RO 54 II 403). Sa faute est d'autant plus grave qu'il était un chauffeur professionnel. Elle est la cause sinon unique, du moins principale de l'accident; ses conséquences ont été des plus graves aussi (RO 68 II 51, consid. 5).
On ne saurait admettre, dans ces circonstances, que la cour cantonale ait fait, de l'art. 14 al. 2 LCA, une saine application en ne réduisant que de 25% la prestation de
BGE 85 II 248 S. 256
l'assureur. Seule une réduction beaucoup plus considérable, qu'il faut fixer à 50%, peut répondre au degré de la faute.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet partiellement le recours, réforme l'arrêt attaqué en ce sens qu'il réduit à 10 000 fr. la somme que la compagnie d'assurances Alpina SA est condamnée à payer à la demanderesse. | public_law | nan | fr | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d7d7b149-c95d-4f0c-8acf-f3c84abc832b | Urteilskopf
139 III 466
66. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen M. Stein-Wigger, Präsident, und T. Blatter, Gerichtsschreiberin, beide am Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_544/2013 / 5A_545/2013 vom 28. Oktober 2013 | Regeste
Art. 51 Abs. 3 ZPO
; Rechtsmittel bei Entdeckung eines Ausstandsgrunds nach Abschluss des Verfahrens.
Wird ein Ausstandsgrund während der noch laufenden Frist zur Beschwerde (
Art. 319 ff. ZPO
) entdeckt, so ist dieser mit Beschwerde und nicht mit Revision geltend zu machen. Die Novenregelung von
Art. 326 ZPO
steht dem nicht entgegen (E. 3.4). | Sachverhalt
ab Seite 467
BGE 139 III 466 S. 467
A.
Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt (Besetzung: Matthias Stein-Wigger als Präsident und Tamara Blatter als a.o. Gerichtsschreiberin) erteilte mit Entscheid vom 23. November 2012 der A. GmbH gegenüber der X. AG definitive Rechtsöffnung für die Beträge von Fr. 8'074.80 nebst Zinsen und Fr. 930.80 sowie Betreibungskosten von Fr. 73.- (Verfahren V.2012.682 des Zivilgerichts). Der begründete Entscheid wurde der X. AG am 5. Juni 2013 zugestellt.
In derselben Besetzung erteilte das Zivilgericht mit Entscheid vom 4. Dezember 2012 auch B. gegenüber der X. AG definitive Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 2'552.05 nebst Zinsen und zuzüglich Betreibungskosten von Fr. 78.- (Verfahren V.2012.715 des Zivilgerichts). Der begründete Entscheid wurde der X. AG ebenfalls am 5. Juni 2013 zugestellt.
B.
Die X. AG wandte sich am 10. Juni 2013 (...) an das Zivilgericht und verlangte im Verfahren V.2012.682 die Aufhebung des Entscheids vom 23. November 2012 und den Ausstand von Präsident Stein-Wigger und von Gerichtsschreiberin Blatter.
Im Verfahren V.2012.715 verlangte die X. AG mit gleichzeitiger, separater Eingabe Entsprechendes.
Das Zivilgericht überwies beide Eingaben an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Das Appellationsgericht eröffnete daraufhin zwei Verfahren (BEZ.2013.41 i.S. A. GmbH gegen X. AG und BEZ.2013.42 i.S. B. gegen X. AG) und erliess am 28. Juni 2013 zwei Verfügungen, in denen es die Überweisung feststellte, die Eingaben als Beschwerden entgegennahm und je einen Kostenvorschuss einverlangte.
C.
Mit separaten Eingaben (...) vom 9. Juli 2013 (...) hat die X. AG (Beschwerdeführerin) zwei Beschwerden in Zivilsachen eingereicht, die sich gegen die erwähnten Verfügungen des Appellationsgerichts vom 28. Juni 2013 in den Verfahren BEZ.2013.41 (5A_544/2013) und BEZ.2013.42 (5A_545/2013) richten. Sie verlangt die Aufhebung der beiden Verfügungen und die Rückweisung der beiden
BGE 139 III 466 S. 468
Verfahren an das Zivilgericht zur Behandlung ihrer Eingaben vom 10. Juni 2013.
(...)
Das Zivilgericht hat sich in der Sache zu den beiden Beschwerden nicht geäussert; das Appellationsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerden, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht hat die Verfahren vereinigt und weist die Beschwerden ab, soweit auf sie einzutreten ist.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, mit ihren Eingaben vom 10. Juni 2013 an das Zivilgericht habe sie die Aufhebung der zivilgerichtlichen Entscheide vom 23. November bzw. 4. Dezember 2012 gemäss
Art. 51 Abs. 1 ZPO
verlangt. Diese Spezialbestimmung schliesse die Anfechtung des Entscheides mit einem Rechtsmittel im eigentlichen Sinne aus. Zuständig zur Behandlung eines solchen Antrags sei das Zivilgericht.
(...)
3.3
Mit den Eingaben vom 10. Juni 2013 verlangt die Beschwerdeführerin zweierlei, nämlich einerseits den Ausstand der am zivilgerichtlichen Urteil mitwirkenden Personen (vgl.
Art. 49 Abs. 1 ZPO
) und andererseits die Aufhebung der Urteile, an denen diese Personen mitgewirkt haben (vgl.
Art. 51 Abs. 1 ZPO
). Sie hat die beiden Eingaben vom 10. Juni 2013 dem Zivilgericht unbestrittenermassen erst eingereicht, nachdem sie die (begründeten) Urteile in der Sache erhalten hatte. Sie behauptet denn auch, erst durch die begründete Fassung von der Mitwirkung der beiden abgelehnten Gerichtspersonen erfahren zu haben.
3.4
Gemäss
Art. 51 Abs. 3 ZPO
gelten die Bestimmungen über die Revision, wenn der Ausstandsgrund erst nach Abschluss des Verfahrens entdeckt wird.
Wie das Bundesgericht kürzlich festgehalten hat, folgt diese Regelung dem Grundgedanken, dass ein Gericht die Gerichtsbarkeit hinsichtlich eines bestimmten Falles verliert, sobald es in diesem Fall sein Urteil gefällt hat (lata sententia iudex desinit esse iudex). Dies gilt insbesondere auch für nach dem Urteil erhobene
BGE 139 III 466 S. 469
Ausstandsbegehren (
BGE 139 III 120
E. 2 S. 121 f. mit Hinweisen). Insoweit hat das Zivilgericht vorliegend die Ablehnungs- und Wiederholungsbegehren zu Recht nicht mehr als Eingaben entgegengenommen, die in den Verfahren auf definitive Rechtsöffnung behandelt werden könnten. Es bleibt zu prüfen, ob das Appellationsgericht die Eingaben zu Recht als Rechtsmittel (Beschwerde gemäss
Art. 319 ff. ZPO
) entgegengenommen hat oder ob das Zivilgericht die Eingaben als Revisionsbegehren (
Art. 328 ff. ZPO
) hätte behandeln müssen.
Im soeben zitierten Urteil hatte das Bundesgericht einen ähnlich gelagerten Fall zu beurteilen: Der Beschwerdeführer jenes Verfahrens hatte den Ausstandsgrund hinsichtlich eines am zweitinstanzlichen Urteil mitwirkenden Richters erst nach Mitteilung des zweitinstanzlichen kantonalen Entscheids entdeckt. Das Bundesgericht hat entschieden, dass das obere kantonale Gericht die Behandlung des bei ihm eingereichten Ausstandsbegehrens zu Recht abgelehnt hat und dieses Begehren dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen vorgelegt werden kann, ohne dass zunächst auf kantonaler Ebene ein Revisionsgesuch gestellt werden muss (
BGE 139 III 120
E. 2 und 3.1.1 S. 121 ff.; vgl. auch
BGE 138 III 702
E. 3.4 S. 704).
Diese Lösung lässt sich aus den nachfolgenden Gründen auf den vorliegenden Fall übertragen. Zwar verweist
Art. 51 Abs. 3 ZPO
seinem Wortlaute nach auf die Revision und zudem sind die im Summarverfahren ergangenen Rechtsöffnungsentscheide mit der Eröffnung rechtskräftig geworden (
Art. 325 Abs. 1 ZPO
; Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7378 Ziff. 5.23.2 zu Art. 323 des Entwurfs [fortan: Botschaft]), so dass insoweit eine Voraussetzung der Revision (rechtskräftige Entscheide als Anfechtungsobjekt; Art. 328 Abs. 1 Ingress ZPO) erfüllt wäre. Allerdings knüpft
Art. 51 Abs. 3 ZPO
von seinem Wortlaut her nicht an die Rechtskraft an, sondern an den Abschluss des Verfahrens (clôture de la procédure, chiusura del procedimento). Insoweit eröffnet sich Interpretationsspielraum, was unter Verfahrensabschluss verstanden werden soll und ab welchem Zeitpunkt die Revision ergriffen werden muss, um den angeblichen Mangel geltend zu machen. Mit dem Wortlaut von
Art. 51 Abs. 3 ZPO
ist jedenfalls vereinbar, die Partei zunächst auf die Beschwerde zu verweisen, solange deren Frist noch nicht abgelaufen ist (zur Kritik am Wortlaut von
Art. 51 Abs. 3 ZPO
vgl. DENIS TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 15 zu
Art. 51 ZPO
).
BGE 139 III 466 S. 470
Die Anknüpfung an den Verfahrensabschluss fand sich bereits in Art. 49 Abs. 3 des Entwurfs zur ZPO (E-ZPO), wobei die bundesrätliche Botschaft in diesem Zusammenhang davon auszugehen scheint, dass damit die Rechtskraft gemeint sei. Allerdings wird diese Gleichsetzung nicht näher begründet (Botschaft, a.a.O., 7273 Ziff. 5.2.3 zu Art. 49 E-ZPO) und die Botschaft äussert sich auch nicht zum Fall, dass der Ausstandsgrund noch während einer laufenden Rechtsmittelfrist (Berufung oder Beschwerde) entdeckt wird. Insbesondere geht die Botschaft in diesem Zusammenhang auch nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des mangelhaften Urteils bzw. auf die Rechtsnatur der verschiedenen Rechtsmittel ein. Vereinzelte Kritik am Vorentwurf, der in Art. 45 Abs. 3 bereits dieselbe Lösung enthielt, führte in der Botschaft ebenfalls nicht zu einer Klarstellung (vgl. Zusammenstellung der Vernehmlassungen, 2004, S. 169 ff.). Aus den Materialien kann damit für das Verhältnis von Beschwerde und Revision im Rahmen von
Art. 51 Abs. 3 ZPO
nichts Entscheidendes abgeleitet werden.
In der Lehre ist umstritten, ob im Rahmen von
Art. 51 Abs. 3 ZPO
die Revision oder die Beschwerde den Vorzug verdient (für die Beschwerde: MARK LIVSCHITZ, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 6 zu
Art. 51 ZPO
; TAPPY, a.a.O., 2011, N. 16 zu
Art. 51 ZPO
; für den Vorrang des "Rechtsmittels": STEPHAN WULLSCHLEGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 10 zu
Art. 51 ZPO
; DAVID RÜETSCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 8 zu
Art. 51 ZPO
; für die Revision: MARC WEBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 7 zu
Art. 51 ZPO
).
Vom System des Gesetzes her gesehen ist die Revision gegenüber den Rechtsmitteln der Berufung und der Beschwerde grundsätzlich subsidiär (MARTIN H. STERCHI, in: Berner Kommentar, a.a.O., N. 3 zu
Art. 328 ZPO
). Kann demnach Beschwerde erhoben werden, verdient diese gegenüber der Revision grundsätzlich den Vorrang. Umstritten ist allerdings, welche Bedeutung dem Novenausschluss im Beschwerdeverfahren (
Art. 326 ZPO
) für die Wahl des Rechtsmittels zukommt (vgl. zum Ganzen STERCHI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 328 ZPO
; PHILIPPE SCHWEIZER, in: CPC, a.a.O., N. 11 und 15 zu
Art. 328 ZPO
; NICOLAS HERZOG, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 20 ff. zu
Art. 328 ZPO
; DEMIAN STAUBER, in: ZPO-Rechtsmittel, Berufung und
BGE 139 III 466 S. 471
Beschwerde, Kommentar zu den
Art. 308-327a ZPO
, 2013, N. 5 f. zu
Art. 326 ZPO
). Wie es sich damit allgemein verhält, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden, denn der von der Beschwerdeführerin mit ihren Eingaben vom 10. Juni 2013 geltend gemachte Mangel kann jedenfalls mit Beschwerde vorgetragen werden. Noven müssen nämlich in der Beschwerde zumindest so weit vorgebracht werden können, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (so die Formulierung in
Art. 99 Abs. 1 BGG
; in diesem Sinne ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 492; STAUBER, a.a.O., N. 12 zu
Art. 326 ZPO
; ähnlich STERCHI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 326 ZPO
). Sonst würden die möglichen Beschwerdegründe bzw. ihre Unterlegung durch Tatsachenbehauptungen vor der kantonalen Beschwerdeinstanz stärker eingeschränkt als es hernach vor Bundesgericht - bei der Anfechtung des zweitinstanzlichen Urteils - der Fall ist. Eine solche systematische Inkongruenz kann nicht im Sinne der ZPO sein (vgl. auch
Art. 111 Abs. 3 BGG
). Eine angeblich erst mit der Eröffnung des angefochtenen Entscheides zur Kenntnis genommene Unregelmässigkeit bei der Zusammensetzung des entscheidenden Gerichts kann dem Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt von
Art. 99 Abs. 1 BGG
vorgelegt werden (
BGE 139 III 120
E. 3.1.2 S. 123 mit Hinweisen), so dass Entsprechendes auch für die Beschwerde im kantonalen Verfahren gelten muss. Die Vorinstanz hat deshalb die beiden Eingaben vom 10. Juni 2013 zu Recht als Beschwerden gemäss
Art. 319 ff. ZPO
qualifiziert. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d7df64f2-a281-4546-9af7-2627a94aff5f | Urteilskopf
139 III 195
27. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und Z. gegen Y. Limited (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_492/2012 / 5A_493/2012 vom 13. März 2013 | Regeste
Art. 49 Abs. 1 BV
,
Art. 91, 96 und 251 ZPO
, GebV SchKG; Entscheide des Arrestgerichts.
Rechtsgrundlagen von Streitwert, Spruchgebühr und Parteientschädigung in Arrestsachen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 195
BGE 139 III 195 S. 195
A.
Am 22. Februar 2011 verlangte die Y. Limited beim Bezirksgericht Zürich die Verarrestierung von Guthaben von X. und dessen Ehefrau Z., in Südafrika, bei der Bank W. AG mit Sitz in Zürich. Mit Arrestbefehlen vom 24. Februar 2011 des Einzelgerichts (Audienz) wurden sämtliche Guthaben der Arrestschuldner, insbesondere (näher bestimmte) Konten bei der betreffenden Bank für eine Forderung von (umgerechnet) Fr. 5'890'153.- aus unerlaubter Handlung verarrestiert. Am 28. Februar 2011 wurden die Arrestbefehle vom Betreibungsamt Zürich 1 vollzogen. Gegen die Arrestbefehle erhoben X. und Z. Einsprache. Mit Urteilen vom 3. Februar 2012 hiess das Arrestgericht die Einsprachen gut und hob die Arrestbefehle auf.
B.
Gegen die Arresteinspracheentscheide erhob die Y. Limited Beschwerde. Mit Urteilen vom 25. Mai 2012 hiess das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, die Beschwerden gut und wies die
BGE 139 III 195 S. 196
Arresteinsprachen ab. Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wurde gestützt auf die kantonale Gebührenverordnung des Obergerichts vom 8. September 2010 (GebV OG/ZH) auf jeweils Fr. 16'500.- festgesetzt und den Arrestschuldnern auferlegt (Dispositivziffer 3). Die Arrestschuldner wurden jeweils verpflichtet, der Arrestgläubigerin Parteientschädigungen von ingesamt Fr. 32'000.- (Fr. 20'000.- für das erstinstanzliche und Fr. 12'000.- für das zweitinstanzliche Verfahren) zu bezahlen (Dispositivziffer 4).
C.
Mit Eingaben vom 29. Juni 2012 haben X. und Z. Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführer beantragen jeweils, es sei Dispositivziffer 3 des Urteils des Obergerichts aufzuheben und die zweitinstanzliche Entscheidgebühr gestützt auf die Gebührenverordnung zum Bundesgesetz vom 23. September 1996 über Schuldbetreibung und Konkurs (GebV SchKG; SR 281.35) festzusetzen. Eventualiter sei die Entscheidgebühr in Anwendung der kantonalen Gebührenverordnung (in näher bestimmter Weise) neu festzusetzen. Weiter beantragen die Beschwerdeführer, es sei Dispositivziffer 4 des Urteils des Obergerichts aufzuheben und die Parteientschädigung für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren gestützt auf den berichtigten Streitwert von Fr. 920'870.- auf insgesamt Fr. 9'598.-, evtl. angemessen festzusetzen bzw. durch die Vorinstanz festsetzen zu lassen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerden teilweise gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Anlass zu den vorliegenden Beschwerden geben Entscheide über die Kosten- und Entschädigungsfolgen im Rechtsmittelverfahren gegen Arresteinspracheentscheide.
4.1
Die Beschwerdeführer wenden sich zunächst gegen die Auffassung des Obergerichts, dass nach Inkrafttreten der ZPO für die Gerichtsgebühren in den gerichtlichen Summarsachen des SchKG nicht mehr
Art. 48 ff. GebV SchKG
, sondern der kantonale Tarif massgebend sein soll. Sie stützen sich auf die von D. RÜETSCHI, Bundesamt für Justiz, geäusserte Kritik an der Praxis der Vorinstanz (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Februar 2011, in: BlSchK 2011 S. 68 ff., mit Anmerkung). Es wird zu Recht nicht behauptet, dass die kantonalen oder eidgenössischen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen in Gebührenfragen gestützt
BGE 139 III 195 S. 197
auf die Aufsichtsbefugnis zuständig seien, Anweisungen über die gerichtliche Anwendung der GebV SchKG zu geben (
BGE 81 III 36
S. 37). Die Beschwerdeführer berufen sich auf verfassungsmässige Rechte (
Art. 98 BGG
) und machen geltend, das Obergericht verletze insbesondere den Vorrang des Bundesrechts (
Art. 49 Abs. 1 BV
), wenn es kantonales Recht angewendet habe.
4.2
Entscheide, die vom Arrestgericht getroffen werden, gehören zu den in
Art. 251 ZPO
genannten Angelegenheiten des SchKG, für welche das summarische Verfahren der ZPO gilt. Gemäss GebV SchKG (in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung) bestimmt sich die Spruchgebühr für einen gerichtlichen Entscheid in betreibungsrechtlichen Summarsachen (
Art. 251 ZPO
) nach dem Streitwert gemäss Tabelle, sofern die Verordnung nichts anderes vorsieht (
Art. 48 GebV SchKG
). Das obere Gericht, an das eine betreibungsrechtliche Summarsache (
Art. 251 ZPO
) weitergezogen wird, kann für seinen Entscheid eine Gebühr erheben, die höchstens das Anderthalbfache der für die Vorinstanz zulässigen Gebühr beträgt (
Art. 61 Abs. 1 GebV SchKG
). Das Obergericht (vgl. BlSchK 2011 S. 69 f.) erachtet die GebV SchKG für die Spruchgebühr des Arrestgerichts als nicht mehr verbindlich, denn sie stehe in Widerspruch zur ZPO bzw. zum übergeordneten Recht. Die gerichtlichen Angelegenheiten des SchKG seien von der ZPO geregelt, nach welcher die Kantone die Tarife bestimmen.
4.2.1
Das Bundesgericht hat sich bereits im Jahre 1928 eingehend mit Zweifeln befasst, welche gegen die in
Art. 16 SchKG
getroffene Ausscheidung der Kompetenzen erhoben wurden. Gemäss
BGE 54 I 161
besteht für die gerichtlichen Summarverfahren (vgl. aArt. 25 SchKG) - als richterliche Inzidente des Zwangsvollstreckungsverfahrens - das Bedürfnis nach einheitlicher Festsetzung der Gebühren in einer Höhe, die der Natur und dem Zweck des Betreibungs- und Konkursverfahrens angemessen ist. Danach bezweckt die Regelung nach
Art. 16 SchKG
, in einheitlicher Weise für das ganze Gebiet der Schweiz die Abgabe zu bestimmen, welche die Partei in einem Summarverfahren des SchKG für die Inanspruchnahme der richterlichen Behörden zu entrichten hat, und zwar in einer Weise, die für dieses Verfahren als Zwischenakt des Zwangsvollstreckungsverfahrens als angemessen erscheint und eine zu grosse Verteuerung verhindert (
BGE 54 I 161
E. 2 S. 163 f.). Diese Auffassung war in der Lehre anerkannt und ist in der Folge bestätigt worden (vgl. BLUMENSTEIN, Handbuch des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts,
BGE 139 III 195 S. 198
1911, S. 127; GILLIERON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 8 zu
Art. 16 SchKG
, mit Hinweis auf die Rechtsprechung). Zu prüfen ist, ob die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts die Tragweite von
Art. 16 SchKG
verändert hat.
4.2.2
Mit der ZPO sind die summarischen Verfahren des SchKG gemäss
Art. 251 ZPO
vereinheitlicht worden, und nach
Art. 96 ZPO
setzen die Kantone die Tarife für die Prozesskosten fest (vgl.
BGE 138 III 675
E. 3 S. 676). In der Botschaft zur ZPO wird betont, dass die "Tarifhoheit weiterhin bei den Kantonen" verbleiben und die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts "kostenneutral" erfolgen soll (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, S. 7292 Ziff. 5.8.1, S. 7410 Ziff. 6.2). Aus der Entstehungsgeschichte zur ZPO lassen sich keine Hinweise entnehmen, wonach die vereinheitlichten Spruchgebühren in den Summarsachen des SchKG aufzuheben seien. Die Vereinheitlichung des Summarverfahrens ändert nichts am - in
BGE 54 I 161
E. 2 S. 163 f. massgebenden - rein vollstreckungsrechtlichen Charakter der in
Art. 251 ZPO
eingereihten Verfahren. Die Tragweite und der Zweck von
Art. 16 SchKG
als
lex specialis
zu
Art. 96 ZPO
und die gesetzliche Grundlage von
Art. 48 ff. GebV SchKG
sind durch die ZPO nicht verändert worden.
4.2.3
Zum gleichen Ergebnis kommt einhellig die Lehre zur ZPO und zum SchKG (u.a. TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 4 zu
Art. 96 ZPO
; SPÜHLER/GEHRI/DOLGE, Schweizerisches Zivilprozessrecht [...], 9. Aufl. 2010, 8. Kap. Rz. 27; STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, 2. Aufl. 2010, S. 112 Rz. 85; BODMER/BANGERT, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 36 zu
Art. 85 SchKG
). Im Weiteren wird die Praxis der II. Zivilkammer des Obergerichts sowohl von den Kommentatoren des kantonalen Rechts als auch von der I. Zivilkammer des Obergerichts sowie in anderen Kantonen abgelehnt (HAUSER/SCHWERI/LIEBER, GOG-Kommentar [...], 2012, S. 566 f. Rz. 16; Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. Februar 2011 E. 5.1, in: ZR 2011 Nr. 28 S. 84; Urteil KSK 11 60 des Kantonsgerichts Graubünden vom 19. Oktober 2011 E. 8b; Urteil 102 2012-91 des Kantonsgerichts Freiburg vom 21. August 2012 E. 3a).
4.2.4
Nach dem Dargelegten ist mit dem Vorrang des eidgenössischen vor dem kantonalen Recht nicht vereinbar (
Art. 49 Abs. 1 BV
;
BGE 139 III 195 S. 199
vgl.
BGE 54 I 161
E. 2 S. 162; zum Grundsatz
BGE 138 I 410
E. 3.1 S. 414), wenn das Obergericht die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr in Anwendung des kantonalen Rechts auf Fr. 16'500.- festgesetzt hat. Nach dem massgebenden Bundesrecht bzw. Art. 48 i.V.m.
Art. 61 Abs. 1 GebV SchKG
kann das Obergericht in einer Arrestsache eine Gerichtsgebühr erheben, die höchstens das Anderthalbfache der für die Erstinstanz zulässigen Gebühr beträgt, d.h. selbst bei Streitwerten über 1 Mio. Fr. höchstens Fr. 180.- bis 3'000.-. In diesem Punkt ist die Beschwerde in Zivilsachen begründet, und das Obergericht hat über die Gerichtsgebühr in Ausübung seines Ermessens neu zu entscheiden.
4.3
Die Beschwerdeführer wenden sich sodann gegen den Streitwert zur Festsetzung der Parteientschädigung, zu welcher sie vom Obergericht verpflichtet wurden. Die bundesrechtliche Vorgabe für betreibungsrechtliche Summarsachen (Abs. 2 von
Art. 62 GebV SchKG
) wurde mit Inkrafttreten der ZPO aufgehoben (Verordnung vom 18. Juni 2010 über die Anpassung von Verordnungen an die ZPO, Ziff. II/5 [AS 2010 3055]). Seit dem 1. Januar 2011 spricht das Gericht die Parteientschädigung an die obsiegende Partei (
Art. 106 ZPO
) gemäss Art. 105 Abs. 2 i.V.m.
Art. 96 ZPO
ausschliesslich nach dem kantonalen Tarif zu (STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 74 zu
Art. 84 SchKG
), währenddem der Streitwert nach Bundesrecht bzw. der ZPO festzusetzen ist (vgl.
BGE 138 III 675
E. 3 S. 676).
4.3.1
Das Obergericht gibt den Streitwert mit Fr. 5'890'153.-, was der zu sichernden Forderung der Beschwerdegegnerin bzw. Arrestgläubigerin entspricht. Die Beschwerdeführer werfen dem Obergericht Willkür in der Anwendung von
Art. 91 Abs. 1 ZPO
bzw. in der Festsetzung des Streitwertes vor. Der Streitwert richte sich nicht nach der Arrestforderung, sondern nach dem tatsächlich verarrestierten Vermögen, welches nach Angabe der Bank lediglich Fr. 920'870.- betrage. Dies führe zu einer tieferen Parteientschädigung.
4.3.2
Die kantonalrechtliche Praxis zur Festsetzung des Streitwertes für Arrestsachen war uneinheitlich (vgl. EUGSTER, in: Kommentar SchKG Gebührenverordnung, 2008, N. 3 zu
Art. 48 GebV SchKG
, mit Hinweisen). In ebenso unterschiedlicher Weise äussert sich die Lehre zu
Art. 91 ZPO
. Nach der einen Auffassung entspricht der Streitwert der zu sichernden Forderung des Arrestgläubigers (VOCK/MÜLLER, SchKG-Klagen nach der Schweizerischen ZPO, 2012, S. 299).
BGE 139 III 195 S. 200
Nach anderer Meinung ist auf den Schätzwert des Arrestobjektes abzustellen, da nur der Bestand des Arrestbeschlages Streitgegenstand bildet (STERCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 20a zu
Art. 91 ZPO
; MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 480 Fn. 869; ferner EUGSTER, a.a.O.), was POUDRET in Anwendung von Bundesrecht (OG) vertreten hat (Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire [...], Bd. I, 1990, N. 9.9.9 zu
Art. 36 OG
S. 291). In diese Richtung hat das Bundesgericht gestützt auf das BGG entschieden (Urteil 5A_789/2010 vom 29. Juni 2011 E. 1.2, betreffend Arresteinsprache eines Dritten). Die Frage braucht nicht abschliessend erörtert zu werden. Im konkreten Fall hat das Obergericht - wie sich aus dem Folgenden ergibt - nicht auf ein unhaltbares Kriterium abgestellt, wenn es den Streitwert nach der Arrestforderung gerichtet hat.
4.3.3
Geht es - wie hier - um die Verarrestierung von Bankkonten, so ist nicht bekannt, in welchem Umfang Guthaben verarrestiert worden sind, da die Bank den Zwangsvollstreckungsbehörden vor rechtskräftiger Erledigung der Arresteinsprache keine Auskunft geben muss (vgl.
BGE 125 III 391
E. 2 S. 392; Urteil 5A_672/2010 vom 17. Januar 2011 E. 3.2). Die Beschwerdeführer machen jedoch geltend, die Beschwerdegegnerin (Arrestgläubigerin) habe im Einspracheverfahren festgehalten, gemäss einem Schreiben der Bank vom 14. April 2011 (nach Arrestvollzug) an die Bundesanwaltschaft würden sich die Guthaben auf (umgerechnet) Fr. 920'870.- belaufen. Damit sei das tatsächlich verarrestierte Vermögen "aktenkundig" und die Vorinstanz habe davon "Kenntnis gehabt". Dieses Vorbringen ist unbehelflich:
Die Beschwerdeführer legen nicht dar, dass sich die Parteien im kantonalen Verfahren auf das erwähnte Schreiben bzw. dessen Inhalt zur Festlegung des Streitwertes berufen hätten und dieses Dokument trotz Vorbringen im kantonalen Verfahren vom Obergericht zur Streitwertfestlegung in Verletzung verfassungsmässiger Rechte übergangen worden sei. Im Übrigen konnten die Beschwerdeführer bereits aus den ihnen mitgeteilten Kostenvorschussverfügungen des Obergerichts vom 19. März 2012 ersehen, dass auf den Streitwert von Fr. 5'890'153.- abgestellt wird. Neue tatsächliche Vorbringen sind im bundesgerichtlichen Verfahren unzulässig (
Art. 99 Abs. 1 BGG
), weshalb sich die Beschwerdeführer vergeblich auf das von der Beschwerdegegnerin dem Arrestgericht eingereichte Schreiben berufen. Unter diesen Umständen kann dem Obergericht keine
BGE 139 III 195 S. 201
Willkür in der Anwendung von
Art. 91 ZPO
vorgeworfen werden, wenn es für den Streitwert auf die zu sichernde Forderung der Arrestgläubigerin abgestellt und damit im Ergebnis verarrestierte Guthaben in der Höhe von knapp 5,9 Mio. Fr. angenommen hat. Schliesslich behaupten die Beschwerdeführer nicht, dass die Parteientschädigungen gemäss kantonaler Verordnung über die Anwaltsgebühren bei einem Streitwert in der erwähnten Höhe willkürlich seien.
4.4
Zusammenfassend sind die Beschwerden in Zivilsachen begründet, soweit die Gerichtsgebühr für den Beschwerdeentscheid betreffend Arresteinsprache angefochten wird. Die Festsetzung der Parteientschädigung durch das Obergericht hält vor den verfassungsmässigen Rechten der Beschwerdeführer stand. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d7e6b8f6-2432-4d0f-be04-0fefaac1e345 | Urteilskopf
127 III 16
3. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 24 août 2000 dans la cause X. contre Cour de droit public du Tribunal cantonal du canton du Valais (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 63 und 95 BGBB
; Gesetzesänderung vom 26. Juni 1998, Übergangsrecht.
Art. 95 BGBB
enthält keine allgemeine übergangsrechtliche Regelung, die auch auf spätere Änderungen des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht anwendbar ist (E. 2).
Mangels ausdrücklicher übergangsrechtlicher Regelung in der
Gesetzesnovelle vom 26. Juni 1998 muss die mit Beschwerde angerufene kantonale Behörde die auf dem Spiel stehenden gegenseitigen Interessen entsprechend den Grundsätzen von
Art. 2 SchlT ZGB
abwägen. Anwendung im konkreten Fall (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 127 III 16 S. 16
A.-
Lors de la vente aux enchères forcées du 11 octobre 1995, L. et N.Y., ainsi que D. et M.Z. (ci-après: Y. et consorts), ont acquis
BGE 127 III 16 S. 17
en copropriété, pour le prix de 1'200'000 fr., la parcelle no 0, folio 12, du cadastre de la Commune de Saillon. Le 27 octobre 1995, ils ont obtenu l'autorisation d'acquérir prévue par les art. 61 et 67 de la loi fédérale du 4 octobre 1991 sur le droit foncier rural (LDFR). Ils ont été inscrits comme propriétaires au Registre foncier de Martigny le 1er décembre 1995.
B.-
Le 14 décembre suivant, Y. et consorts ont résilié, pour la fin de l'année, le contrat de métayage dont bénéficiait le fermier de la parcelle, X. Une procédure est en cours contre cette résiliation.
C.-
a) A sa requête, X. s'est vu notifier, le 22 décembre 1995, l'autorisation d'acquérir précédemment délivrée, contre laquelle il a recouru auprès du Conseil d'Etat valaisan le 12 janvier 1996. A titre de mesures provisionnelles, il a en outre requis et obtenu, le 17 janvier 1996, le blocage du registre foncier.
En septembre 1998, la procédure a été suspendue jusqu'à décision exécutoire sur le sort d'une parcelle voisine, dont l'acquisition par Y. et consorts avait fait l'objet d'un recours de A. au Tribunal cantonal valaisan, qui avait renvoyé la cause à l'autorité inférieure pour nouvelle décision. Elle a été reprise après qu'une transaction eut mis un terme à cette affaire.
Le 1er septembre 1999, le Conseil d'Etat a rejeté le recours.
b) Statuant le 3 mars 2000, la Cour de droit public du Tribunal cantonal valaisan a rejeté le recours interjeté par X. contre cette décision.
C.-
X. a formé un recours de droit administratif au Tribunal fédéral, concluant à l'annulation de l'arrêt cantonal.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La loi fédérale du 4 octobre 1991 sur le droit foncier rural (LDFR; RS 211.412.11) a été modifiée alors que la présente procédure était pendante devant le Conseil d'Etat valaisan. Le 1er janvier 1999 est en effet entrée en vigueur la novelle du 26 juin 1998 (RO 1998 p. 3009 ss). Celle-ci a notamment emporté la modification de l'
art. 63 LDFR
, en ce sens que le motif de refus tiré de l'accaparement (let. c) a été supprimé et que, selon un alinéa deux nouveau, les acquisitions dans la procédure d'exécution forcée ne sont pas soumises à la limite de prix posée par la lettre b. Le Tribunal cantonal valaisan a appliqué cette nouvelle disposition au cas d'espèce. Il s'est fondé sur l'
art. 95 al. 2 LDFR
, selon lequel "les procédures
BGE 127 III 16 S. 18
d'autorisation et de recours qui sont en cours au moment de l'entrée en vigueur de la LDFR sont liquidées selon le nouveau droit si, à ce moment-là, l'inscription de l'acte juridique n'était pas encore requise auprès de l'office du registre foncier".
a) Le recourant se plaint d'une fausse application de cette dernière norme. Il prétend en résumé que, lors de l'entrée en vigueur de la novelle du 26 juin 1998, l'acte juridique avait fait l'objet d'une réquisition d'inscription régulière; l'
art. 63 LDFR
dans son ancienne teneur serait ainsi pertinent. L'Office fédéral de la justice approuve l'arrêt cantonal, tout en précisant que la question du droit applicable ne devrait pas être résolue au regard de l'
art. 95 al. 2 LDFR
, mais des principes généraux de droit transitoire.
b) A défaut de dispositions transitoires particulières à la novelle du 26 juin 1998, on pourrait - à l'instar de l'autorité cantonale - être tenté de trancher la question du droit applicable selon l'
art. 95 LDFR
. Comme le relève à juste titre l'Office fédéral de la justice, cette norme n'est toutefois pas formulée de façon générale, mais vise à régler les procédures en cours au moment de l'entrée en vigueur de la LDFR en tant que telle (cf. les termes utilisés: "au moment de l'entrée en vigueur de la présente loi"). Elle ne soumet en outre au nouveau droit les actes juridiques en préparation ou conclus (al. 1) et les procédures pendantes (al. 2) qu'à la condition qu'aucune inscription n'ait été requise au registre foncier. En choisissant ce dernier critère, le législateur a non seulement marqué sa volonté de mettre en oeuvre le plus rapidement possible les restrictions de droit public de la LDFR édictées dans l'intérêt de l'ordre public (art. 58 ss), mais aussi de préserver la sécurité du droit (FF 1988 III 889, p. 1006; BANDLI/MÜLLER/STALDER, in: Le droit foncier rural, Brugg 1998, nos 1, 2, 3 ad
art. 95 LDFR
).
Les considérations qui ont présidé à l'adoption de la novelle du 26 juin 1998 sont d'un autre ordre. Celle-ci ne vise en effet pas à restreindre plus avant l'autonomie privée, mais au contraire à assouplir certaines mesures de politique structurelle prévues dans la LDFR et à accorder ainsi aux agriculteurs une plus grande liberté dans la gestion de leur entreprise (FF 1996 IV 1, p. 378 ss; MÜLLER/SCHMID-TSCHIRREN, Ergänzung des Kommentars zum LDFR zufolge der Teilrevision vom 26. Juni 1998, in: Communications de droit agraire 1999, p. 67 et 77 s.; SCHMID-TSCHIRREN, Im Spannungsfeld von Eigentümer- und Pächterinteressen, in: Communications de droit agraire 1998 p. 41, spéc. 48 ss). Dans un tel contexte, il s'agit moins de préserver la sécurité du droit - qui commanderait l'application
BGE 127 III 16 S. 19
des anciennes normes plus restrictives aux actes en cours - que de permettre au justiciable de bénéficier immédiatement de dispositions plus favorables. Par ailleurs, la détermination du droit applicable selon le critère de la réquisition conduirait à des résultats qui heurteraient le principe de l'économie de procédure et engendreraient un surcroît de coûts inutiles pour le justiciable et la collectivité publique. En effet, dans l'hypothèse où la réquisition serait intervenue avant le 1er janvier 1999, le sort de la demande d'autorisation aurait dû être tranché selon l'ancien droit plus restrictif. En cas de rejet de celle-ci, la réquisition aurait subi le même sort. Toutefois, rien n'aurait empêché les parties de déposer une nouvelle réquisition après l'entrée en vigueur, ce qui aurait entraîné un examen de l'autorisation selon le nouveau droit. Dans l'éventualité où l'autorisation aurait été délivrée avant l'entrée en vigueur des modifications et la réquisition opérée après cette date, celle-ci aurait dû être rejetée, dès lors que l'autorisation aurait dû être délivrée selon le nouveau droit conformément à l'
art. 95 al. 1 LDFR
. Dans ces circonstances, et comme l'a relevé l'Office fédéral de la justice, l'
art. 95 LDFR
ne peut constituer une règle générale de droit transitoire applicable aux modifications subséquentes de la LDFR.
3.
En l'absence de disposition transitoire expresse, l'autorité doit comparer les intérêts en jeu. Si le droit entré en vigueur en cours de procédure répond à un intérêt public prépondérant par rapport aux intérêts privés opposés, notamment celui à être protégé dans la confiance mise en l'application du droit antérieur (
ATF 119 II 46
consid. 1a p. 48), il l'emporte sur le droit qu'il remplace. En revanche, s'il n'est pas prioritaire, il s'efface. Cette balance des intérêts est prévue implicitement par l'
art. 2 Tit. fin. CC
, auquel le Tribunal fédéral s'est référé - par analogie - à plusieurs reprises (cf. en matière de protection de l'environnement:
ATF 123 II 359
consid. 3 p. 362 et
ATF 112 Ib 39
consid. 1c p. 42; en matière de protection des eaux:
ATF 119 Ib 174
consid. 3 p. 176; en matière d'acquisition d'immeubles par des étrangers:
ATF 107 Ib 81
consid. 3 et 4 p. 83 ss, et les références citées dans ces arrêts). Selon cette disposition, les règles établies dans l'intérêt de l'ordre public [...] sont applicables, dès leur entrée en vigueur, à tous les faits pour lesquels la loi n'a pas prévu d'exception (al. 1); en conséquence, celles de l'ancien droit qui, d'après le droit nouveau, sont contraires à l'ordre public ne peuvent plus recevoir d'application (al. 2). Ces principes sont en tout cas applicables lorsque le changement de loi intervient, comme en l'espèce, au cours de la procédure cantonale de recours (cf. toutefois:
BGE 127 III 16 S. 20
ATF 106 Ib 325
consid. 2, lorsqu'un recours est pendant devant le Tribunal fédéral).
Comme il a déjà été dit (cf. supra, consid. 2b), les restrictions de droit public de la LDFR ont été édictées dans l'intérêt de l'ordre public; elles visent à empêcher les actes juridiques qui iraient à l'encontre des objectifs posés par l'
art. 1er LDFR
(FF 1988 III 904 ss; HOTZ, in: Le droit foncier rural, Brugg 1998, nos 7 ss ad
art. 1 LDFR
). La novelle du 26 juin 1998 ne fait qu'adapter cette législation - généralement par son assouplissement - aux nouvelles orientations de la politique agricole fédérale (FF 1996 IV 378 ss; MÜLLER/SCHMID-TSCHIRREN, op. cit., p. 67 ss). Par ailleurs, si le principe de la sécurité du droit doit céder la place s'agissant des modifications subséquentes de la LDFR, la volonté du législateur de mettre en oeuvre le plus rapidement et largement possible les restrictions de droit public édictées dans l'intérêt de l'ordre public passe au premier plan, qui plus est lorsque celles-ci sont plus favorables pour leur destinataire (cf. supra, consid. 2b). A cela, le recourant ne peut opposer aucun intérêt privé prépondérant. On ne voit en particulier pas en quoi il devrait être protégé dans sa confiance mise en l'application du droit antérieur. Le fait qu'un refus de l'autorisation conformément à l'ancien droit aurait conduit à la nullité de l'adjudication et, partant, par effet réflexe, au maintien du bail n'est à cet égard pas pertinent. Les conditions restrictives d'acquisition posées par l'ancien droit avaient pour but, non de protéger la position du fermier, mais de favoriser l'acquisition des terres agricoles par des exploitants à titre personnel. Par ailleurs, le recourant ne pouvait de bonne foi compter avec la possibilité d'exercer un droit de préemption (
art. 47 LDFR
) pour le cas où la procédure se serait déroulée normalement. De son propre aveu, il n'est au bénéfice du contrat de fermage que depuis le 31 décembre 1992. Avant l'entrée en vigueur de la novelle, il n'a donc jamais rempli la condition de la durée légale minimum du bail posée par l'
art. 47 al. 1 let. b LDFR
(cf.
art. 7 al. 1 LBFA
[RS 221.213.2]; HOTZ, op. cit., nos 10 et 20 ad
art. 47 LDFR
). Accessoirement, il n'est pas inutile de relever que la prolongation de la procédure lui a plutôt profité. Sur le vu des principes susmentionnés, les dispositions amendées sont dès lors applicables à la présente cause et, dans son résultat, l'arrêt cantonal ne viole, sur ce point, pas le droit fédéral. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d7eaafe1-c1da-40bc-be77-15fe0710ae50 | Urteilskopf
99 Ia 143
17. Urteil vom 11. Juli 1973 i.S. Schmid gegen Winzeler, Stadtrat von Schaffhausen und Obergericht als Verwaltungsgericht des Kantons Schaffhausen. | Regeste
Art. 4 BV
; Willkürliche Auslegung von Bauvorschriften.
Es ist willkürlich, eine kantonale Vorschrift, wonach der Bau von Hochhäusern nur bewilligt werden darf, wenn sie die Umgebung nicht wesentlich benachteiligen, so auszulegen, dass übermässiger Schattenwurf zwar als wesentliche Benachteiligung angesehen, bei der Prüfung eines konkreten Hochhausprojektes aber nur darauf abgestellt wird, ob dessen Schattenwurf allein, d.h. ohne Rücksicht auf die Schattenwirkungen bereits bestehender Bauten, ein Nachbargrundstück wesentlich benachteiligt. Dies gilt um so mehr, wenn eine kommunale Vorschrift den Bau von Hochhäusern, die ausdrücklich kein Nachbargrundstück durch Schattenwurf unzumutbar beeinträchtigen dürfen, nur im Rahmen von Gesamtüberbauungen zulässt. | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 99 Ia 143 S. 143
A.-
Art. 53 Abs. 1 des Baugesetzes für den Kanton Schaffhausen (BauG) vom 9. November 1964 bestimmt:
"Eine Baute darf nicht höher als 24 m sein."
BGE 99 Ia 143 S. 144
Art. 54 besagt unter dem Marginale "Ausnahmen":
"Auf Antrag des Gemeinderates kann der Regierungsrat über 24 m hohe Bauten bewilligen, wenn:
1. eine solche Baute das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt und auf einen verkehrstechnisch geeigneten Ort zu stehen kommt;
2. genügend grosse Freiflächen geschaffen werden;
3. das Mass der Ausnützung der betreffenden Zone nicht überschritten wird;
4. die Umgebung nicht wesentlich benachteiligt wird."
Das kantonale Baugesetz ist ein Rahmengesetz. Die Gemeinden dürfen im Rahmen ihrer Zuständigkeit weitergehende Vorschriften aufstellen. Die Stadt Schaffhausen hat auf Grund des Baugesetzes am 23. April 1968 eine Bauordnung (Bauo) erlassen. Sie regelt in Abschnitt IV die Wohnzonen. Art. 32 befasst sich mit den Gesamtüberbauungen und lautet:
"Als Gesamtüberbauung im Sinne der nachfolgenden Bestimmungen gelten mehrere, auf Grund eines Richtmodells projektierte, aufeinander abgestimmte Wohnbauten, sofern,
a) es sich hinsichtlich Verkehrslage um zweckmässige Projekte handelt, die sich in die Umgebung gut einfügen;
b) das Baugrundstück oder die zusammengehörenden Einzelparzellen mindestens 5000 m2 umfassen;
c) die in der Gesamtüberbauung zugelassenen Bauten mit mehr als sechs Geschossen die Nachbargrundstücke weder durch Schattenwurf noch durch Lichtentzug in unzumutbarer Weise beeinträchtigen."
Bei Gesamtüberbauungen erhöht sich die für die einzelnen Wohnzonen vorgesehene Ausnützungsziffer um 10% (Art. 34 Abs. 2 Bauo). Im übrigen ist die Höhe der Bauten unter Vorbehalt der Beachtung von Art. 54 BauG nicht auf 24 m beschränkt.
Für die Erteilung der Baubewilligung ist grundsätzlich der Gemeinderat zuständig (Art. 60 BauG). Indessen bedarf u.a. die Schaffung von Räumen zum Einstellen von Motorfahrzeugen einer Bewilligung des Regierungsrates bzw. der Baudirektion (Art. 61 BauG). Baubewilligungsentscheide der Gemeinde können an den Regierungsrat weitergezogen werden. Gegen erstinstanzliche Entscheide oder Rekursentscheide des Regierungsrates kann gemäss Art. 34 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 Beschwerde beim Obergericht als Verwaltungsgericht erhoben werden.
BGE 99 Ia 143 S. 145
B.-
Emil Schmid, Landwirt in Schaffhausen, ist Eigentümer der Grundstücke Nr. 6120 und 6140 in Schaffhausen; sie liegen in der Wohnzone mit mittlerer Ausnützung. Zwischen seinen Grundstücken und der Winkelriedstrasse hat Emil Winzeler, Architekt in Neuhausen, auf Grund eines anfangs der sechziger Jahre entworfenen Plans noch vor dem Inkrafttreten des BauG und der Bauo zwei Hochhäuser erstellt. Sie werfen ihren Schatten auf die erwähnten Grundstücke des Emil Schmid. Im Plan war der Bau eines dritten Hochhauses mit 14 Stockwerken vorgesehen. Nachdem aber Winzeler die ihm gehörende Landfläche durch den Kauf des Grundstückes Nr. 6171 vergrössert hatte, plante er ein 47 m hohes Gebäude mit 16 Stockwerken. Am 23. März 1972 reichte er den Baubehörden der Stadt Schaffhausen das Gesuch ein für die Erstellung dieses Wohnhochhauses, Hochhaus "ob de Gruebe" genannt, einer dreigeschossigen Autoeinstellhalle sowie verschiedener Autoabstellplätze auf GB Nr. 6137 und zum Teil auf den Nrn. 6124, 6153 und 6615. Winzeler war der Meinung, das Projekt bilde Teil einer Gesamtüberbauung. Am 25. April 1972 genehmigte der Stadtrat Schaffhausen das Baugesuch, soweit er sich dafür als zuständig erachtete. Der Regierungsrat erteilte am 16. Mai 1972 die Bewilligung für die Überschreitung der in Art. 53 BauG festgelegten Bauhöhe von 24 m, ohne näher auszuführen, inwieweit die von Art. 54 BauG aufgestellten Bedingungen für den Höherbau erfüllt seien. Auf Antrag des Stadtrates bewilligte darauf die kantonale Baudirektion ihrerseits am 16. Juni 1972 das Hochhausprojekt mit Bezug auf die geplante, in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Autoeinstellhalle.
Nach der Baupublikation reichte Emil Schmid beim Bezirksrichter Schaffhausen gegen das Bauvorhaben "öffentlich- und privatrechtliche Einsprache" ein. Da diese ausschliesslich öffentlich-rechtliche Beschwerdegründe zum Gegenstand hatte, leitete sie der Bezirksrichter als Rekurs an den Regierungsrat weiter, soweit das Rechtsmittel sich gegen die vom Stadtrat und der Baudirektion erteilte Baubewilligung richtete. Soweit Schmid jedoch den vom Regierungsrat bewilligten Höherbau beanstandete, überwies der Bezirksrichter die Einsprache dem Obergericht des Kantons Schaffhausen als Verwaltungsgericht. Am 3. Oktober 1972 wies der Regierungsrat den Rekurs ab. Schmid zog diesen Entscheid an das Verwaltungsgericht weiter. In seiner Beschwerdeschrift erklärte er u.a., zur Vereinfachung
BGE 99 Ia 143 S. 146
der Sachlage ziehe er die anhängige Verwaltungsgerichtsbeschwerde zurück und ersetze sie durch die neue Beschwerde. Am 10. November 1972 schrieb infolgedessen das Obergericht die ihm vom Bezirksrichter überwiesene Beschwerde als erledigt am Protokoll ab und verpflichtete Schmid, dem Beschwerdegegner Winzeler eine Parteientschädigung von Fr. 7500.-- zu bezahlen. Mit Urteil vom 2. Februar 1973 wies es sodann die Beschwerde ab. Es hielt dafür, für die Bewilligung von über 24 m hohen Bauten sei nach BauG der Regierungsrat allein zuständig, doch sei, da man im zur Beurteilung stehenden Fall ein anderes Vorgehen gewählt habe, auf die ganze Beschwerde einzutreten. Es stellte ferner fest, in der Stadt Schaffhausen könnten Hochhäuser nur auf Grund einer Gesamtüberbauung erstellt werden. Liege gar keine Gesamtüberbauung im Sinne von Art. 32 Bauo vor, müsse die Baubewilligung verweigert werden. Das von Art. 32 Bauo verlangte Richtmodell sei kein verbindlicher Plan, es unterliege keinem behördlichen Beschluss und erfordere keine Genehmigung durch eine Aufsichtsinstanz. Es sei vielmehr eine verwaltungsinterne Entscheidungsgrundlage, um abzuklären, ob mehrere aufeinander abgestimmte Wohnbauten als Gesamtüberbauung anerkannt werden könnten. Das Richtmodell solle der Behörde bei ihrem Entscheid behilflich sein, um festzustellen, ob die Voraussetzungen nach Art. 32 lit. a-c Bauo und gegebenenfalls diejenigen nach Art. 54 BauG erfüllt seien. Änderungen eines ursprünglichen Richtmodells könnten zugelassen werden, wenn damit die Voraussetzungen der Anerkennung der Gesamtüberbauung erfüllt blieben.
Nach Ansicht des Beschwerdeführers könne keine Gesamtüberbauung vorliegen, weil die Hochbauten seine Grundstücke durch unzumutbare Schattenwürfe beeinträchtigen würden; dabei seien die Schattenzeiten zu berücksichtigen, die von allen zur Überbauung gehörenden Hochhäusern verursacht werden. Ob durch den Schattenwurf die Nachbargrundstücke in unzumutbarer Weise beeinträchtigt würden, sei eine Rechtsfrage, bei deren Beantwortung ein unbestimmter Rechtsbegriff anzuwenden sei. Den kantonalen Behörden stehe ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, insbesondere wenn dabei örtliche Verhältnisse zu würdigen seien, ein Grenzfall vorliege und die Auslegung schwierig sei. Ein solcher Beurteilungsspielraum sei dem Regierungsrat zuzugestehen. Dieser betrachte in Anlehnung
BGE 99 Ia 143 S. 147
an die Richtlinien des Regionalplanungsamtes Zürich die 2-stündige Schattendauer als Grenzwert, wobei in Grenzfällen unter Umständen auch eine längere Schattendauer zu dulden sei. Dabei habe man grundsätzlich nur die Auswirkungen eines konkreten Projektes in Betracht zu ziehen. Wenn man bei der Beurteilung eines Baugesuches regelmässig auch auf die in der Nachbarschaft bestehenden Bauten abstellen müsste, würde der bauwillige Grundeigentümer in seiner Baufreiheit zusätzlich beschränkt. Dies sei nach Ansicht des Regierungsrates weder in der Absicht des Gesetzgebers gewesen noch könne es der Sinn der auf die konkreten Zonenverhältnisse abgestimmten Bauvorschriften sein. Mit dieser Auslegung habe sich der Regierungsrat im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes gehalten. Die Mitberücksichtigung weiterer Hochhäuser in der näheren Umgebung könnte zudem auch nach Meinung des Obergerichtes nicht auf Art. 32 lit. c Bauo abgestützt werden. Öffentlich-rechtliche Beschränkungen des Grundeigentums bedürften der klaren gesetzlichen Grundlage; an einer solchen würde es fehlen. Hochhausprojekte sollten zwar hinsichtlich ihrer Einwirkungen auf Nachbargrundstücke unter Berücksichtigung der umstehenden Bauobjekte überprüft werden können. Dass ein Teil des Baulandes des Beschwerdeführers durch die bestehenden Hochhäuser und das zur Diskussion stehende Projekt tatsächlich mit einer sehr langen Schattenzeit beeinträchtigt werde, die unter Umständen eine Verwendung für die zonengemässe Überbauung mit Wohnhäusern verhindere, könne aber aus rechtlichen Gründen nicht verhindert werden. Ob sich allenfalls eine Umzonung gewisser Parzellen des Beschwerdeführers aufdränge, sei von den zuständigen Rechtsetzungsinstanzen zu prüfen. Das Hochhausprojekt Winzeler erreiche mit seinem Schattenwurf die Zweistundengrenze nur knapp und übersteige sie an wenigen Punkten nur leicht, so dass nicht davon gesprochen werden könne, das Nachbargrundstück des Beschwerdeführers werde durch diese Baute in unzumutbarer Weise beeinträchtigt.
Der Beschwerdeführer mache schliesslich eine Verletzung von Art. 54 Ziff. 1 und 4 BauG geltend. Mit Bezug auf die Fragen des Lichtentzuges und des Schattenwurfs sei Art. 54 Ziff. 1 durch Art. 32 Bauo verschärft worden. Es könne deshalb auf das zu Art. 32 Bauo Gesagte verwiesen werden. Weitere Quellen für eine Benachteiligung der Umgebung im Sinne von Art. 54
BGE 99 Ia 143 S. 148
Ziff. 4 mache der Beschwerdeführer nicht geltend und das Verwaltungsgericht, das den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären habe, finde auch keine solchen.
C.-
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes führt Emil Schmid staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, es seien der Entscheid des Obergerichtes vom 2. Februar 1973 sowie die ihm vorangegangenen Entscheide des Regierungsrates und des Stadtrates aufzuheben.
D.-
Emil Winzeler beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 54 BauG und Art. 32 Bauo schützen nicht nur das öffentliche Interesse an einer geordneten und zweckmässigen Überbauung, sondern bewahren auch die Nachbarn der Baugrundstücke vor übermässigen Auswirkungen neuer Bauten. Der Beschwerdeführer ist daher als Anstösser der Baugrundstücke legitimiert, staatsrechtliche Beschwerde zu führen, wenn er sich durch eine verfassungswidrige Anwendung der erwähnten Bestimmungen in diesem Schutz beeinträchtigt glaubt (
BGE 95 I 196
E. 1 mit Hinweisen).
2.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann sich die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen den Entscheid der letzten kantonalen Instanz mit freier Prüfungsbefugnis richten und nicht auch gegen vorausgegangene Entscheide unterer Instanzen (
BGE 98 Ia 156
E. 3,
BGE 97 I 119
, je mit Hinweisen). Da im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht mit freier Kognition entschieden hat, ist auf das Beschwerdebegehren nicht einzutreten, soweit damit die Aufhebung der Entscheide des Regierungsrates des Kantons Schaffhausen und des Stadtrates Schaffhausen beantragt wird.
3.
Die Beschwerdeschrift muss u.a. die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
). Der Beschwerdeführer erklärt nicht, inwiefern der angefochtene Entscheid die Eigentumsgarantie nach
Art. 22ter BV
oder den Schutz der Privatrechte gemäss Art. 19 KV verletze. Er behauptet lediglich, Regierungsrat und Verwaltungsgericht hätten die Bestimmungen des BauG und der städtischen Bauo willkürlich
BGE 99 Ia 143 S. 149
angewandt. Auf die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie und der kantonalen Verfassung ist daher mangels hinreichender Begründung nicht einzutreten (
BGE 96 I 36
E. 2 mit Hinweisen, 329).
Der Beschwerdegegner Winzeler hält dafür, dass auf die ganze Beschwerde nicht einzutreten sei, weil sie der nötigen Sachdarstellung entbehre. Diese ist freilich dürftig. Sie ist aber hinreichend, um die Rechtsfrage, die der Beschwerdeführer dem Bundesgericht mit der Beschwerde unterbreitet, zu entscheiden. Soweit daher eine Verletzung von
Art. 4 BV
behauptet wird, ist auf die Beschwerde einzutreten.
4.
Lichtentzug und Schattenwurf eines Gebäudes auf benachbarte Grundstücke gehören zu den sogenannten negativen Immissionen. Wie weit diesen mit den Mitteln des Privatrechtes begegnet werden könnte, kann offenbleiben, da im vorliegenden Verfahren der privatrechtliche Immissionsschutz nicht in Frage steht. In neuerer Zeit hat sich das öffentliche Baurecht der Frage angenommen und verbietet zuweilen Bauten, insbesondere Hochhäuser, die durch Lichtentzug und Schattenwurf angrenzende Grundstücke beeinträchtigen würden. Solche baurechtliche Eigentumsbeschränkungen stehen im öffentlichen Interesse, insbesondere im Interesse an geordnetem und gesundem Wohnen. Um vor der Bundesverfassung standhalten zu können, müssen sie aber auch auf gesetzlicher Grundlage beruhen (
BGE 98 Ia 38
E. 2, 199 E. 1,
BGE 97 I 795
E. 2 b).
Das Baurecht des Kantons Schaffhausen bestimmt in Art. 54 BauG, unter welchen Voraussetzungen über 24 m hohe Bauten erstellt werden dürfen. Für die Beurteilung der Beschwerde fällt nur Ziff. 4 in Betracht, da vor Bundesgericht nicht mehr streitig ist, ob die weitern Bedingungen von Art. 54 erfüllt sind. Danach darf durch das Hochhaus die Umgebung nicht wesentlich benachteiligt werden. Damit ist wohl in erster Linie eine Beeinträchtigung der Umgebung in aesthetischer Beziehung gemeint und insoweit stellt Ziff. 4 eine Ergänzung von Ziff. 1, bezogen auf die unmittelbare Nachbarschaft, dar. Der Gesetzeswortlaut gestattet es aber, auch weitere Beeinträchtigungen als Hinderungsgründe zu betrachten. Regierungsrat und Verwaltungsgericht nehmen an, darunter falle auch die Schädigung der Nachbarliegenschaften durch übermässigen Schattenwurf. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die durch Auslegung des Gesetzes zu beantworten
BGE 99 Ia 143 S. 150
ist. Sie ist dann gegeben, wenn die zonengemässe Benutzung der anstossenden Grundstücke verunmöglicht wird. Das trifft bei Schattenwürfen zu, durch die eine Überbauung der betroffenen Nachbargrundstücke unzumutbar wird. Bei der Beurteilung, ob der Schattenwurf des projektierten Hochhauses die Grundstücke des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 54 Ziff. 4 BauG wesentlich benachteilige, stellte der Regierungsrat auf die vom zürcherischen Amt für Regionalplanung im Jahre 1967 erarbeitete "Anleitung zur Bestimmung des Schattenverlaufes von hohen Gebäuden, Die 2-Stunden-Schattenkurve" ab. Diese Studie kommt zum Schluss, dass ein Hochhaus an einem mittleren Wintertag nicht mehr als zwei Stunden Schatten auf einen bestimmten Punkt werfen sollte. Der Regierungsrat oder das Verwaltungsgericht hätten auch eine andere Methode wählen oder eine eigene entwickeln oder sich für jeden Einzelfall die Entscheidung vorbehalten können, was als wesentliche Beeinträchtigung zu gelten habe. Es ist nicht verfassungswidrig, wenn dem Regierungsrat dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zuerkannt wird, denn, wie das Verwaltungsgericht mit Recht annimmt, ist der Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zwar einheitlich ausgelegt werden muss, bei dessen Anwendung im Einzelfall aber gelegentlich eine Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu treffen ist, die sich nicht immer bis ins Letzte begründen lässt. Hingegen steht dieser Beurteilungsspielraum nicht offen bei der Ermittlung von Sinn, Umfang und Tragweite der gesetzlichen Vorschrift. Bei der Frage, ob bei einer Baubewilligung gemäss Art. 54 BauG bzw. Art. 32 Bauo nur auf die Schattenwirkungen des zu bewilligenden Bauprojektes abzustellen ist, geht es um den Sinn der gesetzlichen Vorschriften, so dass das Verwaltungsgericht hier dem Regierungsrat zu Unrecht einen Beurteilungsspielraum einräumte. Immerhin hat das Bundesgericht die von den kantonalen Instanzen vorgenommene Auslegung nur auf Willkür hin zu prüfen.
5.
Die kantonalen Baubehörden sind der Auffassung, dass ein Nachbargrundstück beim Bau eines Hochhauses u.a. durch übermässigen Schattenwurf im Sinne von Art. 54 Ziff. 4 BauG benachteiligt werden kann. Zu entscheiden ist aber, ob dabei nur auf die Schattenwirkungen des zu bewilligenden Projektes auf ein bestimmtes Grundstück abzustellen ist oder auch auf solche, die von bereits bestehenden Gebäuden ausgehen.
BGE 99 Ia 143 S. 151
Entgegen dem Entscheid des Regierungsrates und des Verwaltungsgerichtes sind auch bereits bestehende Bauten zu berücksichtigen. Sie wirken durch ihren Bestand unter Umständen bereits auf das in Frage stehende Nachbargrundstück ein. Ob die Auswirkungen eines neuen Bauvorhabens tragbar sind, ist deshalb nicht isoliert zu prüfen, sondern nur unter Mitberücksichtigung von allenfalls bereits bestehenden Schattenwürfen anderer Bauten auf das gleiche Grundstück. Eine andere Auslegung würde den Schutzzweck von Art. 54 Ziff. 4 BauG offensichtlich verfehlen, die Norm somit klar verletzen und wäre damit willkürlich (
BGE 97 I 352
,
BGE 96 I 627
). Mit Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass andernfalls je nach den Umständen der angestrebte Schutzzweck überhaupt nicht erreicht werden könnte, indem die Summierung der Schattenwürfe von immer neuen Hochbauten die zonengemässe Überbauung eines Grundstückes verunmöglicht, weil jedes einzelne Hochhaus zwar keinen übermässigen Schatten wirft, wohl aber mehrere miteinander, was für die Grundstücke des Beschwerdeführers zutrifft, wie das Verwaltungsgericht zugesteht. In einem solchen Falle drängt es sich somit auf, neue Bauprojekte im Interesse der Nachbarn zu beschränken. In diesem Sinne trifft z.B. die bernische Bauverordnung vom 26. November 1970 eine klare Ordnung, indem sie in Art. 130 Abs. 3 bestimmt, dass dort, wo topographische Gegebenheiten oder bestehende Bauten die Besonnung einer Liegenschaft bereits erheblich einschränken, die Beschattungstoleranzen, die die Verordnung im übrigen aufstellt, angemessen zu reduzieren sind.
Das Verwaltungsgericht befürchtet, durch eine solche Gesetzesauslegung werde eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung geschaffen, für die es an der klaren gesetzlichen Grundlage fehle. Die Besorgnis ist unbegründet. Art. 54 BauG enthält, wenn auch nur in allgemeiner Form, eine genügende Ordnung, weil die Beschränkung der Baufreiheit mit dem Zweck der Bestimmung in Einklang steht und auch das angewandte Mittel als von ihr gewollt erscheint.
6.
Dieses Ergebnis folgt erst recht aus Art. 32 Bauo. Er verschärft Art. 54 BauG insoweit, als Bauten mit mehr als sechs Geschossen, d.h. Hochhäuser, nur in Gesamtüberbauungen und nicht schlechthin zugelassen sind (zum Begriff vgl. ZAUGG, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern, S. 143,
BGE 99 Ia 143 S. 152
FRIEDRICH/SPÜHLER/KREBS, Bauordnung der Stadt Winterthur, S. 110 ff., kritisch H. EGGER, Einführung in das zürcherische Baurecht, 3. Auflage, S. 114 f.). Eine Gesamtüberbauung besteht nach Art. 32 Bauo aus mehreren aufeinander abgestimmten Wohnbauten. Die Überbauung gilt aber u.a. nur dann als Gesamtüberbauung, wenn die Bauten die Nachbargrundstücke weder durch Schattenwurf noch Lichtentzug in unzumutbarer Weise beeinträchtigen. Mit dem Verbot der Beeinträchtigung schliesst Art. 32 Bauo an Art. 54 BauG an, wobei dieser insofern weiter gefasst ist, als er bereits eine wesentliche Benachteiligung der Umgebung verbietet.
Die Gesamtüberbauung setzt ausserdem voraus, dass die Bauten auf Grund eines Richtmodells projektiert wurden. Was darunter zu verstehen ist, sagt die Bauordnung nicht. Die Frage kann indes offenbleiben, da vor Bundesgericht nicht streitig ist, dass das Hochhaus "ob de Gruebe" im Rahmen einer Gesamtüberbauung erstellt werden soll. Das zur Beurteilung stehende Projekt für sich allein genommen, kann nicht als Gesamtüberbauung gelten, obschon es mindestens zwei Bauten umfasst, denn es müssten Wohnbauten sein, was nicht zutrifft. Das erforderliche Richtmodell ist offenbar anfangs der sechziger Jahre vom Beschwerdegegner erstellt worden. Damals hatte die Stadt Schaffhausen indessen noch keine Bauordnung und es konnte deshalb auch keine Rede davon sein, die Gesamtüberbauung auf Grund eines Richtmodells zu planen. Nach Inkrafttreten des BauG und der Bauo hat Winzeler kein neues Richtmodell ausgearbeitet. Dass die früher erstellte Überbauungsstudie, die zum Teil schon ausgeführt ist, als Richtmodell im Sinne der Bauo anerkannt wird und damit auch das geplante Hochhaus als Teil der Gesamtüberbauung gelten und als solcher bewilligt werden kann, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Bauo erfüllt sind, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Auch wenn das Richtmodell, wie schon sein Name andeutet, nur gewisse Richtlinien für die künftige Überbauung festlegt und spätere Abweichungen in Einzelheiten zulässt, weisen doch Wortlaut und Sinn von Art. 32 Bauo eindeutig darauf hin, dass bei einer Gesamtüberbauung die Auswirkungen sämtlicher im Richtmodell enthaltener Bauten zu berücksichtigen sind, wenn diese mit ihrem Schattenwurf ein Grundstück im Sinne von Art. 32 Ziff. 4 unzumutbar beeinträchtigen. Der Sinn der
BGE 99 Ia 143 S. 153
Gesamtüberbauung liegt darin, eine von den Baubedingungen der allgemeinen Bauzonen abweichende Überbauung mit in der Regel stärkerer Ausnutzungsmöglichkeit zu gestatten. Da dabei die Nachbarn den Schutz verlieren, den ihnen die allgemeine Zonenordnung gewährt, ist es folgerichtig, die Gesamtüberbauung nur unter Anwendung besonderer Vorsichtsmassregeln zuzulassen, wie sie Art. 32 Bauo vorsieht. Unerheblich ist, ob die Gesamtüberbauung nach der behördlichen Genehmigung des Richtmodells in einem Zuge oder zeitlich gestaffelt ausgeführt wird, sofern nur das Richtmodell mit Bezug auf jene Eigenschaften verbindlich bleibt, die für die Anerkennung der vorgesehenen Überbauung als Gesamtüberbauung massgebend sind. Wenn der letzte Bau, wie im vorliegenden Fall, in zeitlich erheblichem Abstand erfolgt, muss bei der Prüfung des Projektes darauf geachtet werden, dass dieser Bau zusammen mit den übrigen Bestandteilen des Projektes keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbargrundstücke nach sich zieht. Daraus folgt, dass die Schattenwürfe aller zur Gesamtüberbauung gehörenden Bauten zusammen auf das Grundstück des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sind. Eine andere Auffassung verstösst gegen den Wortlaut und gegen den Sinn der Bestimmung und ist unhaltbar. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben.
7.
Der Beschwerdegegner bestreitet die vom Beschwerdeführer vertretene und vom Verwaltungsgericht anerkannte Auffassung, wonach alle Schattenwürfe der verschiedenen Hochhäuser zusammen die Grundstücke des Beschwerdeführers in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würden. Er macht in der Beschwerdeantwort geltend, die Schattenwürfe beträfen diese Grundstücke nur am Rande. Das Verwaltungsgericht unterliess es, diesen Sachverhalt abzuklären, weil es die im BauG und in der Bauo enthaltenen Vorschriften willkürlich auslegte und damit die Beschwerde willkürlich abwies. Es wird Sache des allfälligen weiteren Verfahrens sein zu untersuchen, wie gross die Schattenwürfe der bestehenden Bauten und des geplanten Hochhauses zusammen auf die Grundstücke des Beschwerdeführers sind, ob dadurch deren Überbauung an Stellen, die für eine Überbauung vernünftigerweise in Frage kommen, verunmöglicht wird, und ob deshalb die Grundstücke des Beschwerdeführers unzumutbar beeinträchtigt werden.
BGE 99 Ia 143 S. 154
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d7f2de60-577f-4e00-8d69-8331121f9b9e | Urteilskopf
124 I 336
41. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour de droit public du 5 novembre 1998 dans la cause Michailov contre Procureur du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Persönliche Freiheit und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Prozessfähigkeit des Untersuchungsgefangenen.
Das Recht, vor Gericht aufzutreten, ist Teil der persönlichen Freiheit (E. 4a) und des Rechts auf ein faires Verfahren nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(E. 4b).
Tragweite der Prozessfähigkeit von Untersuchungsgefangenen (E. 4c).
Im vorliegenden Fall hat die Behörde das Verbot gegenüber einem Untersuchungsgefangenen, im Ausland einen Prozess anzuheben, unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit und von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht mit hinreichenden Verdachtsgründen belegt (E. 4d). | Sachverhalt
ab Seite 336
BGE 124 I 336 S. 336
Le 17 octobre 1996, le Juge d'instruction du canton de Genève a inculpé Sergueï Anatolevitch Michailov, ressortissant russe né en 1958, de participation à une organisation criminelle (
art. 260ter CP
) et de blanchissage d'argent (
art. 305bis CP
). Michailov a été placé immédiatement en détention préventive. Le 22 octobre 1996, l'inculpation a été étendue aux chefs de violation des art. 28 de la loi fédérale sur l'acquisition d'immeubles par des étrangers (LFAIE; RS 211.412.41) et 23 de la loi fédérale sur le séjour et l'établissement des étrangers (LSEE; RS 142.20). Michailov était soupçonné
BGE 124 I 336 S. 337
d'avoir transféré en Suisse des fonds provenant de diverses activités illicites exercées en qualité de dirigeant de l'organisation criminelle russe connue sous le nom de «Solntsevskaya.» Il était aussi reproché à Michailov d'avoir éludé le régime d'autorisation régi par la LFAIE et d'avoir séjourné plus de trois mois en Suisse sans autorisation valable. Cette procédure a été désignée sous la rubrique P/9980/96.
Le 20 août 1997, le Juge d'instruction a inculpé Michailov de faux dans les titres au sens de l'
art. 251 CP
.
Le 4 mars 1998, Michailov a demandé au Procureur en charge de l'affaire, d'autoriser un notaire à lui rendre visite aux fins d'établir une procuration en faveur de P., avocat russe à qui Michailov entendait confier le mandat d'intenter un procès de presse en Russie. Le 11 mars 1998, le Procureur a rejeté cette requête. Cette décision est entrée en force. Le dossier de la procédure contient la copie d'une décision, prise le 17 juin 1997 par l'Office fédéral des étrangers interdisant à P. l'entrée sur le territoire suisse en raison du soupçon pesant sur lui d'appartenir à une organisation criminelle russe.
Le 17 mars 1998, le Juge d'instruction a inculpé l'un des défenseurs de Michailov, Me I., de soutien à une organisation criminelle (
art. 260ter CP
) et d'entrave à l'action pénale (
art. 305 CP
). Il est reproché à I. d'avoir servi d'intermédiaire entre Michailov et son complice K., lui-même en relation avec la famille de Michailov et des correspondants en Russie, en Autriche, en Hongrie et en Israël, soit les dénommés A., Z., R. et T., ainsi que l'avocat P. I. aurait acheminé clandestinement une cinquantaine de messages de Michailov à ses comparses, permettant ainsi au détenu de continuer à diriger son organisation depuis sa cellule et de fausser les éléments de preuve recueillis au cours de l'enquête.
Le 26 mai 1998, le Juge d'instruction a inculpé Michailov d'un nouveau chef de participation à une organisation criminelle (
art. 260ter CP
), à raison des faits ayant conduit à l'inculpation d'I.
Le 21 août 1998, Me D., nouveau mandataire de Michailov, a demandé au Procureur d'autoriser un notaire à rendre visite à Michailov aux fins d'établir une procuration en faveur de B., avocat inscrit au barreau de la Fédération de Russie, pour les mêmes motifs que ceux évoqués dans la demande du 4 mars 1998.
Le 26 août 1998, le Procureur a rejeté cette requête, pour les motifs suivants:
"Il est exclu que notre autorité accorde à un notaire un droit de visite à Sergei Michailov pour établir une procuration en faveur d'un avocat
BGE 124 I 336 S. 338
russe, dont, à lecture de votre lettre, le mandat aurait pour objet d'introduire action en diffamation contre les «médias en Russie». En cela nous n'entendons pas participer aux manoeuvres d'intimidation de votre client dont le rôle de dirigeant de l'organisation criminelle SOLNTSEVSKAYA a été confirmée par le Procureur général de Russie".
Le 30 août 1998, Michailov a demandé au Procureur de reconsidérer sa décision, ce qui lui a été refusé le 4 septembre 1998.
Agissant par la voie du recours de droit public, Sergueï Anatolevitch Michailov demande au Tribunal fédéral d'annuler la décision du 26 août 1998 et d'inviter l'autorité intimée à lui accorder la permission de recevoir la visite d'un notaire en vue d'établir la procuration en question. Il invoque la liberté personnelle, la liberté d'expression, l'
art. 4 Cst.
, l'
art. 6 par. 2 CEDH
, ainsi que les art. 8, 10 et 14 de cette même Convention.
Le Tribunal fédéral a admis le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extraits des considérants:
4.
a) Droit constitutionnel non écrit, la liberté personnelle ne tend pas seulement à assurer la liberté de mouvement ou à protéger l'intégrité personnelle, mais elle garantit, de manière générale, le respect de la personnalité (
ATF 124 I 40
consid. 3a p. 42, 85 consid. 2 p. 86/87, 170 consid. 2b p. 171/172;
ATF 123 I 112
consid. 4a p. 118;
ATF 122 I 279
consid. 3 p. 288, 360 consid. 5a p. 362;
ATF 120 Ia 145
consid. 7a, 149 consid. 2a). L'exercice des droits civils, dont celui d'ester en justice, représente l'un des aspects de la liberté personnelle protégée par la Constitution.
b) Dans un arrêt de principe rendu le 21 février 1975 dans la cause Golder c. Royaume-Uni (Série A, vol. 18), la Cour européenne des droits de l'homme a eu l'occasion de se prononcer sur le point de savoir si l'
art. 6 par. 1 CEDH
se borne à garantir en substance le droit à un procès équitable, ou s'il reconnaît en outre un droit d'accès aux tribunaux à toute personne voulant introduire une action relative à une contestation portant sur ses droits et obligations de caractère civil (arrêt précité, par. 25). Dans cette affaire, le requérant avait demandé l'autorisation de consulter un avocat en vue d'intenter une action en dommages-intérêts pour diffamation contre un gardien de la prison où il était détenu. L'autorité compétente avait rejeté cette requête. Retenant que Golder avait manifesté «de la façon la plus claire sa volonté d'intenter une action civile pour diffamation» et
BGE 124 I 336 S. 339
que le mandat confié à un avocat à cette fin représentait une «mesure préparatoire normale en elle-même et vraisemblablement indispensable pour lui en raison de son état de détention», la Cour a d'abord considéré que sur un plan général, la prééminence du droit «ne se conçoit guère sans la possibilité d'accéder aux tribunaux» (arrêt précité, par. 34 in fine) et que «le principe selon lequel une contestation civile doit pouvoir être portée devant un juge compte au nombre des principes fondamentaux de droit universellement reconnus», au même titre que la prohibition du déni de justice et que l'
art. 6 par. 1 CEDH
doit se lire à leur lumière (arrêt précité, par. 35). En l'espèce, la Cour a considéré qu'en dépit du fait que Golder aurait pu s'adresser librement aux tribunaux une fois libéré et que l'interdiction qui lui était opposée revêtait un caractère temporaire, il n'en demeurait pas moins que cette entrave portait atteinte à l'exercice efficace du droit d'accès aux tribunaux reconnu implicitement par l'
art. 6 par. 1 CEDH
(arrêt cité, par. 26 et 36; cf. aussi l'arrêt de la Cour européenne Ashingdane c. Royaume-Uni du 28 mai 1985, Série A, vol. 93 par. 57). La Cour a conclu:
"Dans ces conditions, Golder pouvait légitimement vouloir prendre contact avec un avocat afin de s'adresser à une juridiction. Le ministre n'avait pas à apprécier lui-même les chances de succès de l'action envisagée; il appartenait à un tribunal indépendant et impartial d'en décider éventuellement. En répondant qu'il ne croyait pas devoir accorder la permission sollicitée, le ministre a méconnu dans la personne du requérant le droit de saisir un tribunal, tel que le garantit l'art. 6 par. 1 (arrêt cité, par. 40)."
Dans le même arrêt, la Cour a précisé que le droit d'accès au tribunaux n'est pas absolu et qu'il y a place - tout spécialement pour un droit qui n'est pas reconnu expressément par la Convention - pour des limitations implicitement admises de ce droit (arrêt précité, par. 38). Soulignant qu'elle n'avait «pas à échafauder une théorie générale des limitations admissibles [à l'accès des tribunaux] dans le cas de condamnés détenus», ni de vérifier abstraitement la compatibilité des règles pénitentiaires nationales avec la Convention, la Cour s'est bornée à vérifier si, dans le cas d'espèce, la Convention avait été violée au détriment du requérant (arrêt précité, par. 39). Dans son arrêt Eglise catholique de La Canée c. Grèce du 16 décembre 1997, concernant le refus de la reconnaissance de la personnalité juridique de la requérante, avec pour conséquence son incapacité d'ester en justice, la Cour européenne des droits de l'homme, confirmant la solution de l'arrêt Golder, a réitéré que le droit d'accès au tribunal n'est pas absolu: «appelant de par sa nature
BGE 124 I 336 S. 340
même une réglementation par l'Etat, il peut donner lieu à des limitations, lesquelles ne sauraient cependant restreindre l'accès d'une manière ou à un point tels que le droit s'en trouve atteint dans sa substance même» (par. 38).
c) Sur le vu des principes qui viennent d'être rappelés, si la personne placée en détention préventive ne peut prétendre disposer d'un droit inconditionnel et absolu à exercer ses droits civils, dont celui d'ester en justice, l'autorité chargée de la surveillance de la détention préventive ne saurait priver de manière générale le détenu des moyens concrets d'intenter un procès. Une telle restriction aux droits garantis par l'
art. 6 par. 1 CEDH
et le droit constitutionnel non écrit ne sont admissibles que si elles reposent sur une base légale, sont ordonnées dans l'intérêt public et respectent le principe de la proportionnalité; la liberté personnelle, en tant qu'institution fondamentale de l'ordre juridique, ne saurait toutefois être complètement supprimée ou vidée de son contenu par les restrictions légales qui peuvent lui être apportées dans l'intérêt public (
ATF 124 I 40
consid. 3a p. 42, 80 consid. 2c p. 81, 170 consid. 2b p. 171/172, 176 consid. 5a p. 177;
ATF 123 I 112
consid. 4e p. 121, 221 consid. 4 p. 226, et les arrêts cités).
Les personnes détenues sont soumises aux restrictions qui découlent de la mesure de contrainte qui leur est imposée; celle-ci ne doit toutefois pas aller au-delà de ce qui est nécessaire au but de l'incarcération et au fonctionnement normal de l'établissement de détention (
ATF 123 I 221
consid. 4c p. 228;
122 I 222
consid. 2a/aa p. 226;
ATF 122 II 299
consid. 3b p. 303;
ATF 118 Ia 64
consid. 2d p. 73, et les arrêts cités). Les exigences inhérentes au but de la détention préventive doivent être examinées dans chaque cas et les restrictions imposées pourront être d'autant plus sévères que le risque de fuite, de collusion ou de désordre interne apparaît élevé (
ATF 123 I 221
consid. 4c p. 228;
ATF 118 Ia 64
consid. 2d p. 73). La détention préventive n'a pas seulement pour but d'empêcher le détenu de récidiver ou de se soustraire à l'action pénale, mais aussi de prévenir tout risque de collusion ou d'entrave à la justice. Il s'agit là de motifs d'intérêt public propres à justifier, selon les circonstances, une restriction aux droits civils du détenu, dont celui d'agir en justice. Le détenu ne peut en effet, sous le prétexte de la protection de sa personnalité, intenter un procès contre des tiers lorsqu'il existe des soupçons fondés qu'une telle action vise en réalité à contrecarrer l'action de la justice, par exemple en cherchant à exercer des pressions sur les autorités judiciaires ou leurs auxiliaires, de manière directe ou indirecte. Encore
BGE 124 I 336 S. 341
faut-il que ces soupçons reposent sur des éléments de fait concrets, dont l'autorité doit faire état dans sa décision de manière claire et précise, conformément au droit d'être entendu dont bénéficie le détenu à l'instar de tous les citoyens, et qui découle aussi bien de l'
art. 4 Cst.
(
ATF 123 I 31
consid. 2c p. 34;
ATF 112 Ia 107
consid. 2b p. 109) que de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(arrêt de la Cour européenne des droits de l'homme Higgins-Brown c. France, du 19 février 1998 par. 42 et les références citées).
d) Le recourant se plaint précisément de l'insuffisance de la motivation, sur le point qu'il conteste, de la décision attaquée. Celle-ci - qui se réfère implicitement à celle du 11 mars 1998 - ne contient pas d'exposé en fait et en droit, ni de dispositif. A la lire, on comprend que le Procureur a voulu empêcher le recourant de recevoir la visite d'un notaire au motif que cette visite - sous le prétexte de l'exercice des droits civils du recourant - aurait pour objectif véritable de favoriser l'activité d'une organisation criminelle et d'entraver l'action pénale. Cela étant, le Procureur n'a pas indiqué la base légale de cette restriction, ni évoqué de manière précise les éléments attestant l'existence d'un intérêt public, lié à la conduite de la procédure pénale ouverte à Genève, commandant d'empêcher le recourant d'intenter un procès civil devant les tribunaux russes. L'exposé de tels motifs était d'autant plus nécessaire que le rapport entre les deux procédures ne saute pas aux yeux. La situation est ici fondamentalement différente de celle qui a conduit au prononcé de la décision identique du 11 mars 1998. En effet, la requête précédente avait été présentée par l'avocat I. le 4 mars 1998, soit treize jours avant son inculpation, à un stade où le Juge d'instruction avait déjà conçu des soupçons quant à une éventuelle collusion d'I. avec son client. Elle visait en outre à établir un contact entre le recourant et l'avocat P. dont les autorités genevoises pouvaient craindre objectivement qu'il était lié à une organisation criminelle, sur le vu de la décision de l'Office fédéral du 17 juin 1997. Les motifs lapidaires de ce premier refus - contre lequel aucun recours n'a été formé - ne pouvaient être transposés sans autre examen à la nouvelle demande présentée par l'avocat D. qui avait indiqué que l'avocat mandaté pour ouvrir l'action civile en Russie était un dénommé B. Aucun élément du dossier de la procédure ne permet de penser - en l'état tout du moins - que l'intervention du mandataire russe du recourant devait servir de paravent à une tentative de manipulation de la procédure pénale ouverte à Genève, orchestrée depuis la Russie par la «Solntsevskaya». Si le Procureur pensait que tel était véritablement
BGE 124 I 336 S. 342
le cas, il devait étayer de tels soupçons. Or, il ne l'a pas fait. La situation n'étant pas limpide à ce sujet, le Tribunal fédéral n'est pas en mesure de substituer les motifs de la décision attaquée (cf.
ATF 122 I 257
consid. 5 p. 262;
ATF 120 Ia 226
consid. 3d;
ATF 112 Ia 135
consid. 3c, 355 consid. 3c/bb). En outre, les observations présentées le 8 octobre 1998 par le Procureur en réponse au recours ne contiennent pas les indications nécessaires qui auraient permis, le cas échéant, de réparer les défauts de la décision attaquée dans le cadre d'un deuxième échange d'écritures qui aurait pu être ordonné en application de l'
art. 93 al. 3 OJ
(cf.
ATF 107 Ia 1
).
e) Le grief de violation du droit d'être entendu est ainsi bien fondé et la décision attaquée doit être annulée pour ce seul motif. Il appartiendra au Procureur de statuer à nouveau sur la demande du 21 août 1998, en veillant à indiquer la base légale de sa décision et le cas échéant, les motifs d'intérêt public justifiant un nouveau rejet de la requête. Si la demande devait être admise, le Procureur serait autorisé à faire surveiller l'entrevue entre le notaire chargé de la légalisation de la procuration et le recourant. Celui-ci ne saurait en effet prétendre bénéficier du droit de l'accusé dans la procédure pénale à s'entretenir librement et sans contrôle avec son défenseur, car il n'est pas accusé dans une procédure pénale en Russie et l'action judiciaire qu'il entend ouvrir dans ce pays est de caractère civil. De même, s'il devait admettre la requête, le Procureur serait en droit d'exiger du recourant toutes les indications nécessaires quant à la nature et l'objet de l'action en justice qu'il entend ouvrir en Russie; le Procureur serait également habilité à s'assurer du caractère sérieux d'une telle démarche et de l'honorabilité de l'avocat B. Dans son appréciation, le Procureur pourra aussi prendre en compte les besoins de la procédure pénale en cours à Genève. Or, celle-ci a dépassé le stade de l'instruction et l'audience de jugement de la Cour correctionnelle a d'ores et déjà été fixée au 30 novembre 1998. Un risque de collusion ou d'entrave à l'action pénale - dont la procédure laisse supposer qu'il ne peut être écarté d'un revers de la main -, justifiant le refus de l'autorisation demandée, disparaîtra si la Cour correctionnelle ordonnait la libération du recourant, pour un motif ou un autre. Dans l'hypothèse inverse d'un verdict de condamnation, contre lequel le recourant disposerait de voies de droit, cantonales et fédérales, il n'est pas exclu d'emblée, selon les circonstances, que la demande puisse être rejetée, pour des motifs compatibles avec la liberté personnelle et l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Quoi qu'il en soit et dans l'intervalle, le Procureur pourrait aussi, sans violer le principe de la
BGE 124 I 336 S. 343
proportionnalité, différer jusqu'au prononcé du jugement de la Cour correctionnelle les effets d'une autorisation qu'il accorderait. Une telle suspension serait apparemment de nature à prévenir le risque redouté par l'autorité intimée, sans pour autant restreindre de manière disproportionnée, en l'espèce, l'exercice de ses droits civils par le recourant. Au demeurant, celui-ci n'allègue pas que la démarche qu'il souhaite entreprendre en Russie présenterait un quelconque caractère d'urgence. | public_law | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d7f54dd4-76a1-48b3-af1d-811f2c174262 | Urteilskopf
100 II 368
56. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1974 i.S. Zivnostenska Banka gegen Schweizerische Kreditanstalt. | Regeste
Girovertrag mit Kontokorrentabrede, Ermächtigung.
1. Wer im Namen einer Gesellschaft einen Girovertrag mit einer Bank abschliesst und für sie ein Konto eröffnet, muss dazu ermächtigt sein (Erw. 3).
2. Pflichtwidriges Verhalten einer Bank, die sich um diese Ermächtigung nicht kümmert (Erw. 4).
3.
Art. 470 Abs. 2 OR
. Widerruf der Anweisung gegenüber dem Angewiesenen, wenn offen ist, ob dieser die Gutschrift dem Begünstigten mitgeteilt hat (Erw. 5).
4.
Art. 2 Abs. 2 ZGB
. Wer für mangelnde Vertretungsmacht nicht einzustehen hat, handelt nicht missbräuchlich, wenn er sich darauf beruft (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 100 II 368 S. 369
A.-
Im August 1969 erkundigte sich Neumann bei der INTERVALOR in Frankfurt a.M., ob sie der Total Aviation Support Ltd. in Vancouver, Kanada (kurz TAS), ein Darlehen von vier Millionen DM vermitteln könne. Die INTERVA-LOR wandte sich an die Londoner Zweigniederlassung der Prager Zivnostenska Banka, die mit der Gewährung eines Darlehens von 2 Millionen DM an die TAS einverstanden war und am 20. August die Deutsche Bank in Frankfurt a.M. ersuchte, den Betrag für ihre Rechnung der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich zuhanden der Borgerin zu überweisen. Die Deutsche Bank erteilte der Schweizerischen Kreditanstalt am 21. August 1969 einen entsprechenden Zahlungsauftrag. Die Kreditanstalt überwies den Betrag an ihre Zweigniederlassung in Zug, wo Neumann ein Konto auf den Namen der TAS hatte eröffnen lassen und in der Folge zugunsten verschiedener Empfänger darüber verfügte.
Die TAS bestritt schon vor der Fälligkeit des Darlehens, ein solches erhalten zu haben. Da die Schweizerische Kreditanstalt dem nicht widersprach, wurde sie von der Zivnostenska Banka am 8. Januar 1970 aufgefordert, das Darlehen zu ihren Handen an die Deutsche Bank in Frankfurt zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 11. August 1970 an die Kreditanstalt stellte die Deutsche Bank fest, dass die Zivnostenska Banka den Zahlungsauftrag am 8. Januar widerrufen habe und dass sie diesen Widerruf ihrerseits bestätige. Am gleichen Tag trat die Deutsche Bank ihre Rechte gegen die Kreditanstalt aus dem streitigen Auftrag der Zivnostenska Banka ab.
B.-
Im Dezember 1970 liess die Zivnostenska Banka durch ihre Londoner Zweigniederlassung gegen die Schweizerische Kreditanstalt Klage einreichen. Sie beantragte dem Handelsgericht des Kantons Zürich, die Beklagte zur Zahlung von DM 2 000 000.-- oder Sfr. 2 390 000.-- nebst 9% Zins seit 8. Januar 1970 zu verpflichten.
Das Handelsgericht wies die Klage am 3. Mai 1974 ab.
C.-
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen; eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Tatbestandes und neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung im Sinne des Eventualantrages gut.
BGE 100 II 368 S. 370
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Handelsgericht hat offen gelassen, ob Neumann die TAS vertreten durfte. Es ist der Auffassung, zur Errichtung eines Kontos bei einer Bank bedürfe es keiner besonderen Ermächtigung des Kontoinhabers; vielmehr sei jedermann befugt, z.B. auf den Namen einer juristischen Person ein Konto mit dem Hinweis eröffnen zu lassen, dass darauf ein bestimmter Betrag einbezahlt werde. Auch könnte eine Firma einen blossen Angestellten damit beauftragen, da die Eröffnung eines Kontos noch keine Verfügung über irgendwelche Vermögenswerte sei; die Bank werde dadurch nur ermächtigt, allfällige Werte zuhanden des bezeichneten Kontoinhabers im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter entgegenzunehmen.
a) Die Vorinstanz beruft sich dabei auf VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 686 Ziff. 8 (= VON TUHR/ESCHER, OR II S. 243/4), wonach ein Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von
Art. 112 OR
anzunehmen ist, wenn A auf einer für X bestehendes oder bei der Einzahlung errichtetes Konto Einzahlungen macht und dies nicht als Vertreter des X tut. Das Handelsgericht übersieht indes, dass Neumann der Filiale Zug keine Leistung zugunsten der TAS versprochen, sondern als Vertreter dieser Gesellschaft gehandelt hat. Es verkennt zudem, dass Neumann auf das von ihm errichtete Konto keine Einzahlungen zugunsten der TAS gemacht hat; er hat darüber bloss verfügt, nachdem die Beklagte glaubte, den ihr von der Deutschen Bank erteilten Auftrag durch Überweisung des Betrages auf das Konto der TAS erfüllt zu haben. Die Berufung auf VON TUHR/SIEGWART geht daher fehl.
b) Dazu kommt, dass Neumann nicht bloss ein Konto für die TAS errichten liess, sondern in deren Namen einen Girovertrag mit Kontokorrentabrede abschloss. Darunter ist ein allgemeiner auf die Dauer gerichteter Vertrag zur Besorgung von Geschäften zu verstehen. Die Bank erhält von einem Kunden den Auftrag, seinen Zahlungsverkehr zu übernehmen, insbesondere an seiner Stelle Zahlungen auszuführen, Überweisungen für ihn entgegenzunehmen und gegenseitige Forderungen zu verrechnen (ALBISETTI/BODMER/RUTSCHI, Handbuch des Bank-, Geld und Börsenwesens der Schweiz [kurz Handbuch], S. 296 und 391; H. SCHÖNLE, Bank- und Börsenrecht, S. 319 ff.; B. KLEINER, Die allgemeinen Geschäftsbedingungen
BGE 100 II 368 S. 371
der Banken, Giro- und Kontokorrentvertrag, S. 18 ff. und 79). Wer im Namen eines andern mit einer Bank einen solchen Vertrag schliesst, muss entweder bevollmächtigt oder, falls er für eine juristiche Person handelt, dazu nach seiner Stellung befugt sein. Die Frage, ob Neumann als Einzelzeichnungsberechtigter Rechtshandlungen für die TAS vornehmen durfte, kann deshalb entgegen der Ansicht des Handelsgerichtes nicht offen gelassen werden.
Im Schrifttum wird denn auch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Banken beim Abschluss eines Girovertrages gehalten sind, die Vollmachten des Vertreters eines Kunden zu prüfen; sie sind dazu entgegen der Meinung des Handelsgerichtes also nicht erst verpflichtet, wenn der Vertreter über das Konto verfügt (U. MEYER-CORDING, Das Recht der Banküberweisung, S. 15/6). Die Vorinstanz beruft sich zu Unrecht auf KLEINER, der betont, dass bei Personengemeinschaften und juristischen Personen regelmässig ein Handelsregisterauszug oder ein entsprechender Ausweis verlangt werden sollte und dass die Vollmacht einen Vertreter sinngemäss ermächtigen müsse, einen Girovertrag abzuschliessen (KLEINER, a.a.O. S. 22/3 mit Fussnote 54 und S. 28/9).
Diese Auffassung ergibt sich auch aus dem Schreiben der Schweizerischen Bankgesellschaft vom 28. Mai 1970 an die Klägerin. Diese Bank hat damit nicht, wie das Handelsgericht annimmt, schon die Verfügung über das Konto im Auge, wenn sie über des Bestehen einer Gesellschaft und die für sie zeichnungsberechtigten Personen die im Schreiben erwähnten Ausweise einzuholen pflegt. Die Auskunft der Bank bezieht sich nach ihrem klaren Wortlaut vielmehr auf die formellen Voraussetzungen, welche eine ausländische Gesellschaft für die Eröffnung eines Kontos ("for the opening of an account") erfüllen muss.
Aus ihrem Formular "Unterschriftenkarte" muss übrigens gefolgert werden, dass die Beklagte in der Regel gleich vorgeht. Auf der Rückseite des Formulars ist jedenfalls zu lesen, dass bei ausländischen Firmen die gemäss Landesrecht obersten Verwaltungsorgane unterschreiben müssen und dass gleichzeitig ein Auszug aus dem Handelsregister oder ein entsprechender Ausweis über die Zeichnungsberechtigung dieser Organe beizubringen ist. Die Filiale Zug war sich dessen auch bewusst. Das erhellt daraus, das sie in ihrem Schreiben vom
BGE 100 II 368 S. 372
26. August 1969 an die TAS - wenn auch zu spät - u.a. die Vorlage einer "Resolution" verlangte. Die zuständigen Stellen der TAS hätten ihr damit bestätigen sollen, das Neumann für die Gesellschaft unterschreiben, sie also insbesondere verpflichten dürfe.
4.
Die TAS unterhielt bei der Beklagten vor dem 21. August 1969 kein Konto. Um die ihr von der Deutschen Bank zugunsten der TAS erteilte Zahlungsanweisung pflichtgemäss ausführen zu können, hätte die Beklagte deshalb vorerst prüfen müssen, ob Neumann berechtigt war, an diesem Tage im Namen der TAS bei der Filiale Zug ein Konto errichten zu lassen und einen Girovertrag abzuschliessen; denn sie konnte den Zahlungsauftrag nur erfüllen, wenn der angewiesene Betrag der Begünstigten zuging. Indem sie diese Prüfung unterliess, handelte sie schuldhaft; sie nahm in Kauf, dass ein Unberechtigter über den Betrag verfügen konnte (vgl. KLEINER, a.a.O. S. 19; SCHÖNLE, a.a.O. S. 330). Hätte sich bei der Prüfung z.B. herausgestellt, dass Neumann nicht im Namen der TAS handeln durfte, so wäre die Überweisung des Betrages auf das von ihm errichtete Konto unwirksam gewesen (vgl. VON TUHR/ESCHER, OR II S. 21/2). Die Deutsche Bank hätte für die Auszahlung nicht belastet werden dürfen, weil die Zahlung zugunsten einer nicht verfügungsberechtigten Person erfolgt wäre (vgl. GAUTSCHI, N. 4a und 12b zu
Art. 466 OR
; KLEINER, a.a.O. S. 76). Diesfalls hätte es zudem an einem gültigen Girovertrag zwischen der Filiale Zug und der Begünstigten gefehlt, die Buchung des Betrages folglich auch keine Rechte der TAS begründen können (vgl. S. MASER, Nochmals: Gutschrift auf dem Konto pro Diverse, Neue Juristische Wochenzeitschrift 1959 II S. 1956 Spalte rechts).
Bis Neumanns Befugnisse abgeklärt waren, hätte die Beklagte daher den angewiesenen Betrag der TAS auf einem sog. Konto pro Diverse (kurz CpD) gutschreiben und zur Verfügung halten müssen. Das hat nach übereinstimmender Ansicht im Schrifttum immer dann zu geschehen, wenn Zahlungen oder Überweisungen zugunsten einer Person gemacht werden, die mit der betreffenden Bank keinen Giro- oder Kontokorrentvertrag abgeschlossen hat, mit ihr also noch in keinem Vertragsverhältnis steht (HANDBUCH S. 391/2, KLEINER, a.a.O. S. 76; SCHÖNLE, a.a.O. S. 321 und 328; MEYER-CORDING, a.a.O. S. 24/5; MASER, a.a.O.). Wieso eine solche Gutschrift
BGE 100 II 368 S. 373
keinen Unterschied zum tatsächlichen Vorgehen der Beklagten ergeben hätte, wie die Vorinstanz meint, ist nicht zu verstehen, zumal sie selber beifügt, dass diesfalls der Betrag einstweilen zuhanden der Begünstigten hätte gebucht werden müssen, und dass es dann deren Sache gewesen wäre, sich bei der Verfügung über ihre Berechtigung auszuweisen. Es ist deshalb entgegen der Auffassung des Handelsgerichtes auch nicht bedeutungslos, dass der Kontobetrag nicht an die TAS weitergeleitet worden ist.
5.
Nach
Art. 470 Abs. 2 OR
kann der Anweisende die Anweisung gegenüber dem Angewiesenen widerrufen, solange dieser dem Empfänger seine Annahme nicht erklärt hat. Der Widerruf ist mindestens bis zur Gutschrift des Betrages auf dem Empfängerkonto möglich; bei Buchung auf einem CpD sogar bis zur Anzeige der Gutschrift an den Empfänger (SCHÖNLE, a.a.O. S. 331; MEYER-CORDING, a.a.O. S. 92; KLEINER, a.a.O. S. 55; GAUTSCHI, N. 2a zu
Art. 470 OR
; HANDBUCH S. 296; W. SCHÜTZ, Widerruf bei Zahlungen und Überweisungen, Archiv für zivilistische Praxis 1961 S. 17 ff.).
Die Beklagte wendet ein, sie habe gegenüber der TAS die Annahme der Anweisung dadurch erklärt, dass sie ihr die Gutschrift an die von Neumann angegebene Zuger Adresse mitgeteilt habe; die Klägerin habe deshalb die Anweisung nicht mehr widerrufen können. Nach kanadischem Recht hätte Neumann die Mitteilung übrigens selbst dann für die TAS entgegennehmen dürfen, wenn er nicht für die Gesellschaft zeichnungsberechtigt gewesen wäre. Das Handelsgericht stimmt dieser Auffassung zu und verweist auf Section 261 der COMPANIES ACT von Britisch Columbien. Danach dürfe ein Dokument einer Gesellschaft persönlich oder anderweitig zugestellt werden, sei es, dass es am Orte ihrer Adresse abgegeben oder durch die Post an diese Adresse gesandt werde, sei es, dass es einem Verwaltungsrat, Direktor oder anderen Angestellten der Gesellschaft übergeben werde. Als Mitglied des "Board of Directors" habe Neumann daher Mitteilungen an die TAS mit Wirkung für die Gesellschaft entgegennehmen dürfen.
Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass Neumann in der Schweiz auch kein Zustellungsdomizil der TAS für Mitteilungen über den Stand des Kontos begründen durfte, falls er nicht befugt war, im Namen der Gesellschaft bei der Zuger
BGE 100 II 368 S. 374
Filiale der Beklagten ein Konto errichten zu lassen und mit ihr einen Girovertrag zu schliessen. Die Mitteilung der Gutschrift an die von ihm angegebene Zuger Adresse der TAS könnte folglich auch nicht als Annahme der Anweisung durch die Beklagte ausgelegt werden. Aus diesem Grunde geht die Berufung auf Section 261 der COMPANIES ACT zum vorneherein fehl. Anders verhielte es sich, wenn die Beklagte den überwiesenen Betrag zuhanden der TAS auf einem CpD gebucht und ihr davon mit eingeschriebener Sendung an ihre Adresse in Kanada Kenntnis gegeben hätte. Wäre die Gutschriftanzeige dort von Neumann entgegengenommen worden, so läge eine ordnungsgemässe Zustellung und damit eine Annahme der Anweisung gegenüber der Begünstigten vor, gleichviel welches Neumanns Stellung in der Gesellschaft war. Nach schweizerischer Rechtsauffassung sind übrigens Angestellte einer Gesellschaft in der Regel ebenfalls befugt, Postsendungen mit geschäftlichen Mitteilungen für sie in Empfang zu nehmen; auch in der Schweiz gilt diesfalls die Sendung als an den Adressaten zugestellt (vgl. SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 223, 404 und 412 zu
Art. 1 OR
). Das heisst aber nicht, ein Angestellter sei befugt, von sich aus ein vom Sitz der Gesellschaft verschiedenes Zustellungsdomizil zu begründen oder gar ausserhalb dieses Sitzes rechtsgeschäftliche Erklärungen zuhanden der Gesellschaft entgegenzunehmen.
Die Deutsche Bank könnte daher die Anweisung gemäss
Art. 470 Abs. 2 OR
widerrufen, wenn die Beklagte der TAS gegenüber nicht die Annahme erklärt hätte. Die Folge davon wäre, dass die Beklagte ihr den angewiesenen Betrag zurückerstatten müsste; denn es ist unbestritten, dass die Deutsche Bank mit Schreiben vom 11. August 1970 den Zahlungsauftrag widerrufen hat. Entscheidend ist deshalb, ob Neumann im Namen der TAS ein Konto errichten lassen und einen Girovertrag schliessen durfte oder nicht, was das Handelsgericht offen gelassen hat. Die Frage muss jedoch entschieden werden, weshalb das angefochtene Urteil gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
aufzuheben und die Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
6.
Die Beklagte macht geltend, die Klägerin handle missbräuchlich, wenn sie sich auf mangelnde Vertretungsmacht Neumanns berufe; sie habe Neumann bei der Gewährung des Darlehens als vertretungsberechtigtes Organ der TAS
BGE 100 II 368 S. 375
behandelt, unbekümmert darum, wie es sich damit tatsächlich verhielt. Das Handelsgericht werfe ihr denn auch mit Recht vor, sie könne sich nicht über die Ausführung des Auftrages beschweren, da sie das Darlehen unvorsichtig gewährt, sich also selber schuldhaft verhalten habe.
Das Handelsgericht übersieht dabei, dass die Klägerin nicht mit Neumann über die Gewährung des Kredites verhandelt hat. Nach dem angefochtenen Urteil wandte sich Neumann vielmehr an die INTERVALOR, die Kredite in Europa vermittelt. Diese bat daraufhin die Klägerin, der TAS ein Darlehen zu gewähren. Wer ein Darlehen für Dritte erwirkt und dabei in eigenem Namen auftritt, bedarf übrigens keiner Ermächtigung. Diesfalls liegt ein Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von
Art. 112 OR
vor, der nach allgemeiner Rechtsauffassung zu irgendeinem Vertragsverhältnis hinzutreten kann (BECKER, N. 8 zu
Art. 112 OR
; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 179; vgl.
BGE 96 II 95
/6 Erw. b und c,
BGE 98 II 307
Erw. 1). Auch kann der Dritte die Leistung des Promittenten annehmen oder ablehnen; sie muss dagegen ihm, nicht dem Promissar angeboten und erbracht werden. Dieses Erfordernis ist hier mit Bezug auf die Klägerin und die Deutsche Bank erfüllt. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauches entbehrt deshalb der Begründung. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d7f5b58b-73f5-4d1a-aecc-88073dae09a4 | Urteilskopf
86 I 10
3. Urteil vom 20. Januar 1960 i.S. G. gegen Kanton St. Gallen und Steuerkammer des Kantonsgerichts St. Gallen. | Regeste
Kantonales Steuerrecht. Willkür.
Wohnsitz und allgemeines Steuerdomizil des (von seiner Ehefrau seit Jahren völlig getrennt lebenden) Schweizers, der Angestellter einer schweizerischen Maschinenfabrik ist, für diese seit zehn Jahren im Ausland an verschiedenen Orten Montagearbeiten leistet und gelegentlich für Ferienaufenthalte und zu Instruktionszwecken in die Schweiz zurückkehrt. | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 86 I 10 S. 11
A.-
Das st. gallische Gesetz über die Staats- und Gemeindesteuern vom 17. April 1944 (StG) bestimmt in Art. 5:
Wer seinen Wohnsitz im Kanton hat, ist unbeschränkt steuerpflichtig. Er hat die Steuern von seinem gesamten Einkommen, Gewinn oder Ertrag und von seinem gesamten Vermögen oder Kapital zu entrichten.
Das Bundesrecht über das Verbot der Doppelbesteuerung und die Staatsverträge bleiben vorbehalten. Art. 6:
Der Wohnsitz der natürlichen Personen befindet sich am Mittelpunkt ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Bei einem Aufenthalte von mehr als drei Monaten gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz, sofern nicht ein anderer Wohnsitz nachgewiesen wird.
B.-
Der 1901 geborene Beschwerdeführer G. ist Chefmonteur einer Maschinenfabrik in Uzwil und lebte früher zusammen mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern in St. Gallen, wo auch seine Eltern und eine verheiratete Schwester wohnten. Im Jahre 1946 trennte er sich von seiner Ehefrau. Diese blieb weiterhin in St. Gallen, während der Beschwerdeführer sich seither, von kurzen Unterbrüchen abgesehen, in verschiedenen europäischen und aussereuropäischen Ländern aufhielt und dort für seine Arbeitgeberin Montagearbeiten leitete. Er behielt zunächst noch ein Zimmer in St. Gallen, gab es dann aber im Jahre 1950 aufund meldete sich bei der Einwohnerkontrolle ab. Am 10. Juni 1956 wurde er von seiner Arbeitgeberin nach Irak geschickt. Er war dort bis zum 21. Juni 1957 tätig, arbeitete vom 13. August bis 12. Oktober 1957 in Amsterdam und kehrte am 4. Dezember 1957 wieder nach Irak zurück, wo er sich seither aufhält.
G. ist in St. Gallen zum letzten Mal für 1949 besteuert worden. Im Frühjahr 1958 teilte ihm die kantonale Steuerverwaltung mit, dass St. Gallen nach wie vor als sein Steuerdomizil zu gelten habe. G. bestritt dies. Am 20. November 1958 setzte die kantonale Steuerverwaltung sein steuerbares Einkommen für 1957 auf Fr. 10'800.-- fest. Hiegegen erhob G. Rekurs und nach dessen Abweisung Beschwerde. Diese wurde von der Steuerkammer des
BGE 86 I 10 S. 12
Kantonsgerichts St. Gallen durch Entscheid vom 29. September 1959 abgewiesen, im wesentlichen mit folgender Begründung:
Ob der Beschwerdeführer in Irak steuerpflichtig sei, wie er behauptet, aber nicht nachgewiesen habe, sei unerheblich, da zwischen der Schweiz und Irak kein Doppelbesteuerungsabkommen bestehe und daher für die Steuerpflicht in St. Gallen ausschliesslich das st. gallische StG massgebend sei. Nach diesem sei er in St. Gallen steuerpflichtig, wenn dieser Ort als Mittelpunkt seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu betrachten sei (Art. 5 und 6). Der Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Verhältnisse liege zweifellos nicht im Ausland, sondern in Uzwil, von wo aus er entlöhnt und an die immer wieder wechselnden Montageplätze im Ausland geschickt und wohin er von Zeit zu Zeit zu Instruktionszwecken zurückberufen werde. Der Mittelpunkt seiner persönlichen Verhältnisse aber sei unverkennbar die Stadt St. Gallen. Es gebe keinen andern Ort auf der Welt, zu dem er engere persönliche Beziehungen unterhalte. In St. Gallen, wo er bis 1946 mit seiner Familie gewohnt habe, wohne seine allerdings von ihm getrennte Ehefrau mit einem Sohn, lebe sein Vater im Bürgerheim und wohne seine verheiratete Schwester, bei der er einen Teil seiner Ferien verbringe und die während seiner Abwesenheit für ihn Korrespondenzen weiterleite und finanzielle Aufträge besorge. Die Stadt St. Gallen sei der einzige feste Punkt in seinem Dasein, an den er immer wieder zurückkehre und wo er mit seinen nächsten Angehörigen zusammen sein könne. Zu den verschiedenen Arbeitsorten dagegen, die ständig wechselten und die nicht der Beschwerdeführer, sondern seine Arbeitgeberin wähle, seien keinerlei persönliche Beziehungen bekannt. Wenn sich bei einem Unselbständigerwerbenden der Mittelpunkt der persönlichen und der wirtschaftlichen Beziehungen nicht decke, so komme dem Zentrum der persönlichen Beziehungen, die das StG an erster Stelle nenne, das grössere Gewicht zu, weshalb die
BGE 86 I 10 S. 13
Stadt St. Gallen als Wohnsitz des Beschwerdeführers zu betrachten und er dort steuerpflichtig sei. Sein Hinweis auf die bundesgerichtliche Doppelbesteuerungspraxis sei unbehelflich, da diese Praxis für die Auslegung von Art. 6 des st. gallischen StG nicht massgebend sei und der Beschwerdeführer zudem aus den angerufenen UrteilenBGE 69 I 74undBGE 77 I 22nichts für sich ableiten könne. Ebenso gehe seine Berufung auf
Art. 6 Abs. 2 StG
fehl, wonach bei einem Aufenthalt von mehr als 3 Monaten der Aufenthaltsort als Wohnsitz gelte, wenn nicht ein anderer Wohnsitz nachgewiesen sei; da sich der Mittelpunkt der persönlichen Beziehungen des Beschwerdeführers in St. Gallen befinde, sei vorliegend eben ein anderer Wohnsitz nachgewiesen.
C.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt G., der Entscheid der Steuerkammer vom 29. September 1959 sei wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben. Er macht geltend, die Annahme, sein Wohnsitz habe sich auch noch nach 1950 und insbesondere im Jahre 1957 in St. Gallen befunden, widerspreche völlig den Tatsachen und sei willkürlich.
D.-
Die Steuerkammer des Kantonsgerichts und die Kantonale Steuerverwaltung St. Gallen beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
.....
2.
Der Beschwerdeführer behauptet, er sei in Irak steuerpflichtig, hat den Beweis dafür aber nicht erbracht. Wie es sich damit verhält, ist indessen unerheblich. Zwischen der Schweiz und Irak besteht kein Staatsvertrag zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Aus
Art. 46 Abs. 2 BV
aber hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung für das internationale Verhältnis lediglich den Grundsatz abgeleitet, dass eine in der Schweiz steuerpflichtige Person für ihre im Ausland gelegenen und dort tatsächlich zur Steuer herangezogenen Grundstücke nicht auch noch in der Schweiz besteuert werden darf (
BGE 73 I 199
Erw. 2 und
BGE 86 I 10 S. 14
dort angeführte frühere Urteile). Ob der Beschwerdeführer für sein Erwerbseinkommen im Kanton St. Gallen steuerpflichtig ist, bestimmt sich demnach ausschliesslich nach den Vorschriften der st. gallischen Steuergesetzgebung. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften kann aber das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der vom Beschwerdeführer denn auch geltend gemachten Willkür und rechtsungleichen Behandlung überprüfen.
3.
Nach
Art. 5 Abs. 1 StG
wird die Steuerpflicht im Kanton durch den Wohnsitz begründet. Dieser befindet sich, wie
Art. 6 Abs. 1 StG
weiter bestimmt, bei natürlichen Personen "am Mittelpunkt ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse". Ihr Steuerdomizil deckt sich demnach mit ihrem zivilrechtlichen Wohnsitz im Sinne des
Art. 23 ZGB
und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dazu (vgl.
BGE 85 II 322
und dort angeführte frühere Urteile, insbesondereBGE 64 II 403). Eine Besonderheit besteht immerhin insofern, als
Art. 6 Abs. 2 StG
ausdrücklich bestimmt, dass bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten der Aufenthaltsort als Wohnsitz gilt, sofern nicht ein anderer Wohnsitz nachgewiesen wird. Diese gesetzliche Vermutung gilt, wie nicht zweifelhaft sein kann und offenbar auch im angefochtenen Entscheid angenommen wird, nicht nur zu Ungunsten, sondern auch zugunsten des Steuerpflichtigen. Da der Beschwerdeführer sich vom 10. Juni 1956 bis 21. Juni 1957, also mehr als 12 Monate, und seit 4. Dezember 1957 bis heute neuerdings ununterbrochen in Irak aufgehalten hat, liegt daher dem Kanton St. Gallen der Beweis ob, dass sich der Wohnsitz des Beschwerdeführers, d.h. der Mittelpunkt seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Jahre 1957, auf das sich der vorliegende Steuerstreit bezieht, gleichwohl in St. Gallen befunden hat. Dagegen kommt nichts darauf an, ob der Beschwerdeführer, wie er behauptet, die st. gallischen Steuerbehörden aber bestreiten, in Irak einen Wohnsitz begründet hat. Selbst wenn dies nicht der Fall
BGE 86 I 10 S. 15
sein sollte, so wäre er deshalb noch nicht im Kanton St. Gallen steuerpflichtig, da er sehr wohl überhaupt keinen Wohnsitz haben kann (vgl.
BGE 85 I 10
ff.) und das StG nicht bestimmt, dass in diesem Falle der frühere, nach
Art. 24 Abs. 1 ZGB
zivilrechtlich weitergeltende Wohnsitz als Steuerdomizil zu gelten habe (RIGOLETH/SCHERER N. 4 c zu
Art. 6 StG
). Zu prüfen ist einzig, ob ohne Willkür angenommen werden kann, der dem Kanton St. Gallen obliegende Beweis sei erbracht, dass sich der Mittelpunkt der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers im Jahre 1957 in St. Gallen befunden habe.
4.
Damit ein Ort als Lebensmittelpunkt einer Person gelten kann, ist zuallererst erforderlich, dass sie sich dort aufhalte (EGGER, N. 20 zu
Art. 23 ZGB
). Im vorliegenden Falle haben die Steuerbehörden nicht behauptet und noch weniger dargetan, dass und wie lange sich der Beschwerdeführer im Jahre 1957 in St. Gallen oder Uzwil aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer hat immerhin für die Zeit seit 1950 zugegeben, gelegentlich Ferientage in St. Gallen verbracht und sich von Zeit zu Zeit zur Einholung von Instruktionen zu seiner Arbeitgeberin nach Uzwil begeben zu haben, was den Schluss erlaubt, er habe sich auch im Jahre 1957 für kürzere Zeit im Kanton St. Gallen aufgehalten. Die Annahme, der Mittelpunkt seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse habe sich in diesem Jahre im Kanton St. Gallen befunden, kann daher nicht schon deshalb als willkürlich bezeichnet werden, weil nicht erwiesen sei, dass er sich in diesem Jahre überhaupt im Kanton St. Gallen aufgehalten habe. Dagegen lässt sich unmöglich sagen, dass er durch diese gelegentlichen Aufenthalte in St. Gallen und Uzwil so eng mit diesen Orten verbunden werde, dass der eine von ihnen als sein Lebensmittelpunkt und zivilrechtlicher Wohnsitz zu betrachten sei.
Was zunächst die wirtschaftlichen Verhältnisse betrifft, so hat eine Person zu dem Ort, wo sie ihren Beruf ausübt,
BGE 86 I 10 S. 16
zweifellos engere Beziehungen als zu demjenigen, von dem aus sie entlöhnt wird und an den sie sich gelegentlich zu Instruktionszwecken begibt. Die Beziehungen des Beschwerdeführers zu den Orten im Ausland, an denen er im Jahre 1957 während rund 8 1/2 Monaten gearbeitet hat, sind ganz offensichtlich enger und intensiver als diejenigen zu Uzwil und schliessen es aus, diesen Ort als seinen wirtschaftlichen Lebensmittelpunkt zu betrachten. Die gegenteilige Auffassung liesse sich höchstens vertreten, wenn sich der Beschwerdeführer nur für zum voraus bestimmte, kürzere Zeiten an die jeweiligen Arbeitsorte begeben würde (vgl.
BGE 78 I 316
,
BGE 79 I 26
). Das trifft jedoch für die beiden teilweise ins Jahr 1957 fallenden Aufenthalte in Irak nicht zu, da der erste, der am 21. Juni 1957 endete, über ein Jahr gedauert hat, und der zweite, der am 4. Dezember 1957 begann, im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Entscheids, beinahe zwei Jahre später, noch immer andauerte. Während allfällige Aufenthalte des Beschwerdeführers in Uzwil nur ganz kurz gewesen sein können, überstiegen diejenigen in Irak die dreimonatige Frist erheblich, die nach
Art. 6 Abs. 2 StG
die Vermutung des Wohnsitzes begründet.
Unter den persönlichen Verhältnissen, die einen Ort zum Lebensmittelpunkt machen, sind in erster Linie die Beziehungen zu nahen Angehörigen von Bedeutung. In dieser Hinsicht fällt im vorliegenden Falle der Umstand, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers in St. Gallen wohnt, unbestrittenermassen ausser Betracht, denn er lebt seit mehr als 10 Jahren völlig getrennt von ihr. Die Beziehungen zu seinem in einem Altersheim in St. Gallen lebenden Vater und zu seiner in St. Gallen verheirateten Schwester bestehen darin, dass der Beschwerdeführer sie bei seinen gelegentlichen Ferientagen in St. Gallen besucht und dass seine Schwester während seiner Abwesenheit im Ausland Korrespondenzen an ihn weiterleitet und gewisse finanzielle Aufträge für ihn ausführt. Solche losen Beziehungen, wie sie wohl jeder alleinstehende Auslandschweizer mit seinen nächsten Verwandten in der Schweiz unterhält, genügen
BGE 86 I 10 S. 17
keinesfalls, um deren Wohnort als den Mittelpunkt seiner persönlichen Verhältnisse erscheinen zu lassen. Hieran ändert es auch nichts, dass, wie die Steuerkammer bemerkt, keinerlei nähere persönliche Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinen verschiedenen Arbeitsorten bekannt sind. Die für die Wohnsitzbestimmung in Betracht fallenden persönlichen Verhältnisse erschöpfen sich nicht in den familiären Beziehungen, sondern umfassen auch den Freundes- und Bekanntenkreis (vgl.
BGE 78 I 316
/7). Wenn der Beschwerdeführer sich während Monaten, ja wie in Irak insgesamt mehr als 3 Jahre in einem Lande befindet und dort Montagearbeiten leitet, ist es selbstverständlich, dass er dabei Leute kennen lernt, mit denen er sich befreundet und einen Teil seiner Freizeit verbringt. Hinter diesen regelmässigen und sich über Monate und Jahre erstreckenden persönlichen Beziehungen zu seiner Umgebung am Arbeitsort treten die losen Beziehungen des Beschwerdeführers zur Stadt St. Gallen so stark zurück, dass es als willkürlich erscheint, St. Gallen für die Zeit seit 1950 und insbesondere für 1957 als Mittelpunkt seiner persönlichen Verhältnisse und als seinen zivilrechtlichen Wohnsitz zu betrachten.
Der angefochtene Entscheid dehnt den Begriff des (zivilrechtlichen) Wohnsitzes in einer Weise aus, die sich mit sachlichen Gründen nicht mehr rechtfertigen lässt und stossende Konsequenzen hätte. Diese Ausdehnung des Wohnsitzbegriffes hätte vor allem zur Folge, dass Auslandschweizer für ihr Erwerbseinkommen sowie für ihr bewegliches Vermögen und dessen Ertrag häufig doppelt besteuert würden, was bei der heutigen Höhe der Steuern insbesondere auf dem Einkommen eine sehr starke Belastung bedeutet. Sodann wäre es unvermeidlich, dass sich eine solche Ausdehnung des Wohnsitzbegriffs auf andere Rechtsgebiete (Ausübung des Stimmrechts, Gerichtsstand) auswirken und dort ebenfalls zu unhaltbaren Ergebnissen führen würde. Der angefochtene Entscheid ist daher als willkürlich wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben.
BGE 86 I 10 S. 18
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Entscheid der Steuerkammer des Kantonsgerichts St. Gallen vom 29. September 1959 aufgehoben wird. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d7f73143-9f8c-44fc-86f4-1c45e19a48c6 | Urteilskopf
122 II 337
43. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 24 juin 1996 dans la cause consorts Favre contre Etat de Genève et Commission fédérale d'estimation du 1er arrondissement (recours de droit administratif) | Regeste
Enteignung von Nachbarrechten; Lärmeinwirkungen eines Flughafens; Sachleistung und Entschädigung in Geld, Bewertungsmethode; Art. 5, 17, 18 und 19 lit. b EntG.
Für Baugrundstücke, die den Lärmeinwirkungen eines öffentlichen Werkes ausgesetzt sind, kann die den Bau von weniger lärmempfindlichen Gebäuden ermöglichende Änderung des Nutzungsplanes eine "Sachleistung" darstellen, durch die der Schaden zumindest teilweise ersetzt wird (E. 2).
Voraussetzungen für die Ausrichtung einer Entschädigung für die formelle Enteignung von Nachbarrechten; Anwendung der für die Lärmeinwirkungen eines Flughafens aufgestellten Regeln (vgl.
BGE 121 II 317
E. 3).
Durch den Enteignungsrichter angeordnete Sachleistung in Form von Schalldämmungs-Vorkehren (Lärm-Isolation) an einem Wohnhaus (E. 4b und 8).
Ergänzende Entschädigung in Geld: Bemessung des Landwertes nach der Vergleichs- bzw. statistischen Methode (E. 5); Bemessung des Gebäudewertes aufgrund der Baukosten, unter Berücksichtigung der Altersentwertung (E. 6); Berechnung der durch die Lärmimmissionen bedingten Wertverminderung (E. 7 und 9). | Sachverhalt
ab Seite 339
BGE 122 II 337 S. 339
Les consorts Favre sont copropriétaires des parcelles contiguës no 2823 et 2104 du registre foncier, sur le territoire de la commune de Bellevue, à un peu moins de 2 km de l'extrémité nord-est de la piste de l'aéroport de Genève. La parcelle no 2823 a une surface totale de 24935 m2 et il s'y trouve une maison de maître avec diverses annexes; quant à la parcelle no 2104, d'une surface de 666 m2, elle est entièrement boisée. Deux des consorts Favre habitent cette propriété, acquise par voie successorale.
L'affectation "originaire" ("zone de base") de ces terrains est la 5e zone résidentielle (zone de villas), au sens de l'art. 19 al. 3 de la loi cantonale d'application de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire (LALAT). Le 11 mars 1993, le Grand Conseil de la République et canton de Genève a adopté la loi no 6787 "modifiant le régime des zones de construction sur le territoire de la commune de Bellevue (création d'une zone de développement 4B destinée à des activités sans nuisances, d'une zone sportive et d'une zone agricole)"; les parcelles no 2823 et 2104 sont désormais classées dans la zone de développement 4B, la loi permettant la réalisation de 3800 m2 de plancher (non compris les bâtiments existants maintenus dans leur affectation).
Le 6 décembre 1990, le Département fédéral des transports, des communications et de l'énergie avait conféré le droit d'expropriation au canton de Genève, afin qu'il puisse faire ouvrir, par le Président de la Commission fédérale d'estimation du 1er arrondissement (ci-après: la Commission fédérale), une procédure destinée à statuer sur les prétentions des consorts Favre en relation avec les nuisances causées par l'exploitation de l'aéroport de Genève. Devant la Commission fédérale, les consorts Favre ont conclu au paiement d'une indemnité globale de 10'185'150 fr. pour expropriation formelle des droits de voisinage ainsi que pour expropriation matérielle à la suite de l'entrée en vigueur du plan des zones de bruit de l'aéroport. La Commission fédérale a rendu sa décision le 12 novembre 1993. Elle a rejeté la demande d'indemnité pour expropriation formelle, mais elle a admis un cas d'expropriation matérielle en relation avec le classement d'une partie de la propriété dans la zone de bruit B. Elle a donc condamné l'Etat de Genève à verser aux consorts Favre la somme de 1'700'000 fr. avec intérêts dès le 2 septembre 1987.
L'Etat de Genève a formé un recours de droit administratif contre le prononcé de la Commission fédérale, en faisant valoir qu'il n'y avait pas d'expropriation matérielle. Par un recours de droit administratif joint, les consorts Favre ont conclu au paiement d'une indemnité globale de 9'850'135 fr., pour l'expropriation formelle des droits de voisinage, pour des frais d'insonorisation, et pour expropriation matérielle.
Le Tribunal fédéral a rendu le 12 juillet 1995 un jugement partiel dans la présente cause, ainsi que dans d'autres causes connexes (l'arrêt a été
BGE 122 II 337 S. 340
publié en partie aux
ATF 121 II 317
ss). Il a annulé la décision de la Commission fédérale en tant qu'elle allouait aux consorts Favre une indemnité pour expropriation matérielle et il a ordonné la poursuite de l'instruction de la cause afin de déterminer si et, le cas échéant, dans quelle mesure une indemnité pour l'expropriation formelle des droits de voisinage (immissions) était due. Des experts ont dès lors été désignés, qui ont participé aux inspections locales et aux séances d'instruction d'une délégation du Tribunal fédéral; le Département des travaux publics et de l'énergie du canton de Genève (ci-après: le Département des travaux publics) a été invité à produire une liste des transactions immobilières intervenues entre 1981 et 1986 dans le périmètre des zones de bruit de l'aéroport. En outre, par décision partielle du 10 octobre 1995, rendue dans la présente cause et dans les autres causes connexes, le Tribunal fédéral a prononcé que la valeur vénale en automne 1985 était déterminante pour apprécier la dévaluation des immeubles des expropriés provoquée par les immissions de bruit, les intérêts usuels sur les éventuelles indemnités courant dès le 1er janvier 1985 (décision publiée aux
ATF 121 II 350
). Le Tribunal fédéral a mis fin à la cause des consorts Favre par le présent arrêt, qui fixe l'indemnité due par l'Etat de Genève pour l'expropriation formelle de droits de voisinage.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le Tribunal fédéral doit déterminer si et, le cas échéant, dans quelle mesure une indemnité pour l'expropriation formelle des droits de voisinage (immissions) est due aux consorts Favre (ch. 3 du dispositif du jugement du 12 juillet 1995;
ATF 121 II 317
).
Les parcelles no 2823 et 2104 sont classées, depuis le 8 mai 1993, dans une "zone de développement 4B destinée à des activités sans nuisances". Selon la décision attaquée, qui se réfère sur ce point aux explications du Département des travaux publics, les activités visées sont "toutes celles, sans être limitées au secteur tertiaire, qui engendrent un minimum de bruit et de pollution dans le voisinage" (bureaux, entreprises de production de haute technologie, etc. Ces activités sont en principe conformes à la réglementation de la 4e zone à bâtir, au sens de l'art. 19 al. 2 LALAT. En modifiant, par la loi no 6787, le plan d'affectation cantonal pour permettre une telle utilisation d'un terrain précédemment classé en zone résidentielle, le Grand Conseil a tenu compte des inconvénients provoqués
BGE 122 II 337 S. 341
par le trafic aérien à cet endroit. En effet, ces inconvénients sont ressentis de manière beaucoup moins importante dans un immeuble administratif, commercial ou industriel: selon la nature des activités exercées, les locaux ne requièrent pas une tranquillité particulière pendant les heures de travail; ils peuvent en outre plus aisément être insonorisés (les fenêtres pouvant demeurer constamment fermées) et les espaces de dégagement - jardins, cours - ne sont en principe pas utilisés. En outre, la proximité de l'aéroport et des infrastructures qui y sont liées (gare CFF, autoroute, etc.) pourrait même représenter un avantage pour ce genre d'activités.
L'octroi d'une autorisation de construire dans une zone de développement est certes subordonné par le droit cantonal à diverses conditions, dont l'application ne relève cependant pas du Grand Conseil, mais des autorités administratives (Conseil d'Etat, Département des travaux publics - cf. art. 12 al. 4 LALAT, art. 2 ss de la loi générale sur les zones de développement). Quand bien même diverses décisions seraient encore nécessaires en vue de la réalisation de bâtiments administratifs ou commerciaux, on peut considérer qu'en modifiant le plan d'affectation dans le secteur de Bellevue comprenant la propriété des consorts Favre, le parlement cantonal a prévu une sorte de "réparation en nature" partielle, au sens de l'art. 18 de la loi fédérale sur l'expropriation (LEx, RS 711 - cf. infra, consid. 4b).
Cette mesure d'aménagement du territoire ne saurait toutefois être considérée comme une compensation de la moins-value, provoqué par les immissions de bruit, affectant les bâtiments d'habitation existants - soit la maison de maître et son annexe comprenant un logement -, car leur transformation en locaux administratifs, artisanaux ou commerciaux n'entre manifestement pas en ligne de compte. L'art. 1er al. 2 de la loi no 6787 dispose du reste que, si ces bâtiments sont maintenus dans leur affectation actuelle, leur surface n'est pas comprise dans la surface de plancher destinée aux autres activités; l'autorité de planification est donc également partie du principe que ces locaux resteraient voués à l'habitation. Une partie du terrain constitue un espace de dégagement nécessaire autour de ces bâtiments (jardin, cour, terrasses, etc.) et on peut estimer la surface réservée à l'habitation, dans la propriété des consorts Favre, à 6'000 m2 (y compris la surface au sol des bâtiments). Pour cette partie de la propriété, le changement d'affectation décidé par le Grand Conseil ne supprime pas le dommage que subissent les propriétaires, le cas échéant, en raison des immissions de bruit de l'aéroport. Il reste à examiner, dans
BGE 122 II 337 S. 342
cette mesure, les conditions à l'octroi d'une indemnité pour expropriation formelle des droits de voisinage.
3.
Le Tribunal fédéral a déjà admis que le dommage subi par les consorts Favre, propriétaires des bâtiments d'habitation, n'était pas prévisible (cf. arrêt du 12 juillet 1995,
ATF 121 II 317
consid. 6c/aa p. 337). Il convient donc d'examiner si les conditions de la spécialité et de la gravité sont remplies (cf. arrêt précité,
ATF 121 II 317
consid. 7 et 8 c/cc, p. 338 et 342).
a) Selon la jurisprudence, la condition de la spécialité est remplie lorsque les immissions atteignent une intensité qui excède ce qui est usuel et tolérable. Dans des affaires connexes à la présente cause, relatives à des parcelles bâties de villas familiales au sud-ouest de l'aéroport (à Vernier), le Tribunal fédéral a admis qu'il en était ainsi quand le niveau de bruit moyen "Leq" était supérieur à 65 dB(A) durant la journée, selon les calculs effectués par le Laboratoire fédéral d'essai des matériaux et de recherche (EMPA). Les valeurs limites d'immissions prévues par la législation fédérale sur la protection de l'environnement sont alors en principe largement dépassées et on doit admettre que les personnes résidant sur la parcelle sont gênées de manière sensible dans leur bien-être (cf. art. 15 de la loi fédérale sur la protection de l'environnement [LPE; RS 814.01]; arrêt du 12 juillet 1995,
ATF 121 II 317
consid. 8c p. 339 ss).
Le Tribunal fédéral a déjà constaté que, sur une carte établie par le Laboratoire fédéral précité, la propriété des consorts Favre se trouvait dans une bande délimitée par les courbes 65 dB(A) et 70 dB(A), et que le niveau moyen des immissions à cet endroit était supérieur à 65 dB(A) durant la journée (arrêt du 12 juillet 1995,
ATF 121 II 317
consid. 8c/cc p. 341). Il faut donc admettre que la condition de la spécialité est également remplie dans ce cas. Certes, la loi no 6787 a attribué un degré de sensibilité III à tout le périmètre de la zone de développement 4B destinée à des activités sans nuisances (il s'agit d'une zone mixte au sens de l'
art. 43 al. 1 let
. c de l'ordonnance sur la protection contre le bruit [OPB; RS 814.41]) et elle n'a pas prévu de régime spécial pour la maison de maître et ses environs, qui demeurent pourtant destinés à l'habitation (en zone résidentielle, le degré de sensibilité II est en principe applicable - cf.
art. 43 al. 1 let. b OPB
); cet élément n'est toutefois pas déterminant car, du point de vue de l'expropriation, les consorts Favre doivent être traités comme les autres propriétaires de maisons d'habitation en zone résidentielle. Au reste, le seuil de 65 dB(A) correspond à la valeur limite
BGE 122 II 337 S. 343
d'immission généralement prévue par l'ordonnance sur la protection contre le bruit dans une zone dite mixte.
b) Les immissions de bruit liées à l'exploitation de l'aéroport de Genève entraînent une diminution notable de la valeur de la partie de la propriété des consorts Favre qui est réservée à l'habitation (pour l'estimation de cette dévaluation, cf. infra, consid. 7; cf. aussi arrêt du 12 juillet 1995, consid. 7 rés. in
ATF 121 II 317
p. 338); l'importance de ce préjudice démontre que la condition de la gravité est remplie dans le cas particulier.
4.
a) Le droit des consorts Favre d'obtenir une indemnité, à payer par l'Etat de Genève, pour l'expropriation formelle des droits de voisinage (immissions), est ainsi reconnu dans son principe. Il s'agit maintenant de fixer la nature et le montant de cette indemnité.
b) L'indemnité d'expropriation est en principe payable en argent (
art. 17 LEx
). Cependant, conformément à la jurisprudence, lorsque des locaux d'habitation sont exposés aux immissions de bruit d'un ouvrage public (route nationale, voie de chemin de fer ou, en l'occurrence, aéroport), une réparation en nature, sous forme de mesures d'insonorisation ou d'isolation acoustique du bâtiment touché, peut se justifier. En imposant une indemnisation sous cette forme - prévue à l'
art. 18 LEx
-, le juge de l'expropriation met également en oeuvre les prescriptions de la législation fédérale sur la protection de l'environnement: l'isolation réalisée par l'expropriant, à ses frais, est propre à réparer, à tout le moins partiellement, le préjudice subi par le propriétaire et, en même temps, elle permet de protéger efficacement le bien-être des personnes utilisant les locaux exposés au bruit (cf.
ATF 119 Ib 348
consid. 6c; cf. aussi
ATF 121 II 350
consid. 7).
Ce mode de réparation, à envisager en priorité, ne couvre cependant pas, en l'occurrence, la totalité du préjudice subi par les expropriés (cf. infra, consid. 8, 9). C'est pourquoi une indemnité complémentaire (ou résiduelle) en argent doit être allouée. Il se justifie néanmoins, pour le calcul de cette indemnité dans le cas particulier, d'estimer en premier lieu la valeur de l'immeuble ainsi que la dévaluation provoquée par les immissions de bruit, indépendamment des mesures d'isolation qui doivent être ordonnées.
c) L'expropriation des droits de voisinage est une expropriation partielle au sens de l'
art. 19 let. b LEx
; l'indemnité se calcule selon la méthode de la différence, laquelle consiste à déduire de la valeur vénale du fonds non exposé aux immissions, celle du même fonds, avec les immissions auxquelles
BGE 122 II 337 S. 344
il est exposé (cf.
ATF 110 Ib 43
consid. 2,
ATF 106 Ib 241
consid. 3; décision du 10 octobre 1995,
ATF 121 II 350
consid. 5d).
La valeur de l'immeuble des expropriés à la période déterminante - soit en automne 1985 (cf. décision du 10 octobre 1995,
ATF 121 II 350
consid. 6d) - doit ainsi être estimée, en premier lieu, en faisant abstraction des nuisances causées par l'exploitation de l'aéroport. Cette estimation porte d'une part sur le terrain (infra, consid. 5), et d'autre part sur les bâtiments (infra, consid. 6). Les annexes qui ne servent pas à l'habitation (garage, serre) n'entrent pas en ligne de compte, leur utilisation n'étant pas influencée par le bruit du trafic aérien.
5.
a) La méthode comparative ou statistique doit être appliquée à l'estimation du prix du terrain (sans les bâtiments). Cette méthode prescrit au juge de l'expropriation de rechercher parmi les transactions récentes - à savoir celles qui sont intervenues peu avant le "dies aestimandi" - qui ont eu lieu dans la région les prix payés pour des fonds de même nature, de même qualité, de même situation (cf.
ATF 115 Ib 408
consid. 2,
ATF 114 Ib 286
consid. 7; cf. HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, vol. I, Berne 1986, n. 80 ss ad art. 19; PIERRE MOOR, Droit administratif, vol. III, Berne 1992, p. 417). Les transactions postérieures à l'automne 1985, de même que celles qui portent sur des terrains situés dans une autre région - dans des communes éloignées de l'aéroport, par exemple sur la rive sud du Lac Léman -, sont sans pertinence. Enfin, il s'agit en l'occurrence d'estimer non pas l'ensemble du parc de la maison de maître, mais une partie de celui-ci comprenant la surface construite et les espaces de dégagement liés à l'habitation; c'est pourquoi les terrains destinés à la construction de maisons familiales peuvent être pris en considération comme éléments de comparaison.
Dans la décision attaquée, la Commission fédérale a estimé la valeur du terrain à 400 fr./m2. Les données statistiques à la base de cette estimation ne sont pas exposées avec suffisamment de précision; en outre, la date retenue à cet égard - septembre 1987 - est postérieure au "dies aestimandi". Ce prix n'entre donc pas en considération.
b) Les terrains compris dans le périmètre des zones de bruit A et B ne pouvaient être vendus, en automne 1985, en vue de la construction de villas familiales; en vertu de la législation fédérale sur l'aviation, les nouveaux bâtiments d'habitation ne sont en effet pas admis dans ces deux zones (cf. art. 42 de l'ordonnance sur l'infrastructure aéronautique [OSIA;
BGE 122 II 337 S. 345
RS 748.131.1]). Le plan des zones de bruit de l'aéroport n'était certes pas encore en vigueur à cette date (il a acquis force obligatoire le 2 septembre 1987), mais il avait déjà été mis à l'enquête publique et il avait fait l'objet, en janvier 1984, d'une décision du Département fédéral des transports, des communications et de l'énergie (cf. arrêt du 12 juillet 1995, faits, let. B,
ATF 121 II 317
). Les transactions portant sur des terrains des zones de bruit A et B n'ont donc pas à être prises en considération.
Les experts du Tribunal fédéral ont examiné la liste, établie par le Département des travaux publics, des transactions dans la zone de bruit C. Cette zone s'étend sur une partie du territoire des communes de Bellevue, Genthod, Grand-Saconnex, Meyrin, Pregny-Chambésy, Satigny et Vernier (les bâtiments d'habitation des consorts Favre se trouvent précisément, depuis 1987, dans la zone C et ce régime est désormais applicable à l'ensemble de la propriété - cf. arrêt du 12 juillet 1995,
ATF 121 II 317
consid. 12d p. 346 ss). Dans ces communes - en l'occurrence à Vernier -, le prix le plus élevé payé pour une parcelle propre à la construction d'une villa est de 214 fr./m2 (vente du 28 mai 1984, parcelle de 1'120 m2, au chemin de l'Esplanade). Les autres transactions, pour des terrains comparables dans la même commune, ont été conclues à des prix nettement inférieurs (notamment: 80 fr./m2 en 1982 pour un terrain de 675 m2 à proximité de la parcelle précitée; entre 175 et 185 fr./m2 en 1981 pour trois parcelles de 660 m2 environ). Dans les autres communes des environs de l'aéroport, plusieurs transactions ont été conclues en 1984-1985, pour des terrains de la zone de villas, à un prix d'environ 150 à 180 fr./m2. Comme les nuisances résultant de l'exploitation de l'aéroport existaient déjà en automne 1985, les experts ont évalué l'influence de ce facteur sur le niveau général des prix dans la région (sans toutefois calculer, à ce stade, l'effet des immissions sur la valeur du terrain des expropriés); la valeur moyenne selon les statistiques, de l'ordre de 200 fr./m2, devait donc être augmentée dans une certaine mesure. En définitive, les experts ont estimé le prix du terrain des consorts Favre (sans les immissions) à 275 fr./m2, soit 1'650'000 fr. pour 6'000 m2.
Ni les consorts Favre, ni l'Etat de Genève n'ont présenté d'éléments propres à remettre en cause cette estimation. Le Tribunal fédéral n'a aucun motif de s'en écarter.
6.
Les bâtiments d'habitation des consorts Favre sont actuellement occupés par des membres de leur famille. Les critères pour l'estimation des immeubles locatifs, qui prennent en compte la valeur de rendement, ne sont
BGE 122 II 337 S. 346
pas applicables (cf. MOOR, op.cit., p. 417). Les experts du Tribunal fédéral ont estimé la valeur vénale de ces maisons en se fondant sur les "Normes pour déterminer le prix au m3 des bâtiments", publiées par la Société suisse des ingénieurs et architectes (SIA, formule 116), et en se référant aux coûts de la construction en 1985. Sur cette base, la maison de maître, de 4000 m3 "SIA", a été estimée à 2'800'000 fr. (700 fr./m3); quant à l'habitation annexe, de 580 m3 "SIA", elle a été estimée à 290'000 fr. (500 fr./m3).
Les experts ont également tenu compte de la "vétusté" de ces deux maisons (en allemand: "Altersentwertung"): la valeur théorique, en automne 1985, doit être diminuée en fonction de l'âge des bâtiments (construits respectivement à la fin du XVIIIe siècle et en 1875), de la qualité de la construction, de leur état d'entretien, ainsi que d'autres caractéristiques (par exemple: la dévaluation de ces bâtiments, intéressants du point de vue architectural, est moins rapide que celle de bâtiments sans particularités); ce coefficient de vétusté n'est donc pas simplement fonction de l'écoulement du temps (cf. WOLFGANG NAEGELI/KURT J. HUNGERBÜHLER, Handbuch des Liegenschaftenschätzers, 3e éd. Zurich 1988, p. 22 ss). En l'occurrence, les experts ont fixé ce coefficient de vétusté à 40%, aussi bien pour la maison de maître que pour l'habitation annexe. La valeur vénale de la maison de maître, à la date déterminante, est ainsi de 1'680'000 fr.; celle de l'habitation annexe est de 174'000 fr.
Ni les consorts Favre, ni l'Etat de Genève n'ont présenté d'éléments propres à remettre en cause ces estimations. Le Tribunal fédéral n'a aucun motif de s'en écarter.
7.
La valeur vénale déterminante de l'immeuble des expropriés - soit 6000 m2 de terrain et les bâtiments d'habitation - est en conséquence de 3'592'000 fr. (en automne 1985), si l'on fait abstraction des immissions auxquelles il est exposé en raison de l'exploitation de l'aéroport. Il y a lieu dès lors d'estimer, dans le cas concret, la dévaluation provoquée par ces immissions (cf. supra, consid. 5). Sur le marché immobilier, la demande pour de telles propriétés diminue très sensiblement lorsqu'elles ne se trouvent pas dans une situation tranquille. Ce phénomène peut certes aussi être observé sur le marché des villas familiales, mais dans une moindre mesure, car la tranquillité des alentours n'est alors pas toujours, pour les acheteurs, un critère prépondérant; par ailleurs, les amateurs de ce genre de maisons de maître sont peu nombreux. En l'occurrence, le bruit du trafic aérien provoque donc une dévaluation assez importante de l'immeuble,
BGE 122 II 337 S. 347
quand bien même celui-ci est relativement éloigné de l'aéroport.
Dans ces conditions, la délégation du Tribunal fédéral et les experts ont estimé à 1/3 la dévaluation du terrain - soit un montant de 550'000 fr. -, et également à 1/3 la dévaluation du bâtiment - soit un montant de 647'400 fr. La dévaluation globale de l'immeuble peut ainsi être arrêtée à 1'197'400 fr.
Il n'y a aucun motif de s'écarter de cette estimation.
8.
Il y a dès lors lieu d'examiner à quelles conditions une réparation en nature peut être ordonnée (cf. supra, consid. 4b).
a) Selon l'expert acousticien du Tribunal fédéral, la pose de fenêtres isolantes, dans toutes les pièces habitables des bâtiments des expropriés, serait une mesure efficace. Il ne se justifie pas d'isoler d'autres éléments des bâtiments (toits, dalles, etc.), car les effets de ces mesures complémentaires ne seraient pas clairement perceptibles et le coût de tels travaux serait disproportionné. En outre, comme le bruit provoqué par le passage des avions n'est pas continu, il n'est pas nécessaire d'installer un dispositif d'aération mécanique des locaux d'habitation, car une ouverture occasionnelle des fenêtres est possible sans inconvénients notables pour les habitants.
L'ordonnance concernant les zones de bruit des aéroports de Bâle-Mulhouse, Genève-Cointrin et Zurich, adoptée le 23 novembre 1973 par le Département fédéral des transports, des communications et de l'énergie (O DFTCE; RS 748.134.2), énonce à son art. 9 diverses exigences en matière d'insonorisation. Pour les fenêtres et portes-fenêtres des "bâtiments qui ne sont admis qu'avec insonorisation", les "exigences minimales" sont les suivantes: "isolation acoustique d'au moins Ia = 35 dB de toutes les fenêtres et portes fenêtres de logements, bureaux et chambres à coucher, les mesures étant effectuées lorsque les fenêtres et portes-fenêtres sont posées et fermées" (
art. 9 al. 1 let
. d O DFTCE). Les exigences de l'art. 9 al. 1 O DFTCE ne s'appliquent en principe pas uniquement lors de la construction de nouveaux bâtiments, mais également lors de la transformation de bâtiments situés dans des zones de bruit, avec les adaptations nécessaires (art. 9 al. 2 O DFTCE). Ces normes ont servi de base au calcul de l'indice d'isolation acoustique qu'il faut obtenir dans le cas particulier; c'est ainsi que l'expert acousticien a pu évaluer le prix de la pose des fenêtres et portes-fenêtres permettant d'assurer une telle isolation (125'960 fr. en l'occurrence). On peut relever à cet égard qu'un indice d'isolation acoustique de 35 dB au moins est également prévu par l'ordonnance sur la protection contre le bruit (OPB; RS 814.41) lorsque
BGE 122 II 337 S. 348
le niveau d'évaluation du bruit extérieur (Lr) est compris entre 65 et 75 dB(A) pendant la journée (annexe 1 OPB); cet élément peut aussi entrer en considération, quand bien même cette ordonnance ne contient pas encore de dispositions spéciales applicables au bruit des aéroports nationaux (cf.
ATF 121 II 317
consid. 8c/bb p. 340).
b) La pose de fenêtres (et portes-fenêtres) isolantes répondant aux exigences précitées améliorerait de façon substantielle les conditions d'utilisation des bâtiments des expropriés, lesquels n'ont d'ailleurs pas émis d'objections quant à la réalisation de cette mesure. Leurs intérêts sont suffisamment sauvegardés par l'octroi d'une telle réparation partielle en nature et les conditions de l'
art. 18 al. 2 LEx
sont remplies (cf.
ATF 119 Ib 348
consid. 6b). Il se justifie donc de mettre à la charge de l'Etat de Genève la fourniture et la pose de fenêtres et portes-fenêtres isolantes, ayant les caractéristiques décrites ci-dessus. Les travaux devront être achevés d'ici au 31 décembre 1997.
9.
La réparation en nature, par la pose de fenêtres (et portes-fenêtres) isolantes, ne couvre pas tous les préjudices subis par les expropriés (cf.
art. 19 LEx
). La moins-value du terrain sans la construction ne sera pas affectée par la réalisation des travaux d'isolation du bâtiment; l'indemnité due à ce titre - 550'000 fr. - ne doit pas être réduite (cf. supra, consid. 7).
En ce qui concerne la moins-value des bâtiments eux-mêmes, elle est certes réduite par l'amélioration de l'isolation phonique, mais elle n'est manifestement pas supprimée: l'impossibilité d'ouvrir les fenêtres pendant des périodes prolongées constitue un inconvénient notable, et certaines parties annexes (terrasses, balcons, etc.) demeurent exposées au bruit. Le trafic aérien cause de nombreux désagréments, que l'isolation des locaux habitables ne compense que très partiellement. La délégation du Tribunal fédéral et les experts ont estimé l'indemnité (en argent) pour la dévaluation résiduelle des bâtiments à 582'660 fr., soit 90% du montant qui aurait été alloué à ce titre en l'absence de prestations en nature (647'400 fr. - cf. supra, consid. 7). Il n'y a aucun motif de s'écarter de cette appréciation.
L'indemnité en argent est ainsi fixée à 1'132'660 fr. | public_law | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d7fc849e-f889-4c4c-b287-c87d39a91971 | Urteilskopf
119 II 119
26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Mai 1993 i.S. L. W. gegen Grundbuchverwalter von F. und Justizdirektion des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Tod eines Gesellschafters einer aus zwei natürlichen Personen bestehenden einfachen Gesellschaft; rechtliches Los der im Gesamteigentum beider Gesellschafter stehenden Liegenschaft im Falle der Auflösung der Gesellschaft (
Art. 545 Abs. 1 Ziff. 2 OR
;
Art. 550 Abs. 1 OR
;
Art. 560 ZGB
;
Art. 652 ZGB
).
Bestätigung der Rechtsprechung, wonach eine im Gesamteigentum zweier einfacher Gesellschafter stehende Liegenschaft beim Tod des einen ohne besondere Abrede nicht Alleineigentum des anderen wird (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 119 II 119 S. 119
A.-
Th. H.-V. und M. H. waren als einfache Gesellschafter Gesamteigentümer der Liegenschaft J., Grundbuchblatt Nr. 1107.
BGE 119 II 119 S. 120
Am 28. Juni 1991 reichte Notar L. W. dem Grundbuchamt F. als Rechtsgrundausweis ein als "Erbgangsurkunde" bezeichnetes Schriftstück ein. In dieser öffentlichen Urkunde hatte er festgehalten, Th. H.-V. sei am 9. Mai 1991 gestorben; die Gesellschafter hätten weder im Gesellschaftsvertrag noch nachträglich vereinbart, dass die einfache Gesellschaft mit den Erben weitergeführt werde; sie sei demzufolge von Gesetzes wegen aufgelöst und das genannte Grundstück M. H. zu Alleineigentum angewachsen.
B.-
Der Grundbuchverwalter von F. nahm die Eintragung mangels genügenden Rechtsgrundausweises nicht vor. Die Justizdirektion des Kantons Bern wies die von Notar L. W. gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, an welches Notar L. W. in der Folge gelangte, wies dessen Beschwerde am 10. August 1992 ab.
C.-
Gegen diesen Entscheid führt L. W. Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern aufzuheben und den Grundbuchverwalter von F. anzuweisen, die Erbgangsurkunde in das Grundbuch einzutragen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während der Grundbuchverwalter von F., die Justizdirektion des Kantons Bern sowie das Bundesamt für Justiz auf Vernehmlassung verzichtet haben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Das Verwaltungsgericht hat erwogen, gemäss
Art. 545 Abs. 1 Ziff. 2 OR
werde die einfache Gesellschaft aufgelöst, wenn ein Gesellschafter sterbe und die Gesellschaft fortzusetzen nicht vereinbart sei bzw. nicht vereinbart werde. Welche Stellung den Erben des verstorbenen Gesellschafters in dieser Situation zukomme, werde in den Bestimmungen über die einfache Gesellschaft nicht geregelt und sei in der Rechtswissenschaft kontrovers. Mit dem Eintritt eines Auflösungsgrundes sei die einfache Gesellschaft mit dem ursprünglichen Zweck des gemeinsamen Eigentums zwar aufgelöst, bestehe indessen mit dem neuen Zweck ihrer Liquidation bis zu deren Abschluss weiter. Mit VON STEIGER (Schweizerisches Privatrecht VIII/1, Basel 1976, S. 454) sei davon auszugehen, dass die Erben gestützt auf
Art. 560 und 602 ZGB
für die Liquidation in die
BGE 119 II 119 S. 121
Rechtsstellung des verstorbenen Gesellschafters eintreten und mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten Mitglieder der Liquidationsgesellschaft werden. Im Recht der Personengesellschaft gebe es keine Norm, welche die Rechtsstellung der Erben aufhebe oder modifiziere.
Art. 584 OR
, der analog auf die einfache Gesellschaft anzuwenden sei, sehe denn auch den Eintritt der Erben in die Liquidationsgesellschaft vor. Wie in
BGE 113 II 496
E. 2b, so müsse auch vorliegend angenommen werden, das Eigentum am fraglichen Grundstück sei in die Gesamteigentumsanteile des überlebenden Gesellschafters und der Erbengemeinschaft zerfallen. Die Grundbuchanmeldung sei daher zu Recht abgewiesen worden.
Der Beschwerdeführer rügt zusammengefasst, weder bundesgerichtliche Entscheidungen noch Literaturstellen vermöchten die Auffassung des Verwaltungsgerichts abzudecken, dass im Falle des Todes eines einfachen Gesellschafters dessen Erben ohne entsprechende Fortsetzungsklausel von Gesetzes wegen dingliche Berechtigungen am Gesellschaftsvermögen zufielen. Dies stehe im Widerspruch zur schweizerischen Praxis, sei dogmatisch falsch und führe zu stossenden Auswirkungen. Die Rechtsschutzbedürfnisse der Erben bei Auflösung einer einfachen Gesellschaft seien durch die Mittel der Herabsetzungsklage, der Einsprache gegen die Ausstellung einer Erbbescheinigung sowie durch die Zwangsvollstreckungsmassnahmen zur Verwertung des Grundstücks genügend geschützt, so dass auf die Einräumung dinglicher Rechte am Gesellschaftsvermögen ohne weiteres verzichtet werden könne. Auch der vorliegende Fall gehöre zu den Einzelfällen, in denen der Grundsatz der erbrechtlichen Universalsukzession und namentlich die Vorschrift von
Art. 18 Abs. 2 der Verordnung betreffend das Grundbuch vom 22. Februar 1910 (GBV; SR 211.432.1)
relativiert werden müsse. Den Erben des verstorbenen Gesellschafters stünden zwar vermögensrechtliche Ansprüche zu, nicht aber unmittelbar dingliche Berechtigungen an Grundstücken des Gesellschaftsvermögens; die Liquidation der einfachen Gesellschaft werde auf obligatorischer Grundlage im Sinne eines Abrechnungsverhältnisses durchgeführt. Die vorgelegte Erbgangsurkunde beruhe demnach auf einem genügenden Rechtsgrund nach
Art. 965 ZGB
, weshalb sie in das Grundbuch einzutragen sei.
3.
Die Frage, ob eine im Gesamteigentum zweier einfacher Gesellschafter stehende Liegenschaft beim Tod eines Gesellschafters ohne besondere Abrede Alleineigentum des anderen werde, ist, wie die Justizdirektion aufgezeigt hat, vom Bundesgericht verneint
BGE 119 II 119 S. 122
worden (
BGE 113 II 496
E. 2b;
BGE 68 III 44
E. 1). An dieser unter gesellschafts-, erb- und sachenrechtlichen Gesichtspunkten zutreffenden Rechtsprechung ist festzuhalten.
a) Gemäss
Art. 545 Abs. 1 Ziff. 2 OR
wird die einfache Gesellschaft aufgelöst, wenn ein Gesellschafter stirbt und für diesen Fall nicht schon vorher - oder erst nachträglich (
BGE 70 II 56
) - vereinbart worden ist, dass die Gesellschaft mit den Erben fortbestehen soll. Die Auseinandersetzung nach Auflösung der Gesellschaft ist aufgrund des hier anwendbaren
Art. 550 Abs. 1 OR
von allen, also auch von den an der Geschäftsführung nicht beteiligten Gesellschaftern vorzunehmen. Sie hat die Lösung der durch die Gesellschaft geschaffenen rechtlichen Beziehungen zum Gegenstand, und zwar durch Erfüllung der Schulden bzw. Überführung der Rechte und allenfalls der Pflichten aus der Gemeinschafts- in die Individualsphäre; sie umfasst sowohl die Abwicklung der Beziehungen zu Dritten (äussere Liquidation) als auch die Verteilung der verbleibenden Werte oder allfälliger Schulden unter die Gesellschafter (innere Liquidation) (ZÄCH, Innominatverträge, Festgabe zum 60. Geburtstag von Walter R. Schluep, Zürich 1988, S. 397; SIEGWART, N. 1 und 6 zu Art. 548/549/550 OR; HARTMANN, N. 1 zu
Art. 582 OR
; VON STEIGER, a.a.O., S. 464 Ziff. 2a). Nicht schon der Eintritt des Auflösungsgrundes, sondern erst der Abschluss der Liquidation beendet das Gesellschaftsverhältnis (
BGE 105 II 206
E. 2a mit Hinweisen); die Gesellschaft besteht als sog. Abwicklungsgesellschaft mit dem neuen und ausschliesslichen Zweck der Liquidation fort (
BGE 93 II 252
E. bb;
BGE 105 II 208
E. b mit Hinweisen; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des Schweizerischen Gesellschaftsrechts, 6. Aufl. Bern 1989, § 8 N. 63; BECKER, N. 2 zu
Art. 545 OR
; SIEGWART, N. 37 zu Art. 545/547 OR; HARTMANN, N. 1 und 11 zu
Art. 574 OR
; VON STEIGER, a.a.O., S. 450 und 461). Die Liquidation erfasst auch vorhandenes Gesamteigentum, das nur so lange vom Privatvermögen der Gesellschafter getrenntes Sondervermögen bleibt, als das Gesamthandverhältnis andauert (VON GREYERZ, Die Erhaltung der Unternehmung im Erbgang, Berner Tage für die juristische Praxis 1970, Bern 1972, S. 72 II.1.). Wie die Liquidation im einzelnen durchzuführen ist, ordnet das Gesellschaftsrecht; dieses sieht allerdings nicht vor, dass ein Mitglied Gesellschaftsgut an sich ziehen könnte; gemäss
Art. 548 OR
findet nicht einmal ein Rückfall eingebrachter Sachen an den Einbringenden statt (
BGE 78 II 310
E. b). Nach dem auf die einfache Gesellschaft anwendbaren
Art. 584 OR
(
BGE 93 II 391
E. 3) haben die Erben des verstorbenen
BGE 119 II 119 S. 123
Gesellschafters für die Liquidation einen gemeinsamen Vertreter zu bezeichnen; ausserdem sind sie an der in Liquidation befindlichen Gesellschaft als Mitglieder in der Stellung beteiligt, wie sie der Erblasser eingenommen hätte (
BGE 114 V 4
E. b mit Hinweisen; SIEGWART, N. 9 zu Art. 545/547 OR; HARTMANN, N. 1 zu
Art. 584 OR
; VON STEIGER, a.a.O., S. 453; HEINRICH MARFURT, Die Auflösung der Kollektivgesellschaft beim Tode eines Gesellschafters, Diss. FR 1928, S. 96); das folgt auch schon daraus, dass die Berechtigung an der Gesamthand ohne Mitwirkung der Gesellschafter gar nicht gelöst, bestehendes Gesamteigentum mithin nicht aufgehoben werden könnte (MEIER-HAYOZ, N. 4 zu
Art. 653 ZGB
; SIEGWART, N. 13 zu
Art. 544 OR
; HAAB/SIMONIUS, N. 18 zu Art. 652 bis 654 ZGB); es ergibt sich dies aber auch daraus, dass die Gesellschaft ohne die Gesellschafter in ihrer Identität (
BGE 93 II 252
E. bb mit Hinweisen; VON STEIGER, a.a.O., S. 450 und 461) nicht fortzubestehen vermöchte. Es ist denn auch anerkannt, dass den Erben eines Gesellschafters das Recht gemäss
Art. 583 Abs. 2 OR
zusteht, beim Richter die Abberufung der Liquidatoren und die Ernennung neuer zu verlangen (
BGE 69 II 37
E. 3; SIEGWART, N. 5 zu
Art. 583 OR
; HARTMANN, N. 9 zu
Art. 583 OR
). Die Regelung im schweizerischen Gesellschaftsrecht entspricht im übrigen der deutschen Gesetzgebung (Kommentar STAUDINGER, 12. Auflage Berlin 1991, N. 9 zu § 727 BGB; MÜNCHENER Kommentar, Band 3, München 1980, N. 1 und 9 zu § 727 BGB; KOHLHAMMER Kommentar, Band 3, 10. Aufl., N. 1 und 4 zu § 727 BGB; WIELAND, Handelsrecht, Band 1, München 1921, S. 682), an die es sich seit jeher angelehnt hat (Bericht über die Anpassung und Revision des Obligationenrechts und über die Einführungsbestimmungen zum schweizerischen Zivilgesetzbuche, 1904, S. 49/9.).
b) Gemäss
Art. 560 ZGB
erwerben die Erben mit dem Tod des Erblassers kraft Gesetzes die Erbschaft als Ganzes (Abs. 1); mit Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen gehen die Forderungen, das Eigentum, die beschränkten dinglichen Rechte und der Besitz des Erblassers ohne weiteres auf sie über; dessen Schulden werden zu persönlichen Schulden der Erben (Abs. 2). Wegen ihrer höchstpersönlichen Natur gilt hingegen die Mitgliedschaft bei einer einfachen Gesellschaft als unvererblich (TUOR, N. 12 der Einleitung zu
Art. 457-536 ZGB
; ESCHER, N. 5a der Einleitung zu
Art. 457-536 ZGB
; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, a.a.O., § 8 N. 10; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 3. Aufl. Bern 1992, § 13 N. 25). Sie - und mit ihr der Grund für die Unvererblichkeit der Mitgliedschaft - entfällt
BGE 119 II 119 S. 124
indessen, wenn die einfache Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters von Gesetzes wegen aufgelöst wird (
Art. 545 Abs. 1 Ziff. 2 OR
) und bloss noch als sog. Abwicklungsgesellschaft mit dem alleinigen Zweck, liquidiert zu werden, für so lange weiterbesteht, als die Auseinandersetzung nicht abgeschlossen ist. Die Nachfolge der Erben in die Stellung des Erblassers ist in diesem Fall keine andere, als wenn der Auflösungsgrund für die einfache Gesellschaft unmittelbar vor seinem Tod eingetreten, der Liquidationsanspruch noch in seiner Person entstanden wäre. Was unter solchen Umständen der Vererblichkeit obligatorischer und dinglicher Rechte des verstorbenen Gesellschafters von Gesetzes wegen (
Art. 560 Abs. 2 ZGB
) entgegenstehen könnte, ist nicht einzusehen.
c) Gesamteigentum setzt ein persönliches Gemeinschaftsverhältnis unter den Beteiligten, eine persönliche Verbindung in der Form eines spezifischen Rechtsverhältnisses voraus (MEIER-HAYOZ, N. 69 zu
Art. 652 ZGB
; HAAB/SIMONIUS, N. 2 zu
Art. 652-654 ZGB
; LEEMANN, N. 1 zu
Art. 652 ZGB
). Die einfache Gesellschaft stellt gemäss
Art. 544 Abs. 1 OR
eine derartige Gesamthandgemeinschaft dar (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, a.a.O., § 8 N. 14; SIEGWART, N. 8 zu
Art. 544 OR
). Der Eintritt eines Auflösungsgrundes bei der Gemeinschaft bewirkt kein Erlöschen der Gesamthand, sondern lässt lediglich einen Anspruch auf Aufhebung des Gesamthandverhältnisses entstehen; die Gemeinschaft dauert als sog. Liquidationsgemeinschaft fort; an der Gesamthandberechtigung ändert sich unmittelbar nichts; sie entfällt erst, sobald und soweit die Auseinandersetzung vollzogen ist (MEIER-HAYOZ, N. 5 zu
Art. 654 ZGB
; HAAB/SIMONIUS, N. 14 zu
Art. 652-654 ZGB
; LEEMANN, N. 5 zu
Art. 654 ZGB
). Damit der Anteil eines Gemeinschafters an der Gesamthandberechtigung den andern Gemeinschaftern anwächst, muss der betreffende Gemeinschafter aus der Gemeinschaft ausscheiden und die Gesamthandschaft fortgeführt werden (MEIER-HAYOZ, N. 69 zu
Art. 652 ZGB
; HAAB/SIMONIUS, N. 40 zu
Art. 652-654 ZGB
; LEEMANN, N. 8 zu
Art. 652 ZGB
; LIVER, ZBJV 100/1964, S. 263). An dieser notwendigen Voraussetzung aber fehlt es, wenn die einfache Gesellschaft mit dem Tod eines Gesellschafters mangels anderslautender Vereinbarung der Bestimmung des
Art. 545 Abs. 1 Ziff. 2 OR
entsprechend aufgelöst wird, mit anderen Worten, wenn der Tod nicht zugleich Grund für das Ausscheiden des Gesellschafters und die Fortführung der Gesellschaft unter den noch verbleibenden Mitgliedern bildet (vgl.
BGE 81 II 362
E. 1; HAAB/SIMONIUS, N. 15 zu
Art. 652-654 ZGB
). Einer dinglichen Berechtigung der Erben des verstorbenen Gesellschafters
BGE 119 II 119 S. 125
steht nichts entgegen, zumal das für den Bestand von Gesamteigentum erforderliche Gemeinschaftsverhältnis dadurch erhalten bleibt, dass die Erben in der Stellung des verstorbenen Gesellschafters an der zu liquidierenden Gesellschaft beteiligt sind.
d) Zusammengefasst ist unter allen teilrechtlichen Aspekten letztlich einerseits entscheidend, dass der Tod eines einfachen Gesellschafters mangels einer Fortsetzungsklausel zwar Grund für die Auflösung der einfachen Gesellschaft, nicht jedoch für deren Fortführung durch die übrigen Gesellschafter bildet; anderseits ist wesentlich, dass die Erben in der Stellung des verstorbenen Gesellschafters in die zu liquidierende Gesellschaft eintreten.
4.
Was der Beschwerdeführer vorträgt, ist weder im einzelnen noch insgesamt geeignet, den gegenteiligen Standpunkt zu rechtfertigen. Die Abrede, eine einfache Gesellschaft beim Hinschied eines Gesellschafters mit dessen Erben fortzusetzen, wird nicht dadurch überflüssig und sinnlos, dass die Erben der sog. Abwicklungsgesellschaft angehören; denn im einen Fall wird die Gesellschaft mit dem bisherigen unveränderten Zweck fortgeführt, im anderen hingegen aufgelöst und liquidiert. Inwiefern die Beteiligung der Erben an der zu liquidierenden Gesellschaft mit deren Anzeigepflicht und den vorübergehenden Befugnissen gemäss
Art. 547 Abs. 2 OR
unvereinbar sein könnte, ist weder auszumachen noch aufgezeigt. Die Auseinandersetzung nach Eintritt eines Auflösungsgrundes bleibt, wie dargelegt, nicht ausschliesslich den bisherigen Gesellschaftern vorbehalten. Die dogmengeschichtlichen und rechtsvergleichenden Hinweise sind von vornherein unbehelflich, soweit sie eine der schweizerischen nicht entsprechende Ordnung zur Grundlage haben; was den Hinweis auf das deutsche Recht betrifft, so deckt sich, wie bereits ausgeführt, die schweizerische mit der deutschen Regelung. Die vom Beschwerdeführer genannten Entscheide kantonaler Behörden gründen zum einen auf der mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Annahme, beim Tod eines Gesellschafters bestehe die Gesellschaft mit dem verbleibenden als einzigem Gesellschafter und Liquidator fort, dingliche Anteilsrechte vermöchten die Erben des verstorbenen Gesellschafters nur beim Vorliegen einer Fortsetzungsklausel zu erwerben; zum andern geben sie bloss wieder, was sich zweifelsfrei dem Gesetz entnehmen lässt, und - was der Beschwerdeführer e contrario daraus folgert - wie die Unvererblichkeit der Mitgliedschaft der gesetzlichen Ordnung entspricht. In dem vom Beschwerdeführer angerufenen Schrifttum wird die These, der Gesamteigentumsanteil des verstorbenen Gesellschafters wachse
BGE 119 II 119 S. 126
dem überlebenden an, teilweise überhaupt nicht näher begründet, der Tod des einen Gesellschafters seinem Austritt aus der Gesellschaft gleichgesetzt, oder aber davon ausgegangen, die Erben nähmen in der nunmehr zu liquidierenden Gesellschaft nicht jene Stellung ein, die der verstorbene Gesellschafter vor Eintritt der Gesellschaft in das Liquidationsstadium innegehabt habe. Auf die herrschende Grundbuchpraxis kann es schliesslich nicht entscheidend ankommen, solange diese nicht höchstrichterlich überprüft worden ist.
5.
Das Verwaltungsgericht hat mithin kein Bundesrecht verletzt, indem es zum Schluss gelangt ist, das Grundstück J., Grundbuchblatt Nr. 1107, sei beim Tode von Th. H.-V. nicht Alleineigentum von M. H. geworden; es hat daher zu Recht die gegen den Entscheid der Justizdirektion des Kantons Bern gerichtete Beschwerde abgewiesen. Damit ist auch vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d7ffaa14-a465-4f48-b6fd-8070a58f9d59 | Urteilskopf
124 IV 23
5. Urteil des Kassationshofes vom 6. Januar 1998 i.S. B. gegen Eidgenössische Zollverwaltung und Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 68 MWSTV
und
Art. 77 MWSTV
, Art. 8 ÜbBest. BV;
Art. 13 ZG
,
Art. 29 ff. ZG
,
Art. 34-36 ZG
,
Art. 65 ff. ZG
,
Art. 72a ZG
und
Art. 142 ZG
; Art. 2 des internationalen Übereinkommens zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahren vom 18. Mai 1973 (Kyoto-Abkommen), Ziff. 43 der Anlage B.1; Mehrwertsteuer auf der Einfuhr von Gegenständen, fahrlässige Widerhandlung durch Falschdeklaration im EDV-Verfahren.
Die Strafbestimmung des
Art. 77 MWSTV
erfüllt die Anforderungen des Legalitätsprinzips (E. 1).
Im Gegensatz zum herkömmlichen Zollverfahren ist die "Vorprüfung" der EDV-gestützten Zolldeklarationen durch die Zollbehörden eingeschränkt; die dadurch verminderte, straflose Verbesserungsmöglichkeit von Falschdeklarationen führt nicht zu einer gesetzwidrigen Ausweitung der einschlägigen Strafbestimmungen (E. 2).
Eine Falschdeklaration des Deklaranten im Zollverfahren erfüllt den objektiven Tatbestand der Gefährdung der Mehrwertsteuer auf der Einfuhr von Gegenständen, selbst wenn dieselben Gegenstände anschliessend der in der Regel vorsteuerabzugsberechtigten Mehrwertsteuer auf dem Umsatz im Inland unterliegen (E. 3).
Ziff. 43 der Anlage B.1 des Kyoto-Abkommens besitzt keinen self-executing-Charakter (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 124 IV 23 S. 24
A.-
Der Bezirksrichter Reiat büsste B. am 23. Februar 1996 wegen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Mehrwertsteuer mit Fr. 240.--.
Eine Nichtigkeitsbeschwerde des Gebüssten wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 6. Juni 1997 ab.
B.-
B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und die eidgenössische Oberzolldirektion beantragen Abweisung der Beschwerde.
BGE 124 IV 23 S. 25
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, in Art. 8 ÜbBest. BV sei der Bundesrat zum Erlass einer Ausführungsverordnung zur Mehrwertsteuer ermächtigt worden, wobei die Grundsätze der Besteuerung auf Verfassungsstufe geregelt worden seien, getreu den strengen Delegationsvoraussetzungen im Abgaberecht. Zum Erlass von Strafbestimmungen sei der Bundesrat hingegen nicht ermächtigt worden.
Art. 77 der Verordnung über die Mehrwertsteuer (MWSTV; SR 641.201)
mangele es somit an einer genügenden gesetzlichen Grundlage.
Nach der älteren Rechtsprechung war dem Grundsatz der Legalität Genüge getan, wenn Strafnormen in einem Gesetz im materiellen Sinne, d.h. allenfalls auch in einer Verordnung, geregelt waren (
BGE 96 I 24
E. 4a). Die neuere Praxis verlangt demgegenüber für jede Strafe, die einen Freiheitsentzug mit sich bringt, als schweren Eingriff in die persönliche Freiheit eine klare Grundlage in einem formellen Gesetz. Für andere Strafen genügt dagegen eine Verordnung, die sich im Rahmen von Verfassung und Gesetz hält (
BGE 112 Ia 107
E. 3b;
BGE 118 Ia 305
E. 7a je mit Hinweisen; ebenso GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 2. Auflage, S. 77 N. 7; TRECHSEL/NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Auflage, S. 45 Ziff. 4).
Art. 77 Abs. 1 MWSTV
bedroht mit Busse bis zum Fünffachen der hinterzogenen oder gefährdeten Steuer, wer die Steuer vorsätzlich oder fahrlässig unter anderem durch unrichtige Deklaration eines Gegenstandes oder seines Wertes hinterzieht oder gefährdet. Da diese Bestimmung lediglich Busse als Strafe androht, genügt nach dem oben Gesagten die Regelung auf Verordnungsstufe dem Legalitätsprinzip. Damit erweist sich die Rüge als unbegründet.
2.
a) Das Zollgesetz (ZG; SR 631.0) sieht bei der Zollabfertigung eine formelle Überprüfung vor. Die abgegebene Zolldeklaration wird auf die formelle Richtigkeit und Vollständigkeit sowie auf ihre Übereinstimmung mit den Begleitpapieren überprüft und bei allfälligen Unstimmigkeiten an den Aussteller zurückgewiesen (
Art. 34 Abs. 2 und 3 ZG
). Sind keine Unstimmigkeiten ersichtlich, wird die Zolldeklaration durch Beisetzung des Amtsstempels angenommen und so für den Aussteller verbindlich (
Art. 35 Abs. 1 und 2 ZG
).
Zur Vereinfachung der Zollbehandlung kann die Oberzolldirektion mit einzelnen Zollpflichtigen Vereinbarungen über die Veranlagung
BGE 124 IV 23 S. 26
der von der Zollverwaltung zu erhebenden Abgaben und das Zollverfahren treffen (
Art. 72a ZG
). Eine solche Vereinbarung wurde am 14. Juli 1993 mit der Firma T., Kreuzlingen, abgeschlossen. Danach ist letztere berechtigt, unter anderem beim Zollamt Thayngen Waren im EDV-Verfahren zur Einfuhrverzollung anzumelden. Bei diesem Verfahren erfasst der Deklarant die Daten für die Einfuhrdeklaration mit dem Spediteur-Computer und führt eine Plausibilitätsprüfung durch. Danach übermittelt er die Einfuhrdeklaration dem EDV-System des Zollamtes (Art. 5 Abs. 1 der Vereinbarung). Der Zollcomputer führt eine zweite Plausibilitätsprüfung durch. Beanstandungen gibt er, unter Löschung der Einfuhrdeklaration, an den Spediteurcomputer zurück. Solche Deklarationen sind im Spediteurcomputer zu berichtigen und neu zu übermitteln (Abs. 2). Einfuhrdeklarationen, die der Zollcomputer ohne Beanstandung übernimmt, gelten als zollamtlich angenommen im Sinne von
Art. 35 ZG
. Sie sind, selbst wenn sie mit den Begleitpapieren nicht übereinstimmen bzw. ungenügende, zweideutige oder nicht tarifmässige Angaben enthalten, für die Firma T. verbindlich (Abs. 3).
Die Zollämter können unter anderem zur Zollbehandlung angemeldete Waren umfassend oder durch Stichproben prüfen oder die Abfertigung auf Grund der Deklaration vornehmen (
Art. 36 Abs. 1 ZG
).
b) Der Beschwerdeführer rügt, durch die erwähnte Vereinbarung werde die Verantwortung des Deklaranten gegenüber den Vorschriften der Zollgesetzgebung erheblich erweitert, denn eine Verbesserungsmöglichkeit, wie sie dort ausdrücklich vorgesehen sei, bestehe nicht mehr. Schon ein geringfügiger Fehler bei der Handhabung des Computers - ja sogar ein blosser Tipfehler - könne demnach zur Strafbarkeit des Deklaranten führen.
Demgegenüber führt die Beschwerdegegnerin aus,
Art. 34 ZG
bezwecke nicht, den Deklaranten von seiner in
Art. 29 ZG
umschriebenen Sorgfaltspflicht bzw. von der entsprechenden strafrechtlichen Verantwortung zu entlasten, und beeinträchtige das Selbstdeklarationsprinzip nicht. Die formelle Überprüfung der Deklaration und der Begleitpapiere erfolgten vielmehr im Interesse der Abgabensicherheit. Werde in diesem Verfahrensabschnitt, also noch vor der Annahme und Verbindlichkeit der Deklaration, eine Unstimmigkeit entdeckt, gebiete
Art. 34 Abs. 3 ZG
die Rückweisung der Deklaration zwecks Verbesserung. Gemäss
Art. 142 Abs. 2 ZG
sowie der Verordnung vom 9. Mai 1990 über Vereinfachungen im Zollverfahren
BGE 124 IV 23 S. 27
(SR 631.281) könne in bestimmten Fällen auf die formelle Überprüfung der Zolldeklaration verzichtet werden. In diesen Fällen könne
Art. 34 Abs. 3 ZG
keine Anwendung finden (Art. 2 Abs. 3 der Verordnung). Ähnlich verhalte es sich bei den EDV-Verfahren, die sich auf
Art. 72a ZG
abstützten. Zwar werde in diesen Verfahren auf eine Überprüfung in der Phase vor der Annahme und Verbindlichkeit der Deklaration nicht vollständig verzichtet; die formelle Überprüfung gemäss
Art. 34 Abs. 2 ZG
werde hier durch den erwähnten Plausibilitätstest ersetzt, der bloss gewisse Unstimmigkeiten innerhalb der Deklaration (z.B. Missverhältnis zwischen Warenmenge und -wert) zum Vorschein bringen könne. Dementsprechend könne und müsse eine Rückweisung nur dann erfolgen, wenn im Rahmen der Plausibilitätskontrolle ein Fehler entdeckt werde. In Anbetracht von
Art. 77 MWSTV
, der ohne Unterscheidung des gewählten Verfahrens die fahrlässige Hinterziehung oder Gefährdung der Einfuhrsteuer durch eine unrichtige Wertdeklaration unter Strafe stelle, könnten im EDV-Verfahren hinsichtlich der Sorgfaltspflicht des Deklaranten keine weniger strengen Massstäbe gelten als im herkömmlichen Verfahren.
c) Bei der Beantwortung der Frage, ob die auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkte Überprüfung der Deklaration durch den Computer die strafrechtliche Verantwortung des Deklaranten gesetzwidrig ausdehne, kommt es entscheidend auf die Rolle des Deklaranten beim Zollverfahren (
Art. 29 ff. ZG
) an. Bereits die Botschaft des Bundesrats zum Zollgesetz hält diesbezüglich fest, es gehöre zur innern Struktur des Zollwesens, dass der Zollkontrollpflichtige unter eigener Verantwortlichkeit bei der Veranlagung mitzuwirken habe; die Sicherung des Zolles mache das unbedingt notwendig, und das Zollstrafrecht, die nachdrücklichste Sicherungsmassnahme, sei auf dieser Grundforderung aufgebaut (BBl 1924 I 36). Der Berichterstatter im Ständerat betonte beim Zweck des Zollverfahrens, dass mit grösster Sicherheit auf jeder Ware der entsprechende Zoll erhoben werde. Das Zollverfahren sei grundsätzlich ein Parteiverfahren. Weiter verwies er auf die Praxis, wonach bloss ein verhältnismässig kleiner Prozentsatz sämtlicher Waren genau revidiert und der grösste Teil der Waren gestützt auf die Deklaration verzollt werde (Sten.Bull. 1924 S 142). In letzterem Sinn äusserte sich auch der Berichterstatter des Nationalrats. Beim Zollverfahren habe man unter anderem auch auf die Bedürfnisse des Handels Rücksicht genommen und darauf geachtet, dass - soweit es mit der Sicherheit in der Erfüllung der Zollpflicht vereinbar sei -
BGE 124 IV 23 S. 28
der Verkehr so wenig wie möglich gehemmt werde (Sten.Bull. 1925 N 73). Auch in der Literatur wird das gemischte Veranlagungsverhältnis der gesetzlichen Regelung betont, die zur Erleichterung und Ermöglichung der Zollveranlagung beim Zollpflichtigen notwendigerweise eine loyale Mitwirkung voraussetze und diese durch entsprechende Strafbestimmungen zu erzwingen suche (ERNST BLUMENSTEIN, Grundzüge des schweizerischen Zollrechts, Bern 1931, S. 56 und 73 ff.; ALFONS VOLKEN, Die Zollmeldepflicht nach schweizerischem Recht, Diss. Freiburg 1954, S. 52 ff. und 97).
Aus diesen Stellungnahmen werden die Ziele einer möglichst raschen Zollabfertigung im Interesse des Handels einerseits und einer umfassenden Sicherung der Zollabgaben im Interesse des Bundes anderseits deutlich. Zudem wird klar, dass das Ziel der Abgabensicherung nicht zugunsten eines rascheren Warenverkehrs aufgegeben werden darf. Die beiden Zielsetzungen sind miteinander nur vereinbar, wenn die Einschränkung der Zollkontrollen durch eine erhöhte Verantwortung der Deklaranten aufgewogen wird. Dabei steht das Ausmass der Verantwortung des Deklaranten im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Intensität der Kontrollen durch die Zollorgane. Mit anderen Worten wächst die Verantwortung des Deklaranten bezüglich seiner Angaben, je weniger engmaschig die Kontrollen ausgestaltet sind. Schliesslich bezwecken die strafrechtlichen Bestimmungen, dass die Deklaranten im Zollverfahren pflichtgetreu mitwirken.
Im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren, in dem die Zolldeklaration auf ihre formelle Richtigkeit und Vollständigkeit sowie die Übereinstimmung mit den Begleitpapieren überprüft wird, erfolgt im EDV-Verfahren lediglich eine Plausibilitätsprüfung im Spediteur- und Zollcomputer (E. 2a). Diese eingeschränkte Prüfung führt dazu, dass im Verhältnis zum ordentlichen Verfahren im EDV-Verfahren weniger Deklarationen zur Berichtigung an den Deklaranten zurückgewiesen werden. Insoweit ist mit dem Beschwerdeführer von einer Ausweitung der Strafbarkeit auszugehen, weil in der Plausibilitätskontrolle weniger Falschdeklarationen hängenbleiben, diese damit für den Deklaranten verbindlich werden und allenfalls strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Wie in den obigen Absätzen aufgezeigt, ist diese Rechtsfolge durch das Zollgesetz und insbesondere
Art. 72a ZG
abgestützt, handelt es sich doch beim EDV-Verfahren um nichts anderes als um eine Einschränkung der Kontrollen des ordentlichen Zollverfahrens, die durch die erhöhte Verantwortung des Deklaranten aufgewogen wird. Könnte er sich
BGE 124 IV 23 S. 29
pflichtwidrig dieser Verantwortung entziehen, ohne strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen, wäre entgegen der Absicht des Gesetzgebers das Ziel der Abgabensicherung in Frage gestellt. Von einer fehlenden gesetzlichen Grundlage angesichts der "Ausweitung der strafrechtlichen Verantwortung" beziehungsweise einer Ungleichbehandlung von Deklarationsversehen im manuellen und im EDV-Verfahren kann somit keine Rede sein. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers genügt
Art. 72a ZG
als gesetzliche Grundlage für die vertragliche Abmachung (E. 2a Abs. 2), hält diese Bestimmung doch ausdrücklich fest, dass durch solche Vereinbarungen der Abgabenertrag nicht geschmälert werden dürfe. Zur Sicherung dieses Ziels gibt es - wie dargelegt - die strafrechtlichen Zwangsmittel.
Im übrigen ist noch auf die Verordnung über die Vereinfachung im Zollverfahren vom 9. Mai 1990 hinzuweisen, wonach je nach den Umständen und Bedürfnissen ganz oder teilweise auf die formelle Überprüfung der Zolldeklaration (
Art. 34 ZG
) verzichtet werden kann (Art. 1 und 2 der Verordnung). Dabei hält die Verordnung ausdrücklich fest, dass vom Zollamt ohne formelle Prüfung angenommene Zolldeklarationen für den Aussteller verbindlich sind und bei Widerhandlungen die einschlägigen Strafbestimmungen gelten (Art. 3). Kann somit selbst eine Zolldeklaration ohne jegliche Prüfung seitens der Zollorgane strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, muss das erst recht für eine Deklaration im EDV-Verfahren gelten, weil hier doch immerhin eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen wird. Auffallend ist auch hier, dass der Gesetzgeber (
Art. 72a und 142 Abs. 2 ZG
) Vereinfachungen im Zollverfahren nur zulässt, wenn der Abgabenbetrag nicht geschmälert wird (vgl. auch BBl 1972 II 233).
3.
a) Der Beschwerdeführer rügt, der objektive Tatbestand von
Art. 77 MWSTV
sei ohnehin nicht erfüllt, weil von einer Gefährdung der Steuer durch das Versehen des Beschwerdeführers keine Rede sein könne. Gemäss
Art. 68 MWSTV
i.V.m.
Art. 13 ZG
seien sowohl der Spediteur als auch der Warenempfänger zollzahlungspflichtig und solidarisch für die Abgabe haftbar. Deshalb spiele der Vorsteuerabzug für die Frage der Gefährdung der Abgabe eine entscheidende Rolle; gleiches gelte auch für die vom Spediteur gemäss
Art. 65 ff. ZG
zu leistende Sicherheit, welche auch zum Tragen komme, wenn eine Belegrevision aufgrund eines Deklarationsversehens eine zu tiefe Abgabe aufdecke. Weil mit der Annahme der Deklaration auch feststehe, ob der Warenempfänger vorsteuerabzugsberechtigt
BGE 124 IV 23 S. 30
sei, komme es damit in keinem Fall zu einer regelmässig erhöhten Gefährdung des Steuerbetreffnisses und damit des geschützten Rechtsgutes.
b) Gemäss
Art. 41ter BV
hat der Bund die Kompetenz, unter anderem auf Lieferungen von Gegenständen im Inland sowie auf Einfuhren eine Umsatzsteuer zu erheben. Entsprechend regelt die Mehrwertsteuerverordnung in den Art. 4-64 die Steuer auf den Umsätzen im Inland und in den Art. 65-80 diejenige auf den Einfuhren von Gegenständen (
Art. 1 MWSTV
). Die Art. 60-64 und 77-80 enthalten die Strafbestimmungen.
Bereits die Systematik dieser Bestimmungen zeigt, dass es sich um zwei verschiedene - wenn auch gleichartige - Steuern handelt, zu deren Sicherung je eigene Strafnormen aufgestellt worden sind. Aufgrund der gesonderten Regelung der Strafbestimmungen ist zu schliessen, dass es sich bei der Steuer auf den Umsätzen im Inland und derjenigen auf den Einfuhren von Gegenständen um zwei verschiedene Rechtsgüter handelt. Da die vorliegend zur Diskussion stehende Tatbestandsvariante des
Art. 77 MWSTV
als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist, stellt sich somit bloss die Frage, ob unrichtige Angaben eines Deklaranten regelmässig eine erhöhte Gefährdung der richtigerweise geschuldeten Einfuhrsteuer bewirken. Der Hinweis des Beschwerdeführers, dass auch der Warenempfänger einfuhrsteuerpflichtig sei, geht an der Sache vorbei. Denn dessen Steuerpflicht ändert nichts an der Tatsache, dass aufgrund der unrichtigen Deklaration der Einfuhrsteuerbetrag zu tief berechnet wird. Die Vorinstanz hält in diesem Zusammenhang fest, dass 30 bis 50 Prozent aller im EDV-Verfahren akzeptierten Deklarationen ohne jede weitere Prüfung verbindlich werden. Ausgehend von dieser Feststellung (
Art. 277bis BStP
) ist anzunehmen, dass eine zu tiefe Deklarierung des Warenwertes regelmässig eine erhöhte Gefährdung der Einfuhrsteuer bewirkt. Da der Beschwerdeführer einen zu geringen Warenwert deklarierte, erachtete die Vorinstanz den objektiven Tatbestand des
Art. 77 MWSTV
zu Recht als gegeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bei eingeführten Waren, die anschliessend der Umsatzsteuer im Inland unterliegen, diese Steuer faktisch als Sicherung der Einfuhrsteuer angesehen werden kann. Wollte man der Auffassung des Beschwerdeführers folgen, so hätte der Gesetzgeber bestimmen müssen, dass die Strafbestimmungen der Steuer auf der Einfuhr (
Art. 77-80 MWSTV
) nicht anwendbar sind, wenn auf eingeführten Waren die Steuer auf dem Umsatz im Inland vollständig entrichtet worden ist. Eine solche
BGE 124 IV 23 S. 31
Bestimmung gibt es indessen nicht. Inwiefern nach Auffassung des Beschwerdeführers die Sicherstellung gemäss
Art. 65 ff. ZG
eine Gefährdung der Einfuhrsteuer bei unrichtiger Deklaration verhindern könnte, ist nicht nachvollziehbar; wenn der Plausibilitätstest die Falschdeklaration nicht entdeckt, kommt es bereits zu einer Gefährdung der Einfuhrsteuer, und zudem gibt es dann auch keinen Grund, eine Sicherstellung zu veranlassen (
Art. 65 ff. ZG
).
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der subjektive Tatbestand von
Art. 77 MWSTV
sei nicht erfüllt, weil dieser Bestimmung Ziff. 43 der Anlage B.1 des Kyoto-Abkommens vorgehe, wonach nur grobfahrlässiges Handeln strafbar sei.
Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin verneinen die unmittelbare Anwendbarkeit der angerufenen Bestimmung.
a) Ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag wird mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden für die Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlich; er erlangt zusammen mit der völkerrechtlichen auch landesrechtliche Wirkung. Er kann vom Bürger vor Gericht angerufen bzw. von den Behörden als Grundlage einer Entscheidung herangezogen werden, wenn er unmittelbar anwendbar (self-executing) ist. Dies setzt voraus, dass die angerufene staatsvertragliche Regelung inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides bilden zu können. Die erforderliche Bestimmtheit geht vor allem blossen Programmartikeln ab. Sie fehlt auch Bestimmungen, die eine Materie nur in Umrissen regeln, dem Vertragsstaat einen beträchtlichen Ermessens- oder Entscheidungsspielraum lassen oder blosse Leitgedanken enthalten, sich also nicht an die Verwaltungs- oder Justizbehörden, sondern an den Gesetzgeber richten (
BGE 122 II 234
E. 4a;
BGE 120 Ia 1
E. 5b mit Hinweisen).
b) Das Internationale Übereinkommen zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahren vom 18. Mai 1973 (Kyoto-Abkommen; SR 0.631.20) trat für die Schweiz am 13. Juli 1977 in Kraft. Nach dessen Art. 2 verpflichtet sich jede Vertragspartei, die Vereinfachung und die Harmonisierung der Zollverfahren zu fördern und sich zu diesem Zweck unter den in diesem Übereinkommen vorgesehenen Bedingungen nach den Normen und empfohlenen Praktiken in den Anlagen zu diesem Übereinkommen zu richten.
Die Anlage B.1 über die Abfertigung zum freien Verkehr ist von der Schweiz ohne Vorbehalte angenommen worden. Ziff. 43 der Anlage B.1 lautet wie folgt: "Stellen die Zollbehörden fest, dass auf
BGE 124 IV 23 S. 32
Grund von Fehlern in der Zolldeklaration Nachforderungen an Eingangsabgaben erforderlich werden, weitere Belege vorzulegen oder weitere Rechtsvorschriften anzuwenden sind, und ist nicht erwiesen, dass eine absichtliche Rechtsverletzung vorliegt, so unterrichten die Zollbehörden unverzüglich den Zollmeldepflichtigen. Sind sie überzeugt, dass es sich um unbeabsichtigte Fehler handelt und dass keine grobe Fahrlässigkeit von seiten des Zollmeldepflichtigen vorliegt, so gestatten sie ihm, die Zolldeklaration zu berichtigen und die erforderlichen zusätzlichen Formalitäten zu erfüllen, ohne ihn zu bestrafen."
Die Anlage H.2 (SR 0.632.20, S. 9), die von der Schweiz nicht ratifiziert worden ist, regelt die Zollzuwiderhandlungen. Gemäss Ziff. 23 legen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Strafen oder Bussen für die einzelnen Gruppen von Zollzuwiderhandlungen, die im Verwaltungswege erledigt werden können, fest und bestimmen die für die Festsetzung der Strafen oder Bussen zuständigen Zollbehörden. Irrtümer (d.h. Fehlen der betrügerischen Absicht) in der Zollanmeldung oder bei der Erfüllung anderer Zollförmlichkeiten sollten nicht geahndet werden, wenn grobe Fahrlässigkeit auszuschliessen ist und der zu wenig entrichtete oder zu Unrecht erstattete Betrag an Eingangs- oder Ausgangsabgaben oder an inneren Abgaben nicht die von den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Grenze überschreitet (Ziff. 25).
c) Bereits der Wortlaut des Art. 2 des Kyoto-Übereinkommens, wonach sich die Vertragsparteien verpflichten, sich nach den Normen und empfohlenen Praktiken "zu richten", aber auch die Abfassung der Anlage B.1 insgesamt deuten darauf hin, dass die Regeln dem Vertragsstaat einen beträchtlichen Ermessens- und Entscheidungsspielraum einräumen. Ein Vergleich mit der Anlage H.2 macht schliesslich klar, dass die vom Beschwerdeführer angerufene Bestimmung keinen self-executing-Charakter besitzt. Während die Anlage B.1 die Abfertigung zum freien Verkehr zum Gegenstand hat, befasst sich die Anlage H.2 mit den Zollzuwiderhandlungen. Nur schon von daher wäre es systemwidrig, zur Regelung von Zollzuwiderhandlungen trotz entsprechender Bestimmungen in der Anlage H.2 eine solche aus der Anlage B.1 heranzuziehen. Gemäss Ziff. 23 der Anlage H.2 ist es Sache der einzelnen Vertragsstaaten, für Zollzuwiderhandlungen Strafen und Bussen aufzustellen. Die Ziff. 25 derselben Anlage, wonach Fehler in der Zollanmeldung oder bei der Erfüllung anderer Zollförmlichkeiten nicht strafbar sind, soweit sie nicht mindestens grobfahrlässig begangen
BGE 124 IV 23 S. 33
wurden, enthält drei Einschränkungen. Erstens handelt es sich bei dieser Bestimmung bloss um eine empfohlene Praktik (siehe Randtitel). Zweitens bringt auch der Wortlaut "sollten nicht geahndet werden" klar zum Ausdruck, dass es sich nur um eine unverbindliche Anregung handelt, und drittens wird die Straflosigkeit noch an die Bedingung geknüpft, dass der gefährdete Abgabenbetrag eine vom innerstaatlichen Recht bestimmte Höhe nicht überschreitet. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie Ziff. 43 der Anlage B.1 zum Kyoto-Übereinkommen den self-executing-Charakter absprach.
5.
Zusammenfassend hat die Vorinstanz somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie den Beschwerdeführer wegen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Mehrwertsteuer mit Fr. 240.-- büsste. Dies führt zur kostenpflichtigen Abweisung der Beschwerde (
Art. 278 Abs. 1 BStP
). | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d800d061-07b0-4327-be2e-595fb4b734ed | Urteilskopf
113 V 17
4. Extrait de l'arrêt du 25 février 1987 dans la cause G. contre Caisse cantonale vaudoise de compensation et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 20 IVG
und
Art. 36 Abs. 3 lit. d IVV
: Anspruch auf Pflegebeitrag für leichte Hilflosigkeit. Erfüllt ein hilfloser Minderjähriger die Voraussetzungen des
Art. 36 Abs. 3 lit. d IVV
, hat er Anspruch auf einen Pflegebeitrag für leichte Hilflosigkeit. Insoweit die Randziffer 344 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung über Invalidität und Hilflosigkeit (gültig seit dem 1. Januar 1985) darauf abzielt, den Anspruch auf den Beitrag in diesem Falle zu verneinen, ist sie gesetzwidrig.
Art. 20 und 41 IVG
,
Art. 87 ff. IVV
: Revision des Pflegebeitrags.
Art. 41 IVG
und 87 ff. IVV sind analog anzuwenden bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen einer Revision des Pflegebeitrags für hilflose Minderjährige erfüllt sind. | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 113 V 17 S. 18
A.-
L'assuré, né en 1972, souffre d'une surdité profonde. Le 9 avril 1981, il a été mis au bénéfice, entre autres prestations de l'assurance-invalidité, d'une contribution aux soins spéciaux pour impotence légère, dès le 1er janvier 1980. Se fondant sur un projet de prononcé de la Commission de l'assurance-invalidité du canton de Vaud du 25 septembre 1984, la Caisse cantonale vaudoise de compensation a notifié à l'assuré une décision, du 7 décembre 1984, par laquelle elle a supprimé cette contribution, avec effet au 1er février 1985.
B.-
Représenté par ses parents, l'assuré a recouru contre cette décision devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud. Celui-ci a complété le dossier par diverses mesures d'instruction, notamment par l'audition du docteur D., médecin-adjoint au service d'oto-rhino-laryngologie du Centre hospitalier universitaire vaudois. Par jugement du 2 décembre 1985, il a rejeté le recours dont il était saisi.
C.-
L'assuré, au nom de qui agissent ses parents, interjette recours de droit administratif contre ce jugement, dont il demande l'annulation, ainsi que celle de la décision administrative du 7 décembre 1984.
La caisse intimée renonce à se déterminer sur le recours. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) propose de le rejeter.
D.-
En cours de procédure, le juge délégué à l'instruction de la cause a requis des informations de l'OFAS sur sa pratique relative au droit des mineurs impotents à la contribution aux soins spéciaux, dans l'éventualité d'une impotence légère; ledit office a répondu par lettre du 24 décembre 1986 et le recourant a été invité à se déterminer à son sujet.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
...
a) La condition essentielle pour qu'un assuré puisse prétendre une contribution aux soins pour mineur impotent est l'existence d'une impotence (
art. 20 LAI
et 13 RAI). Pour évaluer l'impotence des assurés mineurs, on applique par analogie les règles valables pour l'impotence des adultes selon les
art. 42 al. 2 LAI
et 36 RAI. D'après la première de ces dispositions est considéré comme impotent l'assuré qui, en raison de son invalidité, a besoin de façon permanente de l'aide d'autrui ou d'une surveillance personnelle pour accomplir les actes ordinaires de la vie. Selon la jurisprudence
BGE 113 V 17 S. 19
(
ATF 107 V 136
et 145), il faut considérer comme déterminants les six actes ordinaires suivants:
1. Se vêtir et se dévêtir;
2. Se lever, s'asseoir, se coucher;
3. Manger;
4. Faire sa toilette (soins du corps);
5. Aller aux W.-C.;
6. Se déplacer à l'intérieur ou à l'extérieur, établir des contacts.
Selon l'
art. 36 al. 3 RAI
, l'impotence est de faible degré si l'assuré, même avec des moyens auxiliaires, a besoin:
a. De façon régulière et importante, de l'aide d'autrui pour accomplir au moins deux actes ordinaires de la vie ou
b. D'une surveillance personnelle permanente ou
c. De façon permanente, de soins particulièrement astreignants, exigés par l'infirmité de l'assuré, ou
d. Lorsqu'en raison d'une grave atteinte des organes sensoriels ou
d'une grave infirmité corporelle, il ne peut entretenir des contacts sociaux avec son entourage que grâce à d'importants services fournis de façon régulière par des tiers.
Selon la jurisprudence, l'application par analogie des
art. 42 al. 2 LAI
et 36 RAI à l'évaluation de l'impotence des mineurs n'exclut pas la prise en considération de circonstances spéciales, telles qu'elles peuvent apparaître chez les enfants et les jeunes gens. Ce qui est toutefois déterminant, c'est le supplément d'aide et de surveillance par rapport à ce qui est nécessaire dans le cas d'un mineur non invalide du même âge que l'intéressé. A cet égard, un large pouvoir d'appréciation doit être réservé à l'administration, pour autant que les faits aient été suffisamment établis. En outre, le degré d'impotence doit être déterminé non seulement selon des critères quantitatifs, en considérant le temps consacré aux soins et à la surveillance, mais aussi en tenant compte du genre de ceux-ci et de l'étendue des frais supplémentaires. Ainsi, du moment que l'évaluation de l'impotence dépend de critères différents, on ne saurait affirmer, de manière abstraite, qu'à une affection donnée correspond nécessairement un certain degré d'impotence (sur ces divers points, voir RCC 1986 p. 505 consid. 2a non reproduit aux
ATF 111 V 207
).
b) En 1981, ainsi que cela ressort d'un rapport établi le 3 février de la même année par Pro Infirmis, l'assuré, alors âgé de huit ans, a été mis au bénéfice d'une contribution aux soins spéciaux pour
BGE 113 V 17 S. 20
impotence légère, en raison, principalement, des difficultés qu'il avait d'établir des contacts avec l'extérieur, ainsi que de se faire comprendre par son entourage (
art. 36 al. 3 let
. d RAI); il a été tenu compte des nombreuses heures que sa mère lui consacrait tous les jours pour l'aider à surmonter son handicap.
A l'appui de son projet de prononcé du 25 septembre 1984, la Commission de l'assurance-invalidité a considéré, notamment, que "l'assurance ne reconnaît pas une impotence de degré faible aux mineurs présentant une atteinte grave des organes sensoriels". A cet égard, les directives de l'OFAS concernant l'invalidité et l'impotence (DII), valables depuis le 1er janvier 1985, prévoient que le droit à la contribution aux soins est exclu en cas "d'infirmité grave", c'est-à-dire dans l'éventualité d'une impotence légère au sens de l'
art. 36 al. 3 let
. d RAI (ch. 344 in fine).
En réponse à la demande du juge délégué, l'OFAS a motivé de la manière suivante les raisons qui l'ont amené à adopter cette pratique administrative:
"Nous sommes partis de l'idée que l'acte "entretenir des contacts sociaux avec l'entourage" revêtait une grande importance chez les assurés majeurs alors que chez les assurés mineurs, cet acte était moins important, demandait donc moins d'aide. En effet, les enfants établissent très rapidement des contacts et l'enfant qui souffre d'une grave atteinte des organes sensoriels arrive à entretenir des contacts avec son entourage plus facilement que les adultes. En outre, et surtout, les frais liés à l'établissement des contacts sont certainement beaucoup moins élevés chez les enfants que chez les adultes."
Cette pratique restrictive n'a cependant son fondement ni dans la loi ni dans son ordonnance d'exécution: si les exigences fixées par l'
art. 36 al. 3 let
. d RAI sont remplies, cela donne droit à une allocation pour impotence de faible degré même si les conditions alternatives énumérées à l'art. 36 al. 3 let. a à c RAI ne sont pas réalisées (
ATF 107 V 33
consid. 2). Dans la mesure où, ainsi qu'on l'a vu, cette réglementation doit être transposée aux cas des mineurs impotents, il n'existe aucune raison juridiquement pertinente d'opérer une distinction en fonction de l'âge de l'assuré. D'ailleurs, si l'on se rapporte aux motifs qui ont conduit le Conseil fédéral à adopter l'
art. 36 al. 3 let
. d RAI (RCC 1978 p. 164), il n'apparaît nullement que l'autorité exécutive ait eu la volonté de limiter le droit des assurés mineurs dans le sens préconisé par l'OFAS.
Quant à l'argumentation susmentionnée de l'OFAS, elle n'apparaît pas décisive. En particulier, l'expérience générale ne
BGE 113 V 17 S. 21
démontre pas que l'intensité du besoin des enfants d'entretenir des contacts sociaux avec leur entourage et la société en général est moins forte que celle qui prévaut chez les adultes.
Ainsi donc, dans la mesure où la directive administrative précitée établit une norme qui n'est pas conforme aux dispositions légales et réglementaires, il n'y a pas lieu de l'appliquer en l'occurrence (
ATF 112 V 241
et la jurisprudence citée).
c) Cela étant, la suppression du droit du recourant à la contribution en cause ne se justifierait que s'il était établi que l'impotence de ce dernier se fût modifiée de manière à influencer son droit. En effet, pour déterminer si les conditions de la suppression de la contribution aux soins spéciaux allouée à un mineur impotent sont réalisées, il y a lieu, conformément à l'
art. 86 RAI
(cf. également
art. 35 al. 3 RAI
), de se référer par analogie aux
art. 41 LAI
et 87 ss RAI (dans le même sens: VALTERIO, Droit et pratique de l'assurance-invalidité, p. 154; ch. 348 et 349 DII). Dès lors, si le degré d'impotence d'un bénéficiaire se modifie de manière à influencer le droit à la contribution aux soins spéciaux, celle-ci est pour l'avenir augmentée, réduite ou supprimée. Tout changement important des circonstances propre à influencer le degré d'impotence peut donner lieu à révision du droit à la contribution. Le point de savoir si un tel changement s'est produit doit être tranché en comparant les faits tels qu'ils se présentaient au moment de la décision initiale et les circonstances prévalant à l'époque de la décision litigieuse (voir, par analogie,
ATF 109 V 265
consid. 4a,
ATF 106 V 87
consid. 1a,
ATF 105 V 30
).
En l'espèce, les premiers juges - qui se sont placés à juste titre sur le seul terrain de la révision - ont estimé que les conditions d'une telle révision étaient réunies, considérant que "le surcroît d'aide que doivent fournir les proches du recourant a diminué au fil des années et, surtout, depuis le moment où l'intéressé est entré à l'Ecole Nouvelle de P. (1984), de sorte qu'une impotence même de faible degré n'existe plus".
Ce point de vue - qui n'est pas vraiment motivé et qui n'est étayé par aucun avis médical - ne saurait, sans autre examen, être partagé. D'ailleurs, il paraît être infirmé par les déclarations faites en procédure cantonale par le docteur D., qui a souligné la relative importance des services fournis par des tiers à l'assuré, notamment des parents de celui-ci et d'une logopédiste. Au demeurant, s'il n'est pas exclu que l'importance de ces soins ait diminué avec le temps, cela ne signifie pas forcément que le degré d'impotence se
BGE 113 V 17 S. 22
soit modifié dans une mesure suffisante pour justifier la suppression des prestations en cours.
Dans ces circonstances, il est préférable de renvoyer la cause à l'administration pour qu'elle procède à une instruction complémentaire sur le point de savoir si et dans quelle mesure le recourant continue à avoir besoin d'une aide extérieure au sens de l'
art. 36 al. 3 let
. d RAI. Si elle parvient à la conclusion que l'état de fait décrit par cette disposition n'est plus réalisé, elle rendra une nouvelle décision de suppression. Dans le cas contraire, elle fixera le montant de la contribution à laquelle l'assuré peut prétendre. | null | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d80439b7-165e-4c5a-a3fb-a334aa29a9e7 | Urteilskopf
89 II 304
41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1963 i.S. Bizzozzero gegen Sigrist. | Regeste
Bauhandwerkerpfandrecht. Rückweisung der binnen angesetzter Frist angehobenen Klage wegen eines prozessualen Fehlers. Analoge Anwendung von
Art. 139 OR
.
1. Die Frist des
Art. 839 Abs. 2 ZGB
kann nicht verlängert, jedoch durch vorläufige Eintragung gewahrt werden (Erw. 3).
2. Wird hierauf die Klage binnen der vom Richter angesetzten Frist (
Art. 961 Abs. 3 ZGB
) angehoben, jedoch wegen eines (im Vermittlungsverfahren oder bei der nachfolgenden Einreichung der Klage an das Gericht) unterlaufenen prozessualen Fehlers zurückgewiesen, so steht dem Kläger eine Nachfrist analog
Art. 139 OR
zu (Erw. 4-7). | Sachverhalt
ab Seite 304
BGE 89 II 304 S. 304
A.-
Renato Bizzozzero, wohnhaft in Lugano, liess in Celerina zwei Ferienhäuser bauen. Die Ausführung der Unterlageböden für Korridore, Treppen und Zimmer in Parkett und Colovynil war dem Handwerksmeister Alfred Sigrist übertragen. Es kam zu Meinungsverschiedenheiten über die ihm zustehende Forderung. Sigrist erlangte auf Anordnung des Kreisamtes Oberengadin am 21. April 1960 die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts (Vormerkung) für eine Forderung von Fr. 13'525.25 bis zehn Tage nach rechtskräftiger Beurteilung der Sache. Zur
BGE 89 II 304 S. 305
Anhebung der Klage setzte das Kreisamt dem Gesuchsteller Sigrist Frist bis zum 15. Juni, später verlängert bis zum 15. Juli 1960, "mit der Wirkung, dass die Vormerkung erlischt, wenn die Frist nicht eingehalten wird".
B.-
Binnen dieser Frist leitete Sigrist das Vermittlungsverfahren ein. Am 6. Oktober 1960 erhielt er den Leitschein und hatte nun nach Art. 96 der kantonalen ZPO "innert der peremptorischen Frist von 20 Tagen" dem Präsidenten des Bezirksgerichts Maloja "den Leitschein und eine Prozesseingabe einzureichen". Die Klageschrift gab er denn auch am letzten Tag dieser Frist zur Post. Aus Versehen war ihr aber der Leitschein nicht beigelegt worden. Dessen Nachsendung, die zwei Tage später erfolgte, vermochte die Klageanhebung nicht gültig zu machen. Der Präsident des Bezirksgerichts schrieb die Klage gemäss Art. 97 der ZPO ab, und eine vom Kläger dagegen geführte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden wies sie am 16. Januar 1961 ab und teilte diesen Entscheid den Parteien am 31. Januar 1961 mit.
C.-
Am 17. Februar 1961 leitete der Kläger ein zweites Vermittlungsverfahren ein und gab dem neuen Leitschein die gesetzliche Folge, indem er ihn samt der Klageschrift vom 24. Juni 1961 binnen der vorgeschriebenen Frist einreichte. Mit Urteil vom 1./12. Dezember 1962 erklärte sich das Bezirksgericht Maloja indessen als unzuständig, weil der Kläger den Pfandrechtsanspruch durch jene fehlerhafte erste Klageeinreichung verwirkt habe und die allein noch zu beurteilende Forderung nicht am Orte der gelegenen Sache, sondern am Wohnsitz des Beklagten, in Lugano, gerichtlich geltend zu machen sei.
D.-
Auf Beschwerde des Klägers hob der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden dieses Urteil am 23. März 1963 auf und wies die Sache zu materieller Behandlung und Beurteilung an das Bezirksgericht Maloja zurück. Der Kantonsgerichtsausschuss betrachtet das dem Kläger im ersten Verfahren unterlaufene Versehen, das zur uneinlässlichen Ablehnung jener ersten Klage führte, als
BGE 89 II 304 S. 306
verbesserlichen Fehler, so dass dem Kläger die Nachfrist des
Art. 139 OR
zur neuen Klageerhebung zugute kommen müsse, die er denn auch in einwandfreier Weise benutzt habe.
E.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Berufung des Beklagten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./2.- (Prozessuales).
3.
Nach
Art. 839 Abs. 2 ZGB
muss das Pfandrecht der Handwerker und Unternehmer spätestens drei Monate nach Vollendung ihrer Arbeit eingetragen sein. Der Kläger hat binnen dieser Frist die Vormerkung einer vorläufigen Eintragung seines Pfandrechts erlangt. Nach Ansicht der Vorinstanz bewirkte das Gesuch um Bewilligung der Vormerkung wie auch dessen Gutheissung durch den Kreispräsidenten "eine Suspension im Sinne einer Verlängerung der dreimonatigen Frist für die definitive Eintragung bis zehn Tage über die Erledigung der Streitsache vor dem ordentlichen Zivilrichter hinaus". Mit Recht lässt der Beklagte dies nicht gelten. Die Dreimonatsfrist des
Art. 839 Abs. 2 ZGB
ist eine Verwirkungsfrist, die sich nicht verlängern lässt. Ihr Zweck besteht im Schutz Dritter (namentlich eines Erwerbers), um deretwillen drei Monate nach Vollendung der Bauarbeit Gewissheit über den Stand der Pfandrechte bestehen muss (vgl.
BGE 40 II 197
,
BGE 53 II 218
; LEEMANN, N. 9 ff. zu
Art. 839 ZGB
). Gerade deshalb gestattet Art. 22 Abs. 4 der Grundbuchverordnung die vorläufige Eintragung in Gestalt einer Vormerkung, die zur Fristwahrung ebenfalls geeignet ist (vgl.
BGE 39 II 139
,
BGE 66 II 107
,
BGE 83 III 142
). Es geht somit hier nicht mehr um die Wahrung der Frist des
Art. 839 Abs. 2 ZGB
, wozu der Kläger das Erforderliche vorgekehrt hat. Zu entscheiden ist vielmehr, ob die vorläufige Eintragung, deren Fortbestand der Kreispräsident an die-Bedingung einer binnen bestimmter Frist anzuhebenden Klage geknüpft hat, gültig geblieben oder, da die erste
BGE 89 II 304 S. 307
Klage von der Hand gewiesen worden ist, als verwirkt gelten muss, mit der Folge, dass das Bauhandwerkerpfandrecht seinerseits ebenfalls verwirkt ist.
4.
Da die dem Kläger vom Kreispräsidenten angesetzte Klagefrist auf
Art. 961 Abs. 3 ZGB
beruht, ist auch der Begriff der Klageanhebung im bundesrechtlichen Sinne zu verstehen. Nach ständiger Rechtsprechung hat sie in gültiger Weise stattgefunden durch Einleitung des Vermittlungsverfahrens, das nach der kantonalen Prozessordnung mit dem anschliessenden Verfahren vor dem Gericht organisch verbunden ist (vgl.
BGE 74 II 14
,
BGE 81 II 538
,
BGE 82 II 590
,
BGE 85 II 537
).
5.
Hat der Kläger somit beide bundesrechtlichen Fristen (die gesetzliche des Art. 839 Abs. 2 und die vom Richter bestimmte des
Art. 961 Abs. 3 ZGB
) gewahrt, so führte diese erste Klage dennoch nicht zu einer Sachentscheidung, sondern wurde wegen der fehlerhaften Anbringung beim Gericht (weil der Leitschein nicht ebenfalls binnen der Frist des Art. 96 der kantonalen ZPO beigelegt wurde) abgeschrieben, d.h. von der Hand gewiesen. Ein solches Scheitern der Klage an prozessualen Mängeln zieht zwar nach der bündnerischen ZPO nicht den Untergang des eingeklagten materiellen Anspruchs nach sich. Eine neue Klage ist zulässig, ist jedoch, um vor das Gericht gebracht werden zu können, neuerdings beim Vermittleramt einzuleiten (vgl. R. JÖRGER, Der Leitschein im bündnerischen Zivilprozess, Diss. 1960, S. 41). Da aber eine gemäss
Art. 961 Abs. 3 ZGB
vom Richter befristete Klage vorliegt, war die längst nach Ablauf dieser Frist durch Einleitung eines neuen Vermittlungsverfahrens angehobene zweite Klage nur dann geeignet, den Fortbestand der vorläufigen Eintragung zu sichern, wenn dem Kläger eine Nachfrist entsprechend
Art. 139 OR
zugebilligt wird.
6.
Von der frühern Rechtsprechung abweichend, hat das Bundesgericht in mehreren Entscheidungen diese das Gebiet der Verjährung betreffende Gesetzesnorm sinngemäss auf Verwirkungsfristen, insbesondere auf die Frist des
BGE 89 II 304 S. 308
Art. 308 ZGB
für die Vaterschaftsklage, angewendet. Hat die klagende Partei diese Frist zwar benutzt, jedoch in unrichtiger Weise, sei es durch Anrufung eines unzuständigen Richters oder unter Begehung eines "verbesserlichen" prozessualen Fehlers, und ist die Klage deshalb zurückgewiesen worden, so steht ihr die Nachfrist des
Art. 139 OR
zu neuer, diesmal einwandfreier Klageanhebung zur Verfügung (
BGE 61 II 148
,
BGE 72 II 326
,
BGE 80 II 288
).
Die Zulässigkeit solch analoger Anwendung des
Art. 139 OR
auf Verwirkungsfristen ist freilich umstritten geblieben. Sie wird verneint von C. VAUTIER (Le "délai supplémentaire" de l'art. 139 CO et les délais de péremption, SJZ 47/1951 p. 281 et ss.) wie auch von J.-A. WYSS (La péremption dans le code civil suisse, thèse 1957, p. 131 et ss.), während andere Autoren der neuen Rechtsprechung beistimmen: so TH. GUHL (ZbJV 72 S. 536 und 83 II S. 478), M. GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 221/222), P. NABHOLZ (Verjährung und Verwirkung als Rechtsuntergangsgründe infolge Zeitablaufs, Diss. 1958, S. 128 ff.).
Zu der in Frage stehenden sinngemässen Anwendung des
Art. 139 OR
bestehen zureichende Gründe. Diese Norm will dem Kläger Gelegenheit geben, die unbillige Härte zu vermeiden, die darin liegen würde, dass sein Anspruch der Verjährung anheimfallen müsste, wenn die noch während deren Lauf angehobene Klage aus einem der vom Gesetz erwähnten Gründe zurückgewiesen wird und unterdessen die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Es wäre nicht minder unbillig, einen Anspruch als materiell verwirkt betrachten zu müssen, wenn er binnen der dafür bestehenden Klagefrist geltend gemacht, die Klage aber nach Ablauf der Frist aus einem solchen Grunde zurückgewiesen worden ist. Übrigens räumt C. VAUTIER (a.a.O. S. 274) ein, dass die Gewährung einer Nachfrist dem Charakter einer Verwirkung nicht von vornherein widerspricht und beim Fehlen einer genaueren gesetzlichen Regelung der Verwirkungsfolgen das Vorliegen von Gesetzeslücken angenommen werden
BGE 89 II 304 S. 309
darf. Wenn er dennoch eine "allgemeine" Anwendung des
Art. 139 OR
für unzulässig hält, so namentlich wegen der grossen Verschiedenheit der Verwirkungsfälle (a.a.O. S. 275). Die neue Rechtsprechung bezieht sich nun aber nicht auf Verwirkungsfristen jeder Art, sondern nur auf Klagefristen, und zwar solche des Bundeszivilrechts, für die zweifellos zutrifft, dass ihr Ablauf "ein der Verjährung ähnliches Resultat" bewirkt (vgl. A. VON THUR, Allg. Teil des schweizerischen OR, §
BGE 74 I 2
). In gleichem Sinne bezeichnet E. BLUMENSTEIN (Verwirkung und Ablauf der Befristung, S. 86) die Präklusivbefristung von Rechten als Surrogat der Verjährung. Die analoge Anwendung des
Art. 139 OR
rechtfertigt sich nicht nur für die in
Art. 308 ZGB
befristete Vaterschaftsklage, sondern grundsätzlich auch bei andern Klagebefristungen des Bundeszivilrechts, insbesondere auch bei richterlich bestimmten Klagefristen. Dem steht nicht entgegen, dass Verjährung und Verwirkung wohl zu unterscheiden und nicht durchwegs den gleichen Grundsätzen zu unterstellen sind. Wie schon in
BGE 61 II 156
Erw. 5 f bemerkt wurde, nimmt
Art. 139 OR
unter den Bestimmungen betreffend die Verjährung eine Sonderstellung ein. Er ist von den nur die Verjährung betreffenden Normen über Stillstand und Unterbrechung der Frist unabhängig und lässt sich ohne Widerspruch mit dem Wesen der Verwirkung, speziell mit Sinn und Zweck der Klagefristen, auf diese übertragen. Dass diese Befristungen im wesentlichen öffentlichen Interessen zu dienen haben und sich aus diesem Grunde die analoge Anwendung von
Art. 139 OR
verbiete, wie J.-A. WYSS (a.a.O. S. 133) annimmt, kann nicht zugegeben werden. Manche Klagefrist, so auch die vom Richter nach
Art. 961 Abs. 3 ZGB
bei Bewilligung der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts anzusetzende, dient in erster Linie dem Interesse des Beklagten, nur während einer bestimmten Zeitspanne mit der rechtlichen Geltendmachung des betreffenden Anspruches rechnen zu müssen (vgl. P. NABHOLZ, a.a.O. S. 57). Wenn zudem, da die Einhaltung der
BGE 89 II 304 S. 310
Klagefrist von Amtes wegen nachzuprüfen ist, ein öffentliches Interesse mit in Betracht fällt, so schliesst dies die Zuerkennung einer Nachfrist nicht aus. Das Interesse der Öffentlichkeit, dass eine Klage der betreffenden Art nicht erst später angehoben werde, ist ebenso wie das übereinstimmende Interesse des Beklagten gewahrt, wenn es binnen der Frist zur Klageanhebung kommt. Verzögerungen des Prozessverlaufs, auch wenn sie einer fehlerhaften (aber binnen der Frist erfolgten) Klageanhebung zuzuschreiben sind, brauchen aus dem Gesichtspunkt der erwähnten Interessen nicht notwendig die Unwirksamkeit der Klage nach sich zu ziehen. Wenn WYSS (a.a.O) auf das bei befristeten Klagen bestehende dringende Bedürfnis nach rascher Streiterledigung hinweist, so ist darauf zu erwidern, dass die Klagebefristung keine Gewähr für eine solche Erledigung zu bieten vermag. Das wird in schlagender Weise durch die lange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens bei Behandlung der zweiten Klage des vorliegenden Falles dargetan. Gegenüber den mannigfachen Gründen, die eine Verzögerung des Prozessverlaufes bewirken können, fällt die Zubilligung einer Nachfrist, gemäss oder in analoger Anwendung von
Art. 139 OR
, nicht ins Gewicht. Übrigens liesse sich ein prozessualer Fehler, wie er hier dem Kläger unterlaufen ist, nach andern Prozessgesetzen ohne Abschreibung der Klage, im Rahmen des hängig gewordenen Verfahrens, binnen einer vom Richter dazu eingeräumten Frist beheben. Kommt es statt dessen, wie hier gemäss Art. 97 der ZPO von Graubünden, wegen eines solchen Fehlers zur Abschreibung der Klage, so bietet
Art. 139 OR
von Bundesrechts wegen dem Kläger Gelegenheit. die Folgen überspitzt formalistischer Prozessgrundsätze abzuwenden (vgl.
BGE 86 I 10
oben).
Diese Betrachtungsweise rechtfertigt sich jedenfalls im Bereiche der Klagebefristungen des Bundeszivilrechtes. Wie es sich mit den befristeten Klagen des SchKG verhält (insbesondere mit der Arrestprosequierungsklage des Art. 278 Abs. 2: SchKG, wozu vgl.
BGE 75 III 73
und
BGE 89 II 304 S. 311
82 III 45 am Ende; siehe im übrigen M. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 222 oben), ist hier nicht zu prüfen.
7.
Der Zubilligung einer Nachfrist in analoger Anwendung des
Art. 139 OR
steht nicht entgegen, dass die erste Klage an einem Fehler gescheitert ist, der nicht schon bei Einleitung des Vermittlungsverfahrens, sondern erst bei Anrufung des Gerichts unterlief. Gewiss hat
Art. 139 OR
Fehler zu Beginn des Prozesses im Auge, die zur Rückweisung der Sache ohne materielle Prüfung führen. Das ergibt sich namentlich aus dem französischen Randtitel "Délai supplémentaire, lorsque l'action a été mal introduite". Es liegt jedoch im Sinne dieser Norm, dann, wenn nach dem kantonalen Prozessrecht der Anbringung der Klage beim Gericht ein Vermittlungsverfahren (Aussöhnungsversuch) vorauszugehen hat, in gleicher Weise eine Nachfrist zu gewähren, ob nun der die Rückweisung (Abschreibung) der Klage nach sich ziehende Fehler im ersten oder im zweiten dieser einleitenden Prozesstadien unterlaufen ist. Es handelt sich um zwei Stufen der Klageanhebung. Misslingt die als Vorstufe zu betrachtende amtliche Vermittlung (gleichgültig ob sie bereits die Rechtshängigkeit der Klage begründet oder nicht), so stellt sich die Benutzung der dabei erteilten Klagebewilligung (in Graubünden: des Leitscheines) als zweiter Akt der Klageanhebung dar, der auch seinerseits (und zwar gewöhnlich noch in stärkerem Mass als die Einleitung des Vermittlungsverfahrens) bestimmten Formvorschriften unterworfen ist. In diesem Stadium der Streitanhebung kommen denn auch häufiger als im vorausgegangenen Vermittlungsverfahren prozessuale Fehler vor, die je nach den bestehenden Verfahrensvorschriften zur Rückweisung der Klage ohne materielle Prüfung führen. Eine aus solchen Gründen zurückgewiesene ("abgeschriebene") Klage soll nach
Art. 139 OR
nicht endgültig der Verjährung anheimfallen bezw. verwirkt sein, wenn unterdessen die Verjährungs- bezw. Verwirkungsfrist (Klagefrist) abgelaufen
BGE 89 II 304 S. 312
ist. Und zwar soll es nach dem Sinn und Zweck des
Art. 139 OR
hiebei keine Rolle spielen, ob ein amtlicher Vermittlungsversuch vorausging. Auch die Fälle von
BGE 61 II 148
,
BGE 72 II 326
und
BGE 80 II 288
betrafen Fehler, die bei Anrufung des Gerichts oder doch nach Einleitung eines amtlichen Vermittlungsverfahrens unterliefen. OSER/SCHÖNENBERGER (N. 1 zu
Art. 139 OR
) umschreibt das Anwendungsgebiet dieser Nachfrist ebenfalls in solch weitem Sinne, und LEUCH (N. 5 zu Art. 161 und N. 6 zu Art. 163 der bernischen ZPO) bezeichnet den
Art. 139 OR
als das Korrektiv einer die Rechtshängigkeit aufhebenden Klagerückweisung (dies allgemein, also namentlich auch für den Regelfall eines vorausgegangenen Aussöhnungsversuches). Nichts Abweichendes ergibt sich aus
BGE 82 II 587
ff. mit der den
Art. 139 OR
nicht ausdrücklich vorbehaltenden Inhaltsangabe. Diese Entscheidung betraf eine Nichtigkeitsbeschwerde, die sich gegen die Klagerückweisung als solche richtete und nicht die Frage betraf, ob und unter welchen Voraussetzungen eine neue Klage nach
Art. 139 OR
angehoben werden könnte. Wenn die Inhaltsangabe jenes Entscheides dahin lautet: 1. der Begriff der Klageanhebung sei auch dann ein bundesrechtlicher, wenn das Bundesrecht es dem Richter anheimgibt, eine Klagefrist anzusetzen und sie zu bemessen, und 2. in welchen Fristen und Formen eine gemäss dem Bundesrecht angehobene Klage alsdann zu prosequieren sei, habe das kantonale Prozessrecht zu bestimmen, so tritt nach dem Gesagten
Art. 139 OR
ergänzend hinzu, wonach der Kläger nach Rückweisung der unzuständigen Ortes oder in fehlerhafter Weise angehobenen Klage in den Genuss einer Nachfrist zu neuer Klageanhebung kommt. Dies unter der Voraussetzung, dass er die bundesrechtliche Klagefrist wie auch die nach misslungener Vermittlung laufende prozessrechtliche Frist nicht einfach verstreichen liess, sondern - wenn auch nicht in richtiger Weise - benutzt hat. Gegen Fristversäumnis schlechthin hilft nur Wiederherstellung der Frist nach Prozessrecht, die an strenge Voraussetzungen gebunden ist.
BGE 89 II 304 S. 313
Nicht zweifelhaft ist, dass die versehentliche Unterlassung, der Klageschrift den Leitschein beizulegen, ein "verbesserlicher Fehler" war. Wie bereits bemerkt, hatte die deshalb erfolgte Abschreibung der Klage von bündnerischen Prozessrechts wegen nicht den Untergang des eingeklagten Anspruchs zur Folge, sondern zwang den Kläger bloss, vor erneuter Anrufung des Gerichtes ein neues Vermittlungsverfahren einzuleiten. Davon geht auch das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses aus. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob
Art. 139 OR
überhaupt bei jedem prozessualen Fehler der Klageanhebung (sofern diese innert der dafür vorgeschriebenen Frist erfolgt) die Nachfrist geben will, so dass es dem kantonalen Recht gar nicht offen stünde, "unverbesserliche Fehler" der Klageanhebung vorzusehen, welche die Anwendung von
Art. 139 OR
ausschliessen würden (vgl. CH. E. RATHGEB, L'action en justice et l'interruption de la prescription, Mélanges François Guisan, p. 269 et ss.).
Eine Frage für sich ist, ob die analoge Anwendung des
Art. 139 OR
notwendig eine Nachfrist von 60 Tagen mit sich bringt, oder ob dann, wenn die vom Kläger einzuhaltende und von ihm auch tatsächlich, jedoch nicht in einwandfreier Weise benutzte Klagefrist bezw. Streiteinleitungsfrist nach misslungenem Vermittlungsversuch kürzer war, die Nachfrist ebenfalls auf diese kürzere Dauer zu bemessen sei (vgl. GULDENER, a.a.O.). Wie dem auch sein mag, hat der Kläger das zweite Verfahren rechtzeitig eingeleitet, nämlich 17 Tage nach Zustellung des die Rückweisung der ersten Klage betreffenden Beschwerdeentscheids, während die vom prozessualen Formfehler betroffene Frist 20 Tage betrug.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 23. März 1963 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d8078b23-302e-4004-81c6-0782710b37b0 | Urteilskopf
80 IV 218
46. Urteil des Kassationshofes vom 7. Dezember 1954 i. S. Billeter gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
.
Recht und Pflicht des Richters, den Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Strafe anzuordnen, sind nicht befristet. | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 80 IV 218 S. 218
A.-
Walter Billeter wurde am 4. September 1946 vom Bezirksgericht Zürich wegen leichtsinnigen Konkurses zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt und für drei Jahre auf die Probe gesetzt.
Im Jahre 1947 leistete Billeter Gehilfenschaft zu Abtreibungen.
BGE 80 IV 218 S. 219
Das korrektionelle Gericht des Bezirkes Lausanne verurteilte ihn daher am 1. September 1950 zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von einem Monat.
B.-
Unter Hinweis auf diese während der Probezeit begangenen vorsätzlichen Verbrechen erklärte das Bezirksgericht Zürich am 7. April 1954 die am 4. September 1946 ausgefällte Gefängnisstrafe als vollziehbar.
Billeter beschwerte sich beim Obergericht des Kantons Zürich, indem er entgegen
BGE 78 IV 9
und
BGE 79 IV 111
die Auffassung vertrat, die Anordnung des Vollzugs einer bedingt aufgeschobenen Strafe sei zeitlich nicht unbeschränkt zulässig; als Mindestschranke habe die Probezeit zuzüglich der absoluten Verfolgungsverjährung für die in der Probezeit begangene neue Tat zu gelten.
Die Staatsanwaltschaft stellte sich ihrerseits auf den Standpunkt, dass die Vollstreckungsverjährung in den Fällen, in denen die bedingt aufgeschobene Strafe vollstreckt werden solle, nach richtiger Auslegung des
Art. 74 StGB
mit dem Tage zu laufen beginne, an dem die Vollstreckung angeordnet werde oder hätte angeordnet werden können und sollen.
Das Obergericht, mit Entscheid vom 14. Juni 1954, schloss sich der Auffassung an, dass die Anordnung des Vollzuges der bedingt aufgeschobenen Strafe zeitlich nicht unbegrenzt möglich sei, lehnte jedoch sowohl die von Billeter als auch die von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Befristung ab und entschied sich für eine dritte Lösung, nämlich die, dass mangels eines andern Stichtages die Vollstreckungsverjährung spätestens mit dem Ablauf der Probezeit zu laufen beginne. Es führte weiter aus, im vorliegenden Falle habe die ordentliche Vollstreckungsverjährung von fünf Jahren (
Art. 73 Ziff. 1 StGB
) spätestens am 4. September 1949 zu laufen begonnen und endige erst am 4. September 1954. Da die Verjährung zudem durch den Entscheid des Bezirksgerichtes vom 7. April 1954 unterbrochen worden sei (
Art. 75 StGB
), trete sie erst am 4. März 1957 ein. Daher wies es den Rekurs ab.
BGE 80 IV 218 S. 220
C.-
Billeter führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Anordnung des Strafvollzuges sei aufzuheben.
Er hält an der vor Obergericht vertretenen Auffassung fest und schlägt subsidiär vor, dem Gedanken des Obergerichtes in der Weise Rechnung zu tragen, dass vom Strafvollzug abgesehen werde, wenn seit Ablauf der Probezeit entweder die absolute Verfolgungsverjährung für die neue Straftat oder die Vollstreckungsverjährung für die bedingt aufgeschobene Strafe eingetreten sei.
D.-
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Kassationshof hat in
BGE 78 IV 8
ausgeführt, dass Recht und Pflicht des Richters, gemäss
Art. 41 Ziff. 3 StGB
bei Täuschung des Vertrauens den Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe anzuordnen, nicht befristet seien; die Bundesversammlung habe bei der Beratung des Gesetzes entgegen dem bundesrätlichen Entwurfe die genannte Befugnis des Richters zeitlich nicht begrenzt, weshalb dieser nicht unter Berufung auf eine angebliche Lücke des Gesetzes eine Befristung doch einführen dürfe. Diese Rechtsprechung wurde, nachdem der Kassationshof in
BGE 78 IV 223
in gleichem Sinne für
Art. 96 Abs. 3 StGB
entschieden hatte, in
BGE 79 IV 110
bestätigt.
Demgegenüber verweist das Obergericht darauf, dass in der nationalrätlichen Kommission Huber beantragt hatte, für die Fälle, in denen der Vollstreckungsbeschluss nicht während der Probezeit ergehe, ihn einer Verjährungsfrist auszusetzen, worauf die Bestimmung an die Subkommission gewiesen worden sei und Logoz dann als Ergebnis ihrer Beratung die heutige Fassung des Art. 74 vorgeschlagen habe. Angesichts dieses Beratungsverlaufes hält das Obergericht nicht für ausgeschlossen, dass man im Bestreben, den Beginn der Vollstreckungsverjährung bei bedingter Verurteilung genau festzulegen, übersehen habe, dass mit der
BGE 80 IV 218 S. 221
Anknüpfung der Vollstreckungsverjährung an den veränderlichen Zeitpunkt der Vollzugsanordnung diese unbegrenzt möglich wäre.
Dieser Schluss ist erstaunlich. Die Kommissionsmitglieder und die Bundesversammlung können die erwähnte Folge unmöglich übersehen haben. Wenn eine Befristung des Vollstreckungsbeschlusses nicht in das Gesetz aufgenommen wurde, obwohl in der Kommission des Nationalrates ausdrücklich eine solche vorgeschlagen wurde, ist das eine weitere klare Bestätigung dafür, dass man sie nicht wollte. Insbesondere muss der Antragsteller wahrgenommen haben, dass sein Vorschlag in der Fassung, wie sie von Logoz als Ergebnis der Beratung der Subkommission beantragt wurde, nicht berücksichtigt war. Umso berechtigter ist daher die Annahme des Kassationshofes in
BGE 78 IV 9
, es könne der Bundesversammlung nicht entgangen sein, dass durch die am Entwurf des Bundesrates vorgenommene Änderung die zeitliche Grenze aufgehoben worden sei, die der Entwurf dem richterlichen Entscheid auf Anordnung des Strafvollzuges gesetzt habe.
2.
Bei dieser Rechtslage kann von einer Gesetzeslücke, die, wie das Obergericht es tut, unter Berufung auf die ratio legis auszufüllen wäre, nicht die Rede sein. Obwohl der Verjährung der Gedanke zu Grunde liegt, dass der sogenannte Strafanspruch des Staates nach einer gewissen Zeit untergehen soll, so heisst das doch nicht notwendig, dass auch der Schwebezustand, der zwischen der Verurteilung zu einer bedingt aufgeschobenen Strafe und der Anordnung ihres Vollzuges besteht, zeitlich begrenzt sein müsse. Unbestreitbar hätte es nahe gelegen, im Gesetz eine solche Befristung einzuführen oder sonstwie dafür zu sorgen, dass die Anordnung des Vollzuges nicht allzulange auf sich warten lasse. Allein eine Lücke ist dadurch, dass eine solche Vorschrift nicht aufgestellt wurde, im System des Gesetzes nicht entstanden. Normalerweise verstreicht nicht "ungebührlich lange Zeit", bis der Strafvollzug angeordnet wird. Wegen blosser allfälliger Ausnahmen aber
BGE 80 IV 218 S. 222
konnte eine Befristung als entbehrlich erachtet werden, ohne dass das Gesetz damit sich selber widerspräche.
Wie wenig eine Gesetzeslücke vorliegt, zeigt auch der Umstand, dass keineswegs klar zutage liegt, wie sie auszufüllen wäre, sind doch dem Kassationshof bis heute fünf verschiedene Lösungen vorgeschlagen worden: je eine in den Fällen
BGE 78 IV 9
und
BGE 79 IV 111
und nunmehr drei weitere im vorliegenden Verfahren. Wenn schon eine Auswahl aus solcher Vielfalt möglicher Regelungen getroffen werden müsste, so deutet das eher auf eine gesetzgeberische als auf eine richterliche Entscheidung hin.
3.
Die Lösung, die der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren vertreten hat, wäre auf jeden Fall völlig unbrauchbar gewesen; denn was die Verfolgungsverjährung für das während der Probezeit begangene Delikt mit der zeitlichen Zulässigkeit der Anordnung des Vollzuges der früher ausgefällten Strafe zu tun haben sollte, ist nicht einzusehen. Ebenso bezeichnet die Vorinstanz den Vorschlag der Staatsanwaltschaft (Beginn der Vollstreckungsfrist mit dem Tage, an dem der Vollzug hätte angeordnet werden können und sollen) mit Recht als unbefriedigend, da er der genauen Fixierung entbehre und zu Zweifeln Anlass geben könnte. Bei der Lösung der Vorinstanz (Beginn der Vollstreckungsverjährung spätestens mit dem Ablauf der Probezeit), die der Beschwerdeführer eventuell mit der seinigen verbinden möchte, würde die Frist unter Umständen zu laufen beginnen, bevor die Vollstreckung überhaupt möglich wäre. Abgesehen hievon wäre hier, wie das Obergericht ausführt, die Verjährung auch bei dieser Lösung noch gar nicht eingetreten. Daher war die Beschwerde selbst auf dieser Grundlage aussichtslos. Dem ist bei Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d8102360-cac5-4a41-884c-3340aa496b7c | Urteilskopf
136 III 186
28. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre Y. (recours en matière civile)
4A_47/2010 du 6 avril 2010 | Regeste
Bestimmung des Gebrauchs, für den die Mietsache übergeben wurde (
Art. 256 OR
), und der Sorgfalt, mit welcher der Mieter die Sache zu gebrauchen hat (
Art. 257f OR
).
Im Mietvertrag und den Anhängen können der vereinbarte Gebrauch der Mietsache und deren sorgfältige Benutzung durch den Mieter näher umschrieben werden. Der vereinbarte Gebrauch betrifft insbesondere den Gebrauchszweck und die Gebrauchsmodalitäten der Mieträumlichkeiten, indem beispielsweise der Kreis der Benutzer festgelegt wird. Vorbehältlich anderslautender Abreden ist der Mieter eines zu Wohnzwecken bestimmten Mietobjekts nicht gehalten, dieses selbst zu bewohnen (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 186
BGE 136 III 186 S. 186
Extrait des considérants:
3.
Invoquant une mauvaise application des
art. 1 et 18 CO
, le recourant soutient qu'une interprétation normative du bail passé avec l'intimé permet de retenir qu'aucune limitation de la destination des locaux n'a été convenue, contrairement à ce qu'a affirmé la cour cantonale. Il prétend que louer un bien destiné à l'habitation pour y loger son frère et un ami, tous deux dans le besoin, est conforme aux
art. 256 et 257f al. 1 et 2 CO
. Il fait valoir que la Chambre d'appel a erré pour avoir fait un parallèle entre l'habitation à titre gratuit
BGE 136 III 186 S. 187
et la sous-location telle que l'entend l'
art. 262 CO
. Enfin, le demandeur allègue qu'à défaut d'une définition particulière de l'usage des locaux convenue entre les parties, hormis l'affectation de la chose louée à titre de logement, le simple fait qu'il loge dans l'appartement litigieux les personnes susmentionnées ne saurait rendre la continuation du bail insupportable au bailleur dans le sens de l'
art. 257f al. 3 CO
.
3.1
3.1.1
Il est constant que les parties ont conclu un contrat de bail à loyer (cf.
art. 253 CO
) portant sur la cession de l'usage, dès le 1
er
juin 1997, d'un appartement de trois pièces.
Selon l'
art. 256 al. 1 CO
, le bailleur est tenu de délivrer la chose dans un état approprié à l'usage pour lequel elle a été louée. L'usage dont il est question peut avoir été convenu soit expressément, soit tacitement, ainsi par une utilisation adoptée pendant longtemps par le locataire sans opposition du bailleur(PETER HIGI, Commentaire zurichois, 4
e
éd. 1996, n° 7 ad
art. 253a-253b CO
; ROGER WEBER, in Commentaire bâlois, Obligationenrecht, vol. I, 4
e
éd. 2007, n° 3 ad
art. 256 CO
).
L'usage convenu se détermine ainsi prioritairement en fonction du libellé du bail et de ses annexes, lesquels peuvent prévoir la destination des locaux (Gebrauchszweck), par exemple comme habitation, dépôt, bureau, atelier, etc. (HIGI, op. cit., n° 11 ad
art. 256 CO
; DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2008, p. 216). Il est aussi possible que le contrat spécifie les modalités de cet usage, à savoir la manière dont la chose louée doit être utilisée (Gebrauchsmodalitäten), par quoi il faut entendre, entre autres précisions, notamment le cercle des utilisateurs de celle-ci (HIGI, op. cit., n° 12 ad
art. 256 CO
; DAVID LACHAT, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, n° 2 ad
art. 256 CO
).
Si le bail ne précise pas clairement l'usage convenu, celui-ci doit être dégagé à partir des règles régissant l'interprétation des contrats(HIGI, op. cit., n° 20 ad
art. 256 CO
; RAYMOND BISANG ET AL., Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3
e
éd. 2008, n° 10 ad
art. 257f CO
; LACHAT, in Commentaire romand, op. cit., n° 2 ad
art. 256 CO
; LACHAT, Le bail à loyer, p. 217 en haut).
3.1.2
A teneur de l'
art. 257f al. 1 CO
, le locataire est tenu d'user de la chose avec le soin nécessaire. L'usage soigneux, qui est partie intégrante de l'usage conforme au contrat dont il vient d'être question
BGE 136 III 186 S. 188
(
ATF 123 III 124
consid. 2a), est défini par le bail et ses annexes, telles des règles et usages locatifs et/ou un règlement de maison (HIGI, op. cit., n° 10 ad
art. 257f CO
; WEBER, op. cit., n° 1 ad
art. 257f CO
; LACHAT, in Commentaire romand, op. cit., n° 6 ad
art. 257f CO
).
Pour les baux d'habitations, sauf stipulation contraire, le locataire n'est pas tenu d'occuper lui-même la chose louée (HIGI, op. cit. n° 27 ad
art. 253 CO
; BISANG ET AL., op. cit., n° 14 ad
art. 257f CO
; LACHAT, Le bail à loyer, p. 80). L'usage normal des locaux d'habitation autorise l'hébergement des membres de la famille et des proches du locataire (LACHAT, in Commentaire romand, op. cit., n° 6 ad
art. 253 CO
et n° 6 ad
art. 257f CO
; BISANG ET AL., op. cit., n° 13 ad
art. 257f CO
).
3.2
3.2.1
Ces considérations juridiques, eu égard aux données de la présente espèces, conduisent le Tribunal fédéral à retenir la solution suivante.
Il a été constaté que le bail conclu par les parties stipule que la destination des locaux est réservée "à l'habitation exclusivement". La cour cantonale n'a pas déterminé la volonté réelle et commune des parties (cf.
art. 18 al. 1 CO
) quant à la signification de cette clause. Il convient donc de l'interpréter selon le principe de la confiance. Il sied ainsi de rechercher comment les termes précités pouvaient être compris de bonne foi en fonction de l'ensemble des circonstances (
ATF 135 III 295
consid. 5.2). Le principe de la confiance permet d'imputer à une partie le sens objectif de sa déclaration ou de son comportement, même s'il ne correspond pas à sa volonté intime. L'application du principe de la confiance est une question de droit que le Tribunal fédéral peut examiner librement (
art. 106 al. 1 LTF
). Le sens d'un texte, apparemment clair, n'est pas forcément déterminant, de sorte que l'interprétation purement littérale est prohibée. Même si la teneur d'une clause contractuelle paraît limpide à première vue, il peut résulter d'autres conditions du contrat, du but poursuivi par les parties ou d'autres circonstances que le texte de ladite clause ne restitue pas exactement le sens de l'accord conclu (
ATF 135 III 295
consid. 5.2;
ATF 133 III 61
consid. 2.2.1;
ATF 131 III 606
consid. 4.2). Il n'y a cependant pas lieu de s'écarter du sens littéral du texte adopté par les intéressés lorsqu'il n'existe aucune raison sérieuse de penser qu'il ne correspond pas à leur volonté (
ATF 135 III 295
consid. 5.2;
ATF 133 III 61
consid. 2.2.1;
ATF 130 III 417
consid. 3.2).
D'après le sens ordinaire des mots, le substantif "habitation" se définit comme le fait d'habiter dans un lieu, de loger d'une manière
BGE 136 III 186 S. 189
durable quelque part; les locaux à usage d'habitation sont opposés aux locaux à usage commercial (cf. la définition de ce mot dans le Grand Robert de la langue française).
Partant, le recourant devait raisonnablement comprendre que les termes dactylographiés "à l'habitation exclusivement" signifiaient que l'appartement qui est l'objet du bail litigieux devait servir uniquement de logement pour y vivre, et non pas de local commercial pour développer des affaires. Autrement dit, la destination des locaux était de servir de demeure, à l'exclusion de tout autre but.
Le contrat en cause ne contient aucune disposition au sujet des modalités de l'usage de locaux. Il faut conséquemment admettre que le bailleur n'a nullement voulu restreindre au seul locataire (i.e. le recourant) l'usage comme logement de la chose remise à bail. Si telle avait été son intention, l'intimé aurait dû clairement spécifier dans le bail que les locaux étaient seulement affectés à l'usage du recourant, nommément désigné. Pour avoir néanmoins retenu que le logement était destiné au seul recourant, la cour cantonale a transgressé l'
art. 256 CO
.
3.2.2
Comme on l'a vu, l'usage soigneux de la chose louée dans le sens de l'
art. 257f al. 1 CO
n'empêche pas le locataire d'héberger des membres de sa famille, à l'instar d'un frère, ainsi que des proches, dont font partie les amis. Le locataire n'est du reste même pas tenu d'occuper personnellement le logement dont l'usage lui est cédé contre paiement d'un loyer, à moins que le contraire n'ait été stipulé, hypothèse non réalisée in casu.
La Chambre d'appel a derechef violé la disposition susrappelée en jugeant que le recourant, qui a cédé gratuitement l'usage de son appartement à son frère et à un ami, n'use pas de la chose louée avec soin, de telle sorte que le bail pouvait être résilié prématurément en application de l'
art. 257f al. 3 CO
.
3.2.3
Lorsque la cession par contrat de l'usage d'une chose est opérée sans aucune contre-prestation - c'est-à-dire à titre gratuit -, les parties concernées sont soumises aux règles du prêt à usage des
art. 305 ss CO
, et non pas à celles régissant le bail (SCHÄRER/MAURENBRECHER, in Commentaire bâlois, Obligationenrecht, vol. I, 4
e
éd. 2007, n° 3 ad
art. 305 CO
; TERCIER/FAVRE, Les contrats spéciaux, 4
e
éd. 2009, ch. 1969 p. 290).
C'est donc erronément que les magistrats genevois ont assimilé la présente espèce, où un appartement a été cédé gratuitement au frère
BGE 136 III 186 S. 190
et à un ami du locataire, à une sous-location réglée par l'
art. 262 CO
. La dissemblance des circonstances n'autorisait pas une telle comparaison, même par analogie.
De toute manière, s'il avait été retenu que le frère et l'ami du locataire versaient à ce dernier un loyer ne lui procurant pas un profit exagéré, le bailleur n'aurait pas pu refuser son consentement à la sous-location. En effet, la cour cantonale a constaté que le demandeur occupe l'appartement de Versoix chaque fin de semaine, tandis que son frère part en France pour y voir ses parents et sa fille. Du moment que le locataire n'a jamais vraiment perdu l'usage du logement qu'il loue dans le canton de Genève, il ne serait pas possible d'admettre qu'il se prévaut de son droit de sous-louer d'une manière contraire à la bonne foi et qu'il a procédé dans la réalité à un transfert de bail (cf.
ATF 134 III 446
consid. 2.4 et les arrêts cités). | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d8157ee4-72b8-4572-aedd-214d6552bed5 | Urteilskopf
86 IV 222
58. Sentenza 22 dicembre 1960 della Corte di cassazione penale nella causa Golder contro Schenini. | Regeste
Art. 346 Abs. 1 StGB
. Für die Verfolgung und Beurteilung einer strafbaren Handlung ist die Behörde des Ortes zuständig, wo der Täter gehandelt hat. Nur wenn dieser im Ausland gehandelt hat, begründet der Ort, wo in der Schweiz der Erfolg eingetreten ist, den Gerichtsstand (Erw. 1).
Art. 64 bis Abs. 2 BV
,
Art. 365 StGB
,
Art. 269 BStP
. Das Bundesrecht bestimmt nur die Frist, innert welcher der Strafantrag zu stellen ist (
Art. 29 StGB
). Ob der bei einer unzuständigen Behörde eingereichte Strafantrag gültig und ob er von dieser Behörde von Amtes wegen sofort an die zuständige Behörde weiterzuleiten sei, bestimmt sich nach dem kantonalen Recht, dessen Verletzung nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht gerügt werden kann (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 223
BGE 86 IV 222 S. 223
L'8 ottobre 1958, Walter Golder, domiciliato a Roveredo, ricevette una lettera scritta a macchina firmata da Lucio Schenini, pure domiciliato a Roveredo, redatta a Mesocco dalla moglie di questi e ivi messa alla posta.
Il 10 ottobre 1958, Golder, considerando la lettera lesiva del suo onore, presentò querela penale al Tribunale del Circolo di Roveredo contro Lucio Schenini. Questi assunse la piena responsabilità dello scritto.
Il 22 giugno 1959, la Commissione del Tribunale del Circolo di Roveredo, riconosciuta la sua incompetenza, trasmetteva gli atti al foro di Mesocco. Il 13 giugno 1960, il Tribunale di questo circolo riconobbe Schenini colpevole
BGE 86 IV 222 S. 224
di ingiuria (art. 177 CP) e lo condannò ad una multa di fr. 100.-- ed al pagamento di fr. 100.-- alla controparte, a titolo di riparazione morale.
L'accusato interpose ricorso alla Commisione del Tribunale cantonale, a Coira, che il 7 novembre 1960 annullava la sentenza e toglieva il procedimento. L'istanza cantonale motivava il suo giudizio rilevando che la querela avrebbe dovuto essere presentata all'Ufficio del Circolo di Mesocco nel cui territorio era stato redatto e spedito lo scritto. Essendo stata trasmessa da parte dell'autorità di Roveredo al foro competente solo nel giugno 1959, la querela non era valida, perchè presentata dopo il termine di tre mesi previsto dall'art. 29 CP, e il procedimento era nullo.
Contro questo giudizio il querelante ha interposto tempestivo ricorso per cassazione alla Corte di cassazione penale del Tribunale federale. Sostanzialmente, egli invoca l'art. 7 CP, secondo cui un delitto si reputa commesso tanto nel luogo in cui l'agente lo compie quanto in quello in cui si verifica l'evento. Quest'ultimo luogo sarebbe costituito in concreto da Roveredo, ove il ricorrente ha ricevuto la lettera. Egli fa inoltre rilevare che, nel corso dei diversi procedimienti, la controparte non ha mai sollevato l'eccezione di incompetenza.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Gli art. 3-7 CP regolano non il foro ma la validità territoriale della legge, e cioè si limitano a stabilire le condizioni di carattere territoriale che devono essere adempiute affinchè la legge sia applicabile.
La competenza delle autorità per ragioni di territorio è invece regolata dall'art. 346 CP, il quale dispone che per il procedimento e il giudizio sono competenti le autorità del luogo in cui il reato fu compiuto. Secondo la stessa norma, fa eccezione alla regola il caso in cui in Svizzera si trovi solo il luogo in cui l'evento si è verificato o avrebbe dovuto verificarsi e che diventa così determinante agli effetti del foro. Ma questo foro ha carattere puramente
BGE 86 IV 222 S. 225
sussidiario, vale a dire solo per il caso che il reato sia compiuto all'estero e l'evento si verifichi in Svizzera (RU 68 IV 55). Se invece l'atto delittuoso è stato compiuto e l'evento si è verificato o avrebbe dovuto verificarsi in Svizzera, è il luogo del compimento che determina il foro.
Un'offesa all'onore mediante scritto si reputa compiuta nel luogo dove l'autore ha redatto e spedito lo scritto (RU 68 IV 54 et 74 IV 189, consid. 2). Poichè la lettera incriminata è stata scritta e spedita a Mesocco, le autorità di questa giurisdizione sono le sole competenti a perseguire e giudicare il relativo reato.
2.
Ciò non significa tuttavia che, secondo il diritto federale, la querela doveva essere presentata a Mesocco.
L'art. 29 CP stabilisce unicamente che il diritto di querela si estingue decorsi tre mesi dal giorno in cui l'avente diritto ha conosciuto l'autore del reato. Poichè il diritto federale a questo proposito null'altro dispone, la competenza di prescrivere dove ed in quale forma la querela deve essere presentata è riservata ai Cantoni in virtù dell'art. 64 bis cpv. 2 CF e dell'art. 365 CP (RU 69 IV 93, 73 IV 207 e giurisprudenza ivi citata). La questione di sapere se, competenti a ricevere la querela, siano solo le autorità nella cui giurisdizione l'atto fu compiuto o anche altre autorità, per esempio quelle del luogo in cui l'evento si è verificato o quelle del domicilio del querelante, concerne pertanto ed in modo esclusivo il diritto cantonale.
Ciò stante, la norma del diritto processuale grigionese, la quale prescrive che le querele penali per offese all'onore devono essere presentate al Tribunale del Circolo competente per il giudizio - vale a dire presso il Tribunale nella cui giurisdizione il reato è stato compiuto -, non può essere in contrasto col diritto federale. Anche la questione di sapere se una querela presentata tempestivamente ad un'autorità incompetente sia valida e quella concernente gli eventuali obblighi dell'autorità incompetente di trasmettere immediatamente gli atti all'autorità competente
BGE 86 IV 222 S. 226
- nulla disponendo al riguardo il diritto federale -, rientrano nell'ambito esclusivo del diritto cantonale. Altrettanto dicasi delle disposizioni processuali circa l'obbligo di esaminare d'ufficio o ad istanza delle parti le eccezioni di tardività e di incompetenza.
Ciò premesso, il Tribunale cantonale, pronunciando secondo il diritto processuale grigionese che la querela per offese all'onore deve essere tempestivamente presentata all'autorità del luogo in cui l'atto fu compiuto e che la querela presentata tempestivamente ad un'autorità incompetente non è valida se non tempestivamente trasmessa all'autorità competente, ha giudicato in modo vincolante per questa Corte federale di cassazione penale. Il ricorso per cassazione secondo gli art. 269 cpv. 1 e 273 cpv. 1 lett. b PPF, può essere fondato unicamente sulla violazione del diritto federale e non anche sul diritto cantonale.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
In quanto ricevible, il ricorso è respinto. | null | nan | it | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d81580e6-2e29-41c4-b71a-e007284eec45 | Urteilskopf
140 II 409
36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Migrationsamt des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_913/2014 vom 4. November 2014 | Regeste
Art. 75 Abs. 1 lit. f,
Art. 76, 78 und 80 AuG
;
Art. 42 und 97 AsylG
; Unzulässigkeit der Fortführung einer Durchsetzungshaft, wenn während derer Dauer ein Asylgesuch gestellt wird.
Haftentlassungsgesuche sind bei der Durchsetzungshaft zulässig; sie sind nicht fristgebunden (E. 2.2).
Der Zweck der Durchsetzungshaft, wonach der Ausreisepflicht Nachachtung verschafft werden soll, entfällt, wenn während derer Dauer ein Asylgesuch gestellt wird, da der Ausländer bis zum Abschluss des Asylverfahrens in der Schweiz bleiben darf (E. 2.3). | Sachverhalt
ab Seite 410
BGE 140 II 409 S. 410
A.
A. (10. Mai 1968; Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo) reiste 1996 und 1998 illegal in die Schweiz ein und stellte jeweils ein Asylgesuch. Das erste wurde abgewiesen; auf das zweite trat das damalige Bundesamt für Flüchtlinge nicht ein. Vor Ablauf der Ausreisefrist heiratete A. eine Schweizer Bürgerin (16. April 1999), weshalb er in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Die Ehe wurde 2007 geschieden.
B.
Am 20. April 2012 lehnte das Migrationsamt des Kantons Thurgau (nachfolgend: Migrationsamt) die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab; die kantonalen Rechtsmittel und auch die Beschwerde vor Bundesgericht (Verfahren 2C_613/2013) dagegen waren alle erfolglos. Am 27. Februar 2014 setzte das Migrationsamt A. eine Ausreisefrist bis 31. März 2014; diese liess er ungenutzt verstreichen. In der Folge verfügte das Migrationsamt eine Ausschaffungshaft von drei Monaten ab 24. April 2014, 16.00 Uhr, was das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 28. April 2014 bestätigte.
Am 23. Mai 2014 trat das Bundesamt für Migration (nachfolgend: BFM) auf ein Gesuch von A. um vorläufige Aufnahme und um Aussetzung des Vollzugs der Wegweisung nicht ein. Da eine (zwangsweise) Zuführung von kongolesischen Staatsangehörigen bei der Botschaft in Bern damals und zur Zeit nicht möglich war bzw. ist und A. bei der Organisation eines Termins bei der Botschaft zwecks Beschaffung notwendiger Papiere sich nicht kooperativ zeigte, verfügte das Migrationsamt am 14. Juli 2014 zunächst eine Durchsetzungshaft von vorläufig einem Monat ab 14. Juli 2014, 17.01 Uhr, danach am 4. August 2014 eine Verlängerung um weitere zwei Monate ab 12. August, 17.01 Uhr, was das Verwaltungsgericht am 16. Juli bzw. 6. August 2014 bestätigte.
Am 1. September 2014 stellte A. beim BFM ein Asylgesuch. In der Folge (12. September 2014) wies dieses gestützt auf
Art. 97 AsylG
(SR 142.31) das Migrationsamt an, den Vollzug der Wegweisung, insbesondere die Beschaffung der Reisepapiere, zu unterlassen.
Am 18. September 2014 beantragte A. beim Verwaltungsgericht Haftentlassung, da aufgrund der Weisung des BFM vom 12. September 2014 der Vollzug nicht mehr möglich sei. Das Haftentlassungsgesuch wies das Verwaltungsgericht am 26. September 2014 ab.
C.
Vor Bundesgericht beantragt A. mit Beschwerde in öffentlich-rechtlicher Angelegenheit, den Entscheid des Verwaltungsgerichts
BGE 140 II 409 S. 411
des Kantons Thurgau vom 26. September 2014 aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter stellt er mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde dieselben Anträge. (....)
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Hat eine Person ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtskräftige Weg- oder Ausweisung aufgrund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so kann sie, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, in Haft genommen werden, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und eine andere mildere Massnahme nicht zum Ziel führt (
Art. 78 Abs. 1 AuG
[SR 142.20]).
Zweck der Durchsetzungshaft ist es, die ausreisepflichtige Person in jenen Fällen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, in denen nach Ablauf der Ausreisefrist der Vollzug der rechtskräftig gegen sie angeordneten Weg- oder Ausweisung - trotz entsprechender behördlicher Bemühungen - ohne ihre Kooperation nicht (mehr) möglich erscheint. Der damit verbundene Freiheitsentzug stützt sich auf
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
(Haft zur Sicherung eines schwebenden Ausweisungsverfahrens) und dient in diesem Rahmen der Erzwingung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung (
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
). Die Durchsetzungshaft bildet das letzte Mittel, wenn und soweit keine andere Massnahme (mehr) zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer auch gegen seinen Willen in seine Heimat verbringen zu können. Sie darf - zusammen mit der bereits verbüssten Ausschaffungs- bzw. Vorbereitungshaft - maximal 18 Monate dauern (Art. 78 Abs. 2 i.V.m.
Art. 79 AuG
), muss aber in jedem Fall verhältnismässig sein. Innerhalb dieser Höchstdauer ist jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen, ob die ausländerrechtliche Festhaltung insgesamt (noch) geeignet bzw. erforderlich erscheint und nicht gegen das Übermassverbot verstösst (vgl.
BGE 135 II 105
E. 2.2.1 S. 107;
BGE 134 II 201
E. 2 S. 204 ff.;
BGE 134 I 92
E. 2.3 S. 96 ff.; Urteil 2C_1089/2012 vom 22. November 2012 E. 2.2 m.w.H.).
2.2
Nach
Art. 78 Abs. 6 AuG
wird die Haft beendet, wenn eine selbständige und pflichtgemässe Ausreise nicht möglich ist, obwohl die
BGE 140 II 409 S. 412
betroffene Person den behördlich vorgegebenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist (lit. a), oder die Schweiz weisungsgemäss verlassen (lit. b), die Ausschaffungshaft angeordnet (lit. c) oder einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird (lit. d).
Der Beschwerdeführer hat ein Haftentlassungsgesuch eingereicht. Für die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft sieht
Art. 80 Abs. 5 AuG
vor, dass Gesuche um Haftentlassungen unter Beachtung bestimmter Fristen eingereicht werden können. Haftanordnung und Haftprüfung für die Durchsetzungshaft wird nicht in Art. 80, sondern in
Art. 78 AuG
geregelt. Dieser Artikel nennt die Modalitäten von Haftentlassungsgesuchen nicht, geht aber davon aus, dass solche Gesuche zulässig sind, denn nach
Art. 78 Abs. 6 AuG
wird die Haft beendet, wenn einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird. Haftentlassungsgesuche bei Durchsetzungshaft sind insofern nicht fristgebunden. Diese sich aus dem Wortlaut ergebende Auslegung macht auch teleologisch Sinn: Da mit der positiven Änderung des persönlichen Verhaltens der Zweck der Durchsetzungshaft erfüllt wird, muss im Falle der Untätigkeit der Administrativbehörde sich eine betroffene Person an den Richter wenden können (vgl.
BGE 124 II 1
E. 3a S. 5 f.; ZÜND, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 8 i.f. zu
Art. 80 AuG
; grundlegend ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Verfahrensfragen und Rechtsschutz, AJP 1995 S. 854 ff., 863 f.; siehe auch THOMAS HUGI YAR, § 10 Zwangsmassnahmen, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, S. 519 Spalte "Durchsetzungshaft").
2.3
2.3.1
Das richterliche Prüfprogramm bei einem Entlassungsgesuch ist mit jenem bei der Haftanordnung bzw. -verlängerung identisch (HUGI YAR, a.a.O., Rz. 10.33). Insofern ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Durchsetzungshaft weiterhin gegeben sind.
2.3.2
Mit der Durchsetzungshaft soll nach
Art. 78 Abs. 1 AuG
"der Ausreisepflicht Nachachtung [...] verschaff[t werden]". Der Beschwerdeführer hat ein Asylgesuch gestellt; damit entfällt nach
Art. 42 AsylG
die Verpflichtung zur Ausreise; der Ausländer ist berechtigt, bis zum Abschluss des Verfahrens in der Schweiz zu verbleiben. Damit aber kann und darf der Zweck der Durchsetzungshaft, bei der Ausreise mitzuwirken, nicht mehr zwangsweise verfolgt werden. Das ergibt sich auch aus der Anordnung, welche das Bundesamt an die
BGE 140 II 409 S. 413
Adresse des kantonalen Migrationsamtes gerichtet hat. Wohl ist der Beschwerdeführer auch nach Stellung des Asylgesuchs nicht verpflichtet, in der Schweiz zu bleiben, sondern es ist ihm unbenommen, freiwillig auszureisen. Dass er diese Möglichkeit hat, ändert aber - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nichts daran, dass es nicht zulässig ist, Zwangsmittel einzusetzen, um ihn zur Zusammenarbeit mit einem potentiellen Verfolgerstaat und gestützt darauf zur Ausreise zu bewegen.
2.3.3
Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG
sieht vor, dass wer sich rechtswidrig in der Schweiz aufhält, ein Asylgesuch einreicht und damit offensichtlich bezweckt, den drohenden Vollzug der Wegweisung zu vermeiden, in Vorbereitungshaft genommen werden kann. Es wäre deshalb insoweit naheliegend, anstelle der Durchsetzungshaft die Vorbereitungshaft anzuordnen, soweit deren Voraussetzungen erfüllt sind. Nun hat allerdings das Bundesgericht bei der Ausschaffungshaft deren Fortsetzung für einen Ausländer, der sich darin befindet und ein Asylgesuch stellt, für zulässig erachtet, wenn mit dem Abschluss des Asylverfahrens und dem Vollzug der Wegweisung alsbald gerechnet werden kann (vgl.
BGE 125 II 377
E. 2b S. 380; Urteile 2C_403/2008 vom 29. Mai 2008 E. 2; 2C_270/2008 vom 11. April 2008 E. 2.2; 2C_204/2008 vom 10. März 2008 E. 2.2). Es fragt sich, ob sich diese Rechtsprechung auch auf die Durchsetzungshaft übertragen lässt.
2.3.4
Dies ist nicht möglich. Die Ausschaffungshaft ist zulässig, wenn ein erstinstanzlicher Wegweisungsentscheid ergangen ist; dieser muss weder in Rechtskraft erwachsen noch vollstreckbar sein. Es genügt, dass mit der Haft der Vollzug sichergestellt werden kann, sobald die Wegweisung in Rechtskraft erwachsen wird. Stellt der in Haft befindliche Ausländer ein Asylgesuch, so hindert dies den Vollzug der Wegweisung bis zum Abschluss dieses Verfahrens, lässt aber nicht notwendig die Haftvoraussetzungen der Ausschaffungshaft dahinfallen. Bei der Durchsetzungshaft verhält es sich - wie dargelegt - anders: Stellt der Ausländer während der Durchsetzungshaft ein Asylgesuch,
fällt der Haftzweck der Durchsetzungshaft
, die zudem nur angeordnet werden kann, wenn eine rechtskräftige und vollstreckbare Wegweisungsentscheidung vorliegt und der Ausländer die Möglichkeit gehabt hat, selbständig auszureisen, gestützt auf den Umstand, dass während des Asylverfahrens eine Kontaktnahme mit dem potentiellen Verfolgerstaat grundsätzlich nicht mehr verlangt werden kann (
Art. 42 und 97 AsylG
),
dahin
.
BGE 140 II 409 S. 414
2.3.5
Die Aufrechterhaltung der Durchsetzungshaft ist demnach nicht mehr zulässig. Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Vorinstanz nicht damit rechnet, dass das Asylgesuch alsbald behandelt sein wird, geht sie doch von einigen wenigen, höchstens ungefähr acht Monaten aus, welche das Asylverfahren beanspruchen wird. Zu prüfen jedoch ist, ob - wie das Migrationsamt an der Haftrichterverhandlung eventualiter beantragt hat - die Haftvoraussetzungen der Vorbereitungshaft gegeben sind. Es rechtfertigt sich nicht, dass das Bundesgericht darüber selber entscheidet. Vielmehr ist die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat dabei die Frist von 96 Stunden (
Art. 80 Abs. 2 AuG
) und die weiteren Verfahrensanforderungen, insbesondere die mündliche Verhandlung, wo der Beschwerdeführer auch seine in der Beschwerde und in seiner späteren Eingabe vorgebrachten Argumente einbringen kann, zu beachten. Die Frist beginnt mit Zustellung des bundesgerichtlichen Entscheids bei der Vorinstanz. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d8166440-6781-4646-a1d3-95d6827f479e | Urteilskopf
125 II 411
41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Juli 1999 i.S. X. und weitere Beteiligte gegen Republik der Philippinen, Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich, Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Parteistellung des ersuchenden Staates.
Dem ersuchenden Staat kann im Rechtshilfeverfahren (hier: Rekursverfahren vor dem Obergericht) keine Parteistellung eingeräumt werden, wenn um die Herausgabe von Bankdokumenten gestritten wird, d.h. um Informationen aus dem Geheimbereich, die dem ersuchenden Staat erst nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens bekannt gegeben werden dürfen. Das gilt selbst dann, wenn der ausländische Staat Geschädigter i.S.v.
Art. 21 Abs. 2 IRSG
ist und im Rechtshilfeverfahren auch über die Herausgabe von Vermögenswerten entschieden wird, die ihm angeblich deliktisch entzogen worden sind. | Sachverhalt
ab Seite 412
BGE 125 II 411 S. 412
A.-
Die Republik der Philippinen ersuchte im April 1986 das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) um Rechtshilfe in Zusammenhang mit der Rückführung von Vermögenswerten, die sich Ferdinand Marcos, seine Angehörigen und ihm nahestehende Personen in Ausübung ihrer öffentlichen Funktionen unrechtmässig angeeignet haben sollen. Das Gesuch betraf u.a. auch X., der vom Dezember 1973 bis zum 25. Februar 1986 Energieminister der Philippinen und gleichzeitig Präsident der Philippine National Oil Company (PNOC) gewesen war. Gestützt auf dieses Rechtshilfeersuchen sperrte die Bezirksanwaltschaft Zürich diverse Konten in Zürich, auf denen Vermögenswerte von X. vermutet wurden.
B.-
Mit Eingabe vom 10. August 1994 ersuchte der damalige philippinische Generalstaatsanwalt (Solicitor General) unter Bezugnahme auf die verschiedenen Rechtshilfeersuchen in Sachen Marcos die Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich um Übergabe aller Dokumente, die sich auf die Bankkonten von X. in der Schweiz beziehen, und um die Überweisung der entsprechenden Gelder an die Philippinen.
C.-
Mit Schlussverfügung vom 4. Dezember 1998 entsprach die Bezirksanwaltschaft diesem ergänzenden Ersuchen im Sinne der Erwägungen. Sie ordnete die Herausgabe der sichergestellten Bankdokumente sowie -- unter bestimmten Auflagen -- die Überweisung der Vermögenswerte an die Philippine National Bank an. Hiergegen erhoben X. und weitere Beteiligte am 6. Januar 1999 Rekurs an das Obergericht des Kantons Zürich.
D.-
Am 25. Februar 1999 beantragte die Republik der Philippinen, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Martin Kurer und Hanspeter Zgraggen, sie sei im Rekursverfahren als Beteiligte zuzulassen und es sei ihr eine Frist anzusetzen, um zum Rekurs Stellung zu nehmen. Die Rekurrenten widersetzten sich diesem Antrag. Mit
BGE 125 II 411 S. 413
Beschluss vom 12. April 1999 liess das Obergericht die Republik der Philippinen für das Rekursverfahren als Beteiligte zu und ordnete an, dieser sei nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses Ge- legenheit zu geben, sich zur Rekursschrift der Rekurrenten äussern zu können. Der Republik der Philippinen sei allerdings nur teilweise Einsicht in die Rekursakten zu gewähren und es seien alle Stellen abzudecken, die sich auf bereits eingeholte Bankauskünfte bzw. Unterlagen beziehen.
E.-
Gegen diesen Beschluss erhoben X. und weitere Beteiligte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragen, das Akteneinsichtsrecht der Republik der Philippinen sei weiter einzuschränken, so dass dieser keine Tatsachen bekannt gegeben werden, die nicht ausschliesslich das Verfahren betreffen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen, den angefochtenen Beschluss des Obergerichts aufgehoben und den Antrag der Republik der Philippinen auf Zulassung zum Rekursverfahren abgewiesen,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
3.
a) Im Rechtshilfeverfahren kommt dem ersuchenden Staat als solchem keine Parteistellung zu (vgl.
BGE 119 Ib 64
E. 3b S. 70;
BGE 115 Ib 193
E. 6 S. 196; vgl. auch Botschaft vom 29. März 1995 betreffend die Änderung des Rechtshilfegesetzes, BBl 1995 III S. 30). Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung eine Ausnahme zugelassen und die Parteistellung des ersuchenden Staates anerkannt, wenn dieser zugleich Geschädigter i.S.v.
Art. 21 Abs. 2 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1)
ist: So räumte das Bundesgericht der Republik der Philippinen mit Präsidialverfügung vom 29. Juni 1990 die Möglichkeit ein, sich am Beschwerdeverfahren i.S. Erben des Ferdinand Marcos zu beteiligen, weil sie glaubhaft dargetan hatte, durch strafbare Handlungen von Ferdinand Marcos und den Mitangeschuldigten an ihrem Vermögen geschädigt worden zu sein und sich in der Strafsache gegen Marcos und Konsorten auf den Philippinen nicht nur als Anklägerin sondern auch als geschädigte Partei beteiligte. Aus den gleichen Gründen hielt das Bundesgericht die Republik der Philippinen für befugt, gegen den die Herausgabe der Marcos-Vermögenswerte ablehnenden Entscheid des Zürcher Obergerichts Beschwerde zu erheben (unveröffentlichter Entscheid vom 7. Januar 1998, E. 1b): Zumindest in Fällen, in denen es dem ersuchenden
BGE 125 II 411 S. 414
Staat um die Wiedererlangung von Vermögenswerten gehe, die ihm deliktisch entzogen worden seien, werde der Staat persönlich und direkt von der Rechtshilfemassnahme betroffen und habe ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung von Rechtshilfeentscheiden, die sein Herausgabeersuchen ablehnen. Hervorzuheben ist, dass dem philippinischen Staat in jenem Verfahren bereits alle Bankdokumente bekannt waren und er insbesondere auch die Namen der kontoführenden Gesellschaften und Stiftungen und deren Verbindung zu Ferdinand Marcos bzw. seinen Erben kannte. Zudem war die Herausgabe der in der Schweiz blockierten Vermögenswerte bereits im Entscheid
BGE 116 Ib 452
grundsätzlich bewilligt worden und nur der Zeitpunkt ihrer Übergabe bis zum Vorliegen eines vollstreckbaren Einziehungs- oder Rückerstattungsentscheids des zuständigen philippinischen Gerichts hinausgeschoben worden. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht war somit nur noch die Frage, ob die Vermögenswerte vorzeitig, vor Vorliegen eines solchen Urteils, herausgegeben werden durften.
b) Im vorliegenden Verfahren geht es nicht nur um die Herausgabe von Vermögenswerten, die X. deliktisch zu Lasten des philippinischen Staates erworben haben soll, sondern auch um die Herausgabe von Bankdokumenten, aus denen sich u.a. die Identität des Inhabers der gesperrten Konten und die Herkunft dieser Gelder ergibt. Es handelt sich hierbei um Informationen aus dem Geheimbereich, die dem ersuchenden Staat erst nach rechtskräftigem Abschluss des Rechtshilfeverfahrens bekannt gegeben werden dürfen. Wird der ersuchende Staat zum Rekursverfahren zugelassen, besteht die Gefahr, dass er bereits in diesem Verfahren und somit vorzeitig Kenntnis von sensiblen Informationen erhält. Diese Gefahr kann durch eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts gemindert, nicht aber vollständig ausgeschaltet werden: Es besteht - gerade bei umfangreichen Rechtshilfeakten - die Gefahr, dass Informationen nicht vollständig abgedeckt werden oder dem ersuchenden Staat versehentlich im Rahmen des Schriftenwechsels bekannt gegeben werden. Überdies ist die Abdeckung sämtlicher sensibler Informationen ausserordentlich zeitaufwendig und erschwert die Prozessführung in einem Mass, welche dem Gebot der raschen Erledigung gemäss
Art. 17a IRSG
widersprechen kann. Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass die Einschränkung der Akteneinsicht auch die Parteistellung des ersuchenden Staates entwertet: So ist es im vorliegenden Fall schwer vorstellbar, wie die Republik der Philippinen glaubhaft machen soll, dass die bei den weiteren Beteiligten
BGE 125 II 411 S. 415
beschlagnahmten Vermögenswerte offensichtlich deliktischen Ursprungs sind, wenn sie weder deren Identität noch die Herkunft ihrer Vermögenswerte kennt.
c) Aus den genannten Gründen hat es das Bundesgericht in einem unveröffentlichten Entscheid vom 5. Juni 1998 (E. 1d) abgelehnt, die Republik Äthiopien zu einem Beschwerdeverfahren zuzulassen, das die Herausgabe sowohl von Bankdokumenten als auch von beschlagnahmten Vermögenswerten betraf. Die Republik Äthiopien hatte geltend gemacht, sie sei geschädigte Partei und das Verfahren betreffe die Wiedererlangung von Vermögenswerten, die ihr deliktisch entzogen worden seien. Das Bundesgericht war der Auffassung, die Zulassung des ersuchenden Staates in einem solchen Fall gefährde das öffentliche Interesse am ordnungsgemässen Verfahrensablauf und berge die Gefahr einer vorzeitigen Bekanntgabe geheimer Informationen. Eine Zulassung des ersuchenden Staates könne daher erst nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens in Betracht gezogen werden, d.h. im Regelfall erst nach Vorliegen der Schlussverfügung und eines rechtskräftigen und vollstreckbaren gerichtlichen Herausgabeentscheids des ersuchenden Staates i.S.v.
Art. 74a Abs. 3 IRSG
. Das Bundesgericht gab zu Bedenken, dass dem ersuchenden Staat durch die Versagung der Parteistellung kein Schaden entstehe, weil die Rechtshilfebehörde (in jenem Verfahren das BAP) im Beschwerdeverfahren Gelegenheit habe, die für das äthiopische Ersuchen sprechenden Argumente vorzutragen (a.a.O. E. 1e).
d) Im vorliegenden Fall liegen die Umstände gleich: Auch hier kommt eine Zulassung des philippinischen Staates zum Rechtshilfeverfahren frühestens in Betracht, wenn rechtskräftig über die Herausgabe der Bankdokumente entschieden worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt vertreten die Bezirksanwaltschaft, welche das Rechtshilfegesuch bewilligt hat, und das BAP die Interessen des ersuchenden Staates. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d81a0f6e-1b54-4fc5-b6f5-b0669e45d7b7 | Urteilskopf
110 Ib 82
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Februar 1984 i.S. X-Bank und M. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen.
1. Art. 2 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 und 5. Darunter fällt nicht der Bannbruch gemäss
Art. 76 ZG
(E. 4b aa).
2. Art. 3 Abs. 1 lit. a. Wegen Handlungen gegen wirtschaftspolitische Massnahmen, wie der Bannbruch gemäss
Art. 76 ZG
, kann die Rechtshilfe gemäss dieser Bestimmung verweigert werden (E. 4b bb).
3. Art. 4 Abs. 3. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 110 Ib 82 S. 82
A.-
Am 25. März 1983 richtete das Justizdepartement der Vereinigten Staaten von Amerika an das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) gestützt auf den Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (im folgenden: der Vertrag) ein Begehren um Rechtshilfe im Rahmen
BGE 110 Ib 82 S. 83
eines beim US Attorney for the Central District of California hängigen Strafverfahrens gegen M., einen gegenwärtig in der Schweiz wohnhaften amerikanischen Staatsangehörigen, den in Moskau wohnhaften Sowjetbürger B. und den im Kanton Zürich wohnhaften Schweizer L.
Zur Begründung des Gesuchs werden folgende Tatsachen vorgebracht. M. kaufte in den USA Computer und Computerbestandteile und schickte sie an L., der damals Direktor einer Zürcher Speditionsfirma war. Dieser spedierte die Güter an E. T., ein sowjetisches Staatsunternehmen, für das B. als Experte tätig ist. Da die Ausfuhr solchen Materials aus Amerika einer Bewilligung bedarf, haben M. und L. den Behörden die Erklärung abgegeben, dass es sich um Kühlschränke, Fernsehapparate und Plattenspieler handle. Als Endempfänger nannten sie eine anscheinend nicht existierende Gesellschaft in Zürich. Zwölf solche Lieferungen im Wert von mehreren Millionen Dollar zwischen April 1980 und Februar 1982 seien von M. u.a. beglichen worden durch Zahlungen auf Konten bei einer Bank in Zürich.
Die USA verlangten, dass die Bank Dokumente betreffend Konten herausgeben solle, die M. und die von ihm beherrschten Gesellschaften allenfalls eröffnet hätten.
B.-
Am 8. April 1983 forderte das BAP die amerikanischen Behörden auf, ihr Ersuchen zurückzuziehen, da seine Erledigung geeignet wäre, wesentliche Interessen der Schweiz, insbesondere ihre Neutralität, zu beeinträchtigen. Das amerikanische Justizdepartement weigerte sich jedoch mit Schreiben vom 16. Mai 1983, weil es nicht um die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen gehe, sondern lediglich um die illegale Ausfuhr amerikanischer Waren. Nach Einholung von Berichten des Bundesamtes für Aussenwirtschaft und der Direktion für Völkerrecht teilte das BAP den amerikanischen Behörden mit, dass es auf ihr Ersuchen eintrete, unter Vorbehalt des Entscheids des Justiz- und Polizeidepartements über die Rechtshilfe nach Ermessen gemäss Art. 3 des Vertrages. Gemäss Art. 10 des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1975 zum Vertrag (BGRUS) überwies das BAP das Ersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich zur Ausführung. Eine Kopie des Überweisungsschreibens wurde der betroffenen Bank zugestellt, unter Hinweis auf ihre Einsprachemöglichkeit.
M. und die Bank erhoben gesondert Einsprache.
Mit Verfügungen vom 25. Oktober 1983 wies das BAP die Einsprachen ab. In beiden Verfügungen wird der Entscheid des
BGE 110 Ib 82 S. 84
Departements nach Art. 3 Ziff. 1 lit. a des Vertrags vorbehalten, wenn der Umfang der Rechtshilfeleistung feststeht.
C.-
Mit separaten Verwaltungsgerichtsbeschwerden beantragen die Bank und M. Aufhebung der Verfügungen des BAP und Ablehnung der Rechtshilfe. M. beantragt eventualiter, die Rechtshilfe sei auf Akten zu beschränken, die sich auf die Überführung von Waren aus den USA in die Schweiz beziehen, und subeventualiter, die Sache sei zu neuer Entscheidung an das BAP zurückzuweisen.
Das BAP beantragt Abweisung der Beschwerden, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass die im Rechtshilfeersuchen aufgeführten Tatsachen von den darin angegebenen Bestimmungen des amerikanischen Rechts erfasst werden. Auch stellen sie nicht in Abrede, dass diese Tatsachen den Tatbestand einer nach schweizerischem Recht strafbaren Handlung erfüllen, nämlich jenen des Art. 76 des Zollgesetzes (ZG) betreffend den Bannbruch, und dass sie zusätzlich vom Bundesbeschluss über aussenwirtschaftliche Massnahmen vom 28. Juni 1972 sowie der Verordnung über die Warenausfuhr vom 20. Februar 1974 erfasst werden. Das Bundesgericht hat somit auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin nicht zu prüfen, ob das Ersuchen den Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit respektiert, was nach Art. 4 Abs. 2 lit. a des Vertrags Voraussetzung der Anwendung von Zwangsmassnahmen ist. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz nicht erfordert, dass der ersuchende und der ersuchte Staat die fragliche Handlung in ihren Gesetzgebungen unter demselben rechtlichen Gesichtswinkel erfassen. Die Normen brauchen nicht identisch zu sein; es genügt, dass die im Rechtshilfegesuch umschriebenen Tatsachen in jedem der beiden Rechte einen Straftatbestand erfüllen (Art. 4 Abs. 4 des Vertrags; vgl.
BGE 92 I 115
).
b) Hingegen bringen die Beschwerdeführer vor, die besondere Natur der fraglichen Widerhandlungen stehe der Gewährung der Rechtshilfe entgegen. Sie seien nämlich nicht gemeinrechtliche Delikte, sondern solche wirtschaftspolitischer Natur. Der ersuchte Staat sollte daher nicht Rechtshilfe leisten, denn die Verfolgung dieser Delikte diene nicht der Bekämpfung der Kriminalität, sondern der Durchsetzung wirtschaftspolitischer Vorstellungen.
BGE 110 Ib 82 S. 85
aa)
Art. 76 ZG
, der im wesentlichen auf die im Rechtshilfegesuch umschriebene deliktische Tätigkeit anwendbar sein soll, bedroht den Bannbruch, d.h. die Verletzung von Verboten oder Beschränkungen der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr von Waren mit Strafe, sofern nicht ein besonderer Erlass hiefür eigene Strafvorschriften aufstellt. Als solcher figuriert er nicht unter den vom Vertrag ausgeschlossenen Delikten gemäss dessen Art. 2 Abs. 1 lit. c. Näher zu prüfen sind in dieser Hinsicht allein Ziff. 1 und 5 dieser Bestimmung.
Ziff. 1 betreffend das politische Delikt verweist für dessen Begriff auf das Recht des ersuchten Staates. Nach dem schweizerischen Recht liegt ein politisches Delikt nur vor, wenn die strafbaren Handlungen im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staate ausgeführt oder wenn sie verübt wurden, um jemanden dem Zwang eines jede Opposition ausschliessenden Staates zu entziehen; zwischen solchen Taten und den angestrebten Zielen muss eine enge, direkte und klare Beziehung bestehen (
BGE 108 Ib 409
E. 7b;
BGE 106 Ib 301
E. 4, 308 E. 3b und Zitate). Unter diese Umschreibung fällt offenkundig die Verletzung protektionistischer, die Freiheit des internationalen Handels beschränkender Massnahmen nicht. Ziff. 5 handelt von der Verletzung von Vorschriften über Steuern sowie über Zollabgaben, staatliche Monopolgebühren und den Zahlungsverkehr mit dem Ausland. Sie bezieht sich somit auf Fiskaldelikte, d.h. ausschliesslich auf Handlungen, die gegen Regeln über Festsetzung und Erhebung öffentlicher Abgaben jeder Art gerichtet sind (Urteil Grabowsky vom 16. November 1977, E. 4). Darunter fällt
Art. 76 ZG
nicht. Er schützt grundsätzlich nicht öffentliche Abgaben, sondern in der Regel besondere wirtschaftliche Interessen (Botschaft des Bundesrates vom 1. März 1966 betreffend die Genehmigung von sechs Konventionen des Europarates, BBl 1966 I 477; H. SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 465 N. 18; TH. GUT, Die fiskalischen und militärischen Vergehen im schweizerischen Auslieferungsrecht, S. 119 N. 7).
Somit gestattet Art. 2 des Vertrags dem ersuchten Staat nicht, die Rechtshilfe in Verfahren zu verweigern, die Handlungen gegen wirtschaftspolitische Massnahmen betreffen, wie den Bannbruch gemäss
Art. 76 ZG
.
bb) Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, der Vertrag sei in dieser Hinsicht lückenhaft und durch Heranziehung eines ungeschriebenen Grundsatzes des Rechtshilferechts zu ergänzen,
BGE 110 Ib 82 S. 86
wonach für diese Art von Delikten die Rechtshilfe unabhängig vom Vertrag ausgeschlossen sei.
Es ist ohne Belang, dass der Bundesgesetzgeber diesen Grundsatz in Art. 3 Abs. 3 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe vom 20. März 1981 (IRSG) aufgenommen hat. Denn in allen Fragen, die das Vertragsrecht ausdrücklich oder stillschweigend abschliessend regelt, geht es dem Landesrecht vor (
BGE 106 Ib 298
E. 1;
BGE 105 Ib 296
E. 1a mit Hinweisen). Dieser Grundsatz, der sich aus der Rangordnung der Normen ergibt und in
Art. 1 Abs. 1 IRSG
in Erinnerung gerufen wird, findet in diesem Fall Anwendung. Dass unter den in Art. 2 des Vertrags aufgezählten Ausschlussklauseln ein Hinweis auf wirtschaftspolitische Massnahmen fehlt, ist kein Zufall. Die Verweigerung der Mithilfe bei der Verfolgung solcher Taten ist vor allem geboten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des ersuchten Staates. Gegenstand wirtschaftlicher Ausfuhrverbote und -beschränkungen sind in der Regel Waren, an denen erfahrungsgemäss jeweils international gesehen ein Mangel herrscht; Einfuhrverbote oder -beschränkungen werden aus protektionistischen Gründen oder als handelspolitisches Druckmittel angeordnet. In jedem Fall sind diese Beschränkungen für andere Staaten störend und wirtschaftlich gesehen abträglich (zit. Botschaft, a.a.O.). Die wesentlichen Anliegen des ersuchten Staates, einschliesslich seiner wirtschaftlichen Interessen, werden indessen nicht durch Art. 2 des Vertrags gewahrt, der die seiner Anwendung entgegenstehenden juristischen Gründe aufzählt, sondern durch Art. 3 Abs. 1 lit. a, welcher es dem ersuchten Staat ermöglicht, die Rechtshilfe zu verweigern, wenn die Erledigung des Ersuchens geeignet wäre, die Souveränität, Sicherheit oder ähnliche wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen. Dabei handelt es sich um eine Bestimmung vorwiegend politischen Inhalts, da dem ersuchten Staat bei ihrer Anwendung eine Ermessensbefugnis zusteht und er seinen Entscheid nicht zu begründen hat (vgl. P. LASZLOCZKY, Concessione discrezionale dell'assistenza e principio di specialità, in: L'Assistenza internazionale in materia penale in Svizzera, Milano 1983, p. 141 ss.). Wie der Bundesrat zu
Art. 2 lit. b EÜR
gleichen Inhalts ausgeführt hat, macht eine solche Bestimmung einen besonderen Vorbehalt bezüglich der Fälle von Bannbruch überflüssig (zit. Botschaft, a.a.O.).
c) Nach Art. 4 BGRUS entscheidet über die sog. Rechtshilfe nach Ermessen gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a des Vertrags nicht das
BGE 110 Ib 82 S. 87
BAP, sondern das Departement, unter Vorbehalt der Beschwerde an den Bundesrat. Im Einverständnis mit dem Departement hat das BAP beschlossen, die Frage dem Departement erst zu unterbreiten, wenn der konkrete Umfang der Rechtshilfe feststeht, d.h. wenn die kantonale Ausführungsbehörde dem BAP die Schriftstücke übermittelt haben wird. Die Beschwerdeführerin 1 ist der Auffassung, dass das BAP in diesem Punkt eine Zwischenverfügung gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. a BGRUS hätte erlassen sollen; der Aufschub des Entscheids sei unökonomisch und könnte die Beschwerdeführerin der Beschwerdemöglichkeit berauben. Diese Rügen sind teils unerheblich, teils unzulässig.
Vorweg ist fraglich, ob die Beschwerdeführerin 1 im jetzigen Verfahrensstadium ein aktuelles Interesse daran hat, sich über eine Verletzung des Art. 11 Abs. 1 lit. a BGRUS zu beschweren. Auf jeden Fall hätte sie aber glaubhaft machen müssen, dass einer der in Art. 11 Abs. 1 lit. a erwähnten Sachverhalte gegeben sei, da sich in den Akten hiefür keine ernsthaften Anhaltspunkte finden. Das hat sie indessen im ganzen Verwaltungsverfahren nicht getan. Was die Weigerung des Departements angeht, sogleich über die Anwendung des Art. 3 des Vertrags zu befinden, ist nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben, sondern die Rechtsverzögerungsbeschwerde gemäss
Art. 70 VwVG
an den Bundesrat.
5.
Nach Art. 4 Abs. 2 des Vertrags genügt es für die Anwendung von Zwangsmassnahmen (hier: Aufhebung des Bankgeheimnisses) nicht, dass die Handlungen, die das Ersuchen betrifft, nach dem Recht beider Staaten die objektiven Merkmale eines Straftatbestandes erfüllen; es ist weiter erforderlich, dass die Handlungen einem der Tatbestände unterfallen, die in der dem Vertrag beigefügten Liste aufgeführt sind. Es steht fest, dass die im Rechtshilfeersuchen umschriebenen Tatsachen in keiner der 35 Nummern dieser Liste erwähnt werden, insbesondere auch nicht in Nummer 30. In einem solchen Fall entscheidet gemäss Art. 4 Abs. 3 des Vertrags die Zentralstelle des ersuchten Staates, ob die Bedeutung der Tat Zwangsmassnahmen rechtfertigt. Das BAP, das schweizerische Zentralstelle ist, nahm an, das treffe zu. Es hat einerseits die objektive Schwere der Widerhandlung berücksichtigt, insbesondere Dauer und Umfang der deliktischen Tätigkeit sowie die Strafdrohung in
Art. 77 Abs. 3 ZG
und Art. 6 des Bundesbeschlusses über aussenwirtschaftliche Massnahmen, anderseits den Umstand, dass die Angeschuldigten gewerbsmässig gehandelt und vermutlich
BGE 110 Ib 82 S. 88
wissentlich die schweizerischen Vorschriften über den Schutz des Bank- und Geschäftsgeheimnisses ausgenützt haben, um ihr Tun zu verheimlichen.
Art. 10 Abs. 2 lit. a des Vertrags, auf den der Botschafter der Vereinigten Staaten in seinem Brief vom 25. Mai 1973 an Botschafter Weitnauer Bezug nimmt, spricht von "einer schweren Straftat", während in Art. 4 Abs. 3 des Vertrags von der "die Bedeutung der Tat" die Rede ist. In beiden Fällen hat indessen die Würdigung der Bedeutung bzw. Schwere der Tat nach den konkreten Umständen des einzelnen Rechtshilfefalls zu geschehen.
Dabei steht der Zentralstelle ein recht weites Ermessen zu. Das Bundesgericht auferlegt sich daher bei der Überprüfung ihres Entscheids eine gewisse Zurückhaltung (Urteil Unigestion S.A. vom 26. Januar 1983, E. 6a; vgl.
BGE 107 Ib 257
oben). Es greift nur ein, wenn die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat. Das trifft hier nicht zu. Das BAP hat eine vernünftige Würdigung der Umstände der Widerhandlungen und der durch diese bewirkten Rechtsgüterverletzung vorgenommen. Das Bundesgericht hat nicht an deren Stelle seine eigene Würdigung zu setzen. Die Annahme des BAP, Zwangsmassnahmen gemäss Art. 4 Abs. 3 des Vertrags seien gerechtfertigt, ist somit nicht zu beanstanden. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d81ca1c9-7558-4409-92b9-2529d8b3b1d0 | Urteilskopf
116 II 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Januar 1990 i.S. Schmid gegen Tages-Anzeiger für Stadt und Kanton Zürich AG (Berufung) | Regeste
Gegendarstellung: Zeitpunkt der Anrufung des Richters (
Art. 28l ZGB
).
Ruft der Betroffene den Richter erst an nach Ablauf einer Frist von zwanzig Tagen vom Zeitpunkt an gerechnet, da das Medienunternehmen die Veröffentlichung der Gegendarstellung abgelehnt hat, ist im Sinne einer Tatsachenvermutung davon auszugehen, dass er an der gerichtlichen Geltendmachung des Gegendarstellungsrechts kein schützenswertes Interesse (mehr) hat, und - sofern er nicht das Gegenteil nachzuweisen vermag - seinem Begehren nicht stattzugeben. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 116 II 1 S. 1
In der Ausgabe vom 8. Juni 1988 der in Zürich erscheinenden Tageszeitung "Tages-Anzeiger" wurde unter dem Titel "100 Arbeitnehmer kämpfen um ihre Pensionskassengelder" und dem Untertitel "Millionenklage gegen Stiftungsrat von Eschler-Urania" ein Artikel über das Verschwinden von Pensionskassengeldern bei der Eschler-Urania AG veröffentlicht. Der Artikel enthielt unter der Überschrift "Streik machte Schlagzeilen" einen Abschnitt mit folgendem Wortlaut:
BGE 116 II 1 S. 2
"Wie man eine Liegenschaft über ihren Wert hinaus belehnt, hatte Saupe möglicherweise vom Zürcher Immobilienhändler Stefan Götz gelernt. Der wegen derlei Tricks zu Gefängnisstrafen verurteilte Götz war von 1980 bis 1982 Eigentümer der Eschler-Urania AG und hatte die serbelnde Autozubehörfirma von einem Geschäftsfreund übernommen - dem Luzerner Financier Ralph Schmid. Unter Schmid geriet die Firma zum ersten Mal in die Schlagzeilen: 12 EU-Angestellte streikten im Mai 1979, weil sie während Jahren weder den Teuerungsausgleich noch eine Reallohnerhöhung erhalten hatten."
Mit Schreiben vom 8. Juli 1988 liess Ralph Schmid durch seinen Anwalt einen Gegendarstellungstext vorlegen und der Redaktion der Zeitung unter Androhung rechtlicher Schritte im Weigerungsfall das Gesuch stellen, diesen zu veröffentlichen.
Die Zeitung lehnte dieses Gesuch mit Schreiben vom 12. Juli 1988 unter Hinweis auf
Art. 28i Abs. 1 ZGB
als verspätet ab. Am 15. Juli 1988 liess Ralph Schmid sein Begehren erneuern, wobei er bestritt, dass es verspätet gestellt worden sei. In seiner Antwort vom 22. Juli 1988 hielt der Chefredaktor der Zeitung daran fest, dass das Gesuch um Gegendarstellung verspätet sei; er legte überdies dar, dass die Zeitung die Veröffentlichung der gewünschten Gegendarstellung auch aus materiellen Gründen ablehne.
Mit Eingabe vom 24. August 1988 erhob Ralph Schmid beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirks Zürich gegen die Tages-Anzeiger für Stadt und Kanton Zürich AG Klage mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei unter Androhung von Bestrafung wegen Ungehorsams gemäss
Art. 292 StGB
zu verpflichten, in einer ihrer nächsten Ausgaben des "Tages-Anzeigers" die von ihm verlangte Gegendarstellung zu veröffentlichen. Nachdem das Verfahren auf Ersuchen der Parteien während rund zwei Monaten geruht hatte, wies der Einzelrichter das klägerische Begehren mit Verfügung vom 8. Februar 1989 ab.
In Abweisung eines Rekurses des Klägers bestätigte das Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich am 4. Juli 1989 den Entscheid der ersten Instanz.
Das Bundesgericht weist die vom Kläger gegen den obergerichtlichen Beschluss erhobene Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Obergericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinem an die Beklagte gerichteten Ersuchen vom 8. Juli 1988, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, die Frist nach
Art. 28i Abs. 1 ZGB
gewahrt habe. Indessen habe der Kläger mit
BGE 116 II 1 S. 3
der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Gegendarstellung zu lange zugewartet. Da vieles von den Umständen des Einzelfalles abhänge, sehe das Gesetz zu Recht keine eigentliche Klage- oder Verwirkungsfrist vor. Es sei jedoch Sache des Klägers, dafür zu sorgen, dass die Gegendarstellung so bald als möglich veröffentlicht werde. Solle nämlich einer Tatsachendarstellung eine anderslautende gegenübergestellt werden, so sei im Interesse des Betroffenen, aber auch im Interesse des zur Gegendarstellung verpflichteten Mediums und der Leser darauf zu achten, dass die beiden Darstellungen in einem zeitlich überschaubaren Zusammenhang stünden. Die Vorinstanz hält weiter dafür, dass zur Klageeinleitung ein Zeitraum von einer bis höchstens drei Wochen ausreichend sein dürfte. Als Richtlinie sei grundsätzlich die Frist von zwanzig Tagen heranzuziehen, die
Art. 28i Abs. 1 ZGB
für die Absendung der Gegendarstellung an das Medienunternehmen vorschreibe. Im vorliegenden Fall bestehe kein Anlass, die Frist für die Klageerhebung länger anzusetzen. Von der ersten ablehnenden Stellungnahme der Beklagten an habe der Kläger bis zur Klageanhebung sechs Wochen zugewartet und damit seinen Anspruch auf Gegendarstellung verwirkt.
b) In der Berufung wendet der Kläger im wesentlichen ein, er habe erst nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 22. Juli 1988 die Gewissheit gehabt, dass diese die Veröffentlichung der verlangten Gegendarstellung endgültig ablehne; das Schreiben sei erst am Montag, dem 25. Juli 1988, in Empfang genommen worden. Vier Wochen später, nach dem Ende der allgemeinen Ferienzeit und nach weiteren Instruktionen, die sein Anwalt im Ausland - d.h. in Monte Carlo, seinem Wohnort - habe einholen müssen, sei die Klage am 24. August 1988 eingereicht worden. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die Post in Frankreich und Monaco während der Sommermonate nur sehr schleppend funktioniere.
Der Kläger führt weiter aus, dass ausdrücklich verzichtet worden sei, im Schweizerischen Zivilgesetzbuch eine Frist zur Klageeinreichung festzulegen. Eine Fristversäumnis könne aber auch deshalb nicht angenommen werden, weil das Gesetz dem Betroffenen die Möglichkeit einräume, die gewünschte Gegendarstellung innerhalb von drei Monaten nach Verbreitung der beanstandeten Äusserung an das Massenmedium abzusenden. Diese Frist sei hier eingehalten, und es sei nicht einzusehen, weshalb die Frist zur Klageeinreichung knapper zu bemessen sei.
BGE 116 II 1 S. 4
3.
Aus der Botschaft vom 5. Mai 1982 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Persönlichkeitsschutz:
Art. 28 ZGB
und 49 OR) ergibt sich, dass auf die Festsetzung einer Frist für die klageweise Geltendmachung des Gegendarstellungsanspruchs bewusst verzichtet worden ist. Es heisst darin wörtlich (BBl 1982 II S. 679 f.):
"Der Entwurf nennt keine Frist für die Klageerhebung, weil es Sache des Klägers ist, dafür zu sorgen, dass die Gegendarstellung sobald als möglich veröffentlicht wird. Wer dabei offensichtlich zögert, zeigt, dass er auf die Ausübung seines Rechts verzichtet. Er kann vom Richter nur noch verlangen, dass dieser die Veröffentlichung einer Berichtigung - im Rahmen einer Unterlassungs- oder Feststellungsklage - anordnet (Art. 28a Abs. 2); damit aber muss er die Widerrechtlichkeit nachweisen."
Unter Hinweis auf diese Stelle der bundesrätlichen Botschaft hat auch das Bundesamt für Justiz in seinem an die Kantone gerichteten Zirkularschreiben vom 16. April 1984 zur Gesetzesnovelle (abgedruckt bei KARL MATTHIAS HOTZ, Kommentar zum Recht auf Gegendarstellung (ZGB 28g-l), S. 126 ff.) festgehalten, das Gesetz habe bewusst keine bestimmte Klagefrist vorgesehen, und es wird im erwähnten Rundschreiben weiter davon ausgegangen, die Kantone könnten hierüber nicht ergänzend legiferieren (a.a.O., S. 130). PIERRE TERCIER (Le nouveau droit de la personnalité, S. 221, Randziffer 1669) erklärt, dass die Befristung von den konkreten Umständen abhänge: Da einerseits die Frage einer Gegendarstellung dem Grundsatz nach geprüft und der Text im Hinblick auf das an das Medienunternehmen gerichtete Gesuch um Veröffentlichung aufgesetzt sein werde und andererseits das Gesetz ein einfaches, schnelles Verfahren vorschreibe, könne von einer kurzen Frist ausgegangen werden. Der erwähnte Autor hält dafür, dass die Zeitspanne jedenfalls nicht länger sein könne als die in
Art. 28i Abs. 1 ZGB
für das Absenden des Gegendarstellungstextes an das Medienunternehmen vorgesehenen zwanzig Tage; in den häufigsten Fällen würden etwa zehn Tage ausreichen, und zwar von der endgültigen Weigerung des Medienunternehmens, im Falle von Stillschweigen vom Zeitpunkt an gerechnet, da eine Antwort vernünftigerweise hätte erwartet werden können. Nach ANDREAS BUCHER (Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, S. 190, Randziffer 701) hat der Richter das zu seiner Anrufung erforderliche Interesse des Klägers "nach den Umständen und in analoger Berücksichtigung der in Art. 28i Abs. 1 (ZGB) vorgesehenen Fristen" zu beurteilen, und KARL MATTHIAS HOTZ
BGE 116 II 1 S. 5
(a.a.O., S. 103) ist der Auffassung, es könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Frist zur Klageanhebung kurz zu bemessen sei, da der Kläger noch ein schützenswertes Interesse müsse nachweisen können; "ungefähr zehn Tage" hält er für ausreichend. Ein allzulanges Zögern mit der Klageerhebung könnte nach Ansicht von RICHARD FRANK (Persönlichkeitsschutz heute, S. 141, Randziffer 333) aufgrund des Sinnes des Gegendarstellungsrechts als Verzicht darauf ausgelegt werden. Von den gleichen Überlegungen hat sich auch das Zürcher Obergericht in zwei Entscheiden aus dem Jahre 1986 leiten lassen (ZR 85/1986 Nr. 103, S. 260, E. 3, und 86/1987 Nr. 50, S. 117 f., E. e).
4.
a) Nachdem bewusst davon abgesehen worden ist, eine starre Frist für die Einreichung der Klage auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung in das Schweizerische Zivilgesetzbuch aufzunehmen, darf eine solche auch nicht auf dem Wege der Lückenfüllung durch die Rechtsprechung eingeführt werden. In Übereinstimmung mit den angeführten Lehrmeinungen rechtfertigt es sich jedoch anzunehmen, wer mit der gerichtlichen Geltendmachung des Gegendarstellungsanspruchs allzulange zögere, verzichte in aller Regel auf diesen Anspruch oder habe, anders ausgedrückt, ein schutzwürdiges Interesse an dessen Durchsetzung verloren (so auch die oben zitierte bundesrätliche Botschaft). Es besteht für den Betroffenen in der Tat kein vernünftiger Grund dafür, mit der Klageerhebung zuzuwarten. Aus dem Wesen des Gegendarstellungsrechts als solchem ergibt sich die Notwendigkeit zu raschem Handeln, soll die Gegendarstellung überhaupt noch eine Wirkung erzielen können. Dazu kommt, dass gestützt auf
Art. 28i Abs. 1 ZGB
der Text der Gegendarstellung zuhanden des Medienunternehmens bereits schriftlich hat formuliert werden müssen und dass die Anrufung des Richters auch sonst nicht mit grösseren Schwierigkeiten verbunden ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass die Klage beim Richter am eigenen Wohnsitz angehoben werden kann (
Art. 28l Abs. 2 ZGB
), was im vorliegenden Fall wegen des ausländischen Wohnsitzes des Klägers allerdings nicht zum Tragen kommen konnte. Aus den angeführten Gründen ist für die gerichtliche Geltendmachung des Gegendarstellungsrechts keine längere Frist erforderlich als jene, die für das direkt an das Medienunternehmen zu richtende Begehren um Veröffentlichung der Gegendarstellung vorgesehen ist und gemäss
Art. 28i Abs. 1 ZGB
zwanzig Tage beträgt. Es ist deshalb denjenigen Autoren zuzustimmen, die von einer höchstens
BGE 116 II 1 S. 6
zwanzigtägigen Frist ausgehen, und zwar vom Zeitpunkt an gerechnet, in welchem das Medienunternehmen die Veröffentlichung der Gegendarstellung abgelehnt hat oder, im Falle des Stillschweigens, vernünftigerweise von einer Ablehnung ausgegangen werden musste. Der Hinweis des Klägers auf die absolute Verwirkungsfrist von drei Monaten gemäss
Art. 28i Abs. 1 ZGB
ist unbehelflich. Im Vordergrund steht hier nicht die Frage, wie lange nach dem Erscheinen einer Tatsachendarstellung die Veröffentlichung einer Gegendarstellung im äussersten Fall noch erwirkt werden kann, sondern es geht darum, innert welcher Zeit der Betroffene tätig werden muss, wenn er einmal von den über ihn verbreiteten Äusserungen Kenntnis erhalten hat.
b) Bei der in Analogie zu
Art. 28i Abs. 1 ZGB
auf zwanzig Tage zu bemessenden Frist für die Klageeinreichung kann es sich nicht um eine eigentliche Verwirkungsfrist handeln. Anders entscheiden würde auf eine unzulässige Lückenfüllung hinauslaufen. Hingegen erscheint es als gerechtfertigt, nach Ablauf einer zwanzigtägigen Frist von der Vermutung auszugehen, der Betroffene habe an der gerichtlichen Geltendmachung des Gegendarstellungsrechts kein schützenswertes Interesse mehr. Erhebt er in der Folge dennoch Klage, ist es an ihm nachzuweisen, dass er an der Veröffentlichung der Gegendarstellung entgegen dieser Vermutung ein ausreichendes Interesse bewahrt hat. Ein solches Interesse wäre beispielsweise zu bejahen, wenn sich die Verzögerung der Klageeinleitung auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Gegendarstellung von vornherein nicht auswirken kann, weil die nächste Ausgabe einer Zeitschrift ohnehin erst in mehreren Monaten erscheint. Ein schützenswertes Interesse an der Weiterverfolgung des Gegendarstellungsanspruchs ist ferner etwa dann gegeben, wenn der Betroffene nachzuweisen vermag, dass er trotz einstweiliger Ablehnung seines Gegendarstellungsbegehrens durch das Medienunternehmen ernsthafte Gründe zur Annahme hatte, dem Gesuch um Veröffentlichung werde in absehbarer Zeit doch noch entsprochen werden. In solchen Fällen ginge die Aufrechterhaltung der Vermutung, dass ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse dahingefallen sei, zu weit.
c) Viele Ähnlichkeiten mit dem Gesagten weist übrigens die in der Bundesrepublik Deutschland geltende Regelung auf. Auch in den dortigen Landespressegesetzen ist zur Anrufung des Richters keine Frist vorgesehen für den Fall, dass das direkt an die Presse zu richtende Verlangen nach Abdruck der Gegendarstellung
BGE 116 II 1 S. 7
abgelehnt worden ist. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Gegendarstellungsrecht im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen. Nach der Rechtsprechung kann eine derartige Verfügung dann nicht mehr beantragt werden, wenn die Gegendarstellung ihre Wirkung beim Leser nicht mehr zu erzielen vermöchte, weil dieser die beanstandeten Äusserungen nicht mehr in Erinnerung hat. Es muss mit andern Worten noch ein Aktualitätsbezug gegeben sein. Da aber in der Bundesrepublik Deutschland für das Abdruckverlangen gegenüber dem Presseunternehmen keine nach Tagen bestimmte Frist vorgesehen ist, fehlt dort die in der Schweiz vorhandene Möglichkeit, für die Beurteilung, ob das gerichtliche Verfahren rechtzeitig eingeleitet worden sei, in analoger Weise auf eine gesetzlich festgelegte Frist abzustellen (zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland vgl. LÖFFLER/RICKER, Handbuch des Presserechts, 2. Aufl., München 1986, S. 151; RENATE DAMM, Der Gegendarstellungsanspruch in der Entwicklung der neueren Rechtsprechung, in: Presserecht und Pressefreiheit, Festschrift für Martin Löffler, München 1980, S. 32 ff., insbes. S. 35).
5.
Seine Klage vom 24. August 1988 hat der Kläger mehr als zwanzig Tage nach dem 25. Juli 1988, d.h. dem Tag eingereicht, an dem nach seinen eigenen Angaben die vom 22. Juli 1988 datierte abschlägige Antwort der Beklagten (von seinem Rechtsvertreter) empfangen worden ist. Es erübrigt sich bei dieser Sachlage, zu prüfen, ob er bereits nach der ersten Ablehnung der Beklagten im Schreiben vom 12. Juli 1988, die lediglich mit dem Hinweis auf die angebliche Verspätung des Begehrens begründet worden war, Anlass zur gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs gehabt hätte. Unter den gegebenen Umständen ist im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu vermuten, dass der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung kein schützenswertes Interesse an der Veröffentlichung einer Gegendarstellung (mehr) hatte. Die gerichtliche Beurteilung ist somit auf die Frage zu beschränken, ob dem Kläger der Nachweis von Umständen gelungen sei, die ein schutzwürdiges Interesse an der Weiterverfolgung des Gegendarstellungsanspruchs zu begründen vermögen. Dabei ist zu beachten, dass ein solches hier nicht leichthin angenommen werden darf, geht es doch um die Veröffentlichung einer Gegendarstellung in einer Tageszeitung, deren Leser sich in der Regel schon nach kurzer Zeit nicht mehr an den Inhalt früher erschienener Artikel erinnern.
BGE 116 II 1 S. 8
Der klägerische Wohnsitz in Monaco genügt unter den gegebenen Umständen jedenfalls nicht zur Annahme, dass eine Frist von zwanzig Tagen für die Klageerhebung nicht ausgereicht hätte. Der Kläger war schon vorher durch einen Anwalt in Zürich vertreten, welcher der Beklagten in seinem Namen den Text der verlangten Gegendarstellung unterbreitet hatte. Die Einreichung der Klage war somit nicht mit grösseren Schwierigkeiten verbunden, als wenn der Kläger seinen Wohnsitz in Zürich gehabt hätte. Im übrigen wird mit Recht nicht geltend gemacht, dass der Kläger von Monaco aus mit seinem Anwalt nicht telefonisch hätte in Verbindung treten können; ob die Briefpost nur schleppend funktionierte, wie in der Berufung ausgeführt wird, ist unter diesen Umständen ohne Belang. Auch dass der Fristenlauf in die Zeit der Sommerferien fiel, vermag die verzögerte Klageerhebung nicht zu rechtfertigen, um so weniger, als der Kläger schon aufgrund der ersten Ablehnung seines Begehrens um Veröffentlichung einer Gegendarstellung im Schreiben der Beklagten vom 12. Juli 1988 Anlass hatte, ernsthaft mit der Notwendigkeit einer gerichtlichen Geltendmachung zu rechnen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass keine Umstände dargetan sind, die es rechtfertigen würden, das Vorhandensein eines schutzwürdigen Interesses an der Veröffentlichung der Gegendarstellung auch noch dreissig Tage nach der definitiven Ablehnung des Gegendarstellungsbegehrens durch die Beklagte zu bejahen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d81cc758-67f4-4da5-9e06-204dbcd1640a | Urteilskopf
119 II 157
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. März 1993 i.S. Marcel W. gegen H. Transport AG (Berufung) | Regeste
Bemessung der Entschädigung nach
Art. 336a OR
.
Das dem Richter bei der Festsetzung der Entschädigung zustehende Ermessen wird nur insoweit eingeschränkt, als die Entschädigung höchstens sechs Monatslöhne betragen darf (E. 2a). Entsprechend ihrer pönalen Funktion hat sich die Entschädigung entscheidend nach der Schwere der Verfehlung des Arbeitgebers zu richten. Mitverschulden des Arbeitnehmers als Reduktionsgrund (E. 2b). Reduktion der Entschädigung des Arbeitnehmers, der als Mitglied einer Betriebskommission zwar berechtigte Arbeitnehmerinteressen vertreten, dabei jedoch ein wenig kooperatives und letztlich renitentes Verhalten an den Tag gelegt hat (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 158
BGE 119 II 157 S. 158
A.-
Der seit dem 1. Dezember 1989 als Stadtbus-Chauffeur bei der Firma H. Transport AG angestellte Marcel W. wurde am 14. Dezember 1989 in die Betriebskommission seiner Arbeitgeberin und am 27. November 1990 zum Obmann der VPOD-Gruppe Stadtbus F. gewählt. Nach Auseinandersetzungen wegen der Arbeitszeiten der Chauffeure erhob der VPOD am 7. Dezember 1990 beim Bundesamt für Verkehr Beschwerde und führte am 13. Dezember eine Pressekonferenz durch, an der auch W. teilnahm.
Die Arbeitgeberin suspendierte W. am 14. Januar 1991 mit sofortiger Wirkung vom Dienst und eröffnete ihm, dass damit auch seine Teilnahme an der auf diesen Tag angesetzten Sitzung der Stadtbus-Chauffeure dahinfalle. Am 29. Januar wurde W. auf Ende April gekündigt. Am gleichen Tag fand unter dem Vorsitz des Stadtammanns eine Besprechung zwischen der Arbeitgeberin und dem VPOD statt. Die schriftliche Kündigungsbegründung folgte am 7. März, die Einsprache des Arbeitnehmers (
Art. 336b Abs. 1 OR
) am 12. März 1991.
B.-
Am 12. Juni 1991 klagte W. beim Bezirksgericht F. gegen die H. Transport AG auf Zahlung von Fr. 28'087.-- Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung (
Art. 336a OR
). Das Bezirksgericht bejahte die Missbräuchlichkeit und schützte die Klage im Umfang von zwei Monatslöhnen. Auf kantonale Berufung beider Parteien hin erhöhte das Thurgauer Obergericht die Entschädigung auf vier Monatslöhne oder Fr. 18'111.-- nebst Zins.
C.-
Beide Parteien fechten das obergerichtliche Urteil vom 30. Juni 1992 mit eidgenössischer Berufung an. Der Kläger fordert die Erhöhung der zugesprochenen Entschädigung auf Fr. 26'979.-- nebst Zins, entsprechend der höchstmöglichen Entschädigung von sechs Monatslöhnen (
Art. 336a Abs. 2 OR
).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Auch für die klägerische Berufung gilt das Begründungserfordernis des
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
und der Grundsatz der Bindung des Bundesgerichts an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt. Auf sie ist deshalb einmal insoweit nicht einzutreten, als die zugesprochene
BGE 119 II 157 S. 159
Entschädigung rein rechnerisch als zu tief beanstandet wird. Im Berufungsverfahren ist sodann von der verbindlichen Feststellung des Obergerichts auszugehen, dass die vom Kläger in der Betriebskommission gegen die Beklagte erhobenen Vorwürfe betreffend die Arbeitszeiten der Chauffeure zwar berechtigt gewesen seien und das Bundesamt für Verkehr sogar zu einer Strafanzeige wegen Verletzung des Arbeitszeitgesetzes veranlasst hätten, dass der Kläger jedoch "nichts" unternommen habe, "um das angespannte Verhältnis zu entschärfen". So hält das Obergericht dem Kläger vor, er habe im Oktober 1990 an einer Sitzung der VPOD-Gruppe Stadtbus teilgenommen, an der die Ausarbeitung neuer Schichtpläne beschlossen worden sei; im Dezember 1990 habe sich dann aber herausgestellt, dass der Kläger von Anfang an nicht bereit gewesen sei, diesen Beschluss zu befolgen und andere als von einer autorisierten Stelle ausgearbeitete Schichtpläne zu akzeptieren. Diese Feststellungen sind das Ergebnis positiver Beweiswürdigung, die entgegen der Auffassung des Klägers den Beweisführungsanspruch des
Art. 8 ZGB
nicht verletzte (
BGE 114 II 291
). Im übrigen richten sich die klägerischen Berufungsvorbringen gegen die Anwendung von
Art. 336a OR
, die das Bundesgericht frei prüft.
a) Gemäss
Art. 336a Abs. 1 OR
hat diejenige Partei, welche das Arbeitsverhältnis missbräuchlich kündigt, der anderen Partei eine Entschädigung auszurichten. Der zweite Absatz bestimmt, dass die Entschädigung vom Richter unter Würdigung aller Umstände festgesetzt wird, jedoch den Betrag nicht übersteigen darf, der dem Lohn des Arbeitnehmers für sechs Monate entspricht, wobei Schadenersatzansprüche aus anderen Rechtstiteln vorbehalten werden (zweiter Satz). Die Entschädigungshöhe ist somit dem richterlichen Ermessen anheimgestellt, das nur insoweit eingeschränkt wird, als der Richter höchstens sechs Monatslöhne zusprechen darf (REHBINDER, N. 4 zu
Art. 336a OR
; STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, N. 3 zu
Art. 336a OR
; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, N. 4 zu
Art. 336a OR
). Für die vom Kläger unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien geforderte Auslegung (vgl. RONALD PEDERGNANA, Überblick über die neuen Kündigungsbestimmungen im Arbeitsvertragsrecht, in: recht 1989 Heft 2 S. 40 f.), nach der regelmässig die maximale Entschädigung von sechs Monatslöhnen geschuldet wäre, bleibt in Anbetracht der klaren Vorschrift von
Art. 336a Abs. 2 OR
kein Raum (
BGE 103 Ia 290
E. 2c). Sie wäre auch nicht mit
Art. 337c Abs. 3 OR
zu vereinbaren, der Entschädigungen zugunsten fristlos entlassener Arbeitnehmer auf sechs
BGE 119 II 157 S. 160
Monatslöhne beschränkt und vom Bundesgericht dahin ausgelegt worden ist, dass auch solche Entschädigungen bis zum gesetzlichen Höchstbetrag nach richterlichem Ermessen festgesetzt werden (
BGE 116 II 301
f.). Könnten Arbeitnehmer, denen zwar missbräuchlich, aber unter Einhaltung der ordentlichen Fristen gekündigt worden ist, im Normalfall sechs Monatslöhne als Entschädigung beanspruchen, so erhielten sie regelmässig mehr als fristlos entlassene Arbeitnehmer. Hinzu kommt, dass die Entschädigung nach
Art. 336a OR
auch als Sanktion für missbräuchliche Kündigungen des Arbeitnehmers vorgesehen ist (
Art. 336 Abs. 1 OR
), wo Entschädigungen von grundsätzlich einem halben Jahreslohn ohnehin ausser Betracht fallen.
Wie bei allen Ermessensentscheiden setzt das Bundesgericht auch bei den vom kantonalen Richter aufgrund von
Art. 336a OR
zugesprochenen Entschädigungen nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz. Es greift nur zurückhaltend ein und prüft den kantonalen Entscheid insbesondere daraufhin, ob die Vorinstanz grundlos von den in Lehre und Rechtsprechung ermittelten Bemessungskriterien abgewichen ist oder Tatsachen berücksichtigt hat, die für die Entschädigungshöhe keine Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt Umstände unberücksichtigt gelassen hat, die zwingend zu beachten gewesen wären (
BGE 118 II 55
E. 4).
b) Die Bemessungskriterien bestimmen sich nach dem Zweck der Entschädigung. Diese soll den Arbeitgeber in erster Linie für das dem Arbeitnehmer durch die missbräuchliche Kündigung zugefügte Unrecht bestrafen. Trotz der missverständlichen Bezeichnung ist die Entschädigung hingegen nicht Schadenersatz und setzt daher auch keinen Schadensnachweis voraus; Schadenersatzansprüche, sollten sie aus anderen Rechtstiteln geschuldet sein, werden in Art. 336a Abs. 2 a. E OR vielmehr ausdrücklich vorbehalten (REHBINDER, N. 1 und 6 zu
Art. 336a OR
; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, N. 2 zu
Art. 336a OR
; STREIFF/VON KAENEL, N. 2 und 8 zu
Art. 336a OR
; KUHN, Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis, Ziff. 7/2.5.3 S. 1; BRAND ET AL., Der Einzelarbeitsvertrag im Obligationenrecht, N. 1 zu
Art. 336a OR
; ANDREAS HEFTI, Der Schutz vor ordentlichen Kündigungen bei gesetzlichen Dauerschuldverhältnissen - insbesondere beim Arbeitsvertrag, Diss. St. Gallen 1992, S. 107 Fn. 265).
Weil der Arbeitnehmer neben der Entschädigung Ersatz für den Schaden verlangen kann, der ihm als Folge der missbräuchlichen und damit widerrechtlichen Kündigung entstanden ist, darf sich die Entschädigungshöhe nicht an den finanziellen Einbussen des betroffenen Arbeitnehmers orientieren. Durch Schadenersatz abzugelten und
BGE 119 II 157 S. 161
nicht bei der Entschädigung zu berücksichtigen sind daher die wirtschaftlichen Folgen der missbräuchlichen Kündigung, die sich aus der Dauer des Arbeitsverhältnisses, aus dem Alter und der Stellung des entlassenen Arbeitnehmers, dessen sozialer Lage und den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt ergeben (REHBINDER, N. 4 zu
Art. 336a OR
). Entsprechend ihrer pönalen Funktion hat sich die Entschädigung entscheidend nach der Schwere der Verfehlung des Arbeitgebers zu richten, die insbesondere durch den Anlass der Kündigung, ein allfälliges Mitverschulden des Arbeitnehmers, das Vorgehen bei der Kündigung und die Art des aufgelösten Arbeitsverhältnisses bestimmt wird (REHBINDER, N. 4 zu
Art. 336a OR
). Dabei gebietet es der Strafcharakter der Entschädigung, dass der Richter in analoger Anwendung von
Art. 63 StGB
auch den - vorliegend allerdings von keiner Partei angerufenen - wirtschaftlichen Verhältnissen des entschädigungspflichtigen Arbeitgebers Rechnung trägt.
c) Im Lichte dieser Kriterien erscheint die vom Obergericht zugesprochene Entschädigung von vier Monatslöhnen als Ergebnis vertretbarer Ermessensausübung:
Bei der Entschädigungsbemessung ausser Betracht zu bleiben hatte nach dem Gesagten einerseits die kurze Dauer des Arbeitsverhältnisses (vgl.
BGE 116 II 302
Nr. 53 E. 6) und anderseits die Tatsache, dass die Arbeitssuche des im Zeitpunkt der Kündigung bereits zweiundsechzigjährigen Klägers mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Als Verfehlung anzulasten war der Beklagten, dass sie die Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer ausgesprochen hatte, dem in beruflicher Hinsicht nichts vorzuwerfen war und der sich in der Betriebskommission für berechtigte Anliegen der Arbeitnehmer eingesetzt hatte. Erschwerend wirkte sich auch das Vorgehen der Beklagten aus, das darauf abzielte, den Kläger bereits vor dem Kündigungstermin als Arbeitnehmervertreter auszuschalten. Diesen Tatsachen stand indessen das Mitverschulden des Klägers gegenüber, der als Mitglied der Betriebskommission nichts unternommen hatte, um das angespannte Verhältnis zu entschärfen. Indem das Obergericht das wenig kooperative und letztlich renitente Verhalten des Klägers (E. 2 vor a) als Reduktionsgrund berücksichtigte und von der Zusprechung des Höchstansatzes von sechs Monatslöhnen absah, überschritt es sein Ermessen umso weniger, als dem Kläger ja deswegen und nicht wegen seiner Kommissionszugehörigkeit als solcher gekündigt worden war.
Art. 336 Abs. 2 lit. b OR
gibt dem gewählten Arbeitnehmervertreter keinen Freipass für jedwelche gegen die Interessen des Arbeitgebers gerichtete Aktivitäten. Ihm
BGE 119 II 157 S. 162
wird lediglich zugestanden, berechtigte Interessen der Arbeitnehmer in sachlich vertretbarer und loyaler Weise wahrzunehmen. Auch die Berufung des Klägers ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d81e3597-2836-4846-bf4b-60bc3aaf18ef | Urteilskopf
98 V 255
64. Urteil vom 14. November 1972 i.S. Gisler gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Der Abruf der gemäss
Art. 39 AHVG
aufgeschobenen Rente hat keine Rückwirkung.
Bedeutung der auf Irrtum beruhenden Willenserklärung im Verwaltungsrecht. | Sachverhalt
ab Seite 255
BGE 98 V 255 S. 255
A.-
Mit Schreiben vom 6. März 1970 machte die Schweizerische Botschaft in Algerien die damals noch in diesem Land als Missionsschwester tätig gewesene Emmy Gisler darauf aufmerksam, dass sie vom 1. April 1970 an eine Altersrente der AHV beanspruchen könne. Sie forderte die Versicherte auf, das ihr zugestellte Anmeldeformular ausgefüllt wieder zurückzusenden und mitzuteilen, ob die Auszahlung der Rente in Algerien oder in der Schweiz gewünscht werde. Im gleichen Brief schrieb die Botschaft: "Enfin, ainsi que vous pourrez le constater en lisant le Merkblatt cijoint, concernant l'ajournement des rentes de vieillesse, vous avez la possibilité de solliciter l'ajournement de votre rente. Il y a lieu de marquer d'une croix la rubrique "oui" ou, dans le cas contraire, d'inscrire la croix dans la rubrique "non" (chiffre 16, page 2)."
Auf dem vom 19. März 1970 datierten Anmeldeformular bejahte Emmy Gisler die Frage Nr. 16, ob sie "den Anfang des Rentenbezuges um mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre aufschieben" wolle. Auf die weitere Frage, an welche Adresse die Rente ausbezahlt werden solle, antwortete sie: "Sie soll nicht jetzt ausbezahlt werden."
Am 12. Mai 1970 übermittelte die Botschaft der Versicherten die Verfügung über den Rentenaufschub mit dem Hinweis:
"Vous trouverez également en annexe une demande de révocation d'ajournement de la rente AVS. A ce sujet, je me permets d'attirer votre attention sur le fait que l'assuré qui révoque l'ajournement de sa rente
BGE 98 V 255 S. 256
plus d'un an après la date à laquelle elle a pris naissance, n'a droit à aucun versement rétroactif et ne bénéficie de sa rente augmentée du supplément d'ajournement qu'avec effet au premier jour du mois qui suit la révocation (un délai d'au moins 4 semaines est cependant demandé)."
Als in der Folge Emmy Gisler die AHV-Rente auf November 1971 abrief und die Auszahlung an die Schweizerische Bankgesellschaft in Winterthur verlangte, erliess die Ausgleichskasse des Kantons Zürich am 16. November 1971 eine entsprechende Rentenverfügung.
B.-
Die Versicherte beschwerte sich gegen diese Verfügung, indem sie sinngemäss beantragte, es seien das Aufschubbegehren aufzuheben und die seit April 1970 aufgeschobene Rente auszuzahlen. Der Bruder der Beschwerdeführerin begründete dieses Begehren damit, dass die Rente seinerzeit hauptsächlich deshalb nicht bezogen worden sei, weil das Geld nicht aus Algerien habe ausgeführt werden können. So sei "das Geld auf der AHV stehen" geblieben in der Annahme, "dass es nach Bedarf abgehoben werden kann". Zudem sei die Versicherte auf die Rente angewiesen.
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich hat die Beschwerde mit Entscheid vom 4. April 1972 abgewiesen.
C.-
Emmy Gisler liess durch ihren Bruder Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, es sei ihr die Altersrente "rückwirkend per 8. März 1970 auszubezahlen", und geltend machen, sie sei einem "Irrtum erlegen, indem sie glaubte, die Rentenbeträge werden nur zurückgestellt, sofern sie vom Ausland her diese vorerst nicht zu beziehen wünsche... Es wäre ungerecht, müsste sie jetzt, obigen Irrtums wegen, dafür büssen."...
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung stellen den Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 39 Abs. 1 AHVG
können Personen, die Anspruch auf eine ordentliche Altersrente haben, den Beginn des Rentenbezuges mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre aufschieben und innerhalb dieser Frist die Rente nach freier Wahl im voraus von einem bestimmten Monat an
BGE 98 V 255 S. 257
abrufen. Wird eine aufgeschobene Rente abgerufen, so wird sie vom folgenden Monat an ausbezahlt; eine Nachzahlung von Renten ist ausgeschlossen (
Art. 55quater Abs. 3 AHVV
).
Nach
Art. 39 Abs. 2 AHVG
wird die aufgeschobene Altersrente um den versicherungsmässigen Gegenwert der nicht bezogenen Leistung erhöht. Zutreffend bemerkt dazu das Bundesamt, dass der versicherungsmässige Gegenwert nicht nur den Gegenwert der Leistungen beinhaltet, auf die ein einzelner Rentner vorher verzichtet hat, sondern auch einen durchschnittlichen Anteil an den Beträgen, die infolge Hinschieds anderer Rentenbezüger innerhalb der Aufschubsdauer nicht ausbezahlt worden sind. Dieser Anteil kann nur berechnet werden, wenn eine Wahl zwischen Nachzahlung oder Zuschlag ausgeschlossen ist. Andernfalls könnte jeder Rentner, der ursprünglich den Rentenaufschub verlangt hat, kurz vor seinem Tod noch die Nachzahlung verlangen. Der versicherungsmässige Gegenwert liesse sich bei einer Wahlmöglichkeit betreffend die Festsetzung und Auszahlung der Rente nicht ermitteln, weshalb diese nach
Art. 55quater Abs. 3 AHVV
ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluss ist somit versicherungstechnisch begründet und nicht als Schikane gegenüber dem Rentner zu betrachten, welcher den Aufschub verlangt hat.
2.
Es stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin seinerzeit irrtümlich den Rentenaufschub verlangt hat und nun nachträglich die Auszahlung der nicht aufgeschobenen Altersrente von der Vollendung ihres 62. Altersjahres hinweg verlangen kann.
Wie aus den Briefen der Schweizerischen Botschaft vom 6. März und 12. Mai 1970 an die Beschwerdeführerin hervorgeht, wurde diese eindeutig und klar über die Bedeutung des Rentenaufschubs und insbesondere darüber orientiert, dass sie für die Dauer des Aufschubs keine rückwirkenden Rentenzahlungen würde verlangen können. Es ist schwer verständlich, dass die Versicherte in diesem Punkt geirrt haben soll. Aber selbst wenn dies zuträfe, so vermöchte sie daraus doch nichts zu ihren Gunsten abzuleiten, wie sich aus folgenden Darlegungen ergibt.
Nicht nur im Privatrecht, sondern auch im Verwaltungsrecht können auf Irrtum beruhende Willensmängel von rechtserheblicher Bedeutung sein. Die Erheblichkeit von Willensmängeln im Verwaltungsrecht ergibt sich aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz
BGE 98 V 255 S. 258
und nicht aus direkter oder analogieweiser Geltung des Privatrechts (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 40). Regelmässig ist der Willensmangel aber nur dann zu beachten, wenn der zugrunde liegende Irrtum nicht von der Person, an die sich der beanstandete Verwaltungsakt richtet, verschuldet worden ist (vgl.
BGE 97 V 160
). Dieser Fall ist hier nicht gegeben. Hätte nämlich die Beschwerdeführerin besonders das Schreiben der Schweizerischen Botschaft vom 12. Mai 1970 mit gebührender Aufmerksamkeit gelesen, so hätte sie ohne weiteres erkennen können, dass sie mit Beendigung des Rentenaufschubs keine nachträglichen Rentenzahlungen für die zurückliegende Zeit zwischen Anfang und Ende des Rentenaufschubs würde beanspruchen können. Sie muss deshalb ihre seinerzeitige Willenserklärung über den Rentenaufschub, die von der Schweizerischen Ausgleichskasse am 5. Mai 1970 noch schriftlich bestätigt worden ist, gegen sich gelten lassen. Übrigens machte die Ausgleichskasse sie bei diesem Anlass nochmals darauf aufmerksam, dass "die Rente von dem dem Abruf folgenden Monat an zugesprochen" werde, wenn keine Mitteilung eingehe, von welchem Datum hinweg künftig die Rente ausbezahlt werden solle.
Dem Bundesamt ist auch darin beizupflichten, dass es sich um einen Rechtsirrtum handeln würde, wenn sich die Beschwerdeführerin über die rechtliche Tragweite ihrer Willenserklärung vom 19. März 1970 geirrt hätte. Nach einem allgemeinen Grundsatz kann aber niemand aus der eigenen Rechtsunkenntnis Rechte zu seinen Gunsten ableiten (ZAK 1968 S. 642)...
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d81f382f-96d3-4757-8740-214f71430c13 | Urteilskopf
117 V 166
19. Auszug aus dem Urteil vom 8. Mai 1991 i.S. B. gegen Pensionskasse der Micafil AG und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 6 und
Art. 36 Abs. 1 BVG
: Anpassung der Renten an die Preisentwicklung.
Art. 36 BVG
stellt eine Mindestvorschrift dar, die nur für die seit 1. Januar 1985 in Kraft stehende obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer gilt.
Für eine aus vorobligatorischer Vorsorge zugesprochene Invalidenrente besteht von Gesetzes wegen keine Verpflichtung zur Anpassung an die Preisentwicklung. | Erwägungen
ab Seite 167
BGE 117 V 166 S. 167
Aus den Erwägungen:
2.
Nach dem seit 1. Januar 1985 in Kraft stehenden
Art. 36 BVG
werden Hinterlassenen- und Invalidenrenten, nicht aber Altersrenten, deren Laufzeit 3 Jahre überschritten hat, für Männer bis zum vollendeten 65., für Frauen bis zum vollendeten 62. Altersjahr nach Anordnung des Bundesrates der Preisentwicklung angepasst (Abs. 1). Die Vorsorgeeinrichtung hat im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten Bestimmungen über die Anpassung der laufenden Renten in den übrigen Fällen zu erlassen (Abs. 2). Gestützt auf
Art. 36 Abs. 1 BVG
hat der Bundesrat am 16. September 1987 die Verordnung über die Anpassung der laufenden Hinterlassenen- und Invalidenrenten an die Preisentwicklung, in Kraft seit 1. Januar 1988, erlassen.
Wie aus
Art. 6 BVG
hervorgeht, stellt
Art. 36 BVG
eine Mindestvorschrift dar, welche einzig für die seit 1. Januar 1985 in Kraft stehende obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer (
Art. 2 BVG
) massgeblich ist.
Art. 49 BVG
schränkt die Selbständigkeit der Vorsorgeeinrichtungen in der weitergehenden Vorsorge (Abs. 1), wozu praxisgemäss auch die vorobligatorische Vorsorge zählt (
BGE 114 V 35
Erw. 1a, 37 Erw. 2a), bezüglich
Art. 36 BVG
nicht ein (Abs. 2). Doktrin (RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, S. 29, N 14 in fine zu § 1) und Verwaltungspraxis (vgl. Mitteilungen des Bundesamtes für Sozialversicherung [BSV] über die berufliche Vorsorge, Nr. 5 Rz. 32, Nr. 11 Rz. 61 f. und Nr. 13 Rz. 80) gehen denn auch davon aus, dass
Art. 36 BVG
nur für die obligatorische Vorsorge gilt, wogegen im weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge von Gesetzes wegen keine Verpflichtung zur Anpassung der Hinterlassenen- oder Invalidenrenten an die Preisentwicklung besteht.
3.
a) Wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen einzig vor, die auf den 30. November 1983 erfolgte Beendigung des Arbeitsverhältnisses
BGE 117 V 166 S. 168
mit der Micafil AG sei in Verletzung der zwingenden arbeitsvertragsrechtlichen Bestimmungen über die Kündigungsbeschränkung bei Krankheit des Arbeitnehmers erfolgt. Wäre sein "Arbeitsverhältnis unter anständigen und regulären Bedingungen gekündigt worden und nicht, wie geschehen, abseits von Recht und Gesetz, so hätte der Austritt zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich mindestens 2 Monate später, am 31. Januar 1984 stattgefunden. Dies wiederum hätte unter Anrechnung einer einjährigen Karenzzeit bedeutet, dass (er) rückwirkend auf den 1. Februar 1985 invalidisiert worden wäre." Damit will der Beschwerdeführer geltend machen, dass bei ordnungsgemässer Beendigung des Arbeitsverhältnisses der von der Pensionskasse übernommene Beginn der Wartezeit (
Art. 29 IVG
) später erfolgt und der Rentenanspruch diesfalls erst 1985 entstanden wäre, somit unter dem Obligatorium gemäss BVG.
b) Diesen Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, dass es im Rahmen der Beurteilung eines vorsorgerechtlichen Anspruches grundsätzlich nicht Sache des Eidg. Versicherungsgerichts sein kann, von einer durch die Beteiligten geschaffenen arbeitsvertraglichen Sachlage abzugehen. Statt dessen gestützt auf irgendwelche behauptete hypothetische Verhältnisse zu entscheiden, geht jedenfalls dort nicht an, wo der Versicherte, wie vorliegend, eine arbeitsgerichtliche Beurteilung hätte herbeiführen können. Ob das Arbeitsverhältnis im Falle einer Klage des Beschwerdeführers durch das Arbeitsgericht noch verlängert worden wäre, ist im übrigen nach der Aktenlage fraglich, für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens indessen in keiner Weise massgeblich. Denn ob eine Invalidenrente vorobligatorischer Natur sei oder vom BVG-Obligatorium erfasst werde und insoweit dem Teuerungsausgleich unterliege, beurteilt sich nicht nach dem Zeitpunkt des Rentenbeginns. Die Annahme eines überhaupt dem Obligatorium unterstehenden Versicherungsverhältnisses - und folglich eine darauf beruhende Rentenberechtigung - setzt vielmehr voraus, dass der Leistungsansprecher tatsächlich nach dem 1. Januar 1985 koordinierten Lohn gemäss den Bestimmungen des BVG bezogen hat (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 7 ff. BVG
). Dies trifft hier nicht zu. Denn es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer nach Ende November 1983 für die Firma Micafil AG nicht mehr als Arbeitnehmer tätig gewesen ist, weshalb er zumindest im hier streitigen und massgeblichen Verhältnis zur Pensionskasse nie koordinierten Lohn im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
BGE 117 V 166 S. 169
Art. 7 ff. BVG
bezog. Damit war er bei der Beschwerdegegnerin nie obligatorisch nach Massgabe des BVG versichert mit der Folge, dass seine ausschliesslich vorobligatorisch geäufnete Rente kein Altersguthaben umfasst, bezüglich dessen, zur Invalidenrente umgerechnet (Art. 24 in Verbindung mit
Art. 15 BVG
), der gesetzliche Teuerungsausgleich nach
Art. 36 BVG
einzig zum Tragen käme.
4.
Handelt es sich somit bei der Invalidenrente des Beschwerdeführers um einen Anspruch aus vorobligatorischer Vorsorge, gibt es keine gesetzliche (und unbestrittenerweise auch keine reglementarische) Grundlage, um seinem Antrag auf Indexierung der Rente stattzugeben. Dass dieses Ergebnis als unbefriedigend erscheint, weil sich der wirtschaftliche Wert der Invalidenrente zufolge der ansteigenden Preisentwicklung, trotz der freiwilligen Anpassungen, verringert, gibt dem Richter nicht die Befugnis, die Vorsorgeeinrichtung zur Indexierung zu verpflichten.
Art. 36 BVG
, welcher selber für die verschiedenen Rentenarten eine unterschiedliche Regelung enthält, zeigt, dass dies Sache des Gesetzgebers ist (Erw. 3). Der vorinstanzliche Entscheid, mit welchem das Rechtsbegehren um teuerungsbedingte Erhöhung der Invalidenrente abgewiesen wurde, lässt sich somit nicht beanstanden. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d82ac57b-781d-40cf-b190-8440a863d406 | Urteilskopf
107 Ib 78
17. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Juni 1981 i.S. Schmidt gegen Bundesanwaltschaft und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Einsprache gemäss Auslieferungsgesetz) | Regeste
Europäisches Auslieferungsübereinkommen und ergänzender Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland.
Akzessorische Auslieferung ist auch gestützt auf zwei getrennte Begehren möglich (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 78
BGE 107 Ib 78 S. 78
Aus den Erwägungen:
3.
Nach der Auffassung des Einsprechers ist das zweite Auslieferungsersuchen unzulässig, weil die Auslieferung für einen Tatbestand verlangt werde, der gemäss geltendem Recht kein Auslieferungsdelikt bilde. Die beiden Begehren seien selbständig und daher getrennt zu behandeln, so dass eine Auslieferung auch nicht akzessorisch möglich sei.
a) Gemäss Art. II Abs. 2 des mit der Bundesrepublik ergänzend geschlossenen Vertrages vom 13. November 1969 (SR 0.353.913.61) kann die akzessorische Auslieferung, die notwendigerweise zu einer Auslieferung wegen eines Auslieferungsdeliktes hinzutreten muss, gleichzeitig mit dieser oder nachträglich gewährt werden. Kann aber die akzessorische Auslieferung auch in einem späteren selbständigen Entscheid gewährt werden, so kann sie es mit um so grösserem Recht in einem einzigen Entscheid, jedoch gestützt auf zwei sich folgende Ersuchen.
BGE 107 Ib 78 S. 79
b) Der gleiche Schluss liesse sich übrigens auch ohne diese ausdrückliche Bestimmung rechtfertigen.
Handelt es sich um zwei getrennte Begehren, welche beide die Auslieferung zur Strafverfolgung bezwecken, ist kein Grund ersichtlich, der gegen eine gemeinsame Behandlung spricht. So kann es vorkommen, dass eine Strafverfolgung im Laufe des Verfahrens aufgrund neuer belastender Umstände auszudehnen ist, oder dass einem Staat weitere Auslieferungsbegehren gestellt werden, bevor dieser über ein erstes befunden hat. Liegt die Strafverfolgung in den Händen ein und derselben Behörde, erscheint es jedenfalls vernünftig, das neue Begehren als Ergänzung zum ersten zu behandeln, mithin in gleicher Weise, wie wenn die Auslieferung aufgrund eines einzigen Ersuchens verlangt wird.
Nicht anders verhält es sich, wenn die gleiche Behörde mit dem einen Auslieferungsbegehren die Vollstreckung eines Urteils, mit dem anderen eine Strafverfolgung bezweckt. Auch in einem solchen Fall könnte die Auslieferung für das eine wie das andere in einer einzigen Urkunde verlangt werden. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, die Auslieferungsbegehren verschieden zu behandeln, je nachdem, ob sie in einem oder in mehreren Schriftstücken gestellt werden, mithin von manchmal zufälligen Umständen abhängen zu lassen. Eine unterschiedslose Behandlung entspricht ferner der Idee, die der Zulassung der akzessorischen Auslieferung zugrunde liegt. Wiewohl für sich allein nicht Auslieferungsdelikte, können gewisse strafbare Handlungen eine Auslieferung rechtfertigen, wenn sie in Verbindung stehen zu anderen Delikten, und zwar im Interesse der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Verbrechensbekämpfung. Dies hat auch dann zu gelten, wenn der ersuchende Staat in getrennten Begehren die Auslieferung einer Person zur Vollstreckung eines Urteils und für eine Strafverfolgung verlangt. Sobald eine Person ohnehin ausgeliefert werden muss, kann sie es auch wegen Verstössen, derentwegen allein eine Auslieferung nicht zulässig wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Einsprache von Rolf Schmidt wird abgewiesen und seine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland bewilligt. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d82c019a-c6d9-4104-bbb1-16c7c552a938 | Urteilskopf
111 II 134
30. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Mai 1985 i.S. X. gegen Y. (Berufung) | Regeste
Baurecht (
Art. 675 ZGB
)
1. Ob die Einräumung eines Baurechts an der einen Hälfte einer Doppelgarage rechtlich möglich sei, hat das Gericht von Amtes wegen zu prüfen. Der Nachbar des Garageeigentümers, der auf Verurteilung zum Abschluss eines entsprechenden Dienstbarkeitsvertrages geklagt hat, kann der Berufung des im kantonalen Verfahren unterlegenen Garageeigentümers deshalb nicht die Einrede der abgeurteilten Sache entgegenhalten mit der Begründung, jener habe sich in einem vorangegangenen Prozess vergleichsweise zur Einräumung des strittigen Baurechts verpflichtet (E. 1).
2. Sind die beiden Hälften einer Doppelgarage baulich und funktionell untrennbar miteinander verbunden, ist die Einräumung eines Baurechts an der einen Hälfte rechtlich unmöglich; ein entsprechender Dienstbarkeitsvertrag wäre nichtig (E. 2-4).
3. Der Eintrag eines nicht eintragungsfähigen Rechts im Grundbuch kann weder durch Ersitzung geheilt noch aufgrund des Verbots des Rechtsmissbrauchs unanfechtbar werden: Wer sich anfänglich zur Einräumung eines dinglichen Rechts verpflichtet hat, in der Folge sich aber darauf beruft, das einzuräumende Recht wäre nichtig, handelt deshalb nicht rechtsmissbräuchlich (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 135
BGE 111 II 134 S. 135
X. und Y. sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke in A. Die beiden Parzellen hatten ursprünglich eine Einheit gebildet. Y. war das Gesamtgrundstück zu gross, und X. erklärte sich bereit, einen Teil davon zu kaufen. Das Grundstück wurde in zwei selbständige Teilflächen aufgeteilt, wobei X. und Y. je eine Parzelle übernahmen.
Die Parzellierung brachte es mit sich, dass das Grundstück von Y. nicht durch eine Zufahrt erschlossen werden konnte. Die beiden Erwerber einigten sich indessen darauf, dass auf der Parzelle von X. eine Doppelgarage erstellt und an deren einen Hälfte Y. das Baurecht eingeräumt werden soll. Gemäss Art. 5 des Kaufvertrages übernahm X. folgende Verpflichtung:
"Der Käufer erklärt sich hiermit schon heute damit einverstanden, dass auf seiner Parzelle für den Eigentümer der Nachbarparzelle ..., Y., eine Garage erstellt wird. Der Käufer räumt hiermit in obligatorischer Weise Y. bzw. der Nachbarparzelle ... für die hievor erwähnte Garage ein unselbständiges Baurecht und, im Hinblick auf die Benützung dieser Garage, über die Kaufsache ein Fuss- und Fahrwegrecht ein. Der Käufer verpflichtet sich, für diese Rechte (Bau-, Fuss- und Fahrwegrecht) zu gegebener Zeit Dienstbarkeiten zu begründen."
In Art. 4 des Kaufvertrages war überdies ganz allgemein die Verpflichtung des X. festgehalten worden, zugunsten sämtlicher Eigentümer der Unterparzellen des ehemaligen Gesamtgrundstückes
BGE 111 II 134 S. 136
die nötigen Dienstbarkeiten einzuräumen bzw. zur entsprechenden Regelung Hand zu bieten.
Wie vereinbart, wurde auf dem Grundstück von X. eine Doppelgarage errichtet. Y. hatte sich damit einverstanden erklärt, dass diese auf dem unteren Teil der erwähnten Parzelle in den Hang hineingebaut wurde.
Zwischen Y., der für die Einräumung des Baurechts an der einen Hälfte der Garage Fr. 5'000.-- bezahlt hatte, und X. entstanden in der Folge Meinungsverschiedenheiten wegen der Höhe des von Y. zu bezahlenden Anteils an den Baukosten. Im Juli 1980 reichte Y. beim Appellationshof des Kantons Bern ein Begehren ein, wonach X. zur Einräumung des Baurechts an der einen Garagehälfte samt zugehörigen Wegrechten zu verpflichten sei. Anlässlich der Vorbereitungsverhandlung vom 11. Dezember 1980 schlossen die beiden folgenden Vergleich:
"1. Die Parteien beauftragen Herrn Notar Z. zu Lasten der Parzelle des Beklagten X. ... und zu Gunsten der Parzelle des Klägers Y. einen Vertrag abzuschliessen und beim Grundbuchamt ... anzumelden für
a) ein unselbständiges, zeitlich unbegrenztes Baurecht als Grunddienstbarkeit an der westlichen Hälfte der bereits erstellten Doppelgaragen;
b) die dazu gehörigen Wegrechte;
c) die Durchleitungsrechte für die Fernsehleitung und die Zuleitung für die Gartenbeleuchtung.
2.) ...
3. Y. verpflichtet sich, X. bei der Unterzeichnung des Vertrages gemäss Ziff. 1 als Entschädigung für die Baukosten einen Betrag von Fr. 36'000.-- zu bezahlen.
Es wird festgestellt, dass für die Einräumung des unselbständigen Baurechtes bereits ein Betrag von Fr. 5'000.-- bezahlt worden ist, und dass die Parteien die Kosten für den noch nicht eingebauten Feinbelag ... je zur Hälfte tragen werden.
..."
Gleichentags schrieb der Instruktionsrichter den Prozess antragsgemäss als durch Vergleich erledigt ab.
X. und Y. vermochten sich über den konkreten Inhalt des abzuschliessenden Dienstbarkeitsvertrages nicht zu einigen. Ein von Y. gestützt auf Art. 407 der bernischen Zivilprozessordnung (ZPO) eingereichtes Vollstreckungsbegehren wies der Gerichtspräsident ... am 3. Januar 1983 ab mit der Begründung, der Vergleichsinhalt sei zuwenig bestimmt, um direkt vollstreckt werden zu können. Andererseits wies der Appellationshof (III. Zivilkammer) des Kantons Bern am 28. Januar 1983 in zweiter
BGE 111 II 134 S. 137
Instanz ein Begehren des X. um Ausweisung von Y. aus der von ihm benützten Garagehälfte ab.
Durch Eingabe vom 23. Juni 1983 reichte Y. beim Appellationshof des Kantons Bern gegen X. Klage ein mit den Anträgen:
"1. Der Beklagte sei zu
verurteilen, zu Lasten seiner Parzelle ... gegen Leistung einer Entschädigung von Fr. 36'000.-- (Franken sechsunddreissigtausend) mit dem Kläger nachfolgenden Grunddienstbarkeitsvertrag abzuschliessen:
...
II. Dienstbarkeitserrichtungen
1. Unselbständiges Baurecht
a) Eintrag
Die Parteien ersuchen das Grundbuchamt ... um Vornahme folgender Einträge:
Stichwort "Baurecht"
als Recht auf ... (Grundstück des Klägers)
als Last auf ... (Grundstück des Beklagten)
b) Wortlaut
Der Eigentümer des Grundstückes ... (des Beklagten) räumt hiermit für sich und seine Rechtsnachfolger dem jeweiligen Eigentümer des Grundstückes ... (des Klägers) ein unselbständiges Baurecht als Grunddienstbarkeit des Inhaltes ein, die im integrierenden Bestandteil dieses Vertrages bildenden Situationsplan mit gelber Farbe gekennzeichnete Garagebaute (Hälfte einer von X. erstellten Doppelgarage) dauernd zu belassen, zu unterhalten und zu erneuern. Sämtliche Gebäudeteile gehen damit ohne weiteres ins Sondereigentum des Baurechtnehmers über (
Art. 675 ZGB
).
c) Weitere Bestimmungen
...
2. Wegrechte
2.1. Fuss- und Fahrwegrecht
...
2.2. Fusswegrecht
...
Eventuell:
Zu Lasten der im Eigentum des Beklagten stehenden Parzelle ... und zu Gunsten der im Eigentum des Klägers stehenden Parzelle ... seien gegen Leistung einer Entschädigung von Fr. 36'000.-- (Franken sechsunddreissigtausend) die folgenden Grunddienstbarkeiten zu begründen:
a) Baurecht für eine Garage,
b) ...,
c) Fusswegrecht von der Garagezufahrt zum Gebäude ... auf Parzelle ... (des Klägers),
d) Durchleitungsrecht für die Erschliessungsleitungen, abzweigend von der Garagezufahrt zur Parzelle ... (des Klägers), alles gemäss gerichtlich dem Grundbuchamt ... einzureichendem Situationsplan 1:500.
BGE 111 II 134 S. 138
2. Der Grundbuchverwalter ... sei im Urteil gemäss Art. 18 GVO und
Art. 408 ZPO
anzuweisen und zu ermächtigen, die erforderlichen Eintragungen ... vorzunehmen."
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Mit Urteil vom 30. April 1984 hiess der Appellationshof (III. Zivilkammer) des Kantons Bern die Klage im Sinne des Hauptbegehrens gut.
Der Beklagte hat hiergegen Berufung an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag, die Klage sei abzuweisen.
Der Kläger beantragt, es sei auf die Berufung nicht einzutreten; allenfalls sei sie abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Seinen Antrag, auf die Berufung sei gar nicht einzutreten, begründet der Kläger mit der Einrede der abgeurteilten Sache. Er macht geltend, die einen gerichtlichen Vergleich darstellende Vereinbarung der Parteien vom 11. Dezember 1980 und die gestützt darauf durch den Richter erlassene Abschreibungsverfügung habe materielle Rechtskraft entfaltet. Dem Beklagten fehle unter diesen Umständen das schutzwürdige Interesse, die Frage nach der Zulässigkeit des vereinbarten Baurechts erneut aufzuwerfen.
Zur Begründung seiner Berufung bringt der Beklagte vor, die Einräumung eines Baurechts an der vom Kläger beanspruchten Garagehälfte sei aus rechtlichen Gründen unmöglich. Sollte sich diese Auffassung als zutreffend erweisen, wäre die Vereinbarung der Parteien vom 11. Dezember 1980 jedenfalls in diesem Punkt nichtig (
Art. 20 OR
). In diesem Fall würde sie aber nicht nur keine materiell-rechtlichen Wirkungen entfalten, sondern wäre sie auch prozessual unbeachtlich; die Nichtigkeit wäre dabei von Amtes wegen festzustellen (vgl.
BGE 108 II 409
E. 3 mit Hinweisen). Dass die Parteien im Rahmen eines früheren Verfahrens die Errichtung eines Baurechts zugunsten des klägerischen Grundstücks vereinbart haben und der Instruktionsrichter davon Vormerk genommen hat, steht dem Eintreten auf die Berufung des Beklagten nach dem Gesagten nicht entgegen.
2.
Gemäss
Art. 675 Abs. 1 ZGB
können Bauwerke und andere Vorrichtungen, die auf fremdem Boden eingegraben, aufgemauert oder sonstwie dauernd auf oder unter der Bodenfläche mit dem Grundstück verbunden sind, einen besonderen Eigentümer haben, wenn ihr Bestand als Dienstbarkeit in das Grundbuch
BGE 111 II 134 S. 139
eingetragen ist. Die Bestellung eines Baurechts an einzelnen Stockwerken eines Gebäudes ist ausgeschlossen (
Art. 675 Abs. 2 ZGB
). Mit dem Institut des Baurechts soll die rechtliche Verknüpfung von Boden und Baute gelockert, d.h. die Durchbrechung des Akzessionsprinzips ermöglicht werden. Das Baurecht schafft ein vom Grundeigentum unabhängiges Verkehrsgut, das eines eigenen Schicksals fähig ist.
3.
Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles stellt sich die Frage, ob und inwiefern ein Baurecht auch hinsichtlich eines Gebäudebestandteiles begründet werden kann. Auszugehen ist davon, dass dem Bauberechtigten bezüglich des Bauwerks die Stellung eines Grundeigentümers zukommt; er verfügt über die Rechtsbehelfe des Eigentümers, mit Einschluss derjenigen aus Besitz (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 15 zu
Art. 675 ZGB
). Dem Bauberechtigten steht namentlich die Befugnis zu, das Bauwerk zu erneuern, d.h. gänzlich abzutragen und neu aufzubauen. Daraus erhellt, dass die Begründung eines Baurechts ein bestimmtes Mass an baulicher und funktioneller Eigenständigkeit des Bauwerks voraussetzt; Bestand und Gebrauch dürfen nicht von einer andern Baute und deren Eigentümer in dem Sinne abhängig sein, dass der Abbruch des Bauwerks notwendigerweise den Einsturz des Nachbarobjektes zur Folge hätte bzw. ohne Einwilligung des Nachbarn nicht durchgeführt werden könnte. Das schliesst die Begründung eines Baurechts an Teilen von Gebäuden grundsätzlich aus.
Zwar könnte aus dem Umstand, dass
Art. 675 Abs. 2 ZGB
die Bestellung eines Baurechts an Stockwerken als unzulässig erklärt, geschlossen werden, die Einschränkung betreffe nur diese Art von Sondereigentum. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte der erwähnten Gesetzesbestimmung ergibt, wäre eine solche Auslegung indessen unzutreffend. Eine
Art. 675 Abs. 2 ZGB
entsprechende Vorschrift war im Entwurf nicht vorgesehen und wurde erst auf Antrag der ständerätlichen Kommission eingefügt. Dabei war man sich darüber im klaren, dass eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen wurde (vgl. Sten.Bull. 1906, S. 1269). Die Auffassung, dass in
Art. 675 Abs. 2 ZGB
das Stockwerkeigentum lediglich als Beispiel erwähnt werde, d.h. dass bereits in Absatz 1 der Grundsatz der Unzulässigkeit von Sondereigentum an Gebäudeteilen und damit ein Verbot des Baurechts an solchen Objekten enthalten sei, ist in der Lehre vorherrschend (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 18 ff. zu
Art. 675 ZGB
; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, N. 5 zu
Art. 675 ZGB
; ISLER, Der Baurechtsvertrag und seine Ausgestaltung, Diss. Zürich 1973, S. 34 mit weiteren Hinweisen).
BGE 111 II 134 S. 140
Sie deckt sich im übrigen mit den einschlägigen Vorschriften des österreichischen und des deutschen Rechts (vgl. § 1 des österreichischen Baurechtsgesetzes vom 26. April 1912 und § 1 Abs. 3 der deutschen Verordnung über das Erbbaurecht vom 15. Januar 1919). Wo das Baurecht an Teilen von Bauwerken als zulässig erachtet worden ist (vgl. LIVER, Von den selbständigen und dauernden Baurechten, in: Der bernische Notar 20/1959, S. 41 ff., insbesondere S. 46 ff.; EGGEN, Privatrechtliche Fragen des neuen Bauens und ihre Wirkungen auf das Grundbuch, in: ZBGR 53/1972, S. 207 ff., insbesondere S. 211; FREIMÜLLER, Die Stellung der Baurechtsdienstbarkeit im System der dinglichen Rechte, Diss. Bern 1967, S. 28 f.), ging es stets um Ausnahmetatbestände (Fernheizungsanlage; voneinander geschiedene Gebäudeteile ohne gemeinsame Einrichtungen und Zugänge).
Am Gesagten hat sich auch mit dem Inkrafttreten der Bestimmungen betreffend das Stockwerkeigentum am 1. Januar 1965 nichts geändert. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass
Art. 675 Abs. 2 ZGB
beibehalten wurde, nicht auf einen Wandel in der Zulassung des Baurechts geschlossen werden. Mit der Beibehaltung dieser Gesetzesbestimmung sollte lediglich bekräftigt werden, dass für die Begründung von Stockwerkeigentum ausschliesslich die neuen Vorschriften massgebend seien (vgl.
BGE 99 Ib 142
f. E. 1). In diesem Entscheid hat das Bundesgericht unter Hinweis auf die herrschende Lehre denn auch klar daran festgehalten, dass das Baurecht nicht an einzelnen Teilen eines Bauwerks errichtet werden könne. Unter Hinweis auf EGGEN (a.a.O.) wurde freilich offengelassen, ob eine Ausnahme zugelassen werden könnte, wenn das fragliche Stockwerk einen selbständigen, von den gemeinschaftlichen Teilen des Gebäudes getrennten Zugang hat.
4.
a) Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist die hier in Frage stehende Doppelgarage - mit Ausnahme der Vorderseite - von Erdreich umschlossen. Auf dem Dach lastet eine rund 2,5 m hohe Erddecke. Die ganze Anlage bildet eine statische Einheit, indem Boden, Rückwand und Dach, die aus armiertem Beton bestehen, durchgehend gespannt sind. Das Dach ist auf den beiden seitlichen Aussenwänden sowie auf der Rückwand abgestützt und wird zusätzlich durch eine Mittelwand aus Kalkstein getragen. Jedes der Bauelemente bedingt
BGE 111 II 134 S. 141
statisch das Vorhandensein der übrigen Elemente, womit die beiden Garagehälften baulich untrennbar miteinander verbunden sind. Sodann hält der Appellationshof fest, dass die Mittelwand nicht bis zur Rückwand durchgezogen sei, sondern ungefähr 1 m vor dieser ende. Der Grund hiefür liege darin, dass die Parteien gemeinsam eine Druckwasserpumpe betrieben, die in die gemeinsame Hauptwasserzuleitung eingebaut sei. Die erwähnte Pumpe sei mit der Rückwand der Garage fest verbunden und rage seitlich um je rund 50 cm in die beiden Garagehälften hinein. Während Motor und Bedienungsanlagen vollständig in der vom Kläger benützten Hälfte lägen, führe die Hauptleitung durch die vom Beklagten benützte Hälfte zum Pumpenkessel; in diesem Teil befänden sich zudem auch der Verteiler der zu den beiden Wohnhäusern führenden Wasserleitungen samt den entsprechenden Zählern.
b) Die dargelegte Art der Konstruktion der Garage lässt nicht zu, dass der Kläger über die von ihm benützte Hälfte wie ein Bauberechtigter verfügen könnte. An ein separates Schicksal der beiden Garagehälften mit gesondertem Eigentum ist in Anbetracht der konstruktiven Einheit des Gebäudes nicht zu denken. Die Eigenständigkeit geht den beiden Teilen der Garage zudem auch in funktioneller Hinsicht ab. Es ist vor allem auf die gemeinsamen Wasserinstallationen hinzuweisen. Das Fehlen einer eigentlichen räumlichen Trennung bewirkt überdies, dass beispielsweise kein Garageteil für sich allein beheizt werden könnte. Bei einem Bruch der Wasserleitung oder ähnlichen Ereignissen würden zwangsläufig beide Garagehälften in Mitleidenschaft gezogen. Überhaupt sind die beiden Räume wechselseitig allen möglichen Immissionen ausgesetzt, wie sie bei Einstellgaragen üblicherweise vorkommen. Eine Verwendung der einen Hälfte zu andern Zwecken ist damit weitgehend ausgeschlossen.
Stellt die auf dem Grundstück des Beklagten erstellte Doppelgarage nach dem Gesagten sowohl baulich wie funktionell ein einheitliches Bauwerk dar, das eine Aufteilung des Eigentums im Sinne von
Art. 675 ZGB
nicht zulässt, erweist sich der Inhalt der Vereinbarung der Parteien vom 11. Dezember 1980 insofern als unmöglich, als sich der Beklagte verpflichtet hatte, dem Kläger an der einen Garagehälfte ein Baurecht einzuräumen. Soweit die Vorinstanz den Beklagten anhielt, in Vollstreckung der erwähnten Vereinbarung zum Abschluss eines Baurechtsvertrages Hand zu bieten, verpflichtete sie ihn zu einem nichtigen Rechtsgeschäft. In
BGE 111 II 134 S. 142
dieser Hinsicht verstösst das angefochtene Urteil demnach gegen Bundesrecht.
5.
Der Kläger hält die Geltendmachung der Nichtigkeit durch den Beklagten für rechtsmissbräuchlich. Der Eintrag eines nicht eintragungsfähigen Rechts im Grundbuch kann indessen weder durch Ersitzung geheilt noch aufgrund des Verbots des Rechtsmissbrauchs unanfechtbar werden. Es ist dies eine notwendige Folge des Grundsatzes der Typengebundenheit der dinglichen Rechte (
BGE 103 II 183
E. 2). Die Einrede des Rechtsmissbrauchs kann demnach im vorliegenden Fall von vornherein nicht gehört werden.
6.
Für den Fall, dass ein Vertrag nur bezüglich einzelner Teile nichtig ist, bestimmt
Art. 20 Abs. 2 OR
, dass der übrige Teil gültig sein soll, sofern nicht anzunehmen ist, dass der Vertrag ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre. Inwieweit die Parteien die Vereinbarung vom 11. Dezember 1980 auch unabhängig von der Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger das strittige Baurecht einzuräumen, abgeschlossen hätten, braucht indessen nicht abschliessend beurteilt zu werden. Es ist nämlich nicht auszuschliessen, dass zwischen den Parteien Einigkeit darüber herrschte, dass das Recht des Klägers auf die Benützung der einen Garagehälfte in irgendeiner andern Weise gesichert sein sollte, und dass sie es auf jeden Fall nicht von vornherein ablehnen wollten, als Ersatz für das Baurecht (das sich nachträglich als unzulässig erwiesen hat) gegebenenfalls ein anderes dingliches Recht zu begründen. Zu denken ist namentlich an die von Professor Peter Liver im Gutachten vom 12. September 1984 vorgeschlagene Lösung: Errichtung eines auf die Grundfläche der Doppelgarage beschränkten Eigentümerbaurechts und anschliessende Aufteilung der Garage in Stockwerkeinheiten.
Das angefochtene Urteil ist nach dem Gesagten aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese - im Rahmen der durch das kantonale Prozessrecht gebotenen Möglichkeiten - die erforderlichen Abklärungen betreffend den Willen der Parteien hinsichtlich des Rechts des Klägers zur Benützung der Garage treffe. Sollte sich dabei ergeben, dass der übereinstimmende Wille der Parteien ausschliesslich auf die Bestellung eines Baurechts gerichtet war und dass sie demnach jedes andere Recht ausschlossen, hätte der Appellationshof in Anwendung von
Art. 20 Abs. 2 OR
weiter zu prüfen, ob und inwiefern angenommen
BGE 111 II 134 S. 143
werden kann, die Vereinbarung der Parteien sei nicht in allen Teilen nichtig. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d82ece9c-44b5-4cc6-835e-864905a1f0b3 | Urteilskopf
139 II 534
38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Schweizerischer Verein für technische Inspektionen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_13/2013 vom 5. September 2013 | Regeste
Produktewarnung und Rückruf eines fehlerhaften Feuerlöschers: Art. 3, 4, 4b, 6, 10 und 11 STEG (aufgehoben);
Art. 21 Abs. 1 PrSG
;
Art. 1 und 4 PrHG
; Art. 1 Abs. 1 lit. g, Art. 5 und Anhang 1 Ziff. 3.3.1.b Druckgeräteverordnung; Art. 11 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 sowie Art. 13a Abs. 1 STEV.
Übergangsregelung zwischen STEG und PrSG (E. 1).
Voraussetzungen für das Inverkehrbringen nach STEG (E. 2).
Verhältnis von Funktionsfähigkeit und Sicherheit eines Geräts. Fehlende Funktionstauglichkeit kann Sicherheitsmangel im Sinne des STEG darstellen; Bezug zur analogen Fragestellung im Rahmen des PrHG (E. 4.1- 4.5).
Prüfung der Verhältnismässigkeit der Massnahmen, dabei insbesondere Berücksichtigung des Zeitablaufs (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 535
BGE 139 II 534 S. 535
Die X. AG handelt u.a. mit Feuerlöschern und erbringt damit zusammenhängende Servicearbeiten. Aufgrund einer Rapex-Verbraucherwarnung aus Polen wurde die Marktkontrolle des Schweizerischen Vereins für technische Inspektionen (im Folgenden: SVTI) am 29. Januar 2009 vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf möglicherweise fehlerhafte Feuerlöscher mit der Beschriftung "A." aufmerksam gemacht. Der SVTI führte Stichproben- und Konformitätskontrollen bei "A."-Feuerlöschern durch und stellte folgende Mängel fest:
- Fehlende Konformitätserklärung bei sämtlichen Produkten,
- Fehlende Angaben zum Herstellungsdatum auf den Geräten.
Am 3. Februar 2009 informierte der SVTI die X. AG. Diese bestätigte den in Polen festgestellten Produktmangel, wonach bei "A."- Feuerlöschern mit Herstellungszeitraum zwischen Januar 2007 und Oktober 2008 möglicherweise ein Defekt verhindere, dass der Löscher bei Gebrauch funktioniere. Am 4. Februar 2009 reichte die X. AG eine Konformitätserklärung der Y. GmbH und am 5. Februar 2009 eine Konformitätserklärung der A.-Brandschutz GmbH ein. Sie veröffentlichte sodann eine Produktwarnung.
Mit E-Mail vom 24. Februar 2009 teilte der SVTI der X. AG mit, dass die Produktwarnung nicht genügend sei, da auf den Feuerlöschern ein Herstellungsdatum fehle und dadurch ein Käufer nicht erkennen könne, ob sein Feuerlöscher von der Produktwarnung betroffen sei. Am 4. März 2009 orientierte die X. AG die Marktkontrolle über die veröffentlichte Produktwarnung und bestätigte, dass
BGE 139 II 534 S. 536
alle an B. gelieferten "A."-Feuerlöscher ausgetauscht würden. Die C.- und D.-Lieferung vom Dezember 2008 seien nicht betroffen.
Am 26. März 2009 erliess der SVTI folgende Verfügung:
"4.1 Die X. AG wird verpflichtet, erneut eine Produktwarnung zu veröffentlichen, welche alle 'A.'-Feuerlöscher der Baureihe S. ab Verkaufsdatum Januar 2007 betrifft. Die Produktwarnung muss alle drei Landesteile und Sprachen umfassen.
4.2 Die X. AG wird verpflichtet, die 'A.'-Feuerlöscher eingehend auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfen zu lassen und das Datum der Kontrolle auf den Geräten anzubringen.
4.3 Die X. AG wird verpflichtet, der Marktkontrolle innerhalb von 30 Tagen eine Liste aller Zwischenhändler mit der Anzahl der in Verkehr gebrachten Geräte seit Januar 2007 zu übergeben.
4.4 Die X. AG wird verpflichtet, die Kontrollen zu dokumentieren und der Marktkontrolle monatlich Bericht zu erstatten.
4.5 Die X. AG wird verpflichtet, der Marktkontrolle den tatsächlichen Hersteller der 'A.'-Feuerlöscher mitzuteilen.
4.6. Die X. AG wird verpflichtet, die unter Ziff. 4.1 bis 4.6 aufgeführten Anordnungen zu befolgen, unter Androhung von Haft oder Busse gemäss
Art. 292 StGB
im Unterlassungsfalle.
4.7 Der X. AG wird eine Gebühr in Höhe von Fr. 850.- auferlegt. Die Bezahlung hat binnen 30 Tagen zu erfolgen."
Die Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht war erfolglos.
Die X. AG erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, in Aufhebung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts die Verfügung vom 26. März 2009 aufzuheben, eventuell die Sache an den SVTI zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Am 1. Juli 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Produktesicherheit (PrSG; SR 930.11) in Kraft getreten und damit das Bundesgesetz vom 19. März 1976 über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten (STEG; AS 1977 2370) aufgehoben worden. Nach
Art. 21 Abs. 1 PrSG
dürfen Produkte, welche die Anforderungen nach bisherigem Recht, jedoch nicht die Anforderungen nach neuem Recht erfüllen, noch bis zum 31. Dezember 2011 in Verkehr gebracht werden. Mit Recht hat die Vorinstanz auf den vorliegenden Sachverhalt noch das STEG (in seiner Fassung mit
BGE 139 II 534 S. 537
den Änderungen vom 18. Juni 1993 [AS 1995 2766] und vom 17. Juni 2005 [AS 2006 2197, 2273]) angewendet.
2.
2.1
Nach
Art. 3 STEG
dürfen technische Einrichtungen und Geräte nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie bei ihrer bestimmungsgemässen und sorgfältigen Verwendung Leben und Gesundheit der Benützer und Dritter nicht gefährden. Sie müssen den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nach Artikel 4 entsprechen oder, wenn keine solche Anforderungen festgelegt worden sind, nach den anerkannten Regeln der Technik hergestellt worden sein. Nach
Art. 4 STEG
legt der Bundesrat die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen fest; er berücksichtigt dabei das entsprechende internationale Recht. Wer eine technische Einrichtung oder ein Gerät in Verkehr bringt, muss nachweisen können, dass die Einrichtung oder das Gerät den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen entspricht (
Art. 4b Abs. 1 STEG
). Gestützt darauf hat der Bundesrat die Verordnung vom 20. November 2002 über die Sicherheit von Druckgeräten (Druckgeräteverordnung; SR 819.121) erlassen, welche nach ihrem Art. 1 Abs. 1 lit. g auch für tragbare Feuerlöscher gilt. Druckgeräte und Baugruppen dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie bei angemessener Installierung und Wartung sowie bestimmungsgemässem Betrieb die Sicherheit von Personen und Sachen sowie die Gesundheit von Personen nicht gefährden (Art. 5 Abs. 1 Druckgeräteverordnung). Bestimmte Druckgeräte und Baugruppen, worunter auch Feuerlöscher gehören, dürfen gemäss Art. 5 Abs. 2 Druckgeräteverordnung nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie die grundlegenden Sicherheitsanforderungen nach Anhang 1 erfüllen. Nach Anhang 1 Ziff. 3.3.1.b muss bei der Etikettierung und Kennzeichnung u.a. das Herstellungsjahr angegeben werden. Die erforderlichen Angaben sind auf dem Druckgerät oder auf einem an ihm fest angebrachten Typenschild zu machen (Ziff. 3.3.4).
2.2
Der Vollzug des Gesetzes obliegt, unter dem Vorbehalt der Zuständigkeit des Bundes, den Kantonen und den ermächtigten Fachorganisationen und Institutionen (
Art. 6 STEG
), die vom Departement bezeichnet werden (Art. 11 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 der Verordnung vom 12. Juni 1995 über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten [STEV; AS 1995 2770; in der Fassung vom 27. März 2002, AS 2002 853]). Das Departement hat für Druckbehälter und Druckgeräte den SVTI damit beauftragt (Art. 3 Abs. 1
BGE 139 II 534 S. 538
sowie Anhang lit. d der Verordnung des EVD vom 23. August 2005 über die Zuständigkeiten im Vollzug der Gesetzgebung über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten und über dessen Finanzierung [Zuständigkeitenverordnung-STEG; AS 2005 4257]). Die Beauftragten der Vollzugs- und Aufsichtsorgane können technische Einrichtungen und Geräte, die sich im Verkehr befinden, kontrollieren und nötigenfalls Muster erheben (
Art. 10 Abs. 1 STEG
). Die Vollzugsorgane können im nachträglichen Kontrollverfahren anordnen, dass technische Einrichtungen und Geräte, die den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen oder den anerkannten Regeln der Technik nicht genügen, nicht mehr in Verkehr gebracht werden. In Fällen schwerwiegender Gefährdung können sie deren Beschlagnahme oder Einziehung verfügen (
Art. 11 Abs. 2 STEG
). Entspricht eine technische Einrichtung oder ein technisches Gerät den Vorschriften dieser Verordnung nicht, so informiert das Kontrollorgan den Inverkehrbringer über das Ergebnis der Kontrolle und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Hierauf ordnet es gegebenenfalls die nötigen Massnahmen mit einer Verfügung an und räumt für deren Befolgung eine angemessene Frist ein. Es kann insbesondere das weitere Inverkehrbringen verbieten, den Rückruf, die Beschlagnahme oder die Einziehung verfügen sowie die von ihm getroffenen Massnahmen veröffentlichen (Art. 13a Abs. 1 STEV [in der Fassung vom 27. März 2002, AS 2002 853]).
3.
3.1
Vorinstanz und SVTI erblicken eine Mangelhaftigkeit der Feuerlöscher in zweierlei Hinsicht: Einerseits sei das Herstellungsjahr vorschriftswidrig auf dem Feuerlöscher nicht angebracht. Andererseits funktionierten die fehlerhaften Feuerlöscher nicht.
3.2
Wäre die fehlende Angabe des Herstellungsjahrs ein rein formeller Mangel ohne Sicherheitsrelevanz, so wäre es offensichtlich unverhältnismässig, deswegen eine Produktwarnung mit Rückrufaktion vorzuschreiben. Vorinstanz und SVTI erblicken aber einen Zusammenhang zwischen der fehlenden Angabe und der Sicherheit insofern, als sich die von der Beschwerdeführerin veröffentlichte Produktewarnung auf Feuerlöscher mit Herstellungszeitraum zwischen Januar 2007 und Oktober 2008 bezogen habe. Infolge der fehlenden Angabe auf den Geräten sei nicht ersichtlich, ob ein Gerät von der Warnung betroffen sei. Deshalb müsse die Warnung wiederholt und auf alle ab Januar 2007 gekauften Geräte bezogen werden.
BGE 139 II 534 S. 539
4.
4.1
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ein Teil der betroffenen Geräte (nach ihren Angaben ca. 1 %) nicht funktionieren. Sie macht jedoch geltend, der Mangel betreffe nicht die Sicherheit, sondern bloss die Funktionsfähigkeit des Feuerlöschers, worauf sich aber das STEG nicht beziehe.
4.2
Nach
Art. 3 STEG
dürfen technische Einrichtungen und Geräte nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie Leben und Gesundheit der Benützer und Dritter nicht gefährden. Das Pronomen "sie" bezieht sich grammatikalisch klar auf die Einrichtungen und Geräte;
diese
müssen die Gefährdung verursachen. Dasselbe gilt für die analoge Regelung von Art. 5 Abs. 1 Druckgeräteverordnung. Die einzelnen Sicherheitsvorschriften in der Druckgeräteverordnung sind denn auch offensichtlich darauf zugeschnitten, zu verhindern, dass die in den Druckgeräten befindlichen Fluide explodieren, sich entzünden oder entweichen. Im Grundsatz ist somit der Beschwerdeführerin zuzustimmen: Thema des Produktsicherheitsrechts ist nicht die Funktionsfähigkeit eines Geräts, sondern dessen Sicherheit; wird eine Gefährdung nicht durch das Gerät selber, sondern durch Drittursachen geschaffen, ist dies nicht ein Thema des Produktsicherheitsrechts. In casu wird von keiner Seite geltend gemacht, dass die fraglichen Feuerlöscher als solche eine Gefährdung darstellen, indem sie z.B. explodieren oder bersten und
dadurch
Personen gefährden könnten. Die von den Vorinstanzen anvisierte Gefährdung ergibt sich vielmehr daraus, dass die Feuerlöscher unter Umständen einen drittursächlichen Brand nicht löschen können, was eine Frage der Funktionstauglichkeit ist.
4.3
Der SVTI und das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) sind allerdings der Ansicht, dass bei Produkten, die zur Abwehr externer Gefahren bestimmt sind, auch die fehlende Funktionstauglichkeit einen Sicherheitsmangel im Sinne des STEG darstellt.
4.4
Die Frage stellt sich analog im Rahmen des Produktehaftpflichtrechts: Dieses bezieht sich auf Schäden, die durch ein "fehlerhaftes Produkt" verursacht worden sind (Art. 1 Abs. 1 des Produktehaftpflichtgesetzes vom 18. Juni 1993 [PrHG; SR 221.112.944]). Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist (
Art. 4 Abs. 1 PrHG
). Nach Lehre und Rechtsprechung bezieht
BGE 139 II 534 S. 540
sich die Sicherheit des PrHG nur auf die Sicherheit des Produkts selber, nicht auf seine Gebrauchstauglichkeit (
BGE 137 III 226
E. 3.2 S. 232; BÜHLER/TOBLER, Produktsicherheit in der EU und in der Schweiz, 2011, S. 298 f.; HANS-JOACHIM HESS, Kommentar zum Produktehaftpflichtgesetz, 2. Aufl. 1996, N. 6 zu
Art. 4 PrHG
; HEINZ REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 2008, S. 274 Rz. 1201 und 1202a; HANSJÖRG SEILER, Produktefehler, in: Schaden - Haftung - Versicherung, Münch/Geiser [Hrsg.], 1999, S. 938 f. Rz. 19.4 und 19.6 Ingress); diese sind nicht Thema der Produktehaftung, sondern der Sachmängelgewährleistung. In der Praxis gibt es freilich Produkte, bei denen Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit eng zusammenhängen, nämlich dort, wo der Gebrauchswert des Produkts gerade in der Abwehr von Schäden liegt. In der Rechtsprechung ist dafür der Steiggurtfall (
BGE 64 II 254
) typisch: Der mangelhaft hergestellte oder reparierte Steiggurt erfüllt seine zweckbestimmende Schutzfunktion nicht und verursacht damit zugleich für seinen Benützer eine Gefahr. Die herrschende Lehre nimmt daher an, dass in solchen Fällen ein Funktionsmangel zugleich ein Fehler (d.h. Sicherheitsmangel) ist, sofern es die Konsumenten aufgrund der vom Hersteller erweckten Erwartungen unterlassen, ein anderes, wirkungsvolles Produkt einzusetzen (ANDREAS E. BORSARI, Schadensabwälzung nach dem schweizerischen Produktehaftpflichtgesetz [PrHG], 1998, S. 155 ff.; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, Grundriss der Produktehaftpflicht, 1993, S. 103 f.; FELLMANN/KOTTMANN, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2012, S. 393 f.; HESS, a.a.O., N. 92 zu
Art. 4 PrHG
; LUCA MARANTA, Die Produkthaftung nach PrHG im Vergleich zu konkurrierenden Anspruchsgrundlagen, ius. full 2006 S. 242 ff., 244; THOMAS RÖTHLISBERGER, Zivilrechtliche Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückrufpflichten der Hersteller, 2003, S. 45 f.). In der Lehre werden in diesem Zusammenhang namentlich Feuerlöscher genannt (REY, a.a.O., S. 274 Rz. 1202a; SEILER, a.a.O., S. 948 Rz. 19.23).
4.5
Produktesicherheits- und Produktehaftpflichtrecht benützen teilweise analoge Begriffe und stellen grundsätzlich auf das gleiche Sicherheitsniveau ab (vgl. Botschaft vom 25. Juni 2008 zum Produktesicherheitsgesetz, BBl 2008 7407, 7427 ff., 7436; THEODOR BÜHLER, Die Produktsicherheit als Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung, 2012, S. 12; EUGÉNIE HOLLIGER-HAGMANN, Produktsicherheitsgesetz mit Achillesferse, Jusletter 8. Mai 2006 Rz. 7). Es rechtfertigt sich daher, die Überlegungen zum
BGE 139 II 534 S. 541
Produktehaftpflichtgesetz analog auch auf das Produktsicherheitsrecht anzuwenden (ebenso THOMAS WILRICH, Das neue Produktsicherheitsgesetz [Prod SG], 2012, Rz. 297 ff., insb. 297).
4.6
Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass bei einem Feuerlöscher ein Funktionsmangel auch ein Sicherheitsmangel im Sinne des STEG ist. Damit war der SVTI berechtigt, auch solche Mängel zu kontrollieren und gegebenenfalls beheben zu lassen.
5.
5.1
Im Eventualstandpunkt macht die Beschwerdeführerin geltend, die angeordnete Rückrufaktion sei unverhältnismässig. Wenn schon der erste Rückruf gemäss Auffassung des SVTI nutzlos gewesen sei, so würde das auch für den zweiten Rückruf zutreffen.
5.2
Dieser Auffassung kann nicht ohne weiteres gefolgt werden: Die erste, von der Beschwerdeführerin durchgeführte Produktwarnung bezog sich auf die Feuerlöscher mit Produktionsdatum zwischen Januar 2007 und Oktober 2008. Sie wird vom SVTI deswegen als ungenügend beurteilt, weil auf den in der Schweiz in Verkehr gebrachten Feuerlöschern das Herstellungsdatum nicht sichtbar sei, so dass für die Besitzer nicht erkenntlich sei, ob ihr Gerät vom Rückruf betroffen sei oder nicht. Die zweite, hier streitige Warnung unterscheidet sich von der ersten dadurch, dass sie sich auf alle ab Januar 2007 verkauften Geräte bezieht. Auch Besitzer, die auf dem Gerät das Herstellungsdatum nicht ersehen, mögen sich vielleicht noch an das ungefähre Kaufdatum erinnern und sich deshalb von der zweiten Warnung angesprochen fühlen, auch wenn sie die erste nicht befolgten. Die Produktwarnung kann also nicht als nutzlos betrachtet werden.
5.3
Fraglich ist indes, inwieweit ein Rückruf überhaupt erforderlich ist: Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden sicherheitsbewusste Konsumenten im Zweifelsfall bereits den ersten Rückruf befolgt haben, wenn sie das Herstellungsdatum nicht kannten. Weniger sicherheitsbewusste Konsumenten werden hingegen auch den zweiten Rückruf kaum befolgen.
5.4
Die Beschwerdeführerin macht insbesondere als Novum geltend, dass der Rückruf infolge des seitherigen Zeitablaufs unverhältnismässig geworden sei: Da die Feuerlöscher alle drei Jahre zur Revision gebracht werden müssten, seien inzwischen ohnehin alle Geräte funktionsüberprüft worden.
BGE 139 II 534 S. 542
5.4.1
Nach
Art. 99 Abs. 1 BGG
dürfen neue Tatsachen und Beweismittel vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Der blosse Zeitablauf ist kein Novum in diesem Sinne (
BGE 138 II 169
E. 3.2 S. 171). Nicht unter das Novenverbot fallen sodann allgemein- und gerichtsnotorische Tatsachen (Urteile 2C_25/2011 / 2C_58/2011 vom 3. Juli 2012 E. 2.1, nicht publ. in:
BGE 138 II 465
; 8C_922/2010 vom 22. August 2011 E. 3.1). Das Bundesverwaltungsgericht hat demgegenüber aufgrund seiner unbeschränkten Sachverhaltskontrolle (
Art. 49 lit. b VwVG
; SR 172.021) grundsätzlich auf den im Zeitpunkt seines Entscheids massgebenden Sachverhalt abzustellen und demzufolge im Rahmen des Streitgegenstands auch echte Noven zu berücksichtigen (
BGE 136 II 165
E. 4 S. 173 f.; Urteil 2C_367/ 2012 vom 20. November 2012 E. 3.5.1; HANSJÖRG SEILER, in: VwVG, Praxiskommentar [...], Waldmann/Weissenberg [Hrsg.], 2009, N. 19 zu
Art. 54 VwVG
; ZIBUNG/HOFSTETTER, in: VwVG, Praxiskommentar [...], 2009, N. 36 zu
Art. 49 VwVG
; SCHINDLER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], 2008, N. 30 zu
Art. 49 VwVG
).
5.4.2
Im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung ist dem Zeitablauf Rechnung zu tragen; eine Anordnung, die ursprünglich verhältnismässig ist, kann im Laufe der Zeit unverhältnismässig werden (vgl. Urteile 2C_1170/2012 vom 24. Mai 2013 E. 3.3; 2A.253/2004 vom 27. August 2004 E. 3.3). Das kann auch dann eintreten, wenn der Zeitablauf auf eine übermässige Verfahrensdauer zurückzuführen ist (Urteil 1C_65/2007 vom 11. September 2007 E. 4.1).
5.4.3
Infolge der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (
Art. 55 Abs. 1 VwVG
) musste während der Dauer des vorinstanzlichen Verfahrens die Produktwarnung noch nicht erfolgen. Im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils waren seit der Herstellung der beanstandeten Geräte vier bis fünf Jahre vergangen. Die Beschwerdeführerin macht mit Recht geltend, dass nach so langer Dauer eine Produktwarnung mit Rückruf keinen Sinn mehr macht: Gerichtsnotorisch bedürfen Feuerlöscher einer periodischen Revision, damit ihre Funktionstauglichkeit gewährleistet bleibt. Sicherheitsbewusste Besitzer werden ihre in den Jahren 2007 und 2008 gekauften Feuerlöscher inzwischen bereits zur Revision gebracht haben; dabei wäre ein Funktionsmangel entdeckt worden. Besitzer, die nicht derart sicherheitsbewusst sind, dass sie ihre
BGE 139 II 534 S. 543
Feuerlöscher periodisch revidieren lassen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf eine erneute Warnung nicht reagieren. Zudem können sie ohnehin nicht den Anspruch erheben, weiterhin einen funktionstauglichen Feuerlöscher zu besitzen.
5.4.4
Grundsätzlich soll ein an sich rechtmässiger Verwaltungsakt nicht infolge blosser Verfahrensdauer vor einer Rechtsmittelinstanz unrechtmässig werden, würde dies doch Anreize schaffen, durch Erhebung auch unbegründeter Rechtsmittel an sich berechtigte Anordnungen zu unterlaufen. Vorliegend kann aber der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen werden, bloss zwecks Zeitgewinn ein Rechtsmittel erhoben zu haben. Sodann war die Dauer des Verfahrens vor der Vorinstanz aussergewöhnlich lange. Unter diesen Umständen ist im vorliegenden Fall die angeordnete Produktwarnung, auch wenn sie im Jahre 2009 wohl noch verhältnismässig gewesen wäre, inzwischen unverhältnismässig geworden. Das betrifft auch die weiteren Punkte der Verfügung, da diese im Konnex mit der angeordneten Produktwarnung stehen. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d831540f-b080-4705-b561-4f35416e2209 | Urteilskopf
139 V 148
22. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Helsana Unfall AG gegen M. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_297/2012 vom 4. März 2013 | Regeste
Art. 7 Abs. 2 UVG
in Verbindung mit
Art. 13 UVV
;
Art. 8 UVG
;
Art. 15 Abs. 3 UVG
in Verbindung mit
Art. 23 Abs. 5 UVV
; Berechnungsgrundlage des Taggeldes für Mehrfachbeschäftigte bei einem Arbeitswegunfall.
Bei Mehrfachbeschäftigten ist für die Berechnung des Taggeldes der Gesamtlohn aus allen Erwerbstätigkeiten massgebend, sofern sie einen Unfall auf dem Arbeitsweg zu oder von einem ihrer Arbeitsorte erleiden, unabhängig davon, ob dieses Ereignis als Berufs- oder Nichtberufsunfall zu qualifizieren ist (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 139 V 148 S. 149
A.
Die 1949 geborene M. ist seit August 2000 für den Spitex-Verein X. als Haushaltshelferin tätig und im Rahmen dieser Anstellung bei einem wöchentlichen Pensum von 13,36 Stunden bei der Helsana Unfall AG (nachfolgend: Helsana) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Zusätzlich arbeitet sie drei Stunden pro Woche in gleicher Funktion im Privathaushalt von B. Gestützt auf dieses Arbeitsverhältnis ist sie ebenfalls bei der Helsana versichert, allerdings nur gegen die Folgen von Berufsunfällen. Am 17. November 2010 stürzte M. auf dem Weg von ihrer Arbeitsstelle beim Spitex-Verein X. nach Hause vom Fahrrad und zog sich dabei eine Ellbogenluxation links mit Radiusköpfchentrümmerfraktur und Abriss des Processus coronoideus zu (Bericht des Spitals R. vom 17. Dezember 2010). Die Helsana erbrachte Versicherungsleistungen. Mit Verfügung vom 9. März 2011 lehnte sie einen Anspruch auf Lohnausfallleistungen bezüglich der Tätigkeit bei B. ab. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest, wobei sie zur Begründung angab, M. habe einen Nichtberufsunfall erlitten und für dieses Risiko lediglich bei der Spitex Prämien bezahlt, weshalb nur dieser Lohn für die Berechnung des Taggeldanspruchs berücksichtigt werden könne (Einspracheentscheid vom 18. April 2011).
B.
In Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf und wies die Helsana an, den versicherten Verdienst für das Taggeld in Berücksichtigung der bei beiden Arbeitgebern erzielten Löhne zu ermitteln und entsprechende Leistungen auszurichten (Entscheid vom 14. Februar 2012).
C.
Die Helsana führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Gerichtsentscheid sei aufzuheben.
BGE 139 V 148 S. 150
M. beantragt, in Abweisung der Beschwerde sei die Helsana zu verpflichten, das Taggeld zuzüglich Zins auszubezahlen und es sei eine Parteientschädigung auszurichten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bringt in seiner Vernehmlassung vor, bei der Entscheidfindung sei die Intention des Bundesrates, wie sie in der Botschaft vom 30. Mai 2008 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (BBl 2008 5395 ff.) zum Ausdruck komme, zu berücksichtigen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Der Unfallversicherer hat - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt - die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten zu erbringen (
Art. 6 Abs. 1 UVG
[SR 832.20]). Als Berufsunfälle gelten Unfälle, die dem Versicherten bei Arbeiten, die er auf Anordnung des Arbeitgebers oder in dessen Interesse ausführt (
Art. 7 Abs. 1 lit. a UVG
), zustossen, oder während der Arbeitspausen sowie vor und nach der Arbeit, wenn er sich befugterweise auf der Arbeitsstätte oder im Bereiche der mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Gefahren aufhält (
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVG
). Der gesetzliche Begriff des Berufsunfalls knüpft sachlich an die auf Anordnung oder im Interesse des Arbeitgebers ausgeführten Arbeiten, zeitlich an die Arbeitspausen sowie örtlich an den Aufenthaltsort vor und nach der Arbeit an. Alle anderen Unfälle, bei denen keines dieser genannten Kriterien erfüllt ist, fallen unter den Begriff des Nichtberufsunfalls (
Art. 8 Abs. 1 UVG
).
Gemäss dieser Unterscheidung wären Unfälle auf dem Arbeitsweg nach objektiven Kriterien den Nichtberufsunfällen zuzuordnen, da der frei gewählte Hin- oder Rückweg bereits zur privaten Sphäre des Versicherten gehört (ALFRED MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 99; GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents, 1992, S. 62). Allerdings enthält das Gesetz eine Ausnahmeregelung: Für Teilzeitbeschäftigte, deren Arbeitsdauer das vom Bundesrat festzusetzende Mindestmass nicht erreicht, gelten auch Unfälle auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle (
Art. 7 Abs. 2 UVG
). Der Bundesrat setzte diese Mindestarbeitsdauer auf acht Stunden pro Woche fest (
Art. 13 UVV
[SR 832.202]). Das zu erreichende Mindestmass wird dabei nicht im Hinblick auf jedes einzelne Arbeitsverhältnis separat vorausgesetzt. Zwar sind die
BGE 139 V 148 S. 151
Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern nicht zusammenzuzählen (
BGE 134 V 412
E. 2.3 S. 415). Es genügt jedoch, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in einem der verschiedenen Arbeitsverhältnisse die geforderten acht Wochenstunden erreicht, um gegen die Folgen von Nichtberufsunfällen versichert zu sein und die Voraussetzung von
Art. 7 Abs. 2 UVG
nicht mehr zu erfüllen (vgl.
BGE 134 V 412
E. 2.3 in fine S. 416 und E. 4.1 S. 417). Teilzeitbeschäftigte nach
Art. 7 Abs. 2 UVG
sind gegen Nichtberufsunfälle nicht versichert (
Art. 8 Abs. 2 UVG
).
2.2
Ist die versicherte Person infolge des Unfalles voll oder teilweise arbeitsunfähig (
Art. 6 ATSG
[SR 830.1]), so hat sie gestützt auf
Art. 16 Abs. 1 UVG
Anspruch auf ein Taggeld, welches gemäss
Art. 17 Abs. 1 UVG
bei voller Arbeitsunfähigkeit 80 % des versicherten Verdienstes beträgt und bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit entsprechend gekürzt wird. Taggelder und Renten werden nach dem versicherten Verdienst bemessen (
Art. 15 Abs. 1 UVG
). Als versicherter Verdienst gilt für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfallereignis bezogene Lohn (Art. 15 Abs. 2 erster Teilsatz UVG). Nach
Art. 15 Abs. 3 UVG
erlässt der Bundesrat Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen. Gestützt auf diese Delegation wird in
Art. 23 Abs. 5 UVV
für Versicherte, welche vor dem Unfall bei mehr als einem Arbeitgeber tätig waren, der Gesamtlohn als massgebend erklärt.
3.
Die Beschwerdegegnerin war vor dem Unfall vom 17. November 2010 zuletzt für den Spitex-Verein X. tätig. Der Sturz vom Fahrrad ereignete sich auf dem Heimweg von dieser Arbeit. Da ihre wöchentliche Arbeitszeit beim Spitex-Verein X. acht Stunden pro Woche übersteigt, war die Qualifikation des Unfallereignisses als Nichtberufsunfall unter den Parteien unbestritten geblieben. Es ist allseits anerkannt, dass die Helsana der Taggeldberechnung zumindest den beim Spitex-Verein X. erwirtschafteten Lohn als versicherten Verdienst zugrunde legen muss. Umstritten ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt, indem sie die Helsana anweist, das Taggeld in Berücksichtigung der sowohl beim Spitex-Verein X. als auch bei B. erzielten Löhne zu ermitteln und entsprechend höhere Leistungen auszurichten.
4.
4.1
Das kantonale Gericht ist der Auffassung, der Wortlaut von
Art. 23 Abs. 5 UVV
schreibe unabhängig davon, ob Taggelder wegen
BGE 139 V 148 S. 152
eines Berufsunfalls oder eines Nichtberufsunfalls geschuldet seien (und welcher Versicherer entschädigungspflichtig sei), die Berücksichtigung des Gesamtlohns vor. Für die Festlegung des versicherten Verdienstes komme es nicht darauf an, ob eine Person beim nicht leistungspflichtigen Unfallversicherer eines weiteren Arbeitgebers gegen die Folgen von Nichtberufsunfällen versichert sei. Der Versicherungsschutz der Nichtberufsunfallversicherung sei offensichtlich nur in denjenigen Fällen nicht gewährleistet, in welchen eine versicherte Person in einem einzigen Arbeitsverhältnis mit weniger als acht Wochenstunden oder in mehreren solchen Arbeitsverhältnissen stehe. Für Nichtberufsunfälle sei allerdings von einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz auszugehen. Dies bedinge, dass bei Vorliegen einer Nichtberufsunfalldeckung die Löhne sämtlicher Arbeitgeber in die Bemessung des versicherten Verdienstes für das Taggeld einzubeziehen seien.
4.2
Die Beschwerdeführerin wendet ein, weder aus dem Wortlaut von
Art. 23 Abs. 5 UVV
noch aus der dazu ergangenen Rechtsprechung lasse sich bei Vorliegen einer Nichtberufsunfall-Deckung auf einen Einbezug der Löhne sämtlicher Arbeitgeber in die Bemessung des versicherten Verdienstes für das Taggeld schliessen. Vielmehr sei bei Mehrfachbeschäftigungen nur Einkommen zum Gesamtlohn im Sinne von
Art. 23 Abs. 5 UVV
zu zählen, auf welchem Prämien zur Finanzierung des versicherten Risikos erhoben worden seien. Massgebend für die Heranziehung der Löhne sei daher das versicherte Risiko. Weil hinsichtlich der Tätigkeit bei B. keine Deckung für Nichtberufsunfälle bestanden habe, sei der im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses erzielte Lohn auch nicht zum versicherten Verdienst zu zählen.
4.3
Die Beschwerdegegnerin schliesst sich der Argumentation des kantonalen Gerichts an und bringt überdies namentlich vor, entgegen der Ansicht des Unfallversicherers seien bei beiden Arbeitgebern Prämien für den Arbeitsweg bezahlt worden, wobei das versicherte Risiko "Arbeitsweg" beim Verein X. zum Nichtberufsunfall und bei B. zum Berufsunfall gehöre. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt würde als zuständiger Versicherer bei der Taggeldberechnung den Lohn beim zweiten Arbeitgeber in Konstellationen wie der vorliegenden berücksichtigen; die unterschiedliche Handhabung durch die Durchführungsorgane (der Unfallversicherung) führe zu Rechtsungleichheiten.
BGE 139 V 148 S. 153
4.4
Das BAG weist auf die Botschaft vom 30. Mai 2008 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung und die in diesem Rahmen geäusserte Intention des Bundesrates hin, den bisher auf Verordnungsebene geregelten Grundsatz, wonach bei Versicherten, welche bei mehr als einem Arbeitgeber angestellt sind, der Gesamtlohn für die Bemessung der Taggelder und Renten massgebend sein soll, auf Gesetzesebene zu verankern (BBl 2008 5426 oben zu Art. 15 Abs. 2, 2
bis
[neu] und Abs. 3 zweiter Satz UVG).
5.
5.1
Nach den üblichen Regeln der Gesetzesauslegung (
BGE 134 V 208
E. 2.2 S. 211;
BGE 133 V 314
E. 4.1 S. 316 f.) ist eine Bestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 137 V 167
E. 3.1 S. 169 f.;
BGE 135 II 78
E. 2.2 S. 81;
BGE 135 V 215
E. 7.1 S. 229).
5.2
Ausnahmebestimmungen sind weder restriktiv noch extensiv, sondern nach ihrem Sinn und Zweck im Rahmen der allgemeinen Regelung auszulegen (
BGE 137 V 167
E. 3.4 S. 171 mit Hinweisen).
6.
6.1
6.1.1
In der Botschaft vom 18. August 1976 zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung (BBl 1976 III 141 ff.) wurde auf die Frage der Versicherungsdeckung des Wegunfalls differenziert eingegangen. Für den Bundesrat stand ausser Diskussion, dass der Wegunfall von der Versicherung zu decken ist; strittig war nur, welche Versicherungsabteilung und damit welcher Prämienzahler dadurch belastet werden soll. Er wies darauf hin, dass bei der Einführung der obligatorischen Unfallversicherung die schwierige Abgrenzung zwischen dem Wegunfall und dem beruflichen und nichtberuflichen Unfall, die im Ausland zu unzähligen Streitfällen Anlass gegeben habe, durch die
BGE 139 V 148 S. 154
Schaffung einer umfassenden Nichtbetriebsunfallversicherung umgangen worden sei. Es scheine wenig sinnvoll, diese Abgrenzungsproblematik unter einem anderen Aspekt erneut in die Versicherung hineinzutragen, zumal es um die Umverteilung eines Anteils von etwa einem Achtel der Nichtbetriebsunfallprämie gehe. Zudem könne der Betriebsinhaber - vom Standpunkt der Unfallverhütung aus - zwar wohl auf die Unfallgefahren im Betrieb, nicht aber auf jene ausserhalb des Betriebes Einfluss nehmen. Daher sei der Wegunfall wie bisher zum Nichtberufsunfall zu zählen. Eine Ausnahme scheine jedoch bei Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt, die vor allem aus prämientechnischen Gründen nicht in die Nichtberufsunfallversicherung einbezogen werden könnten, die aber gerade wegen der Art der Tätigkeit häufig den Gefahren des Strassenverkehrs ausgesetzt seien. Diese sollten auf dem Weg zu und von der Arbeit vollen Unfallschutz geniessen (BBl 1976 III 165 f. Ziff. 33).
6.1.2
Die vorberatenden Kommissionen des National- und Ständerats diskutierten ebenfalls Lösungen hinsichtlich eines befriedigenden Versicherungsschutzes für Teilzeitbeschäftigte. Eine Minderheit plädierte für eine obligatorische Nichtbetriebsunfallversicherung auch bei teilzeitlich Erwerbstätigen. In der anschliessenden parlamentarischen Beratung blieb es aber bei einer Mehrheit für den bundesrätlichen Vorschlag, den Unfall auf dem Arbeitsweg bei Teilzeitbeschäftigten als Berufsunfall gelten zu lassen. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer auf seinem Weg zur Arbeit auf jeden Fall versichert sei, da (bei voller Erwerbstätigkeit) auch die Nichtberufsunfallversicherung obligatorisch sei, und bei Teilzeitbeschäftigten wiederum, welche nur gegen die Folgen von Berufsunfällen versichert seien, werde der Arbeitsweg aus diesem Grund in die Berufsunfallversicherung einbezogen; in der Diskussion gehe es demzufolge eigentlich nur um die Frage, ob der Unfall auf dem Arbeitsweg als Berufs- oder Nichtberufsunfall zu qualifizieren sei. Es setzte sich die Ansicht durch, von einer Nichtberufsunfallversicherung für alle Teilzeitbeschäftigten abzusehen, da die Befürchtung bestand, sonst würde die Solidarität der übrigen Versicherten in zu starkem Mass strapaziert. Bereits im Rahmen der Berufsunfallversicherung seien nämlich für Teilzeitbeschäftigte bei kleinen Prämien grosse Versicherungsleistungen möglich - namentlich im Bereich der Pflegeleistungen und Kostenvergütungen, obwohl teilzeitlich Erwerbstätige mit kleinem Lohn und entsprechend niedrigen Prämienbeiträgen eigentlich keine hohen Versicherungsleistungen erwarten
BGE 139 V 148 S. 155
könnten (AB 1979 N 159). Der Qualifizierung von Unfällen auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle bei teilzeitlich Beschäftigten im Sinne des heutigen
Art. 7 Abs. 2 UVG
stimmte der Ständerat oppositionslos zu (AB 1980 S 472).
6.2
6.2.1
Das frühere Eidgenössische Versicherungsgericht hatte sich in
BGE 126 V 26
mit der Frage zu befassen, ob bei einem Berufsunfall im engeren Sinne (also bei einem Unfall am Arbeitsplatz), der Lohn, welcher in einer seit weniger als 30 Tagen tatsächlich beendeten, nur gegen die Folgen von Berufsunfällen versicherten Nebenbeschäftigung erzielt wurde, bei der Taggeldberechnung gemäss
Art. 23 Abs. 5 UVV
zu berücksichtigen ist. In diesem Zusammenhang stellte es fest, dass bei mehreren Arbeitgebern zur Bestimmung des Gesamtlohns gemäss
Art. 23 Abs. 5 UVV
lediglich diejenigen Löhne zu berücksichtigen seien, welche der Arbeitnehmer in seiner Funktion als Versicherter erhalten habe. Nur jene Löhne, von denen Prämien abgezogen würden, um das Risiko von Ereignissen wie dem vorgefallenen zu versichern, seien Teil des für die Taggelder massgebenden Lohnes. Ansonsten würde der Grundsatz der Gegenseitigkeit, auf welchem die rechtlichen Bestimmungen zur Festlegung der Prämien bei der Unfallversicherung beruhen, verletzt (
BGE 126 V 26
E. 3c S. 29).
6.2.2
Im Urteil U 266/06 vom 28. Dezember 2006 E. 3.3 ff. (nicht publ. in:
BGE 133 V 196
) hielt das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Bezug auf eine Arbeitnehmerin, welche in zwei Arbeitsverhältnissen mit Wochenarbeitszeiten von dreieinhalb bzw. dreidreiviertel Stunden stand und in Ausübung der Arbeit für einen der zwei Arbeitgeber verunfallt war, fest, dass mehrfach beschäftigten Teilzeitarbeitnehmern für Berufsunfälle - unabhängig von ihrem Arbeitspensum (und damit unabhängig vom Bestehen einer Nichtberufsunfalldeckung) - bei unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit derselbe Versicherungsschutz zukommen soll wie den für ein einziges Arbeitsverhältnis versicherten Arbeitnehmern. Die Folgen des Berufsunfalles stellten das versicherte Risiko dar, für welches beide Arbeitgeber Prämien bezahlt hätten. Demzufolge sei das versicherte Taggeld nach Massgabe des Gesamtlohnes, d.h. unter Einschluss des bei beiden Arbeitgebern erzielten Verdienstes zu berechnen.
6.2.3
Im Urteil 8C_1029/2010 vom 20. April 2011 bestätigte das Bundesgericht, dass bei einer teilzeitbeschäftigten Person mit mehreren
BGE 139 V 148 S. 156
Arbeitgebern, welche aufgrund mindestens eines Arbeitsverhältnisses auch für Nichtberufsunfälle versichert ist und auf dem Weg zu einer Stelle verunfallt, bei der sie lediglich für Berufsunfälle versichert ist, aus der Sicht sämtlicher Arbeitgeber ein Nichtberufsunfall im Sinne von
Art. 7 Abs. 2 UVG
in Verbindung mit
Art. 13 Abs. 2 UVV
vorliege. Daraus wurde ohne weitere Begründung abgeleitet, der Unfallversicherer, bei welchem lediglich Versicherungsschutz für Berufsunfälle bestehe, sei nicht leistungspflichtig.
7.
7.1
Art. 7 Abs. 2 UVG
beabsichtigt, die Auswirkungen von
Art. 8 Abs. 2 UVG
auf Teilzeitbeschäftigte mit einem Wochenpensum von weniger als acht Stunden zu mildern und die Arbeitswegunfälle in die Versicherungsdeckung einzubeziehen (RUMO-JUNGO/HOLZER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, Murer/Stauffer [Hrsg.], 4. Aufl. 2012, S. 88). In
Art. 7 Abs. 2 UVG
findet die vom Gesetzgeber angestrebte volle Versicherungsdeckung von Arbeitswegunfällen (auch) für Teilzeitbeschäftigte ihren Niederschlag, indem ein Ereignis auf dem Arbeitsweg den Berufsunfällen zugeordnet wird, falls keine Versicherungsdeckung für Nichtberufsunfälle besteht. Die Qualifizierung eines Unfalls, der sich auf dem Weg zu oder von der Arbeit ereignet, ist demgemäss davon abhängig, ob eine Versicherungsdeckung für Nichtberufsunfälle besteht oder nicht.
7.2
7.2.1
Die Vorinstanz hält dafür, der Berechnung des versicherten Verdienstes für das Taggeld sei gemäss
Art. 23 Abs. 5 UVV
der Gesamtlohn aus beiden Arbeitsverhältnissen zugrunde zu legen. Die Beschwerdeführerin entgegnet unter Verweis auf
BGE 126 V 26
(E. 6.2.1 hiervor) grundsätzlich zutreffend, dass bei Mehrfachbeschäftigten rechtsprechungsgemäss nur Löhne, auf welchen Prämien zur Finanzierung des versicherten Risikos erhoben worden sind, zum massgebenden Lohn gehörten.
7.2.2
Das Äquivalenzprinzip als eines der tragenden Prinzipien der Unfallversicherung besagt, dass für die Bemessung des den Geldleistungen zugrunde liegenden versicherten Verdienstes von den gleichen Faktoren auszugehen ist, die auch Basis der Prämienberechnung bilden (
BGE 127 V 165
E. 2b S. 169). In
Art. 92 Abs. 1 UVG
und
Art. 115 Abs. 1 UVV
hat dieses Prinzip seinen positivrechtlichen Niederschlag gefunden. Bei den vom Bundesrat gestützt auf
BGE 139 V 148 S. 157
Art. 15 Abs. 3 UVG
erlassenen Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen wird das Äquivalenzprinzip allerdings regelmässig durchbrochen, was mit dem in der sozialen Unfallversicherung ebenfalls geltenden Solidaritätsprinzip gerechtfertigt werden kann (ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S. 207).
7.2.3
Aus den Materialien zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung (vgl. E. 6.1 hiervor) ergibt sich insgesamt, dass der Bundesrat und die Mehrheit der Parlamentarier eine Versicherungsdeckung (auch) für Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich der Folgen von Unfällen wollten, welche sich auf dem Arbeitsweg ereignen. Dabei nahmen sie eine Durchbrechung des Äquivalenzprinzips ausdrücklich in Kauf, was in
Art. 7 Abs. 2 UVG
seinen Niederschlag gefunden hat. Aus der Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach die Berücksichtigung beider Löhne der Versicherten bei der Bemessung des versicherten Verdienstes gegen das Äquivalenzprinzip verstosse, kann sie deshalb nicht schon den Schluss ziehen, die Beschwerdegegnerin sei im Rahmen ihrer zweiten Tätigkeit nicht gegen die Folgen eines Arbeitswegunfalls versichert, auch wenn sich dieser nach der Arbeit für den Spitex-Verein X. zugetragen hat. Bei einem Arbeitswegunfall eines Mehrfachbeschäftigten ist die Frage danach, ob für dieses Risiko Prämien entrichtet wurden, nicht zielführend. Die Höhe der Berufsunfallprämie von Teilzeitbeschäftigten ist nicht davon abhängig, ob ein Arbeitswegunfall gestützt auf
Art. 7 Abs. 2 UVG
zum versicherten Risiko gehört. Der Berufsunfallversicherer weiss oft gar nicht, ob die Arbeitnehmer beim Versicherer eines weiteren Arbeitgebers gegen Nichtberufsunfälle versichert sind, mithin, ob die Berufsunfallversicherung im Einzelfall auch für die Folgen von Arbeitswegunfällen aufkommen muss. Hätte die Beschwerdegegnerin im Übrigen vorliegend einen Unfall an einem ihrer Arbeitsplätze erlitten, wären die beiden Löhne zusammenzuzählen, ohne dass es von Bedeutung wäre, in welcher der beiden Tätigkeiten der Berufsunfall stattgefunden hat, was ebenfalls einen Einbruch ins Äquivalenzprinzip bedeuten kann, wenn eine Erwerbstätigkeit risikoreicher ist als die andere und deshalb auf der einen Erwerbstätigkeit ein höherer Prämiensatz angewendet würde (vgl. HOLZER, a.a.O., S. 218 f.). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann die Leistungspflicht für die Folgen von Arbeitswegunfällen daher nicht unter Berufung auf die Rechtsprechung zum Grundsatz der Gegenseitigkeit im Sinne von
BGE 126 V 26
E. 3c S. 29 verneint werden.
BGE 139 V 148 S. 158
7.2.4
Eine laufende Gesetzesrevision kann bei der Auslegung einer Norm des geltenden Rechts in gewissen Fällen berücksichtigt werden. Dies gilt aber nur, wenn das geltende System nicht grundsätzlich geändert, sondern nur eine Konkretisierung des bestehenden Rechtszustands angestrebt wird oder Lücken des geltenden Rechts ausgefüllt werden sollen (vgl.
BGE 125 III 401
E. 2a S. 404;
BGE 124 II 193
E. 5d S. 201; Urteil 5A_793/2011 vom 3. Februar 2012 E. 6.8.3). Das BAG weist in seiner letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung auf die Botschaft vom 30. Mai 2008 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (BBl 2008 5395) hin. Der Bundesrat schlägt darin vor, nebst Weiterem
Art. 15 Abs. 2 UVG
folgendermassen abzuändern: "Als versicherter Verdienst gilt für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bei einem oder mehreren Arbeitgebern bezogene Lohn sowie das freiwillig versicherte Einkommen." In den Erläuterungen (BBl 2008 5426 oben zu Art. 15 Abs. 2, 2
bis
[neu] und Abs. 3 zweiter Satz UVG) erklärt der Bundesrat, heute sei auf Verordnungsebene geregelt, dass bei einem Versicherten, welcher bei mehr als einem Arbeitgeber angestellt sei, der Gesamtlohn für die Bemessung der Taggelder und Renten massgebend sei. Zur Klarstellung werde dieser Grundsatz neu auf Gesetzesebene festgehalten. Er gelte auch, wenn der Arbeitnehmer nicht bei allen Arbeitgebern nichtberufsunfallversichert sei, oder wenn er neben der unselbstständigen Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit ausübe, für welche er sich gemäss
Art. 4 UVG
freiwillig versichert habe. Die vorgeschlagene Lösung entspreche der bisherigen Verordnungsregelung.
Es ist aus heutiger Sicht noch nicht absehbar, ob das Gesetz tatsächlich in diesem Sinne abgeändert wird. Immerhin lässt sich erkennen, dass in absehbarer Zeit keine Abkehr vom möglichst umfassenden Versicherungsschutz bei Arbeitswegunfällen von Mehrfachbeschäftigten geplant ist.
7.3
7.3.1
Die Auslegung von
Art. 23 Abs. 5 UVV
hat sich an der ratio legis des
Art. 7 Abs. 2 UVG
, die möglichst vollständige Versicherungsdeckung der Folgen von Arbeitswegunfällen auch bei Teilzeitbeschäftigten, zu orientieren. Dabei ist der Ausnahmecharakter der Qualifizierung der Arbeitswegunfälle als Berufsunfälle gemäss
Art. 7 Abs. 2 UVG
zu berücksichtigen und dem Beweggrund der umfassenden Versicherungsdeckung Rechnung zu tragen, welcher hinter
BGE 139 V 148 S. 159
dieser Einordnung steht. Den Materialien zu
Art. 23 Abs. 5 UVV
lässt sich nicht entnehmen, dass die Ausserachtlassung des in einem weiteren Arbeitsverhältnis erzielten Lohnes bei der Berechnung des versicherten Verdienstes - wie sie von der Beschwerdeführerin beantragt wird - angestrebt worden wäre. Wie bereits im Urteil U 266/06 vom 28. Dezember 2006 festgehalten wurde, bezweckt die Bestimmung von
Art. 23 Abs. 5 UVV
, eine Benachteiligung der Mehrfachbeschäftigten gegenüber den bei einem einzigen Arbeitgeber angestellten Personen zu vermeiden. Denn nur wenn für die Bemessung der Taggelder der in allen Arbeitsverhältnissen versicherte Verdienst (Gesamtlohn) herangezogen wird, ist ihre auf einen Unfall zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit auch voll versichert. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich um Teilzeitbeschäftigte mit einer Arbeitszeit von mehr oder weniger als acht Wochenstunden und damit um obligatorisch auch gegen die Folgen von Nichtberufsunfällen Versicherte handelt oder nicht. So oder anders soll ihnen für Berufsunfälle bei unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit derselbe Versicherungsschutz zukommen wie den für ein einziges Arbeitsverhältnis versicherten Arbeitnehmern (Urteil U 266/06 vom 28. Dezember 2006 E. 3.4).
7.3.2
Nichts anderes darf für Teilzeitbeschäftigte gelten, deren Arbeitsdauer in einer ihrer Anstellungen acht Wochenstunden übersteigt, mit der Folge, dass Unfälle auf dem Arbeitsweg als Nichtberufsunfälle qualifiziert werden (
Art. 7 Abs. 2 UVG
in Verbindung mit
Art. 13 Abs. 2 UVV
e contrario und
Art. 8 UVG
):
Es ist unmöglich, im Gesetzgebungsprozess alle möglichen Sachverhalte vorauszusehen. Ein Beispiel dafür bildet die vorliegende Ausgangslage. Hätte nämlich in beiden Arbeitsverhältnissen nur Versicherungsschutz für die Folgen von Berufsunfällen bestanden, wäre das Unfallereignis in Anwendung von
Art. 7 Abs. 2 UVG
, wonach für Teilzeitbeschäftigte, deren Arbeitsdauer das Mindestmass nicht erreicht, Unfälle auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle gelten, als Berufsunfall qualifiziert worden. Das Taggeld wäre somit wohl unstrittig auf der Basis des in beiden Anstellungen versicherten Verdienstes berechnet worden. Der Arbeitswegunfall der Versicherten wurde nur deshalb als Nichtberufsunfall qualifiziert, weil aufgrund der Tätigkeit für den Spitex-Verein X. eine entsprechende Versicherungsdeckung für Nichtberufsunfälle bestand. Darum gelangte die Ausnahmeregelung von
Art. 7 Abs. 2 UVG
nicht zur Anwendung.
BGE 139 V 148 S. 160
Blieben allerdings bei Unfällen von Mehrfachbeschäftigten auf dem Weg zu oder von der Arbeit aufgrund der - durch die Nichtberufsunfalldeckung bei einem der Arbeitgeber bedingten - Qualifizierung als Nichtberufsunfälle die ausschliesslich gegen die Folgen von Berufsunfällen versicherten Einkommen bei der Taggeldberechnung unberücksichtigt, würde dies dem Sinn und Zweck des
Art. 7 Abs. 2 UVG
entgegenstehen. Dies zeigt sich nicht nur in casu, sondern noch deutlicher unter anderem auch in der Konstellation einer bei drei verschiedenen Arbeitgebern angestellten Person mit Wochenpensen von acht Stunden bei einem Arbeitgeber sowie sieben und sechs Stunden bei den weiteren zwei Arbeitgebern. Ein Wegunfall würde als Nichtberufsunfall qualifiziert und für die Taggeldberechnung wären einzig die acht Wochenstunden massgebend, die sie beim ersten Arbeitgeber leistet, weil sie in diesem Arbeitsverhältnis gegen die Folgen von Nichtberufsunfällen versichert ist. Die erweiterte Versicherungsdeckung würde sich auch hier - sinnwidrig - zu Lasten der versicherten Person auswirken. Bei einer ebenfalls bei drei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigten Person mit einem Gesamtpensum in gleicher Höhe, welches sich auf je sieben Stunden pro Woche in den drei Anstellungen verteilt, würde ein Arbeitswegunfall mangels Nichtberufsunfalldeckung gestützt auf
Art. 7 Abs. 2 UVG
als Berufsunfall qualifiziert und das Taggeld auf der Basis von 21 Wochenstunden berechnet. Diese unterschiedliche Behandlung lässt sich mit der ratio legis von
Art. 7 Abs. 2 UVG
nicht vereinbaren. Mit anderen Worten verlangt eine am klaren gesetzgeberischen Ziel orientierte Auslegung von
Art. 23 Abs. 5 UVV
in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 3 sowie
Art. 7 Abs. 2 UVG
,
Art. 13 Abs. 2 UVV
und
Art. 8 UVG
, dass bei Mehrfachbeschäftigten für die Berechnung des Taggeldes der Gesamtlohn aus allen Tätigkeiten massgebend ist, sofern sie einen Unfall (bei der Arbeit oder) auf dem Arbeitsweg zu oder von einer ihrer Anstellungen erleiden, unabhängig davon, ob dieser Unfall nach Massgabe der erwähnten Gesetzesbestimmungen als Berufs- oder Nichtberufsunfall zu qualifizieren ist. Soweit sich aus dem Urteil 8C_1029/2010 vom 20. April 2011 etwas anderes ergibt, kann daran nicht festgehalten werden.
8.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Auslegungsergebnis der erwähnten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen klar ist: Gewollt ist ein umfassender Versicherungsschutz der Mehrfachbeschäftigten bezüglich der Folgen von Unfällen am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsweg. Eine strenge Orientierung am Wortlaut
BGE 139 V 148 S. 161
von
Art. 7 Abs. 2 UVG
in Verbindung mit
Art. 13 Abs. 2 UVV
und
Art. 8 UVG
geht in der vorliegenden Konstellation an diesem Ziel vorbei. Die zugunsten der Teilzeitbeschäftigten ins Gesetz aufgenommene Regelung des
Art. 7 Abs. 2 UVG
wirkt sich hier zu ihrem Nachteil aus. In Nachachtung der ratio legis muss sich der Gesamtlohn im Sinne von
Art. 23 Abs. 5 UVV
folglich in casu aus den Verdiensten beider Anstellungen zusammensetzen, damit die umfassende Versicherungsdeckung bei Arbeitswegunfällen zum Tragen kommt. Für einen Arbeitswegunfall, welcher einzig wegen einer bestehenden Berufs- und Nichtberufsunfalldeckung bei einem von mehreren Arbeitgebern als Nichtberufsunfall qualifiziert wird, ist der Einbezug von nur gegen die Folgen von Berufsunfällen versicherten Einkommen für die Berechnung des Taggeldes deshalb sachlich geboten. Das kantonale Gericht hat folglich kein Bundesrecht verletzt, indem es die Helsana anwies, das Taggeld für den Arbeitswegunfall nach Massgabe des Gesamtlohns, d.h. unter Einschluss des bei B. erzielten Einkommens, zu bemessen. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d833b396-f264-498d-8028-23624edd259c | Urteilskopf
138 III 193
30. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_636/2011 vom 10. Februar 2012 | Regeste
Art. 212 ZGB
; Bewertung eines landwirtschaftlichen Gewerbes im Eigengut eines Ehegatten; Ersatzforderungen der Errungenschaft auf Unternehmensertrag.
Das behördliche Schätzungsgutachten über den Ertragswert und den Nutzwert ist für das Zivilgericht verbindlich (E. 3), während die Ermittlung des Verkehrswertes der freien gerichtlichen Beweiswürdigung unterliegt (E. 4). Aufwendungen zur Erhaltung und Erneuerung des Betriebsinventars vermindern den Unternehmensertrag und damit die Errungenschaft (E. 5). Beweisthema bei Investitionen ist der konkrete Zahlungsfluss (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 138 III 193 S. 194
X. (Ehefrau und Beschwerdeführerin), Jahrgang 1943, und Y. (Ehemann und Beschwerdegegner), Jahrgang 1948, heirateten im Juni 1969. Sie wurden Eltern dreier Kinder, geboren in den Jahren 1969, 1972 und 1973. Der Beschwerdegegner führte den familieneigenen Weinbaubetrieb. Die Beschwerdeführerin besorgte den Haushalt der Familie, betreute die Kinder und arbeitete zusätzlich im Familienbetrieb mit. Die Ehegatten trennten sich Ende Februar 2003. Am 1. März 2007 reichte die Beschwerdeführerin die Scheidungsklage ein. Auf Veranlassung der Beschwerdeführerin und des ältesten Sohnes der Parteien war dem Beschwerdegegner im Rahmen vormundschaftlicher Anordnungen vom September 2004 bis Juni 2006 und aufgrund vorsorglicher Massnahmen vom Juni 2007 bis Mai 2010 die Führung des Weinbaubetriebes ganz oder teilweise entzogen. Die Geschäfte besorgten während dieser Zeit die Beschwerdeführerin und der älteste Sohn der Parteien, der selber als Winzer und Küfer ausgebildet ist.
Das Bezirksgericht schied die Ehe. Es verpflichtete den Beschwerdegegner, einen Unterhaltsbeitrag und aus Güterrecht Fr. 845'554.- an die Beschwerdeführerin zu bezahlen. Auf Berufungen beider Parteien hin verpflichtete das Kantonsgericht den Beschwerdegegner, der Beschwerdeführerin einen Unterhaltsbeitrag und in güterrechtlicher Hinsicht eine Ausgleichszahlung von Fr. 289'423.- auszurichten.
Die Beschwerdeführerin beantragt vor Bundesgericht eine güterrechtliche Ausgleichszahlung von Fr. 723'694.-. Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das angefochtene Urteil betrifft die güterrechtliche Auseinandersetzung nach den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung (Art. 120 i.V.m.
Art. 196 ff. ZGB
) und damit eine Zivilsache (
Art. 72 Abs. 1 BGG
) in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit, deren Streitwert den gesetzlichen Mindestbetrag von Fr. 30'000.- übersteigt (
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
). Es ist kantonal letztinstanzlich (
Art. 75 Abs. 1 BGG
), lautet zum Nachteil der Beschwerdeführerin (
Art. 76 Abs. 1 BGG
) und schliesst das kantonale Verfahren ab (
Art. 90 BGG
). Auf die - im weiteren rechtzeitig erhobene (
Art. 100 Abs. 1 BGG
) - Beschwerde kann eingetreten werden.
BGE 138 III 193 S. 195
2.
Hauptgegenstand der güterrechtlichen Auseinandersetzung ist der Weinbaubetrieb, den der Beschwerdegegner 1978 von seinem Vater übernommen und als Einzelfirma ("Kellerei Y.") weitergeführt hat.
2.1
Ein landwirtschaftliches Gewerbe, das ein Ehegatte als Eigentümer selber weiterbewirtschaftet, ist bei Berechnung des Mehrwertanteils und der Beteiligungsforderung gemäss
Art. 212 Abs. 1 ZGB
zum Ertragswert einzusetzen. Bereits vor Kantonsgericht ist unbestritten geblieben, dass der Weinbaubetrieb als landwirtschaftliches Gewerbe zu gelten hat und der Beschwerdegegner als Selbstbewirtschafter anzusehen ist. Massgebend für die güterrechtliche Auseinandersetzung war damit im Grundsatz der Ertragswert des Weinbaubetriebs.
2.2
Das Kantonsgericht hat den Weinbaubetrieb als einen Vermögensgegenstand und damit als eine rechtlich finanzielle Einheit erfasst und - zufolge erbrechtlicher bzw. unentgeltlicher Übernahme (
Art. 198 Ziff. 2 ZGB
) - dem Eigengut des Beschwerdegegners zugeordnet. Von dieser Zuweisung des Weinbaubetriebs als Ganzes, d.h. mit allen Aktiven und Passiven, in das Eigengut des Beschwerdegegners, geht auch die Beschwerdeführerin aus. Das Kantonsgericht hat sodann die Finanzierungsanteile von Eigengut und Errungenschaft am Weinbaubetrieb festgelegt und daraus die Forderung der Errungenschaft des Beschwerdegegners gegen dessen Eigengut berechnet. Die Beschwerdeführerin wendet gegen die vereinfachte Gesamtabrechnung nichts ein und übernimmt die Berechnungsweise.
2.3
Auf die vorstehenden, in der Beschwerde unangefochten gebliebenen Schritte in der Abwicklung des güterrechtlichen Verhältnisses zwischen den Parteien ist heute nicht zurückzukommen. Das Bundesgericht hat keine güterrechtliche Auseinandersetzung neu durchzuführen, sondern das angefochtene Urteil einzig aufgrund der Beschwerdebegründung und in deren Rahmen zu beurteilen (vgl.
BGE 135 III 397
E. 1.4 S. 400;
BGE 137 III 241
E. 5 S. 243). Streitig und zu prüfen sind die Fragen, wie die selbst produzierten Vorräte und das Inventar des Weinbaubetriebs bewertet werden müssen und ob im Zusammenhang mit dem Erwerb einzelner Rebparzellen für den Weinbaubetrieb Ersatzforderungen der Errungenschaft des Beschwerdegegners gegen dessen Eigengut bestehen.
3.
Für die Ermittlung des Ertragswertes eines landwirtschaftlichen Gewerbes gelten gemäss
Art. 212 Abs. 3 ZGB
die erbrechtlichen Bestimmungen über die Bewertung sinngemäss.
BGE 138 III 193 S. 196
3.1
Im Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. Januar 1988 (AS 1986 122, 153) betraf die Verweisung in
Art. 212 Abs. 3 ZGB
unter anderem die erbrechtlichen Bestimmungen, wonach die Feststellung des Anrechnungswertes des landwirtschaftlichen Gewerbes nach dem Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940 über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen (LEG; BS 9 80) erfolgt (aArt. 620 Abs. 3 ZGB von 1972/73) und der Übernehmer des landwirtschaftlichen Gewerbes die Zuweisung der dem Betriebe dienenden Gerätschaften, Vorräte und Viehbestände zu ihrem Nutzwerte beanspruchen kann (aArt. 620
bis
ZGB von 1972/73; AS 1973 93). Die Verweisung betrifft heute
Art. 619 ZGB
, der für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken auf das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB; SR 211.412.11) weiterverweist. Danach kann der Erbe, der die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes zur Selbstbewirtschaftung geltend macht, zudem verlangen, dass ihm das Betriebsinventar (Vieh, Gerätschaften, Vorräte usw.) zugewiesen wird (
Art. 15 Abs. 1 BGBB
). Gemäss
Art. 17 BGBB
wird das landwirtschaftliche Gewerbe dem selbstbewirtschaftenden Erben zum Ertragswert an den Erbteil angerechnet (Abs. 1), während das Betriebsinventar zum Nutzwert anzurechnen ist (Abs. 2).
3.2
Für die Ertragswertschätzung sieht
Art. 10 Abs. 2 BGBB
vor, dass der Bundesrat die Art der Berechnung, die Bemessungsperiode und die Einzelheiten der Schätzung regelt. Die behördliche Schätzung des Ertragswertes (
Art. 87 BGBB
) unterliegt der Beschwerde gemäss Art. 88 f. BGBB.
3.2.1
Die rechtskräftige Schätzung ist - wie bis anhin (vgl. Art. 7 LEG; BS 9 81 f.) - endgültig und für das Zivilgericht verbindlich, d.h. der freien gerichtlichen Beweiswürdigung hier im Güterrechtsprozess entzogen (vgl.
BGE 129 III 186
E. 2.2 S. 191; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, 1992, N. 46 und 81 zu Art. 212/213 ZGB; STEINAUER, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. I, 2010, N. 7, und STECK, Scheidung, in: FamKomm Bd. I, 2. Aufl. 2011, N. 4, je zu
Art. 212 ZGB
). Leidet die Schätzung an groben Mängeln, hat das Zivilgericht sie aufzuheben und die Sache zu neuer Schätzung zurückzuweisen. Eine selbstständige Bestimmung des Anrechnungswertes durch das Zivilgericht ist ausgeschlossen (vgl.
BGE 58 II 406
S. 410 f.; ESCHER/ESCHER, Zürcher Kommentar, 1960, N. 3/4, und TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, 1964, N. 7 zu aArt. 618 ZGB).
BGE 138 III 193 S. 197
3.2.2
Die behördliche Schätzung umfasst nach dem Gesetzeswortlaut den Ertragswert (
Art. 87 Abs. 1 BGBB
) und seit der BGBB-Revision von 2003/04 auf Antrag des Berechtigten auch den Nutzwert des Inventars (
Art. 87 Abs. 1
bis
BGBB
). Das geltende bäuerliche Bodenrecht kennt - im Gegensatz zum früheren Recht - keine Vorschrift, die die Feststellung des Verkehrswertes der kantonalen Schätzungsbehörde vorbehält und eine Verkehrswertermittlung durch ein gewöhnliches Gutachten ausschliesst (vgl. THOMAS MEYER, Der Gewinnanspruch der Miterben im bäuerlichen Bodenrecht [
Art. 28 ff. BGBB
], 2004, S. 140 N. 393; zum früheren Recht:
BGE 87 II 74
E. 3b S. 80 ff., mit Hinweis auf Art. 38 Abs. 2 der Verordnung vom 16. November 1945 über die Verhütung der Überschuldung landwirtschaftlicher Liegenschaften, BS 9 145, 154).
3.2.3
Im Güterrechtsprozess hat das Zivilgericht somit den Ertragswert und den Nutzwert durch die kantonale Schätzungsbehörde bestimmen zu lassen, ist hingegen frei, die Schätzung des Verkehrswertes einem gewöhnlichen Gerichtsgutachter oder aus Zweckmässigkeitsgründen ebenfalls der kantonalen Schätzungsbehörde zu übertragen. Die Verkehrswertschätzung unterliegt im Gegensatz zur Ertragswert- und Nutzwertschätzung der freien gerichtlichen Beweiswürdigung.
3.3
Das Bezirksgericht hat die kantonale Schätzungsbehörde beauftragt, den Ertragswert des Weinbaubetriebs festzustellen, das Betriebsinventar zu bewerten und zusätzlich den Verkehrswert der Lagerbestände zu bestimmen. Das Schätzungsgutachten vom 22. Dezember 2008 hat den Weinbaubetrieb in allen Teilen insgesamt auf den 6. November 2008 bewertet. Die Einholung eines weiteren Gutachtens (z.B. zur Bestimmung des aktuellen Wertes) wurde weder von den Parteien verlangt noch gerichtlich angeordnet.
4.
Streitig ist die Bewertung des Lagerbestandes an Wein und Schnaps. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Kantonsgericht habe "selbst produzierte Vorräte" mit Fr. 881'391.- zu den Aktiven des Weinbaubetriebs gezählt, obwohl der Wert dieser Vorräte gemäss Schätzungsgutachten Fr. 1'762'800.- betrage. Sie rügt ein unzulässiges Abweichen vom Gutachten. Die zum Verkauf bestimmten, selbst produzierten Vorräte als Teil des Geschäftsvermögens seien zum Verkehrswert einzusetzen.
4.1
Da der Weinbaubetrieb dem Eigengut des Beschwerdegegners zuzuordnen ist (E. 2.2), stellen die zum Betrieb gehörenden Vorräte an Wein und Schnaps rechtlich Erträge des Eigenguts dar, die -
BGE 138 III 193 S. 198
mangels abweichender Vereinbarung (
Art. 199 Abs. 2 ZGB
) - in die Errungenschaft des Beschwerdegegners fallen (
Art. 197 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB
). Vorräte sind Teil des Betriebsinventars und zum Nutzwert anzurechnen (Art. 15 Abs. 1 i.V.m.
Art. 17 Abs. 2 BGBB
). Das Nutzwertprinzip erfasst allerdings nur selbst produzierte Vorräte, die für eine normale Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Gewerbes erforderlich sind, hingegen nicht die für den Verkauf bestimmten Vorräte, die zum Verkehrswert einzusetzen sind (vgl. BENNO STUDER, in: Das bäuerliche Bodenrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2011, N. 2 zu
Art. 15 BGBB
; YVES DONZALLAZ, Commentaire de la loi fédérale du 4 octobre 1991 sur le nouveau droit foncier rural, 1993, N. 219 zu Art. 17 LDFR).
4.2
Das Kantonsgericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Vorräte an Wein ganz oder zum Teil betriebsnotwendig, d.h. für den offenen Ausschank an Degustationen, für die Präsentation an Weinmessen, als Werbegeschenke oder für Ähnliches bestimmt sind. Es hat vielmehr angenommen, die selbst produzierten Lagervorräte seien "zum Marktwert einzusetzen". Dass das Kantonsgericht dabei einen Kommentar an unzutreffender Stelle zitiert haben soll, wie die Beschwerdeführerin das bemängelt, ändert nichts am insoweit zutreffenden Beurteilungsmassstab "Verkehrswert", d.h. dem Wert, der bei einem Verkauf auf dem freien Markt realisierbar wäre (vgl.
BGE 136 III 209
E. 6.2.1 S. 215) und den das Kantonsgericht seiner Bewertung der selbst produzierten Vorräte zugrunde gelegt hat (vgl. zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage:
BGE 121 III 152
E. 3c S. 155;
BGE 132 III 489
E. 2.3 S. 491).
4.3
Mit Bezug auf die tatsächliche Wertermittlung ergibt sich was folgt:
4.3.1
Das Kantonsgericht hat nicht auf das Schätzungsgutachten abgestellt, sondern die Wertermittlung anhand der Bilanzen und Steuererklärungen des Weinbaubetriebs selber vorgenommen. Die Beschwerdeführerin wendet ein, das Schätzungsgutachten sei verbindlich. Der Einwand ist unbegründet. Soweit das behördliche Schätzungsgutachten den Verkehrswert der Lagerbestände betrifft, ist es für die Zivilgerichte nicht verbindlich und unterliegt der freien Beweiswürdigung (E. 3 hiervor), die das Bundesgericht auf Willkür hin überprüft (vgl.
Art. 97 Abs. 1 BGG
;
BGE 134 V 53
E. 4.3 S. 62;
BGE 137 III 226
E. 4.2 S. 234). In Fachfragen darf das Gericht nur aus triftigen Gründen von einem Gerichtsgutachten abweichen. Es hat zu prüfen, ob sich auf Grund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der
BGE 138 III 193 S. 199
Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Erscheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten als zweifelhaft, hat das Gericht nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung verstossen (vgl.
BGE 136 II 539
E. 3.2 S. 547 f.).
4.3.2
An triftigen Gründen für sein Abweichen vom Gutachten hat das Kantonsgericht angeführt, dass der Gutachter selber einen Vorbehalt angebracht und darauf hingewiesen habe, dem Bewertungsdatum sei in Bezug auf die Werte der Lagerbestände besondere Beachtung zu schenken, entstünden doch enorme Wertunterschiede je nach dem, ob die Bewertung vor oder nach der Traubenlese stattfinde. Wäre die Bewertung statt auf den 6. November 2008 im September 2008 und damit vor der Lese erfolgt, reduzierte sich der Lagerbestand um den Wert der gepressten und in Fässer abgefüllten Trauben von rund Fr. 400'000.-. Das Gutachten geht insoweit selbst von einem durch die Wahl des Stichtages zufallsbedingten Schätzwert aus. Entscheidend kommt hinzu, dass die selbst produzierten Vorräte nicht zum Weinbaubetrieb gehören, der zum Ertragswert einzusetzen ist, sondern als gleichsam betriebsfremder, einzelner Vermögensgegenstand separat zum Verkehrswert geschätzt werden mussten (vgl. E. 4.1 und 4.2 soeben). Für die selbst produzierten Vorräte gilt deshalb der Grundsatz, dass nach Auflösung des Güterstandes, d.h. hier am 1. März 2007, dem Tag der Einreichung des Scheidungsbegehrens (
Art. 204 Abs. 2 ZGB
), keine Errungenschaft mehr entsteht, die unter den Ehegatten zu teilen wäre (vgl.
BGE 136 III 209
E. 5.2 S. 211 f.). Das Schätzungsgutachten hätte deshalb den Bestand der Vorräte am 1. März 2007 bewerten müssen und die Produktion der Jahre 2007 und 2008 nicht miteinbeziehen dürfen. Schliesslich fällt auf, dass der Gutachter im Lager einfach Flaschen und Fässer bzw. Tanks an Wein und Schnaps gezählt und mit dem je nach Sorten und Jahrgängen massgebenden Verkaufspreis ohne Mehrwertsteuer multipliziert hat. Davon wurden der Aufwand für den Verkauf und Vertrieb sowie die Kosten für Arbeit und Material der Etikettierung und Kapselung von Weinflaschen abgezogen und schliesslich der erhaltene Betrag im Hinblick auf die länger andauernde Lagerung der Weine mit 3.5 % abgezinst. Nicht berücksichtigt sind im Schätzungsgutachten damit Risiken, die zu einer Wertreduktion führen können
BGE 138 III 193 S. 200
wie Verderbnis des gelagerten Weins (Korkgeschmack usw.), Änderungen im Konsumverhalten oder sonstige Absatzschwierigkeiten. Erkennbare Risiken aber sind zu ermitteln und in der Warenlagerbewertung zu berücksichtigen (vgl. ARNOLD H. LANZ, Die Finanzbuchhaltung, 2. Aufl. 2002, S. 125 f.; für die Einzelheiten der Bewertung: KÄFER, Berner Kommentar, 1981, N. 216 ff. zu
Art. 960 OR
).
4.3.3
Insgesamt durfte das Kantonsgericht willkürfrei vom eingeholten Gutachten abweichen und den Wert der Lagerbestände anhand der im Recht liegenden Beweisurkunden wie der Jahresrechnung und der Steuererklärung 2006 des Weinbaubetriebs selbstständig ermitteln. Darin sind die selbst produzierten Vorräte mit einem Wert von Fr. 548'000.- verzeichnet. Diesen Wert hat das Kantonsgericht um 33.36 % erhöht, d.h. um die sog. privilegierte Warenlagerreserve (vgl. LANZ, a.a.O., S. 125) bzw. um die nach der Steuerpraxis zulässige Unterbewertung (vgl. KÄFER, a.a.O., N. 225 f. zu
Art. 960 OR
). Der so errechnete Wert von Fr. 822'340.- hat mit der nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen erfolgten Bewertung in der Tabelle über die Wein- und Schnapsvorräte per 31. Dezember 2006 übereingestimmt. In die güterrechtliche Auseinandersetzung eingesetzt hat das Kantonsgericht für die selbst produzierten Vorräte schliesslich den Wert von Fr. 881'391.-, den der Beschwerdegegner in seinem Vortrag an der 2. Hauptverhandlung vor Bezirksgericht am 20. Mai 2009 zugestanden hatte.
4.3.4
Stichhaltiges vermag die Beschwerdeführerin gegen die obergerichtliche Beweiswürdigung nicht einzuwenden. Es trifft nach dem Gesagten nicht zu, dass keine triftigen Gründe für ein Abweichen vom Gutachten bestanden haben, dass der Beschwerdegegner die Bewertung im Schätzungsgutachten nicht bestritten hat und dass auf blosse Steuerwerte abgestellt worden ist. Es wird durch nichts belegt, dass der Beschwerdegegner die Weinvorräte in der Jahresrechnung und in der Steuerklärung 2006 angeblich zu tief angegeben hat. Dem Beschwerdegegner war damals die Leitung des Weinbaubetriebes offenkundig entzogen. Auch die Besichtigung und Inventaraufnahme im Betrieb hat der Gutachter mit dem Sohn der Parteien und nicht mit dem Beschwerdegegner durchgeführt. Das Schätzungsgutachten und die erwähnten Beweisurkunden, die im Übrigen die Beschwerdeführerin eingereicht hat, belegen ferner, dass das Kantonsgericht weder auf eine blosse Behauptung des Beschwerdegegners abgestellt noch ohne eigenes Fachwissen die selbst produzierten Vorräte bewertet hat, wie die Beschwerdeführerin das heute behauptet.
BGE 138 III 193 S. 201
4.3.5
Aus den dargelegten Gründen kann die Ermittlung des tatsächlichen Wertes der selbst produzierten Vorräte - jedenfalls aufgrund der Willkürrügen der Beschwerdeführerin (
Art. 106 Abs. 2 BGG
) - nicht beanstandet werden (
Art. 9 BV
; vgl. zum Begriff:
BGE 136 III 552
E. 4.2 S. 560).
5.
Die Beschwerdeführerin wendet ein, das Kantonsgericht habe ohne Begründung nicht berücksichtigt, dass auch das Betriebsinventar, das nach der Geschäftsübernahme sukzessive aus den Betriebserträgen erneuert worden sei, ebenfalls eine Investition aus der Errungenschaft darstelle und demzufolge gemäss dem Gutachten mit Fr. 339'800.- anzurechnen sei.
5.1
Gemäss den Feststellungen des Kantonsgerichts gehören zum Betriebsinventar namentlich Zugkräfte, Maschinen, Geräte, Büroinventar, spezielle Rebmaschinen und -geräte sowie Tanks für die Lagerung von Wein. Es handelt sich damit um betriebsnotwendige Maschinen und Gerätschaften, die zum Nutzwert anzurechnen sind (vgl. Art. 15 Abs. 1 i.V.m.
Art. 17 Abs. 2 BGBB
). Der Gutachter hat den Wert des Betriebsinventars anhand des Ankaufspreises abzüglich einer der Nutzungsdauer entsprechenden Abschreibung bestimmt und dabei die Nutzungsdauer aufgrund des Maschinentyps, der Auslastung sowie des Unterhalts festgelegt und wertvermehrende Reparaturen angemessen berücksichtigt. Im Schätzungsgutachten wird damit von einem zutreffenden Begriff des Nutzwertes als Zeitwert unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustandes der Maschinen und Gerätschaften ausgegangen (vgl. STUDER, a.a.O., N. 9 zu
Art. 17 BGBB
; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 47 zu Art. 212/213 ZGB).
5.2
Das Kantonsgericht hat das behördliche Schätzungsgutachten in diesem Punkt als verbindlich angesehen und das Betriebsinventar zum gutachterlich geschätzten Wert von Fr. 339'800.- zu den Aktiven des Weinbaubetriebs gerechnet. Es hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Beschwerdegegner von seinem Vater 1978 mit dem Weinbaubetrieb auch das Betriebsinventar im Wert von Fr. 58'109.- übernommen hat, das ebenfalls zu seinem Eigengut gehört. Wie die Beschwerdeführerin einräumt, wurde das gesamte Betriebsinventar nach der Geschäftsübernahme aus Betriebserträgen sukzessive "erneuert". Dem Schätzungsgutachten lässt sich denn auch entnehmen, dass kein Gegenstand des Betriebsinventars aus der Zeit der tatsächlichen Übernahme stammt. Unter diesen Umständen besteht zu Gunsten der Errungenschaft des Beschwerdegegners keine
BGE 138 III 193 S. 202
Forderung gegen das Eigengut unter dem Titel "Eigengutsertrag". Als "Erträge seines Eigengutes" (
Art. 197 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB
) erfasst das Gesetz zwar grundsätzlich den Bruttoertrag, d.h. alles, was die Substanz an Ertrag abwirft. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass der Ertrag produktiver Vermögenswerte des Eigenguts nicht auch für deren Substanzerhaltung bzw. Substanzerneuerung, wie sie insbesondere das wirtschaftliche Unternehmen kennzeichnet, herangezogen werden dürfte. Vielmehr stehen die Erträge des Eigenguts nur insoweit der Errungenschaft zu, als sie nicht der Erhaltung und Erneuerung von betriebsnotwenigen Vermögenswerten dienen, die der Alterung und Abnutzung unterliegen. Der Errungenschaft verbleibt unter dieser Voraussetzung der Nettoertrag des wirtschaftlichen Unternehmens (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 99 ff., STECK, a.a.O., N. 38, und STEINAUER, a.a.O., N. 16, je zu
Art. 197 ZGB
, mit Hinweisen).
5.3
Im Ergebnis kann somit nicht beanstandet werden, dass das Kantonsgericht die aus dem Betriebsertrag bestrittenen Aufwendungen für die Erneuerung des Betriebsinventars nicht zur Errungenschaft gerechnet hat.
6.
Die Beschwerdeführerin macht Investitionen aus der Errungenschaft des Beschwerdegegners im Zusammenhang mit Liegenschaften des Weinbaubetriebs geltend.
6.1
Das Kantonsgericht hat festgestellt, im Jahre 1997 habe der Beschwerdegegner die Liegenschaft "A." für Fr. 910'000.- verkauft und den Erlös zur Tilgung weiterer Hypothekardarlehen verwendet, was mit dem Rückgang der Passiven im Vergleich zu den Vorjahren in der Jahresrechnung 1998 des Weinbaubetriebs bestätigt werde. Da das Kantonsgericht die entsprechende Behauptung des Beschwerdegegners als durch Beweisurkunden belegt anerkannt hat und insoweit zu einem Beweisergebnis gelangt ist, erweist sich die von der Beschwerdeführerin angerufene Beweislastverteilung gemäss
Art. 8 ZGB
als gegenstandslos (vgl.
BGE 137 III 226
E. 4.3 S. 235 und 268 E. 3 S. 282). Inwiefern das kantonsgerichtliche Beweisergebnis willkürlich sein könnte, legt die Beschwerdeführerin nicht dar (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Entgegen ihrer Ansicht sind dem Betrieb wertmässig sowohl die Beiträge anzurechnen, die die Aktiven vermehren, als auch die Beiträge, die die Passiven vermindern und damit ebenfalls der Erhaltung des Betriebs dienen (vgl. zur Schuldentilgung: Urteil 5P.82/2004 vom 7. Oktober 2004 E. 2.5.2, in: FamPra.
BGE 138 III 193 S. 203
ch 2005 S. 319 f.). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass das Kantonsgericht die Eigengutsliegenschaft "A." mit ihrem späteren Verkaufserlös (abzüglich der darauf lastenden Hypothek) als Eigengutsanteil in die Bewertung des Weinbaubetriebs einbezogen hat.
6.2
Ersatzforderungen der Errungenschaft bestehen nach Ansicht der Beschwerdeführerin aufgrund des Kaufs der Grundstücke "B." und des Miteigentumsanteils am Grundstück "C.". Was die Parzellen "B." betreffe, so hat das Kantonsgericht ausgeführt, gehe aus dem entsprechenden Kaufvertrag hervor, dass der Beschwerdegegner diese am 23. November 2000 zu einem Preis von Fr. 200'000.- erworben habe. Die Finanzierung sei hier über einen Kontokorrent-Kredit, errichtet am 19. Januar 2001, erfolgt. Des Weiteren habe der Beschwerdegegner am 15. November 2001 einen weiteren Miteigentumsanteil von einem Drittel an der Parzelle "C." erworben und den Erwerb ausschliesslich mittels Hypotheken finanziert. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass der Kaufpreis in beiden Fällen vollständig fremdfinanziert worden sei, zumal der Beschwerdegegner im Jahre 2000 aufgrund der vorhandenen Mittel zur Finanzierung gar kein Fremdkapital benötigt habe. Die Investition in die Parzellen sei ebenfalls aus der Errungenschaft erfolgt und der Errungenschaft als Ersatzforderung anzurechnen. Eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung vermag die Beschwerdeführerin mit ihren Vorbringen nicht zu belegen. Die blosse Tatsache, dass angeblich auch andere Finanzierungsmittel vorhanden gewesen sind, lässt die gegenteilige Annahme, die Finanzierung sei ausschliesslich durch Fremdkapital erfolgt, nicht als willkürlich erscheinen. Zu beweisen sind nicht Finanzierungsmöglichkeiten, sondern der konkrete Zahlungsfluss (vgl. Urteil 5A_605/2008 vom 28. Januar 2009 E. 6.5, nicht publ. in:
BGE 135 III 241
mit Hinweis auf BÄHLER, Zur Führung von Prozessen über das Güterrecht, in dubio 2006, S. 236 ff., 242).
6.3
Insgesamt vermag die Beschwerdeführerin mit ihren Vorbringen weder Willkür in der kantonsgerichtlichen Beweiswürdigung (
Art. 9 BV
; vgl.
BGE 135 II 356
E. 4.2.1 S. 362) noch eine Verletzung von Bundesrecht darzutun (vgl.
BGE 134 II 244
E. 2.1 S. 245 f.). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d833c865-91ca-4f12-bdb5-283f0d992315 | Urteilskopf
103 Ia 367
58. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. November 1977 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Thurgau | Regeste
Art. 34 OG
; Stillstand der Fristen, ausser für Strafsachen. Strafsachen sind einzig Verfahren, mit denen das Bundesgericht als Strafgerichtsbehörde befasst ist, nicht die bei ihm als Organ der Staats- oder Verwaltungsrechtspflege hängigen. | Erwägungen
ab Seite 367
BGE 103 Ia 367 S. 367
Aus den Erwägungen:
1.
Gesetzlich bestimmte Fristen stehen in der Zeit vom 15. Juli bis und mit 15. August still, ausser in Straf- sowie in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (
Art. 34 OG
). Ob eine Strafsache vorliegt, entscheidet sich unter der Herrschaft dieser Bestimmung nicht nach materiell-rechtlichen, sondern nach ausschliesslich verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten. Als Strafsachen im Sinne dieser Bestimmung gelten demzufolge einzig Verfahren, mit denen das Bundesgericht als eidgenössische Strafgerichtsbehörde befasst ist (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 37), während die bei ihm als Organ der Staats- oder Verwaltungsrechtspflege hängigen nicht zu diesen gerechnet werden können. Für diese steht daher die Beschwerdefrist in der Zeit vom 15. Juli bis und mit 15. August still.
BGE 103 Ia 367 S. 368
Der Beschwerdeführer hat die staatsrechtliche Beschwerde gegen das ihm am 3. August 1977 eröffnete Urteil der Vorinstanz am 14. September 1977 eingelegt, also noch vor Ablauf der mit dem 16. August 1977 beginnenden dreissigtägigen Beschwerdefrist. Die Beschwerde ist daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz an die Hand zu nehmen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d839473a-a3ad-4cb0-92ac-7192d51af484 | Urteilskopf
139 III 110
15. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen X. GmbH (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_443/2012 vom 5. Februar 2013 | Regeste
Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG
; Art. 72 f. PatG; sachliche Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für gegen den Staat gerichtete Patentverletzungsklagen.
Massgebende Haftungs- und Zuständigkeitsordnung für vermögensrechtliche Ersatzansprüche gegen den Staat wegen angeblicher Patentverletzung (E. 2.2). Anwendbarkeit des Patentgesetzes sowie Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für Unterlassungsklagen (
Art. 72 PatG
) gegen den Bund (E. 2.3). | Erwägungen
ab Seite 111
BGE 139 III 110 S. 111
Aus den Erwägungen:
2.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft (Beklagte, Beschwerdeführerin) bestreitet die sachliche Zuständigkeit des Bundespatentgerichts. Sie wirft ihm vor, dem angefochtenen Beschluss einen falschen Streitgegenstand zugrunde gelegt, die Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Streitigkeiten rechtsfehlerhaft vorgenommen sowie die Schranken des Bundeszivilrechts - insbesondere des Patentgesetzes (PatG; SR 232.14) - verkannt zu haben.
2.1
Das Bundespatentgericht ist nach
Art. 26 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 20. März 2009 über das Bundespatentgericht (Patentgerichtsgesetz, PatGG; SR 173.41)
ausschliesslich zuständig für Bestandes- und Verletzungsklagen sowie Klagen auf Erteilung einer Lizenz betreffend Patente. Nach der Zuständigkeitsregelung des Patentgerichtsgesetzes sind nur diejenigen Klagen ausschliesslich vom Bundespatentgericht zu beurteilen, welche die Anwendung materiellen Patentrechts bedingen (Botschaft vom 7. Dezember 2007 zum Patentgerichtsgesetz, BBl 2007 483 Ziff. 2.4). Dazu gehören unter anderem Klagen auf Unterlassung oder Beseitigung (
Art. 72 PatG
) und Klagen auf Schadenersatz (
Art. 73 PatG
, der in Abs. 1 auf die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts verweist; vgl. PETER HEINRICH, PatG/EPÜ, Kommentar [...], 2. Aufl. 2010, N. 5 zu
Art. 76 PatG
; BBl 2007 482 Ziff. 2.4).
BGE 139 III 110 S. 112
Zu beurteilen ist einerseits, ob das Bundespatentgericht gestützt auf diese Bestimmungen zuständig ist, über einen auf eine angebliche Patentrechtsverletzung des Bundes beim Betrieb seines LSVA-Erfassungssystems gestützten Unterlassungsanspruch zu befinden, und andererseits, ob das Bundespatentgericht für die Beurteilung eines daraus abgeleiteten Schadenersatzanspruchs gegen den Bund zuständig ist.
2.2
2.2.1
Soweit er nicht amtlich, sondern gewerblich tätig wird, ist der Staat den Regeln des Privatrechts und damit sowohl der privatrechtlichen Haftungsordnung (vgl.
Art. 41 ff. OR
) als auch der Gesetzgebung zum Immaterialgüterrecht unterstellt wie ein nichtstaatliches Unternehmen (vgl. TOBIAS JAAG, Staats- und Beamtenhaftung, in: SBVR Bd. I/3, Heinrich Koller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2006, Rz. 25 f.; LUCAS DAVID UND ANDERE, Der Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, SIWR Bd. I/2, 3. Aufl. 2011, Rz. 251). Die Vorinstanz hat zutreffend festgehalten, dass die LSVA-Erhebungsinfrastruktur Teil des Verwaltungsvermögens der Beschwerdeführerin ist und ausschliesslich öffentlichen Zwecken dient. Die LSVA-Erhebungsinfrastruktur, deren Betrieb nach Auffassung der X. GmbH (Klägerin, Beschwerdegegnerin) ihr Patentrecht verletzen soll, dient unmittelbar der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Zu Recht beruft sich denn auch die Beschwerdegegnerin nicht darauf, es handle sich beim strittigen Betrieb der technischen Infrastruktur zur Erhebung der LSVA um eine gewerbliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin, die als solche allgemein der Privatrechtsordnung unterworfen wäre.
2.2.2
Öffentliche Beamte und Angestellte haften an sich auch für Tätigkeiten, die sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen ausführen, nach Bundeszivilrecht (
Art. 41 ff. OR
), sofern der Gesetzgeber keine abweichenden Bestimmungen festgesetzt hat (
Art. 61 Abs. 1 OR
). Das Gemeinwesen selbst haftet aber für die Schädigung durch seine Funktionäre nur nach Massgabe des öffentlichen Rechts (
Art. 59 Abs. 1 ZGB
), es sei denn, es handle sich um gewerbliche Verrichtungen, welche eine Organ- oder Geschäftsherrenhaftung auszulösen vermögen (
Art. 55 ZGB
bzw.
Art. 55 OR
;
BGE 111 II 149
E. 3a S. 151;
BGE 108 II 334
E. 3 S. 335 f.;
BGE 101 II 177
E. 2b S. 184 f.; vgl. auch
BGE 124 III 418
E. 1b S. 420 f.). Entsprechend hält auch Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten
BGE 139 III 110 S. 113
(VG; SR 170.32) fest, dass der Bund nach den privatrechtlichen Bestimmungen haftet, soweit er als Subjekt des Zivilrechts auftritt. Vorbehalten bleibt eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Bundes sodann bei Tatbeständen, die unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen (vgl.
Art. 3 Abs. 2 VG
). Dazu gehören etwa die Bestimmungen der Spezialgesetzgebung über die Gefährdungshaftungen (z.B. Kernenergiehaftpflichtgesetz [KHG; SR 732.44], Elektrizitätsgesetz [EleG; SR 734.0], Eisenbahngesetz [EBG; SR 742.101], Strassenverkehrsgesetz [SVG; SR 741.01]), die nicht zwischen privatem und staatlichem Schädiger unterscheiden, sondern die Haftpflicht ausschliesslich an eine spezifische Betriebsgefahr anknüpfen. Im Sinne einer Ausnahme von der Haftung nach öffentlichem Recht zählt die Rechtsprechung dazu auch
Art. 56 OR
über die Tierhalterhaftpflicht (vgl.
BGE 126 III 14
E. 1a S. 16;
BGE 115 II 237
E. 2 S. 241 ff. mit einem Vorbehalt für jene Fälle, in denen ein Tier, so etwa ein Polizeihund, unmittelbar als "Werkzeug" für die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingesetzt wird) sowie
Art. 58 OR
bezüglich der Werkeigentümerhaftpflicht von Bund, Kantonen und Gemeinden (vgl.
BGE 129 III 65
E. 1 S. 66 f.;
BGE 98 II 40
E. 1 S. 42 f.;
BGE 96 II 337
E. 2a S. 341; zur Haftung des Gemeinwesens etwa ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2006, N. 6 ff. zu
Art. 61 OR
). Unabhängig davon, ob der Bund öffentlichrechtlich oder privatrechtlich tätig ist, untersteht er in diesen Bereichen den Kausalhaftungen des Privatrechts (vgl.
BGE 115 II 237
E. 2b und 2c S. 244 f.; JAAG, a.a.O., Rz. 29 ff.).
2.2.3
Die Beschwerdegegnerin richtet den von ihr eingeklagten Schadenersatz-, Bereicherungs- bzw. Gewinnherausgabeanspruch über Fr. 62'466'022.85, den sie auf Bundesprivatrecht (
Art. 73 Abs. 1 PatG
i.V.m. Art. 41 ff., 62 ff. bzw. 423 OR) stützt, nicht gegen einen Beamten oder Angestellten der Bundes, sondern unmittelbar gegen die Eidgenossenschaft. Eine solche privatrechtliche Haftung des Bundes kommt - abgesehen von den erwähnten Ausnahmen bestimmter Kausalhaftungen, die im konkreten Fall nicht zur Diskussion stehen - nur im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit in Betracht.
Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des öffentlichen Verantwortlichkeitsrechts einerseits oder des privaten Haftungsrechts andererseits sowie den entsprechenden Rechtsweg ist entscheidend, ob das als widerrechtlich erachtete Verhalten des Staats in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe oder in Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit erfolgte. Die Beschwerdeführerin bringt insoweit zu Recht vor, dass
BGE 139 III 110 S. 114
im vorliegenden Fall nicht auf ein irgendwie geartetes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien oder auf das angeblich verletzte Rechtsgut bzw. die in der Klagebegründung angerufene Rechtsnorm abgestellt werden kann. Das staatliche Verantwortlichkeitsrecht bezweckt gerade eine allgemeine Haftungsordnung auch für diejenigen Fälle, in denen in Ausübung einer amtlichen Tätigkeit widerrechtlich Schaden verursacht wird, ohne dass ein vorbestehendes Rechtsverhältnis zur geschädigten Person bestehen würde. Ein solches ist nicht Voraussetzung der Staatshaftung (vgl.
Art. 3 Abs. 1 VG
). Entgegen dem angefochtenen Entscheid ist daher die Unterscheidung zwischen einem hoheitlichen Rechtsverhältnis gegenüber den Abgabepflichtigen und einem nichthoheitlichen Rechtsverhältnis der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin für die zu beurteilende Frage nicht zielführend. Ausschlaggebend ist im Hinblick auf die massgebende Verantwortlichkeitsordnung vielmehr die Natur der angeblich haftungsbegründenden Tätigkeit des Gemeinwesens.
Zu Recht hat die Vorinstanz die Anwendbarkeit der privatrechtlichen Haftungsordnung nicht daraus abgeleitet, dass die Beschwerdeführerin zur Beschaffung der fraglichen LSVA-Erhebungsinfrastruktur mit Dritten privatrechtliche Verträge abgeschlossen hat. Aus dem Umstand, dass am Ende des Submissionsverfahrens mit dem berücksichtigten Anbieter ein privatrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird, lässt sich keine allgemeine privatrechtliche Haftung des Gemeinwesens gegenüber nicht berücksichtigten Anbietern, geschweige denn gegenüber nur mittelbar beteiligten Dritten ableiten (vgl. nunmehr zur Staatshaftung vielmehr Art. 34 f. des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen [BöB; SR 172. 056.1]; vgl. auch PETER GALLI UND ANDERE, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2007, Rz. 941 ff.). Nach den Feststellungen des angefochtenen Entscheids war die Beschwerdegegnerin nicht Lieferantin von Gütern und Dienstleistungen für die Beschwerdeführerin.
2.2.4
Der Betrieb der LSVA-Erhebungsinfrastruktur durch die Beschwerdeführerin, in deren Rahmen nach Ansicht der Beschwerdegegnerin ein Patent verletzt wird, dient unmittelbar der Erhebung von Abgaben und damit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Die strittige Verwendung der technischen Infrastruktur durch die Beschwerdeführerin zur Erfassung der erforderlichen Daten im Hinblick auf die zu erhebende leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe erfolgt unbestreitbar im Rahmen der Wahrnehmung einer
BGE 139 III 110 S. 115
öffentlichen Aufgabe. Eine gewerbliche Tätigkeit, die grundsätzlich Privaten wie Nichtprivaten offensteht und bei welcher etwa die Erzielung von Gewinn eine Rolle spielt, liegt beim fraglichen Betrieb der technischen Infrastruktur nicht vor (vgl. ULRICH HÄFELIN UND ANDERE, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz. 2270;
BGE 128 III 76
E. 1a S. 78 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin tritt beim Betrieb ihrer Erhebungsinfrastruktur nicht als Subjekt des Zivilrechts auf (vgl.
Art. 11 Abs. 1 VG
). Ebenso wenig liegt ein Fall eines privatrechtlichen Kausalhaftungstatbestands vor, dem der Bund ausnahmsweise auch bei Ausübung einer öffentlichrechtlichen Tätigkeit unterstehen würde (vgl.
Art. 3 Abs. 2 VG
).
Das Patentgesetz sieht keine besondere Verantwortlichkeitsordnung vor, die allgemein auch für das Gemeinwesen gelten würde, sondern verweist hinsichtlich der Schadenersatzklage vielmehr auf das Obligationenrecht (
Art. 73 Abs. 1 PatG
). Indem die Vorinstanz den behaupteten Sachverhalt der privatrechtlichen Haftungsordnung unterstellt wissen wollte und sich zur Beurteilung des gestützt auf die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts (
Art. 41 ff., 62 ff. und 423 OR
) eingeklagten Schadenersatz-, Bereicherungs- bzw. Gewinnherausgabeanspruchs über Fr. 62'466'022.85 für zuständig erklärte, verletzte sie Bundesrecht im Sinne von
Art. 95 lit. a BGG
. Die Haftung der Beschwerdeführerin beurteilt sich vielmehr nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes, für dessen Anwendung das Bundespatentgericht nicht zuständig ist (vgl.
Art. 10 VG
).
2.3
Von der vermögensrechtlichen Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin zu unterscheiden ist die Frage, ob sie als Gemeinwesen eine Patentverletzung begehen und gegen sie eine auf das Patentgesetz gestützte Unterlassungsklage (
Art. 72 PatG
) eingereicht werden kann, die nach
Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG
vom Bundespatentgericht zu beurteilen ist.
2.3.1
Im Gegensatz zur Staatshaftungsordnung besteht keine umfassende öffentlichrechtliche Regelung zum Umgang des Gemeinwesens mit gewerblichen Schutzrechten. Das Patentrecht ist Eigentum im Sinne von
Art. 26 Abs. 1 BV
und als solches Schutzobjekt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie (
BGE 126 III 129
E. 8a S. 148). Die aus dem Patent erwachsenden absoluten Rechte ergeben sich aus der Gesetzgebung zum Patentrecht, das dem Privatrecht zugeordnet wird. Wie öffentlichrechtliche Körperschaften Inhaber von Patenten sein können, haben sie im Gegenzug auch die sich aus
BGE 139 III 110 S. 116
dem Patentrecht ergebenden Beschränkungen zu beachten; sie dürfen sich bei ihrer Tätigkeit ebenso wenig wie Private über Schutzrechte Dritter hinwegsetzen (vgl. DAVID UND ANDERE, a.a.O., Rz. 254; HEINRICH, a.a.O., N. 47 zu
Art. 8 PatG
). Die Beschwerdeführerin räumt denn auch zutreffend ein, dass es sich bei der Beurteilung des Bestands und der Verletzung des Patents um zivilrechtliche Fragen handelt.
Der Patentschutz gilt insoweit umfassend und ergibt sich auch für das Gemeinwesen aus den Bestimmungen des Patengesetzes über die Voraussetzungen und Wirkungen des Patents (vgl.
Art. 1 ff. PatG
): Nach
Art. 8 Abs. 1 PatG
verschafft das Patent seinem Inhaber eine ausschliessliche Nutzungsbefugnis und damit das Recht, andere von der Benützung der Erfindung auszuschliessen. Dies schliesst ein, dass auch das hoheitlich handelnde Gemeinwesen nicht ohne Weiteres befugt ist, patentrechtlich geschützte Erfindungen ohne entsprechende Ermächtigung des Patentinhabers zu benutzen, selbst wenn dies in Verfolgung öffentlicher Interessen geschieht (vgl. DAVID UND ANDERE, a.a.O., Rz. 254; rechtsvergleichend das Urteil des BGH vom 21. Februar 1989, publiziert in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen [BGHZ] 107/1990 S. 46, 52). Das Gemeinwesen wird somit auch im Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben vom Ausschliesslichkeitsrecht nach
Art. 8 PatG
erfasst und ist insoweit grundsätzlich dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch (Art. 72 i.V.m. 66 PatG) ausgesetzt.
2.3.2
Soweit einzelne Schutzrechte dem Gemeinwesen hinderlich sind, hat der Gesetzgeber allfällige Interessenkollisionen zwischen Staat und privaten Schutzrechtsinhabern vorauszusehen und angemessen zu lösen (DAVID UND ANDERE, a.a.O., Rz. 254). Einschränkungen des Patentrechts aus Gründen des öffentlichen Interesses sind gesetzlich in Art. 32 (Enteignung) und
Art. 40 PatG
(Lizenz im öffentlichen Interesse) ausdrücklich vorgesehen. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Ausschliesslichkeitsrecht des Patentinhabers (
Art. 8 PatG
) - und damit einhergehend der daraus erwachsende Unterlassungsanspruch (vgl.
Art. 72 PatG
) - zugunsten des öffentlichen Interesses Einschränkungen unterliegen kann. Die Vorinstanz hat ausgehend von diesen Bestimmungen zutreffend erwogen, dass das Bestehen eines öffentlichen Interesses im Patentrecht nicht das entscheidende Kriterium im Hinblick auf den massgebenden Rechtsweg sein kann. Gerade die Möglichkeit der Einräumung einer Lizenz nach
Art. 40 PatG
verdeutlicht, dass im Bereich des Patentschutzes
BGE 139 III 110 S. 117
nach dem Willen des Gesetzgebers mitunter öffentliche Interessen in einem Zivilverfahren zu beurteilen sind. Dies geht auch aus
Art. 40e Abs. 1 Satz 2 PatG
hervor, nach dem für die Einräumung einer solchen Lizenz, die als besondere Form der Enteignung verstanden werden kann (BLUM/PEDRAZZINI, Das Schweizerische Patentrecht, 2. Aufl. 1975, S. 614), bei öffentlichem, nicht gewerblichem Gebrauch weniger strenge Voraussetzungen gelten.
2.3.3
Die Schweiz hat sich nach Art. 31 des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS; Anhang 1C zum Abkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation; SR 0.632.20) international dazu verpflichtet, nur staatsvertraglich begrenzte Ausnahmen von den ausschliesslichen Rechten aus dem Patent vorzusehen (
Art. 30 TRIPS
) und unter anderem bei einer Benutzung des Gegenstands eines Patents durch die Regierung ohne Erlaubnis des Rechtsinhabers diesem eine nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Vergütung zu zahlen (
Art. 31 lit. h TRIPS
), wobei die Rechtsgültigkeit des Entscheids über die Erlaubnis zu einer solchen Benutzung sowie der Entscheid über die vorgesehene Vergütung der gerichtlichen Überprüfung unterliegen (
Art. 31 lit. i und j TRIPS
).
Die auch für die Lizenz im öffentlichen Interesse (
Art. 40 PatG
) geltende Bestimmung von
Art. 40e PatG
ist als Folge des TRIPS-Vertrags eingefügt worden (HEINRICH, a.a.O., N. 1 zu
Art. 40e PatG
) und erwähnt in Abs. 1 Satz 2 in Übereinstimmung mit
Art. 31 lit. b TRIPS
, dass Bemühungen um Erteilung einer vertraglichen Lizenz zu angemessenen Marktbedingungen unter anderem nicht notwendig sind bei öffentlichem, nicht gewerblichem Gebrauch.
Art. 31 TRIPS
bezieht sich sodann ausdrücklich auch auf die Benutzung durch die Regierung oder von ihr ermächtigte Dritte; eine Zwangslizenz nach
Art. 31 lit. b TRIPS
kann demnach jeder natürlichen oder juristischen Person des privaten oder öffentlichen Rechts erteilt werden (FOCKE HÖHNE, in: TRIPs, Jan Busche/Peter-Tobias Stoll [Hrsg.], Köln 2007, N. 13 zu
Art. 31 TRIPS
). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist nicht ersichtlich, weshalb nach dem gleichermassen offen gehaltenen Wortlaut von
Art. 40 Abs. 1 PatG
das Gemeinwesen nicht zur Klage auf Erteilung einer Lizenz im öffentlichen Interesse legitimiert sein soll. Sie verkennt mit ihrem Vorbringen insbesondere, dass
Art. 40 PatG
nicht darauf beschränkt ist, den anspruchsberechtigten Personen eine marktwirtschaftliche Tätigkeit im Schutzbereich eines Patents zu ermöglichen, sondern nach der gesetzlichen
BGE 139 III 110 S. 118
Regelung (
Art. 40e Abs. 1 Satz 2 PatG
) ausdrücklich auch bei öffentlichem, nicht gewerblichem Gebrauch zur Anwendung kommen kann.
Bei der Klage nach
Art. 40 Abs. 1 PatG
handelt es sich ungeachtet der Parteien um eine Zivilklage; zudem steht fest, dass zur Beurteilung der Voraussetzungen einer Lizenz im öffentlichen Interesse nach
Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG
das Bundespatentgericht ausschliesslich zuständig ist (HEINRICH, a.a.O., N. 8 zu
Art. 40e PatG
).
2.3.4
Der Vergleich der Beschwerdeführerin mit den nachbarrechtlichen Abwehransprüchen des Grundeigentümers wegen übermässiger Immissionen (vgl.
Art. 679 ZGB
), die von einem öffentlichen Werk ausgehen, verfängt nicht. Zwar trifft zu, dass solche privatrechtlichen Abwehransprüche unter bestimmten Voraussetzungen dem vorrangigen öffentlichen Interesse weichen müssen und daher nicht zivilrechtlich durchgesetzt werden können, wobei an ihre Stelle ein Anspruch auf enteignungsrechtliche Entschädigung tritt (vgl.
BGE 134 III 248
E. 5.1 S. 252 f. mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall, dem eine angebliche Patentverletzung durch den Betrieb der LSVA-Erhebungsinfrastruktur zugrunde liegt, kann jedoch nicht von der Immissionsproblematik entsprechenden Verhältnissen ausgegangen werden. Die Einschränkung der Anwendbarkeit des Bundeszivilrechts hinsichtlich der nachbarrechtlichen Abwehransprüche des Grundeigentümers folgt aus der Erkenntnis, dass die ordentliche Nutzung von Grundstücken des Verwaltungsvermögens (z.B. durch Bahnanlagen, Strassen oder Flugplätze) regelmässig zu Immissionen führt, die unausweichliche Folgen ihrer Zweckbestimmung sind, weshalb sie von den davon betroffenen Grundeigentümern - gegebenenfalls gegen enteignungsrechtliche Entschädigung - geduldet werden müssen und auch der Rechtsweg an die Zivilgerichte eingeschränkt ist (vgl.
BGE 132 III 49
E. 2.3 S. 52 f.). Eine mit Grundstücken vergleichbare Ausgangslage, bei der eine bestimmte Nutzung des Verwaltungsvermögens bzw. die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unweigerlich mit Schutzrechtsverletzungen verbunden wäre, die im öffentlichen Interesse geduldet werden müssten, liegt bei Rechten an geistigem Eigentum, deren Grenzen - insbesondere bei Patentrechten - häufig nur mit Schwierigkeiten ermittelt werden können, nicht vor.
Die Beschwerdegegnerin macht daher zutreffend geltend, dass sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den privatrechtlichen
BGE 139 III 110 S. 119
Abwehrrechten des Nachbarrechts nicht auf die konkret zur Diskussion stehende Problematik allfälliger Schutzrechtsverletzungen durch das Gemeinwesen übertragen lässt. Das Bundesgericht hat im Übrigen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich seine Rechtsprechung, die mit dem erheblichen öffentlichen Interesse am Strassen- und Schienenverkehr begründet wird, nicht ohne Weiteres auf andere Nutzungen von Strassen und Plätzen im Gemeingebrauch und schon gar nicht unbesehen auf das übrige Verwaltungsvermögen übertragen lässt (
BGE 132 III 49
E. 2.3 S. 53). Der Vergleich der Beschwerdeführerin zeigt immerhin auf, dass auch die Gegenstände des Verwaltungsvermögens grundsätzlich dem Zivilrecht unterstehen und selbst im Nachbarrecht eine auf das Eigentum gestützte Unterlassungsklage gegen das Gemeinwesen vor dem Zivilgericht nicht in jedem Fall ausgeschlossen ist (
BGE 132 III 49
E. 2.3 S. 52 f. mit Hinweisen).
2.3.5
Ob der Beschwerdegegnerin im konkreten Fall ein patentrechtlicher Unterlassungsanspruch (vgl. Art. 72 i.V.m. 66 PatG) zusteht oder ob die von der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren eingewendeten Einschränkungen des Patentschutzes einem solchen Anspruch aus Gründen des öffentlichen Interesses in - unmittelbarer oder gegebenenfalls analoger - Anwendung von
Art. 40 PatG
entgegenstehen, beschlägt nicht die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Bundespatentgerichts, sondern diejenige der Begründetheit der Klageanträge. Im Übrigen stellt die Beschwerdegegnerin zu Recht nicht in Frage, dass eine Lizenz im öffentlichen Interesse auch während der Patentverletzung gerichtlich durchgesetzt werden kann (vgl. HEINRICH, a.a.O., N. 2 zu
Art. 40e PatG
; ANDRI HESS-BLUMER, Patent Trolls, sic! 12/2009 S. 862 f.).
Ebenso wenig, wie im vorliegenden Verfahren zu entscheiden ist, ob tatsächlich ein patentrechtlicher Unterlassungsanspruch der Beschwerdegegnerin gegenüber der Beschwerdeführerin besteht, ist im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren über die Zuständigkeitsfrage zu vertiefen, ob ein Unterlassungsanspruch als aus dem Patent hervorgehendes Recht gegebenenfalls nach
Art. 32 Abs. 1 PatG
enteignet werden könnte (vgl. BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., S. 268 ff.).
2.3.6
Der Vorinstanz ist keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, soweit sie davon ausgegangen ist, dass der eingeklagte patentrechtliche Unterlassungsanspruch nach
Art. 72 PatG
auch gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemacht werden kann. Das Bundespatentgericht ist zu dessen Beurteilung - im Gegensatz zum
BGE 139 III 110 S. 120
eingeklagten Ausgleichsanspruch, der sich auch in Bezug auf den Rechtsweg nach dem Verantwortlichkeitsgesetz richtet - nach
Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG
ausschliesslich zuständig. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d83e44aa-323a-40ac-8097-6b813a50d8a9 | Urteilskopf
140 III 355
54. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. A.A.E (under liquidation) gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_29/2014 vom 17. Juni 2014 | Regeste
Art. 6 Abs. 2 ZPO
; Zuständigkeit des Handelsgerichts.
Das Handelsgericht ist nicht zuständig zur Beurteilung betreibungsrechtlicher Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht. Eine Einlassung ist ausgeschlossen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 356
BGE 140 III 355 S. 356
A.
In der von der X. A.A.E (Beschwerdeführerin) gegen die A. Ltd. geführten Betreibung pfändete das Betreibungsamt Vermögenswerte im Schätzungswert von rund 22 Mio. Fr. Die Y. AG (Beschwerdegegnerin) machte als Drittansprecherin Pfandrechte an den gepfändeten Vermögenswerten geltend.
B.
Mit Klage vom 27. Februar 2012 an das Handelsgericht des Kantons Zürich verlangte die Beschwerdeführerin, das Betreibungs- und Pfändungsverfahren ohne Rücksicht auf die von der Beschwerdegegnerin beanspruchten Rechte weiterzuführen bzw. die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Pfandansprüche gemäss
Art. 108 Abs. 1 SchKG
abzuerkennen.
Die Beschwerdegegnerin ersuchte in ihrer Klageantwort vom 28. September 2012 um Abweisung der Klage. Das Handelsgericht ordnete einen zweiten Schriftenwechsel an. Die Beschwerdeführerin erstattete am 5. Dezember 2012 die Replik und die Beschwerdegegnerin am 1. März 2013 die Duplik. Mit Verfügung vom 26. Juni 2013 gab das Handelsgericht den Parteien Gelegenheit, sich zu seiner sachlichen Zuständigkeit zu äussern. Während die Beschwerdegegnerin daraufhin beantragte, auf die Klage nicht einzutreten, und eventualiter, sie abzuweisen, verlangte die Beschwerdeführerin, die sachliche Zuständigkeit zu bejahen und das Verfahren ohne formellen Zwischenentscheid weiterzuführen.
Mit Beschluss vom 21. November 2013 (teilweise publ. in: ZR 112/2013 S. 286) trat das Handelsgericht auf die Klage nicht ein.
C.
Am 14. Januar 2014 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt die Aufhebung des Beschlusses vom 21. November 2013 und die Rückweisung der Sache an das Handelsgericht zur materiellen Beurteilung.
Die Beschwerdegegnerin ersucht um Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
In der dem Handelsgericht vorgelegten Widerspruchsklage nach
Art. 108 Abs. 1 SchKG
stehen sich die Gläubigerin als Klägerin (Beschwerdeführerin des bundesgerichtlichen Verfahrens) und die Drittansprecherin als Beklagte (Beschwerdegegnerin des bundesgerichtlichen Verfahrens) gegenüber. Diese Widerspruchsklage ist eine
BGE 140 III 355 S. 357
betreibungsrechtliche Streitigkeit mit Reflexwirkung auf das materielle Recht (auch betreibungsrechtliche Streitigkeit mit materiellrechtlicher Vorfrage genannt;
BGE 107 III 118
E. 2 S. 120 f.;
BGE 116 III 111
E. 4c S. 119). Vor Bundesgericht ist zu klären, ob das Handelsgericht sachlich zuständig ist, eine solche Widerspruchsklage zu beurteilen. Das Handelsgericht hat seine Zuständigkeit verneint.
2.1
Gemäss
Art. 6 Abs. 1 ZPO
können die Kantone ein Fachgericht bezeichnen, das als einzige kantonale Instanz für handelsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist (Handelsgericht). Der Kanton Zürich hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und für handelsrechtliche Streitigkeiten ein Handelsgericht eingesetzt (§ 44 lit. b des Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess [GOG/ZH; LS 211.1];
BGE 138 III 471
E. 1.1 S. 476). Gemäss
Art. 6 Abs. 2 ZPO
gilt eine Streitigkeit als handelsrechtlich, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist (lit. a), gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht (lit. b) und die Parteien im Handelsregister oder einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind (lit. c). Die Voraussetzungen von
Art. 6 Abs. 2 lit. b und c ZPO
sind vorliegend unbestrittenermassen erfüllt. Die Beschwerde dreht sich einzig um die Frage, ob die Widerspruchsklage von der Materie her handelsrechtlicher Natur ist bzw. mit der geschäftlichen Tätigkeit einer Partei zusammenhängt.
2.2
Gemäss § 24 lit. b GOG/ZH entscheidet das Einzelgericht (d.h. ein Einzelrichter am Bezirksgericht) über Klagen aus dem SchKG gemäss
Art. 198 lit. e Ziff. 2-8 ZPO
. In die Zuständigkeit des Einzelrichters sind damit insbesondere Widerspruchsklagen gemäss
Art. 106-109 SchKG
verwiesen (
Art. 198 lit. e Ziff. 3 ZPO
; HAUSER/SCHWERI/LIEBER, GOG, Kommentar zum zürcherischen Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010, 2012, N. 25 ff. zu § 24 GOG/ZH). § 24 lit. b GOG/ZH kommt allerdings für die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts von derjenigen der Bezirksgerichte keine eigenständige Bedeutung zu. Der Begriff der "handelsrechtlichen Streitigkeit" ist ein solcher des Bundesrechts: Richten die Kantone ein Handelsgericht ein, sind die Fälle gemäss
Art. 6 Abs. 2 ZPO
zwingend dem Handelsgericht zugewiesen, soweit dem nicht andere bundesrechtliche Vorschriften entgegenstehen (im Einzelnen
BGE 140 III 155
E. 4; vgl.
BGE 139 III 457
E. 3.2 S. 458; DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO],
BGE 140 III 355 S. 358
Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 9, 16 und 19 zu
Art. 6 ZPO
; HAAS/SCHLUMPF, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 2 zu
Art. 6 ZPO
; BERNHARD BERGER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 7 zu
Art. 6 ZPO
; JACQUES HALDY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 3 zu
Art. 6 ZPO
). Das kantonale Recht kann die handelsgerichtliche Zuständigkeit gemäss
Art. 6 Abs. 2 ZPO
nicht einschränken, wenn es ein Handelsgericht geschaffen hat. Entgegen anderslautender Stimmen in der Literatur bietet § 24 lit. b GOG/ZH für eine solche Einschränkung im Hinblick auf betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht keine Grundlage (so aber VOCK/NATER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 9b zu
Art. 6 ZPO
; HAAS/SCHLUMPF, a.a.O., N. 6 zu
Art. 6 ZPO
).
2.3
Es ist demnach einzig anhand des Bundesrechts zu beurteilen, ob die geltend gemachte Widerspruchsklage der handelsgerichtlichen Zuständigkeit untersteht.
2.3.1
Der Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
ist sehr weit gefasst: Die handelsrechtliche Natur der Streitsache wird fingiert, sobald die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist (Urteil 5A_592/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 5.1; BERGER, a.a.O., N. 21 zu
Art. 6 ZPO
; vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7261 unten Ziff. 5.2.1 zu Art. 6 des Entwurfs [fortan: Botschaft ZPO]). Aufgrund des jeweils gegebenen geschäftlichen Zusammenhangs hat das Bundesgericht denn auch festgehalten, dass etwa die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts (
BGE 138 III 471
E. 4 S. 479), der Abschluss von Mietverträgen über Geschäftsliegenschaften (
BGE 139 III 457
E. 3.2 S. 458 f.) oder eine Grundbuchberichtigung (Urteil 5A_592/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 5) in die handelsgerichtliche Zuständigkeit fallen können. Das Bundesgericht hatte sich hingegen noch nicht dazu zu äussern, ob Klagen aus dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht dem Handelsgericht vorgelegt werden können.
Mit dem Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
erscheint durchaus vereinbar, betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht wie die vorliegende Widerspruchsklage den Handelsgerichten zur Beurteilung zuzuweisen. Wie sich aus der Botschaft ergibt, wollte der Gesetzgeber die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte weit fassen (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Auch die
BGE 140 III 355 S. 359
Lehre spricht sich mehrheitlich dafür aus, dass betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht in die Zuständigkeit der Handelsgerichte fallen können (VOCK/NATER, a.a.O., N. 9b zu
Art. 6 ZPO
; RÜETSCHI, a.a.O., N. 23 zu
Art. 6 ZPO
; BERGER, a.a.O., N. 27 zu
Art. 6 ZPO
;
ders.
, Verfahren vor dem Handelsgericht: ausgewählte Fragen, praktische Hinweise, ZBJV 2012 S. 479 f.; TOYLAN SENEL, Das handelsgerichtliche Verfahren nach der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2011, Rz. 196; allgemein hinsichtlich betreibungs- und konkursrechtlicher Klagen ferner HAAS/SCHLUMPF, a.a.O., N. 6 zu
Art. 6 ZPO
, und STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 9 Rz. 7; eher ablehnend THEODOR HÄRTSCH, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 36 zu
Art. 6 ZPO
; ablehnend KARL SPÜHLER, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2014, S. 220; HAUSER/SCHWERI/LIEBER, a.a.O., N. 70 zu § 44 GOG/ZH). Der von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
geforderte geschäftliche Bezug könnte in der vorliegenden Konstellation in Verschiedenem gesehen werden: Entweder könnte auf die materiellrechtliche Position der Beschwerdegegnerin (Beklagte) bzw. auf ihr Grundgeschäft mit der Schuldnerin abgestellt werden oder dann auf den Zusammenhang des Zwangsvollstreckungsverfahrens mit der geschäftlichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin (Klägerin). Da sich die Beschwerdeführerin auf beides beruft, wird darauf noch näher einzugehen sein (unten E. 2.3.3). Der Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
bietet insofern kaum Anhaltspunkt für eine Begrenzung der handelsgerichtlichen Zuständigkeit, sobald eine Partei eine Handelsgesellschaft ist und ihre Aussenbeziehungen betroffen sind (vgl. HAUSER/SCHWERI/LIEBER, a.a.O., N. 55 zu § 64 GOG/ZH; für interne Angelegenheiten vgl.
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
).
Der Wortlaut ist nun zwar Ausgangspunkt der Auslegung. Vom daraus abgeleiteten Sinn ist jedoch abzuweichen, wenn triftige Gründe bestehen, dass der Gesetzgeber diesen nicht gewollt haben kann. Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Neben dem Wortlaut sind demnach bei der Auslegung auch das historische, das teleologische und das systematische Auslegungselement zu berücksichtigen (
BGE 138 III 166
E. 3.2 S. 168;
BGE 134 III 273
E. 4 S. 277).
2.3.2
Anhaltspunkte für eine den Wortlaut einschränkende Interpretation von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
ergeben sich zunächst aus der
BGE 140 III 355 S. 360
Gesetzgebungsgeschichte. In den Materialien findet sich zwar - soweit ersichtlich - keine ausdrückliche Aussage dazu, ob betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht in die handelsgerichtliche Zuständigkeit fallen sollen. Laut der Botschaft orientiert sich die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte jedoch an den damals geltenden kantonalen Regeln (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Wie bereits die Vorinstanz festgehalten hat, haben die Kantone Zürich, Bern und Aargau vor Inkrafttreten der schweizerischen ZPO betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht den ordentlichen Gerichten zugewiesen (für den Kanton Zürich vgl. § 22 Abs. 1 des Zürcher Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 [GVG/ZH], insbesondere dessen Ziff. 3 betreffend Widerspruchsklagen, sowie HAUSER/SCHWERI, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, 2002, N. 31 zu
§ 62 GVG
/ZH; für den Kanton Bern vgl. LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 2c/ff zu
Art. 5 ZPO
/BE; für den Kanton Aargau vgl. BÜHLER/EDELMANN/KILLER, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1998, N. 7 zu
§ 404 ZPO
/AG). Einzig der Kanton St. Gallen wies gerichtliche Angelegenheiten des SchKG (mit Ausnahme der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des summarischen Verfahrens) dem Handelsgericht zu (LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, 1999, N. 2 zu
Art. 14 ZPO
/SG). Die gesetzlichen Umschreibungen für die handelsrechtliche Natur des Geschäfts wichen dabei in allen vier Kantonen - soweit vorliegend von Interesse - nicht wesentlich von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
ab (
§ 62 Abs. 1 GVG
/ZH: "[...] sofern sich der Streit auf das von einer Partei betriebene Gewerbe oder auf Handelsverhältnisse überhaupt bezieht [...]"; Art. 55 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 14. März 1995 über die Organisation der Gerichtsbehörden in Zivil- und Strafsachen (GOG/BE): "[...] wenn sie mit dem Gewerbebetrieb einer der Parteien im Zusammenhang steht"; § 404 Abs. 1 lit. a des aargauischen Zivilrechtspflegegesetzes vom 18. Dezember 1984 [Zivilprozessordnung, ZPO/AG]: "[...] die sich auf den vom Beklagten geführten Handels-, Industrie- oder Gewerbebetrieb beziehen [...]"; Art. 14 Abs. 1 des st. gallischen Zivilprozessgesetzes vom 20. Dezember 1990: "[...] wenn die Streitigkeit mit der gegenseitigen geschäftlichen Tätigkeit zusammenhängt [...]"). Obschon in den früheren kantonalen Bestimmungen die handelsrechtliche Natur der Streitigkeit auf eine mit
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
vergleichbare Weise
BGE 140 III 355 S. 361
umschrieben wurde, waren die Handelsgerichte in drei Kantonen aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aufgrund der Praxis nicht zuständig, betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht zu beurteilen (vgl. zur Möglichkeit der Prorogation des Handelsgerichts im Kanton Zürich für diese Klagen immerhin
§ 64 Ziff. 1 GVG
/ZH und dazu HAUSER/SCHWERI, a.a.O., N. 17 zu
§ 64 GVG
/ZH).
Wie gesagt, orientiert sich gemäss der Botschaft die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte an den früheren kantonalen Regeln (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Wenn die Botschaft zugleich von einer weiten Umschreibung der handelsgerichtlichen Zuständigkeit ausgeht (a.a.O.), so dürfte dabei beispielsweise daran gedacht worden sein, dass Hilfs- und Nebengeschäfte der geschäftlichen Tätigkeit weiterhin der Handelsgerichtsbarkeit unterstehen sollen (vgl. Urteil 5A_592/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 5.1). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber bei der Zuordnung einzelner Streitigkeiten an das Handelsgericht wesentlich über dasjenige hinausgehen wollte, was die Handelsgerichtskantone zuvor bereits vorgesehen hatten. Wie gesehen, hat eine Mehrheit der Handelsgerichtskantone die betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht vor Inkrafttreten der eidgenössischen ZPO (grundsätzlich) nicht den Handelsgerichten zugewiesen. Soll sich
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
an den früheren kantonalen Regeln und der entsprechenden Praxis orientieren, so spricht dies dafür, diese Klagen nicht der handelsgerichtlichen Zuständigkeit zu unterstellen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhang einzig diese praktisch gehandhabte Zuteilung durch die Kantone massgebend und nicht die rein begriffliche Überlegung, ob die Streitigkeit in einzelnen Kantonen zwar als handelsrechtlich qualifiziert, aber dennoch nicht dem Handelsgericht zugewiesen worden war. Die Beschwerdeführerin verweist dazu insbesondere auf
§ 64 Abs. 1 GVG
/ZH (Prorogationsmöglichkeit). Dass im Kanton Zürich die Prorogation des Handelsgerichts für betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht möglich war, tut dem gegenteiligen Grundsatz des früheren Zürcher Rechts keinen Abbruch. Es ist anzunehmen, dass sich der eidgenössische Gesetzgeber am Grundsatz, wie er dem Gesetz zu entnehmen war, und dem effektiv gelebten Rechtsalltag orientiert hat, und nicht an begrifflichen Überlegungen, wie sie die Beschwerdeführerin anstellt.
BGE 140 III 355 S. 362
Die gesetzgebenden Behörden des Kantons Zürich haben denn auch beim Erlass von § 24 lit. b GOG/ZH (oben E. 2.2)
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
offensichtlich so verstanden, dass im Bereich der Zuständigkeit zur Behandlung betreibungsrechtlicher Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht der frühere Rechtszustand weiter gelten soll.
2.3.3
Auch aus systematischen und sachlichen Gründen ist die Zuteilung der betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht an die ordentlichen Gerichte der Zuständigkeit der Handelsgerichte vorzuziehen.
Zunächst ist auf den Anknüpfungspunkt für die geschäftliche Tätigkeit einzugehen, auf den auch die Beschwerdeführerin hinweist (vgl. oben E. 2.3.1). Soweit sich die Literatur im Zusammenhang mit betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung damit befasst, wird vorgebracht, das Erfordernis der handelsrechtlichen Natur der Streitigkeit sei erfüllt, wenn die materiellrechtliche Vorfrage handelsrechtlich sei (VOCK/NATER, a.a.O., N. 9b zu
Art. 6 ZPO
). Damit ist zugleich gesagt, dass nach dieser Auffassung insbesondere nicht das Betreibungs- oder Konkursverfahren, das der fraglichen Klage zugrunde liegt, die Geschäftstätigkeit einer Partei betreffen muss, um die Zuständigkeit des Handelsgerichts zu begründen. Die Beschwerdeführerin macht in diesem Sinne geltend, dass der Schwerpunkt des Widerspruchsprozesses in der materiellrechtlichen Beurteilung der Pfandrechte der Beschwerdegegnerin liege und die pfandrechtliche Sicherung von gewährten Krediten zur Geschäftstätigkeit der Beschwerdegegnerin gehöre. Darauf abzustellen würde jedoch bedeuten, dass eine Vorfrage über die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts entscheidet. Dies erschiene ungewöhnlich: In der Regel wirkt eine Vorfrage nicht zuständigkeitsbegründend (SVEN RÜETSCHI, Vorfragen im schweizerischen Zivilprozess, 2011, Rz. 178, 182 ff.). In der Tat würde damit in diesem Bereich die im Schweizer Recht grundlegende Unterscheidung zwischen betreibungsrechtlichen bzw. vollstreckungsrechtlichen Streitigkeiten einerseits und materiellrechtlichen Streitigkeiten andererseits verwischt bzw. aufgehoben (vgl.
BGE 139 III 236
E. 5 S. 244 ff.). Auf die Bedeutung dieser Unterscheidung hat auch die Vorinstanz hingewiesen. Bei den betreibungsrechtlichen Streitigkeiten mit Reflexwirkung auf das materielle Recht ist in erster Linie eine Frage des Betreibungs- oder Konkursverfahrens zu klären, wobei vorfrageweise auf materielles Recht zurückgegriffen wird (AMONN/WALTHER, Grundriss des
BGE 140 III 355 S. 363
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 4 Rz. 53). Das Verfahren bzw. das dieses Verfahren abschliessende Urteil ist vollstreckungsrechtlicher und nicht materiellrechtlicher Natur. Die Tragweite eines solchen Urteils beschränkt sich dementsprechend auf das betroffene Vollstreckungsverfahren; das Urteil schafft keine darüber hinausgehende Rechtskraft (
BGE 130 III 672
E. 3.2 S. 675 f.). Dass die vorliegende Widerspruchsklage, in der sich die Gläubigerin und die Drittansprecherin gegenüberstehen, eine solche betreibungsrechtliche Klage mit Reflexwirkung darstellt, wurde bereits erwähnt (obenE. 2, Einleitung). Wie es sich verhalten würde, wenn sich der Schuldner und der Dritte gegenüberstehen würden, braucht nicht beurteilt zu werden. Andieser Qualifikation ändert nichts, wenn im Widerspruchsprozess die materiellrechtliche Frage im Vordergrund steht.
Die Anknüpfung an die materiellrechtliche Vorfrage zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit wäre in der vorliegenden Parteikonstellation auch unter einem anderen Aspekt ungewöhnlich: Während üblicherweise im Prozess vor Handelsgericht ein materiellrechtliches Verhältnis zu beurteilen ist, das (angeblich) zwischen den beiden Prozessparteien besteht (
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
), und beide Prozessparteien im Handelsregister eingetragen sein müssen (
Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO
; unter Vorbehalt von
Art. 6 Abs. 3 ZPO
), würden diese Kriterien vorliegend auseinanderfallen. Da die Schuldnerin im vorliegenden Widerspruchsprozess nicht Partei ist, ist nur eine Beteiligte des massgeblichen materiellrechtlichen Verhältnisses (die Beschwerdegegnerin) in den Prozess involviert. Zudem wäre irrelevant, ob die Schuldnerin im Handelsregister eingetragen ist oder nicht. Umgekehrt käme es auf den Handelsregistereintrag der Gläubigerin an, die aber am zu beurteilenden materiellrechtlichen Verhältnis nicht beteiligt ist. Ist sie nicht im Handelsregister eingetragen und fällt ihr die Klägerrolle zu, so würde ihr die Handelsgerichtsbarkeit offenstehen (
Art. 6 Abs. 3 ZPO
), obschon sie selber weder nach dem Kriterium von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
noch nach demjenigen von
Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO
einen direkten Bezug zur Handelsgerichtsbarkeit aufzuweisen braucht. Ähnliche Situationen kann es bei der Widerspruchsklage nach
Art. 107 SchKG
geben, wenn der Dritte gegen den bestreitenden Gläubiger klagen muss: Es ist die Situation denkbar, dass das umstrittene, vorfrageweise relevante materielle Rechtsverhältnis zwar mit dem Geschäftsbetrieb des Dritten zusammenhängt, der Dritte gegen den Schuldner aber nicht vor Handelsgericht klagen könnte, da dieser nicht im Handelsregister
BGE 140 III 355 S. 364
eingetragen ist. Es würde sich die Frage stellen, ob der Dritte dann nur deshalb dennoch vor Handelsgericht eine Widerspruchsklage erheben kann, weil der bestreitende Gläubiger zufälligerweise im Handelsregister eingetragen ist. Zu Recht hat die Vorinstanz im Übrigen auf die Abgrenzungsschwierigkeiten hingewiesen, wenn an einem solchen Prozess (insbesondere in der Generalexekution) eine Vielzahl von Parteien beteiligt sind, die die Erfordernisse von
Art. 6 Abs. 2 ZPO
nur zum Teil erfüllen.
Die Beschwerdeführerin schlägt hilfsweise zwei weitere Bezugspunkte zur geschäftlichen Tätigkeit vor, die vorliegend ebenfalls erfüllt seien: Einerseits weise ihre eigene Forderung gegen die Schuldnerin einen geschäftlichen Bezug auf und andererseits erfolge auch die Eintreibung der Forderung sowie die Widerspruchsklage im Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit. Unmittelbar auf ihre materiellrechtliche Forderung gegen die Schuldnerin abzustellen, verbietet sich jedoch, weil diese nicht zur Diskussion steht, und zwar nicht einmal vorfrageweise. Hingegen erscheint mit dem Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
vereinbar, auf den geschäftlichen Bezug des Vollstreckungsverfahrens abzustellen. Dass der Gesetzgeber die handelsrechtliche Zuständigkeit auch auf vollstreckungsrechtliche Angelegenheiten ausdehnen wollte, sofern nur irgendein Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit einer Partei besteht, ist allerdings nicht anzunehmen. Es müsste sonst beispielsweise in Betracht gezogen werden, bei gegebenem geschäftlichem Zusammenhang das Rechtsöffnungsverfahren oder andere gerichtliche Angelegenheiten des Betreibungs- und Konkursrechts gemäss
Art. 251 ZPO
dem Handelsgericht zu überantworten. Dies würde jedoch weit über die tradierte Zuständigkeit der Handelsgerichte hinausführen und wird - soweit ersichtlich - in der Literatur auch nicht vertreten (vgl. immerhin BERGER, a.a.O., N. 27 zu
Art. 6 ZPO
, der die Klage nach
Art. 85 SchKG
vor Handelsgericht für zulässig hält).
Bei den betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht erweist sich somit der geschäftliche Bezug als problematisches Anknüpfungskriterium für die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte, und zwar unabhängig davon, worin dieser geschäftliche Bezug genau gesehen wird. Dies legt nahe, in diesem Bereich weiterhin auf die Rechtsnatur der betreffenden Streitigkeit abzustellen.
Die Lehre bringt teilweise weitere Begründungen für die handelsgerichtliche Zuständigkeit vor, die jedoch nicht zu überzeugen
BGE 140 III 355 S. 365
vermögen. So wird ein Zusammenhang hergestellt mit der Zulässigkeitder Beschwerde in Zivilsachen, woraus abgeleitet wird, die fraglichenStreitigkeiten müssten bei gegebenem Streitwert (Art. 6 Abs. 2lit. b ZPO) den Handelsgerichten zugewiesen werden, da sonst die von der ZPO angestrebte Vereinheitlichung vereitelt würde(RÜETSCHI, a.a.O., N. 23 zu
Art. 6 ZPO
). Die Vorinstanz hat diesbezüglichzuRecht festgehalten, es sei nicht ersichtlich, was dieStreitwertgrenze der Beschwerde in Zivilsachen mit der sachlichen Zuständigkeit auf kantonaler Ebene zu tun habe, denn die Sache könne so oder anders ans Bundesgericht gezogen werden, sofern der Streitwert von Fr. 30'000.-erreicht sei. Des Weiteren wird vorgebracht,dass auch in Fällen wie dem vorliegenden das Fachwissen des Handelsgerichts genutzt werden soll (BERGER, a.a.O., N. 27 zu
Art. 6 ZPO
;
ders.
, a.a.O., ZBJV 2012 S. 480). Bereits die Vorinstanz hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass diesem Aspekt sowohl die vertieften SchKG-Kenntnisse der ordentlichen Gerichte gegenüberstehen wie auch die Konstanz in der Rechtsprechung, wenn sie mit allen betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht betraut sind.
2.3.4
Aus alldem folgt, dass das Handelsgericht grundsätzlich sachlich nicht zuständig ist, die vorliegende Widerspruchsklage zu beurteilen.
2.4
Die Beschwerdeführerin macht jedoch abschliessend geltend, das Handelsgericht sei - auch bei grundsätzlich fehlender Zuständigkeit - aufgrund einer Einlassung der Beschwerdegegnerin zuständig geworden.
Dies trifft nicht zu. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte ist grundsätzlich der Parteidisposition entzogen (
BGE 138 III 471
E. 3.1 S. 477). Was die Einlassung betrifft, so ergibt sich der gesetzgeberische Wille, diese auszuschliessen, unmittelbar aus den Materialien: Im Vorentwurf zur ZPO war die Möglichkeit der Einlassung noch enthalten (Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. 3 des Vorentwurfs), wobei sie auch dort nur den fehlenden Eintrag der beklagten Partei im Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register hätte heilen können, nicht aber den fehlenden geschäftlichen Bezug. Wie sich aus der Botschaft ergibt, wurde diese Bestimmung bewusst gestrichen und sollte die Einlassung generell unzulässig sein (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Demgemäss ist auch die Lehre praktisch einhellig der Ansicht, dass eine Einlassung vor dem sachlich
BGE 140 III 355 S. 366
unzuständigen Handelsgericht ausgeschlossen ist (VOCK/NATER, a.a.O., N. 20 zu
Art. 6 ZPO
; HAAS/SCHLUMPF, a.a.O., N. 4 zu
Art. 6 ZPO
; BERGER,a.a.O., N. 48 zu
Art. 6 ZPO
; HALDY, a.a.O., N. 3 zu
Art. 6 ZPO
;STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., § 9 Rz. 7; HÄRTSCH, a.a.O., N. 26 zu
Art. 6 ZPO
; SENEL, a.a.O., Rz. 341). Einzig RÜETSCHI (a.a.O., N. 39 zu
Art. 6 ZPO
) vertritt eine andere Ansicht für den Fall, dass das Handelsgericht seine Unzuständigkeit übersieht, wobei er allerdings nicht näher ausführt, bis zu welchem Zeitpunkt das Handelsgericht noch auf die Zuständigkeitsfrage zurückkommen dürfte. Soweit es diesem Autor darum gehen sollte, dass ein handelsgerichtliches Urteil wegen der fehlenden sachlichen Zuständigkeit nicht aufgehoben werden sollte, wenn das Handelsgericht seine fehlende Zuständigkeit auch im Endurteilübersehen hat, so liegt dieser Fall ohnehin nicht vor: Das Handelsgericht hat zwar zuerst einen doppelten Schriftenwechsel in der Sache durchführen lassen, das Verfahren danach aber doch noch auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit fokussiert.
Die Beschwerdeführerin stützt die Zulässigkeit der Einlassung auf § 126 Abs. 2 GOG/ZH. Nach dieser Norm muss die beklagte Partei die Einrede der fehlenden sachlichen Zuständigkeit spätestens mit der Klageantwort erheben. § 126 Abs. 2 GOG/ZH sieht demnach im Ergebnis eine Einlassung vor, indem die Norm den Zeitpunkt regelt, bis zu der sich die beklagte Partei auf die fehlende sachliche Zuständigkeit berufen kann. Nach Darstellung der Beschwerdeführerin, die von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wird, habe Letztere sich nicht rechtzeitig auf die fehlende sachliche Zuständigkeit berufen. Wie bereits gesagt, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts jedoch aus Bundesrecht, sofern ein Kanton ein Handelsgericht einrichtet (vgl. oben E. 2.2). Eine Ausdehnung dieser Zuständigkeit ist ebenfalls nur im Rahmen des Bundesrechts möglich (vgl.
Art. 6 Abs. 4 ZPO
). Eine Einlassung vor dem sachlich unzuständigen Handelsgericht ist von Bundesrechts wegen ausgeschlossen. Soweit § 126 Abs. 2 GOG/ZH Gegenteiliges vorsieht, erweist er sich als bundesrechtswidrig.
Die Beschwerdeführerin verweist grundsätzlich zu Recht darauf, dass die Zuständigkeitsprüfung aus prozessökonomischen Gründen möglichst frühzeitig stattfinden sollte (
BGE 130 III 66
E. 4.3 S. 75; vgl. auch
Art. 92 BGG
). Dass dies vorliegend nicht geschehen ist, kann jedoch weder eine gesetzlich nicht gegebene sachliche
BGE 140 III 355 S. 367
Zuständigkeit noch einen gesetzlich nicht vorgesehenen Einlassungstatbestand schaffen. Es ist dem Gericht nicht untersagt, seine Zuständigkeit erst in einem fortgeschritteneren Prozessstadium zu überprüfen.
2.5
Folglich hat das Handelsgericht kein Bundesrecht verletzt, wenn es auf die Widerspruchsklage der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist. Die Beschwerde ist insoweit unbegründet. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d83e4bc3-4127-4448-94bb-24733d8012d7 | Urteilskopf
84 II 158
23. Arrêt de la Ire Cour civile du 18 avril 1958 dans la cause Garage Place Claparède SA contre Barambon. | Regeste
Automobilkauf.
1. Übergang von Nutzen und Gefahr,
Art. 185 OR
.
a) Individualisierung der Sache gemäss Art. 185 Abs. 2. Wann liegt der Fall vor, dass die Sache "versendet werden soll"? (Erw. 1a).
b) Auslegung von Art. 185 Abs. 1. Gefahrsübergang, wenn der Verkäufer sich die Sache auf seine Kosten zusenden lässt (Erw. 1b).
2. Kann ein Wagen, der einen Zusammenstoss von gewisser Bedeutung erlitten hat, noch als neu verkauft werden? (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 159
BGE 84 II 158 S. 159
A.-
Par contrat du 30 août 1956, le Garage Place Claparède SA (ci-après: la société) a vendu à Marc Barambon une voiture neuve Morris Oxford avec conduite à droite. L'acheteur devait remettre en échange une Morris Oxford 1949 et payer en outre 6480 fr. Il était stipulé également que, sauf imprévu, la voiture neuve serait livrée le 4 septembre 1956 et que le lieu de l'exécution du contrat était Genève. Ne disposant pas, dans son stock, d'une voiture correspondant à celle qu'elle avait vendue, la société en commanda une chez l'importateur, à Zurich, et la fit amener à Genève par la route. Les frais de ce transport furent supportés par la société et l'importateur.
Entre Zurich et Genève, la voiture Morris 1956 fut heurtée par une autre et endommagée au pare-chocs arrière, à l'aile arrière gauche et aux deux portes gauches. La société traita elle-même avec l'assureur de l'automobiliste qui avait provoqué l'accident et obtint une indemnité de 900 fr., qui lui permit de faire réparer les dégâts. Puis elle prétendit livrer la voiture à l'acheteur. Mais celui-ci refusa d'en prendre livraison et d'exécuter les prestations que lui imposait le contrat du 30 août 1956. Il maintint cette position bien que la société lui eût offert une réduction de 300 fr.
B.-
La société a actionné Barambon en paiement de 6480 fr., avec intérêt à 5% dès le 13 septembre 1956, et d'une indemnité de 25 fr. par jour dès cette dernière date pour l'utilisation de la voiture Morris 1949. En outre, elle offrait de livrer au défendeur l'automobile Morris Oxford 1956 contre remise de la voiture Morris 1949 et du montant de 6480 fr.
Barambon a conclu au rejet de l'action.
Statuant en deuxième instance le 17 janvier 1958, la
BGE 84 II 158 S. 160
Cour de justice civile du canton de Genève a débouté la demanderesse de ses conclusions.
C.-
Contre cet arrêt, la société recourt en réforme au Tribunal fédéral, en reprenant les conclusions qu'elle a formulées dans les instances cantonales.
L'intimé propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Comme dans les instances cantonales, la recourante prétend en premier lieu que les profits et les risques de la chose avaient, selon l'art. 185 al. 1 CO, passé à l'acheteur dès la conclusion du contrat; ainsi, Barambon devrait supporter lui-même les conséquences de la collision subie par la voiture.
a) La Cour de justice n'a pas admis cette thèse, en se fondant sur l'art. 185 al. 2 CO. Sans doute, a-t-elle exposé, la chose vendue a été individualisée; mais elle devait être expédiée dans un autre lieu et la venderesse ne s'en était pas dessaisie puisque, lors de l'accident, le véhicule n'était pas conduit directement chez l'acheteur mais au garage en vue de sa livraison.
C'est avec raison que la juridiction cantonale a admis que l'automobile vendue avait été individualisée. Il est constant, en effet, que la voiture conduite de Zurich à Genève correspondait au contrat du 30 août 1956 et était destinée à Barambon. Dès lors, l'individualisation était valable, bien que la venderesse l'eût opérée unilatéralement, sans la porter à la connaissance de l'acheteur.
En revanche, la Cour de justice a considéré à tort que l'automobile devait être "expédiée dans un autre lieu" au sens de l'art. 185 al. 2 CO. Cette expression, en effet, ne vise pas n'importe quel transport dont la chose vendue peut être l'objet avant la livraison. La disposition de l'art. 185 al. 2 i.f. CO se rapporte uniquement aux ventes à distance, c'est-à-dire aux ventes dans lesquelles la chose n'est pas livrée au lieu de l'exécution, mais doit être expédiée à l'acheteur ou à son mandataire dans un autre
BGE 84 II 158 S. 161
lieu (OSER/SCHÖNENBERGER, CO, ad art. 185, rem. 10, et ad art. 184, rem. 37; BECKER, CO, ad art. 185, rem. 8). Rien de semblable n'avait été convenu en l'espèce. Les parties avaient simplement stipulé que le lieu de l'exécution était Genève et, faute d'indication plus précise, il se trouvait au domicile de la venderesse en vertu de l'art. 74 al. 2 ch. 3 CO. L'acheteur devait donc prendre livraison de la voiture au garage. Dans ces conditions, il ne s'agissait pas d'une vente à distance.
Ainsi, l'intimé ne saurait se fonder sur l'art. 185 al. 2 CO pour prétendre que les risques étaient restés à la charge de la venderesse et l'art. 185 al. 1 CO est seul applicable en l'espèce.
b) En vertu de cette dernière disposition, les profits et les risques passent en principe à l'acquéreur dès la conclusion de la vente. Il n'en est autrement qu'en cas de circonstances ou de stipulations particulières. L'art. 185 al. 1 CO consacre ainsi une règle qui déroge à plus d'un point de vue au système juridique suisse. Il constitue d'abord une exception au principe selon lequel le propriétaire, qui dispose de la chose, en a les risques et les profits. Il déroge de plus à la règle générale de l'art. 119 al. 2 CO, en vertu duquel le contractant libéré parce que l'exécution de sa prestation est devenue impossible ne peut plus prétendre à la contre-prestation promise par l'autre partie (cf. également les art. 220, 254, 376 et, a contrario, l'art. 390 al. 1 CO, qui obéissent au principe de l'art. 119 al. 2 CO). Il est du reste contraire aux conceptions généralement admises dans le public (comme le relève avec raison OSER/SCHÖNENBERGER, CO, ad art. 185, rem. 2; cf. également RSJ 1952 p. 179).
Dans ces conditions, il faut appliquer restrictivement le principe selon lequel les profits et les risques passent à l'acheteur dès que le contrat est conclu et on doit admettre très largement les "exceptions résultant de circonstances ou de stipulations particulières", qui sont réservées par l'art. 185 al. 1 CO. Ainsi, le Tribunal fédéral a jugé,
BGE 84 II 158 S. 162
dans son arrêt Verzinkerei Zug AG c. Debrunner & Cie (RO 52 II 362 consid. 1), que le vendeur supportait les risques du transport lorsqu'il expédiait franco la marchandise à son propre représentant au lieu de l'exécution; en effet - a exposé la juridiction fédérale - l'acheteur est, dans ce cas, privé de toute possibilité de disposer de la marchandise pendant le transport et de prendre des mesures pour écarter les risques (cf. également RO 46 II 460).
Il en était de même en l'espèce. Comme la voiture vendue se trouvait à Zurich, le lieu de l'exécution de la prestation de la venderesse eût été Zurich en vertu de l'art. 74 ch. 2 CO. Mais les parties ont dérogé à cette règle en désignant Genève comme lieu de l'exécution. Dès lors, le transport de Zurich à Genève a été opéré aux frais et pour le compte de la venderesse, chez qui l'automobile devait être conduite. C'est elle qui, pendant ce trajet, avait la disposition de la voiture et qui était juge des mesures à prendre. Aussi bien a-t-elle décidé elle-même du mode de transport et choisi le conducteur, à qui elle a donné ses instructions. Dès lors, elle doit être réputée avoir pris à sa charge les risques afférents à ce transport. Le comportement que la recourante a eu après l'accident révèle du reste clairement qu'à son avis la voiture était transportée à ses propres risques. Le fait qu'elle a ordonné la réparation des dégâts et qu'elle a offert à Barambon une réduction de prix peut éventuellement être considéré comme une concession gracieuse fondée sur des motifs de politique commerciale. Mais elle a, de plus, traité elle-même la question des dommages-intérêts avec l'assureur de l'automobiliste qui avait provoqué l'accident. Elle a ainsi tenu l'acheteur à l'écart de ces discussions et, en réglant l'affaire directement, elle l'a privé de la possibilité de faire valoir les prétentions qu'il pouvait fonder sur la dépréciation de la voiture. Par cette attitude, elle a manifesté l'idée que la collision la lésait elle-même et, dès lors, qu'elle supportait les risques du transport.
Dans ces conditions, elle se prévaut à tort de l'art. 185 CO.
BGE 84 II 158 S. 163
2.
Selon la Cour cantonale, la voiture réparée offerte par la société ne correspond pas à celle qui est mentionnée dans le contrat du 30 août 1956; Barambon entendait obtenir une voiture neuve; or l'automobile que lui destine la venderesse n'a plus cette qualité, puisqu'elle a subi un accident qui a provoqué des frais de remise en état pour 900 fr.; il importe peu que, selon les attestations produites par la société, la voiture ait été bien réparée et ne soit pas dépréciée techniquement; il est clair, en effet, que le fait d'avoir subi un accident entraînera une réduction du prix en cas de revente.
Le Tribunal fédéral n'a rien à reprendre à cette argumentation. Sans être grave, le choc subi par la voiture qu'offre la société n'était pas dénué d'importance. Or il est notoire qu'un tel accident déprécie une automobile. C'est le cas même si les dégâts apparents ont été parfaitement réparés. Une collision d'une certaine violence peut en effet avoir sur les organes mécaniques du véhicule des effets qui ne se révèlent qu'à la longue. L'automobile offerte par la venderesse est ainsi entachée d'un défaut qui, s'il ne diminue peut-être pas l'utilité de la chose, en restreint en revanche la valeur dans une notable mesure. La recourante relève en vain que les carrosseries des voitures subissent fréquemment des dégâts lors du transport et des opérations de chargement. Il s'agit alors de dommages insignifiants, qui sont loin d'avoir l'importance de ceux qu'a subis en l'espèce le véhicule destiné à l'intimé. Ainsi, la société prétend à tort qu'elle offre une prestation conforme au contrat et que l'acheteur est tenu, de son côté, d'exécuter les contre-prestations promises. Au contraire, comme la venderesse n'entendait exécuter ses obligations qu'imparfaitement, l'intimé était fondé à refuser la livraison et à se départir du contrat. Dès lors, c'est avec raison que l'action a été rejetée.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Rejette le recours et confirme l'arrêt attaqué. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d841d1de-98f4-4b78-80c5-336f77ad6bcb | Urteilskopf
97 V 115
27. Extrait de l'arrêt du 20 juillet 1971 dans la cause Künzi contre Caisse cantonale neuchâteloise de compensation et Commission cantonale neuchâteloise de recours pour l'assurance-vieillesse et survivants | Regeste
Art. 16 Abs. 2 lit. a IVG
.
Voraussetzungen der Gewährung von Beiträgen an die erstmalige berufliche Ausbildung; Arbeit in einer geschützten Werkstatt. | Erwägungen
ab Seite 115
BGE 97 V 115 S. 115
Extrait des considérants:
1.
L'assuré qui n'a pas encore eu d'activité lucrative et à qui sa formation professionnelle initiale occasionne, du fait de son invalidité, des frais beaucoup plus élevés qu'à une personne valide, a droit au remboursement de ses frais supplémentaires, si la formation répond à ses aptitudes (art. 16 al. 1er LAI). La préparation à un travail auxiliaire ou à une activité en atelier protégé est assimilée à la formation professionnelle initiale (art. 16 al. 2 lit. a LAI). Ni l'art. 16 LAI ni l'art. 5 RAI, qui le complète, ne disent si la qualité de l'activité en atelier protégé doit atteindre un niveau minimum pour que la préparation à cette activité donne droit aux subsides. L'art. 16 al. 2 lit. a LAI a été introduit dans la loi lors de la révision de 1967, effective dès le 1er janvier 1968. Le message du 27 février 1967 du Conseil fédéral ne s'exprime que sur l'opportunité d'inscrire dans la loi la pratique qui avait déjà cours, consistant à assimiler à la formation professionnelle initiale la préparation en atelier protégé (FF 1967 I p. 698).
Or, selon cette pratique antérieure, il n'est de mesure de réadaptation, sous quelque forme que ce soit, que si l'assuré s'en trouve aidé de manière importante et durable à mener des
BGE 97 V 115 S. 116
activités grâce auxquelles il gagnera une partie au moins de son entretien. N'a droit, par conséquent, aux subsides de l'art. 16 LAI que l'assuré qui accomplit finalement un travail rentable, dont la valeur soit en tout cas supérieure aux frais occasionnés par la surveillance spéciale éventuellement nécessaire à l'invalide pour travailler, aller travailler, ou pendant ses loisirs (v. pour le principe ATFA 1964 p. 102, et, pour l'application du principe à la formation professionnelle initiale, ATFA 1968 p. 263, qui concerne l'ancien droit). La règle générale ainsi dégagée par la jurisprudence procède de l'art. 8 al. 1er LAI. La révision de 1967 n'a apporté d'exception, à l'art. 8 al. 2, que pour les mesures des art. 13, 19, 20 et 21 LAI, auxquelles l'invalide a droit sans égard aux possibilités de réadaptation à la vie professionnelle. Du silence de la novelle, il résulte que la mesure de l'art. 16 LAI demeure soumise, elle, à la règle générale.
2.
Il reste à déterminer à partir de quelle limite un travail en atelier protégé devient rentable au sens de l'arrêt RCC 1969 p. 567.
On a le choix, en cela, entre deux méthodes:
a) ou bien comparer dans chaque cas la valeur réelle du travail de l'assuré avec les frais que ce dernier occasionne effectivement;
b) ou bien admettre que, si l'atelier paie un certain salaire minimum à l'assuré, la valeur du travail est présumée dépasser le coût de la surveillance spéciale. La première méthode nécessiterait lors de l'instruction de chaque demande des calculs d'expert, qu'on ne saurait imposer aux organes de l'assuranceinvalidité. La seconde méthode, toute sommaire qu'elle est, a le mérite d'être facilement applicable. On trouve d'autres exemples, en assurance sociale, de transformation de limites définies quant au principe en limites exprimées en chiffres: ainsi aux art. 16 al. 1er LAI et 5 al. 2 RAI; 19 al. 1er LAI et 9 al. 1erlit. a RAI; de même que dans la jurisprudence sur la notion de variation sensible du gain de l'art. 25 al. 1er RAVS (v. p.ex. ATFA 1958 pp. 17 et 118; RCC 1958 p. 309) et sur la notion de frais de maladie "d'une certaine importance" de l'art. 3 ch. 4 lit. e LPC (ATFA 1968 p. 128).
L'Office fédéral des assurances sociales, dans son préavis, se déclare en faveur de la seconde méthode. Il propose de présumer rentable tout travail en atelier protégé procurant à son auteur le salaire minimum dont l'administration fait une
BGE 97 V 115 S. 117
condition de l'octroi des subventions aux institutions prévues par l'art. 106 RAI. Ce salaire est actuellement de 30 centimes à l'heure, à raison de 2000 heures par année de travail (chiffre 7 de la circulaire de l'Office fédéral des assurances sociales du 25 janvier 1968). L'Office fédéral des assurances sociales ajoute que la durée des subsides pour la formation professionnelle initiale doit être en rapport avec l'importance du résultat qu'on en attend. Ces propositions sont logiques et peuvent être admises par le Tribunal fédéral des assurances. La présomption ainsi instituée ne saurait cependant être irréfragable; elle doit souffrir la preuve du contraire, soit qu'on ne se trouve pas en présence d'un salaire au rendement ("Leistungslohn"). Doivent inversément être réservées des circonstances qui conduiraient à rétribuer le travail de l'invalide au-dessous de sa valeur effective. Ces principes ont été approuvés par la Cour plénière. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d8434f69-165c-4506-b42c-df7ab580453f | Urteilskopf
103 IV 172
51. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1977 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern | Regeste
Art. 212 Abs. 1 StGB
, Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Bilder.
Die beanstandeten, in einem Schaufenster ausgestellten Fotos von Striptease-Tänzerinnen sind nicht geeignet, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen durch Überreizung oder Irreführung des Geschlechtsgefühls zu gefährden. | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 103 IV 172 S. 173
A.-
B. betreibt in seinem Hotel ein Dancing, in dem jeden Abend Striptease-Vorführungen stattfinden. Seit März 1976 stellt er in einem Schaufenster neben dem Hoteleingang zu Reklamezwecken Fotos von Striptease-Tänzerinnen aus. Das Schaufenster befindet sich unmittelbar bei einer stark frequentierten Bushaltestelle und am Schulweg zum Schulhaus. Es ist nur 90 cm vom Boden erhöht und kann auch von Kindern eingesehen werden.
B.-
Das Amtsgericht Sursee sprach B. der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Bilder gemäss
Art. 212 Abs. 1 StGB
schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 100.--.
Eine gegen dieses Urteil eingereichte Kassationsbeschwerde hat das Obergericht des Kantons Luzern am 2. Mai 1977 abgewiesen.
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt B. Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zum Freispruch.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 212 Abs. 1 StGB
macht sich der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder schuldig, wer Schriften oder Bilder, die geeignet sind, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls zu gefährden, in Auslagen, Schaufenstern oder andern von der Strasse aus sichtbaren Orten ausstellt.
Diese Bestimmung überschneidet sich mit
Art. 204 Ziff. 2 StGB
, der denjenigen mit Gefängnis oder Busse bedroht, welcher unzüchtige Gegenstände einer Person unter 18 Jahren übergibt oder vorzeigt.
Art. 212 StGB
ergänzt
Art. 204 Ziff. 2 StGB
u.a. insoweit, als er schon unsittliche und
BGE 103 IV 172 S. 174
nicht erst unzüchtige Schriften und Bilder im engern Sinne erfasst. Nicht nötig ist also, dass die unter
Art. 212 StGB
fallenden Bilder das geschlechtliche Anstandsgefühl auch normal empfindender Erwachsener in nicht leicht zu nehmender Weise verletzen. Abzustellen ist vielmehr auf die Wirkung, welche die Schriften oder Bilder auf Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben können. Diese mögliche Wirkung ist aber im Gesetz näher umschrieben und wird dadurch erheblich eingeengt. Die Schriften oder Bilder müssen geeignet sein, Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden. Blosse Eignung genügt. Dass ein Kind oder ein Jugendlicher die ausgestellten Schriften oder Bilder tatsächlich wahrgenommen und deswegen, infolge Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls, in seiner gesundheitlichen Entwicklung Schaden genommen hat, ist nicht erforderlich (nicht veröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 11. September 1970 i.S. V. und nicht veröffentlichte E. 3a i.S. Marti vom 28. Mai 1971, ferner
BGE 99 Ib 69
und 100 Ib 368 f.).
2.
a) In objektiver Hinsicht steht fest und ist unbestritten, dass die Bilder in einem Schaufenster so ausgestellt waren, dass sie von vielen Kindern und Jugendlichen leicht eingesehen werden konnten (viel benützte Bushaltestelle; am Schulweg; nur 90 cm über Boden). Die Fotografien waren nicht nur ein Hinweis auf die Striptease-Vorstellungen; sie waren auch geeignet, sexuellen Anreiz zu geben. Sie verfolgten auch offensichtlich diesen Zweck (Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1962 i.S. V.). Umstritten ist nur, ob diese Fotografien auch unsittlich im Sinne von
Art. 212 StGB
sind, d.h. ob sie geeignet sind, Kinder und Jugendliche durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden.
b) Die neun Aufnahmen zeigen Striptease-Tänzerinnen in verschiedenen Stadien der Entkleidung. Hinweise auf irgendwelche, insbesondere abartige sexuelle Betätigungen fehlen. Eine Gefahr, das Geschlechtsgefühl Jugendlicher könnte irregeleitet werden, bestand somit nicht. Der Beschwerdeführer wurde auch nicht deswegen verurteilt. Vielmehr haben die kantonalen Gerichte angenommen, die Striptease-Fotografien seien geeignet, unreife Jugendliche sexuell zu überreizen.
BGE 103 IV 172 S. 175
c) Das erfüllt aber den Tatbestand des
Art. 212 StGB
noch nicht. Die allfällige sexuelle Überreizung muss ihrerseits geeignet sein, den Jugendlichen nachhaltig zu beeinflussen. Sie muss seine sittliche (oder gar seine gesundheitliche) Entwicklung gefährden können. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn diese Bilder (oder Schriften) Phantasie, Denken und Fühlen Jugendlicher so nachhaltig zu beschäftigen oder zu beunruhigen vermögen, dass sie die harmonische Entwicklung des Jugendlichen gefährden oder ihn dazu verleiten können, mit andern vorzeitig sittlich nicht verantwortbare geschlechtliche Beziehungen anzuknüpfen (vgl. ähnlich
Art. 200 StGB
).
d) Die Vorinstanz stellt nicht ausdrücklich fest, die eingeklagten Fotografien seien geeignet, die sittliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, die am Schaukasten vorbeigingen, zu gefährden. Sie greift zur Begründung die Auffassung der Kirchenverwaltung auf, dass vor allem die Schülerschaft nachteilig beeinflusst werde, und findet, die Bilder verletzten sogar das Schamgefühl angefragter Erwachsener.
Es ist auch nicht ersichtlich, wie die neun Striptease-Abbildungen die sittliche Entwicklung Jugendlicher gefährden könnten. Sie sind weder gross noch farbig und in ihrer Aufmachung nicht besonders aufdringlich. Die Brüste sind verschiedentlich abgebildet, aber nicht die Genitalien. Es ist nicht zu ersehen, wieso diese Bilder geeignet wären, die Phantasie Jugendlicher über eine momentane Erregung hinaus zu beschlagnahmen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 2. Mai 1977 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d8443bc3-9b49-4962-b207-675d6caf5f16 | Urteilskopf
138 I 205
18. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause R. contre Office cantonal genevois de l'assurance-invalidité (recours en matière de droit public)
9C_540/2011 du 15 mars 2012 | Regeste
Art. 16 ATSG
;
Art. 27 UNO-Pakt II
; Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten;
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
;
Art. 8 Abs. 2 BV
; Invaliditätsbemessung bei einer zur Gemeinschaft der Fahrenden gehörenden Person.
Im Falle einer zur Gemeinschaft der Fahrenden gehörenden Person wirkt die Bemessung des Invalideneinkommens anhand allgemeiner statistischer Daten indirekt diskriminierend, soweit dieses Vorgehen dazu beiträgt, die versicherte Person der Bevölkerungsmehrheit anzugleichen (E. 6.2). | Sachverhalt
ab Seite 206
BGE 138 I 205 S. 206
A.a
R. fait partie de la communauté suisse des gens du voyage. Elle et sa famille mènent un mode de vie semi-nomade, passant 4 mois en hiver sur une aire de séjour située à X. et voyageant le reste de l'année en Suisse allemande, en France et en Allemagne. Sur le plan professionnel, elle travaillait comme employée dans l'entreprise de brocante de son mari. En incapacité de travail totale depuis le 1
er
mars 2006 en raison de problèmes lombaires, elle a déposé le 11 décembre 2006 une demande de prestations de l'assurance-invalidité.
Dans le cadre de l'instruction de cette demande, l'Office de l'assurance-invalidité du canton de Genève (ci-après: l'office AI) a recueilli les renseignements médicaux usuels auprès des docteurs F., spécialiste en anesthésiologie (rapport du 28 février 2007), M., spécialiste en médecine interne générale (rapport du 5 mars 2007) et S., spécialiste en chirurgie orthopédique et traumatologie de l'appareil locomoteur (rapport du 22 mars 2007); d'après les documents produits, l'assurée souffrait principalement de lombalgies chroniques sur discopathies L4-L5 et L5-S1.
Considérant que l'assurée était malgré tout en mesure d'exercer à plein temps une activité adaptée à ses limitations fonctionnelles, l'office AI a, par décision du 19 décembre 2007, rejeté la demande de prestations.
A.b
A la suite du recours formé par l'assurée devant le Tribunal cantonal des assurances sociales de la République et canton de Genève (aujourd'hui: la Cour de justice de la République et canton de Genève, Chambre des assurances sociales), l'office AI a, par décision du 3 mars 2008, annulé la décision du 19 décembre 2007 et repris l'instruction de la cause. Il a confié la réalisation d'une expertise pluridisciplinaire au Centre Z. Dans leur rapport du 31 août 2009, les docteurs V., spécialiste en médecine interne générale, H., spécialiste en neurologie, et L., spécialiste en psychiatrie et psychothérapie, ont retenu les diagnostics - avec répercussion sur la capacité de travail - de lombalgies chroniques dans un contexte de troubles statiques et dégénératifs, de rachialgies cervico-dorso-lombaires et de protrusion discale L4-L5 médiane et hernie discale médiane et paramédiane L5-S1, ainsi que ceux - sans répercussion sur la capacité de travail - d'obésité de classe I, d'anxiété généralisée et d'hyperphagie associée à d'autres perturbations psychologiques; l'exercice d'une activité
BGE 138 I 205 S. 207
lucrative à 100 % était exigible dans une activité sédentaire ou semi-sédentaire sans port de charges et permettant le changement fréquent de positions.
Se fondant sur les conclusions de cette expertise, l'office AI a, par décision du 7 décembre 2010, rejeté à nouveau la demande de prestations de l'assurée.
B.
Par jugement du 30 mai 2011, la Cour de justice de la République et canton de Genève, Chambre des assurances sociales, a rejeté le recours formé par l'assurée contre cette décision.
C.
R. interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement dont elle demande l'annulation. Elle conclut à l'octroi d'une rente entière d'invalidité à compter du 1
er
mars 2006.
L'office AI conclut au rejet du recours, tandis que l'Office fédéral des assurances sociales a renoncé à se déterminer.
Le recours a été admis.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Selon les constatations de la juridiction cantonale, qui ne sont pas contestées par les parties et qui lient par voie de conséquence le Tribunal fédéral, la recourante dispose, d'un point de vue médical, d'une capacité de travail pleine et entière dans une activité adaptée à ses limitations fonctionnelles (sans port de charges de manière itérative de plus de 10 kilos, sans maintien de longues positions assise ou debout immobile, ne nécessitant pas la flexion antérieure prolongée du tronc ou des activités en porte-à-faux ou en zone basse), étant admis que la nature des activités qu'elle exerçait auparavant dans le domaine de la brocante n'est pas compatible avec lesdites limitations. Est litigieuse la question de savoir s'il existe des activités exigibles qui s'accordent avec son mode de vie semi-nomade et ses facultés intellectuelles et professionnelles.
2.1
La juridiction cantonale a considéré que les principes valables en matière d'évaluation de l'invalidité étaient applicables à toute personne vivant en Suisse qui requérait l'octroi de prestations de l'assurance-invalidité. La loi permettait notamment aux familles, comme celle de la recourante qui est nomade, d'obtenir des prestations d'invalidité, dans l'hypothèse où l'un de ses membres devenait invalide. Par ailleurs, l'
art. 16 LPGA
(RS 830.1) n'avait pas pour objectif de sédentariser les assurés appartenant à la communauté des gens du
BGE 138 I 205 S. 208
voyage ou de remettre en question leur mode de vie. Exiger de la recourante qu'elle exerce une activité légère adaptée à ses limitations fonctionnelles n'était dès lors pas incompatible avec son mode de vie nomade et n'exigeait pas d'elle qu'elle se sédentarise. En ce sens, la recourante n'était pas traitée différemment des autres citoyens suisses, qui étaient également dans l'obligation de se reconvertir professionnellement pour mettre pleinement en valeur leur capacité résiduelle de travail, conformément à l'obligation de réduire le dommage résultant de l'invalidité. Par conséquent, la recourante ne faisait pas l'objet d'une discrimination directe ou indirecte par le biais de l'application de l'
art. 16 LPGA
. C'est ainsi à bon droit que l'office AI s'était fondé sur les données économiques statistiques pour déterminer le revenu d'invalide.
2.2
La recourante reproche à la juridiction cantonale d'avoir violé le droit fédéral, en considérant qu'il existait des activités exigibles de sa part. Les activités envisagées ou identifiées comme exigibles au cours de la procédure seraient en effet incompatibles avec le mode de vie traditionnel nomade des gens du voyage. Elles exigeraient qu'elle se sédentarise et renonce à son mode de vie traditionnel et à sa famille (à moins que sa famille ne se sédentarise et renonce elle aussi à son mode de vie), ce qui entraînerait incontestablement une atteinte grave à ses droits constitutionnels à la protection de son mode de vie (
art. 13 Cst.
et 8 CEDH) et de sa vie de famille (
art. 13 Cst.
et 8 CEDH), et au principe de la non-discrimination (
art. 8 Cst.
et 14 CEDH). De plus, la juridiction cantonale aurait omis de tenir compte dans son analyse du fait qu'elle souffrait également, en plus de limitations fonctionnelles importantes, d'une absence de formation, d'une intelligence diminuée et de déficiences notables et handicapantes en français lu et écrit.
3.
3.1
Le rôle principal de l'assurance-invalidité consiste à éliminer ou à atténuer au mieux les effets préjudiciables d'une atteinte à la santé sur la capacité de gain de la personne assurée, en privilégiant au premier plan l'objectif de réinsertion dans la vie professionnelle active ou dans le secteur d'activité initial, et au second plan le versement de prestations en espèces (Message du 22 juin 2005 concernant la modification de la loi fédérale sur l'assurance-invalidité [5
e
révision de l'AI], FF 2005 4223 ch. 1.1.1.2). L'examen d'un éventuel droit à desprestations de l'assurance-invalidité doit par conséquent procéder d'une démarche au centre de laquelle figure avant tout la
BGE 138 I 205 S. 209
valorisation économique des aptitudes résiduelles - fonctionnelles et/ou intellectuelles - de la personne assurée. Les mesures qui peuvent être exigées d'un assuré doivent être aptes à atténuer les conséquences de l'atteinte à la santé (arrêt 9C_236/2009 du 7 octobre 2009 consid. 4.4.1).
3.2
Dans le domaine de l'assurance-invalidité, on applique de manière générale le principe selon lequel un invalide doit, avant de requérir des prestations, entreprendre de son propre chef tout ce qu'on peut raisonnablement attendre de lui, pour atténuer le mieux possible les conséquences de son invalidité; c'est pourquoi un assuré n'a pas droit à une rente lorsqu'il serait en mesure, au besoin en changeant de profession, d'obtenir un revenu excluant une invalidité ouvrant droit à une rente. La réadaptation par soi-même est un aspect de l'obligation de diminuer le dommage et prime aussi bien le droit à une rente que celui à des mesures de réadaptation. L'obligation de diminuer le dommage s'applique aux aspects de la vie les plus variés. Toutefois, le point de savoir si une mesure peut être exigée d'un assuré doit être examiné au regard de l'ensemble des circonstances objectives et subjectives du cas concret (
ATF 113 V 22
consid. 4a p. 28 et les références). Par circonstances subjectives, il faut entendre en premier lieu l'importance de la capacité résiduelle de travail ainsi que les facteurs personnels tels que l'âge, la situation professionnelle concrète ou encore l'attachement au lieu de domicile. Parmi les circonstances objectives doivent notamment être pris en compte l'existence d'un marché du travail équilibré et la durée prévisible des rapports de travail (arrêts du Tribunal fédéral des assurances I 750/04 du 5 avril 2006 consid. 5.3, in SVR 2007 IV n° 1 p. 1; I 11/00 du 22 août 2001 consid. 5a/bb, in VSI 2001 p. 274).
3.3
Ainsi doit-on pouvoir exiger de celui qui requiert des prestations qu'il prenne toutes les mesures qu'un homme raisonnable prendrait dans la même situation s'il devait s'attendre à ne recevoir aucune prestation d'assurance. Au moment d'examiner les exigences qui peuvent être posées à un assuré au titre de son obligation de réduire le dommage, l'administration ne doit pas se laisser guider uniquement par l'intérêt général à une gestion économique et rationnelle de l'assurance, mais doit également tenir compte de manière appropriée du droit de chacun au respect de ses droits fondamentaux. La question de savoir quel est l'intérêt qui doit l'emporter dans un cas particulier ne peut être tranchée une fois pour toutes. Cela étant, plus la mise à contribution de l'assureur est importante, plus
BGE 138 I 205 S. 210
les exigences posées à l'obligation de réduire le dommage devront être sévères. C'est le cas, par exemple, lorsque la renonciation à des mesures destinées à réduire le dommage conduirait à l'octroi d'une rente ou au reclassement dans une profession entièrement nouvelle. Conformément au principe de la proportionnalité, il convient en revanche de faire preuve de prudence dans l'invocation de l'obligation de réduire le dommage lorsqu'il s'agit d'allouer ou d'adapter certaines mesures d'ordre professionnel afin de tenir compte de circonstances nouvelles relevant de l'exercice par l'assuré de ses droits fondamentaux. Demeurent réservés les cas où les dispositions prises par l'assuré doivent être considérées, au regard des circonstances concrètes, comme étant déraisonnables ou abusives (
ATF 113 V 22
consid. 4d p. 32, confirmé par
ATF 134 I 105
consid. 8.2 p. 111; MARC HÜRZELER, Prävention im Haftpflicht- und Sozialversicherungsrecht, in Prävention im Recht, 2007, p. 172 s.).
4.
Les gens du voyage suisses (appelés également Tziganes) forment une communauté estimée à 30'000 personnes. Si la grande majorité d'entre eux mène aujourd'hui un mode de vie sédentaire, une frange importante de ce groupe continue d'avoir un mode de vie qui peut être caractérisé de semi-nomade. La tradition d'itinérance (ou nomadisme) reste et demeure une composante essentielle de l'identité culturelle tzigane, intrinsèquement liée à l'exercice de leurs différentes activités professionnelles. Traditionnellement, les gens du voyage exercent des métiers dans les domaines de la récupération (achat d'antiquités, recyclage, collecte de vieux métal, etc.), du commerce forain et de l'artisanat ambulant (aiguisage, vannerie, rétamage, etc.), quand bien même leur champ d'activité ne saurait se limiter à ces seuls domaines (Office fédéral de la culture, Les gens du voyage en Suisse,
www.bak.admin.ch
, sous Création culturelle, Gens du voyage; JOËLLE SAMBUC BLOISE, La situation juridique des Tziganes en Suisse, 2007, p. 67).
5.
Eu égard à la nature des griefs portés par la recourante devant le Tribunal fédéral, il convient d'examiner, à titre général, si et dans quelle mesure les membres de la communauté des gens du voyage bénéficient, en vertu du droit fédéral et international, d'une protection particulière en raison de leurs spécificités ethno-culturelles.
5.1
D'après l'art. 27 du Pacte international relatif aux droits civils et politiques, conclu à New York le 16 décembre 1966 et entré en vigueur pour la Suisse le 18 septembre 1992 (ci-après: Pacte ONU II;
BGE 138 I 205 S. 211
RS 0.103.2), dans les Etats où il existe des minorités ethniques, religieuses ou linguistiques, les personnes appartenant à ces minorités ne peuvent être privées du droit d'avoir, en commun avec les autres membres de leur groupe, leur propre vie culturelle, de professer et de pratiquer leur propre religion, ou d'employer leur propre langue. L'
art. 27 Pacte ONU II
ne consacre aucun droit collectif pour les minorités - ethniques, religieuses ou linguistiques - en tant que groupes, mais uniquement un droit individuel - directement invocable devant les tribunaux suisses -, appartenant aux membres de ces groupes, de voir leurs caractéristiques minoritaires respectées et promues (voir l'Observation générale n° 23 du Comité des droits de l'homme se rapportant au Pacte ONU II, in KÄLIN/MALINVERNI/NOWAK, La Suisse et les Pactes des Nations Unies relatifs aux droits de l'homme, 2
e
éd. 1997, p. 550; voir également GIORGIO MALINVERNI, La Suisse et la protection des minorités [art. 27 Pacte II], in KÄLIN/MALINVERNI/NOWAK, op. cit., p. 233 ss). Considérant que les champs d'application de ces deux normes étaient identiques et leur restriction admissible aux mêmes conditions, le Tribunal fédéral a toutefois jugé que l'
art. 27 Pacte ONU II
n'offrait pas de garanties plus étendues que la protection de la vie privée et familiale consacrée à l'
art. 8 CEDH
, en tant que cette disposition protège le mode de vie tzigane (
ATF 129 II 321
consid. 3.4 p. 329; arrêt critiqué par SAMBUC BLOISE, op. cit., p. 216).
5.2
En adhérant à la Convention-cadre du 1
er
février 1995 pour la protection des minorités nationales (RS 0.441.1), la Suisse s'est engagée d'une part à garantir à toute personne appartenant à une minorité nationale le droit à l'égalité devant la loi et à une égale protection de la loi et à interdire toute discrimination fondée sur l'appartenance à une minorité nationale (art. 4 par. 1). Elle s'est engagée d'autre part à promouvoir les conditions propres à permettre aux personnes appartenant à des minorités nationales de conserver et développer leur culture, ainsi que de préserver les éléments essentiels de leur identité que sont leur religion, leur langue, leurs traditions et leur patrimoine culturel (art. 5 par. 1). A l'occasion de la ratification de cette Convention-cadre, la Suisse a fait la déclaration suivante:
La Suisse déclare que constituent en Suisse des minorités nationales au sens de la présente Convention-cadre les groupes de personnes qui sont numériquement inférieurs au restant de la population du pays ou d'un canton, sont de nationalité suisse, entretiennent des liens anciens, solides et durables avec la Suisse et sont animés de la volonté de préserver
BGE 138 I 205 S. 212
ensemble ce qui fait leur identité commune, notamment leur culture, leurs traditions, leur religion ou leur langue.
Dans son message, le Conseil fédéral a, à ce propos, expressément précisé que la Convention-cadre pouvait être appliquée en Suisse aux minorités linguistiques nationales, mais aussi à d'autres groupes minoritaires de la population suisse, comme les membres de la communauté des gens du voyage (Message du 19 novembre 1997 relatif à la Convention-cadre du Conseil de l'Europe pour la protection des minorités nationales, FF 1998 1048 ch. 22; voir également le Rapport initial du gouvernement suisse sur la mise en oeuvre de la Convention-cadre pour la protection des minorités nationales, établi en 2001 à l'intention du Conseil de l'Europe,
http://www.dfae.admin.ch/eda/fr/home/topics/eu/euroc/coeusw/coswtr.html
). Toutefois, la Convention ne contient pas de disposition directement applicable, mais impose aux Etats membres l'adoption de mesures, notamment législatives, visant à protéger l'existence des minorités nationales (voir également GIORGIO MALINVERNI, La Convention-cadre du Conseil de l'Europe pour la protection des minorités nationales, RSDIE 1995 p. 531; Avis de droit de l'Office fédéral de la justice du 27 mars 2002 concernant le statut juridique des gens du voyage en Suisse eu égard à leur qualité de minorité nationale reconnue, JAAC 2002 n° 50 p. 578).
5.3
Contrairement au Pacte ONU II, le texte de la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales du 4 novembre 1950 (CEDH; RS 0.101) ne contient aucune norme garantissant explicitement les droits des minorités. Dans sa pratique, la Cour européenne des droits de l'homme a admis qu'il appartenait aux autorités de prendre en considération l'appartenance à une minorité ethnique ou à un groupe menant un mode de vie distinct de celui de la population majoritaire. En effet, un consensus international se faisait jour au sein des Etats membres du Conseil de l'Europe pour reconnaître les besoins particuliers des minorités et l'obligation de protéger leur sécurité, leur identité et leur mode de vie, et ce non seulement dans le but de protéger les intérêts des minorités elles-mêmes mais aussi pour préserver la diversité culturelle qui est bénéfique à la société dans son ensemble (arrêts de la CourEDH
Chapman contre Royaume-Uni
du 18 janvier 2001,
Recueil CourEDH 2001-I p. 91
§§ 93 et 94). Même si l'appartenance à une minorité ne dispensait pas de respecter les lois destinées à protéger le bien commun, la Cour a considéré que l'
art. 8 CEDH
conférait aux membres d'une
BGE 138 I 205 S. 213
minorité le droit à ce que les autorités prennent en considération leurs besoins spécifiques en raison de leur vulnérabilité en tant que membres de cette minorité, tant dans le cadre réglementaire que lors de la prise de décision dans un cas particulier (arrêts
Chapman
précité, § 96;
Connors contre Royaume-Uni
du 27 mai 2004 § 84;
D.H. et autres contre République Tchèque
du 13 novembre 2007 § 181).
5.4
D'après l'
art. 8 al. 2 Cst.
, nul ne doit subir de discrimination du fait notamment de son origine, de sa race, de son sexe, de son âge, de sa langue, de sa situation sociale, de son mode de vie, de ses convictions religieuses, philosophiques ou politiques ni du fait d'une déficience corporelle, mentale ou physique. On est en présence d'une discrimination selon l'
art. 8 al. 2 Cst.
lorsqu'une personne est traitée différemment en raison de son appartenance à un groupe particulier qui, historiquement ou dans la réalité sociale actuelle, souffre d'exclusion ou de dépréciation. Le principe de non-discrimination n'interdit toutefois pas toute distinction basée sur l'un des critères énumérés à l'
art. 8 al. 2 Cst.
, mais fonde plutôt le soupçon d'une différenciation inadmissible. Les inégalités qui résultent d'une telle distinction doivent dès lors faire l'objet d'une justification particulière (
ATF 137 V 334
consid. 6.2.1 p. 348;
ATF 135 I 49
consid. 4.1 p. 53). La notion de "mode de vie" vise plus particulièrement les groupes de personnes qui, par leur comportement ou leur forme de vie distincts, possèdent une identité propre; cette notion inclut à n'en pas douter la communauté des gens du voyage (ANDREAS RIEDER, Indirekte Diskriminierung - das Beispiel der Fahrenden, in WALTER KÄLIN, Das Verbot ethnisch-kultureller Diskriminierung, 1999, p. 164; BERNHARD PULVER, L'interdiction de la discrimination, 2003, p. 269). On précisera toutefois que le droit à la protection de son mode de vie présente un lien étroit avec le droit au respect de la vie privée et la liberté personnelle, consacrés respectivement aux
art. 13 et 10 Cst.
En tout état de cause, on ne saurait déduire de ces différentes libertés individuelles un droit quelconque à des prestations positives de l'Etat, notamment en matière d'assurance sociale; il appartient bien plutôt au législateur de définir les modalités d'un tel droit (HÄFELIN/HALLER/KELLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7
e
éd. 2008, p. 68 n. 213; sur l'ensemble de la question, voir également arrêt I 750/04 du 5 avril 2006 consid. 4.3 et les références, in SVR 2007 IV n° 1 p. 1).
5.5
L'
art. 8 al. 2 Cst.
interdit non seulement la discrimination directe, mais également la discrimination indirecte. Une telle discrimination
BGE 138 I 205 S. 214
existe lorsqu'une réglementation, qui ne désavantage pas directement un groupe déterminé, défavorise tout particulièrement, par ses effets et sans justification objective, les personnes appartenant à ce groupe (
ATF 126 II 377
consid. 6c p. 393 et les références citées; voir également
ATF 124 II 409
consid. 7 p. 425). Eu égard à la difficulté de poser des règles générales et abstraites permettant de définir pour tous les cas l'ampleur que doit revêtir l'atteinte subie par un groupe protégé par l'
art. 8 al. 2 Cst.
par rapport à la majorité de la population, la reconnaissance d'une situation de discrimination ne peut résulter que d'une appréciation de l'ensemble des circonstances du cas particulier. En tout état de cause, l'atteinte doit revêtir une importance significative, le principe de l'interdiction de la discrimination indirecte ne pouvant servir qu'à corriger les effets négatifs les plus flagrants d'une réglementation étatique (PULVER, op. cit., p. 153; RIEDER, op. cit., p. 161).
6.
6.1
Que ce soit en vertu des engagements pris sur le plan international ou en vertu de la protection offerte par les droits fondamentaux garantis par le droit fédéral, la Suisse reconnaît aujourd'hui le statut de minorité nationale à la communauté suisse des gens du voyage et s'est engagée à permettre à ce groupe de préserver les éléments essentiels de son identité ethno-culturelle. S'il n'est pas le lieu de tracer dans le cas particulier le contour précis de toutes les obligations que cela implique, on peut toutefois affirmer qu'il appartient aux autorités, lorsqu'elles appliquent le droit, de prendre en considération les spécificités et les particularités du mode de vie traditionnel de la communauté tzigane, parmi lesquelles figurent notamment la tradition de l'itinérance.
6.2
Lorsqu'il y a lieu de définir, dans le cadre de l'évaluation du degré d'invalidité, le revenu qu'une personne appartenant à la communauté des gens du voyage et perpétuant la tradition d'itinérance de ce groupe serait capable de réaliser, il ne peut être fait abstraction des particularités intrinsèques de ce mode de vie. Comme on l'a vu, la vie nomade implique des déplacements continuels et réguliers d'un lieu à un autre, ce qui réduit de façon conséquente le champ des activités salariées envisageables (cf. supra consid. 4). Compte tenu de ces spécificités, le recours aux données économiques statistiques, telles qu'elles résultent de l'Enquête suisse sur la structure des salaires - généralement applicables lorsque la personne assurée n'a pas
BGE 138 I 205 S. 215
repris d'activité lucrative après la survenance de l'atteinte à la santé (
ATF 129 V 472
consid. 4.2.1 p. 475) -, singulièrement le revenu auquel peuvent prétendre les femmes effectuant des activités simples et répétitives (niveau 4 de qualification), n'apparaît pas approprié à la situation des membres de la communauté des gens du voyage. En effet, les valeurs issues des données économiques statistiques tiennent compte de l'ensemble des branches économiques en Suisse (à l'exception de l'agriculture), dont la majeure partie exige une vie sédentaire et n'est pas conciliable avec le mode de vie tzigane. Eu égard à la protection accordée à ce mode de vie traditionnel par le droit fédéral et international (cf. supra consid. 5), il n'est pas admissible de considérer comme exigible l'exercice d'une activité salariée qui supposerait la sédentarisation de la personne assurée, la rupture avec sa famille et son mode de vie traditionnel, et, plus largement, un déracinement culturel (voir également arrêt du Tribunal fédéral des assurances I 224/99 du 5 mai 2000 consid. 3c). Il y a par conséquent lieu de constater que le recours aux données économiques statistiques pour évaluer le revenu d'invalide d'une personne appartenant à la communauté des gens du voyage, en tant qu'il contribue à assimiler une personne de ce groupe à la majorité de la population, aboutit indirectement à une discrimination importante, contraire aux droits fondamentaux.
6.3
Compte tenu de ce qui précède, il s'avère que l'évaluation du degré d'invalidité opérée par l'office intimé repose sur des bases erronées. Cela étant, on ne saurait prétendre en l'état qu'il n'existe aucune activité exigible en regard des limitations fonctionnelles de la recourante et de son mode de vie traditionnel. Dans ces conditions, il convient de renvoyer la cause à l'office intimé afin qu'il examine concrètement si et dans quelle mesure la recourante est en mesure de tirer profit de sa capacité de travail dans une activité adaptée à ses limitations fonctionnelles et à ses aptitudes intellectuelles et professionnelles, et compatible avec le mode de vie traditionnel de la communauté des gens du voyage. Il lui appartiendra notamment d'examiner si et dans quelle mesure la recourante pourrait mettre en oeuvre sa capacité résiduelle de travail pendant les quatre mois durant lesquels elle réside de manière continue à X. (cf. arrêt I 750/04 du 5 avril 2006 consid. 5.4 et les références, in SVR 2007 IV n° 1 p. 1). | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d84906bf-7a21-4357-af53-1cee745d496b | Urteilskopf
103 Ia 230
40. Extrait de l'arrêt du 25 mai 1977 dans la cause Association vaudoise des auto-écoles et consorts contre le Conseil d'Etat du canton de Vaud | Regeste
Art. 4 BV
; Beschluss des waadtländischen Staatsrates betr. Führerausweisgebühren, die von der Motorfahrzeugkontrolle erhoben werden; Pauschalcharakter der Abgaben.
Durch die Erhebung einer Pauschalgebühr für alle zur Erlangung eines Führerausweises notwendigen Vorkehren wird diese nicht zur Steuer; die Abgabe darf nicht gegen das Willkürverbot und die Rechtsgleichheit verstossen. | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 103 Ia 230 S. 230
Par arrêté du 14 mai 1976, devant prendre effet le 1er juillet 1976, le Conseil d'Etat du canton de Vaud a abrogé et remplacé l'arrêté du 8 décembre 1972, entré en vigueur le 1er janvier 1973, fixant les émoluments et le tarif des autorisations perçus par le Service des automobiles.
BGE 103 Ia 230 S. 231
L'Association vaudoise des auto-écoles et le Groupement vaudois des écoles de circulation, dont les membres sont moniteurs d'auto-écoles ou maîtres de conduite, ainsi que deux particuliers ont formé un recours de droit public contre ce nouvel arrêté, concluant à l'annulation de certaines de ses dispositions, soit notamment de son article relatif à la demande pour l'obtention d'un permis de conduire, qui violerait l'
art. 4 Cst.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
4.
Les recourantes ne critiquent qu'un seul aspect du nouveau tarif, en ce qui concerne son art. 1er ch. 3, soit le caractère global ou forfaitaire des émoluments. Elles allèguent qu'en réclamant aux conducteurs réussissant l'examen d'emblée et ne demandant pas de prolongation de leur permis d'élève conducteur le même émolument global qu'aux conducteurs qui subissent des échecs et sollicitent des prolongations, l'autorité cantonale leur réclame plus que ce qu'elle peut leur réclamer au titre de l'émolument, car "celui-ci, par définition, doit correspondre au coût de la prestation étatique et non à celle fournie par l'Etat pour des services rendus à d'autres administrés".
a) Mais les recourantes méconnaissent le sens de la jurisprudence à laquelle elles entendent se référer. S'il est exact que, selon cette jurisprudence, le montant des émoluments ne doit pas excéder le coût de la prestation étatique, le Tribunal fédéral a bien précisé qu'il fallait entendre par là le "montant total" des émoluments d'une part et des frais de l'autre (
ATF 99 Ia 540
,
ATF 97 I 204
, 334), mais que l'administration n'était nullement tenue de fixer le prix de chacune des opérations effectuées par elle au coût exact de celle-ci et au travail qu'elle exige. A la condition de respecter le principe de l'interdiction de l'arbitraire et celui de l'égalité de traitement, l'autorité cantonale jouit, pour établir la répartition de la couverture des frais du service intéressé entre les différents administrés, d'un large pouvoir d'appréciation. Pour que la disposition visée puisse être annulée, il faudrait qu'elle ne soit pas fondée sur des principes sérieux et objectifs, qu'elle soit
BGE 103 Ia 230 S. 232
dépourvue de sens et d'utilité ou qu'elle opère des distinctions juridiques que ne justifient pas les faits à réglementer, ou encore, au contraire, qu'elle renonce à opérer des distinctions qui devraient s'imposer étant donné la diversité des situations en cause. Le juge constitutionnel doit limiter son intervention aux cas d'abus de pouvoir ou d'excès de celui-ci et il ne doit pas substituer sa propre appréciation à celle de cette autorité (
ATF 100 Ia 212
, consid. 2 b,
ATF 97 I 204
, 334, arrêts du 2 mars 1977 dans la cause S.I. Les Bouleaux Fribourg S.A., consid. 3 c, et du 27 novembre 1975 dans la cause Raichle Sportschuh A.G., consid. 4). Il n'est d'autre part pas interdit à l'Etat de fixer pour chaque opération le prélèvement d'un émolument forfaitaire (cf. IMBODEN-RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, t. II, No 110, p. 780).
b) Il est certain qu'en l'espèce le régime adopté entraîne une simplification du système comptable de l'administration et par là même une réduction du coût des services de l'Etat, qui profite indirectement aux assujettis. Il entraîne aussi une simplification dans les rapports entre assujettis et administration: l'usager qui désire obtenir un permis de conduire ne doit plus passer à maintes reprises à la caisse du Service des automobiles. Sous l'empire de l'arrêté de 1975, le candidat au permis devait passer plusieurs fois (entre 7 et 9 fois, selon le Conseil d'Etat) à cette caisse, ce qui entraînait pour lui de longues attentes. Le nouveau système, en supprimant dans une large mesure ces attentes, crée une amélioration importante pour l'usager. L'émolument réclamé ne pourrait, dans ces conditions, être considéré comme inconstitutionnel que si son montant dépassait celui qui peut être raisonnablement exigé d'un candidat au permis et était disproportionné avec l'utilité que présente pour lui l'obtention de ce document. Mais tel n'est pas le cas. Si l'on tient compte du fait que l'émolument de 200 fr. réclamé est un émolument global, qui couvre toutes les démarches ultérieures pouvant être en relation avec la demande de permis, comme la prolongation du permis provisoire, un nouvel examen de conduite, l'examen médical pour les conducteurs de plus de 75 ans, les changements d'adresse, l'échange des anciens permis de conduire contre les nouveaux permis qui seront délivrés depuis 1977, on doit constater que cet émolument ne revêt pas un tel caractère disproportionné et l'on peut dès lors attendre de l'intéressé qu'il s'en acquitte.
BGE 103 Ia 230 S. 233
c) Il découle de là qu'en fixant dans l'arrêté attaqué un émolument forfaitaire ou global pour toutes les opérations relatives à une demande pour l'obtention d'un permis de conduire, le Conseil d'Etat n'a pas transformé l'émolument réclamé à ce titre en impôt, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'examiner si les principes auxquels la jurisprudence subordonne la perception d'impôts sont respectés en l'occurrence. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d84ad943-5b32-4f8e-9737-d49d5d554b3e | Urteilskopf
133 V 545
68. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. M. gegen IV-Stelle Luzern sowie Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_237/2007 vom 24. August 2007 | Regeste
Art. 17 Abs. 1 ATSG
;
Art. 41 IVG
(in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002);
Art. 28 Abs. 1 IVG
: Revisionsvoraussetzung eines erheblich geänderten Invaliditätsgrades.
Bei den Renten der Invalidenversicherung kann auch eine geringfügige Änderung des Sachverhalts Anlass zu einer Revision geben, sofern sie zu einer Über- oder Unterschreitung eines Schwellenwertes führt (E. 6 mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung).
Die Revision betrifft Änderungen in den persönlichen Verhältnissen der versicherten Person (gesundheitliche Umstände, erwerbliche Faktoren). Geringfügige Änderungen statistischer Daten führen dagegen nicht zu einer Revision von Invalidenrenten, selbst wenn durch solche Veränderungen ein Schwellenwert über- oder unterschritten wird (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 7). | Erwägungen
ab Seite 546
BGE 133 V 545 S. 546
Aus den Erwägungen:
6.
6.1
Eine Revision der Invalidenrente setzt voraus, dass sich der Invaliditätsgrad erheblich ändert (
Art. 17 Abs. 1 ATSG
). Sie kann nicht nur bei einer Änderung des Gesundheitszustandes, sondern auch bei einer Veränderung der erwerblichen Komponente erfolgen. Geht man mit der Beschwerdeführerin beim neuen Einkommensvergleich wie bei demjenigen gemäss Verfügung vom 22. September 2003 vom Wert gemäss der Tabelle TA1 "Total Privater Sektor" der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) aus, so ergibt sich ein Invaliditätsgrad
BGE 133 V 545 S. 547
von 59,7 % gegenüber 59,45 % in der ursprünglichen Verfügung. Die absolute Änderung von 0,25 % ist als solche nicht erheblich. Sie würde sich allerdings rentenwirksam auswirken, indem sich auf Grund der Rundungsregeln (vgl.
BGE 130 V 121
E. 3.3 S. 123 f.) neu ein Invaliditätsgrad von 60 % anstatt 59 % ergäbe und damit eine Dreiviertelsrente an Stelle einer halben Rente resultierte. Fraglich und zu entscheiden ist, ob eine absolut gesehen geringe Änderung des Invaliditätsgrades, die sich aber rentenwirksam auswirken würde, "erheblich" im Sinne von
Art. 17 Abs. 1 ATSG
ist.
6.2
Bei den prozentgenauen Renten (Unfallversicherung nach UVG, Militärversicherung) wird Erheblichkeit einer Änderung angenommen, wenn sich der Invaliditätsgrad um 5 % ändert (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 267/05 vom 19. Juli 2006, E. 3.3; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, N. 15 zu
Art. 17 ATSG
; JÜRG MAESCHI, Kommentar zum Militärversicherungsgesetz, Bern 2000, N. 15 f. zu
Art. 44 MVG
). In der Invalidenversicherung, wo die Rente abgestuft nach gewissen Schwellenwerten bemessen wird (
Art. 28 Abs. 1 IVG
), galt unter aArt. 41 IVG als Anlass zur Rentenrevision jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den Rentenanspruch zu beeinflussen (
BGE 130 V 343
E. 3.5; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts I 708/03 vom 3. Januar 2005, E. 3; I 238/02 vom 20. März 2003, publ. in: SVR 2003 IV Nr. 25 S. 76). Demgemäss konnte auch eine Änderung des Invaliditätsgrades von beispielsweise 2 % Anlass zu einer Revision geben, wenn dadurch die Schwelle zu einer höheren oder tieferen Rente überschritten wurde (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 571/03 vom 9. Januar 2004, E. 3.1).
6.3
Art. 17 ATSG
wollte an der bisherigen Rechtsprechung nichts ändern (
BGE 130 V 343
E. 3.5.4 S. 352). Dafür spricht nebst der historischen (KIESER, ATSG-Kommentar, N. 1, 7 und 8 zu
Art. 17 ATSG
) auch die systematische Auslegung: Während Abs. 1 von Art. 17 auf die erhebliche Änderung des Invaliditätsgrades abstellt, verlangt Abs. 2 eine erhebliche Änderung des Sachverhalts. Daraus lässt sich folgern, dass im Rahmen von Abs. 1 keine erhebliche Änderung des Sachverhalts verlangt ist, sondern eine erhebliche Änderung des Invaliditätsgrades auch dann genügt, wenn sie auf eine geringfügige Änderung des Sachverhalts zurückzuführen ist; dabei kann Erheblichkeit - resultatbezogen - bereits dann angenommen werden, wenn die prozentuale Veränderung zwar nicht gross ist, aber zum Überschreiten des Schwellenwertes führt. Auch
BGE 133 V 545 S. 548
die Lehre bejaht mehrheitlich eine Revision bei geringfügigen Änderungen des Invaliditätsgrades, sofern sie rentenrelevant sind (KIESER, ATSG-Kommentar, N. 15 zu
Art. 17 ATSG
; KIESER, in: Schaffhauser/Schlauri, Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, S. 57 f.; THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, S. 255 Rz. 9; JEAN-LOUIS DUC, L'assurance-invalidité, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., S. 1496 Fn. 335; jedoch kritisch gegenüber Revisionen bei geringfügigen Änderungen namentlich der nicht-gesundheitlichen Faktoren FRANZ SCHLAURI, Die Militärversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., S. 1117).
7.
Nach dem Gesagten ist daran festzuhalten, dass im Rahmen von
Art. 17 Abs. 1 ATSG
bei den auf Schwellenwerten beruhenden Renten der Invalidenversicherung auch eine geringfügige Änderung des Sachverhalts Anlass zu einer Revision geben kann, sofern sie zu einer Überschreitung des Schwellenwertes führt.
7.1
Dabei bedarf es der folgenden Differenzierung: Das Institut der Revision ist von seinem Sinn und Zweck her zugeschnitten auf Änderungen in den persönlichen Verhältnissen der versicherten Person. Dazu gehören nebst den gesundheitlichen Umständen auch die erwerbsmässigen Faktoren, wenn sie sich im konkreten Fall ändern. Vorliegend ist die Änderung des Invaliditätsgrades jedoch nicht auf Veränderungen im konkreten Umfeld der versicherten Person zurückzuführen, sondern allein auf eine Änderung in den statistischen Gegebenheiten, indem die statistischen LSE-Tabellenlöhne TA1 ("Total Privater Sektor", Anforderungsniveau 4 Frauen) zwischen 2002 und 2004 weniger stark zugenommen haben als der Nominallohnindex, auf welchem die Aufrechnung des hypothetischen Valideneinkommens beruht, und zudem der Tabellenlohn im Jahre 2004 nicht mehr auf 41,7, sondern nur noch auf 41,6 Stunden umgerechnet wird. Derartige rein extern verursachte Veränderungen widerspiegeln nicht persönliche Verhältnisse der versicherten Person, sondern allgemeine wirtschaftliche Entwicklungen, mit denen Gesunde wie Invalide stets rechnen müssen (vgl. SCHLAURI, a.a.O., S. 1117).
7.2
Hinzu kommt das praktische Problem, dass Änderungen der genannten Art alle zwei Jahre beim Erscheinen neuer LSE-Werte auftreten können. Würde dies allein als Revisionsgrund genügen,
BGE 133 V 545 S. 549
so wären grundsätzlich alle zwei Jahre sämtliche Renten, die im Grenzbereich eines Schwellenwertes liegen, daraufhin zu überprüfen, ob sich auf Grund der geänderten statistischen Daten der Invaliditätsgrad erheblich geändert hat. Es liegt auf der Hand, dass dies zu einem unverhältnismässigen Aufwand führen würde. Würde eine solche Überprüfung nur bei besonderem Anlass vorgenommen (zum Beispiel wenn wie hier eine Änderung des Gesundheitszustandes beantragt und untersucht wird), so entstünde die Gefahr einer rechtsungleichen Behandlung, ebenso wenn die Änderung nur auf Antrag erfolgte. Zudem liesse sich so möglicherweise der Aufwand nicht entscheidend verringern, weil damit zu rechnen wäre, dass Versicherte systematisch solche Anträge stellen würden.
7.3
Die Rechtsprechung ist deshalb dahingehend zu präzisieren, dass geringfügige Änderungen allgemeiner statistischer Daten, die ausserhalb des Umfelds der versicherten Person liegen, nicht zu einer Revision von Invalidenrenten führen, selbst wenn durch solche Veränderungen der Schwellenwert über- oder unterschritten würde. Dies gilt gleichermassen für die Begründung oder Erhöhung eines Rentenanspruchs wie für eine Reduktion oder Aufhebung. Im Durchschnitt ändert eine solche Praxis nichts zu Gunsten oder zu Ungunsten der Versicherten. Im Einzelfall wird sie sich freilich entweder zu Gunsten oder zu Ungunsten der versicherten Person auswirken; doch ist dies im Interesse einer praktikablen Handhabung in Kauf zu nehmen. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d84e3bdb-c84c-4b64-92f0-171e6a14e7da | Urteilskopf
104 II 202
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. September 1978 i.S. N. gegen W. und Erbengemeinschaft S. | Regeste
Art. 254 Abs. 1 OR
; Übergabe der Mietsache in geeignetem Zustand.
1. Umbau- und Renovationsarbeiten zulasten des Mieters widersprechen dem
Art. 5 BMM
nicht, wenn sie bei der Festsetzung des Mietzinses berücksichtigt werden (E. 3).
2. Sie begründen auch keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, wenn der Mieter einen auf zehn Jahre fest vereinbarten Vertrag schon im ersten Jahre bricht (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 202
BGE 104 II 202 S. 202
Erwägungen:
3.
Der Beklagte hat die Mieträume, in denen er ein Handelsgeschäft einrichtete, im Einverständnis mit den Klägern auf eigene Kosten renoviert und nach seinen Wünschen umgebaut. Der Appellationshof verweigerte ihm einen Vergütungsanspruch, weil diese Kosten bei der Festsetzung des Mietzinses berücksichtigt worden seien, der Beklagte auch weniger Mietzins bezahlt habe als sein Vorgänger und nicht einmal behaupte, dass er die Aufwendungen im Auftrage der Kläger gemacht habe oder diese sich zum Ersatz verpflichtet hätten.
Der Beklagte wirft dem Appellationshof vor, damit
Art. 254 Abs. 1 und 20 OR
verletzt zu haben. Er macht geltend, die Verpflichtungen des Vermieters aus
Art. 254 Abs. 1 OR
dürften gemäss
Art. 5 BMM
vertraglich weder wegbedungen noch zuungunsten des Mieters abgeändert werden. Im vorliegenden Fall hätten sich die Mieträume erst nach seinen Renovationsarbeiten in einem vertragsgemässen Zustand befunden, was nach SCHMID (N. 14 und 15 zu
Art. 254 OR
) zu berücksichtigen sei. Seine Verpflichtung zu diesen Leistungen widerspreche dem
BGE 104 II 202 S. 203
Art. 254 Abs. 1 OR
und sei daher nichtig oder wenigstens teilweise nichtig.
Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, wieviel der Beklagte für eigentliche Renovationsarbeiten, d.h. für die an sich den Klägern obliegende Behebung von Sachmängeln, und wieviel er für die von ihm gewünschten Umbauten ausgelegt hat. Soweit es um Umbauarbeiten geht, kann er sich zum vorneherein nicht auf das Verbot des
Art. 5 BMM
berufen; mangels Zusage wurden die Kläger so oder anders nicht zum Ersatz der Kosten oder zu einer Entschädigung verpflichtet, mögen sie die Umbauarbeiten auch bewilligt haben (SCHMID, N. 16 zu
Art. 263 OR
). Dazu kommt, dass
Art. 5 BMM
eine Änderung der gesetzlichen Regelung nach
Art. 254 Abs. 1 OR
nur zuungunsten des Mieters untersagt. Von einer solchen Änderung kann hier aber nicht die Rede sein, weil die vom Mieter erbrachten Leistungen bei der Festsetzung des Mietzinses berücksichtigt worden sind und der Beklagte nicht behauptet, dass dadurch kein zulänglicher Ausgleich geschaffen worden sei. Damit ist nicht nur der angeblichen Nichtigkeit des Mietvertrages, sondern auch den weitern Folgerungen, die der Beklagte aus dieser Einrede ziehen will, die Grundlage entzogen.
4.
Der Beklagte macht schliesslich geltend, er habe gegen die Kläger selbst dann, wenn
Art. 20 OR
nicht anwendbar sei, einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäss
Art. 63 ff. OR
. Der Appellationshof hat auch einen solchen Anspruch verneint, weil der Beklagte das Mietverhältnis ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes vorzeitig aufgelöst habe und sich deshalb nicht auf Treu und Glauben berufen könne.
Der Beklagte hält dem entgegen, die Bereicherung und sein daheriger Anspruch würden nach
BGE 54 II 427
nicht dadurch aufgehoben, dass er die Verwirklichung eines langjährigen Mietverhältnisses selber verhindert habe. Das wird im angeführten Entscheid allerdings gesagt, lässt sich aber schon angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Dort haben die Parteien, sei es auch in beidseitiger Erwartung eines längeren Mietverhältnisses, einen Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, der auf drei Monate gekündigt werden konnte und vom Mieter in zulässiger Weise aufgelöst worden ist. Hier ist dagegen ein auf zehn Jahre fest vereinbarter Vertrag vom Beklagten schon im
BGE 104 II 202 S. 204
ersten Jahr gebrochen worden. In jenem Fall hat der Mieter zudem, insbesondere durch den Einbau einer Zentralheizung und durch die Verbesserung elektrischer Installationen, Änderungen von erheblicher allgemeiner Bedeutung vorgenommen, während es hier vor allem um räumliche Anpassungen oder Einrichtungen ging, die auf die besondern Bedürfnisse des Beklagten ausgerichtet waren. Das eine wie das andere rechtfertigt unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine von
BGE 54 II 426
/7 abweichende Beurteilung, wie sie dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt.
Ein allfälliger Bereicherungsanspruch des Mieters wäre übrigens nicht der Summe seiner Aufwendungen gleichzusetzen. Er bestände jedenfalls nur sofern und soweit die Mietsache durch die angebrachten Änderungen eine Wertvermehrung erfahren hat. Dass dies hier der Fall gewesen sei, tut der Beklagte nicht dar. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d8518e80-b54e-4b49-bce1-70b029de72dd | Urteilskopf
109 IV 99
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Dezember 1983 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 117 StGB
. Verkehrssicherungspflicht für Skipisten.
1. Die Verkehrssicherungspflicht einer Skiliftunternehmung für die dem Publikum zur Verfügung gestellten Pisten bezieht sich räumlich sowohl auf die präparierte Verkehrsfläche wie auch auf unmittelbar anstossendes, offenes und übersichtliches, für den Skilauf an und für sich geeignetes Gelände.
2. Ein problemlos traversierbares Skilifttrassee kann unter solchen Umständen in der Regel nicht als Begrenzung der Piste betrachtet werden. | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 109 IV 99 S. 99
A.-
Am 3. April 1981 gegen 10.15 Uhr fuhr eine Gruppe von sechs Skifahrern von der Bergstation des Balmeregghornskiliftes in Richtung Talstation. Im oberen Streckenteil fuhren sie den links der Skiliftanlage gelegenen Steilhang hinunter, überquerten die Schleppspur des Skiliftes und gelangten auf die offizielle Piste rechts desselben. Kurz danach kreuzten sie erneut die Schleppspur, um schliesslich den restlichen Streckenteil bis zur Talstation wiederum ausserhalb der Piste, in der Fahrrichtung links vom Skilift zurückzulegen. Der die Gruppe anführende A., der den letzten, flach abfallenden Teil in der Hocke fuhr, stiess mit einem quer zum Abfahrtshang gespannten Heutransportseil zusammen. Er erlag noch auf der Unfallstelle den erlittenen Verletzungen.
Das 12 mm dicke Stahlseil war 90 m oberhalb der Talstation und 30 m neben der Schleppspur des Skiliftes im Boden verankert und
BGE 109 IV 99 S. 100
führte leicht ansteigend zum gegenüberliegenden Hang. Die Verankerung war mit einem schwarz-gelben Lattenkreuz markiert; die Kollision ereignete sich ca. 10 m daneben, wo das Seil, welches keine Markierung trug, eine Höhe von ca. 80 bis 105 cm aufwies.
B.-
Am 3. März 1983 verurteilte das Kantonsgericht Obwalden den Betriebsleiter X. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 150.-- mit bedingter Löschung nach einer Probezeit von einem Jahr. Das Obergericht des Kantons Obwalden hat mit Urteil vom 26. August 1983 die Appellation des Angeschuldigten abgewiesen und das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich bestätigt.
C.-
X. führt gegen das obergerichtliche Urteil eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung und Freisprechung des Angeschuldigten an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer anerkennt die grundsätzliche Pflicht der Verantwortlichen des Balmeregghornskiliftes, die für die Sicherheit der Pistenbenützer notwendigen Vorkehren zu treffen. Zur Entscheidung gestellt ist die Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich dieser Verkehrssicherungspflicht. In dieser Hinsicht wird geltend gemacht, bei der von A. befahrenen Strecke handle es sich - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - nicht um eine dieser Pflicht unterliegende Nebenfläche einer Skipiste.
a) Unbestrittenermassen beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht nicht strikte auf die präparierte Fahrspur. Wie weit dieser Bereich in räumlicher Hinsicht geht, hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles ab (
BGE 101 IV 399
). Dabei ist davon auszugehen, dass eine genaue Begrenzung der Skipiste in vielen Fällen kaum möglich ist, da die Spur bei entsprechenden Gelände- und Schneeverhältnissen durch häufiges Befahren bis auf ein Mehrfaches der präparierten Fahrbahn ausgeweitet werden kann. Natürliche Begrenzungen können sich aus den Geländeverhältnissen ergeben (Waldränder, Einschnitte etc.). Schwieriger wird diese Grenzziehung, wenn keine natürlichen Begrenzungen bestehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mühelos von der eigentlich präparierten Fahrbahn auf offenes und übersichtliches, von Hindernissen freies und für den Skilauf an und für sich geeignetes Gelände gefahren werden kann. Bei solchen Verhältnissen
BGE 109 IV 99 S. 101
kann erfahrungsgemäss besonders im Gebiet einer Talstation häufig überhaupt nicht mehr von einer eigentlichen Fahrspur gesprochen werden, da die Skiläufer eine ausgedehnte Fläche benützen. Ein problemlos traversierbares Skiliftrassee kann unter solchen Umständen in der Regel nicht als künstliche Begrenzung der Piste betrachtet werden, da es nicht als solche erkennbar und seine Funktion eine völlig andere ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn jenseits des Liftes Skispuren erkennbar sind.
b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz verläuft die markierte und maschinell präparierte Skipiste in ihrer ganzen Länge rechts von der Skiliftanlage. Im oberen Teil wird sie häufig durch Befahren seitlich bis zur Schleppspur des Liftes ausgeweitet; bei entsprechenden Schneeverhältnissen wird auch über den links vom Skilift abfallenden Hang hinunter gefahren. Im mittleren Teil führt die markierte Piste, sich aus topographischen Gründen bis auf wenige Meter verengend, streckenweise praktisch an das Lifttrassee heran, währenddem sie sich im unteren Teil zunächst auf der rechten Seite davon entfernt, um allmählich, sich erneut verbreiternd, die Talstation zu erreichen. Je nach den Schneeverhältnissen kann der Pistenrand im oberen und unteren Streckenteil stark variieren. Die Unfallstelle befindet sich 90 m oberhalb der Talstation, 40 m links vom Skilift und dieser ca. 50 m vom Rand der markierten Piste entfernt. Der Unfall ereignete sich demnach ausserhalb der präparierten Piste.
Das links des Skiliftes gelegene Gelände stellt im unteren Teil eine offene, übersichtliche und bis zur Talstation leicht abfallende Fläche dar. Da keine Hindernisse bestehen (Steine, Felsblöcke, Abschrankungen etc.), kann das Lifttrassee auf weiten Strecken mühelos überquert werden. Insbesondere zwischen den Masten drei und fünf (in deren Bereich sich auch die Unfallstelle befindet) besteht die verlockende Möglichkeit, die präparierte Piste zu verlassen, um in das - insbesondere im Frühling - ideal erscheinende Gebiet auf der linken Seite des Skiliftes zu gelangen. Das Kantonsgericht stellte denn auch fest, dass sich immer wieder Skifahrer im Gefahrenbereich des Heuseils aufhielten.
Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie davon ausging, die Unfallstelle liege in der der Verkehrssicherungspflicht unterliegenden Nebenfläche der Skipiste. Daran ändert die Tatsache nichts, dass der nächstgelegene, präparierte Pistenrand 90 m entfernt ist. Gerade im Bereich der Talstation, die sich im konkreten Fall nur ca. 90 m unterhalb der
BGE 109 IV 99 S. 102
Unfallstelle befindet, erfahren Skipisten bei entsprechenden Verhältnissen häufig eine besonders weitgehende Ausdehnung, welche die erwähnte Distanz ohne weiteres erreichen oder überschreiten kann. Der Beschwerdeführer beruft sich im weiteren darauf, ein das Kreuzen von Piste und Skilift anzeigendes Signal sei nicht angebracht gewesen, was dem Verunglückten hätte andeuten müssen, er verlasse die markierte Fahrbahn. Damit verkennt er aber, dass das in einem solchen Fall allenfalls zu verwendende Signal 9a die grundsätzlich nicht ungefährliche Situation beim Kreuzen mit einem Skilift entschärfen soll, indem es den Fahrer ermahnt, besonders vorsichtig zu traversieren. Das Fehlen eines solchen Signals verbietet jedoch das Überqueren des Lifttrassees im offenen Gelände nicht. Wenn der Beschwerdeführer schliesslich geltend macht, im Gebiet Melchsee-Frutt lasse sich "praktisch überall" fahren, und eine umfassende Markierung und Sicherung sei unmöglich und unverhältnismässig, so ist ihm entgegenzuhalten, dass im konkreten Fall nur das Gebiet direkt neben dem Skilift und unmittelbar vor der Talstation in Frage steht. Eine ausreichende Signalisation hätte für dieses Gelände, wo immer wieder, und nicht nur gelegentlich gefahren wird, und wo sich zudem ein den Verantwortlichen bekanntes, überaus gefährliches und in früheren Jahren entsprechend gesichertes Heuseil befand, mit geringem Aufwand erstellt werden können. Dies wurde nach dem Unfall denn auch unverzüglich nachgeholt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d856a547-ff61-4dfc-84ce-93cae3ede103 | Urteilskopf
110 Ib 185
30. Arrêt de la Ire Cour de droit public du 28 mars 1984 dans la cause dame V. contre Office fédéral de la police (recours de droit administratif) | Regeste
Auslieferung; Staatsvertrag zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika.
Auslegung des in Art. II Ziff. 3 des Vertrages enthaltenen Begriffs der "Erpressung". | Sachverhalt
ab Seite 185
BGE 110 Ib 185 S. 185
Dame V. a formé un recours de droit administratif contre la décision de l'Office fédéral de la police du 3 janvier 1984, qui accordait son extradition aux autorités américaines. Tout en contestant les faits à l'origine de la demande d'extradition, elle soutenait notamment que le traité conclu le 14 mai 1900 entre la Suisse et les Etats-Unis d'Amérique (RS 0.353.933.6) n'était pas applicable en l'espèce, parce que l'infraction de chantage, au sens de l'art. 156 ch. 1 al. 2 CP, ne figurait pas dans la liste des délits extraditionnels contenue à l'art. II du traité.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours et autorisé l'extradition.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
aa) Dans sa teneur initiale du 14 mai 1900, l'art. II ch. 3 du traité concernait les infractions de "vol commis à l'aide de la violence ou de l'intimidation, vol commis de nuit avec effraction ou escalade, effraction ou escalade dans une maison ou un magasin". C'est par le traité additionnel du 31 janvier 1940 que le mot "extorsion" a été introduit dans ce paragraphe entre les deux premières infractions qui y sont indiquées. Selon la
BGE 110 Ib 185 S. 186
recourante, cette adjonction ne comprendrait que l'extorsion au sens étroit, c'est-à-dire dans l'acception donnée à ce terme par l'art. 156 ch. 1 CP, à l'exclusion du chantage au sens de l'al. 2 de cette disposition du droit interne.
Cette opinion trouve, à première vue, un certain appui dans le message adressé aux Chambres par le Conseil fédéral au sujet de sa demande de ratification du traité additionnel (FF 1940 p. 709/710). La modification du traité a en effet été demandée par le Gouvernement américain dans le but, avant tout, de mieux combattre l'enlèvement et la séquestration de personnes mineures ou majeures des deux sexes, en vue de l'extorsion d'une rançon. Le complètement du ch. 3 de l'art. II du traité était ainsi lié à la modification de son ch. 9 dans lequel les termes de "rapt et d'enlèvement de mineurs" ont été remplacés par ceux de "traite des femmes et des enfants, séquestration définie comme la détention ou l'emprisonnement illégal d'une personne ou autre privation illégale de sa liberté et enlèvement". La référence à cet élément particulier des travaux préparatoires n'est cependant pas décisive. On peut en effet raisonnablement penser que la volonté délibérée du législateur de limiter l'extradition à l'extorsion au sens étroit, pour en exclure le chantage, se serait traduite par une précision expresse dans le traité. Au moment où celui-ci était amendé, le Code pénal suisse était adopté depuis plus de deux ans. Or, selon la note marginale de l'art. 156 CP, la terminologie alémanique ("Erpressung") et italienne ("estorsione") est identique pour l'extorsion au sens étroit et pour le chantage, le législateur fédéral ayant clairement défini le chantage comme une forme particulière d'extorsion et lui ayant appliqué le même traitement que celui auquel est soumise l'extorsion proprement dite (cf. THORMANN/VON OVERBECK, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Band II p. 120-123; HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, besonderer Teil, erste Hälfte, p. 288-290; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, Partie spéciale, vol. I, p. 177-180; SCHWANDER, das schweizerische Strafgesetzbuch p. 359/360; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, besonderer Teil I, p. 247 ss). Certes, en langue française, la note marginale de l'art. 156 CP distingue extorsion et chantage. Au vu, en particulier, de l'identité de traitement dans un même paragraphe de ces deux formes d'un même délit, cette distinction apparaît toutefois comme étant de pure forme et dictée par de simples préoccupations descriptives ou traditionnelles.
D'un autre côté, les dispositions du droit américain réprimant
BGE 110 Ib 185 S. 187
le chantage et les actes connexes, qui sont reproduites dans la documentation extraditionnelle, démontrent clairement que le législateur américain considère lui aussi le chantage comme une forme d'extorsion. Au regard du contenu matériel du droit interne des deux Etats, le fait que le français est, de même que l'anglais, la langue officielle du traité ne suffit pas à établir que les auteurs de cette convention bilatérale ont voulu exclure le chantage du nombre des délits extraditionnels. Une telle exclusion serait d'ailleurs d'autant moins compréhensible en ce qui concerne la Suisse que, dans la version allemande et italienne du traité, le législateur a employé la même terminologie que dans le Code pénal, le terme "extorsion" étant traduit respectivement par "Erpressung" et "estorsione".
cc) Il ressort des considérations qui précèdent que le terme "extorsion" contenu à l'art. II ch. 3 est bien un vocable générique, qui comprend à la fois l'extorsion au sens étroit de l'art. 156 ch. 1 al. 1 CP et le chantage au sens de l'al. 2 de cette disposition. Le recours doit dès lors être rejeté dans la mesure où il prétend que le délit de chantage ne serait pas un délit extraditionnel. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d856cb16-da5f-4807-9f65-74867b97f1a5 | Urteilskopf
97 IV 233
43. Arrêt de la cour de cassation pénale, du 1er octobre 1971, dans la cause Schwab contre Ministère public du canton de Neuchâtel. | Regeste
Liquidation et opérations analogues; loi plus favorable: Art. 2 al. 2 et art. 3 OL; art. 2 al. 2 CP.
1. Confirmation de la jurisprudence concernant les ventes spéciales dites "actions". Consid. 1.
2. Lorsque la loi est modifiée entre les prononcés du juge de répression et du juge de cassation et que le premier jugement est cassé, le juge auquel la cause est renvoyée doit examiner si la loi nouvelle est plus favorable à l'inculpé. Consid. 2.
3. L'art. 2 al. 2 CP s'applique aussi en cas de modification d'une disposition administrative d'une loi qui comprend aussi des dispositions pénales (changement de jurisprudence). Consid. 3. | Sachverhalt
ab Seite 233
BGE 97 IV 233 S. 233
A.-
Le 8 juin 1970, Schwab a été dénoncé au juge pénal pour avoir placé devant son magasin d'alimentation deux panneaux portant les inscriptions: "Action de riz Benz" et
BGE 97 IV 233 S. 234
"Action Incarom". Le 8 septembre 1970, le Tribunal de police de Neuchâtel l'a libéré du chef de contravention aux
art. 1er à 4
et 20 OL, considérant que, vu l'évolution des habitudes dans le commerce, le mot "action" ne peut plus être considéré comme suggérant l'offre d'un avantage momentané et n'est plus de nature à tromper le consommateur.
B.-
Le 12 mai 1971, la Cour de cassation pénale du canton de Neuchâtel a renvoyé la cause au juge de première instance, considérant que la vente spéciale désignée par le mot "action" constitue une opération semblable à une liquidation, mais que l'inculpé ayant pu ignorer qu'il commettait une infraction en utilisant ce terme sans y avoir été autorisé, il appartiendra au juge de première instance de résoudre cette question de fait et, en cas de réponse affirmative, d'examiner s'il faut appliquer à l'inculpé l'art. 20 CP (erreur de droit).
C.-
Contre cet arrêt, Schwab s'est pourvu en nullité. Il conclut à libération
D.-
Le Ministère public du canton de Neuchâtel conclut au rejet du pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant conteste tout d'abord la jurisprudence de la cour de céans, selon laquelle celui qui annonce publiquement une "action" pour un produit donné éveille en général l'impression, chez le lecteur moyen, en Suisse, qu'il organise une vente spéciale pendant laquelle il accorde exceptionnellement des avantages momentanés (RO 90 IV 111 consid. 2;
93 IV 108
; arrêt du 17 mars 1964 en la cause Appenzeller, non publié). La cour de céans ne saurait suivre le recourant lorsqu'il affirme que l'acception du terme "action", dans le public suisse, ne serait plus ce qu'elle était naguère encore; que, par les ventes du type "discount", qui sont admises partout, on offre des avantages momentanés et que les différences dans la pratique des divers cantons, touchant les "actions", mettent les commerçants neuchâtelois dans une situation difficile. Premièrement, elle ne voit pas que le terme "action" ait changé de sens. Secondement, saisie d'un pourvoi en nullité, elle ne saurait se prononcer sur des allégations de fait touchant la nature des ventes "discount". Enfin les différences de pratique qui peuvent exister d'un canton à l'autre ne l'autorisent nullement à solliciter le sens des mots et de la loi.
BGE 97 IV 233 S. 235
Il suit de là que, dans la mesure où l'art. 2 al. 2 OL lui est applicable, le recourant doit être condamné, comme l'a admis en principe la cour neuchâteloise. Sur ce point, l'arrêt entrepris est conforme au droit fédéral.
2.
a) Schwab conteste cependant que la disposition précitée s'applique dans son cas. En effet, dit-il, le 15 mars 1971, le Conseil fédéral a modifié l'art. 3 de son ordonnance du 16 avril 1947 sur les liquidations et opérations analogues, soustrayant désormais à l'application de l'ordonnance notamment toutes les ventes spéciales de denrées alimentaires. Il estime que la Cour de cassation neuchâteloise, qui était saisie de la cause, le 1er mai 1971, lorsque le nouveau texte est entré en vigueur, aurait dû le lui appliquer en tant que loi plus douce, alors qu'elle l'a ignoré (art. 2 al. 2 CP).
b) Le Ministère public conteste cette argumentation. Selon l'arrêt Schmucki (RO 76 IV 259), qu'il invoque, c'estle prononcé du juge de répression qui constitue la mise en jugement au sens de l'art. 2 al. 2 CP, de sorte que, seule, peut être appliquée à titre de loi plus douce, celle qui est entrée en vigueur avant ce jugement. Il s'ensuit que la cour de céans, n'étant pas juge de répression, mais seulement de cassation, ne peut en principe tenir compte du changement de la loi applicable, survenu entre le prononcé du juge de répression et son propre arrêt. Elle doit se contenter de rechercher si le juge de répression a bien appliqué le droit fédéral en vigueur au moment où il s'est prononcé. Lorsque le juge cantonal de seconde instance n'est pas non plus juge de répression, mais a le même pouvoir d'examen que la cour de céans, saisie d'un pourvoi en nullité, il se trouve, du point de vue de l'art. 2 al. 2 CP, dans la même situation qu'elle. Il doit seulement rechercher si le juge de répression a correctement appliqué le droit en vigueur au moment où il s'est prononcé.
c) Lorsque cette question appelle l'affirmative, le jugement de répression subsiste. Dans la négative, cependant, il est cassé, de sorte que la procédure est ramenée au point où elle était avant le prononcé du juge de la répression et que l'inculpé se trouve dans la même situation que s'il n'avait jamais été mis en jugement selon l'art. 2 al. 2 CP; le juge auquel la cause est renvoyée devra alors, le cas échéant, tenir compte de la loi nouvelle, entrée en vigueur entre le moment où le jugment cassé est intervenu et le moment où il prononce la nouvelle sentence, considérée comme seule mise en jugement. Si cette entrée en
BGE 97 IV 233 S. 236
vigueur est antérieure à l'arrêt sur recours, le juge de cassation devra, pour que son renvoi soit conforme au droit, non se prononcer sur l'application de l'art. 2 al. 2 CP (car l'application de l'une et l'autre loi au cas particulier relève du juge de répression), mais enjoindre à ce juge de le faire et, au besoin, l'instruire sur l'interprétation de cette règle.
d) Dans la présente espèce, le nouveau texte de l'art. 3 al. 1 OL est entré en vigueur entre le prononcé du Tribunal de police et celui de la Cour de cassation cantonale. Ladite cour, ayant annulé le jugement de première instance, devait tenir compte de la loi nouvelle et ordonner au nouveau juge d'examiner si l'art. 2 al. 2 CP était applicable. Or elle n'en a rien fait et cette lacune, qui constitue une violation du droit fédéral, impose l'annulation de l'arrêt attaqué.
3.
L'intimé objecte que l'art. 3 OL constitue une disposition administrative, non pénale, ce qui, nonobstant sa modification, exclut l'application de l'art. 2 al. 2 CP. Le Tribunal fédéral a jugé, dans son arrêt Lischer (RO 89 IV 113), que la modification des dispositions administratives d'une loi qui comprend aussi des dispositions pénales ne saurait appeler l'application de l'art. 2 al. 2 CP. En effet, a-t-il dit, une exception au principe de la non-rétroactivité de la loi pénale ne se justifie que lorsque, les conceptions juridiques ayant changé, on tient désormais tel acte qui, précédemment, tombait sous le coup de la loi pénale, pour non punissable ou pour moins grave. Lorsque ce changement de conception entraîne une modification de la loi, on fait tomber sous le coup de la loi nouvelle, par équité, les actes commis sous l'empire de la loi ancienne, mais jugés seulement après l'entrée en vigueur de la première. Ce principe, selon la jurisprudence rappelée plus haut, ne saurait s'appliquer aux dispositions administratives - et spécialement à celles qui règlent la circulation routière - parce que de telles règles, à la différence des textes proprement pénaux, ne peuvent être considérées comme plus ou moins graves, mais seulement comme plus ou moins opportunes.
En posant ce principe, la cour de céans avait, en réalité, modifié une jurisprudence antérieure (arrêt Landry, du 2 juin 1948, non publié) et confirmée à plusieurs reprises (arrêt Lang, du 27 janvier 1950: RO 76 IV 52; arrêt Bourquin, du 3 juin 1955, non publié; arrêt Brüllmann, du 3 septembre 1957, non publié; arrêt Leinmann, du 28 février 1963: RO 89 IV 36, consid. 2; un
BGE 97 IV 233 S. 237
seul arrêt fait exception, l'arrêt Demierre du 9 mai 1951, mais il émane de la délégation de la Cour de cassation pénale; ses motifs sont donc sommaires et il ne discute, ni même ne mentionne l'arrêt Lang, publié précédemment). La cour entend y revenir aujourd'hui, ayant soumis les motifs de l'arrêt Lischer à un nouvel examen.
Dans les lois administratives on trouve des dispositions qui règlent certains comportements, qu'elles imposent ou interdisent. Sous cet aspect, il s'agit de dispositions administratives. Mais les mêmes règles ont aussi un aspect pénal lorsque la loi comporte une ou plusieurs dispositions qui punissent les manquements aux injonctions ou aux interdictions qu'elle contient. Les premières sont alors inséparables des secondes. Car la règle pénale n'existe et ne peut être conçue que par rapport à l'ensemble (SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2e éd., p. 14 no 21 i.f.; SCHULTZ, RJB 1965 p. 6 ss.). Les secondes, du reste, se réfèrent expressément aux premières. Par conséquent, même si la règle administrative est appréciable, non pas selon sa gravité, mais seulement selon son opportunité, il n'en reste pas moins que, sous son aspect pénal, c'est-à-dire considérée comme une unité avec celle qui prévoit la peine, elle peut entraîner, suivant les modifications qu'elle subira, une condamnation plus ou moins grave dans telle espèce considérée. Rien n'empêche donc, dans le cas des lois administratives aussi, d'appliquer le principe jurisprudentiel rappelé plus haut. C'est dans ce sens qu'il faut entendre l'art. 333 CP, selon lequel les dispositions générales du Code pénal suisse - au nombre desquelles on compte l'art. 2 al. 2 - sont applicables aux infractions prévues par d'autres lois fédérales, à moins que celles-ci ne contiennent des dispositions sur la matière.
Comme le dit l'arrêt Lischer (RO 89 IV 120, précité), qui donne des exemples concrets sur ce point, le législateur peut, par une disposition expresse, non seulement exclure, dans les lois administratives, toute rétroactivité des dispositions nouvelles et, partant, l'application de l'art. 2 al. 2 CP, mais encore introduire dans le droit nouveau des réserves en faveur de l'ancien. Mais ledit arrêt en conclut à tort que lorsque le législateur n'en fait rien, cela ne dispense pas le juge de rechercher, du point de vue de l'art. 2 al. 2 CP, s'il est juste d'appliquer cette règle légale aux infractions contre la loi administrative
BGE 97 IV 233 S. 238
dont il s'agit. Au contraire, l'art. 2 al. 2 CP s'applique en général en cas de modification d'une loi administrative, sauf si, comme on le voit dans les exemples donnés par l'arrêt Lischer, le législateur en dispose autrement.
4.
Dans la présente espèce, il est manifeste que la loi nouvelle, qui soustrait à l'application de l'ordonnance sur les liquidations toutes les ventes spéciales de denrées alimentaires (art. 3 al. 1, litt. a), est, pour le recourant qui a annoncé une telle vente, plus douce que la loi ancienne, qui exigeait une autorisation sous peine des arrêts ou de l'amende (art. 20 al. 1 OL). La Cour de cassation neuchâteloise, statuant à nouveau, devra donc soit prononcer elle-même la libération du recourant, soit renvoyer la cause à un autre juge pour qu'il la prononce.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d85ad341-ecab-4ec1-961d-9d091d63d0cb | Urteilskopf
140 IV 202
29. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. contre Ministère public central du canton de Vaud (recours en matière pénale)
1B_37/2014 du 10 juin 2014 | Regeste
Art. 65 Abs. 1 und
Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO
; Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Der vor der Hauptverhandlung von der Verfahrensleitung des erstinstanzlichen Strafgerichts getroffene Entscheid, die Bestellung eines amtlichen Verteidigers zu verweigern, kann einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken; er kann dementsprechend nach
Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO
direkt mit Beschwerde angefochten werden (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 202
BGE 140 IV 202 S. 202
A.
Non représenté par un avocat, A. a fait opposition à une ordonnance pénale du 23 octobre 2013 le condamnant à la peine privative de liberté de trente jours ferme pour infraction et contravention
BGE 140 IV 202 S. 203
à la LStup. Ayant décidé de maintenir ladite ordonnance, le Ministère public a transmis le dossier au Tribunal de police de l'arrondissement de Lausanne en vue des débats.
A. a confirmé devant le Tribunal de police son opposition et a requis la nomination d'un défenseur d'office. Par prononcé du 11 novembre 2013, le Président du Tribunal a refusé de désigner un défenseur d'office, considérant que la cause ne présentait pas de difficultés particulières et que le prévenu était en mesure de se défendre efficacement seul. Ce prononcé indiquait qu'une voie de recours était ouverte auprès de la Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal.
Cette juridiction a déclaré le recours irrecevable par arrêt du 6 décembre 2013, notifié le 16 janvier 2014, au motif que le prononcé refusant la désignation d'un défenseur d'office au prévenu ne pouvait être attaqué qu'avec la décision finale; en outre, l'indication inexacte d'une voie de recours ne suffisait pas pour créer une voie de droit inexistante.
B.
A. s'est adressé au Tribunal fédéral, lequel lui a nommé un avocat d'office en vue de rédiger un recours dans le délai légal, si cela paraissait justifié. Ainsi, agissant par la voie du recours en matière pénale, A. - représenté par un avocat - sollicite la réforme de l'arrêt cantonal en ce sens que son recours cantonal est admis et que le dossier est renvoyé à l'instance cantonale pour statuer sur sa requête de désignation d'un défenseur d'office.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et a renvoyé la cause à la Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal pour nouvelle décision.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recourant fait grief à la cour cantonale d'avoir violé le droit fédéral en excluant toute voie de recours cantonal contre la décision de la direction de la procédure du tribunal pénal de première instance de refuser de lui nommer un défenseur d'office. A le suivre, il serait choquant que la voie du recours cantonal ne soit pas ouverte dans une telle situation.
2.1
A teneur de l'
art. 132 al. 1 CPP
, la direction de la procédure est compétente pour ordonner une défense d'office. Devant un tribunal collégial, l'autorité investie de la direction de la procédure est le président du tribunal (
art. 61 let
. c CPP).
BGE 140 IV 202 S. 204
Aux termes de l'
art. 393 al. 1 let. b CPP
, le recours est recevable contre les ordonnances, les décisions et les actes de procédure des tribunaux de première instance, "sauf contre ceux de la direction de la procédure" (en allemand: "ausgenommen sind verfahrensleitende Entscheide"; en italien: "sono eccettuate le decisioni ordinatorie"). Cette disposition doit être lue en corrélation avec l'
art. 65 al. 1 CPP
, aux termes duquel "les ordonnances rendues par les tribunaux" (en allemand: "verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte"; en italien: "le disposizioni ordinatorie del giudice") ne peuvent être attaquées qu'avec la décision finale.
Les décisions contre lesquelles un recours immédiat est exclu selon les art. 65 al. 1 et 393 al. 1 let. b in fine CPP concernent, malgré la formulation trompeuse de la version française, non pas celles prises par la direction de la procédure, mais celles relatives à la marche de la procédure (PIQUEREZ/MACALUSO, Procédure pénale suisse, 3
e
éd. 2011, n. 1969; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2013, n. 19009). Il s'agit en particulier de toutes les décisions qu'exigent l'avancement et le déroulement de la procédure avant ou pendant les débats (
ATF 138 IV 193
consid. 4.3.1 p. 195 s.).
Selon la doctrine et la jurisprudence, certaines décisions relatives à la marche de la procédure prises au cours de la phase précédant les débats peuvent néanmoins faire l'objet d'un recours selon le CPP. Une partie de la doctrine propose ainsi de distinguer les décisions qui ont un caractère formel et celles qui ont un caractère matériel. Les premières visent, par exemple, à fixer la date de l'audience ou les heures d'audition de témoin, tandis que les secondes concernent par exemple l'admission d'une personne en qualité de partie ou le refus d'un défenseur d'office. Seules les secondes seraient susceptibles de recours cantonal immédiat, dans la mesure où elles sont susceptibles de causer un préjudice irréparable à la partie concernée (cf. NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 2
e
éd. 2013, n
os
12 et 13 ad
art. 393 CPP
; cf. également ANDREAS J. KELLER, in Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO],Donatsch/Hansjakob/Lieber[éd.], 2010, n
os
28 et 29 ad
art. 393 CPP
; contra: STEPHENSON/THIRIET, in Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, n° 13 ad
art. 393 CPP
).
Quant à la jurisprudence, elle a précisé, s'agissant des décisions relatives à la conduite de la procédure prises avant l'ouverture des débats, qu'il convenait de limiter l'exclusion du recours à celles qui
BGE 140 IV 202 S. 205
n'étaient pas susceptibles de causer un préjudice irréparable. De telles décisions ne peuvent ainsi faire l'objet ni d'un recours au sens du CPP, ni d'un recours immédiat auprès du Tribunal fédéral (cf.
art. 93 al. 1 let. a LTF
). A l'inverse, si la décision peut causer un préjudice irréparable, elle est en principe attaquable par la voie du recours prévu par l'
art. 393 CPP
, puis par le recours en matière pénale auprès du Tribunal fédéral (cf. arrêt 1B_569/2011 du 23 décembre 2011 consid. 2, in Pra 2012 n° 68 p. 464; arrêt 1B_199/2013 du 12 novembre 2013 consid. 2; cf. également AEMISEGGER/DOLGE, in Bundesgerichtsgesetz [BGG], Praxiskommentar, 2
e
éd. 2013, n
os
12 et 13 ad
art. 80 LTF
). Il y a lieu de s'en tenir à cette jurisprudence qui fait référence à la notion connue du préjudice irréparable en faisant abstraction des notions incertaines de décisions à caractère formel ou matériel.
2.2
En l'espèce, la direction de la procédure du tribunal pénal de première instance a refusé, avant l'ouverture des débats devant lui, de nommer au recourant une défense d'office. Or un tel refus est susceptible de lui causer un préjudice irréparable: dans l'hypothèse où le refus d'assistance judiciaire est annulé par l'autorité de recours en fin de procédure, on conçoit en effet mal qu'après la reprise de l'instruction le prévenu puisse se trouver dans la même situation que s'il avait été d'emblée assisté (
ATF 133 IV 335
consid. 4 p. 338 et les références).
Il y a dès lors lieu d'admettre in casu l'existence d'une voie de droit (cf. JEANNERET/KUHN, op. cit., n. 19009). Une telle solution s'accorde de surcroît avec la protection juridique assurée au prévenu jusqu'à ce que la cause soit transmise au tribunal de première instance. En effet, tant que la direction de la procédure est assurée par le ministère public, à savoir jusqu'à la mise en accusation (
art. 61 let. a CPP
), un recours est ouvert par l'
art. 393 al. 1 let. a CPP
auprès de l'instance cantonale de recours contre le refus de nommer une défense d'office (cf.
ATF 139 IV 113
).
En tant qu'elle n'est pas entrée en matière sur le recours, la cour cantonale a violé le droit fédéral et la cause doit lui être renvoyée pour statuer sur les mérites du recours. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d85b15eb-3c0c-4ac8-8d79-bd81392f34b8 | Urteilskopf
117 II 410
76. Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Mai 1991 i.S. Luzia J. gegen W. und M. H. (Berufung) | Regeste
Mieterstreckung; materielle Rechtskraft (
Art. 273 OR
; Art. 5 Abs. 2 der Schlussbestimmungen zum neuen Mietrecht).
1. Anwendungsbereich der Übergangsbestimmung von Art. 5 Abs. 2 der Schlussbestimmungen zum neuen Mietrecht (E. 1).
2. Ist im Anschluss an eine Kündigung ein Anfechtungs- oder Erstreckungsverfahren angehoben und vor dem 1. Juli 1990 rechtskräftig erledigt worden, hat bei Inkrafttreten des neuen Mietrechts für eine Klage mit identischem Streitgegenstand keine neue Frist i.S. von
Art. 273 OR
zu laufen begonnen (E. 2).
3. Einem vorbehaltlosen Klagerückzug und der darauf folgenden Abschreibungsverfügung kommt materielle Rechtskraft zu (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 411
BGE 117 II 410 S. 411
A.-
Zwischen Luzia J. als Mieterin und den Eheleuten Walter und Margot H. als Vermieter besteht seit dem 1. Oktober 1986 ein Mietvertrag über das Hotel Schifflände in A. zu einem jährlichen Mietzins von Fr. 72'000.--. Der Vertrag kann unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten jeweils auf den 30. September eines jeden Jahres gekündigt werden. Mit Schreiben vom 20. Juli 1989 und 5. März 1990 kündigten die Eheleute H. das Mietverhältnis auf den 30. September 1990. Mit Eingabe vom 6. April 1990 ersuchte Luzia J. das Bezirksgerichtspräsidium A., die Kündigung nichtig zu erklären, eventuell das Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken. Am 3. Mai 1990 zog ihr Anwalt das Begehren zurück, und der Vizepräsident des Bezirksgerichts
BGE 117 II 410 S. 412
schrieb das Verfahren mit Verfügung vom 7. Mai 1990 als durch Rückzug erledigt am Protokoll ab.
B.-
Nachdem am 1. Juli 1990 das neue Mietrecht in Kraft getreten war, gelangte Luzia J. am 18. Juli 1990 an die Schlichtungsstelle für Mietverhältnisse der Gemeinde A. Sie beantragte erneut, die Kündigung sei ungültig zu erklären, eventuell das Mietverhältnis um sechs Jahre zu erstrecken. Die Schlichtungsstelle trat am 3. September 1990 auf das Anfechtungs- bzw. Erstreckungsgesuch nicht ein. Dieser Entscheid wurde vom Vizepräsidenten des Bezirksgerichts A. am 30. November 1990 bestätigt, und die Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau wies einen dagegen eingereichten Rekurs am 21. Januar 1991 ab. Alle drei kantonalen Instanzen gelangten zum Ergebnis, dem neuen Anfechtungs- bzw. Erstreckungsbegehren stehe die materielle Rechtskraft der Abschreibungsverfügung des Vizepräsidenten des Bezirksgerichts A. vom 7. Mai 1990 entgegen.
Eine Berufung der Luzia J. hat das Bundesgericht abgewiesen.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das auf den 1. Juli 1990 in Kraft getretene neue Mietrecht setzt in
Art. 273 OR
die Fristen fest, innert welchen eine Kündigung nach den
Art. 271 und 271a OR
angefochten bzw. eine Erstreckung des Mietverhältnisses im Sinne der
Art. 272-272d OR
verlangt werden kann. Ist eine Kündigung vor dem 1. Juli 1990 auf einen Zeitpunkt nach diesem Datum ausgesprochen worden, so haben die Fristen gemäss Art. 5 Abs. 2 der Schlussbestimmungen zum neuen Mietrecht am 1. Juli 1990 neu zu laufen begonnen. Diese Bestimmung, die einen schwerwiegenden Eingriff in den Grundsatz der Nichtrückwirkung von Gesetzen darstellt, ist in der bundesrätlichen Botschaft vom 27. März 1985 (BBl 1985 I 1478) lediglich damit begründet worden, die dadurch entstehende Rechtsunsicherheit sei in Kauf zu nehmen, weil verhindert werden müsse, dass vorsorglich gekündigt werde, um den strengeren Bestimmungen des neuen Rechts zu entgehen. Die gleiche Regelung findet sich bereits in
Art. 60 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die landwirtschaftliche Pacht vom 4. Oktober 1985 (LPG, SR 221.213.2)
. Der problematische Charakter dieser Bestimmung muss aber dazu führen, sie in Zweifelsfällen nur mit Zurückhaltung anzuwenden.
BGE 117 II 410 S. 413
2.
Es steht ausser Zweifel, dass in allen Fällen, in welchen ein Mieter eine unter die Übergangsbestimmung fallende Kündigung weder angefochten noch eine Mieterstreckung verlangt hat, am 1. Juli 1990 neue Fristen von 30 bzw. 60 Tagen im Sinne von
Art. 273 OR
zu laufen begonnen haben. Fraglich ist indessen, ob das auch dann gilt, wenn im Anschluss an die Kündigung ein Anfechtungs- oder Erstreckungsverfahren angehoben und vor dem 1. Juli 1990 rechtskräftig erledigt worden ist. In diesen Fällen gerät die Übergangsbestimmung mit den Wirkungen der materiellen Rechtskraft in Konflikt. GMÜR (Vom alten zum neuen Mietrecht, S. 20 f.) und LACHAT/MICHELI (Le nouveau droit du bail, S. 54) schliessen daraus, in einem solchen Falle könne eine rechtskräftige Streiterledigung nicht mehr in Frage gestellt werden. Etwas differenzierter argumentiert BARBEY (Commentaire du droit du bail, III/1, N. 267 Introduction). Danach ist eine Klage dann nicht verwirkt, wenn es sich nach neuem Recht um ein vom alten Recht verschiedenes Streitobjekt handelt. Indessen lässt auch dieser Autor die Wirkungen der materiellen Rechtskraft dort eintreten, wo der Sachverhalt und die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nach altem und neuem Recht vollständig identisch sind. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Vorliegend ist die Identität gegeben. Der Sachverhalt, auf den die Klägerin ihre Begehren stützt, ist nach altem und neuem Recht identisch, ebenso die von ihr erhobenen Ansprüche. Mit dem Begehren vom 6. April 1990 hat sie einerseits verlangt, die Kündigung sei nichtig zu erklären, weil sie im Zusammenhang mit einer Mietzinserhöhung erfolgt sei. Damit rief sie den Nichtigkeitsgrund von
Art. 18 Abs. 3 BMM
an. Nach neuem Recht ist eine derartige Kündigung nicht mehr nichtig, sondern bloss anfechtbar (Art. 271 und Art. 271a lit. b in Verbindung mit
Art. 273 OR
); der neurechtliche Anspruch geht somit etwas weniger weit. Anderseits sind auch die beiden Erstreckungsbegehren identisch; dass nach neuem Recht eine Erstreckung für eine längere Dauer verlangt werden kann, rechtfertigt es nicht, von einem anderen Streitgegenstand zu sprechen und deswegen ein neues Erstreckungsbegehren zuzulassen.
3.
An den Wirkungen der materiellen Rechtskraft ändert auch der Umstand nichts, dass das frühere Verfahren nicht durch rechtskräftiges Sachurteil, sondern durch Abschreibung infolge Rückzugs des Begehrens erledigt worden ist. Einem vorbehaltlosen Klagerückzug und der gestützt darauf ergangenen Abschreibungsverfügung kommt sowohl nach Bundesrecht (
BGE 105 II 151
; vgl.
BGE 117 II 410 S. 414
auch
Art. 73 BZP
) wie nach dem massgebenden Zivilprozessrecht des Kantons Thurgau materielle Rechtskraft zu, die zur Einrede der abgeurteilten Sache führt. Das wird an sich mit der Berufung auch nicht bestritten. Dagegen macht die Klägerin geltend, es wäre stossend, wenn ihr zufolge des Klagerückzugs die Einrede der abgeurteilten Sache entgegengehalten werden könnte, während das nicht der Fall gewesen wäre, wenn sie es, statt die Klage zurückzuziehen, auf einen Nichteintretensentscheid wegen Versäumnis der Frist von
Art. 267a Abs. 3 OR
hätte ankommen lassen; diesfalls hätte ein prozessualer Erledigungsentscheid vorgelegen, dem keine materielle Rechtskraft zugekommen wäre. Diese Argumentation ist bereits im Ansatz verfehlt. Sofern das Erstreckungsbegehren vom 6. April 1990 verspätet war, hätte das Verfahren nicht zu einem prozessualen Erledigungsbeschluss, sondern zu einem materiellen Sachentscheid, das heisst zur Abweisung des Erstreckungsbegehrens, geführt, der materielle Rechtskraft zugekommen wäre und die zur Einrede der abgeurteilten Sache geführt hätte.
4.
Ebensowenig verfängt der Einwand, der im summarischen Verfahren ergangenen Abschreibungsverfügung komme nur provisorischer Charakter und somit keine materielle Rechtskraft zu. Wie das Obergericht im angefochtenen Entscheid zutreffend ausführt, stellt der Entscheid über ein Erstreckungsbegehren ein materielles und abschliessendes Sachurteil über einen bundesrechtlichen Anspruch dar; das gilt im Falle eines Klagerückzuges folgerichtig auch für die gestützt darauf ergangene Abschreibungsverfügung.
5.
Abwegig ist schliesslich auch der Einwand der Klägerin, auf diese Weise werde ihr das Recht abgeschnitten, die mit dem neuen Mietrecht (
Art. 271 und 271a OR
) eingeführte Anfechtbarkeit einer Kündigung geltend zu machen. Wie bereits dargelegt, will die Klägerin mit ihrer neuen Klage die Kündigung mit der Begründung anfechten, sie sei im Zusammenhang mit einem Versuch der Vermieter, eine Mietzinserhöhung durchzusetzen, erfolgt. Das aber ist, wie bereits dargelegt (E. 2 hievor), nichts anderes als die mit der ersten Klage angerufene Nichtigkeit der Kündigung gemäss
Art. 18 Abs. 3 BMM
.
6.
Steht somit der Klage die Einrede der abgeurteilten Sache entgegen, so ist nicht mehr zu prüfen, ob die Kündigung für die Klägerin eine unzumutbare Härte zur Folge hätte. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d85e1ba0-febd-4b0e-b464-61d92a32dfe1 | Urteilskopf
112 II 199
33. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 23 juin 1986 dans la cause M. contre dame F. (recours en réforme) | Regeste
Art. 156 Abs. 2 und 277 Abs. 2 ZGB. Festsetzung des Unterhaltsbeitrags an das Kind geschiedener Eltern über dessen Mündigkeit hinaus im Rahmen des Scheidungsverfahrens.
Der Scheidungsrichter ist unter ganz bestimmten Voraussetzungen befugt, den Unterhaltsbeitrag an das Kind geschiedener Eltern über dessen Mündigkeit hinaus festzusetzen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Kind im Zeitpunkt der Scheidung kurz vor der Mündigkeit steht und sich in einer Berufsausbildung befindet, deren Dauer festgelegt ist. Vereinbarung des Unterhaltsbeitrags in einer Scheidungskonvention? (E. 2.) | Sachverhalt
ab Seite 200
BGE 112 II 199 S. 200
A.-
M., né en 1939, et dame F., née en 1941, se sont mariés à Genève en 1963. Deux enfants sont issus de cette union: Fabrice le 21 octobre 1966 et Dominique le 30 mars 1968. Actuellement, le premier suit l'école de culture générale en vue d'effectuer un apprentissage de couturier; après avoir obtenu son diplôme, en principe en juin 1987, il projette de suivre une école de styliste à Paris, d'une durée de deux ans. La seconde étudie au collège, en première année; elle terminera dans trois ans et songe à suivre des études d'interprète.
B.-
Le 12 juillet 1983, le mari a ouvert action en divorce devant le Tribunal de première instance de Genève. Il entendait laisser la garde de sa fille à la défenderesse, qui résidait alors au Canada, d'où elle revint à Genève en septembre 1984; il acceptait de payer pour l'enfant une pension de 300 $ can. jusqu'à l'âge de 20 ans révolus, voire de poursuivre le versement de cette contribution au-delà, mais au plus tard jusqu'à 25 ans révolus, si elle effectuait des études supérieures, sérieuses et suivies. Le demandeur s'engageait de même pour son fils, ce qu'il confirma lors de sa comparution personnelle le 2 avril 1984.
Selon leurs "conclusions motivées" devant le Tribunal de première instance, les parties sont tombées d'accord sur le principe
BGE 112 II 199 S. 201
du divorce et sur l'attribution des enfants à leur mère, avec une curatelle pour Fabrice et un large droit de visite pour le père; la défenderesse renonçait en outre à une pension, car elle avait obtenu un emploi de secrétaire. Pour le demandeur, seule la contribution à l'entretien des enfants restait litigieuse; il offrait 600 fr. pour chacun d'eux. Aussi bien la défenderesse a-t-elle pris deux chefs de conclusions: l'allocation de 1'200 fr. par enfant et son versement jusqu'à leurs 25 ans révolus s'ils effectuent des études supérieures, sérieuses et suivies. De son côté, le demandeur s'est engagé à nouveau à verser sa contribution alimentaire "jusqu'à l'achèvement complet" de la formation professionnelle et des études de ses enfants; mais il a combiné les deux aspects de la question encore litigieuse en un seul chef de conclusions: il se déclarait d'accord de verser 600 fr. pour chaque enfant, au plus tard jusqu'à l'âge de 25 ans.
Dans son jugement du 15 avril 1985, le Tribunal de première instance a suivi les parties dans la mesure où elles étaient d'accord, notamment sur les effets accessoires du divorce. Le litige subsistait sur le montant de la contribution à l'entretien des enfants, le demandeur ayant admis son paiement jusqu'à l'âge de 25 ans s'ils effectuent des études supérieures, sérieuses et suivies. Le juge a arrêté ce montant à 900 fr. par mois, allocations familiales non comprises.
C.-
Le demandeur a formé un appel devant la Cour de justice pour demander que ce jugement soit réformé en tant qu'il l'a condamné "à verser par mois et d'avance à dame M., allocations familiales non comprises, la somme de 900 fr. à titre de contribution à l'entretien de chacun de ses enfants"; il concluait en outre à ce qu'il lui soit donné acte de son accord de verser la somme de 600 fr. par enfant, le jugement étant confirmé pour le surplus; ses griefs n'avaient trait qu'au montant alloué, non à la durée des versements.
S'en tenant à cet unique objet du litige, la Cour de justice a confirmé en principe, par arrêt du 10 janvier 1986, le montant de la contribution d'entretien, mais l'a réduit "de la moitié du salaire que pourrait gagner l'un et l'autre des enfants en qualité d'apprenti".
D.-
M. exerce en temps utile un recours en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de l'arrêt déféré en tant qu'il a confirmé le jugement de première instance fixant à 900 fr. par mois la contribution d'entretien à chacun des enfants jusqu'à
BGE 112 II 199 S. 202
ce qu'à ce qu'ils aient atteint l'âge de 25 ans révolus, en cas d'études sérieuses et régulières. Dans l'hypothèse où la cause ne serait pas renvoyée à l'autorité cantonale, le recourant conclut à ce qu'il lui soit donné acte de son accord de payer la somme de 600 fr. par mois par enfant jusqu'à la majorité, ce montant étant payé en mains de l'intimée, ainsi qu'un montant identique en mains de Fabrice jusqu'à la fin de son apprentissage, mais au plus tard jusqu'au 30 juin 1987.
L'intimée conclut au rejet du recours, dans la mesure où il est recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La question relative au versement de la contribution d'entretien au-delà de la majorité des enfants a fait l'objet d'un arrêt récent du Tribunal fédéral qui précise que tant que l'enfant créancier de la contribution d'entretien est mineur, le conjoint qui exerce l'autorité parentale peut faire valoir, dans le procès en divorce auquel l'enfant n'est pas partie, des prétentions alimentaires en son propre nom. En revanche, dès que l'enfant a atteint sa majorité, il doit agir lui-même pour exiger les prestations auxquelles il peut prétendre selon l'
art. 277 al. 2 CC
, à moins que l'époux débirentier se soit obligé, dans une convention sur les effets accessoires du divorce, à contribuer à l'entretien de l'enfant au-delà de sa majorité (
ATF 109 II 371
ss; cf. aussi BÜHLER/SPÜHLER, n. 241 ss ad
art. 156 CC
).
La jurisprudence connaît cependant encore une autre exception. Dans l'arrêt publié aux
ATF 104 II 296
, où étaient en cause les prétentions de l'enfant né hors mariage, le Tribunal fédéral a déclaré qu'il est recommandable de régler dans le dispositif du jugement les contributions qui sont dues après la majorité de l'enfant, lorsque ce dernier est proche de sa majorité au moment de la fixation des contributions d'entretien dans un procès en paternité ou en divorce et qu'il accomplit une phase de formation qui va vraisemblablement se poursuivre au-delà de la majorité et qu'en outre la situation des parents est suffisamment connue. Reposant avant tout sur des motifs d'opportunité et d'économie de procédure, cette opinion est en contradiction avec celle exprimée dans l'arrêt publié aux
ATF 102 Ia 102
consid. 4, fondée encore sur l'ancien droit; certains auteurs l'ont jugée critiquable et l'ont rejetée (HINDERLING, Zusatzband, p. 111;
BGE 112 II 199 S. 203
BÜHLER/SPÜHLER, n. 244 ss ad
art. 156 CC
), tandis que d'autres l'ont admise (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 1983 p. 126; RUTH REUSSER, Unterhaltspflicht, Unterstützungspflicht, Kindesvermögen, in Das neue Kindesrecht, Berner Tage für die juristische Praxis 1977, p. 68). Elle repose sur une interprétation extensive du nouveau droit de la filiation qui n'est pas à l'abri de toute critique. Sans doute l'
art. 156 al. 2 CC
renvoie-t-il d'une façon générale aux
art. 276 ss CC
; de son côté l'
art. 279 CC
, qui règle la qualité pour agir et la compétence en matière de prétentions alimentaires des enfants envers leurs parents, réserve à l'al. 3 la compétence attribuée au juge par les dispositions sur le divorce. Mais cela ne signifie pas nécessairement que la compétence du juge du divorce s'étende à l'
art. 277 al. 2 CC
dans chaque cas. Le renvoi - respectivement la réserve - réciproque signifie tout au plus qu'en principe le juge du divorce doit lui aussi respecter la limite de la majorité, que cette limite cependant ne s'oppose pas dans chaque cas à une réglementation de l'obligation d'entretien, mais qu'exceptionnellement, dans des circonstances bien précises, le juge du divorce conserve la compétence d'ordonner les mesures nécessaires pour toute la durée de l'obligation d'entretien. De telles circonstances existent lorsque l'enfant qui a droit à une rente d'entretien se trouve proche de sa majorité au moment du jugement de divorce ou a atteint sa majorité pendant la procédure de divorce, se trouve déjà en formation professionnelle et que la durée de cette formation - qui se poursuivra manifestement au-delà du procès en divorce - peut être déterminée. Tel est le cas, par exemple, lorsque l'enfant est dans sa dernière année avant le baccalauréat ou avant la fin de son apprentissage. Lorsque les circonstances sont à ce point claires, il serait peu compréhensible - et d'ailleurs contraire aux intérêts de l'enfant et du débirentier - que l'enfant soit contraint, le cas échéant déjà dans le procès en divorce de ses parents ou peu de temps après, de faire valoir dans une procédure judiciaire ses prétentions d'entretien contre le débirentier pour une période relativement courte.
a) En l'espèce, il suffit de se reporter aux considérants de faits pour constater qu'un accord s'est d'emblée instauré entre parties et n'a pas été remis en cause dans les instances cantonales. Il est évident qu'il est intervenu sur le principe de la contribution au-delà de la majorité, en termes clairs et précis, et indépendamment du montant à payer par mois, resté toujours litigieux. En effet, le
BGE 112 II 199 S. 204
recourant a d'abord donné son aval séparément pour chaque enfant, car seule la fille devait d'abord être confiée à sa mère, et sans référence en tant que condition au montant proposé, si bien que la défenderesse s'est déterminée dans deux chefs de conclusions distincts. C'est aussi de cette façon que le premier juge a compris la situation, le litige ne portant à son avis que sur le montant, et cela sans même qu'il ait jugé nécessaire de s'en expliquer, tant la distinction et la séparation des questions lui parurent évidentes. Aussi bien, dans son appel, le recourant a-t-il demandé que la Cour de justice prît acte de son accord de payer 600 fr., le jugement déféré étant confirmé pour le surplus: manifestement, le litige ne portait, comme devant le Tribunal de première instance, que sur le montant, seul grief de l'appelant.
Au demeurant, l'accord ne portait pas uniquement sur le versement au-delà de la majorité, mais - outre la dissolution du mariage - sur l'attribution même des enfants et d'autres effets accessoires du divorce (par exemple, le droit de visite), et l'entente sur un point précis n'était pas subordonnée à l'accord sur un autre. Certes, s'agissant de pensions allouées à l'époux innocent en vertu des
art. 151 et 152 CC
, leur durée et leur montant se trouvent dans un certain rapport de dépendance mutuelle. Mais leur cause juridique est unique, ainsi que la qualité pour agir; s'agissant des enfants au contraire, la dette de leurs parents repose dès leur majorité sur un autre titre juridique que le divorce de leurs parents: auparavant sur l'effet de l'attribution à un seul parent ensuite de la dissolution de l'union, postérieurement sur la cause prévue à l'
art. 277 al. 2 CC
. De plus, la qualité pour agir change, en principe à la majorité (cf.
ATF 109 II 371
ss); il en va de même du fondement du pouvoir de représenter l'enfant. Il est sans doute vrai qu'un lien existe, dans une convention, entre l'attribution des enfants et le montant de la contribution à charge du parent auquel ils ne sont pas confiés, voire d'autres conséquences pécuniaires du divorce (
ATF 93 II 159
). Mais le lien est certainement pour le moins très ténu entre le montant de la contribution et son versement durant peu de temps au-delà de la majorité, d'autant que cette obligation ultérieure existe de par la loi. Quoi qu'il en soit, la question n'est pas pertinente en l'espèce, puisque l'interprétation des conclusions et motifs ou griefs des parties, dans leurs mémoires et en comparution personnelle, démontre que l'engagement supplémentaire a été pris séparément du montant mensuel à verser.
BGE 112 II 199 S. 205
Cet engagement n'était pas soumis à une forme spéciale; il a d'ailleurs été documenté dans les mémoires et dans le procès-verbal de la comparution personnelle (BÜHLER/SPÜHLER, n. 174 ad
art. 158 CC
). On peut certes se demander s'il devait être homologué par le juge selon l'
art. 158 ch. 5 CC
s'agissant, d'une part, de l'obligation de l'
art. 277 al. 2 CC
et surtout, d'autre part, de la dérogation exceptionnelle admise dans l'
ATF 109 II 371
ss Mais peu importe: en l'espèce, tant le Tribunal de première instance que la Cour de justice ont pris acte de l'accord du demandeur à la fois dans les considérants et le dispositif de leurs décisions, explicitement dans les premiers, implicitement dans le second. Il était à l'évidence dans l'intérêt des enfants de recevoir déjà l'assurance d'un soutien matériel au-delà de leur majorité et peu importe qu'en retenant le caractère obligatoire de la convention, les juges genevois aient cru ne pouvoir que l'enregistrer et non point la ratifier formellement (
ATF 102 II 68
consid. 2).
b) Il suit de là que les conclusions du recourant sont nouvelles - et partant irrecevables (
art. 55 al. 1 lettre b OJ
) - quant à la durée de la contribution qu'il devra verser pour l'entretien de ses enfants. La cour de céans, pas plus que les juges cantonaux, n'a de raisons d'intervenir dans l'intérêt des enfants (ci-dessus, a in fine). Si la contribution ne suffisait pas en vertu de l'
art. 277 al. 2 CC
, ceux-ci pourraient toujours réclamer un supplément (
art. 286 al. 2 CC
; BÜHLER/SPÜHLER, n. 197 in fine ad
art. 158 CC
).
c) Au demeurant, si la convention n'était pas définitive et que les conclusions du recours ne fussent pas irrecevables, il serait aisé de constater que la seconde exception prévue par la jurisprudence (
ATF 104 II 296
) est réalisée en ce qui concerne Fabrice, âgé de plus de 19 ans à la date de l'arrêt entrepris. Le cas de Dominique serait plus délicat, sous l'angle de l'âge en tout cas (moins de 18 ans). | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d85f78b8-fe01-4ecd-b7a7-f72d38b82c6d | Urteilskopf
116 V 95
17. Arrêt du 19 avril 1990 dans la cause M. contre Caisse cantonale valaisanne de compensation et Tribunal cantonal valaisan des assurances | Regeste
Art. 21 Abs. 2 IVG
, Ziff. 14.01 HVI Anhang: Anspruch auf einen automatischen Zusatz zur Sanitäreinrichtung.
Der Umstand, dass ein Versicherter vollständig hilflos ist, schliesst an sich den Anspruch auf einen automatischen Zusatz zu einer Sanitäreinrichtung nicht aus (in casu: Badelifter). | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 116 V 95 S. 95
A.-
Gilberte M., née en 1931, est atteinte de sclérose en plaques de stade avancé. Elle a demandé en 1984 des prestations de l'assurance-invalidité. Mise au bénéfice d'une demi-rente d'invalidité et d'une allocation pour impotent (impotence de degré faible) à partir de 1983, elle a droit à une rente entière d'invalidité et à une allocation pour impotent (impotence de degré grave) depuis 1986.
BGE 116 V 95 S. 96
Dès 1985, l'assurée s'est vu remettre en prêt un fauteuil roulant sans moteur, de même qu'un siège de bain à hauteur variable à partir de 1986.
Gilberte M., par demande du 29 octobre 1987, a requis la remise d'un élévateur de bain de type "Aqua-Tec-Minor".
La Commission de l'assurance-invalidité du canton du Valais, dans un prononcé présidentiel du 3 décembre 1987, a considéré l'élévateur de bain comme une installation sanitaire complémentaire automatique, à laquelle la requérante n'avait pas droit, parce qu'elle n'était pas à même de faire sa toilette de manière indépendante à l'intérieur de la baignoire, étant entièrement impotente.
Sur cette base, la Caisse cantonale valaisanne de compensation, par décision du 11 décembre 1987, a refusé la prise en charge de l'élévateur de bain "Aqua-Tec-Minor".
B.-
Gilberte M. a recouru devant le Tribunal des assurances du canton du Valais contre cette décision dont elle demandait l'annulation, en concluant à la remise d'un élévateur de bain "Aqua-Tec-Minor", au prix de 1'930 francs.
Par jugement du 6 juin 1988, la juridiction cantonale a rejeté le recours.
En bref, le tribunal a considéré que le but d'une installation sanitaire complémentaire automatique ou d'un élévateur pour malade est de développer l'autonomie personnelle de l'assuré; qu'en cas d'impotence grave, la remise d'un élévateur de bain ne vise pas à développer l'autonomie personnelle; qu'en effet, ce but ne saurait être atteint lorsque, comme en l'espèce, l'assuré a besoin de toute façon de l'aide de tiers pour prendre un bain, parce qu'il est entièrement impotent; qu'il serait par ailleurs contraire au "principe d'économie de la loi" de remettre un élévateur de bain au bénéficiaire d'une allocation pour impotence grave, laquelle "tend à rétribuer le tiers mis à contribution".
C.-
Gilberte M. interjette recours de droit administratif contre ce jugement, en concluant à l'annulation de celui-ci et de la décision administrative litigieuse, ainsi qu'à la remise d'un élévateur de bain "Aqua-Tec-Minor", au prix de 1'930 francs.
La caisse, se référant au préavis de la commission de l'assurance-invalidité, conclut implicitement au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS).
BGE 116 V 95 S. 97
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Aux termes de l'
art. 21 al. 2 LAI
, l'assuré qui, par suite de son invalidité, a besoin d'appareils coûteux pour se déplacer, établir des contacts avec son entourage ou développer son autonomie personnelle, a droit, sans égard à sa capacité de gain, à de tels moyens auxiliaires conformément à une liste qu'établira le Conseil fédéral.
A l'
art. 14 RAI
, le Conseil fédéral a délégué au Département fédéral de l'intérieur la compétence de dresser la liste des moyens auxiliaires et d'édicter des prescriptions complémentaires au sens de l'
art. 21 al. 4 LAI
. Ce département a édicté l'ordonnance concernant la remise de moyens auxiliaires par l'assurance-invalidité (OMAI) avec en annexe la liste des moyens auxiliaires. En vertu de l'
art. 2 al. 1 OMAI
, ont droit aux moyens auxiliaires, dans les limites fixées par la liste en annexe, les assurés qui en ont besoin pour se déplacer, établir des contacts avec leur entourage ou développer leur autonomie personnelle.
b) Selon le ch. 14.01 de la liste en annexe à l'OMAI, dans sa teneur en vigueur depuis le 1er janvier 1983, l'assuré a droit à une installation sanitaire complémentaire automatique, lorsqu'il ne peut faire seul sa toilette qu'au moyen de cet appareil.
D'après le ch. 14.02 de l'annexe à l'OMAI, dans sa teneur en vigueur depuis le 1er janvier 1983, l'assuré a droit à un élévateur pour malade, pour l'utilisation au domicile privé.
2.
Les directives de l'OFAS sur la remise des moyens auxiliaires prévoient sous ch. m. 14.01.1 (première phrase), dans sa teneur valable du 1er janvier 1986 au 31 décembre 1988 (supplément 1 à ces directives), que les installations sanitaires complémentaires automatiques comprennent surtout les douches chaudes de toilettes que l'on peut se procurer comme accessoire de toilettes déjà posées ainsi que les élévateurs de bain qui permettent à l'assuré d'entrer dans la baignoire (le ch. m. 14.02.1 doit être respecté).
Selon le ch. m. 14.02.1 de ces directives, dans sa teneur valable du 1er janvier 1986 au 31 décembre 1988 (supplément 1 à ces directives), lors de la remise d'un élévateur pour malade, il faut toujours éclaircir la question de savoir si l'assuré veut utiliser l'élévateur également pour entrer dans la baignoire. Il faut, le cas échéant, choisir un modèle qui remplisse les deux fonctions. Ce n'est que s'il est prouvé que ceci n'est pas possible, que l'on peut remettre un élévateur de bain en plus de l'élévateur pour malade.
BGE 116 V 95 S. 98
a/aa) Le commentaire de l'OFAS du ch. m. 14.01.1 des directives mentionnées ci-dessus, paru dans la RCC 1987 p. 201, est ainsi libellé:
"Depuis le 1er janvier 1986, on renonce à poser la condition selon
laquelle l'assuré doit être en mesure d'entrer dans sa baignoire d'une
manière indépendante grâce à cet appareil (l'élévateur de bain). Cela
signifie que l'on peut l'aider dans cette opération. On a toutefois
maintenu une condition: (l)'assuré doit être capable de s'occuper lui-même
de son hygiène, donc de se laver. Etant donné qu'il est souvent difficile,
lors de l'instruction de la demande, de déterminer si cette aptitude
existe ou non, et que la personne chargée de l'enquête doit se contenter,
la plupart du temps, des données fournies par celle qui soigne l'invalide,
il faut prendre pour critère de délimitation l'allocation pour impotent ou
la contribution pour mineurs impotents. Si de telles prestations sont
versées pour une impotence grave, il faut admettre que l'assuré ne peut
assumer son hygiène corporelle d'une manière autonome."
bb) Dans leur teneur valable depuis le 1er janvier 1989, les directives de l'OFAS concernant la remise des moyens auxiliaires par l'assurance-invalidité (DMAI) prévoient, sous ch. m. 14.01.1 (première phrase), que les installations sanitaires complémentaires automatiques comprennent surtout les douches chaudes de toilettes ainsi que les élévateurs de bain (le ch. m. 14.02.1 doit être respecté).
D'après le ch. m. 14.01.4 de ces nouvelles directives, la condition déterminante pour pouvoir octroyer un élévateur de bain est que l'assuré puisse encore se laver seul. Cette condition n'est pas remplie lorsque les allocations pour impotents, respectivement les contributions aux frais de soins pour mineurs impotents sont octroyées en raison de l'impotence de degré grave.
b) Les directives de l'OFAS sont des instructions données par l'autorité de surveillance aux organes d'application de l'assurance sur la façon dont ils doivent exercer leurs compétences. Destinées à assurer une application uniforme des prescriptions légales par l'administration, de telles instructions n'ont d'effet qu'à l'égard de cette dernière. Elles ne créent pas de nouvelles règles de droit et ne peuvent contraindre les administrés à adopter un certain comportement, actif ou passif. Non publiées au recueil officiel des lois fédérales, ces directives donnent le point de vue d'un organe de l'Etat sur l'application des règles de droit et non pas une interprétation contraignante de celles-ci. Sans se prononcer sur leur validité car, ne constituant pas des décisions, elles ne peuvent être attaquées en tant que telles, le juge en contrôle librement la constitutionnalité
BGE 116 V 95 S. 99
et la légalité, à l'occasion de l'examen d'un cas concret. Il ne s'en écarte toutefois que dans la mesure ou elles établissent des normes qui ne sont pas conformes aux dispositions légales applicables (voir
ATF 114 V 15
consid. 1c,
ATF 113 V 21
consid. b,
ATF 110 V 267
s.,
ATF 107 V 155
consid. 2b ainsi que les arrêts et la doctrine cités).
3.
La pratique administrative qui résulte des directives précitées n'est pas conforme à la réglementation relative aux installations sanitaires complémentaires automatiques, dans la mesure ou elle exclut tout droit à un élévateur de bain lorsque l'assuré est atteint d'impotence grave. En effet, cela revient à introduire une condition supplémentaire sous ch. 14.01 de la liste des moyens auxiliaires en annexe à l'OMAI, à savoir que l'assuré n'a droit à une installation sanitaire complémentaire automatique que s'il n'est pas entièrement impotent.
Cette condition supplémentaire ne se justifie pas. En effet, l'élévateur de bain sert à entrer dans la baignoire ou à en sortir. Ce faisant, il permet à l'assuré d'être en contact direct avec l'eau de son bain. Tel est le but d'hygiène corporelle de ce moyen auxiliaire (en ce qui concerne le siège hydraulique pour baignoire, voir un arrêt rendu dans le cadre de l'ancien
art. 5 OMA
, paru dans la RCC 1974 p. 395 consid. 3).
Or, faire seul sa toilette au moyen d'un élévateur de bain, c'est en réalité se baigner grâce à cet appareil. En effet, l'élévateur de bain sert uniquement à se baigner, mais non encore à se laver. Le but d'hygiène corporelle propre à l'élévateur de bain est dès lors atteint du seul fait que l'assuré se trouve en contact direct avec l'eau de son bain. Que l'assuré soit ou non assisté par un tiers ne saurait donc être déterminant, le contact direct avec l'eau du bain ayant lieu indépendamment de l'aide d'autrui.
N'est pas décisive, par conséquent, la condition d'indépendance de l'assuré dans ses déplacements, contrairement à ce qui concerne la remise d'un fauteuil roulant électrique selon le ch. 9.02 de la liste des moyens auxiliaires en annexe à l'OMAI (sur cette condition, RCC 1988 p. 197 consid. 2a; voir aussi
ATF 105 V 261
consid. 3c).
Par ailleurs, l'aide d'autrui ne saurait remplacer l'élévateur de bain, sans lequel l'assuré ne pourrait plus se baigner. Cet appareil est donc bel et bien un moyen auxiliaire servant à développer l'autonomie personnelle en matière d'hygiène corporelle, dont la remise n'est pas inconciliable avec le versement d'une allocation pour impotent, quel que soit le degré d'impotence de l'assuré.
BGE 116 V 95 S. 100
Dans cette mesure, la légalité des directives précitées de l'OFAS doit être niée.
4.
En l'espèce, comme l'indique le Service social de l'association valaisanne en faveur des handicapés physiques et mentaux, la recourante n'a plus aucune tonicité dans les membres, de sorte qu'elle ne peut plus se tenir debout sur le siège de bain qui lui a été remis en prêt. De plus, faute de place, l'installation d'une douche est exclue. Enfin, l'assurée ne dispose pas d'un élévateur pour malade, de sorte que l'application éventuelle du ch. m. 14.02.1 des directives susmentionnées de l'OFAS ne se pose pas.
Dans ces conditions, la recourante a droit à un élévateur de bain.
Il convient toutefois de renvoyer la cause à l'administration pour qu'elle examine si le modèle "Aqua-Tec-Minor" est simple et adéquat (
art. 2 al. 4 OMAI
). | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d864e081-20be-4b77-bf89-eb628f0a97f0 | Urteilskopf
112 V 168
30. Urteil vom 4. Juli 1986 i.S. Furrer gegen Kantonale Ausgleichskasse des Wallis und Kantonales Versicherungsgericht Wallis | Regeste
Art. 25bis IVG
: Ablösung eines KUVG-Krankengeldes durch ein IV-Taggeld; Besitzstandsgarantie.
Art. 25bis IVG
ist entgegen seinem Wortlaut auch bei Versicherten anwendbar, die bis zur Eingliederung Anspruch auf ein Krankengeld nach dem altrechtlichen
Art. 74 KUVG
hatten (Erw. 3).
Art. 25 Abs. 1 IVG
,
Art. 17 Abs. 2 UVG
und
Art. 27 Abs. 1 UVV
: Berechnung des IV-Taggeldes. Zu vergleichen ist das Taggeld der Unfallversicherung ohne den allfälligen Abzug für die Unterhaltskosten mit dem Taggeld der IV, einschliesslich des vollen Eingliederungszuschlages gemäss
Art. 25 Abs. 1 IVG
(Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 169
BGE 112 V 168 S. 169
A.-
Hans Furrer erlitt am 31. Juli 1983 bei einem Unfall Rückenwirbelfrakturen. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gewährte ihm für die Zeit vom 3. August 1983 bis 31. August 1985 Krankengelder in der Höhe von Fr. 153.-- im Tag. Am 13. April 1984 meldete sich der Versicherte bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an; er ersuchte namentlich um Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit.
Mit Verfügung vom 16. Oktober 1985 setzte die Kantonale Ausgleichskasse des Wallis das Taggeld für die erste Phase (2. September 1985 bis 1. September 1986) der von der Invalidenversicherung übernommenen Umschulung auf Fr. 149.-- fest (Haushaltungsentschädigung und zwei Kinderzulagen Fr. 131.--, Eingliederungszuschlag Fr. 18.--).
B.-
Die vom Versicherten hiegegen erhobene Beschwerde, mit der er die Zusprechung eines Taggeldes von Fr. 154.-- zuzüglich Kinderzulagen von Fr. 26.-- und eines Eingliederungszuschlages von Fr. 18.-- beantragte, wies das Kantonale Versicherungsgericht Wallis mit Entscheid vom 16. Dezember 1985 ab.
C.-
Der Versicherte lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Begehren, es sei ihm, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Kassenverfügung, ein Taggeld in der
BGE 112 V 168 S. 170
Höhe von Fr. 154.60 zuzüglich eines Eingliederungszuschlages von Fr. 18.-- zuzusprechen.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV), in teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei das Taggeld der Invalidenversicherung auf Fr. 153.-- festzusetzen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Versicherte hat während der Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld, wenn er an wenigstens drei aufeinanderfolgenden Tagen wegen der Eingliederung verhindert ist, einer Arbeit nachzugehen, oder zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig ist (
Art. 22 Abs. 1 Satz 1 IVG
). Die Taggelder werden u.a. als Haushaltungsentschädigung für Alleinstehende und Kinderzulagen ausgerichtet (
Art. 23 IVG
) und nach den gleichen Ansätzen, Bemessungsregeln und Höchstgrenzen wie die entsprechenden Entschädigungen und Zulagen gemäss Bundesgesetz vom 25. September 1952 über die Erwerbsersatzordnung für Wehr- und Zivilschutzpflichtige (EOG) festgelegt, wobei für Erwerbstätige das Erwerbseinkommen, das der Versicherte durch die zuletzt voll ausgeübte Tätigkeit erzielt hat, die Bemessungsgrundlage bildet (
Art. 24 Abs. 1 und 2 IVG
). Der Versicherte, der während der Eingliederung selbst für Verpflegung oder Unterkunft aufkommen muss, hat Anspruch auf einen Zuschlag zum Taggeld (
Art. 25 Abs. 1 IVG
), der vom Bundesrat auf Fr. 18.-- im Tag festgesetzt wurde (
Art. 11 AHVV
, anwendbar gemäss
Art. 25 Abs. 2 IVG
in Verbindung mit
Art. 22bis Abs. 1 IVV
).
Hatte ein Versicherter bis zur Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG), so entspricht der Gesamtbetrag des Taggeldes mindestens dem bisher bezogenen Taggeld der Unfallversicherung (
Art. 25bis IVG
, in Kraft seit 1. Januar 1984).
2.
Streitig ist im vorliegenden Fall die Höhe des Taggeldes der Invalidenversicherung, auf welches der Beschwerdeführer ab 2. September 1985 Anspruch hat.
a) Ausgleichskasse und Vorinstanz setzten die Haushaltungsentschädigung gemäss den ab 1. Januar 1984 gültigen Tabellen der EO-Tagesentschädigungen und der IV-Taggelder auf Fr. 131.-- fest, womit sich zusammen mit dem Eingliederungszuschlag von Fr. 18.-- (
Art. 11 Abs. 1 AHVV
)
BGE 112 V 168 S. 171
ein Taggeld von insgesamt Fr. 149.-- ergab. Das kantonale Gericht gelangte zum Schluss, dass
Art. 25bis IVG
im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Diese Bestimmung gelte nach ihrem Wortlaut nur für Versicherte, die bis zur Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld nach dem UVG gehabt hätten, was für den Beschwerdeführer nicht zutreffe. Sein Unfall habe sich vor dem Inkrafttreten des UVG am 1. Januar 1984 ereignet, weshalb ihm die Versicherungsleistungen der SUVA (u.a. das Krankengeld) nach altem Recht (KUVG) gewährt worden seien.
b) Der Beschwerdeführer und das BSV wenden sich gegen diese Betrachtungsweise. Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend,
Art. 25bis IVG
dürfe nicht nach seinem Wortlaut, sondern müsse nach seinem wirklichen Sinn ausgelegt werden. Die Besitzstandsklausel des
Art. 25bis IVG
bezwecke, denjenigen Versicherten vor einer Benachteiligung zu schützen, der nach einem Unfall nicht durch die Unfall-, sondern durch die Invalidenversicherung eingegliedert werde. Die Ansicht der Vorinstanz stehe auch in Widerspruch zu den Gesetzesmaterialien. Laut der Botschaft des Bundesrates zum UVG sei das Taggeld identisch mit dem Krankengeld nach KUVG.
Art. 25bis IVG
diene dazu, einen Leistungsabfall bei der beruflichen Eingliederung zu verhindern. Das BSV schliesst sich dieser Begründung an und weist zusätzlich darauf hin, dass sich bezüglich der
Art. 16 Abs. 3 UVG
, 44 Abs. 2 und 25bis IVG keine Übergangsbestimmungen fänden. Diese Normen entfalteten deshalb mit dem Inkrafttreten des UVG rechtliche Wirkungen. In zeitlicher Hinsicht seien diejenigen Rechtssätze massgeblich, die bei Erfüllung des rechtlich zu ordnenden oder zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben. Im Falle des
Art. 25bis IVG
liege dieser Sachverhalt in der Ablösung des Taggeldes der Unfallversicherung (bzw. der Krankengelder gemäss KUVG) durch das Taggeld der Invalidenversicherung, weshalb diese Bestimmung vorliegend entgegen der Ansicht der Vorinstanz anzuwenden sei.
3.
a) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar bzw. sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich der Auslegung nach dem Zweck, nach dem Sinn und nach den dem Text zugrunde liegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext
BGE 112 V 168 S. 172
zukommt (
BGE 111 V 127
Erw. 3b,
BGE 110 V 122
Erw. 2d mit Hinweisen).
Das Gericht ist zwar an das Gesetz gebunden, doch weicht es ausnahmsweise von der wörtlichen Interpretation ab, wenn diese zu offensichtlich unhaltbaren Ergebnissen führt, die dem wahren Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen (BGE
BGE 109 V 62
Erw. 4,
BGE 107 V 216
Erw. 3b; RKUV 1984 Nr. K 593 S. 226 Erw. 2b; vgl. auch
BGE 105 V 47
).
b) Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass
Art. 25bis IVG
, der durch das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG), in Kraft seit 1. Januar 1984, ins IVG eingefügt wurde, nach seinem Wortlaut nur bei Versicherten Anwendung findet, die vor der Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld nach dem UVG hatten. Sinn dieser Bestimmung ist laut der bundesrätlichen Botschaft vom 18. August 1976 zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung jedoch, einen Leistungsabfall bei der beruflichen Eingliederung zu verhindern, solange die Taggelder der Invalidenversicherung jenen der Unfallversicherung nicht allgemein angeglichen sind, indem die Taggelder der Invalidenversicherung nicht niedriger angesetzt werden dürften als die zuvor bezogenen Taggelder der Unfallversicherung (BBl 1976 III 228). Die Auslegung des
Art. 25bis IVG
nach dem Wortlaut ist in ihren Auswirkungen unhaltbar. Versicherte würden unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie vor Beginn der Eingliederung Krankengelder nach KUVG oder Taggelder nach UVG bezogen haben. Eine solche rechtsungleiche Behandlung, deren Ursache in Zufälligkeiten zeitlicher Natur liegt, kann sich nicht auf sachliche Gründe stützen; sie erweist sich als unzulässig und widerspricht der Absicht des Gesetzgebers, der allgemein Versicherte, deren Tagesentschädigungen der Unfallversicherung durch solche der Invalidenversicherung abgelöst werden, vor Benachteiligung schützen wollte.
Art. 25bis IVG
ist demnach entgegen seinem Wortlaut auch anwendbar, wenn der Versicherte vor Beginn der Eingliederung Krankengelder nach Art. 74 f. KUVG bezogen hat.
c) Der Anwendung von
Art. 25bis IVG
auf Versicherte, die vor Inkrafttreten des UVG einen Unfall erlitten haben, steht - wie das BSV richtig ausführt - keine übergangsrechtliche Regelung entgegen. Wohl bestimmt
Art. 118 Abs. 1 UVG
, dass Versicherungsleistungen für Unfälle, die sich vor dem Inkrafttreten des UVG ereignet haben, nach bisherigem Recht - im vorliegenden Fall Krankengelder nach KUVG - gewährt werden. Daraus kann
BGE 112 V 168 S. 173
jedoch nicht abgeleitet werden, dass in solchen Fällen das frühere Invalidenversicherungsrecht gelte. Denn in zeitlicher Hinsicht sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgeblich, die bei Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (ZAK 1983 S. 239 Erw. 2b; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. I, S. 95). Im Zeitpunkt der Ablösung des Krankengeldes gemäss KUVG durch das Taggeld der Invalidenversicherung (2. September 1985) stand
Art. 25bis IVG
in Kraft und ist demzufolge vorliegend anzuwenden. Der Beschwerdeführer hat somit ab 2. September 1985 Anspruch auf ein Taggeld der Invalidenversicherung in der Höhe des zuvor bezogenen Krankengeldes der SUVA (Fr. 153.--); dabei handelt es sich um das dem Höchstbetrag des versicherten Verdienstes entsprechende Taggeld (vgl.
Art. 74 Abs. 2 KUVG
).
4.
Zusätzlich zum Taggeld beansprucht der Beschwerdeführer den Eingliederungszuschlag von Fr. 18.--.
Im Gegensatz zur Invalidenversicherung, die dem Versicherten, der während der Eingliederung selbst für Verpflegung oder Unterkunft aufkommen muss, einen Zuschlag zum Taggeld gewährt (
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 IVG
), ist im Taggeld der Unfallversicherung der Anteil für die Unterhaltskosten eingeschlossen, wie sich aus
Art. 17 Abs. 2 UVG
und
Art. 27 Abs. 1 UVV
ergibt, wonach für die Unterhaltskosten ein Abzug vom Taggeld vorgenommen wird, wenn die Unfallversicherung diese Kosten deckt. Eine entsprechende Regelung enthielt im übrigen auch
Art. 75 KUVG
(vgl. dazu
BGE 105 V 202
Erw. 2a und b). Die Naturalleistungen bilden demnach einen Bestandteil des Taggeldes nach UVG bzw. des Krankengeldes nach KUVG. Dies hat zur Folge, dass gemäss
Art. 25bis IVG
das Taggeld der Unfallversicherung ohne den allfälligen Abzug für die Unterhaltskosten mit dem Taggeld der Invalidenversicherung einschliesslich des vollen Eingliederungszuschlages von gegenwärtig Fr. 18.-- im Tag zu vergleichen ist (vgl. Rz. 42.4 des ab 1. Januar 1986 gültigen Nachtrages 3 zum Kreisschreiben über die Taggelder sowie Rz. 18 des ab 1. Januar 1986 gültigen Anhanges). Der Beschwerdeführer hat demnach nur Anspruch auf ein Taggeld der Invalidenversicherung in der Höhe von Fr. 153.-- (Krankengeld nach KUVG ohne Abzug für Unterhaltskosten, das höher ist als das Taggeld der Invalidenversicherung einschliesslich des Eingliederungszuschlages).
Laut
Art. 27 Abs. 2 UVV
wird zwar bei Versicherten, die für minderjährige oder in Ausbildung begriffene Kinder zu sorgen haben,
BGE 112 V 168 S. 174
kein Abzug für die Unterhaltskosten in einer Heilanstalt vorgenommen. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass in diesen Fällen zum Taggeld der Unfallversicherung ein Zuschlag für die ohne Belastung des Versicherten von der Unfallversicherung übernommenen Unterhaltskosten zu berücksichtigen ist (vgl. Rz. 42.4 des Nachtrages 3 zum Kreisschreiben).
5.
(Parteientschädigung.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Kantonalen Versicherungsgerichtes Wallis vom 16. Dezember 1985 sowie die Kassenverfügung vom 16. Oktober 1985 aufgehoben, und die Kantonale Ausgleichskasse des Wallis wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer vom 2. September 1985 bis 1. September 1986 ein Taggeld von Fr. 153.-- zu bezahlen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d86b8234-1df2-474b-ae0d-657547747a07 | Urteilskopf
138 III 94
14. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Handelsgericht des Kantons Zürich (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_168/2011 vom 16. Januar 2012 | Regeste
Anfechtung eines Zwischenentscheides über die Zuständigkeit ausschliesslich im Kostenpunkt (
Art. 92 und 93 BGG
).
Beanstandet eine Partei einen Zwischenentscheid über die Zuständigkeit ausschliesslich im Kostenpunkt, findet die Ausnahmeregelung nach
Art. 92 BGG
keine Anwendung. Die Anfechtbarkeit richtet sich vielmehr nach
Art. 93 BGG
(E. 2).
Ausnahmsweiser Verzicht auf die Erhebung von Kosten (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 94
BGE 138 III 94 S. 94
Aus den Erwägungen:
2.
Die Vorinstanz hat die Unzuständigkeitseinrede der Beschwerdeführerin verworfen und damit einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über die Zuständigkeit im Sinne von
Art. 92 BGG
gefällt (zum Begriff vgl.
BGE 135 III 566
E. 1.1 S. 568 f. mit Hinweisen).
2.1
Vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit wenn möglich nur einmal befassen soll (
BGE 134 III 188
E. 2.2 S. 191;
BGE 133 III 629
E. 2.1 S. 631), sieht das Gesetz Ausnahmen vor, namentlich mit Bezug auf Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und den Ausstand, die als solche angefochten werden können und müssen, da im Rahmen der Anfechtung des Endentscheids nicht mehr darauf zurückgekommen werden kann (
Art. 92 BGG
). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass prozessökonomische Gründe und
BGE 138 III 94 S. 95
die Parteiinteressen erheischen, über gewisse im Zwischenentscheid behandelte gerichtsorganisatorische Fragen endgültig zu entscheiden, bevor das Verfahren weiter geführt wird. Es soll einer Partei nicht die volle Prozessführung einschliesslich der Beweisführung bis zum Endentscheid zugemutet werden mit dem Risiko, dass die Gegenpartei das instanzabschliessende Urteil mit Aussicht auf Erfolg wegen Unzuständigkeit anficht und das gesamte Verfahren wiederholt werden müsste (UHLMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 13 zu
Art. 92 BGG
; VON WERDT, in: Bundesgerichtsgesetz, 2007, Seiler/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], N. 6 zu
Art. 92 BGG
; DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, N. 3283 zu
Art. 92 und 93 BGG
).
2.2
Mit Bezug auf die Frage der Zuständigkeit hat die Beschwerdeführerin den Zwischenentscheid des Handelsgerichts aber gerade nicht angefochten. Die in einem kantonalen Entscheid in einer Zivilsache ergangene Kosten- und Entschädigungsregelung kann zwar selbstständig mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten werden, wenn, wie im zu beurteilenden Fall, bezüglich der Hauptsache die Beschwerde in Zivilsachen offensteht und dafür keine besonderen Verfahrenswege vorgeschrieben sind (
BGE 134 I 159
E. 1.1 S. 160 mit Hinweisen). Die Gründe, die rechtfertigen, dass Zwischenentscheide über die Zuständigkeit nach
Art. 92 BGG
ausnahmsweise sofort anzufechten sind, entfallen aber, wenn die beschwerdeführende Partei die Zuständigkeit vor Bundesgericht nicht anficht. Für die Statuierung einer Ausnahme vom Grundsatz, wonach sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (
BGE 134 III 188
E. 2.2 S. 191;
BGE 133 III 629
E. 2.1 S. 631), besteht unter diesen Umständen kein Anlass, zumal die Ausnahme restriktiv zu handhaben ist.
2.3
Werden einzig die Kostenfolgen beanstandet, erscheint es nicht gerechtfertigt, Zwischenentscheide über die Zuständigkeit anders als andere Zwischenentscheide zu behandeln, in denen die Kostenverlegung auch erst angefochten werden kann, nachdem der Endentscheid ergangen ist (
BGE 135 III 329
). Der Anwendungsbereich von
Art. 92 BGG
ist teleologisch auf diejenige Fälle einzuschränken, in denen vor Bundesgericht Fragen der Zuständigkeit oder des Ausstandes thematisiert werden. Die blosse Anfechtung der Nebenfolgen der Abweisung einer Unzuständigkeitseinrede richtet sich daher nicht nach
Art. 92 BGG
, sondern wie bei jedem anderen Zwischenentscheid im Sinne des BGG nach
Art. 93 BGG
. Wird die Zuständigkeit nicht
BGE 138 III 94 S. 96
in Frage gestellt, können mithin, wenn keine Ausnahme nach
Art. 93 Abs. 1 BGG
gegeben ist, die Kostenfolgen des Zwischenentscheides über die Zuständigkeit beim Bundesgericht nur im Rahmen von
Art. 93 Abs. 3 BGG
mit Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden (
BGE 135 III 329
E. 1 S. 331 ff.; Urteil des Bundesgerichts 4A_128/2009 vom 1. Juli 2009 E. 1).
2.4
Dass der Beschwerdeführerin aufgrund der festgesetzten Höhe der Kosten des Zwischenentscheides ein nicht wieder gutzumachender Nachteil entstehen könnte (
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
), ist namentlich mit Blick auf die spätere Anfechtbarkeit des Endentscheides nicht ersichtlich. Etwas anderes legt die Beschwerdeführerin auch nicht dar.
3.
Damit erweist sich die Beschwerde als unzulässig, weshalb nicht darauf einzutreten ist. Da
Art. 92 BGG
nach seinem Wortlaut die sofortige Anfechtung der Zwischenentscheide über die Zuständigkeit verlangt und das Bundesgericht sich zu dessen Tragweite bis anhin nicht geäussert hat, erscheint angemessen, ausnahmsweise von der Auferlegung von Kosten für das Verfahren vor Bundesgericht abzusehen. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d8773f9f-48d2-4afa-8dd3-a09cee1e56e5 | Urteilskopf
107 Ia 112
22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. September 1981 i.S. Pyramide-Musik-Club gegen Regierungsrat des Kantons St. Gallen und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; St. Gallisches Gesetz über das Gastwirtschaftsgewerbe und den Klein- und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken vom 26. Februar 1945 (Wirtschaftsgesetz).
1. Es ist nicht willkürlich, einen in der Rechtsform des Vereins geführten "Club-Betrieb", in welchem die Besucher praktisch die Annehmlichkeiten eines bewilligten Nachtlokals geniessen, dem St. Gallischen Wirtschaftsgesetz zu unterstellen.
2. Die extensive Auslegung des Begriffes "beherbergen" oder ein entprechender Analogieschluss dient in solchen Fällen der Aufrechterhaltung und richtigen Weiterbildung der Rechtsordnung und verletzt deshalb das verfassungsmässige Legalitätsprinzip nicht. | Sachverhalt
ab Seite 113
BGE 107 Ia 112 S. 113
Der Pyramide-Musik-Club, ein Verein im Sinne von
Art. 60 ff. ZGB
, hat an der Langgasse 136 in St. Gallen ein Clublokal mit einer Tanzfläche gemietet. Das Lokal bietet 100 und mehr Personen Platz. Seit März 1980 ist es nur jeweils in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag und am Sonntagnachmittag geöffnet. Der Verein offeriert Tanzmusik ohne Abgabe von Getränken oder Essen. Jedermann kann beim ersten Eintritt eine Mitgliederkarte für Fr. 6.-- erwerben; nach den Vereinsstatuten wird zudem für die Teilnahme an einem Vereinsanlass ein Eintrittsgeld von Fr. 9.-- erhoben. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zählt der Verein rund 1300 Mitglieder. Die Vereinsmitglieder können mitgebrachte alkoholische und nicht alkoholische Getränke in den Clubräumen geniessen. Bis zu einer Intervention der Gewerbepolizei vom 4. Juni 1980 wurden auch Gläser zur Verfügung gestellt.
Mit Entscheid vom 28. Mai 1980 erklärte das Kantonale Volkswirtschaftsdepartement den Clubbetrieb gestützt auf Art. 2 des Wirtschaftsgesetzes vom 26. Februar 1945 (nGS 225) für patentpflichtig. Es untersagte die Bedienung von Gästen und das zur Verfügungstellen von Gläsern, Eiswürfeln, Siphon und anderen der Konsumation dienenden Dienstleistungen. Es verbot zudem die Duldung der Konsumation mitgebrachter Speisen und Getränke. Gäste, die dieser Aufforderung keine Folge leisteten, seien wegzuweisen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde die Schliessung des Betriebes und notfalls die Siegelung angedroht. Eine gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde an den Regierungsrat wurde von diesem am 4. November 1980 abgewiesen; auch die hiegegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen am 19. März 1981 ab.
Mit Eingabe vom 9. Mai 1981 erhebt der Beschwerdeführer fristgemäss staatsrechtliche Beschwerde; er beruft sich auf
Art. 4 BV
, aber nicht auf
Art. 31 BV
.
Der Regierungsrat hat auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet. Das Verwaltungsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Das St. Gallische Gesetz über das Gastgewerbe und den Klein- und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken vom 26. Februar 1945 (Wirtschaftsgesetz; WG) bestimmt:
BGE 107 Ia 112 S. 114
Staatliche Aufsicht
"Art. 1. Das Gastwirtschaftsgewerbe sowie der Klein- und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken sind der Aufsicht des Kantons und der Gemeinden unterstellt und den durch das öffentlichen Wohl bedingten Beschränkungen unterworfen."
Patentpflicht
"Art. 2. Wer gewerbsmässig Gäste beherbergen, gegen Entgelt Speisen und Getränke zum Genuss an Ort und Stelle verabreichen oder den Klein- oder Mittelverkauf alkoholhaltiger Getränke über die Gasse betreiben will, bedarf hiezu einer staatlichen Bewilligung (Patent)."
Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Entscheid zum Schlusse gekommen, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers unter
Art. 2 WG
subsumiert werden könne.
Es fragt sich, ob das Verwaltungsgericht damit das kantonale Recht willkürlich ausgelegt oder angewendet hat. Nach der Rechtsprechung liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre; das Bundesgericht weicht nur vom Entscheid der kantonalen Behörde ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (
BGE 105 Ia 176
E. 4b, 300, 322 E. 3b;
BGE 103 Ia 431
E. 4;
BGE 100 Ia 6
).
a) In zwei früheren Fällen hatte sich das Bundesgericht ebenfalls mit der Unterstellung derartiger "Club-Betriebe" unter das kantonale Wirtschaftsrecht zu befassen.
aa) Im Urteil vom 28. Mai 1969 i.S. Tizziani c. Regierungsrat des Kantons Schwyz, publiziert in ZBl 71/1970 379, ging es um das Recht das Kantons Schwyz. In dessen Wirtschaftsgesetz wird ebenfalls die gewerbsmässige Beherbergung und die Verabreichung von Speisen und Getränken der Gastwirtschaftsgesetzgebung unterstellt. Der Fall lag jedoch eindeutiger als die heute zu beurteilende Beschwerde. Dort hatten die in das Nachtlokal in Schindellegi SZ eintretenden Gäste einen Getränkeautomat zur Verfügung, was selbstverständlich eine Verabreichung von Getränken darstellt. Geschäftsführer und Seviertochter bezogen zudem einen Monatslohn von je Fr. 800.--. In der Erwägung 5b wurde indessen ausgeführt, bei einem solchen Betrieb könne man von einer "Beherbergung" im Sinne von
§ 1 Abs. 2 WG
sprechen auch wenn kein solcher Automat bestünde; es genüge, dass einer grossen Zahl von Menschen (dort 50-60 Personen) täglich von
BGE 107 Ia 112 S. 115
22.00 bis 04.00 Gelegenheit geboten werde, sich in einem wie eine Wirtschaft hergerichteten Raum aufzuhalten, mitgebrachte alkoholische Getränke zu geniessen und untereinander zu verkaufen oder zu tauschen; ein solcher Betrieb könne ohne Willkür als Wirtschaftsbetrieb im Sinne des Wirtschaftsgesetzes betrachtet werden und die Bewilligungspflicht halte vor
Art. 31 BV
stand.
bb) Im Urteil vom 30. Oktober 1980 i.S. Stam c. Conseil d'Etat du Canton de Vaud ging es um einen Cercle in La Tour-de-Peilz. Das Wirtschaftsgesetz des Kantons Waadt kennt, anders als die Wirtschaftsgesetze von Schwyz und St. Gallen, ausdrücklich ein Clubpatent ("une patente de cercle"); fraglich war jedoch, ob dieser Patentpflicht ein Privatclub ("cercle privé") untersteht, bei dem jedes Vereinsmitglied ein eigenes Kühlfach hat, aus dem es seinen Freunden Flaschen offerieren kann. Art. 1 des WG/VD unterstellt der Patentpflicht "toute personne qui, professionnellement ou dans un but lucratif, loge des hôtes, sert à manger et à boire des consommations prises sur place, ...". Das Bundesgericht erklärte es als willkürlich, den Cercle in La Tour-de-Peilz der Wirtschaftsgesetzgebung zu unterstellen, da er nicht berufsmässig (von einer "personne professionnelle") geführt werde und auch keinen Erwerbszweck anstrebe ("but lucratif").
b) Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter "beherbergen", das Gewähren einer Gelegenheit die Nacht unter einem Dach zu verbringen; normalerweise denkt man dabei an das Verbringen einer Nacht in einem Bett oder doch auf einer Pritsche. Regierungsrat und Verwaltungsgericht wollen den Begriff nun aber auch auf einen Betrieb anwenden, der statt einer Schlafstätte Räumlichkeiten zum Aufenthalt und die Möglichkeit zur Konsumation mitgebrachter Getränke anbietet. Es fragt sich, ob eine derart extensive Auslegung des Gesetzes noch mit dem Willkürverbot vereinbar ist.
Man wird dem Beschwerdeführer zugeben müssen, dass der historische Gesetzgeber wohl kaum an den heute zu beurteilenden Fall gedacht hat, und man kommt auch nicht um die Feststellung herum, dass das Patent, um das der Beschwerdeführer nachsuchen müsste wenn er seinen Betrieb weiterführen wollte, unter keine der acht Patentarten des
Art. 22 WG
/SG zu subsumieren wäre. Die Worte "beherbergen" und "Beherbergung" in
Art. 22 Ziff. 1, 2 und 5 WG
beziehen sich auf die Gewährung einer Übernachtungsmöglichkeit in einem Gasthof oder in einer Fremdenpension. Es ist auch schwierig, den Betrieb des Beschwerdeführers im Sinne der
BGE 107 Ia 112 S. 116
Erwägung des Regierungsrates einer Speisewirtschaft (Patent gemäss
Art. 22 Ziff. 3 WG
) gleichzustellen, da ja gerade keine Speisen und Getränke abgegeben werden. Immerhin gibt das Verwaltungsgericht doch hinreichende Gründe für seine extensive Auslegung des Wortes "Berherbergung", die den Vorwurf der Willkür ausschliessen. Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die Clubeinrichtung des Beschwerdeführers wesentliche Merkmale eines Gastwirtschaftsbetriebes aufweist, die es ihm gestatten, die Einrichtung des Clubs mit derjenigen eines Wirtschaftsbetriebes zu vergleichen: der Betrieb bietet Platz für über 100 Personen und der Eintritt wird grundsätzlich jedermann zugestanden, der den Eintrittspreis bezahlt. Es handelt sich also praktisch um ein öffentliches Lokal. Darin liegt der erste wesentliche Unterschied zum Fall Stam. Zudem ist klar, dass der Club ein gewerbsmässiger Betrieb ist, auch wenn er nur am Sonntagnachmittag sowie in der Nacht von Samstag auf den Sonntag geführt wird, und es weder einen hauptamtlichen Geschäftsführer, noch hauptamtliches weiteres Personal hat. Wie das Bundesgericht in anderem Zusammenhang festgehalten hat, ist eine Tätigkeit in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch dann als gewerbsmässig anzusehen, wenn sie zu Erwerbszwecken ausgeübt wird; unerheblich ist dabei, ob diese Tätigkeit im Rahmen des gesamten Erwerbs von untergeordneter Bedeutung ist (
BGE 96 I 174
E. 2;
BGE 93 I 288
). Der Clubbetrieb fordert von seinen rund 1300 Mitgliedern sowie den noch dazukommenden Gästen nicht unerhebliche Beiträge. In Tageszeitungen wird um den Besuch weiterer Interessenten geworben. Der Betrieb macht die Beschäftigung von verschiedenem Personal erforderlich, dem, wenn es auch nur nebenamtlich tätig ist, immerhin die Unkosten ersetzt werden. Mit Recht stellt daher das Verwaltungsgericht fest, dass im vorliegenden Fall eine auf Einnahmen hinzielende Tätigkeit vorliege, der die Absicht zugrunde liege, mindestens die Betriebskosten zu decken. Es durfte daher ohne Willkür davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Sinne von
Art. 2 WG
gewerbsmässig handelte.
Das Lokal soll ausserdem zu einer Nachtzeit offenstehen, zu der bereits alle anderen öffentlichen Lokale geschlossen sind. Schliesslich beruht der ganze Betrieb auf dem Gedanken, dass zwar der Verein weder Speisen oder Getränke abgibt, dass aber "mitgebrachte Getränke" konsumiert werden können. Dabei ist davon auszugehen, dass die "aktiven Vereinsmitglieder" genügend Getränke mitbringen, um auch den neu eingetretenen Gast-Mitgliedern,
BGE 107 Ia 112 S. 117
die den Eintrittspreis bezahlt haben, etwas zu trinken anzubieten, sei es gegen zusätzliches Entgelt, sei es unentgeltlich. Praktisch geniesst deshalb der Besucher weitgehend die Annehmlichkeiten eines bewilligten Nachtlokals. Es liegt auf der Hand, dass das Lokal kaum Besucher anziehen würde, wenn sie nicht damit rechnen könnten, dort etwas zu Trinken zu finden.
Ohne es ausdrücklich zu sagen, nehmen die kantonalen Instanzen damit praktisch an, das Vorgehen des Beschwerdeführers beinhalte eine Umgehung der geltenden Wirtschaftsgesetzgebung. Der Beschwerdeführer richtet sein Verhalten bewusst so ein, dass der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt wird, aber das wirtschaftliche Ziel doch erreicht wird. Dieses Ziel liegt darin, den Gästen eine angenehme Nacht mit Musik und eventuell mit Tanz zu vermitteln sowie die Gelegenheit zu bieten, mitgebrachte Getränke zu konsumieren. Bei dieser Sachlage ist eine solche analoge Anwendung der bestehenden Normen auf den zu beurteilenden Tatbestand jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür nicht zu beanstanden. Eines der Ziele der gesetzlichen Regelung ist die polizeiliche Überwachung und die Schliessung der öffentlichen Lokale von der Polizeistunde an unter Vorbehalt besonderer Ausnahmebewilligungen (
Art. 38 WG
). Diese Regelung dient der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in öffentlichen Lokalen und Bewahrung der Nachtruhe. Es geht nicht an, dass Betriebe, wie derjenige des Beschwerdeführers, diese Ordnung ohne Bewilligung durchbrechen. In solchen Fällen dient die extensive Auslegung oder der Analogieschluss der Aufrechterhaltung und richtigen Weiterbildung der Rechtsordnung und er verletzt deshalb das verfassungsmässige Legalitätsprinzip nicht. Die Beschwerde ist deshalb vollumfänglich abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d87c7210-3963-48d6-bc28-044931e3d543 | Urteilskopf
114 II 314
57. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Juni 1988 i.S. Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt gegen Kuhn (Berufung) | Regeste
Grunddienstbarkeit; Inhalt (
Art. 730 ZGB
).
1. Es ist grundsätzlich zulässig, das Verbot, auf einem Grundstück ein bestimmtes Gewerbe zu betreiben, als Grunddienstbarkeit auszugestalten (Erw. 2 und 3).
2. Die Dienstbarkeit, wonach es untersagt ist, auf dem belasteten Grundstück eine Bäckerei und Konditorei zu betreiben, wird durch den blossen Verkauf von Brot und anderen Backwaren in einem Discount-Ladengeschäft nicht verletzt (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 314
BGE 114 II 314 S. 314
Albrik Kuhn ist Eigentümer der Liegenschaft GB Wohlen Nr. 3378, Plan 30, Parzelle 3708, auf der er eine Bäckerei und Konditorei betreibt. Zugunsten seines Grundstücks und zu Lasten der Nachbarliegenschaft GB Wohlen Nr. 431, Plan 30, Parzelle 3344, wurde mit Vertrag vom 5. Januar 1982 unter anderem folgende Dienstbarkeit vereinbart, die im Grundbuch eingetragen wurde:
"VI. Begründung einer Gewerbebeschränkung
Josef Stocker als Eigentümer der belasteten Parzelle 3344 räumt Albrik
Kuhn als Eigentümer der berechtigten Parzelle 3708 eine
Gewerbebeschränkung ein. Danach darf auf dem belasteten Grundstück
Parzelle 3344 zugunsten des berechtigten Grundstückes 3708 keine Bäckerei
und Konditorei betrieben werden."
Das Grundstück Nr. 431 wurde in der Folge überbaut und alsdann durch die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt erworben. Diese vermietet im Neubau Ladenräumlichkeiten an den Lebensmittelverein Zürich, der unter der Geschäftsbezeichnung
BGE 114 II 314 S. 315
"Billi-Top-Discount" auch Brot und andere Backwaren feilhält.
Mit Eingabe vom 2. Juli 1986 reichte Albrik Kuhn beim Bezirksgericht Bremgarten gegen die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt Klage ein mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verpflichten, auf dem Grundstück GB Wohlen Nr. 431, Plan 30, Parzelle 3344, jeglichen Verkauf von Bäckerei- und Konditoreiprodukten einzustellen bzw. einstellen zu lassen.
Die Beklagte beantragte hierauf widerklageweise, es sei festzustellen, dass die vom Kläger angerufene Gewerbebeschränkung nicht Inhalt einer Dienstbarkeit sein könne.
Mit Urteil vom 30. Oktober 1986 entschied das Bezirksgericht, dass die Klage gutgeheissen und die Widerklage abgewiesen werde.
Eine von der Beklagten hiergegen eingereichte Beschwerde wies das Obergericht (1. Zivilabteilung) des Kantons Aargau am 23. März 1987 ab.
Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie erneuert ihr Widerklagebegehren und verlangt demzufolge, der Eintrag der strittigen Gewerbebeschränkung im Grundbuch sei zu löschen; eventuell sei festzustellen, dass durch den Verkauf von Brot- und Backwaren im "Billi-Top-Discount" die Gewerbebeschränkung nicht verletzt werde.
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht hält die Ausgestaltung einer Gewerbebeschränkung als Dienstbarkeit selbst dort für zulässig, wo es um ein reines Konkurrenzverbot geht. Nach Ansicht der Vorinstanz wären die Grundbuchämter überfordert, wenn sie zu unterscheiden hätten zwischen Gewerbebeschränkungen, die sich auf die Nutzung des Grundstücks auswirkten, und solchen, die ausschliesslich der Durchsetzung eines Konkurrenzverbots dienten. Ob eine Gewerbebeschränkung der Abwehr unerwünschter Immissionen diene oder sonstwie die Nutzung des belasteten Grundstücks betreffe, hange im Einzelfall stark von den örtlichen Gegebenheiten wie etwa der bisherigen Nutzung sowie den im fraglichen Gebiet geltenden Bau-, Immissions- und Nutzungsvorschriften ab; zudem könnte im Dienstbarkeitsvertrag die Abwehr von Immissionen als Zweck lediglich vorgespiegelt werden. Die Vorinstanz
BGE 114 II 314 S. 316
gelangte ferner zum Schluss, dass die strittige Gewerbebeschränkung nicht nur den Betrieb eines herkömmlichen Bäckerei- und Konditoreigeschäfts erfasse, sondern als generelles Verbot, Backwaren zu verkaufen, zu verstehen sei.
3.
a) In
BGE 86 II 243
ff. hatte das Bundesgericht über eine Grunddienstbarkeit zu befinden, wonach auf der belasteten Liegenschaft "weder ein Kolonial-, Mercerie- und Schuhwarengeschäft, noch ein Warenhaus betrieben werden" durfte. Es hielt fest, dass Dienstbarkeiten, die dem Eigentümer des belasteten Grundstücks eine Betätigung untersagten, zu der er nicht bloss kraft seines Grundeigentums, sondern kraft der jedermann zustehenden persönlichen Freiheit befugt wäre, einschränkend auszulegen seien; es frage sich sogar, ob eine solche einzig im Sinne eines Konkurrenzverbots vereinbarte Gewerbebeschränkung sich überhaupt als Grunddienstbarkeit verdinglichen lasse. Unter Hinweis auf die herrschende Lehre und auf den Umstand, dass Dienstbarkeiten der fraglichen Art in der Schweiz eine geradezu gewohnheitsrechtliche Bedeutung erlangt hätten, erklärte das Bundesgericht, die Schranken von
Art. 730 Abs. 1 ZGB
betreffend den Inhalt einer Grunddienstbarkeit seien jedenfalls dann gewahrt, wenn die Last zum Schutz eines auf dem berechtigten Grundstück dauernd betriebenen Gewerbes begründet werde, das seinerseits diesem Grundstück seinen wirtschaftlichen Charakter aufpräge (
BGE 86 II 252
f. E. 6).
b) Der Entscheid des Bundesgerichts stiess namentlich bei LIVER auf heftige Kritik (vgl. ZBJV 97/1961, S. 380 ff.; dazu auch Kommentar, N. 135 f. zu
Art. 730 ZGB
). Dieser Autor wendet insbesondere ein, die "Verdinglichung" eines Konkurrenzverbots im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis führe dazu, dass die Schranken, die das Obligationenrecht hinsichtlich Zeit, Ort und Gegenstand für ein Konkurrenzverbot vorsehe, umgangen würden, und lasse ein solches Verbot zu einer absolut und voraussetzungslos wirkenden Bindung von ewiger Dauer werden; Beschränkungen der persönlichen Handlungsfreiheit fielen im übrigen gar nicht unter den Begriff der Dienstbarkeit; Dienstbarkeiten seien Beschränkungen des Eigentums, vor allem des Grundeigentums; durch sie werde dem Belasteten eine Eigentümerbefugnis entzogen. Mit einer einschränkenden Auslegung der Gewerbebeschränkungen, wie sie das Bundesgericht empfehle, sei sehr wenig zu erreichen; ebensowenig helfe der bundesgerichtliche Hinweis auf die Utilität als Rechtfertigungsgrund; in erster Linie komme es unter
BGE 114 II 314 S. 317
diesem Gesichtspunkt nicht auf das berechtigte, sondern auf das belastete Grundstück an.
Die Auffassung LIVERS wird in der übrigen Literatur insofern geteilt, als dem Grundsatze nach einhellig davon ausgegangen wird, dass die als Grunddienstbarkeit ausgestaltete Gewerbebeschränkung einer Beschränkung der Eigentümerbefugnisse auf seiten des belasteten Grundstücks gleichkommen müsse (vgl. HUBER, in: ZBGR 33/1952, S. 150 f., und ZBGR 41/1960, S. 380 f.; EGGEN, in: ZBGR 39/1958, S. 136; PIOTET, Dienstbarkeiten und Grundlasten, in: Schweizerisches Privatrecht, Band V/1, S. 551; REY, N. 85 ff. zu
Art. 730 ZGB
; RIEMER, Die beschränkten dinglichen Rechte, Grundriss des schweizerischen Sachenrechts, II. Band, S. 64; ZOBL, Der zulässige Inhalt von Dienstbarkeiten, Diss. Zürich 1976, S. 132 ff.). Unterschiedliche Meinungen herrschen allerdings darüber, wann gesagt werden kann, eine Betätigung bestimme den körperlichen Zustand, die äussere Erscheinungsform sowie den wirtschaftlichen oder sozialen Charakter des dienenden Grundstücks und mit deren Unterlassung solle eine nach aussen schädigende, belästigende oder störende Eigentumsnutzung verhindert werden (vgl. LIVER, N. 110 zu
Art. 730 ZGB
; PIOTET, a.a.O. S. 551). Immerhin fällt auf, dass sowohl PIOTET (a.a.O.) wie auch REY (N. 91 zu
Art. 730 ZGB
) und ZOBL (a.a.O.) die bundesgerichtliche Rechtsprechung in
BGE 86 II 243
ff. (wie auch in
BGE 85 II 177
ff.) im Ergebnis billigen.
c) Die Nutzung eines Grundstücks zu gewerblichen Zwecken und demzufolge auch das Unterlassen einer gewerblichen Tätigkeit prägen die äussere Erscheinungsform und den wirtschaftlichen sowie sozialen Charakter des betroffenen Grundstücks in jedem Fall. Ob und in welcher Art eine Liegenschaft gewerblich genutzt werden darf, ist somit nicht nur eine Frage der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, sondern regelmässig auch eine solche des Rechts des Eigentümers zur Nutzung seines Grundstücks. Es geht deshalb nicht an, die Ausgestaltung eines Gewerbeverbots - sei es umfassend, sei es beschränkt - als Dienstbarkeit von vornherein auszuschliessen mit der Begründung, ein solches habe mit der Grundstücksnutzung nichts zu tun. Soweit aber die Nutzung des Grundeigentums in Frage steht, bleibt ohne Belang, dass mit einer Gewerbebeschränkung unter Umständen ein Konkurrenzverbot erreicht werden soll, weil sich auf dem herrschenden Grundstück bereits ein entsprechender Gewerbebetrieb befindet;
BGE 114 II 314 S. 318
die Zulässigkeit einer Dienstbarkeit beurteilt sich nicht nach dem Motiv, sondern einzig nach dem Inhalt.
d) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Verpflichtung, auf einem bestimmten Grundstück keine Bäckerei und Konditorei zu betreiben, wie sie hier strittig ist, grundsätzlich ebensogut Gegenstand einer Dienstbarkeit sein kann wie etwa das Verbot, eine Gastwirtschaft zu führen (das auch von LIVER, N. 131 zu
Art. 730 ZGB
, für zulässig gehalten wird). Dass hier der Kläger auf seinem Grundstück selbst ein Geschäft der fraglichen Art betreibt, vermag daran nichts zu ändern. Soweit die Beklagte verlangt, es sei festzustellen, dass die strittige Gewerbebeschränkung nicht Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein könne, und das Grundbuchamt sei anzuweisen, die entsprechenden Einträge zu löschen, ist die Berufung mithin unbegründet.
4.
Die zugunsten des klägerischen Grundstücks eingetragene Dienstbarkeit steht indessen einem Ladengeschäft, wie es vom Mieter der Beklagten betrieben wird, auch nach Ansicht des Klägers nicht entgegen. Ob in einem solchen Geschäft Esswaren, Tranksame oder etwa Papeterieartikel oder Kleider verkauft werden, hat in aller Regel keinen wesentlichen Einfluss auf den Charakter des betreffenden Grundstücks. Mit einer als Dienstbarkeit ausgestalteten Gewerbebeschränkung kann deshalb grundsätzlich nicht bestimmt werden, was im Ladengeschäft soll feilgeboten werden dürfen. Gründe, die zu einem andern Schluss führen würden, sind hier nicht ersichtlich. Zur Einschränkung des Warensortiments bedürfte es einer schuldrechtlichen Verpflichtung, wobei mit einem Konkurrenzverbot dieser Art freilich den Schranken von
Art. 27 ZGB
Rechnung zu tragen wäre.
Die Berufung ist somit insofern gutzuheissen, als festzustellen ist, dass der blosse Verkauf von Brot und anderen Backwaren auf dem Grundstück der Beklagten die zugunsten der klägerischen Liegenschaft eingetragene Grunddienstbarkeit (Gewerbebeschränkung) nicht verletzt. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d87ead29-e5af-493e-bab2-1e9da40d9077 | Urteilskopf
99 Ia 689
79. Arrêt du 11 juillet 1973 dans la cause Praz contre Conseil d'Etat du canton de Genève | Regeste
Demonstration auf öffentlicher Strasse; Verweigerung der Bewilligung.
1. Kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde; Ausnahme (Erw. 2).
2. Aktuelles und unmittelbares Interesse an der Beschwerde; Ausnahme (Erw. 3).
3. Begründung des kantonalen Entscheides (Erw. 5).
4. Erfordernis der Bewilligung für eine Demonstration auf öffentlichem Grund (Erw. 6).
5. Gründe, die eine Verweigerung der Bewilligung rechtfertigen; Verhältnismässigkeit (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 690
BGE 99 Ia 689 S. 690
A.-
Par lettre du 23 juin 1972, Narcisse René Praz a demandé au Département de justice et police du canton de Genève, au nom du journal "La Pilule" dont il est l'éditeur et le rédacteur en chef, l'autorisation "d'organiser une manifestation de rue pacifique, dans le but d'attirer l'attention des gens sur la nécessité urgente d'obtenir que soient désarmés tous les policiers suisses, tous les douaniers suisses, tous les gardes-chasse suisses". La manifestation devait avoir lieu le 28 juin, à 18 h 15, du boulevard Carl-Vogt à la place du Bourg-de-Four.
Le 26 juin, Praz a adressé au Département de justice et police un télégramme l'informant que, sans réponse affirmative jusqu'à midi, il reporterait la manifestation au 30 juin. N'ayant pas reçu de réponse, il a écrit dans le même sens des lettres au Département de justice et police et au Conseil d'Etat le 28 juin. Ce même jour, le Département de justice et police a écrit à Praz pour l'informer que sa demande avait été soumise au Conseil d'Etat, qui avait décidé de refuser l'autorisation demandée.
B.-
Agissant par la voie du recours de droit public, Praz et "La Pilule" concluent à l'annulation de la décision du Conseil d'Etat. Praz demande de plus au Tribunal fédéral de dire que luimême
BGE 99 Ia 689 S. 691
et le journal "La Pilule", dont il est l'éditeur, sont autorisés à organiser une manifestation de rue pacifique dans le but d'attirer l'attention de l'opinion publique sur la nécessité urgente d'obtenir que soient désarmés tous les policiers suisses, tous les douaniers suisses et tous les gardes-chasse suisses. Ils se plaignent d'une violation des droits constitutionnels des citoyens, en particulier de l'
art. 4 Cst.
Ils affirment que la décision du Conseil d'Etat viole la liberté d'expression et la liberté de réunion, ainsi que le principe de la proportionnalité.
Le Conseil d'Etat conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Question de procédure.)
2.
Le recours de droit public ne peut tendre en principe qu'à l'annulation de la décision attaquée. Est dès lors irrecevable la conclusion qui demande au Tribunal fédéral d'accorder luimême l'autorisation sollicitée. En revanche, lorsqu'il s'agit d'une autorisation de police, le recourant peut requérir la cour de céans d'enjoindre à l'autorité cantonale d'accorder une autorisation refusée prétendument à tort.
3.
La manifestation envisagée aurait dû se dérouler le 28 juin 1972, éventuellement le 30 juin. Déposé le 28 juillet 1972, le présent recours est postérieur à ces deux dates, de sorte que même s'il était admis, la manifestation ne pourrait avoir lieu aux dates envisagées. Mais le recours n'est pas irrecevable pour autant: le Tribunal fédéral renonce en effet à l'exigence de l'intérêt actuel et pratique à l'admission d'un recours lorsque cette exigence fait obstacle au contrôle de la constitutionnalité d'un acte qui peut se reproduire dans les mêmes conditions (RO 97 I 918 et les arrêts cités). La recevabilité du recours doit d'autant plus être admise en l'espèce que les recourants ont déclaré vouloir reporter la manifestation à une date ultérieure. 4. - (Epuisement des instances cantonales.)
5.
Les recourants déclarent expressément ne pas contester la base légale invoquée par le Conseil d'Etat pour refuser l'autorisation sollicitée, dès lors que ce refus peut être fondé aussi bien sur la clause générale de police que sur l'art. 2 lettre d du règlement genevois sur la tranquillité publique que le Conseil d'Etat a édicté le 8 août 1956 en application de la loi pénale genevoise du 20 septembre 1941. Selon cette disposition, sont interdits:
BGE 99 Ia 689 S. 692
"les sérénades et aubades, "répétitions marchantes", roulements de tambours, cortèges, rassemblements, assemblées, meetings, réunions ou autres manifestations analogues qui ont lieu sur la voie publique et pour lesquels le département de justice et police n'a pas accordé préalablement son autorisation. L'autorisation doit être requise au moins quarante-huit heures d'avance avec tous renseignements à l'appui."
Les recourants entendent en revanche contester "les raisons ayant amené le Conseil d'Etat à refuser la demande d'autorisation ou plutôt ... l'absence de motif à l'appui de ladite décision".
Ils ne paraissent cependant pas vouloir tirer d'une telle absence de motif le grief de violation du droit d'être entendu. A tout le moins, s'ils entendaient le faire, leur recours ne satisferait pas aux prescriptions de forme prévues à l'
art. 90 al. 1 lettre b OJ
, selon lequel le recours doit contenir un exposé succinct des droits constitutionnels ou des principes juridiques violés, précisant en quoi consiste la violation. Les recourants ne font état d'aucune disposition du droit cantonal qui eût imposé au Conseil d'Etat l'obligation de motiver sa réponse; ils ne se plaignent pas non plus d'une violation du droit d'être entendu découlant directement de l'
art. 4 Cst.
Selon la jurisprudence, on ne saurait d'ailleurs formuler des exigences trop grandes à l'égard de l'administration, lorsque le droit cantonal ne prévoit pas l'obligation de motiver, notamment lorsque l'intéressé peut se rendre compte des motifs qui ont conduit l'autorité à opposer un refus à sa requête (RO 96 I 723).
En l'espèce, l'absence de motif pouvait s'expliquer par le temps très bref qui s'est écoulé entre le moment où l'autorité cantonale a reçu la demande du vendredi 23 juin et le moment où elle a dû y répondre (mercredi 28 juin). Mais l'absence de motif dans la décision attaquée n'a pas entravé les recourants dans la défense de leurs droits: le Conseil d'Etat a indiqué les motifs de son refus dans sa réponse au recours de droit public, au sujet de laquelle les recourants ont pu largement s'exprimer dans un mémoire complétif, en application de l'
art. 93 OJ
.
En réalité, c'est au bien-fondé de ces motifs que les recourants s'en prennent essentiellement, et c'est la question qu'il y a lieu d'examiner spécialement.
6.
La constitution fédérale garantit de façon expresse la liberté de conscience et de croyance (art. 49), la liberté de la presse (art. 55) et la liberté d'association (art. 56); le Tribunal fédéral reconnaît en outre l'existence de droits constitutionnels
BGE 99 Ia 689 S. 693
non écrits, notamment la liberté de réunion et la liberté d'expression (RO 96 I 224 et 592, 97 I 896 et 914), qu'il considère comme la condition de l'exercice d'autres libertés et le fondement indispensable de l'ordre juridique suisse et de la démocratie. Mais le Tribunal fédéral admet lui-même qu'il ne faut user qu'avec prudence du procédé consistant à reconnaître l'existence de droits constitutionnels non écrits (RO 96 I 107 et 223; cf. AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, no 312 p. 125).
Au sujet de la liberté de manifestation, qui ne figure pas parmi les garanties expresses de la constitution, le Tribunal fédéral a examiné, dans l'arrêt Nöthiger et Pinkus (RO 96 I 224), s'il y avait lieu de lui reconnaître le caractère de droit constitutionnel non écrit, à côté de la liberté d'expression et de la liberté de réunion. Aussi longtemps, a-t-il relevé, que la manifestation prend la forme d'une réunion et se déroule sur propriété privée, la protection découlant de la liberté d'expression et de la liberté de réunion apparaît pleinement suffisante; en revanche, le problème se pose de façon différente lorsqu'il s'agit de manifestations sur le domaine public, notamment de cortège sur une voie publique: dans ce cas, il y a usage accru du domaine public, de sorte que les autorités ont la faculté d'exercer, en vue de sauvegarder l'intérêt public, un contrôle plus étendu que s'il s'agit d'une réunion sur propriété privée. Aussi a-t-il pu se dispenser de trancher la question dans l'arrêt Nöthiger. On peut également se dispenser de la trancher ici.
En effet, le Conseil d'Etat ne conteste pas aux citoyens le droit de manifester dans la rue, mais il déclare vouloir être juge de l'opportunité ou de l'inopportunité d'une manifestation, des limites qu'il s'impose de lui assigner quant aux lieux où elle doit se dérouler, quant aux formes et modalités qu'elle doit revêtir sur la voie publique, quant à la fréquence aussi de telles manifestations. De leur côté, les recourants reconnaissent expressément la légalité de l'art. 2 du règlement genevois du 8 août 1956 et admettent que la manifestation envisagée ne pouvait avoir lieu sur la voie publique qu'avec l'autorisation du Département de justice et police. C'est d'ailleurs la raison pour laquelle ils ont eux-mêmes requis une telle autorisation.
7.
Le point essentiel à examiner est ainsi celui de savoir si le Conseil d'Etat était fondé à refuser l'autorisation sollicitée in casu.
Selon la jurisprudence, l'autorité compétente n'est pas libre
BGE 99 Ia 689 S. 694
d'accorder ou de refuser une autorisation de police; lorsqu'il s'agit de manifestation sur la voie publique, elle ne saurait donner la préférence inconditionnelle au seul trafic; saisie d'une demande d'autorisation, elle doit peser les intérêts en présence selon des critères objectifs et prendre sa décision en appréciant équitablement la situation (RO 96 I 232).
a) Le Conseil d'Etat affirme avoir procédé de cette façon. Il relève que les manifestations sont nombreuses à Genève et produit un dossier dont il résulte que, durant la période du 17 mai 1968 au 13 juin 1972, 27 manifestations ont été autorisées - totalement ou partiellement - sur la voie publique, tandis que 10 manifestations étaient interdites. Sur les 27 manifestations autorisées, 13 l'ont été avec cortège; en revanche, pour 4 d'entre elles, les cortèges ont été interdits. Il ajoute qu'à diverses reprises des manifestants, généralement étrangers aux organisateurs de la manifestation, ont commis diverses déprédations (bris de vitres, dégâts à des voitures).
Les raisons qui ont amené le Conseil d'Etat à refuser en l'espèce l'autorisation sollicitée sont exposées dans son mémoire de réponse; elles sont, en bref, les suivantes:
Praz, qui édite un journal satirique, s'en prend constamment aux corps constitués, et notamment à la police; ses écrits ont contribué à préparer le climat d'agitation et d'opposition dans lequel s'est déroulée la visite à Genève du Shah d'Iran, donnant lieu, le 13 juin 1972, à une manifestation interdite et à des affrontements violents entre les participants et la police, causant pour quelque 10 000 francs de dégâts matériels. La demande d'autorisation des recourants a été déposée 10 jours après la manifestation du 13 juin, et la manifestation envisagée présentait un caractère provocateur évident, le cortège devant se former aux abords de l'Hôtel de police, pour gagner le Bourg-de-Four, siège des autorités politiques et judiciaires. Cette manifestation était prévue dans une période où un état de tension régnait au sein du corps de police, à la suite des articles parus dans "La Pilule" et dans "une certaine presse à grand tirage", et où, à la suite des événements précités, un climat de malaise s'était institué entre la population et le corps de police.
Le Conseil d'Etat a craint dès lors que la manifestation envisagée par Praz ne créât "chez les esprits déjà sensibilisés un climat franchement hostile aux corps constitués visés". Et la situation déjà tendue aurait pu s'aggraver au risque d'engendrer
BGE 99 Ia 689 S. 695
des affrontements violents entre éléments incontrôlés, manifestants et forces de l'ordre.
Il ajoute qu'il ne se justifie pas, pour donner satisfaction à quelques esprits animés d'une obsession anti-policière, antidouanière, voire anti-uniforme, de créer un climat d'insécurité et de paralyser des voies de circulation. Les contribuables genevois auraient difficilement admis que l'on oblige les forces de police à accomplir des heures supplémentaires dans un climat de tension pour sauvegarder des intérêts privés pour le moins discutables. Il déclare enfin qu'il lui appartient de prendre en considération le renom international de Genève, qui est terni lorsque de telles manifestations dégénèrent et que leurs participants s'en prennent à des biens étrangers.
b) Le recourant a sans doute le droit - qui ne lui est d'ailleurs pas contesté - de défendre son opinion tendant au désarmement des forces de police et des corps similaires. Il peut ainsi organiser en salle une réunion publique dans laquelle il défendrait les thèses exposées dans sa requête au Département. Mais s'il entend organiser un cortège pour défendre ces thèses, il appartient alors aux autorités, responsables de l'ordre et de la sécurité publics, d'examiner la demande d'autorisation en fonction notamment du règlement sur la tranquillité publique.
Le Tribunal fédéral n'est pas une autorité supérieure de surveillance qui puisse se substituer au Conseil d'Etat pour apprécier les circonstances de fait et se prononcer librement sur le point de savoir si les craintes de l'autorité cantonale étaient fondées ou non. Même là où son pouvoir d'examen n'est pas limité à l'arbitraire parce qu'est en jeu la liberté individuelle - invoquée également par les recourants à côté de l'
art. 4 Cst.
-, le Tribunal fédéral s'impose une certaine retenue à l'égard des constatations de fait de la décision attaquée (RO 92 I 33).
Dans la présente espèce, le Tribunal fédéral constate qu'effectivement la requête des recourants a fait suite à des affrontements sérieux qui ont opposé certains éléments de la population aux forces de police et qui ont provoqué des désordres et des déprédations. Comme une certaine tension régnait à Genève à l'époque, il n'était pas exclu que la manifestation projetée par les recourants pût donner lieu à de nouveaux affrontements. Des désordres et des déprédations étaient d'autant plus à craindre que le recourant Praz n'agissait pas au nom d'un groupe de citoyens, mais entendait prendre à lui tout seul l'initiative
BGE 99 Ia 689 S. 696
d'organiser un cortège; ainsi n'offrait-il pas les garanties que peut en général présenter, pour l'organisation d'une manifestation publique, un groupe structuré, tel qu'un parti politique ou une organisation analogue. L'expérience a démontré que lorsqu'il s'agit de problèmes politiques délicats, les organisateurs doivent disposer d'une structure suffisante pour pouvoir maintenir une certaine discipline parmi les manifestants et rester maîtres de la manifestation. Les recourants n'ont ni prouvé ni même allégué qu'une telle structure existât au sein du journal "La Pilule".
On ne saurait dès lors reprocher au Conseil d'Etat d'avoir abusé de son pouvoir d'appréciation en refusant d'accorder l'autorisation sollicitée.
c) Les recourants allèguent également la violation du principe de la proportionnalité, en soutenant que le Conseil d'Etat, plutôt que d'interdire la manifestation, aurait pu se contenter d'en modifier le parcours, voire l'horaire. Le Conseil d'Etat estime qu'il n'en est rien; une telle modification, dit-il, n'aurait entraîné aucun apaisement ni prévenu les désordres que l'on pouvait craindre.
Le cortège projeté devait suivre un certain parcours, c'est-à-dire conduire les manifestants de l'Hôtel de police au Palais de justice et au Département de justice et police; cette circonstance a été considérée par le Conseil d'Etat comme un élément provocateur. Mais les manifestants auraient pu envisager eux-mêmes une modification du parcours; il n'en ont rien fait. D'ailleurs le Conseil d'Etat a rendu plausible que ce n'est pas seulement le parcours, mais le principe même du cortège envisagé qui pouvait le rendre dangereux pour l'ordre public. Il n'a donc pas porté atteinte au principe de la proportionnalité en refusant l'autorisation sollicitée.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d8926b70-5d39-465c-ac9b-e6aae6d8bdc5 | Urteilskopf
100 IV 66
19. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 mai 1974 dans la cause Kronstein contre Procureur général du canton de Genève. | Regeste
Art. 3 Abs. 4 SVG
.
An alle oder einzelne Benützer gerichtete Parkverbote oder -beschränkungen auf öffentlichen Strassen und Plätzen müssen den in dieser Bestimmung genannten Erfordernissen genügen (Erw. 2 c).
Art. 55 Abs. 3 SSV
.
1. Diese Vorschrift bleibt innerhalb der von
Art. 106 Abs. 1 SVG
gezogenen Grenzen und entspricht dem Zweck sowie den Anforderungen des Gesetzes, wie sie in
Art. 3 Abs. 4 und 5 SVG
festgehalten sind, deren Verwirklichung sie ermöglicht (Erw. 2 d).
2. Dem wegen Übertretung eines an einen unbestimmten Benützerkreis gerichteten Parkverbots in ein Strafverfahren verwickelten Beschwerdeführer steht ein Anspruch auf vorfrageweise Prüfung der Rechtsbeständigkeit und der Verfassungsmässigkeit der fraglichen Verfügung zu (Erw. 2 a und e). | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 100 IV 66 S. 67
A.-
René Kronstein a stationné son véhicule automobile le 5 mai 1973 à 15 h 05 à la rue du Rhône à Genève dans une case entourée de lignes jaunes, avec lignes diagonales de même couleur et comportant l'inscription "livraisons".
B.-
Le 15 février 1974 le Tribunal de police de Genève a condamné Kronstein à une amende de Fr. 30.-. Ensuite d'appel du condamné, la Cour de justice du canton de Genève a, par arrêt du 4 avril 1974, déclaré l'appel irrecevable, faute de vio lation de la loi par le Tribunal de police.
C.-
Kronstein se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral; il conclut tant à l'annulation du jugement du Tribunal de police qu'à celle de l'arrêt de la Cour de justice.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant invoque en premier lieu la violation du principe "nulla poena sine lege" posé à l'art. 1er CP. Il fait valoir que la LCR, pas plus que l'OSR, ne font mention des cases semblables à celle sur laquelle il a stationné, et il en conteste la légalité.
Ce moyen ne résiste pas à l'examen. L'art. 55 al. 3 OSR prévoit expressément les cases interdites au stationnement
BGE 100 IV 66 S. 68
(jaunes avec deux diagonales qui se croisent) et dispose que si la case porte une inscription (p.ex. "TAXI", voir figure 417 de l'annexe 2 à l'OSR) les véhicules autorisés à stationner ne doivent pas en être empêchés. Or la case en cause ici correspond à cette disposition de l'OSR et à la figure 417; les taxis n'étant mentionnés qu'à titre d'exemple, d'autres inscriptions peuvent être faites par l'autorité cantonale compétente, en vertu des pouvoirs qui lui sont conférés par l'art. 3 al. 2 et 4 LCR.
Sur le plan pénal, on doit constater que la case litigieuse est une marque, selon l'OSR, et que l'art. 27 LCR fait obligation à chacun de se conformer aux marques. Or toute violation des règles de la LCR et de ses prescriptions d'exécution tombe sous le coup de l'art. 90 LCR, qui fixe les peines applicables.
Le recourant a donc été condamné pour infraction à des règles légales précises et il ne saurait y avoir en l'espèce une quelconque violation de l'art. 1er CP.
2.
Le recourant fait ensuite valoir que les cases "livraison" violeraient plusieurs principes fondamentaux, allant de l'usage accru d'utilisation du domaine public par certains usagers à la violation du principe de la proportionnalité des mesures de police, et il invoque la violation des art. 4 et 31 Cst qui garantissent l'égalité devant la loi ainsi que la liberté du commerce et de l'industrie. Il s'en prend également à la légalité de ce genre de cases, qui outrepasseraient ce qu'autorise la loi et feraient en outre double emploi avec d'autres prescriptions.
a) Celui qui est impliqué dans une poursuite pénale pour violation d'une interdiction de parquer dirigée contre un nombre indéterminé de personnes peut, sous certaines conditions qui sont remplies ici, faire trancher la question préjudicielle de la légalité de la décision, à l'exclusion de son opportunité (RO 98 IV 266;
99 IV 231
).
b) L'art. 3 al. 2 LCR donne aux cantons la compétence d'interdire, restreindre ou régler la circulation sur certaines routes. L'al. 3 détermine l'étendue des interdictions, et, d'après l'al. 4, "d'autres limitations ou prescriptions peuvent être édictées pour assurer la sécurité, faciliter ou régler la circulation, pour protéger la structure de la route ou satisfaire à d'autres exigences imposées par les conditions locales".
BGE 100 IV 66 S. 69
La compétence des autorités qui ont apposé la marque litigieuse, de même que la validité formelle de la décision la concernant, ne sont pas contestées. Ce que fait notamment valoir le recourant revient à soutenir que les conditions matérielles de l'art. 3 al. 4 LCR ne sont pas remplies.
c) Dans tout le domaine public ouvert au trafic, les interdictions ou restrictions du parcage imposées à l'ensemble des usagers ou à certains d'entre eux doivent remplir les conditions de l'art. 3 al. 4 LCR (RO 98 IV 262, 268).
La rue du Rhône est une artère à grand trafic, avec autobus, et relativement étroite; en outre, plusieurs commerces sont situés à proximité de la case litigieuse. Plutôt que d'autoriser le stationnement dans le secteur en cause, ou de l'interdire totalement, l'autorité compétente a réservé des emplacements aux livraisons. Or on doit admettre qu'une telle mesure n'est pas contraire aux conditions de l'art. 3 al. 4 LCR. En effet, dans une telle artère, l'autorisation de stationner ou la création de place de stationnement, même avec temps limité, aurait rendu problématiques les possibilités de livraisons pour tous les habitants du quartier; comme il s'agit d'un secteur comportant plusieurs commerces, le volume, la fréquence et la nécessité des livraisons sont fatalement plus élevés que dans un quartier non commerçant; dès lors, une exigence imposée par la situation locale aurait été considérablement entravée, ou bien la satisfaction de cette exigence de livraisons n'aurait pu se faire que dans des conditions rendant plus difficile la circulation (arrêt en seconde position, ou utilisation des trottoirs). D'un autre côté, l'interdiction générale de stationner n'aurait permis que l'arrêt servant uniquement à laisser monter ou descendre des passagers ou à charger ou décharger des marchandises; or un arrêt ainsi limité n'est pas propre à satisfaire l'exigence de livraison; en effet, la notion de livraison va plus loin que le simple chargement ou déchargement des marchandises (cf. RO 89 IV 216; RO 96 IV 43); cette notion recouvre le transport du lieu de déchargement au lieu de destination, ainsi que l'accomplissement des formalités pouvant accompagner l'acte purement matériel de la remise d'un objet; la livraison est donc un acte qui peut entraîner un arrêt ou stationnement plus long que celui qu'exige le seul déchargement. La création de cases spéciales permet de procéder aux livraisons de manière convenable, tout en limitant les inconvénients
BGE 100 IV 66 S. 70
de cette opération sur la circulation. On doit donc bien admettre que la création de telles cases est conforme à l'art. 3 al. 4 LCR et ne sort nullement des limites tracées par cette disposition. En outre, contrairement à ce que soutient le recourant, de telles cases ne sont pas superflues et n'ont ni le même objet ni le même effet que la marque d'interdiction de parquer (fig. 416 de l'annexe II à l'OSR), puisque la notion de livraison va plus loin que le seul chargement ou déchargement, seul autorisé en cas d'interdiction de parquer.
d) Les cases de livraisons entrent dans le cadre de l'art. 55 al. 3 OSR et correspondent à ce que permet cette disposition. Cette dernière étant réglementaire, on doit examiner si elle demeure dans les limites tracées par l'art. 106 al. 1 LCR (cf. RO 94 IV 31), et cela conformément au pouvoir de contrôle que le Tribunal fédéral est habilité à exercer sur les ordonnances d'exécution des lois fédérales (cf. RO 92 IV 109;
97 II 272
et jurisprudence citée). Or il paraît bien évident qu'une disposition comme l'art. 55 al. 3 OSR reste nettement dans les limites tracées par l'art. 106 al. 1 LCR et qu'elle correspond au but et aux exigences de la loi telles que fixées largement aux art. 3 al. 4 et 5 LCR, dont elle permet la réalisation.
e) Dans la mesure où le recourant invoque les droits constitutionnels garantis par les art. 4 et 31 Cst. pour attaquer l'application concrète des règles de la circulation routière en leur reprochant d'apporter à la liberté du commerce et de l'industrie une restriction contraire au principe de la proportionnalité ou de consacrer une inégalité de traitement, il aurait dû former un recours de droit public (RO 98 IV 137/138, consid. 2 b; Arrêt Bienz destiné à la publication, du 19 avril 1974). Les moyens qu'il soulève de ce chef sont dès lors impropres à fonder un pourvoi en nullité (art. 269 al. 2 PPF) et, partant, irrecevables (RO 81 IV 118 consid. 1;
84 IV 140
consid. 1;
98 IV 138
et cit.).
En revanche, de même qu'il pouvait, à titre préjudiciel, contester la légalité de la disposition en cause, le recourant peut exciper de son inconstitutionnalité (RO 94 IV 31; Arrêt Bienz précité). Un tel grief ne saurait toutefois être admis en l'occurrence. En effet, les droits constitutionnels ne sont garantis que dans le cadre de la législation fédérale en vigueur, celle-ci n'étant pas soumise au contrôle constitutionnel
BGE 100 IV 66 S. 71
(art. 113 al. 3 et 114bis al. 3 Cst; cf. RO 83 IV 61, consid. 1;
92 IV 109
lit. a). Par ailleurs, selon une jurisprudence constante, la liberté du commerce et de l'industrie ne fait pas obstacle à des restrictions de police qui ont pour but d'empêcher que l'ordre public ne soit troublé par une liberté sans limite dans le domaine de l'activité économique et qui tendent à préserver la sécurité et la tranquillité publiques (RO 82 IV 51 et cit.). Or on a vu que l'art. 55 al. 1 OSR non seulement est conforme à la LCR en général et à ses art. 3 al. 4 et 106 al. 1 en particulier, mais qu'il constitue encore une mesure de police destinée à faciliter les livraisons dans une rue commerçante encombrée (cf. RO 83 I 150 lit. b).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d8a20686-67e3-4730-906c-90cd123a8226 | Urteilskopf
115 Ia 293
45. Sentenza 22 marzo 1989 della I Corte di diritto pubblico nella causa Jean e Barkev Magharian c. Procuratore pubblico della giurisdizione sopracenerina e Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Persönliche Freiheit; Verlängerung der Untersuchungshaft. Recht auf Einsicht in die Akten des Verfahrens;
Art. 4 BV
und 5 Ziff. 4 EMRK.
1. Ausnahme von der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde und Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1).
2. Begriff des Verfahrens vor einem Gericht i. S. von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
(E. 2a).
3. Verhältnis zwischen den durch die Verfassung gewährleisteten Individualrechten und den in der EMRK enthaltenen Grundsätzen (E. 3).
4. Prozessuale Minimalanforderungen an die gerichtliche Überprüfung von Freiheitsentziehungen gemäss
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
, insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Gehörs und der kontradiktorischen Natur des Verfahrens; Untersuchung der Rechtsprechung der Strassburger Organe (E. 4).
5. a)
Art. 4 BV
: Recht des verhafteten Angeschuldigten, Einsicht in die wesentlichen Akten zu nehmen, welche dem die Haftverlängerung beantragenden oder verfügenden Beamten zur Verfügung standen; mögliche Beschränkungen des Einsichtsrechts zum Schutze öffentlicher oder entgegenstehender privater Interessen (E. 5).
b) Aufgabe der in
BGE 101 Ia 17
/18 bestätigten bisherigen Rechtsprechung angesichts der Fortentwicklung des auf
Art. 4 BV
und die entsprechenden Grundsätze der EMRK gestützten Anspruchs des Untersuchungshäftlings auf rechtliches Gehör (E. 6eb).
6. Im vorliegenden Fall sind die in
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
enthaltenen Verfahrensgarantien und der sich aus
Art. 4 BV
ergebende Gehörsanspruch verletzt worden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 115 Ia 293 S. 294
Secondo l'
art. 33 del
Codice di procedura penale ticinese (CPP), nessuno può essere arrestato per prevenzione di reato quando non esistano a suo carico gravi indizi di colpabilità. Il carcere preventivo durante l'istruzione non deve durare oltre due mesi nei reati di competenza delle Assise correzionali, né oltre sei mesi
BGE 115 Ia 293 S. 295
nei reati di competenza delle Assise criminali (
art. 45 cpv. 2 CPP
). In casi eccezionali questi termini potranno essere convenientemente prorogati dalla Camera dei ricorsi penali su domanda motivata del giudice istruttore (cpv. 3).
Jean e Barkev Magharian, cittadini libanesi, sono stati tratti in arresto il 7 luglio 1988 a Zurigo su mandato del Procuratore pubblico della giurisdizione sopracenerina. Essi sono sospettati di violazione aggravata della LS per aver effettuato ingenti trasferimenti di denaro verso e dalla Svizzera: tali somme proverrebbero dal commercio di stupefacenti. Contro gli arrestati il procedimento è poi stato esteso ai reati di falsità in documenti e in certificati, di complicità in truffa (subordinatamente appropriazione indebita) e di violazione della LDDS.
Con decisione del 3 novembre 1988 il Procuratore pubblico respinse un'istanza di concessione della libertà provvisoria. Adita dagli arrestati, la Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello (CRP) rigettò il gravame con sentenza del 17 novembre 1988. Nessun ricorso di diritto pubblico fu interposto contro questa pronuncia.
In relazione alla prossima scadenza del termine di carcerazione di cui all'
art. 45 cpv. 2 CPP
, il Procuratore pubblico presentò il 22 dicembre 1988 alla CRP un'istanza tendente a che il carcere preventivo fosse prorogato sino al 6 giugno 1989, dichiarando inoltre che tutti gli atti del voluminoso incarto erano a disposizione. Il 23 dicembre, a complemento dell'istanza, lo stesso magistrato fornì alla Camera ragguagli complementari sugli ultimi sviluppi dell'inchiesta. La CRP intimò ai due patroni degli arrestati l'istanza del 22 dicembre 1988, fissando al 31 dicembre un termine per presentare le osservazioni. L'allegato del Procuratore del 23 dicembre non consta esser stato intimato. Come risulta da un rapporto richiesto dal Tribunale federale, gli atti costituenti l'incarto furono consultati il 29 dicembre 1988 presso la Procura pubblica dal giudice delegato della CRP, che fece estrarre copia di quelli ritenuti rilevanti per il giudizio.
Con osservazioni del 30 dicembre 1988, Jean e Barkev Magharian, agenti col patrocinio dei loro difensori, si opposero alla proroga del carcere preventivo e postularono la loro immediata liberazione. Nella motivazione chiedevano di poter prendere visione dell'incarto prodotto dal Procuratore pubblico ed instavano affinché le parti venissero convocate dalla CRP per essere sentite prima dell'emanazione di una decisione; si dolevano
BGE 115 Ia 293 S. 296
inoltre dell'irregolarità degli interrogatori e della verbalizzazione in assenza di interprete. Nel merito, contestavano l'esistenza di gravi indizi di colpabilità quanto al reato previsto dall'art. 19 n. 1 cpv. 7 LS e rilevavano che le ulteriori incolpazioni non giustificavano la protrazione del carcere preventivo.
Con decisione del 4 gennaio 1989 la CRP ha accolto l'istanza del Procuratore pubblico ed ha prorogato la carcerazione preventiva dei ricorrenti fino al 6 giugno 1989. Dei motivi addotti in appoggio si dirà, se necessario, in seguito.
I fratelli Magharian sono insorti contro questa decisione con tempestivo ricorso di diritto pubblico fondato sulla violazione dell'
art. 4 Cost.
, per disattenzione del diritto di essere sentito, e degli art. 5 par. 1 lett. c, 5 par. 2 a 5, 6 par. 1 e 6 par. 2 lett. a e lett. e CEDU. In via principale, essi hanno chiesto al Tribunale federale di annullare la decisione impugnata e di ordinare alle autorità requirenti del Cantone Ticino di porli immediatamente in libertà; in via subordinata, essi hanno postulato che, annullata tale decisione, la causa venga rinviata alla CRP per nuovo giudizio.
Il Sostituto Procuratore pubblico sopracenerino ha concluso alla reiezione del gravame; con le osservazioni questo magistrato ha fatto pervenire al Tribunale federale copia dei verbali d'interrogatorio e sei classificatori contenenti i principali atti dell'inchiesta. La CRP, per contro, non ha risposto.
Autorizzati dal Presidente della Corte, i ricorrenti hanno presentato osservazioni all'esposto del Procuratore pubblico e si sono riconfermati nelle tesi ricorsuali e nelle relative conclusioni.
In relazione ad incertezze che sussistevano circa gli atti in di lei possesso al momento del giudizio, la CRP ha presentato il 2 marzo 1989 - su richiesta del giudice delegato - il rapporto che si è menzionato sopra ed ha poi prodotto i documenti dell'incarto penale estratti in fotocopia ed utilizzati per la sua decisione.
Con istanza del 3 marzo 1989, il Sostituto Procuratore pubblico ha chiesto di duplicare alle osservazioni-replica 24 febbraio 1989 dei ricorrenti.
In data 19 marzo 1989 i ricorrenti si sono determinati sul citato rapporto della CRP.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
a) Sulla proroga del carcere preventivo in applicazione dell'
art. 45 cpv. 3 CPP
, la CRP statuisce quale unica istanza.
BGE 115 Ia 293 S. 297
Contro la sua decisione, la via del ricorso di diritto pubblico è pertanto aperta (
art. 86 cpv. 1, 87 OG
). La legittimazione dei ricorrenti, privati di libertà, non fa dubbio (
art. 88 OG
) ed il loro gravame - tempestivo - è per principio ricevibile. Nonostante la natura generalmente cassatoria del ricorso di diritto pubblico, è ammissibile, in tema di privazione della libertà personale, anche la conclusione tendente a far ordinare misure positive di scarcerazione (
DTF 107 Ia 257
consid. 1,
DTF 105 Ia 29
consid. 2): se essa sia fondata, è questione di merito.
b) La carcerazione costituisce limitazione grave della libertà personale: il Tribunale federale esamina quindi liberamente anche l'applicazione del diritto cantonale di livello legislativo o regolamentare (
DTF 107 Ia 140
consid. 4a,
DTF 101 Ia 53
consid. 7, 578 consid. 3a). Le constatazioni di fatto dell'autorità cantonale sono rivedute invece soltanto sotto il profilo dell'arbitrio e l'esercizio del potere di apprezzamento, che ad essa compete, è pure sindacato solo nella visuale dell'abuso o dell'eccesso manifesto (
DTF 109 Ia 22
consid. 2,
DTF 105 Ia 19
consid. 3, 190 consid. 2a,
DTF 104 Ia 399
consid. 9,
DTF 100 Ia 17
consid. 4d). Questa limitazione del potere cognitivo trae seco che, nella misura in cui le suddette questioni sono in gioco, il Tribunale federale non può sanare eventuali violazioni del diritto d'essere sentito in cui fosse incorsa l'autorità cantonale (
DTF 112 Ib 175
consid. 5e,
DTF 104 Ia 214
,
DTF 98 Ib 171
consid. 3, 176 consid. 3,
DTF 96 I 188
).
c) Sulla sussistenza di gravi indizi di colpabilità ai sensi dell'
art. 33 CPP
, la CRP si è pronunciata - come istanza di ricorso - già nella precedente sentenza del 17 novembre 1988, rimasta inimpugnata. Ciò non osta tuttavia alla ricevibilità delle censure sollevate nell'attuale gravame a tal proposito poiché la libertà personale, quale diritto costituzionale inalienabile ed imprescrittibile (
DTF 111 Ia 232
consid. 3a), consente di impugnare con ricorso di diritto pubblico anche decisioni di mera conferma o esecuzione (
DTF 105 Ia 20
,
DTF 104 Ia 175
consid. 2b,
DTF 97 I 916
consid. 4a): a prescindere da ciò, la CRP ha del resto proceduto nel concreto caso ad un nuovo esame di tale questione.
d) La duplica richiesta dal Procuratore pubblico, dato quanto si esporrà di seguito, non appare necessaria.
e) Le osservazioni presentate dai ricorrenti sul rapporto 2 marzo 1989 della CRP, che non sono state autorizzate, non possono esser tenute in considerazione e debbono essere stralciate dagli atti.
BGE 115 Ia 293 S. 298
2.
Secondo l'
art. 5 par. 4 CEDU
, ogni persona privata della libertà mediante arresto o detenzione ha diritto di indirizzare un ricorso ad un tribunale affinché esso decida, entro brevi termini, sulla legalità della detenzione e ne ordini la scarcerazione se la detenzione è illegale.
a) È incontroverso ed evidente che la CRP costituisce un tribunale ai sensi della citata disposizione. Che essa non abbia deciso su ricorso degli incarcerati, ma quale autorità giudiziaria unica chiamata a pronunciarsi sulla proroga della detenzione richiesta dal Procuratore pubblico, non è criticato dai ricorrenti. A ragione: la Corte europea dei diritti dell'uomo ha giudicato infatti che il controllo giurisdizionale della privazione della libertà, che gli Stati membri debbono garantire in virtù dell'
art. 5 par. 4 CEDU
, può essere conglobato nella decisione di privazione della libertà stessa, quando questa è presa da un tribunale che statuisce al termine di una procedura giudiziaria (sentenza De Wilde, Ooms e Versyp del 18 giugno 1971, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 12, n. 76; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, n. 117 all'art. 5; RUSCA, La procedura penale ticinese alla luce della Convenzione europea dei diritti dell'uomo, Rep. 1984 pagg. 245/46 e nota 57; critico: TRECHSEL, Die Garantie der persönlichen Freiheit (art. 5 EMRK) in der Strassburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980 pag. 529).
b) I ricorrenti - peraltro a ragione - non muovono nessuna critica neppure alla speditezza con la quale la CRP ha sentenziato: è pacifico infatti che, statuendo il 4 gennaio 1989, la Corte cantonale abbia deciso non solo entro breve termine ai sensi dell'
art. 5 par. 4 CEDU
(cfr.
DTF 114 Ia 91
/92 consid. 5c), ma anche conformemente alle esigenze minime che, tenuto conto della natura dell'affare, sgorgano a tal riguardo dall'
art. 4 Cost.
(cfr.
DTF 107 Ib 164
consid. 3b; sentenza 20 aprile 1983 in re S., consid. 5b non pubblicato in
DTF 109 Ia 320
segg., ma apparso in RDAT 1984 n. 103).
3.
La critica ricorsuale si appunta invece sulla procedura che ha condotto all'emanazione del decreto impugnato. A mente dei ricorrenti, essa non ha soddisfatto le esigenze richieste nel caso concreto dagli
art. 4 Cost.
e 5 par. 4 CEDU per quanto concerne il diritto di consultare gli atti del procedimento, di preparare la propria difesa e di determinarsi quindi con efficacia sull'istanza di proroga del carcere preventivo presentata dal Procuratore pubblico; per di più, la Camera avrebbe anche introdotto nuovi
BGE 115 Ia 293 S. 299
argomenti non invocati da quel magistrato ed avrebbe disatteso in tal modo il loro diritto ad una procedura contraddittoria e più precisamente il diritto di replica. Questa censura formale dev'essere sindacata per prima poiché, se essa risultasse fondata, potrebbe rilevarsi superfluo l'esame delle ulteriori critiche di merito.
Per quanto concerne il richiamo dei principi istituiti dalla CEDU, giova precisare in limine che codesti principi - quando non assicurano all'imputato una protezione che va oltre quella già garantita dal diritto interno - sono presi comunque in considerazione per interpretare ed applicare i diritti fondamentali tutelati dalla Costituzione, nella misura in cui essi li concretizzano, e che il Tribunale federale deve tener conto a tal riguardo della giurisprudenza degli organi convenzionali (
DTF 111 Ia 82
consid. 2b, 108 Ia 66/67 consid. 2c,
DTF 106 Ia 221
,
DTF 102 Ia 381
consid. 2; J.P. MÜLLER, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, pagg. 179/81).
4.
a) L'
art. 5 par. 4 CEDU
istituisce il diritto ad un controllo giurisdizionale di tutti i casi di privazione della libertà esaustivamente elencati nel paragrafo 1 lett. da a a f. Esso non precisa quali esigenze formali debba soddisfare la procedura davanti al tribunale chiamato a controllare la legalità della privazione di libertà. Questo silenzio del testo dell'art. 5 par. 4 è stato rilevato dalla Corte europea dei diritti dell'uomo già nella sentenza Neumeister del 27 giugno 1968 (Publications de la Cour, Série A, vol. 8, n. 22/24). In quell'occasione essa ritenne inapplicabile il principio dell'uguaglianza delle armi all'esame di domande di concessione della libertà provvisoria e precisò che la contraria opinione non poteva essere sostenuta con riferimento al testo dell'art. 6 par. 1, né poteva esser dedotta dal termine di "tribunale" impiegato nell'art. 5 par. 4 poiché quest'ultimo "ne se rapporte aucunement à la procédure à suivre".
Nella giurisprudenza successiva, la Corte europea ha tuttavia precisato che dallo scopo e dall'oggetto dell'art. 5, come pure dai termini stessi del paragrafo 4, emerge che per costituire un tribunale l'organo "doit offrir les garanties fondamentales de procédure appliquées en matière de privation de liberté" (sentenza De Wilde, Ooms e Versyp citata, ibidem, n. 76 e 78; sentenza Winterwerp del 24 ottobre 1979, Publications de la Cour, Série A, vol. 33, n. 60), anche se le istanze giudiziarie previste dall'art. 5 par. 4 "ne doivent pas toujours s'accompagner de garanties
BGE 115 Ia 293 S. 300
identiques à celles que l'art. 6 par. 1 prescrit pour les litiges civils ou pénaux". Parimenti la giurisprudenza del Tribunale federale, richiamandosi a quella degli organi di Strasburgo, ha ritenuto che le esigenze da porre al procedimento giudiziario previsto dall'
art. 5 par. 4 CEDU
debbono in linea di principio esser dedotte soltanto dall'art. 5 stesso e che - in materia di privazione della libertà a scopo di assistenza (art. 397a segg. CC) - le disposizioni dell'
art. 6 par. 1 CEDU
non possono essere direttamente applicate (
DTF 114 Ia 185
segg., consid. 3 b-c).
Sempre secondo la giurisprudenza della Corte dei diritti dell'uomo, per determinare se una procedura offre garanzie sufficienti bisogna prendere in considerazione "la nature de la privation de liberté dont il s'agit", da un canto, e "la nature particulière des circonstances dans laquelle elle se déroule", dall'altro, ritenuto che "les modalités de la procédure voulue par la Convention ne doivent ... pas nécessairement être identiques dans chacun des cas où celle-ci requiert l'intervention d'un tribunal" (sentenza De Wilde, Ooms e Versyp citata, ibidem, n. 76 e 78; sentenza Winterwerp citata, ibidem, n. 57; sentenza Sanchez-Reisse del 21 ottobre 1986, Publications de la Cour, Série A, vol. 107, n. 51).
Se si analizzano le sentenze della Corte concernenti le garanzie formali che deve offrire la procedura prevista dall'
art. 5 par. 4 CEDU
, si può constatare come questa - oltre a distinguere fra i diversi casi di privazione della libertà previsti dal paragrafo 1 lett. a a f - considera per il suo giudizio quanto al rispetto o alla violazione della norma citata la procedura che si è svolta nel suo complesso, e pone l'accento in modo particolare sulla facoltà di cui ha concretamente fruito la persona privata della libertà per far valere efficacemente il suo punto di vista e muovere obiezioni agli argomenti che le sono opposti, ponendo alte esigenze a proposito del diritto di essere sentito e della effettiva contraddittorietà del procedimento.
Così, nella citata sentenza Sanchez-Reisse del 21 ottobre 1986, relativa ad un caso di carcerazione estradizionale (art. 5 par. 1 lett. f CEDU) concernente la Svizzera, la Corte ha ritenuto che l'arrestato non aveva fruito di una procedura veramente contraddittoria, poiché il Tribunale federale - che egli aveva adito con una domanda di scarcerazione - non gli aveva consentito di prender posizione né per iscritto né in occasione di una comparsa personale sul preavviso (in sostanza, le osservazioni alla domanda
BGE 115 Ia 293 S. 301
di liberazione) presentato dall'Ufficio federale di polizia: rivenendo senza indicazioni di motivi sulla sentenza Neumeister del 27 giugno 1968, essa ha sottolineato che il fatto per cui Sanchez-Reisse già avesse addotto nella sua domanda le circostanze che, a suo modo di vedere, militavano per la messa in libertà, non bastava a procurargli "à elle seule l'indispensable (égalité des armes)", e questo nonostante che nulla inducesse a ritenere che una comparsa personale "aurait pu convaincre les magistrats de la nécessité de le libérer" (Publications de la Cour, Série A, vol. 107, n. 51). Quanto al preavviso dell'Ufficio federale di polizia, sul quale il Tribunale federale non aveva ritenuto di dover sentire l'interessato, la Corte - per ritenere che l'uguaglianza delle armi non fosse garantita - non ne ha analizzato il contenuto concreto, ma si è limitata a rilevare che questo preavviso "pouvait introduire ensuite des éléments de fait ou de droit appelant, de la part du détenu, des réactions, des critiques, voire des questions dont le Tribunal fédéral devait pouvoir prendre connaissance avant de se prononcer" (sentenza citata, ibidem, n. 51).
b) A questa giurisprudenza della Corte europea dei diritti dell'uomo il Tribunale federale si è adagiato. Esso ne ha tratto la conseguenza che, in materia di istanze di scarcerazione, sussiste per il carcerato un diritto di replicare alle osservazioni presentate dall'autorità di persecuzione, indipendentemente dalla questione di sapere se queste osservazioni contengano o meno nuovi argomenti, e ciò nonostante il rischio di un prolungamento della procedura di per sé contrario all'esigenza di una decisione entro brevi termini posta dall'
art. 5 par. 4 CEDU
(
DTF 114 Ia 86
/88 consid. 3; sentenza 19 agosto 1988 in re W.; sentenza 20 luglio 1988 in re E., consid. 2b-c; inoltre
DTF 115 Ia 60
consid. 2c).
c) Per quanto riguardi un caso di detenzione dopo condanna da parte di un tribunale competente (
art. 5 par. 1 lett. a CEDU
), è pure interessante per le questioni qui controverse la sentenza della Corte europea dei diritti dell'uomo (plenaria) del 2 marzo 1987 nella causa Weeks c. Regno Unito di Gran Bretagna (Publications de la Cour, Série A, vol. 114): la Corte ha statuito che la Commissione di liberazione condizionale inglese, cui incombe di esaminare la ricorrenza delle condizioni di liberazione di un detenuto, pur essendo da considerare per la sua indipendenza come un "tribunale" ai sensi dell'
art. 5 par. 4 CEDU
, non offre le garanzie minime di procedura richieste da
BGE 115 Ia 293 S. 302
tale disposizione convenzionale perché non è tenuta a rivelare al detenuto tutti gli elementi sfavorevoli in suo possesso (ibidem, n. 30/31 e 66).
d) Infine può esser fatto riferimento anche al rapporto adottato l'8 ottobre 1987 dalla Commissione europea dei diritti dell'uomo nel caso Lamy c. Belgio, attualmente pendente davanti alla Corte su richiesta della Commissione stessa. Questo caso si riferisce, come quello in esame, al controllo della detenzione preventiva da parte di istanze giudiziarie. Ora la Commissione - con espresso riferimento alle precitate sentenze della Corte in re Sanchez-Reisse e Weeks - ha ritenuto a maggioranza (7 voti contro 3) che le esigenze minime di procedura garantite dall'
art. 5 par. 4 CEDU
non erano state ossequiate, perché il difensore del prevenuto non aveva avuto accesso all'incarto durante i primi trenta giorni della detenzione preventiva, e segnatamente ai verbali allestiti dal giudice istruttore e dalla polizia giudiziaria durante questo periodo: egli era stato quindi impedito di organizzare in modo appropriato la difesa del cliente, mentre le giurisdizioni d'istruzione gli opponevano appunto le dichiarazioni da lui stesso rese, come pure quelle fatte da un suo coimputato davanti alla polizia giudiziaria e al giudice istruttore (rapporto citato, n. 84 a 94; cfr. anche l'opinione parzialmente dissidente espressa su tal punto dai membri Trechsel, Kiernan e Hall).
5.
a) L'
art. 4 Cost.
- esplicitamente invocato dai ricorrenti accanto all'
art. 5 par. 4 CEDU
- garantisce in modo particolare il diritto di essere sentiti, che comprende varie pretese, fra cui quella di esprimersi prima che una decisione sia presa, quella di fornire prove sui fatti rilevanti per il giudizio, quella di farsi rappresentare o assistere, quella di ottenere una decisione motivata e soprattutto - per ciò che qui interessa - quella di prendere conoscenza degli atti di causa (
DTF 111 Ia 103
/104 consid. 2b,
DTF 110 Ia 85
consid. 4a,
DTF 109 Ia 233
consid. 5b,
DTF 108 Ia 294
). Il diritto di consultare gli atti, alla stregua di quello di esaminare le prove assunte dall'autorità, rientra nel diritto di essere sentiti poiché costituisce la premessa necessaria del diritto di esprimersi e di esporre i propri argomenti, vero fulcro del diritto di essere uditi: in tale misura l'esame degli atti, rispetto al diritto di esprimersi, costituisce un prius che ne condiziona l'esercizio e partecipa inoltre alla cosiddetta natura formale del diritto di essere sentito (
DTF 112 Ia 380
consid. 2a,
DTF 110 Ia 77
,
DTF 109 Ia 5
, 226/27 consid. 2d). Quanto all'esercizio di questo diritto dedotto
BGE 115 Ia 293 S. 303
dall'
art. 4 Cost.
, il Tribunale federale ha già avuto modo di precisare che esso è in linea di principio soddisfatto quando l'interessato ha potuto prendere conoscenza dei documenti che costituiscono l'inserto di causa, esaminandoli presso la sede dell'autorità giudicante e prendendo, ove occorra, i necessari appunti (
DTF 112 Ia 380
consid. 2b,
DTF 108 Ia 7
consid. 2b).
b) I criteri giurisprudenziali appena evocati trovano la loro applicazione anche nell'ambito della procedura penale, dove la portata e l'estensione del diritto di essere sentito - e pertanto di quello di consultare gli atti - si determinano in base agli interessi in presenza e alle circostanze del caso (DTF
DTF 111 Ia 274
consid. 2b,
DTF 105 Ia 196
/97). In materia di detenzione preventiva, il Tribunale federale ha già avuto l'opportunità di rilevare che se l'
art. 4 Cost.
non accorda all'imputato il diritto di essere sentito prima di ogni proroga della carcerazione, esso gli assicura nondimeno quello di aggravarsi contro la decisione di proroga davanti ad un'autorità giudiziaria munita di piena cognizione, al fine di opporre in quella sede le proprie ragioni ed obiezioni: questa garanzia minima corrisponde d'altronde al "diritto di indirizzare un ricorso ad un tribunale", perché si determini sulla legalità della detenzione, conferito all'imputato carcerato dall'
art. 5 par. 4 CEDU
(
DTF 105 Ia 206
/207 consid. 2 e 3). Ora è palese che, dinanzi ad una decisione con cui il giudice istruttore o il procuratore pubblico ordinano l'arresto preventivo o ne dispongono la proroga, il diritto dell'accusato di difendersi convenientemente e di esprimersi sul provvedimento preso a suo carico davanti all'autorità di ricorso implica anche quello di consultare gli atti essenziali che codesto magistrato aveva a disposizione e di prendere conoscenza non solo degli elementi che possono giustificare la carcerazione, ma anche di quelli che gli sono favorevoli e che possono quindi essere opposti alla privazione della libertà: questo fondamentale diritto costituisce infatti la premessa necessaria per controbattere con efficacia gli argomenti del magistrato, per assicurare una certa contraddittorietà della procedura e per garantire quindi il rispetto del principio della parità delle armi, pure sgorgante dall'
art. 4 Cost.
(cfr.
DTF 114 Ia 180
/81 consid. a).
Né la situazione può ovviamente essere diversa allorché la proroga del carcere preventivo è decisa in prima ed unica istanza da un tribunale, così come inteso dall'
art. 5 par. 4 CEDU
, su richiesta del magistrato inquirente o requirente (cfr. supra, consid. 2a): il diritto d'essere sentito del prevenuto e quello di
BGE 115 Ia 293 S. 304
consultare gli atti verranno esercitati in tal caso davanti all'autorità giudiziaria unica chiamata a pronunciarsi sulla proroga della detenzione e a controllarne la legalità (cfr. sentenza 23 febbraio 1977 in re W., consid. 1a-b).
c) Vero è che l'osservanza completa dell'obbligo di garantire al prevenuto l'accesso all'incarto per aggravarsi con cognizione di causa contro il mantenimento della detenzione preventiva potrebbe compromettere in determinate circostanze il raggiungimento degli scopi dell'inchiesta ed attenuare l'efficacia della lotta contro il crimine. Questo pericolo non deve però essere sopravvalutato.
Innanzitutto, non si tratta di conferire all'imputato l'incondizionato diritto di consultare l'intero inserto processuale, ma di mettergli semplicemente a disposizione gli atti essenziali che sono determinanti per la questione della carcerazione preventiva, consentendogli in tal modo di contestare con la necessaria consapevolezza i relativi argomenti dell'autorità e di esercitare pienamente il proprio diritto di essere sentito davanti all'istanza cui compete il controllo giurisdizionale della privazione della libertà. D'altra parte, non va scordato che il diritto di consultare gli atti può comunque comportare eccezioni o restrizioni richieste dalla tutela di legittimi interessi pubblici o privati contrastanti (
DTF 112 Ia 101
consid. 5b, 380 consid. 2a,
DTF 110 Ia 85
/86 consid. 4a-b,
DTF 95 I 109
consid. 2b) e che l'autorità penale dispone a tal riguardo di tutta una serie di accorgimenti, quali lo stralcio del nome di un teste o la comunicazione di determinati documenti, con esclusione di altri (cfr.
DTF 110 Ia 87
consid. 5,
DTF 98 Ib 171
consid. 4). In quest'ordine di idee, si può far riferimento a titolo d'esempio agli art. 26 e segg. della legge federale sulla procedura amministrativa, rilevando inoltre che i principi essenziali che essi enunciano hanno una portata generale ed erano già stati dedotti - prima dell'entrata in vigore di detta legge - dall'
art. 4 Cost.
(
DTF 98 Ib 169
consid. 1): il legislatore federale ha infatti conferito per principio alle parti e ai loro rappresentanti il diritto di consultare gli atti, ivi compresi i processi verbali d'interrogatorio (art. 26), ha previsto i casi ove questo esame può essere negato, con la precisazione che il diniego dev'essere ristretto agli atti soggetti a segreto (art. 27 e 18 cpv. 2), ed ha stabilito infine (art. 28 e 18 cpv. 3) che l'atto o il verbale d'interrogatorio il cui esame è stato rifiutato alla parte può essere adoperato contro di essa soltanto se l'autorità gliene ha comunicato oralmente o per iscritto
BGE 115 Ia 293 S. 305
il contenuto essenziale quanto alla contestazione e le ha dato inoltre la possibilità di pronunciarsi e indicare prove contrarie.
6.
Applicati al caso in esame, i criteri giurisprudenziali appena descritti, tratti dall'
art. 4 Cost.
e dalla Convenzione, inducono alle constatazioni e alle considerazioni seguenti:
a) I difensori degli incolpati non hanno avuto accesso agli atti delle informazioni preliminari, segnatamente ai verbali della polizia giudiziaria, ai rapporti della stessa come pure ai verbali d'interrogatorio dei prevenuti e dei testi da parte del Procuratore pubblico. L'asserzione contenuta nella decisione impugnata, secondo cui i difensori avrebbero quantomeno posseduto il rapporto preliminare della polizia giudiziaria del 5 settembre 1988 si è rivelata - com'è fatto valere nel ricorso - inesatta: vero è soltanto che il precedente patrono dei ricorrenti ha potuto prendere conoscenza, senza tuttavia ottenere copia, di tale rapporto.
b) I ricorrenti hanno bensì potuto prendere posizione sull'esposto presentato dal Procuratore pubblico il 22 dicembre 1988 a sostegno della domanda di proroga della carcerazione: ma tale presa di posizione ha dovuto essere formulata senza poter prendere visione degli atti sulla scorta dei quali l'istanza era stata redatta. Ora, fra questi atti non v'erano soltanto i verbali delle loro deposizioni - che i prevenuti potevano invero conoscere almeno nelle grandi linee - ma anche quelli delle dichiarazioni dei testi, il cui tenore esatto essi ed i loro difensori manifestamente non conoscevano e che è loro ignoto a tutt'oggi. Né si può rimproverare in quest'ambito ai ricorrenti di non aver dimostrato che l'esame degli atti non consultati avrebbe consentito loro di esprimersi in modo diverso, di sollevare altre obiezioni, di opporsi al Procuratore pubblico con argomenti di maggior peso e di influire quindi sull'esito della procedura: non solo nella giurisprudenza del Tribunale federale, ma anche in quella della Corte europea dei diritti dell'uomo, seppur con una terminologia diversa, il diritto di essere sentito è di natura formale e la sua disattenzione comporta una violazione dell'
art. 4 Cost.
, risp. dell'
art. 5 par. 4 CEDU
, indipendentemente dalla questione di sapere se - in caso di rispetto di tale diritto - l'esito della decisione presa dall'autorità chiamata a pronunciarsi sulla detenzione avrebbe potuto essere diverso (sentenza 27 febbraio 1977 in re W., già citata, consid. 1 b; sentenza Sanchez-Reisse, citata, ibidem, n. 51).
BGE 115 Ia 293 S. 306
c) L'istanza aggiuntiva del 23 dicembre 1988 inoltrata dal Procuratore pubblico non risulta esser stata intimata ai patroni dei ricorrenti per osservazioni. Certo, simile censura non è sollevata nel ricorso di diritto pubblico: ma di tale omissione non si può far carico ai difensori, ai quali l'esistenza di tale istanza complementare non era verosimilmente nota.
d) Senza che sia necessario analizzare nei particolari se - come sostengono i ricorrenti - la CRP si sia veramente fondata nella sua decisione anche su argomenti o circostanze che il Procuratore pubblico non aveva allegato nella sua istanza del 22 dicembre 1988 e che non risultavano neppure nella precedente sentenza, emerge con chiarezza dalla decisione impugnata che la corte cantonale - come d'altronde riconosciuto nel suo rapporto del 2 marzo 1989 - si è fondata quantomeno su circostanze particolari che risultavano dagli atti da essa estratti in fotocopia ai fini della decisione, elementi cui l'istanza di quel magistrato non faceva - comprensibilmente - esplicita allusione.
e) La richiesta di esaminare gli atti presentata dai difensori alla Camera è stata dichiarata irricevibile ed in subordine respinta nel merito. L'una e l'altra motivazione non resistono alla critica ricorsuale.
ea) Quanto alla motivazione formale, si deve riconoscere che un'istanza di consultazione degli atti ai fini generali della difesa di merito di un prevenuto dev'essere presentata per principio al Procuratore pubblico, titolare dell'azione penale in sede di informazioni preliminari (
art. 142 CPP
): tuttavia, non si può sostenere - senza diniego di giustizia e violazione dell'
art. 4 Cost.
- che tale richiesta non possa e non debba essere inoltrata alla CRP, quando quest'ultima statuisce sulla proroga del carcere preventivo giusta l'
art. 45 cpv. 2 e 3 CPP
, quale prima ed unica istanza giudiziaria chiamata ad effettuare il controllo giurisdizionale della privazione della libertà (
art. 5 par. 4 CEDU
;
DTF 105 Ia 206
/207).
eb) Nel merito, la corte cantonale ha respinto la domanda dei ricorrenti, richiamandosi alla segretezza dell'inchiesta sino alla conclusione dell'istruttoria formale davanti al giudice istruttore (
art. 58, 151 CPP
) ed invocando la sentenza 13 febbraio 1975 in re Schkölziger (
DTF 101 Ia 17
/18), ove il Tribunale federale in un caso concernente una richiesta di libertà provvisoria durante l'istruzione - ha affermato che una norma cantonale che consente all'imputato e al suo difensore di prendere conoscenza degli atti
BGE 115 Ia 293 S. 307
solamente dopo la chiusura dell'istruttoria non viola l'
art. 4 Cost.
e che del resto il prevenuto, per presentare una siffatta domanda, non deve sapere quello che le autorità penali già sanno di lui. Ma questa giurisprudenza non può più essere mantenuta davanti all'evoluzione che ha caratterizzato il diritto di essere sentito assicurato all'imputato carcerato dall'
art. 4 Cost.
e dai principi istituiti dalla CEDU che concretizzano questo diritto e che debbono quindi esser tenuti in considerazione, unitamente alla relativa prassi degli organi convenzionali (supra, consid. 3, 4 et 5).
Nel caso in rassegna, la CRP era chiamata ad esaminare se il presupposto fondamentale della carcerazione preventiva era adempiuto: essa doveva quindi stabilire se, a carico dei fratelli Magharian, sussistevano "gravi indizi di colpabilità" ai sensi dell'
art. 33 CPP
, vale a dire se vi erano "ragioni plausibili per sospettare" che essi avessero commesso un reato secondo l'art. 5 par. 1 lett. c CEDU. Ora, come risulta dalla giurisprudenza precedentemente richiamata, la possibilità garantita dall'
art. 4 Cost.
e dall'
art. 5 par. 4 CEDU
di controbattere efficacemente gli argomenti fatti valere per la giustificazione materiale del carcere preventivo, implica che l'imputato sia messo previamente al corrente degli elementi dai quali l'autorità di persecuzione deduce i gravi sospetti o indizi di colpevolezza, con facoltà di esaminare nel dettaglio gli atti essenziali sui quali tali elementi si pretendono fondati: questo esame dei documenti importanti che il magistrato penale aveva a disposizione per ordinare o mantenere la detenzione preventiva costituisce infatti la premessa necessaria del diritto di difesa del prevenuto e - come già s'è visto - non può essere rifiutato sistematicamente per ragioni di principio, ma soltanto - e casomai parzialmente - se interessi pubblici o privati assolutamente preminenti vi si contrappongono (supra, consid. 5c).
Ne consegue che le disposizioni della procedura cantonale, nella misura in cui fanno veramente ostacolo a codesta informazione preventiva dell'accusato e gli impediscono a priori di consultare gli atti determinanti dell'inchiesta, contravvengono all'
art. 4 Cost.
e alla Convenzione e non possono essere applicate, come il Tribunale federale può constatare in via pregiudiziale (DTF
DTF 113 Ia 70
consid. 5a,
DTF 112 Ia 112
consid. 3a; sentenza 16 giugno 1988 in re S., consid. 1b non pubblicato in
DTF 114 Ia 183
segg., ma apparso in EuGRZ 1988 pag. 607).
f) D'altra parte la CRP - che ha negato ai ricorrenti codesto esame degli atti essenziali, senza prevalersi della necessità di
BGE 115 Ia 293 S. 308
salvaguardare in concreto interessi preponderanti - ha pure rifiutato di indire l'udienza che gli stessi ricorrenti avevano richiesto. Ora, questa udienza avrebbe potuto permettere di ovviare alle lacune della procedura e consentire ai difensori dei prevenuti di tutelare le loro ragioni in modo conforme a quanto voluto dagli
art. 4 Cost.
e 5 par. 4 CEDU: che una simile udienza contraddittoria non sia prevista dalla procedura penale ticinese - come osserva la CRP - non muta alcunché, dal momento che detta procedura neppure la esclude e che l'obbligo di ossequiare la Costituzione federale e la Convenzione prevale comunque sulle disposizioni del diritto cantonale (cfr.
DTF 107 Ia 55
consid. 2b,
DTF 105 V 3
consid. b).
g) Discende dalle suesposte considerazioni che la procedura - nel suo complesso - non ha compiutamente garantito ai prevenuti quella partecipazione adeguata dell'individuo colpito dalla decisione che l'autorità intendeva prendere ed in particolare quell'accesso agli atti essenziali di cui disponeva il Procuratore pubblico per introdurre la sua richiesta volta al mantenimento della detenzione preventiva: in altre parole la CRP - che non ha permesso ai ricorrenti di consultare l'incarto, richiamandosi alla segretezza dell'inchiesta in modo aprioristico e senza sostenere che una simile consultazione avrebbe compromesso gli scopi dell'istruttoria o minacciato legittimi interessi contrastanti - ha disatteso il loro diritto di essere sentiti e non li ha messi in condizione di esercitare con efficacia le loro facoltà di difesa.
Questa constatazione trae seco che la decisione impugnata dev'essere annullata per ragioni formali e che la causa dev'essere ripristinata davanti all'autorità cantonale perché, rimediato a codesto vizio, si pronunci di nuovo tenendo conto dei considerandi dell'istanza federale (
DTF 111 Ia 329
consid. 7d,
DTF 104 Ia 63
). Un simile esito esime il Tribunale federale dall'obbligo di sindacare le ulteriori censure sollevate dai ricorrenti e non implica ovviamente alcun giudizio di merito circa l'esistenza delle condizioni materiali che legittimano la proroga della carcerazione.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è accolto nel senso dei considerandi e la decisione impugnata è annullata. | public_law | nan | it | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d8ab4804-2870-4955-b8c3-8b5ad4e6917b | Urteilskopf
111 IV 119
30. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 18 décembre 1985 dans la cause D. contre Genève, Procureur général (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 110 Ziff. 5 und 251 StGB
; Urkundenfälschung.
1. Die mittels eines Computers auf magnetischen Datenträgern gespeicherten Daten stellen Schriften oder Zeichen im Sinne von
Art. 110 Ziff. 5 StGB
dar, obwohl sie nur mit einem technischen Hilfsmittel gelesen werden können.
2. Wer solche, zum Beweis einer Tatsache von rechtlicher Bedeutung bestimmte oder geeignete Daten zu seinem Vorteil abändert, begeht eine Urkundenfälschung. | Erwägungen
ab Seite 119
BGE 111 IV 119 S. 119
Extrait des considérants:
1.
a) Aux termes de l'
art. 110 ch. 5 CP
, sont réputés titres tous écrits destinés ou propres à prouver un fait ayant une portée juridique et tous signes destinés à prouver un tel fait.
Selon la cour cantonale, un programme informatique (programme d'ordinateur) est propre à prouver un fait car la jurisprudence a déjà qualifié de titres les relevés bancaires, si bien que le support des informations figurant sur de tels relevés est aussi apte à prouver les faits qu'il renferme. Cette autorité admet encore que l'élaboration et la modification d'un programme informatique sont l'oeuvre de l'être humain et traduisent sa pensée, qualités nécessaires aux titres. En revanche, la Cour de cassation genevoise a considéré qu'un titre doit être visible; les supports magnétiques ne pouvant être lus par l'oeil humain, les assimiler à un titre au sens du CP étendrait par trop la répression pénale et heurterait le principe de la légalité prévu à l'
art. 1er CP
. L'arrêt attaqué fait notamment référence à Rohner pour qui les supports constitués par des cartes ou des bandes perforées peuvent être considérés
BGE 111 IV 119 S. 120
comme des titres car un tiers, connaissant le code utilisé, peut en comprendre le contenu par la vue alors que cette propriété manque aux supports magnétiques, qui ne peuvent pas être lus par l'oeil humain (L. ROHNER, Computerkriminalität, thèse Zurich 1976, p. 75/76).
b) Le Procureur général recourant soutient qu'en suivant ROHNER la cour cantonale a posé une exigence supplémentaire à la définition de l'
art. 110 ch. 5 CP
, ajoutant au critère de visibilité celui de l'immédiateté de la lecture. Cela aurait pour conséquence inacceptable de conduire à la libération du chef de faux dans les titres celui qui a falsifié le programme sans que des extraits aient été imprimés, alors que sera puni celui qui aura commis les mêmes actes, parce que des extraits de compte auront été matérialisés; ainsi, la répression de l'un ou de l'autre de ces falsificateurs serait laissée au hasard.
2.
L'une des caractéristiques du titre au sens de l'
art. 110 ch. 5 CP
est d'être destiné ou propre à prouver un fait ayant une portée juridique. Le support informatique contenant une partie de la comptabilité commerciale doit être considéré comme remplissant cette condition car d'après la jurisprudence la comptabilité commerciale et ses composants sont, de par la loi, destinés et propres à prouver des faits ayant une portée juridique (
ATF 108 IV 26
). Les moyens informatiques se répandant de plus en plus, les entreprises dont la comptabilité n'est tenue que par le biais d'un ordinateur sont nombreuses. Les livres de comptabilité sont ainsi remplacés par des supports, le plus souvent magnétiques, contenant toutes les données comptables. Il est en conséquence logique de reconnaître au substitut de ces livres la même caractéristique sous l'angle de la destination et de l'aptitude à prouver des faits ayant une portée juridique (
art. 962 al. 2 et 4 CO
, nouvelle teneur entrée en vigueur le 1er juin 1976; JAAC 43/1979 No 96).
3.
Selon le Code pénal, sont réputés titres un écrit ou des signes (Schriften oder Zeichen, scritti ovvero segni). Dans le seul arrêt concernant l'utilisation frauduleuse d'un ordinateur, le Tribunal fédéral a déjà admis le faux dans les titres (
ATF 96 IV 185
); il s'agissait cependant d'un système informatique à cartes perforées; le chef opérateur coupable avait soustrait ou modifié certaines d'entre elles. La qualité d'écrit était cependant plus évidente que dans la présente espèce car des extraits de comptes faux, imprimés sur papier, avaient été tirés. Dans le cas présent, en l'absence de constatations contraires, l'on doit admettre
BGE 111 IV 119 S. 121
qu'aucun extrait de compte n'exprimant pas la vérité n'a été tiré; l'informaticien de la banque a agi de façon répréhensible sur les données contenues dans des supports magnétiques; par des manipulations électroniques - sans doute à l'aide d'un écran -, il est parvenu à modifier à son profit les données de certains comptes. A-t-il ainsi altéré un écrit ou des signes?
4.
a) Suivant ROHNER (loc.cit.), la cour cantonale a dénié le caractère d'écrit ou de signes aux supports magnétiques des programmes informatiques falsifiés. Selon cette autorité, l'oeil humain ne pouvant saisir sans l'intermédiaire d'un appareil ce qui est enregistré sur un support magnétique, on ne saurait qualifier ce dernier d'écrit ou de signes.
La doctrine n'est pas unanime quant à la définition de l'écrit (voir G. STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil II, 3e éd., Berne 1984 p. 156 No 6). Beaucoup d'auteurs estiment que les signes ou l'écriture doivent être incorporés dans une matière qui les rendent perceptibles à l'oeil; ce critère les conduit à exclure les supports magnétiques parce qu'ils ne révèlent rien au regard. Cependant, certains tenants de cette manière de voir admettent qu'un microfilm remplit cette condition (STRATENWERTH, loc.cit., se référant à N. SCHMID, Registriervorrichtungen und ihre Aufzeichnungen im Urkundenstrafrecht, in RSJ 64 (1968) p. 98). Or, en général, la lecture d'un microfilm ne peut être obtenue directement car elle nécessite l'emploi d'un agrandisseur optique. Il s'ensuit que le critère de la lisibilité immédiate du support de l'écriture ou des signes ne revêt pas un caractère absolu, même pour ce courant de doctrine. Dès lors, un parallèle peut être tiré entre la lecture de données enregistrées dans le support magnétique informatique et celle des données contenues dans un microfilm. La lecture des premières est rendue possible par l'intermédiaire d'un écran (terminal ou télévision) ou d'une imprimante, la lecture des secondes intervient par le biais d'un agrandisseur optique. L'évolution technique permet aujourd'hui pratiquement à chacun de se procurer ou de louer une machine compatible, même petite, propre à rendre visibles les données informatiques enregistrées dans un support magnétique; les agrandisseurs optiques pour microfiches ou microfilms sont d'ailleurs d'un coût un peu plus élevé que les petits ordinateurs.
Il faut ainsi admettre que les données enregistrées sur les programmes informatiques, destinées à la lecture par l'intermédiaire
BGE 111 IV 119 S. 122
d'un écran ou d'extraits imprimés, constituent déjà des écrits ou des signes lisibles. En effet, par l'introduction des notions d'écrit ou de signes dans la définition du titre, le législateur n'entendait pas faire dépendre la répression pénale des interventions illicites, dans ce domaine, d'une lisibilité plus ou moins directe. Il n'existe pas de raisons objectives d'exclure, de la protection pénale garantie aux titres, les signes ou les enregistrements dont la lecture nécessite l'usage de moyens techniques. En définitive, ce qui est décisif c'est le fait que les signes rendus lisibles par des moyens électroniques ou optiques soient destinés ou propres à prouver un fait ayant une portée juridique.
b) Les données contenues dans un support magnétique informatique sont l'enregistrement de déclarations humaines. En cela, elles diffèrent de celles que révèle un compteur kilométrique, un thermomètre ou un anémomètre; ces derniers n'expriment ou n'enregistrent en effet que la distance parcourue, la température ou la vitesse du vent, éléments qui n'émanent pas d'un être humain. Celui qui introduit des données dans l'ordinateur exprime ainsi une volonté humaine assimilable à celle qu'incorpore, par exemple, une feuille de papier sur laquelle un client donne un ordre bancaire. Cette exigence de la doctrine, d'après laquelle un écrit doit notamment incorporer une déclaration d'origine humaine, est en conséquence satisfaite dans ce cas (G. STRATENWERTH, op.cit., p. 157 n. 7 et 8).
c) L'interprétation qui précède permet de considérer que les données informatiques relatives à la comptabilité commerciale sont des écrits ou des signes propres ou destinés à prouver un fait ayant une portée juridique; celui qui sans droit introduit de fausses données dans l'ordinateur afin de se procurer un avantage illicite se rend ainsi coupable de faux dans les titres (
art. 251 CP
en liaison avec l'
art. 110 ch. 5 CP
). Il ne s'agit pas là d'une extension, au détriment de l'accusé, de la notion de titre qui conduirait à une violation du principe de la légalité (
art. 1er CP
). Une interprétation même extensive de la loi pénale est admissible dans la mesure où elle permet d'en dégager le sens véritable, celui qui est seul conforme à la logique interne et au but de la disposition en cause (
ATF 103 IV 129
,
ATF 95 IV 73
avec la jurisprudence et la doctrine citées).
En l'espèce, on a vu que les moyens informatiques ont pris un tel essor que dans de nombreux secteurs de la vie moderne ils ont remplacé les documents en papier. Dans le domaine de la comptabilité, notamment, l'ordinateur s'est entièrement substitué aux livres. On doit ainsi admettre que si le législateur a voulu réprimer celui qui fausse les livres,
BGE 111 IV 119 S. 123
il entendait que soit puni aussi sévèrement celui qui altère le support nouveau qui les remplace. Les actes répréhensibles de ces deux auteurs ne sont pas fondamentalement différents. D'ailleurs, le développement considérable et incessant des moyens informatiques favorise l'éclosion de la criminalité qui lui est liée, si bien que sa répression s'impose de manière pressante (H. EGLI, Grundformen der Wirtschaftskriminalität, Heidelberg 1985, p. 144 ss et 212 ss; E. ZIMMERLI/K. LIEBL, Computermissbrauch Computersicherheit, Küsnacht 1984, p. 336 ss.; K. BAUKNECHT, Criminalité "informatique", in Criminalité économique, édité par Neutra fiduciaire S.A., Zurich 1982; du même auteur, Rechtsinformatik, Ausführung aus der Sicht des Informatikers, in Rechtsinformatik, Bedürfnisse und Möglichkeiten, Zurich 1984; U. SIEBER, Computerkriminalität und Strafrecht, 1re éd., Cologne 1977, supplément, Cologne 1980; R. GASSIN, Le droit pénal de l'informatique, in Recueil Dalloz Sirey No 5 1986 p. 39; J.M. SMITS, Le vol des données informatiques est désormais punissable au pénal, in Droit de l'informatique, 1985 cahier 2 p. 23 ss, et cahier 5 p. 12 ss; J. LARGUIER, Droit pénal des affaires, Paris 1983, p. 203).
d) En l'espèce, nul ne conteste que le condamné a introduit des données fausses dans l'ordinateur de la banque afin de s'attribuer des montants auxquels il n'avait pas droit. Il s'est ainsi rendu coupable de faux dans les titres. Il convient ainsi d'annuler l'arrêt attaqué par le Procureur général et de renvoyer la cause à l'autorité cantonale afin que l'auteur soit reconnu coupable de ce crime. | null | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d8ab9540-e5e1-4615-b39e-ec54735354ef | Urteilskopf
138 V 457
54. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle des Kantons Aargau gegen Z. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_149/2011 vom 25. Oktober 2012 | Regeste
Art. 16 ATSG
; Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen ausgeglichenen Arbeitsmarkt.
Für den Zeitpunkt, in welchem die Frage nach der Verwertbarkeit der (Rest-) Arbeitsfähigkeit bei vorgerücktem Alter beantwortet wird, ist auf das Feststehen der medizinischen Zumutbarkeit einer (Teil-)Erwerbstätigkeit abzustellen (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3.3). | Sachverhalt
ab Seite 458
BGE 138 V 457 S. 458
A.
Die am 24. Dezember 1947 geborene Z. meldete sich im September 2002 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 5. September 2007 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Aargau (nachfolgend: IV-Stelle) vom 1. Juni 2002 bis zum 30. November 2003 eine ganze und ab 1. Dezember 2003 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 55 % eine halbe Invalidenrente zu. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 28. Mai 2008 die Verfügung vom 5. September 2007 auf, soweit sie den Rentenanspruch ab 1. Dezember 2003 betraf, und wies die Angelegenheit zur Vornahme weiterer Abklärungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die IV-Stelle zurück. Nach zusätzlichen medizinischen Ermittlungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach diese der Versicherten mit Verfügung vom 9. Juli 2009 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 55 % eine halbe Invalidenrente ab 1. Juni 2002 zu. Gleichzeitig verfügte sie für zu viel ausgerichtete Rentenbetreffnisse eine Rückforderung im Betrag von insgesamt Fr. 6'532.- und deren Erlass im Umfang von Fr. 6'489.-.
B.
In Gutheissung der Beschwerde der Z. hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. Januar 2011 die Verfügung vom 9. Juli 2009 auf und sprach der Versicherten ab dem 1. Juni 2002 eine ganze Rente zu.
C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab 1. Juni 2002 bis 30. November 2003, einer halben Rente ab 1. Dezember 2003 bis 31. Juli 2009 und wiederum einer ganzen Rente ab 1. August 2009.
Z. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten.
BGE 138 V 457 S. 459
D.
In Bezug auf die Rechtsfrage, zu welchem Zeitpunkt die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit zu beurteilen sei, ist zwischen den sozialrechtlichen Abteilungen das Verfahren gemäss
Art. 23 Abs. 2 BGG
durchgeführt worden.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Das kantonale Gericht hat gestützt auf das Gutachten des Dr. med. J. vom 19. Dezember 2008 eine Arbeitsfähigkeit von 50 % in leidensangepassten Tätigkeiten festgestellt. Es ist indessen der Auffassung, dass die Versicherte auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt keine Stelle mehr finde. Bei Erlass der Verfügung vom 9. Juli 2009 sei sie 61 Jahre und sechseinhalb Monate alt gewesen und es sei eine relativ kurze Aktivitätsdauer von knapp zweieinhalb Jahren bis zum Erreichen des AHV-Alters verblieben; sie habe keinen Beruf erlernt und sei ausschliesslich im Gastgewerbe tätig gewesen, solche Arbeit sei ihr jedoch aufgrund der vom Gutachter festgestellten Einschränkungen nicht mehr zumutbar; schliesslich sei altersbedingt von einer geringen Anpassungsfähigkeit an eine neue Tätigkeit und Branche auszugehen. Folglich hat es - trotz der vorhandenen Restarbeitsfähigkeit - eine vollständige Erwerbsunfähigkeit angenommen und der Versicherten eine ganze Invalidenrente zugesprochen.
2.2
Streitig und zu prüfen ist die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit. Die IV-Stelle beanstandet einzig, dass das kantonale Gericht für deren Beurteilung auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung am 9. Juli 2009 abgestellt hat. Gemäss Gutachten des Dr. med. J. sei der Versicherten indessen bereits ab 1. Dezember 2003 eine körperlich leichte Tätigkeit im Umfang von 50 % zumutbar gewesen. Damals, mithin im Alter von 56 Jahren, sei das Finden einer angepassten Tätigkeit nicht ausgeschlossen gewesen.
Einigkeit besteht über den Anspruch auf eine ganze Rente vom 1. Juni 2002 bis 30. November 2003 aufgrund des vorinstanzlichen Entscheides vom 28. Mai 2008 (vgl.
Art. 90 und 91 lit. a BGG
;
BGE 135 V 141
) sowie ab 1. August 2009 infolge der Verwitwung der Versicherten (
Art. 43 Abs. 1 IVG
in Verbindung mit
Art. 23 Abs. 3 und
Art. 24 AHVG
).
3.
3.1
Das trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbare Einkommen ist bezogen auf einen ausgeglichenen
BGE 138 V 457 S. 460
Arbeitsmarkt zu ermitteln, wobei an die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten keine übermässigen Anforderungen zu stellen sind (im Einzelnen dazu Urteil 9C_830/2007 vom 29. Juli 2008 E. 5.1, in: SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203). Das fortgeschrittene Alter wird, obgleich an sich ein invaliditätsfremder Faktor, in der Rechtsprechung als Kriterium anerkannt, welches zusammen mit weiteren persönlichen und beruflichen Gegebenheiten dazu führen kann, dass die einer versicherten Person verbliebene Resterwerbsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht mehr nachgefragt wird, und dass ihr deren Verwertung auch gestützt auf die Selbsteingliederungslast nicht mehr zumutbar ist. Fehlt es an einer wirtschaftlich verwertbaren Resterwerbsfähigkeit, liegt eine vollständige Erwerbsunfähigkeit vor, die einen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente begründet (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 831/05 vom 21. August 2006 E. 4.1.1 mit Hinweisen). Der Einfluss des Lebensalters auf die Möglichkeit, das verbliebene Leistungsvermögen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, lässt sich nicht nach einer allgemeinen Regel bemessen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Massgebend können die Art und Beschaffenheit des Gesundheitsschadens und seiner Folgen, der absehbare Umstellungs- und Einarbeitungsaufwand und in diesem Zusammenhang auch Persönlichkeitsstruktur, vorhandene Begabungen und Fertigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang oder Anwendbarkeit von Berufserfahrung aus dem angestammten Bereich sein (Urteile 9C_153/2011 vom 22. März 2012 E. 3.1; 9C_918/2008 vom 28. Mai 2009 E. 4.2.2 mit Hinweisen).
3.2
Die Möglichkeit, die verbliebene Arbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, hängt nicht zuletzt davon ab, welcher Zeitraum der versicherten Person für eine berufliche Tätigkeit und vor allem auch für einen allfälligen Berufswechsel noch zur Verfügung steht. Als massgeblicher Stichtag für die Beantwortung der Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit in Betracht fallen namentlich der Tag, ab dem eine volle oder teilweise Erwerbstätigkeit medizinisch zumutbar ist, jener des Rentenbeginns resp. der Änderung des Rentenanspruchs (vgl. Urteil 9C_145/2011 vom 30. Mai 2011 E. 3.4), weiter der Zeitpunkt, in dem eine Arbeitsfähigkeit aus medizinischer Sicht feststeht, oder derjenige des Verfügungserlasses (vgl. Urteil 9C_949/2008 vom 2. Juni 2009 E. 2, wo die Frage des massgeblichen Zeitpunktes offengelassen wird).
BGE 138 V 457 S. 461
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist diesbezüglich nicht einheitlich. Während in der Mehrzahl der Urteile - regelmässig ohne Erwägungen zur Frage des massgeblichen Zeitpunktes - auf den Tag des Erlasses der Verfügung resp. des Einspracheentscheides abgestellt wurde (vgl. Urteile 9C_153/2011 vom 22. März 2012 E. 3.3; 8C_482/2010 vom 27. September 2010 E. 4.3; 9C_979/2009 vom 10. Februar 2010 E. 5; 9C_918/2008 vom 28. Mai 2009 E. 4.3; 9C_437/2008 vom 19. März 2009 E. 4.3, in: SVR 2009 IV Nr. 35 S. 97), nannte das Bundesgericht in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Urteil 9C_124/2010 sowohl den Rentenbeginn als auch den Verfügungserlass, wobei letztlich der frühere Zeitpunkt des Rentenbeginns entscheidwesentlich war (Urteil 9C_124/2010 vom 21. September 2010 E. 5.3; ähnlich auch Urteil 8C_657/2010 vom 19. November 2010 E. 5.2.3).
Die im gesamten Bereich des Sozialversicherungsrechts geltende Schadenminderungspflicht und die daraus abgeleitete Selbsteingliederungslast (vgl.
BGE 113 V 22
E. 4a S. 28 mit Hinweisen; Urteil 9C_916/2010 vom 20. Juni 2011 E. 2.2) gebieten grundsätzlich, die Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit möglichst früh zu beantworten. Für den Zeitpunkt des Rentenbeginns resp. der Änderung des Rentenanspruchs spricht, dass er von den Parteien nicht zu beeinflussen ist, dass dann eine Arbeitstätigkeit objektiv, d.h. unter medizinischen Gesichtspunkten zumutbar ist und dass die Invaliditätsbemessung, mithin der Einkommensvergleich (
Art. 16 ATSG
; SR 830.1), ebenfalls für dieses Datum vorzunehmen ist (
BGE 128 V 174
E. 4a S. 175;
BGE 129 V 222
E. 4.2 S. 223 f.). Dagegen ist einzuwenden, dass zu diesem Zeitpunkt in vielen Fällen gerade die gesundheitlich bedingten Einschränkungen umstritten sind, diese einer (weiteren) Abklärung bedürfen (
Art. 43 Abs. 1 ATSG
) und erst anschliessend retrospektiv festgelegt werden; die versicherte Person hätte somit eine von ihr bestrittene und zudem (noch) nicht objektiv feststehende Arbeitsfähigkeit zu verwerten. Im jüngsten Entscheid zur hier interessierenden Frage wurde denn auch dem Zeitpunkt des Vorbescheides Gewicht beigemessen, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, zuvor habe keine Klarheit über die Restarbeitsfähigkeit bestanden, weshalb dem Versicherten deren Verwertung nicht früher zumutbar gewesen sei (Urteil 8C_880/2011 vom 21. März 2012 E. 5.4).
3.3
Zwecks Präzisierung der soeben dargelegten Rechtsprechung wurde im Rahmen des Verfahrens gemäss
Art. 23 Abs. 2 BGG
BGE 138 V 457 S. 462
vorgeschlagen, für den Zeitpunkt, in welchem die Frage nach der
Verwertbarkeit der (Rest-)Arbeitsfähigkeit bei vorgerücktem Alter
beantwortet wird, abzustellen auf:
a) den Rentenbeginn (bzw. im Revisionsfall die Änderung des Rentenanspruchs); oder
b) das Feststehen der medizinischen Zumutbarkeit einer (Teil-)Erwerbstätigkeit; oder
c) den Vorbescheid; oder
d) die Verfügung.
Die betroffenen Abteilungen haben sich für Variante b) entschieden.
3.4
Die medizinische Zumutbarkeit einer (Teil-)Erwerbstätigkeit steht fest, sobald die medizinischen Unterlagen diesbezüglich eine zuverlässige Sachverhaltsfeststellung erlauben. Auch wenn bereits Dr. med. S. in seinem Gutachten vom 23. Dezember 2003 eine Arbeitsfähigkeit von "etwa 30-50 %" attestierte, ist dieses Datum nicht massgeblich, zumal das kantonale Gericht in einem ersten Beschwerdeverfahren den Sachverhalt als ungenügend abgeklärt erachtete. Erst das daraufhin von der Verwaltung eingeholte Gutachten des Dr. med. J. vom 19. Dezember 2008 verschaffte Klarheit über die Arbeitsfähigkeit und bildete die - den Anforderungen an die Beweiskraft (
BGE 134 V 231
E. 5.1 S. 232;
BGE 125 V 351
E. 3a S. 352 mit Hinweis) genügende - medizinische Grundlage für den Rentenentscheid. Im konkreten Fall ist demnach für die Rentenberechtigung ab 1. Dezember 2003 die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit am 19. Dezember 2008 entscheidend.
3.5
Ende Dezember 2008 war die Versicherte 61 Jahre alt. Die vorinstanzlichen Erwägungen betreffend die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit (E. 2.1) beziehen sich auf den 9. Juli 2009 und werden als solche von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt. Sie gelten analog auch für den massgeblichen, rund ein halbes Jahr davor liegenden Zeitpunkt (vgl. Urteile 8C_482/2010 vom 27. September 2010 E. 4.2 und 4.3; 9C_949/2008 vom 2. Juni 2009 E. 2; 9C_437/2008 vom 19. März 2009 E. 4.3, in: SVR 2009 IV Nr. 35 S. 97). Die Beschwerde ist unbegründet. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d8ae4754-8eb4-4459-9424-b51ce6c2119a | Urteilskopf
90 II 404
46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Oktober 1964 i.S. Halilovic gegen Schweizerische Bankgesellschaft. | Regeste
Stellvertretung. Ungerechtfertigte Bereicherung. Streitverkündung.
Die Wirkungen der Streitverkündung zwischen Verkünder und Streitberufenem werden vom materiellen Recht geregelt (Erw. 1). Tragweite des gegen den Streitverkünder ergangenen Urteils gegenüber dem Streitberufenen, der sich am Prozess nicht beteiligt hat (Erw. 2-4).
Stellvertretung: Haftung des vollmachtlosen Stellvertreters gegenüber dem Dritten nach Bereicherungsgrundsätzen. OR Art. 39, 62 ff. (Erw. 5, 6). | Sachverhalt
ab Seite 404
BGE 90 II 404 S. 404
A.-
Gemäss öffentlicher Urkunde vom 20. Februar 1962 gründeten Frau Halilovic, Mannheim, und Rechtsanwalt Klauser, Zug, die Firma Elo Versand- und Verkaufshaus GmbH mit Sitz in Zürich. Das Stammkapital von
BGE 90 II 404 S. 405
Fr. 20'000.-- wurde von Frau Halilovic mit Fr. 19'000.-- und von Rechtsanwalt Klauser mit Fr. 1000.-- gezeichnet. Zum Geschäftsführer mit Einzelunterschrift wurde H. Fey ernannt. Gestützt auf diese Urkunde wurde die GmbH am 20. März 1962 im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen.
Vor der Gesellschaftsgründung, am 17. Februar 1962, hatte Frau Halilovic sowohl ihren Anteil am Stammkapital als auch denjenigen von Klauser bei der Schweizerischen Bankgesellschaft in Zürich auf ein Sperrkonto einbezahlt mit der Massgabe, dass das Geld der Elo GmbH nach deren Gründung zur freien Verfügung stehen solle. Bei der Einzahlung erklärte Frau Halilovic der Bank, sie werde für die zu gründende Gesellschaft allein unterschriftsberechtigt sein. Gestützt auf diese Angabe bereitete die Bank eine entsprechende Unterschriftenkarte vor, auf welcher vom Kontoinhaber, also der Elo GmbH, nach der Gründung angegeben werden sollte, wer für die Firma die rechtsverbindliche Unterschrift führe. Die Bank unterliess es dann jedoch, die Karte nach der Gründung der Gesellschaft zur Unterzeichnung zuzustellen, und vergewisserte sich auch sonst nicht, wer namens der Elo GmbH zu handeln befugt sei.
Am 18./19. April 1962 zahlte die Bankgesellschaft aus dem Guthaben der Elo GmbH an Frau Halilovic auf deren Verlangen den Betrag von Fr. 19'000.-- aus, obwohl sie keine Vollmacht der Kontoinhaberin vorwies.
In der Folge forderte die Elo GmbH mit Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich von der Bankgesellschaft die Auszahlung der Fr. 19'000.--. Sie machte geltend, Frau Halilovic sei nicht berechtigt gewesen, für die Firma zu zeichnen und über deren Guthaben bei der Bankgesellschaft zu verfügen; diese könne daher der Firma die an Frau Halilovic erfolgte Auszahlung nicht entgegenhalten.
Die Bankgesellschaft verkündete Frau Halilovic den Streit, entschlug sich der Fortsetzung des Prozesses und überliess diese der Streitberufenen auf eigene Kosten. Diese
BGE 90 II 404 S. 406
trat nicht in den Prozess ein. Das Handelsgericht hiess daher im Versäumnisverfahren die Klage mit Urteil vom 11. Dezember 1962 gut und verpflichtete die Bankgesellschaft, an die Elo GmbH den Betrag von Fr. 19'000.-- nebst 5% Zins seit 10. September 1962 zu bezahlen.
B.-
Am 21. Dezember 1962 liess die Bankgesellschaft den Gesellschaftsanteil der Frau Halilovic an der Elo GmbH mit Arrest belegen. Auf Rechtsvorschlag der Arrestschuldnerin in der Prosequierungsbetreibung hin reichte die Bankgesellschaft gegen sie Klage ein mit dem Begehren, die Beklagte sei zur Rückerstattung der Fr. 19'000.-- nebst 5% Zins seit 19. September 1962 zu verpflichten; weitere Klagebegehren auf Rückerstattung der Kosten des Handelsgerichtsprozesses liess die Klägerin in der Folge fallen.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Das Bezirksgericht und das Obergericht Zürich schützten das Rückerstattungsbegehren der Klägerin. Das Obergericht ging in seinem Entscheid davon aus, dass die Beklagte auf Grund ihres Rechtsverhältnisses zur Klägerin sowie nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, der an sie ergangenen Streitverkündung Folge zu geben. Da sie dies unterlassen habe, müsse sie das Urteil des Handelsgerichts gegen sich gelten lassen, soweit es feststelle, dass sie sich die von ihr geleistete Stammeinlage von Fr. 19'000.-- wieder habe auszahlen lassen, ohne dazu berechtigt zu sein. Die Klägerin könne daher den von ihr freiwillig und aus Irrtum an die Beklagte ausbezahlten Betrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung derselben wieder zurückfordern. Mit Rücksicht auf den infolge ihrer prozessualen Säumnis im Vorprozess angenommenen Verzicht auf Einreden könne die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht mehr geltend machen, sie sei von der Elo GmbH zur Entgegennahme des Geldes bevollmächtigt gewesen und sei nicht mehr bereichert. Die von der Beklagten weiter erhobene Einrede der Verrechnung ihrer Bereicherungsschuld mit Schadenersatzansprüchen wies
BGE 90 II 404 S. 407
das Obergericht mit der Begründung ab, durch die Nichtbeteiligung der Beklagten am Vorprozess sei der Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten falschen Auskunft der Klägerin und dem angeblichen Schaden der Beklagten unterbrochen worden.
C.-
Gegen das Urteil des Obergerichts vom 13. Februar 1964 hat die Beklagte Berufung eingereicht. Sie beantragt, die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In erster Linie ist zu prüfen, ob und inwieweit die Beklagte sich das im Prozess der Elo GmbH gegen die heutige Klägerin ergangene Urteil des Handelsgerichts Zürich entgegenhalten lassen müsse.
a) Wie andere Zivilprozessordnungen gibt auch § 43 der Zürcher ZPO einer Prozesspartei die Möglichkeit, einen Dritten zur Beihilfe im Prozess oder zur Übernahme des Streites aufzufordern, wenn sie im Falle des Unterliegens auf den Dritten zurückgreifen oder künftigen Einwendungen im Streit mit ihm begegnen will. Diese Streitverkündung zu ordnen, ist ohne Zweifel Sache des Prozessrechts, soweit Form und Verfahren in Frage stehen. Dagegen kann man sich fragen, ob es Aufgabe des materiellen Zivilrechts oder des Prozessrechts sei, die Wirkungen der Streitverkündung, ihrer Befolgung oder Nichtbefolgung, sowie ihrer Unterlassung, auf das Verhältnis zwischen dem Streitverkünder und dem Streitberufenen zu regeln. Die Vorinstanz hält hiefür das Privatrecht des Bundes für massgebend. Die Parteien wenden gegen diese Auffassung nichts ein, doch hat das Bundesgericht als Berufungsinstanz von Amtes wegen zu entscheiden, ob eidgenössisches oder kantonales Recht anwendbar ist.
b) Das Zivilrecht enthält vereinzelte Vorschriften, die sich mit diesen Wirkungen der Streitverkündung befassen.
BGE 90 II 404 S. 408
Die wichtigste unter ihnen ist
Art. 193 OR
, wonach der Verkäufer auf ergangene Streitverkündung hin je nach den Umständen und den Vorschriften der Prozessordnung dem Käufer im Prozess beizustehen oder ihn zu vertreten hat, wenn von einem Dritten ein Recht geltend gemacht wird, das den Verkäufer zur Gewährleistung verpflichtet. Ist die Streitverkündung rechtzeitig erfolgt, so wirkt ein ungünstiges Ergebnis auch gegen den Verkäufer, sofern er nicht beweist, dass es vom Käufer durch böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit verschuldet worden ist. Diese Regelung beruht auf dem Grundsatz von Treu und Glauben, und es liegt daher nahe, sie sinngemäss auch auf andere Rechtsverhältnisse anzuwenden, aus denen ein Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung hergeleitet wird. Lehre und Rechtsprechung hatten allerdings zunächst Bedenken,
Art. 193 OR
seines Sondercharakters wegen auch ausserhalb des Kaufrechts gelten zu lassen. Sie hielten dafür, ausserhalb des Kaufs (und der übrigen vereinzelten Fälle ausdrücklicher privatrechtlicher Vorschriften entsprechenden Inhalts) sei es Sache des Prozessrechts, diese Wirkungen zu bestimmen (
BGE 38 II 578
und dort erwähnte Literatur). In neuerer Zeit brach sich indessen die Meinung Bahn, in Anlehnung an die Regelung des
Art. 193 OR
seien die Wirkungen der Streitverkündung allgemein dem Privatrecht zuzuordnen (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 283 ff., sowie ZSR 68 S. 238 und ZSR 80 II S. 17 f.; LEUCH, Bernische ZPO, 3. Aufl., Art. 48 N. 1; VOYAME, ZSR 80 II S. 129 f.; DESCHENAUX/CASTELLA, La nouvelle procédure civile fribourgeoise S. 74 f.). Nach dieser Auffassung besteht ein allgemeiner zivilrechtlicher Grundsatz, dass ein gegen den Streitverkünder ergangenes ungünstiges Urteil dann auch gegen den Streitberufenen wirkt, wenn dieser auf Grund seines Rechtsverhältnisses zum Streitverkünder oder nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet war, die Hauptpartei im Prozess zu unterstützen, vorausgesetzt, die Streitverkündung sei rechtzeitig erfolgt und der
BGE 90 II 404 S. 409
ungünstige Prozessausgang nicht durch den Streitverkünder verschuldet.
Dieser Auffassung ist beizupflichten. Ihr hat sich denn auch der Bundesgesetzgeber beim Erlass des BZP angeschlossen. In der Botschaft zu diesem (BBl 1947 I 1005) wird ausgeführt:
Die Wirkungen der Streitverkündigung im Verhältnis zwischen dem Verkünder und dem Empfänger gehören dem materiellen Recht an, und zwar nicht nur in den Fällen, wo das materielle Recht sie ausdrücklich vorsieht - zum Beispiel
Art. 193 und 258 OR
- sondern in allen Fällen der Gewährleistung oder Schadloshaltung.
Dem entsprechend sind in
Art. 16 BZP
die Wirkungen im Verhältnis zwischen Streitverkünder und Streitberufenem nicht geregelt. Daraus erhellt der Wille des Bundesgesetzgebers, hiefür das materielle Zivilrecht massgebend sein zu lassen, wie denn auch neuere kantonale Prozessgesetze aus dem gleichen Grunde auf eine Ordnung dieses Verhältnisses verzichtet haben (DESCHENAUX/CASTELLA a.a.O.).
c) Beurteilen sich die Wirkungen der Streitverkündung und deren Nichtbeachtung durch die Beklagte nach Bundeszivilrecht, so hat das Bundesgericht zu überprüfen, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, dem Vorprozess beizutreten, und inwieweit ihre Nichtbeteiligung an diesem sich auf ihre Rechtsstellung im vorliegenden Prozess nachteilig auswirke.
2.
Die Beklagte bestreitet, verpflichtet gewesen zu sein, an Stelle der Klägerin in den Vorprozess einzutreten; denn im Zeitpunkt der Abhebung der Fr. 19'000.-- habe zwischen ihr und der Klägerin entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein Vertragsverhältnis mehr bestanden, aus dem sie dazu gehalten gewesen wäre.
a) Diese Auffassung ist unrichtig. Wohl war das Vertragsverhältnis, das durch die Hinterlegung der Fr. 19'000.-- seitens der Klägerin zu Handen der in Gründung befindlichen GmbH zwischen den Parteien begründet worden war, mit der Auszahlung des Geldes abgewickelt; aber Handeln im Interesse des Vertragsgegners kann auch nach Abwicklung
BGE 90 II 404 S. 410
eines Rechtsgeschäfts durch Treu und Glauben geboten sein. Anders wäre
Art. 193 OR
nicht zu verstehen; denn er betrifft zumeist einen Sachverhalt, bei dem die Kaufsache übergeben, der Preis entrichtet und damit das Geschäft abgewickelt ist. Auch im vorliegenden Fall war nach den gesamten Umständen die Beklagte gehalten, der Klägerin zur Abwehr der Klage auf nochmalige Auszahlung des Geldes zu Hilfe zu kommen, weil die Klägerin ohne solche Unterstützung der Klage der Elo GmbH nicht wirksam begegnen konnte. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, vermochte die Klägerin auf Grund der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht nachzuweisen, dass sie die hinterlegte Summe berechtigterweise an die Beklagte ausbezahlt hatte. Nur die Beklagte hätte darzutun vermocht, dass sie auf Grund des internen Verhältnisses der Gesellschafter zur Entgegennahme der Fr. 19'000.-- zu Handen der Gesellschaft befugt gewesen sei oder dass sie mindestens das Geld bestimmungsgemäss zur Tilgung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft verwendet habe und deshalb die Gesellschaft durch eine nochmalige Auszahlung ungerechtfertigt bereichert würde. Die Beklagte wäre darum nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, die Klägerin in ihrem Prozess mit der Gesellschaft zu unterstützen.
b) Fragen kann sich einzig, wie weit diese Pflicht reichte, insbesondere, ob die Beklagte den Prozess gegen die Elo GmbH als Vertreterin der Bank hätte weiterführen müssen, nachdem sich diese des Streites entschlagen hatte, oder ob von der Beklagten lediglich hätte verlangt werden können, der den Streit selber fortführenden Bank bei der Beschaffung der Angriffs- und Verteidigungsmittel zur Seite zu stehen. Diese Frage entscheidet sich in erster Linie nach den Vorschriften der massgebenden Prozessordnung (vgl.
Art. 193 OR
). Die Vorinstanz hat entschieden, dass es nach § 46 der vorliegend anwendbaren Zürcher ZPO dem Streitverkünder freistehe, sich der Fortsetzung des Prozesses zu entschlagen und sie dem Streitberufenen auf eigene Kosten
BGE 90 II 404 S. 411
zu überlassen. Dieser auf Grund des kantonalen Prozessrechtes getroffene Entscheid bindet das Bundesgericht. Die Beklagte ist daher nicht zu hören mit dem Einwand, es sei für sie als rechtsunkundige, mittellose Ausländerin, welche die Fr. 19'000.-- in guten Treuen entgegengenommen habe, nicht zumutbar gewesen, von Mannheim aus für die Klägerin den Streit vor dem Handelsgericht Zürich weiterzuführen. Es ist übrigens nicht einzusehen, weshalb sie nicht schon damals einen Anwalt hätte beiziehen können, wie sie es dann im vorliegenden Verfahren tat. Selbst wenn sie sich bei der Abhebung des Geldes in guten Treuen für berechtigt halten mochte, die Summe für die Elo GmbH in Empfang zu nehmen, so erfuhr sie dann durch die Streitverkündung, dass die Elo GmbH diese Befugnis bestritt und von der Bank erneute Auszahlung verlangte. Das hätte sie veranlassen müssen, der an sie gerichteten Aufforderung zur Weiterführung des Prozesses nachzukommen.
3.
War die Beklagte nach Treu und Glauben verpflichtet, der Streitverkündung Folge zu geben, so konnte ihre Säumnis für sie doch nur nachteilige Wirkungen zeitigen, wenn die Klägerin ihr den Streit rechtzeitig verkündet hatte und den ungünstigen Prozessausgang nicht selber verschuldete (GULDENER, Zivilprozessrecht S. 284).
Verspätete Verkündung behauptet die Beklagte nicht. Nach dem angefochtenen Urteil hat sie der Klägerin auch nicht vorgeworfen, den ungünstigen Ausgang des Streites verschuldet zu haben. Die Beklagte behauptet indessen, diese Feststellung der kantonalen Instanz beruhe auf offensichtlichem Versehen im Sinne von
Art. 63 Abs. 2 OG
.
Es trifft zu, dass die Beklagte im kantonalen Verfahren geltend machte, die Klägerin hätte sich des Prozesses gegen die Elo GmbH nicht entschlagen dürfen, sondern sie wäre verpflichtet gewesen, sich bei der Beklagten über die Zusammenhänge zu orientieren; da sie dies unterlassen habe, treffe sie am ungünstigen Prozessausgang ein Verschulden.
BGE 90 II 404 S. 412
Die Vorinstanz hat diese Ausführungen jedoch nicht übersehen. Sie setzte sich damit auseinander und entschied, dass und warum die Klägerin die Weiterführung des Prozesses der Beklagten habe überlassen dürfen. Die beanstandete Feststellung ist offensichtlich in dem Sinne zu verstehen, es sei nicht der Vorwurf erhoben worden, dass der ungünstige Prozessausgang auf eine mangelhafte Führung des Prozesses durch die Klägerin (im Sinne der Ausführungen von GULDENER, ZSR 68 S. 248 oben) zurückzuführen sei. Bei richtiger Betrachtungsweise ist demnach der Rüge der versehentlichen Tatsachenfeststellung der Boden entzogen.
4.
Der Beklagten wurde der Streit rechtzeitig verkündet; sie war auf Grund ihrer Rechtsbeziehungen zur Klägerin nach Treu und Glauben zur Hilfe im Prozess verpflichtet, kam aber der Aufforderung dazu nicht nach und muss das Urteil des Handelsgerichts gegen sich gelten lassen, da der ungünstige Prozessausgang nicht durch die Klägerin verschuldet wurde.
Die Beklagte wendet ein, wenn grundsätzlich das Urteil des Handelsgerichtes auch gegen sie gelten sollte, so wäre es ihr gegenüber mangels Zuständigkeit des urteilenden Gerichtes nichtig, weil sie Anspruch darauf gehabt hätte, an ihrem Gerichtsstand Mannheim belangt zu werden.
Dieser Einwand ist unbegründet. Das Urteil des Handelsgerichtes erging zwischen der Elo GmbH und der heutigen Klägerin. Die Beklagte war nicht Partei. Selbst wenn sie an Stelle der Bank den Prozess fortgesetzt hätte, wäre das Urteil nicht auf ihren Namen, sondern auf den Namen der Bankgesellschaft auszufällen gewesen (§ 46 Zürcher ZPO). Die Nichtbefolgung der Streitverkündung bewirkt nicht, dass die Rechtskraft des Urteils auf die Beklagte erstreckt würde (GULDENER, ZSR 68 S. 250; Zivilprozessrecht S. 284). Sie hat bloss zur Folge, dass die Beklagte der Klägerin heute nicht mehr entgegenhalten kann, das Urteil im Vorprozess sei unrichtig, und dass der Beklagten daher die Einreden abgeschnitten sind, welche die Richtigkeit
BGE 90 II 404 S. 413
jenes Urteils in Zweifel ziehen würden (GULDENER, ZSR 68 S. 246 ff.).
War die Beklagte nicht Prozesspartei und erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils nicht auf sie, so geht ihre Berufung auf einen Gerichtsstandsmangel fehl.
5.
a) Da die Beklagte infolge ihrer Säumnis im Vorprozess das handelsgerichtliche Urteil gegen sich gelten lassen muss, kann sie im vorliegenden Verfahren nicht mehr einwenden, sie sei bevollmächtigt gewesen, die Fr. 19'000.-- im Namen der Elo GmbH entgegenzunehmen. Denn dieser Einwand hätte, wenn er im Vorprozess erhoben und als begründet befunden worden wäre, zur Abweisung der Klage der Elo GmbH führen müssen. Mit deren Gutheissung hat das Handelsgericht entschieden, dass die Beklagte die Geldsumme nicht für die Elo GmbH empfangen hat. Mit dieser Beurteilung muss sich die Beklagte mit Rücksicht auf ihr Verhalten im Vorprozess heute abfinden.
Es ist somit davon auszugehen, dass die Beklagte die Fr. 19'000.-- als nicht bevollmächtigte Stellvertreterin der Elo GmbH entgegengenommen hat. Die Rechtsfolgen dieser Zahlung beurteilen sich in erster Linie nach
Art. 39 OR
. Danach hat die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Schadenersatz, und zwar auf Ersatz des negativen Vertragsinteresses. Die Beklagte muss die Klägerin so stellen, wie wenn die Zahlung nicht erfolgt wäre, d.h. sie hat die empfangenen Fr. 19'000.-- zurückzugeben. Vorbehalten bleibt der Einwand der Beklagten, die Klägerin hätte den Mangel der Vollmacht kennen sollen (
Art. 39 Abs. 1 OR
). Bei Verschulden des Vertreters kann der Richter, wo es der Billigkeit entspricht, auf Ersatz weiteren Schadens, nämlich auf Ersatz des Erfüllungsinteresses, erkennen (
Art. 39 Abs. 2 OR
). In allen Fällen bleibt die Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung vorbehalten (
Art. 39 Abs. 3 OR
).
b) Es kann offen gelassen werden, ob ein Schadenersatzanspruch der Klägerin auf Rückgabe ihrer an die Beklagte gemachten Leistung gemäss
Art. 39 Abs. 1 OR
desbalb
BGE 90 II 404 S. 414
ausser Betracht falle, weil der Mangel der Vollmacht für die Klägerin erkennbar war. Denn abgesehen davon, dass die Beklagte einen solchen Einwand mindestens nicht ausdrücklich erhoben hat, erweist sich das Rückforderungsbegehren der Klägerin auf jeden Fall aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung als begründet. Dieser Bereicherungsanspruch, der in
Art. 39 Abs 3 OR
ausdrücklich in allen Fällen (also auch beim Fehlen von Schadenersatzansprüchen gemäss
Art. 39 Abs. 1 und 2 OR
) vorbehalten bleibt, steht dem Dritten nicht nur gegenüber dem angeblich Vertretenen zu (so OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 39 N. 17), sondern auch gegenüber dem vollmachtlosen Stellvertreter, der eine Leistung zu Handen des angeblich Vertretenen entgegengenommen hat (BECKER, 2. Aufl. OR Art. 39 N. 8; VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 345 f.).
c) Die kantonalen Instanzen haben die Rechtsgrundlage dieses Bereicherungsanspruches in
Art. 63 OR
betreffend die freiwillige Zahlung einer Nichtschuld aus Irrtum erblickt. Diese Bestimmung trifft jedoch nicht unmittelbar zu. Sie gilt nur dort, wo der Zahlende glaubt, er sei Schuldner des Empfängers. Die Klägerin hat aber nie geglaubt, sie sei Schuldnerin der Beklagten. Sie hat eine in Wirklichkeit bestehende Schuld gegenüber der Elo GmbH tilgen wollen und in der Beklagten ein Organ oder wenigstens eine bevollmächtigte Vertreterin der Elo GmbH gesehen. Ihr Irrtum bezog sich nicht auf das Bestehen der Schuld oder die Person des Gläubigers, sondern auf die Vertretungsbefugnis des Zahlungsempfängers.
Dagegen kann die Rückforderung auf
Art. 62 OR
gestützt werden. Denn da die Beklagte nicht berechtigt war, die Zahlung der Klägerin für die Elo GmbH entgegenzunehmen, hat sie eine Zuwendung ohne jeden gültigen Grund erhalten und ist dadurch ungerechtfertigt bereichert worden.
6.
a) Die Beklagte wendet ein, sie sei heute nicht mehr bereichert, weil sie die zu Unrecht empfangenen Fr. 19'000.-- zur Tilgung von Schulden der Elo GmbH verwendet
BGE 90 II 404 S. 415
habe. Die Vorinstanz hat entschieden, dieser Einwand hätte im Vorprozess vorgebracht werden müssen und sei daher im vorliegenden Verfahren nicht mehr zulässig. Die Beklagte ficht diese Auffassung mit der Berufung als rechtsirrtümlich an.
b)Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass sie sich die Entscheidungsgründe des im Vorprozess ergangenen Urteils nur insoweit entgegenhalten lassen muss, als sie für dessen Entscheidung notwendig waren, während Fragen, die im Streit zwischen der Elo GmbH und der Bank unerheblich und darum nicht zu beurteilen waren, durch das Urteil des Vorprozesses nicht präjudiziert sind (GULDENER, ZSR 68 S. 249 f.). Gestützt hierauf macht die Beklagte geltend, im Vorprozess habe es sich ausschliesslich darum gehandelt, ob die Bank die Fr. 19'000.-- an einen Unberechtigten ausbezahlt habe und darum die Summe der Elo GmbH noch schulde; ob der Unberechtigte, d.h. die Beklagte, das Geld gutgläubig empfangen habe und heute nicht mehr bereichert sei, habe im Vorprozess keine Rolle gespielt und hätte darum dort nicht vorgebracht werden können. Die Beklagte sei deshalb befugt, im vorliegenden Prozess den Einwand zu erheben, sie habe das empfangene Geld zur Zahlung von Schulden der Elo GmbH verwendet und sei daher nicht mehr bereichert.
c) Diese Auffassung ist unrichtig. Wenn die Beklagte schon im Vorprozess vorgetragen und bewiesen hätte, dass sie die Fr. 19'000.-- zur Tilgung von Schulden der Elo GmbH verwendet habe, hätte deren Klage gegen die Bank abgewiesen werden müssen, weil die Elo GmbH bei nochmaliger Auszahlung durch die Bank ungerechtfertigt bereichert worden wäre. Dass es sich dort um eine Bereicherung der Elo GmbH gehandelt hätte, während heute die Frage dahin geht, ob die Beklagte sich darauf berufen könne, sie sei entreichert, ist belanglos. Die Bereicherung der Elo GmbH und die Entreicherung der Beklagten sind wohl rechtlich gesehen zwei verschiedene Dinge; aber beide beruhen auf ein und derselben Tatsache, nämlich auf der
BGE 90 II 404 S. 416
Zahlung von Schulden der Elo GmbH durch die Beklagte mit dem empfangenen Gelde. Diese angebliche Tatsache hätte die Beklagte zur Unterstützung der Klägerin im Vorprozess unter Nennung und Beibringung der Beweismittel vorbringen müssen. Da sie dies unterlassen hat, darf sie es auch im vorliegenden Verfahren nicht tun. Sie könnte die Einrede des Wegfalls der Bereicherung nur erheben, wenn sie sich auf Tatsachen stützen würde, die im Vorprozess keine Rolle hätten spielen können. Die Beklagte begründet aber ihre Einrede ausschliesslich damit, sie habe das Geld zur Zahlung von Schulden der Elo GmbH verwendet.
Ob die Beklagte, falls es sich tatsächlich so verhalten sollte, gutgläubig gehandelt habe, ist unter diesen Umständen unerheblich und braucht nicht geprüft zu werden.
Die gegenteilige Lösung würde zu einem Ergebnis führen, das sich mit Treu und Glauben nicht vertrüge. Erwiese sich nämlich der Einwand der Beklagten, sie habe das von der Klägerin erhaltene Geld gutgläubig zur Bezahlung von Schulden der Elo GmbH verwendet und sei darum nicht mehr bereichert als richtig, so müsste die vorliegende Klage abgewiesen werden. Es bliebe dabei, dass die Klägerin die Fr. 19'000.-- zweimal bezahlt hätte; denn obwohl der Elo GmbH der Betrag zweimal zugekommen wäre, könnte die Klägerin von ihr nichts zurückfordern. Wird dagegen die Beklagte im vorliegenden Verfahren zur Rückerstattung der ihr ohne Rechtsgrund zugeflossenen Zahlung verpflichtet, so hat sie die rechtliche Möglichkeit, auf die Elo GmbH zurückzugreifen, die den Betrag zweimal erhalten hat und damit ungerechtfertigt bereichert ist.
7.
Die Beklagte hält schliesslich auch ihre im kantonalen Verfahren erhobene Verrechnungseinrede aufrecht. Sie hat es jedoch unterlassen, diesen Standpunkt in der Berufungsschrift näher zu begründen. Auf diese Einrede kann deshalb gemäss ständiger Rechtsprechung nicht eingetreten werden. Sie ist übrigens von der Vorinstanz mit zutreffender Begründung abgewiesen worden.
BGE 90 II 404 S. 417
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 13. Februar 1964 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d8af4bf6-411f-4ac6-aba0-92faf9589fd8 | Urteilskopf
114 III 83
25. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 18. Oktober 1988 i.S. S. (Rekurs) | Regeste
Pfändung des der Ehefrau nach
Art. 164 ZGB
zustehenden Betrages zur freien Verfügung.
Der Betrag zur freien Verfügung im Sinne des
Art. 164 ZGB
gehört zum ehelichen Unterhalt. Er soll dem haushaltführenden, kinderbetreuenden Ehegatten ohne Erwerbseinkommen ermöglichen, seine persönlichen Bedürfnisse über den Rahmen eines blossen Taschengeldes hinaus zu befriedigen. Der Anspruch aus
Art. 164 ZGB
ist zwingender Natur. Es kann auf ihn als solchen nicht zum voraus verzichtet werden, weshalb er auch nicht pfändbar ist. Hingegen ist ein nachträglicher Verzicht auf eine konkrete einzelne Leistung nicht ausgeschlossen und ihre Pfändbarkeit nicht grundsätzlich zu verneinen. Die Pfändung darf aber nicht in das Existenzminimum des betriebenen Ehegatten eingreifen und nicht der Begleichung seiner vorehelichen Schulden dienen. | Sachverhalt
ab Seite 84
BGE 114 III 83 S. 84
In den gegen D. S. eingeleiteten Betreibungen pfändete das Betreibungsamt monatlich den Betrag von Fr. 120.-- mit der Begründung, die Schuldnerin könne eine solche Leistung gestützt auf
Art. 164 ZGB
von ihrem Ehemann beanspruchen.
Die Schuldnerin focht diese Pfändung mit einer Beschwerde bei der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde über die Schuldbetreibung an. Der Gerichtspräsident wies die Beschwerde mit Verfügung vom 29. Juni 1988 ab. D. S. zog diese Verfügung an die Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau als kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs weiter. Diese wies die Beschwerde am 17. August 1988 ebenfalls ab.
D. S. und ihr Ehemann, dieser in eigenem Namen und als Bevollmächtigter seiner Ehefrau, führen Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragen sinngemäss die Aufhebung des Entscheids der kantonalen Aufsichtsbehörde sowie der Pfändung.
Das Bundesgericht heisst den Rekurs gut, soweit darauf einzutreten ist, und hebt den angefochtenen Entscheid auf. Es weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde handelt es sich beim Betrag, den ein Ehegatte dem andern Gatten, der den Haushalt besorgt, die Kinder betreut oder im Beruf oder Gewerbe mitarbeitet, gestützt auf
Art. 164 ZGB
zur freien Verfügung auszurichten hat, um einen unabdingbaren Anspruch, auf den der berechtigte Ehegatte nicht verzichten kann. Die Vorinstanz führte dazu aus, dieser Anspruch bilde nicht etwa Teil des ehelichen Unterhalts, sondern sei eine dem haushaltführenden Ehegatten persönlich zustehende Forderung. Auf dieses Einkommen müssten die Gläubiger des anspruchsberechtigten Ehegatten unabhängig von der Art der Schulden, für welche sie diesen Gatten belangen, greifen können. Es könnten daher auch für voreheliche Schulden konkrete zukünftige Ansprüche eines Ehegatten nach
Art. 164 ZGB
gepfändet werden.
3.
Die Vorinstanz hat im Hinblick auf
Art. 91 ff. SchKG
mit Recht geprüft, ob der Anspruch gemäss
Art. 164 ZGB
nach seinem Charakter und seiner Zwecksetzung familienrechtlicher
BGE 114 III 83 S. 85
Natur sei, um die Frage nach seiner Pfändbarkeit zu beantworten. Indessen erregt die Annahme der kantonalen Aufsichtsbehörde, der Betrag zur freien Verfügung im Sinne von
Art. 164 ZGB
sei nicht dem ehelichen Unterhalt zuzuordnen, schon insofern Bedenken, als diese Bestimmung im Gesetz zusammen mit
Art. 163 und 165 ZGB
unter dem Marginale "Unterhalt der Familie" steht.
a) Der Unterhalt der Familie erstreckt sich auf den gesamten Lebensbedarf der Ehegatten und ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder. Dieser Lebensbedarf umfasst nicht nur die gemeinsamen Haushaltskosten für alle Familienangehörigen, namentlich die Kosten der Grundbedürfnisse Nahrung, Wohnung und Kleidung, sondern er schliesst neben weiteren gemeinsamen Bedürfnissen auch einen gewissen persönlichen Bereich der Familienmitglieder ein. Die Befriedigung dieser persönlichen Bedürfnisse erfolgt nicht auf gemeinsame Absprache hin, und die beiden Ehegatten sowie weitere Familienangehörige haben der Gemeinschaft darüber keine Rechenschaft abzulegen (DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, S. 54 ff.; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, N. 8 ff. zu Art. 163 und N. 10 ff. zu
Art. 159 ZGB
). Ein solcher vom ehelichen Unterhalt erfasster persönlicher Bereich war in der Form eines Taschengeldes bzw. des Nadelgeldes für den zur Haushaltführung verpflichteten Ehegatten, d.h. für die Ehefrau, schon im bisherigen Recht anerkannt (LEMP, N. 27 zu Art. 160 aZGB). Obwohl
Art. 163 ZGB
im Gegensatz zum bundesrätlichen Entwurf vom 11. Juli 1979 nicht mehr ausdrücklich von persönlichen Bedürfnissen spricht, lassen die Materialien keinen Zweifel daran, dass mit der Streichung dieses Ausdrucks durch die eidgenössischen Räte keine materiellrechtliche Änderung eintreten sollte (Amtl.Bull. SR 1981, 76). Im Unterhalt im Sinne von
Art. 163 ZGB
ist daher auch weiterhin die Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und weiterer Familienmitglieder eingeschlossen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 4 und 10 zu
Art. 163 ZGB
).
b) Wo es die Verhältnisse der Ehegatten erlauben, erweitert
Art. 164 ZGB
für den haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Beruf oder Gewerbe mitarbeitenden Ehegatten den Bereich der persönlichen Bedürfnisse über den Anspruch auf ein blosses Taschengeld hinaus auf einen angemessenen Betrag zur freien Verfügung. Damit sollen weitere persönliche Bedürfnisse gedeckt oder aber die Taschengeldbedürfnisse in aufwendigerer Art befriedigt werden können (DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 64;
BGE 114 III 83 S. 86
HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 8 f. zu
Art. 164 ZGB
). Ist aber ein Anspruch nach
Art. 164 ZGB
begründet, erfasst er auch das Taschengeld des
Art. 163 ZGB
(HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 10 zu
Art. 163 ZGB
). Was im Rahmen von
Art. 163 ZGB
zweifelsfrei zum Unterhalt gehört, kann als Gegenstand von
Art. 164 ZGB
nicht dem Unterhalt entzogen werden. Entgegen HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, 2. Aufl., Rz. 16.47 f., ist daher der Betrag zur freien Verfügung als besonderer Teil des ehelichen Unterhalts zu betrachten (Amtl.Bull. NR 1983, 651; DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 64; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 9 zu
Art. 164 ZGB
). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass in
Art. 173 ZGB
zwischen dem Geldbeitrag gemäss Art. 163 und dem Betrag zur freien Verfügung nach
Art. 164 ZGB
unterschieden wird und nur in Absatz 1 vom Geldbeitrag an den Unterhalt der Familie die Rede ist.
4.
Wenn die Vorinstanz den Betrag zur freien Verfügung gemäss
Art. 164 ZGB
mit Recht als unabdingbaren Anspruch und somit als solchen zwingender Natur bezeichnet, so ist damit offensichtlich das unverzichtbare Stammrecht gemeint, das dem haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Gewerbe oder Beruf des andern mitarbeitenden Ehegatten von Gesetzes wegen zusteht. Auf diesen Anspruch zum voraus zu verzichten, ist unzulässig, dagegen ist ein nachträglicher Verzicht auf eine konkrete einzelne Leistung nicht auszuschliessen (REUSSER, Das neue Eherecht und seine Berührungspunkte mit dem SchKG, BlSchKG 1987 S. 88; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 32 zu Art. 164 und N. 21 der Vorbemerkungen zu
Art. 159 ff. ZGB
). Da auf das Stammrecht nicht verzichtet werden kann, muss dieses auch unpfändbar sein.
Zu prüfen bleibt, ob die einzelne konkrete Leistung gemäss
Art. 164 ZGB
als bestrittene Forderung gepfändet werden kann, wie das von der kantonalen Aufsichtsbehörde bejaht worden ist. In
BGE 114 III 82
E. 2 hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Pfändbarkeit solcher einzelner Leistungen nicht grundsätzlich zu verneinen ist (anderer Meinung SCHWAGER, in Das neue Eherecht, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Bd. 26 S. 247). Der Anspruch nach
Art. 164 ZGB
ist zwar wie der aufgrund von
Art. 163 ZGB
zu leistende Geldbetrag zweckgebunden, indessen ist nicht zu übersehen, dass der Betrag zur freien Verfügung den Kredit des anspruchsberechtigten Ehegatten erhöht. Darauf sollen sich seine Gläubiger grundsätzlich verlassen
BGE 114 III 83 S. 87
dürfen. Der Vorinstanz ist daher zuzustimmen, wenn sie den Gläubigern dieses Ehegatten nicht jeden Zugriff auf eine Forderung aufgrund von
Art. 164 ZGB
verwehrt (gleicher Meinung ist ISAAK MEIER, Neues Eherecht und Schuldbetreibungsrecht, S. 101, allerdings finden sich gegenteilige Ausführungen zu
Art. 163 ZGB
auf S. 98 ff.; nur dem Grundsatze nach wird die Pfändbarkeit der konkreten einzelnen Leistung auch bejaht von REUSSER, a.a.O., S. 88, und von HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu
Art. 164 ZGB
; gegenteiliger Meinung ist SCHWAGER, a.a.O., S. 247).
5.
Indessen ist bereits im Hinblick auf
Art. 93 SchKG
eine Beschränkung der Pfändbarkeit von Geldforderungen eines Ehegatten gegen den andern im Rahmen des ehelichen Unterhalts, sei es nach Art. 163 oder nach
Art. 164 ZGB
, gegeben. Die Pfändung wäre nämlich nichtig, wenn mit ihr in das Existenzminimum des betriebenen Ehegatten eingegriffen würde, was von Amtes wegen zu beachten ist. Die Beschränkung der Pfändbarkeit nach
Art. 93 SchKG
wird allerdings im Zusammenhang mit dem Anspruch gemäss
Art. 164 ZGB
kaum je von Bedeutung sein, da nicht ersichtlich ist, wie ein solcher Anspruch entstehen könnte, wenn die Mittel der Ehegatten die blosse Deckung des Existenzminimums nicht übersteigen (
BGE 114 III 82
E. 3; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu
Art. 164 ZGB
).
6.
Eine weitere Beschränkung der Pfändbarkeit einzelner Leistungen im Sinne von
Art. 164 ZGB
ergibt sich sodann aus dem Zweck der Forderung, die von Gesetzes wegen auf die Befriedigung erweiterter persönlicher Bedürfnisse des anspruchsberechtigten Ehegatten ausgerichtet ist. Zwar trifft es zu, dass dieser Ehegatte die Leistungen im Rahmen von
Art. 164 ZGB
nicht zweckentsprechend verwenden muss, sondern damit auch Errungenschaftsvermögen äufnen kann (Botschaft Ziff. 214.2; DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 272; HEGNAUER, a.a.O., Rz. 16.49; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 40 zu
Art. 164 ZGB
). Inwiefern diese gesparten Vermögenswerte nicht unbeschränkt pfändbar sein sollen, ist nicht ersichtlich. Doch darf daraus nicht der Schluss gezogen werden, eine Pfändung künftiger einzelner Leistungen gemäss
Art. 164 ZGB
sei auch zulässig, wenn der Pfändung Schulden zugrunde liegen, welche diese Leistungen ihrem gesetzlichen Zweck entfremden würden. Das ist jedoch eindeutig der Fall, wenn die Pfändung solcher künftiger Forderungen eines Ehegatten der Begleichung vorehelicher Schulden dienen
BGE 114 III 83 S. 88
soll. Die Leistungen nach
Art. 164 ZGB
sollen vielmehr dem anspruchsberechtigten Ehegatten für seine Bedürfnisse während der Ehe zur Verfügung stehen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu
Art. 164 ZGB
).
Soweit die kantonale Aufsichtsbehörde die Ansprüche nach
Art. 164 ZGB
ganz generell als pfändbar erklärt hat, kann ihr aus den dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Sollte die Behauptung der Rekurrentin, die angefochtene Pfändung habe der Deckung vorehelicher Schulden gedient, zutreffen, wäre diese unzulässig. Da die Vorinstanz hierüber keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, muss sie diesen Einwand noch abklären. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d8b1dd0e-aa15-47ca-9b69-5106b9cfebac | Urteilskopf
87 IV 40
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Februar 1961 i.S. Bezzola gegen Statthaltcramt des Bezirkes Zürich. | Regeste
Mietzinskontrolle.
Art. 4 VO vom 28. Dezember 1956 über die Mietzinskontrolle. Indirekte Mietzinserhöhung durch Erhöhung des Entgeltes für Nebenleistungen.
a) Eine solche Nebenleistung stellt die Bedienung (Reinigen, Bettmachen usw.) dar.
b) Eine indirekte Mietzinserhöhung liegt auch im Fordern des bisherigen Entgeltes trotz des Wegfalls einer Nebenleistung. | Erwägungen
ab Seite 41
BGE 87 IV 40 S. 41
Aus den Erwägungen:
Nach Art. 4 Abs. 1 VMK 1956 ist es untersagt, die Mietzinse ohne Bewilligung der zuständigen Behörde über den von dieser festgesetzten höchstzulässigen Stand zu erhöhen. Unter dieses Verbot fallen auch indirekte Mietzinserhöhungen (Abs. 2), die sich wirtschaftlich gegenüber dem Mieter als Erhöhung auswirken. Als Beispiel einer solchen wird die Erhöhung des Entgelts für eine Nebenleistung angeführt.
Eine solche Nebenleistung stellt die Bedienung dar, zu deren Leistung sich der Beschwerdeführer gegenüber den Mietern der Einzelzimmer verpflichtet hatte; denn dadurch übernahm er sowohl zusätzliche Verrichtungen wie auch die Auslagen für Putzmaterialien. Dass es sich bei der Bedienung, worauf es nach Art. 4 Abs. 2 VMK 1956 ankommt, um eine wirtschaftlich ins Gewicht fallende Leistung, somit um eine Nebenleistung im Sinne dieser Bestimmung handelt, ergibt sich vor allem auch daraus, dass sie, woran dem Beschwerdeführer nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz übrigens sehr gelegen war, von der Preiskontrollstelle bei der Festsetzung des höchstzulässigen Zinses in Rechnung gestellt worden war.
Der Beschwerdeführer hat nun zwar das Entgelt für diese Nebenleistung nicht erhöht, aber den Zins weiterhin auf dem höchstzulässigen Stand, der für die Vermietung mit voller Bedienung festgesetzt worden war, belassen, als er diese Bedienung nicht mehr leistete. Unter dem Gesichtspunkte der wirtschaftlichen Auswirkungen betrachtet, auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 VMK 1956 abgestellt wird, unterscheidet sich dieser Tatbestand nicht von der Erhöhung des Entgelts für eine Nebenleistung. Ob vom Vermieter bei gleicher Leistung das Entgelt erhöht oder bei gleichem Entgelt weniger geleistet wird, läuft gleichermassen auf eine wirtschaftliche Schlechterstellung des Mieters hinaus. Es besteht daher, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, kein sachlicher Grund,
BGE 87 IV 40 S. 42
diese beiden Fälle unter dem Gesichtspunkte des Art. 4 VMK 1956 verschieden zu behandeln. Dass diese Bestimmung nicht nur die Erhöhung des Entgelts bei gleicher Leistung, sondern auch das Fordern des bisherigen Entgelts trotz Einschränkung der Leistung treffen will, ergibt sich übrigens auch daraus, dass dort als Beispiele (verbotener) indirekter Mietzinserhöhungen die Wegnahme eines Zimmers oder einer Mansarde angeführt werden.
Die Vorinstanz hat daher darin, dass der Beschwerdeführer auch dann noch den für die Vermietung einschliesslich voller Bedienung festgesetzten Höchstzins verlangte, als er die Bedienung nicht mehr leistete, mit Recht eine Missachtung des Erhöhungsverbotes, wie es in Art. 4 VMK 1956 umschrieben wird, erblickt. Daran ändert nichts, dass offenbar zumindest ein Teil der Mieter von sich aus auf die vertraglich vereinbarte Bedienung verzichtet hat; denn die Verordnung verbietet Mietzinserhöhungen auch dann, wenn der Mieter bereit ist, sie auf sich zu nehmen, oder sie sogar selber anbietet (vgl.
BGE 81 IV 261
Erw. 2;
BGE 85 IV 59
ff.). | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d8b40652-94fd-4e38-8d82-72913f49ca99 | Urteilskopf
115 V 308
41. Auszug aus dem Urteil vom 31. März 1989 i.S. Bundesamt für Militärversicherung gegen W. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 25 Abs. 1 MVG
.
- Bestätigung der Rechtsprechung gemäss den Urteilen
BGE 112 V 376
und
BGE 112 V 387
(Erw. 4).
- Die Anpassung einer laufenden Rente an die Berechnungsgrundlagen gemäss dem Urteil
BGE 112 V 376
ist nur bei reinen Integritätsrenten gerechtfertigt (Erw. 5).
Art. 26 Abs. 1 MVG
. Festhalten an der unterschiedlichen Wiedererwägungspraxis im Verhältnis zum Bundesgericht (Erw. 4b). | Erwägungen
ab Seite 308
BGE 115 V 308 S. 308
Aus den Erwägungen:
2.
a) Was die Frage des massgeblichen Jahresverdienstes als Grundlage für die Berechnung einer Integritätsrente anbelangt, hat das Eidg. Versicherungsgericht in Erw. 6 des Urteils Gasser vom 29. Dezember 1986 (
BGE 112 V 376
) entschieden, die mit den Urteilen Gysler (EVGE 1966 S. 148) und Lendi (EVGE 1968 S. 88)
BGE 115 V 308 S. 309
eingeführte Praxis des Mittelwertes ermögliche auch im Anschluss an das Urteil Andres (
BGE 110 V 117
) zusammen mit der vollen Kumulierbarkeit der Ansprüche (
BGE 112 V 382
Erw. 4) sachgerechte Lösungen. Wenn es im Laufe der Jahre zu überhöhten Entschädigungen der Integritätseinbussen gekommen sei, so sei dies nicht auf den Mittelwert als Prinzip, sondern auf die Tatsache zurückzuführen, dass dieser Wert ab 1972 nicht nur der Teuerung, sondern zusätzlich auch der Lohnentwicklung fortlaufend angepasst worden sei. Da der Integritätsschaden und seine Abgeltung mit Lohn nichts zu tun hätten und die Integritätsrenten daher von der Lohnentwicklung nicht berührt würden, sei der Mittelwert der Lohnentwicklung nicht anzupassen. Die bisherige Rechtspraxis zu
Art. 25 Abs. 1 MVG
wurde deshalb dahin berichtigt, dass der im Jahre 1966 gültige Mittelwert von Fr. 12'000.-- lediglich der seitherigen Entwicklung der Konsumentenpreise angepasst werden darf.
b) Hinsichtlich der auf der bis 1966 geltenden Praxis des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes beruhenden Integritätsrenten hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Beiner vom 31. Dezember 1986 (
BGE 112 V 387
, insbesondere S. 393 Erw. 3c und S. 394 Erw. 3d) entschieden, das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) sei berechtigt und verpflichtet, die laufenden Integritätsrenten an die durch das Urteil Gasser (
BGE 112 V 376
) eingeleitete Rechtsprechung anzupassen. Zur Begründung führte es im wesentlichen unter Hinweis auf Rechtsprechung und Lehre aus, eine neue Verwaltungs- oder Gerichtspraxis bilde zwar kaum je einen Grund für ein Zurückkommen auf eine formell rechtskräftige Dauerverfügung zum Nachteil des Versicherten. Eine Anpassung ursprünglich fehlerfreier Verfügungen erscheine aber ausnahmsweise dann als gerechtfertigt, wenn eine neue Praxis in einem solchen Masse allgemeine Verbreitung erhalte, dass deren Nichtbefolgung als Verstoss gegen das Gleichheitsgebot erschiene. Unter dieser Voraussetzung liege im Ergebnis die gleiche Situation vor wie im Falle einer nachträglichen Änderung des objektiven Rechts, so dass eine Praxisänderung Anlass zur Umgestaltung eines Dauerverhältnisses geben könne. Diese Voraussetzungen für die Anpassung der Integritätsrente an die mit dem Urteil Gasser eingeleitete Gerichtspraxis seien erfüllt. Denn es sei in höchstem Masse rechtsungleich, Integritätsrenten nach wie vor anhand des als sachfremd erkannten Kriteriums des mutmasslich entgehenden Jahresverdienstes festzusetzen und folglich Bezüger von
BGE 115 V 308 S. 310
Integritätsrenten bei gleichen körperlichen Beeinträchtigungen unterschiedlich zu entschädigen (Erw. 3c). Einer solchen Rentenanpassung stünden weder eine Besitzstandsgarantie noch wohlerworbene Rechte entgegen (Erw. 3d).
3.
a) Das kantonale Gericht kam im angefochtenen Entscheid in Übereinstimmung mit der Auffassung des BAMV zum Schluss, "dass es sich bei der am 18. Juni 1953 verfügten Rente um eine Integritätsrente nach
Art. 25 Abs. 1 MVG
gehandelt" habe. Die Anpassung der Berechnungsgrundlagen an die Praxis gemäss dem erwähnten Urteil Gasser entsprechend den Ausführungen des Eidg. Versicherungsgerichts im Urteil Beiner liess die Vorinstanz nicht gelten. Denn nach feststehendem Grundsatz dürfe die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung nicht voraussetzungslos einseitig zurücknehmen oder zum Nachteil des Adressaten abändern. Grundlage für eine Rücknahme oder Anpassung bilde einerseits das Gesetz (
Art. 13 und 26 MVG
); anderseits hätten sich in der Verwaltungspraxis mittlerweile allgemein anerkannte Grundsätze herausgebildet. Seit dem Bundesgerichtsentscheid 56 I 194 sei die Zulässigkeit, auf eine Verfügung zurückzukommen oder diese abzuändern, "von einer Abwägung jener beiden sich gegenüberstehenden Gesichtspunkte" abhängig gemacht worden, nämlich "dem Postulat der richtigen Durchführung des objektiven Rechts auf der einen und den Anforderungen der Rechtssicherheit auf der andern Seite". Diese Interessenabwägung zwischen den Anforderungen der Gesetzmässigkeit einerseits und der Rechtssicherheit sowie dem Vertrauensgrundsatz anderseits würde auch heute noch Grundlage eines Entscheides über die Rücknahme oder Anpassung von formell rechtskräftigen Verfügungen bilden. Das Eidg. Versicherungsgericht, welches gegenüber dem Bundesgericht eine "largere Rücknahmepraxis" befolge, verzichte angesichts der bei der Wiedererwägung verwendeten Kriterien (der zweifellosen Unrichtigkeit und der erheblichen Bedeutung der Berichtigung) zugunsten des Legalitätsprinzips auf die vom Bundesgericht verlangte Interessenabwägung, was in der Doktrin verschiedentlich kritisiert worden sei. Die Vorinstanz räumt allerdings ein, es sei im Sozialversicherungsrecht dem Umstand Rechnung zu tragen, dass bei Dauerverfügungen andere Massstäbe für die Rücknahme oder Anpassung gelten müssten als für Verfügungen mit abgeschlossener Rechtsfolge. Wenn nun das Eidg. Versicherungsgericht bei diesen rechtlichen Gegebenheiten im Vergleich zum Bundesgericht bereits eine "viel grosszügigere
BGE 115 V 308 S. 311
Wiedererwägungspraxis" befolge, so setze es sich nunmehr mit dem Urteil Beiner (
BGE 112 V 387
) in "klaren Widerspruch zu seiner eigenen bisherigen Auffassung, wonach eine neue Praxis grundsätzlich auf die im Zeitpunkt der Änderung noch nicht erledigten sowie auf künftige Fälle anwendbar" sei. Es entferne sich damit immer weiter von dem im Verwaltungsrecht geltenden Grundsatz der Interessenabwägung, liefere anderseits aber keine Kriterien, anhand deren die von ihm verlangte "allgemeine Verbreitung der Praxis" ersehen werden könnte. Von allgemein verbreiteter Praxis könnte nur dann gesprochen werden, wenn die Voraussetzungen für die Annahme von Gewohnheitsrecht gegeben wären, was nun aber im vorliegenden Zusammenhang nicht zutreffe, zumal die mit dem Urteil Gasser eingeleitete höchstrichterliche Praxis zur Berechnung von Integritätsrenten sich ausschliesslich auf eine "bestimmte Rentenart in einem spezifischen Sozialversicherungszweig" beschränke. Die Unmöglichkeit der Definition des Kriteriums der allgemeinen Verbreitung würde unweigerlich dazu führen, dass jede Praxisänderung schliesslich zur Anpassung formell rechtskräftiger Verfügungen führen würde, womit es im Gutdünken der Verwaltungsbehörden läge, in Fällen, wo das Gesetz keine abschliessende Regelung enthalte bzw. auslegungsbedürftig sei, eine Praxisänderung und damit die Anpassung von nicht mehr übereinstimmenden Verfügungen herbeizuführen. Die Vorinstanz gehe zwar mit dem Eidg. Versicherungsgericht darin einig, dass die neue Auslegung von
Art. 25 Abs. 3 MVG
durch das Urteil Andres (
BGE 110 V 117
) und die im Gefolge dieses Urteils initiierte neue Berechnungspraxis bei den Integritätsrenten durch das Urteil Gasser "für die davon Betroffenen eine Schlechterstellung gegenüber Bezügern von auf der alten Praxis beruhenden Renten" darstelle. Indessen würden die wiedergegebenen Erwägungen dem Eidg. Versicherungsgericht nicht das Recht geben, diese Ungleichbehandlung aufzugeben; vielmehr sei es "Aufgabe des Gesetzgebers, die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen dahingehend abzuändern, dass der neuen bundesgerichtlichen Praxis Rechnung getragen" werde.
b) Der Beschwerdegegner pflichtet diesen vorinstanzlichen Erwägungen und Schlussfolgerungen bei und macht überdies geltend: Wohl habe der Gesetzgeber die Möglichkeit, laufende Renten zu ändern, nicht jedoch die Verwaltung oder der Richter, denen diese Befugnis nicht zustehe, da die Praxisänderung eines Gerichts kein Revisionsgrund sei, insbesondere dann nicht, wenn
BGE 115 V 308 S. 312
eine Rentenzusprechung seinerzeit durch den Sozialversicherungsrichter, gegebenenfalls letztinstanzlich durch das Eidg. Versicherungsgericht bestätigt worden sei, lege doch das OG in den Art. 136 f. abschliessend fest, unter welchen Umständen ein richterliches Urteil später abgeändert werden könne. Daraus ergebe sich eine neue Rechtsungleichheit, indem gerichtlich bestätigte Rentenzusprechungen zufolge einer späteren Praxisänderung nicht abgeändert werden könnten, wogegen dies nach dem im Urteil Beiner Gesagten für Rentenzusprechungen, die allein auf einer Verwaltungsverfügung beruhten, zutreffe. Der Beschwerdegegner beruft sich sodann auf das in SZS 1986 S. 142 ff. publizierte Urteil der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 8. Februar 1985, wo die Wiedererwägung einer Rentenzusprechung durch eine kommunale Pensionskasse vom Bundesgericht als willkürlich bzw. gegen das Verfassungsprinzip von Treu und Glauben verstossend aufgehoben worden sei. Das Urteil Beiner, so der Beschwerdegegner, hätte sodann nicht gefällt werden dürfen, ohne das Verfahren nach
Art. 16 OG
(Einholung der Zustimmung der anderen Abteilung bei abweichender Beantwortung einer Rechtsfrage) zu beachten.
c) Das BAMV spricht sich in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im wesentlichen dafür aus, die durch die Urteile Andres, Gasser und Beiner gebildete Gerichtspraxis konsequent weiterzuführen, denn diese stelle "ein Ganzes" dar, aus welchem "Paket ... nicht wieder ein Teil herausgebrochen werden" könne, wolle man nicht "auf halbem Wege stehen bleiben und grobe Ungleichheiten schaffen".
4.
a) Die Auffassung des kantonalen Gerichts vermag nicht zu überzeugen. Einerseits werden die verschiedenen Formen der Abänderung einer formell rechtskräftigen Verwaltungsverfügung zu undifferenziert behandelt; anderseits wird der Eigenart von Verfügungen mit dauernder Rechtsfolge, d.h. Verfügungen über Dauerrechtsverhältnisse nicht genügend Rechnung getragen.
Auszugehen ist von der Überlegung, dass die formelle Rechtskraft einer Verfügung über ein Dauerrechtsverhältnis nicht voraussetzungslos gilt. Die formelle Rechtskraft beschränkt sich vielmehr auf den Sachverhalt und die Rechtslage zur Zeit des Erlasses der Verfügung über das Dauerrechtsverhältnis. Nun kann der Grundlage der Verfügung bildende Sachverhalt schon zur Zeit des Erlasses der Verfügung unrichtig festgestellt worden sein, oder es kann sich der Sachverhalt nachträglich ändern. Gleich verhält es
BGE 115 V 308 S. 313
sich mit den rechtlichen Gesichtspunkten: Die formell rechtskräftig gewordene Verfügung kann auf einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung beruhen, oder es kann sich nach Verfügungserlass die objektive Rechtslage ändern. Die Frage nach der Tragweite der formellen Rechtskraft kann nicht für alle vier Gesichtspunkte (ursprünglich unrichtige Sachverhaltsfeststellung; nachträgliche Sachverhaltsänderung; ursprünglich unrichtige Rechtsausübung; nachträgliche Rechtsänderung) in gleicher Weise beantwortet werden. Vielmehr ergibt sich im einzelnen was folgt:
aa) Im Rahmen der (prozessualen) Revision soll eine Verfügung zurückgenommen werden können, die auf von Anfang an fehlerhaften tatsächlichen Grundlagen beruht (
BGE 112 V 371
Erw. 2a mit Hinweisen). Dieses Institut der prozessualen Revision, welches die Verwirklichung des materiellen Rechts bezweckt, ist im Bereich der Militärversicherung auf jeder Stufe (Verwaltungsverfahren, kantonales Beschwerdeverfahren, verwaltungsgerichtliches Beschwerdeverfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht) positivrechtlich geregelt, wie sich aus
Art. 13 Abs. 1 MVG
,
Art. 56 Abs. 1 lit. h MVG
und
Art. 137 lit. b OG
ergibt.
Eine solche prozessuale Revision steht hier nicht zur Diskussion, weswegen die entsprechenden Einwendungen des Beschwerdegegners von vornherein ins Leere gehen.
bb) Die formelle Rechtskraft der Verfügung über ein Dauerrechtsverhältnis steht sodann unter dem Vorbehalt, dass nicht nach Verfügungserlass erhebliche tatsächliche Änderungen eintreten. Diese u.a. auf die Invaliden- und die Integritätsrenten als Dauerrechtsverhältnisse zugeschnittene Revisionsart will die Anpassung an seit der verfügten Leistungszusprechung eingetretene geänderte und in diesem Sinne neue tatsächliche Verhältnisse ermöglichen (
BGE 112 V 372
Erw. 2b). Auch sie ist im Bereich der Militärversicherung positivrechtlich geregelt (
Art. 26 Abs. 1 MVG
). Im Rahmen dieser Revisionsart hat die Rechtsprechung seit je strikte am Erfordernis einer erheblichen Änderung tatsächlicher Natur festgehalten. Eine unterschiedliche Beurteilung eines im wesentlichen unverändert gebliebenen Sachverhaltes ist daher revisionsrechtlich bedeutungslos, und auch eine neue Verwaltungs- oder Gerichtspraxis rechtfertigt grundsätzlich keine Revision des laufenden Rentenanspruches zum Nachteil des Versicherten, weil es sich hiebei nicht um neue bzw. geänderte Tatsachen handelt (
BGE 112 V 372
Erw. 2b und besonders deutlich in 375 Erw. 4, wo das Eidg. Versicherungsgericht eine voraussetzungslose
BGE 115 V 308 S. 314
Neubeurteilung des Rentenanspruches im Rahmen von
Art. 26 Abs. 1 MVG
verwarf).
Auch eine solche Anpassung an geänderte tatsächliche Verhältnisse steht hier nicht zur Diskussion.
cc) Der Korrektur einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung (unter Einschluss unrichtiger Feststellung im Sinne der Würdigung des Sachverhalts) dient dagegen die Wiedererwägung, nach welchem Grundsatz des Sozialversicherungsrechts die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, zurücknehmen kann, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (
BGE 112 V 373
Erw. 2c mit Hinweisen).
Auch um eine solche Wiedererwägung geht es vorliegend nicht, weil die seinerzeit auf der Grundlage des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes festgesetzte Rente - selbst wenn sich ergäbe, dass eine Integritätsrente zugesprochen wurde - nicht als zweifellos unrichtig bezeichnet werden kann; denn diese Bemessungsmethode entsprach einer damals festen Verwaltungspraxis, so dass sich der Schluss auf zweifellose Unrichtigkeit verbietet (so
BGE 112 V 375
Erw. 3c).
dd) Vorliegend ist vielmehr der vierte Gesichtspunkt zu beurteilen, nämlich wie es sich mit der formellen Rechtskraft der Verfügung über ein Dauerrechtsverhältnis verhält, wenn seit Verfügungserlass Änderungen des objektiven Rechts eingetreten sind. Darunter fallen auch Änderungen in der Rechtsanwendung durch eine neue Gerichts- oder Verwaltungspraxis. Besteht die Rechtsänderung in einem Eingriff des Gesetzgebers, so ist - die Existenz wohlerworbener Rechte vorbehalten - die Anpassung der Verfügung über ein Dauerrechtsverhältnis nicht nur erlaubt, sondern gefordert. Besteht die Änderung des massgebenden Rechts dagegen in einer neuen gerichtlich bestätigten Verwaltungspraxis oder einer neuen Rechtsprechung, so darf die Verfügung über das Dauerrechtsverhältnis grundsätzlich nicht angetastet werden; eine solche Anpassung einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung an eine neue gerichtlich bestätigte Verwaltungspraxis oder eine neue Rechtsprechung ist nur ausnahmsweise gerechtfertigt (
BGE 112 V 394
oben).
b) Dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts einerseits und jene des Eidg. Versicherungsgerichts anderseits zur Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen voneinander abweichen, trifft zu. Indessen verhält es sich keineswegs so, wie
BGE 115 V 308 S. 315
die Vorinstanz und der Beschwerdegegner annehmen, dass diese Divergenz zwischen den beiden Gerichten nicht bereits Gegenstand eines Meinungsaustauschverfahrens gewesen wäre. Hiezu wurde bereits in den Jahren 1970 und 1978 ein Meinungsaustauschverfahren durchgeführt.
Die Zulässigkeit bereichsspezifischer Grundsätze für die Abänderbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Verfügungen über Dauerrechtsverhältnisse ist von der herrschenden Lehre auch in jüngster Zeit nicht in Frage gestellt worden (vgl. GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. I, S. 440 f.; derselbe, L'apport du Tribunal fédéral des assurances au développement du droit public, in: Le droit social à l'aube du XXIe siècle, Mélanges Alexandre Berenstein, 1989, S. 449; GYGI, Verwaltungsrecht, 1986, S. 310; KNAPP, Précis de droit administratif, 3. Aufl., 1988, S. 231, Nr. 1284). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Beschwerdegegner erwähnten Urteil des Bundesgerichts vom 8. Februar 1985 (publiziert in SZS 1986 S. 142 ff.), wo die II. Öffentlichrechtliche Abteilung den Widerruf einer Rentenverfügung durch eine städtische Pensionskasse als gegen Treu und Glauben sowie das Willkürverbot verstossend aufhob. Das Bundesgericht hat dort die Widerrufspraxis des Eidg. Versicherungsgerichts nicht in Frage gestellt, was sich deutlich aus Erw. 4b/bb ergibt. Im weitern ist diese vom Bundesgericht beurteilte Sache mit dem vorliegenden Fall in keiner Weise vergleichbar, ging es doch dort um den - mit Wirkung ex tunc - verfügten Widerruf einer Rentenverfügung wegen zweifelloser Unrichtigkeit, weil sich herausgestellt hatte, dass der Pensionsbezüger wegen zu berücksichtigender Rentenleistungen der Invalidenversicherung und Militärversicherung gar keinen Rentenanspruch besessen hätte, sondern nur eine Freizügigkeitsleistung hätte verlangen können. Vorliegend handelt es sich dagegen, wie gesagt, nicht um die Wiedererwägung einer Verfügung wegen zweifelloser Unrichtigkeit, sondern um eine Anpassung - mit Wirkung ex nunc - einer Verwaltungsverfügung an eine neue Rechtsprechung. Dabei verkennen die Vorinstanz und der Beschwerdegegner, dass die Festsetzung der Integritätsrenten im Rahmen des
Art. 25 Abs. 1 MVG
, welche den rechtsanwendenden Behörden einen weiten Bereich des Ermessens eröffnet, zu jeder Zeit auf der Grundlage einer Verwaltungs- und Gerichtspraxis erfolgte. Dies hat das Eidg. Versicherungsgericht namentlich im Urteil Gasser klar festgehalten, indem die Massgeblichkeit des entgangenen Jahreseinkommens bzw. - seit den Urteilen Gysler
BGE 115 V 308 S. 316
und Lendi - des Mittelwertes des versicherbaren Verdienstes auf einer Rechtspraxis beruhte, und nicht auf den bundesrätlichen Verordnungen über die Teuerungsanpassung, welchen insoweit keine normative Bedeutung zukam und zukommt (
BGE 112 V 383
f. Erw. 5a und b). Daher ist für die Anpassung der "Uralt-Integritätsrenten", welche auf der Grundlage des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes festgesetzt wurden, entgegen der vorinstanzlichen Auffassung keineswegs ein gesetzgeberischer Erlass notwendig.
Schliesslich hat das Eidg. Versicherungsgericht bei der Abänderbarkeit formell rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen den Verfassungsprinzipien der Rechtssicherheit und von Treu und Glauben durchaus Rechnung getragen. So nahm es im Urteil Häberli vom 2. Juli 1984 (nicht veröffentlichte Erw. 2c von BGE
BGE 110 V 176
, publiziert in ZAK 1985 S. 68) eine Interessenabwägung vor. Im vorliegenden Zusammenhang mit der Anpassung von Integritätsrenten, die auf der Grundlage des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes festgesetzt wurden, hat das Gericht im nicht veröffentlichten Urteil B. vom 13. August 1987 zum Urteil Beiner festgestellt, dass Rechtssicherheit und Vertrauen auf die Weitergewährung einmal zugesprochener staatlicher Leistungen ein Gesichtspunkt sind, der mit dem öffentlichen Interesse an einer gesetzmässigen und sachlich vertretbaren Durchführung der Versicherung in ein Spannungsverhältnis treten kann. Dieser Konflikt zwischen den widerstreitenden Rechtsprinzipien ist im konkreten Fall durch eine wertende Abwägung der im Spiele stehenden Interessen zu lösen (
BGE 112 V 122
mit Hinweisen). Das Eidg. Versicherungsgericht hat im Urteil Beiner (
BGE 112 V 387
) umfassend dargelegt, aus welchen Gründen es geboten ist, die Integritätsrenten, welche aufgrund der bis 1966 geltenden, als sachfremd erkannten Praxis berechnet wurden, anzupassen. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmesituation, welche eine besondere Lösung erforderte (erwähntes Urteil B. vom 13. August 1987).
c) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass an der Rechtsprechung gemäss den Urteilen Gasser und Beiner vollumfänglich festzuhalten ist.
5.
a) Die Anpassung einer laufenden Rente an die durch das Urteil Gasser eingeführten Berechnungsgrundlagen rechtfertigt sich indessen nur dann, wenn die in Frage stehende Rente eine reine Integritätsrente ist. Davon ist das Eidg. Versicherungsgericht bereits im Urteil Beiner ausgegangen. Denn nur dort, wo eine auf
BGE 115 V 308 S. 317
der Grundlage des erwerblichen Gesichtspunkts des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes festgesetzte Rente ausschliesslich eine reine Integritätseinbusse entschädigt, kann von einer derart sachwidrigen Berentung gesprochen werden, dass deren Anpassung an adäquate Berechnungsgrundlagen das finanzielle Interesse des Versicherten am weiteren Bezug dieser Rente überwiegt. Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher im Urteil Beiner bewusst nur die reinen Integritätsrenten als anpassungspflichtig bezeichnet, und zwar auch nur jene, die auf der Grundlage des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes festgesetzt worden sind, nicht dagegen jene, welche auf der mit den Urteilen Gysler und Lendi ab 1966 eingeleiteten Praxis beruhen. Ergibt die Prüfung der Aktenlage zur Zeit des Erlasses der Rentenverfügung, dass damals auch eine erwerbliche Beeinträchtigung bestand, so verbietet sich eine Anpassung der Rente. Dabei ist unerheblich, dass diese Erwerbseinbusse allenfalls geringer war als der Integritätsschaden, dies mit der Folge, dass nach der damaligen Praxis nur der überwiegende Schaden entschädigt wurde. Es genügt vielmehr die Feststellung, dass bei der Berentung auch erwerbliche Gesichtspunkte mit berücksichtigt werden durften. Ist dies der Fall, so darf eine Anpassung der laufenden Rente im Sinne des Urteiles Beiner nicht erfolgen.
b) Aus dem Gesagten erklärt es sich, warum das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Beiner die rechtliche Natur der dort mit Verfügung vom 25. März 1952 zugesprochenen Rente eingehend prüfte (vgl. die in
BGE 112 V 391
nicht publizierte Erw. 2a des Urteils Beiner). In gleicher Weise ist es im erwähnten Urteil B. vom 13. August 1987 verfahren. Es hat dort darauf abgestellt, dass dem voll arbeitsfähigen Versicherten wegen seines Nierenverlustes eine Rente zugesprochen worden war, welche Integritätsbeeinträchtigung nach damaliger Verwaltungspraxis ohne Rücksicht auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit eine Berentung von 20% rechtfertigte. In diesem Sinne muss auch vorliegend genau geprüft werden, ob die dem Beschwerdegegner zugesprochene Rente tatsächlich ausschliesslich einen Integritätsverlust in Gestalt der weitgehenden Funktionsuntüchtigkeit des einen Lungenflügels entschädigte. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
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